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Full text of "Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte"

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1578 

,922 


llriur^tom  llmiw&itg,* 


i 


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Die  altjrermanischf*  Hundertschaft 

von 

l)r.  jur.  Claudius  Frlir.  von  Schwerin 


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Untersuchungen 


Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 


90.  Heft 


Die 

altgermanische  Hundertschaft 


Dr.  jur.  Claudius  Frhr.  von  Schwerin 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1 1)07 


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Oie 


altgermanisclie  Hundertschaft 


Dr.  jur.  Claudius  Frhr.  von  Schwerin 


Hreslan 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1007 


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(RlCAf) 

*\V“ 


Printed  in  GarmAajT 


Vorwort 


Die  vorliegende  Arbeit  ist  hervorgegangen  aus  der  gelegent- 
lich angelsächsischer  Studien  sich  ergebenden  Notwendigkeit,  das 
Wesen  des  angelsächsischen  hundred  zu  untersuchen.  Schon  aus 
methodischen  Gründen  konnte  diese  Untersuchung  nur  im  Rahmen 
einer  Erörterung  des  Hundertschaftsbegriffes  überhaupt  erfolgen. 
Andererseits  aber  sollte  die  Arbeit  lediglich  Vorarbeit  sein  und  dieser 
Umstand  wurde  bestimmend  für  die  Auswahl  des  zu  verwendenden 
Materials.  Ich  bin  mir  vollkommen  dessen  bewußt,  daß  sich  in 
dem  großen  Quellengebiete  der  germanischen  Rechtgeschichte  noch 
manche  Stellen  finden,  die  da  und  dort  die  Beweisgründe  häufen 
könnten.  Das  Gesamtergebnis  würde  durch  ihre  Heranziehung 
nicht  verschoben  werden,  wohl  aber  in  Mißverhältnis  zu  dem 
aufgewandten  Apparat  geraten.  Aus  gleichen  Gründen  habe  ich 
mich  da,  wo  brauchbare  ausreichende  Vorarbeiten  fehlten,  wie  bei 
Besprechung  der  friesischen  und  skandinavischen  Gerichtsverfassung, 
auf  die  Hervorhebung  des  für  die  Hauptfrage  Wesentlichen  be- 
schränkt, an  anderen  Stellen  dagegen,  wie  bei  der  Erwähnung 
der  sächsischen  Goverfassung,  wo  die  hier  wesentlichen  Punkte 
längst  unbestritten  feststehen,  auf  eine  Verweisung  auf  die 
Ergebnisse  früherer  Arbeiten. 

Herrn  Prof.  Dr.  Karl  v.  A m i r a möchte  ich  auch  an  dieser 
Stelle  meinen  herzlichsten  Dank  aussprechen  für  die  rege  Anteil- 
nahme, mit  der  er  den  Fortgang  dieser  Arbeit  verfolgt,  und  die 
wertvollen  Ratschläge,  durch  die  er  sie  gefördert  hat. 

München,  Juli  1907 


Der  Verfasser 


5047S0 


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Berichtigungen 


Seite  7 

Zeile 

21 

lies 

l’unkt  statt  Punkt. 

- 18 

- 

18, 

28  und  31  lies  porrectu  statt  prorrecto. 

2fi 

- 

3 lies 

aut  statt  ant. 

- 82 

- 

10 

- 

zerfielen  statt  zutiulen. 

- 102 

- 

18 

- 

einzelnen  statt  einzelne. 

- 115 

- 

22 

- 

Bestohlene  statt  ßestohlcuc. 

- 118 

- 

14 

- 

letztgenannte  statt  letzgenannte. 

- 124 

- 

9 

- 

Einwohner  statt  Kinwvhncr. 

- 125 

- 

19 

- 

branstuß  statt  bransta|). 

- 130 

- 

32 

- 

alemannischer  statt  alamanischer. 

- 14(5 

- 

9 

- 

Ausführlichkeit  statt  Ausführlickeit. 

- 147 

- 

14 

- 

vor  statt  von. 

- 159 

- 

27 

- 

Feder  w ert  heradel  statt  Federwerthadel. 

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Inhalt 

Seite 

Vorhfwiorkuiuf  . . 1 


1.  l>f  Heerosthcorie . , . 3 

11  I *ii  Ilufentlicorie  lind  verwandte  Theorien 

0*1 

111.  Worterklärung  ...  ... 

53 

IV.  J’asrus 

C4 

V.  Fortsetzung  (Pagus)  ... 

*J5 

VI.  f.Vnti>na  

10!) 

VII.  Fortsetzung:  Jiiintari.  del,  go 

13» 

rill,  llynden  und  Hundred  . . . 

ITC 

l.V.  Hundari,  liu-ra Jr  und  luera-th  , . 

. 192 

\ Ergebnisse  

. 212 

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Verzeichnis  abgekürzter  Büchertitel 

v.  Atnira,  Grundriß“  — Grundriß  da»  germanischen  Rechts  in  Pauls 
Grundriß  der  germanischen  Philologie,  2.  Aull, 
v.  Amira,  Obl.-R.  = Nordgermanisches  Obligationenrecht  I 1882,  II  1 805. 
Brunner,  Grundlüge  — Grundxügc  der  deutschen  Rechtsgeschichte 
2.  Aull.  (1903). 

Brunner,  R.-G.  — Deutsche  Rechtsgeschichte  I 2.  Aufl.(190G)  II  J.  Aull.  (1892) 
Gramer,  Alamannen  — I>ie  Geschichte  der  Alamannen  als  Gaugeschiclite. 

Untersuchungen  ?.ur  Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschiehte, 
hrsg.  von  Otto  Gicrke.  57.  lieft. 

Gramer,  VG.  — Die  Verfassungsgeschichte  der  Germanen  und  Kelten  (I90(j) 
Dahn,  Könige  = Die  Könige  der  Germanen  I — X. 

GGA.  = Göttingische  gelehrte  Anzeigen. 

Maurer,  Vorlesungen  = Vorlesungen  über  altnordische  Rechtsgeschiehte  I. 
1 und  2 (1907). 

Mayer,  VG.  = Deutsche  und  französische  Verfassungsgeschichte  I.  II. 
Meitzen,  Siedlung  «=  Siedelung  und  Agrarwesen  der  West-  lind  Ostgermanen. 

der  Kelten,  Römer,  Kinnen  und  Slawen  I,  II,  III  und  Atlas. 

M J i > G.  — Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische  t ieschiehtsforschung. 

(E-B.  — Krgänzungsband.) 

MDUenhoff,  D.A.  = Deutsche  Altertumskunde. 

PBB.  «=  Beitrüge  zur  Geschichte  der  dentachen  Sprache  und  Literatur. 
Ilrsg.  von  Paul  und  Braune. 

Richthofen,  Untersuchungen  = Untersuchungen  über  friesische  Rechts- 
geschichte I — III,  1. 

Schroeder,  RG.  — Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte.  (Soweit 
dies  möglich  war,  ist  die  im  Erscheinen  begriffene  5.  And.  zitiert.) 
Soli m,  RuGV.  = Deutsche  Reichs-  und  Gerichtsverfassung. 

Waitz,  VG.  = Deutsche  Verfassungsgeschichte  I.  II,  1,  2.  (3.  Anflage), 
III.  IV.  (2.  Auflage). 

/, RG.  = Zeitschrift  für  Rechtsgeschiehte. 

ZUG*.  — Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgeschichte. 


Die  sonstigen  Abkürzungen,  besonders  die  der  Quellen,  sind  die  üblichen. 


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Vorbemerkung 


Nach  der  insbesondere  von  H.  Brunner  begründeten  und  zur- 
zeit herrschenden  Lehre  gab  es  im  germanischen  Staate  neben 
der  räumlichen  Gliederung  des  Staatsgebietes  (civitas)  in  Gaue 
(pagi)  eine  Gliederung  des  Volkes  in  kleinere,  innerhalb  der  Gau- 
Gemeinden  stehende,  persönliche  Verbände,  denen  die  Wissenschaft 
ilen  Namen  „Hundertschaften“  Gegeben  hat.  Auf  der  Grund- 
lage dieser  persönlichen  Hundertschaftsverbände  sollen  sich  dann 
in  der  folgenden  Periode  bei  einzelnen,  aber  keineswegs  allen, 
germanischen  Stämmen  territoriale  Hundertschaften,  Hundert- 
schaftsbezirke, als  Unterbezirke  des  Gaus  ausgebildet  haben. 

Dagegen  wird  durch  v.  Amira  wie  schon  durch  Frühere  die 
Ansicht  vertreten,  daß  der  germanische  Staat  räumlich  in  Hun- 
dertschaftsbezirke und  nicht  in  über  diesen  stehende  Gau- 
bezirke zerfallen  ist.  sodaß  die  Verfassung  der  folgenden  Periode 
sich  von  der  der  germanischen  nicht  durch  die  Entstehung  der 
Hundertschaftsbezirke,  sondern  vielmehr  die  der  Gaube- 
zirke unterscheidet. 

Diese  Streitfrage  zu  lösen  ist  der  Zweck  der  folgenden  Unter- 
suchung, für  die  sich  hieraus  die  Begrenzung  der  Aufgabe  ergibt. 

Da,  wie  im  Folgenden  noch  näher  auszuführen  sein  wird, 
der  Begriff  der  Hundertschaft  bislang  entwickelt  wurde  an  Be- 
zirken der  fränkischen  Periode  und  wir  einen  Bezirk  gleichen 
Namens  in  der  germanischen  Periode  nicht  naclnveisen  können, 
so  muß  der  grundlegende  Plan  der  folgenden  Untersuchung  sein, 
zunächst  festzustellen,  ob  der  germanische  Staat  Mittelbezirke  und 
Unterbezirke  oder  nur  eine  Gattung  von  Bezirken  kannte.  Sodann 
ist  zu  prüfen,  ob  die  Bezirke  der  fränkischen  Periode,  welche 

r.  Schwerin,  altgernt.  Hundertschaft  t 


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2 


man  in  der  Wissenschaft  ihres  Namens  wegen  als  Hundert- 
schaften angesprochen  hat,  der  Sache  nach  einem  Bezirk  der 
germanischen  Periode  entsprechen.  Zeigt  sich  hierbei  sach- 
liche Übereinstimmung,  so  ist  bewiesen,  daß  auch  die  germanische 
Periode  „Hundertschaften“  gekannt  hat.  Gleicherweise  ist  zu 
untersuchen,  ob  nicht  auch  bei  den  Stammen,  deren  Verfassung 
dem  Namen  nach  auch  in  der  fränkischen  Zeit  keine  Hundert- 
schaften aufweist,  gleichwohl  der  Sache  nach  solche  vorhanden 
waren.  Umgekehrt  ist  zu  prüfen,  ob  alle  die  Bezirke,  die.  wegen 
gleichen  Namens,  als  Hundertschaften  angesprochen  worden 
sind,  in  der  Tat  auch  der  Sache  nach  einander  gleichgestellt 
werden  können. 

Von  hier  aus  ergibt  sich,  dall  die  Bezirke,  die  sich  in  der 
dritten  Periode  bei  germanischen  Völkern  finden,  in  der  Regel 
nicht  in  den  Kreis  der  Betrachtung  zu  ziehen  sind.  Zeigen  sich 
bei  einem  Volke  schon  in  der  zweiten  Periode  Bezirke,  die  den 
germanischen  Unterbezirken  sachlich  gleichen,  so  ist  es  für  unsere 
Frage  ohne  Belang,  wie  und  ob  sie  sich  in  der  dritten  Periode 
weiter  entwickelt  haben;  damit  scheiden  aus  vor  allem  die  mittel- 
alterlichen Centen  und  Gentgerichte1).  Andererseits  sind  hundert- 
schaftgleiche Bezirke  der  dritten  Periode  dann  nicht  von  Interesse, 
wenn  die  Bezirksverfassung  der  zweiten  Periode  den  Zusammen- 
hang mit  altgermanischen  Bezirken  unterbrochen  hat;  denn  nach 
Ansicht  aller  Autoren  hängen  die  „ Hundertschaften“  mit  Hin- 
richtungen der  germanischen  Zeit  zusammen. 

Der  Zweck  der  Untersuchung  bestimmt  endlich,  inwieweit  im 
einzelnen  Fall  auf  die  politischen,  wirtschaftlichen  und  gericht- 
lichen Funktionen  der  in  Frage  stehenden  Bezirke  einzugehen  ist. 
Hs  kann  insbesondere  nicht  Aufgabe  des  Folgenden  sein,  die  Ge- 
richtsverfassung bei  den  einzelnen  Völkern  weiter  zu  verfolgen, 
als  dies  unmittelbar  geboten  ist. 

‘)  Damit  setze  ich  mich  in  der  Methode  in  Gegensatz  zu  E.  Mayer, 
der  in  seiner  Verfassungsgeschichte  I S.  434  davon  ausgeht,  „daß  gerade  die 
naclifränkischcn  Quellen  ganz  überraschende  blicke  in  die  Struktur  der 
Hundertschaft  tun  lassen“.  Es  ist  meines  Erachtens  methodisch  ungerecht- 
fertigt, in  Kragen  der  deutschen  Verfassungsgeschichte  die  Zustände  der 
nachfrtnkischen  Zeit  zur  Erklärung  der  germanischen  Periode  heranzuziehen, 
solange  frühere  Quellen  ausreichen  und  nicht  völlige  Gewißheit  besteht,  daß 
die  dritte  Periode  ein  unverändertes  Bild  der  germanischen  Zeit  darbietet. 


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3 


I.  Die  Heerestheorie 

Dieser  und  der  folgende  Abschnitt  sollen  als  Einleitung  und 
als  Grundlage  für  die  späteren  Ausführungen  eine  Übersicht  über 
die  verschiedenen  Meinungen  und  eine  Prüfung  ihrer  Richtigkeit 
bringen.  Dabei  sehe  ich  aber  von  vornherein  vollkommen  davon 
ab.  eine  Dogmengeschichte  zu  geben  und  beschränke  mich  darauf, 
soviel  über  die  bisherigen  und  die  noch  vertretenen  Ansichten  zu 
berichten,  als  dem  Zwecke  der  Darstellung,  der  Klarlegung  des 
Problems  und  dem  Verständnis  der  folgenden  Ausführungen  nützlich 
ist.  Insbesondere  muH  ich  darauf  verzichten,  auch  nur  annähernd 
die  Autoren  zu  nennen,  die  seit  dem  I Jahrhundert1)  die  Hun- 
dertschatt oder  eentena  für  eine  Vereinigung  von  hundert  Personen 
«der  hundert  Höfen  oder  hundert  Familien  mit  großer  Einhellig- 
keit und  mangelnder  Begründung  erklärt  haben*). 

Schon  in  der  ersten  1 808  erschienenen  Auflage  seiner  „Deut- 
schen Staats-  und  Rechtsgeschichte“  hat  K.  F.  Eichhorn  die  Frage 
aufgeworfen,  wie  die  „Hundertschaften“  entstanden  sein  mögen 
und  wie  sie  zu  diesem  Namen  gekommen  sind.  Nacii  seiner  An- 
schauung teilten  sich  in  der  genannten  Zeit  die  Provinzen  d.  h. 
die  Gebiete  der  einzelnen  Volksstämme  zunächst  in  Gaue.  „Jeder 
Gau  war  in  mehrere  Centen,  Hundreden  oder  Centgrafschatten 
centenae)  geteilt,  welche  vielleicht  von  Markgenossenschaften  ur- 


•)  Die  älteste  Vermutung  über  das  Wesen  des  angelsächs.  liundrcd  ent- 
hält der  Dialogus  de  scaccario  I,  17:  l^uid  Hida,  quid  Centuriata,  quid  co- 
mitatus,  secundmn  vulgarem  opinioneni.  M.  Kuricolac  melius  hoc  norunt: 
verum  sicut  ab  ipsis  accepimus.  hida  a primitiv»  institutione  ex  centum 
acris  constat:  hundredus  vero  ex  hidarum  aliquot  centcnariis,  sed  non  de- 
terminatis:  quidam  enim  ex  pluribus,  quidam  ex  paueioribns  hidis  eonstat. 
bei  W.  Stubbs  Selcet  charter«  and  othor  Illustration»  of  English  constitu- 
tional  historv  B.  (1905)  S.  209.) 

*)  Gleich  an  dieser  Stelle  bemerke  ich,  daß  ich  zwar  möglichste  Voll- 
ständigkeit der  Literaturangaben  angestrebt  habe,  dnll  es  aber  ausgeschlossen 
ist.  jede  Stelle  anzufnbren  oder  auch  nur  aufzufinden,  an  der  der  Begriff 
.Hundertschaft*  erwähnt  wird.  Auch  ist  mancher  Schriftsteller,  der  nur  von 
skandinavischen  oder  angelsächsischen  Verhältnissen  handelt,  nicht  schon  in 
diesem  allgemeinen,  sondern  erst  in  dem  einschlägigen  speziellen  Abschnitt 
tu  finden.  Außerdem  habe  ich  die  an  angeführter  Stelle  gegebene  Litera- 
tur in  der  Hegel  nicht  wiederholt  zitiert. 

1* 


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4 


sprünglich  herrühren  mochten1),  deren  Genossen  sich  daher  auch 
nur  in  Sachen,  welche  nicht  den  Frieden  betrafen,  vor  einem 
Centgrafen  zu  Recht  standen,  und  deren  Namen  (Hundrede)  ur- 
sprünglich deutsch  und  von  der  Kriegsverfassung  hergenommen  ist“*). 

St)  unentschieden  sich  auch  Eichhorn  in  dieser  Stelle  über 
die  Entstehung  der  Hundertschaft,  den  Kernpunkt  der  Fragt*, 
äußert,  so  entschieden  ist  eine  Beziehung  der  Hundertschaft  zur 
Heeresverfassung  angenommen.  Und  das  ist  gerade  der  für  die 
Weiterentwicklung  der  Theorie  wesentlichste  Punkt.  Auf  der 
Verknüpfung  von  politischer  Verfassung  und  taktischer  Gliederung 
beruht,  wie  wir  unten  noch  sehen  werden  die  heute  herrschende 
Lehre  über  die  Hundertschaft.  Allerdings  wird  sich  auch  zeigen, 
daß  jetzt  nur  mehr  dieser  eine  Grundgedanke  einer  Verknüpfung 
überhaupt  vorhanden,  sie  selbst  aber  ganz  anders  gedacht  ist. 
Bei  Eichhorn  hat.  wie  besonders  zu  betonen  ist,  die  Hundertschaft 
nur  den  Namen  von  einer  so  benannten  militärischen  Abteilung; 
sie  ist  nicht  etwa  das  Niederlassungsgebiet  einer  solchen.  Mit 
der  Heranziehung  der  Markgenossenschaft  hat  Eichhorn  ein  neues 
Problem  gestellt,  das  auf  spätere  Autoren  nicht  ohne  Einfluß  ge- 
wesen ist. 

Gleich  der  zeitlich  nächste  Schriftsteller  J.  Weiske  hat  sich 
seiner  bemächtigt  und  Eichhom’s  Vermutung  durch  die  bestimmte 
Behauptung  ersetzt,  daß  die  Hundertschaft  mit  der  Markgenossen- 
schaft identisch  sei  und  zwar  insofern,  .als  Mark  der  Distrikt 
war.  den  ursprünglich  100  freie  Männer  in  Besitz  genommen 
hatten,  und  Uentene.  die  durch  sie  für  diese  Mark  gebildete 
Gemeinde“.*)  Zu  dieser  Präzision  war  Eichhorn  auch  damals 

')  Hier  kann  die  Darstellung  von  Möser,  Osnabrfiekische  Geschichte 
(1780)  I.  S.  13  L 38  f.  von  Einfluß  gewesen  sein,  wie  dies  v.  Sy  bei,  Ent- 
stehung des  deutschen  Königtums  (1844)  S.  2.  annimuit. 

3 ) K.  F.  Eichhorn,  Deutsche  Staats-  und  Kcchtsgeschichte  (1808), 
S.  203.  Die  Darstellung  in  der  2.  Auf!.,  S.  229.  ist  wenig  verändert. 

3)  J.  Weiske,  Die  Grundlagen  der  früheren  Verfassung  TeuU clilands 
(1838).  S.  34.  Ob  Weiske  der  Ansicht  Eichhom's  auch  darin  beitrat, 
dall  er  die  Markgenossenschaft  für  das  ursprüngliche  hielt,  tritt  in  seiner 
Darstellung  nicht  klar  hervor,  ist  aber  aus  dem  Zusammenhalt  der  Autlerungen 
S.  4 und  5 zu  schließen:  vgl.  hierzu  Wild»,  Strafrecht  der  Germanen, 
S.  124  f.  Von  den  vor  Weiske's  Grundlagen  erschienenen  Werken  ist  H. 
Züpfl,  deutsche  Staats-  und  Hechtsgeschichte  1 (183b,  auf  die  Hundert- 


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5 


noch  nit-lit  gekommen.  Kr  hatte  im  Gegenteil  seine  Ansicht  sehr 
wesentlich  modifiziert,  indem  er  die  Mark  mit  der  Zehntschaft  in 
Verbindung  brachte  und  das  Markgericht  für  eine  Nachbildung 
lies  Centgerichts  ansah1).  Nicht  übergegangen  ist  dagegen  in 
Weiske's  Darstellung,  was  Eichhorn  über  den  militärischen  Ur- 
sprung der  Centene  wenigstens  andeutet.  Nur  dies  bemerkt 
Weiske.  „daß,  wenn  der  pagus  wenigstens  ursprünglich  aus 
hundert  Familienoberhäuptern  bestand,  auch  diese  vor  Allen  der 
Kriegspflicht  unterworfen  waren“.  Darin  liegt  geradezu  eine  Um- 
kehrung des  von  Eichhorn  angenommenen  Kausalverhältnisses. 

Sowohl  Eichhorn  wie  Weiske  geben  mehr  Andeutungen  als 
begründete  Resultate.  Um  so  interessanter  ist  es , daß  gleich- 
zeitig. aber  offensichtlich  ganz  unabhängig,  ein  schwedischer  Ge- 
lehrter. Strinnholm.  das  gleiche  Problem  in  einer  durchaus  klaren 
Darstellung  behandelt  hat.  Ist  auch  seine  Arbeit  ohne  erkenn- 
baren Einfluß  auf  die  deutschen  Gelehrten  gehlieben,  so  ist  er 
doch  der  erste,  der  der  ganzen  Frage  in  Erkenntnis  des  Problems, 
das  mir  von  Eichhorn  und  Weiske  doch  nicht  so  ganz  erfaßt 
scheint,  näher  getreten  ist.  Und  eben  deshalb  ist  es  angebracht, 
seine  Ausführung  in  extenso  hier  mitzuteilen.  Strinnholm  sagt 
Folgendes*): 

Romerska  skriftställare  hafva  antecknat  om  de  gamla  Ger- 
maniska  stammarna,  att  deras  krigsskaror  voro  ordnade  etter 
slägtskapema,  och  att  hvarje  liärhop  utgjordes  af  etthundrade  strids- 
män.  emedan  ordningen  i krig  altid  fordrar  nägon  viss  indeling  af 
hären.  I)et  var  naturligt,  att  de  i sarama  härhop  fiirenade,  genom 
frändskap  forhnndna  krigare,  som  under  de  langa  kringvandringarna 

schäften  nicht  näher  eingegangen;  sie  sind  S.  132  lediglich  erwähnt. 
J.  ürimin,  deutsche  Rcchtsaltertnmer  1 (1828),  S.  532  handelt  wohl  von  der 
Hundertschaft,  stellt  aber  eine  von  der  Eichhorn ‘sehen  gänzlich  verschiedene 
Ansicht  auf,  die  unten  zur  Darstellung  gelangen  w ird.  Verworren  sind  die  Ideen, 
die  C.  R.  Sachsse  in  seinem  Juris  publici  vetcrum  gerinanoruni  spocimen 
1334),  S.  3 ff.  unter  dilettantischer  Heranziehung  verschiedener  germanischer 
und  sogar  außerdeutscher  Rechte  kurz  skizziert  und  in  einem  späteren 
Werk  (Historische  Grundlagen  des  deutschen  Staats-  und  Rcehtslebcns) 
ausgeführt  bat. 

*)  Zeitschrift  für  geschichtliche  Rcchtswissensch.  I (1815),  S.  149,  1 70. 

*)  Strinnholm,  Svenska  folkets  Historia  frän  äldsta  tili  närvarandc 
tider.  (Stockholm  1834  ff.)  I,  S.  509  f. 


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fi 


närmast  med  livarandra  delat  alla  mödor  och  faror  hol  Io  sig 
tillhopa  och  slöto  sig  tili  livarandra  iifven  da,  när  vid  öfvergängen 
fritn  det  kringvandrande,  osäkra  lefnadssättet  man  valde  sig 
stadigvarande,  fasta  bostäder  i det  land,  hvari  man  satte  sig  ned. 
Samma  ordningar  eller  indelningar,  som  under  folkstammens 
liinga  vandringstäg  blifvit  iakttagna,  öfverflyttades  da  pä  det  i 
besittning  tagna  landet,  oeh  hvad  som  törut  i faror  och  nöd  under 
de  longa  vandringama  varit  ett  krigsförbund,  blef  nn  i det  varakti- 
ga  hemmet  under  fredliga  sysselsättningar  ett  förbund  tili  upprött- 
h;il lande  af  enighet  och  tili  lorsvar  af  land,  egendnm  och  rätl. 
Harifran  kommer  vart  lands  ursprungliga  indelning  i Hundaris 
eller  Härader.  Sa  kallade  man  nemligen  de  landomr.iden,  som 
vid  folkstammens  invandring  de  sig  bosättande  härhoparne  hvar 
för  sig  intogo.  ty  säsom  dessa  fron  början  omfattat  ett  hundrade 
eller  en  viss  myckenhet,  genom  slägt-oeh  krigskamratskap  tbre- 
nade  familjfader,  och  hvarje  siidan  hop  sjelf  äfven  ka Hades  en 
här,  sa  fick  tili  följd  deraf  äfven  den  af  ett  sädant  krigare-oeh 
slägtsamfund  upprödjade,  bebyggda  och  befolkade  landsträcka 
namn  af  Härad  eller  Hundari.“ 

Was  hier  Strinnholm  so  außerordentlich  deutlich  ausspricht, 
ist  der  Zusammenhang  von  Hundertschaft  als  politischer  Gemeinde 
und  als  politischer  Bezirk  mit  einer  der  Zeit  der  Wanderung  an- 
gehörenden Einteilung  des  Heeres  in  Gruppe»  von  hundert 
Familienvätern.  Daß  er  von  einer  Besiedlung  durch  hundert  oder 
eine  „gewisse  Menge“  von  Familienvätern  spricht,  beeinflußt  nicht 
die  Klarheit  seiner  Darstellung.  Hier  schwebte  ihm  wohl  der 
sehr  nahe  liegende  und  später  von  fast  allen  Autoren  gebrachte 
Gedanke  vor,  daß  die  Hundertzahl  der  Natur  der  Sache  nach 
Veränderungen  erleiden  konnte  und  mußte.  Der  Grundgedanke 
ist  gleichwohl  der,  daß  eine  Heeresabteilung  von  etwa  hundert 
Mann  gemeinsam  ein  Gebiet  in  Besitz  und  Bebauung  nahm  und 
dadurch  sich  zu  einer  politischen  Hundertschaftsgemeinde,  das 
eingenommene  Land  zu  einem  Hundertschaftsgebiet  machte. 

Betritt!  die  Darstellung  Strinnholm’s  nur  nordische,  insbeson- 
dere schwedische  Verhältnisse,  so  stellt  sich  Wilda1)  von  skandi- 
navischen Verhältnissen  ausgehend  auf  gemeingermanischen  Boden. 

*'  Wilda,  Strafrecht  der  Ucrmanen  (1S42),  S.  125,  127. 


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Vielleicht  trägt  gerade  dies  die  Schuld  daran,  daß  seine  Aus- 
führungen zu  wenig  klaren  und  harmonischen  Verhältnissen  führen. 
Ohne  die  Nachricht  des  Tacitus.  daß  die  Familiengenossen  die 
Heerhaufen  bildeten,  zu  bemängeln,  behauptet  Wilda,  es  habe  eine 
Einteilung  des  Heeres  stattgefunden,  bei  der  „die  Zahl  hundert 
(120)  die  Einheit  bildete“.  Durch  diese  regelmäßige  Einteilung 
»ei  der  Familienzusammenhang,  das  familienweise  Wohnen  keines- 
wegs aufgehoben  worden;  die  Heeresgliederung  habe  lediglich 
versucht,  „der  Familien-  und  Stammeseinteilung  eine  gewisse 
Gleichmäßigkeit  zu  geben“.  Mit  der  Zeit  habe  sie  sich  .mit  dem 
Boden  vertestet“,  dann  aber  habe  Hundertschaft  nur  einen  Landes- 
bezirk bedeutet,  wie  auch  Gau  oder  Mark,  „indem  die  Zahl- 
bexeichnung  darin  verloren  gegangen  ist“.  Solche  Hundertschaften 
nimmt  Wilda  für  alle  germanischen  Stämme  an. 

Die  Heranziehung  der  taciteischen  Nachricht  über  die  Bildung 
der  turmae  und  cunei  aus  den  familiae  et  propinquitates  bedeutet 
gegenüber  Eichhorn  ebenso  einen  Fortschritt  in  der  Behandlung 
des  Hundertschaftsproblems  wie  an  sich  der  Versuch,  sie  mit  der 
bisher  angenommenen  Einteilung  nach  Hunderten  in  Verbindung 
zu  bringen.  Leider  aber  läßt  Wilda  über  den  sehr  wesentlichen 
Pnnkt  im  Unklaren,  wie  die  Vereinigung  der  zahlenmäßigen  Ein- 
teilung und  der  genokratischen,  wie  man  die  nach  Verwand- 
schaften durchgeführte  nennen  kann,  zu  denken  ist.  Wie  konnte 
die  Zahleneinteilung  der  familienweisen  Gliederung  eine  „gewisse 
Gleichmäßigkeit“  geben,  ohne  sie  gleichzeitig  aufzuheben  oder 
doch  stark  zu  beeinträchtigen?  Welches  Teilungsprinzip  war  im 
Kontliktsfal!  das  stärkere?  Das  sind  Fragen,  die  auf  der  Hand 
liegen,  und  Wilda  hätte  wenigstens  den  Versuch  machen  müssen, 
sie  auch  zu  lösen.  Immerhin  bleibt  es  sein  Verdienst,  die  zwei 
verschiedenen  Prinzipien  für  die  Einteilung  von  Volk,  Heer  und 
Lind  hervorgehoben  zu  haben.  Was  Wilda  weiter  von  Eichhorn 
scheidet,  ist  seine  Stellungnahme  gegenüber  dessen  Auffassung  von 
der  Ursprünglichkeit  der  Markgenossenschaften.  Diese  lehnt  er 
rundweg  ab.  mit  der  soziologischen  Motivierung,  daß  „die  auf 
Örtlichkeit  begründete  Gemeinschaft  in  der  Geschichte  überhaupt 
als  das  Jüngere  angesehen  werden  muß“;1)  ein  Gesetz,  das,  wenn 
man  von  kolonisatorischen  Ereignissen  absieht,  auch  zutrifft. 

‘ ) a.  a.  0,  S.  124  ff. 


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Anscheinend  unabhängig  von  Wilda  ist  Eichhorn  in  der  fast 
gleichzeitig  erschienenen  5.  Auflage  seines  Werkes.  Wir  finden 
da  die  wesentlichsten  Züge  der  1.  Auflage  wieder,  aber  immer 
noch  nicht  geklärt.  „Als  die  Grundlage  der  ältesten  Verfassungen, 
erscheint  in  den  frühesten  Nachrichten  wie  in  den  späteren 
Rechtsverhältnissen,  die  Vereinigung  von  Markgenossenschaften, 
d.  i.  von  einzelnen  Gemeinden,  welche  durch  den  Anbau  und 
die  gemeine  Nutzung  des  Bodens  verbunden  waren,  in  größere 
Volksgemeinden.  Ein  einzelnes  Volk  war  eine  solche  größere 
Gemeinde  oder  eine  Vereinigung  mehrerer  solcher  Gemeinden ; den 
Landstrich  der  von  einer  solchen  bewohnt  wurde,  nennt  man  am 
passendsten  einen  Gau  (pagus)')“.  So  erklärt  Eichhorn  die  Land  - 
eintoilung  in  Gebieten,  die  vor  der  Besiedlung  durch  germanische 
Stämme  nicht  in  römischem  Besitz  waren.  Daß  Eichhorn  hiermit 
zwischen  Stammesland  und  Eroberungsland  unterscheidet  ist  sehr 
bemerkenswert.  Hierin  liegt  ein  eminent  fortschrittliches  Moment, 
das  vielleicht  von  Eichhorn  selbst  nicht  voll  gewürdigt 
worden  ist.  Jedenfalls  haben  ihm  spätere  Schriftsteller  nicht  die 
Beachtung  zukommen  lassen,  die  es  verdient.  Wir  werden  im 
Laufe  der  Darstellung  sehen,  daß  gerade  die  Berücksichtigung 
der  vollkommen  verschiedenen  Verhältnisse  im  Stammesland  und 
im  Eroberungsland  für  die  Hundertschaftsfrage  von  großer  Be- 
deutung und  eine  wesentliche  Voraussetzung  für  ihre  Lösung  ist. 
Wo  dann  Eichhorn  die  Ansiedlung  germanischer  Volksstämme  in 
bis  dahin  römischen  Provinzen,  also  im  Erobemngsland  behandelt, 
meint  er.  daß  die  Bestimmung  der  den  Einzelnen  zugeteilten 
Gegenden,  .nach  den  militärischen  Abteilungen“  erfolgte  .in  welche 
das  Volk  als  Heer  geordnet  war“  und  davon  scheint  ihm  .nament- 
lich bei  den  Franken  die  Einteilung  des  Landes  in  Centenen  und 
Dekanien  herzurühren,  die  in  der  späteren  Zeit  vorkommt  s).u  Bei 
den  Franken.  Baiern  und  Alamannen  sollen  centenarius  und  decanus 
.Beamte  eines  Distrikts“  sein  .dessen  Umfang,  wenn  man  jenen 
Ursprung  der  Benennungen  für  wahr  hält  (!  !),  zuerst  durch  eine 
militärische  Abteilung  bestimmt  worden  wäre,  welcher  er  bei  der 
Landesteilung  angewiesen  wurde.“  Doch  scheint  dieses  Ergebnis 
Eichhorn  selbst  nicht  voll  befriedigt  zu  haben.  Denn  er  bemerkt 

■)  5.  Aull.  I S.  56.  a.  a.  0.  S.  151  f. 


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0 


sofort,  daß  (’entenen  und  Dekanien  auch  in  Gegenden  Vorkommen 
.wo  man  sie  schwerlich  von  einer  Landesteilung  nach  militärischen 
Volksaht  ei  lungen  ableiten  kann“  und  kommt  Aber  diese  Tatsache 
mit  der  Annahme  hinweg,  daß  die  Ausdrücke  Centenarien  und 
Itecane.  nachdem  sie  einmal  Bezeichnung  für  eine  bestimmte  Art 
von  Obrigkeit  geworden  waren,  übertragen  wurden  auf  „Beamte 
von  gleicher  oder  ähnlicher  Bedeutung  auch  in  Distrikten  .... 
deren  l’mfang  sich  auf  andere  Veranlassungen  gründete1).“  Trotz 
einer  gegenüber  der  ersten  Auflage  ziemlich  erheblichen  Weiter- 
bildung durchzieht  die  Darstellung  Eichhorns  doch  eine  gewisse 
Unsicherheit,  hervorgerufen  durch  die  für  die  folgende  Forschung 
bedeutsame  Stellung  von  Fragen  ohne  Beifügung  der  Lösung.  Zu 
allem  Überfluß  bringt  Eichhorn  auch  noch  das  Institut  der 
Gesamtbürgsehaften  mit  der  politischen  Gliederung  des  Volkes  in 
Verbindung*).  Wie  sich  Eichhorn  nunmehr  zu  der  gerade  von 
ihm  angeschnittenen  Frage  der  Beziehungen  zwischen  Hundertschaft 
und  Markgenossenschaft  verhält,  tritt  nicht  deutlich  hervor.  Eint“ 
gelegentliche  Bemerkung,  daß  „ganze  Hunderten,  ja  wohl  die 
Gemeinden  ganzer  Gaue  zur  gleichen  Markgenossenschaft  gehören 
konnten“,  läßt  schließen,  daß  er  seine  Ansicht  in  diesem  Punkte 
geändert  hat3). 

In  Waitz4)  ist  Eichhorn  ein  entschiedener  Gegner  entstanden. 
Ihm  ist  es  unwahrscheinlich  „daß  bei  den  Eroberungen  der 
Deutschen,  da  das  Land  ausgeteilt  wurde,  einzelnen  Abteilungen 
des  Heeres  einzelne  Distrikte  angewiesen  wurden  und  daher  diese 
den  Namen  empfingen,  den  jene  führten.“  Er  behauptet,  die 
Einteilung  nach  Hundertschaften  und  Tausendschaften  sei  eine 
Einteilung  des  Volkes,  nicht  eine  solche  des  Heeres  gewesen.  Die 
Einteilung  des  Heeres  in  numerisch  bestimmte  Abteilungen  setze 
„eine  gleiche  des  Volkes  voraus,  die  des  Volks  muß  mit  der  des  Landes 
identisch  sein.“  Dieser  Standpunkt  ist  von  dem  Eichhorns  insofern 
verschieden,  als  es  in  der  Tat  nicht  gleichgültig  ist.  ob  das  Volk 

*)  cbd.  S.  152  Anm.  c. 

*)  cbd.  S.  83  IT.  Als  reine  Bürgsehaftsvcrbände  scheint  Sa vigny,  (Sc- 
x-hiebte  des  röm.  Hechts  1 I,  S.  227  uml  S.  277  die  angelsächsischen,  viel- 
leicht auch  die  kontinentalen  Hundertschaftsverbändc  aufzulassen. 

*)  ebd.  S.  429. 

*)  G.  Waitz,  deutsche  Verfassnngsgcschichto  (1844),  8.  32 ff.  insbes.  35 ff. 


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10 


pingeteilt  wird  und  hierauf  die  Gliederung  des  Heeres  beruht, 
oder  ob  diese  unabhängig  von  einer  etwaigen  Volksteilung  durch- 
gefflhrt  ist.  Waitz  stellt  aber  gleichzeitig  die  Behauptung  auf. 
daß  Volk  und  Heer  in  der  Zeit  der  Wanderung  vollständig 
dasselbe  sind  und  gibt  zu.  daß  die  Volkseinteilung  wenigstens 
„unmittelbar  mit  der  des  Heeres  gegeben  war.“  Damit  begibt 
er  sich  der  Möglichkeit,  aus  seiner  Theorie  irgend  welche  von 
früheren  abweichende  Konsequenzen  zu  ziehen,  und  seine  Kontroverse 
mit  Eichhorn  läuft  auf  einen  bloßen  Worstreit  hinaus.  Beim 
Lichte  betrachtet  ist  das.  was  Waitz  vorträgt,  nichts  Anderes  als 
die  Ansicht  Eichhorns,  nur  in  einem  anderen  Gewand.  Wohl  in 
Erkenntnis  dieses  Umstandes  hat  auch  die  spätere  Literatur  seiner 
Unterscheidung  im  allgemeinen  keine  besondere  Beachtung  ange- 
deihen lassen '). 

Keine  Förderung  der  Lehre  war  von  Sachsse  zu  erwarten  und 
er  hat  sie  auch  nicht  gebracht.  Eine  ganz  „mythisch“  anmutende 
Einteilung  des  Landes  in  vier  Teile  nach  den  vier  Himmels- 
richtungen hatte  er  schon  in  einer  kurzen  Vorarbeit  vertreten*). 
In  seinen  Grundlagen*)  wiederholte  er  sie  und  darauf  gestützt  hat 
er  dann,  vielleicht  angeregt  durch  Velsehow*).  die  Hundertschaft 
als  ein  Gebiet  bezeichnet,  das  hundert  Krieger  stellte,  zugleich 
als  einen  Komplex  von  hundert  Teilen  Landes,  deren  jeder  einer 
Familie  (!)  zugewiesen  war*).  Ob  es  aber  denkbar  ist.  daß  in 
germanischer  Zeit  jede  Familie  nur  einen  Krieger  stellte,  diese 
unabweisbare  Konsequenz  dieser  Ansicht  kümmert  Sachsse  nicht. 
Überhaupt  ist  seine  Darstellung  ein  Zerrbild  der  Eiehhorn’schcn 
und  Wilda'schen  Theorien,  das  durch  die  unverstandene  Heran- 
ziehung skandinavischen  Rechts  noch  verschlechtert  ist. 

■)  In  „«las  alte  Recht  der  sali  sehen  Franken“  (1846)  bringt  Waitz 
nichts  Neues.  Bemerkenswert  ist  nur.  daß  er  S.  137  Anin.  I und  Text  ganz 
entschieden  die  Entstehung  der  Hundertschaften  aus  Dorf-  oder  Markgenossen- 
schaften ablehnt. 

*)  Oben  S.  4 Note  *)  erwähnt.  Man  vgl.  insbesondere  S.  8 f.  mit  den 
Anmerkungen. 

*)  C.  R.  Sachsse,  Historische  Grundlagen  des  deutschen  Staats-  und 
Rechts-Lehens  CI 844)  S.  148  ff. 

*)  J.  M.  Velsehow,  Commentatiu  do  institutis  militaribus  Danorum 
{Hafniae  1831). 

*)  Vgl.  die  Note  2 erwähnte  Schrift  8.  10. 


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11 


Soweit  war  «las  Hundertschaftsproblem  in  beinahe  fünfzig- 
jähriger Forschung  ausgebildet.  als  IC.  Maurer  die  bestehenden 
Ansichten  zusammenstellte  und  einer  kritischen  Würdigung  unter- 
zog ').  Das  Resultat  war.  wenn  wir  es  mit  dem  Eichhorns  ver- 
gleichen, teils  zustimmend.  teils  ablehnend.  Mit  einer  Entschiedenheit, 
die  bis  dahin  nur  Strinnholm  erreicht  hatte,  stellt  Maurer  den 
Zusamenhang  mit  militärischen  Einrichtungen  fest.  Er  sieht 
in  der  Hundertschaft  den  Bezirk,  den  die  hundert  im  Heere 
zusammenstehenden  Miinner  gemeinsam  in  Besitz  nahmen.  Dagegen 
tritt  Maurer  als  (legner  Eichhorns  auf  in  der  Frage  nach  dem 
Zusammenhang  zwischen  Markgenossenschaft  und  Hundertschaft’). 
Die  schon  von  Strinnholm  und  Wilda  behandelte  Frage,  wie  man 
sich  die  Umwandlung  des  ursprünglich  persönlichen  Heeresverbandes 
in  einen  politischen  und  territorialen  Bezirk  zu  denken  habe,  hat 
Maurer  deutlich  und  anschaulich  folgendermallen  erörtert:  „Beim 
Übergang  nun  zu  festen  Wohnsitzen  mußten  die  bisherigen 
persönlichen  Abteilungen  des  Volkes  der  territorialen  Einteilung 
des  Landes  zu  Grunde  gelegt  werden  . . . Ist  aber  einmal  die 
persönliche  Abteilung  zur  territorialen  geworden,  so  muH 
sehr  bald  das  Bestreben,  für  die  Organisation  des  Staates 
eine  festere  und  minder  Wechsel  volle  Grundlage  zu  gewinnen,  als 
welche  bei  deren  Begründung  auf  die  fortwährendem  Schwanken 
unterworfene  Personenzahl  erreicht  werden  kann,  zu  völligem 
Verschwinden  der  alten  persönlichen  Bedeutung  der  Hundertschaft 
führen;  wie  in  Sachsen  und  Friesland  der  territoriale  Ausdruck 
Gau  die  persönliche  Bezeichnung  der  Hundertschaft  verdrängte,  so 
wird  im  Norden  umgekehrt  das  Wort  heradh  allmählich  zur  völlig 
untechnischen  Bezeichnung  eines  jeden  größeren  oder  kleineren 
Landesteils“. 

Die  Ausführungen  Maurers  bedeuten  in  der  Entwicklungs- 
geschichte des  Hundertschaftsproblems  einen  Markstein.  Maurers 
Stellungnahme  zu  den  beiden  Eichhom'schen  Postulaten,  der 
Verbindung  von  Hundertschaft  und  Heeresverfassung  einerseits. 


*)  Kritische  Überschau  der  deutschen  Gesetzgebung  und  Rechtswissen- 
schaft I (1853),  8.  73  ff.  bes.  77  ff.  In  diesem  Aufsatz  ist  eine  reiche  ältere 
Literatur  zitiert,  auf  die  hiermit  verwiesen  sei. 

*)  a.  a.  O.  S.  t>3. 


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12 


Hundertschaft  und  Markgenossenschaft  andererseits  ist  für  die 
folgenden  Forscher,  soweit  sie  nicht  überhaupt  gänzlich  verschiedene 
Wege  eingeschlagen  haben,  vorbildlich  geworden,  die  Kichhom- 
Maurer'sche  Theorie  gewann  die  Oberhand  und  wurde  von  Neueren 
zum  Teil  ohne  jede  Kritik  und  ohne  richtiges  Verständnis  über- 
nommen; das  mangelnde  Verständnis  zeigt  sich  vor  allem  in  der 
Verquickung  mit  anderen,  heterogenen  Anschauungen.  Neue  Ge- 
danken wurden  dabei  kaum  je  ausgesprochen  und  dies  rechtfertigt 
es,  die  Literatur  der  nächsten  Jahrzehnte  nur  kurz  zu  berühren. 

Eine  etwas  ausführlichere  Darstellung  verdanken  wir  Landau1), 
der  insbesondere  dem  Grunde  für  die  Einteilung  des  Heeres  nach 
dem  Dezimalsystem  nachforscht.  Auch  Gemeiner* **))  geht  auf  die 
dem  Problem  anhaftenden  Fragen  wenigstens  teilweise  ein  und 
beschäftigt  sich  eingehender  mit  der  Überleitung  der  persönlichen 
Verbände  in  Bezirke.  Vorzüglich  ist  die  Darstellung  von  Munch  *). 

Unter  den  autlerordentlich  zahlreichen  Anhängern,  die  Maurer 
außerdem  gefunden  hat.  nenne  ich  ferner  Thudiohum4).  Larsen5). 
Kiipke6),  Bethmann-Hollweg7),  Stemann8),  Steenstrup9).  Arnold1“). 
Stubbs11),  Walter1*),  G.  I,.  Maurer1*)  in  deren  Werken  noch  viele 
Andere  angeführt  sind.  Geklärt  haben  diese  Schriftsteller  Maurers 


*)  ß.  Landau,  die  Territorien  in  Bezug  auf  ihre  Bildung  und  ihre 
Entwicklung  (1854)  8.  191  ft.  pass.  S.  223  f. 

*)  A.  Gemeiner,  die  Verfassung  der  Ccntenen  und  des  fränkischen 
Königthums  (1855),  8.  52  f.,  96  ff.,  S.  lOf. 

’)  P.  A.  Munch,  Dot  norske  Folks  Historie  I (1852),  8.  93 ff. 

4)  F.  Thudirhum,  die  Gau-  und  Markverfassung.  (18GO).  8.  32  f. 

s)  T.  Larsen,  Samlede  Skrifter  I,  S.  256.  Auch  unter  dem  Titel  Fore- 
lirsninger  over  den  danske  Retshistorie,  S.  19. 

“)  R.  Köpke,  Die  Anfänge  des  Königtums  bei  den  Gothen  (1859),  S.  35. 

7)  Bethmann-Hollweg,  Germanisch -romanischer  CivilprozeB  (1868) 
1,  S.  76  f. : ders.  Über  die  Germanen  vor  der  Völkerwanderung  (1850), 
8.  25,  30  f. 

8)  Stemann,  Den  danske  Retshistorie  (1871),  S.  65  ff. 

*)  Steenstrup,  Studier  over  kong  Valdemars  Jordbng  (1873),  S.  18 

,0)  Arnold,  deutsche  Geschichte  I (1879),  S.  312  —326;  II,  8.  186. 

“)  Stubbs,  The  constitutional  History  of  'England  (1875)  1,  S.  96; 
eine  neuere  Auflage  dieses  Werkes  war  mir  nicht  zugänglich. 

**)  F.  Walter,  deutsche  Reehtsgeschiclitc 9 (1857),  S.  16. 

IS)  G.  L.  Maurer,  Einleitung  zur  Geschichte  der  Mark  . Hof-,  Dorf- 
uud  Stadt-Verfassung  (1854),  8.59. 


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13 


Ansicht  nicht;  vielmehr  ist  allmählich  wieder  ein  buntes  Durch- 
einander verschiedenartigster  Variationen  einer  und  derselben 
Grundmeinung  entstanden.  Die  Ansichten  waren  ziemlich  ver- 
schwommen. als  H.  Brunner  im  ersten  Bande  seiner  Rechtsgeschichte 
die  Lösung  des  Problems  wiederum  in  die  Hand  nahm  und,  wenn 
auch  kein  einwandfreies  Resultat,  so  doch  ein  klares  Bild  schuf. 
Ihm  verdankt,  wie  schon  R.  Schröder  hervorgehoben  hat1)  ilie 
Wissenschaft  die  endgiltige  Festlegung  der  Erkenntnis,  da  LI  jeden- 
falls die  Hundertschaft  ursprünglich  ein  persönlicher  Verband 
war  und  erst  nach  der  germanischen  Zeit  landschaftliche  Bedeutung 
erlangte.  Aber  der  Boden  auf  dem  Brunner  steht,  ist  kein  anderer 
als  der.  den  Eichhorn  und  Maurer  geebnet  haben,  es  ist  die 
Heeresverfassung.  „Die  Hundertschaft,“  sagt  Brunner,  „ist  ursprüng- 
lich als  eine  Abteilung  von  hundert  Heermännern  zu  denken. 
Solange  sie  ihre  praktische  Bedeutung  behielt,  konnte  eine  Lokali- 
sierung, ein  Verwachsen  der  Hundertschaft  mit  Grund  und  Boden 
nicht  eintreten,  weil  die  Einteilung  mit  Rücksicht  auf  ihre 
militärischen  Zwecke  von  Zeit  zu  Zeit  erneuert  werden  mulite. 
Man  wird  dabei  nicht  genau  hundert  oder  hundertzwanzig  Mann 
(ein  Grollhundert)  abgezahlt  haben,  weil  es  bei  der  Bildung 
der  Heeresabteilungen  darauf  ankam,  die  Geschlechtsverbände 
nicht  zu  zerreißen.  Da  Heer  und  Volk  im  germanischen  Staat 
begrifflich  zusammenfielen,  wurde  die  Gliederung  in  Hundert- 
schaften auch  während  des  Friedens  beibehalten  und  als  Grundlage 
für  die  Regelung  des  Gerichtsdienstes  verwertet  . . . die  Hundert- 
schaft ist  nach  alledem  für  die  Zeit  des  Tacitus  als  Heer-  und 
Dingverband  aufzufassen,  dessen  Vorsteher  vielleicht  damals  schon 
bei  einigen  Stämmen  Huuno  hieß.  Als  Dingverband  bildete  die 
Hundertschaft  nicht  einen  räumlich  abgeschlossenen  Gerichtsbezirk, 
sondern  nur  einen  persönlichen  Verband“*). 

Erst  in  der  fränkischen  Zeit  nimmt  Brunner  eine  Umwandlung 
der  bis  dahin  rein  persönlichen  Verbände  in  Verwaltungsbezirke, 
also  landschaftliche  Abteilungen,  an  und  findet  solche  bei  den 
Franken  und  Alamannen.  Dagegen  leugnet  er  sie.  wie  gleich  hier 

*)  fi.  Schroedcr,  R.-0. 5,  S.  19  Anni.  13. 

*)  K.-U.  I>,  S.  1 16  IT.,  bes.  1 18. 


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14 


hervorgehoben  sein  mag,  für  die  übrigen  Stämme,  die  Langobarden. 
Sachsen,  Friesen  und  Baiern '). 

Brunner  ist  mit  seiner  Ansicht  so  wenig  allein  geblieben, 
wie  Eichhorn  und  Maurer.  Sofort  ist  seiner  Anschauung  K.  Schröder 
ausdrücklich  beigetreten*),  nachdem  er  sie  schon  unabhängig 
von  Brunner  in  seiner  mit  dessen  Werk  gleichzeitig  erschienenen 
Rechtsgeschichte  ausgesprochen  hatte.  Brunner  hat  seine  Auflassung 
auch  in  der  neuen  Auflage  seiner  Rechtsgeschichte  beibehalten*). 
Von  den  Forschern  die  sich  ihm  im  Prinzip  wenigstens  ange- 
schlossen haben,  hebe  ich  hervor  Heuslcr*),  Schmier4),  Cramer11), 
Taranger ').  Bugge*).  Maurer9). 

Obwohl  auch  zurzeit  noch  andere  Theorien  vertreten  werden, 
auf  die  ich  im  Folgenden  noch  eingchen  werde,  so  ist  doch  die 
bisher  behandelte  die  herrschende  geworden.  Sie  ist  dies  ungeachtet 
einiger  Abweichungen,  die  sich  bei  diesem  oder  jenem  ihrer  Vertreter 
finden,  so  sehr,  daß  sie  seit  langem  nicht  mehr  kritisch  beleuchtet 
worden  ist.  Eine  solche  kritische  Würdigung  soll  nunmehr  ver- 
sucht werden. 

Wie  aus  dem  Gesagten  genügend  ersichtlich  ist  und  nur 
einer  geschlossenen  Darstellung  zuliebe  hier  noch  einmal  hervor- 
gehoben wird,  geht  die  herrschende  Theorie  von  der  als  feststehend 
betrachteten  Tatsache  aus,  daß  das  germanische  Volk  auf  der 
Wanderung  in  der  vortaciteischen  Zeit  in  Hundertschaften  d.  h. 


')  vgl.  auch  II,  S.  140. 

J)  ln  »einer  Besprechung  den  llruniierschcn  Werkes  in  der  Historischen 
Zeitschrift  (io,  S.  305. 

3)  R.-G.  I J,  S.  59  IT.  Vgl.  auch  firundziige,  S.  13  u.  IU. 

4)  Deutsche  Verfassungsgeschichte  (1905),  S.  12  f. 

4)  Untersuchungen  zur  Verfassungsgeschichte  der  böhmischen  Sagen- 
zeit (1902),  S.  54,  G9  f. 

°)  Die  Geschichte  der  Alamannen  als  Gaugcschiclite  (in  Ginrke’s  Unter- 
suchungen ltd.  57).  S.  34.  fit* fT.  Vgl.  dazu  WcrmingholT  in  Z.  R.H.*  XX, 
S.  283  f.  und  dagegen  Urinier  cbd.  XXI,  S.  233.  Kerner  Cramer,  die  Yer- 
fiissungsgeschichto  der  Germanen  und  Kelten  (1901!)  S.  52. 

’)  Udsigt  nver  den  norske  ltets  Historie  II  (1004)  S.  42. 

")  Vesterlandenens  Indtlydelse  paa  Nordboernes  og  sierlig  Nnrdmsen- 
ilencs  ydre  Kultur,  I.evesiet  og  Samfuudsfnrhold  i Vikingetiden  1905,  S.  15  I. 

*)  Vorlesungen  I,  1.  S.  40. 


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15 


in  Abteilungen  von  ungefähr  hundert  Mann  gegliedert  war').  Sie 
nimmt  also  ihren  Ausgangspunkt  von  der  Heeresverfassung  und 
man  kann  sie  daher  passend  als  „Heerestheorie“  bezeichnen. 

Aus  eben  diesem  kausalen  Verhältnis  zwischen  politischer 
und  militärischer  Hundertschaft  folgt  aber  mit  zwingender  Not- 
wendigkeit, daß  die  Heerestheorie  nur  dann  Anspruch  auf  Richtigkeit 
machen  kann,  wenn  in  der  Tat  die  germanischen  Wanderungs- 
völker in  die  vorausgesetzten  numerischen  Abteilungen  gegliedert 
waren.  Daß  sich  dies  so  verhält,  ist,  soviel  ich  sehe,  unbestritten*) 
und  wird  von  den  Vertretern  der  Heerestheorie  durchweg  ange- 
genominen,  sodaß  ein  Zweifel  daran  zunächst  wenig  berechtigt 
erscheint.  Er  ist  es  aber  doch  sehr,  wenn  inan  bedenkt,  daß 
gerade  diese  wichtigste  Frage  noch  nie  einer  eingehenden  und 
sachentspreehenden  Prüfung  unterzogen,  sondern  von  jedem  Autor 
nur  von  seinen  Vorgängern  übernommen  wurde. 

Fragen  wir  Brunner,  der  in  seiner  Rechtsgeschichte  auch  die 
Heeresverfassung  der  Germanen  behandelt,  über  deren  Gestaltung, 
so  finden  wir  den  einen  Satz:  „Uralt,  vermutlich  auf  arischer 
Sitte  erwachsen  ist  die  Einteilung  des  Heeres  in  Tausendschaften 
und  Hundertschaften“*).  Das  ist  alles,  was  er  zu  dieser  Frage 
Itemerkt,  unvordenkliche  Zeit  und  arisches  Erbteil*).  Andere 
Schriftsteller,  wie  Schröder4)  und  Lamprecht®),  begnügen  sich  da- 

■)  Ob  nur  für  die  Zeit  vor  der  Seßhaftmachung  oder  auch  die  Zeit, 
«ährend  deren  größere  Wanderungen  nicht  erfolgten,  von  den  einzelnen 
Autoren  ein  in  Hundertschaften  gegliedertes  Heer  angenommen  wird,  kommt 
nur  selten  deutlich  zum  Ausdruck.  Infolgedessen  müssen  auch  bei  dieser 
Darstellung  die  beiden  Perioden  im  wesentlichen  als  eine  behandelt  werden. 

*)  Sickel,  Freistaat,  8.  87  hat  sich  ohne  Krfolg  gegen  diese  Auffassung 
gewendet.  Das  mag  daher  rühren,  daß  seine  eigene  Meinung,  cs  sei  eine 
Teilung  der  Bürgerschaft,  nicht  des  Heeres,  vorgenommen  werden,  nicht 
wesentlich  Bessere«  bietet. 

s)  H.-fi.  I s,  S.  181.  Vgl.  K.  Müllonhoff,  Deutsche  Altcrkumskundc 
IV.  S.  177, 

*)  Auf  eine  vor  der  Seßhaftmachung  vorgenommene  Heeresgliedcrung 
führt  auch  I,  and  au  a.  a.  0.,  8.225  die  Hundertschaften  zurück.  Fr  ver- 
mutet aber  nicht  arische  Kintlüsse,  sondern  führt  das  Dccimalsvatem  darauf 
zurück,  daß  Zehn  die  Zahl  ist.  die  von  der  Natur  dem  Menschen  selbst  an  die 
Hand  gegeben  ist. 

»)  K.-G.4  S.  38. 

•)  Deutsche  Geschichte  I,  8.  133.  Ferner  Holtzmaun,  Germanische 
Altertümer,  S.  1,86. 


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IG 


mit,  die  Existenz  von  Hundertschaften  festzustellen,  ohne  nach 
ihrer  Herkunft  zu  fragen.  Bei  wieder  anderen,  wie  z.  B.  Waitz1), 
kommt  der  Gedanke  zum  Ausdruck,  daß  die  Hundertschaften  eine 
Einrichtung  der  germanischen  Zeit  seien  und  gerade  in  der  ger- 
manischen Zeit  bestanden  hätten.  Wir  haben  es  somit  mit  zwei 
verschiedenen  Annahmen  über  die  Herkunft  der  zahlenmäßigen 
Heeresgliederung  zu  tun,  und  hieraus  ergibt  sich  der  Plan  für 
die  folgende  Untersuchung.  Es  ist  zunächst  festzustellen,  ob  die 
Quellen  der  germanischen  Zeit  Anhaltspunkte  für  eine  Cente- 
simalgliederung  oder  überhaupt  eine  zahlenmäßige  Gliederung  des 
Heeres  geben.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  muß  weiter  untersucht 
werden,  ob  bei  den  Indogermanen  eine  solche  Gliederung  so 
verbreitet  war,  daß  ihr  Vorhandensein  auch  bei  den  Germanen, 
wenigstens  der  vortaeiteischen  Zeit,  anzunehmen  ist  oder  doch  an- 
genommen werden  kann. 

Die  Ansicht,  daß  die  Germanen  ihre  Heere  in  Hundertschaften 
(Tausendschaften,  Zehntsehaften)  teilten,  wird  nicht  nur  von  Hechts- 
historikern, sondern  auch  mit  ziemlicher  Übereinstimmung  von 
den  Militärhistorikern  vertreten.  Unter  diesen  steht  obenan 
v.  Peueker.  Nach  seiner  Meinung  sind  die  Gaue  politisch  und 
militärisch  in  besondere  Kreise  geteilt,  welche  nicht  an  die  zu- 
fällige Ausdehnung  gemeinschaftlicher  Ansiedlungen  in  Gemeinden 
und  Markgenossenschafren  gebunden  waren,  sondern  regelmäßig 
soviel  Höfe  umfaßten,  daß  hundert  Krieger  davon  ins  Feld  ge- 
stellt werden  konnten,  und  welche  daher  .Hundertschaften“  (....; 
genannt  wurden*)“.  An  anderer  Stelle  fügt  er  dann  hinzu:  „Es 
ging  aus  dieser  ganz  im  Kriegsinteresse  getroffenen  Einrichtung, 
welche  eine  leichte  Übersicht  des  waffenfähigen  Teiles  der  Be- 
völkerung gewährte,  zugleich  von  selbst  eine  regelmäßige  Gliederung 
des  Heeres  in  Haufen  von  hundert  Kriegern  hervor“*).  Die 
zahlenmäßige  Heeresgliederung  wäre  demnach  eine  Einrichtung 
der  germanischen  Zeit,  der  Zeit  nach  der  Ansiedlung  und  würde 
auf  einer  gerade  in  militärischem  Interesse  vorgenommenen  Ein- 
teilung des  Landes  beruhen.  Ohne  zunächst  auf  eine  Prüfung 
dieser  Ansicht  einzugehen,  bemerke  ich,  daß  v.  Peueker  damit  ein 

‘)  V.-O.  1 3.  8.  407  mit  21  ff. 

*)  v.  Peueker,  das  deutsche  Kriegswesen  der  Urzeiten  (18(10)1.8.39 

3)  cbd.  II,  8.  32. 


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17 


neues  Rätsel  aufgibt.  Man  wird  mit  Recht  fragen,  woher  denn 
der  Gedanke  gekommen  sei,  das  Heer  in  Hundertschaften  zu 
teilen  und  danach  das  Land  einzurichten.  Für  entwickelter 
denkende  Völker  mag  das  nahe  liegen,  aber  bei  der  den  Germanen 
der  taciteischen  Zeit  eigenen  Kulturstufe  ist  das  unwahrscheinlich. 
Man  darf  nicht  übersehen,  daß  es  sich  bei  v.  Peucker  nicht  nur 
um  eine  zahlenmäßige  Gliederung  bestehender  Truppen,  sondern 
um  ein  Aushebungssystem  handelt,  also  ein  ziemlich  weit  fortge- 
schrittenes Institut1).  Übrigens  hatte  schon  Barthold  ähnliche 
Ansichten  ausgesprochen*). 

v.  Peucker’s  Anschauung  ist  auch  in  die  spätere  kriegs- 
wissenschaftliche  Literatur  ohne  Kritik  übernommen  worden,  offen- 
bar in  Verkennung  des  darin  enthaltenen  Problems.  So  sagt  z.  B. 
Jahns,  daß  sich  innerhalb  des  Keiles  „die  Mannschaft  nach 
Familien  und  Geschlechtern  ordnete  und  diese  zu  Hundertschaften 
zusammengefaßt  worden  seien’).“  Delbrück  geht  sogar  so  weit  zu 
sagen,  die  Geschlechter  würden  Hundertschaften  genannt,  weil 
man  etwa  hundert  Familien  oder  (!)  Krieger  in  ihnen  zählte4). 

Fragt  man  aber  nach  der  Begründung  für  diese  verschiedenen 
Ansichten,  so  zeigt  sich  da  eine  ebensogroße,  wie  auffallende 
Lücke.  Barthold  beruft  sich  ganz  allgemein  auf  Tacitus,  v.  Peucker 
zieht  auch  Caesar  noch  mit  heran;  gelegentlich  wird  Maurikios 
benutzt.  Das  sind  nun  allerdings  die  Hauptquellen  für  die  Er- 
kenntnis  germanischer  Kriegsverfassung.  Aber  es  fragt  sich,  ob 
bei  ihnen  Anhaltspunkte  für  die  Richtigkeit  dessen  zu  finden  sind, 
was  sie  uns  nach  Meinung  der  genannten  Schriftsteller  beweisen 
sollen. 

Caesar  berichtet  de  bell.  Gail.  I,  51  vom  Heere  des  Ariovist: 
„Tum  demum  necessario  Germuni  suas  copias  castris  eduxerunt 

■)  Man  beachte  den  wesentlichen  Unterschied  zwischen  dieser  und  der 
Ansicht  Brunner's.  Dort  eine  künstliche  Einteilung,  nach  der  Seßhaft- 
machung  durch  Gemeinden  und  Markgenossenschaften  hindurch  entstanden, 
hier  Reste  altarisrher  Einrichtungen. 

*)  F.  W.  II arthold,  Geschichte  der  Kriegsverfassung  und  des  Kriegs- 
wesens der  Deutschen  (1855)  I,  S.  36. 

*)  M.  Jähns,  Handbuch  einer  Geschichte  des  Kriegswesens  (1880)  I, 
S 439  ff. 

*)  H.  Delbrück,  Geschichte  der  Kriegskunst  II,  S.  26. 
f Scb  w e r i n.  allgerm.  Hundertschaft  - 


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generatimque  constitnerunt  paribus  intervallis  Harudes  Marco- 
mannos,  Triboccos,  Vangiones,  Nemetes,  Sedusios,  Suevos  . . . .*') 
Diese  Stelle  besagt  mit  Deutliekeit  nur,  daß  zwischen  den  einzelnen 
Völkern  gleiche  Zwischenräume  waren  und  daß  die  Völker  selbst 
sich  zusammen  aufstellten,  sodaß  kein  Teil  der  Schlachtordnung 
aus  Angehörigen  verschiedener  Völker  bestanden  hat.  Es  ist.  wie 
Brunner J)  zutreffend  bemerkt,  eine  „Gruppierung  des  Heeres  nach 
Völkerschaften“  dnrchgeführt.  Nur  eine  Hypothese  ist  es,  wenn 
v.  Sybel3)  und  nach  ihm  Holtzmann4)  annehmen,  daß  nun  auch 
innerhalb  der  Völkerschaften  gleich  große  Abteilungen  gebildet 
und  diese  in  gleichen  Abständen  aufgestellt  worden  seien,  „weil 
sonst  bei  gleichem  Zwischenraum  die  Heerhaufen  selbst  zu  un- 
gleich geworden  wären,  da  nicht  alle  Völker  in  gleich  großer 
Zahl  vertreten  waren*.  Diese  Begründung  mag  dann  am  Platze 
sein,  wenn  zunächst  einmal  feststeht,  daß  die  germanische  Schlacht- 
ordnung ähnlich  der  römischen  aufgestellt  war,  sodaß  gleich 
große  Kolonnen  neben  einander  standen,  wenn,  mit  anderen 
Worten,  eine  Aufstellung  prorrecto  agmine  als  germanische  Übung 
feststeht.  In  diesem  Falle  würde  es  allerdings  überraschen,  wenn 
Kolonnen  verschiedener  Größe  in  einer  Linie  gestanden  hätten,  da 
nicht  nur  die  Durchschlagskraft  sondern  auch  die  Widerstands- 
fähigkeit an  den  einzelnen  Punkten  der  acies  eine  verschiedene 
gewesen  wäre.  Da  es  sich  aber  überhaupt  erst  darum  handelt, 
wie  die  Germanen  ihre  Heere  aufstellten,  muß  ein  Argument, 
das  von  einer  bestimmten  Art  der  Aufstellung  ausgeht,  eine 
petitio  principii  in  sich  schließen  und  schon  aus  diesem  Grunde 
abgelehnt  werden.  Abgesehen  hiervon  aber  dürfen  wir  schon  des- 
halb nicht  von  einer  acies  prorrecto  agmine  ausgehen,  weil  die 
Aufstellung  bei  den  Germanen  in  aller  Regel  gerade  nicht 
prorrecto  agmine  erfolgte.  Ausdrücklich  sagt  uns  Tacitus, 
Hist.  V,  l(i:  „Civilis  haud  prorrecto  agmine,  sed  cnneis  adstitit“ *). 

')  Hrsg,  von  B.  Kubier  (Tcubner)  S.  35. 

»)  It.-G.  I’,  S.  182,  Amn.  12. 

3)  Entstehung  des  deutschen  Kilnigstums  ',  S.  IG. 

4)  A.  Holtzmann,  Gennanische  Altertümer,  hrsg.  v.  A.  Holder,  S.  165. 
Vgl.  auch  A.  Baumstark,  l'rdcntscho  Staatsaltert  inner  zur  schützenden 
Erläuterung  der  Germania  des  Tacitus  (1873),  S.  275  f. 

s)  Hrsg.  r.  C.  Hahn  (Teubner)  II,  S.  212. 


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1!) 


Bei  einer  solchen  Keilaufstellung  nun  läßt  sich  „gen  erat  im“  mit 
.paria  intervalla"  ganz  gut  vereinigen.  Datl  sich  die  Truppen 
ireneratim  aufstellten,  heiLlt  nichts  anderes,  als  daß  die  Geschlechter 
sich  zusammenstellten.  Dies  allein  mußte  dazu  führen,  daß  die 
Völkerschaften  als  solche  sich  mit  einander  aufstellten,  und  nach- 
dem dies  geschehen  war,  wurden  diese  Völkerschaften  mit  gleichen 
Zwischenräumen  'angeordnet.  Sucht  man  dies  mit  der  Keilauf- 
stellung in  Einklang  zu  bringen,  so  kann  man  sich  die  Sache 
nur  so  denken,  daß  in  unserem  Falle  die  Harudes  die  Spitze 
bildeten,  dann  kam  ein  intervallum,  dann  folgten  die  Marco- 
manni  u.  s.  f.  unter  ständiger  Verbreiterung  der  Linie;  die  Suevi 
würden  dann  die  Basis  des  Keils  bilden.  Die  praktische  Kon- 
sequenz beim  Angriff  wäre  dann  die,  daß  die  Völker  sich  auf- 
schließen müßten.  Das  ließe  sich  denken.  Nicht  aber  kann  man 
sich  die  intervalla  als  Gassen  in  der  Längsrichtung  des  Keils  vor- 
stellen. Denn  diese  Fonnation  hätte  beim  Angriff  eine  sofortige 
Zersplitterung  des  Keils  und  das  Eindringen  des  Feindes  in  diese 
Gassen  zur  Folge.  Mit  Baumstark  anzunehmen,  daß  jede  Völker- 
schaft je  nach  ihrer  Größe  mehrere  Keile  gebildet  habe  und  dann 
noch  zwischen  den  einzelnen  Völkerschaften  paria  intervalla  ein- 
gehalten worden  seien,  halte  ich  für  unmöglich.  Eine  so  zer- 
rissene Schlachtordnung  hätten  die  Germanen,  deren  Hauptkraft, 
in  einem  wuchtigen  Angriff  lag,  nicht  brauchen  können.  Auch 
ist  eine  so  geteilte  Aufstellung  viel  zu  künstlich.  Und  man  darf 
nie  übersehen,  daß  das  Heersystem  der  germanischen  Zeit  von 
einem  modernen,  aber  auch  vom  römischen  aus  allgemein  kulturellen 
Gründen  weit  entfernt  sein  mußte  und  weder  mit  modernem  Maß- 
stab gemessen,  noch  in  eine  ihm  nicht  passende  Schablone  ge- 
zwängt werden  darf.  Es  ist  der  Grundfehler  aller  derer,  die  sich 
über  germanisches  Kriegswesen  verbreitet  haben,  daß  sie  in  Ver- 
kennung der  Kulturstufen  immer  nur  künstliche  und  nie  natür- 
liche Verhältnisse  ansetzen  *). 

Mag  aber  auch  die  Aufstellung  des  Heeres  des  Ariovist  im 
Einzelnen  so  oder  so  gewesen  sein,  so  läßt  sich  doch  mit  aller 
Bestimmtheit  behaupten,  daß  wir  an  dieser  Stelle  nicht  die  Spur 
von  Hundertschaften  oder  überhaupt  einer  zahlenmäßigen  Gliederung 

')  Eine  seltene  Ausnahme  ist  Baumstark  a.  a.  O.,  S.  243  ff. 

2* 


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20 

des  germanischen  Heeres  erkennen  können.  Auch  bei  Taeitns 
finden  wir  immer  nur  den  Keil  und  das  genokratische  Prinzip 
erwähnt.  So  z.  Bsp.  in  folgenden  Stellen:  Germ.  eap.  6:  acies 
per  cuneos  eomponitur;  cap.  7 : . . . non  casus  nec  fortuita  conglo- 
batio  turmam  aut  cuneum  facit,  sed  familiae  et  propinquitates ') , 
Hist.  IV,  16:  ( ’anninefates,  Frisios,  Batavos  propriis  cuneis  componit 
und  Hist.  IV,  23:  Batavi  Transrhenanique,  quo  discreta  virtus 
manifestius  spectaretur,  sibi  quaeque  gens  consistunt.  Äußerst 
interessant  ist  endlich  eine  Stelle  bei  dem  bekannten  Militär- 
schrift.steiler  Maurikios  •)  XI,  4:  „Tduovrat  5s  iv  tat«  payz t; — . oö 

|XETp<u  Tivi  tu p - jx s v co  xal  tdEst  j)  iv  jxotpai;  rt  iv  (xspeotv  i\\v. 

xxtä  xsl  rj  xp 5;  dXXrjXouc  aoTjtvsia  te  xjX.“  Hier  ersehen  wir 

es  aus  den  hervorgehobenen  Worten,  die  Möllenhoff  bei  seinem 
Citat  *)  bezeichnenderweise  ausgelassen  hat,  ausdrücklich,  daß 
den  Germanen  eine  Aufstellung  in  bestimmt  abgezählten  Gruppen 
vollkommen  fremd  war. 

Dem  entspricht  es  sehr  genau,  daß  nirgends  von  den  Ger- 
manen berichtet  wird,  sie  hätten  eine  zahlenmäßige  Heeresgliedernng 
gehabt.  Anzunehmen,  daß  sie  trotzdem  bestanden  hat,  ist  aus- 
geschlossen. Gerade  Cäsar,  der  nicht  nur  von  seinem  Heere  eine 
fein  differenzierte  taktische  Gliederung  gewohnt  war,  sondern  auch 
als  Feldherr  alles  Interesse  daran  hatte,  die  Heeresverfassung  der 
Germanen  auf  das  Genaueste  kennen  zu  lernen,  hätte  davon 
sicher  erfahren  und  dann  auch  berichtet.  Diese  Erwägung  ver- 
möchte sogar  ein  reines  arg.  e.  silentio  zu  stützen.  In  der  Tat 
aber  haben  wir  es  nicht  einmal  mit  einem  solchen  zu  tun; 
sondern  die  Quellen  berichten  uns,  wie  die  oben  angeführten 
Stellen  zeigen,  ausdrücklich,  daß  die  Germanen  sich  nach  Ge- 
schlechtern ordneten4).  Diesen  positiven  Aufstellungen  gegenüber 
immer  wieder  zu  behaupten,  daß  sie  sich  nach  einem  numerischen 
Prinzip  ordneten,  ist  ein  unverständliches  Beginnen. 

')  Im  ersten  Band  der  angeführten  Ausgabe. 

*)  Mttjptxfou  aTpoTTjTixiv  hrsg.  von  J.  Scheileriis.  Upsala  KiG4,  S.  269. 
Vgl.  K . Krnnibachcr,  Geschichte  der  byzantinischen  Literatur  s (1897),  S.  635  f. 

3)  1).  A.  IV,  8.  202. 

*)  Dafür,  dal!  es  sowohl  germanische  als  gallische  Übung  war,  die 
Vollcsstfiimnc  bei  der  Aufstellung  der  Schlachtreihe  nicht  zu  zerreißen,  finden 
wir  zahlreiche  Quellenbelege.  I*ie  Stellen  sind  bei  Boltzmann  a.  a.  ().,  S.  165 


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21 


Dies  mag  wohl  auch  Anderen  so  geschienen  haben  und  daher 
rühren  die  Versuche  genokratisches  und  numerisches  Einteilungs- 
prinzip zu  verbinden.  Aber  bei  genauerer  Betrachtung  kann  man 
sich  nicht  damit  helfen,  daß  man  wie  z.  B.  Brunner1)  „die  Ord- 
nung durch  die  Bande  der  Sippe“  erst  innerhalb  der  einzelnen 
numerisch  bestimmten)  Heeresabteilungen  anniinrat.  Damit  wären 
allerdings  beide  Prinzipien  untergebracht.  Aber  es  entsteht  oder 
bleibt  erst  recht  die  Frage,  ob  auch  nur  in  dieser  Weise  die 
beiden  Prinzipien  neben  einander  bestehen  können.  Sie  ist  schon 
früher  wiederholt  gestellt,  aber  in  neuerer  Zeit,  so  auch  von 
Brunner,  wieder  übergangen  worden.  Auch  sie  bedarf  deshalb 
einer  näheren  Beleuchtung. 

Wenn  die  Annahme  einer  Centesimalgliederung  überhaupt 
einen  Boden  haben  soll,  dann  muß  man  daran  festhalten,  daß 
irgend  einmal  das  gesamte  waffenfähige  Volk  in  Abteilungen  von 
hundert  gegliedert  wurde.  Da  nun  nach  einem  allgemeinen  Ge- 
setz alle  Völker  von  Haus  aus  bis  zu  einer  gewaltsamen  Änderung 
nach  gleichviel  wie  gestalteten  Verwandtschaften  und  Sippen  ge- 
gliedert sind,  so  muß  es  einmal  einen  Zeitpunkt  gegeben  haben, 
in  dem  eine  künstliche  numerische  Gliederung  die  natürliche  nach 
Familien  und  Stämmen  durchschnitt.  Wie  mußte  oder  konnte 
sich  nun  das  althergebrachte  Prinzip  gegenüber  der  Neuerung 
verhalten?  Diese  Frage  liegt  auf  der  Hand.  Ihrer  Natur  nach 
mußten  sich  die  beiden  Prinzipien  widersprechen,  da,  wie  schon 
wiederholt  hervorgehoben,  nicht  jede,  vielleicht  keine  Sippe,  genau 
hundert  oder  auch  nur  ungefähr  hundert  Waffenfähige  enthielt. 
Daß  nun  etwa  das  genokratische  Prinzip  dem  numerischen  das 
Feld  räumte,  wäre  möglich  gewesen,  ist  aber  schon  um  deswillen 

angeführt.  Das  Prinzip  ist  ein  indogermanisches  und  findet  sich  bezeich- 
nenderweise mit  der  gleichen  Begründung,  die  Tacitus  Germ.  c.  6 angibt 
schon  Ilias  II,  362 

xptv  dr/Spa;  xrrd  xsrri  'ppf( rpxc,  'Ayajuprrov, 

«>;  5ppf(Tpr(  «ppfjTprflpiv  tpök»  ^pdXotc. 

Vgl.  dazu  noch  Leist,  Altarisches  Jus  civile  II,  S.  194.  Schräder,  Keal- 
leiicon  der  indogermanischen  Altertumskunde  (1901)  s.  v.  Heer,  wo  aber 
rine  Kombination  von  gcnokrutischcr  und  zahlcnmälliger  Gliederung  ange- 
nommen ist. 

')  R.-G.  1 1 S.  183. 


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nicht  anzunehmen,  weil  wir  es  zu  aller  Zeit  in  Anwendung  ge- 
bracht sehen,  und  es  ist  auch  noch  kein  Schriftsteller  darauf  ver- 
fallen, eine  solche  Kapitulation  des  natürlichen  Prinzips  zu  be- 
haupten. Somit  bleibt  nur  die  einzige  Möglichkeit,  daß  die 
beiden  Prinzipien  ein  Kompromiß  abgeschlossen  haben ').  Nur 
zeigt  sich  sofort,  daß  diese  theorethisch  anscheinend  vorhandene 
Möglichkeit  nicht  auch  praktisch  durchgeführt  wurde.  Einige 
Schriftsteller  haben  sich  die  Sache  so  gedacht,  daß  „so  lange  als 
möglich“  die  Verwandtschaften  zusammengenommen  wurden.  Man 
hätte  also  einerseits  nicht  so  sehr  darauf  gesehen,  daß  gerade 
hundert  Krieger  sich  in  jeder  Abteilung  befanden,  es  mochten 
bald  etwas  mehr,  bald  etwas  weniger  sein:  man  hätte  andererseits 
Geschlechter  auseinandergerissen,  wenn  sie  die  Hundertzahl  zu 
sehr  überschritten,  solche  zusammengefügt,  deren  Bestand  weit 
unter  hundert  war2). 

Auf  diese  Weise  würden  nicht  genau  gleich  große  Abteilungen 
erzielt  worden  sein,  aber  es  wäre  immerhin  ein  gewisser  Ausgleich 
zustande  gekommen.  Die  Teilung  war  aber,  wenn  man  die  da- 
maligen Verhältnisse  ins  Auge  faßt,  durchaus  nicht  so  leicht 
durchzuführen.  Es  konnte  sich  in  dieser  Zeit  nicht  um  Ein- 
teilungen handeln,  die  nur  in  der  Schlacht  bestanden.  Wenn 
einmal  geteilt  wurde,  dann  galt  diese  Teilung  für  alle  Zeit  und 
für  alle  Lebensbedürfnisse.  Das  Heer  war  das  Volk,  und  die 
Heeresabteilung  war  die  Volksabteilung.  Davon  müssen  wir  in 
dieser  Zeit  ausgehen.  Eine  solche  durchgreifende  Teilung  aber 
stellt  einen  bedeutenden  Eingrift-  in  die  Rechte  der  Sippe  dar, 
den  nur  der  vornehmen  konnte,  der  über  alle  Macht  hatte.  Oh 
in  urgermanischer  Zeit  ein  solcher  Machthaber  vorhanden  war, 
erscheint  mir  sehr  zweifelhaft.  Und  selbst  angenommen  es  gab 
einen  Führer,  der  eine  solche  Teilung  hätte  durchsetzen  können, 
so  ist  damit  noch  lange  nicht  gesagt,  wie  er  sie  durchführen 
sollte.  Es  ist  eine  notwendige  Voraussetzung  für  die  Richtigkeit 
der  von  Waitz  vertretenen  Anschauung,  daß  sich  die  Teilung  auch 

')  So  sagt  i,  B.  Waitz,  (V.-G.  I , S.  407):  „Die  Familien  und  Ver- 
wandten standen  im  Heere  verbunden.  Auch  die  Einteilung  nach  Hunderten 
bat  eilte  wesentliche  llcdcutung  für  dasselbe“.  Ähnlich  äuilert  sich  Lam- 
p recht,  Deutsche  Geschichte  I,  S.  133. 

’)  So  meint  Heusler,  Verfassungsgcschichtc,  S.  12. 


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23 


in  einer  nach  damaligen  Verhältnissen  wahrscheinlichen  Form 
durchführen  ließ.  Und  an  dieser  Form  scheint  es  mir  zu  fehlen. 

Auch  vor  der  Einführung  der  numerischen  Gliederung  mußte 
eine  < »rdnung  bestehen ').  Wir  wissen,  daß  sie  auf  verwandt- 
schaftlichen Prinzipien  beruhte.  Alle  Mitglieder  einer  Truppe 
waren  durch  das  nämliche  Band  der  Verwandtschaft  verbunden 
und  da  entsteht  die  Frage,  wo  dieses  Band  hätte  durchschnitten 
werden  sollen.  Man  konnte  nicht  etwa  eine  Abschichtung  der 
entfernteren  Sippenglieder  vornehmen,  denn  für  diesen  relativen 
Begriff  fehlte  es  an  der  Ausgangsperson.  Man  durfte  aber  auch 
nicht  dazu  gelangen,  daß  man  einen  Stamm  von  dem  des 
Bruders  des  Stammvaters  trennte;  ein  Ergebnis,  das  bei  einem 
objektiven  Teilungsprinzip  sehr  leicht  hätte  eintreten  können. 

Es  würde  zu  weit  führen,  die  Konsequenzen  einer  solchen 
Teilung  an  hypothetischen  Beispielen  aufzuzeigen.  Die  kurz  an- 
gedeuteten Bedenken  lassen  sich  leicht  zu  solchen  ausbilden  und 
es  wird  dann  sehr  klar,  daß  ein  Kompromiß  zwischen  «lern 
numerischen  und  dem  genokratischen  Teilungsprinzip  nur  theoretisch 
angenommen  werden  kann.  In  der  praktischen  Durchführung 
muß  es  scheitern. 

Damit  ist  aber  noch  nicht  gesagt,  daß  nicht  von  Fall  zu 
Fall  zwischen  einzelnen  Abteilungen  ein  Ausgleich  stattfand. 
Wenn  einmal  in  einer  Schlacht  eine  kleine  Sippe  stark  bedrängt 
war  und  die  nebenstehende,  größere,  Luft  hatte,  dann  ist  natürlich 
diese  jener  zu  Hilfe  gekommen,  und  sind  vielleicht  auch  Teile 
der  einen  zur  anderen  übergetreten.  Aber  solche  Teilungen  und 
Formationen  gab  dann  der  Augenblick,  die  Erkenntnis  des  im 
gegenwärtigen  Zeitpunkt  Notwendigen  oder  Nützlichen.  Für  die 
heutigen  Anschauungen  entsprechen  solche  momentane  Anpassungen 
weniger,  als  die  vorbedachte,  künstliche  Einrichtung,  der  damaligen 
Zeit  aber  mehr  als  diese. 

Einen  eigenartigen  Versuch  die  Verbindung  von  numerischem 
und  genokratischem  Prinzip  auch  praktisch  verständlich  zu 
machen  hat  Gramer  unternommen*).  Er  nimmt  in  der  Organi- 


')  Vgl.  Arnold,  Deutsche  Geschichte  I,  R.  312:  aber  auch  315  (!). 

*)  J.  Gramer,  Die  Verfassungsgeschichte  der  Germanen  und  Kelten 
(1906)  S.  28  ff. 


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satiun  dos  germanischen  Heeres  zwei  „Phasen“  an,  „die  der 
Nommlzahl  und  die  der  angesiedelten  Geschlechter“.  Vor  der 
Ansiedlung  soll  eine  auf  die  Urzeit  zurückgehende  Einteilung 
nach  einem  Zahlensystem  bestanden  haben.  Nach  der  Ansiedlung 
liege  der  taktischen  Gliederung  nicht  mehr  „die  starre  Zahl, 
sondern  die  Entwicklung  der  angesiedelten  Geschlechter  im  „Heer- 
gau“ zugrunde“.  Bei  dieser  Argumentation  übersieht  aber  Cramer, 
da  LS  das  Zahlensystem  die  weitaus  entwickeltere,  die  verwandt- 
schaftliche Gliederung  die  natürliche  ist.  Wir  müßten  annehmen, 
daß  vor  dem  Zahlensystem  eine  genokratische  Einteilung  Geltung 
gehabt  hat.  Unverständlich  bleibt  aber  für  alle  Fälle,  warum  die 
Germanen,  nachdem  sie  einmal  an  eine  numerische  Heeresgliederung 
gewohnt  waren,  diese  plötzlich  beseitigten  und  zu  dem  weniger 
entwickelten  Stadium  zurückkehrten.  Cramer  scheint  dies  mit  der 
Ansiedlung  in  Verbindung  bringen  zu  wollen.  Aber  wenn  schon 
auf  der  Wanderung  eine  numerische  Gliederung  möglich  war, 
dann  mußte  sie  ja  nach  der  Seßhaftmaclmng  um  so  leichter  sein. 
Und  daß  die  „Entwicklung  der  angesiedelten  Geschlechter“  einen 
Einfluß  ausübte,  kann  ich  mir  deshalb  nicht  vorstellen,  weil  ja 
doch  die  Geschlechter  sich  auch  vor  der  Ansiedlung  entwickelten. 
Oder  meint  etwa  Cramer,  daß  nur  die  Entwicklung  nach  der  An- 
siedlung imstande  war,  das  Zahlenverhältnis  zu  zerstören? 

Unverständlich  in  der  Einrichtung  ist  die  Hundertschafts- 
gliederung unhaltbar  im  Laufe  der  "Zeit,  Jedes  Jahr,  jeder  Monat, 
jeder  Tag  mußte  Veränderungen  im  Bestand  der  Sippe  bringen. 
Jeder  Kampf  brachte  sie  in  großem  Maßstab.  Damit  aber  wäre 
zugleich  die  militärische  Gliederung  ins  Wanken  gekommen,  die 
heute  künstlich  geschaffene  Ordnung  wäre  vielleicht  schon  am 
folgenden  Tag  eine  Unordnung  gewesen.  Das  ist  so  selbstver- 
ständlich, daß  fast  alle  Schriftsteller  zugeben,  es  habe  sich  die 
ursprüngliche  Ordnung  bald  wieder  verschoben.  Auch  Tacitus 
sage  ja:  quod  printo  numerus  fuit,  iam  nomen  et  honor  est'). 

Aber  dabei  ist  es  ganz  unverständlich,  warum  die  Germanen 
überhaupt  ihre  Heere  in  zahlenmäßige  Gruppen  gegliedert  haben, 
wenn  sie  doch  die  ganze  Einteilung  wieder  untergehen  ließen. 
Doch  nicht  nur  um  nach  Vertluß  einer  verhältnismäßig  kurzen 


*)  Genu.  c.  6. 


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25 


Z»*it  wieder  heim  status  quo  ante,  der  Gliederung  naeh  Geschlechtern, 
angelangt  zu  sein.  Und  wenn  man  annehmen  wollte,  die  Ger- 
manen hätten  die  numerische  Gliederung:  von  Zeit  zu  Zeit  wieder- 
holt, was  ja  an  sich  möglich  wäre,  dann  hätten  sie  diese  Übung 
hei  der  Seßhafhnachung  nicht  aufgegeben,  sondern  auf  alle  Fälle 
lur  die  Kriegspraxis  weiter  verwendet.  Auch  hier  wäre  zu  über- 
legen, daß  ein  Rückschritt,  wie  er  in  dem  plötzlichen  Aufgeben 
einer  bisher  geübten  zeitweisen  Neuorganisation  läge,  nur  bei 
zwingenden  Gründen  angenommen  werden  kann. 

Es  ergibt  sich  somit  aus  den  Quellen  kein  An- 
haltspunkt dafür,  daß  die  Germanen  eine  numerische 
Heeresgliederung  gekannt  haben,  dagegen  deutlich  der 
Nachweis,  daß  für  die.  Formation  der  Heereskörper  ver- 
wandtschaftliche Gesichtspunkte  maßgebend  waren. 

Gerade  die  Nachrichten  nun,  die  Taeitus  über  die  Geschlechts- 
verfassung bringt,  haben  Baumstark  viel  zu  schaffen  gemacht,  und 
weil  er  sie  nicht  durch  den  Beweis  des  Gegenteils  widerlegen 
kann,  greift  er  zu  der  Behauptung,  daß  der  Bericht  des  Taeitus 
in  Germania  c.  7.  „unmöglich  vollständig  wahr  seyn“  kann').  Dies 
zu  beweisen,  führt  er  sodann  drei  Gründe  an: 

a)  „die  Nachricht  verträgt  sich  nicht  mit  dem  Umstande,  daß 
die  germanischen  Heere  sowohl  aus  Reiterei  als  aus  Fußvolk  be- 
standen ; 

b)  sie  widerspricht  auch  den  Worten  cap.  6;  quos  ex  omni 
juventute  delectos  ante  aciem  locant. 

c)  Das  Staatsleben  der  Germanen  zu  Taeitus  Zeit,  obgleich 
immerhin  recht  unvollkommen,  zeigt  doch  nicht  mehr  ein  bloßes 
Conglomerat  von  Familien  und  Geschlechtern,  und  auch  in  der 
Volksversammlung  erscheinen  die  Dingmänner  nach  keiner 
Nachricht  in  familiis  et  propinquitatibus*).“ 

Auf  den  ersten  Blick  ist  zu  ersehen,  wie  es  um  diese  Begrün- 
dung bestellt  ist  und  nur  weil  sie  eine  eingehendere  Würdigung 
noch  nicht  gefunden  hat  möchte  ich  näher  darauf  eingehen.  Der 

')  A.  Ba  uni  stark , a.  a.  0.,  S.  270  ff. 

’)  Baumstark,  Ausführliche  [Erläuterung  des  Allgcni.  Thciles  der 
Oermania  des  Taeitus  (1875),  S.  306  f.  Das  im  Text  in  Parantbcsc  Ange- 
führte ist  der  hier  von  B.  selbst  gegebene  Austug  seiner  Ausführungen  in 
dem  Anui.  1 genannten  Buch. 


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Grund  unter  a)  beruht  auf  einein  Mißverständnis  der  Worte  bei 
Tacitns.  Dort  heißt  es  wörtlich:  . . . non  casus  nec  fortuita 
conglobatio  turmam  ant  cuneum  facit  sed  familiae  et  propinquitates. 
Diese  Stelle  darf  eben  nicht,  wie  Baumstark  stillschweigend  unter- 
schiebt, so  ausgelegt  werden,  daß  jede  turma  oder  jeder  cuneus 
gerade  eine  familia  oder  propinquitas  ausgemacht  habe,  daß  eine 
turma  oder  ein  cuneus  nur  aus  den  Gliedern  einer  und  derselben 
familia  oder  propinquitas  bestanden  habe,  daß  umgekehrt  sämtliche 
Glieder  einer  familia  oder  propinquitas  in  einer  turma  oder  in 
einem  cuneus  vereinigt  gewesen  seien.  Das  wäre  unverständlich. 
Denn  nicht  Jeder  ist  zum  Reiterdienst  gleich  tauglich  und  nicht 
Jeder  hatte,  was  damals  noch  besonders  in  Betracht  kam.  die 
hierzu  nötige  Ausrüstung.  Eine  abgeschlossene  Reiterkaste  hat 
es  bei  den  Germanen  nie  gegeben  und  sie  paßt  auch  nicht  in 
germanische  Verhältnisse.  Ihr  Fehlen  muß  aber  das  genokratische 
Prinzip  nicht  unterdrücken.  Wenn,  wie  es  meistens  der  Fall  war, 
von  einer  einzelnen  Sippe  Mehrere  Reiterdienste  taten,  so  konnten 
sehr  wohl  die  Glieder  derselben  Sippe  sich  in  der  turma  neben- 
einander aufstellen : ja  es  konnte  sogar  dahin  kommen,  daß  eine 
turma  nur  aus  Angehörigen  einer  und  derselben  Sippe  bestand. 
Damit  verträgt  sich  die  Nachricht  des  Tacitus  recht  gut.  die 
nichts  anderes  sagen  will,  als  daß  das  verwandtschaftliche  Band 
für  die  Ordnung  in  den  turmae  und  cunei  maßgebend  war1). 

Die  Verbindung  der  delecti  zu  einer  besonderen  Elitetruppe 
hatte  allerdings  den  Erfolg,  daß  in  den  cunei  der  aries  nicht 
mehr  alle  Verwandten  beisammen  standen  und  andererseits  eine 
Abteilung,  eben  die  der  delecti,  nicht  nur  aus  mit  einander  ver- 
wandten Personen  bestand.  Aber  auch  dies  steht  nicht  im  Wider- 
spruch mit  Tacitus,  wenn  man  seine  Worte  in  dem  angegebenen 
Sinn  auft'aßt.  Daß  aus  den  cunei  Einzelne  herausgenommen 
wurden,  hindert  ja  nicht,  daß  sich  die  übrigen  nach  Geschlechtern 
aufstellten. 

Damit  komme  ich  zu  Baumstarks  dritten  Grund.  Was  er 
hier  über  die  Dingversammlungen  sagt,  ruht  lediglich  auf  einem 
arg.  e.  silentio,  das  ja  als  solches  gewiß  noch  nicht  jeder  Bewcis- 

')  Zweideutig  ist  die  Übersetzung  von  Holtzmann-Holder  a.  a.  t).,  S.  35: 
..  . . nicht  das  Ungefähr,  noch  zufällige  Rotten  bilden  (!)  die  Geschwader 
und  Schlachthaufcu,  sondern  Familien  und  Sippschaften.“ 


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27 


kraft  entbehrt,  aber  doch  dann,  wenn  das,  was  bewiesen  werden 
soll,  überhaupt  unwahrscheinlich  ist.  Wir  erfahren  allerdings 
nicht  bestimmt,  daß  sieh  die  < iermanen  im  Ding  geschlechterweise 
aufstellten.  Aber  der  ganze  Gang  des  germanischen  Prozesses, 
der  da  und  dort  auch  ein  räumliches  Beisammenstehen  der  Ver- 
wandten erforderte,  läßt  annehmen,  daß  eine  dementsprechende 
Anordnung  im  Großen  und  Ganzen  stattfand.  Ohne  isländische 
Verhältnisse  als  gemeingermanischen  Typus  aufstellen  zu  wollen, 
weise  ich  darauf  hin.  daß  dort  wohl  schon  durch' die  Anlage  der 
Dingbuden  ein  Zusammenhalten  der  Verwandten  nahegelegt  war. 
Überhaupt  dürfte  nicht  zu  übersehen  sein,  daß,  zumal  bei  mehr- 
tägigen Dingen  die  ganze  Konstituierung  der  Dingversammlung 
von  dem  durch  die  zusammen  wohnenden  Verwandten  gemeinsam 
begonnen  »Dingritt-  angelängen,  auf  eine  Gruppierung  nach 
Geschlechtern  hinarbeitete.  Doch  mag  dem  sein  wie  immer,  ist 
Kaumstarks  Argument  nicht  kräftig.  Selbst  wenn  in  den  Ding- 
versammlungen die  Verwandten  sich  trennten,  so  läßt  sich  daraus 
twrh  nicht  schließen,  daß  das  auch  im  Heere  der  Fall  war,  zumal 
wir  denn  auch  nicht  wissen,  ob  in  den  Dingversammlungen  jemals 
eine  solche  nunmehr  untergegangene  Ordnung  bestanden  hat1). 

Im  Übrigen  ist  allerdings  richtig,  daß  von  der  Seßhafft- 
machung  an  der  Familienverband  das  üftentliche  Leben  nicht 
mehr  „beherrscht-,  wie  Waitz  sich  ausdrückt.  Es  konnte  die 
Ansiedlung  zu  einer  Verwischung  der  ursprünglich  gentilicischon 
Verhältnisse  in  der  Agrargenossenschaft  führen.  Aber  diese  Ver- 
änderung braucht«  Zeit;  erst  im  Laufe  einer  langen  Entwicklung 
konnte  das  Herrschaftsmonopol  der  Familie  gebrochen  werden. 
Anzunehmen,  daß  das  schon  in  der  taeiteischen  Zeit  der  Fall 
war,  sind  wir  nicht  veranlaßt.  Im  Gegenteil!  Noch  in  merowin- 
gisclier  Zeit  standen  der  Änderung  der  gentilicischen  Dorfver- 
fassung noch  erhebliche  Schwierigkeiten  entgegen.  Die  Lex  Salica 
gibt  in  fit.  XLV  de  migrantibus  ein  sehr  anschauliches  Bild  von 


•)  Schröder  R.-G.5  S.  23  nimmt,  gestützt  auf  I’act.  Alatn  11,43  (in  lieris 
guuerationis)  lind  mit  Rücksicht  darauf,  daß  die  Landsvcrsammlung  zugleich 
Hcerrcrsamudung  war,  au,  daß  die  Aufstellung  im  Landsding  nach  (tauen, 
Hundertschaften  und  Geschlechtern  erfolgte.  Da  auch  nach  der  hier 
vertretenen  Auffassung  die  Geschlechter  Heercsabtoilungen  bildeten,  kann 
ich  dem  insoweit  zustimmen. 


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einem  Zuzug  eines  Ausmärkers  und  der  Leichtigkeit,  mit  der  jeder 
einzelne  vicinus  ihn  verhindern  konnte.  Wenn  auch  in  der  Zeit 
der  Lex  Salica  der  Grund  des  ganzen  Verfahrens  nicht  mehr  der 
ist,  eine  Störung  des  gentilicischen  Verbandes  zu  verhindern,  su 
wirkt  es  doch  sozusagen  als  Konservierungsmittel  der  ursprüng- 
lichen Verwandtschaftsansiedlung.  Und  wenn  andererseits  auch 
Abschichtungen  von  Haussöhnen  vorgekommen  sind,  so  haben  wir 
doch  keinen  Grund  zu  der  Annahme,  da  LI  sich  diese  abgeschichteten 
Haussöhne  nicht  in  der  Nähe  ihrer  Verwandten  angesiedelt  haben. 
Auch  in  anderen  Fällen  zeigt  sich  der  starke  Einfluß  der  Familie, 
so  z.  B.  in  dem  Strafrecht  der  Sippe  gegen  ihre  Mitglieder,  in 
dem  Fehderecht  der  Sippe  bei  Verletzung  eines  Sippenangehörigen, 
vor  allem  auch  bei  der  Vormundschaft  und  der  Armenpflege1). 

So  wenig  sich  im  Allgemeinen  gerade  über  diese  Verhältnisse 
an  Einzelheiten  bestimmt  behaupten  und  quellenmäßig  beweisen 
läßt.  so  können  wir  doch  aus  dem  Gesamtbild  schließen,  daß  die 
Einflüsse  der  Sippen  immer  noch  stark  genug  waren,  um  eine 
Heeresaufstellung  nach  Geschlechtern  nicht  nur  wahrscheinlich  zu 
machen,  sondern  geradezu  zu  fordern. 

Damit  erledigen  sich  die  Angriffe,  die  Baumstark  gegen 
Taeitus  geführt  hat  und  wir  können  auf  die  obige  Zusammen- 
fassung der  bisherigen  Ergebnisse  zurückverweisen.  Wie  im 
Einzelnen  die  Aufstellung  der  Geschlechter  im  Keil  erfolgte,  ob 
einer  oder  mehrere  Keile  gebildet  wurden,  wie  groß  die  sich  etwa 
ergebenden  Abstände  waren,  das  alles  sind  Fragen  rein  kriegs- 
wissenschaftlichen Interesses,  deren  Erörterung  nur  die  für  uns 
wesentlichen  Ergebnisse  in  den  Schatten  stellen  könnte.  Für  uns 
kommt  es  nur  darauf  an,  festzustellen,  daß  in  germanischer  Zeit 
keine  Spur  einer  numerischen  Heeresgliederung  zu  finden  ist. 

Geradezu  ein  Zerrbild  einer  solchen  gibt,  wie  zum  Schlüsse 
bemerkt  sei,  die  Heeresschilderung  in  der  Hervararsaga  c.  26. 

„VanV  nü  svä  mikill  fjqldi  manna  peirra.  at  ptisundum 
mätti  telja , en  ei  snuerri  enn  püsundir  i fylkingar.  En 
hqfdingi  var  settr  yfir  ptisund  hverja,  en  merki  ylir  hverja 
fylking,  en  timm  püsundir  i hverja  fylking,  peirra  en  prettän 

')  Vgl.  Brunner,  K.-Q.  I *,  S.  1 1 7 ff.  v.  Amira,  tirundriU,  S.  IOC  f. 
v.  Sybcl,  Entstehung  des  deutschen  Königtums1,  S.  41  ff. 


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•29 


hundrut  väru  i hverri,  en  i hvert  hundrut  fernir  fjqrutiu, 
en  pessar  fvlkingar  varu  prjär  ok  prjätigi.“ 

Weder  können  diese  pusundir  mit  ihren  13  Hnnderten. 
Tausendschaften  sein,  noch  die  hnndrut  mit  je  160  Mann.  Hundert- 
schaften. Hatten  die  Nordgermanen  zahlenmäßige  Heeresabtei- 
lungen gekannt,  dann  wäre  es  dem  Schreiber  der  Sage  nicht  in 
den  Sinn  gekommen,  so  unglückliche  Zahlenverhältnisse  aufzu- 
stellen. Das  ist  nur  so  zu  erklären,  daß  die  Nordgermanen 
Heeresabteilungen  als  hundrut,  vielleicht  auch  als  pusundir  bezeich- 
neten.  die  nicht  gerade  hundert  oder  tausend  Krieger  zählten. 
Das  ist  durchaus  nicht  ansgeschlossen  und  an  Hand  der  im 
Abschnitt  III  folgenden  „Worterklärung“  leicht  verständlich. 

Bei  richtiger  Auffassung  spricht  gerade  diese  Stelle  gegen, 
nicht  für  eine  zahlenmäßige  Heeresgliederung,  und  man  braucht 
sie  nicht  wie  Rietschel'i  durch  die  Bemerkung,  daß  es  sich 
da  um  das  Heer  der  Hunnen  handle,  außer  Diskussion  zu  stellen. 

Damit  ist  es  m.  E.  ausgeschlossen,  daß  in  noch  früherer  Zeit 
die  Germanen  Centesiinalgliederung  gekannt  haben.  Denn  der 
f bergan g vom  numerischen  zum  gentilicischen  System  erscheint 
nicht  annehmbar.  Gleichwohl  will  ich  gerade  deshalb,  weil  von 
anderer  Seite  auf  den  arischen  Ursprung  der  numerischen 
Heeresverfassung  Gewicht  gelegt  wird,  nicht  an  der  Frage  vorüber- 
gehen, ob  wir  Anhaltspunkte  dafür  haben,  daß  die  Centesimal- 
gliederung  bei  den  Indogermanen  eingebürgert  war  und  etwa  in 
germanischer  Zeit  sich  zurückgebildet  hat. 

Leist*)  hält  „die  Znsanunenschließung  der  Truppenkörper  nach 
dem  Dezimalsystem  in  (Zehntschaften)  Hundertschaften  undTausend- 
schaften“  für  eine  „arische  Eigenart.“  Gegen  ihn  hat  sich 
neuerdings  Schräder’)  gewendet,  der  da,  wo  überhaupt  eine  Zahl- 
einteilung sich  findet,  eine  Bildung  aus  nachindogermanischer  Zeit 
annimmt.  Wir  haben  es  also  mit  zwei  sich  diametral  gegenüber- 
stehenden Ansichten  zu  tun. 


')  Z.-Rg.  * XXVII,  S.  240. 

*}  B.  W.  Leist,  Altarisches  Jus  oivilc  II  (I89C;  S.  224,  Ebenso  Möllen- 
hoff I).  A.  IV,  S.  177. 

*)  0.  Schräder,  Reallexikon  der  indogermanischen  Altertumskunde 
(1901),  S.  350.  Vgl.  auch  Sickel,  Zur  germanischen  Verfassungsgeschichte 
'MJÖG.  Krginzungsbd.  I)  S.  18. 


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so 

Fragen  wir  nach  den  Gründen,  die  Leist  für  seine  Ansicht 
beibringen  kann,  so  ergibt  sich  die  indogermanische  dezimale 
Heeresgliedernng  durch  Rückschlüsse  aas  späteren  Zuständen. 
Solche  Rückschlüsse  lassen  sich  ziehen  aus  den  Verhältnissen  der 
Völker,  die  noch  in  späterer  Zeit  die  Hundertschaftsorganisation 
kennen  und  das  sind  nach  Leist  die  Inder,  Römer,  Germanen  und 
Russen,  nicht  auch  die  Griechen  *)  und  Südslaven.  Für  uns  hier 
müssen  die  germanischen  Zustände  als  Beweismittel  entfallen, 
weil  gerade  sie  erst  bewiesen  werden  sollen.  Charakteristisch  ist 
übrigens,  daß  sich  Leist  auf  Brunner  stützt,  um  mit  dessen 
Worten  die  Dezi  mal  Verfassung  in  der  germanischen  Zeit  zu  beweisen, 
die  Brunner  wiederum  auf  arische  Hinrichtungen  basiert. 

Bei  den  Indern  ist  die  Dezimalverfassung  „nur  mehr“  als 
Administrativorganisation  nachzuweisen ; einen  Anhaltspunkt  dafür, 
daß  sie  jemals  Heeresverfassung  war,  können  wir  nicht  auftinden. 
Ul*  etwa  die  Administrativorganisation  das  Überbleibsel  einer 
früheren  numerischen  Heeresgliederung  war.  ist  fraglich  und  durch 
nichts  gestützt.  Mir  erscheint  aber  die  Frage  zu  verneinen.  Denn 
gerade  nach  dem,  was  Leist  selbst  anführt,  ist  die  numerische 
Dorfverfassung  in  einer  Zeit  entstanden,  die  wir  noch  quellen- 
mäßig erkennen  können 3).  Und  das  läßt  doch  nicht  darauf 
schließen,  daß  sie  schon  einmal,  wenn  auch  zu  anderen  Zwecken, 
bestanden  hat.  Man  ist  eher  versucht  das  Gegenteil  anzunehmen. 

Über  die  russischen  Verhältnisse  kann  ich  mir  aus  den 
Quellen  selbst  kein  Bild  verschaffen.  Leist  stützt  sich  hier  auf 
Kwers.  Und  aus  dessen  Bericht  läßt  sich  eine  numerische  Heeres- 
gliederung nur  für  eine  verhältnismäßig  späte  Zeit  entnehmen, 
für  die  Zeit  der  Regierung  Wladimirs  (988— 101.' ’>).  üb  in 
früherer  Zeit  die  Verhältnisse  die  gleichen  waren,  erscheint  umso- 
mehr fraglich,  als  nach  den  allerdings  ziemlich  dürftigen  Nach- 
richten, die  uns  zu  Gebote  stehen,  auch  in  Rußland  in  früherer 
Zeit  die  Geschlechts  Verfassung  in  Blüte  war. 

Was  endlich  die  römischen  Zustände  betrifft,  so  ist  hier  eine 
decimale  Heeresgliederung  nicht  zu  leugnen.  Aber  man  muß 


■)  Znstiimnend  Möller,  Handbuch  der  klassischen  Altertumswissen- 
schaft IV  1,  2.  S.  303,  30G,  340  f. 
ä)  So  auch  Sicke]  a.  a.  O. 


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31 


wohl  beachten,  unter  welchen  Verhältnissen  sie  bestand.  Hei  den 
Kötnern  wurden  naeli  der  Vereinigung  der  drei  Stämme  Raumes, 
Titie-  und  Luceres  ein  Heer  gebildet,  das  aus  legiones  zu  je 
tausend  Mann  bestand,  die  in  curiae  zu  hundert  uml  decuriae  zu 
zehn  Mann  zerfielen.  Das  geschah  zu  einer  Zeit  als  die  Römer 
langst  seilhaft  waren  und  gerade  darin  liegt  das  entscheidende 
Moment1).  Mit  der  Sellhnftmachung  ist  die  Grundbedingung  ge- 
geben für  eine  künstliche  Heeresgliederung  und  die  Aushebung, 
l'nd  eine  künstliche  Gliederung,  ein  Aushebungssystem  haben  wir 
in  den  römischen  legiones,  curiae  und  decuriae  vor  uns.  Sit“ 
folgte  vielleicht  unmittelbar  auf  eine  bis  dahin  bestehende  genti- 
licische  Verfassung.  Denn  die  Stämme  sind  es,  die  eine  legio 
stellen,  aus  den  gentes  werden  die  curiae  und  decuriae  ausgehoben.  Im 
Hintergründe  des  ganzen  Zahlensystems  steckt  noch  immer  der 
gentilieische  Grundgedanke  und  gerade  dieser  Umstand  lüllt  darauf 
schlieilen,  dall  auch  das  altrömische  Heer  nach  Geschlechtern 
gegliedert  und  aufgestellt  war  und  nicht  nach  starren  Zahlen. 

Überblicken  wir  von  hier  aus  noch  einmal  das  Material,  auf 
Grund  dessen  Leist  rückschliellend  die  indogermanischen  Völker 
ihre  Heere  nach  einem  Dezimalsystem  gliedern  lälit,  so  zeigt  sich, 
dall  dieses  Material  lür  diesen  Schluß  keineswegs  ausreichend  ist. 
Wir  können  nicht  umhin,  mit  Schräder  alle  sich  findenden  zahlen- 
mäßigen Gliederungen  als  spätere  Einrichtungen  anzusehen  und 
darin  kann  uns  nur  bestärken,  was  gerade  Leist  über  die  Ent- 
wicklung der  Völker  auf  der  gentilieischen  Grundlage  sagt®). 

Erscheint  aber  die  Hundertschaftseinteilung  nicht  als  eine 
indogermanische  Institution,  so  kann  auch  davon  keine  Rede  sein, 
daß  sie  bei  den  Germanen  auf  arischer  Grundlage  entstanden  ist,  und 
als  zusammenfassendes  Ergebnis  der  bisherigen  Untersuchung 
können  wir  den  Satz  aufstellen,  daß  die  Gliederung  des  germanischen 
Heeres  auf  gentilicischer,  nicht  auf  numerischer  Grundlage  erfolgte. 

Ist  dem  so,  dann  ist  aber  der  weitere  Schluß  unaus- 
bleiblich, daß  die  germanischen  Hundertschaften  nicht 
auf  der  Heeresorganisation  beruhen  können  und  daß 
demnach  die  „Heerestheorie“  verfehlt  ist. 

')  Vgl.  M arquardt.  Kölnische  Staatsverwaltung  II  S.  321. 

*)  Vgl.  hierzu  auch  das  Material  bei  v.  Sjbel,.  Entstehung  des  deut- 
schen Königtums2  S.  50  ff. 


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II.  Die  Hufentheorie  und  verwandte  Theorien. 

Wie  schon  oben  erwähnt,  hat  bereits  J.  Grimm  eine  von 
der  Heerestheorie  abweichende  Ansicht  vertreten.  In  der  ersten 
Auflage  seiner  „Rechtsaltcrtüiner“  hat  er,  gestützt  auf  Verelius1) 
und  Ihre*),  das  schwedische  hundari  und  überhaupt  die  Hundert- 
schaft als  ein  Gebiet  aufgefaUt,  auf  dem  hundert  villae  oder 
praedia  sich  befanden,  also  als  ein  Gebiet,  das  aus  hundert 
Einzelansiedlungen  bestand5).  Dabei  ist  er  aber  nicht  auch  der 
Frage  näher  getreten,  wie  diese  Gebietseinteilung  entstanden  ist. 
Diese  Lücke  sucht  Waitz  auszufüllen:  „So  viele  selbständige 
Volksgenossen  in  einer  Abteilung  des  Volkes  oder  Heeres  zu- 
sammenstanden, so  viel  sind  Hufen  eingenommen  worden“4).  Der 
Vorgang  wäre  also  der  gewesen,  daU  bei  der  Ansiedlung  jeder 
Familienvater  eine  Hufe  in  Besitz  nahm  und  da  Waitz  Hufen 
von  100  Familienvätern  annimmt,  so  ergeben  sich  auf  diese  Weise 
auch  Gebietsteile  von  je  hundert  Hufen.  Nimmt  man  an,  daU 
jede  Familie  ein  praedium  inne  hatte,  so  kommt  man  zurück  auf 
die  100  praedia  bei  Grimm. 

Mit  dieser  Erklärung  des  Entstehens  der  territorialen  Hundert- 
schaft kann  sich  die  „Hufentheorie“,  wie  ich  sie  nennen  möchte, 

')  Verelius,  Indez  linguac  veteri*  scytho-scandieac.  (Upsala  1091), 
S.  128a.  Das  Zitat  entnehme  ich  Grimm  selbst,  da  mir  das  Werk  nicht 
zugänglich  war. 

*)  Ihre,  Glossarium  Suigothicum  (Upsala  1709)  vertritt  s.  v.  hundari 
die  gleiche  Ansicht  wie  Grimm.  Kr  stellt  aber  zur  Wahl,  daU  das  hundari 
auch  deshalb  so  heißen  könne,  quia  centum  milites  tempore  belli  in  aciem 
mittebat  und  führt  s.  v.  h:erad  nur  diese  Krkläruug  an. 

*)  J.  Grimm,  Deutsche  Rechtsaltertniner  1.  (1828)  S.  534.  dass.  4.  Aufl. 
(1899;  II  S.  58.  Auch  Stiernhüök,  Do  jure  Sreonum  et  Gothorum  vetusto 
(Holmiae  1G82)  schreibt  S.  30:  „Centum  autem  ut  plurimum  villas  vel  potius 
colonos  continuisse  videtur,  unde  l'plandis  & Svedis  Cissylvanis  Hundari 
non  obscura  ratione  dicta  fuit“.  Ähnlich  Hcineccius,  Klcmenta  Juris 
Germanici  II1  (1743)  3.  374  ....  Sed  probabilius  est  non  tarn  praedia 
numerasse  Francos  aliasque  gentes,  quam  ipsum  paguin  in  certos  tractus  vel 
ditiones  . . . divisisse*.  Vgl.  ferner  Olaf  Kudbeck,  atland  eller  Manheim 
(Upsala  1G75)  S.  265  ff. 

*)  Vgl.  V-G.  I1  S.  226. 


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33 

nicht  die  Stellung  einer  selbstständigen  Theorie  anmaßen.  Sie 
fußt  vollkommen  auf  der  Heerestheorie,  oder  hat  docli  mit  ihr 
eine  gemeinsame  Grundlage,  da  sie  auch  von  einer  Teilung  des 
Heeres  in  Gruppen  von  Hundert  ausgeht;  daß  Waitz  gerade 
hundert  Familienväter  als  in  einer  Abteilung  vereinigt  annimmt, 
und  nicht  hundert  Waffenfähige  ändert  daran  nichts1). 

Damit  ist  aber  auch  nach  dem  im  vorausgehenden  Abschnitt 
Ausgeführten  über  die  „Hufentheorie“  das  Urteil  gesprochen.  Wir 
wissen  jetzt,  daß  es  keine  Heeresabteilungen  von  hundert  oder 
etwa  hundert  Mann  gab  und  damit  sind  alle  Erklärungen  der 
Hundertschaft  hinfällig  geworden,  die  mittelbar  oder  unmittelbar 
auf  deren  Vorhandensein  beruhen.  Gleichwold  möchte  ich  mich 
nicht  damit  begnügen,  die  Hufentheorie  mit  diesem  Argumente 
allein  zu  bekämpfen,  sondern  vielmehr  versuchen,  auch  mit  anderen 
Gründen  ihre  Unhaltbarkeit  darzutun. 

Audi  wenn  sich  die  Hufentheorie  überhaupt  nicht  auf  die 
bekannte  Heereseinteilung  stützte,  müßte  sie  Hedenken  erregen. 
Kenn  auch  sie  trägt,  wenn  auch  nicht  in  gleichem  Maße  wie 
diese,  sozusagen  den  Keim  des  Untergangs  in  sich.  Sobald  sich 
ein  bisher  in  einem  der  hundert  Haushalte  befindlicher  Sohn 
selbständig  machte,  einen  eigenen  Haushalt  gründete,  war  es 
mit  den  hundert  Hufen  der  „Hundertschaft“  aus.  Die  Neuordnung 
durchbrach  die  alte  Ordnung  und  daß,  solange  Land  in  Überfluß 
vorhanden  war,  nicht  das  alte  Land  weiter  geteilt,  sondern  neues 
in  Anbau  genommen  wurde,  bedarf  keiner  weiteren  Begründung. 
Selbst  wenn  wir  annehmen,  daß  man  es  von  Anfang  au  mit  der 
Zahl  hundert  nicht  genau  genommen  hat,  sodaß  dann  auch  ge- 
ringere Vennehrungen  der  ursprünglich  vorhandenen  praedia  das 
anfängliche  Gesamtbild  nicht  erheblich  veränderten,  so  war  gleich- 
wohl keine  sehr  große  Spanne  Zeit  nötig,  um  die  ganze  Ordnung 
über  den  Haufen  zu  werfen.  Das  ist  so  einfach  und  selbstver- 


')  Zu  weiteren  Vertretern  dieser  Theorie  gehören  Zimmerle,  Has 
deutsche  Stammgutssystem  (1837)  S.  IQ f,  Kaufmann,  Philologie)  XXXI 
S.  496.  Vgl.  auch  Waitz,  I>as  alte  Hecht  der  salischen  Kranken  S.  1 2t». 
Etwas  abweichend  trftgt  Th  ud  ich  um,  Gau-  und  Markenverfassung  (1860) 
S.  32  vor,  daß  die  Hundertschaft  das  einer  Abteilung  von  100  ange- 
wiesene (nicht  von  ihr  eingenommene)  Gebiet,  aber  nicht  = 100  Hufen 
oder  tillae  sei. 

v.  Schwerin,  altgerm.  UuoderUchaft  3 


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34 


stündlich,  (laß  ps  unsere  Vorfahren  vor  zweitausend  Jahren  nicht 
minder  bemerken  mußten.  Auch  Waitz  erkennt  dies  an:  „Aber 
allerdings  werden  bald  die  ursprünglichen  Hunderten  an  Umfang 
weit  über  die  Zahl,  welche  den  Namen  gab,  hinausgewachsen  sein. 
Die  Bevölkerung  mehrte  sich,  neue  Hufen  wurden  ausgemessen, 
neue  Dörfer  angelegt.  Tn  nicht  geringem  Maße  mußte  schon  dies 
zu  Veränderungen  führen“.  Man  muß  überhaupt  bei  der  Frage 
der  möglichen  Beständigkeit  zwischen  einer  Landeseinteilung  nach 
Hunderten  von  Hufen  und  einer  Gliederung  des  Heeres  nach 
Hunderten  einen  großen  Unterschied  machen.  Bei  dieser  wären 
spätere  Ausgleiche  zur  Beseitigung  der  im  Laufe  der  Zeit  ent- 
standenen Unregelmäßigkeiten  viel  leichter  möglich  gewesen,  als 
bei  jener.  Denn  Menschen  hätten  sich,  abgesehen  davon,  daß  es 
ganz  ungennaniseh  gewesen  wäre,  leichter  verschieben  und  so  neu 
ordnen  lassen  können  als  festliegende  Hufen1). 

Auch  in  der  ersten  Einführung  bereitet  eine  Landteilung 
nach  Hufen,  wenn  man  sie  nicht  auf  eine  schon  gegebene  Heeres- 
gliedernng  stützt,  viel  mehr  Schwierigkeiten.  Angenommen  die 
Germanen  hätten  nach  der  Ansiedlung  ihr  Land  in  Abteilungen 
von  je  hundert  oder  etwa  hundert  Hufen  teilen  wollen,  so  hätte 
sich  gezeigt,  daß  das  ein  undurchführbarer  Gedanke  ist.  Damals, 
in  der  Zeit  vor  der  zweiten  Völkerwanderung,  waren  die  Länder, 
in  denen  überhaupt  Germanen  sich  niedergelassen  hatten,  keines- 
wegs dicht  besiedelt.  Es  gab  Weite  Strecken  öden  Landes  und 


')  Die  Unbeständigkeit  einer  „Gliederung  des  Grundbesitzes  nach 
Zahlen"  bat  schon  Landen  a.  a.  0.  S.  223  horvorgehoben  und  diese 
Gliederung  geradezu  als  „widernatürlich“  bezeichnet.  Sachsso  bat  sich 
dagegen  (Grundlagen  S.  240)  über  diesen  funkt  hinwegzuhelfen  gewußt: 
„Ursprünglich  batte  jede  sulche  ('eilten  aus  hundert  freien  Familiengütern 
. . . . bestanden,  und  durch  die  unveränderliche  Zahl  dieser  Liegenschaften 
war  es  möglich  gewesen,  die  ganze  < 'enteil  selbst  und  ihre  Verfassung  in 
unveränderter  Form  zu  erhalten.  Denn  wenn  auch  bald  neue  Guter  durch 
Verbreitung  der  Kultur  entstanden,  so  räumte  mau  doch  ihren  Besitzern 
nicht  die  Vorrechte  der  hundert  freien  Grundbesitzer  in  der  Gemeinde  ein. 
Vielmehr  mußten  sie  durch  einen  von  diesen  in  der  Gemeinde  vertreten 
werden,  wie  die,  welche  gar  keinen  Grundbesitz  hatten,  nnd  so  erhielt  sich 
die  Grundzahl  der  freien  Familien".  Ähnlich  scheint  Rietschcl  seine 
Hufentheorie  halten  zu  wollen.  Vgl.  Bericht  über  die  9.  Versammlung 
deutscher  Historiker  (1907)  ,S.  9.  Aber  auf  Grund  welcher  (juellen? 


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35 


die  besiedelten  Stellen  waren  im  größten  Teil  Deutschlands  als 
Oasen  über  das  Land  verstreut.  Wenn  eine  solche  Oase  gerade 
hundert  Höfe  oder  Hufen  enthielt,  oder  ein  Vielfaches  von  Hundert, 
'•>  ließ  sich  die  Teilung  sehr  wohl  durchführen.  Wenn  aber  die 
Ansiedlung  kleinere  Groppen  ergeben  hatte  oder  wenn  die  Teilung 
größerer  zu  Überschüssen  führte,  die  zu  klein  waren  selbst  eine 
„Hundertschaft“  zu  bilden,  zu  groß  um  nicht  einer  anderen 
Hundertschaft  zugeführt  das  Gleichmaß  zu  sehr  zu  stören,  wie 
»Ute  dann  verfahren  werden?  Es  ist  dies  eine  schwer  zu  beant- 
wortende Frage,  namentlich  dann,  wenn  man  bedenkt,  daß  die 
Zuteilung  solcher  kleineren  Gebiete  an  benachbarte  aber  große  um 
deswillen  nicht  anging,  weil  wohl  immer  eine  bedeutende  Grenze 
<lazwischen  lag. 

Ganz  allgemein  hißt  sich  sagen,  daß  eine  nicht  durch  Volks- 
einteilungen bestimmte  Teilung  eines  Landes  in  abgegrenzte  Areale 
oder  nach  zahlenmäßig  abgegrenzten  Gruppen  von  Höfen  nur  in 
einem  im  wesentlichen  geordneten  und  angebauten  und,  soweit  es 
-ich  um  Wald  handelt,  doch  in  Besitz  genommenen  Land  sich 
durchführen  liißt.  Nnr  unter  dieser  Voraussetzung  kann  man  sich 
V'irstellen.  daß  eine  solche  Einteilung  Bestand  hat,  der  ihr  da 
versagt  sein  muß.  wo  infolge  des  Vorhandenseins  von. noch  unbe- 
rührtem Land,  eine  ständige  Vermehrung  des  zu  teilenden  Bodens 
noch  möglich  ist.  Damit  hängt  es  zusammen,  daß  wir  solche 
Kinteilungen  auch  nur  da  sicher  nachweisen  können,  wo  diese 
Vorausetzung  gegeben  ist.  und  sie  wiederum  findet  sich  aus  leicht 
verständlichen  Gründen  nicht  bei  Völkern,  die  auf  einer  den 
taeiteisclien  Germanen  gleichen  Kulturstufe  stehen.  Man  kann  daher 
»•ine  solche  Einteilung,  wie  ich  schließlich  noch  bemerken  möchte, 
unabhängig  von  einer  eentesimalen  Heeresgliederung  überhaupt 
nicht  verstehen,  wenn  man  die  germanischen  Verhältnisse  ver- 
banden hat. 

Hält  man  aber  an  einem  Zusammenhang  zwischen  militärischer 
und  territorialer  Hundertschaft  fest,  dann  hat  man,  selbst  wenn 
man  militärische  Hundertschaften  annehmen  wollte,  immer  noch  mit 
einer  nicht  zu  überwindenden  Schwierigkeit  zu  rechnen.  Bei  der 
in  der  Natur  der  militärischen  Hundertschaft  liegenden  und  all- 
gemein anerkannten  Unbeständigkeit  des  Zahlenverhältnisses,  darf 
ui, in  nie  die  Frage  beiseitelassen,  ob  denn  in  dem  entscheidenden 

3* 


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3ß 


Moment  das  Zahlenverhältnis  ein  seinem  Namen  entsprechendes 
gewesen  ist.  Und  da  wird  auch  der  entschiedenste  Vertreter  der 
Heerestheorie  zugeben  müssen,  daß  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
gerade  bei  der  Ansiedlung  die  Zahlenverhältnisse  infolge  der 
vorausgehenden  Wanderungen  und  Kämpfe  am  wenigsten  den  ur- 
sprünglich gegebenen  entsprochen  haben.  Gerade  in  diesem  Zeit- 
punkt werden  die  „Hundertschaften“  am  wenigsten  „Hundert- 
schaften“ gewesen  sein.  Und  wenn  das  auch  nicht  verhindern 
konnte,  daß  das  von  einer  solchen  deformierten  Hundertschaft 
eingenommene  Gebiet  von  ihr  den  Namen  entlehnte  und  demzufolge 
auch  Hundertschaft  genannt  wurde,  so  konnte  doch  diese  territoriale 
Hundertschaft  nicht  aus  hundert  Hufen  oder  Höfen  bestehen,  wo- 
fern jedem  Familienvater  oder  jedem  Waffenfähigen  eine  villa 
oder  eine  Hufe  zugebilligt  wurde. 

Ks  ist  charakteristisch  für  die  Vertreter  der  Hufentheorie, 
daß  nirgends  der  Augenblick  scharf  ins  Auge  gefaßt  wird,  in  dem 
sich  die  persönliche  Heeresgliederung  mit  dem  Hoden  verhaftet 
haben  soll.  Sobald  man  dies  tut,  zeigt  sich  ganz  deutlich,  daß 
diese  „Verliegenschaftung“  einer  ohnedies  nur  gedachten  Volks- 
einteilung nicht  minder  wie  diese  selbst  in  das  Gebiet  der  wissen- 
schaftlichen Spekulation  fällt,  und  ebenso  unpraktisch  ist.  als  sie 
praktisch  sein  soll. 

In  den  Quellen  findet  die  Hufentheorie  nicht  den  mindesten 
Anhaltspunkt  und  damit  hängt  es  wohl  auch  zusammen,  daß  sich 
keiner  ihrer  Vertreter  auf  solche  berufen  hat. 

Eine  eingehendere  Widerlegung  der  Hufentheorie  verbietet 
sich  von  selbst,  da  ihre  Vertreter  nicht  nur  von  der  Heranziehung 
ausdrücklicher  Quellenbelege,  sondern  überhaupt  von  einer  ein- 
gehenderen Begründung  Abstand  genommen  haben.  Damit  ist 
Angriffen  der  Angriffspunkt  entzogen.  Nur  auf  zwei  Argumente 
möchte  ich  hinweisen,  die  allenfalls  zu  Gunsten  einer  Hufentheorie 
verwendet  werden  könnten. 

Ohne  Bedeutung  für  die  Hundertschaftsfrage  sind,  wie  unten 
noch  des  näheren  auszuführen  sein  wird,  die  Ergebnisse  der 
eingehenden  Forschungen,  die  in  neuerer  Zeit  insbesondere  von 
Maitland  über  das  Domesday-Book  angestellt  wurden.  Denn  bei 
dem  Landbuche  Wilhelm  des  Eroberers  handelt  es  sich,  wie 
unten  bei  der  Besprechung  des  angelsächsischen  hundred  noch 


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37 


auszuführen  sein  wird,  überhaupt  nicht  um  alte  Hundertschaften, 
sondern  um  Neubildungen. 

Für  nicht  minder  bedeutungslos  erachte  ich  die  in  neuerer 
Zeit  vorgenommenen  Ausmessungen  von  Hundertschaften  auf  dem 
Kontinent  wie  in  Skandinavien,  deren  allerdings  interessante 
Resultate  teils  in  Tabellen,  teils  in  Karten  (Hundertschaftskarten, 
liaukarten.  Heradskarten)  veröffentlicht  werden.  Denn  soviel  Mühe 
auch  auf  die  Feststellung  der  Grenzen  dieser  Bezirke  und  die 
Berechnungen  von  Durchschnittsgrößen  verwendet  wurde,  so  besagen 
doch  die  Ergebnisse  um  deswillen  wenig  für  die  Hundertschaftsfrage 
und  im  besonderen  die  Hufentheorie,  weil  sie  sich  nie  auf  alte  Hundert- 
'chaften  beziehen,  sondern  nur  auf  deren  mehr  oder  weniger 
veränderte  Nachkommenschaft.  Wir  sind  aus  Mangel  an  aus- 
reichendem Quellenmaterial  nicht  in  der  Lage  eine  fränkische 
centena  der  Merowingerzeit,  oder  ein  alamannisches  huntari  zu 
lokalisieren,  sondern  müssen  uns  mit  Centen  und  Gauen  späterer 
Zeit  begnügen,  deren  Identität  mit  alten  Hundertschaften  zwar  als 
Ergebnis  einer  Untersuchung  festgestellt  werden  könnte,  aber  nicht 
ohne  weiteres  angenommen  werden  kann.  Und  selbst  wenn  eine 
solche  Identität  in  einem  konkreten  Falle  einmal  festgestellt  werden 
sollte,  so  ist  damit  nicht  viel  gewonnen.  Denn  ohne  zu  wissen, 
wie  groß  das  ungerodete  und  das  gerodete  Land  war,  können  wir 
keine  Schlüsse  auf  die  Bevölkerungsdichtigkeit  dieser  Hundert- 
schaften ziehen.  Dies  insbesondere  gegen  Meitzen1). 

Mit  der  „Heerestheorie“  und  der  „Hufentheorie“  in  engem 
Zusammenhang  steht  eine  dritte  Anschauung,  die  u.  a.  Sachsse 
mit  den  Worten  vorträgt,  daß  die  Centenen  Bezirke  waren,  „davon 
jeder  zu  dem  regelmäßig  aufzubietenden  Kriegshcere  hundert  Mann 
zu  Fuß  stellen  mußte“  *).  allerdings  ohne  anzugeben,  woraus  dies 
ersichtlich  sei.  Ähnlich  meint  Waitz*),  der  in  seiner  Darstellung 
alle  Theorien  verbindet,  daß  in  späterer  Zeit  wenigstens  bei  den 
nordischen  Völkern  nach  der  Zahl  der  Grundstücke,  nicht  nach  der 
der  waffenfähigen  Männer  Heerdienst  geleistet  wurde;  „so  viele  Hufen 
in  einem  Distrikt,  so  viele  Krieger  mußten  zum  Heer  gestellt  werden; 

')  Siedlung  I und  Atlas  (vgl.  bes.  die  dänische  Heradskarto). 

*)  ijrundlagen  S.  249. 

*)  a.  a.  O.  Vgl.  hierzu  Waitz  das  alte  Recht  der  salischen  Franken 
S.  138. 


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38 


waren  es  hundert,  so  mußten  eben  so  viele  Hufen  da  sein,  und 
eben  aus  diesen  bestanden  die  hundari  des  Nordens.“  Hierbei  beruft 
sich  Waitz  auf  Velsc  ho  w ').  dessen  Arbeit  vennutlieh  auch 
Sachssc  Vorgelegen  hatte. 

Während  aber  Waitz  nach  dem  Angeführten  sieh  nicht  klar 
darüber  ausspricht,  ob  nach  seiner  Ansicht  jeder  Bezirk  oder 
Distrikt  hundert  Hufen  haben  mußte,  was  allein  von  seinem  Stand- 
punkt aus  die  Bezeichnung  hundari  rechtfertigen  würde,  anderer- 
seits aber  doch  nach  der  ganzen  Fassung  vermuten  läßt,  daß  er 
das  Bestehen  auch  anderer  aus  mehr  oder  weniger  Hüten  beste- 
henden Distrikte  annimmt,  spricht  sich  sein  Gewährsmann 
Vclschow  gerade  hierüber  etwas  deutlicher  aus.  Fr  sagt  aus- 
drücklich, daß  bei  der  ersten  Landteilung  jede  centena  hundert 
Hufen  oder  hundert  familias  rusticas  umfaßt  habe  und  daß  dieses 
Verhältnis  den  Grund  dafür  abgah.  daß  jeder  Distrikt  hundert 
Krieger  stellen  mußte2).  Erst  in  der  spateren  Zeit  in  Dänemark 
unter  Waldemar  11..  also  Anfang  des  13.  Jahrhunderts,  nimmt 
Vclschow  eine  Veränderung  dieses  ursprünglichen  Zustandes  an. 

Wie  sich  hier  bei  Velsehow  sehr  deutlich  zeigt  und  auch  in 
der  eigenartigen  Verquickung  bei  Waitz  zum  Vorschein  kommt, 
ist  diese  „Wehrpflichttheorie“  im  Grunde  nur  eine  „Hufentheorie“ 
und.  wenn  man  noch  weiter  geht,  eine  Umbildung  der  ..Heeres- 
theorie.“ Ganz  anders  zu  beurteilen  wäre  diese  Ansicht  dann, 
wenn  sie  nicht  auch  eine  Landeseinteilung  als  primäre  Erscheinung 
ansehen  würde.  Aber  die  Wehrpflicht  kann  nicht  maßgebend  sein 
für  die  Einteilung  eines  Landes,  sie  kann  nicht  das  primäre  sein. 
Aushebungsbezirke  etwa,  deren  Größe  dadurch  bestimmt  wird, 
daß  aus  ihnen  hundert  oder  hundertzwanzig  Krieger  ausgehoben 
werden,  erweisen  sich,  sobald  man  die  praktische  Gestaltung 
überdenkt,  als  unmöglich  s). 

Der  letale  Fehler  der  Wehrptlichttheoric  besteht  darin,  daß 
sie  mit  den  Verhältnissen  einer  Zeit  arbeitet,  die  für  die  Frage 

')  J.  M.  Vclschow,  Cuminentatiu  de  institutis  militaribus  Danorum 
(Hafniae  1831.) 

s)  a.  a.  0.  S.  54  f. 

3)  Auf  die  Spitze  getrieben  ist  die  VVchrpfliclitthcoric  von  Schräder, 
lirallcxikon  s.  v.  Heer,  der  in  dein  pagus  eine  Gemeinschaft  von  Dörfern 
sieht  „die  1000  (1200?)  Krieger  stellten.“  Bemerkenswert  ist  aber,  daü  er 
die  Auffassung  des  pagus  als  Niederlassung  einer  Tausendschuft  ublchnt. 


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39 


der  Entstehung  der  Hundertschaft  als  zu  jung  nicht  mehr  in 
Betracht  kommen  können.  Wir  finden  allerdings  in  der  Zeit  der 
Merowinger  schon  Falle,  in  denen  bestimmte  Mengen  von  Be- 
waffneten gestellt  werden  und  dieses  Aushebungssystem  ist  in  der 
Zeit  der  Karolinger  noch  mehr  ausgebildet  worden.  Hier  wie 
vor  allem  in  den  skandinavischen  Ländern  kommt  allmählich  der 
Bedanke  zum  Durchbruch,  daß  es  für  die  Heerfolgepflicht  nicht 
gleichsriltig  ist,  ob  ein  Angriffskrieg  oder  ein  Verteidigungskrieg 
in  Frage  steht.  So  konnte  nach  der  älteren  Gulathingsbok  297 
'/;  der  waffenfähigen  Mannschaft  zu  einem  Angriffskrieg  aufgeboten 
werden.  Bei  einem  Verteidigungskrieg  dagegen  wurde  durch  die 
alte  Form  des  Herumsenden  eines  Pfeils  die  ganze  waffenfähige 
Mannschaft  aufgeboten ').  Und  dieses  allgemeine  Aufgebot,  dem 
Jetier  zu  folgen  hatte,  ist  das  ältere  und  zugleich  einzige  in  der 
liier  in  Frage  kommenden  Zeit.  Damals,  als  es  alte  Hundert- 
schaften gab  und  als  sie  eingerichtet  wurden,  dachte  man  überhaupt 
nicht  daran,  daß  von  einem  bestimmten  Bezirk  oder  von  einer 
bestimmten  Volksabteilnng  nur  eine  genau  abgegrenzte  Zahl  ins 
Feld  gestellt  werden  sollte.  Ein  solcher  Gedanke  wäre  nicht 
zeitgemäß  gewesen,  weil  es  selbstverständlich  erschien,  daß  mitzog, 
wer  Waffen  tragen  konnte.  Hält  man  sich  dies  vor  Augen,  so 
erscheint  es  ganz  undenkbar,  daß  die  Hundertschaft  ein  Bezirk 
war,  von  dem  hundert  Krieger  gestellt  werden  mußten.  Die 
, Wehrpflichttheorie“  steht  im  schärfsten  Gegensatz  zu  der  allge- 
meinen Wehrpflicht, 

Ganz  in  Verkennung  des  Problems  spricht  Velschow  an 
anderer  Stelle  davon,  daß  eine  Hundertschaft  aus  hundert  Familien 
bestehe:  .centum  patres  familias,  quod  bene  observandum  est,  non 
centum  liberi  tantum  homines 3).“  Und  auch  Weiske  spricht  ein- 
mal davon,  daß  hundert  „Familienhäupter“  zu  einer  Hundertschaft 
gehörten  3). 

Weiske  und  Velschow  scheinen  nicht  zu  bemerken,  wie 
sehr  sie  sich  damit  von  den  „Hundert"  der  Heerestheorie  entfernen. 
In  der  Tat  aber  sind  hundert  Welirpflichtige  und  hundert  Familien- 


9 Vgl.  Taranger  Udsigt.  II  8.  3(4. 
*)  a.  a.  0.  S.  54  Anm.  1. 

*)  Grundlagen  S.  9. 


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40 


väter  etwas  sehr  Verschiedenes.  Wehrpflichtig  war  hei  den 
Germanen  so  ziemlich  jeder,  der  Oberhaupt  Waffen  tragen  konnte. 
Aber  keineswegs  war  jeder,  der  Waffen  trug,  auch  Vorstand  eines 
Haushalts.  Gerade  in  der  frflhgermanischen  Zeit  werden  die 
Abschichtungen  der  Haussöhne  seltener  gewesen  sein,  umsomehr 
als  die  Zustände  auf  der  Wanderung  hierzu  wenig  Veranlassung 
boten.  Im  Gegenteil  werden  die  Söhne  möglichst  lang,  in  äen 
meisten  Fällen  bis  zum  Tode  ihres  Vaters  mit  ihm  gemeinschaft- 
lichen Haushalt  geführt  haben,  was  sogar  später  noch  nachzu- 
weisen ist')-  Hundert  Familienväter  mit  ihren  waffenfähigen 
Hausuntertanen,  den  ihrer  Gewalt  unterworfenen  freien  Männern, 
haben  daher  jedenfalls  die  Zahl  hundert  weit  überschritten ; das 
können  zweihundert,  dreihundert  und  noch  viel  mehr  gewesen  sein. 
Wie  viele  es  waren,  das  läßt  sich,  wie  ja  leicht  verständlich,  ein 
für  allemal  nicht  schätzen  oder  erschließen.  Die  sieh  ergebende 
Zahl  war  reines  Zufallsprodukt  und  von  dem  Willen  der  beteiligten 
Personen  unabhängig.  Schon  wegen  dieser  Unbestimmbarkeit  konnten 
Gruppen  von  hundert  Familienvätern  oder  hundert  Familien  nicht 
die  Grundlage  einer  Heeresorganisation  sein.  Sie  konnten  es  noch 
weniger,  weil  sie  durch  ihre  Haussöhne  oder  Farailienglieder  ganz 
verschieden  vennehrt  wurden,  so  daß  sich  ganz  verschieden  große 
Gruppen  gebildet  hätten.  Bei  dieser  Gliederung  nach  Hunderten 
von  Familienvätern  würde  nicht  nur  wie  bei  den  Gliederungen 
nach  Hunderten  überhaupt  bald  eine  Unordnung  entstanden  sein, 
sondern  sie  wäre  schon  von  Anfang  an  vorhanden  gewesen. 

Dies  bemerke  ich  insbesondere  gegen  Rietschel,  der  in 
allerjüngster  Zeit  die  „Haushaitheorie“  wieder  in  den  Vordergrund 
gestellt  hat5),  zugleich  aber  auch  zugeben  muß.  daß  die  Zahl 
„hundert“  nicht  festgehaltcn  wurde.  Da  mir  die  Begründung,  die 
Rietschel  gibt,  nicht  bekannt  geworden  ist.  kann  ich  ihm  nicht 
weiter  entgegentreten.  Nur  möchte  ich  ihm,  wie  Allen  Anderen 
die  Frage  vorlegen:  wozu  wurde  eine  Einteilung  in  „Hundert“ 
vorgenommen,  wenn  an  der  Zahl  dann  doch  nicht  festgehalten 
wurde  ? 


')  Vgl.  llcusler  Institutionen  I S.  229. 

Verhandlungen  des  9.  deutschen  llistorikcrtags.  S.  8 f. 


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41 


Ganz  ins  Ungeheuerliche  entwickelt  wurrle  eine  scheinbare 
.Heerestheorie“  durch  eine  von  Siegel  vertretene  Gestaltung1). 
Nach  ihm  gehören  nicht  nur  hundert  freie  Männer,  nicht  hundert 
Familienväter,  sondern  hundert  Geschlechter  zusammen.  „Die 
ehemaligen  Scharen  von  je  hundert  Sippen,  in  welche  sicli  die 
germanischen  Völker  zur  Zeit  ihrer  Wanderung  geteilt  hatten, 
waren  mit  der  Niederlassung  zu  Bezirksverbänden  geworden.“ 

Man  mag  hier  Sippe  als  den  agnatischen  Geschlechtsverband 
oder  als  den  Kreis  der  Blutsverwandten  nehmen;  in  beiden  Fällen 
ist  die  Siegel'sche  Ansicht  unmöglich.  Man  könnte  wohl  theo- 
retisch ein  Volk  in  die  (truppen  derer  teilen,  die  in  männlicher  Linie 
n>n  demselben  Stammvater  abstammen.  Bei  reicher  Tradition 
würde  so  das  ganze  Volk  unter  Umständen  in  sehr  wenige,  dafür 
aber  auch  sehr  grolle  Teile  zerfallen.  Und  eine  Reihe  von  ger- 
manischen Völkern  würde  es  nie  auf  hundert  solche  Teile,  also 
nie  auf  eine  Hundertschaft  gebracht  haben.  Fine  Teilung  nach 
Muts  Verwandtschaften  ist  überhaupt  unmöglich;  denn  die  Kreise 
der  Blutsverwandten  sind  nicht  neben  einander  stehende,  sondern 
ineinander  übergreifende  Kreise,  die  eben  deshalb  auch  nicht 
künstlich  getrennt  und  neben  einander  gestellt  werden  können. 

In  der  Tat  hat  auch  Siegel  offensichtlich  an  begrenzte  Teile 
von  Sippen  gedacht3).  Aber  selbst  dann,  wenn  wir  die  engste 
Begrenzung  annehmen.  den  engeren  Verwandtschaftskreis,  sodalf 
eine  Hundertschaft  etwa  aus  hundert  engeren  Verwandtschaftskreisen 
bestehen  würde,  lassen  sich  gegen  Siegels  Anschauung  doch  alle 
die  Gründe  geltend  machen,  die  ich  gegen  die  Haushaitheorie  an- 
geführt habe.  Denn  der  engere  Verwandtschaftskreis  wird  sieb  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  mit  einer  Hausgemeinschaft  decken.  Und 
da.  wo  er  sich  infolge  von  Abschichtungen  nicht  mit  ihr  deckt, 
da  ist  er  in  seiner  Grolle  ebenso  unbestimmt  wie  sie  und  als 
Finteilungsfull  ebenso  ungeeignet.  Dazu  kommt  noch  ein  Weiteres. 
Her  engere  Verwandtschaftskreis  ist  so  wenig,  wie  irgend  eine 
Begrenzung  der  Sippe  etwas  absolutes,  sondern  im  Gegenteil 
etwas  relatives.  Man  kann  ein  Volk  oder  einen  Stamm  so  wenig 

■)  Deutsche  Rechtsgeschichto 3 S.  HS8.  Ebenso  schon  früher  v.  Sybol 
Entstehung  des  deutschen  Königtums3  S.  78.  Dagegen  Sickcl  Freistaat 
S.  88  Anm.  5. 

’)  ebda.  S.  385  f. 


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in  engere  Verwandtschaftskreise  teilen,  wie  in  Blutsverwandtschaften, 
weil  auch  die  engeren  Kreise  fibergreifen.  Der  engere  Kreis  ist 
so  wenig  etwas  absolutes  wie  etwa  die  im  siebenten  Gliede  en- 
dende Sippe.  Nur  einer  bestimmten  Person  können  sechs  andere 
die  gesibbtesten  Hönde  sein,  nur  von  einer  bestimmten  Person 
aus  kann  die  Sippe  im  siebenten  Gliede  enden,  das  bedarf  wohl 
keiner  näheren  Erläuterung.  Es  spielt  hier  herein  der  Begriff  der 
„wechselnden  Sippe1).“ 

Von  hier  aus  ergibt  sieh  die  Unhaltbarkeit  der  SiegePschen 
Ansicht. 

Damit  erledigen  sich  die  mit  der  „Haushalttheorie“  zusammen- 
hängenden, mittelbar  oder  unmittelbar  auf  sie  zurückgehenden  und 
von  ihr  getragenen  Anschauungen. 

Fast  mehr  ein  Kuriosum  ist  eine  Theorie,  die  R.  Bethge*) 
aufgestellt  hat:  mit  Recht  wurde  sie  von  Brunner  als  unhaltbar 
bezeichnet’).  Was  mich  veranlaßt,  trotzdem  näher  darauf  einzu- 
gehen, ist  der  Umstand,  daß,  soviel  ich  sehe,  bis  jetzt  Niemand 
Bethge  ausführlich  entgegnet  hat,  und  seine  Ansicht,  wenn  auch 
dem  Germanisten  auf  den  ersten  Blick  als  falsch  erkennbar,  doch 
infolge  einer  anscheinenden  Glätte  bei  der  germanischen  Zustände 
Unkundigen  Anklang  finden  und  Verwirrung  anrichten  könnte. 

Ohne  auf  die  Frage  des  Verhältnisses  zwischen  principes  und 
pagi  bei  Tacitus  näher  einzugehen,  schließt  Bethge  aus  der  be- 
kannten Stelle  Germ,  eap  l’J:  centeni  singulis  ex  plebe  comitcs 
consilium  simul  et  auctoritas  adsunt  ohne  weiteres,  daß  die  Hundert- 
schaft (centeni)  ein  dem  Gaurichter  (princeps)  beigegebener  Ge- 
richtsrat von  hundert  Mann  sei.  Die  ihm  wohl  bekannte  Behauptung 
der  Recht.shistoriker  von  der  „Unvereinbarkeit  der  taeiteischen 
Hundertschaft  mit  der  germanischen  Gerichtsverfassung“  läßt  ihn 
„völlig  kalt“.  Er  sieht  in  seinem  Gerichtsrat  ein  Überbleibsel 
früherer  Verfassungszustände  und  meint,  diese  Institution  müsse 


‘)  J.  Ficker.  Untersuchungen  zur  Erbenfolge  der  ostgeruianiscbcn 
Stämme  I S.  237  f.  Vgl.  auch  v.  Sybel.  Entstehung  des  deutschen  König- 
tums* S.  37. 

*)  R.  Bethge  die  altgormanischc  Hundertschaft  in  der  Festgabe  für 
K.  Weinhold  dargebr.  v.  d.  Gesellschaft  f.  d.  Philologie  in  Berlin  1896. 

’)  Ug.  I»  S.  IGO  Anm.  13. 


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43 


.aus  den  Bedürfnissen  einer  früheren  Entwicklungsperiode  ver- 
standen werden ').“ 

Bei  der  Durchforschung  dieser  früheren  Periode  kommt  er 
nun  auf  die  Nachricht  bei  Caesar  de  bell  gall.  VI,  'l'l: 

„neque  quisquam  agri  modum  certum  aut  fines  habet 
proprios,  sed  magistratus  ac  prineipes  in  annos  singulos 
gentibus  cognationibusque  hoininum,  qui  una  coierunt, 
quantum  et  quo  loco  visum  est  agri,  attribuunt  atque  anno 
post  alio  transire  eogunt.“ 

Dies  gibt  nun  Anlaß  zu  folgenden  Schlüssen:  „Diese  Be- 
hörde — magistrat  us  ac  prineipes  — muß,  da  die  \ekerverteilung 
und  der  allgemeine  Umzug  natürlich  zahlreiche  Streitigkeiten  mit 
sich  brachte,  die  nicht  erst  vor  dem  nächsten  ungebotenen  oder 
gebotenen  Ding  verhandelt  werden  konnten,  sondern  eine  sofortige 
wenigstens  vorläufige  — Erledigung  erheischten,  notwendiger- 
weise gewisse  polizeiliche  und  richterliche  Befugnisse  gehabt 
haben.  Es  scheint  uns  ganz  selbstverständlich,  daß  sie  dem 
prineeps,  wenn  er  als  (jaurichter  Gerichtstage  abhielt  und  Streitig- 
keiten beilegte  ....  in  genau  derselben  Weise  als  consilium 
-imu!  et  auetoritas  beistand,  wie  die  centeni  des  Taeitus.  Kurz 
und  gut,  die  richterliche  Hundertschaft  des  Taeitus  ist  niclds 
anderes  als  die  den  jährlichen  Flurwechsel  leitende  „Behörde“ 
magistratus)  Cäsars1)  . . .“.  Aber  nicht  zufrieden  damit,  auf 
diese  Weise  Gerichtsrat  und  Ackerverteilungsbehörde  identifiziert 
zu  haben,  kombiniert  Bethge  noch  weiter:  „Dem  mit  polizeilich- 
richterlichen Befugnissen  ausgestellten  Hundertaussehuß  muß,  das 
erfordert  die  Logik  der  Tatsachen  unabweislich,  ein  hervorragend 
militärischer  Charakter  beigewohnt  haben,  auf  dem  ihre  (!)  in 
friedliche  Verhältnisse  mitübernommene  polizeilich-richterliche  Ge- 
walt beruhte  und  aus  dem  die  Sonderstellung  der  richterlichen 
Hundertschaft  gegenüber  der  Gerichtsverfassung  verständlich  wird, 
'on  diesem  Gesichtspunkt  aus  erscheint  die  Identität  der  richter- 
lichen Hundertschaft  mit  der  militärischen  Hundertschaft  der  ge- 
mischten Elitetruppe  (Tac.  Germ.  c.  t>  Gaes.  B.  G:  I,  4«)  unab- 
weisbar“. 


‘)  Hethgc,  a.  a.  O.  S.  4f. 
»;  a.  a.  O.  S.  5f. 


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44 

Für  4 io  taciteische  Zoit  nimmt  dann  Bethge  allerdings  an. 
daß  „die  ehedem  in  der  einen  Hundertschaft  vereinigten  mili- 
tärischen und  richterlichen  Funktionen  nunmehr  unter  zwei  ver- 
schiedene Körperschaften  verteilt  waren“. 

Was  zunächst  den  , Gerichtsrat“  anlangt,  so  ist  er  eine  voll- 
kommen unmögliche  Sache.  Als  solche  muß  er  jedem  erscheinen, 
der  die  permanischen  Verhältnisse  kennt.  Ihn  aus  noch  früheren 
Zeiten  erklären,  hieße  vollends  die  Dinpe  auf  den  Kopf  stellen. 
Die  lledenken,  die  der  Rechtshistoriker  gegen  den  „Gerichts rat“ 
aus  dem  Wesen  des  pennanischen  Gerichtsverfahrens  heraus  peltend 
machen  muß,  sind  nicht,  wie  Bethpe  meint,  damit  beseitipt,  daß 
die  urteilende  Tätipkeit  des  Umstands  anerkannt  wird. 

Der  Hundertschaftsausschuß  ist  auch  dann  noch  vollkommen 
unverständlich,  wenn  er  auch  nur  den  Urteilsvorschlap  pemacht 
haben  soll.  Gewiß  mußte  der  Urteilsvorschlap  nicht  immer  von 
einem  an  der  Sache  Unbeteiligten,  a quovis  ex  plebe,  oder  um- 
gekehrt perade  vom  Kläper  oder  Beklagten  ausgehen.  So  sicher 
einerseits  bis  in  das  Mittelalter  herein  jedem  beliebigen  Mitglied 
der  Gerichtsgemeinde  das  Recht  zustand,  ein  Urteil  vorzuschlagen, 
ebenso  sicher  haben  wir  in  den  fränkischen  raehineburgii,  dem 
bairischen  esago,  dem  friesischen  asega  Personen  vor  uns,  deren 
Pflicht  es  war,  auf  Ersuchen  der  Parteien  ein  Urteil  vorzu- 
schlagen. Es  gab  also  im  Entwicklungsgang  des  germanischen 
Prozesses. immerhin  „Ausschüsse“,  die  Urteilsvorschläge  machten. 
Aber  man  darf  auch  dabei  nicht  übersehen,  daß  diese  pflicht- 
mäßigen  Urteilsleute  erst  einer  späteren  Entwicklungsperiode  an- 
gehören. In  germanischer  oder,  wie  Bethpe  haben  will,  in  ur- 
gennanischer  Zeit  kann  davon  keine  Rede  sein;  da  sind  solche 
Vorschlaper  ausgeschlossen.  Daß  ein  Kollegium  von  hundert  Ur- 
teilern eine  unbewegliche  Masse  und  schon  deshalb  unbrauchbar 
ist,  erwähne  ich  nur  nebenbei1). 

Leider  verschweigt  uns  Bethpe,  wie  dieser  Gerichtsrat  zu- 
stande gekommen  sein  soll;  er  meint  nun  daß  man  ihn  „irgend- 
wie (!)  kreirte“.  Daß  er  aber  der  Frage  dieser  Kreation  nicht 
weiter  nachgegangen  ist,  muß  entschieden  als  Fehler  erachtet 

’)  AuiTallenderwcise  findet  sich  diese  „Katconturic“  auch  bei  Möllen- 
hoff (I>.  A.  IV.  -252). 


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45 


werden.  Denn  falls  sich  Bethge  den  Geburtsakt  seines  Geriehts- 
rats  etwas  lebhafter  vorgestellt  hätte,  wären  ihm  vielleicht  auch 
Zweifel  an  seiner  Existenz  gekommen.  Wenn  tausend  Leute  aus 
ihrer  Mitte  hundert  auswählen  sollen,  so  ist  das  noch  heutzutage 
eine  ziemlich  umständliche  Sache.  Wenn  es  sich  aber  um  ger- 
manische Zeit  handelt,  dann  wird  Jeder,  der  sich  in  die  Einfach- 
heit germanischer  Verhältnisse  hineindenken  kann  und  nicht 
immer  moderne  Begriffe  darin  suchen  und  linden  will,  einen  solchen 
Wahlakt  als  etwas  unharmonisches  und  geradezu  unmögliches 
empfinden. 

Auch  sonst  spricht  der  praktische  und  nüchterne  Sinn  der 
Germanen  gegen  einen  solchen  Gerichtsrat.  Die  Germanen  haben 
doch  sicher  nicht  auf  einem  zum  mindesten  für  die  damalige  Zeit 
äußerst  umständlichen  Wege  ein  Organ  geschaffen,  dessen  Tätig- 
keit darin  bestanden  hätte,  eine  Funktion  auszuüben,  die  Jeder 
der  Wählenden  ebensogut  selbst  erledigen  konnte.  Es  wäre 
dieser  Gerichtsrat  ein  durchaus  unnötiges  Organ  gewesen,  was  ja 
schon  daraus  horvorgeht,  daß  er  sich  nicht  einmal  in  der  ger- 
manischen Gerichtsverfassung  findet.  Und  selbst  wenn  man,  um 
auch  diese  Möglichkeit  nicht  außer  Acht  zu  lassen,  annehmen 
wollte,  daß  dieses  Organ  schon  zu  anderen  Zwecken  vorhanden 
war  und  nur  für  den  Urteilsvorschlag  adaptiert  wurde,  so  wird 
man  auch  da  noch  vergebens  nach  dem  vernünftigen  Grund,  in 
diesem  Falle  der  Adaption,  fragen. 

Aus  ähnlichen  Gründen  läßt  sich  behaupten,  daß  die  Ger- 
manen auch  zur  Ackerverteilung  eines  Hundertausschusses  nicht 
bedurften.  In  der  Wanderungszeit  war  ein  Ackerverteilungsorgan 
deshalb  unnötig,  weil  nur  bei  Ansiedlungen  Äcker  zu  verteilen 
sind.  Und  wenn  einmal  in  der  Wanderung  ein  so  lange  dauernder 
Stillstand  eintrat,  daß  an  eine  Feldenvirtschaft  gedacht  werden 
konnte,  dann  war  sicher  mit  der  Behörde,  die  sich  Bethge  vor- 
stellt, nichts  gedient;  sie  hätte  überhaupt  nicht  als  Hundertaus- 
schuß in  Tätigkeit  treten  können.  Das  Niederlassungsgebiet  einer 
Tausendschaft,  die  wir,  um  überhaupt  diskutieren  zu  können,  zu- 
nächst als  vorhanden  annehmen  müssen,  war  für  alle  Fälle  viel 
zu  groß,  als  daß  der  Hundertausschuß  hätte  herumreisen  und 
jedem  Familienvater  Land  zuteilen  können.  Solche  Ackerzuteilungen 
sind  praktisch  nur  dann  denkbar,  wenn  sie  in  kleinerem  Mußstuh 


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d.  h.  für  kleinere  Gebiete,  für  einzelne  Teile  des  Tausendschafts- 
gaues, durch  verschiedene  Personen  gleichzeitig  stattgefunden  haben. 
Dazu  hätte  sich  aber  der  Hunderterausschuß  teilen  müssen  und 
die  Germanen  wären  ebensoweit  gewesen,  wie  wen n sie  ohne  den 
Ausschuß  die  Ackerverteilung  durch  Altermänner  oder  Dorf- 
vorsteher oder  Häuptlinge  vornehmen  ließen.  Solche  Personen 
konnte  dann  auch  Caesar  ohne  der  Sprache  Gewalt  anzutun 
magistratus  heißen.  Wenn  Bethge  sich  umgesehen  hätte,  was 
bei  den  Römern  magistratus  hieß,  dann  hätte  ihm  nicht  erst 
Brunner  sagen  müssen,  daß  Caesar  nie  und  nimmer  einem 
solchen  Ausschuß  für  Urteilfindung  und  Ackerverteilnng  die  Be- 
nennung magistratus  hätte  geben  können. 

Ist  somit  in  der  Hundertschaft  weder  ein  Urteilerkollegium 
noch  eine  Ackerverteilungsbehörde  zu  sehen,  so  erübrigt  es  sich 
wohl,  auch  auf  die  dritte  Gleichung  Bethge's,  die  Gleichsetznng 
der  Hundertschaft  mit  der  Elitetruppe  näher  einzugehen.  Denn 
es  könnte  ohnedies  nur  noch  die  Frage  zur  Erörterung  kommen, 
in  welchem  Verhältnis  die  Hundertschaft  zu  der  Elitetruppe 
stand,  und  diese  Frage  muß  im  Folgenden  noch  in  anderem  Zu- 
sammenhang erledigt  werden.  Nur  darauf  möchte  ich  im  Vor- 
beigehen hinweisen,  daß  schon  von  Anfang  an,  nicht  erst  in  der 
Zeit,  die  Bethge  passend  erscheint,  für  die  Auswahl  von  Urteil- 
lindern und  Ackerverteilem  einerseits  und  Elitekämpfern  anderer- 
seits so  völlig  verschiedene  Gesichtspunkte  hätten  maßgebend  sein 
müssen,  daß  die  Wahl  schwerlich  auf  die  nämlichen  Personen 
hätte  fallen  können. 

Nicht  unerwähnt  bleiben  dürfen  die  Anschauungen,  die 
E.  Mayer  in  seiner  deutsch-französischen  Verfassungsgeschichte 
ausgesprochen  hat1).  Mayer  nimmt  an,  „daß  es  ursprünglich  in 
der  Hundertschaft  hundert  an  der  Waldmark  berechtigte  Leute 
man  darf  sagen  Familienhäupter  — gab  und  daß  diese  Be- 
rechtigungen mit  der  steigenden  Bevölkerung  sich  nicht  vermehrt 
haben,  sondern  begrenzt  geblieben  sind.“ 

Aber  man  wird  vergebens  nach  einer  Antwort  auf  die  Frage 
suchen,  woher  denn  bei  der  Waldverteilung  diese  Hundertzahl 
kommen  soll.  Angenommen  selbst,  daß  cs  Heeresabteilungen  von 


')  E.  Mayer,  Deutsche  und  französische  Vcrfassuiigsgesrhichte  I.  8.  434  ff. 


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hundert  Mann  je  gegeben  hat,  sind  die  hundert  Waldberechtigungen 
nicht  zu  erklären.  Erstens  sind,  wie  wiederholt  hervorgehoben 
werden  muß,  hundert  Wehrpflichtige  und  hundert  „Familien- 
lwupter“  nicht  dasselbe.  Wenn  sieh  bei  der  Niederlassung  eine 
Abteilung  von  hundert  Wehrpflichtigen  in  einer  sogenannten 
„Hundertschaft1-  niedergelassen  hätte,  so  würde  das  immer  noch 
nicht  eine  Ansiedlung  von  hundert  Familienhäuptern  oder  hundert 
Gehöften  gegeben  haben.  Sodann  wurde  bei  den  germanischen 
Ansiedlnngen  der  Wald  überhaupt  nicht  aufgeteilt.  Er  war  und 
blieb  noch  lange  Gesamteigentum  mit  ungemessenem  Nutzungs- 
recht der  (ienossen.  Zu  einer  Zeit  aber,  in  der  eine  Teilung  des 
Waldes  erfolgte,  sei  es  auch  nur  eine  Nutzungsteilung,  kann  nach 
May  er 's  eigener,  richtiger  Anschauung  gar  nicht  mehr  an  gerade 
hundert  zu  berücksichtigende  Genossen  gedacht  werden.  Mayer 
sagt  ja  selbst,  daß  die  ursprüngliche  Einteilung  des  Heeres  in 
Abteilungen  von  Hundert  „für  ein  seßhaftes  Volk  sehr  bald  den 
Sinn  verlieren  muß“.  Noch  in  der  fränkischen  Zeit  ist  Gesamt- 
eigentum am  Walde  die  Regel,  Zuweisung  von  Wald  an  Einzelne 
zur  Sondernutzung  und  Beschränkung  des  Rodungsrechts  die  Aus- 
nahme. Und  für  diese  Periode  geben  auch  die  entschiedensten 
Vertreter  zahlenmäßiger  Volkseinteilungen  und  Heereseinteilungen 
zu,  daß  von  den  Zahlenverhältnissen  außer  dem  Namen  nichts 
mehr  vorhanden  ist.  Wie  sollte  man  in  noch  späterer  Zeit  bei 
der  endlichen  Aufteilung  der  gemeinen  Mark  auf  den  Gedanken 
verfallen,  ein  längst  obsolet  gewordenes  Organisationsprinzip  her- 
vorzuholen und  nun  gerade  hundert  Waldberechtigungen  zu 
schaffen,  weil  Jahrhunderte  vorher  hundert  selbständige  Familien- 
häupter oder  hundert  Wehrpflichtige  allenfalls  im  Besitz  dieser 
Almende  waren.  Und  wie  hätte  man  denn  mit  hundert  Anteilen 
die  damals  schon  weit  zahlreicheren,  gleich  starken  Ansprüche 
befriedigen  sollen?  In  den  vielen  Jahrhunderten  seit  der  An- 
siedlung war  eine  Reihe  neuer  Gehöfte  von  Gliedern  altansässiger 
Familien  sowohl,  wie  von  Ausmärkern  gegründet  worden.  Diese 
alle  hatten  Nutzungsrecht  an  der  gemeinen  Mark.  Sollten  sie 
nun  bei  der  Aufteilung  leer  ausgehen? 

Das  sind  Konsequenzen,  die  man  nur  anzudeuten  braucht, 
um  zu  zeigen,  daß  Organisationen,  die  sie  im  Gefolge  haben, 
nicht  möglich  sind.  Davon  hätte  sieh  auch  Mayer  überzeugt, 


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wenn  er  nicht,  wie  die  Vertreter  aller  dieser  Theorien  durch  das 
Wort  „Hundertschaft“  auf  einen  Zahlbegriff  hingewiesen  worden 
wiire  und  wenn  ihn  nicht  eine  overysselsche  Urkunde  anscheinend 
dabei  unterstfitzt  hätte1).  Deren  hier  einschlägige  Sätze  sind 
folgende: 

„noverit.  tarn  successio  posterorum  ic.  :c.  quod  ego  Rodul- 
fus  de  Steinvorth  pro  remissione  peccatomm  meorum  et 
animae  meae  salute  quicquid  haereditatis  liberae  liabui  in 
Fullenho  videlicet  XXII  portiones  quns  Warscaph  vocant,  et 
quicquid  deinceps  ibidem  adquisiero  in  tirmam  et  stabilem 
possessionen  donaverim  ad  servicium  Dei  k.  je.  Portionum 
autem  supradictarum  (nicht  orum  wie  Mayer  druckt)  X jacent 
inter  C portiones  illorum  de  Ostergo  III1  vero  sunt  de 
allodio  de  Metlire.  Item  IIII  inter  C illorum  de  Wye  item 
II  inter  C illorum  de  Suthegoe  I de  Lenethe  et  I de  Jsle- 
muthen*).“ 

Betrachtet  man  diese  Stelle  vorurteilsfrei,  so  zeigt  sich,  daß 
die  von  Mayer  gegebene  Auslegung  nicht  auf  unbedingte  Richtig- 
keit Anspruch  machen  kann.  Mayer  nimmt  an,  daß  die  Graf- 
schaft Fullenho,  in  der  er  den  alten  pagus  forestensis  oder 
eomitatus  Agridiocensis  sive  Cmbalaha  wiedersieht,  in  Goe  zu  je 
100  warshap  zerfallen  sei,  die  in  dieser  Stelle  auftreten.  Vollen- 
hove,  Ysselmuden  und  Wyhe  seien  später  noch  Schnlzenämter, 
Ostergo  und  Suthego  seien  spurlos  verschwunden,  Lenethe  eine  zum 
Schulzenamt  Dalfßen  gehörige  Mark;  über  Metlire  äußert  sich 
Mayer  nicht  weiter.  Wenn  man  nun  damit  Karten  vergleicht, 
so  zeigt  sich,  daß  der  Bezirk  Fulnaho  im  it.  Jahrhundert1),  wie 
um  das  Jahr  1000*),  begrenzt  ist,  nördlich  vom  Waldago  oder 
Stell ingawerf,  östlich  von  Trenthe,  südlich  vom  Islego,  westlich 
von  der  Znidersee.  Bei  dieser  Abgrenzung  fällt  kein  Teil  des 
Laufes  der  Yssel  in  den  Bezirk  Fullenho,  und  die  in  deren 
nächster  Nähe  oder  an  ihr  gelegenen  Orte  Lenthe,  Wyhe  und 
Islemuthe  liegen  außerhalb  seiner.  Ganz  gleich  nun,  ob  und  wie 
sich  Fulnaho  in  späterer  Zeit  erweitert  hat,  auch  wenn  es  im 

')  Vgl.  hierzu  Mayer  a.  a.  0.  I.  S.  412. 

s)  J.  W.  Kacer,  Overysselsche  Godonkstukken  II.  (1782)  S.  200f. 

s)  v.  Richthofen,  Untersuchungen  II.,  1 S.  125  und  Karte  in  II.  2. 

*)  Karte  bei  Droysen:  Deutschland  uui  das  Jahr  1000. 


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4!» 

12.  Jahrhundert  diese  Orte  enthalten  hatte,  so  steht  doch  damit 
fest,  daß  in  einer  Zeit,  in  der  die  Hundertsehaftsverfassung  langst 
durchgefuhrt  sein  mußte,  die  (Joe,  die  zur  Grafschaft  Fnlnalio 
gehören  sollen,  in  einem  anderen  Bezirk,  nämlich  im  Islego, 
liegen.  Es  fehlt  also  an  dem  Konnex  der  späteren  Einteilung 
mit  der  früheren. 

Da  es  außerdem  ganz  unzulässig  ist,  den  in  der  Urkunde 
genannten  Ostergn  und  Suthergo  nicht  auf  die  naheliegenden 
friesischen  Teile  dieses  Namens  zu  beziehen  und  ohne  weiteres 
anzunehmen,  daß  es  später  „verschwundene  Gaue“  sind,  so  stößt 
die  Auslegung,  die  Mayer  dieser  Urkunde  gegeben  hat,  auf  er- 
hebliche topographische  Schwierigkeiten.  Diese  hat  Mayer  aller- 
dings nicht  bemerkt.  Sie  hätten  ihn  sonst  wohl  veranlaßt,  die 
Erkunde  anders  zu  interpretieren. 

Rudolf  von  Steinfurth  schenkt  der  Kirche  in  Lctthe  22  wars- 
eaph.  die  er  „in  Fullenho“  besitzt,  wobei  schon  auffallend  ist, 
daß  es  nicht  heißt  „in  comitatu  Fullenho“.  Von  diesen 
22  warseaph  sollen  10  liegen  „inter  C portiones  i Horum  de 
Ostergo.“  Hier  fällt  auf.  daß  es  nicht  heißt  entweder  „in 
Ostergn“  oder  „X  haben  in  Ostergo“.  Das  wäre  doch  die  natür- 
lichste Fassung,  wenn,  wie  Mayer  annimmt,  ausgedrückt  werden 
-dl.  daß  diese  Teile  im  Ostergo  liegen.  Es  ist  aber  in  Wahr- 
heit nicht  die  Fassung  auffallend,  sondern  die  Erklärung  von 
Mayer  paßt  nicht  zum  Inhalt  der  Urkunde  und  infolgedessen 
auch  nicht  zu  ihrer  Fassung. 

Mayer  geht  davon  aus,  daß  Fullenho  „zweifellos  identisch“ 
ist  „mit  dem  pagus  forestensis  oder  comitatus  Agridiocensis  sive 
Finbalaha  in  den  Urkunden  des  10.  und  1 1.  Jahrhunderts“.  Aus 
den  von  ihm  erwähnten  Belegstellen')  geht  aber  nicht  sicher  her- 
vor. daß  der  pagus  forestensis  sich  mit  dem  comitatus  Agridio- 
censis sive  Umbalaha  deckt,  wohl  aber  daß  der  pagus  forestensis 
in  einem  comitatus  liegt.  Ebensowenig  ist  dort  davon  die 
Rede,  daß  Fullenho,  wie  Mayer  annimmt,  eine  Grafschaft  ist. 
Dagegen  ist  deutlich  zu  ersehen,  aber  Maver  anscheinend  ent- 

')  Hei  S.  J.  Fnkcuia- Andrcao,  De  stail  VullunhoTc  en  haar  recht I. 
S.  2f. 

t.  Schwerin,  allgerui  Hundt-rUtbafl  t 


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gangen,  daß  Fullenho  ein  Wald  ist.  Denn  in  einer  Urkunde  von 
943  heißt  es  „in  Sylva,  quae  nuncupatur  Fulnaho“1). 

Hieraus  ergibt  sich  Folgendes.  Der  Wald  Fulnaho  war  in 
warscaph*)  geteilt.  Wieviele  Teile  es  gab,  wissen  wir  nicht  und 
ist  auch  ohne  Belang.  Von  diesen  Teilen  hatte  Rudolf  von  Stein- 
furth •J'J;  deshalb  sagt  er  „quicquid  liberae  haeredidatis  habui 
in  Fullenho“.  Hundert  Teile  gehörten  den  Leuten  vom  Ostergo 
(„illi  de  Ostergo“),  hundert  denen  von  Wye  („illi  de  Wyc“) 
u.  s.  f. ; so  erklärt  sich  auch  diese  Fassung. 

Diese  Auslegung  entspricht  Fassung  und  Inhalt  der  Urkunde, 
sowie  dem,  was  wir  sonst  über  Fulnaho5)  wissen.  Sie  zeigt  aber 
auch,  mit  wie  wenig  Orund  diese  Quelle  von  Mayer  zum  Beweise 
seiner  Hundertschaftstheorie  herangezogen  wurde.  Ks  ist  voll- 
kommen ausgeschlossen,  daraus  irgendwelche  Schlüsse  zu  ziehen 
über  das  Bestehen  oder  Xichtbestehen  von  Hundertschaften  oder 
ihr  Wesen.  Warum  der  Wald  Fulnaho  geteilt  wurde,  warum 
gerade  die  Genannten  Anteile  hatten,  warum  Kinzelne  gerade 
hundert,  das  sind  Fragen  für  sich,  die  hier  nicht  zu  erledigen 
sind,  deren  Lösung  auf  das  Gesagte  ohne  Einfluß  bleibt'). 

Ähnlich  gestaltet  ist  die  Theorie  von  Meitzen1),  der  unter 
ausdrücklicher  Verwerfung  der  Heerestheorie  und  der  Hufentheorie 
den  Grund  der  nach  seiner  Ansicht  feststehenden  Zusammen- 
fassung der  freien  Volksgenossen  in  Gruppen  von  Hundert  in  den 
Verhältnissen  der  Nomadenzeit  sucht.  Es  kommt  Meitzen,  wie 
ich  zur  Vermeidung  von  Mißverständnis  besonders  betone,  nicht 

■)  l'rkundc  von  043,  im  Auszug«  ebenda:  Koke  in  a bemerkt  ganz 
richtig:  „De  nnatn  Eulnahn  wordt  hier  dus  gegeven  aan  oen  bosch“. 

*)  llozüglich  warschap  vgl,  Maurer,  Geschichte  der  Markenverfassung 
in  Deutschland  S.  Ö0 fl.  Dali  es  mit  waterscapium  identisch  ist,  bezweifle 
ich.  Auch  verzeichnet  Ducangc  sowohl  waterscapium  wie  warescapium. 

3)  Vgl.  Kokcma- And  reac  a.  a.  O.,  wo  ersichtlich  ist,  daß  Fullenho 
auch  Name  einer  am  Ostufer  der  Zuidersee  und  westlich  des  Wahles  ge- 
legenen befestigten  Stadt  ist. 

4)  Von  hier  ans  entfallt  auch  die  Bedeutung  anderer  Argumente,  die 
Mayer  zur  l'nterstntzung  seiner  Theorie  herangezogen  hat,  wie  i.  ß.  die 
ßehauptung.  daß  der  sächsische  gogreve  von  den  Krfezen  gewählt  wird. 
Jedorh  werde  ich  bei  Besprechung  der  einzelnen  Gebiete  im  Krankenreich 
auf  solche  Argumente  zuriiekkommen. 

s)  A.  Meitzen  Siedlung  I.  140  ff. 


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:>i 

darauf  an,  zu  beweisen,  daß  eine  solche  Einteilung:  bestand,  son- 
dern darauf,  zu  zeigen,  wie  sie  entstand.  Er  geht  davon  aus, 
daß  es  Gruppen  von  120  Familien  gab  und  stellt  dann  die  Frage, 
wie  sich  in  der  Nomadenzeit  diese  Gruppen  gebildet  haben  können. 
Bei  der  Beantwortung  berechnet  er  den  „Verbrauch  einer  deutschen 
Hirtenfamilie  an  Nahrungsstoffen“  „auf  den  Kopf  jährlich  etwa 
zu  200  kg.  Fleisch  2400  Liter  Milch  und  50  kg.  Getreide.“  „Die 
Familie,  mit  ihren  Angehörigen  zu  acht  Köpfen,  jung  und  alt. 
gerechnet,  vermag  deshalb  mit  dem  Ertrage  von  HO  hinreichend 
gut  ernährten  Kühen  auskömmlich  zu  leben.  120  Familien  werden 
also  einen  Viehstand  besitzen  müssen,  welcher  3600  Kühen  gleich 
käme“.  Sodann  berechnet  er  die  Nahrungsbedürfnisse  der  3600 
Kühe  und  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  zu  ihrer  Befriedigung  ein 
Weiderevier  von  durchschnittlich  3 Quadratmeilen  erforderlich 
sei.  Ferner  stellt  dann  Meitzen  fest,  daß  die  dänischen  Hemd 
durchschnittlich  eine  Größe  von  5,3  Quadratmeilen  haben  und  er 
endet  dann  seine  Untersuchung  mit  folgenden  Ausführungen : 
„Die  Verhältniszahlen  zeigen,  daß  auf  den  Gebieten  der  alten 
Harden  je  120  Hirtenfamilien  durchaus  nicht  überreichlich,  sondern 
auf  den  kleineren  nur  knapp,  den  Unterhalt  für  ihre  nötigen 
Herden,  und  damit  ihren  eigenen  zu  linden  vermochten.  Es  ist 
deshalb  auch  keine  Veranlassung,  nach  irgend  einem  besonderen 
Grunde  der  Hardenabgrenzung  zu  suchen.  Ungefähr  120  Familien 
sind  ganz  angemessen  als  die  zweckmäßige  und  übliche  Personen- 
zahl zu  betrachten,  durch  welche  diese  notwendig  gemeinsame 
Hirten  Wirtschaft  von  den  nach  dem  Weidegang  und  der  Jahres- 
zeit wechselnden  Lagerplätzen  aus  betrieben  wurde.“ 

Es  ist  klar,  daß  dieses  Gebäude  von  Hypothesen  nicht  auf- 
geführt worden  wäre,  wenn  nicht  die  Rechtshistoriker  das  Bestehen 
zahlenmäßig  abgegrenzter  Gruppen  von  je  hundert  bestimmt  be- 
hauptet und  dabei  durch  Aufstellung  von,  wie  Meitzen  richtig 
erkannte,  haltlosen  Entstehungsgründen  für  diese  Gnippen,  zum 
Aufsuchen  anderer  Gründe  veranlaßt  hätten.  Aber  auch,  wenn 
man  davon  ausgeht,  daß  es  solche  Hunderte  gegeben  hat,  muß 
man  die  Erklärung,  die  Meitzen  gibt,  ablehnen.  Denn  mit 
ebensoviel  Wahrscheinlichkeit,  lassen  sich  110  oder  115  oderauch 
125  Hirtenfamilien  als  die  Bewohner  eines  Herad  berechnen. 

Es  ist  jedenfalls  ausgeschlossen  mit  Hilfe  der  Meitzen 'sehen 

4' 


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52 


Hypothesen  die  Existenz  zahlenmäßiger  Volksabteilungen  zu 
beweisen,  mehr  noch,  als  sie  zu  stützen.  In  der  Tat  ist  das  auch 
noch  nicht  versucht  worden  und  jeden  spätereu  Versuch  wird  die 
Überfülle  von  Hypothesen  an  einem  Erfolg  hindern. 

Zum  Schlüsse  sei  bemerkt,  daß  sich  die  Ausführungen  von 
Meitzen  nur  auf  die  Hundertschaft  als  Landeinteilungsprinzip 
beziehen.  Bei  den  Hundertschaften  in  der  Gerichtsverfassung  und 
im  Heere  handelt  es  sich  nach  seiner  Meinung  zweifellos  „um 
120  waffenfähige  Freie,  im  Wesentlichen  also  um  120  Familien- 
väter.“ Für  eine  solche  Scheidung  besteht  jedoch  nicht  der 
geringste  quellenmäßige  Grund.  Sie  ist  offensichtlich  nur  eine  Hilfs- 
hypothese, um  die  „Weidetheorie“  mit  den  Quellen  in  Einklang 
bringen  zu  können. 

Überblicken  wir  alles  bisher  Gesagte,  so  zeigt  sich,  daß  zwar 
über  die  Entstehung  der  Hundertschaften  sehr  verschiedene  An- 
sichten vertreten  werden,  daß  aber  auch  keine  dieser  Theorien 
befriedigen  kann. 

Hierbei  habe  ich,  wie  hier  hervorgehoben  werden  muß,  die 
Differenzierungen  beiseite  gelassen,  die  sich  ergaben  durch  ab- 
weichende Ansichten  über  die  Stellung  der  Hundertschaft  im 
Gesamtbild  der  germanischen  Verfassung,  ihr  Verhältnis  zum  pagns 
und  ihre  Funktionen.  Die  Hereinziehung  aller  dieser  weiteren 
l'ntcrschiede  hätte  nicht  nur  die  Sonderung  der  Theorien  über  die 
Entstehung  der  Hundertschaft  und  ihr  Wesen  unmöglich  gemacht, 
da  die  Stellungnahme  in  diesen  Einzelfragen  die  Vertreter  der 
verschiedenen  Theorien  nicht  selten  wieder  verbindet,  sondern  sie 
hätte  auch  die  folgende  Darstellung  sehr  erheblich  gestört  und 
zahlreiche  Wiederholungen  zur  Folge  gehabt.  Es  hätten  hier 
Quelleninterpretationen  erfolgen  müssen,  die  notwendig  in  den 
späteren  Zusammenhang  gehören. 

Das  Ergebnis  der  bisherigen  Ausführungen  soll  aber  kein 
negatives  sein,  indem  es  uns  zwingt,  die  bisherigen  Anschauungen 
ohne  genügenden  Ersatz  fallen  zu  lassen,  sondern  wir  können 
gerade  aus  der  Kritik  der  vertretenen  Anschauungen  den  Weg 
entnehmen,  auf  dem  die  Entwicklung  einer  neuen  Ansicht  möglich 
sein  wird. 

Die  erwähnten  Theorien  scheitern,  wenn  man  die  Sache  genau 


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53 

betrachtet,  alle  an  der  .Zahl Sei  es  nun,  dal!  die  zahlenmäßige 
Gliederung  von  Anfang  an  unmöglich,  sei  es  daß  die  Beständigkeit 
der  einmal  vorgenommenen  Gliederung  ausgeschlossen  erscheint. 
Wir  werden  daher  mit  Recht  fragen,  oh  die  Hereinziehung  des 
ZahlbegrifTes  in  die  ganze  Frage  überhaupt  berechtigt  erscheint 
und  da  er  offensichtlich  durch  das  Wort  Hundertschaft  herein- 
gekommen ist,  erscheint  es  angezeigt,  zunächst  den  Begriff 
.Hundertschaft“  vom  sprachlichen  Gesichtspunkt  aus  zu  erläutern. 


III.  Worterklärung. 

Die  Rprachform  „Hundertschaft“  ist  sehr  jung  und  an- 
scheinend von  den  historischen  Wissenschaften  geprägt  als  eine 
Ibersetzung  des  lateinischen  „centena“.  Als  Zusammensetzung  der 
Zahl  .hundert“  mit  der  Ableitungssilbe  „-Schaft“  bedeutet  .Hundert- 
schaft“ ein  Verhältnis  von  hundert  Einheiten;  es  ist  ein  Kollektivum 
von  hundert1;.  Dies  genügt  es,  festgestellt  zu  haben;  denn  für 
die  weitere  Untersuchung  können  wir  nicht  von  einer  Rprachform 
ausgehen,  die  sich  Jahrhunderte  später  gebildet  hat,  als  die  letzten 
Spuren  germanischer  Hundertschaften  verschwunden  waren.  Xur 
darauf  möchte  ich  hinweisen,  daß  von  dieser  modernen  Form 
ausgehend  die  in  den  vorhergehenden  Abschnitten  behandelten 
Theorien  sprachlich  wenigstens  gerechtfertigt  wären;  denn  sie 
operieren  ja  mit  hundert  Einheiten. 

Man  könnte  dann  an  Ausdrücke  denken,  die  sich  im  Spät- 
mittelalter  und  am  Beginn  der  Neuzeit  finden  und  sowohl  sprach- 
lich wie  inhaltlich  mit  Hundertschaft  in  enger  Beziehung  stehen. 
Ich  meine  nämlich  huntschaf5),  hontschaft  *),  hundsehaft5)  hont- 

')  Recht  deutlich  wird  dies  bei  Weisko,  die  Grundlagen  der  früheren 
Vcrfassnng  Deutschlands.  S.  4.  „Betrachten  wir  unsere  eigenen  Quellen  und 
gehen  wir  namentlich  auf  Tacitus  zurück,  so  ist  es  nicht  zu  leugnen,  daß 
er  eine  durchgreifende  Einrichtung,  bei  der  hundert  Personen  in  irgend 
(!)  einem  Betracht  Vorkommen,  vor  Augen  hatte.“ 

s)  Vgl.  Wilmanna  deutsche  Grammatik 1 11  S.  300. 

3)  Grimm  Weistümer  II  7.79. 

•)  ebda.  II  764.  II  692. 

*)  ebda.  II  677. 


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schap ').  Aber  auch  da  haben  wir  es  mit  Formen  zu  tun,  die 
weit  jünger  sind,  als  die  letzten  Reste  germanischer  Verfassung 
und  überdies  ist  es  sehr  zweifelhaft,  ob  gerade  diese  Ausdrücke 
Begriffe  wiedergeben,  die  den  germanischen  Hundertschaften  sachlich 
entsprechen. 

Damit  ist  die  Reihe  der  Bildungen,  die  etymologisch  nach 
gleichem  Prinzip  gebildet  sind  wie  unser  „ Hundertschaft“,  erschöpft, 
und  wenn  wir  uns  «lern  Hundertschaftsproblem  auf  sprachlichem 
Wege  nähern  wollen,  so  müssen  wir  gleich  auf  die  Worte  zurück- 
gehen, die  in  germanischer  und  fränkischer  Zeit  der  Wiedergabe 
des  Begriffes  dienten,  den  wir  jetzt  mit  Hundertschaft  bezeichnen. 

Dieser  Worte  sind  nicht  viele.  Die  Franken  sprachen  bekannt- 
lich von  einer  centena.  Aber  dieses  Wort  scheidet  aus.  weil  es 
lateinisch,  möglicherweise  die  Wiedergabe  eines  mißverstandenen 
deutschen  Wortes,  nach  früheren  Ansichten  allerdings  sogar  ein 
latinisiertes  deutsches  Wort,  dann  aber  sehr  zweifelhafter  Natur  ist. 
So  bleiben  zunächst  das  altschwedische  hundari,  das  im  ala- 
mannischen,  also  oberdeutsch,  lautgesetzlich  entsprechend  als 
huntari  erscheint,  und  das  angelsächsische  hundred.  Von  ihnen 
möchte  ich  das  letztgenannte  Wort  aus  doppeltem  Grunde  nicht 
zur  Grundlage  einer  Untersuchung  nehmen.  Erstens  ist  es  gerade 
beim  angelsächsischen  hundred  sehr  bestritten,  ob  es  überhaupt 
eine  germanische  Hundertschaft  und  nicht  vielmehr  eine  Neu- 
bildung ist,  und  zweitens  ist  hundred  ursprünglich  nichts  anderes 
als  ein  Kardinalzahlwort,  woraus  den  selbstständigen  Bildungen 
hundari  und  huntari  ein  bedeutender  Vorzug  erwächst. 

Das  Wort  hundari.  und  was  von  diesem,  gilt  auch  von  huntari, 
ist  eine  Bildung  aus  dem  Simplex  hund  und  dem  ja-Suffix  -ari  *). 
Welche  Funktion  gerade  bei  diesem  Worte  dem  Suffix  -ari  zukommt 
ist  dunkel:  jedenfalls  bildet  es  ein  sächliches  Konkretum  und  stellt 
fast  vereinzelt  einer  großen  Anzahl  von  Fällen  männlichen 
Geschlechts  gegenüber.  Inhaltlich  vertritt  hier  -ari  m.  E.  das 
spätere  -seaft.  Dies  legt  insbesondere  die  Form  hunaria  nahe: 
denn  hunaria  ist  gleich  hontschaft  und  überhaupt  entspricht  dem  gcr- 

')  ebda.  II  694 

*)  Vgl.  Wilinanns  a.  a.  0.  II  S.  292.  F.  Kluge  Nominale  Stainm- 
bildungslehrc  der  sdtgcrmamsclien  Dialekte*  § § 9.  11.77. 


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55 


manischen  -ari  (-arja)  das  lateinische  -arius  -a,  um').  Die  Lücke 
in  der  Erklärung  der  sprachlichen  Bedeutung  kann  jedoch  ohne 
Bedenken  offengelassen  und  aus  der  sachlichen  Bedeutung  ergänzt 
werden.  Daß  hundari  ein  räumliches  Gebiet  bezeichnet,  steht 
außer  Zweifel  und  das,  was  wir  zu  untersuchen  hatten,  ist  über- 
haupt nicht  das  Suffix,  sondern  die  erste  Hälfte  des  Wortes,  das 
Simplex  liund. 

Dieses  Simplex  ist  bekannt  im  Gotischen  und  Althochdeutschen, 
nicht  aber  in  den  übrigen  germanischen  Sprachen,  die  nur  Zu- 
sammensetzungen mit  liund  kennen.  Sowohl  hier  wie  dort  hat 
es  in  der  Regel  die  Bedeutung  unseres  heutigen  hundert. 

Hund  ist  nach  der  neuesten  Forschung  zurückzuführen  auf 
*kmto-m,  das  schon  indogermanisch  ein  Wort  zur  Bezeichnung 
von  hundert  Einheiten  gewesen  sein  soll;  es  wäre  demnach  urver- 
wandt mit  lat.  centum,  griech.  ixativ,  altind.  satä-m,  litauisch 
-zimtas *).  Das  idg.  kmto-m  ist  seinerseits  nach  der  jetzt  herr- 
schenden Ansicht  von  Bugge  abgeleitet  aus  idg.  dt'km  - zehn 
durch  das  betonte  Abstraktsuffix  -to.  Die  Grundbedeutung  von 
kmto-m  sollte  dann  „Zehnheit-  von  Dekaden  sein5).“ 

An  dieser  Etymologie  fällt,  wenn  man  von  der  lautgesetzlichen 
Seite,  die  nicht  zu  beanstanden  ist.  absieht,  zweierlei  auf,  worauf 
bis  jetzt,  soviel  ich  sehe,  noch  nicht  hingewiesen  worden  ist. 

Es  erscheint  mir  vor  allem  fraglich,  ob  die  Indogermanen 
bereits  bis  hundert  gezählt  haben.  Daß  dem  so  war,  ist  bis  jetzt 
allgemein  angenommen  worden.  Und  in  der  Tat  haben  wir,  anders 
als  bei  tausend,  in  fast  allen  indogermanischen  Sprachen  für  den 
Begriff  -Hundert“  Bezeichnungen,  die  sich  auf  eine  gemeinsame 
indogermanische  Wurzel,  eben  das  vorgenannte  kmto-m  zurück- 
führen lassen.  Damit  ist  aber  gleichwohl  nicht  bewiesen,  daß  die 
Indogermanen  bis  hundert  zählten,  sondern  im  günstigsten  Fall 
nur,  daß  ihre  Sprache  diese  Wurzel  enthielt. 

•)  Vgl.  hierzu  J.  Grimm,  Grammatik  d.  deutschen  Sprache  II  (1893) 
S.  120  f.  127.  128.  Kluge  a.  a.  0.  § 35.  Braune  Althochdeutsche  Grammatik 
$ 200.  Streitberg  Urgcrmanische  Grammatik1.  S.  235. 

*)  Vgl.  Brugmann.  Vergleichende  Grammatik  der  indogerm.  Sprachen 
1**4)  8.  367  ; GrundrilPder  Grammatik  der  indogerm.  Sprachen  Hd.  II.  S.  501 

*)  S.  Bugge  Etymologische  Beiträge  in  den  Beitr.  z.  Kunde  der  indo- 
genn.  Sprachen  XIV.  S.  72.  F.  Kluge  in  Pauls  Grundritl  I’S.  490. 


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Forscht  man  in  der  Reihe  der  indogermanischen  Sprachen 
weiter  nach  den  verschiedenen  Zahlwörtern  und  ihren  Bildungen, 
so  zeigt  sieh  als  auffallende  Erscheinung,  daß  im  Germanischen 
und  im  Baltisch-Slavischen  die  Bildung  der  Zehner  von  20 — ISO 
hezw.  von  20 — 00  ganz  verschieden  ist  von  der  Bildung  dieser 
Zahlen  in  den  übrigen  indogermanischen  Sprachen1).  Wahrend 
in  diesen  nach  der  herrschenden  Anschauung  die  Zahlen  gebildet 
werden  durch  „Komposita  mit*  -[d]  kmt-  *[d]  kom-t-,“  erfolgt  in 
jenen  beiden  Sprachen  die  Bildung  „mit  dem  Abstraktum  *dekmt-.  “ 
Zu  dieser  eigenartigen  Erscheinung  bemerkt  Brugmann  lediglich: 
„Im  Germ,  treten  an  die  Stelle  der  altüberkommenen  Ausdrücke 
für  20 — GO  solche  mit  dem  Abstraktum  *dekmt-“  und  „Im  Halt- 

o 

Slav.  die  gleichartige  Neuerung  für  20 — 00.“  Daß  hier  Neu- 
erungen vorliegen  und  die  jetzt  in  den  beiden  Sprachen  üblichen 
Formen  an  die  Stelle  solcher  getreten  sind,  welche  den  Bildungen 
in  den  übrigen  germanischen  Sprachen  entsprechen,  ist  aber  eine 
vollkommen  willkürliche  Hypothese.  Wir  haben  für  die  Tatsache 
einer  solchen  Neuerung  nicht  den  mindesten  Anhaltspunkt.  Was 
soll  die  germanischen  und  die  baltisch-slavischen  Völker  zu  einer 
plötzlichen  Änderung  veranlaßt  haben?  Es  handelt  sich  ja  nicht 
etwa  um  eine  Entlehnung;  denn  diese  Neuerungsformen  sind  mit 
indogermanischer  Wurzel  gebildet  und  die  anderen  Spraehstämme, 
die  für  eine  Entlehnung  in  Betracht  kommen  könnten,  bilden  ihre 
Zehner  gerade  nicht  so. 

Sehr  auffallend  wird  diese  abweichende  Zehnerbildung  noch 
dadurch,  daß  die  germanischen  und  slavisch-haltischen  Sprachen 
zusammen  den  nordeuropiiischen  Zweig  des  indogermanischen 
Sprachstammes  ausmachen.  Es  bildet  also  der  nordeuropäische 
Zweig  seine  Zehner  anders  als  der  sQdeuropäisclie  und  dieser 
Umstand  spricht  dafür,  daß  die  Zehnerbildung  vor  der  Trennung 
der  beiden  Hauptgruppen  der  indogermanischen  Sprachen  überhaupt 
noch  nicht  erfolgt  war.  Jedenfalls  scheint  mir  diese  Annahme  die 
verschiedene  Zehnerbildung  besser  zu  erklären  als  die  einer  plötz- 
lichen, durch  nichts  veranlaßten  „Neuerung.“ 

Der  andere  Punkt,  der  mir  die  angeführte  Etymologie 
zweifelhaft  erscheinen  laßt,  ist  die  Erklärung  von  Hundert  als 

’)  Vgl.  Iirugman»  a.  a.  0.  S.  Öfifi  f. 


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.Zehnheit  von  Dekaden.“  Denn  diese  Erklärung  enthält  zwei 
Ratsei. 

Zunäc  hst  ein  psychologisches.  Wie  alle  abstrakten  Begriffe 
ist  auch  der  der  Zeh nheit  oder  Dekade  kein  sehr  leicht  falllicher  und 
hei  primitiven  Völkern  inutl  er  immerhin  überraschen.  Doch 
scheint  er  nach  dem  schon  Gesagten  bestanden  zu  haben;  die 
Bildung  von  dekm-to-m  deutet  darauf  hin  und  ich  möchte  dem 
nicht  mit  allgemeinen  Gründen  entgegentreten.  Dagegen  ist  auf 
der  den  Indogermanen  eigenen  Kulturstufe  eine  so  abstrakte 
Bildung  wie  eine  Dekade  von  Dekaden  doch  etwas  ungeheuerlich. 
Ich  halte  es  für  vollkommen  ausgeschlossen,  daß  die  Indogermanen 
die  zweifellos  vorhanden  gewesene  Wurzel  mit  dieser  Bedeutung 
gebraucht  haben. 

Dazu  kommt  aber  noch  etwas  Anderes.  Kluge1)  sagt  über 
die  Etymologie  von  Hundert:  „Das  indogermanische  Zahlwort 
skmt«  „hundert“  ist  augenscheinlich  d(e)kmto  „Zehnheit“,  wobei 
.von  Dekaden“  zu  ergänzen  ist.“  Nun  soll  die  Existenz  des  Ab- 
straktums „Zehnheit“,  wie  oben  schon  hervorgehoben,  durchaus 
nicht  bestritten  werden.  Aber  vollkommen  unverständlich  ist  mir 
die  Art,  auf  die  dieses  Wort,  das  doch  ursprünglich  nach  der 
herrschenden  Ansicht  einzig  und  allein  „Zehnheit“  bedeutete,  zu 
der  Bedeutung  Hundert  gelangt.  Woher  soll  denn  diese  Ergän- 
zung „von  Dekaden“  kommen,  für  die  wir  nicht  den  mindesten 
Anhaltspunkt  besitzen?  Es  ist  ganz  unmöglich,  daß  in  einer 
Sprache  ein  und  dasselbe  Lautbild  Zehnheit  und  Hundertheit 
bedeutet.  Das  läßt  sich  nur  dann  denken,  wenn  das  betreffende 
Volk  überhaupt  noch  nicht  zwischen  Zehn  und  Hundert  zu  unter- 
scheiden vermag,  also  erst  bis  Zebu  zu  zählen  versteht  oder  etwa 
Mikzessiv  in  der  Weise,  daß  ein  Wort  zunächst  zur  Bezeichnung 
v»n  zehn  Einheiten  verwendet  wird,  später  unter  Aufgabe  dieser 
Bedeutung  zur  Bezeichnung  von  hundert  Einheiten  •).  Endlich 


')  in  Pauls  Grundriß  I S.  489. 

r;  So  scheint  cs  bei  dein  nltind.  dasati-s  zu  sein:  daneben  gab  es  ein 
bc*  »idercs  Wort  für  hundert  nümlich  satä-m.  Ob,  wie  Krugniann  Gmndr. 
a.  a.  O.  8.  501  meint,  got.  tai  huntc-hund  einem  gricch.  entspricht, 

scheint  mir  sehr  fraglich. 

I'affir  daß  in  frühester  Zeit  hund  soviel  wie  zehn  bedeutete  vgl. 
Wiliuanns  a.  a.  0 II  S.  597. 


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fehlt  jede  Erklärung,  wie  das  Großhundert,  das  doch  keine  Dekade 
von  Dekaden  war,  die  Bezeichnung  hund  haben  konnte. 

Diese  Erwägungen  müssen  dazu  führen,  die  bisherige  ety- 
mologische Erklärung  von  hund  aufzugeben  und  es  fragt  sich 
nun.  was  an  ihre  8telle  gesetzt  werden  soll. 

Im  Anschluß  daran,  daß  Brugmann  griecli.  nie  mit 

altindisch  yä-yvant  vollständig,  ganz,  jeder,  in  Verbindung  bringt, 
hat  Falk  zu  dieser  Gruppe  noch  das  im  Altnordischen  als 
erstes  Kompositionsglied  verkommende  -hund-  gestellt1).  Noree n 
ist  ihm  hierin  beigetreten*).  Als  indogermanische  Grundtonn  hatte 
Brugmann  eine  Form  ku-nt  angenommen,  also  eine  Form  mit 
labiovelarem  Anlaut.  Dieser  konnte  sich  ganz  gesetzmäßig  im 
Griechischen  zu  ir,  im  Lateinischen  zu  <ju  iquantus)  verwandeln. 
Im  Germanischen  tritt  an  seine  Stelle  in  der  Regel  hw.  Vor  a 
aber  mußte  dieses  w nach  einem  urgermanischen  Gesetze  schwinden, 
und  so  erscheint  die  von  Falk  angenommene  Zusammenstellung 
lautgesetzlich  zulässig. 

Die  ses  hund  nun  als  erste  Kompositionshälfte  entspricht  dem 
griech.  ri;  nicht  nur  lautgesetzlich,  sondern,  wie  Falk  an  Beispielen 
gezeigt  hat,  haben  beide  in  der  Wortbildung  die  gleiche  Funktion 
übernommen.  Hund  hat,  wie  Fritzner3)  ausfuhrt,  in  Zusammen- 
setzungen mit  einem  folgenden  Adjektiv  eine  verstärkende  Bedeu- 
tung oder  drückt  aus,  daß  eine  Eigenschaft  in  einem  besonders 
hohen  Grade  verbanden  ist.  Demzufolge  entsprechen  sich  nord. 
hunddjarfr,  und  gr.  ravraXfior,  nord.  hund-fom  und  griech.  itiii-roiXato,-. 
hund-margr  und  griech.  saV-jroXot,  nord.  hund-viss  und  griech. 
noiv-jo In  diesen  Wörtern  bedeutet  hund  soviel  wie  „sehr“. 
Ob  dies  auch  bei  hund-heiffinn  der  Fall  ist,  erscheint  fraglich 
und  ich  möchte  mich  mit  Falk  auf  den  verneinenden  Standpunkt 
stellen;  angesichts  des  Umstands,  daß  nicht  nur  altnord,  zu  lesen 
ist  heiiVinn  sem  hundr  sondern  auch  angels.  tVone  hceö'enan  hund, 
scheint  mir  hier  die  Zusammensetzung  mit  hundr  = canis  wahr- 
scheinlicher. 


')  Falk  in  Akadcmisku  Afhaudlingur  til  l’rof.  l)r.  S.  Iingge  (Kristiania 
188!))  S.  lö. 

*)  Norcen,  l'rgertnanischc  Lautlehre  S.  lfifi. 

3)  Fritzner,  Ordbug  ovor  det  gainlc  norske  Sjirog.1  s.  v.  hund. 


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5« 

Geht  man  von  dieser  Gleichung  aus,  so  liegt  es  nahe,  auch  in 
dem  Simplex  liund  nichts  anderes  zu  sehen  als  den  Ausdruck  für 
eine  „ Vielheit“,  eine  „Menge“.  Es  ist  mit  anderen  Worten  eine 
Hundzahl,  die  neben  einer  bestimmten  numerischen  Funktion  noch 
die  weitere  hat,  Mengen  zu  bezeichnen,  die  man  nicht  zählen 
will,  oder  nicht  zählen  kann. 

Bei  dieser  Annahme  läßt  es  sich  dann  leicht  erklären,  wie 
ein  Wort,  das  ursprünglich  nur  „zehn“  oder  „Dekade“  bedeutete 
im  Laufe  der  Zeit  zu  der  Bedeutung  „hundert“  kam.  Der  Vor- 
gang war  folgender.  Die  Indogermanen  werden,  wie  alle  Völker 
auf  der  untersten  Stufe  der  Entwicklung,  anfangs  nicht  weit  gezählt 
haben.  Sie  blieben  bei  der  natürlichen  Zahl  „zehn“  stehen. 
Dieses  „zehn“  nun  konnte  namentlich  in  der  abstrakten  Form  zu 
einem  Mengenbegritf  werden,  da  gerade  die  Schlußzahlen  der 
Reihe,  die  gezählt  wird,  dazu  hinneigen,  Rundzahlen  zu  bilden. 
Sehr  deutlich  zeigt  sich  dies  an  Schock  und  sescenti  die  unter  dem 
Einfluß  des  Sexagesimalsystems  zu  solchen  Hundzahlen  sich  aus- 
gebildet haben,  ohne  dabei  ihre  Bedeutung  als  Bezeichnungen  für 
eine  bestimmte  Zahl  von  Einheiten  zu  verlieren.  Bei  „zehn“ 
(liund)  muß  die  Entwicklung  eine  etwas  verschiedene  gewesen  sein. 
Als  man  begann,  über  zehn  hinaus  zu  zählen,  konnte  zehn  nicht 
mehr  zur  Bezeichnung  von  allen  höheren  Zahlen  verwendet  werden; 
es  schieden  die  aus,  welche  man  zählte.  Dagegen  war  kein  Hin- 
dernis vorhanden,  daß  nicht  dieses  zehn  seine  Funktion  als  Men- 
genwort beibehielt.  Und  in  dieser  Funktion  mußte  es  sehr  geeignet 
erscheinen  zur  Bezeichnung  der  sich  nun  ergebenden  Endstufe  für 
das  Zählen  von  Einheiten,  zur  Bezeichnung  von  hundert  Einheiten, 
zugleich  aber  auch  aller  Summen,  die  größer  waren  als  hundert. 

Dafür  nun,  daß  Hundert  als  Mengenbezeichnung  in  den 
indogermanischen  und  insbesondere  in  den  germanischen  Sprachen 
verwendet  wurde,  ergibt  sich  eine  Reihe  von  Anhaltspunkten. 

Von  den  antiken  Völkern  waren  es  besonders  die  Griechen 
und  Römer,  die  ix«iv  und  centum  dazu  benützten,  eine  Menge 
von  Einheiten  auszudrücken,  die  man  nicht  weiter  zählen  wollte, 
von  der  man  sich  aber  auch  bewußt  war,  daß  sie  nicht  gerade 
aus  hundert  Einheiten  hestand.  Aus  dem  Griechischen  ist  wohl 
am  bekanntesten  die  die  keineswegs  immer  ein  Opfer 

von  hundert  Tieren,  sondern  nur  ein  sehr  großes  Opfer  bezeich- 


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r,o 


net**,  die  «»tojisoX«  xpjjti),  Kreta  mit  den  „vielen“  Städten,  die 
£X7TÖ|irufc7t  Gr;  Sn,  das  Theben  mit  den  „zahlreichen“  Thoren;  dazu 
wären  dann  noch  Wörter  wie  ixaTovrafuXto»,  ixzTovrdp'/ou;,  £x»ro-- 
ixiTÄf/etp,  £X7töv$o,o;  zu  stellen ').  Im  Lateinischen  finden 
sich  centiceps,  centifolius,  centigranius,  centimannns,  centoculus. 

Auch  in  modernen  Sprachen  können  wir  diese  Verwendung 
von  hundert  finden.  So  nennt  Tommaseo  das  ital.  cento  ein 
nuinero  determinato  per  l'indetenninato  unter  Anführung  von  Bei- 
spielen wie  disse  cento  propositi  oder  ei  son  ritornato  le  cento 
volte2).  Ebenso  finden  wir  hundred  im  Englischen  gebraucht 
„indefinitelv  or  hyperbolically  for  a large  ntimber“’). 

Was  sodann  die  historischen  germanischen  Sprachen  betrifft, 
so  möchte  ich  auch  hier  einige  Beispiele  antuhren,  deren  uns 
sehr  schöne  die  Edda4)  bietet.  So  heißt  es  z.  B. 

Vafprüpnismql  1 s ; 

Vigripr  heitir  vqllr  es  finnask  vigi  at 
Surtr  ok  en  srqsu  gop; 

h undrap  rasta  liann's  ä hverjan  veg, 
sä’s  peim  vpllr  vitapr. 

tSrimnismöl  23: 

Kimm  hundrup  dura  ok  of  fjönim  tegum 
hykk  ä Val  hol  lu  vesa; 

ätta  hundrup  einherja  ganga  ör  einum  dumm, 
päs  peir  lära  vip  vitni  at  vega. 

24.  Kimm  hundrup  golfa  ok  of  fjörum  tegum 
hykk  Bilskirni  mep  bugum5). 


’)  Thcsauraus  Graecae  Linguae  (H.  Stephanus,  Paris  18351  s.  v.  ixKov. 

*)  N.  Tominaseo,  Dizionario  della  Lingua  italiana  (Torino  1865) 
s.  v.  cento. 

3)  Murray,  A new  cnglisb  dictionary  on  historical  principles  (1901) 
s.  t.  Immired. 

*)  Pie  Zitate  sind  nach  der  Ausgabe  von  H.  Gering  (1904). 

5)  Daß  hier  zu  den  fünfhundert  noch  viermal  zehn  hinzugenonunen 
sind,  macht  die  Summe  nicht  zu  einer  bestimmten  Zahl  540.  Vermutlich 
ist  auch  40  eine  Itundzahl : vgl.  hierüber  Hi rzel  Über  ltundzahlen  (Bcrichtei 
über  die  Verhandlg.  d.  lt.  stchs.  Gesellschaft  d.  Wissenschaften  z.  Leipzig. 
Philos. -hist.  Kl.  1885,  S.  1 ff,  S.  6 Cf.) 


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<;i 

Gylfaginning  XXVII.') 

„Hann  pirf  ininna  svefn  c*u  fugl,  hann  »er  jafn  nütt  sein 
dag  humlrat  rasta  l'rä  ser,  liaiui  heyrir  ok  pat  er  irras 
vex  a jonVu  ....** 

und  ebda.  XXI. 

„.  . eil  hüll  hans  lieitir  Bilskirnir,  i peini  eru  fimin 
hundrinV  gölfa  ok  fjdrir  tigir“*). 

In  allen  diesen  Fallen  ist  liundrap  nicht  zur  Bezeichnung 
von  genau  abgezählten  hundert  Einheiten,  sondern  vielmehr  zur 
Bezeichnung  einer  ganz  besonders  grollen  Menge  gebraucht.  Es 
gehört  hierher  auch  die  bekannte  Stelle  aus  den  Kenningur:  lierr 
er  hundraiV,  die  uns  in  anderem  Zusammenhang  noch  weiter  be- 
schäftigen wird. 

Aus  der  angelsächsischen  Literatur  erwähne  ich  einige  Stellen 
im  Beovulf1). 

14!hi.  Söna  pa*t  onfunde  se-O'e  flöda  begong 
heoro-glfre  beheold  hu  ml  missera, 
grim  ond  grsedig  , pset  pa*r  giunena  sinn 
:el-wihta  eard  ufon  cunnode. 

17(19.  Swä  ic  Hring-I)ena  hund  missera 
weold  under  wolcnum  . . . 

227  N.  Swä  se  fffeod-seeaiVa  preo-hund  wintra 
lieold  on  hrüsan. 

Zahlreiche  Beispiele  Hellen  sich  aus  der  mittelhochdeutschen 
Literatur  anführen;  ich  muLt  mich  hier  auf  wenige  beschränken. 

Parzival  237,1 4 1 

der  taveln  hundert  muosten  sin, 
die  man  dö  truoc  zer  für  dar  in; 

trojanische  Krieg  10ti7l>5) 

von  ir  gewunnren  was  ein  krä 
diu  wol  hundert,] aric  schein; 

')  Citicrt  nach  der  Ausgabe  von  F.  Wilkcn  (•iermanistisclic  Hand- 
bibliothek, Paderborn.) 

*)  Vgl.  zu  fjiirir  tigir  S.  00  Amu.  5 und  als  fernere  lleispiele  Hvmis- 
kvida  8.  Vülumlarkvipa  Huudingsbaua  II.  2li. 

3)  Ausgabe  von  Holder. 

*)  Hrsg.  v.  Leilzmann  in  der  l’aul'seben  Teitbibliothek. 

'■’)  llrsg.  v.  A.  v.  Keller  (1838). 


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i ;-2 


Kudrun  138') 

Dö  er  begunde  nahen  in  sines  vater  laut 
- die  vil  wlten  bürge  het  er  e bekant  — , 
einen  palas  höhen  kos  er  bi  dem  vluote; 
drin  hundert  türm*  such  er  da  vil  veste  unde  guotv. 

In  diesen  Beispielen*)  sehen  wir  nicht  nur  das  Simplex 
hund,  sondern  auch  die  Ableitungen  hundrap  und  hundert  als 
Kundzahl  verwendet.  Dieses  hundrap  oder  hundert  gibt  für  sich 
allein  noch  Veranlassung,  sich  näher  mit  ihm  zu  beschäftigen. 

Hundert  ist  nämlich  aus  hunda-rap  entstanden  und  dieses 
zusammengesetzt  aus  dem  wohlbekannten  Simplex  hund  und  einem 
Substantiv,  das  zu  dem  Verbum  rap.jan  „zählen“  gehört.  Hundert 
heißt  demnach  wörtlich  die  „Hundertzahl“3).  Darin,  daß  die 
Germanen  diese  Form  gebildet  haben,  sehe  ich  einen  weiteren 
Beweis  dafür,  daß  das  Simplex  hund  ursprünglich  Menge  bedeutete. 
Diese  Bildung  entspringt  dem  Bedürfnis,  der  Zweideutigkeit,  die 
sich  bei  Verwendung  von  hund  in  einer  doppelten  Funktion 
ergab,  ein  Ende  zu  bereiten.  Man  stellte  neben  das  bisherige  all- 
zu unbestimmte  Hundert  nunmehr  ein  gezähltes  Hundert. 

Damit  begann  aber  auch  für  das  Simplex  hund  der  Ver- 
schwindungsprozeß.  Wir  können  noch  verfolgen,  wie  allmählich 
hund  durch  hundert  verdrängt  wurde.  Im  Gotischen  linden  wir 
nnr  das  Simplex  hund;  die  Bildung  mit  rapjan  ist  unbekannt. 
Ebenso  ist  es  im  Althochdeutschen  und  erst  im  Mittelhochdeutschen 


')  Hrsg.  v.  II.  Sy  ui  uns  in  der  Paid'achcn  Toxtbibliothek. 

’)  Weitere  Beispiele  bei  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  s.  v.  Hundert  7. 
Auch  die  hundert  Götzenbilder  im  Tempel  des  Thor  in  Gudhun  mögen 
hierher  gehören  (Schlyter,  Samlode  afhaudlingur  II  S.  40). 

s)  Wilmanns  a.  a.  0.  II.  507.  Eine  andere  Erklärung  gibt  Heyne 
im  Grimm Vclien  Wörterbuch  s.  v.  Hundert.  Kr  geht  aus  von  alt», 
hunderöd  und  führt  dieses  Wort  auf  ein  Verbum  hnnderün  zurück,  das  in 
Hundert  gliedern  bedeuten  soll.  Dagegen  ist  erstens  cinzuwcnden,  daß  die 
Form  hunderöd  gegenüber  sowohl  engl,  hundred  wie  aschw.  hundrap  und 
an.  hundratV  isoliert  steht.  Ks  ist  kein  Grund,  von  der  selteneren  Form 
auszugehen.  F'erner  kennt  kein  germanischer  Dialekt,  auch  das  sächsische 
selbst  nicht,  ein  Verbum  hunderön  oder  eine  entsprechende  Form.  Endlich 
würde  das  Verbum,  von  hund  abgeleitet  wohl  liundön  nicht  hunderön  heißen. 


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«3 


ist  hundert  im  Gebrauch.  Im  Angelsächsischen  bestehen  hnnd 
und  hundred  neben  einander:  aber  hund  wird  immer  seltener  bis 
schließlich  nur  mehr  hundred  angewendet  wird.  Im  Fränkischen 
findet  sich  chunna,  abgeleitet  von  chund. 

Mit  dieser  Verdrängung  von  hund  ging  aber  Hand  in  Hand, 
daß  seine  Funktion  als  Mengenbezeiehnung  auf  das  „Hundert" 
überging  und  so  entstand  der  dem  Wortsinn  ganz  widersprechende 
Gebrauch  von  Hundert,  den  wir  heute  noch  kennen.  Allerdings 
ist  hundert  zui  Mengenbezeichnung  in  Zusammensetzungen  sehr 
selten.  Grimm1)  kennt  nur  zwei  Beispiele:  hundertmal ig  und 
hundertschön.  Gerade  das  letztgenannte  Wort  ist  besonders  in- 
teressant. Denn  wir  sind  gewöhnt  von  tausendschön  zn  sprechen 
und  werden  nun  durch  dieses  hundertschön  darauf  hingewiesen, 
daß  allmählich,  als  hundert  Einheiten  für  das  allgemeine  Empfinden 
nicht  mehr  als  eine  besonders  große  Menge  erschienen,  die  Funktion 
des  Mengenbegriffs  an  „Tausend“  übergegangen  ist.  Dieser  Ent- 
stand erklärt  es,  daß  wir  jetzt  bei  dem  Worte  „Hundert“  viel 
eher  an  eine  Vereinigung  von  hundert  Einheiten  als  an  eine  un- 
bestimmte Menge  zu  denken  gewöhnt  sind,  wenn  nicht  der  ganze 
Zusammenhang  uns  anders  beeinflußt. 

Aus  dem  Gesagten  sehen  wir,  daß  die  erste  Hälfte  des  alt- 
schwedischen hundari  keineswegs  als  Bezeichnung  von  hundert 
Einheiten  aufgefaßt  werden  muß,  sondern  ebensogut  eine  ganz 
und  gar  unbestimmte  Menge  bezeichnen  kann.  Das  Suflix-ari  kann 
dann  hier  die  Bedeutung  einer  Zusammenfassung  haben,  sodaß 
hundari  nichts  anderes  wäre  als  die  Menge  in  ihrer  Gesamtheit. 
Damit  gewinnen  wir  wenigstens  sprachlich  die  Möglichkeit,  in  der 
Hundertschaft  etwas  anderes  zu  sehen  als  einen  Komplex  von 
irgendwelchen  hundert  Einheiten  und  kommen  damit  um  den 
Fehler  herum,  den  ich  oben  als  den  Hauptfehler  aller  bisherigen 
Hundertschaftstheorien  bezeichnet  habe.  Wir  brauchen  weder  an 
der  „Zahl“  zu  scheitern  noch  mit  der  Behauptung  zu  operieren, 
daß  sich  dies  ursprüngliche  Zahlenverhältnis  bald  verwischt  habe. 
Vielmehr  können  wir  davon  ausgehen,  daß  Hundertschalten  von 
Anfang  an  „Mengen“  waren. 


')  Deutsches  Wörterbuch  unter  eben  diesen  Wörtern. 


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Die  sich  hieraas  ergebende,  Mengentheorie“  oder  „Haufentheorie“ 
wie  man  sie  allenfalls  heilien  kann,  ist  schon  vor  längerer  Zeit 
wenigstens  angedeutet  worden  durch  Philipps').  Nach  seiner 
Meinung  wurde  von  den  Germanen  bei  der  Seßhaltmachung  das 
Land  „an  die  einzelnen  größeren  Scharen  des  Heeres,  welche 
Hund  oder  Her  genannt  wurden,  und  innerhalb  dieser  an  deren 
kleinere  Bestandteile,  die  Sippen,  nach  germanischer  Sitte  verlost.“ 
Dabei  bezeichne  Hund  keine  bestimmte  Zahl,  sondern  einen 
Komplex  „ungezählter  Heerhaufen,  der  aus  mehreren  Familien 
bestehend  ein  Ganzes  bildet.“  Dieselbe  Anschauung  hat  in  ein- 
gehenderer Darstellung  Gierke  vertreten®).  Unabhängig  von 
Beiden  hält  v.  Amira*)  die  Hundertschaft  für  eine  „als  Menge“ 
zu  denkende  Volksabteilung  und  in  allerneuester  Zeit  hat  sich 
Heyck 4)  dieser  Anschauung  bemächtigt.  Jedoch  hat  sich  die 
„Haufentheorie“  bis  jetzt  keineswegs  Anerkennung  zu  verschaffen 
vermocht;  soviel  ich  sehe,  hat  nur  Schröder  kurz  von  ihr  Notiz 
genommen 5). 

Im  Folgenden  soll  nun  gerade  diese  Theorie  an  Hand  der 
Quellen  untersucht  werden. 


IV.  Pagus 

Wie  bei  allen  rechtsgeschichtlichen  Fragen,  so  darf  auch  bei 
dieser  Erörterung  die  Trennung  der  Untersuchung  nach  Perioden 
nicht  umgangen  werden.  Es  scheint  mir  die  Darstellung  der 
germanischen  Verfassungsverhältnisse  im  allgemeinen  und  ins- 


')  Deutsche  Reichs-  und  Rechtsgeschichte4  (1859)  S.  108. 

*)  Genossenschaftsrecht  1 S.  40IT.  insbe.s.  S.  41.  Anin.  7. 

J)  Recht3  S.  72. 

4)  Deutsche  Geschichte  1.  S.  128. 

5)  Vgl.  noch  Garuis  Bemerkungen  zu  Kaiser  Karl  des  Großen  t’ap.  de 
villis  in  German.  Abhdnlg.  f.  Maurer  S.  244.  .Die  Marschformat  innen 
die  der  landerobernde  Zug  aus  den  zahlreichen  Gemeinfreien  des  Volkes, 
aus  den  Einzelnen  oder  ihren  Sippen  gebildet  hatte,  nämlich  die  Hundert- 
schaften oder  ähnliche  Sammelinasscn,  waren  entweder  garnicht  in  den 
Kriedcnsstand  und  die  [.andrerteil ung  übergeführt  oder  für  diese  unzu- 
reichend,“ und  ders.  Enzyklopädie  und  Methodologie  der  Rechtswissenschaft 
S.  34  ff. 


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<55 


besondere  die  Behandlung  des  Hundertschaftsproblems  vielfach 
darunter  gelitten  zu  haben,  daß  man  zwischen  der  germanischen 
und  der  fränkischen  Periode  nicht  gehörig  geschieden  hat  und 
infolgedessen  Quellen,  die  nur  über  fränkische  Zustände  Aufschluß 
-■eben  können,  als  maßgebend  für  das  Hundertschaftsproblem 
überhaupt  ansah.  Es  wurde  übersehen,  daß  ein  und  dasselbe 
Wort,  in  verschiedenen  Perioden  gebraucht,  nicht  in  der  einen 
Periode  dasselbe  bedeuten  muß,  wie  in  der  anderen.  Des- 
halb soll  hier  zunächst  allein  die  germanische  Zeit  ins  Auge  ge- 
faßt werden. 

Wenn  wir  von  der  in  der  Wissenschaft  nicht  weiter  ver- 
tretenen Meinung  Sickel’s  absehen,  der  in  der  früheren  Periode 
nur  Tausendschaften  und  ihnen  entsprechend  Gaue  linden  will *), 
so  begegnet  nirgends  auch  nur  das  leiseste  Bedenken  darüber, 
daß  es  schon  in  der  germanischen  Zeit  „Hundertschaften“  gegeben 
hat.  Uber  ihre  Existenz  sind  sich  alle  maßgebenden  Autoren 
einig*).  Die  Zweifel,  die  sich  an  die  germanische  Hundertschaft 
knüpfen,  berühren  nur  die  Frage,  ob  diese  Hundertschaften  rein 
persönliche  Verbände  oder  ob  sie  auch  schon  territoriale  Ab- 
teilungen, Hundertschaftsbezirke,  waren3). 

Die  folgende  Untersuchung  hat  sich  dementsprechend  zunächst 
mit  der  Frage  zu  beschäftigen,  ob  cs  in  der  germanischen  Zeit 
solche  Hundertschaftsbezirke  gegeben  hat.  Sodann,  falls  dies  zu 
bejahen  ist,  wird  weiter  die  Bedeutung  dieser  Bezirke  in  der  ger- 
manischen Verfassung  festzustellen  sein. 

Nach  Brunner*)  sind  die  Bewohner  des  Gaues  „in  eine  An- 
zahl kleinerer  persönlicher  Verbände,  Hundertschaften,  Hunderte, 
eingeteilt,  welche  in  erster  Linie  den  Zwecken  des  Heerwesens,  in 
zweiter  den  Zwecken  der  Rechtspflege  zu  dienen  bestimmt  waren.“ 
Im  weiteren  Verlauf  seiner  Darstellung  lehnt  dann  Brunner  noch 
ausdrücklich  die  Auffassungen  ab,  daß  diese  Hundertschaften  schon 
in  der  germanischen  Periode  territoriale  Bezirke  waren  und 

')  W.  Sickcl,  Der  Freistaat  S.  86  ff.  bcs.  90  und  Anm.  7 ebda. 

Brunner,  Hg.’  I.  S.  139.  Schröder,  Kg.6  S.  19.  v.  Ainira,  (irundr.--' 
S.  72.  ltrunner,  (Inindriß3  S.  13.  Siegel,  Kg.3  S.  IC8.  Waitz,  Vg.3  1. 
S.  262. 

3)  Vergl.  Brunner,  a.  a.  0. 

V a.  a.  <). 

t.  Schwerin,  altgerm.  Hundertschaft  9 


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Gl» 


daß  sie  identisch  waren  mit  den  Bezirken,  die  Caesar  und  Taci- 
tus  „pagi"  nennen.  Ganz  ebenso  haben  sich  Schroeder')  Stutz-') 
und  Vanderki  ndere3)  ausgesprochen,  v.  Amira  ist  der  Ansicht 
Brunners  nicht  beigetreten;  er  sieht  schon  in  der  germanischen 
Periode,  zur  Zeit  des  germanischen  „Kleinstaats“,  in  der  Hundert- 
schaft einen  räumlichen  Begriff1)4). 

Wie  schon  die  Definition  Brunner's  zeigt,  laßt  sich  die 
Hundertschaftsfrage  nicht  trennen  von  der  Frage,  wie  überhaupt 
die  Verfassung  des  germanischen  Staates  ausgesehen  hat.  Und 
deshalb  ist  es  notwendig,  daß  wir  auch  hier  ein  Gesamtbild 
vom  Bau  des  germanischen  Staates  zu  gewinnen  versuchen. 

Gehen  wir  hierbei  wieder  von  der  Darstellung  Brunner's  aus. 
Nach  Brunner11)  ist  die  civitas,  „eine  einzelne  politisch  selbst- 
ständige und  abgeschlossene  Volksgemeinde,“  eingeteilt  in  Gaue, 
das  sind  abgeschlossene,  landschaftliche  nicht  bloß  persönliche  Ver- 
bände. Diese  Gaue  sollen  sodann,  wie  schon  erwähnt,  in  die  rein 
persönlichen  Verbände  der  Hundertschaften  zerfallen,  und  als  unterste 
Stufe  erscheint  der  vieus,  der  wiederum  ein  räumlich  abgegrenztes 
Gebiet  umfaßt7).  Sehen  wir  von  dem  vicus  ganz  ab,  zumal  auch 
Brunner  auf  seine  Bedeutung  nicht  weiter  eingeht,  so  ergeben 
sich  nach  der  Anschauung  von  Brunner  Staat,  Gau  und  Hundert- 
schaft als  größter,  mittlerer  und  kleinster  persönlicher  Verband. 
Mit  der  Prüfung  dieser  Zweiteilung  des  Volkes  soll  sich  das  un- 


•)  Itg.3  S.  19,  A um.  13. 

*)  ZeiUchr.  f.  Schweiz.  Recht.  N.  K.  XIV.  S.  178  IT. 

3)  liitrudiiction  ile  l'histnire  des  Institutiiiiis  de  la  Helgiqnc  (1890.) 

S.  98. 

4)  Grundr.*  S.  72.  Irrig  daher  das  Referat  über  seine  Ansicht  bei 
Schröder  Rg.1  S.  19  A um.  13  lind  bei  Brunner  Rg.  I.*  S.  159,  Anin.  12. 

s)  Auf  die  Ausführungen  von  H.  Delbrück,  der  urgennaniscbc  (lau 
und  Staat.  (preuB.  Jahrbücher  87),  und  Geschichte  der  Kriegskunst  11,2 
sei  hiermit  ein  für  alle  Mal  verwiesen.  Ihre  Unwissensrhaftlichkeit  ver- 
bietet eine  eingehendere  Beschäftigung  mit  ihnen.  Vorgl.  darüber  1,. 
Schmidt  in  Hist.  Vierteljahrsschrift  1904.  S.  GG  ff.  inbes.  S.  67.  Brunner 
Rg.  I2  S.  IGO  Ami).  13. 

8 ) a.  a.  O.  S.  157.  Gaue  als  germanische  Einrichtung  nimmt  auch  an 
Arnold  Deutsche  Geschichte  II,  S.  18G. 

7)  Vergl.  \V h i 1 1 Vg.  3I,  S.  115,  Anm.  3 und  S.  115  IT.  Schröder  Rg.s 
S.  17  f.  und  unten  S.  101  Anm.  2. 


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67 


mittelbar  Folgende  beschäftigen.  Dabei  gehe  ich  aus  von  der 
Untersuchung  der  persönlichen  Gliederung  des  Volkes. 

Die  Ansicht  von  Brunner  hat  den  großen  Vorzug,  daß  sie 
mit  den  Quellen  am  besten  auszukomincn  scheint  und  sich  weder 
zur  Nichtberücksichtigung  noch  zur  Korrektur  von  Quellenstellen 
veranlaßt  sieht.  Vom  Standpunkt  einer  konservativen  Quellenkritik 
aus,  ist  das  auch  keineswegs  zu  unterschätzen.  Hierdurch  ist 
Brunner  wohl  auch  veranlaßt  worden,  seine  Anschauung  trotz  der 
Angriffe  Rachfahl’s1),  die  allerdings  etwas  eingehender  hätten  be- 
gründet werden  sollen,  auch  in  der  zweiten  Auflage  festzuhalten. 
Gleichwohl  darf  uns  auch  diese  Glätte  nicht  hindern,  Brunner ’s 
Ansicht  einmal  mit  andern  Mitteln  zu  prüfen,  als  gerade  mit  den 
Quellen,  denen  sie  zu  entsprechen  scheint. 

Bei  der  verschiedenen  Größe  der  germanischen  civitates  hat 
es  gewiß  manche  civitates  gegeben,  die  zu  klein  waren,  um  in 
Mittelbezirke  oder  Unterbezirke  geteilt  zu  werden,  wo  das  Volk 
nicht  in  mittlere  oder  kleinere  Verbände  zerfallen  konnte*).  Solche 
konnten  sich  mit  einer  einmaligen  Gliederung  begnügen  und 
kommen  hier  nicht  weiter  in  Betracht.  Erst  recht  gilt  das  für 
civitates,  die  einer  weiteren  Teilung  überhaupt  entraten  konnten. 
Für  die  folgende  Untersuchung  handelt  es  sich  lediglich  um 
solche  Völker,  die  groß  genug  waren,  um  die  von  Brunner  an- 
genommene Zweiteilung  in  sich  aufzunchmen. 

In  einem  solchen  Staate  treten  nun,  wie  Brunner  annimmt, 
ilie  Mitglieder  der  civitas,  die  sämtlichen  wehrfähigen  Freien  des 
Staates,  im  concilium  desTacitus,  in  der  Landsgemeinde,  zusammen, 
die  Mitglieder  des  Gaues  (pagus)  bilden  die  Gauversammlung3), 
die  der  Hundertschaft  das  Hundertschaftsding.  Wir  haben  also 
drei  verschiedene  Versammlungen  vor  uns,  und  es  wird  sich  fragen, 
welche  Functionen  jeder  von  ihnen  oblagen. 

Die  Landsgemeinde  und  die  Hundertschaftsversammlung  sind 
nach  der  herrschenden,  und  wie  ich  annehme,  richtigen  Ansicht 

')  Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und  Statistik  Itd.  7t  (1900) 
S.  197  ff. 

*)  Ycrgl.  Waitz  Yg.3  I,  S.  10g  v.  Amira  Grundr.3  S.  72. 

3)  Brunner  Kg.3  I,  S.  175  sagt:  .Neben  dein  concilium  civitatis  dürfen 
auch  Versammlungen  der  Gaue  vorausgesetzt  werden.“  Schröder  Kg.5  S.  21, 
Amu.  24. 

5* 


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Gerichtsversammlungen  *).  Über  die  Tätigkeit  der  Gauversammlung 
äußert  sich  Brunner  selbst  nur  dahin,  daß  sie  „vielleicht“  ge- 
richtliche Funktionen  ausübte.  In  der  Tat  scheint  mir  diese  vor- 
sichtige Ausdrucksweise  sehr  angebracht  zu  sein.  Ich  halte  es  für 
ausgeschlossen,  daß  im  germanischen  Staat  außer  dem 
concilium  und  dem  Hundertschaftsgericht  eine  dritte 
Uerichtsversammlung  bestanden  hat 

Auf  einer  beschränkten  Anzahl  von  Verbrechen  stand  nach 
germanischem  Recht  die  Todesstrafe  *).  Diese  Verbrechen  mußten 
eben  wegen  dieser  Strafe,  da  sie  ja  „Staatsopfer“  war,  in  der 
Staatsversammlung,  im  concilium  civitatis,  abgeurteilt  werden  *). 
Bei  allen  anderen  Verbrechen  gab  es  keinen  zwingenden  Grund, 
sie  gerade  dort  zu  richten,  und  es  wäre  unpraktisch  gewesen,  bis 
zur  Abhaltung  eines  Landsdings  zu  warten,  da  dies  nicht  allzu 
häutig,  vielleicht  nur  wenige  Male  im  Jahre  stattgefunden  hat4). 
Wir  können  also  mit  Recht  schließen,  daß  für  nicht  todeswürdige 
Verbrechen  ein  anderes  Gericht,  nach  richtiger,  herrschender  An- 
sicht das  Hundertschaftsding  zuständig  war5).  Wenn  nun  auch 
die  Gauversammlung  Gericht  gewesen  wäre,  so  müßten  wir  in 
ihr  für  alle  Fälle  eine  überflüssige  Einrichtung  sehen  und  dies 
schon  spricht  dagegen,  daß  sie  bei  den  Germanen  vorhanden  war. 
Es  hätte  zwei  Gerichte  mit  konkurrierender  Zuständigkeit  gegeben 
und  zwar,  wie  wohl  zu  beachten,  mit  sich  deckender  Zuständigkeit; 
konkurrierend  war  vielleicht  auch  die  Zuständigkeit  des  Landsdings 


•)  Kine  abweichende  Ansicht  wird  nur  von  Sickcl  ».  a.  0.  vertreten. 
Vergl.  statt  Aller  ltruiiner  Kg.  IJ  S.  159  f.  177. 

J)  Vergl.  VVilda,  Strafrecht  der  Germanen  S.  495:  Hrunner,  Rg.s  I 
S.  243  f.:  sodann  raun  Folgenden  ltrunner  ebda  S.  245  f.  v.  Amira  Grundr.* 
S.  147,  153.  Hers.  Uber  /weck  und  Mittel  der  germanischen  ltechts- 
geschichte  S.  57  f. 

s)  Unverständlich  ist  mir,  warum  Snhm  ltuGV.  S.  7 f.  dies  leugnet  und 
in  dem  concilium  trotz  Tacitus  Germ.  c.  12  nur  eine  politische  Versammlung 
sehen  will.  Dagegen  Waitz,  VG.  I.J  S.  340.  Schröder,  Kg.5  S.  tli 
Amn.  30. 

4)  Schröder,  Ug.5  S.  23  nimmt  nur  eine  echte  (ungebotene)  Volksver- 
sammlung im  Frühjahr  an.  Waitz  VG.  1.*  S.  341  nimmt  eine  große  Zahl 
an,  aber  m.  K.  unter  falscher  Auslegung  der  Quellen.  Tacitus  sagt  nicht, 
daß  bei  jedem  Neumond  oder  Vollmond  concilium  gehalten  wurde. 

5)  Hrunner,  Hg.*  I.  8.202;  Schröder,  ltg.5  S.  25. 


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fi9 


mit  der  des  Hundertschaftsdings '),  insofern  ajs  jenes  auch  nicht 
todeswürdige  Verbrechen  aburteilen  konnte,  — aber  nicht  auch  um- 
gekehrt! I)a  entsteht  denn  die  Frage,  was  in  dieser  Konkurrenz 
den  Ausschlag  gab.  Wenn  z B.  A den  B vor  das  Gauding  lud, 
und  B erklärte,  er  wolle  im  Hundertschaftsding  erscheinen,  etwa 
weil  ihm  dessen  Malstätte  gelegener  war  oder  die  Zeit  bequemer, 
lag  dann  in  dieser  Antwort  eine  Rechts  Verweigerung?  Soll  etwa 
der  Kläger  in  der  Lage  gewesen  sein,  den  Beklagten,  den  er  im 
Hundertschaftsding  antraf,  vor  das  nächste  Gauding  zu  laden, 
auch  wenn  der  Beklagte  sofort  zur  Antwort  bereit  war?  Diese 
und  ähnliche  Fragen  lassen  sich,  abstrakt  gesehen,  ganz  gut  lösen; 
wenn  der  Beklagte  willens  war  dem  Kläger  zu  antworten,  wo  und 
wann  dieser  wollte,  entstanden  sie  überhaupt  nicht.  Aber  die  im 
Weigerungsfälle  des  Beklagten  nötigen  Bestimmungen  wären  sicher 
nicht  spurlos  verschwunden,  und  so  genau  wir  auch  den  germanischen 
Prozeß  kennen,  Zuständigkeitsstreite  zwischen  mittlerem  und  un- 
terstem Gericht,  und  ihre  Lösung  sind  ihm  unbekannt.  Das 
spricht  dafür,  daß  die  Germanen  vom  Landsding  abgesehen,  nur 
ein  Gericht  gekannt  haben  und  das  war  eben  das  Hundert- 
schaftsgericht*). 

Doch  will  ich  mich  mit  diesem  argumentum  e silentio  nicht 
zufrieden  geben  und  trete  der  Frage  näher,  ob  etwa  aus  anderen 
Gr  rinden  ein  Bedürfnis  für  ein  Gaugericht  gegeben  war. 

In  späterer  Zeit  tritt  im  germanischen  Prozeß  ein  mit  dem 
Namen  Afterding  oder  Nachding  bezeichnetes  Gericht  auf’).  Es 
ist  dazu  bestimmt,  für  Prozesse,  die  in  einem  Gericht  nicht  er- 
ledigt werden  konnten.  Platz  zur  Fortführung  und  Erledigung  zu 
schatfen  und  hilft  einem  Bedürfnis  ab,  das  bei  einem  Mißverhältnis 
zwischen  der  Dauer  der  Dinge  und  der  Zahl  oder  der  Dauer  der 
zu  erledigenden  Rechtsstreite  entstehen  konnte.  Wir  sehen  aber 
zugleich,  wie  einem  solchen  Bedürfnis  abgeholfen  wurde.  Der 
Graf  des  Sachsenspiegels  legt  ein  Ding  aus  am  gleichen  Ort,  mit 
derselben  Zuständigkeit,  in  der  Regel  wohl  unter  seinem  Vorsitz4). 

')  Vgl.  Rohm,  BuGV.  8.5. 

*)  Schröder  erwähnt  eine  Ganvcrsammlung  als  Gericht  überhaupt 

nicht. 

*)  Brunner,  Kg. J I S.  202. 

*)  Vgl.  Planck,  das  deutsche  Gerichtsverfahren  im  Mittelalter  I,  S.  49  f. 


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70 


Das  konnte  der  Hundertschaftsrichter  aucli  tun.  wenn  sich  das 
gleiche  Bedürfnis  einmal  einstellte.  Es  war  nicht  der  mindeste 
Grund  gegeben,  für  Prozesse,  die  im  Hundertschaftsgericht  nicht 
erledigt  wurden,  ein  Gauding  einzurichten,  zumal  jene  Regelung 
durch  das  Nachding  die  natürliche  war;  denn  es  ist  das  nahe- 
liegendste das,  was  man  heute  nicht  erledigt,  morgen  zu  erledigen, 
und  wenn  dem  morgen  Formalien  entgegenstehen,  dann  möglichst 
bald,  nicht  aber  solche  unerledigte  Sachen  abzuschieben  an  eine 
andere  Instanz.  Es  ist  mir  sogar  unwahrscheinlich.  daß  die  Ger- 
manen das  Gauding  als  Nachding  benützt  hätten,  wenn  aus  anderen 
Gründen  Gauversaramlnngen  stattgefunden  hätten.  Übrigens  war 
im  germanischen  Prozeß  dafür  gesorgt,  daß  der  einzelne  Rechts- 
streit nicht  zu  lange  dauerte,  sondern,  soweit  das  Gericht  mitzu- 
wirken hatte,  in  dem  Ding  zu  Ende  geführt  werden  konnte,  in 
dem  er  begonnen  war.  Auch  die  Zahl  der  Prozesse  ist  nicht  so 
groß  gewesen,  daß  sie  nicht  in  einem  dreitägigen  echten  Ding  er- 
ledigt werden  konnte.  Und  wenn  einmal  ein  Prozeß  länger  dauerte 
oder  der  Prozesse  zu  viele  waren,  so  gab  es  ja  für  besonders  eilige 
Fälle  das  Mittel  des  gebotenen  Dings.  Daß  etwa  ein  in  einem 
Hundertschaftsgericht  begonnener  Prozeß  in  dem  Gericht  einer 
anderen  Hundertschaft  fortgesetzt  werden  konnte,  möchte  ich  da- 
gegen nicht  behaupten.  Denn  dies  setzt  voraus,  daß  die  Dinge 
in  den  einzelnen  Hundertschaften  zu  verschiedenen  Zeiten  abge- 
halten wurden  und  so  gewiß  die  Dingzeiten  sich  in  der  Zeit  er- 
gänzten. als  ein  Richter  in  verschiedenen  Gerichten  zu  Gericht 
saß.  so  wenig  können  wir  annehmen,  daß  das  auch  in  germanischer 
Zeit  schon  der  Fall  war.  Denn  die  Dingzeiten  waren  nicht  will- 
kürlich. sondern  nach  festen  Regeln  bestimmt,  die  unter  den  ein- 
zelnen Völkern  verschieden,  für  die  Hundertschaften  desselben 
Volkes  aber  vermutlich  gleich  waren.  Auch  wäre  wohl  zu  be- 
achten die  Frage,  ob  überhaupt  in  germanischer  Zeit  ein  Prozeß 
vor  einem  anderen  Umstand  fortgesetzt  werden  konnte,  als  vor 
dem.  vor  dem  er  begonnen  wurde. 

Ausgeschlossen  ist  endlich,  daß  das  Gaugericht  als  höhere 
Instanz,  als  Zuggericht  hätte  fungieren  können.  Denn  das  Urteil 
des  germanischen  Hundertschaftsgerichts  war  eben  wegen  seiner 
Eigenschaft  als  Volksurteil  einer  Verbesserung  durch  das  Volk 


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71 


überhaupt  nicht  fähig.  Es  konnte  in  dieser  Periode  keine  höhere 
Instanz  geben •). 

Das  entscheidende  Argument  sind  aber  nicht  diese  Erwägungen, 
sondern  ergibt  sich  aus  der  Betrachtung  der  folgenden  Perioden. 
Wenn  schon  in  der  germanischen  Zeit  eine  richtende  (lau Ver- 
sammlung, ein  Gaugericht,  Bedürfnis  war  und  nur  als  eine  not- 
wendige Institution  läßt  es  sich  in  dieser  Periode  überhaupt  be- 
greifen, dann  müßte  umsomehr  im  Mittelalter  dies  der  Fall  sein. 
Aber  weder  in  merowingisclier  noch  in  karolingischer  Zeit  gibt  es 
ein  regelmäßiges  Grafschaftsgericht.  Wohl  ist  der  Graf  der 
ordentliche  Richter  in  der  karolingischen  Gerichtsverfassung,  aber 
er  ist  nur  insofern  Grafschaftsrichter,  als  er  alle  echten  Dinge  in 
der  Grafschaft  abzuhalten  hat;  er  hält  nicht  das  echte  Ding  der 
Grafschaft,  sondern  das  der  Hundertschaft  und  deshalb  ist  er 
Hundertschaftsrichter.  Es  gibt  in  der  Grafschaft,  die  ja  dem 
germanischen  Gau  entsprechen  soll,  nur  ein  Hundertschaftsgericht 
als  einziges  Gericht*). 

Angesichts  der  somit  nicht  zu  bestreitenden  Tatsache,  daß 
es  in  der  germanischen  Periode  nur  ein  Gericht  außer  der 
Landesversammlung  gegeben  hat,  läßt  sich  auch  nicht,  gestützt 
etwa  auf  spätere  friesische  Verhältnisse,  behaupten,  daß  dieses 
eine  Gericht  ein  Gaugericht  gewesen  sei.  Denn  das  Hundert- 
schaftsgericht steht  auch  für  die  germanische  Zeit  zu  fest,  als 
daß  man  es  ausscheiden  könnte.  Es  ist  daher  irrtümlich,  wenn 
Sicke  1 behauptet,  der  Gau  sei  „der  erste  deutsche  Gerichts- 
bezirk“ gewesen5);  allerdings  ist  dies  die  konsequente  Folge 
seiner  Anschauung,  daß  es  ursprünglich  nur  Tausendschaften  ge- 


0 Vgl.  v.  Amira,  Grundriß*  S.  158. 

*)  Das  Entscheidende  in  dem  Wesen  des  fränkischen  comitatus 
hat,  soviel  ich  sehe,  nur  v.  Amira,  Grundr.*  S.  73,  erkannt.  Was  Brunner 
ltg.  II1  S.  222  und  Waitz,  VG.  IV*  S.  375,  52G  ff  für  die  Existenz  von 
Gauvcrsammlungcn  an  Quellen  beibringen,  vermag  nicht  zu  beweisen,  daß 
solche  Versammlungen  Regel  waren.  Daß  sie  vereinzelt  vorkamen  und  mit 
der  Zeit  häufiger  wurden,  liogt  in  der  Natur  der  Dingo,  und  wird  um  so 
verständlicher,  je  mehr  die  Selbständigkeit,  der  Grafen  wächst.  Aber  als 
eine  aus  germanischer  Zeit  überkommene  Einrichtung  erweison  sich  diese 
Versammlungen  nicht.  Das  Gegenteil  ist  aus  ihrem  allmählichen  Umsich- 
greifen zu  schließen.  Vgl.  noch  Schröder,  Rg.5  S.  175. 

*)  Sickel,  Der  Freistaat,  S.  175. 


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72 


gehen  habe.  Dabei  möchte  ich  noch  darauf  hinweisen,  daß  die 
Stelle  aus  Tacitus  (ierm.  e.  12  : iura  per  pagos  vicosque  reddunt 
auch  dann  für  das  Hundertschaftsgerieht  spricht,  wenn  man  den 
pagus  als  Gau  auffaßt;  denn  um  ein  Gaugericht,  eine  Gauver- 
sammlung, abzuhalten,  hätte  der  princeps  nicht  erst  herumreisen 
müssen.  Wenn  an  den  einzelnen  Malstätten  nicht  alle  Gau- 
genossen erschienen,  sondern  nur  die  in  der  Nähe  wohnenden,  dann 
war  das  Gericht  des  princeps  so  wenig  Gangericht,  wie  das  Ge- 
richt des  fränkischen  Grafen;  denn  nicht  das  ist  wesentlich,  wer 
Gericht  hält,  sondern  wer  zum  Gericht  erscheint  oder  zu  er- 
scheinen verpflichtet  ist.  Nimmt  man  aber  an,  daß  an 
den  einzelnen  Dingstätten  jeweils  alle  Gaugenossen  sich  einfanden, 
sodaß  in  der  Tat  Gau  Versammlung  stattfand,  so  läßt  sich  nicht 
verstehen,  warum  der  Gaurichter  herumreiste  und  nicht  vielmehr 
das  Gericht  immer  an  demselben  Platz,  an  einer  Gaudingstätte, 
abgehalten  wurde.  Es  war  ja  allerdings  gegenüber  den  weiter 
von  der  Gaudingstätte  entfernt  Wohnenden,  modern  gedacht,  un- 
gerecht, ihnen  immer  den  weiten  Weg  zuzumuten;  aber  wie 
wenig  die  germanische  Zeit  für  solche  Erwägungen  zu  haben  war, 
ergibt  sich  daraus,  daß  nicht  einmal  auf  Island,  das  für  die 
Dingfahrt  die  ungünstigsten  Verhältnisse  darbot,  im  Anfänge 
wenigstens  das  Frühlingsding  und  das  Herbstding  an  verschiedenen 
Orten  gehalten  wurden'). 

Ich  wiederhole,  daß  in  germanischer  Zeit  ein  Gau- 
gericht nicht  bestanden  hat,  und  stelle  der  Vermutung 
Brunner's,  daß  die  Gauversammlung  „vielleicht“  richtende 
Tätigkeit  ausübte,  die  Behauptung  gegenüber,  daß  sie  keine 
richterlichen  Funktionen  hatte. 

Damit  ist  aber  noch  nicht  bewiesen,  daß  es  eine  Gauver- 
sammlung überhaupt  nicht  gab:  denn  theoretisch  wenigstens  wäre 
es  immerhin  möglich,  daß  sie  zu  anderen  Zwecken  als  zu  dem 
der  Rechtsprechung  vorhanden  war,  wenngleich  es  den  germanischen 

’)  Damit  soll  aber  auch  nicht  im  entferntesten  die  Meinung  vertreten 
werden,  daß  die  isländischen  Zustande  ungermanische  sind,  wie  lioden  die 
isländische  Kegierungsgewalt  in  der  freistaatlichen  Zeit.  S.  2f,  behauptet. 
Gegen  diesen  Dilettantismus  mit  ltecht  v.  Amira.  Historische  Vicrteljahrs- 
schrift  190ß,  S.  5‘28f.  Kbensn  falsch  wie  Boden  auch  Philippi  GGA.  1907 
(Juliheft). 


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73 


Verhältnissen  nicht  gemäß  wäre,  wenn  eine  Versammlung,  die  als 
solche  schon  materiell  ein  (jericht  war,  formell  der  Befugnis  zu 
richten,  entbehrt  hätte. 

In  der  Tat  nimmt  Schröder  an,  daß  sich  die  Gauvcrsamm- 
lungen  mit  agrarischen  Angelegenheiten  zu  beschäftigen  hatten 
und  daß  ihnen  auch  die  Wahl  der  Hundertschailsvorsteher  abge- 
legen haben  mag1). 

Was  zunächst  diese  Wahl  betrifft,  so  muß  ich  hierin  Schröder 
widersprechen.  Es  wurden  die  Häuptlinge  oder  Hundertschafts- 
vorsteher allerdings  gewählt.  Aber  wenn  man  Oberhaupt  annimmt, 
daß  sie  ihre  Stellung  der  Wahl  durch  einen  größeren  Personen- 
kreis zu  verdanken  hatten,  als  dem,  für  den  sie  gewählt  wurden, 
also  anderen  Personen  als  den  Dingpllichtigen  ihrer  Hundertschaft, 
dann  muß  man  der  Nachricht  des  Tacitus  auch  darin  Glauben 
schenken,  daß  sie  die  Wahl  der  principe»  dem  Landsding  zu- 
schreibt*). Das  ist  allerdings,  wie  ich  wohl  sehe,  eine  Interpre- 
tation, zu  der  Schröder  um  deswillen  nicht  gelangen  konnte, 
weil  er  im  princeps  den  Gaufürsten  sieht5),  nicht,  wie  ich,  den 
Hundertschaftsvorsteher.  Von  seinem  Standpunkt  aus  ist  die  Be- 
hauptung, es  habe  die  Gauversammlung  die  Hundertschaftsvor- 
steher gewählt,  nicht  quellenwidrig;  denn  von  dort  aus  berichtet 
weder  Tacitus  noch  Caesar  über  diese  Wahl,  und  damit  ist  für 
die  Hypothese  freie  Bahn  geschaffen.  Immerhin  läßt  sich  be- 
haupten, daß  nur  der  Wahl  der  Hundertschaftsvorsteher  zuliebe 
eine  Gauversammlung  nicht  zusammengetreten  ist,  und  so  kann 
diese  Hypothese  allein  auch  die  Existenz  einer  Gauversammlung 
nicht  wahrscheinlich  machen. 

In  welche  n agrarischen  Angelegenheiten  die  Gauversammlungen 
„mitzusprechen“  hatten,  gibt  Schroeder  nicht  an.  Auch  seiner 
Darstellung  der  germanischen  Agrarverhältnisse  ist  hierüber  nichts 
zu  entnehmen.  Jedoch  ist  dieses  Schweigen  nicht  überraschend. 
Es  gibt  in  der  Tat  keine  agrarischen  Angelegenheiten,  deren  Ent- 
scheidung der  damaligen  Zeit  entsprechend  einer  Gauversammlung 
als  solcher  hätte  obliegen  können.  Man  mag  sich  unter  einem 

■)  Schröder,  Kg.4  S.  21  Anni.  24. 

*)  Vgl.  darüber  unten  S.  93  f.  inabea.  S.  94  Anm.  1. 

*)  Itg 5 S.  29.  Ebenso  Brnnnor  I*  S.  170.  nichtig,  v.  Anlira, 
Grundriß  J S.  73.  Vgl.  unten  S.  78  Amu.  2. 


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Gau  die  Niederlassung  einer  Tauscndschaff  verstellen  oder  sonst 
einer  größeren  Menge  von  Personen,  für  alle  Fälle  enthält  der 
Gau  mehrere  Hundertschaften  und  daraus  ergibt  sieh  in  den 
meisten  Fällen  ein  so  großes  Gebiet,  daß  es  ein  Gesamteigentum 
des  Gaus  an  Grund  und  Hoden  nur  selten  wird  gegeben  haben. 
Ausgeschlossen  sind  natürlich  auch  sehr  große  Marken  nicht; 
aber  sie  werden  immerhin  so  selten  mit  dem  Gebiet  überein- 
gestimmt haben,  das  sich  die  herrschende  Meinung  unter  einem 
Gau  vorstellt,  daß  eine  Gauversammlung  als  agrarische  Versammlung 
jedenfalls  nicht  Regel  war.  Innerhalb  eines  Gaus  fand  sich  eine 
ganze  Reihe  von  selbständigen  agrarischen  Gemeinschaften,  und 
damit  entfällt  die  Möglichkeit  der  Erledigung  agrarischer  Ange- 
legenheiten durch  die  Gauversammlung.  Alle  agrarischen  Ange- 
legenheiten, die  es  überhaupt  geben  konnte,  waren  Angelegen- 
heiten zwischen  den  Gesamteigentümern  der  Ackerflur.  Diese 
Gesamteigentümer  aber  waren  die  gentes  und  cognationes,  nicht 
die  Einwohner  des  Gaug5  und  es  konnte  den  Genossen  der  Mark  A 
ganz  gleich  sein,  wie  die  Genossen  der  Mark  B,  auch  wenn  diese 
benachbart  und  im  gleichen  Gau  lag,  ihre  agrarischen  Angelegen- 
heiten regelten.  Für  diese  hat  es  wohl  schon  in  germanischer 
Zeit  Märkerdinge  gegeben.  Wenn  einmal  eine  Markgenossenschaft 
so  groß  war,  daß  sie  das  Gebiet  eines  Gaus  im  Sinne  der 
herrschenden  Ansicht  einnahm,  dann  wäre  allerdings  eine  Märker- 
versammlung eine  Versammlung  aller  Gauleute  gewesen,  wenn  es 
Gaue  gegeben  hätte1).  Aber  für  alle  Fälle,  auch,  wenn  es  Gaue 
gegeben  hat.  handelt  die  Gauversammlung  nicht  als  solche, 
sondern  als  Märkerversammlung  von  agrarischen  Angelegenheiten. 
Es  ist  ein  Zufall,  wenn  Gau  und  Mark  räumlich  zusammenfallen  *) 
und  ihrem  innersten  Wesen  nach  bleiben  sie  doch  grundverschieden. 

Allerdings  sagt  Schröder5):  „Caesar’s  Berichte  lassen  da- 
rüber keinen  Zweifel,  daß  zu  seiner  Zeit  die  Gaugemeinde  das 


')  Wobei  aber  immer  noch  zu  bedenken  wäre,  dall  in  der  Gauver- 
sammlung  alle  politisch  Handlungsfähigen  zusammenkämen,  diese  aber  nicht 
auch  alle  markberechtigt  sind.  Sühne  galten  als  Markgcnogsen  erst,  wenn 
sie  einen  eigenen  Hof  besaßen:  sie  konnten  aber  schon  längst  politisch 
selbständig  sein.  Vgl.  Schrfider.  Hg.*  S.  59. 

*)  Vgl.  unten  S.  102  Text  und  Anm.  1. 

*)  KG.»  S.  58. 


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Subjekt  des  Wirtschaftsbetriebs,  die  von  ihrem  Fürsten  als  Ober- 
marker geleitete  Markgenossenschaft  war“.  Jedoch  bei  Caesar 
de  bell.  gall.  heißt  es  nur 

VI,  '2-  „ . . . magistratus  ac  principes  in  annos  singulos 
gentibus  cognationibusque  hominum,  qui  una  coienint, 
quantum  et  quo  loco  visum  est  agri,  attribuunt  atquc  anno 
post  alio  transire  cogunt“. 

Daraus  folgt  keineswegs  das,  was  Schröder  und  auch 
Hrunner1)  folgern.  Denn  der  princeps  ist  kein  Oaufürst,  sondern 
ein  Hundertschaftsvorsteher,  wie  wir  unten  noch  sehen  werden. 
Und  in  den  magistratus  sehe  ich  die  Markvorsteher4),  sodaß  die 
Ackerverteilung  durch  Markvorsteher  und  Hundertschaftsvorsteher 
vorgenonnnen  wurde.  Wie  sollte  auch  der  Führer  einer  Tausend- 
schaft die  Möglichkeit  gehabt  haben,  die  Ackerverteilung  in  dem 
zweifellos  nicht  kleinen  Niederlassungsgebiet  seiner  Truppe  zu 
regeln  ? 

Auch  die  sonstigen  Zwecke,  zu  denen  Versammlungen  damals 
dienen  konnten,  waren  durch  die  Hundertschaftsdinge  und  das 
Landsding  genügend  erfüllt.  So  reichten  insbesondere  diese 
beiden  Dinge  aus,  um  dem  Kult  zu  dienen,  soweit  sich  seine 
l’bung  überhaupt  außerhalb  des  Hauses  und  der  Familie  vollzog4). 

•)  RU.  I1  S.  84.  Verworrene  Ausführungen  bei  Rachfahl  a.  a.  0. 
S.  170  Amu.  1.  l'ber  die  Glaubwürdigkeit  der  Stelle  im  Allgemeinen  und 
ihre  Anwendbarkeit  auf  alle  Germanen  vgl.  Waitz  VG.  I 3 S.  1001T. 

*)  Mit  der  Wiedergabe  von  magistratus  durch  das  farblose  „Obrigkeit“ 
bei  Waitz  VG.  I1  S.  99  und  bei  Brunner  a.  a.  O.  ist  nicht  geholfen. 
Bei  Caesar  bat  magistratus  die  allgemeine  Bedeutung  von  Beamten:  man 
vgl.  hierzu  die  in  bell.  gall.  VL  cap.  22  und  23  stellenden  Sätze,  in  denen 
das  Wort  vorkommt.  Die  magistratus  die,  nach  c.  22  mit  der  Ackerver- 
tcilung  betraut  sind,  müssen  doch  andere  sein,  als  diejenigen,  die  es  nach 
e.  23  während  des  Friedens  nicht  gibt.  Näher  kommt  dem  Richtigen 
i’ramcr,  VG.  51,  der  in  magistratus  „den  Vertreter  der  aus  mehreren 
Xaehbargeschlechtern  bestehenden  Sicdlungsgemcinscliaft“  sehen  möchte. 
Ohne  jeden  Schein  eines  Grundes  sieht  Ifildehrand  Recht  und  Sitte  I. 
S.  77  iu  magistratus  die  duces. 

*)  Bethmann-Hollweg,  Gcrman.-roman.-Civilprozeli  1 S.  7fi  f sieht  in 
der  „Gaugemeinde''  einen  Kultverband,  identifiziert  aber  den  pagus  mit  dom 
nordischen  heraiV  und  hält  Beide  für  verwandt  mit  der  fränkischen  centcna. 
Der  Gan  ist  für  ihn  Mitglied  zwischen  pagus  und  vicus  nnd  gleich  der 
Hundertschaft."  (cbd.  S.  102  f.) 


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Aus  All  dem  ergibt  sich,  daß  eine  Versammlung, 
die  ihrem  Umfang  nach  zwischen  der  der  Hundertschaft 
und  der  des  ganzen  Volkes  lag,  überflüssig  war  und 
eben  deshalb  nicht  bestanden  haben  kann,  weil  es  keine 
öffentlichen  Funktionen  gab,  die  ihr  überlassen  ge- 
blieben wären.  Darin  liegt  aber  nur  ein  Symptom  der  Tat- 
sache, daß  in  der  germanischen  Zeit  in  der  Regel  überhaupt  kein 
Hediirfnis  dafür  bestand,  daß  sich  zwischen  das  Volk  und  die 
Hundertschaft  persönliche  Verbände  einschoben,  die  einer- 
seits mehrere  Hundertschaften  umfaßten,  deren  andererseits  mehrere 
das  Volk  ausmachten.  Mangels  eines  Bedürfnisses  aber,  sind 
solche  Verbände  auch  nicht  entstanden;  denn  nur  das  Bedürfnis 
hätte  den  Gedanken,  sie  einzurichten,  erzeugt.  Umgekehrt  läßt 
sich  aus  dem  Fehlen  einer  Gauversamralung  direkt  auf  das 
Fehlen  eines  Gauverbandes  schließen.  Denn  politischer  Verband 
ohne  entsprechende  Versammlung  war  in  der  germanischen  Zeit 
undenkbar.  Damit  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  sich  unter  dem 
Einflüsse  veränderter  Verhältnisse,  etwa  an  den  Grenzen  mit 
Rücksicht  auf  römische  oder  slavische  Einfälle,  da  und  dort  ein 
solches  Bedürfnis  einstellte  und  daß  dann  mehrere  Hundertschaften 
zu  einem  Verband  zusammengetreten  sind.  Das  entscheidende 
bleibt  auch  dann,  daß  solche  Verbände  eine  zufällige,  vielleicht 
auch  vorübergehende  Erscheinung  und  der  Verfassung  des  ger- 
manischen Kleinstaates  nicht  wesentlich  sind. 

Hand  in  Hand  damit  geht,  daß  es  auch  territoriale  Be- 
zirke, die  einem  solchen  größeren  persönlichen  Verband  ent- 
sprächen, nicht  gegeben  hat.  Denn,  ohne  wenigstens  in  einzelnen 
Angelegenheiten  auch  Selbstverwaltungskörper  zu  sein,  wären  sie 
rein  geographische  Einteilungen  gewesen,  und  das  Vorhandensein 
solcher  ist  in  der  germanischen  Zeit  so  wenig  anzunehmen, 
wie  jetzt. 

Das  Ergebnis  ist  also  dies,  daß  der  germanische  Staat 
keine  Gaue  im  üblichen  Sinn  gekannt  hat,  d.  h.  keine 
Bezirke,  die  das  Gebiet  mehrerer  Hundertschaftsverbände  umfaßten. 

Bestätigt  wird  dieses  Resultat,  wenn  wir  die  Bezirke  ansehen, 
die  in  fränkischer  Zeit  zwischen  Hundertschaft  und  Staat  ein- 
geschoben sind.  Die  fränkische  Grafschaft,  der  comitatus,  der  ja 
dem  germanischen  Gau  entsprechen  soll,  ist  ein  reiner  Amtsbezirk, 


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77 


der  allein  gerechtfertigt  ist  durch  den  Kau  des  fränkischen  Staates '). 
Der  merowingisehe  Großkönig  fand  als  unterste  politische  Abteilung 
die  Hundertschaft  mit  einem  Häuptling  an  der  Spitze.  Solcher 
Häuptlinge  gab  es  bei  der  Größe  des  Reichs  eine  erhebliche 
Anzahl  und  dem  Merowinger  konnte  es  so  wenig  wie  dem  Karolinger 
genügen,  so  und  so  vielen  Hundertschaftsvorstehern  zu  befehlen. 
Wenn  diese  Könige  über  ihr  Land  in  der  Tat  nicht  bloß  dem 
Namen  nach  herrschen  und  vor  allem,  wenn  sie  eine  straffe  Herr- 
schaft ausüben  wollten,  dann  mußte  die  äußere  Verwaltung  all- 
mählich centralisiert,  mußte  die  oberste  Gewalt  allmählich 
decentralisiert  werden.  In  dem  allmählichen  Aufbau  des  Re- 
amtensystems  zeigte  sich  die  entwickelte  staatliche  Organisation 
der  fränkischen  Zeit.  Der  germanische  König,  der  seinen  Zweck 
im  Frieden  wenigstens  schon  dann  erfüllte,  wenn  er  nur  überhaupt 
da  war,  hatte  keine  Herrschergewalt,  die  sich  hätte  dezentralisieren 
lassen.  In  der  Zeit  gab  es  keine  Herrscherinteressen,  sondern 
nur  Volksinteressen.  Herrscher  war  das  Volk  in  der  souveränen 
Landsgemeinde  und  alle  staatlichen  Funktionen,  die  das  Volk 
überhaupt  ausüben  wollte,  übte  es  in  der  Landsgemeinde  aus. 
Was  das  Hundertschaftsding  tat,  geschah  zufolge  seiner  auto- 
nomen Gewalt  nicht  kraft  Delegation.  Die  politischen  Moment»1, 
die  in  fränkischer  Zeit  den  Gau  rechtfertigen,  allerdings  auch  zu 
einem  Amtsbezirk  machen,  fehlen  in  der  germanischen  Periode. 

Die  germanischen  Gaue  wären  auch  wohl  von  den  deutschen 
Reehtshistorikern  nicht  so  beharrlich  festgehalten  worden,  wenn 
man  sie  nicht  einer  anderen  Hypothese  halber  nötig  gehabt  hätte. 
Der  Gau  ist  nämlich,  wie  Itrun ner  sagt,  „nicht  unwahrscheinlich“ 
das  Niederlassungsgebiet  einer  Tausendschaft*).  Folglich  hängt 
ilie  Annahme  von  Gauen  eng  zusammen  mit  der  Annahme  von 
Tausendsehaften.  Und  in  der  Tat  wäre  nicht  unwahrscheinlich, 
daß  sich  die  Tausendsehaften  zusammen  niedergelassen  haben, 
wenn  es  solche  gegeben  hätte.  Die  Frage  ist  nur  die,  ob 
Tausendsehaften  bei  den  Germanen  je  vorkamen. 

In  eingehender  Darstellung  hat  diese  Frage  Rietschel  ver- 
neint und  damit,  wie  zu  hoffen,  das  Phantom  der  Tausendschaft 

')  Schröder  Hg.  5 S.  124  f.  v.  Amim  Grundrill3  S.  73. 

*)  Rg.  I’  S.  158,  Grundlage3  S.  13.  Auch  Schröder  H.  (}.s  S.  20  f. 
nimmt  diesen  Zusammenhang  zwischen  Gau  und  Tausendschaft  an. 


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für  immer  aus  der  deutschen  Rechtsgcschichte  verbannt1).  Seinen 
Ausführungen  ist  nur  mehr  wenig  hinzuzufttgen. 

Abgesehen  davon,  daß  sicli  in  den  Quellen  bei  richtiger 
Auslegung  keine  Anhaltspunkte  für  germanische  Tausendschaften 
finden,  wofür  ich  auf  Itietschel  verweisen  kann,  ist  auch  aus 
allgemeinen  Gründen  die  Tausendschaft  unwahrscheinlich.  Will 
man  in  ihr  eine  zahlenmäßige  Abteilung  sehen,  so  laßt  sich  da- 
gegen All  das  anführen,  was  oben  gegen  die  zahlenmäßige  Hundert- 
schaft ausgeführt  ist.  Die  sprachlichen  Argumente  treten  sogar 
bedeutend  verstärkt  hervor.  Denn  Tausend  (das  „Krafthundert“) 
ist  naturgemäß  viel  später  zu  der  Bedeutung  einer  Summe  von 
tausend  Einheiten  gekommen;  es  war  viel  länger  Rundzahl  und 
hat  diese  Funktion  heute  noch  in  viel  stärkerem  Maße  bewahrt 
als  hundert.  Wollte  man  aber  etwa  gar  unter  Tausendschaften 
wie  unter  Hundertschaften  schlechthin  Mengen  verstehen,  nur 
natürlich  weit  größer  als  diese,  so  würden  auch  solchen  Tausend- 
schaften immerhin  noch  sehr  schwerwiegende  Argumente  entgegen- 
zustellen sein.  Während  sich  kleinere  Gruppen,  die  man  allenfalls 
Hundertschaften  nennen  kann,  ganz  von  selbst  bilden,  wäre  eine 
Zusammenfassung  mehrerer  solcher  Hundertschaften  zu  einer 
Tausendschaft  ein  künstliches  Produkt5)  und  zwar,  was  das  wesent- 
liche ist,  ohne  jeden  ersichtlichen  Zweck.  Man  kann  sogar 
behaupten,  daß  schon  aus  natürlichen  Gründen  (Nahrungsrück- 
sichten) Gruppen,  die  man  nicht  mehr  mit  dem  Mengenwort  „Hundert“ 
sondern  mit  „Tausend“  bezeichnet  hätte,  zu  groß  gewesen  wären, 

')  Z.  li.  G.»  XXVII  S.  234  ff. 

*)  Ks  ist  ganz  ausgeschlossen,  in  der  Tausendschaft  der  herrschenden 
Meinung  einen  verwandtschaftlichen  Verband  zu  sehen.  Kinc  Menge,  die 
allein  tausend  Waffenfähige,  also  doch  viele  tausende  von  Personen  im  Ganzen 
enthält,  ist  zu  groß,  als  daß  sich  die  Einzelnen  noch  verwandt  fühlen  könnten: 
und  auf  das  Bcwußtioin  der  Einzelnen  kommt  es  an.  Verwandtschaftliche 
Verbände  im  weitesten  Sinn  sind  vielleicht  auch  die  großen  germanischen 
Kultvcrbände:  aber  der  gemeinsame  Stammvater  ist  nur  noch  ticgenstand 
des  gemeinsamen  Kults.  Von  hier  ans  muß  ich  auch  die  Richtigkeit 
der  Sehröderschen  Ausführungen  über  die  principes  bestreiten.  Schröder  sagt 
Itg*  S 29.  „In  vorgeschichtlicher  Zeit  mag  der  Begriff  des  Gaufürsten  mit 
dem  der  tieschlechtsältesten  zusammcngcfallcn  sein:  an  die  Stelle  des  gebo- 
renen Vorstehers  trat  dann  wohl  zunächst  ein  gekorener  Tausendführer  und 
mit  der  Umwandlung  der  Tausendschaft  zum  Gau  ein  von  der  Landes- 


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79 


um  zusammen  zu  wandern').  Umgekehrt  ist  es  unwahrscheinlich, 
<laU  die  ganze  wandernde  Truppe  zuerst  in  Tausendschal'ten  geteilt 
werden  sein  sollte  und  diese  dann  in  Hundertschaften,  wie  dies 
Sickel  annimint*). 

Wenn  nun  der  germanische  Staat  Gaue  nicht  gekannt  hat,  so 
ergeben  sich  hieraus  sehr  schwerwiegende  Folgerungen,  sobald  wir 
dieses  Resultat  mit  den  Nachrichten  in  Verbindung  setzen,  die 
uns  die  Quellen  über  die  germanische  Verfassung  liefern. 

Wie  allgemein  anerkannt  ist,  auch  von  Brunner  keineswegs 
bestritten  wird,  kennt  Tacitus  nur  civitates  und  pagi.  Die  civitas 
ist  das  Gebiet  eines  ganzen  Volkes;  der  pagus  mutl  die 
Hundertschaft  sein,  weun  das  Wort  überhaupt  Bezeichnung 
für  ein  bestimmtes  Gebiet  und  nicht  vielmehr  ein  Ausdruck  all- 
gemeinen Sinnes  ist’).  Dies  ist  ilie  notwendige  Folge,  die  sich 
aus  der  Ablehnung  der  Gaue  ergibt.  Sie  ist  nicht  neu,  vielmehr 
von  früheren  Schriftstellern  wiederholt  gezogen*);  erst  Brunner 
ist  dazu  gelangt,  die  Gleichstellung  von  pagus  und  Hundert- 
schaft zu  bekämpfen  und  seinen  Argumenten  ist  es  gelungen, 
namhafte  Anhänger  zu  gewinnen.  So  ist  es  denn  auch  jetzt 


gemeinde  gewählter  ( ianfürat.“  Für  richtig  halte  ich,  daß  der  princeps  urr 
spriinglich  ein  Gcschleehtsältcster  ist.  Aber  ein  (icschlechtsältestcr  ist  nur 
da  als  Führer  denkbar,  wo  ein  Gcschlcchteninn  noch  möglich  ist,  und  diese 
Möglichkeit  bestreite  ich  eben  bei  Gruppen,  wie  sie  eine  Tauscndsrhafl 
darstellt ; den  kleinen  Anfängen  einer  solchen  Tnusetidsehaft  mag  allerdings 
ein  solcher  Geschlechtsältestcr  vorgestanden  haben.  Aber  diese  Anfänge 
waren  noch  keine  Tausendschaft,  sondern  etwa,  um  bei  der  herrschenden 
Terminologie  zu  bleiben,  eine  Hundertschaft.  Diese  kann  einen  Geschlechts- 
ältesten  als  Führer  haben,  wobei  allerdings  in  vielen  Fällen  schon  der  Name 
nicht  mehr  ganz  zutreffen  mag.  Daß  die  principcs  in  der  Kegel  aus  den 
Adclsgcschlechtoru  genommen  wurden  ist  eine  Sache  für  sich.  Vgl.  hierüber 
Müllcuhoff  D.  A.  IV  192  ff.  Irrig  Gramer,  V.  G.  S.  13. 

')  Vgl.  hierzu  Mcitzen,  Siedelung  I 140  ff. 

*)  Freistaat.  S.  90  f. 

5)  Über  diese  Frage  soll  erst  im  nächsten  Abschnitt  entschieden  werden. 

*)  So  z.  II.  Weisko,  Grundlagen  S.  6.  Glasgon,  Histoire  du  droit  et 
des  institutions  de  la  France.  II  S.  IG.  der  aber  dabei  den  vicus  falsch  versteht, 
ihn  als  Gruppe  von  10  Familien  auffaßt  und  dem  angelsächsischen  teoö'ung 
an  die  Seite  stellt.  Auch  Sohm  K.  u.  0.  V.  S.  i ff.  kennt  neben  der  Völker- 
schaft nur  die  Hundertschaft,  die  er  — pagus  setzt.  F.benso  \ ander k in dere( 
Notice  sur  l'originc  des  magistrats  eommunaux  et  sur  l’organisation  de  la 


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SO 


noch  Brunner,  mit  dessen  Ansicht  die  eben  geäußerte  Meinung 
über  pagus  und  Hundertschaft  in  Widerspruch  stellt').  Kr  stellt 
die  Sätze  auf:  „Wer  dagegen,  um  den  Hundertschaftsbezirk  zu 
retten,  diesen  für  den  pagus  erklärt,  muß  die  Angaben  Casars, 
die  auf  einen  größeren  Umfang  der  germanischen  pagi  hindeuten, 
als  unglaubwürdig  verwerfen *),  die  Nachrichten  des  Tacitus  über 
die  Hundertschaft  für  Mißverständnisse  ausgeben  und  die  aus  dem 
keltischen  pagus  gezogene  Schlußfolgerung  fallen  lassen5).  Drei 
Argumente  sind  es  also,  die  beseitigt  werden  mttsssen,  wenn  sich 
die  Gleichstellung  von  pagus  und  Hundertschaft  soll  halten  lassen. 

Der  Versuch,  dies  zu  tun,  wird  hier  nicht  zum  erstenmal 
unternommen.  Schon  früher  hat  Rachfahl ')  sich  gegen  Brunner 
erklärt  und  ist  dabei,  wie  Brunner  sagt,  genau  nach  dem  an- 
gegebenen „Rezept“  verfahren.  Der  Erfolg  seiner  Ausführungen 
war  auch  nicht  der,  daß  Brunn  er  seine  Meinung  aufgegeben  hat. 

Was  zunächst  die  Argumentation  mit  dem  keltischen  pagus 
anlangt,  so  stellt  Brunner  darauf  ab,  daß  die  Römer  ihre  Begriffe 
„an  den  keltischen  Verfassungszuständen  entwickelt  und  in  der 
hier  gewonnenen  technischen  Ausbildung  auf  die  Germanen  über- 
tragen haben.“  Es  muß  also,  so  ist  die  Argumentation  wohl 
fortzuführeu,  der  Bezirk,  den  die  Römer  bei  den  Germanen  pagus 
hießen,  derselben  Art  gewesen  sein,  wie  der  keltische  Bezirk,  dem 
die  Römer  diesen  Namen  gegeben  hatten.  Dieser  Schlußforderung 
gegenüber  durfte  sich  Rachfahl  nicht  mit  der  Bemerkung  be- 
gnügen, daß  sie  „falls  die  anderen  Einwendungen  Brunners  sich 
als  unberechtigt  erweisen,  der  durchschlagenden  Beweiskraft“ 
entbehre.  Aber  man  kann  ihr  auch  nicht  beitreten. 

Marke  dans  lins  contröes  au  mnyen  agc.  (in  Bulletins  de  rAcadeinie  Koyale 
des  Sciences  etc.,  de  Belgiipie  2.  Serie  Tome  XXXVI11  1874  S.  -'ISO  IT.)  S.  243. 
Vgl.  auch  v.  Sybel,  Kntstclumg  des  deutschen  Königtums 3 S.  73.  f. 

In  neuester  Zeit  ist  dafür  Heu  sie  r Verfassungsgesell.  S.  13  eingetreten. 

')  Vgl.  hierin  Schröder  Kg5  1!)  Anin.  13.  Dahn  l'rgcschichtc  I'  S.  88 
nimmt  sogar  an,  dall  nicht  die  civitas,  sondern  der  Bau  (pagus)  der  Kinheits- 
staat  sei.  Ders.  Könige  I S.  !)  IT. 

’)  Sickcl  Freistaat  8.91.  Anin.  bat  dieses  Argument  ebenfalls  ver- 
wertet: bei  ihm  ist  auch  die  frühere  Literatur  angeführt. 

3)  Ug.»  I S.  159. 

4)  Vgl-  S.  (!7  Anm.  1. 


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81 


Bei  den  Galliern  gab  es,  soviel  uns  bekannt  ist,  keine  Hundert- 
schaften1). Das  Land,  die  civitas,  hatte  als  einzigen  Unterbezirk 
den  pagus.  Diese  gallischen  pagi  sind  sehr  selbständige  Körper, 
die  auf  eigene  Faust  Krieg  führen  und  nur  in  einem  sehr  losen 
Zusammenhang  stehen.  Dies  schon  scheidet  sie  m.  E.  von  den 
hypothetischen  germanischen  Gauen.  Es  wird  ja  allerdings  von 
verschiedenen  Seiten  eine  autonome  Stellung  auch  für  die  germa- 
nischen Gaue  angenommen  und  dabei  immer  wieder  auf  die 
Zustande  bei  den  Cheruskern  zur  Zeit  von  Armin.  Segestes  und 
Inguiomer  hingewiesen  *).  Aber  beim  Lichte  betrachtet  ist  gerade 
dieser  Fall  der  Cherusker  sehr  wenig  beweiskräftig,  was  wohl 
aneh  Brunner  nicht  entgangen  wäre,  wenn  er  sich  nicht  auf 
Bahn  verlassen  hätte.  Quellenmäßig  läßt  sich  allein  feststelleu, 
<iaü  dem  Germanikus  gegenüber  einzelne  hervorragende  Cherusker 
einen  verschiedenen  Standpunkt  einnahmen,  die  einen  erwiesen  sich 
den  Körnern  feindlich,  die  andern  wohlgesinnt;  jeder  dieser  Männer 
Ulte  auch  ersichtlich  eine  Menge  von  Anhängern*).  Es  ist  aber 
M'hdii  ganz  willkürlich,  wenn  Brunner  stillschweigend,  Gramer’) 
sogar  ausdrücklich  annimmt,  daß  diese  einzelnen  Cherusker,  Segestes, 
Inguiomer,  Hegimer  und  Armin  Gaufürsten  waren;  dafür  haben 
wir  nicht  den  geringsten  Anhaltspunkt.  Und  selbst  wenn  sie 
Gaufiirsten  waren,  und  wenn  die  verschiedenen  Gaue  der 
Cherusker  gegenüber  den  Römern  nicht  einheitlich  vergingen,  so 
ist  noch  nicht  gesagt,  daß  das  auch  den  allgemein  herrschenden 

')  Vgl.  Mo  in  in  sc  n Römische  Geschichte  V.  S.  81  ff. 

’)  So  auch  von  Ilrunncr  Kg.  1 1 S.  158:  Hahn  Urgeschichte  der  (1er- 
amen  1 S.  8ü. 

J)  Vgl.  hierzu  Tacitus,  Annales  I 55.  58.  60. 

*)  .1.  Gramer,  Die  Verfassungsgeachichte  der  Germanen  und  Kelten 
S.  63.  Tacitus  nennt  allerdings  Ann.  I 55  Anninius,  Segestes  und  ccteri, 
in  denen  vielleicht  Inguiomer  und  Segiiner  gehören,  principes.  Aber  abge- 
geben davon,  da II  wir,  wie  schon  oben  S.  78  Anni.  2 betont,  keine  Anhalts- 
punkte dafür  haben,  in  den  principes  Gaufiirsten  zu  sehen,  wird  gerade  an 
dieser  Stelle  durch  den  Wechsel  von  proceres  und  principes  in  der  Bezeich- 
nung derselben  Personen  der  Zweifel  wachgernfen,  ob  Tacitus  hier  überhaupt 
mit  bestimmten  Terminologien  rechnet:  denn  keinesfalls  waren  die  principes 
und  proceres  die  Nämlichen,  wenn  auch  viele  principes  zugleich  proceres 
»ami  und  umgekehrt.  Im  übrigen  tritt  Segestes  mit  seinen  propinipii 
auf,  Arminius  Ann.  I 58  sogar  mit  seiner  factio,  woraus  doch  deutlich  hcr- 
Mrgeht,  ilall  sich  hier  nicht  Gaue,  sondern  Parteien  gegonüberstehen. 
r.  Schwerin,  allserm  Hundertschaft  6 


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Anschauungen  entsprach.  Es  wäre  nicht  der  erste  Fall  gewesen, 
wenn  ein  cheruskischer  Gau  sich  von  den  andern  losgesagt  hätte 
und  seine  eigenen  Wege  gegangen  wäre.  Wir  brauchen  aber 
nicht  zu  solchen  Hypothesen  unsere  Zuflucht  zu  nehmen.  Der 
Hergang  war  keineswegs  der,  daß  etwa  Arminias  mit  seinem  Gau 
gegen  die  Römer  kämpfte,  Segestes  mit  seinem  Gau  sich  ihnen 
zugesellte.  Wir  wissen  im  Gegenteil  durch  Taeitus,  daU  es 
sich  für  die  Römer  darum  handelte  die  sämtlichen  Cherusker 
(„hostem“),  die  damals  offensichtlich  nicht  in  den  Römern  erkenn- 
bare Abteilungen  zufielen,  in  zwei  feindliche  Parteien  zu  spalten. 
Segestes  wurde  durch  den  Beschluß  des  Volkes  (consensu  gentis) 
in  den  Krieg  hineingerissen  und  stand  ganz  allein,  noch  dazu 
heimlich,  aut  römischer  Seite.  Nicht  lange  darauf  ist  Segestes 
gezwungen,  zu  den  Römern  um  Hilfe  zu  schicken,  weil  bei  seinem 
Volke  (apud  eos)  Arminias  an  Macht  gewann.  Die  ganzen  Ereig- 
nisse sind  nichts  anderes  als  ein  Kampf  zweier  Richtungen  inner- 
halb eines  und  desselben  Kreises.  Und  auch  Arminius  eilt,  als 
er  zum  Aufstand  gegen  die  Römer  aufruft  nicht  etwa  durch  seinen 
pagus,  sondern  per  Choruseos.  Dies  vertragt  sich  so  wenig  wie 
überhaupt  die  ganze  Schilderung  des  Aufstandes  in  den  Annalen 
mit  der  Annahme,  es  handle  sich  da  um  das  politisch  selbständige 
Vorgehen  von  Gauen1). 

In  dem  weiteren  von  Gramer  angeführten  Fall  politischer 
Selbständigkeit  eines  Gaues  muß  ich  schon  der  Übersetzung  wider- 
sprechen8). Wenn  bei  Taeitus  Hist.  IV.  26  steht:  utque  praeda 
ad  virtutem  aeeenderetur.  in  proximos  t'ugernoruni  pagos,  qui 
societatem  Civilis  acceperant,  ductus  a Voeula  exercitus,  so  muß 
das  doch  nicht  heißen,  daß  das  Heer  in  die  Zunächstgelegenen 
der  Gaue  der  Kugemer  geführt  wurde,  und  nur  bei  dieser  Über- 
setzung erscheint  ein  Teil  der  kugemischen  Gaue  selbständig. 


’)  In  ganz  ähnlicher  Weise  hat  schon  Schröder  Kg.5  S.  21  Anni.  24 
gegen  Brunners  Auflassung  der  einschlägigen  Tacitnsstellen  Einspruch 
erhoben,  aber  ohne  jeden  Erfolg,  lin  übrigen  kann  ich  Schröder  nicht  zu- 
stimmen,  wenn  er  ebda,  militärische  Selbständigkeit  der  traue  aus  dem  Eehde- 
recht  der  Sippen  folgert.  Denn  der  Gau  ist  mit  einer  Sippe  nie  zu  ver- 
gleichen. Vgl.  oben  S.  78.  Anni.  2). 

-)  Dies  zugleich  gegen  Schröder  a a.  0.,  der  ebeuso  übersetzt  wie 
t'ramer. 


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SH 


Vielmehr  sagt  die  Stelle  lediglich,  daß  Vocula  sein  Heer  in  die 
(iebiete  der  Kngerner  führte,  die  seinem  damaligen  Standquartiere 
von  allen  feindlichen  Gebieten  zunächst  lagen.  Das  waren  nicht 
rerti  Cugemorum  pagi.  sondern  omnes  Cugemorum  pagi,  die  zu 
Civilis  übergetreten  waren ; womit  es  übereinstimmt,  daß  wir  im 
späteren  Verlauf  des  Aufstandes  die  Cugerni  ohne  Ausnahme 
auf  Seite  des  Bataver  finden.  Man  kann  aber  auch  davon  absehen, 
_«|ui“  auf  pagi  zu  beziehen  und  es  zu  Cugerni  stellen.  Nichts 
spricht  dagegen  und  die  Folge  ist  wiederum,  daß  eine  Selbstän- 
digkeit einzelner  oder  einiger  kugernischer  Gaue  aus  der  Stelle 
nicht  zu  folgern  ist. 

Wir  kommen  zu  dem  Schlüsse,  daß  für  eine  politische  Selbst- 
ständigkeit der  germanischen  Gaue  keinerlei  Beweis  zu  erbringen 
ist.  und  da  andererseits  der  keltische  Gau  solche  Selbständigkeit 
besitzt,  liegt  es  nahe,  diese  Gaue  nicht  für  gleichartige,  sondern 
für  verschiedenartige  Hinrichtungen  zu  halten. 

Aber  auch  abgesehen  von  diesem  für  sich  allein  vielleicht 
nicht  ausreichenden  Argument,  kann  ich  Brunners  Schlußfol- 
gerung aus  anderen  Gründen  nicht  beitreten.  Sie  setzt  nämlich 
voraus,  daß  pagus  bei  den  Römern  — von  den  späteren  lateinischen 
(Quellen  sehe  ich  ganz  ab  — ein  fester,  eindeutiger  Terminus  war. 
Denn  nur  unter  dieser  Voraussetzung  läßt  sich  sagen,  daß  alle 
Bezirke,  die  die  Römer  pagus  nannten,  einander  gleich  waren. 
Aber  gerade  an  dieser  Voraussetzung  fehlt  es,  wie  Brunner 
selbst  zugibt.  Pagus  kann  „an  sich  jeden  Landbezirk  bezeichnen“ 
und  damit  fallt  die  Geschlossenheit  in  Brunners  Argumentation1). 

Jedoch  braucht  man  deshalb  nicht  anzunehmen,  daß  Caesar 
bewußt  zwei  völlig  verschiedenen  verfassungsrechtlichen  Einrich- 
tungen den  gleichen  Namen  pagus  gegeben  hat.  Denn  bei  aller 
Verschiedenheit  in  der  Größe  und  im  Grad  der  politischen  Selbstän- 
digkeit haben  der  germanische  und  der  keltische  pagus  doch  das 

')  Hie  verschiedenem  Meinungen  über  „pagus“  sind  erschöpfend  zu- 
suumengeatcllt  und  behandelt  bei  llaumstark  l'rdeutsclio  Stnatsaltcrtüiner 
S.  330  fT.  tScrber  Leiicon  Tacitcum  S.  1<*4!>  s.  v.  pagus  führt  sogar 
onen  Fall  au,  in  dem  pagus  bei  Tacitus  soviel  wie  Dorf  bedeutet.  Übrigens 
et  in  beachten,  daß  einen  Anhaltspunkt  für  die  tiröße  eines  pagus  überhaupt 
nur  Caesar  de  bell.  galt.  IV,  1 gibt:  au  allen  anderen  Stellen  können  ilie  pagi 
von  beliebiger  (Jrölle  sein. 

e* 


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84 


miteinander  gemeinsam,  daß  sie  der  unter  der  eivitas  stehende 
Bezirk  sind.  Dem  helvetischen  Unterbezirk  hat  Caesar  den  Namen 
pagus  gegeben,  und  als  ihm  bei  den  Germanen  ein  Unterbezirk 
entgegentrat,  bezeichnete  er  diesen  ebenfalls  als  pagus.  Insofern 
gebe  ich  Brunner  sogar  zu,  daß  Caesar  seine  Terminologie  an 
keltischen  Verhältnissen  entwickelt  hat1).  Aber  ein  tertium  com- 
parationis  führt  noch  nicht  zur  Kongruenz. 

Brunner  mußte  doch  auch  erwägen,  daß  Tacitus  den  BegrilV 
pagus  nicht  für  die  Kelten  geschaffen,  sondern  der  römischen  Ver- 
fassungsterminologie entnommen  hat.  Und  doch  ist  der  pagus  der 
Kelten  etwas  anderes  als  der  des  römischen  Weltreichs. 

Übrigens  laßt  sich  zu  allem  Überfluß  aus  Caesar  selbst 
beweisen,  daß  der  Bezirk,  den  er  bei  den  Kelten  pagus  hieß, 
größer  war,  wie  der  germanische,  dem  er  diesen  Namen  gab. 

Nach  Caesar  de  bell.  g.  I,  1*2  war  das  ganze  Gebiet  der 
Helvetier  in  vier  pagi  geteilt.  Da  nach  I,  2!)  das  Uesamtvolk  der 
Helvetier  eine  Zahl  von  26  300  erreichte  und  mindestens  ein 
Viertel  waffenfähig  war,  so  entfielen  auf  jeden  pagus  6 500  Waffen- 
fähige. Damit  stimmt  ungefähr  fiberein  I,  27: 

„Dum  ea  conquiruntur  et  eonferuntur,  nocte  intennissa 
circiter  hominum  milia  sex  eius  pagi,  qui  Verbigenus  ajipel- 
latur  . . . e castris  Helvetiorum  egressi  ad  Rhenum  finesque 
Gormanorum  contenderunt.“ 

Selbst  wenn  wir  annehmen,  daß  alle  Leute  dieses  pagus  Ver- 
bigenus wegzogen,  was  durch  den  Wortlaut  nicht  einmal  verlangt 
ist,  so  haben  wir  auch  hier  eine  sehr  erhebliche  Menge  von 
Kriegern  als  in  einem  Gau  befindlich  anzunehmen. 

Von  den  germanischen  Gauen  der  Sueben  dagegen  berichtet 
uns  Caesar,  daß  jeder  nur  zweitausend  Krieger  enthielt.  Mögen 
nun  diese  sämtlichen  Angaben  falsch  oder  den  Tatsachen  ent- 
sprechend sein,  jedenfalls  war  für  Caesar  der  keltische  Gau  der 
Größe  nach  etwas  anderes  als  der  germanische.  Auf  Caesars 
Meinung  aber  müßte  es  nach  Brunner  allein  ankommen. 

*)  Im  Prinzip  jedoch  muli  ich  Sickel  zustiuimen,  der  Inst.  f.  öst.  Go- 
schichtsf.  Krg.  Bd.  I S.  15  Amn.  1 sagt,  cs  sei  ein  unrichtiger  Schluß,  .daß 
wir  den  Gcnnanenstaat  aus  dein  Keltenstaat  erläutern  könnten,  weil  für  beide 
eivitas  und  pagus  gebraucht  sind.  Ist  doch  auch  der  keltische  pagus 
nicht  gleich  dem  italischen!" 


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Überhaupt  ist  für  die  ganze  Frage  der  Sprachgebrauch  be- 
züglich  des  Wortes  pagus  entscheidend,  Geht  man  davon  aus, 
daß  pagus  überall  den  nämlichen  Sinn  hat,  in  allen  Quellenstellen 
denselben  llezirk  bezeichnet,  so  läßt  sich  die  Identifizierung  von 
jkutus  und  Hundertschaft  im  üblichen  Sinn  nur  unter  Verwerfung 
von  Quellenstellen  durchführen.  Geht  man  umgekehrt  davon  aus, 
daß  pagus  an  verschiedenen  Stellen  verschiedene  Bedeutung  hat, 
so  folgt  daraus,  daß  man  in  dem  pagus  ohne  weiteres  weder  eine 
Hundertschaft  noch  einen  Gau  sehen,  sondern  höchstens  aus  dem 
ganzen  Zusammenhang  entnehmen  kann,  welcher  Bezirk  gemeint  ist  ■). 

Das  gilt  auch  für  Brunner’s  zweites  Argument,  die  viel 
umstrittene  Stelle  bei  Caesar.  De  b.  gall.  IV,  1: 

„Hi  centum  pagos  habere  dicuntur.  ex  quibus  quotannis 
singula  milia  armatorum  bellandi  causa  suis  ex  finibus 
educunt.  Reliqui,  qui  domi  remanserunt,  sc  atque  illos 
alunt;  hi  rursus  in  vicem  anno  post  in  armis  sunt,  illi 
domi  remanent.“ 

Auf  die  viel  angegriffenen  „centum  pagi“  habe  ich  hier 
nicht  einzugehen.  Wenn  Caesar  in  dieser  Stelle  den  Suehi 
100  Gaue  zuschreibt,  an  anderer  Stelle  nur  einem  Teil  dieses 
Volkes  ebensoviele,  wenn  Tucitus  berichtet,  die  Semnones  hätten 
100  Gaue  bewohnt,  Plinius  den  Hilleviones  ein  Gebiet  von 
jOO  pagi  anweist,  so  folgt  aus  allen  diesen  Angaben  nicht  das 
mindeste  für  die  Größe  dieser  pagi.  Vielmehr  haben  wir  es  bei 
diesen  Zahlen,  wie  M ü 1 1 e n h o f f s)  Helfend  bemerkt,  mit  einem 
.sagenhaften  Anschlag“  zu  tun.  Diese  Angaben  sind  eine  Be- 
tätigung der  Ausführungen  über  den  Gebrauch  des  Wortes 
.hundert“  oder  „centum“  oder  sie  gehen  möglicherweise  sogar 
darauf  zurück,  daß  die  Gewährsmänner  der  Römer  von  „huntari“ 
sprachen  Jj. 


*)  Vgl.  Hirschfeld  Haitische  Studien  in  den  Sitzungsber.  d.  Wiener 
Akademie.  phil.-hist.  Klasse  103  S.  304. 

*)  D-A.  IV  S.  461.  Ebenso  schon  iinckert,  Historisches  Taschcn- 
boch  1861  S.  359. 

*)  Ebenso  unbestimmt  wie  pagus  sind  die  llegriffe  bant  (Tubantes, 
Brabant,  Testerbant),  eiba  (Wetereiba,  Wingarteiba)  und  bar,  para  (Albu- 
tnpara).  Sic  sind  deshalb  für  die  Erforschung  der  germanischen  Yer- 


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8f 


Im  übrigen  berichtet  liier  Caesar  dem  Worte  nach 
von  pagi,  die  2000  Krieger  enthalten  und,  wenn  eine  Hundert- 
schaft eine  Vereinigung  von  etwa  hundert  Männern  oder  ein 
Komplex  von  etwa  100  Hufen  ist,  so  können  diese  pagi  keine 
Hundertschaften  sein 1 j.  Diese  Schlußfolgerung  ist  zwingend. 

Denn  ich  möchte  mich  nicht  der  Gegenargumentation  bedienen, 
daß  sich  die  ursprünglich  hundert  Krieger  seit  der  Niederlassung 
so  sehr  vermehrt  haben  könnten.  Nicht  nur  ist  ein  so  rasches 
Anwachsen  der  Bevölkerungsziffer  sehr  unwahrscheinlich,  sondern 
es  würde  auch,  wenn  sich  die  Bevölkerung  so  sehr  vermehrt 
hätte,  eine  Verschiebung  der  ursprünglichen  Wohnsitze  haben 
stattfinden  müssen;  das  ursprünglich  von  hundert  Kriegern  in 
Besitz  genommene  Land  hätte  niemals  von  2000  bewohnt  sein 
können.  Aber  auf  der  anderen  Seite  ist  wohl  zu  beachten,  daß 
eine  Einwohnerschaft  von  2000  Kriegern  auch  nicht  in  einem 
pagus  sich  aufhalten  kann,  der  das  Niederlassungsgebiet  einer 
Tausend  schaff  ist.  Denn  auch  eine  Verdopplung  der  Bevölkerungs- 
ziffer ist  bei  den  damaligen  Verhältnissen,  den  fortwährenden 
Verlusten  an  Menschen  im  Kampf,  innerhalb  der  Zeit  seit  der 
Ansässigmachung  und  den  Kriegen  mit  Caesar  nicht  anzunehmen. 
Konsequent  mußte  Brunner  annehmen,  daß  diese  pagi  der 


fassung  nicht  weiter  zu  verwerten.  Ob  etwa  die  Tubantcs  das  Oebiet 
zweier  Hundertschaften  bewohnt  haben,  das  ist  eine  Krage,  die  nicht  gelöst 
werden  kann,  und  es  ist  infissig,  sie  hypothetisch  zu  bejahen  oder  zu  ver- 
neinen. Vgl.  Schröder  R.  G.1  S.  21.  Waiti  V.  G.  I3  S.  207  Grimm 
Kechtsaltertümer ‘ II  S.  8 f. 

Dahn,  Könige  VII,  1 S.  3 hält  die  100  Gaue  der  Sueben  aufrecht, 
weil  nach  seiner  Ansicht  jede  Völkerschaft  im  Durchschnitt  4 — 6 Gaue 
zählte  und  die  Sueben  etwa  13 — 20  Völkerschaften  hatten.  Vgl.  die 
treffenden  Bemerkungen  v.  A.  Bugge  a.  a.  0.  S.  16  .Rimeligvis  har  hau 
(l’linius)  liprt  at  Hillevionerne  bodde  i fern  „hundreder“  og  misforstaaet 
dettc  som  -fein  hundrede  landsbyer“. 

')  Thudichuui,  der  altdeutsche  Staat  S.  34  will  diese  Schwierigkeit 
dadurch  lösen,  dall  er  hundert  Rotten  zu  je  10  Mann  annimmt.  Dafür  gibt 
es  aber  keinen  Anhaltspunkt:  die  ungezogene  Stelle  aus  den  Loges  Kdw. 
t'onf.  ist  bei  dem  geringen  Wert  dieser  Quelle  ohne  Beweiskraft.  Vgl.  F. 
Lieberinann.  Uber  die  Legcs  Kdwardi  Confessoria  S.  74.  Auch  Sickcl 
Freistaat  S.  19  meint,  dal!  die  pagi  Gaue  sein  müssen,  weil  ihre  Grölie 
die  der  Hundertschaften  weit  ubcrlraf. 


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Sueben  weder  Hundertschaften  noch  Gaue  sind.  Und  das  erscheint 
mir  auch  richtig.  Es  sind  Gebiete  von  unbestimmter  Größe,  aus 
«lenen  jährlich  eine  große  Menge  (natürlich  nicht  gerade  tausend) 
von  Bewaffneten  ins  Feld  zieht. 

Wenn  aber  auch,  wie  zugegeben,  diese  pagi  der  Suebi  keine 
Hundertschaften  gewesen  sein  können,  folgt  dann  daraus,  daß 
pagus  an  keiner  Stelle  Hundertschaft  bezeichnen  kann,  oder  etwa 
daß  es  einen  bestimmten  anderen  Bezirk  bezeichnen  muß?  Diese 
beiden  Fragen  sind  zu  verneinen. 

Zur  Rechtfertigung  verweise  ich  auf  die  schon  oben  erwähnte, 
unbestrittene.  Tatsache,  daß  pagus  einen  Landbezirk  schlechthin 
bedeutet,  ohne  daß  man  mit  diesem  Wort,  die  Vorstellung  irgend 
einer  Größe  zu  verbinden  hätte.  Eben  deshalb  kann  pagus  an 
der  einen  Stelle  zur  Bezeichnung  eines  Gebietes  verwendet  werden, 
von  dem  der  Schreiber  nicht  einmal  eine  bestimmte  Vorstellung 
hat,  an  der  anderen  zur  Bezeichnung  eines  ganzen  Volksgebietes, 
an  einer  dritten  zur  Bezeichnung  eines  genau  abgegrenzten  Ge- 
bietsteiles. Das  erkennt  Brunner  an,  verwertet  es  aber  nicht. 
Hätte  er  es  verwertet,  so  wäre  er  zu  dem  Schlüsse  gekommen, 
«laß  die  Stelle  aus  Caesar  weder  in  der  einen  noch  in  der 
anderen  Richtung  beweiskräftig  ist.  Sie  kann  uns  wegen  eben 
der  Vieldeutigkeit  des  Wortes  pagus  nicht  beweisen,  daß  nicht 
doch  an  anderer  Stelle  pagus  einen  Hundertschaftsbezirk  bedeuten 
kann.  Sie  ist  aber,  wie  schon  bemerkt,  auch  nicht  im  Stande, 
die  Existenz  von  Gauen  zu  beweisen.  Denn  auch  die  (taue 
können,  so  wie  sie  von  Brunner  und  seinen  Anhängern  gedacht 
sind,  nicht  2000  wehrfähige  Männer  enthalten;  das  würde  ja,  da 
sie  Tausendschaftsniederlassungen  sein  sollen,  eine  Verdoppelung 
der  Bevölkerung  innerhalb  kurzer  Zeit  voraussetzen.  Ich  trage 
übrigens  kein  Bedenken,  gerade  bei  dieser  «Stelle  nach  dem 
„Rezept“  Brunner’s  zu  verfahren  und  diese  Stelle,  wenn  auch 
nicht  völlig  als  unglaubwürdig  zu  verwerfen,  so  doch  als  ein  Miß- 
verständnis anzusehen.  So  gut  man  in  den  „centum  pagi“  ein 
Mißverständnis  erblickt,  so  gut  kann  man  die  anderen  Zahlen- 
angaben dieser  Stelle  als  ein  solches  auffassen  angesichts  der 
eben  ausgeführten  Tatsache,  daß  sie  weder  zu  Gauen  noch  zu 
Hundertschaften  passen.  Es  wäre  sogar  möglich,  daß  auch  kein 
Mißverständnis  vorliegt,  sondern  daß  Caesar  falsch  unterrichtet 


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war.  Konnte  denn  nicht  ein  Interesse  daran  bestehen,  ihm  eine 
übertriebene,  wenn  auch  falsche  Vorstellung  von  der  Grolle  des 
Suebenvolkes  beizubringen  ?’)  Doch  mag  all  dem  sein,  wie 
immer,  fest  steht,  da  LI  diese  pagi  weder  Hundertschaften  noch 
Tausendschaften  enthalten  können. 

Als  letztes  Argument  fuhrt  Brunner  die  Nachrichten  des 
Tacitus  über  die  Hundertschaften  ins  Feld.  Hierher  gehört  zu- 
nächst Germ.  c.  ti: 

„in  Universum  aestimanti  plus  penes  peditem  roboris; 
eoque  mixti  proeliantur,  apta  et  congruente  ad  equestrem 
pugnam  velocitate  peditum,  quos  ex  omni  juventute  delectos 
ante  aciem  loeant.  definitur  et  numerus:  centeni  ex  singulis 
pagis  sunt,  idque  ipsum  inter  suos  vocantur,  et  quod  primo 
numerus  fuit,  iam  nomen  et  honor  est.“ 

Hierzu  bemerkt  Brunner:  „Da  nach  Germ.  c.  H jeder  ein- 
zelne Gau  je  hundert  Mann  zu  der  aus  Reitern  und  Fußgängern 
gemischten  Sondertruppe  stellte,  so  muß  die  Zahl  der  sonstigen 
Heermänner  des  Gaues  so  erheblich  gewesen  sein,  daß  die  Be- 
zeichnung Hundertschaft  für  den  Gau  schon  damals  schlechter- 
dings nicht  mehr  gepaßt  hätte.“*). 

An  diese  Tacitusstelle  knüpft  sich  eine  langwierige  Kontro- 
verse, die  Iris  heute  noch  keine  anerkannte  Lösung  gefunden  hat  3). 
Auch  die  folgenden  Ausführungen  beanspruchen  nicht,  eine  er- 
schöpfende Lösung  zu  bringen:  denn  es  können  überhaupt  nur  die 
in  ihr  enthaltenen  einzelnen  Fragen  zur  Erörterung  kommen,  die 
für  unsere  Hauptfrage  von  Bedeutung  sind. 

Außer  Zweifel  ist,  daß  die  Germanen,  wie  auch  andere  indo- 

')  In  den  übertriebenen  Zahlenangaben  erinnert  die  Stelle  an  die  oben 
citierte  aus  der  Hervararsaga,  wo  cs  der  Verfasser  auch  darauf  anlegt,  beim 
Leser  die  Vorstellung  eines  gewaltigen  Heeres  zu  erwecken.  Her  Polemik 
von  Hach  fahl  a.  a.  0.  S.  1GI>  vermag  ich  mich  nicht  anznschlieBcn.  Die 
Grundlage  seiner  Ausführungen,  die  Ilcvölkerungsbcrechnungen  Dclbrnck's, 
sind  reine  Fantasie. 

s)  Was  Hach  fahl  a.  a.  0.  S.  11(8  gegen  Hrunncr  ausfnhrt,  scheint 
mir  haltlos.  Warum  soll  die  Bemerkung,  daU  die  Bezeichnung  hundari 
(centum)  ihren  Ursprung  einem  Zahlenverhältnis  verdanke  „Vermutung“ 
sein?  Im  Gegenteil  sehe  ich  die  einzig  mögliche  Erklärung  dieses  Namens 
in  dem  Zusammenhang  mit  dem  Zahlwort  und  Mengenwort  hundari. 

*)  Möllenhoff,  1).  A.  IV  173  f. 


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germanische  Völker,  eine  gemischte,  aus  Reitern  und  Fußkämpfem 
bestehende  Truppe  gekannt  haben,  die  sie  vor  dem  übrigen  Heere, 
der  at  ies,  aufstellten ').  ln  Frage  steht  dann  nur  noch,  wie  groß 
diese  Truppe  war,  ob  sie  überhaupt  in  einem  bestimmten  Zahlen- 
verhältnis zu  der  Zahl  der  Haupttruppe  stand,  und  wie  sie  zu- 
stande kam.  Mit  diesen  Fragen  sollen  sich  die  folgenden  Aus- 
führungen des  näheren  beschäftigen. 

Was  die  Erörterung  und  die  Auslegung  des  c.  (!  der  Ger- 
mania besonders  erschwert,  ist  der  Umstand,  daß  wir  aus  anderen 
Quellen  nur  sehr  wenig  Nachrichten  über  diese  sogenannte  Elite- 
truppe haben,  mit  denen  wir  den  Bericht  des  Tacitus  ergänzen 
und  erläutern  könnten.  Nur  Caesar  äußert  sich  darüber  d.  b.  g. 
I.  c.  48: 

.Genus  hoc  erat  pugnae,  quo  se  Germani  exercuerant. 
Equitum  milia  erant  VI,  totidetn  numero  pedites  velocissimi  ac 
fortissimi.  quos  ex  omni  copia  singuli  singulos  suae  salutus 
causa  delegerant  . . . .“ 

Hier  erfahren  wir  also,  daß  das  Heer  des  Ariovist  eine  Elite- 
truppe von  12000  Mann.  6000  Reitern  und  6000  Fußgängern 
hatte.  Damit  operiert  nun  Möllenhoff  folgendermaßen*).  Er 
geht  von  der  oben  erwähnten  Nachricht  des  Caesar  aus,  daß 
die  Sueben  hundert  Gaue  bewohnten,  nimmt  diese  Hundert  als  ein 
Großhundert,  läßt  jeden  Gaue  tausend  Mann  stellen  und  erhält 
mit  dieser  Rechnung  ein  Suebenheer  von  120000  Mann,  was 
Caesar  d.  b.  g.  I c.  61  entspräche.  Nun  fährt  er  fort:  „Das 
war  aber  nur  die  Stärke  des  Fußvolks.  Die  Reiterei  zählte  nach 
BG.  I,  48  6000  Mann  zu  Pferde  und  ebensoviele  Fußgänger, 
Parabaten,  also  im  ganzen  12000  Mann.  Dividiert  man  diese  Zahl 
durch  die  Zahl  der  120  pagi,  so  ergibt  sich,  daß  jeder  pagus 
UHi  Mann  dazu  stellte,  50  Reiter  und  50  Fußgänger.  Das  stimmt 
vollkommen  zu  Tacitus:  centeni  ex  singulis  pagis. 

Diese  Rechnung  scheitert  schon  daran,  daß  sie  nur  infolge 
einer  ganz  willkürlichen  Auslegung  zustande  gekommen  ist.  Was 
gibt  Müllen  hoff  die  Berechtigung,  in  den  centum  pagi,  120 
zu  sehen,  dieses  centum  als  Großhundert  aufzufassen?  Mit  dem- 

■)  Vgl.  Brunner,  140.  I*  S.  183. 

*)  Möllenhoff,  D.  A.  IV  S.  178. 


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8t1  Iben  Recht  kann  mau  die  centeni  bei  Tacitus  als  Großhundert 
anselien,  und  dann  stimmt  Müllenhoff’s  Rechnung  keineswegs. 
Sie  hat  außerdem  noch  einen  Fehler.  Müllenhoff  übersieht 
nämlich,  daß,  um  dieses  Heer  aufzubringen,  nicht,  wie  er  sagt, 
jeder  pagus  1000  Mann  stellen  mußte,  auch  nicht  tausend  Fuß- 
gänger. sondern  1100  Mann  oder  1050  Fußgänger  und  50  Reiter. 
Für  eine  solche  Zahl  haben  wir,  auch  wenn  wir  eine  Aushebung«- 
ziffer  annehmen  wollten,  absolut  keine  Anhaltspunkte.  Nur 
nebenbei  bemerkt  sei,  daß  es  sonderbar  anmutet,  gerade  bei 
Müllenhoff  diese  Rechnung  zu  lesen,  der  doch  die  centum 
pagi  „einen  sagenhaften  Anschlag“  nennt. 

Ist  somit  die  Berechnung  Müllenhoffs  an  sich  schon  falsch, 
so  genügt  ein  Hinweis  darauf,  daß  sie  auch  ohne  die  genannten 
besonderen  Fehler  keine  durchschlagende  Beweiskraft  hätte,  weil 
sie  auf  zu  unsicherer  Grundlage  steht.  Die  Zahlenangaben  Caesar’s 
über  ilie  Stärke  feindlicher  Truppen  können  nie  als  Grundlage  für 
Beweisführungen  dienen. 

Aus  Caesar  ist  also  zweifellos  nicht  zu  entnehmen,  daß  jeder 
Gau  zur  Elitetruppe  gerade  100  Mann  stellte.  Infolgedessen 
kann  man  auch  nicht  schließen,  daß  die  pagi,  die  nach  Tacitus 
centeni  stellten,  solche  Gaue  waren. 

Um  nun  auf  Germ.  c.  0 zurückzukommen,  so  mache  ich  hier 
aufmerksam  auf  den  Schluß;  „ . . . quod  primus  numerus  fuit, 
iam  nomen  et  honor  est.“  Daraus  folgt,  daß  zwar  die  Elitetruppe 
zur  Zeit  des  Tacitus  nicht  mehr  hundert  Mann  enthielt,  wohl  aber 
früher;  daß  sie  einmal  diese  Größe  hatte,  soll  ja  gerade  ihren 
Namen,  den  wir  allerdings  nicht  erfahren,  aber  vielleicht  in 
huntari  vermuten  können,  rechtfertigen.  Da  erhebt  sich  nun  die 
Frage,  ob  diese  Vorstellung  überhaupt  möglich  ist.  Kann  die 
Elitetruppe  einmal  so  ein  Hundertverband  gewesen  sein?  Die 
herrschende  Meinung  wird  die  Frage  bejahen,  indem  sie  annimmt, 
daß  der  Gau  hundert  zur  Elitetruppe  stellte.  Dies  mit  angenommen, 
kann  ich  es  berechtigt  finden,  wenn  die  übrigen,  in  der  acies 
stehenden  Männer  die  Elitetruppe  des  Gaus  ein  huntari  hießen. 
Nun  denke  man  sich  aber,  daß  mehrere,  etwa  5 Gaue  eine  Schlacht 
geliefert  haben,  sollte  dann  diese  Elitetruppe  auch  wieder  ein 
Hunderterverband  geheißen  haben.  Gewiß  nicht!  Eine  Truppe, 
die  immer  in  ihrer  Größe  variierte,  je  nach  dem  Bestand  der 


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Haupttruppe,  erhielt  bei  den  Germanen  so  wenig  einen  Namen,  der 
nur  eine  Zahl  war,  wie  sie  ihn  bei  uns  erhalten  würde. 

Damit  will  ich  keineswegs  behaupten,  «lall  Tacitus  uns  falsch 
berichtet  habe.  Er  hat  mit  gutem  Grund  von  den  centeni  ex 
singulis  pagis  gesprochen.  Denn  ihm  oder  seinem  Gewährsmann 
gegenüber  sprach  der  um  die  Sache  befragte  Germane  von  huntari. 
Übersehen  wurde  dabei  nur,  «lall  huntari  nicht  eben  hundert  be- 
zeichnen muH.  Der  Germane  wollte  nur  sagen,  «lall  jeder  pagus 
eine  gewisse  Menge  von  Leuten  zur  Elitetruppe  stellte.  Aller- 
dings darf  man  auch  diese  Fassung  nicht  pressen,  sondern  in  der 
Wirklichkeit  verhielt  sich  die  Sache  wohl  so,  «lall  von  jedem  pagus 
eine  nicht  gerade  abgezahlte,  aber  schon  durch  die  Verhältnisse 
beschränkte  Anzahl  von  Reitern  kam,  und  jeder  von  diesen  hat 
sich  dann,  wie  ja  Caesar  erzählt,  seinen  Begleiter  ausgesucht. 

Bei  dieser  Erklärung  kann  die  Elitetruppe  immer  huntari 
heiilen,  ob  nun  die  Hauptruppe  und  damit  sie  selbst  grillier  oder 
kleiner  war.  Wir  können  aber  andererseits  aus  dem  „centeni“ 
keine  Schlüsse  auf  die  Grolle  des  pagus  ziehen;  dieser  kann  eben- 
sogut als  Hundertschaft,  wie  als  Gau  huntari  zur  Elitetruppe  ge- 
stellt haben '). 

Ich  gehe  nun  über  zu  der  zweiten  einschlägigen  Stelle  bei 
Tacitus,  nämlich  Germ.  c.  12. 

„Eliguntur  in  isdem  conciliis  et  principes,  qui  jura  per 
pagos  vicosque  reddunt;  centeni  singulis  ex  plebe  comites 
concilium  simul  et  auctoritas  adsunt.“ 

Auch  diese  Stelle  ist  nicht  wenig  umstritten.  Sie  sagt  uns 
in  ihrem  ersten  Satz,  daLS  in  Versammlungen  (concilia)  principes 
gewählt  werden,  qui  iura  per  pagos  vicosque  reddunt.  Fraglich 
ist,  wer  diese  principes  sind,  und  dies  hängt  ab  von  der  Aus- 
legung des  Relativsatzes. 

Nach  der  herrschenden  Meinung  siml  die  principes  (Gau- 
fürsten) im  Gau  (pagus)  herumgereist  und  haben  an  der  Hundert- 
schaftsdingstätte, die  inmitten  des  vicus  lag.  Gericht  gehalten*).  Wie 


')  Die  Annahme  eines  Zusammenhangs  dieser  „centeni“  mit  Hundert- 
schaften hat  Schröder  Kg.*  S.  39  Anm.  i mit  Hecht  zurnrkgewiesen.  Warum 
nimmt  übrigens  Schröder  gerade  bei  diesen  „centeni“  mit  v.  Anlira  an, 
dall  man  an  eine  „Menge“,  nicht  au  eine  Zahl,  zu  denken  habe? 

■*)  Schnöder,  Rg.s  S.  41  f.  Brunner,  Kg.3  I S.  202, 


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02 


man  zu  diesen  Annahmen  gekommen  ist,  erklärt  sieh  leicht.  In 
der  Tat  ist  der  fränkische  comes  in  seiner  Grafschaft  herumgereist 
und  hat  in  den  einzelnen  Hundertschaften  Gericht  gehalten;  auch 
der  alamannische  comes  hat  dies  getan,  auch  der  bairische  comes 
kann  nur  so  zur  Abhaltung  eines  Gerichts  gekommen  sein. 

Es  frägt  sich  nun,  ob  wir  auch  in  der  germanischen  Zeit 
solche  reisende  Richter  annehmen  müssen  oder  auch  nur  annehmen 
können.  War  die  ratio,  die  in  fränkischer  Zeit  das  Herumreisen 
des  Grafen  rechtfertigte,  auch  schon  in  germanischer  Zeit  vor- 
handen? Die  Antwort  ergibt  sich,  wenn  wir  zunächst  die  Frage 
beantworten,  warum  der  fränkische  Graf  reiste.  Sie  ist  in  den 
Grundzügen  schon  in  den  Ausführungen  dieses  Abschnittes  über  die 
Bedeutung  der  fränkischen  Grafschaft  überhaupt  beantwortet.  Der 
fränkische  comes  reiste  nicht  etwa  deshalb  von  einer  Hundertschaft 
zur  andern,  weil  da.  wo  er  Gericht  halten  wollte,  kein  anderer 
Richter  vorhanden  war;  er  mußte  im  Gegenteil  den  ursprünglichen 
Hundertschaftsrichter  verdrängen,  um  überhaupt  Platz  zu  linden. 
Sein  Herumreisen  war  vielmehr  dadurch  veranlaßt,  daß  ein  be- 
sonderes Gericht  gehalten  werden  sollte;  die  königliche  Ge- 
richtshoheit sollte  ausgeübt  werden  und  dazu  bedurfte  man  des 
königlichen  Beamten,  des  Grafen,  der  auch  sonst  die  gesamten 
Rechte  des  Königs  in  der  Grafschaft  wahrzunehmen  hatte.  In  der 
germanischen  Zeit  konnte  dieser  Zweck  des  Herumreisens  nicht  be- 
stehen; denn  es  gab  keine  Gerichtshoheit,  die  auch  im  Unterge- 
richt hätte  repräsentiert  werden  müssen,  die  Gerichtshoheit  der 
Hundertschaft  war  eine  unabhängige.  Ein  anderer  Zweck  aber  ist 
schwerlich  aufzufinden '). 

Es  ist  also  mindestens  sehr  unwahrscheinlich,  daß  die.  ger- 
manischen principes  so  wie  die  fränkischen  comites  herumreisten, 
um  Recht  zu  sprechen.  Dann  erhebt  sich  aber  sofort  die  Frage 
wie  das  ius  reddere  per  pagos  vicosque  sonst  zu  erklären  ist. 

Zwanglos  erklärt  es  sich,  wenn  man  sich  in  den  Gedanken- 
gang des  Tacitus  hineindenkt.  Tacitus  hatte  offensichtlich  die  Auf- 
fassung, daß  die  sämtlichen  principes  auf  dem  Landsding  gewählt 
wurden.  Von  da  aus  verteilten  sie  sich  nun  und  zogen  hinaus 

')  Unverständlich  ist  mir,  wie  Möllenhoff  D.  A.  IV.  252  f.  das  „Ein- 
reiten" der  Herrschaft  heranziehen  kann.  I>a  handelt  cs  sich  doch  überhaupt 
■lieht  um  einen  Umzug,  sondern  um  einen  Einzug. 


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93 


in  ihre  Bezirke.  in  die  pagi,  um  dort  Recht  zu  sprechen.  Dieses 
Hinausgehen  in  die  Bezirke  und  das  Rechtsprechen  dort  konnte 
Taeitus  sehr  wohl  mit  jus  reddere  per  pagos  ausdrüeken. 

Der  Beisatz  vicosque  kann  lediglich  eine  nähere  Erläuterung 
eine  genauere  Ortsbestimmung  sein.  Er  kann  heißen,  daU  der 
princeps  nicht  an  einer  beliebigen  Stelle  des  pagus,  sondeni  an  der 
bei  dem  vieus  oder  in  seiner  Mitte  gelegenen  Dingstätte  Gericht 
hielt:  dann  erscheint  der  Plural  schon  gerechtfertigt,  wenn  in 
jedem  pagus  auch  nur  eine  solche  Dingstätte  lag.  Man  kann 
aber  auch  daran  denken,  daß  es  keineswegs  immer  diese  Ding- 
stätte war,  an  der  Gericht  gehalten  wurde ; denn  nur  das  echte 
Ding  war  an  sie  gebunden.  Das  gebotene  Ding  aber  konnte  auch 
an  anderem  Ort  statttinden,  sodaL!  in  jedem  vieus  des  pagus  der 
princeps  Gericht  halten  konnte ').  Ja  selbst  Dingstätten  für  unge- 
betenes Ding  konnte  es  in  einem  pagus  mehrere  geben,  da  ein 
Wechsel  zwischen  einzelnen  Dörfern  nicht  ausgeschlossen  ist. 
Endlich  braucht  man  überhaupt  nicht  von  festen  Dingstätten  aus- 
zucehen.  sondern  kann  davon  ausgehen,  daß  es  in  germanischer 
Zeit  wie  später  in  Bayern  feste  Dingstätten  überhaupt  nicht  gab8). 

Sind  wir  demnach  nicht  gezwungen  in  den  prineipes  reisende 
Richter  zu  sehen,  so  entfällt  damit  ein  Grund,  die  pagi  für  Be- 
zirke zu  halten,  die  mehrere  Hundertschaftssprengel  umfassen. 
Daraus  folgt  dann  aber,  daß  diese  Stelle  kein  Argument  für  das 
Bestehen  solcher  Bezirke,  also  der  Gaue,  ist. 

Ferner  folgt  hieraus,  daß  unter  dem  princeps  nicht  ein  Gau- 
fürst oder  Gaurichter  zu  verstellen  ist,  sondern  wie  v.  Amira5)  und 
Siegel4)  schon  immer  angenommen  haben,  ein  Hundertschafts- 
hiuptling  verstanden  werden  kann  und,  da  es  Gaufürsten  nicht 
gab,  verstanden  werden  muß. 

Eine  Frage  für  sich  ist  es,  wie  wir  uns  die  Wahl  dieser 
prineipes  vorzustellen  haben.  Taeitus  denkt  sie  sich,  wie  schon 
oben  bemerkt,  im  Landsding  gewählt;  denn  dieses  ist  das  concili- 

•)  Daß  vieus  der  Ausdruck  für  die  .Mahlstätte-1  war,  wie  Cr  am  er, 
Alamannen  S.  04  behauptet,  braucht  man  deshalb  noch  nicht  anzunehmen. 

*)  Das  übersieht  Sohm  RuGV.  S.  6 Anm.  17,  der  im  übrigen  annimmt. 
•Uli  durch  per  vicos  das  per  pagos  nur  .wiederholt  und  illustriert  wird.* 

*)  Orundr.3  S.  78  Anm.  2.  Vgl.  oben  S.  fiö  Anm.  1. 

*)  Keehtstfesohichte3  S.  ICH.  Kbenso  Waitz,  Vti,  I3  S.  gtil. 


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04 


um,  von  dem  er  oben  spricht.  Aber  es  erscheint  mir  sehr  frag- 
lich, ob  sein  Bericht  in  dieser  Richtung  zuverlässig  ist.  Dali  die 
Hundertschaftsvorsteher  überhaupt  gewählt  wurden,  erscheint  mir 
sicher;  Erblichkeit  anzunehmen  liegt  kein  Anlaß  vor.  Auch 
das  ist  schwerlich  zu  bestreiten,  daß  sie  in  Volksversammlungen 
gewählt  wurden ; eine  andere  Form,  etwa  Wahl  durch  bestimmte, 
ihrerseits  wieder  ausgewählte,  Personen  halte  ich  für  ausgeschlossen. 
Nur  das  erscheint  mir  unwahrscheinlich,  daß  das  Lands  ding  es 
gewesen  sein  soll,  das  sie  wählte.  Mir  scheint  es  den  damaligen 
Zuständen  nicht  zu  entsprechen,  daß  die  Gesamtheit  des  Volkes 
die  sämtlichen  Hundertschaftsvorsteher  sollte  gewählt  und  da- 
mit in  Angelegenheiten  eingegrift'en  haben,  die  doch  mehr  An- 
gelegenheiten der  unmittelbar  Beteiligten,  der  Inwohner  der  be- 
treuenden Hundertschaft  waren,  als  solche  der  Gesamtheit.  Man 
darf  dabei  nicht  übersehen,  daß  die  germanische  Landesversamm- 
lung, wenn  wir  von  der  ihr  aus  praktischen  Rücksichten  zustehen- 
den Entscheidung  über  Krieg  und  Frieden  absehen,  regelmäßig  nur 
mit  Angelegenheiten  befaßt  war.  die  ihr  als  einer  Kultversammlung 
mittelbar  oder  unmittelbar  oblagen.  Doch  gebe  ich  zu,  «laß  sich 
über  diesen  Punkt  streiten  läßt  und  «laß  es  nicht  absolut  aus- 
geschlossen ist,  daß  die  Landesgemeinde  zur  Zeit  des  Taeitus 
eine  souveräne  Stellung  in  einzelnen  Angelegenheiten  sich  erworben 
hatte 

Überblicken  wir  das  Gesagte,  so  ergibt  sich,  daß  die  Ar- 
gumente. die  uns  nach  Brunner's  Ansicht,  hindern  sollen,  in  dem 
pagus  einen  Hundertschaftsbezirk  zu  sehen,  hinfällig  sind.  Denn 

')  Die  Wahl  sämtlicher  Häuptlinge  auf  dem  I.andsding  ist  auch  Mfillen- 
hoff  I).  A.  IV.  252  zweifelhaft  erschienen:  allerdings  kann  ich  seiner  Be- 
gründung, datl  diese  Wahl  „schwerfällig1-  oder  gar  „unsinnig“  gewesen  wäre, 
nicht  beitreten.  Ob,  wie  Th  ud ichu in,  der  altdeutsche  Staat  S.  7 annimmt, 
die  Wahl  so  vor  sich  ging,  „daü  jede  Hundertschaft  über  Seite  trat  und 
ihre  Hau-  und  Dorfvorstehcr  für  sich  ernannte,“  ist  schwer  zu  entscheiden. 
Dali  noch  später  auf  der  Appenzeller  Landesversammlung  in  dieser  Weise 
die  7 Nachbarschaften  ihre  Hanptleutc  und  Abgeordneten  wählten  und  die 
Dfirfer  des  Berichts  Kaichen  ebenso  ihre  dorfgreven  im  Ding  zu  Kaichen. 
zeigt  zum  mindesten,  dall  dieser  Modus  auf  germanischem  Boden  vorkain. 
Sohin,  ItuGV.  S.  C spricht  die  Wahl  dem  concilimn  zu,  weil  nach  ihm  nur 
dieses,  nicht  auch  die  Hundertschaftsversammlung  Hnheitsrcchto  hatte. 
Vgl.  auch  oben  S.  7S  Anm.  2. 


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95 


es  hat  sich  gezeigt,  daß  die  Schlüsse  aus  dem  keltischen  pagus 
unberechtigt  sind,  dali  der  größere  Umfans  des  pagus  nach  Caesar 
deshalb  nicht  im  Wege  steht,  weil  pagus  nicht  immer  die  Hundert- 
schaft  bezeichnen  müßte,  sondern  auch  andere  Bezirke  bezeichnen 
könnte,  ja  überhaupt  nicht  immer  einen  umgrenzten  Raum  be- 
zeichnen muß,  daß  endlich  die  Nachrichten  des  Tacitus  mit  der  Auf- 
fassung des  pagus  als  Hundertschaftsbezirkes  wohl  vereinbar  sind  '). 

Durch  die  Möglichkeit,  in  dem  pagus  einen  Hundertschafts- 
bezirk  zu  sehen,  wird  das  für  die  Gaueinteilung  in  germanischer 
Zeit  vorgebrachte  Argument  widerlegt,  daß  es  deshalb  Gaue  ge- 
geben halien  müsse,  weil  Tacitus  pagi  erwähne,  und  diese  nicht 
Hundertschaftsbezirke  sein  können. 

Die  Notwendigkeit,  indem  pagus  einen  Hundertschafts  be- 
zirk zu  sehen,  ist  andererseits  nicht  gegeben.  Allerdings  haben 
wir  dann  die  Frage  zu  beantworten,  was  unter  dem  pagus  zu  ver- 
>tehen  ist,  wenn  er  weder  einen  Gau  noch  einen  Hundertschafts- 
bezirk bedeuten  soll.  Aber  diese  Aussicht  darf  uns  gerade  des- 
halb nicht  abhalten,  die  Existenz  von  Hundertschaftsbezirken  in 
der  germanischen  Periode  zu  prüfen,  weil  die  herrschende  Meinung 
solche  Bezirke  verwirft. 


V.  Fortsetzung  (Pagus) 

Bei  den  Ausführungen  des  vorausgehenden  Kapitels  bin  ich 
davon  ansgegangen,  daß  es  in  germanischer  Zeit  innerhalb  der 
eivitas.  eine  Anzahl  kleinerer  persönlicher  Verbände  gibt,  eben 
die.  die  man  Hundertschaften  zu  nennen  pflegt,  unter  ausdrück- 
licher Beiseitelassung  der  Frage,  ob  diesen  Verbänden  auch  Be- 
zirke entsprechen.  Ich  konnte  dies  tun,  weil  diese  Hundert- 
schaften  von  der  herrschenden  Lehre  und  auch  von  denen  uner- 


’)  Zu  diesem  Ergebnis  bemerke  ich  in  methodischer  Beziehung,  iluli 
die  Behandlung  der  Quellen,  die  zu  ihm  geführt  lmt,  allerdings  nicht  so 
konservativ  war,  wie  die  Brunners.  Aber  wenn  es  auch  oberster  Grundsatz 
aller  Qnelleniuterprctation  ist,  Texte  solange  als  möglich  weder  zu  ver- 
ändern noch  fnr  Mißverständnisse  zu  erklären,  so  halte  ich  doch  im  vor- 
liegenden Falle  das  teilweise  Abgehen  von  diesem  Grundsatz  für  gerecht- 
fertigt durch  die  vorherigen  Ausführungen,  die  das  Vorhandensein  von 
(iauverhänden  und  Gatibczirken  als  unwahrscheinlich  dargetan  haben. 


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kannt  sind,  die  gleichzeitig  entsprechende  Bezirke  annehmen  und 
aus  eben  diesem  Grunde  kann  ich  wohl  auch  jetzt  eines  nach- 
träglichen Beweises  ihrer  Existenz  entraten. 

Dagegen  erhebt  sich  die  Frage  nach  der  Entstehung  dieser 
Hundertschaften  um  so  lauter,  als  schon  im  ersten  Abschnitt  die 
übliche  Erklärung  der  Hundertschaft  als  einer  hundert  oder  hundert- 
zwanzig Mann  zählenden  Heeresabteilung  zurückgewiesen  wurde. 

Bei  ihrer  Beantwortung  können  wir  auf  Grund  unserer  sprach- 
lichen Untersuchungen  davon  ausgehen,  daLi  huntari  ein  seiner 
Größe  nach  nicht  näher  bestimmter  Haufen  von  Menschen  war. 
Und  wir  können,  wie  dies  auch  die  Vertreter  der  Heerestheorie 
schon  getan  haben,  weiterhin  annehmen,  daß  es  ein  Haufen  von 
Menschen  war,  der  gemeinschaftlich  gewandert  ist  und  sich  nun 
gemeinschaftlich  niedergelassen  hat. 

Wie  aber  kam  dieser  Haufe  zusammen?  War  es  eine  Gruppe 
unter  sich  verwandter  und  so  durch  das  natürliche  Band,  sei  es 
agnatischer,  sei  es  kognatiseher  Verwandtschaft  zusammen  gehaltener 
Personen  oder  war  es  ein  künstliches  Gebilde,  eine  künstliche  Zu- 
sammenfassung von  Personen,  die  nicht  schon  in  näheren  Beziehungen 
zu  einander  standen.  Die  Vertreter  der  „Heerestheorie“  mußten 
eine  künstliche  Organisation  annehmen.  So  sagt  Sehroeder') 
daß  sich  der  gentilicische  Charakter  der  germanischen  Verfassung 
nicht  über  die  Ortsgemeinde  hinaus  erstrecken  konnte  und  da 
er  annimmt,  daß  die  Hundertschaft  mehrere  Ortsgemeinden  ent- 
hielt, so  folgt  hieraus,  daß  er  in  der  Hundertschaft  keinen  genti- 
licischen  Verband  sah.  Das  ist  auch  die  notwendige  Konsequenz 
davon,  daß  die  Heerestheorie  mit  der  Zerreißung  von  Verwandt- 
schaften rechnen  muß. 

Für  uns  dagegen  steht  nichts  im  Wege  auch  in  der  Hundert- 
schaft einen  verwandtschaftlichen  Verband  zu  sehen. 

Wie  oben  schon  ausgeführt  wurde,  erfreute  sich  das  ver- 
wandtschaftliche Band  bei  den  Germanen  noch  in  verhältnismäßig 
später  Zeit  einer  bedeutenden  Kraft.  Umsomehr  hatte  es  Einfluß 
in  der  frühen,  vortaciteischen  Zeit.  In  dieser  Periode  wird  es 
wohl  die  Regel  gewesen  sein,  daß  die  Verwandten  beisammen 

>)  Kg.1  S.  59  Anm.  15. 

3)  Vgl.  hierzu  W n i 1 7. , Yg.  I3  S.  54  f. 


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07 


blieben,  solange  es  die  Umstünde  erlaubten.  Solange  also  die  Sippe 
nicht  zu  groß  war.  um  im  Zusammenhang  wandern  zu  können, 
solange  sie.  was  wohl  das  wesentlichste  war,  auch  bei  gemein- 
samem Hemm  ziehen  noch  ernährt  werden  konnte,  solange,  dürfen 
wir  annehmen,  blieb  sie  beisammen.  Und  in  ihrer  Gesamtheit 
bildete  sie  einen  durch  das  Band  der  Verwandtschaft  zusammen- 
cehaltenen  Haufen.  Wuchs  dieser  Haufen  zu  sehr  an,  sodaß  eine 
Teilung  notwendig  wurde,  so  haben  wir  uns  bei  dieser  Teilung 
ein  Rinwirken  des  Geschlechtersinnes  vorzustellen.  Die  sich  vom 
.Haufen'  absondernden  Personen  werden  nicht  einzelne  beliebige 
gewesen  sein,  sondern  es  werden  verwandte  Gruppen  sich  abge- 
schichtet haben.  Dies  hatte  zur  Folge,  daß  auch  der  neugebildete 
.Haufe*  eine  gentil irische  Vereinigung  war.  Dieser  Vorgang 
kannte  sich  beliebig  oft  wiederholen,  die  „Haufen“,  die  zusammen 
»änderten,  waren  Gruppen  von  Verwandten.  Um  hier  Mißver- 
ständnissen vorzubeugen  und  einen  scheinbaren  Widerspruch  mit  dem 
eben  Gesagten  zu  erklären,  weise  ich  ausdrücklich  darauf  hin,  daß  es 
•ich  hier  mn  eine  Teilung  handelt,  die  auf  Zahlenverhältnisse  keine 
Rücksicht  zu  nehmen  hat  und  daher  die  Verwandtschaftsbeziehungen 
schonen  kann.  Es  fallen  hier  die  Schwierigkeiten  weg,  die  o. 
S.  „M  f.  gegen  eine  Teilung  nach  Zahlen  geltend  gemacht  sind. 

In  diesen  Haufen  nun  sehe  ich  das,  was  uns  in  der  ge- 
schichtlichen Zeit  nach  der  Niederlassung  als  der  persönliche 
Hundertschaftsverband  entgegentritt,  sodaß  die  persönliche  Hundcrt- 
•cliaft  zu  definieren  wäre  als  ein  durch  Verwandtschaft  verbundener 
unbestimmt  großer  Verband  von  Personen,  die  selbst  oder  deren 
Vorfahren  in  der  Zeit  der  Wanderung  als  Haufen  zusammen- 
zogen. 

Einen  sehr  schönen  Beleg  dafür,  daß  es  Verwandte  waren, 
die  auf  (1er  Wanderung  sich  zusammenhielten,  haben  wir  in  der 
ara.  der  Fahrtgenossenschaft,  und  den  faramanni  der  Langobarden; 
dort  war  der  Gedanke,  daß  die  Verwandten  gemeinsam  vom  bis- 
herigen Wohnsitz  aufbrachen  und  gemeinsam  einen  neuen  Wohn- 
sitz suchten,  so  sehr  gefestigt,  daß  er  noch  lange  nach  der  An- 
dedlung  die  Grundlage  bilden  konnte  für  Ed.  Roth.  cap.  177  „Si 
t|«is  über  liomo  potestatem  habeat  intra  dominium  regni  uostri 
nim  fara  sua  megrare  ubi  voluerit.“  Auch  die  gentes  cognationes- 

v.  Schwerin,  jütgerm.  Hundertschaft  < 


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que,  qui  una  coienint.  wie  Caesar  berichtet,  lassen  deutlich  er- 
kennen, wer  zusammen  wanderte '). 

Daß  dabei  die  Haufen  nicht  gleich  groß  sein  konnten,  ergibt 
sich  aus  der  Natur  der  Sache.  Wie  sehr  dies  aber  auch  den 
Germanen  der  damaligen  Zeit  selbst  zum  Bewußtsein  kam,  ent- 
nehmen wir  der  Tatsache,  daß  in  den  verschiedenen  germanischen 
Sprachen  verschieden  große  Mengen  von  Leuten  als  ein  .Heer.“ 
d.  h.  ganz  allgemein  eine  bewaffnet  heranziehende  Schar,  wie  es 
ja  die  Wanderhaufen  waren,  bezeichnet  werden.  Am  interessan- 
testen ist  die  schon  einmal  erwähnte  Stelle  der  kenningar:  herr  er 
luindrap.  Bei  den  Angelsachsen  heißt  es  Ine  13.1: 

Deofas  we  hataff  off  VII  men;  froin  VII  liloff  off  XXXV; 
siffffan  biff  here. 

Über  35  Mann  bis  zu  unbestimmter  Menge  bildeten  also  ein 
Heer.  Bei  den  Bayern  ist  ein  Heer  nach  Lex  Baj.  III  H § 1 ein 
Haufe  von  zweiundvierzig  Bewaffneten.  In  der  auch  oft  angeführten 
Stelle  aus  dem  Kd.  Roth.  c.  1!)  möchte  ich  dagegen  ein  Mißver- 
ständnis des  Wortes  Heer  annehmen,  da  die  Zahl  doch  zu  niedrig 
gegriffen  ist;  ein  exercitus  usque  ad  quattuor  homines  kann  mit 
dem  nordischen  her  nicht  mehr  auf  eine  Stufe  gestellt  werden :). 

Die  vertretene  Auffassung  der  Hundertschaft  als  der  zunächst 
wandernden,  dann  sich  gemeinsam  niederlassenden  Haufen  zieht  nicht 
unwichtige  Konsequenzen  nach  sich. 

Sie  erklärt  cs  vollkommen  zwanglos,  daß  die  Hundertschaften, 
deren  Grenzen  wir  in  der  späteren  Zeit  feststellen  können,  ver- 
schiedene Größe  haben.  Das  mußte  schon  in  germanischer  Zeit 
der  Fall  sein.  Denn  da  die  sich  ansiedelnden  Haufen  verschieden 

Vgl.  ferner  noch  l’aulus  Diaconus,  Historia  Langob.  11,9:  qnas 
ipso  eligere  voluiaset  faras  h.  e.  generatinnos  vel  lineas,  wobei  fara  für 
Heercsnbtcilung  steht:  auch  I’actus  Alain.  II,  c.  45:  „Si  litus  ...  in  hcris 
generationis  dimissus  fucrit.  (M.  G.  Quart.  L.  S.  I,  Toni  V,  Pars  I,  S.  23). 
Marius  Avcntiaccnsia  cd.  Mominacn  a.  509.  Vgl.  noch  Schröder  KG.4 
S.  17.  Amn.  4.  v.  Amira  Grundrill'*  S.  107.  Vgl.  auch  unten  S.  101  Anni.  1.) 

1)  v.  Maurer  Kntstclmng  des  isländ.  Staate«  S.  1 Amn.  1 führt  Kd. 
Uoth.  nicht  an.  Dagegen  tut  dies  Waitr  Vg.-1 1 S.  213  Amn.  2 und  Maurer 
Vorlesungen  I,  1 S.  39  ff.  unter  Hinweis  auf  arischild  in  Kd.  Liutpr.  134, 
141.  Da  aber  hei  arischild  eine  Zahl  nicht  angegeben  ist,  die  Vmstftudc 
sogar  eine  größere  Zahl  als  vier  annehuien  lassen,  so  Rudert  dies  nichts 
an  dem  obigen  l'rtoil  über  Kd.  Ruth.  19. 


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90 

groß  waren,  mußten  auch  die  (Gebiete,  die  sie  in  Besitz  nahmen, 
verschieden  groß  sein '). 

Ferner  aber  gibt  sie  uns  auch  einen  wertvollen  Fingerzeig  für 
die  Lösung  der  Frage,  wo  es  Hundertschaften  gegeben  hat.  Wir 
sind  bezüglich  dieser  Frage  nicht  allein  angewiesen  auf  die  Quellen, 
die  nns  in  der  folgenden  Periode  da  und  dort  von  Unterbezirken, 
ähnlich  der  germanischen  Hundertschaft,  berichten.  Vielmehr 
können  wir  die  Behauptung  aufstellen,  daU  sich  Hundertschaften 
in  dem  bezeichneten  .Sinn  da  gefunden  haben  müssen,  wo  sich 
solche  Wanderungshaufen  niederließen,  ln  diesen  Gebieten  mußten 
sie  sich  materiell  finden,  gleichgiltig,  ob  man  sie  nun  auch  mit 
einem  entsprechenden  Namen  belegte  oder  nicht,  eine  Frage,  die 
wir  für  die  germanische  Zeit  überhaupt  nicht  entscheiden  können. 
Andererseits  können  sie  sich  nur  als  eine  künstliche  Institution 
da  finden,  wo  sich  die  Germanen  auf  dem  Wege  der  kolonisierenden 
Eroberung  festgesetzt  haben.  Und  diese  künstliche  Institution 
kann,  muß  aber  nicht  die  Merkmale  einer  „echten“  Hundertschaft, 
wie  ich  die  natürlich  entstandene  heißen  möchte,  haben.  Wahrend 
z.  B.  dort  bei  der  echten  Hundertschaft  verwandtschaftliche  Bande 
die  einzelnen  Glieder  verknüpfen,  können  solche  bei  der  künst- 
lichen dann  fehlen,  wenn  nur  die  Gefolgschaft  eines  Heerführers 
sich  an  dieser  Stelle  niedergelassen  hat.  Während  dort  die  Be- 
siedelung zurückgehen  wird  auf  einen  einzigen  Akt,  kann  sie  hier 
sehr  wohl  allmählich  in  einer  langen  Reihe  von  Jahren  erfolgt  sein: 
dann  haben  erst  später  die  Ansiedler  sich  zu  einem  persönlichen 
Verband  vereinigt,  der  die  Funktion  der  echten  Hundertschaft 
versieht. 

Eine  andere  Frage,  die  wir  noch  zu  erörtern  haben,  ist  die, 
ob  diesen  persönlichen  Hundertschaftsverbänden  auch  Hundert- 
schaftsbezirke entsprechen.  Sie  wird  von  Brunner  verneint, 
weil  die  römischen  Schriftsteller  nur  zwei  Bezirke  kennen,  die 
civitas  und  den  pagns,  und  Brunner  den  pagus  für  einen  Zwischen- 
bezirk zwischen  Hundertschaft  und  civitas  ansieht*).  I>as  ist 
zweifellos  konsequent.  Es  wäre  in  der  Tat  nicht  verständlich, 

’)  Hin  weiterer  Grund  für  diese  verschiedene  Größe  wird  unten  S.  IOS 
erwähnt  werden. 

*)  Kg.  I.5  S.  1511  und  Anm.  12  wo  nur,  wie  schon  oben  erwähnt,  die 
Ansicht  v.  Amira’s  unrichtig  wiedergegeben  ist. 

7* 


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100 


warum  Caesar  und  Tacitus  den  Hundertschaftsbezirk  nicht  er- 
wähnt haben  sollten,  wenn  sie  ihn  bei  den  Germanen  innerhalb 
des  pagus  fanden. 

Während  so  Brunner  den  Begriff  pagus  sozusagen  verbraucht 
hat  zur  Bezeichnung  eines  Gebietes,  das  von  einem  persönlichen 
Verbände  eingenommen  wurde,  der  gröüer  ist  als  die  Hundert- 
schaft, ergibt  sich  für  uns  keine  Schwierigkeit  unter  pagus  den 
Bezirk  zu  verstehen,  der  von  einem  Hundertsehaftsverbande  ein- 
genommen wurde;  womit  aber  andererseits  nicht  gesagt  ist.  dali 
der  pagus  = Hundertschaftsbezirk  sein  muH 

Khe  wir  aber  näher  auf  diese  Frage  eingehen,  empfiehlt  es 
sich  wohl,  einer  anderen  Frage  nachzuforschen,  die  schon  Grimm 
gestellt  hat:  Wie  verhalten  sich  huntari  und  marcha?1) 

Wenn  man  unter  Mark  das  Gebiet  versteht,  das  von  einer 
Gruppe  von  Personen  oder  Familien  gemeinschaftlich  in  Besitz 
genommen  wurde  und  in  der  Folge  gemeinschaftlich  genutzt 
wird,  so  kann  das  Verhältnis,  wie  leicht  ersichtlich,  ein  sehr  ver- 
schiedenes werden s). 

Da  die  persönliche  Hundertschaft  ein  nicht  nur  durch  die 
gemeinsame  Wanderung  und  die  gemeinsamen  Schicksale  auf 
diesem  Zuge,  sondern  auch  durch  verwandschaftliche  Bande  eng 
zusammengeschlossener  Körper  war,  der  sich  ohne  zwingenden 
Grund  nicht  teilte,  so  sind  wohl  auch  bei  der  Ansiedelung  Tei- 
lungen möglichst  vermieden  worden.  War  in  einem  einzelnen 
Fall  die  Hundertschaft  sehr  klein,  bestand  sie  etwa  aus  .'><)  oder 
(>(»  Familien,  und  fand  diese  Hundertschaft  eine  zusammenhängende 
Bodenfläche,  die  zur  Niederlassung  für  eine  solche  Anzahl  von 
Familien  groll  genug  war,  etwa  ein  langes  Flulltal5),  so  wird  sie 
sich  überhaupt  nicht  getrennt  haben.  So  mögen  die  Rheingau- 
mark und  die  Mark  .Zur  Dreieichen“  entstanden  sein. 


*)  Grimm,  Rechtsaltertümer  II,  S.  57.  Von  älterer  Literatur  vgl. 
noch  Wciske  Grundlagen  S.  5 f.  Heilster  Institutionen  des  deutschen 
l’rivatrechts  I,  S.  2(12  IV.  Wa  i t x Vgl.  PS.  13!)  II.  I5  S.  298  G.  L.  v.  Maurer. 
Kinleitung  zur  Geschichte  der  Markenverfassting,  S.  fiO. 

*)  Vgl.  über  den  Begriff  der  Mark  Brunner  HG.  I1  S.  811.  v.  Ainira, 
Grundr.2  S.  11!).  Schröder,  ltg.1  S.  58. 

3)  Vgl.  hierin  Maurer  Kinleitung  S.  54.  v.  Auiira  Grundriß2  S.  72. 


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101 


In  der  weitaus  größeren  Zahl  von  Fällen  wird  die  Hundert- 
schaft zu  groß  und  die  zur  Verfügung  stehende  Ilodentläehe  zu 
klein  gewesen  sein,  um  eine  solche  Ansiedlung  zu  ermöglichen. 
Dann  hat  sich  eben  die  Hundertschaft,  wiederum  nach  gentilicischen 
Gesichtspunkten,  geteilt  und  die  einzelnen  Teile  haben  sich  ge- 
trennt, aber  doch  möglichst  eng  benachbart,  angesiedelt l).  Jeder 
Teil  bildete  dann  eine  ebensolche  Nutzungsgemeinschaft,  wie  im 
anderen  Fall  die  ganze  Hundertschaft’).  Daß  die  Hundertschaft 
aber  auch  bei  dieser  Teilung  nicht  vollständig  auseinanderfiel, 
dafür  sorgte  nicht  nur  das  persönliche  Band,  sondern  auch  räum- 
lich wird  die  Zusammengehörigkeit  darin  zum  Ausdruck  gekommen 
sein,  daß  die  Zwischenräume  zwischen  den  einzelnen  Ansiedlungeu 
einer  Hundertschaft  in  der  Hegel  nicht  so  groß  waren,  wie  die 
Grenzen,  die  die  Ansiedelungen  einer  Hundertschaft  von  denen 
einer  andern  trennten. 

Bei  vollkommener  Differenzierung  war  demnach  die  Sachlage 
die,  daß  jede  Hundertschaft  ein  großes  Gebiet  in  Besitz  nahm, 
innerhalb  dessen  dann  zunächst  die  Besitzergreifung  einzelner 
Strecken  durch  Markgenossenschaften  erfolgte,  die  wieder  mehrere 
vici  in  sich  schlossen.  Abweichend  hiervon  konnten  aber  auch 


')  Vgl.  hierzu  Forinnlae  l'atav.  5,  in  vicn  et  gcnealogia:  Lex  Alaui. 
81.:  Si  quis  contentin  orta  fuerit  inter  <luo  gcncalngias  de  tcrmino 
terrae  eorum.  Zur  Bedeutung  von  genealogin  vgl.  Lex  Baj.  III.  Schröder 
Hg.'’  S.  17  mit  Amn.  3.  v.  Sybel,  Entstehung  de«  deutschen  Königtums’ 
8.  42  fl’. 

*)  Die  einzelnen  sich  ansicdclndeu  Haufen  gründeten  .Dörfer".  Vergl. 
Meitze n.  Siedelung  und  Agrarwcsen  I.  1 S.  46  f.  Hirt  Indogeruianen  II, 
8.  6!I3.  v.  Sybel  Entstehung  des  deutscheu  Königtums*  S.  42  ff.  a.  a.  <>., 
S.  44  ff.  Walde,  Lateinisches  ctymolog.  Wörterb.  s.  v.  vicus.  Hier  ist 
auch  der  Ort  vor  einer  Überschätzung  der  Bildung  von  Ortsnamen  mit 
den  patronymischen  Suffixen  -ing  und  -ingen  zu  warnen.  Wohl  sind  z.  B. 
die  Scyldingas  im  Beovulf  Nachkommen  des  Scyld,  die  Karulingi  die  Nach- 
kommen des  Karl.  Aber  es  sind  auch  auch  die  HreiVlingas  dio  Untertanen 
des  HreiVel.  Die  beiden  Suffixe  können  ebensogut  eine  andere  als  gerade 
verwandtschaftliche  Zugehörigkeit  bezeichnen,  ln  Freising  haben  sich  die 
Leute  eines  Frigiso  niedergelassen.  Ob  das  aber  nun  die  Leute  unter  dem 
Befehl  dieses  Mannes  waren,  oder  ob  cs  die  Sippe  eines  Stammvaters 
Frigiso  war,  muß  dahingestellt  bleiben.  Vgl.  Kluge  Stammbildungslehre’ 
§§  25—27.  Jedoch  soll  damit  keineswegs  geleugnet  werden , daß  viele 
Oörfer  (Jeschlechtsansicdelungen  gewesen  sind.  Vgl.  Schröder,  Kg.s  S.  17  f. 


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10-2 


Hundertschaft  und  Markgenossenschaft  ebenso  zusammenfallen, 
wie  Markgenossenschaft  und  Dorf,  sodaß  wohl  auch  die  Möglich- 
keit bestand,  daß  eine  Dorfmark  eine  Hundertschaft  bildete,  oder 
daß,  mit  anderen  Worten,  ein  ganzer  persönlicher  Hundertschafts- 
verband eine  einzige  Mark  in  Besitz  nahm  und  sich  gemeinschaft- 
lich ansiedelte.  Man  darf  hei  dieser  Frage  nie  übersehen,  daß 
Mark  und  Hundertschaft  begriffliche  Gegensätze  sind.  „Denn 
der  Staatsorganismus  schließt  mit  der  Hundertschaft  ab,  und  wenn 
es  auch  möglich  ist.  daß  hier  und  da  Hundertschaft  und  Mark- 
gemeinde zusammengefallen  sind,  so  ist  das  für  das  Hecht  gleieh- 
giltig,  weil  zufällig;  die  Markgemeinde  hatte  alsdann  politische 
Bedeutung,  nicht  weil  sie  Markgenossenschaft  war,  sondern  weil 
sie  zugleich  Hundertschaft  war“ '). 

Haben  wir  bisher  immer  nur  von  einer  gemeinschaftlichen 
Nutzung  gesprochen,  so  kann  man  doch  auch  die  Frage  aufwerfen, 
wer  Eigcnt  iimerderin  Betracht  kommenden  Gebiete  war.  Br  unn  er 
hat  sie  zuletzt  behandelt  und  ist  dabei  zu  dem  Ergebnis  gelangt, 
daß  die  einzelne  „Gaue“  als  die  Eigentümer  des  Gebietes  be- 
trachtet werden“  dürfen  „über  das  der  Gau  sich  erstreckt“*). 
Dem  müssen  wir  schon  deshalb  widersprechen,  weil  wir  einen  Gau 
überhaupt  nicht  anzuerkennen  vermögen.  Aber  auch  dagegen 
möchte  ich  mich  wenden,  daß  etwa  in  aller  Regel  die  Hundert- 
schaft Eigentümerin  des  von  ihr  eingenommenen  Gebietes  gewesen 
sein  soll.  Und  zwar  schon  deshalb,  weil  für  die  Hundertschaft 
das  Interesse  an  einem  gemeinsamen  Eigentum  da  fehlte,  wo 
nicht  auch  gemeinsame  Nutzung  beabsichtigt  war.  Und  die  ge- 
meinsame Nutzung  war  nur  da  beabsichtigt,  wo  die  ganze  Hun- 
dertschaft aus  einer  Markgenossenschaft  bestand3). 

■)  Hcuslcr  a.  a.  O.  Ähnlich  schon  Landau  Territorien  S.  100.  Das 
umgekehrte  Verhältnis  liegt  vor.  wenn  die  Hundertschaftsvcrsammlung,  über- 
haupt eine  politische  Versammlung,  sich  mit  Markaugelegcnheiten  betagte. 
Vgl.  oben  S.  74  f.  Sehr  treffend  auch  Sohin  KuGV.  S.  7 Anm.  1!),  dem  ich 
aber  bei  der  Gleichung  Hundertschaft  — Markverband  nicht  folge.  Zn  eng 
faßt  die  Markgenossenschaft  Waitz  Vg.  I3  S.  125,  wo  er  immer  nur  an 
Dorfschaftim  denkt:  richtig  aber  ebda.  S.  1 30  ö'. 

s)  Hg.  P S.  84. 

3)  Schröder,  Ilg.s  S.  58  Anm.  12  sagt:  „Ob  dabei  Staats-  oder  Gau- 
eigentum am  Volklaud  anzunehmen,  kann  dahingestellt  bleiben,  da  man  an 
derartige  Probleme  nicht  dachte."  Hier  scheint  mir  diu  Psychologie  der 


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103 


Man  darf  bei  dieser  Fräse  nicht  flberselien,  daß  es  zwischen 
den  einzelnen  Markgenossenschaften  sowohl,  wie  noch  mehr  zwischen 
den  einzelnen  Hundertschaften,  erheblich  große  Flächen  unge- 
rodeten  Gebietes  gegeben  hat.  Diese  Flächen  standen  wohl  über- 
haupt nicht  im  Eigentum.  Es  ist  nicht  wahrscheinlich,  daß  der 
sieh  niederlassende  Haufen  auch  nur  daran  gedacht  hat,  noch 
anderes  Land  in  Eigentum  zu  nehmen,  als  das,  das  er  gerade 
ackerbauend  nutzte.  Unwirtlicher  Wald,  ungerodetes  Land,  sind 
für  den  Germanen  dieser  Zeit  kein  Eigentumsobjekt.  Es  erscheint 
mir  unwahrscheinlich,  daß  der  Germane  an  dem  Wald,  in  dem  er 
jagte,  an  dem  Wasser  in  dem  er  fischte,  Eigentum  in  Anspruch 
nahm.  Es  genügte  ihm  die  Nutzung,  und  die  hat  er  auch  gegen 
Kindringlinge  verteidigt.  Aber  an  das  Bewußtsein  eines  Eigen- 
tumsrechtes vermag  ich  nicht  zu  denken1).  Allerdings  nahm  man 
im  Laufe  der  Jahre  noch  weit  mehr  Land  in  Nutzung,  als  man 
anfänglich  besetzte  und  ausrodete.  Aber  der  Gedanke,  mit  Rück- 
sicht auf  diesen  späteren  Bedarf  Gebiete  in  Eigentum  zu  nehmen, 
die  man  überhaupt  nicht  kannte,  ist  in  dieser  Zeit  schwerlich 
aafgetaucht.  Umsoweniger,  als  für  ein  solches  Eigentumsrecht 
kein  Bedürfnis  vorhanden  war.  Dem  Stammgenossen  wollte  man 
nie  verwehren,  «laß  er  sich  rodete  und  eine  Ansiedlung  gründete. 
Und  dem  Stammesfremden  gegenüber,  hatte  das  Eigentumsrecht 
erst  recht  keine  Bedeutung.  Da  galt  Kriegsrecht,  nicht  Privatrecht. 

Dem  Bedürfnis  war  genügt  wenn  die  Markgenossenschaft 
Eigentum  an  ihrem  (»rund  und  Boden  hatte.  Waren  in  der  Hundertschaft 
mehrere  Markgenossenschaften,  dann  hatte  aber  doch  die  Genossen- 
schaft A kein  Interesse  am  Grund  der  Genossenschaft  B.  Es 
konnte  jeder  Genossenschaft  vollständig  gleichgiltig  sein,  was  die 
anderen  mit  ihren  Bezirken  taten,  ob  und  wie  sie  sie  bewirt- 
schafteten. Infolgedessen  bestand  aber  auch  tür  die  Hundertschaft 


damaligen  Zeit  richtig  getroffen  und  mutatis  mutandis  mag  das  auch  gegen- 
über dem  im  Text  Gesagten  gelten. 

*)  Vgl.  v.  Amira  Grundriß*  S.  119.  .Aber  nicht  alles  band  im  Gebiet 
■ler  altgenn.  Staaten  war  eigen.  Was  an  Grund  und  Hoden  nicht  von 
Trivatgrenzen  umgeben  war  . . . unterstand  dem  Gebrauch  Jedermanns  und 
der  gemeinschaftlichen  und  ungeregelten  Nutzung  mindestens  der  Mark- 
genossen . . . , in  deren  Machtbereich  es  lag.“  Ferner  ebd.  S.  120  „ Allmende 
and  Eigen  sind  quellenmäßig  Gegensätze.“ 


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104 


als  Ganzes  selbst  dann  kein  Interesse,  Eigentümerin  der  verschie- 
denen Marken  zu  sein,  wenn  sie  es  sein  konnte,  wenn  sie  als 
Ganzes  eigentumsfällig,  wenn  sie  juristische  Person  war.  Dafür 
aber,  daß  sie  das  war.  haben  wir  keine  Anhaltspunkte.  Wir 
können  im  Gegenteil  aus  der  Gesamtheit  der  Zustände  schließen, 
daß  sie  es  nicht  war. 

Erst  später,  als  an  die  Stelle  der  souveränen  Gewalt  der 
Landsgemeinde  die  Herrschergewalt  eines  Einzelnen  trat,  begann 
man  auch  das  Gebiet  zu  beachten,  das  Niemand  in  Nutzung  hatte 
und  das  bis  dahin  freiem  Zugriff  offen  stand1).  Der  Einzelherr- 
scher hatte  ein  Interesse  daran,  Land  in  seiner  Herrschaft  zu 
haben,  das,  zu  Eigen  zu  besitzen,  für  die  Hundertschaft  wertlos 
war.  Eben  deshalb  konnte  aber  auch  der  Einzelherrscher  Eigen- 
tümer alles  ungerodeten  Landes  werden.  Das  wurde  er,  weil  dieses 
Land  noch  nicht  im  Eigentum  stand  und  weil  man  das  Recht, 
das  ihm  hätte  zukommen  sollen,  die  Herrschergewalt,  höchstens 
ahnte,  aber  nicht  verstand  und  auch  nicht  zu  bezeichnen  wußte. 
Daher  diese  Vereinigung  von  Krongut  und  Staatsgut  im  Fiskus 
des  fränkischen  Großkönigs. 

Es  hat  also  ein  Eigentum  der  politischen  Hundertschaft  an 
Grund  und  Boden,  den  die  Hundertschaftsleute  besetzt  haben,  nicht- 
gegeben. Ganz  dieselben  Gründe  wie  gegen  das  Eigentum  der 
Hundertschaft  sprächen  sodann  auch,  nur  noch  verstärkt,  gegen 
das  Eigentum  des  Gaues.  Eigentümer  waren  die  Markgenossen- 
schaften bezüglich  des  jeweils  von  ihnen  genutzten  Landes,  und 
nur,  wo  politische  und  agrarische  Bezirke  zufällig  Zusammentreffen, 
hat  scheinbar  die  Hundertschaft  Eigentum  und  gibt  es  in  der  Tat 
Hundertschaftsalmenden. 

Wir  kehren  nun  zurück  zu  der  Frage,  ob  es  einen  Hundert- 
schaftsbezirk gab,  und  wir  werden  sie  bejahen  müssen2). 


*)  Vgl.  zum  Folgenden  W » i t z V.  G.  I3  S.  210.  IV2  S.  136. 

2)  Diese  Frage  kann  nicht  etwa  entfallen  durch  die  Erwägung,  dall  die 
Germanen  zur  Zeit  des  Tacitus  noch  keine  .Landesverfassung“  hatten. 
(Schröder  H.  U.s  S.  16.)  Die  Germanen  dieser  Zeit  waren  seßhaft  und  Acker- 
bauer. Es  ist  keineswegs  an  dem,  dall  die  Germanen  damals  auf  einer  .Stufe 
des  Halbnouiadentums  standen.  (So  Hildebrand  Recht  und  Sitte  auf  den 
verschiedenen  wirtschaftlichen  Kulturstufen  I S.  57.)  Aus  den  Namen  der 
Völker  ist  in  dieser  Beziehung  um  deswillen  nichts  zu  erschließen,  weil  die 


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10.5 


Allerdings  darf  man  sich  unter  einem  Hundertschaftsbezirk 
nicht  etwa  eine  trigonometrisch  vermessene  Bodenfläche  mit  genau 
bestimmten  Grenzen  vorstellen.  Es  erscheint  mir  unwahrscheinlich, 
daß  damals  ein  Abstecken  der  Grenze  der  Hundertschaft  durch 
Umreiten  oder  Umfahren  mit  Feuer  sollte  stattgefunden  haben. 
Die  Grenze  der  einzelnen  Markgenossenschaft  wurde  allenfalls 
auf  diese  Weise  festgestellt  oder  vielleicht,  wenn  man  tiefer  gehen 
will,  geheiligt1),  schwerlich  aber  die  der  Hundertschaft. 

Doch  mag  dem  sein  wie  immer,  so  scheint  mir  doch  aus  an- 
deren Gründen  die  Annahme  eines  Hundertschaftsbezirkes  unab- 
weislich. 

Schon  in  germanischer  Zeit  mußten  Fälle  sich  ereignen,  in 
denen  es  von  Bedeutung  war,  ob  irgend  ein  Ort  zu  dieser  oder  zu 
jener  Hundertschaft  gehörte.  Nehmen  wir  z.  B.  an,  ein  Bauer  aus 
dem  Hundertschaft. s verband  a findet  in  dem  herrenlosen  Wald,  in 
dem  Grenzbezirk  zwischen  seiner  Ansiedlung  und  der  nächstge- 
legenen der  Hundertschaft  b einen  Stock  wilder  Bienen.  Er  zeichnet 
den  Baum  mit  seiner  Marke  und  der  Stock  gehört  ihm,  solange 
er  in  diesem  Baum  sitzt.  Nun  kommt  ein  Bauer  aus  der  Ansied- 
luug  b und  nimmt  den  Stock  aus.  Ist  nun  für  diesen  Rechtsstreit 
das  Ding  der  Hundertschaft  a oder  das  der  Hundertschaft  b zu- 
ständig? Das  wird  sich  danach  richten,  ob  der  Baum  in  a oder  in  b 
liegt.  Oder  falls  man  etwa  einen  persönlichen  Gerichtsstand  des 
Beklagten  annehmen  wollte,  dann  kann  man  sich  statt  des  Baumes 
eine  Rodung  denken,  über  die  sicher  im  dinglichen  Gerichtsstand 
verhandelt  wurde.  Vielleicht  mußte  sogar  auf  der  Rodung  selbst 
der  Prozeß  stattfinden;  dann  wäre  man  ohne  Grenze  erst  recht 
in  Verlegenheit,  welche  Hundertschaft  zu  urteilen  hat. 

Oder  um  auf  einen  Fall  zu  kommen,  den  später  das  schwe- 
dische Recht  weitläufig  behandelt,  man  fand  im  Wald  einen  Toten 

Völker  schon  vur  ihrer  Seilhaftmachung  Namen  hatten  und  garnicht  zu  er- 
warten ist,  dal!  sie  diese  nach  der  Ansiedlung  änderten.  Ks  ist  also  ganz 
belanglos,  ob  und  wie  viele  Völkerschaften  .einen  ihrer  geographischen  Lage 
entlehnten  Namen“  trugen.  Dali  sieh  trotzdem  die  staatliche  Gliederung  an 
die  des  Volkes  anschloQ,  ist  eine  Sache  für  sich  und  derart  zu  erklären.  daLI 
bei  einer  Ansiedlung,  die  ihrerseits  mit  der  Volksgliederung  in  Verbindung 
stebt.  durch  eben  diese  zunächst  das  Land  gegliedert  wird. 

•)  Vgl.  Schröder  It.  G.»  S.  58  Amu.  11.  Stutz  Z.  R.  G.“  20  S.  327. 


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IOC 

liegen1).  Weicht*  Hundertschaft  wurde  dafür  in  Anspruch  ge- 
nommen? Oder  es  siedelte  sich  ein  einzelner  oder  eine  Gruppe 
von  Familien  in  noch  unbebautem  Lande  an,  Leute  die  bis  dahin 
nicht  einem  der  benachbarten  Hundertschaftsverbände  angehört 
hatten.  Wer  konnte  dies  verhindern,  wer  allenfalls  gestatten? 
Gehörten  diese  Neuansiedler,  die  ja  kein  persönliches  Band  an  ihre 
Nachbarn  knüpfte,  zu  dieser  oder  zu  jener  Hundertschaft? 

Oder  man  bedurfte,  was  sicher  sich  ereignete,  mitten  in  der 
Ode  eines  Notgerichts.  Welcher  Hundertschaftsvorsteher  sollte 
gerufen  werden  ? 

Nicht  zu  übersehen  ist  endlich,  daß  sich  die  Zuständigkeit 
im  Prozeß  nach  dem  Wohnort  richtet.  Hierher  gehört  z.  B.  Lex 
Sal.  L, 3:  ambulet  ad  grafionem  loci  illius,  in  cujus  pago  manet. 

Alle  diese  Fragen  lassen  sich  nur  lösen,  wenn  man  einen 
Hundertschaftsbezirk  annimmt,  ein  Gebiet  innerhalb  dessen  der 
zuständige  persönliche  Hundertschaftsverband  öflentliehrechtliche 
Funktionen  ausübte.  Und  deshalb  nehme  ich  das  Bestehen  solcher 
Bezirke  an. 

Man  wird  mir  vielleicht  entgegenhalten,  daß  es  widerspruchs- 
voll sei,  einerseits  einen  Hundertschaftsbezirk  anzunehmen,  anderer- 
seits eine  Abgrenzung  der  Hundertschaft  zu  leugnen.  Der  allerdings 
vorhandene  scheinbare  Widerspruch  löst  sich  aber  leicht,  wenn  man 
sich  in  die  damaligen  Verhältnisse  hineindenkt. 

Es  gab  keine  Abgrenzung,  aber  es  konnte  doch  Grenzen 
geben,  eben  die,  die  ohne  Abgrenzung  da  waren:  natürliche  Grenzen, 
wie  sie  ja  auch  später  noch  überwiegen s).  Ein  Fluß,  ein  Berg- 
rücken, eine  niedere  Hügelreihe,  das  waren  Grenzen,  die  der  auf 
der  einen  Seite  liegenden  Hundertschaft  das  Interesse  an  der  an- 
deren Seite  benahmen.  Was  diesseits  lag,  war  für  sie  von  Interesse 


')  Vgl.  Upl.  Mannh.  VIII.:  Warpier  man  w;cghin  ok  slapghin  j gatuin 
ok  j hiürplötum  oknum  tellr  alimeningium  kirkiu  tltiellum  :ellr  kiöpung:c 
han  a>r  gild:er  at  tiughum  fiurum.  fhet  hetir  dulgha*  drap.  pa>t  a hun- 
dteri  giadda>  e liwar  [ta  t liggier  uta-n  tompta»  ra. 

5)  Vgl.  hierzu  J.  Grimm.  Deutsche  Urcnzaltcrtnmer  (Abhand I.  dc.r 
Bert.  Akad.  1843  S.  109  ff.)  Hers.  Kechtsaltertnmcr4  II  S.  9.  v.  Amira 
Grundriß3  S.  77.  „Staaten,  ja  auch  Bezirke  innerhalb  derselben  waren  durch 
natürliche  Verkehrshindernisse,  die  meist  neutrale  Zonen  bildeten,  von  ein- 
ander entfernt  gehalten.“ 


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107 


unil  deshalb  wurde  sie  diesseits  tätig;  was  jenseits  lag  war  ihr 
gleichgiltig.  So  lange  sich  auf  dem  andern  Flußufer  Wander- 
haufen zeigten,  sah  man  auf  diesem  ruhig  zu.  Sobald  sie  aber 
den  Fluß  überschritten,  sah  man  sich  veranlaßt,  sich  mit  ihnen 
zu  beschäftigen.  So  hat  man  sich  die  Grenzen  der  germanischen 
Hundertschaften  vorzustellen.  Die  Grenze  war  da,  wo  das  Interesse 
endete;  die  Gebiete  waren  Interessensphären.  Daß  dabei  die 
Grenzen  nicht  immer  feststanden,  ist  klar.  Aber  da  sie  die 
natürlichen  waren,  und  .Jeder  sehen  konnte,  was  natürlich  war, 
standen  sie  nur  selten  im  Zweifel. 

Mit  dem  Worte  „Interesse“  komme  ich  nun  auf  den  zweiten 
möglichen  Kinwand.  Es  gab  kein  Eigentum  an  nicht  in  argrarisehe 
Nutzung  genommenem  Gebiet.  Aber  ohne  jeden  Rechtstitel  betrach- 
tete zunächst  die  Markgenossenschaft  ein  Gebiet  insofern  als  ihr 
'•igenes,  als  sie  das  Eindringen  Fremder  in  dieses  Gebiet  mißbilligte 
und  eventuell  mit  Gewalt  verhinderte.  Das  ist  ihr  Interessenkreis, 
bezüglich  dessen  ihr  aber  nicht  privatrechtliches  Eigentum,  sondern, 
wenn  man  gerade  klassifizieren  muß,  allenfalls  öffentlichrechtliche 
Herrschaft  zusteht.  Ich  sehe  hier  auch  diese  nicht1). 

Die  ganzen  Verhältnisse  sind  m.  E.  genau  die  gleichen,  wie 
wir  sie  noch  heute  bei  den  Völkern  Innerafrikas  und  Australiens 
antreffen,  wie  sie  bis  vor  nicht  langer  Zeit  noch  hei  indianischen 
.Stämmen“  bestanden  haben.  Gerade  diese  Terminologie,  die  uns 
nicht  mit  dem  Land,  sondern  mit  dem  „Stamm“  Krieg  führen 
läßt,  ist  sehr  treffend.  Das  Schwergewicht  ruht  hier,  wie  es  bei 
den  Germanen  der  Fall  war.  auf  den  Menschen.  Nebensache  ist. 
daß  diese  Menschen  ein  Land  in  Anbau  genommen  haben. 
In  dem  Verhalten  der  wilden  Völker  gegenüber  dem  Eindringen 
in  ihr  „Gebiet“,  dessen  Grenzen  nie  abgesteckt  wurden,  sehen 
wir  ferner  eine  Bestätigung  dessen,  was  oben  über  den  Charakter 
dieser  Gebiete  als  Interessengebiete  gesagt  ist. 

Wir  kommen  also  zu  dem  Schlüsse,  daß  es  Hundertschafts- 
bezirke gibt,  deren  Grenzen  aber  lediglich  bestimmt  sind  durch 
das  Allen  bekannte  und  verständliche  Interesse  der  Hundertschaften. 


')  Zu  gering  eingeschätzt  wird  das  Interesse  des  Volkes  am  Land  Ton 
Schröder  H.  G.*  S.  Itt. 


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108 

Weil  nun  in  dieser  Grenzbestimmung  etwas  Unsicheres  lag, 
und  weil  sie  zu  sehr  verschieden  großen  Gebieten  auch  dann  führen 
mußte,  wenn  die  Einwohnerzahl  wenig  verschieden  war,  muß 
pagus  als  das  richtige  Wort  zur  Bezeichnung  einer  germanischen 
Hundertschaft  erscheinen.  Und  ich  nehme  vor  allem  an,  daß  es 
in  den  beiden  Stellen  bei  Taeitus  diesen  Sinn  hat.  Wie  dann 
diese  Stellen  aufzufassen  sind,  ergibt  sich  schon  aus  den  Aus- 
führungen des  vorhergehenden  Abschnitts  und  ich  habe  nur  noch 
Weniges  hinzuzufügen.  Die  centeni  in  cap.  12  der  Germania 
sind  dann  selbstverständlich  der  Umstand  im  echten  Ding  der 
Hundertschaft,  der  princeps  ist  der  Vorsteher  der  Hundertschaft. 
Das  Wort  comites  halte  ich  für  die  wörtliche  Übertragung  eines 
mißverstandenen  deutschen  Wortes,  das  etwa  soviel  wie  die  „Folger“ 
(sc.  des  Urteils)  bedeutet  hat.  Consilium  und  auetoritas  sind  Urteils- 
vorschlag und  Folge.  Bei  dieser  Auslegung  ist  man  somit  nicht 
genötigt,  irgend  welche  Korrektur  dieser  Stelle  vorzunehmen. 

Ebenso  läßt  sich  Genu.  e.  G ohne  Korrektur  in  der  im 
vorigen  Abschnitte  angegebenen  Weise  erklären,  sodaß  unsere 
Auffassung  der  Hundertschaft  nur  mit  den  2000  Kriegern  der 
suebischen  Gaue  bei  Taeitus  schwer  zu  vereinen  ist.  worauf  bei 
dem  legendarischen  Wert  dieser  Stelle  kein  Gewicht  gelegt  werden 
kann.  Übrigens  halte  ich  auch  hier  einen  Teil  aufrecht  und  sehe 
in  den  prineipes  und  magistratus  Hundertschaftsvorsteher  und 
Markvorsteher. 

Zusammenfassend  ist  zu  sagen,  daß  die  germanische  Hundert- 
schaft ein  vorwiegend  persönlicher  Verband  innerhalb  eines  durch 
natürliche  Grenzen  bestimmten  Gebietes  war.  Die  hauptsächlichste 
Funktion  der  Hundertschaft  war  die  Rechtsprechung  in  Angelegen- 
heiten, die  nicht  ihrer  Natur  nach  vor  der  Bundesversammlung 
abgeurteilt  werden  mußten.  Daneben  war  sie  wohl  auch  Kult- 
verband, jedenfalls  insoweit  die  Gerichtshaltung  dies  erforderte. 
Agrarische  Angelegenheiten  hatte  die  Hundertschaft  nicht  zu  be- 
sorgen. Fiel  sie  mit  der  Mark  zusammen,  dann  oblagen  sie  ihr 
nicht  als  Hundertschaft,  sondern  als  Markgenossenschaft.  Die  Be- 
hauptung Brunner’s,  daß  die  Hundertschaft  in  erster  Linie  den 
Zwecken  des  Heerwesens  zu  dienen  bestimmt  war,  geht  wohl  auf 
die  „Heerestheorie“  zurück.  Nach  den  früheren  Feststellungen 
über  die  Heeresverfassung  kann  ich  ihr  nicht  beitreten.  Ich  er- 


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109 


achte  im  Gegenteil  die  militärische  Bedeutung  für  sehr  zurück- 
tretend. Politisch  war  die  Hundertschaft  vermutlich  insoweit 
unselbständig,  als  sie,  wie  der  Ssp.  sagen  würde,  nichts  weder  deme 
rike  tun  darf.  An  der  Spitze  stand  ein  Häuptling,  den  die  Römer 
princeps  nannten.  Sein  deutscher  Name  kann  luinno  ')*),  aber 
auch  aldinnon3)  geheilten  haben,  vielleicht  auch  rihtari. 

Innerhalb  der  gesamten  Verfassung  der  germanischen  Zeit 
nimmt  diese  Hundertschaft  die  Stelle  des  einzigen  Bezirks  inner- 
halb der  eivitas  ein.  Mittelbezirke,  Gaue  im  üblichen  technischen 
Sinn,  sind  dem  germanischen  Staate  unbekannt4). 

Ebensowenig  kennt  der  germanische  Staat  innerhalb  der 
Hundertschaften  eine  weitere  Teilung  in  Zehntschaften,  wie  zwar 
von  der  herrschenden  Meinung  anerkannt  aber  doch  immer  wieder 
von  Einzelnen  bestritten  wird  *). 

VI.  Centena6). 

Wenn  wir  nunmehr  zu  der  Frage  übergehen,  ob  sich  die 
germanische  Hundertschaft  auch  in  der  fränkischen  Periode  er- 
halten und  wie  sie  sich  dort  allenfalls  weiter  entwickelt  hat,  so 

')  Vgl.  Schroeder,  Hg.  5 S.  20  Anm.  16.  Es  kann  aber  keine  Rede 
davon  sein  dall  diese  Hundertschaftsvorsteher,  wie  Schroeder  ebd.  S.  31 
meint,  .bloße  Gaubcainte  waren.“ 

3)  Vgl.  Glossae  Elorcntinae  bei  J.  G.  Eckhart  Commentarii  de  rebus 
Franciae  orientalis  (1729)  II  S.  982.  centurio  vel  tribunns,  hunno. 

3)  Zur  ealdormann  = princeps  vgl.  Waitz,  Zur  deutschen  Verfassungs- 
geschichte in  der  Zeitschr.  f.  Geschichtswissenschaft  III,  S.  27. 

4)  Völlig  verfehlt  ist,  wie  Hach  fahl  a.  a.  O.  dies  tut,  davon  zu  sprechen, 
daß  Gau  und  Hundertschaft  identisch  seien.  Das  kann  nur  verwirren. 

s)  Das  Gespenst  der  Zehntschaft  spukt  wieder  bei  Gramer  Alamannen 
S.  35:  ders.  die  Verfassungsgeschichte  der  Germanen  und  Kelten  S.  1.  Da- 
gegen mit  Hecht  Wcrmingboff  Z.  R.  G.-  XX  S.  283.  Vgl.  noch  Waitz 
Tg.  I3  S.  138  f.  232  f. 

c)  Bezüglich  der  Hunderl  schäften  im  fränkischen  Gebiete  ist  nurli 
heranzuziehen  K.  Rubel,  die  Franken,  ihr  Eroberung«-  und  Siedelungssystem 
im  deutschen  Volkslande.  Die  Kette  von  Irrtfimcrn  und  l'nrichtigkeiten  des 
Kübcl’schen  Huchs,  verbietet  es,  hier  auf  Einzelheiten  einzugehen.  Vgl. 
darüber  Stutz  Z.  KG.3  XXII  S.  349  IT.  der  S.  357  sehr  treffend  bemerkt: 
.das  Hild,  das  sich  Hübel  von  Zentene  und  Dekanin,  von  Antrustionat  und 
Vassallität  etc  macht,  niederlegt  sieh  von  selbst:  es  ist  teils  das  Ergebnis 


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wenden  wir  uns  zunächst  zum  fränkischen  Grottreiehe  und  inner- 
halb seiner  zu  dem  Gebiete  der  Franken. 

Hier  sind  am  Besinne  der  zweiten  Periode,  wenn  auch  nicht 
mit  einem  Schlage,  so  doch  allmählich,  die  Änderungen  in  der 
Verfassung  vor  sich  gegangen,  die,  wie  schon  oben  ausgeführt, 
eine  notwendige  Folge  der  Anfrichtung  des  merowingischen  König- 
tums waren.  Die  erforderliche  Dezentralisation  der  Herrscher- 
gewalt machte  die  Einführung  neuer  Bezirke  notwendig.  Wir 
linden  den  eomes  an  der  Spitze  des  comitatus,  unter  ihm  den 
centenarius  oder  den  vicarius.  Das  sind  unbestrittene  Dinge,  auf 
die  hier  nur  zu  verweisen  ist1).  Den  Gegenstand  unserer  Unter- 
suchung bilden  die  Fragen  nach  dem  centenarius  und  seinem 
Bezirk,  der  centena;  denn  in  ihm  sieht  die  herrschende  Meinung 
den  Hundertschaftsvorsteher,  in  der  centena  die  Hundertschatt. 
Was  war  die  centena? 

Der  Begriff  centena  kommt  nicht  im  fränkischen  Gebiete 
zum  erstenmal  vor.  Wir  finden  dieses  Wort  schon  vorher  im 
Codex  Theodosianus J).  Auf  fränkischem  Boden  erscheint  es,  wie 
schon  wiederholt  festgestellt,  zuerst  im  Pactus  pro  tenore  pacis3), 
dem  Landfriedensgesetz  Childebert  I und  Chlothar  I,  dessen  Ab- 
fassung in  die  Zeit  nach  dem  Urtexte  der  Lex  Sali  ca  fallt4). 
Das  hier  einschlägige  cap.  9 ist  bereits  wiederholt  Gegenstand 


durchaus  willkürlicher  Qucllcnbehaudlung  . . . teils  stellt  cs  sieh  als  halt- 
lose Hypothese  heraus,  für  «lic  die  greifbare  Unterlage  fehlt.“ 

')  Vgl.  Brnnncr  HG.  II1  S.  161  ff.  174  (T.  Waitz  VG.  II,  23  S.  21  IT. 
Schröder  HG.*  S.  123  ff.  Heth inan n- Hol  1 weg.  Germ.  röm.  Civilprozeß 
V.  S 5 ff. 

s)  cd.  J.  Gothofrcdns.  (Leipzig  1741).  ad.  lib.  XIV.  tit.  VIII:  ad 
lib.  XI.  tit.  I,  10:  ad.  lib.  XII  tit.  XV:  ad.  lib.  XII.  tit.  X.  20,  und  ed. 
Böcking  (1841)  lib.  VIII  tit.  IV,  3:  lib.  II  tit.  XXIII,  7:  lib.  II  tit.  XXX, 
7.  lib.  XII.  tit.  X.  20  § 4. 

3 ) Ob  da,  wo  die  lex  Salica  zur  Bezeichnung  eines  Gebietes  das  Wort 
„pagus“  verwendet,  eine  Fortsetzung  allen  römischen  Sprachgebrauchs  an- 
zunohmen  ist,  lasse  ich  dahingestellt.  (Lex  Sal.  I,  3 LXI.,  G (nur  Herold 
und  Kmend.)  LI,  3 LV,  2 (nur  Kniend.).  Sofern  damit  überhaupt  ein  be- 
stimmtes Gebiet  gemeint  ist,  liegt  es  nahe  darin  den  Hnndertschaftsbezirk 
zu  sehen,  da  ein  über  ihm  stehender  Bezirk  noch  nicht  vorhanden  gewesen 
sein  dürfte.  Vgl.  unten  S.  127  f. 

4)  Vgl.  Brunner  HG.  Ia  S.  430  ff. 


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111 


eingehender  Untersuchungen  gewesen,  deren  unbefriedigendes  Er- 
gebnis zu  einem  neuerlichen  Erklärungsversuch  veranlaßt1 *). 

Äußerst  erschwert  ist  die  Interpretation  dieser  Stelle  durch 
die  mangelhafte  Überlieferung  des  Textes.  Abgesehen  von  den 
ohne  festes  System  kompilierten  Texten  bei  Rehrend a)  und 
beffken3)  ist  auch  der  Text,  den  Boretius  gibt,  noch  zu  will- 
kürlich zusammengestellt.  Dies  veranlaßt  mich,  bei  der  folgenden 
Cntersuchung  der  von  Boretius  gewählten  Fassung  den  Text  des 
Wulfenbüttler  Codex  an  die  Seite  zu  stellen  und  ich  gebe  deshalb 
zunächst  unter  I jenen  (B),  denn  unter  II  diesen,  den  ich  nach 
dem  Vorgänge  von  Behrend  mit  g bezeichne4). 

I.  Decretum  est,  ut  qui  ad  vigilias  constitutas  noeturnas  fures 
non  caperent.  eo  quod  per  diversa  intereedente  conludio 
seelera  sua  praetenuissas  custodias  exercerent,  centenas 
fierent.  In  cuius  centena  aliquid  deperierit,  capitale  qui 
perdiderit  recipiat,  et  latro,  vel  si  in  alterius  centenam 
appareat  deduxisse  et  ad  hoc  admonitus  si  neglexerit, 
quinos  solidos  condempnetur;  capitale  tarnen  qui  perdi- 
derat,  ad  centena  illa  accipiat  absque  dubio,  hoc  est  de 
secunda  vel  tertia.  Si  vestigius  conprobatur  latronis 
tarnen  presencia  aut  longe  multandus;  et  si  persequens 
latro  nein  suum  conprehenderit,  integram  sibi  conposicionem 
accipiat;  et  si  per  tnistem  invenitur,  mediam  eonpositionem 
trustis  adqnirat  et  capitalem  exegat  ad  latronem. 

II.  Deinde  Chlotharins  rex  posuit  decreta  ut  qui  ad  vigilias 
hoc  est  ad  qua  et  constitutas  noeturnas  diversi  furis  non 
capire  et  quod  diversa  interrudentem  conludio  seelera  sua 
praetermittat  custodias  exercerent,  centenas  fierent.  In 
cujus  centena  aliquid  deperiet  caput  trustis  restituat  vel 
in  alterius  centenam  vestigium  proponat  aut  deduxerent 
et  ad  hoc  admoniti  sine  cleaerent,  quinus  solidus  componat; 
capitale  tarnen  qui  prodederat  a centena  illa  accipiat;  absque 

l)  l)ic  Literatur  ist  verzeichnet  bei  H.  (ieffken  Lex  Habe»  S.  2<!2  f. 

*)  J.  Kr.  Bohrend  Lex  Salica  - S.  147. 

*)  a.  a.  0.  S.  80. 

*)  Der  Text  von  Boretius  findet  sich  in  dessen  Ausgabe  der  t'apitn- 
Urien.  M.  O.  H.  4°  LL.  S.  II  T.  I S.  5 ff. : der  Wolfenbiittler  Text  ist  ent- 
«ommen  aus  l’ardessus.  La  loi  Saliqne. 


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dubio  de  secunda  vel  tercia:  si  vestigius  eonprnbatur 
latronis  tarnen  per  preseneia  aut  longe  multandus,  et  si 
persequens  latronem  suum  comprehenderit  integrain  sibi 
conposicionem  accipiat,  et  si  |H*r  trustem  invenitnr  mediae 
conposicionem  trustes  ad  se  recipiat.  et  capitalem  exeat 
ad  latronem. 

In  diesem  Wolfenbfittler  Text  hat  schon  Pertz  die  Worte 
hoc  est  ad  qua  emendiert  in  hoc  est  ad  wactas ').  Diese  Emen- 
dation  ist  inhaltlich  jedenfalls  insoweit  richtig,  als  sie  eine  zu- 
treffende Glosse  zu  vigilias  gibt.  Auch  sprachlich  steht  ihr  nichts 
im  Wege.  Ein  Wort  wacta  hat  das  Frankolateinische  gekannt, 
wie  Cap.  de  villis  (Boretius  I S.  83  f.)  c.  lt>  und  2 7 zeigt.  Auch 
afr.  gaite  ist  von  einer  solchen  Form  abzuleiten  *). 

Was  nun  den  Inhalt  dieser  Bestimmungen  anlangt5),  so  ist 
aus  dem  ersten  Satz  beider  Texte  ersichtlich,  daß,  sagen  wir  zu- 
nächst, die  Errichtung  von  centenae  angeordnet  wird,  weil  die 
bisher  aufgestellten  nächtlichen  Wachen  die  Diebe  nicht  gefangen 
haben.  Der  Grund  des  nachlässigen  Wachehaltens  war.  daß  die 
Wachen  mit  den  Dieben  unter  einer  Decke  steckten. 

Daraus  ergibt  sich  nun  mit  Notwendigkeit  zweierlei.  Erstens 
daß  die  zu  schaffenden  centenae  zu  Zeit  des  Erlasses  der  Decretio 
Chlotharii  noch  nicht  vorhanden  waren4).  Zweitens,  daß  diese 

*)  In  seiner  Ausgabe  in  den  M.  G.  H.  (Folio).  LL.  I S.  11. 

*)  Bei  Gröber,  Grundriss  der  romanischen  Philologie  P S.  507  findet 
sich  die  Bemerkung:  „In  den  Occret.  Chloth.  begegnet  wacta  = afrz.  gaite, 
Wache“:  bei  Gndefroy  Pictionnaire  de  l’ancienne  langne  fram.aise  ist  aus 
den  Gloss.  de  Douai  angeführt:  exenbio  — waites.  Vgl.  noch  I>  i e z Ety- 
mologisches Wörtorbueh  der  romanischen  Sprachen  S.  179  s.  r.  guatare: 
Heyne  deutsches  etym.  Wörterbuch  s.  v.  Wache  und  besonders  Schwan- 
Behrens,  Grammatik  des  Altfranzösischen6,  S.  31,  wonacli  richtiger  guar- 
tas  zu  enicndicrcn  ist. 

3)  Zum  Folgenden  ist  zu  vgl.  Sohin , RuGV.  S.  181  IT.,  Waitr., 
VG.  I3  493  IT.  11  l3  S.  399,  405,  Lamprccht,  Deutsches  Wirtschaftsleben 
I S.  224  ff.,  Geffkcn,  a.  a.  0 S.  262  ff:  die  ältere  übrige  Literatur  findet 
sich  bei  Sohm,  die  neuere  bei  Geffkon. 

*)  Insofern  stimme  ich  mit  Sohm  a.  a.  (>.  S.  183  überein,  lasse  aber 
dabei  die  Frage  nach  dem  Wesen  dieser  centenae  ollen.  Jedenfalls  darf 
man  nicht  ohne  weiteres  auf  das  Vorhandensein  der  llundertschafls- 
verfassuiig  oder  ihr  Kehlen  Schlüsse  ziehen,  wie  dies  Brunner  II1  S.  147 
getan  hat.  Vgl.  auch  Thonissen,  L’organisation  judiciaire  sous  le  regiine 


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113 


centenae  etwas  gewesen  sein  müssen,  was  entweder  der  Nachlässig- 
keit beim  Wachehalten  oder  den  Diebstählen  selbst  oder  ihren 
Folgen  abhelfen  konnte.  Denn  schon  Bestehendes  kann  man  nicht 
schaffen  und  die  zweite  Folgerung  ergibt  sich  ohne  weiteres  aus 
der  expositio,  der  Begründung  des  Landfriedensgesetzes  selbst. 

Im  Folgenden  sind  sieh  beide  Texte  darüber  einig,  daß  der 
Bestohlene  für  alle  Fälle  sein  capitale  erhalten  und  so  schadlos 
gestellt  werden  soll,  gleichviel  ob  man  den  latro  aufgefunden  hat 
oder  nicht.  Nach  dem  Wolfenbüttler  Text  hat  die  trustis,  an  die 
der  Bestohlene  sich  wendet,  die  Pflicht,  das  capitale  sofort  zu  er- 
setzen  oder ')  die  Spur  in  eine  andere  centena  hinüberzuleiten, 
oder,  wie  es  wörtlich  heißt,  in  die  centena  „eines  Anderen“. 
Durch  die  Fortleitung  der  Spur  entgeht  die  trustis  ihrer 
Zahlungspflieht.  Hier  ist  der  Zusammenhang  des  Textes  durch 
die  unten  noch  zu  besprechende  Strafbestimmung  unterbrochen, 
wird  aber  dann  fortsgesetzt  mit  dem  ganz  klaren  Sinn,  daß  für 
alle  Fälle  (absque  dubio)  d.  h.  auch  dann,  wenn  die  zuerst  in 
Anspruch  genommene  centena  vestigium  proponat  und  sich  so  der 
Zahlung  entzieht,  das  capitale  doch  zu  zahlen  sei  und  zwar  de 
secunda  vel  tercia.  Dies  dürfen  wir  so  auffassen,  daß  in  zweiter 
Linie  d i e centena  zahlungspilichtig  wird,  in  die  von  der  ersten 
die  Spur  hinübergeleitet  wurde.  Ihr  steht  es  aber  wiederum  frei, 
die  Zahlung  ebenfalls  abzuwenden  durch  Weiterleitung  der  Spur 
in  eine  andere  centena,  die  tercia,  die  allerdings  mit  der  prima 
identisch  sein  kann3).  Ob  die  tercia  unbedingt  leisten  muß,  oder 
nochmals  eine  Spurleitung  vornehmen  kann,  etwa  in  die  quarta, 
das  wird  uns  nicht  ausdrücklich  gesagt.  Wir  werden  aber  an- 

de  la  loi  snliiptf  (Nonvclle  rcvue  historique  de  droit  franeais  et  etranger  1879) 
S.  31  ff.,  S.  34  ff. 

')  Vel  muß  hier  disjunktiv  genommen  werden;  konjunktives  vel  gäbe 
keinen  Sinn.  Der  Meinung  von  Gcffkeu  a.  a.  0.  S.  2fi3,  daß  die  centena 
liierst  den  Schaden  zu  ersetzen  hat  und  erst  dann  die  Verfolgung  nufniuunt, 
vermag  ich  mich  nicht  anzuscliließen.  Kür  die  von  Geffkon  vorgeschlagene, 
seine  Meinung  stützende  Lesart  (Capitale  tarnen  hac  centena  illa  aceipiat 
»bsque  dubio)  sehe  ich  keinen  genügenden  Grund.  Geffkon  scheint  zu 
übersehen,  daß  auch  die  Verfolgung  von  der  zweiten  bzw.  dritten  centena 
übernommen  wird,  ltichtig  Sohm,  a.  a.  O.  S.  184. 

*)  Nämlich  dann,  wenn  die  Spur  durch  die  secunda  nur  hindurchgeht 
und  in  die  prima  zurückführt. 

r.  Schwerin,  sltgerm.  Uu udertsetuft  3 


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114 


nehmen  dürfen,  daß  dies  nicht  mehr  möglich  war.  Die  Spurfolge 
wird  ebenso  ein  Ende  gehabt  haben,  wie  es  nach  germanischem 
Recht  der  Gewährenzug  hatte.  Materiell  sind  ja  Spurleitung  und 
Gewährenzug  mit  einander  zu  vergleichen  *). 

Soweit  dürfte  die  Sachlage  klar  sein.  Wir  haben  aber  bei 
dieser  Auslegung  noch  nicht  Rücksicht  genommen  auf  die  ver- 
schiedenen Lesarten.  Nach  lg  muß,  wenn  die  Spur  nicht  weiter- 
geleitet wird,  wie  ausdrücklich  gesagt  ist,  die  t r u s t i s das  capi- 
tale  zahlen.  Im  Text  B,  der  hierin  mit  allen  anderen  Hand- 
schriften außer  lg  übereinstimmt,  fehlt  diese  Nennung  der  trugt is. 
Es  ist  überhaupt  nicht  gesagt,  wer  zu  zahlen  hat,  aber  zu 
schließen,  daß  die  c e n t e n a zahlungspflichtig  ist,  weil  dann  die 
secunda  vel  tercia  (eentena)  in  Anspruch  genommen  wird.  Ge- 
rade diese  Heranziehung  der  secunda  vel  tercia  findet  sich  aber 
auch  wieder  in  lg  und  so  entsteht  in  diesem  Text  eine  Diskordanz. 
Denn  es  ist.  nicht  ersichtlich,  warum  das  eine  Mal  die  tmstis 
zahlen  soll,  das  andere  Mal  die  eentena. 

S o h m , der  seinen  Ausführungen  die  im  wesentlichen  auf 
dem  Wolfenbüttler  Codex  beruhende  Lesart  von  Pert-z  zu  Grunde 
legte,  hat  sich  dadurch  verleiten  lassen,  die  trustis  mit  der 
eentena  gleichzustellen  *).  Das  liegt  in  der  Tat  sehr  nahe  und 
gibt  den  Texten  verständlichen  Sinn,  ohne  sie  zu  ändern.  Immer- 
hin haben  wir  für  eine  Gleichstellung  von  trustis  und  eentena 
keine  andere  Veranlassung,  als  eben  das  Bedürfnis,  diesen  Text  zu 
klären,  und  da  erscheint  es  angebracht,  auch  von  anderen  Ge- 
sichtspunkten aus  dem  Verhältnis  von  trustis  und  eentena  nach- 
zugehen. 

Ich  beginne  mit  der  Erörterung  des  Begriffes  „eentena“. 

Wenn,  wie  dies  die  Decretio  voraussetzt,  die  Spur  (vestigium), 
und  das  ist  immer  eines  Lebewesens  Fußspur3),  von  einer  eentena 
in  die  andere  geleitet  werden  kann,  so  muß  die  eentena  örtliche 
Grenzen  haben  und  infolgedessen  ein  räumlich  abgeschlossenes 


•)  a.  M.  wohl  Goffken,  a.  a.  0.  S.  263.  „Ebenso  die  dritte  der 
zweiten  und  so  fort.“ 

*)  Sohin,  RuGV.  8.  185. 

*)  Deutlich  ist  dies  bei  dem  angelsächsischen  trod  vom  Verbum  tredan 
«=  treten,  das  der  Qnadripartitns  mit  vestigium  wiedergibt.  (Liebermann, 
Gesetze  der  Angelsachsen  1,  179.) 


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115 


Gebiet  sein.  Das  ist  schon  von  Sohm  zutreffend  festgestellt 
worden 

Sohin  geht  aber  noch  weiter  und  erklärt  die  centena,  die 
zur  Spurfolge  aufgefordert  wird,  die  der  Spur  folgt,  die  an  den 
Bestohlenen  Krsutz  leistet,  für  eine  „persönliche  Vereinigung“,  für 
eine  „Centschar“,  weil  eben  hier  von  einem  handelnden  Subjekt 
die  Rede  sei.  Dem  gegenüber  gebe  ich  sofort  zu,  daU  es,  nach 
B wenigstens,  die  Bewohner  des  Centgebietes,  der  örtlichen 
centena  sind,  die  das  capitale  zu  zahlen  haben;  die  Ausdrucks- 
weise ist  eine  ähnliche,  wie  wenn  wir  heutzutage  davon  sprechen, 
daß  eine  Gemeinde  etwas  zu  leisten  habe. 

Ganz  anders  aber  liegt  die  Sache  da,  wo  davon  die  Rede  ist, 
daß  die  centena  aufgefordert  wird  zur  Spurfolge,  daß  sie  der 
Spur  folgt.  Hier  weichen  auch  die  beiden  Texte  wieder  von  ein- 
ander ab.  Während  B von  einer  Person  spricht,  die  aufgefurdert 
wird  und  der  Aufforderung  nicht  nachkommt  (admonitus  si 
neglexerit),  spricht  lg  von  mehreren  Personen  (admouiti  sine 
cleaerent)  *).  Doch  ist  ohne  weiteres  ersichtlich,  daß  liier  B fehler- 
haft ist.  Denn  der  Singular  stimmt  nicht  zu  der  Distributivzahl 
quinos,  die  in  allen  Texten  erscheint,  die  nicht  Zahlzeichen  ein- 
setzen.  Wir  haben  also  davon  auszugehen,  daß  es  eine  größere 
Anzahl  von  Personen  ist,  an  die  der  Bestohleue  oder  etwa  ein 
Vorsteher  die  Aufforderung  zur  Spurfolge  richtet  und  die  im 

')  a.  a.  0.  S.  183.  LSeauchet,  Histoire  de  l’organisation  judiciaire  cn 
France  8.  1 1 nimmt  irrig  Errichtung  der  örtlichen  Centena  durch  diu 
llecretio  an.  Behrend,  a.  a.  0.  S.  147  Amu.  9 nimmt  an,  das  Gesetz 
welle  „die  Hundertschaften  teils  neu  einfnhren,  teils  neu  organisieren. 
Schröder,  RU.4  120,  sagt:  „Da  bei  diesen  Einrichtungen  nicht  bluil  die 
altfränkischen  Reiche  Clothars  I und  Childeberts  11,  sondern  auch  die  rein 
romanischen  Oebiete  Childeberts  I beteiligt  waren,  so  muß  es  sich  dabei  um 
einen  Versuch  gehandelt  haben,  die  fränkischen  Zentencn  zu  polizeilichen 
Zwecken  auch  in  dein  romanischen  Neustrien  heimisch  zu  machen. “ Man 
darf  aber  nicht  übersehen,  daß  von  einer  centena  nur  in  der  Dccretio 
Chlotharii  die  Redu  ist.  In  den  gemeinschaftlichen  Bestimmungen  der  cap. 
10 — 18  wird  sogar  das  Wort  auffällig  vermieden.  Es  beißt  z.  B.  fretus 
tarnen  iudici  in  cuius  provincia  (1).  Warum  sollte,  wenn  überhaupt  in  Neu- 
strien die  gleiche  Einrichtung  getroffen  wurde  wie  im  altfränkischen  Uebietc 
durch  die  Decretio  Cblotarii,  ihr  Anschluß  nicht  an  die  Gebiete  erfolgt  sein( 
die  durt  später  ricariae  hießen.  Vgl.  auch  Dahn,  Könige  VIII,  l S.  8411'. 

*)  Dieses  sine  cleaereut  ist  zu  bessern  iu  Si  ueglegereut. 

8* 


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lir, 

Weigerungsfall  pro  Kopf  fünf  Schillinge  zu  zahlen  hat.  Die 
Meinung  ist  nicht  etwa  die,  daß  der  centenarius,  der  nach  der 
Decretio  Childeberti  Ii  v.  596  die  Sache  mit  der  eentena  zu 
führen  hat1)  (causa  cum  eentena  requirat)  wenn  er  aufgefordert 
wird,  die  Spurfolge  ins  Werk  zu  setzen,  und  dies  nun  nicht  tut, 
allein  fünf  solidi  zahlen  muß.  Noch  weniger  ist  daran  zu 
denken,  daß  die  gesamte  trustis  im  Weigerungsfall  5 solidi 
büßen  muß*). 

Daß  es  eine  größere  Anzahl  von  Menschen  ist,  die  der  Spur 
folgt,  ergibt  sich  nicht  nur  aus  unserem  Texte  selbst,  sondern 
auch  aus  dem,  was  wir  sonst  von  der  Diebstahlsverfolgung  wissen. 

Schon  nach  dem  Hecht**  der  Lex  Salica  mußte  der  Bestohlene 
den  Nachbarn  den  Diebstahl  kundtun  und  sie  zur  Spurfolge  auf- 
fordem3)4).  Kr  bedurfte  einer  Spurfolgeschar  und  das  hat  sich 
durch  die  Decretio  Chloth.  nicht  geändert.  Die  einzige  Änderung, 
an  die  man  denken  könnte,  wäre  die,  daß  sich  nunmehr  der  Be- 
stohlene nicht  mehr  schlechthin  an  die  Nächstbesten  wandte, 
sondern  daß  er  den  Diebstahl  dem  centenarius  meldete,  und 
dieser  dann  die  Spurfolger  aufzubieten  und  für  die  Verfolgung 
Sorge  zu  tragen  hatte.  Waltete  er  nicht  seines  Amtes,  so  mußte 
er  5 solidi  zahlen,  wie  Jeder,  der  seiner  Aufforderung  nicht  Folge 
leistete.  Aber  es  ist  auch  sehr  gut  denkbar,  daß  der  Bestohlene 
der  ja  den  centenarius  nicht  immer  gleich  zur  Hand  hatte,  sich 
selbst  an  die  Spitze  der  Spurfolgeschar  stellte  und  die  Verfolgung 
durchführte,  bis  der  centenarius  zur  Stelle  war.  Dies  ist  z.  B. 
unter  Umständen  der  Fall  nach  dem  angelsächsischen  Hecht,  wo 
es  in  den  Judicia  civitatis  Lundonie  König  Athelstans  cap.  8,4 
heißt: 


')  Bei  Boretius,  I S.  15  ff. 

J)  Das  behauptet  Deloche,  I.a  trustis  et  läntruatiou  royal  (1873)8.  lOf. 

3)  Vgl.  Brunner,  KO.  11  1 S.  406. 

*)  Vgl  Sohin,  Der  Prozeß  der  Lei  Salica  S.  G5.  Warum  Betlininnn- 
Hollweg,  Germanisch-romanischer  Zivilprozeß  I S.  480  Anm.  8 das  be- 
streitet, verstehe  ich  nicht.  Zunächst  steht  nach  dem  Cap.  1,1  (Geffken, 
Lex  Salica  S.  63)  fest,  daß  ca  schon  vor  der  Decrct.  Chloth.  eine  trustia 
gab.  1 nd  daun  bedurfte  doch  der  Spurfolger  einer  Begleitung  zur  Haus- 
suchung und  als  Zeugen  dafür,  daß  die  Spur  zu  dem  Hause  führte. 


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117 


„and  gif  mon  sf>6r  gespirige  of  scyre  on  off  re,  fon  pa 
menn  tö  pe  par  nycst  syndon  and  drifan  pcrt  spör,  off  hit 
man  pam  gerefan  gecyffe“1). 

Wenn  also  auch  .an  eine  größere  Zahl  von  Spurfolgern  zu 
denken  ist,  so  ist.  damit  aber  immer  noch  nicht  gesagt,  daß  im 
einzelnen  Fall  die  centena,  d.  h.  alle  Einwohner  des  Centgebietes 
der  Spur  folgten.  Ohne  den  späteren  Ausführungen  vorgreifen  zu 
wollen,  kann  ich  schon  jetzt  darauf  hinweisen,  daß  diese  centenae 
jedenfalls  keine  sehr  kleinen  Bezirke  waren,  und  die  Zahl  der 
Einwohner  infolgedessen  die  Zahl  weit  überschritt,  die  man  zu 
einer  Spurfolge  gebrauchen  konnte.  Von  dem  Bedarf  aber  müssen 
wir  ausgehen.  Es  ist  nicht  anzunehmen,  daß  die  Franken  mit 
einer  Schar  von  vierzig  oder  fünfzig  Männern  auf  die  Spurfolge 
zogen,  wenn  zehn  oder  zwanzig  vollauf  genügten.  Und  daß  diese 
geringere  Anzahl  genügte,  das  dürfen  wir  nach  unserer  Kenntnis 
des  ganzen  Verfahrens  annehmen.  Mehr  als  zwanzig  Männer  ent- 
hielt aber  eine  centena  gewiß.  Auch  dann,  wenn  man  den  Ge- 
danken an  eine  Hundertschaft  völlig  aus  dem  Spiele  läßt,  ist  es 
unwahrscheinlich,  daß  man  Bezirke  sollte  gebildet  haben,  die 
nicht  mehr  als  zwanzig  freie  Männer  enthielten;  in  diesem  Um- 
fang lassen  sich  nur  persönliche  Verbände  denken.2) 

Es  ergibt  sich  also,  daß  nicht  die  gesamte  centena  an  der 
Spurfolge  sich  beteiligte  und  wir  kommen  nun  zu  dem  Begriffe 
„trustis.“ 

Trustis,  eine  Latinisierung  von  altfränkischem  trust  = Schutz  *), 
protectio,  bedeutet  inhaltlich  soviel  wie  Gefolge  oder  Gefolgschaft 
und  zwar  Gefolgschaft  jeder  Art,  wie  wir  dies  z.  B.  an  der  trustis 
dominica  und  trustis  regalis  der  Lex  Salica  sehen.  In  unserem 


*)  Bei  Liebermann,  Gesetze  der  Angelsachsen  I S.  179. 

*)  Über  diese  Bedenken  kommt  Sohm  dadurch  hinweg,  daß  er  in  seiner 
„Centschar“  eine  Vereinigung  von  zehn  Männern  erblickt.  Diese  Anzahl 
würde  sich  zu  einer  Spurfolgeschar  allerdings  eignen,  aber  wir  haben  keinen 
Anhaltspunkt  dafür,  daß  hier  centena  eine  Schar  von  zehn  Männern  sein 
könnte.  Dies  auch  dann  nicht,  wenn  man  die  electi  centenarii  so  aullassen 
wollte  wie  Sohm.  Denn  die  Heranziehung  des  contubernium  hängt  voll- 
kommen in  der  Lnft. 

*)  Vgl.  Grimm,  Itechtsaltertüuier4,  I 383  Geffken  a.  a.  0.  S.  162. 
v.  Amira  Grundr.3  S.  117. 


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118 


Falle,  bei  der  Verfolgung  eines  Diebes,  bedeutete  trustis  vor  der 
Decret.  Chloth.  jedenfalls  die  Spurfolgeschar  oder,  wie  Schröder 
sagt,  die  Schar  der  auf  das  Geriift  herbeigeeilten  Schreimannen l). 

Genau  so  haben  wir  nun  m.  E.  die  trustis  in  der  Decretio 
Chloth.  aufzufassen.  Damit  stelle  ich  mich  in  Widerspruch  mit 
der  herrschenden  Meinung, 

Schon  Sohm  sieht  in  der  trustis  durch  eben  diese  Decretio 
organisierte  „Scharen  freier  Männer*).“  Thonissen  sagt . . . 
Clotaire  II  ordonne  qu’  on  choisisse  dans  chaque  Centaine  terri- 
toriale une  troupe  d'hommes  libres,  une  trustis  chargee  de  veilles 
ä la  Conservation  des  propriötes  . . .“.  Deloche4)  lullt  die  trustis 
ffir  „une  categorie  des  personnes  repandues  sur  toute  la  surfaee  du 
royaume,  et  lices  au  souverain  par  le  serment  de  Fantrustion.“ 
Daß  diese  letzgenannte  Ansicht  unzutreffend  ist,  ergibt  sich  ohne 
weiteres  aus  dem  Wesen  der  trustis,  deren  Mitglieder  tatsächlich 
in  einein  persönlichen  Verhältnisse  zum  König  stehen.  Von  ihr 
ist  unsere  trustis  jedenfalls  weit,  verschieden,  wie  schon  Dahn 
gegen  Deloche  festgestellt  hat.  Aber  auch  neuere  Schriftsteller 
sehen  in  der  trustis  der  Decretio  eine  besondere  Einrichtung.  So 
ist  Brunner5)  der  Meinung,  daß  diese  trustis  eine  besonders 
organisierte  Schar  för  Ausübung  von  polizeilichen  Funktionen 
gewesen  ist. 

Die  Hauptstütze  für  Sohms  Ansicht  findet  sich  in  eben  der 
Decret.  Chloth.  c.  1<>: 

De  fiscalibus  et  omniuin  domibus  censuimus,  pro  tenore 
pacis  iubemus,  ut  in  truste  electi  centenarii  ponantur,  per 
quorum  fide  atque  sollicitudine  pax  praedicta  servetur.  Et 
qui  propitiante  Deo  inter  nos  germanitas  caritatis  indisruptum 
vinculum  custoditur,  centenarii  inter  communes  provintias 
licentiam  habeant  latrones  sequi  vel  vestigia  adsignata 
minare  et  in  truste  qua  defecerit,  sicut  dictum  est,  causa 
remaneat,  ita  ut  continuu  capitalem  ei  qui  perdiderat 
reformare  festinet  et  latronein  perquirat.  Quem  si  in  truste 

>)  B.  G.5  S.  386. 

*)  RuGV.  S.  18.5. 

*)  L’organisation  judiciairc.  8.  36.  (8.  oben  8.  112  Anm.  4.) 

*)  a.  a.  0.  8.  48. 

5)  K.  G.  II1  8.  147  Anm.  35  uiit  S.  496  Anm.  4. 


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1 19 


invenerit,  medictate  sibi  vindicet  vel  dilatura,  si  fuerit,  de 
facultate  latronis  ei  qui  damno  pertulerit  satiatur.  Nam  qui 
per  se  latronem  coeperit,  integra  sibi  conpositione  simul  et 
solutione  vel  quicquid  dispendii  fuit,  revocavit,  fretus  tarnen 
iudiei  in  cuius  provintia  latro  est  reservetur. 

Hei  der  Heranziehung  dieser  Stelle  geht  Sohm  auf  Grund 
der  Ausgabe  von  Pertz  darin  fehl,  daß  er  dieses  cap.  16  als 
einen  Teil  des  Gesetzes  ansieht,  dem  auch  cap.  9 angehört.  In- 
zwischen hat  Boretius  unter  Beibringung  von  m.  E.  zutreffenden 
Gründen  auseinandergesetzt,  daß  cap.  9 — 15  ein  selbständiges 
Gesetz  Chlothar  I bilden  und  nur  cap.  16 — 18  die  von  Childebert  I 
und  Chlothar  I getroffene  Vereinbarung  darstellen  *). 

Sohm  legt  die  Stelle  dahin  aus,  daß  die  trustis  aus  den 
eentenarii  gebildet  werden  solle.  „Unsere  Stelle  handelt,  nach 
ihrem  Wortlaut,  nicht  von  der  Führerschaft,  sondern  von  der 
Bildung  der  trustis.“  „Das  c.  8 (=c.  16)  ist  die  Ausführungs- 
verordnung zu  c.  1 (=  c.  9).  Es  ergibt  sich  (dem  centenas  fierent 
entsprechend),  daß  nicht  für  jeden  einzelnen  Fall  eine  neue,  sondern 
von  vorneherein  für  alle  Fälle  eine  stehende  Centschar  in  jeder 
Cent  gebildet  werden  solle.  In  die  trustis  sollen  auserlesene 
Centscharleute  gebracht  werden.“  Diese  Auffassung  der  electi 
eentenarii  ist  schon  von  Waitz*)  und  Brunner3)  mit  Recht  zu- 
rückgewiesen worden.  Der  Grund,  den  Waitz  angeführt  hat,  ist 
durchschlagend  und  es  ist  ihm  weiter  nichts  hinzuzufügen. 
Brunners  Bemerkung  aber,  daß,  wenn  man  Sohms  Ansicht 
folge,  cap.  16  dasselbe  sagen  würde  wie  cap.  9 erledigt  sich  durch 
die  erwähnte  Feststellung  von  Boretius;  wenn  beide  Kapitel  nicht 
demselben  Gesetz  angehören,  ist  gegen  einen  gleichen  Inhalt 
nichts  einzuwenden. 

Mit  Sohm  ist  auch  Thonissen  wenigstens  insoweit  zurück- 
gewiesen, als  er  auf  eine  Wahl  der  Mitglieder  der  trustis  abstellt. 
Gegen  Deloche  endlich  möchte  ich  hier  noch  bemerken,  daß  seine 
Meinung,  die  trustis  bestehe  aus  den  vom  Hofe  in  die  Provinz 

')  Boretius  Kapitularien  I S.  3 f.  Gcffken  und  Behrend  haben 
dies  in  ihren  Ausgaben  leider  nicht  berücksichtigt. 

*)  V.  G.  II,  23  S.  134:  Waitz  weist  darauf  hin.  daß  centenarius  in  dem  doch 
lusanuncnhängenden  Gesetzo  nicht  zwei  verschiedene  Bedeutungen  haben  kann. 

*)  K.  G.  II1  S.  147  N.  36.  Weitere  Citate  bei  Gcffken  a.  a.  0.  S.  267. 


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120 


zurilckgpkehrten  antrustiones  schon  daran  scheitert,  daß  zur  Zeit 
der  Merowinger  der  antrustio  aufhörte,  antrustin  zu  sein,-  wenn  er 
vom  Hofe  des  Königs  zog  und  einen  eigenen  Haushalt  gründete’). 

Kann  somit  aus  dem  cap.  16  der  Deeretio  Chloth.  die  Eigen- 
schaft der  trustis  als  eines  ständig  aus  denselben  Personen  beste- 
henden Polizeikorps  nicht  gefolgert  werden,  so  fehlt  es  an  jedem 
Quellenbeleg  für  diese  Annahme.  In  der  Tat  verzichtet  auch 
Brunner  darauf,  einen  solchen  anzugeben. 

Aber  auch  aus  den  Verhältnissen  kann  die  Richtigkeit  dieser 
Hypothese  nicht  entnommen  werden.  Wir  haben  nicht  den  gering- 
sten quellenmäßigen  Anhaltspunkt  dafür,  daß  überhaupt  je  einmal 
im  fränkischen  Reiche  solche  Polizeikorps  existiert  haben.  Wenn 
die  Deeretio.  Chloth.  sie  eingerichtet  hätte,  wären  sie  sicher  nicht 
wieder  untergegangen,  ohne  eine  Spur  zu  hinterlassen.  Und  dann 
hätte  wohl  auch  ein  solches  Korps  den  Bedürfnissen  einer  centena 
nicht  genügt.  Wie  schon  einmal  hervorgehoben,  waren  diese 
centenae,  mag  man  sie  nun  mit  alten  germanischen  Hundertschaften 
in  Verbindung  setzen  oder  nicht,  jedenfalls  keine  kleinen  Gebiete, 
und  da  es  bei  dem  Spurfolgeverfahren  darauf  ankam,  sofort  die 
nötige  Folgeschar  zur  Stelle  zu  haben,  um  die  Verfolgung  beginnen 
zu  können,  ehe  die  Spur  verwischt  war,  konnte  man  nicht  mit 
Personen  rechnen,  die  erst  von  irgend  woher  geholt  werden  mußten. 
Dabei  übersehe  ich  nicht,  daß  das  gleiche  Argument  auch  dem 
entgegengesetzt  werden  kann,  daß  der  centenarius  an  der  Spitze 
der  Folgeschar  stand  und  daß  dessen  Führerschaft  gleichwohl 
quellenmäßig  feststeht.  Aber  hier  liegen  die  Verhältnisse  anders. 
Fehlte  der  centenarius,  so  lag  es  nahe,  daß  ihn  der  Bestohlene 
selbst  in  der  angegebenen  Weise  ersetzte;  kam  dann  der  cente- 
narius, so  war  der  Wechsel  in  der  Führung  rasch  vollzogen. 
Wenn  aber  einmal  eine  ganze  Schar  aufgebrochen  und  der  Spur 
nachgeeilt  war,  dann  hätte  es  doch  aller  Zweckmäßigkeit  wider- 
sprochen, diese  Schar  mitten  während  des  Verfahrens  durch  eine 
andere  zu  ersetzen,  wenn  doch  die  erste  überhaupt  zur  Spurfolge 
geeignet  war. 

Auch  war  es  sehr  wohl  möglich,  daß  das  „Polizeikorps“  auf 
Spurfolge  begriffen  war  und  nun  ein  neuer  Diebstahl  begangen 

')  Vgl.  Schröder  R.  G.»  S.  144. 


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121 


wurde.  Sollte  nun  der  Bestohlene  tagelang  auf  die  Rückunft  der 
Spurfolger  warten  und  eventuell  Gefahr  laufen,  das  ein  Regen  die 
ganze  Spur  vernichtete?  Das  ist  doch  nicht  anzunehmen.  Um 
aber  das  Dilemna  zu  lösen,  müßte  man  in  jeder  Hundertschaft 
mehrere  solche  „Polizeikorps“  annehmen,  und  dafür  fehlen  uns 
erst  recht  alle  Anhaltspunkte.  Umsomehr  als  die  Decretio  selbst 
immer  nur  von  einer  trustis  spricht. 

Endlich  erscheint  mir  die  Einrichtung  eines  Polizeikorps  als 
solche  nicht  in  die  damalige  Zeit  zu  passen.  Die  Beteiligung  an 
der  Spurfolge  auf  das  Gerflft  des  Bestohlenen  hin  war  eine  im 
ältesten  Recht  begründete  Pflicht.  Wir  finden  schon  keinen  An- 
haltspunkt dafür,  daß  dieser  Pflicht  nicht  genügt  worden  wäre,  noch 
weniger  dafür,  daß  die  vom  Bestohlenen  aufgebotenen  Spurfolge- 
leute die  Diebe  nicht  gefunden  haben.  Infolgedessen  mußte  auch 
der  Gedanke,  nun  plötzlich  diese  alte  Institution,  die  übrigens 
auch  später  noch  auftritt,  abzuschaffen  und  durch  ein  organisiertes 
Polizeikorps  zu  ersetzen,  damals  sonderbar  erscheinen.  Es  wäre  da 
eine  Einrichtung  getroffen  worden,  • deren  Bedürfnis  nicht  einge- 
sehen worden  wäre.  Und  da  die  Spurfolge  immerhin  eine  lästige 
Pflicht  war,  so  ist  schwerlich  anzunehmen,  daß  so  ohne  weiteres 
eine  Anzahl  bereit  war,  ein  für  allemal  diese  Pflicht  auf  sich  zu 
nehmen  und  die  übrigen  zu  entlasten.  Mir  erscheint  der  Gedanke 
an  ein  Polizeikorps  zu  modern.  Es  ist  zu  sehr,  wenigstens  unbe- 
wußt, mit  einem  Begriff  operiert,  der  in  dieser  Zeit  nicht  unter- 
zubringen ist,  mit  dem  Begriff  des  „angesteilten“  Wachorgans. 

Entbehren  nun  diese  Erwägungen  gegen  Sohms  Ansicht  der 
durchschlagenden  Beweiskraft,  wie  ich  selbst  sehr  wohl  sehe,  so 
reichen  sie  doch  andererseits  hin.  um  Sohms  Auffassung  der 
trustis  unwahrscheinlich,  die  hier  vertretene  wahrscheinlich  zu 
machen.  Wie  alle  nicht  streng  zu  beweisenden  Behauptungen 
muß  auch  diese  ihre  Kraft  aus  dem  Zusammenhang  entnehmen 
und  im  Folgenden  wird  sie  sich  als  richtig  zu  erweisen  haben  an 
den  Konsequenzen,  zu  denen  sie  führt. 

Ich  gehe  demnach  für  die  folgenden  Ausführungen  davon  .aus, 
daß  die  trustis  in  Deeret.  Chloth.  c.  1)  die  Schar  der  auf  das 
Gerüft  des  Bestohlenen  oder  zufolge  des  Aufgebots  des  centenarius 
zusammengekommenen  Männer  ist,  keinesfalls  eine  Vereinigung 
sämtlicher  in  der  centena  ansässigen  freien  Männer. 


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122 


War  nun  diese  trustis  verpflichtet,  dem  Bestohlenen  Ersatz 
zu  leisten?  Nach  dem  Text  lg  ja.  Aber  ist  diese  Restitutions- 
ptlicht.  wie  sie  lg  annimmt,  auch  wahrscheinlich?  Zur  Beant- 
wortung dieser  Frage  müssen  wir  uns  vor  allem  darüber  klar 
werden,  ob  ein  Grund  für  eine  solche  Leistungspflicht  der  trustis 
gefunden  werden  kann,  und  das  geht  wiederum  darauf  hinaus,  ob 
man  der  trustis  zumuten  kann,  einen  Schaden  zu  tragen;  denn  da 
die  Wiedererlangung  des  capitale  vom  latro  nicht  unter  allen  Um- 
stünden sicher,  die  Restitutionspflicht  aber  keinesfalls  von  der 
Ergreifung  des  latro  und  der  Abnahme  der  gestohlenen  Sache 
abhängig  war,  mußte  man  mit  einem  Verlust  rechnen. 

Man  könnte  nun  daran  denken,  daß  dieses  Risiko  der  trustis 
zugemutet  wurde,  weil  es  ihre  Schuld  sei,  wenn  der  Räuber  nicht 
gefangen  wurde.  Das  ließe  sich  hören,  wenn  es  tatsächlich  immer 
Schuld  der  trustis  gewesen  sein  müßte;  in  Wirklichkeit  aber  war 
es  möglich,  daß  der  latro  bei  aller  Anstrengung  der  trustis  nicht 
gefunden  wurde.  So  kann  also  der  Gedankengang  nicht  ge- 
wesen sein.  Nahe  läge  ferner  der  Gedanke,  die  Leistungs- 
pflicht der  trustis  darauf  zurückzuführen,  daß  sie  schon  an  der 
Begehung  des  Diebstahls  schuldig  war,  weil  sie  es  etwa  an 
der  nötigen  Aufsicht  hat  fehlen  lassen.  Dies  ginge  zurück 
auf  die  oben  angeführte  Meinung  von  Thonissen,  der  in  der 
trustis  eine  Wache  sieht.  Wenn  man  aber  die  Decretio  näher 
betrachtet,  so  ergibt  sich  schon  aus  ihr  selbst,  daß  an  Wachen  nicht  zu 
denken  ist.  Mag  man  nun  die  vigiliae  für  Scharen  unfreier  Männer 
ansehen,  wie  Sohin  es  tut.  oder  für  Freie,  jedenfalls  haben  sie 
ihren  Zweck  nicht  erfüllt  und,  was  das  wesentliche  ist,  sie  haben 
sich  selbst  an  den  Diebstählen  beteiligt  und  sich  so  als  unzuver- 
lässig erwiesen.  Dadurch  wird  es  an  sich  schon  unwahrscheinlich, 
daß  man  diese  Leute,  selbst  wenn  sie  Freie  gewesen  sein  sollten  und 
nur  in  diesem  Falle  wäre  das  überhaupt  möglich,  nun  als  Spur- 
folgeschar benützt  haben  sollte.  Es  wäre  sehr  einleuchtend,  wenn 
man  die  Wachen,  die  einen  Diebstahl  nicht  verhütet  sondern  be- 
günstigt haben,  zur  Strafe  zum  gemeinsamen  Ersatz  des  capitale 
heranziehen  wollte.  Aber  daß  man  diese  verdächtigen  Leute  dann 
noch,  sei  es  auch  unter  Anführung  des  centenarius  zum  Einfangen 
des  Verbrechers  heranzog,  den  sie  vorher  unterstützt  haben,  das 
ist  doch  schwerlich  glaubhaft.  Dazu  fehlt  es  auch  in  dem  Text  der 


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123 


Decretin  an  jeder  Andeutung,  daß  auch  fernerhin  noch  Wachen  in 
Tätigkeit  treten  sollen,  erst  recht  dafür,  daß  die  trustis  diese 
Wache  sein  soll.  Das  hatte  doch  unbedingt  gesagt  werden  müssen 

Fehlt  es  somit  an  einem  Grunde  für  eine  Haftungspflicht  der 
trustis.  so  wird  man  zu  dem  Schlüsse  kommen  müssen,  daß  an 
dieser  Stelle  lg  einen  Fehler  enthält  und  daß  B,  wonach  die 
centena  das  capitale  zu  leisten  hat,  die  richtigere  Lesart  gibt; 
man  wird  dies  umso  leichter  tun  können,  als  auch  andere  Texte 
der  Handschriftenklas.se  I eine  Leistungspflicht  der  trustis  nicht 
kennen. 

Ist  demnach  die  Zahlungspflichtige  centena  nicht  identisch 
mit  der  trustis,  so  muß  sie  auch  verschieden  sein  von  der 
centena,  die  nach  der  Decretio  Childeberti  v.  596  cap.  11  und  12 
mit  dein  eentenarius  auf  die  Spurfolge  geht;  denn  diese  centena 
ist  natürlich  identisch  mit  der  trustis. ') 

Die  Zahlungspflichtige  centena  nun  fasse  ich  auf  als  eine 
Personengruppe  und  zwar  als  eine  Vereinigung  aller  in  der  cen- 
tena ansässigen  freien  Männer.  Hierbei  ist  es  völlig  gleichgiltig, 
wa>  man  unter  centena  versteht  und  ich  lege  an  sich  auch  keinen 
Wert  darauf,  ob  es  gerade  alle  freien  Männer  oder  nur  die  wirt- 
schaftlich selbständigen  Männer,  oder  etwa  alle  ansässigen  Per- 
sonen sind,  die  sich  zu  diesem  Verband  vereinigen. 

Die  Zahlungspflicht  dieser  centena  aber  erkläre  ich,  modern 
gesprochen,  aus  dem  Gesichtspunkt  einer  Versicherung  auf  Gegen- 
seitigkeit *). 

Wird  einem  Angehörigen  der  centena  etwas  gestohlen,  so  ist 
er  gegen  den  Schaden  dadurch  versichert,  daß  ihm  die  Anderen, 
vermutlich  aus  einer  vom  eentenarius  verwalteten  Kasse  seinen 
Schaden  sofort  ersetzen.  Dafür  gibt  er  ihnen  den  Anspruch  auf 
das  capitale  gegenüber  dem  Dieb,  den  er  auch  dann  nicht  wieder 
erhält,  wenn  er  allein  ohne  Hilfe  der  trustis  den  Dieb  gefangen 
hat,  was  ihm  an  sich  auch  ohne  Spurfolgeschar,  wenn  auch 
mit  anderen  rechtlichen  Folgen,  erlaubt  war;  in  diesem  Falle 
wird  ihm  nur  die  compositio  überlassen,  die  andernfalls  zur 
Hälfte  an  die  trustis  fallt. 

')  Das  hat  auch  Sohin  RuUV.  S.  185  richtig  erkannt. 

*)  Von  einer  Versicherung  spricht  auch  Sickcl,  Beiträge  MJOG. 
E.-B.  III.  S.  529:  ebenso  Brunner,  Z Rti.5  XI  S.  t>(>. 


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1-24 


In  der  Schaffung  dieser  Diebstahlsversicherung  sehe  ich  auch 
den  Hauptzweck  der  Decretio  Chloth.1).  Die  Errichtung  der 
trustis  kann  dieser  Zweck  nicht  gewesen  sein*),  da  sie  nach  den 
obigen  Ausführungen  Polizeikorps  überhaupt  nie  war  und  als 
Spurfolgeschar  schon  früher  vorn  Bestohlenen  aufgeboten  werden 
konnte.  Durch  die  Versicherung  wurde  aber  nicht  nur  der  wirt- 
schaftliche Schaden  auf  die  Gesamtheit  verteilt,  sondern  mittelbar 
auch  eine  genauere  Beobachtung  der  Diebe  erzielt.  Denn  von  da 
an  war  jeder  Einwvlmer  der  centena.  der  zahlen  mußte,  daran 
interessiert,  die  Zahl  der  Diebstähle  nach  Möglichkeit  zu  ver- 
ringern; er  erhielt  ein  Interesse  daran,  nicht  nur  sein  Eigentum 
zu  schützen,  sondern  auch  Verletzung  fremden  Eigentums  zu 
hindern. 

Daß  eine  solche  Versicherungsgesellschaft,  so  modern  sie 
auch  anmutet,  auch  in  der  damaligen  Zeit  nichts  Unerhörtes  war. 
beweisen  die  Judicia  ciuitatis  Lundonie1).  Sie  sind  allerdings 
erheblich  jünger  als  die  Decretio  Cloth.  Dafür  sind  aber  auch 
die  einzelnen  Bestimmungen  viel  feiner  ausgeführt  und  die  ganze 
Institution  ist  ausgebildeter,  als  in  der  Decretio,  die  z.  B.  nichts 
davon  weiß,  daß  auch  Versicherungsbeiträge  zu  leisten  sind,  wie 
nach  angelsächsischem  Hecht  Jeder,  der  ein  bestimmtes  Vermögen 
besaß,  vier  Pfennige  jährlich  in  die  gemeinsame  Kasse  einzahlen 
mußte.  Daß  trotzdem  in  Folge  der  Decretio  auch  bei  den 
fränkischen  centenae  solche  Beiträge  eingeführt  wurden,  wäre  an 
sich  nicht  ausgeschlossen,  ist  aber  unwahrscheinlich.  Die  von 
Brunner  ferner  noch  erwähnten  Haftungsverhältnisse  des 
schwedischen  Hechts  rechne  ich  dagegen  nicht  hierher.  Wenn  die 
Einwohner  eines  Bezirkes  für  einen  im  Bezirk  verübten  Mord 


')  Sic  setzt  also  nach  dem  Gesagten  örtliche  centenae  voraus.  Wenn 
Brunner,  Rfl.  II1  S.  148,  sagt:  ..Soweit  das  Kricdensgcsotz  Ohiothars  1 
und  Childeberts  I die  Bildung  neuer  Centenen  veranlagte,  hatten  diese  nur 
den  Charakter  von  I’olizeibezirken,  nicht  auch  die  übrigen  Funktionen  der 
Hundertschaft“,  so  könnte  ich  dem  nur  für  Gebiete  betreten,  die  keine  Be- 
zirke mit  Hundertschaftsfunktion  hatten,  also  auch  keine  Bezirke,  die  später 
als  vicariae  oder  conditae  erscheinen.  Ob  das  aber  überhaupt  vorkam,  erscheint 
mir  zweifelhaft.  Dies  auch  gegen  Sickel,  Beiträge  MJÖU.  E-B.  III  S.  529. 

*)  A.  M.  Sohm,  RuGY.  S.  185. 

’)  Bei  Liebermann,  a.  a.  0.  S.  173  IT. 


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125 


Buße  zahlen  müssen,  so  geschieht  dies  aus  dem  Gedanken  eines 
möglichen  Verschuldens  heraus,  das  ich  in  der  Decretio  Chloth. 
gerade  nicht  annehme.  Dagegen  kennt  das  skandinavische  Recht 
an  anderen  Stellen  den  Gedanken  der  Versicherung  auf  Gegen- 
seitigkeit. Im  westnordischen  Recht  bestellt  eine  gegenseitige 
Versicherung  unter  Gildegenossen,  die  sieh  auf  Gebäude-,  Korn-, 
Heu-,  Vieh-  und  Warenschäden  erstreckt.  Die  Bauern  des 
isländischen  hreppr  sind  unter  sich  gegen  Brand  und  Viehsterben 
versichert.  Wer  einen  Verlust  erleidet,  kann  von  jedem  Andern 
eine  skaöaböt  verlangen.  Die  Leistungspllicht  aber  gegenüber 
dem  Geschädigten  wird  nach  beiden  Rechten  darauf  zurück- 
geführt. daß  die  Genossen  die  Gefahr  gemeinschaftlich  zu  tragen 
haben.  Dabei  hängt  es  aber  gerade  bei  der  isländischen  Ver- 
sicherung von  dem  Willen  der  zusammen  wohnenden  Genossen  ab, 
ob  ein  N’euansiedler  mit  in  den  Versicherungsverband  aufgenommen 
wird  und  darin  zeigt  sich  so  recht,  daß  die  Verpflichtung  zur 
Zahlung  der  skaiVabot  nicht  eine  rein  nachbarrechtliche  ist, 
sondern  auf  dem  Versicherungsgedanken  beruht. ')  Parallel  der 
isländischen  skaiVabot  steht  die  schwedische  branstap,  der  Beitrag 
den  nach  Ostgötalagh  und  Westennannalagh  die  gegenseitig  gegen 
Brandschaden  versicherten  Genossen  der  Hundertschaft  zu  zahlen 
haben.  *)  Gerade  aus  diesen  schwedischen  Verhältnissen  und 
denen  im  isländischen  hreppr  ersehen  wir,  daß  nicht  nur  der 
Gedanke  einer  Versicherung  auf  Gegenseitigkeit  überhaupt  dem 
germanischen  Rechte  eigen  war,  sondern  auch  die  spezielle 
Form  der  Zusammenfassung  der  Einwohner  eines  Bezirks  zu 
einem  Versicherungsverband. 

Ist  nach  all  dem  anzunehmen,  daß  die  Decretio  nur  den 
Zweck  hatte,  diese  Versicherungsgesellschaften  einzurichten,  so 
ergibt  sich  hieraus  wiederum,  daß  sie  nicht  der  Akt  sein  kann, 
durch  den  im  fränkischen  Reiche  persönliche  oder  territoriale 
centenae  eingeführt  wurden.  Darin  ist  Sohin  im  Ergebnis,  wenn 
auch  ans  anderen  Gründen  beizustimmen.  Jedenfalls  örtliche 
centenae  müssen  vor  der  Decretio  vorhanden  gewesen  sein;  daß 
auch  Centenenver bände,  das  läßt  sich  um  deswillen  nur  ver- 

')  Vgl.  iurn  (ianzen  v.  Amira,  Obl-K.  II  S.  927 ff,  zu  den  isländischen 
Verhältnissen  auch  Maurer,  Island  S.  294  ff. 

•)  t.  Amira,  Obl-R.  I S.  761  f,  689  f. 


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muten,  nicht  fest  behaupten,  weil  die  Durchführung  der  Deeretio 
solche  nicht  voraussetzt. 

Wir  können  somit  den  Ursprung  der  fränkischen  centena  in 
eitle  frühere  Zeit  als  die  der  Deeretio  verlegen,  und  auf  dieser 
Grundlage  führen  sprachliche  Erwägungen  zu  der  Frage,  ob  und 
in  welchen  Beziehungen  die  centena  zum  centenarius  der  Lex 
Salica  steht.  Schon  früher  wurde  gemutmaßt,  daß  dieser  cente- 
narius der  Vorsteher  einer  centena  sei  und  demgemäß  die  centena 
schon  für  die  Zeit  der  Lex  Salica  angenommen In  der  Tat  ist 
gegen  diese  Schlußfolgerung  nichts  einzuwenden.  Eine  ganz 
andere  Frage  aber  ist  es,  ob  die  centena  der  Lex  Salica  dasselbe 
ist,  wie  eine  germanische  Hundertschaft,  der  centenarius  der 
Nachfolger  des  Hundertschaftsvorstehers.  Sie  kann,  da  wir  von 
der  centena  in  dieser  Zeit  überhaupt  nichts  erfahren,  nur  gelöst 
werden  durch  eine  Untersuchung  der  Tätigkeit  des  centenarius 
der  Lex  Salica. 

Nach  der  herrschenden  Ansicht*)  ist  der  centenarius  der  Lex 
Salica  der  ordentliche  Richter  im  gebotenen  Ding3).  Der  Richter 
im  echten  Ding  soll  denn  der  thunginus  sein.  Diese  Unter- 
scheidung ist  getroffen  auf  (Hund  des  Umstandes,  daß  die  Lex 
Salica  bei  Akten,  die  im  echten  Ding  vorgenommen  werden 
müssen,  nur  den  thunginus,  nicht  auch  den  centenarius  als  Vor- 
sitzenden erwähnt,  sodann  deshalb,  weil  bei  Gleichstellung  von 
thunginus  und  centenarius  im  ganzen  Reiche  nur  Hundertschafts- 
richter, aber  keine  Richter  zwischen  diesen  und  dem  König  ge- 
wesen wären 4).  Von  diesen  beiden  Argumenten  erscheint  mir 
dieses  auf  der  durch  nichts  bewiesenen  Voraussetzung  aufgebaut, 
daß  es  zu  Zeiten  Chlodwigs  schon  Gerichtsbezirke  zwischen  der 
Hundertschaft  und  dem  König  gegeben  hat.  Wie  schon  einmal 

')  Die  Entstehung  der  örtlichen  centena  erst  im  6.  Jahrhundert,  über- 
haupt in  der  frünkischcn  Zeit,  wird  noch  heute  von  französischen  Schrift- 
stellern vertreten.  Vgl.  (Jlasson,  Histoire  du  droit  ct  des  institutions  de 
la  France,  11  S.  333,  Fustel  de  Coulangcs,  Institutions  politiques  de  la 
France,  II  S.  101  ff.  Vgl.  S.  115  Anm.  1. 

*)  Itie  herrschende  Ansicht  beruht  auf  llrunucr,  ltG.  II1  S.  löüf,  219. 
Zustiniuieml  Schröder,  K(J.S  S.  129,  171  f. 

J)  ltie  l.iteratur  über  den  centenarius  gibt  Uoffken,  a.  a.  O.  S.  IGSf. 

4)  liruuner,  UH.  II1  S.  149  ff. 


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127 


angeführt,  haben  solclie  Bezirke  überhaupt  nicht  existiert.  Es 
sab  auch  in  der  karolingischen  Zeit  keine  Gaurichter  und  keine 
Gaugerichte.  Umsoweniger  kann  es  überraschen,  wenn  wir  in  der 
Zeit  der  Lex  Salica  auch  keinen  Gaubeamten  finden,  der  an  der 
Dingstätte  der  Hundertschaften  echtes  Ding  hielt.  Es  konnte 
sehr  wohl  die  Gauverfassung  durchgeführt  sein,  aber  keineswegs 
mußte  die  Monarchisierung  bereits  soweit  ausgebildet  sein,  daß 
der  an  der  Spitze  des  Gaues  stehende,  zunächst  doch  verwaltende 
Beamte  auch  schon  Richterfunktionen  übernommen  hatte.  Von 
Brunner's  Standpunkt  aus,  der  schon  in  germanischer  Zeit  Gaue 
und  Gaurichter  annimmt,  würde  das  allerdings  nicht  verständlich 
sein:  für  uns  aber,  die  wir  einen  Gaurichter  nicht  vermissen,  er- 
wächst aus  diesem  Grunde  auch  keine  Schwierigkeit,  in  thunginus 
und  centenarius  dieselbe  Person  zu  sehen.  Im  Gegenteil  ist  es 
sehr  verständlich,  daß  zur  Zeit  der  Lex  Salica  die  germanische 
Verfassung  noch  nicht  ganz  beseitigt,  die  fränkische  noch  nicht 
ganz  durchgeführt  war.  Wir  haben  ein  Übergangsstadium  vor 
ans.  wie  gerade  an  der  allmählichen  Entwicklung  des  Amtes  des 
comes  zu  sehen  ist.  Daraus  erklärt  es  sich  auch,  daß.  wie 
Brunner  bemerkt,  der  bei  Identität  von  thunginus  und  cente- 
narius entstehende  Rechtszustand  sich  sehr  unterscheidet  „von  der 
Art,  wie  später  die  Grafen  die  Rechtspflege  ausübten“.  Aber  er 
unterscheidet  sich  natürlich  nicht  „von  der  wandernden  Rechts- 
pflege der  germanischen  Gaufürsten“,  da  es  diese  nicht  gab1). 


')  Das  Voransgchonde  hat  m.  E.  die  Unrichtigkeit  der  Hypothesen 
aufgezeigt,  die,  wie  y.  Amira,  Qött.  gel.  Anz.  1896  S.  200,  mit  Kocht  be- 
t»nt.  nötig  wären,  um  den  Unterschied  zwischen  ccntcnarins  und  thunginus 
zu  halten,  nämlich  die  Hypothesen  der  Existenz  von  Gauen  und  Gauvcr- 
sammlungen.  Was  sodann  Brunner’s  Hinweis  auf  den  Plural  indicant 
(indiiernnt)  anlangt,  so  ist  zu  beachten,  daß  ein  Codex  auch  den  Singular 
hat,  und  daß  es  überhaupt  die  Handschriften  mit  Singular  und  Plural 
.nicht  so  genau  nehmen“  (vgl.  Sickel,  Beiträge  S.  483  Anm.  1).  Auf  die 
Lesart  des  Cod.  10:  in  mallum  aut  in  Tuncbinium  ist  bei  der  kompila- 
turischen  Natur  der  Herold’schen  Texte  kein  Wert  zu  legen.  Sic  würde 
such  nur  beweisen,  daß  der  thunginus  an  der  Malstätte  der  Hundertschaft, 
dem  mallus  schlechthin,  zu  Gericht  saß.  aber  nicht,  daß  nur  er  (nicht  auch 
ein  Anderer  — centenarius!)  dies  tut.  Die  Stelle  spräche  also  weder  für 
die  hier  vertretene  noch  für  die  herrschende  Ansicht.  Vgl.  auch  Dahn, 
Könige  VII,  2 S.  1 3ö f. 


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128 


Brunner’s  erstes  Argument  ist  nicht  schlechthin  zu  ver- 
werfen. Immerhin  ließe  sich  sagen,  «laß  die  Erwähnung  des  een- 
tenarius  an  der  einen  Stelle,  die  Nichterwähnung  an  der  anderen 
Stelle,  auch  rein  zufällig  sein  kann.  Doch  will  ich  hierauf  weniger 
Wert  legen,  als  darauf,  daß  es  nach  dem  Sprachgebrauch  der  Lex 
Salica  nicht  notwendig  ist,  das  „aut“  in  thunginus  aut  centenarius 
wie  Brunner  will,  disjunktiv  zu  nehmen.  Es  heißt  z.  B.: 

Cap.  11,3  „.  . . . in  mallo  iudici,  h.  e.  comite  aut  grafhme“  in 
Lex  Salica  LIV,2  „. . Si  quis  sacebarone  autobgrafionem  occiderit“ 
und  man  ist  sich  vollständig  darüber  einig,  daß  comes  und  grailo 
an  dieser  Stelle  dieselbe  Person  sind,  und  auch  bei  sacebaro  aut 
obgrafio  hat  noch  niemand  daran  gedacht,  das  aut  disjunktiv  zu 
nehmen ').  Das  wäre  nicht  unbedingt  ausgeschlossen,  ist  aber  durch 
nichts  veranlaßt,  wenn  nicht  andere  Momente  unterstützend  hin- 
zutreten. 

Wenn  wir  aber  thunginus  und  centenarius  die  gleiche  Zu- 
ständigkeit beilegen2),  so  ist  der  centenarius  nicht  nur  der  Richter 
im  gebotenen  Ding,  sondern  der  Richter  des  untersten  Gerichts- 
bezirkes schlechthin.  Er  ist  der  Richter  xz8’  an  der  Ding- 

stätte der  centena3)  und,  da  es  außer  dem  Gericht  des  thunginus 
aut  centenarius  ein  ordentliches  Gericht  nicht  gibt,  der  Richter 
im  ordentlichen  Gericht.  Er  ist  ferner  Volksbeamter  *).  Das 
stellt  den  centenarius  auf  die  gleiche  Stufe  mit  dem  Hundert- 
sehaftshäuptling  der  germanischen  Periode  und  berechtigt  uns  zu 
der  Annahme,  daß  er  dessen  Nachfolger,  die  centena  eine  ger- 
manische Huudertschaft  ist. 

')  Vgl.  Kügel  in  Haupt's  Zeitschrift  XXXIII  S.  23,  wo  „aut  obgrationcm“ 
geradezu  als  Erklärung  von  „sacebarone“  aufgefallt  ist.  Auch  in  Cap  11. 
3 ad.  Leg.  Salicam  nehme  ich  das  „aut“  erklärend:  der  comes,  der  franko- 
lateinisch grafio  heißt.  Wenn  man  mit  llrunner  II1  S.  103  die  Stelle  so  ver- 
steht, „daß  ein  Beamter  gemeint  sei,  der  entweder  comes  oder  aber  gralio 
heißt,“  dann  müßte  man  ja  um  diese  Zeit  drei  ltichterbeamte  annchuien: 
comes,  grafio  und  centenarius.  Vgl.  Geffken  S.  265  und  die  dort  angebene 
Literatur.  Thonissen,  a.  a.  <).,  S.  48  f.  Der  Annahme  Brunncr’s  Kg.  II1 
S.  169  Anm.  59,  daß  hier  aut  für  deutsches  ob,  oba  — si  stellt,  vermag  ich 
mich  nicht  anzuschließcn. 

a)  So  auch  v.  Amira  («rundr.  S.  73.  Waitz  das  alte  liecht  der  salischeu 
Franken,  S.  135.  Sohin  ltutiV.  71  IT. 

3)  Vgl.  Waitz,  II, 23  S.  159  f. 

*)  Brunner,  Hg.  II1  149. 


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12!) 


Bevor  ich  fortfahre,  stelle  ich  als  das  Ergebnis  der  bisherigen 
l'ntersuchung  noch  einmal  fest,  daß  die  fränkische  centena  die 
Fortsetzung  der  germanischen  Hundertschaft  ist1). 

Die  nach  st  liegen  de  Frage  ist  wohl  die  nach  dem  sonstigen 
Vorkommen  des  Begriffes  centena  in  den  Quellen  der  merowin- 
gi  sehen  Zeit.  Sie  ist  dahin  zu  beantworten,  daß  dieses  Wort 
außer  in  der  schon  genannten  Decretio  Chloth.  und  der  Decretio 
l'hildeberti  nirgends  zu  finden  ist.  Keine  der  merowingischcn 
Frkunden  nennt  eine  centena;  die  Formelsammlungen  der  mero- 
wingischen  Zeit,  die  Fonnulae  Andecavenses  und  die  Fonnulae 
Uareulfi  sprechen  da,  wo  es  sich  um  Ortsbestimmungen  handelt, 
immer  nnr  vom  pagus,  nie  von  der  centena. 

Dies  erscheint  auffällig,  weil  man  doch  mindestens  da,  wo 
die  alten  fränkischen  Stammlande  liegen,  Hundertschaften  ver- 
muten muß.  Doch  ist  das  Schweigen  der  Quellen  schwer  zu  er- 
klären. Wenn  ich  hier  eine  Vermutung  äußern  soll,  so  möchte 
ich  annehmen,  daß  es  damals,  modern  gesprochen,  „offiziell“  noch 
keine  Hundertschaften  gab.  An  der  Spitze  der  Hundertschaften 
stand  noch  ein  vom  Volke  gewählter  Vorsteher,  der  allenfalls  den 
Berichts  Vorsitz  im  echten  Ding  an  einen  königlichen  Beamten  ab- 
gegeben hatte.  Die  königlichen  Beamten  hatten  noch  keine 
Hundertschaften  als  Amtsbezirke,  sondern  erst  größere,  die  pagi, 
die  wir  auch  überall  erwähnt  finden.  Die  Hundertschaften  waren 
wohl  da,  wie  in  der  ältesten  Zeit;  aber  sie  waren  eben  Bezirke 
des  Volkes  und  noch  nicht  Verwaltungsbezirke  des  Staates,  der 
sie  infolgedessen  nicht  so  berücksichtigte*).  Doch  dies  nur  als 
Vermutung. 


‘)  Das  Wort  „centena“  halte  ich  für  die  l'bertragung  eines  mißver- 
standenen huntari  oder  chundari;  au  auch  Schroeder  Zli<i.'J  IV. 
S.  31.  Wir  haben  keine  Veranlassung,  iu  centena  eine  Taitinisicrung  von 
drotschcm  „lehn“  zu  suchen.  Vgl.  auch  Waitz,  Y<i.  I3  S.  216 f.  II3, 1 
S.  -D)2.  Den  naheliegenden  Gedanken,  eine  Ansgangsform  hundina  oder 
chundina  anzusetzen,  entsprechend  dem  angelsächsischen  hynden,  möchte 
ich  deshalb  zurnckweiscn,  weil  hynden  gerade  das  abgezähltc  Hundert  die 
.Hnndertzahl“  ist. 

*)  Vgl.  hierzu  Hrunncr  II1  S.  153  „Ks  muß  eine  Zeit  gegeben  haben, 
la  die  ordentlichen  Beamten  der  Dan-  und  HnndcrtschafUverwnllung  noch 
»amtlich  vom  König  unabhängig  waren  . . Dieses  Stadium  der  Entwicklung 
v.  Schwerin,  altfenn.  Hundertschaft  3 


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130 


Anders  als  mit  der  centena  steht  es  mit  dem  centenarius. 
der,  wenn  auch  selten,  doch  einigemale  in  dieser  Zeit  erwähnt 
wird. 

In  ähnlichem  Zusammenhang  wie  die  Decretio  Chloth.  bringt 
ihn  die  Decretio  Childeb.  v.  .'>!)(!  an  zwei  Stellen  ’j. 

a)  cap.  9.  Si  quis  centenario  aut  cuilibet  iudice  voluerit 
ad  malelactorem  adiuvare,  sexaginta  solides  omnis  modis 
condempnetur. 

b)  cap.  11.  Similiter  convenit,  ut  si  für  faetus  fuerit, 
capitale  de  praesente  centena  restituat,  et  causa  cen- 
tenarius cum  centena  requirat. 

Die  zweite  Stelle  schließt  sich  vollkommen  an  die  Diebstahls- 
bestimmungen der  Decretio  Chloth.  an;  centena  erscheint  hier 
wiederum  zur  Bezeichnung  des  Versicherungsverbandes,  wo  von 
ihrer  Restitutionspflicht  die  Rede  ist,  zur  Bezeichnung  der  Spur- 
folgeschar im  letzten  Halbsatz. 

Die  andere  Stelle  zeigt  uns  den  centenarius  als  Richter*) 
durch  den  Zusatz  aut  cuilibet  iudice,  im  besonderen  wohl  als 
Vollstreckungsbeamten.  Da  hier  in  cap.  9 der  centenarius  nicht 
wohl  etwas  anderes  sein  kann  als  in  cap.  11,  seine  Befugnisse 
aber  doch  über  die  des  centenarius  in  c.  1 1 und  in  der  Decret. 
Chloth.  hinausgehen,  sich  sogar  denen  des  centenarius  in  der  Lex 
Salica  vergleichen  lassen,  so  erscheint  der  Schluß  berechtigt,  daß 
der  centenarius  in  allen  diesen  Stellen  eine  und  dieselbe  Person 
ist.  Was  den  Zusatz  aut  cuilibet  iudice  weiter  noch  betrifft,  so 
nötigt  er  nicht  unbedingt  zu  der  Annahme,  daß  es  außer  dem 
centenarius  noch  andere  Richter  gegeben  hat;  es  kann  damit  sehr 
wohl  der  vicarius  gemeint  sein,  der  in  den  romanischen  Gebieten 
die  Stellung  des  centenarius  einnahm.  Man  kann  aber  auch  an 
den  comes  denken,  der  wie  Cap.  II,  3 ad  leg.  Sal.  zeigt,  damals 
schon  richterliche  Funktionen  ausübte*). 

Außer  in  diesen  Stellen  und  einigen  Urkunden  aus  alamanischer 
Gegend  finden  wir  den  centenarius  noch  in  einigen  wenigen  Ur- 

vermuto  ich  im  Text,  mit  der  Maßnahme  allerdings,  daß  ich  Qaubeanite 
überhaupt  ablelme. 

9 Hei  Boretius,  Kapitularien  8.  17. 

*)  Brunner  HG.  II ‘ 8.  174. 

9 Vgl.  Brunner  IX1  8.  163. 


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131 


landen  der  Merowingerzeit  in  der  Zeugenliste ').  Charakteristisch 
ist.  daß  diese  Urkunden  alle  in  salfrilnkischer  Gegend  aufgenommen 
sind,  und  da  wir  daraus  den  Schluß  ziehen  können,  daß  die  cente- 
narii  nur  da  vorkamen,  so  können  wir  weiter  noch  schließen,  daß 
sie  sich  ursprünglich  nur  im  fränkischen  Stammesland  fanden  und 
unter  den  Merowingern  in  anderen  Teilen  des  Reiches  centenae 
auch  nicht  eingerichtet  wurden. 

Daß  der  centenarius  häutiger  erwähnt  wird  als  die  centena 
ist  auffallend,  aber  gut  zu  erklären.  Es  ist  sehr  wohl  möglich, 
daß  zwar,  wie  oben  gesagt,  die  centena  noch  nicht  als  staatlicher 
Bezirk  angesehen  wurde,  daß  aber  gleichwohl  der  centenarius  schon 
vom  König  zur  Ausübung  staatlicher  Funktionen  herangezogen 
wurde.  Dies  würde  weiter  erklären,  daß,  wenn  man  seinem  Gebot 
nicht  folgte,  nach  der  Decretio  Childeb.  c.  ü ti(>  Schillinge,  also  der 
Königsbann,  zu  zahlen  waren. 

Zorn  Schlüsse  dieser  Erörterung  über  den  centenarius  der 
merowingischen  Zeit  einige  Worte  über  die  electi  centenarii  des 
csp.  16  der  Decret.  Chloth.*). 

Da  centenarius  an  dieser  Stelle  nicht  etwas  anderes  bedeuten 
kann,  als  an  allen  übrigen,  so  können  wir  nur  annehmen,  daß  es 
>i«h  hier  um  ausgewählte  Hundertschaftsvorsteher  handelt,  und 
ich  milchte  folgende  Erklärung  der  Stelle  Vorschlägen.  Wenn  der 
Spurfaden  die  Grenze  zwischen  den  beiden  Reichen  überschritt, 
'lann  bedurfte  es  einer  besonderen  Übereinkunft,  um  die  Verfolgung 
des  Diebes  in  das  andere  Reich  zu  ermöglichen.  Diese  Überein- 
kunft ist  in  der  Decretio  Chloth.  getroffen.  Es  begreift  sich  aber 
auch,  daß  inan  in  einem  solchen  Falle  ganz  besondere  Cautelen 
vorsah;  denn  es  war  für  die  damalige  Zeit  sicher  ein  besonderes 
Ereignis,  wenn  eine  ganze  Schar  von  Männern  aus  dem  Reiche 
Chlothars  in  der  provintia  Childeberti  umherzog  und  einen  Ver- 
brecher suchte.  Das  konnte  Mißtrauen  erregen  und  man  hatte 
allen  Anlaß  dafür  zu  sorgen,  daß  nur  ganz  besonders  verlässige 

')  Die  Urkunden  sind  angeführt  bei  Sohm  KuliV.  S.  '■!  1 3. 

*)  Die  Literatur  verzeichnet  ticffkcn  a.  a.  0.  8.  267.  Wenn  Brunner 
U1  S.  H7  ineint,  daß  die  Decretio  die  „Wahl  von  Centenaren"  anordnet, 
«>  kann  ich  ihm  darin  nicht  beitreten.  Im  Gegenteil  nehme  ich  an,  daß 
die  centenarii  des  c.  16  die  schon  immer  vorhandenen  Hundertschafts  vor- 
»teber  sind.  Schröder  Kg.*  8.  130  Anui.  6. 

9* 


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132 


Männer  eine  solche  Schar  über  die  Grenzen  führten.  Das  suchte 
man  vielleicht  zu  erreichen  indem  man  entweder,  was  allerdings 
nicht  sehr  praktisch  gewesen  wäre,  einige  centenarii  dazu  bestimmte, 
solche  Scharen  zu  führen,  oder  ganz  allgemein  dafür  Sorge  trug, 
daß  in  den  Grenzdistrikten  besonders  tüchtige  centenarii  aufge- 
stellt waren.  So  läßt  sieh  dieses  cap.  1(>  vielleicht  erklären. 

Das  Ergebnis  unserer  Erörterung  über  die  merowingische 
Zeit  ist  demnach,  daß  es  in  dieser  Periode  im  Gebiete  des 
fränkischen  Stammeslandes  Hundertschaften  gegeben  hat,  die  sich 
als  Fortsetzung  germanischer  Hundertschaften  erweisen.  Dagegen 
haben  wir  keine  Anhaltspunkte  dafür,  daß  auch  im  Eroberungs- 
lande die  Hundertschaftsverfassung  eingeführt  wurde. 

In  der  karolingischen  Periode  haben  die  Verhältnisse  sich 
verändert.  Von  den  Formelsammlungen  ist  eine  Gruppe,  die 
Formnlae  Salicae  Bignonianae  und  Merkelianae  und  die  Formulae 
Imperiales,  dazu  gelangt  wenigstens  einigemale,  wenn  auch  keines- 
wegs durchgehend,  zu  Ortsbestimmungen  auch  die  centena  zu 
verwenden '). 

Sodann  kennen  Erkunden  aus  fast  sämtlichen  Gebieten  des 
fränkisch-karolingischen  Reiches  die  centena  und  nicht  minder  die 
Kapitularien  der  Karolinger  diese  und  den  centenarius *). 

Man  hat  diese  Ausbreitung  dieser  Begriffe  gegenüber  der 
merowingischen  Zeit  verschieden  zu  erklären  versucht.  Deloche*) 
und  Guerard4)  nahmen  an,  daß  die  centena  als  örtliches  Gebiet 
erst  unter  Karolingern  eingeführt  wurde.  Dem  widersprechen  die 
Ausführungen,  mit  denen  oben  das  Vorkommen  der  centena  schon 
unter  den  Merowingern  nachgewiesen  ist.  Richtig  dagegen  scheint 

')  Die  Formulae  Imperiales  verwenden  centena  zur  Ortsbestimmung  in 
einer  Urkunde,  die  auf  sächsischem  liebict  errichtet  ist  (bei  Zeumer, 
Formulae  S.  31g)  vgl.  die  Anin.  des  Herausgebers  ebd.  No.  4.  l>ie  Formulae 
Salicae  ilignoniac  verwenden  centena  nur  dann  und  wann,  meist  pagus  allein. 
Vgl.  auch  Schräder  in  ZRQ.3  IV.  S.  86  ff.,  wo  namentlich  auch  die  Termi- 
nologie der  niehtfränkischen  Oebiete  behandelt  ist.  Dazu  Vand  erk  indere 
Introdnction  ä I'historie  des  institutions  de  ln  llelgique  S.  166  ff. 

*)  Beispiele  bei  Waitz  V(i.  II,  I3  S.  39!l  Anm.  3.  Über  den  cente- 
narius in  karolingischer  Zeit  vgl.  A.  Weber  der  Centenar  nach  den  karo- 
lingischen Kapitularien 

3)  a.  a.  O.  S.  IX. 

4)  Uuerard  Kssai  snr  les  divisons  territoriales  en  (iaule.  S.  Ö4. 


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133 


mir  die  Ansicht  von  Waitz,  daß  beide  Namen,  sowohl  centena 
wie  centenarius  auf  ähnliche  Einrichtungen  in  den  von  den  Franken 
eroberten  romanischen  Gebieten  übertragen  wurden '). 

Dies  ist  umso  wahrscheinlicher,  als  es  im  karolingischen  Reiche, 
wie  Sohm  nachgewiesen  hat.  tatsächlich  eine  Reihe  von  Gebieten 
gab,  die  nur  dann  und  wann  als  centenae.  sonst  aber  als  vicariae 
oder  conditae  bezeichnet  werden2) 3). 

Dagegen  ist  nicht  daran  zu  denken,  daß  etwa  die  Centenen- 
verfassung  durch  einen  Staatsakt  in  ganz  Gallien  eingeführt  worden 
wäre.  Denn  so  ließe  es  sich  nicht  verstehen,  daß  in  einigen 
Gebieten  des  Reiches  centenae  nie  erwähnt  werden4). 

Zugleich  aber  erscheint  die  Grafschaftsverfassung  vollständig 
dtuvhgetuhrt.  „Die  einzige  durchgreifende  politische  Gliederung 
des  fränkischen  Reichs  war  die  in  Grafschaften  oder  (taue  „ge- 
nauer Grafschaftsgaue5).“  Der  Graf")  ist  Richter  im  Gau,  aber 
nicht  Gaurichter,  nicht  Richter  des  Gaus.  Er  hält  an  der  Ding- 


>)  V.  «.  II»,  1 S.  400.  Dahn  Könige  VIII,  1 8.  89. 

*)  8ohm  R.  u.  <i.  V.  S.  192.  Brunner  R.  G.  II1  8.  14(i.  Beauchet 
a.  a.  O.  S.  217  f.  A.  Weber,  a.  a.  0.  S.  13  ff. 

*)  Bezüglich  der  vicariae  und  conditae,  die  schon  dem  Namen  nach 
nicht  als  germanische  Hundertschaften  anzusprechen  sind,  wohl  aber  in  der 
Organisation  des  fränkischen  Reiches  dieselbe  Stellung  einneluncn,  wie  diese, 
verweise  ich  auf  Sohm  R.  u.  G.  V.  S.  191  ff  Brunner  li. G.  II1  140  ff. 
11  alb  an  Das  römische  Recht  in  den  gern).  Reichen.  II  263.  Dahn  a.  a.  0.  8.  91. 

Ob  condita  auch  sprachlich  mit  ccntena  iibercinstimmt,  erscheint  mir 
fraglich.  F.s  gab  allerdings  «in  keltisches  Wort  candetum,  auch  canditum, 
das  ein  Flächenmaß  von  100  Einheiten  bezeichnete.  Aber  ich  sehe  nicht, 
«ie  ans  canditum  condita  geworden  sein  sollte  und  überdies  sind  die  frän- 
kischen conditae  keineswegs  gleich  große  Gebiete,  deren  jedes  aus  100  Ein- 
heiten bestehen  könnte:  vgl.  noch  Holder,  Alt-keltischer  Sprachschatz,  s. 
v.  candetum. 

*)  Ein  solches  Gebiet  ist  z.  B.  die  Auvergne;  vgl.  Sohm  a.  a.  0.  S.  198. 
Schroeder  a.  a.  0.  S.  90. 

*)  Brunner  R.  G.  II1  8.  144. 

")  Nebenbei  sei  bemerkt,  daß  nach  den  im  Vorausgehendcn  gebil- 
ligten Ausführungen  Rietschcls  über  das  Fehlen  der  Tausendschaftcn 
such  die  von  Brunner  II1  8.  161  angenommene  Erklärung  des  Wortes 
•Graf*  aus  rövs,  Zahl,  wankend  wird,  wonach  der  Graf  seinen  Namen  haben 
feil  .von  der  Schar,  die  er  führte,  Hunno,  oder  Centenar  von  der  unter  seiner 
Kähning  stehenden  Hundertschaft.“  Vgl.  über  die  verseb.  Erklärungen 
Schröder  R.  G.4  8.  130  Anin.  10. 


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134 


statt**  der  Hundertschaft  Hundertschaftsgericht.  Dort  hält  er  das 
echte  Ding1).  Jetzt  wird  zwischen  ihm  und  dem  centenarius  die 
Gerichtsbarkeit  sachlich  abgegrenzt  *).  Aber  diese  Abgrenzungen, 
auf  das  neufränkische  Gebiet  sich  beziehend,  sind  nur  das  Spiegel- 
bild der  im  altfränkischen  Gebiet  schon  bestehenden a). 

Indem  man  aber  in  dieser  Weise  Hegriffe,  die  ursprünglich 
der  Bezeichnung  einer  fränkischen,  germanischen,  Einrichtung 
dienten,  auf  romanische  und  gallische  Einrichtungen  anwandte,  die 
mit  jenen  nur  die  Eigenschaft  des  richterlichen  Unterbezirks  teilten, 
verlor  sich  allmählich  auch  das  Verständnis  für  diese  Begrübe 
und  sie  wurden  auf  Einrichtungen  angewandt,  die  mit  den  alten 
germanischen  Hundertschaften  nichts  oder  nur  wenig  zu  tun  hatten. 

So  finden  wir  im  Güterbuch  des  Klosters  Prüm.  v.  8!>3  fol- 
gende Stellen. 

1.  Cap.  2.r>.  centena  de  Sueghe  solvit  de  vino  modios  30. 

2.  Cap.  24.  ad  vineas  Ugandas  centenam  I ad  fodiendam 
alteram,  ad  colligendam  terciam  ad  messem  colligendam 
quartam 4). 

Wenn  hier  in  dem  zweiten  Beispiel  das  Dorf  (!)  Merrengke 
eine  Centena  zum  Aufbinden  der  Weinreben  stellt,  eine  zum 
Graben  des  Weinbergs  u.  s.  f.  so  ist  auf  den  ersten  Blick  ersicht- 
lich, daß  wir  es  da  mit  einer  anderen  Einrichtung  zu  tun  haben, 
als  mit  germanischen  Hundertschaften.  Mag  immerhin  dann  und 
wann  Dorf  und  Hundertschaft  zusammengefallen  sein,  so  ist  es  doch 
nach  Allem,  was  wir  über  die  germanische  Hundertschaft  festge- 
stellt haben,  nicht  denkbar,  daß  ein  Dorf  aus  vier  Hundertschaften 
besteht. 

Sohin  '’)  sieht  in  diesen  centenae  „ Centscharen,  ebenso  wie  die 
centenae  des  Chlotharisehen  Gesetzes,  nur  jene  Centscharen  des 
Hofrechtes,  diese  Centscharen  des  öffentlichen  Beeiltes,  jene  zu 

')  Sehr  eingehend  behandelt  diese  Fragen  Sohin  K.  u.  G.  V.  § 10  und 
11.  Besuchet  a.  a.  0.  S.  13.  Ganz  irrig  Weber  a.  a.  0.  S.  46:  „Das 
Gericht  ist  ein  Grafengericht.“ 

J)  Vgl.  Gap.  inissurum  Aquisgran.  prim.  e.  3.  (lioretius  1.  153.) 

3)  Ilrunner  B.  G.  11 1 S.  178  f. 

*)  Bei  H.  Beyer,  Urkundenbuch  zur  Geschichte  der  mittelrheinischen 
Territorien  (1860)  I S.  142  IT. 

*)  K.  u.  G.  V.  S.  186. 


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Frohndienst  diese  zu  Reichsdienst  verpflichtet.“  Das  ginge  nur 
an  von  dem  falschen  Ausgangspunkt  aus.  da  LI  die  Centscharen  der 
Deoretiu  Chlotli.  Vereinigungen  von  je  zehn  Männern  seien.  Hatte 
Sohm  erkannt,  daß  es  sich  um  Hundertschaften,  und  da,  wo  nicht 
centena  für  trustis  steht,  um  alle  Einwohner  der  Hundertschaft 
handelt,  dann  hätte  er  diesen  Schluß  nicht  ziehen  können. 

Das  tertium  comparationis  zwischen  den  centenae  des  fränki- 
schen Reiches  und  denen  des  Prttmer  Güterbuchs  scheint  mir  zu 
sein,  daß  beide  Einteilungen  sind,  jene  des  Reiches,  diese  der 
Frohnpflichtigen.  Man  sah,  daß  eine  centena  ein  Gebiet  war  und 
gleichzeitig  ein  Haufe  von  Menschen,  und  in  Mißverständnis  des 
Begriffes  centena  wandt**  man  ihn  an  auf  die  Haufen,  in  die  man 
die  Frohnpflichtigen  eingeteilt  hatte,  die  vielleicht  auch  in  ab- 
gegrenzten Vierteln  des  Dorfes  wohnten. 

Ebenso  haben  wir  die  centena  de  Sueghe  zu  erklären  und  die 
gleiche  Bewandtnis  hat  es  wohl  mit  den  centenae,  qui  partibus 
fisci  nostri  deserviunt  in  cap.  f>2  des  Capit.  de  villis.  Daß  diese 
centenae  mit  germanischen  Hundertschaften  nur  dem  Namen  nach 
zu  tun  haben,  hat  bereits  Gareis1)  gegen  Brunner  festgestellt ’). 

')  K.  Carcis.  Die  Landgüterordnung  Kaiser  Karl  des  Grollen. 
S.  57  Anm. 

ä)  Außerhalb  des  Kalnnens  dieser  Arbeit  fallen  nach  dem  in  der  Vor- 
bemerkung festgesetzten  Plan  die  späteren  Kundschaften  des  Niederrheins. 
(Vgl.  hierüber  Lacouiblet  Archiv  für  Geschichte  des  Niederrheins  I S.  210  f. 
I.amprecht  Deutsches  Wirtschaftsleben  I S.  197  lf.  Maurer  Einleitung 
S.  59  ff).  Schröder  K.  G.4  S.  603.  Brunner  K.  G.  II1  S.  175.  Waitz  V-G. 
I3  S.  227.  Doch  möchte  ich  die  Vermutung  äußern,  daß  sic  vielleicht  mit 
solchen  hofrechtlichen  centenae  Zusammenhängen.  Darauf  würde  auch  hin- 
weisen  das  Vorkommen  dieser  centenae  im  Capit.  de  villis  und  gerade  in 
Prüm,  das  königliche  Eigenkirche  war.  Möglicherweise  gehen  sic  auch  zurück 
auf  centenae,  die  durch  Teilung  alter  Hundertschaften  sonstwie  entstanden  sind 
(Brunner  II1  S.  148.)  Jedenfalls  sind  sie  ihrer  ganzen  Verfassung  nach  keine 
altgermanischen  Hundertschaften  oder  fränkischen  centenae.  A.  M.  Gramer 
Alamannen.  S.  64,  wo  ohne  jeden  historischen  Sinn  centena,  huntari,  bundari, 
hcrad,  hunaria,  Honschaft,  Mark,  marca  als  gleichbedeutend  neben  einander 
gestellt  sind.  Eingchund  behandelt  spätere  sogenannte  Hundertschaften  und 
Centen  Mayer  V.  G.  I S.  436  ff,  der  aber  aus  dem  S.  2 Anm.  1)  angege- 
benen < «runde  von  irrtümlichen  Voraussetzungen  ausgeht  und  zu  unharmo- 
nischen Uesultaten  gelangt.  Eine  gute  Übersicht  hierüber  bei  Stutz 
ZRG.*  XXI  S.  158  f. 


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136 


Wir  kommen  zu  dem  Schlüsse,  daß  sieh  in  fränkischem 
Stammesland  in  merowingischer  und  karolingischer  Zeit  Hundert- 
schaften gefunden  haben,  daß  aber  die  Hundertschaftsverfassung 
in  den  übrigen  westrheinischen  Gebieten  des  fränki- 
schen Reiches  nicht  eingeführt  wurde1). 

ln  den  Bestimmungen  der  Lex  Chamavorum  tritt  uns  der 
Entstehungszeit  dieses  Denkmals  entsprechend  die  Verfassung  der 
karolingischen  Periode  entgegen.  Am  deutlichsten  sehen  wir 
dies  in 

cap.  44.  Si  quis  de  lido  suo  pro  aliqua  causa  in  ratione  fuerit 
inventus,  super  noctes  14  ipsum  lidum  ad  placitum  adducat,  si 
senior  suus  in  ipso  comitatu  est.  Si  in  alio  eomitatu  est,  ipso 
lidus  suum  seniorem  ad  placitum  adducat  super  noctes  25. 
Sie  in  tercio  eomitatu  est  super  noctes  42.  Si  in  alio 
ducatu  est,  super  noctes  K4  cum  suo  seniore  veniat  ad  ipsum 
placitum. 

Das  ganze  Chamavenland  bildete  einen  ducatus,  der  in  drei 
comitatus  zerfiel.  Dem  comitatus  war  ein  comes  vorgesetzt.  Unter 
diesem  aber  stand  ein  centenarius. 

cap.  30.  Si  quis  infra  pagum  latronem  comprehenderit, 
et  ante  illum  comitem  eum  non  adduxerit  aut  ante  suum 
centenarium,  solides  60  componere  faciat. 

Daß  dieser  centenarius  der  Vorsteher  einer  centena  war, 
dürfen  wir  nach  dem  im  Vorausgehenden  Gesagten  annehmen, 
wie  wir  aus 

Lex  Rib.  50,  1 Si  quis  testis  ad  mallo  ante  centenario  vel 
comite,  seu  ante  duce,  patricio  vel  regi  necesse  habuerit,  ut 
donent  testimonium  . . . 

schließen  können,  daß  auch  bei  den  ribuarisohen  Franken  centenae 
vorkamen  *). 

’)  Mayer  spricht  V.  G.  I 435  Anni.  2 von  einer  „willkürlichen  Hin- 
richtung von  Hundertschaften  durch  die  Franken,“  die  aber  „nicht  zur  Be- 
gründung großer  Verbände,  sondern  zur  Übertragung  der  Hundertschaft*’ 
tunktiou  auf  die  Gemeinde  (!)  geführt“  haben  soll.  Wie  Ut  das  zu  denken  'i 
*)  Vgl.  Waitz  V.  G.  II,  l3  S.  402  II,  23  S.  131.  „Jene  Anführung  (in 
der  oben  citierten  Stelle)  scheint  daher  nur  als  eine  Erinnerung  an  frühere 
Zustände  oder  eine  Hinweisung  auf  außerordentliche  Umstände  betrachtet 


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Daß  bei  den  Chamaven  die  Hundertschaft  nicht,  wie  E.  Mayer') 
meint,  aus  der  mannmissio  per  hantradam  zu  erschließen  ist,  lierjt 
auf  der  Hand.  Wir  haben  nicht  die  mindeste  Veranlassung  in 
luntrada  eine  Verschreibung  für  huntrada  zu  sehen,  da  die  beiden 
Handschriften  an  den  beiden  Stellen,  an  denen  das  Wort  verkommt, 
ohne  Unterschied  hantrada  oder  handrada  schreiben.  Und  selbst 
wenn  die  Conjektur  Mayers  anzunehmen  wäre,  dann  würde  daraus 
noch  nichts  für  Hundertschaften  folgen.  Huntrada,  sprachlich 
parallel  hundred  und  liunderöd.  wäre,  das  gezählte  Hundert  aus- 
drückend, die  denkbar  schlechteste  Hezeiclmung  für  eine  germanische 
Hundertschaft.  Daß  Freilassungen  in  mallo  publico  vorkamen,  ist 
an  sich  richtig.  Aber  was  soll  eine  isoliert  stehende  Züricher 
Urkunde  für  die  Gebräuche  der  Ohamaven  bezeugen? 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnitts  möchte  ich  noch  auf  die 
Möglichkeit  eines  Zusammenhanges  zwischen  den  fränkischen  Graf- 
schaften und  den  Gebieten  der  salischen  Gaukönige  himveisen, 
wobei  ich  allerdings  auf  eine  eingehendere  Erörterung  dieser 
außerhalb  des  Rahmens  der  Arbeit  fallenden  Frage  verzichten  muß. 
Soweit  sich  ein  solcher  Zusammenhang  festhalten  oder  annehmen 
läßt  wäre  hierin  ein  neues  Argument  für  die  Ursprünglichkeit 
der  Hundertschaftsverfassung  zu  sehen.  Denn  als  civitates  im 
Sinne  von  Caesar  und  Tacitus  sind  eben  diese  Kleinkönigreiche 
anzusehen,  die  dann  als  solche  ebenso  nur  in  Hundertschaften 
(pagi)  zerfielen  wie  späterhin  als  Grafschaften.  Man  darf  eben 
nicht  übersehen,  daß  das  fränkische  Großreich  eine  Anzahl  von 
Gebieten  umfaßt,  die  in  germanischer  Zeit  selbständige  Klein- 
staaten waren2) 

»erden  in  können:  es  mochte  Vorkommen,  daß  der  Cuntenar  den  Grafen 
vertrat,  aber  sein  eignes  Hecht  erstreckte  sich  nicht  mehr  auf  dieses  Gebiet.“ 

')  V.  U.  I S.  414  Anm.  1«. 

s)  Zu  dieser  Frage  wäre  zu  vergleichen  die  eingehende  Arbeit  von 
l'h.  I'iot,  Los  pagi  de  la  Belgique  et  leurs  subdivisions  pendant  le  mojen 
age  in  Memoires  coumnnes  publies  pur  l'academic  royale  de  Hetgiipie. 
XXXIX.  (187  ff.).  Über  die  salischen  Gaukönige  vgl.  Schröder  K.  G.5  S.  107. 


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VII.  Fortsetzung;  huntarl,  del,  go. 

Ffir  die  östlich  des  Rheins  gelegenen  Gebiete  fließen  die 
Quellen  noch  spärlicher.  Am  ergiebigsten  sind  die  des  ala- 
mannischen  Landes,  über  dessen  eentenae  zuletzt  Dahn1)  unter 
Zurückweisung  der  völlig  unhaltbaren  Ansichten  von  Cramer2) 
gehandelt  hat.  Leider  ist  aber  die  wesentliche  Frage,  ob  die 
alemannischen  eentenae  von  den  Franken  eingeführt5),  oder  ur- 
sprüngliche Einrichtungen  sind,  nicht  entschieden,  sondern  nur 
mit  Recht  hervorgehoben . daß  das  häufige  Vorkommen  der  Bc- 
zeichung  huntari  statt  centena  für  alamannischen  Ursprung  geltend 
zu  machen  ist. 

Da  das  alamannische  huntari4)  jedenfalls  ein  Gebiet,  ein 
Bezirk,  ist,  was  z.  B.  die  Wendung  villa  sita  in  centena  kreigow 
nuncupata*)  erkennen  läßt,  so  ergibt  sich  für  uns  ein  schwer- 
wiegendes Argument  für  seine  Ursprünglichkeit  aus  der  Erwägung, 
daß  die  Hundertschaft  eine  urgermanische  Einrichtung  ist  und 
in  den  alamannischen  Gebieten  um  so  sicherer  einmal  vorhanden 
gewesen  sein  muß,  als  hier  zum  Teil  jedenfalls  eine  haufenweise 
Einwanderung,  nicht  eine  kolonisierende  Eroberung  stattgefunden 
hat®).  Sodann  spricht  gegen  die  Einführung  durch  die  Franken 
der  Umstand,  daß  die  Franken  die  Hundertschaft  nicht  einmal 
in  den  Gebieten  eingeführt  haben,  die  von  ihnen  kolonisiert  wurden 

')  Könige,  IX,  1.  S.  98  ff.  Außer  der  dort  angegebenen  Literatur  wäre 
zu  vgl.  Brunner,  RG.  Iä  S.  161. 

*)  J.  Gramer,  Die  Geschichte  der  Alamannen  als  Gaugcschichte.  Da- 
zu VVerminghoff  in  ZUG.'-'  XX  S.  ‘.'82  f,  I,.  Schmidt  in  Hist.  Viertel- 
jahrssch.  1901  S.  91  ff. 

5)  Das  nimmt  z.  B.  an  Schröder,  KG.®  S.  19  Anin.  15.  Auch 
Brunner,  RG.  Ia  S.  161,  spricht  von  verhältnismäßig  jungem  Ursprung. 
A.  M.  E.  Mayer,  VG.  I S.  435  Anm.  2. 

4)  Vgl.  Grimm,  RA.  11‘  S.  56.  E.  Mayer,  Deutsche  u.  französische 
Verfassungsgeschichte  1 S.  413  f.,  bes.  414  Anm.  19. 

*)  Das  Gitat  ist  entnommen  aus  Dahn  a.  a.  O.  8.  101  Anm.  8.  Vgl. 
noch  Wirtemb.-Urk.  B.  I 42  hoc  est  infra  marcha  illa.  qui  vocatur  Muntarihcs- 
huntari. 

#)  Vgl.  hierzu  Schröder,  RG.®  S.  95,  Brunner,  RG.  I3  S.  42, 
K.  Weller,  Die  Besiedlung  des  Alamannenlandes  S.  33. 


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139 


und  die  unmittelbar  unter  der  Herrschaft  des  fränkischen  Königs, 
nicht  unter  der  eines  Stammesfürsten,  standen'). 

Zudem  reichen  auch  liier  die  Quellenbelege  bis  in  die  mern- 
wingisehe  Zeit  zurück.  Die  ältesten  Urkunden,  die  den  eentenarius 
nennen,  finden  sich,  wie  schon  wiederholt  festgestellt,  in  den 
Traditiones  Wizeburgenses  *).  Und  daLi  aucli  liier  zu  dem  cente- 
narius  eine  centena  gehörte,  dieser  Schluß  dürfte  so  wenig  gewagt 
erscheinen,  wie  bei  dem  eentenarius  der  Lex  Salica  und  der  Lex 
Ribuaria3).  Das  Argument  Brunner’s,  es  verrate  die  alaraan- 
nische  centena  „insofern  einen  verhältnismäßig  jungen,  auf  Radi- 
ziening  eines  persönlichen  Verbandes  hinweisenden  Ursprung,  als 
die  meisten  Hundertschaftsnamen  aus  einem  Personennamen  ge- 
bildet sind,  augenscheinlich  aus  dem  Namen  des  Hundertschafts- 
vorstehers, unter  dem  die  Benennung  zu  dauernder  Geltung  ge- 
langte“, steht  dem  nicht  entgegen. 

Allerdings  sind  gerade  die  alamannischen  Huntaren  nach 
Personen  benannt,  und  weisen  nur  selten  lokale  Namensbildung 
auf4).  Wir  haben  auch  keinen  Nachweis  dafür,  daß  diese  Namen 
auf  die  Ansiedlung  zurückgehen.  Es  läßt  sich  nicht  behaupten, 
daß  etwa  das  Munigisingerhuntare  das  Ansiedlungsgebiet  der  Leute 
eines  Munigis  war,  das  Munterieheshuntare  das  der  Leute  eines 
Munterich  u.  s.  1.  Die  Namen  können  sehr  wohl,  wie  Brunner 
meint,  die  der  Hundertschattsvorsteher  sein,  unter  denen  die 
Huntare  zu  dauernder  Geltung  gelangte.  Ich  vermute,  daß  diese 
alamannischen  Huntaren  in  frühester  Zeit  entweder  überhaupt 
keine  Namen  hatten  oder  nach  dem  jeweiligen  Hundertschafts- 
vorsteher benannt  wurden.  Was  dann  der  Grund  war,  aus  dem 
der  Name  eines  solchen  Vorstehers  dauernd  beibehalten  wurde, 
laßt  sich  nicht  feststellen4).  Andererseits  aber  müssen  wir  nicht 


>}  Vgl.  oben  S.  136. 

*)  Bei  Waitz,  VU.  11,2*  S.  13  Anm.  2. 

*)  Für  alamannischen  Ursprung  auch  Kietschci,  a.  a.  0.  (S.  34 
Anm  1),  S.  8. 

4)  Vgl.  Dahn,  a.  a.  0.  S.  99  Text  und  Anm.  4. 

4)  Zu  weit  geht  in  der  Ausnützung  der  Hundcrtschaftsnamen  K.  Weiler, 
i.  a.  O.  S.  10  ff.  der  auch  die  Bedeutung  der  Endungen  — ing  und  — ingen 
überschätzt.  Immerhin  darf  mau  Tatsachen  wie  die.  dal!  eine  villa  Munigi- 
singa  der  Mittelpunkt  und  die  Dingst&tte  eines  .Munigiscshuntarc  ist,  auch 


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140 


an  nehmen,  daß  die  „Radizierung“  des  persönlichen  Verbandes 
nicht  frülier  als  die  Namengebung  erfolgte. 

Keinenfalls  ist  daran  zu  denken,  daß  das,  wie  Mayer  meint, 
Hundertschaften  von  „Erbherrn“  waren.  Soweit  überhaupt  das  Amt 
eines  Hundertsohaftsvorstehers  im  Mittelalter  erblich  werden  konnte 
— eine  Frage,  die  hier  nicht  zu  entscheiden  ist  — ist  dies  in 
Perioden  erfolgt,  die  hier  nicht  in  Betracht  kommen,  da  selbst 
Brunner  annimmt,  daß  die  alamannischen  Hundertschaften  in  die 
Zeit  vor  der  fränkischen  Eroberung  zurückreichen. 

Daß,  wie  Dahn  ausführt,  „sogar  in  dem,  dem  alamannischen 
so  nah  verwandten  Baiernreeht  fast  alle  Spuren  von  Hundert- 
schaften“ fehlen,  ist  nicht  entscheidend,  denn  auch  bei  nächst 
verwandten  Völkern,  ja  sogar  innerhalb  desselben  Volkes,  kann 
ein  verschiedener  Resiedlungsprozeß  da  Hundertschaften  haben 
entstehen  lassen,  dort  nicht,  oder  können  spätere  Ereignisse  sie 
da  haben  untergehen  lassen,  dort  nicht1). 

Wir  haben  also  keinen  Grund,  in  dem  alamannischen  huntari 
eine  Neubildung  der  fränkischen  Zeit  zu  sehen. 

Werfen  wir  sodann  einen  Blick  auf  die  Verfassung,  ins- 
besondere die  Gerichtsverfassung,  so  ergibt  sich  Folgendes. 

An  der  Spitze  stand  zu  Beginn  der  Merowingerherrschaft  der 
Volksherzog  (du.x),  zugleich  Beamter  des  fränkischen  Königs. 
Er  ist  der  oberste  Richter.  Aber  weder  hält  er  ordentliches 
Gericht,  noch  ist  er  ordentlicher  Richter.  Ob  er  am  ordentlichen 
Gericht,  im  puhlicus  mallus,  erscheinen  und  den  Vorsitz  über- 
nehmen kann,  wie  Dahn  meint,  ist  mir  fraglich.  Aus  der  von 
Dahn  hierfür  angeführten  Stelle  geht  das  nicht  hervor.  Für  die 
Entscheidung  käme  sehr  in  Betracht,  ob  der  Richter  des  ordentlichen 
Gerichts  seinen  Bann  vom  Herzog  oder,  sei  es  mittelbar,  sei  es 
unmittelbar,  vom  König  hat.  Verleiht  ihm  der  Herzog  den  Bann, 
dann  ist  es  verständlich,  wenn  dem  Herzog  bei  seinem  Erscheinen 
im  mallus  puhlicus  das  Gericht  ledig  wird.  Für  uns  ist  diese 

nicht  unterschättcii.  Mag  diese  villa  die  Aiisicdlung  einer  Sippe  oder  einer 
Schar  unter  Anrührung  eines  Munigis  oder  nach  einem  Vorsteher  benannt 
sein,  in  allen  Fällen  bleibt  die  Wahrscheinlichkeit,  daU  sie  die  erste  An- 
siedlung in  diesem  huntari  ist  und  daU  von  dort  aus  die  weitere  Besiedlung 
unter  Kesthaltung  des  ursprünglichen  Mittelpunkts  erfolgte. 

')  Wie  Dahn  auch  Brunner,  EG.  1’  S.  lfil  Anm.  19. 


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141 


Frage  nicht  von  Bedeutung  und  es  penQtrt  daher,  auf  sie  hinge- 
wiesen zu  haben '). 

Unter  dem  Herzog  stand,  wie  in  Franken  unter  dem  König, 
der  comes.  Wie  der  fränkische  comes  kein  Urafengericht,  kein 
Hangericht  hat.  so  ist  es  auch  für  den  alamannischen  comes 
charakteristisch,  daß  er  kein  Grafending  halt,  sondern,  wenn 
überhaupt,  dann  eben  dem  Gericht  vorsitzt,  dessen  Leitung  auch 
dem  centenarius  zusteht,  dem  Gericht  der  centena.*) 

Lex  Alam.  XXXVI,  l.1) 

Ut  conventus  secundum  consuetndinem  antiquam  fiat  in 
omni  centena  coram  comite  aut  suo  misso  et  coram  centenario. 

Wenn  somit  in  jeder  centena  Gericht  stattfindet,  so  sind  die 
Dingpflichtigen  deren  Einwohner  und  das  Gericht  ist  ein  Centenen- 
gericht.  Fraglich  ist  aber  das  Verhältnis  des  comes  zum  cente- 
narins. 

Da  nach  Lex  Alam.  XXXVI.  1.  alle  sieben  Nächte  in  jeder  cen- 
tena ein  Ding  stattfinden  kann,  alle  vierzehn  Nächte  mindestens 
stattfindet,  so  ergibt  sich  bei  mehreren  Hundertschaften  zumal, 
wie  sie  ja  in  einem  Grafenbezirk  vereinigt  waren,  eine  so  grolle 
Anzahl  von  Dingen  innerhalb  eines  Jahres,  daß  schon  diese  Zahl 
dagegen  spricht,  daß  der  ordentliche  Richter  an  diesen  Dingen 
der  comes  sein  sollte.  Allerdings  ist,  wie  man  einwenden  könnte, 
dieser  Mangel  durch  die  Einführung  des  missus  comitis  wenigstens 
zum  Teil  ausgeglichen.  Aber  m.  E.  spricht  gerade  das  Dasein 
des  missus  comitis  für  die  hier  vertretene  Auffassung.  Es  ist 
unverständlich,  daß  man  einen  ordentlichen  Richter  sollte  ein- 
gesetzt haben,  der  der  bestehenden  Organisation  nach  von  vorn- 
herein nicht  in  der  Lage  war,  sein  Richteramt  auszuüben,  dem 
man  infolgedessen  schon  von  Anfang  an  einen  Ersatzmann  stellen 
mußte.  Dagegen  steht  nichts  im  Wege,  den  centenarius  als  den 
ordentlichen  Richter  der  centena  anzusehen.  Dies  ist  auch  das 


*)  Vgl.  Dahn,  a.  a.  0.  238,  2791T,  Brunner,  R(i.  II'  S.  1Ö7  f. 

*)  Über  die  Frage  eines  Zusammenhangs  zwischen  den  Gaugrafsehafton 
der  fränkischen  Zeit  init  den  alten,  selbständigen,  für  sich  unter  einem 
Herrscher  stehenden  alamannischen  (ianen  vgl.  K.  Weller,  a.  n.  0.  S.  4ü  f, 
«o  m.  E.  zutreffend  ein  Zusammenhang  ahgelehnt  ist.  Seilte  er  bestehen, 
so  gilt  auch  hier  das  oben  S.  137  Gesagte. 

*)  Nach  der  Ausgabe  von  K.  Lehmann  in  der  ^uartscrie  der  MGI  Li. 


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142 


Ergebnis  der  in  sich  nicht  klaren  Ausführungen  Dahn ’s,  dem  ich 
insoweit  zustimme. 

Dagegen  muß  ich  Dahn  widersprechen,  wenn  er  sagt:  »Als 
das  Regelmäßige  setzen  die  Quellen  zwei  Beamte  in  dem  Hundert- 
schaftsding  voraus:  den  Grafen  (oder  dessen  außerordentlichen 
Vertreter,  seinen  missus)  und  den  Centenar“  oder  »Regelmäßig 
handeln  Graf  und  Centenar  zusammen“;  und  wenn  er  dann  dieses 
Zusammenwirken  von  Graf  und  centenarius  am  Ding  damit 
erklären  will,  »daß  der  Graf,  der  in  verschiedenen  Hundert- 
schalten seines  Gaus  Gericht  hielt,  deren  Beamten  zur  Seite 
haben  mußte  Mit  dieser  allgemeinen  Wendung  kann 

man  nicht  der  Frage  entgehen,  welche  Funktionen  der  centenarius 
neben  dem  comes  bekleidet  haben  soll.  Und  diese  Frage  ist  doch 
sehr  berechtigt  gegenüber  der  Behauptung,  daß  zwei  »Richter“, 
von  denen  noch  dazu  einer  dem  anderen  übergeordnet  ist, 
nebeneinander  Gericht  gehalten  haben  sollen.*) 

Man  wird  unwillkürlich  erinnert  an  den  sächsischen  Grafen 
und  den  Burggrafen  des  Magdeburger  Rechts  mit  ihren  Schult- 
heißen. Dies  umsomehr,  als  ja  auch  der  Schultheiß  des  Sachsen- 
spiegels eine,  wenn  auch  beschränkte,  Gerichtsbarkeit  hat*),  und 
der  Schultheiß  zu  Magdeburg  im  Laufe  der  Zeit  sogar  den  Burg- 
grafen aus  der  Stellung  des  ordentlichen  Richters  verdrängt  hat.3) 
In  diesen  Rechtsgebieten  ist  in  der  Regel  der  Schultheiß  not- 
wendiges Mitglied  des  Grafengerichts  und  der  Führer  der  urteil- 
findenden Schöffen,  und  es  fragt  sich,  ob  etwa  auch  der  alaman- 
nisehe  centenarius  eine  ähnliche  Stellung  hatte. 

Doch  ist  zuvor  noch  auf  die  von  Dahn  für  seine  Meinung 
gebrachten  Quellenhelege  einzugehen.  In  der  Tat  sagt  Lex 
Alam.  XXXVI.  1 : 

Ut  conventus  secundum  consuetudinem  antiquain  fiat  in 
omni  centena  coram  comite  aut  suo  misso  et  coram  eentenario. 

Dahn  legt  hier  Gewicht  auf  das  „et“  und  schließt  daraus, 
daß  der  Regel  nach  comes  und  centenarius  zusammen  am  Ding 
wirken  müssen.  Dieses  „et“  wird  aber  vollständig  aufgewogen 
durch  die  in  demselben  Kapitel  folgenden  disjunktiven  „aut“. 

■)  Auch  Waitz  hatte,  V(I.  II,1  S.  146,  diene  Ansicht  vertreten. 

*)  Planck,  Gerichtsverfahren  I S.  f). 

3)  ebda.  S.  "24  f. 


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143 


Wenn,  wie  Dahn  voraussetzt,  der  Gesetzgeber  den  Vorsitz  des 
eentenarius  als  die  seltene  Ausnahme  hätte  behandeln  wollen, 
dann  hätte  er  nicht  im  Folgenden  geschrieben 

„Si  quis  antem  über  ad  ipsum  plncitum  neglexerit  venire 
vel  semetipsum  non  praesentaverit  aut  comite  aut  centenario 
aut  ad  missum  comiti  in  placito  . . . .“  oder  et  vadium 
suum  donet  ad  misso  conmiti  vel  ad  illo  centenario,  qui 
praeest  . oder  „Et  si  est  talis  persona,  quod  comis  ad 
plaeitum  vel  eentenarius  vel  missns  comitis  distringore  non 
potest“. 

Eine  Sache  für  sich  ist  es,  (lall  der  eentenarius.  wenn  der 
Graf  Gericht  hielt,  in  der  Regel  anwesend  gewesen  sein  wird. 
Vielleicht  auch  hat  er  neben  dem  Grafen  Platz  genommen,  sodaß 
die  obige  Fassung  mit  „et“  ganz  gerechtfertigt  ist.  Aber  daraus 
folgt  eben  nicht,  daß  er  zur  Besetzung  des  Gerichts  gehörte  und 
daß  er  dort  bestimmte  Funktionen  hatte.  Andererseits  erklärt  es, 
daß  er  in  den  von  Waitz')  und  Dahn  angeführten  Urkunden 
ans  den  Trad.  Sang,  mit  unterzeichnet  und  aufgeführt  wird.  Will- 
kürlich aber  bleibt  es  für  alle  Fälle,  wenn  Dahn  in  der  von  ihm 
eitierten  Rheinauer  Formel  „in  publieo  mallo  . . in  praesentia 
comitis  . . . vel  centurionis  . . . ceterique  populi“  das  „vel“ 
ohne  weiteres  durch  „et“  ersetzt,  um  einen  Beweis  für  seine 
Thesis  zu  erhalten. 

Was  sodann  den  angezogenen  Vergleich  mit  der  sächsischen 
Gerichtsverfassung  anlangt,  so  kommt  hierfür  in  Betracht  die 
Lex  Alain.  XLI  1 : Ut  causas  nullus  audire  praesumat,  nisi  qui  a 
duce  per  conventiouem  populi  iudex  constitutus  sit,  ut 
causas  iudicet 

2.  Si  autein  ille,  qui  ad  illum  iudicium  audire  (lebet,  in 
hoc  constitutus  est,  iudicium  suum  contemnit,  dum  ille  iuste 
indicaverit  et  dedignat  euin  audire  et  spernit  eum  et 
arguit  coram  aliis  et  dicit:  „Non  rectum  iudicas’  dum  ille 
rectum  iudicat,  et  si  hoc  ab  aliis  iudieibus  inquisitum 
fuerit,  quod  ille  iuste  iudicavit,  ille  contemptor,  qui  iudici 
iniuriam  fecit,  solvat  12  solides  ad  iudicem  illum  .... 

‘)  V(i.  II3  S.  146.  Amu.  ö. 


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H4 


Zu  dieser  Stelle  bemerkt  nun  Dahn:  „Die  Urteil  schelte 
gegen  den  Centenar  („non  recte  judicas“)  zieht  die  Sache  an 
andere  Centenare  (aliis  judicibus)  des  Gaus:  [aber  an  welche?] 
diese  scheinen  dann  zusammen  den  l'rteilsvorschlag  gemacht  zu 
haben  . . .“.  *)  Er  setzt  damit  den  centenarius  in  die  Stellung 
eines  amtlichen  Urteilfinders. 

Diese  Auslegung,  selbst  Hypothese,  beruht  auf  der  weiteren 
Hypothese,  daß  iudex  = centenarius.  Bei  der  schwankenden  Ter- 
minologie des  alamannischen  Volksrechts  wie  des  bairischen  kann 
diese  Gleichung  nicht  schlechthin  verworfen  werden.  Es  ist  an 
sich  sehr  gut  möglich,  daß  iudex  den  centenarius  bedeutet,  wie 
es  andererseits  auch  möglich  ist,  daß  centenarius  für  comes 
steht.8)  Aber  willkürlich  ist  es,  ohne  weiteres  anzunehmen,  daß 
der  iudex  einer  bestimmten  Stelle  der  Centenar  sein  soll.  Dies 
umsomehr,  wenn  damit  eine  Interpretation  erreicht  wird,  die 
durch  keine  anderen  Gründe  unterstützt  wird.  Hier  haben  wir 
für  die  Annahme,  daß  ein  Obergericht  aus  Centenaren  bestanden 
habe,  einen  Gl  und  weder  in  den  früheren  noch  in  den  späteren  Zu- 
ständen. Und  wenn  sich  dies  auch  aus  den  Umwälzungen  im  ala- 
mannischen Recht  zu  Beginn  der  fränkischen  Zeit  und  aus  der  späteren 
Einführung  der  fränkischen  Schöffenverfassung  erklären  läßf,  so  darf 
man  doch  an  der  Tatsache,  daß  die  I)  a h n ’sche  Auslegung  nur 
auf  Hypothese  ruht,  nicht  achtlos  vorübergehen.  Wer  die  iudices 
der  angeführten  Stelle  sind,  läßt  sich  eben  nicht  von  vornherein 
sagen,  sondern  nur  aus  dieser  Stelle  erschließen.  Dies  veranlaßt 
zu  einer  neuerlichen  Interpretation3). 

Bei  genauer  Betrachtung  von  Lex  Alam.  XLI  und  Vergleichung 
mit  den  übrigen  Bestimmungen  fällt  auf  der  Schluß  „quin  sic 
convenit  duei  et  omni  populo  in  publico  eoneil  io“.  Die  ausdrück - 


■)  Könige  IX,  1 S.  306:  diese  Ansicht  geht  wohl  zurück  nuf  Waitx, 
VO.  II,  23  S.  174  f. 

a)  Über  diese  Krage  vgl.  Waitx,  VG.  II,  23  S.  148  fT.  dom  gegenüber 
ich  betonen  timll,  daß  cs  nicht  darauf  ankommt,  ob  au  dieser  und  jener 
Stelle  comes  oder  centenarius  = judex,  sondern  darauf,  ob  es  immer  so  ist. 

3)  Verständlicher  als  die  liahu's  ist  die  Meinung  von  Schröder, 
der  Mi.3  S.  379  einen  Hrchtszug  an  das  herzogliche  Hofgericht  annimmt. 
Aber  auch  dies  ist  reine  Hypothese,  da  wir  nichts  davon  wissen,  da L>  sieh 
am  Hofgericht  ein  Kollegium  von  iudices  befand. 


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145 


liebe  Hervorhebung  der  Zustimmung  von  dux  und  popnlus,  die 
sich  außerdem  nur  am  Beginn  des  Pactus  und  der  Lex,  aber  nie 
bei  einer  einzelnen  Bestimmung  findet,  weist  schon  darauf  hin. 
daß  hier  eine  Änderung  des  bisherigen  Rechts  und  zwar  von  be- 
sonderer Bedeutung  erfolgte. 

tieregelt  wird  das  Verfahren  bei  der  llrteilssehelte,  und  wenn 
vir  beachten,  daß  nach  germanischem  Recht  die  Urteilsschelte 
zum  Zweikampf  führte,  so  ergibt  sich  als  wahrscheinlich,  daß  in 
unserer  Stelle  gerade  der  Zweikampf  ausgeschlossen  werden  soll. 
Aber  diese  Annahme  erschöpft  noch  nicht  die  Fragen,  die  die 
Stelle  gibt.  Es  ist  weiter  auffällig,  daß  der  Urteilsscheiter  kein 
besseres  Urteil  finden  muß.  Er  behauptet  lediglich,  daß  der 
iudex  falsch  urteilt  (non  rectum  iudicas;  ohne  zu  sagen,  wie  das 
Urteil  lauten  sollte,  obgleich  Lex  Alam.  XLIV  das  Finden  des  Ge- 
genurteils kennt. 

Daraus,  wie  aus  dem  ganzen  sonstigen  Verfahren,  ist  zu 
schließen,  daß  es  sich  hier  überhaupt  nicht  um  eine  Urteilsschelte 
im  technischen  Sinn  handelt.  Aber  dann  entsteht  die  Frage,  was 
sonst  hier  gemeint  sei.  Gibt  es  überhaupt  ein  Mittel  zwischen 
Urteilsschelte  und  Unterwerfung  unter  das  Urteil? 

ln  der  Tat  kennt  einen  solchen  Mittelweg  der  Sachsenspiegel. 
Nachdem  der  Spiegler  in  II  12  §§  4 — 9 die  Urteilsschelte  be- 
handelt hat,  die  zum  Zweikampf  führt,  folgt 

§ 11.  Wedersprict  en  die  vulbort  unde  vint  he  en  ander 
ordel,  svelker  die  merren  volge  hevet,  die  behalt  sin  ordel, 
unde  blivet  es  beide  sunder  gewedde,  wende  ir  neu  des 
anderen  ordel  besculden  ne  hevet. 

Es  wird  hier  ausdrücklich  unterschieden  zwischen  dem 
Schelten  des  Urteils  und  dem  Widersprechen.  Noch  deutlicher 
ist  dies  im  Schwabenspiegel,  der  zwar  die  Stelle  des  Sachsen- 
spiegels nicht  gut  verstanden  hat,  aber  doch  den  Schluß  bringt 
116(L.)  . . . wände  si  nieiuan  ein  vrteil  beseholten  hant 
und  dann  zur  Erklärung  fortfahrt 

wir  heizzen  daz  beseholten  vrteil.  Swer  also  spriehet 
Ich  wider  wirfe  die  vrteil  wan  si  ist  vnreht  vnde  ich  zivhe 
si  da  hin  dar  ich  si  zerehtc  ziehen  sol.  . . . 

Die  mit  dem  Urteil  unzufriedene  Partei  schilt  nicht  das  Ur- 
teil, sie  erhebt  nicht  gegen  den  Urtciltiuder  den  Vorwurf  der 

v.  Schwerin,  altserw.  UumlcrUchaft  10 


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14fi 

Rechtsbeugung,  sondern  sie  hindert  nur  durch  ihre  Widerspräche 
die  Vollbort;  es  kommt  nicht  zum  Kampfe,  sondern  die  Ent- 
scheidung hängt  davon  ab,  welchem  Urteil  die  größere  Menge 
folgt.  Weil  das  Urteil  nicht  gescholten  ist,  muß  kein  Gewedde 
gezahlt  werden.  Vermutlich  erhält  auch  der  Gegner  keine  Rußt*. 

Ein  ähnliches  Verfahren  scheint  mir  Lex  Alam.  XL1,  2 zu 
behandeln.  Allerdings  erfahren  wir  nichts  davon,  daß  der  Wider- 
sprecher des  Urteils  ein  besseres  Urteil  finden  mußte.  Aber  volle  Aus- 
führlickeit  dürfen  wir  auch  von  einer  Quelle  dieser  Zeit  nicht 
verlangen.  Auch  das  ist  verschieden,  daß  in  der  Lex  in  jedem 
Falle  12  sol.  zu  zahlen  sind,  entweder  vom  Richter  oder  vom 
Widersprecher,  während  davon  in  den  Spiegeln  keine  Rede  ist. 
Das  erklärt  sich  daraus,  daß  die  Lex  voraussetzt,  daß  dem  iudex 
eine  iniuria  widerfuhr.  Die  Fälle  decken  sich  eben  nicht,  sondern 
sind  nur  ähnlich1). 

Der  für  uns  bedeutungsvolle  Unterschied  endlich  ist  der, 
daß  nach  dem  Sachsenspiegel  ausweislich  des  Richtsteigs  Land- 
rechts c.  48  § 3 die  Mehrzahl  der  „Dingpflichtigen“  den  Aus- 
schlag gibt,  während  hier  alii  iudices  zu  urteilen  haben.  Und 
es  ist  auch  nach  dem  Sprachgebrauch  dieser  Quellen  ausgeschlossen, 
daß  alii  iudices  die  Dingpflichtigen,  den  Umstand,  bezeichnen  soll. 
Wir  kommen  zurück  zu  der  Frage  nach  der  Bedeutung  von  iudex 
an  unserer  Stelle  und  haben  sie  nun  zu  entscheiden  unter  Berück- 
sichtigung der  bisherigen  Ausführungen. 

Dabei  weise  ich  zunächst  hin  darauf,  daß  der  Scheiter  seine 
Schelte  vorzubringen  hat  coram  aliis.  Wer  sind  nun  die  alii? 
Diese  Frage  hat,  wie  ich  sehe,  noch  niemand  zu  beantworten  ver- 
sucht. M.  E.  ist,  wenn  man  die  Fassung  arguet  eum  coram  aliis 
vorurteilslos  betrachtet,  klar,  daß  die  alii  dem  is  koordinirt  sind. 
Es  stehen  im  Gegensatz  is  und  alii.  Dabei  kann  man  aber  unter 
alii  nicht  etwa  die  versammelte  Gerichtsgemeinde  verstehen.  Zu- 
nächst ist  nicht  anzunehmen,  daß  der  Gesetzgeber,  wenn  er  den 
Umstand  hätte  nennen  wollen,  sich  so  ausgedrückt  haben  würde. 
Sodann  ist  nicht  ersichtlich,  was  der  Zusatz  „coram  aliis“  be- 


')  Vielleicht  beruht  die  Zahlungspflicht  auf  einer  zwischen  Urteiler  und 
Partei  abgeschlossenen  Wette;  inan  beachte  das  schwedische  vtepia  undir 
laghmnn.  Vgl.  v.  Anlira,  Obl-R.  I S.  198. 


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147 


deuten  soll,  wenn  man  alii  als  die  Gerichtsversammlung  ansieht 
und  so  in  der  Stelle  eine  Gegenfiberstellung  von  Richter  und 
Volk  annimmt.  Daß  die  Schelte  unverwandten  Fußes  erfolgen 
soll,  kann  damit  nicht  gesagt  werden  wollen.  Wenn  aber  die 
alii  dieselbe  Funktion  haben  wie  der  is,  oder,  wie  oben  gesagt, 
dem  is  koordiniert  erscheinen,  dann  sind  sie  auch  iudices  und 
es  ist  der  Schluß  gestattet,  daß  sie  die  alii  iudices  sind,  die  über 
das  gescholtene  Urteil  befinden1). 

Wenn  aber  nun  die  alii  mit  den  alii  iudices  identisch  sind, 
so  folgt  daraus,  daß  sich  an  der  Gerichtsstelle  mehrere  iudices 
befinden.  Denn  das  ist  nach  allem,  was  wir  Ober  die  germanische 
Urteilsschelte  wissen,  klar,  daß  sie  in  dem  Gericht  erfolgen  muß, 
in  dem  das  gescholtene  Urteil  gefunden  wurde.  Und  überdies 
spricht  dafür  der  Wortlaut,  von  den  alii  iudices  sagt  der  Wider- 
sprechende nicht  etwa  non  rectum  iudicavis,  sondern  non  rectum 
iudieas.  Das  arguere  coram  aliis  ist  demnach  aufzufassen  als  ein 
Beschuldigen  des  iudex  vor  den  anderen  iudices.  Andererseits 
aber  folgt  daraus,  daß  die  über  die  Schelte  befindenden  iudices 
nicht  eine  Versammlung  der  Centenare  das  Gaus  sein  können, 
und  daß  die  Schelte  nicht  an  das  Herzogsgericht  gehen  kann, 
für  das  alii  iudices  ohnedies  eine  sehr  eigenartige  Bezeichnung 
wäre. 

Wrenn  aber,  wie  demnach  anzunehmen  ist,  in  einem  Gericht 
mehrere  iudices  vorhanden  waren,  dann  wird  dieser  alamannische 
iudex  auch  nicht,  wie  v.  Amira1)  annimmt,  der  Gerichtshalter 
sein ; denn  nur  eine  Person  ist  als  Gerichtshalter  denkbar.  Besser 
schon  verträgt  sich  damit  die  Ansicht  von  Brunner3),  daß  der 
alamannische  iudex  „ nicht  ein  Richter,  sondern  ein  dem  bairischen 
Iudex  verwandter  Rechtsprecher  gewesen  sein  dürfte.“  Auch  m.  E. 
geht  gerade  aus  der  bisher  erörterten  Stelle  hervor,  daß  der  dort 
genannte  iudex  den  Urteilsvorschlag  einzubringen  hatte.  Die 
übrigen  iudices,  die  alii  unserer  Stelle,  sind  dann  auch  zu  erklären 
als  Urteilfinder.  Im  einzelnen  Fall  aber  hat  nur  einer  das  Urteil 


')  UaU  Schöffen  über  die  Richtigkeit  des  Urteils  eines  Mitschöffen 
za  entscheiden  haben,  kommt  vor.  Vgl.  Warnkönig,  Flandrische  Staats- 
und Rechtsgeschichte  III,  S.  327. 

*)  Grundriß1  S.  155. 

*)  Rg.  I»  S.  205. 

10* 


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N8 


zu  finden,  die  andern  haben  zu  folgen  oder  die  Folge  zu  ver- 
weigern. Damit  vereint  es  sich  dann  gut,  daß  nur  eine  Buße  von 
12  solidi  zu  zahlen  ist1). 

Damit  ist  die  Möglichkeit  noch  nicht  ausgeschlossen,  daß 
nicht  doch  der  iudex,  der  den  Urteilsvorschlag  einzubringen  hat. 
in  dem  vom  Grafen  gehaltenen  Gericht  der  centenarius  ist.  Ks 
widerspricht  dies  aber  aller  Wahrscheinlichkeit.  Man  darf  nicht 
übersehen,  daß  das  vom  Grafen  geleitete  Gericht  auch  vom  cen- 
tenarius geleitet  werden  kann.  Das  Gericht  des  Centenars  ist 
nicht  von  dem  des  Grafen  verschieden,  wie  in  Sachsen  das  des 
Schultheißen  von  dem  des  Grafen.  Bei  dieser  Sachlage  ist  es 
das  natürlichste,  daß,  wenn  der  Graf  in  das  Gericht  kommt,  der 
Centenar  ihm  seinen  Platz  räumt  und  damit  überhaupt  ausscheidet. 
Rs  ist  nicht  anzunehmen,  daß  er  dann  an  die  Spitze  der  iudices 
sich  stellt  und  dem  Grafen  Urteil  findet.  Auch  im  salisclien 
Recht  nimmt  der  Graf  an  der  Dingstätte  den  Platz  des  Centenars 
ein  und  dieser  scheidet  aus.  Im  friesischen  Recht  wird  nicht, 
wenn  der  grcwa  sein  bodthing  hält,  der  scelta  zum  asegha,  der 
sächsische  Graf  nicht,  wenn  der  König  kommt,  zum  Schultheißen. 
Umgekehrt  ergibt  sich  aus  der  Möglichkeit,  daß  der  Graf  den 
centenarius  vertritt,  die  Notwendigkeit  eines  besonderen  Urteil- 
finders. Denn  der  Graf  kann  nicht  Urteil  finden.  Und  die  Folge 
ist  dann,  daß  auch  im  Gericht  der  Centenars  der  Urteilfinder  er- 
scheint. 

Fassen  wir  die  bisherigen  Ausführungen  zusammen  so  ergibt 
sich,  daß  der  iudex  in  Lex  Alam.  XLI.  Urteilfinder  ist  und  daß 
der  Centenar  mit  diesem  iudex  nicht  identisch  ist,  dessen  Funk- 
tionen nicht  zu  versehen  hat*).  Von  hier  aus  aber  ist  nicht  zu  er- 
sehen, welche  Funktion  überhaupt  der  centenarius  neben  dem 
Grafen  im  plaeitum  gehabt  haben  sollte  und  deshalb  komme  ich 


*)  Vgl.  andererseits  Lex  Sal.  LVIL  Zusatz  I.  Si  veru  rachinburgii  legem 
dixerint  et  ille  contra  quem  legem  dieunt  eos  contradixerit,  quod  legem 
non  iudicant,  simili  modo  contra  unumqnemquc  aolidos  XV  culpabilis 
iudicetur.  Die  rachinburgi  urteilen  gemeinschaftlich:  Ego  tos  tangano. 

*)  Keineswegs  bestreite  ich,  dali  au  anderen  Stellen  der  Lex  Alam. 
auch  iudex  = centenarius  oder  comes  stehen  kann:  iudex  kann  sehr  wohl 
technische  Bezeichnung  für  eine  bestimmte  Gerichtsperson  sein,  und  danebeu 
Beamter  schlechthin  bedeuten. 


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149 


in  Widerspruch  zu  I)ahn  zu  dem  Ergebnis,  daß  nicht  der  Graf 
neben  dem  centenarius  dem  Gericht  vorsaß,  sondern  entweder 
der  comes  oder  der  centenarius. 

Hält  man  nun  zusammen,  daß  der  Graf  nicht  Grafschafts- 
ding sondern  Hundertschaftsding  hält,  daß  er  am  Hundert- 
srhaftsding  den  centenarius  verdrängt,  so  ergibt  sich  nicht  nur, 
daß  das  Hundertschaftsding  das  ordentliche  Gericht  der  Alamannen 
ist,  sondern  es  ist  auch  zu  erschließen,  daß  es  vor  Einführung 
der  Grafschaftsverfassung  vorhanden  war.  Daß  es  das  ordentliche 
Gericht  war,  bedarf  keiner  weiteren  Begründung,  da  es  außer  dem 
des  Herzogs  das  einzige  war.  Als  ursprünglich  und  vor  der 
Grafschaft  vorhanden  muß  es  eben  deswegen  angesehen  werden, 
weil  der  centenarius  dort  als  der  ordentliche  Richter  erscheint 
und  als  vom  Grafen  beiseite  geschoben.  Dieses  Verhältnis  kann 
nur  so  entstanden  sein,  daß  der  Graf  den  centenarius  als  ordent- 
lichen Richter  der  centena  vorfand.  Wäre  nicht  das  Ding  der 
eentena  mit  dem  centenarius  vorhanden  gewesen,  dann  hätte  der 
Graf  vielleicht  auch  an  Stelle  eines  Grafschaftsdings  Hundert- 
schaftsdinge eingerichtet,  aber  er  wäre  zum  ordentlichen  Leiter 
bestellt  worden  und  er  hätte  dann  für  seinen  Verhinderungsfall 
den  missus  geschickt.  Daß  aber  an  Stelle  des  Grafen  zwei  Per- 
sonen am  placitum  der  centena  den  Vorsitz  haben  können,  der 
missus  oder  der  centenarius,  zeigt  recht  deutlich  die  Ursprünglich- 
keit des  Amtes  des  centenarius. 

Aus  den  Namen  centena  und  centenarius,  aus  der  Stellung 
des  placitum  in  der  centena  und  des  centenarius  ergeben  sich  An- 
haltspunkte, die  den  Schluß  rechtfertigen,  daß  die  centena,  für 
die  wir  überdies  auch  ihre  einheimische  Bezeichnung  huntari 
überliefert  haben,  eine  altgennanische  Hundertschaft  ist '). 

Diese  huntari  haben  sich  nicht  nur  gegenüber  der  Grafschafts- 
verfassung als  sehr  lebenskräftig  erwiesen,  sondern  haben  auch  in  der 


')  Eine  Frage  für  sich  ist  es,  ob  sich  die  Hundertschaftsverfassung 
im  ganten  alamannischen  Gebiete  der  fränkischen  Periode  gefunden  hat. 
Vgl.  hierüber  K.  Weller  a.  a.  0.,  S.  32,  dem  ich  aber  bezüglich  der  Schweiz 
mit  Rücksicht  auf  die  Art  der  Siedlung  dortselbst  nicht  zustimmen  kann: 
auch  im  Elsaß  wird  man  sich  vor  Verallgemeinerung  aus  diesem  Grunde 
hüten  müssen!  Die  Unterschiede  in  der  Siedlungsweise  hat  Weller  selbst 
a.  a.  U.  S.  33  f.  erörtert. 


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150 


Folgezeit  sehr  deutliche  Spuren  hinterlassen ').  Bezeichnungen 
von  Bezirken  wie  Glehuntra,  Munigiseshuntare,  Ruadolfeshun- 
tare,  Swerzenhuntare,  Muntharishuntare,  finden  wir  bis  zum  Ende 
der  Karolingerzeit.  Auch  die  Grenzen  dieser  Bezirke  sind  fest- 
gestellt worden*).  Jedoch  lassen  sich  aus  der  Größe  dieser  Hun- 
taren,  obgleich  sie  alle  in  frühere  Zeiten  zurückreichen  und  auf 
alte  alemannische  Hundertschaften  zurückzufflhren  sind,  keine 
Schlüsse  auf  eben  diese  Hundertschaften  ziehen.  Nicht  nur 
haben  die  angestellten  Untersuchungen  ergeben,  daß  in  der  vor 
uns  offen  daliegenden  Zeit  im  Bestand  dieser  Hundertschaften 
eingreifende  Veränderungen  vor  sich  gegangen  sind,  sondern  wir 
haben  auch  keinen  Einblick,  inwieweit  vor  dieser  Zeit  solche  Ver- 
änderungen stattgefunden  haben.  Es  wird  von  manchen  Schrift- 
stellern, namentlich  Nationalökonomen,  immer  wieder  übersehen, 
daß  es  wegen  eben  dieser  Veränderungen,  wie  sie  im  Laufe  der 
Zeit  vor  allem  durch  Neurodung  entstehen,  ganz  müßig  ist,  Be- 
rechnungen über  Größe  und  Umfang  solcher  Huntaren  anzustellen. 
Man  darf  nicht  außer  Acht  lassen,  daß  das  Ziehen  von  Grenzen 
zwischen  zwei  Hundertschaften  in  anbetracht  der  damaligen  Zu- 
stände erst  dann  verständlich  wird,  wenn  durch  Neurodung  die 
Ansiedlungen  näher  aufeinandergerückt  sind.  Das  ist  aber  in 
vielen  Fällen  erst  lange  nach  der  Ansiedlung  der  Fall.  Und 
selbst,  wenn  da  und  dort  ursprüngliche  Hundertschaftsgrenzen  sich 
finden  sollten,  dann  sind  diese  Berechnungen  schon  um  deswillen 
ohne  Bedeutung,  weil  an  einer  altgerraanischen  Hundertschaft 
Zahlenbeziehungen  überhaupt  nicht  zu  entdecken  sind.  Dies  vor 
allem  gegen  Meitzen3). 

Im  übrigen  verweise  ich  bezüglich  der  Weiterentwicklung  der 
alamannischen  Hundertschaften  auf  die  gründlichen  Untersuchungen 
von  Stalin4),  Baumann5),  und  W.  Schultze8),  deren  Re- 

*)  Aber  nicht  erscheinen  sic,  wie  Mayer  V.-U.  I.  435  behanptet,  im 
11.  Jahrhundert  als  „wehrhafte  Kidverbände*. 

*)  Vgl.  die  Karte  bei  Cramer  Alamannen. 

3)  Siedlungen  I S.  141  und  besonders  467.  Gegen  ihn  auch  Dahn, 
a.  a.  0.  8.  99  Anm.  5. 

4)  Würtembergische  Geschichte  I S.  272  ff. 

5)  Gaugrafscbaften,  S.  126  (Hattenhuntare),  71  (Swerzenhuntare),  8fi 
(Goldineshnntare),  81  (Munigiseshuntare),  114  (Glehuntare). 

*)  W.  Schultze,  die  Abgrenzung  der  Gaugrafschaftcn  des  alamannischen 
Bodens  (1905). 


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151 


sultate  von  Cr  am  er ')  wiederum  zusammengestellt  worden 
sind  *). 

Bei  dem  zweiten  oberdeutsehen  Stamme,  dem  der  Baiern, 
sind  die  Anhaltspunkte  für  eine  Hundertschaftsverfassung  noch 
geringer  als  bei  den  Alamannen.  Während  wir  dort  wenigstens 
die  Ausdrücke  centena  und  huntari  finden,  sind  diese  den 
bairischen  Quellen  vollkommen  fremd.  Nur  das  Amt  des  cen- 
tenarius  findet  sich. 

Dieses  Schweigen  der  Quellen  hat  zu  einer  noch  schwebenden 
Kontroverse  über  die  Hundertschaften  in  Baiern  geführt.  Die 
Kechtshistoriker  stehen  überwiegend  auf  einem  ablehnenden  Stand- 
punkt5). Erst  jüngst  hat  Hietschel '),  zunächst  ohne  Quellen- 
nachweis, behauptet,  auch  in  Baiern  die  Hundertschaftsverfassung 
nachweisen  zu  können.  Er  stellt  sich  damit  auf  die  Seite  von 
Riezler5),  Waitz‘),  Merkel7)  und  Doeberl*).  Da  es  m.  E. 
doch  nicht  „der  Liehe  Müh  umsonst“  ist,  in  Baiern  Hundert- 
schaften zu  suchen,  wie  Dahn  meint5),  so  soll  nun  hier  diese 
Streitfrage  neu  behandelt  werden. 

Wie  bei  den  Alamannen,  so  treffen  wir  auch  hier  auf  einen 
Beamten  der  den  Titel  iudex  führt  und  constitutus  est  iudicare. 
Bezüglich  dieses  iudex  steht  fest,  daü  er  nicht  Gerichtshalter  ist, 
sondern  Urteilfinder w).  Als  Gerichtshalter  aber  kennt  die  Lex 
Baiuv.  nur  den  comes,  dessen  Amtsbezirke  der  comitatus  ist.  Alle 
14  Tage  oder  am  ersten  jeden  Monats  findet  ein  placitum  statt, 
an  dem  jeder  Inwohner  des  comitatus  zu  erscheinen  hat; 


')  Alamannen  SS.  418,  430,  435,  437,  462,  482,  485,  488. 

*)  Vgl.  hierzu  Dahn  a.  a.  0.,  8.  99:  auch  Wnrdtwein  Dioecesis 

Moguntina,  wo  ebenfalls  die  einzelnen  alamannischen  Huntaren  behandelt 
werden. 

*)  Vgl.  Brunner  Rg.  I*  S.  161  II1  S.  146.  Voltclin i,  die  Entstehung 
der  Landgerichte  im  bairisch-österreichischen  Hechtsgebiete.  S.  4 ff. 

*)  Verhandlungen  des  deutschen  Histurikertags  1906  S.  9. 

5)  Geschichte  Baiems  I S.  126,  136. 

*)  Waitz,  VG.  11,1  S.  404. 

0 Zeitschr.  f.  d.  Hecht,  XII,  S.  284. 
t)  Entwicklungsgeschichte  Bayerns  I S.  52. 

»)  Könige  IX,  S.  71  ff. 

'*)  Vgl.  v.  Amira  Grundriß5  S.  155.  Brunner  RG.  1J  S.  204. 


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152 


Lex  Rai.  II,  14. 

„Ut  placita  fiant  per  kalendas  aut  post  15  dies,  si  necessc 
est  ad  causas  inqnirendas,  ut  sit  pax  in  provincia.  Et 
omnes  liberi  conveniant  constitutis  diebus,  ubi  iudex  ordina- 
verit;  et  nemo  sit  ausus  contempnere  venire  ad  placitum 
qui  infra  illum  comitatum  manent  . . .“ 

Dazu  bemerkt  Dahn  einerseits  „da  cs  nun  bei  den  Bayern 
keine  Hundertschaften  gab,  weder  eigentliche  hoch  uneigentliche, 
ist  nur  an  Versammlungen  für  die  ganze  Grafschaft  zu  denken;" 
andererseits  aber  „placita  für  den  ganzen  Gau  gab  es  so  wenig, 
wie  bei  Alamannen  und  Franken.“  Richtig  ist  nun  jedenfalls, 
daß  die  bairischen  Gaue  vermutlich  zum  Teil,  und  zwar  in  ihrer 
überwiegenden  Mehrheit,  zu  groß  waren,  als  daß  sich  alle  Gau- 
genossen auch  nur  am  ersten  jeden  Monats  zum  Gericht  hätten 
versammeln  können ').  Die  Frage  ist  aber,  wie  diese  unbestreit- 
bare Tatsache  mit  dem  Text  des  Gesetzes  in  Einklang  zu  bringen 
ist.  Man  kann  annehmen,  daß  unsere  Stelle  nur  sagen  will,  daß 
jeder  Freie  dingptlichtig  ist,  ohne  zu  sagen,  daß  alle  Freien  zu 
allen  Gerichten  im  comitatus  erscheinen  müssen.  Man  müßte  dann 
weiter  annehmen,  daß  der  Graf  richtend  in  seinem  Bezirke  umher- 
zog, bald  da  bald  dort  Gericht  haltend,  und  daß  die  Dingpflichtigen 
zu  den  einzelnen  Gerichten  aufgeboten  wurden,  etwa  in  der  Weise, 
daß  immer  die  der  Dingstatte  zunächst  Wohnenden  erscheinen 
mußten.  Das  stimmt  sehr  gut  damit  überein,  daß  nach  dem 
mitgeteilten  Wortlaut  das  Ding  da  stattfindet,  ubi  iudex  ordina- 
verit.  Mit  Unrecht  ist  hieraus  der  Schluß  gezogen  worden,  daß 
es  in  Baiern  keine  echten  Dingstätten  gab;  ordinäre  kann 
heißen,  daß  aus  den  vorhandenen  Dingstätten  eine  ausgewählt 
wurde. 


')  Über  die  bairischen  (!aue  und  Grafschaften  vgl.  Gengier,  Beiträge 
zur  Geschichte  Baierns  I S 38  ff.,  69  ff.,  14")  IT.  A.  Chabert,  Staats*  und 
Rerhtsgcschichte  dar  deutsch-österreichischen  Länder  S.  112  ff.,  125,  134  f. 
Die  Bemerkung  von  Voltelini  a.  a.  0.,  S.  6 Anm.  3,  daß  wir  über  die 
Größe  der  Grafschaften  nicht  genau  unterrichtet  sind,  darf  nicht  übersehen 
werden.  Daß  sich  aber  der  aus  der  Größe  der  Grafschaft  gezogene  Ein- 
wand gegen  die  allgemeine  Dingpflicht  durch  die  Bemerkungen  von 
E.  Mayer  in  GGA.  1891  S.  349  erledigt,  kann  ich  nicht  finden.. 


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153 


Eine  andere  Meinung1)  geht  dahin,  daß  der  bairische  comi- 
tatus  nichts  anderes  ist  als  eine  frühere  Cent  oder  Hundertschaft, 
also  ein  Gerichtsbezirk,  dessen  Größe  den  Besuch  aller  Dinge 
durch  alle  Freien  nicht  ausschließen  würde  wobei  in  einem  Gau 
mehrere  Grafen  sollen  tätig  gewesen  sein.  Auch  Gengier  hat 
diese  Anschauung  nicht  zurüekgewiesen,  sie  sogar  als  «scharf- 
sinnig“ bezeichnet,  und  nur  hervorgehoben,  daß  sie  sich  bei 
der  Dürftigkeit  der  Quellen  „zu  apodiktischer  Gewißheit  nicht 
erheben  läßt“*). 

Diese  letztgenannte  Meinung,  die  sich  auf  die  Zeit  nach  der 
Auflösung  der  alten  Gauverfassung  bezieht,  hat  für  diese  Zeit  inso- 
fern ihre  Berechtigung,  als  der  comitatus  des  späten  10.  und  der  fol- 
genden Jahrhunderte  in  der  Tat  ein  nicht  sehr  großer  Gerichts- 
bezirk war.  Wie  Richter  festgestellt  hat,  gibt  es  zu  dieser  Zeit 
bei  weitem  mehr  comitatus  in  Baiern  als  Gaue,  und  diese  comi- 
tatus erscheinen  als  Unterabteilungen  von  Gauen.  Eine  andere 
Frage  aber  ist  cs,  ob  diese  nachkarolingischen  comitatus  mit 
denen  unserer  lex  identisch  sind,  was  Richter  als  selbstver- 
ständlich annimmt. 

Sie  zu  entscheiden,  erscheint  mir  mit  dem  zurzeit  zu  Gebote 
stehenden  Quellenmaterial  nicht  möglich.  Dagegen  möchte  ich 
mit  all  dem  Vorbehalt,  der  angesichts  dieses  Quellenmaterials  nötig 
ist,  bemerken,  daß  mir  die  Bejahung  nicht  ausgeschlossen  erscheint. 
Wenn  man  nämlich  annimmt,  daß  der  in  der  Lex  Bai.  genannte 
comitatus  derselbe  Bezirk  ist,  wie  die  nach  Auflösung  der  Graf- 
schaftsverfassung  vorkommenden  Comitate,  dann  gelangt  man  in 
Einklang  mit  der  in  Lex  Bai.  II,  14  festgelegten,  allgemeinen, 
Dingpflicht.  Ferner  ist  dann  die  Auflösung  der  Ganverfassung 
selbst  weit  verständlicher,  wenn  man  annimmt,  daß  die  Gaue  in 
schon  bestehende  Bezirke  zerfallen  sind,  als  wenn  man  annehmen 
muß,  daß  die  sich  später  findenden  comitatus  Produkte  einer 
Neuteilung  des  Landes  sind,  von  der  wir  zudem  nichts  erfahren. 

Die  Bezeichnung  als  comitatus  allein5),  sowie  die  Tatsache, 
daß  der  comitatus  Amtsbezirk  eines  comes  ist,  reichen  m.  E.  nicht 

*)  Richter,  Untersuchungen  zur  hist.  Geographie  des  cliem.  Hnchstifts 
Salzburg  (MJOt!.  Ergftnznngsbd.  I)  S.  603. 

1i  a.  a.  0.,  S.  145. 

3)  Aus  den  Bezeichnungen  sind  Schlüsse  auf  die  Sache  nicht  sicher  zu 


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l.H 


aus,  den  comitatus  der  Lex  Bai.  als  den  ordentlichen  Gerichts- 
bezirk anzusehen,  was  der  comitatus  der  späteren  Zeit  in  der 
Tat  ist. 

Doch  kann  hier  immer  nur  von  Vermutungen  und  Möglich- 
keiten die  Rede  sein.  Eine  Gewißheit  läßt  sich  bei  dem  gegen- 
wärtigen Stande  unserer  Quellenkenntnis  nicht  erlangen.  Nur  das 
ist  positiv  fcstzustcllen,  daß  die  Quellen  eine  Hundertschafts- 
verfasgung  in  Baiern  in  der  vor  ihnen  liegenden  Zeit 
nicht  ausschli eßen.  Das  Bild,  das  wir  aus  ihnen  gewinnen 
ist  kein  derartiges,  daß  es  eine  solche  Verfassung  in  früherer  Zeit 
unwahrscheinlich  macht.  Und  es  kommt  nicht  so  sehr  darauf  an, 
daß  wir  in  der  Zeit  des  Lex  Bai.  die  Hundertschaftsverfassung 
noch  lebendig  sehen,  als  darauf,  daß  sie  überhaupt  einmal  vor- 
handen war. 

ln  dieser  Richtung  wäre  auch  noch  einer  schon  früher  zum 
Ausdruck  gebrachten  Meinung  zu  gedenken,  die  neuerdings  von 
Dahn  angegriffen  wurde.  Schon  Merkel  begründet  seine  Ansicht, 
daß  der  bairische  comes  in  Baiern  durch  die  Franken  eingeführt 
wurde,  so:  Nec  proprium  aut  vetustiorem  apud  Baiuwarios,  sed 
Francorum  imperio  constitutum  magistratum  esse  putaverim,  quum 
iudices,  quos  dicebant,  secundum  leges  quaedam  imperii  iura 
retinuissent,  quibus  omnino  carerent,  si  comes  ab  initio  iudex  Ordi- 
narius exititisset').  Und  in  der  Tat  weist  die  Tätigkeit,  die  dem 
bairischen  iudex  nach  dem  Gesetz  znkommt,  Züge  auf,  die  sich  am 
besten  so  erklären,  daß  seine  ganze  Tätigkeit  nur  der  Rest  einer 
früher  ausgedehnteren  ist.  Dies  gilt  vor  allem  von  der  ihm  zukom- 
menden Banngewalt,  dem  Recht  der  districtio  und  coactio,  von  seiner 
Befugnis,  die  Dingstätte  zu  bestimmen.  Man  kann  hier  annehmen, 
daß  der  iudex  in  frühester  Zeit  ein  Hundertschaftsrichter  war, 
dann  vom  Grafen  aus  seiner  Stellung  als  ordentlicher  Richter 
verdrängt  wurde  und  zum  Urteilfinder  geworden  ist,  dabei  aber 
doch  Befugnisse,  die  ihm  als  Centenar  zustanden,  in  seine  neue 
Stellung  mit  hinübergenommen  hat. 


ziehen.  In  dieser  Hinsicht  geht  Voltelini  a,  a.  0.  S.  5 Anui.  2 zu  weit, 
wenn  er  so  viel  Gewicht  auf  das  Nichtvorkoinmon  des  Ausdrucks  cend  im 
bairischen  Gebiet  legt 

')  Merkel,  Lei  Baiuworiorum  ( M.  G.  H.  LL.  III)  S.  284  n.  12. 


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Doch  auch  diese  Annahme  kann  nur  den  Wert  einer  Ver- 
mutung haben.  Insbesondere  ist  zu  beachten,  daß  nicht  mit 
Gewißheit  festgestellt  werden  kann,  ob  der  iudex  cogens  und  dis- 
tringens  der  nämliche  Beamte  ist,  wie  der  iudex  iudicans.  Aller- 
dings zählt  Merkel  *) die  hier  einschlägigen  Stellen  zu  den  „ relevan- 
ten“ und  benützt  sie  mit  zur  Konstruktion  des  vom  bairischen  iudex 
bekleideten  Amtes,  aber  man  kann  Dahn  doch  nicht  so  Unrecht 
geben,  wenn  er  darauf  hinweist,  daß  an  diesen  Stellen  iudex  auch 
in  weiterem  Sinn  den  Beamten  überhaupt,  also  auch  den  comes 
bedeuten  könne.  Sodann  ist  es,  wenn  man  in  dem  iudex  die 
Fortsetzung  des  centenarius  sieht,  auffallend,  daß  wir  nie  von 
mehreren  iudices  in  einer  Grafschaft  hören.  Allerdings  kommen 
in  einer  Urkunde  von  82!)*)  neben  einem  comes  ffinfundreißig 
„iudices“  vor.  Aber  schon  die  große  Zahl  spricht  dagegen,  daß 
das  iudices  in  dem  technischen,  spezifisch  bairischen  Sinn  gewesen 
sind,  wie  dies  Brunner*)  anzunehmen  scheint.  Denn  auch  an- 
genommen, der  iudex  sei  ein  früherer  centenarius,  also  schlechthin 
ein  Hundertschaftsorgan,  so  müßten  w'ir  hier  fünfundreißig  Hundert- 
schaften in  einer  Grafschaft  annehmen,  was  ganz  ausgeschlossen 
ist.  Diese  Zahl  widerspräche  allen  unseren  sonstigen  Kenntnissen 
über  das  Verhältnis  von  Hundertschaft  und  Grafschaft.  Auch 
müßten  wir  annehmen,  daß  der  in  der  Urkunde  genannte  comes 
Liutpold  ein  Grafschaftsgericht  gehalten  hat,  was  wiederum  nicht 
glaublich  wäre. 

Dagegen  möchte  ich  immerhin  auf  einen  schwachen  Anhalts- 
punkt aufmerksam  machen,  den  uns  die  Lex  Bai.  selbst  für  das 
Vorkommen  mehrer  iudices  in  einer  Grafschaft  gibt.  Ks  ist  dies 
die  Fassung  von  II  14,2 

Comis  vero  secum  habeat  iudicem,  qui  ibi  constitutus  est 
iudicare,  et  librum  legis  nt  semper  rectum  iudicium  iudicent. 

In  dieser  Stelle  ist  das  „ibi“  dann  verständlicher,  wenn  man 
annimmt,  daß  der  Graf  nicht  mit  dem  einen  für  den  ganzen  Gau 
zuständigen  iudex  Gericht  hält,  sondern  mit  dem  iudex,  der  gerade 


■)  In  seiner  Abhandlung  über  den  bairischen  indox  in  Z.  K.  G.  I S.  135  ff. 
Vgl.  auch  Beseler  ebenda  IX  8.  244  f. 

’)  Bei  Bitterauf,  die  Traditionen  des  Hochstifts  Freising  I 8.501. 
*)  K.  O.  I*  8.  204  Anm.  10  mit  Toit. 


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dort  der  iudex  constitutus  ist,  wo  das  Gericht  stattfindet.  Erklären 
ließe  sich  dann  auch  sphr  gut,  warum  gerade  der  iudex  bestimmt, 
wo  das  Ding  abgehalten  wird.  Die  Sache  wäre  so  zu  denken,  daß 
zunächst  allerdings  der  Graf  die  Malstätte  testsetzt;  das  ist  wohl 
auch  allein  möglich,  da  nicht  gut  der  auf  alle  Falle  untergeordnete 
iudex  dem  Grafen  die  Dingstätte  vorschreiben  kann.  Aber  der 
Graf  teilt  dem  für  die  Dingstätte  zuständigen  iudex  den  festge- 
setzten Dingplatz  mit  und  der  iudex  tut  nun,  was  das  Gesetz 
„ordinäre“  nennt:  er  ladt  die  Dingpflichtigen  an  diesen  Ort. 

Vorausgesetzt  sind  dabei  innerhalb  des  comitatus  abgegrenzte 
Dingbezirke,  da  nur  durch  Grenzen  die  Zuständigkeit  des  iudex 
für  eine  vom  Grafen  gewählte  Dingstätte  könnte  bestimmt  werden. 
Und  diese  Dingbezirke  könnten  dann  als  alte  Hundertschaften 
angesehen  werden.  Hei  dieser  Auffassung  müßte  sodann  die  Ding- 
pflichtsatzung in  Lex  Bai.  11,14,  wie  schon  angedeutet,  dahin 
interpretiert  werden,  daß  sie  nur  die  absolute  Dingpflicht  aller 
Inwohner  des  comitatus  festsetzen  will.  Die  Tatsache  aber,  daß  die 
nach  Auflösung  der  Gauverfassung  sich  findenden  comitatus  kleine 
Bezirke  sind,  ließe  sich  damit  erklären,  daß  mit  der  steigenden 
Bevölkerung  und  unter  dem  Einfluß  des  Umstandes,  daß  ja  doch 
der  comes  in  diesen  Dingbezirken  Gericht  hielt,  eben  diese  Ding- 
bezirke allmählich  selbst  zu  Comitaten  wurden.  Derartige  Über- 
gänge von  Hundertschaften  in  Grafschaften  bietet  uns  ja  auch  die 
Geschichte  der  alamannischen  Verfassung. 

Unter  wiederholter  Betonung  des  hypothetischen  Charakters 
aller  dieser  Ausführungen  bemerke  ich,  daß  m.  E.  die  zuletzt 
erwähnten  Anhaltspunkte  für  frühere  Hundertschaften  immerhin 
einen  großen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  in  sich  schließen.  Dies 
umsomehr,  als  ja  der  so  nah  verwandte  und  benachbarte  Stamm 
der  Alamannen  die  Hundertschaftsverfassung  noch  deutlich  zeigt. 
Es  ist  — und  darauf  mache  ich  besonders  aufmerksam  — bei 
dem  nicht  allein  durch  die  gemeinsame  westgotische  Vorlage  ver- 
ursachten Parallelismus  der  Bestimmungen  der  Lex  Alam.  und  der 
Lex  Bai.  und  der  hierin  zum  Ausdruck  kommenden  engen  Ver- 
wandtschaft beider  Rechte  im  Zusammenhalt  mit  der  Gleichheit 
der  Besiedlungsvorgänge  nicht  anzunehmen,  daß  die  Baiern  Hundert- 


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157 


schäften  überhaupt  nie  gekannt  haben ').  Wenn  aber  überhaupt 
einmal,  dann  ist  wahrscheinlich,  daß  Erscheinungen  im  Haiem- 
recht,  die  sich  als  letzte  Spuren  einer  Hundert  Schaftsverfassung 
deuten  lassen,  in  der  Tat  auch  solche  sind. 

Zum  Schlüsse  ist  noch  hervorzuheben,  dal!  der  in  bairischen 
Quellen  sich  findende  centurio  mit  Hundertschaften  so  wenig  in 
Verbindung  zu  bringen  ist,  wie  die  centuriae,  in  die  Grundstücke 
geteilt  wurden.  Die  centuriones  der  Lex.  Hai.  sind  ersichtlich 
militärische  ßeainte  ohne  jede  außermilitarische  Funktion*).  Ob 
wie  Dahn  meint  „lediglich  gedankenloses  Abschreiben  des  West- 
gotenrechts zu  Grunde  liegt",  ist  eine  Frage  für  sich. 

Daß  die  centenarii,  die  allerdings  erst  seit  Tassilo  in  Haiem 
auftreten.  mit  den  centuriones  so  schlechthin  auf  eine  Stufe  zu 
stellen  sind,  scheint  mir  zum  mindesten  nicht  bewiesen.  Wenn 
man  in  dem  iudex  einen  Hundertschaftsbeamten  sieht,  dann  muß 
man  auch  damit  rechnen,  daß  bei  Unkenntnis  der  Unterschiede  dem 
iudex  da  und  dort  unter  alemannischem  oder  fränkischem  Einfluß 
der  Titel  eentenarius  zuerteilt  wurde.  So  wenig  ich  das  behaupten 
kann,  so  wenig  möchte  ich  bestreiten,  daß  nicht  auch  eentenarius 
und  centurio  dasselbe  Amt  bezeichnen3).  Die  geringe  Zahl  von 
Stellen,  die  den  centurio  überhaupt  kennen,  beweist  nicht  mehr, 
als  wie  die  einzige  Urkunde,  in  der  im  bairischen  Gebiet  ein 
hunuo  erwähnt  wird,  nicht  mehr  als  die  Glosse  hunnilih  = 
tribunalis4). 

Der  dritte  oberdeutsche  Stamm,  der  der  Langobarden,  fällt 
gänzlich  außer  den  Rahmen  dieser  Arbeit.  Die  uns  bekannte 
Gerichtsverfassung  der  Langobarden,  wie  wir  sie  aus  dem  Corpus 
Edicti  und  den  Urkunden  ersehen  können,  zeigt  nicht  die  geringste 
Spur  einer  Hundertschaftsverfassung s).  Das  langobardische  Recht 
bietet  nicht  einmal  so  schwache  Anhaltspunkte,  wie  wir  sie  im 

')  Frühere  Hundertschaften  nimmt  auch  Voltelini  a.  a,  0.  S.  4 an. 
Ob  aber  die  Zeit  vor  der  Ansiedlung  in  Baiem  die  letzte  Periode  ist,  die 
Hundertschaften  kannte,  lasse  ich  dahingestellt. 

*)  Biehtig  Voltelini  a.  a.  0.  S.  5. 

*)  Vgl.  zu  beiden  Merkel,  a.  a.  0.  S.  284  n.  14. 

4)  Graff,  Althochdeutscher  Sprachschatz  IV  S.  976. 

*)  Vgl.  Bethmann -Holl  weg.  Germanisch  - roman.  Zivilprozeli  1 
S.  340  f.,  wo  aber  zu  sehr  auf  germanischen  Ursprung  abgestellt  ist.  Brun- 
ner, K.  G.  I*  S.  161  uud  Aino. 


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158 


hairischen  Recht  gefunden  haben.  Wie  die  gesamte  langobardische 
Vertassung  hat  auch  die  Gerichtsverfassung  eine  vollständig  unter 
dem  Einfluß  militärischer  Gesichtspunkte  stehende  Umgestaltung 
und  Ausgestaltung  erfahren.  Abgesehen  hiervon  ist  aber  auch 
die  Ansiedlung  der  Langobarden  in  Italien  der  Entstehung  von 
Hundertschaften  hinderlich  gewesen  und  die  planmäßige  Verteilung 
des  lindes  unter  die  natio  gentilis  und  die  natio  romana  ließ  die 
«ler  Entstehung  einer  Hundertschaftsverfassung  günstigen  Momente, 
wie  sie  namentlich  in  dem  starken  Einfluß  verwandtschaftlicher 
Beziehungen  gegeben  waren,  nicht  zur  Entwicklung  kommen. 

Bei  den  Goten  endlich  hat  man  zwar  früher  Beweise  für  die 
germanische  Hundertschaft  gesucht  und  angeblich  auch  gefunden; 
aber  jetzt  hat  man  erkannt,  daß  die  Einrichtungen,  die  man  mit 
Hundertschaften  in  Verbindung  bringen  wollte,  in  Wirklichkeit 
nichts  mit  ihnen  zu  tun  haben. 

Weder  ist  der  westgotische  hundafaps ')  ein  Hundertschafts- 
vorsteher, noch  der  pusundifaps*)  ein  Gaufürst  oder  Tausend- 
schaftsvorsteher, noch  der  tiufaps  ein  Zehntschafts  - oder  Dorfvor- 
steher. Diese  Ämter  sind  keine  ursprünglichen  Einrichtungen, 
sondern  entstanden  durch  die  Organisation  des  gotischen  Heeres, 
das  wesentlich  andere  Schicksale  durchgemacht  hat,  als  die  der 
übrigen  Völker  und  in  weit  höherem  Maße  durch  das  römische 
Militärsystem  beeinflußt  worden  ist *).  Von  den  Römern  wohl 
haben  die  Westgoten  die  Einteilung  des  Heeres  in  starre,  nume- 
rische, Abteilungen  übernommen,  die  gerade  durch  ihre  zahlen- 
mäßige Bestimmtheit  den  entschiedensten  Gegensatz  zu  der  germa- 
nischen Hundertschaft  bilden  mußten4). 


')  Vgl.  Ulfilas,  Matth.  VIII,  5:  13.  Luc.  VII,  2:  0.  Marc.  XV,  39: 
44:  45.  wo  hundafaps  — txa-rov?ap/o;.  Kür  fraglich  hält  dies  v.  Amira  Grund- 
riß» S.  73. 

*)  Vgl.  Ulfilas,  Marc.  VI,  21.  Joh.  XVIII,  12  wo  pusundifaps  für 
yiXmpyxoi  steht. 

s)  Vgl.  Dahn  Könige  VIS.  344  f.  Zum  Sprachlichen  vgl.  Diefenbach, 
Vergleichendes  Wörterbuch  der  gothischen  Sprache  II,  685. 

*)  Bezüglich  der  Vandalen  vgl.  L.  Schmidt,  Geschichte  der  Wanda- 
len (1901.)  S.  40 f.  Daß  der  burgundische  hendinos  kein  Hundertschafts- 
vorsteher ist,  hat  schon  Kögel  P.  B.  B.  XII.  S.  415  überzeugend  nachgowiesen. 
Deshalb  hätte  Gramer  Alamannen  S.  62  nicht  wieder  das  Gegenteil  behaup- 
ten sollen. 


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159 


Wir  wenden  uns  nun  zu  den  niederdeutschen  Völkern,  zu- 
nächst zu  dem  der  Friesen. 

Für  diesen  Stamm  hat  der  genaueste  Kenner  friesischer  Ver- 
hältnisse, nämlich  Rieht  hofen'),  das  Vorkommen  von  Hundert- 
schaften geleugnet,  und  es  sind  ihm  dann  Brunner*)  und 
Schröder’)  beigetreten.  Andererseits  hat  Heck')  das  Bestehen 
friesischer  Hundertschaften  angenommen,  und  neuesten»  auch 
Jäckel5). 

Wenn  wir  uns  dieser  Kontroverse  gegenüber  nach  den 
Quellen  umsehen,  so  finden  wir  zwei  Namen,  die  anscheinend  mit 
Hundertschaften  Zusammenhängen,  nämlich  den  der  villa  Cannninga- 
hunderi  und  den  des  pagus  Kilingo-huntari. 

Was  die  Identifizierung  des  letztgenannten  Bezirks  betrifl't, 
so  hat  Riehthofen  auf  Grund  der  fraglichen  Urkundenstelle, 
in  den  Trad.  Fuld.  VII, 80 

Ego  Marcuart  et  Uppo  tradimus  ad  Sem.  Bonifaciurn 
bona  nostra,  que  habemus  in  pago  Kilingo-Huntari  in  villa 
Merheim  terram  septem  boum  et  dimidiam  partem  terre 
unius.  Similiter  tradimus  in  pago  Tokingen  in  villa  Orling- 
werba  duorurn  boum  terram  . . .“ 
festgestellt,  daß  unter  der  villa  Merheim  das  im  Ferwerderadel 
des  Ostergo  liegende  Marrnm  gemeint  ist.6)  Heck  hat  diese 
Feststellung  ohne  Grundangabe  als  unsicher  bezeichnet  und  zwar 
m.  E.  zu  Unrecht. 7)  Tatsache  ist,  daß  Fulda,  das  überhaupt  in  ganz 
Friesland  begütert  war"),  auch  in  einer  villa  Mereheim  im  Ostergo 
Grund  besaß.  Außerdem  liegt  Dokkum.  der  andere  Ort,  an  dem 
Grund  an  Fulda  abgetreten  wird  in  dem  dem  Federwerthadel  be- 
nachbarten Dongeradel.  Eine  Sache  für  sich  ist  es,  daß  die  Ur- 
kunde, so  wie  sie  uns  vorliegt,  nicht  von  einem  friesischen 
Schreiber  und  nicht  in  Friesland  geschrieben  wurde.  Das  zeigt 


')  MGG.  LL.  V.  S.  88  Anm.  20. 

*)  RG.  I»  S.  181 ; II»  S.  146. 

>)  RG.3  S.  18  Amn.  17. 

4)  Altfriesischc  Gerichtsverf.  S.  24. 

5)  Abba,  Asega  und  Redjeva  in  ZRG.3  XXVII  S.  114 ff  bes.  S.  125. 
‘)  Untersuchungen  II  S.  123  Anm.  1. 

*)  a.  a.  O. 

6)  Vgl.  z.  B.  Jäckel,  die  Grafen  von  Mittelfriesland  S.  52f. 


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vor  allem  die  oberdeutsche  Form  Huntari  an  Stelle  des  nieder- 
deutschen (friesischen)  Hunderi. 

Die  villa  Cammingahunderi  liegt  nach  der  ältesten  Urkunde, 
die  diesen  Namen  aufweist,  einer  Schenkungsurkunde  Ludwig  des 
Frommen  von  839  „in  pago  Uestracha“.  I)a  sich  aber,  wie 
Jäckel  festgestellt  hat1),  die  Grenzen  zwischen  dem  Ostergo  und 
dem  Westergo  späterhin  verschoben  haben,  so  ergibt  sieh  hieraus 
kein  Grund,  den  aus  sonstigen  Gründen  wahrscheinlichen  Zu- 
sammenhang der  villa  Cammingahunderi  mit  dem  als  Hauptort 
des  Leuwarderadel  im  Ostergo  gelegenen  Leuwarden  abzulehnen. 

Mit  Leuwarden  ist  nämlich  das  Geschlecht  der  (Jamminga 
aufs  engste  verknüpft.  Lek  hoff,  der  Geschichtsschreiber  von 
Leuwarden,  sagt:  „Reeds  vroeg  was  het  (het  adelivk  geslacht  van 
(Jamminga)  te  Leeuwarden  gezetcn;  en  wegens  deszelfs  eigen- 
dommen, aauzien  en  invloed  hangt  zijne  geschiedenis  naauw 
zamen  inet  die  dezer  stad.  Inzonderheid  is  dit  het  geval  met 
de  verschillende  huizen,  stinzen  of  kasteelen,  welke  de  onder- 
scheide  leden  van  dit  geslacht  in  en  bij  Leeuwarden  bezaten 
. . . .“.*)  Dieser  Zusammenhang  ist  von  größter  Bedeutung; 
denn  vermutlich  hat  das  Geschlecht,  das  an  dem  Orte  eine  so 
hervorragende  Stellung  hatte,  ihm  auch  seinen  ersten  Namen  ge- 
geben. 

An  dem  Ort  aber,  wo  Leeuwarden  jetzt  stellt,  war  vor  der 
Einführung  des  Christentums  ein  heidnischer  Kultplatz  und  wurde 
bei  Einführung  des  Christentums  eine  christliche  Kirche  errichtet. 
Dies  macht  es  wahrscheinlich,  daß  sich  dortselbst  auch  eine 
Dingstätte  befand3).  Und  ebenso  ist  es  verständlich,  daß  sich 
diese  älteste  Ansiedluug  zum  Mittelpunkt  und  Hauptort  eines 
größeren  Bezirks  eignete,  wie  ja  auch  das  spätere  Leeuwarden 
Mittelpunkt  des  Leeuwarderadel  geworden  ist. 

Von  hieraus  liegt,  insbesondere  bei  Berücksichtigung  der  großen 
Bedeutung  der  Camminga  für  Leeuwarden,  der  Schluß  nahe, 
daß  die  villa  Camminga-Hunderi  das  alte  Leeuwarden,  die  Haupt- 

')  Die  Grafen  von  Mittelfricsland  S.  37  f,  113. 

J)  W.  Eekhoff,  Geschiedkundige  Beschrijving  van  Leeuwarden  (1846) 
II  S.  384 f:  384  408  werden  dio  Beziehungen  der  Camminga  in  und  um 
Leeuwarden  im  einzelnen  verfolgt. 

3)  elwk.  I 8.  19f.  -.'t8  f. 


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Hi] 


ansiedlung  der  Camminga  ist.  Denn  die  dominierende  Stellung 
iles  späteren  Leeuwarden  erklärt  sich  dann  sehr  gut,  wenn  dieser 
Ort  schon  immer  der  Mittelpunkt  eines  Gebietes  gewesen  ist. 
lad  daß  das  Cammingahunderi  als  solches  eine  Hundertschaft 
war,  also  ein  Gebiet,  das  ist  angesichts  eines  pagus  Kilingo- 
hnntari  nicht  zu  bestreiten.  Allerdings  heißt  es  in  der  Urkunde 
in  villa  Camminga-Hunderi  und  man  könnte  daran  denken,  daß 
das  Cammingahunderi  nicht  eine  Hundertschaft,  sondern  nur  ein 
Ort  war.  Aber  nirgends  findet  sich  hunderi  oder  huntari  zur 
Bezeichnung  eines  Ortes  und  Heck  hat  ganz  richtig  darauf  hin- 
eewiesen,  daß  in  unserem  Falle  der  Name  des  Bezirks  für  den 
Hauptort  genommen  sein  kann1). 

Wenn  man  aber  in  der  villa  Cammingahunderi  das  spätere 
Leeuwarden  und  den  Hauptort  eines  gleichnamigen  Bezirkes  sieht, 
dann  rechtfertigt  sich  die  Vermutung,  daß  das  Camminga- 
hunderi  identisch  ist  mit  dem  späteren  Leeuwarderadeel. 

Def  topographische  Beweis  muß  um  deswillen  entfallen,  weil 
wir  den  Umfang  des  Cammingahunderi  nicht  kennen,  er  auch 
durch  eine  Erörterung  der  Verbreitung  der  Camminga  nicht 
ersetzt  werden  kann,  da  neben  den  Camminga  auch  noch  andere 
Geschlechter  so  z.  B.  die  Mamminga*)  in  diesen  Gegenden  ansässig 
waren.  Dagegen  vermag  vielleicht  eine  Untersuchung  der  Gerichts- 
verfassung des  del  einige  Aufklärung  zu  verschaffen. 

Das  friesische  Wort  del,  ursprünglich  nur  „Teil“  schlechthin 
bedeutend,  dient  bekanntlich  auch  zur  Bezeichnung  eines  in  sich 
geschlossenen  Gerichtssprengels  und  kommt  in  dieser  Bedeutung 
als  zweites  Compositionsglied  in  den  Namen  der  friesischen  dele 
vor1).  Über  seine  Einrichtungen  dagegen  erfahren  wir  aus  den 
friesischen  Quellen  verhältnismäßig  wenig. 

Es  ist  die  Rede  von  den  fünf  delen,  an  anderer  Stelle  von 
den  sechs  delen,  wobei  jedenfalls  „die  fünf  dele“  als  ein  von  den 
übrigen  delen  des  Ostergo  sich  absondernder  Komplex  erscheinen  ’). 


*)  a.  a.  0.  Anm. 

*)  Vgl.  die  bei  Kichthofen,  Untors.  11,2  S.  610f,  angeführten  Ur- 
kunden aus  dem  Leuwarderadcl. 

*)  Vgl.  Kichthofen,  Wörterbuch  s.  v.  del. 

V;  Vgl.  hierzu  noch  R.  R.,  S.  442,  4:  560,  13. 

, Schwerin,  iltgerm.  Hundertschaft  1 ■ 


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16-2 


Dies  ist  der  Fall  in  der  westerlanwerschen  Münzordnung')  Was 
dort  über  die  dele  bestimmt  ist,  zeigt  ihre  Selbständigkeit  in 
Sachen  des  Münzwesens.  So  ist  z.  B.  die  Mark  in  den  fünf  delen, 
im  Woldenseradel  und  im  Waghenbrenstzeradel  = 10  Schilling, 
in  sechs  delen  des  Ostergo  aber  = vier  Schilling  zu  je  sechs  grata 
oder  = 10  kleinen  Schillingen  zu  je  zwei  grata  und  zwei  Leu- 
wardener  Pfennigen.  Das  Fronekeradel  hat  ein  deelisriocht  und 
ein  delis  sighele.  Auch  hier  macht  sich  die  Selbständigkeit  des  del 
geltend. 

Dagegen  finden  sich  auch  Bestimmungnn  ohne  jede  Bedeutung 
für  die  Untersuchung  des  del.  So  heiüt  es  z.  B.  im  Schulzenrecht 
vom  Grafen. 

§ 1 ...  hi  schil  to  Sudermuda  in  comma,  ende  comma  to 
Fraenker  in  dat  del  . . . Wenn  hier  mit  del  nicht  etwa  der  ganze 
Bezirk  des  Grafen  gemeint  ist,  das  ganze  westerlauwersche  Friesland, 
wo  es  dann  überhaupt  nicht  die  uns  hier  interessierende  engere 
Bedeutung  hatte,  dann  erfahren  wir  nur,  daß  Fronecker  in  einem 
de)  lag.  Ähnlich  steht  es  noch  mit  anderen  Stellen  *).  Ergiebiger 
scheinen  die  Uppstalbomer  Gesetze,  die  den  del  zweimal  erwähnen. 
Dio  VIII  seec.  Huaso  da  riuchteren  in  siin  dele  wrherich 
wirt,  end  ma  da  oder  zeland  ti  helpe  ladet,  also  man  ich  so 
deer  kompt,  dat  aeg  hondert  mereka  fan  da  wrheriga  ti  urbrinseu 
Dio  XVII  seec  is,  dat  alle  ferdban  stände  fest,  deer 
da  grietman  duaet,  sonder  waudel ; hit  ne  se,  dat  da  efter 
kommende  riuchteren,  bi  rede  IV  dera  wisena  papena  ende 
enis  prelatis  in  da  dele,  dat  een  dwe  om  epenbere  netreft 
ende  netticheid,  endese  hit  dan  veer  riuehte  due.“ 

Die  erste  Stelle  gibt  die  lateinische  Version  wieder  mit : 

„Si  quis  iudicibus  communitatis  alicuius  terrae  rebellis 
exstiterit,  et  aliae  insulae  in  adintorium  fuerint  euocatae. 
cuilibet  insulae  uenienti,  in  poenam  suae  rebellionis,  centum 
marcas  soluere  teneatur. 

Nach  dieser  Version  wäre  anzunehmen,  daß  in  jedem  del 
(terra)  mehrere  riuchter  vorhanden  waren.  Dagegen  spricht  die 
friesische  Fassung  für  einen  riuchter  im  del,  da  es  bei  einer 


*)  Kichthofen.  Kechtsqu.  S.  385 fl'  inabes.  §5  5,  ti. 
*)  So  2.  B.  i-bda.  S.  442,2:  500,  13;  488,  22. 


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1K3 


Mehrzahl  heißen  müßte:  da  nüchteren  in  hiara  dele.  Die  Fassung 
in  siin  dele  ist,  wenn  man  nicht  ein  Versehen  annehmen  will, 
nur  zu  erklären  durch  die  Vorstellung  des  Verfassers  der  Gesetze, 
ilaü  jeder  Richter  „seinen“  del  hatte.  Dein  einzelnen  Richter 
widerspricht  aber  die  siebzehnte  seek,  die  offensichtlich  ein  Kol  le- 
gitim von  Richtern  voraussetzt.  Nur  trägt  es  sich,  ob  diese 
mehreren  Richter  in  der  Tat  alle  in  einem  del  sich  befanden. 

Der  Art.  17  behandelt  die  Abänderung  von  gerichtlichen  Er- 
kenntnissen, denen  der  grietman  Friede  gewirkt  hat.  Richthofen 
<agt,  dali  die  Abänderung  erfolge  „durch  die  nachfolgenden  Richter 
des  Landdistrikts  unter  Beteiligung  von  vier  clerici  und  einem 
Prälaten  aus  dem  Distrikt“  und  fügt  bei:  „der  Upstalbomer  Ver- 
sammlung wird  in  dem  Artikel  nicht  gedacht,  seine  Worte  zeigen, 
dsß  sie  nicht  als  ein  höheres  Gericht  über  den  Distriktsgerichten 
stand ').“ 

Wer  aber  sind  „die  nachfolgenden  Richter“,  da  efterkotnmende 
nüchteren?  Die  Antwort  wird  sich  am  leichtesten  finden,  wenn 
wir  von  dem  ferdban  ausgehen,  der  ihrer  Prüfung  unterliegen  soll. 
Er  wird  ausgesprochen  vom  grietman.  Und  dieser  grietman  ist 
eine  Gerichtsperson  des  del.  In  jedem  del  finden  wir  einen 
grietman  und  bezeichnenderweise  schließt  das  Vorkommen  des 
grietman  mit  der  Lawers  ab,  ebenso  wie  tlas  der  Del  Verfassung8). 
Jeder  westerlauwersehe  Friese  hat,  „syn  greetman,“  der  greetman 
tut  dem  Friesen  Recht  „in  da  lyuedwarue8)“,  er  schwört  dem 
del  günstig  zu  sein*).  Alle  diese  Stellen  übersieht  Richthofen, 
wenn  er  den  gretman  einen  Führer  der  consules  nennt5).  Sie 
sprechen  dafür,  daß,  wie  Heck  annimmt,  der  greetman  der  or- 
dentliche Richter  im  del  ist6).  Er  tut  den  ferdban  im  Delgericht. 

*)  Iiichthofen,  Unters.  I S.  504. 

*)  Vgl.  die  bei  Heck,  Gerichtsrerf.  S.  181  Anm.  6,  angeführte  Urkunde, 
wo  genannt  sind:  Dowa  Sjucksma,  greetman  in  Dongheradele,  . . . Sydze 
Thiarda  upper  Gast,  greetman  in  liomptuimnadeel  . . . .,  Lyka  Lexma, 
greetman  in  Ferwerdradocl  und  Iiichthofen,  Wb.  784  s.  v.  gretman. 

3;  Rudolphsbuch  § 6 Rqu.  S.  426,  22. 

*)  Eidesformeln  aus  Wimbritzcradecl  Rqu.  488,  13. 

5)  Unters.  I S.  170. 

6)  Gcrichtsverf.  8.  1801T,  wo  noch  weitere  Quellenbelege  angeführt 
sind  und  insbesondere  die  Gleichheit  des  Amtes  des  gretman  mit  dem  des 
Schulzen  nachgewiesen  wird. 

II* 


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1«4 


Von  hier  aus  aber  können  „da  efterkommende  nüchteren“  nicht 
etwa  Richter  im  del  sein.  Denn  der  del  als  unterer  Gerichts- 
bezirk hat  eben  nur  das  Delgericht  und  nach  allgemeinen  Grund- 
sätzen über  Urteilsänderung  kann  nicht  das  gleichstehende  Gericht 
das  in  einem  Gericht  rechtskräftig  gewordene  Urteil  aufheben  '). 
Wir  haben  uns  in  dem  den  ferdban  aufhebenden  Gericht  das  eines 
größeren  Bezirkes  zu  denken  und  zwar,  wie  auch  Rieht hofen 
annimmt,  das  eines  Landdistrikts.  In  diesem  Distriktsgerieht 
linden  wir  eine  Mehrzahl  von  Richtern  im  Verein  mit  vier  Pfaffen 
und  einem  Prälaten.  Schon  diese  Zusammensetzung  zeigt,  daß 
wir  es  nicht  mit  dem  Gericht  eines  Unterbezirks  zu  tun  haben. 

An  das  Distriktsgericht  nun  richtet  sich  nach  meiner  Ansicht 
die  Schelte  des  Urteils,  das  im  Delgericht  gefunden  wird.  Die 
Richter  des  Distriktsgerichts  sind  „da  efterkommende  riuehteren“ 
als  die  Richter  des  Obergerichts,  an  die  das  Urteil  aus  dem 
Untergericht  gebracht  wird,  die  nach  dem  Unterrichter  über  die 
gleiche  Sache  urteilen.  Ist  dem  so,  dann  muß  aber  auch  die 
lateinische  Version  „successores“  als  mißverständlich  bezeichnet 
werden;  es  handelt  sich  nicht  etwa  um  die  Amtsnachfolger  des 
gretman. 

Diese  Ergebnisse  haben  nun  wichtige  Folgen  für  die  Aus- 
legung von  del  in  den  angeführten  Stellen. 

Ist  das  in  der  17.  seek  genannte  Gericht  nicht  ein  Delgericht, 
sondern  das  eines  übergeordneten  Bezirks,  so  erscheint  es  mit 
Rücksicht  auf  die  Fassung  „enis  prelatis  in  da  dele“  fraglich, 
ob  hier  del  den  Untergerichtsbezirk  bedeuten  kann.  Die  Wahr- 
scheinlichkeit spricht  dagegen,  wenngleich  es  nicht  gänzlich  aus- 
geschlossen, obzwar  immerhin  sehr  unwahrscheinlich,  ist,  daß  ein 
Prelat  aus  dem  del  zugezogen  wurde,  dessen  Urteil  angelochten 
war.  Es  ist  anzunehmen,  daß  del  hier  den  Distrikt  bezeichnet, 
von  dessen  Gericht  die  Rede  ist.  Erheblich  gestützt  wird  sodann 
diese  Annahme  durch  die  Fassung  der  8.  seek;  denn,  wenn  es 
dort  heißt,  daß  man  bei  Unruhe  in  einem  del  „da  oder  ze- 
land“  zu  Hilfe  ruft,  dann  ist  zu  schließen,  daß  der  del  auch  ein 

')  Es  ist  eine  Ausnahme,  wenn  im  Mittelalter  der  Herrscher  einen 
gegenseitigen  Keehtszug  zwischen  gleichstehenden  Gerichten  bestimmt.  Aber 
auch  da  keine  Urteils&nderung  durch  den  Nachfeiger! 


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165 


zeland  ist  und  dies  würde  dazu  führen,  in  dem  del  eines  der 
-ieben  Seelande,  also  einen  der  in  Upstalbom  vertretenen  Distrikte 
zu  sehen.  Dieser  Distrikt  wäre  westlich  der  Lauwers,  also  im 
Gebiete  der  Delverfassung,  nach  den  Eingangsworten  der  Upstals- 
bnmer  Gesetze  der  Ostergo  oder  der  Westergo.  Hierbei  erinnere 
ich  an  die  oben  behandelte  Eingangsstelle  des  Schulzen  rechts,  wo 
es  schon  als  möglich  hingestellt  wurde,  daß  del  den  ganzen  Be- 
zirk des  Grafen  bezeichnen  soll l). 

Für  unsere  Hauptfrage,  die  Verfassung  des  del,  ergibt  sich 
hieraus,  daß  die  Stellen  der  willkeren  fan  Oppstallisbamc  hierfür 
nicht  zu  verwenden  sind. 

Dagegen  finden  wir  genügend  Anhaltspunkte,  um  die  in  West- 
friesland zwischen  Eli  und  Laveke  bestehende  Gerichtsverfassung 
und  die  Befugnisse  der  dort  vorkommenden  Gerichtspersonen  fest- 
znstellen,  dann,  wie  wir  dies  auch  bei  Baiem  und  Alamannen  getan 
haben.  Rückschlüsse  auf  das  Vorkommen  der  Hundertschaft  zu 
ziehen  *). 

Die  meisten  Nachrichten  gibt  uns  von  den  älteren  Quellen 
für  das  vor  Allem  in  Betracht  kommende  Gebiet  des  Ostergo  und 
Westergo  das  westerlauwersche  Schulzenrecht  in  folgenden  Be- 
stimmungen. 

Van  des  grewa  rincht. 

§ 2'2.  Dit  is  riucht,  di  grewa  deer  hyr  da  bau  lath,  dat 
hi  des  fiarda  ieris  bodtingh  halda  moet  also  fyr  so  hi  wil. 
Dat  is  riucht,  als  hise  halda  wil,  dat  masc  keda  schil,  ith 
aller  kerkane  lyck  di  prester  efter  Cristes  morne  eer  ieris 
dey,  dat.se  di  grewa  halda  wil  efter  sumeris  nacht  eer  let- 
tera  ewennacht;  ende  als  di  grewa  bodtingh  halda  wil,  dat 
hi  schil  da  bau  op  ia  saun  wiken  da  schelten  eer  mase  halde; 
ende  neen  doem  to  delen  bihalua  om  needsecken,  hit  ne  se 


■)  Hierbei  ist  aber  die  oben  S.  Hi'2  f.  angegebene  Korrektur  in  hiaru  del 
uzusetxen. 

,j  Was  im  Folgenden  über  westerlauwersche  Gerichtsverfassung  gesagt 
wird.  kann  im  Rahmen  dieser  Arbeit  bei  dem  reichen  Stoff,  den  die 
toellen  bei  gründlicher  Benützung  enthalten,  nur  Bruchstück  sein.  Nur 
in  einer  Gesamtdarstellung  wäre  cs  möglich,  über  die  Gründe  dieser  und 
jener  im  Folgenden  vertretenen  Abweichung  von  der  herrschenden  hehre 
Hecbenschaft  zu  geben  und  ich  muß  dies  daher  einer  späteren  Arbeit  Vorbehalten. 


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Ififi 


datier  een  heia  ocn  dit  land  coemme,  iefta  dat  ma  een  wyf 
an  nede  nym,  iefta  dat  ma  een  man  in  sine  lmse  slee,  so 
moet  hi  deer  rida  ende  ban  leda. 

Van  schelta  ladingha. 

§ 23.  Dit  is  riucht.  dat  da  schelten  keda  srliellet  aller 
lyck  binna  sine  banne  des  monnendeys  toe  aller  doerna  Ivck 
sex  wiken  eer  mase  balde,  ende  aldus  keda:  Rodtingh 
keda  ick  ioe  wr  sex  wikem  aen  dis  selua  dei.  dis  monnendeys 
to  haldene,  ende  dis  tysdeys,  dis  wernsdeys,  dis  tongersdevs. 
dis  fredis,  dis  saterdeys  ende  dis  monendeys.  Alle  dagen 
aegen  hyase  toe  bannen  bi  des  koninges  banne,  ende  also 
to  haldane  ende  to  lastan;  soe  hwa  soe  naet  ne  seeckt,  di 
schel  toienst  dyn  schelta  mit  tuani  pondem  beta. 

§ 24.  Dit  is  riucht,  dat  da  schelten  des  monnendeys  deer 
komma,  ende  dis  tysdeys;  ende  dis  koninges  ban  op  ia 
da  grewa  al  deer  hya  et  ontfinghen. 

§ 25.  Dit  is  riucht,  dat  di  grewa  dine  tysdei  ende  den 
wernsdey  ende  den  tonghersdey,  da  tre  dagen,  also  riuehta 
schil  da  lyoden  als  ma  oen  dae  bannende  bodtingh  deed. 
deer  ma  deer  naet  to  eynd  riuehta  macht ; so  betet  da  tre 
daghen  fimeltingh. 

Zu  diesen  Stellen  bemerkt  Heck1)  Folgendes:  „Nach  §22 
des  sog.  Schulzenrechts  hat  der  Graf  das  Recht  alle  vier  Jahre 
bodtingh  zu  halten.  Er  muh  aber  7 Wochen  vor  dem  Tennine 
seinen  ban  an  die  Schulzen  abgeben  und  ist  dadurch  der  Richter- 
befugnis, abgesehen  von  Notfällen,  beraubt.  Die  Schulzen  beraumen 
gemätl  § 23  in  ihren  Hezirken  ein  6 tägiges  bodthing  nach  <i  Wochen, 
also  eine  Woche  vor  dem  Termin  des  Grafenbodthings,  an.  Sie 
sind  es  auch  und  nicht  der  Graf,  die  dieses  <> tägige  bodthing 
abhalten  ....  Nach  Abhaltung  der  ti  Dingtage  wird  der  Hann 
dem  Grafen  zurückgegeben  (§  24).  Nachdem  dieser  nunmehr  die 
Richterbetugnis  hat  und  andererseits  der  Termin  für  sein  bodthing 
herangekommen  ist,  dürfen  wir  eine  Schilderung  desselben  er- 
warten. ‘ ln  der  Tat  tritt  in  § 25  der  Graf  in  Tätigkeit.  Er  soll 
an  drei  Tagen  nach  Rodthingsart  diejenigen  Leute  richten,  welche 


*)  ln  Zeitsclir.  1.  deutsche  Philolugic  XXIV  S.  436. 


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167 


man  auf  dem  rechten  bodthing  nicht  zu  Ende  richten  konnte. 
Diese  drei  Tage  - die  einzigen,  an  denen  der  Graf  seihst  richtet 
— bilden  das  fimelthing,  sind  aber  zugleich  das  angekündigte 
bodthing.“  Diese  Ausführungen  erscheinen  auf  den  ersten  ltlick 
sehr  einleuchtend.  Bei  näherem  Zusehen  erweisen  sie  sich  als 
falsch '). 

Man  kann  allenfalls  darüber  hinwegsehen,  daß  schon  die  Über- 
schritten den  § 22  von  den  §§  23 — 25  trennen  und  die  letztge- 
nannten Bestimmungen  zu  einem  Ganzen  zusammenfassen.  Aber 
man  kann  nicht,  wie  Heck  es  getan  hat,  darüber  hinwegsehen, 
daß  das  in  § 22  erwähnte  Grafending  dem  Inhalt  nach  ein  anderes 
Gericht  ist,  als  das  in  § 25  behandelte  fimeltingh.  Daß  dem  so 
ist,  soll  das  Folgende  zeigen. 

Das  nach  §23  abgehaltene  siebentägige  Bodthing  — Heck 
spricht  immer  von  einem  6 tägigen  Bodthing  — wird  abgehalten 
v.»m  Schulzen  unter  Königsbann.  Und  zwar  hält  dies  jeder 
Schulze  innerhalb  seines  Bannes,  an  der  Dingstätte  des  Unter- 
geriehts.  An  dieses  Ding  soll  sich  nun  nach  Heck  das  alle 
vier  Jahre  stattfindende  bodtingh  (fimeltingh)  anschließen.  Aber 
an  welches  ? Es  gab  doch  soviele  solche  Bodthinge  als  es  Schulzen- 
sprengel gab.  während  nach  Heck  ’s  Annahme  das  alle  vier  Jahre 
stattfindende  Grafenbodthing  doch  nur  eines  an  einer  Gerichts- 
stätte war;  es  ist  ja  ein  „ Vollgericht  des  Gaues.“  Oder  sollte 
der  Graf  alle  vier  Jahre  an  einer  anderen  Dingstätte  gerichtet 
und  so  zwischen  den  einzelnen  Schulzengerichten  gewechselt  haben  ? 
Und  sollen  dann  alle  bisher  in  den  verschiedenen  Schulzengerichten 
anwesend  Gewesenen  an  diesem  einen  Gericht  zusammengeströmt 
sein?  Mit  dem  geringsten  Maße  rechtsgeschichtlicher  Intuition 
lassen  sich  diese  Fragen  ohne  weiteres  verneinen.  Oder  sollten 
etwa  die  Schulzen  nicht  jeder  in  seinem  Banne,  sondern  Alle  zu- 
sammen da  Gericht  gehalten  haben,  wo  sich  das  fimeltingh  dann 
anschließen  konnte?  Nein;  denn  in  diesem  Falle  würde  § 23 
nicht  sagen  „beta  toienst  dyn  schelta,“  sondern  „beta  toienst  da 
schelten.“  Es  ergibt  sich  schon  hieraus,  daß  das  Vierjahrsding 
nicht  mit  dem  Schulzending  zusammen  hängt. 

Hingen  die  beiden  Dinge  so  eng  zusammen,  so  wäre  auch 


')  Zugestiniint  hat  ihnen  His  ZltG.3  XVI  S.  220. 


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Ifi8 

nicht  verständlich,  warum  das  Grafending  zwischen  Weihnachten 
und  Neujahr  vom  Priester  in  der  Kirche  geboten  wird,  das 
Schulzending  sechs  Wochen  vor  Beginn  durch  den  Schulzen  „au 
allen  Thüren“  ').  Endlich  ist  es  Heck  entgangen,  daß  die  Friesen 
im  Jahre  mehrere  Bodthinge  und  mehrere  fimeltingh  besuchen 
müssen.  Es  heißt  nämlich  im  Schulzenrecht 

§ ‘29.  Dit  is  riucht,  dat  da  lyoed  deer  dae  bodtingh 
ende  dae  fimeltingh  halden  habbet,  ne  thoeren  öfter  dam  dis 
koninges  ban  tyelda  in  dat  ieer. 

Fnd  die  Form  „dae“  ist  der  Nominativ  Plural  des  sächlichen 
Artikels.  Der  Nominativ  Singular  heißt  westerlauwerisch  „dat“. 

Ist  also  das  Grafending  des  § 22  nicht  identisch  mit  dem 
fimeltingh  der  25  und  29,  so  fällt  auch  sein  Zusammenhang 
mit  dem  bodtingh  des  § 23  und  es  ergibt  sich  im  Gegensatz 
zu  Heck  folgendes  Bild  der  friesischen  Gerichtsverfassung. 

Der  Graf  kann,  muß  aber  nicht,  alle  vier  Jahre  bodtingh 
halten,  dessen  nähere  Einrichtung  und  Zuständigkeit  hier  umso- 
weniger in  Betracht  kommt,  als  es  offensichtlich  ein  Ausnahme- 
gericht und  der  ordentlichen  Gerichtsverfassung  überhaupt  nicht 
eingefügt  ist.  Die  Schulzen  halten  innerhalb  ihres  Bezirkes  ein 
siebentägiges  Bodthing;  dieses  Gericht  findet  unter  Königsbann 
statt.  Die  Zahl  dieser  Bodthinge  in  einem  Jahr  dürfte  drei  sein: 
denn  dreimal  zwischen  Johannisnacht  und  Herbstäquinoctium  thoer 
di  fria  Fresa  dis  koninges  ban  tyelda2).  An  jedes  solche 
Bodthing  schließt  sich  sodann  das  fimeltingh  des  grewa  an,  das 
von  Dienstag  bis  Donnerstag  währt.  Am  Dienstag  erscheint  der 
Schulze  noch  und  gibt  den  Bann  dem  Grafen,  vielleicht  in  feier- 
licher Form4)'). 


')  Es  heißt  in  den  beiden  Fällen:  keda. 

*)  Westerl. -Schulzcnr.  § 15. 

3)  Hier  fügt  dus  Gesetz  hinzu  al  deer  hya  et  onttinghen.  IHes  bat 
Heck  mit  verleitet,  den  §24  in  Verbindung  mit  §22  zu  bringen;  denn 
dort  heißt  es  ja  „dat  hi  schil  da  ban  op  ia  saun  wiken  da  schelten  cer 
mase  balde.“  Aber  gerade  diese  Stelle  bedarf  einer  näheren  Erläute- 
rung, und  darf  nicht  so  schlechthin  benützt  werden.  Es  heißt  hier, 
wenn  man  am  Wortlaut  festhält:  End  wenn  der  Graf  Bodthing  (Bodthinge 
Nom.  Plural  und  Singular  ist  gleich,  wie  § 29  zeigt)  halten  will,  daß  er  soll 
den  Hann  aufgeben  sieben  Wochen  den  .Schulzen  bevor  man  sie  hält.  Nun 


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189 

Was  sodann  das  vom  Grafen  dreimal  im  Jahre,  jedesmal 
nach  dem  bodtingh  des  Schulzen  abgehaltene  firneltingh  betrifft, 
so  haben  Heck1)  und  Siebs*)  eine  Erklärung  vom  etymologischen 
Standpunkt  aus  angestrebt,  die  sprachlich  wohl  keinem  Zweifel 
begegnen  dürfte.  Dagegen  scheint  mir  sachlich  die  Bedeutung 
durch  die  Ausführungen  von  Heck  noch  nicht  außer  Zweifel  ge- 
stellt. Ohne  auf  die  hier  nicht  belangreiche  Frage  näher  einzu- 
gehen. weise  ich  nur  darauf  hin,  daß  nach  $ 55  der  grewa  nicht 
erst  hei  Beginn  des  „Ungehorsamsverfahrens“  beteiligt  ist,  sondern 
schon  viel  früher. 

Für  uns  ist  das  wesentliche  die  sich  auch  in  der  Einrichtung 
des  firneltingh  zeigende  Beschränkung  des  Grafen,  die  ja  auch  in 
dem  nur  alle  vier  Jahre  stattfindenden  Grafending  einen  so  scharfen 
Ausdruck  gefunden  hat,  wie  sonst  nirgends  im  fränkischen  Reich. 


fragt  cs  sich  aber,  was  mit  diesen  Werten  gesagt  sein  seit.  Nach  Heck 
(a.  a.  ().  S.  436)  muß  der  (traf  „7  Wochen  vor  dem  Termine  seinen  ban  an 
die  Schulzen  abgeben  und  ist  dadurch  der  Kichtcrbcfugnis,  abgesehen  von 
Notfällen,  beraubt.“  Pas  setzt  aber  doch  voraus,  daß  die  Schulzen  den 
Hann,  den  ihnen  der  tiraf  gibt,  nicht  haben  und  an  dieser  Voraussetzung 
fehlt  es.  Penn  der  Schulze  hat  nach  friesischem  Hecht  den  Grafenbann 
und  richtet  wie  der  tiraf  unter  dem  Königsbann  von  2 I’l'und.  Eben  des- 
halb, weil  der  friesische  Graf  nicht  der  ordentliche  Kichter  ist,  muß  der 
Schulze  aus  allgemeinen  Gründen  der  Rechtspflege  schon  den  Grafenbann 
haben.  Pas  „al  deer  hva  et  ontlinghcn“  erleidet  dadurch  keine  Einbuße: 
denn  schon  bei  ihrem  Amtsantritt  müssen  die  Schulzen  den  Hann  vom 
Grafen  erhalten  haben.  Von  hier  aus  zeigt  sich,  daß  der  Text,  des  § 22  fehler- 
haft ist.  Es  handelt  sich  nicht  darum,  daß  der  Graf  dom  Schulzen  den  Hann 
gibt,  sondern  umgekehrt  daruui,  daß  die  Schulzen  ihn  dem  Grafen  geben. 
Deshalb  möchte  ich  Vorschlägen,  in  dem  friesischen  Toxt  nach  schil  ein 
Verbum  des  Hcfchlens,  etwa  banna  oder  bieda  einzufügen,  sodaß  es  hieße: 
ende  als  di  grewa  bodtingh  halda  wil,  dat  hi  schil  bieda  da  ban  op  ia 
saun  wiken  da  schelten,  ecr  mase  halde.  Dann  wird  auch  das  Folgende  ver- 
ständlicher: der  Graf  befiehlt  den  Schulzen,  kein  Urteil  zu  erteilen  außer 
in  Notsachen.  Im  Einzelnen  muß  ich  die  Hcgründung  einer  späteren  Arbeit 
Vorbehalten.  Bemerkt  sei  nur  noch,  daß  der  Text  bei  Hettoma,  Oude  Friesclie 
wetten  keinen  Aufschluß  gibt,  überdies  der  Sprachfurm  nach  erheblich 
jünger  ist. 

4)  Ich  übersehe  nicht,  daß  sich  bei  mehren  Fimeltbingen  weitere 
Schwierigkeiten  in  der  praktischen  Durchführung  ergeben. 

')  a.  a.  ().  u.  Gerichtsverf.  S.  31. 

*)  Zeitschr.  f.  deutsche  l’hilol.  XXIV.  S.  437.  IT. 


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170 

Der  Schulze,  also  iler  Richter  des  Untergericht«,  erscheint  als 
der  ordentliche  Richter,  neben  dem  der  Graf  fast  nur  geduldet 
wird  und  der  dem  Grafen  gewissermaßen  Gerichtstalle  fiberlaßt, 
damit  dieser  überhaupt  Gericht  halten  kann.  Dies  läßt  sich  in 
doppelter  Weise  erklären.  Entweder  ist  in  Friesland  die  fränkische 
Grafschaftsverfassung  überhaupt  nie  durchgeführt  worden,  sodaß 
der  Graf  überhaupt  nie  eine  andere  Stellung  einnahm  als  die,  in  der 
er  uns  im  Schulzenrecht  entgegentritt.  Oder  wir  sehen  in  dieser 
Quelle  wie  der  Graf  verdrängt  und  die  ursprüngliche  Verfassung 
mit  dem  Schulzen  als  ordentlichem  Richter  wieder  hergestellt  wird, 
und  es  liegt  nahe  in  dem  Schulzen  den  ursprünglichen  Hundert- 
schaftsrichter zu  sehen.  Jedoch  zeigt  auch  dieser  Schulze,  daß 
er  nicht  aus  der  germanischen  Zeit  stammt.  Kr  selbst  ist  jung, 
nur  sein  Gericht  kann  alt  sein. 

l'mi  dieses  Gericht  weist  in  der  Tat  eine  Person  auf,  die 
nicht  neu  eingeführt,  sondern  nur  aus  früheren  Zeiten  überkommen 
sein  kann,  den  äsega. 

Heck  hat  mittelst  falscher  Übersetzung  zweier  Stellen,  einer 
Rüstringer  und  einer  mittelfriesischen,  sowie  ganz  belanglosen 
Stellen,  zu  beweisen  versucht,  daß  in  jedem  Schulzensprengel 
mehrere  äsega  sich  befanden1).  Jäckel*)  hat  ihn  inzwischen  so 
gründlich  widerlegt,  daß  wir  uns  mit  dieser  Ansicht  nicht  weiter 
zu  befassen  haben,  sondern  von  der  vor  Heck  allgemein  geltenden 
und  richtigen  Ansicht  ausgehen  können,  daß  jeder  Schulzensprengel 
einen  äsega  hatte. 

Die  Haupttätigkeit  des  äsega,  von  Richthofen  irrtümlich  in 
einem  abstrakten  Rechtsvort  rag  gesehen,  bestellt  in  der  Urteilfindung  '). 
Insoweit  steht  der  friesische  äsega  parallel  dem  bairischen  iudex. 
Aber  nicht  nur  insoweit.  Er  gleicht  ihm  ferner  darin,  daß  er 
außer  der  Urteilfindung  eine  Anzahl  anderer  Obliegenheiten  hat. 
die  mit  der  Urteilfindung  innerlich  nicht  Zusammenhängen.  So 
hat  der  äsega  nach  westerlauwerschem  Recht  den  Eid  zu  staben, 
ist  beim  Kesseltang  und  beim  Zweikampf  beteiligt,  ist  Mitglied 
der  Sielpolizei,  nimmt  Teil  an  der  Verfolgung  das  Frauenräubers4). 

')  Gericlitavorf.  S.  58:  Vgl.  auch  Schröder  Kt».3  8.  172  Audi.  46. 

*)  ZUG.»  XXVII  a.  a.  (). 

3)  Hierüber  Brunner  Itti.  I*  S.  205.  v.  Amira  Grundr.*  S.  155. 

*)  Heck  Gerichtsverf.  S.  69  f.  zählt  noch  weitere  Fälle  auf,  in  denen  der 


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171 


Erklären  läßt  sich  die  Tätigkeit  des  friesischen  äsega  wie  die 
des  bairischen  iudex  nur  dann,  wenn  man  das  Amt  des  äsega  als 
eine  alte  Einrichtung  betrachtet,  die  vor  < Irafenarnt  und  Schulzen- 
amt vorhanden  war.  Der  äsega  wird  ja  auch,  anders  als  der 
Schulze,  vom  Volke  gewählt.  Er  tritt  uns  noch  in  der  sputen 
Zeit  der  gemeinfriesischen  Küren  als  ein  Volksbeamter  gegenüber 
und  das  zeugt  für  sein  hohes  Alter,  wie  die  Sage  von  den  drei- 
zehn Asegen. 

Ob  es  gerechtfertigt  ist,  auch  im  friesischen  äsega,  wie  iin 
iudex,  einen  ursprünglichen  Hundertschaftsrichter  zu  sehen,  das 
muß  ich  wie  dort  dahingestellt  sein  lassen.  Ausgeschlossen  ist 
dieser  Zusammenhang  vielleicht  nicht.  Aber  zu  beachten  ist,  daß 
neben  dem  äsega  Volksbeamte  auftreten,  die  weit  mehr  den  An- 
schein früherer  Hundertschaftsrichter  haben '). 

Für  unsere  Frage  ist  zunächst  nur  die  Feststellung  wesent- 
lich, daß  der  äsega  als  ein  alter,  nicht  erst  von  den  Franken  ein- 
geführter Volksbeamter  anzusehen  ist.  Ob  gerade  in  dieser  Stellung 
oder  in  der  eines  Hundertschaftsrichters,  das  bleibt  ohne  Belang. 
Denn  so  wie  so  stellt  er  die  Verbindung  her  zwischen  dem 
Schulzensprengel  des  westerlauwersehen  Schulzenrechts,  dem  wester- 
lau  werschen  del  und  dem  altgermanischen  Untergerichts  bezirk,  der 
Hundertschaft. 

Von  hier  aus  ergibt  sich  eine  Lösung  der  oben  ausgesprochenen 
Vermutung,  daß  das  Camminga-hunderi  identisch  ist  mit 
dum  Leeuwarderadel:  denn  es  ist  ja  ganz  allgemein  der  del 
dem  hunderi  gleichzusetzen.  Bei  dieser  Sachlage  ist  es  dann 
auch  wahrscheinlich,  daß  das  Kilingo-Huntari  identisch  ist 
mit  dem  Ferwerderadel*). 

äsega  in  anderer  Eigenschaft,  denn  als  Urteillinder  tätig  wird.  Doch  kann 
ich  ihm  dabei  nicht  folgen.  So  insbesondere,  wenn  er  aus  der  4.  Knre  und 
dem  12.  Landrecht  die  Beteiligung  des  äsega  bei  der  Urteilsvollstreckung 
folgert. 

l)  Vgl.  hierüber  Jäckel  a.  a.  0.  S.  126  IT. 

a)  a.  a.  0.  S.  125  Anm.  1 : ebda.  124  Anm.  I.  stellt  Jäckel  in.  E.  eben- 
falls richtig  den  pagus  Tübingen  mit  dem  Dongeradel  gleich.  II is  YA{(i., 
XVI  R.  218  f.  Dafür  daß,  wie  Heck  < Icrichtsver f.  S.  24  meint,  jeder  Gau  in 
der  Kegel  vier  Scholzensprengel  enthält,  fehlt  es  an  jedem  Beweis.  Wenn 
alle  für  das  13.  Jahrhundert  von  Uichthofou  festgestellten  dele  in  die 


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1 li 


Alle  diese  Ausführungen  haben  sieh  nur  mit  dem  westerlauwer- 
sclien  Friesland  beschäftigt,  weil  sich  in  diesem  Gebiete  die  haupt- 
sächlichen Anhaltspunkte  für  eine  Hundertschaftsverfassung  dar- 
boten. Das  Ergebnis  aber  legt  den  Schluß  nahe,  daß  es,  so  wie 
liier,  auch  bei  den  anderen  friesischen  Stämmen  Hundertschaften 
gegeben  hat.  Dies  näher  zu  verfolgen,  ist  an  dieser  Stelle  deshalb 
nicht  erforderlich,  weil  es  sich  hier  nur  um  den  Nachweis  handelt, 
daß  sich  überhaupt  bei  den  Friesen  Hundertschaften  finden.  Doch 
mögen  einige  kurze  Bemerkungen  am  Platze  sein. 

Jäckel  setzt  den  alt  friesischen  Abbcnsprengel,  dem  bei  an- 
deren Stämmen  „Hundertschaft“  genannten  Bezirke“  an  die  Seite. 
Die  von  ihm  angeführten  Gründe  sind  auch  anzuerkennen.  Daraus 
folgt  aber  dann,  da  der  abba  ein  Volksbeamter  ist  und  gerade 
das  Gebiet,  in  dem  er  nachzuweisen  ist,  nämlich  der  Ostergo,  auch 
den  äsega  kennt,  daß  der  äsega  als  Volksbeamter  neben  einem 
völkischen  Sprengelvorsteher  stand  und  das  spricht,  wie  schon 
oben  angedeutet,  dagegen,  daß  er  früher  Hundertschaftsvorsteher  war. 

Da  ferner  Jäckel  mit  treffenden  Gründen  nachgewiesen  hat. 
daß  dem  mittelfriesischen  abba  im  Brokmerland  und  in  Nordera- 
land  der  kok,  in  Rüstringen  der  luidere  entspricht  und  auch 
diese  beide  Volksbeamte  waren,  so  ist  der  weitere  Schluß  ge- 
rechtfertigt, daß  auch  in  den  diesen  Beamten  unterstehenden  Be- 
zirken Hundertschaften  zu  sehen  sind-  Damit  wäre  die  Hundert- 
schaft auch  für  Ostfriesland  festgestellt. 

Nicht  näher  einzugehen  habe  ich  hier  auf  allenfallsige  Be- 
ziehungen zwischen  Hundertschaft  und  redjeva.  Der  friesische  red- 
jeva ist,  wie  schon  früher  und  neuerdings  auch  wieder  von  Jäckel 
gegen  Heck  festgestellt  wurde,  nicht  identisch  mit  dem  äsega.  Er 
istwederanStelleeines  alten Hundertschaftsvorstehers,  noch  überhaupt 
eines  Hundertschaftsbeamten  getreten,  wie  ja  sein  Verhältnis  zum 
kok,  dem  wahren  Hundertschaftsbeamten  im  Brokmcrlande  zeigt. 
Bezüglich  dieser  Fragen  kann  ich  auf  die  Arbeiten  von  Jäckel 
verweisen. 


frühere  Zeit  zurück  reichen  und  auf  Hundertschaften  zurückzuführen  sind, 
wenn  also  keine  Teilungen  stattgefunden  haben,  ist  daran  überhaupt  nirht 
zu  denken.  Sowohl  der  Ostergo  ivie  der  Westergo  weist  eine  weit  größere 
Anzahl  von  delen  auf. 


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1 7:t 


Den  Friesen  nah  verwandt  und  benachbart  ist  der  letzte 
der  uns  hier  beschäftigenden  deutschen  Stämme,  der  der  Sachsen. 

Auch  für  ihn  verneint  die  herrschende  Lehre  das  Vorkommen 
von  Hundertschaften ').  Allerdings  wird  zugegeben,  daß  die 
Sachsen  in  dem  lmnno,  den  der  Heliand*)  erwähnt,  und  in  dem 
hunteri  desTatian3)  einen  Hundertschaftsvorsteher  kannten.  Dies 
schon  macht  es  wahrscheinlich,  daß  auch  territoriale  Hundert- 
schaften bestanden. 

Die  Lex  Saxonum  hüllt  sich  über  die  damals  geltende  Ge- 
richtsverfassung in  tiefes  Schweigen.  Dagegen  ist  es  immerhin 
auflallend,  daß  die  einzige  unter  den  Formulae  imperiales,  die 
zur  Ortsbestimmung  den  Begriff  der  centena  verwendet,  sich  ge- 
rade auf  sächsische  Verhältnisse  bezieht4).  Und  von  besonderer 
Bedeutung  ist  sodann  folgende  Stelle  der  Vita  S.  Lebuini: 

„Pro  suo  vero  libitu,  consilio  quoque,  ut  sibi  videbatur, 
prudenti,  singt) lis  pagis  principes  praeerant  singuli.  Statute 
quoque  tempore  anni  semel  ex  singulis  pagis,  atque  ex  iis- 
dem  ordinibus  tripartitis,  singillatim  viri  duodecim  electi 
et  in  unum  collecti,  in  media  Saxonia  secus  Humen  Wiseram, 
et  locum  Marklo  nuncupatum,  exercebant  generale  consilium, 
tractantes,  sancientes  et  propalantes  communis  eommoda 
utilitatis,  iuxta  placitum  a se  statutae  legis“4). 

Die  hiernach  zu  Marklo  stattfindende  Versammlung  erweist 
sich,  mag  im  Einzelnen  die  Nachricht  über  die  Vertretung  durch 
je  zwölf  Männer  richtig  sein  oder  nicht,  als  eine  Landesversammlung 
des  sächsischen  Volkes.  Sie  findet  statt  „in  media  Saxonia“,  also 

■)  Brunner,  RG.  1*  S.  1GI  und  Anin.,  1P  S.  Uli. 

*)  Vers  2093. 

3)  Tatian  hrsg.  v.  Sievera 

210,1.  Ther  hunteri  inti  thie  init 
imo  intirum  bihaltenti 
thcin  heilant,  gisehenemo 
erdgiruurncssi  inti  thän  dar 
uuüruni,  fnrhktun  in  thräto. 

4)  Bei  Bnrctius,  S.  312*'.  Angesichts  der  etwas  unsicheren  Textüber- 
lieferung  wird  man  allerdings  nicht  zu  viel  Gewicht  auf  diese  Stelle  legen 
dürfen. 

4)  Vgl.  hierzu  Sicke).  Zur  gern).  Verfassungsgesch.  (üben  S.  81  Anm.  1) 
S.  14  f. 


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174 


nicht  etwa  in  einem  seitabwärts  gelegenen  Sprengel  von  Sachsen; 
ilie  dort  Versammelten  üben,  wie  dies  dem  germanischen  Lands- 
thing zukommt,  legislative  Tätigkeit  aus.  Die  Mitglieder  der  Ver- 
sammlung aber  kommen  zusammen  „ex  singul is  pagis“,  d.  li.  also 
aus  einzelnen  Distrikten  des  sächsischen  Gebietes.  Diese  Distrikte 
sind  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  als  Hundertschaften  anzu- 
sprechen, da  es  nach  dem  in  Abschnitt  IV  und  V Ausgeführten 
in  germanischer  Zeit  Gaue  nicht  gegeben  hat  und  wir  von  der 
späteren  Einrichtung  der  Gauverfassung  keine  Kunde  haben.  Die 
principes,  qui  singulis  pagis  praeerant,  waren  die  Hundertschafts- 
vorsteher. Wie  bei  Tacitus  heißen  diese  Volksbeamten  auch  hier 
principes,  ihr  Hezirk  pagus. 

Gerade  diese  Terminologie  nimmt  uns  nicht  Wunder,  wenn 
wir  bedenken,  daß  nach  den  eben  für  das  friesische  Gebiet  ge- 
machten Feststellungen  auch  dort  der  Bezirk,  der  der  Hundert- 

schaft entspricht,  den  Namen  pagus  führte.  Umgekehrt  möchte 
ich  die  Vermutung  aussprechen,  daß  auch  die  friesische  Bezeichnung 
del  den  Sachsen  nicht  fremd  war  und  daß  wir  in  den  Capitnla 
de  partibus  Saxonia e ein  für  die  sächsischen  „dele“  erlassenes 

Capitular  vor  uns  haben.  Audi  die  allerdings  von  beachtens- 

werter Seite  zurückgewiesene  Ansicht,  daß  die  centum  viginti 
liomines  dieses  Capitular  mit  Hundertschaften  Zusammenhängen, 
halte  ich  nicht  schlechthin  für  verfehlt').  Wohl  handelt  es  sich 
in  dieser  Bestimmung  um  die  Parroehianen.  Aber  warum  sollten 
in  Sachsen  die  Kirchspiele  nicht  ebenso  mit  den  Hundertschaften 
zusammenfallen,  wie  in  Schweden  und  zum  Teil  in  Norwegen? 
Doch  ist  das  eine  Frage,  die  sich  bei  der  Unklarheit  der  frag- 
lichen Stelle  kaum  mit  Bestimmtheit  entscheiden  läßt.  Es  wäre 
anzunehmen,  daß  die  Sachsen  nach  Großhunderten  gerechnet  haben. 

Jedenfalls  weist  Sachsen  deutlich  eine  Hundertschaftsverfassung 
auf,  nicht  persönliche  Hundertschafts  verbände,  sondern  auch 
te  rri  tori  a 1 e Hundertschafts  bezirke  *). 

')  ltichthofen.  MGH.  LL.  V S.  88  Anm.  20:  Ders.  zur  Lex  Saxonuin 
S.  170  Anm.  I:  Schröder  Hg.  3 S.  18  Anm.  17. 

a)  In  der  Frage,  ob  die  Vorsteher  dieser  Hundertschaften  in  den  satrapae 
des  Ilcda  (Hist.  eccl.  V,  10;  zu  sehen  sind,  schließe  ich  mich  der  bejahenden 
Meinung  an  (v.  Amira  Grundrill  * S.  73).  Ich  kanu  in  ihnen  nicht  wie 
Schröder  Hg.  4 S.  108  Anm.  7 .Ganfnrsten.  verstehen,  da  ich  Gaue  über- 
haupt ablehne:  wohl  aber  setze  ich  sie  den  principes  des  Tacitus  au  die  Seite. 


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175 


In  der  weiteren  Entwicklung  der  sächsischen  Gerichtsver- 
fassung nimmt  die  Stelle  der  alten  Hundertschaft  der  go  ein  ‘j. 
An  die  Stelle  des  Hundertschaftsvorstehers,  des  hunteri,  ist  der 
gogreve  getreten*). 

Dabei  ist  aber  der  gogreve  aus  seiner  ursprünglichen  Stellung 
als  ordentlicher  Richter  geschoben  an  die  Stelle  eines  außerordent- 
lichen Richters.  Das  ordentliche  echte  Ding  hält  nach  dem 
Sachsenspiegel  nicht  er,  sondern  der  Graf  ab.  Trotzdem  ist  das 
vom  Grafen  abgehaltene  Gericht  sowenig  Grafschaftsgericht,  wie 
das  des  fränkischen  Grafen;  es  ist  das  alte  Hundertschaftsgericht, 

Das  ergibt  sich,  wie  schon  Sch roeder3)  festgestellt  hat,  aus 
der  Zusammensetzung  des  am  einzelnen  Ding  sich  einfindenden 
Umstands  und  dieser  ist  entnommen  dem  go,  nicht  der  Grafschaft. 
Lebt  so  im  Ding  des  Grafen  das  Hundertschaftsding  fort,  so  hat 
sich  in  der  persönlich  beschränkten  Gerichtsbarkeit  des  gogreve  in 
der  goscap,  der  alten  Hundertschaft,  ein  Rest  der  Gerichtsgewalt 
des  Hundertschaftsrichters  erhalten. 

Das  Gericht  des  Schultheißen  aber  mag  das  Ergebnis  einer 
jüngeren  Entwicklung  sein*).  Darauf  deutet  hin,  daß  der  sculteit, 
wie  der  ja  auch  nicht  in  die  germanische  Periode  zurückreichende 
Graf,  für  die  ganze  Grafschatt  bestellt  ist,  als  Richter  über  die 
Biergelden  dieses  ganzen  Bezirks. 


*)  Hietschel  a.  a.  0.  (S.  34  Anm.  I)  S.  8:  Schröder  Hg.  s S.  125; 
Mayer  Vg.  I,  43G. 

3)  Vgl.  (1  io  Abhandlungen  von  Stubbe,  die  Gerichtsverfassung  des 
Sachsenspiegels  in  Zeitschr.  f.  deutsches  Hecht.  XV  S.  82  11':  Schröder,  die 
Gerichtsverfassung  des  Sachsenspiegels  Z K G.  3 V 1 IT,  4l>  ff:  Hrunner 
Hg.  II  S.  176:  Schröder  Hg.  s S.  130. 

J)  In  der  Anm.  2 genannten  Abhandlung. 

*)  Vgl  hierzu  Planck  Gerichtsverfahren  I S.  9.  Gegen  die  Ausführungen 
von  Heck  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stände  US.  178  f vgl.  v.  Amira  in 
ZUG.’  XXVII  S.  384  ff. 


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VIII.  Hynden  und  Hundred. 

Hei  der  Besprechung  des  angelsächsischen  Hundred,  das  von 
fast  allen  Schriftstellern  mit  der  germanischen  Hundertschaft  auf 
eine  Stufe  gestellt  wird '),  gehen  wir  zweckmäßig  von  einem  anderen, 
oben  schon  gelegentlich  der  Erörterungen  über  die  fränkische 
centena  erwähnten,  angelsächsischen  Institut  aus,  nämlich  der 
hynden. 

Die  hynden  kommt  in  den  Gesetzen  der  Angelsachsen*)  an 
nur  zwei  Stellen  vor,  bei  Ine  und  in  den  Judicia  civitatis  Lun- 
donie.  Behandeln  wir  zuerst  die  ältere  Stelle 
Ine  54  pr.: 

Se  (je  hiö  werfshfle  betogen  and  he  onsacau  wille  pa-s  sleges 
mid  ade,  ponne  sceal  bion  on  psere  hvndenne  an  kyninga-de 
be  XXX  hida,  swa  be  gesidcundum  men  swa  be  cierliscum 
swa  hwseper  swa  hit  sie. 

und  das  dazugehörende 
Ine  54  § 1 : 

Gif  hine  mon  gilt,  ponne  mot  he  gesellan  on  para  hyu- 
denna  gehwelcere  monnan  and  bvrnnn  and  sweord  on  patt 
wergild,  gif  he  dyrfe. 

Bezüglich  der  ersten  Stelle  hat  R.  Sch  in  id 5)  angenommen, 
„daß  unter  Hynden  eine  Genossenschaft  oder  Gemeinde  verstanden 
wird,  aus  welcher  die  Gideshelfer  entnommen  und  an  welche 
Bußen  entrichtet  wurden.“  Kemble4)  hatte  übersetzt:  „so  soll 
in  der  Hundertschaft  (hynden)  ein  Königseid  von  dreißig  Hufen 

')  Vgl.  statt  Aller  Brunner  Itg.  I®  S.  I G 1.  Waitz  Vg.  1 3 S.  216 
Aus  der  älteren  Literatur  wäre  besonders  hervorzulieben  Kemble,  die 
Sachsen  in  England  I S.  1 94  ff,  woselbst  die  .Heerestheorie“  vertreten  wird: 
Maurer.  Kritische  Überschau  1 S.  73  IT.  Dagegen,  soviel  ich  sehe,  nur  v. 
Amirn  Grnndr.  * s.  72. 

*)  Die  Citate  nach  Lieber  mann  Gesetze  des  Angelsachsen  I (Text). 

*)  It.  Schm  id  Gesetze  des  Angelsachsen  S.  Clö  g.  v.  Hynden,  woselbst 
auch  ältere  Literatur. 

*)  a.  a.  0.  I S.  199  f. 


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177 


stattfinden.“  Liebermann ')  erklärt  die  hynden  in  54  pr.  für 
die  Hundertzahl  von  Eideshiden,  in  der  dann  je  ein  Königseid- 
helfer in»  Eideswert  von  30  Hiden  sein  soll.  Die  hynden  in 
.V4  § 1 sodann  hält  er  für  die  Hundertzahlen  der  Schillingssumme 
des  Wergeids.  Brunner®)  dagegen  sagt:  „Die  hynden  stellt  sich 
in  Ine  54  § 1 als  eine  Gruppe  der  beleidigten  Magschaft  dar. 
Der  Todschläger  darf  an  jede  der  Hynden  des  Erschlagenen  einen 
Manu,  eine  Hrünne  und  ein  Schwert  auf  das  Wergeid  geben. 
Eine  Gruppe  der  Sippe  des  Beklagten  ist  die  hynden  in  Ine  54  pr., 
wo  es  heißt,  daß,  wenn  der  Beklagte  sich  eidlich  reinigen  will, 
in  jeder  Hynden  ein  kyning-aede  sein  müsse.“ 

Es  bestehen  somit  sehr  verschiedene  Meinungen  über  unsere 
Stelle,  und  dies  rechtfertigt  wohl  einen  neuerlichen  Erklärungs- 
versuch. bei  dem  ich  mit  Ine  54  § 1 beginne. 

tianz  richtig  haben  Schmid,  Brunner  und  Liebermann 
festgestellt,  daß  hier  dem  Wergeidschuldner  das  Recht  eingeräumt 
wird,  bei  der  Wergeldzahlung  einen  Teil  der  Summe  durch 
Leistung  eines  Mannes,  einer  Brünne  und  eines  Schwertes  zu 
tilgen.  Der  Totschläger  muß  nicht  das  ganze  Wergeid  in  Geld, 
sondern  er  darf  einen  bestimmten  Teil  in  Geldeswert  zahlen. 
Streitig  ist  nur,  wie  groß  der  Teil  ist;  denn  je  nachdem  man 
Brunner  oder  Liebermann  folgt,  ergibt  sich  ein  verschiedener 
Teil.  Nach  Brunner  soll  jeweils  bei  der  Summe,  die  an  eine  der 
hynden  heißenden  Abteilungen  der  Sippe  des  Erschlagenen  zu 
zahlen  ist,  eine  solche  Ersatzleistung  stattfinden  können;  soviele 
Abteilungen  also,  so  viele  Ersatzleistungen.  Bei  Liebermanns 
Auslegung  aber  sind  so  viele  Ersatzleistungen  möglich  als  Hunderte 
von  Schillingen  gezahlt  werden  müssen. 

Mir  erscheint  nun  die  Auslegung  von  Brunner  unwahr- 
scheinlich. Denn  erstens  haben  wir  keinen  Anhaltspunkt  dafür, 
daß  bei  der  Wergeidleistung  die  empfangsberechtigten  Magen  in 
verschiedene  Gruppen  geteilt  waren,  an  die  der  Schuldner  je  einen 
bestimmten  Teil  des  Wergeids  zu  leisten  hatte.  Oder  sollte  viel- 
leicht daran  gedacht  sein,  daß  gerade  nach  angelsächsischem  Recht 

*)  In  seiner  Übersetzung  des  Textes  (Gesetze  I S.  1 1 3 f ) : zustiinmend 
Chadwick  Studie«  on  Anglosaxon  institutions  S.  13G  Amn. 

*)  ltg.  II  S.  380. 

v.  Schwerin,  altgerm.  Hundertschaft  * 2 


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178 


die  Zahlung  des  Wergeids  in  einer  großen  Zahl  von  Quoten,  je 
an  bestimmten  Tenninen,  erfolgte?  Dann  aber  wäre  die  Annahme 
naheliegender,  daß  die  hynden  nicht  eine  Abteilung  von  Wergeid- 
empfängern sondern  eine  solche  Quote  ist.  Denn  abgesehen  von 
den  ersten  Quoten,  dem  healsfang,  der  inanbot  und  des  fyht-wlte, 
die  ja  allerdings  an  bestimmte  Personen  fielen,  aber  auch  nicht 
alle  Teile  des  Wergeides  waren,  erfahren  wir  nichts  davon,  daß 
diese  Quoten  an  bestimmte  Gruppen  zu  zahlen  waren.  Der  Haupt- 
grund aber,  der  mich  abhält  in  der  hynden  eine  Gruppe  von 
Magen  zu  sehen,  ist,  daß  es  an  sich  ganz  unerfindlich  ist,  wie  eine 
solche  Gruppe,  wenn  sie  überhaupt  bestand,  zu  der  Bezeichnung 
hynden  gekommen  sein  soll.  Wir  dürfen  ohne  zwingenden  Grund 
nicht  davon  abgehen,  daß  hynden  die  Hundertzahl  bedeutet.  Dazu 
aber  würde  die  Ansicht  von  Brunner  führen. 

Andererseits  kommt  man  gerade  bei  Berücksichtigung  der 
Wortbedeutung  von  hynden  zur  Anerkennung  der  Liebermannschen 
Ansicht.  Diese  ist  auch  möglich,  da  ja  schon  das  Wergeid  des 
ceorl,  also  des  cierlisc  man  unserer  Stelle,  ‘200sc.  betrug,  also  zwei 
Hundertzahlen  der  Schillingssumme  gegeben  waren.  Sie  wird 
bedeutend  gestützt  durch  die  Tatsache,  daß  das  Wergeid  nach 
solchen  Hundertzahlen  gerechnet  wurde,  woher  ja  die  Bezeichnungen 
twyhyndeman,  sixhyndemann  und  twelfhyndeman  stammen. 

Diese  Bedeutung  kann  hynden  aber  nur  in  Ine  54  § 1 haben; 
es  ist  auf  den  ersten  Blick  ersichtlich,  daß  in  Ine  54  pr.  nicht 
von  einer  Hundertzahl  der  Schillingssumme  die  Rede  ist.  Immer- 
hin aber  erscheint  es  geboten,  in  der  Deutung  von  hynden  in  dieser 
Stelle  von  dessen  Bedeutung  in  jener  nicht  zu  weit  abzugehen; 
das  fordern  schon  allgemeine  Interpretationsgrundsätze.  Und  deshalb 
ist  auch  hier  die  Ansicht  Liebermanns  sehr  ansprechend,  der 
hynden  wieder  mit  Hundertzahl  übersetzt  und  nur  hier  „der  Eides- 
hiden“  ergänzt,  während  er  dort  „der  Schillingssumme  des  Wer- 
geids“ ergänzt.  Brunners  Meinung  dagegen  ist  hier  noch  un- 
wahrscheinlicher. Es  ist  uns  nichts  darüber  bekannt,  daß  bei 
einem  Helfereid  die  Helfer  in  Gruppen  eingeteilt  waren;  es  ist 
nicht  einmal  ein  Gesichtspunkt  zu  finden,  nach  dem  eine  solche 
Einteilung  hätte  stattfinden  sollen.  Sodann  fehlt  auch  hier  wieder 
jeder  Grund,  solche  Eidhelfergruppen  gerade  hynden  zu  heißen. 


* 


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179 


Andererseits  ist  noch  zu  prüfen,  ob  die  Ansicht  Liebermanns 
nach  der  Sachlage  auch  möglich  ist. 

Dafür,  da  LI  die  Höhe  eines  Eides  bei  den  Angelsachsen  nach 
Hiden  bemessen  wurde,  bieten  uns  die  Gesetze  auch  sonst  Beispiele. 
So  heißt  es  z.  B.  Ine  5 2 . . . geswicnc  hine  he  CXX  hida  . . . 
Ine  46  . . .,  ponne  sceal  he  be  LX  hida  onsacan  pa-re  piefiVe. 
Wenn  aber  Liebermann  Recht  hat,  dann  müssen  bei  Totschlägen 
Eide  von  mehreren  Hundert  Hiden  erforderlich  gewesen  sein.  Da 
jedoch  nirgends  der  Eid  zur  Reinigung  von  der  Totschlagsklage 
in  Hiden  umgesetzt  ist,  so  müssen  wir  aus  den  Fällen,  in  denen 
sowohl  die  Hidenzahl  wie  die  bei  Nichtleistung  des  Eides  zu  erle- 
gende Strafe  feststeht,  feststellen,  ob  und  welche  Beziehungen 
zwischen  Bußsumme  und  Hidenzahl  bestehen1). 

Nach  Alfr.  11,2  muß,  wer  eine  gemeinfreie  Jungfrau  besehläft, 
dieser  60  sc.  zahlen.  Er  kann  aber  behaupten,  daß  die  Vergewaltigte 
vorher  schon  bei  einem  anderen  Manne  gelegen  hat,  und  wenn 
diese  Behauptung  nicht  widerlegt  wird,  braucht  er  mir  30  sc.  zu 
zahlen.  Um  nun  die  Behauptung  des  Beklagten  zu  entkräften, 
praktisch  gesehen,  um  sich  die  60  sc.  Buße  zu  erwerben,  muß  die 
Frau  durch  Eid  von  60  Hiden  beschwören,  daß  sie  zu  Unrecht 
früheren  Beischlafs  geziehen  wird.  Einen  Eid  von  60  Hiden  muß 
nach  Ine  46  und  53  leisten,  wer  sich  von  der  Anklage  des  Diebstahls 
oder  der  Hehlerei  reinschwören  will;  aus  Ine  7 aber  wissen  wir, 
daß  die  regelmäßige  Diebstahlstrafe  60  sc.  war.  Nach  Ine  52 
sodann  muß,  wer  heimlicher  Abfindungen  beschuldigt  wird,  ent- 
weder 120  sc.  Strafe  zahlen,  oder  sich  durch  einen  Eid  von  120 
Hiden  reinschwören. 

An  diesen  Beispielen  sehen  wir,  daß  jeweils  die  Zahl  der 
Eideshiden  der  Zahl  der  zu  leistenden  Schillinge  entspricht. 
Wenden  wir  dies  auf  unseren  Fall  an.  so  ergibt  sich,  daß  schon 
bei  der  Tötung  eines  ceorl(twyhyndeinan)  ein  Eid  von  200  Hiden 
erforderlich  war,  wenn  der  Totschläger  sich  reinigen  wollte.  Ent- 
sprechend bedurfte  es  dann  beim  sixhyndeman  eines  Eides  von  600 
Hiden,  beim  twelfhyndeman  eines  solchen  von  1200  Hiden.  In 
dieser  Richtung  ist  also  die  Ansicht  Liebermanns  möglich. 

Es  ist  aber  ferner  noch  fcstzustellen,  wer  der  eine  kyning;ede  ist, 


')  Vgl.  über  diese  lier.iehung  R.  Schmid  a.  a.  0.  S.  8C5. 

12' 


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180 

oder  wer,  anders  gesprochen,  nach  angelsächsischem  Recht  für  30 
Hiden  schwüren  kann.  Schund  hat  sich  einer  Entscheidung 
ausdrücklich  enthalten  und  auch  sonst  finde  ich  keine  Erklärung 
dieses  kyninga*de '). 

M.  E.  ist  auszugehen  von  Ine  19: 

Cyninges  geneat,  gif  his  wer  bi<V  twelfhund  scill:  he  mot 
swerian  for  syxtig  hida,  gif  he  bi<V  huslgengea. 

Daraus  folgt,  daß  der  cyninges  geneat,  wenn  er  nicht  husl- 
gengea ist,  für  dreißig  Hiden  schwören  kann,  und  es  ist  daher  an- 
zunehmen,  daß  er  der  in  Ine  54  pr.  genannte  kyningsede  ist. 
Sehmid  allerdings  nimmt  an,  daß  der  cyninges  geneat.  der 
nicht  Abendmahlsgänger  ist,  für  120  Hiden  schwören  kann’).  Wir 
wissen  auch,  wie  er  richtig  bemerkt,  „daß  der  Eid  bei  dem  Abend- 
mahlsgänger auf  die  Hälfte  herabgesetzt  ist.“  Aber  gerade  des- 
wegen ist  Schmids  Annahme  bei  dem  cyninges  geneat  falsch. 
Der  Eid  wird  auf  die  Hälfte  herabgesetzt,  wenn  der  Abendmahls- 
gänger etwas  zu  beschwören  hat,  weil  sein  Eid  doppelt  so  kräftig 
ist,  wie  der  dessen,  der  nicht  zum  Abendmahl  geht.  Aus  diesem 
Grunde  bestimmt  schon  Wi.  23 

Gif  man  Gedes  peuwne  esne  in  heora  gemange  tihtc,  his 
dryhten  liine  his  ane  ape  gecl.-ensie,  gif  he  huslgenga  sie; 
gif  he  huslgenga  nis,  luebbe  hiin  in  ape  offirne  a*wdan  godne 
oppe  gelde  oppe  seile  to  swinganne. 

Eineid  des  Herrn  genügt,  wenn  er  Abendmahlsgänger  ist;  ist. 
er  es  nicht,  so  bedarf  er  eines  Eideshelfers,  es  muß  also  ein 
Zweiereid  geschworen  werden.  Umgekehrt  aber  stellt  sich  das 
Verhältnis  zwischen  dem  Abendmahlsgang  und  dem  Eideswert  so 
dar.  daß  der  Mann,  der  ohne  Rücksicht  auf  den  Abendmahlsgang 
für  x Hiden  schwört,  als  huslgenga  für  2 x Hiden  schwören  kann. 
Und  wenn  nun  bestimmt  ist,  daß  der  cyninges  geneat,  der  zum 
Abendmahl  geht,  für  00  Hiden  schwört,  so  folgt  daraus,  daß  der 
Eid  eines  cyninges  geneat  schlechthin  30  Hiden  wert  ist.  Da  der 
cyninges  geneat  in  diesem  Fall  ein  Wergeid  von  1200  sc.  hat,  also 
das  sechsfache  des  Gemeinfreienwergeides,  so  würde  daraus  der 
Schlnß  zu  ziehen  sein,  daß  der  twyhyndeman  für  5 Hiden  schwört. 

*)  Unsicher  Chadwick  a.  a.  0.  S.  136  IT. 
s)  a.  a.  0.  565. 


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181 


Dieses  Ergebnis  gibt  aber  sofort  zu  Bedenken  Anlaß,  da  wir 
aus  anderer  Quelle  wissen,  daß  des  Gemeinfreien  Eid  ein  solcher 
von  10  Hiden  ist.  Denn  es  übersetzen  die  Instituta  Cnnti  Ine  14. 

Se  ö'e  hIoj>e  betygen  sie,  geswicne  se  liine  be  CXX  hida 
offffe  swa  bete  mit:  Qui  calumniatur  de  hloth,  si  negauerit, 
ita  se  purget:  acceptis  XI  hominibus  et  ipse  sit  XII. 

und  der  Quadripartitus  erläutert  iurare  pro  LX  liidis  durch  id  est 
pro  sex  hominibus. 

Eine  Lösung  bietet  uns  vielleicht  der  Text  des  Quadripartitus 
bei  Ine  14. 

Regis  geneat  (id  est  uillanus  [colonus  fiscalinus])  si  wera 
eius  sit  twelfhund  scill.  (id  est  duodecies  C sol),  potest 
iurare  pro  LX  liidis  (id  est  pro  sex  hominibus)  si  sit  husl- 
genga  (id  est  duodecimhindus  uel  husbonda). 

An  dieser  Übersetzung  ist,  wie  schon  Liebermann  festge- 
stellt hat,  manches  irrig.  So  die  Glossierung  von  regis  geneat 
durch  uillanus  oder  colonus  fiscalinus;  denn  gerade  dieser  geneat 
ist  kein  uillanus  und  kein  colonus  fiscalinus ').  Auch  die  Glosse 
husbonda  ist  völlig  verfehlt;  denn  der  huslgenga  und  der  husbonda 
haben  nichts  mit  einander  zu  tun.  Aber  ein  richtiger  Kern  scheint 
mir  darin  zu  stecken,  daß  der  Quadripartitus  zu  huslgenga  bemerkt: 
id  est  duodecimhindus.  Ich  vermute,  daß  der  cyninges  geneat  nur 
dann  ein  twelfhyndeman  ist.  wenn  er  Abendmahlsgänger  ist,  sonst 
aber,  ohne  Rücksicht  auf  den  Abendmahlsgang  ein  sixhyndeman. 
Dann  würde  sein  Wergeid  von  600  sc.  zu  seinem  Eideswert  in 
demselben  Verhältnis  stehen,  wie  das  des  ceorl  zu  dessen  Eideswert. 

Doch  mag  dem  sein  wie  immer,  jedenfalls  ist  die  Erklärung 
der  hynden,  in  Ine  54  pr.  und  § 1,  die  Liebermann  gegeben 
hat,  ohne  Bedenken,  und  wir  können  feststellen,  daß  diese  hynden 
zur  Hundertschaft  in  keiner  Beziehung  steht. 

Ein  wesentlich  anderes  Bild  ergibt  die  Untersuchung  der 
zweiten  Stelle,  an  der  hynden  vorkommt,  nämlich  Judicia  ciuitatis 
Lundonie  3. 

„Bridde:  p:et  we  tellan  ä X menn  togaedere  . . . and 
syö'ö'an  pa  hyndena  heora  togaedore  and  *nne  hyndenmann, 

')  Vgl.  F.  Licberuiann,  Quadripartitus  S.  21. 


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182 


pe  jia  X men  mynige  to  ure  ealrc  gern«*  ne  pearfe;  and  hig 
XI  heahlan  pasre  hyndene  feoh  . . . “ 

Hier  übersetzt  Liebermann  hynden  zutreffend  mit  „Hundert- 
verband“, wahrend  Schmid  auf  eine  Übersetzung  verzichtet  hatte. 

Wie  schon  aus  dem  Wortlaut  hervorgeht,  ist  diese  hynden  in 
der  Tat  ein  Verband  von  hundert  Männern.  Dieser  Verband  hat 
nach  den  sonstigen  Bestimmungen  des  Gesetzes  wie  schon  oben 
kurz  erwähnt  ist,  ähnliche  Funktionen  wie  die  merowingische  centena. 

Durch  die  Judicia  ciuit.  Lund  wird  ebenfalls  eine  Versicherungs- 
gesellschaft auf  Gegenseitigkeit  gegen  Diebstähle  gegründet.  Dabei 
ist  angeordnet,  daß  ure  ade  4 Pfennige  in  eine  gemeinschaftliche 
Kasse  zahlen  soll,  aus  der  dann  die  Diebstahlsschäden  ersetzt 
werden.  Da  von  der  Einzahlungspflicht  ausdrücklich  die  arme 
Witwe  ausgenommen  ist,  J>e  naenne  forwyhrtan  naefde  ne  nän  lönd, 
so  ersehen  wir,  daß  alle  Einwohner  von  London,  auch  Frauen, 
beitragspflichtig  waren.  Da  andererseits  zu  der  hynden  nur  Männer 
sich  vereinigten,  so  ergibt  sich,  daß  die  hynden  nicht  identisch 
ist  mit  dem  Versicherungsverband.  Sie  ist  nur  ein  Teil  der  Ver- 
sicherten, sozusagen  Aufsichtsbehörde  und  Exekutionsorgan.  In 
dieser  Funktion  haben  die  Mitglieder  der  hynden  dafür  zu  sorgen, 
daß  die  Einzahlungen  und  Auszahlungen  richtig  erfolgen  und  haben 
die  Verfolgung  des  Diebes  zu  übernehmen. 

Wenn  wir  nun  die  auf  die  Spurfolge  bezüglichen  Bestimmungen 
mit  den  allerdings  weit  primitiveren  in  den  merowingischen  Gesetzen 
vergleichen,  so  ergibt  sich  für  die  Nebeneinanderstellung  von  hynden 
und  centena  Etwas  sehr  Interessantes.  Während  in  der  Deeretio 
Chlotar»  immer  davon  die  Rede  ist,  daß  die  Spur  von  einer  centena 
in  die  andere  führt,  finden  wir  nicht  auch  hier  den  Fall  erwähnt, 
daß  die  in  einer  hynden  gefundene  Spur  in  eine  benachbarte 
hynden  hinüberleitet.  Es  heißt  lediglich  in  cap.  8,4 
and  gif  man  spör  gespirige  of  scyre  on  off  re ; 
es  wird  also  nur  eine  Spurleitung  von  einer  scire  in  eine  andere 
angenommen. 

Dies  unterstützt  die  sich  schon  aus  der  Entstehung  der 
hynden  ergebende  Annahme,  daß  diese  hynden  lediglich  ein 
rein  persönlicher  Verband  von  hundert  Mann  war,  ohne  jede  Be- 
ziehung auf  territoriale  Verhältnisse,  abgesehen  davon,  daß  diese 
hundert  Männer  Einwohner  der  civitas  Lundoniae  waren.  Diese 


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183 


hynden,  gewissermaßen  ein  Ausschuß  der  Einwohner  Londons, 
konnte  auch  jeweils  den  gleichen  Bestand  von  hundert  Mann  haben. 
Denn  Nichts  hinderte  einerseits  die  Ergänzung,  wenn  ursprüngliche 
Mitglieder  wegfielen,  nichts  zwang  andererseits  dazu,  die  Zahl  von 
Hundert  zu  überschreiten. 

Wenngleich  nun  diese  hynden  einen  wesentlich  anderen  Ein- 
druck macht  als  die  hynden  in  den  Gesetzen  Ines,  so  ist  im 
Grunde  doch  kein  Unterschied.  Hynden  ist  hier  wie  dort  nichts 
anderes  als  die  Hundertzahl.  Eine  Sache  für  sich  ist  es,  daß  wir 
es  dort  mit  Hunderten  von  Hiden  und  Schillingen,  hier  mit  Hun- 
derten von  Männern  zu  tun  haben. 

Eine  andere  Frage,  die  zwar  auf  diese  Auffassung  des  hynden 
ohne  Einfluß  bleibt,  aber  doch  hier  nicht  ganz  übergangen  werden 
darf,  ist  es,  ob  innerhalb  der  civitas  Lundonie  nur  eine  oder 
mehrere  hynden  vorhanden  waren.  Da  sowohl  cap.  3 von 
mehreren  hynden  spricht,  als  auch  cap.  8,1  von  mehreren 
hyndenman,  so  ist  hieraus  auf  eine  Mehrzahl  von  hynden  zu 
schließen.  Man  darf  aber  nicht  übersehen,  daß  die  Annahme 
mehrerer  hynden  in  einem  Bezirk  zu  Schwierigkeiten  führt,  die 
ich  hier  allerdings  nur  andeuten  kann.  Da  nämlich,  wie  oben 
festgestellt,  dem  Versicherungsverbande  auch  Leute  angehören,  die 
nicht  in  der  hynden  sind,  so  müssen  wir  fragen,  nach  welchem 
Gesichtspunkte  festgestellt  wurde,  zu  welcher  hynden  diese  Per- 
sonen finanziell  zu  rechnen  seien.  Denkbar  wäre  z.  B.,  daß  in  jedem 
Vogteibezirk  eine  hynden  gebildet  wurde,  sodaß  der  Wohnsitz  in 
einem  solchen  Bezirk  maßgebend  war.  Doch  dies  nur  nebenbei. 

Für  uns  ist  wesentlich,  daß  nach  All  dem,  was  wir  über  die 
hynden  in  den  Jud.  civ.  Lund,  wissen  und  was  hier  ausgeführt 
ist,  die  hynden  keine  altgermanische  Hundertschaft  ist.  Nicht  nur, 
daß  sie  jedes  territorialen  Charakters  entbehrt,  ist  sie  auch  schon 
durch  ihr  starres  Zahlensystem  von  der  Hundertschaft  weit  ver- 
schieden. Und  endlich  spricht  auch  der  Wortlaut  des  angeführten 
cap.  3 dafür,  daß  diese  Hundertverbände  erst  durch  die  lud.  civ. 
Lund,  eingeführt  wurden.  Hierbei  ist  auch  noch  darauf  aufmerk- 
sam zu  machen,  daß  der  Wortlaut  keineswegs  zwingt,  hynden 
für  die  technische  Bezeichnung  dieser  Verbände  anzusehen,  wenn- 
gleich es  wahrscheinlich  ist,  daß  hynden  im  allgemeinen  „Hun- 


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184 


dertzahl“,  im  besonderen  aber  gerade  die  „Hundertzahl  der  zur 
Diebstalilsverfolgung  zusammengetretenen  Männer“  bedeutete. 

Es  kann  also  nicht  davon  die  Rede  sein,  daß,  wie  Kemble 
meint,  die  livnden  „dem  entsprach,  was  wir  gewöhnlich  eine 
Hundertschaft  nennen“,  auch  nicht  davon,  daß  sie  auch  nur  „ur- 
sprflnglich  eines  und  dasselbe  waren“.  Wenn  Kemble  dies  aus 
Ine  54  pr.  zu  beweisen  sucht,  so  greift  er  dabei,  wie  die  obigen 
Ausführungen  zeigen,  vollkommen  fehl1). 

Alles  bisher  Gesagte  ist  dahin  zusammenzufassen,  daß  die  in 
angelsächsischen  Gesetzen  erwähnte  hynden  keinen  Anhaltspunkt 
gibt  für  das  Vorkommen  von  Hundertschaften  auf  angelsächsischem 
Gebiet. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  zu  dem  hnndred,  das,  wie  schon 
Eingangs  erwähnt,  zumeist  als  die  Hundertschaft  der  Angelsachsen 
angesprochen  wird.  Hat  die  herrschende  Meinung  Recht,  so 
müssen  nicht  nur  die  angelsächsischen  hnndred  den  kontinentalen 
in  der  Struktur  gleichen,  sondern  man  muß  sie  auch  von  Anfang 
an,  d.  h.  von  der  angelsächsischen  Einwanderung  an  in  England 
annehmen;  denn  die  germanische  Hundertschaft  ist,  wie  wir  gesehen 
haben,  eine  mit  der  Jlesiedlung  zusammenhängende  und  mit  ihr 
gegebene  Einrichtung,  die  künstlich  nicht  ins  Lehen  gerufen 
werden  kann. 

Gehen  wir  nun  bei  der  Untersuchung  des  Alters  des  angel- 
sächsischen hundred  vom  Wort  aus,  so  zeigt  sich,  daß  es  ver- 
hältnismäßig jung  ist.  Wie  schon  wiederholt  festgestellt,  findet 
es  sich  zuerst  in  Gesetzen  des  Königs  Eadgar*),  oder,  wenn  wir 
den  Quadripartitus  heranziehen,  schon  in  einer  institutio  des  Königs 
Eadmund3);  also  entweder  erst  nach  94f>  oder  schon  zwischen  940 
und  94(>,  jedenfalls  nicht  früher  als  im  10.  Jahrhundert.  An 
diesem  Ergebnis  der  Quellenforschung  haben  auch  die  neueren 
Quellenveröffentlichungen  nichts  zu  ändern  vermocht.  Insbesondere 
sei  darauf  hingewiesen,  daß  eine  von  de  Gray-Hirch  ohne  kritischen 
Vermerk  mit  der  Jahreszahl  <104  aufgenommene  Urkunde,  in  der 
allerdings  von  Hundreda  die  Sprache  ist,  längst  als  eine  spätere 


')  Kemble,  Die  Sachsen  in  England  I S.  199  g. 
*)  Liebermann,  Gesetze  S.  192. 

3)  ebda.  S.  190. 


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185 

Fälschung  der  Mönche  von  Peterborough  erkannt  wurde').  Doch 
dürfen  wir,  wie  uns  das  Beispiel  der  fränkischen  centena  zeigt, 
aus  diesem  späten  Vorkommen  des  Wortes  hundred  keineswegs 
schließen,  dal!  das  hundred  auch  der  Sache  nach  nicht  älter  ist. 

Frühere  Schriftsteller,  wie  Lappenberg,  Turner,  Lingard, 
Palgrave  sind  bei  der  Erwähnung  des  Itundred  an  der  Alters- 
frage stillschweigend  vorübergegangen  und  haben  sich  mit  der 
Feststellung  begnügt,  da  LI  es  in  England  Hundert  schäften  gegeben 
hat.  Erst  K.  Maurer*)  ist  der  Frage  nähergetreten,  ob  das 
hundred  eine  Einrichtung  der  späteren  Zeit,  etwa  des  Großkönig- 
tums  unter  Alfred  ist,  oder  ein  schon  am  Anfang  der  angel- 
sächsischen Staaten  vorhandener  Bezirk.  Seine  Ausführungen 
endigen  mit  dem  Ergebnis,  daß  das  hundred  keine  neuere 
Bildung  ist3). 

Von  den  auf  Maurer  folgenden  Schriftstellern  ist  ihm 
R.  Schmid*)  entgegengetreten,  hat  sich  Adams4)  seiner  An- 
schauung angeschlossen.  Unabhängig  von  Maurer  vertritt  die 
gleiche  Ansicht  Kemble")  und  nach  ihm  Stubhs 7).  ln  neuester 
Zeit  ist  sodann  die  Frage  von  Chadwick")  behandelt  worden,  der 
zu  folgendem  Schlüsse  kommt:  „On  the  whole  therefore  J am 
inelined  te  believe  timt,  though  the  nation  or  shire  was  from 
early  times  reckoned  in  hundreds  of  hides.  these  hundreds  were 
not  used  as  units  for  administrative  purposes  before  the  time  of 
Edmund,  aud  that  the  Organisation  then  adopted  was  borrowed 
from  Danish  custom“. 

Dem  gegenüber  erscheint  eine  Untersuchung  der  Quellen 
nicht  überflüssig. 


*)  IV.  de  Graj-Bircb,  Cartulariuin  Saxonicum  I S.  22  Nr.  38. 

*)  In  der  .Kritischen  Überschau  für  Gesetzgebung  und  Rechtswissen- 
schaft* 1 S.  73  fT.  woselbst  die  ältere  Literatur. 

J)  Vgl.  über  das  Verkommen  von  „hundred“  auch  die  Untersuchungen 
von  Stecnstrup,  Danclag  S.  77  ff. 

*)  a.  a.  0.  s.  t.  hundred. 

ij  The  Auglo-Saxon  Courts  of  Law  in  Essays  in  Anglo-Saxon  Law. 

«)  a.  a.  O.  S.  200  ff. 

*)  Constitutional  history  of  England  I S.  9t> ff.  Vgl.  auch  A.  ßugge  a.  a. 
0.  (ob.  S.  14  Anm.  8)  8.  42* 

8)  Chadw  ick,  a.  a.  0.  S.  239ff,  248. 


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IS« 


Die  Verordnung  über  das  Hundredgemot  enthält  in  cap.  5 
folgende  Bestimmung: 

„Eac  we  cwaedon,  gyf  him  hundred  bedrife  tröd  on  oder 
hundred,  p*t  mon  cyffe  ffam  hundredesman  and  he  ffonne 
ff;er  midfare“. 

Daraus  ergibt  sich,  daß  dieses  hundred,  anders  als  die  vor- 
behandelte hynden,  Grenzen  hatte.  Dagegen  zeigen  die  übrigen 
Bestimmungen  der  Verordnung  eine  nahe  Verwandtschaft  zwischen 
hynden  und  hundred.  Wie  die  hynden  ist  auch  das  hundred  in 
Zehntschaften  geteilt,  auch  bei  ihm  steht  die  Verfolgung  von 
Dieben  im  Vordergrund  und  alle  vier  Wochen  findet  eine  Ver- 
sammlung statt.  Die  Grenzen  aber  stellen  das  hundred  zur 
fränkischen  centena  und  von  hier  aus  rechtfertigt  sich  die  Frage, 
ob  das  hundred  eine  germanische  Hundertschaft  ist.1) 

Ich  stehe  nicht  an,  sie  aus  verschiedenen  Gründen  zu  ver- 
neinen. 

Auffallend  ist  in  erster  Linie,  daß  die  hundred  als  kleine 
Gebiete  behandelt  werden,  kleiner  als  eine  byrig,  ausdrücklich 
einer  smalu  byrig  gleichgestellt. 

IV  Eg.  4.  To  adeere  byrig  XXXIII  syn  geeorene  to  gewytnesse 
5.  to  smalum  burgum  and  to  jelcum  hundrede  XII, 
buton  ge  mä  willan. 

Auch  in  anderer  Bestimmung  tritt  das  hundred  als  kleines 
Gebiet  hervor.  So  z.  B. 

I Atr.  1,3.  Gif  se  äff  ponne  forffcume,  ceose  pe  man 
ponne,  pe  pa*r  betyhtlet  sy,  swa  hweffer  he  wylle  swa  anfeald 
ordal  swa  pundes  wurpne  aff  innan  pam  prim  hundredan, 
ofer  prittig  peninga. 

Da  ferner  die  Eidhilfe,  wie  überhaupt  im  germanischen  Recht, 
so  gerade  nach  der  einschlägigen  angelsächsischen  Eidformel 

Swer.  6.  On  ffone  Drihten,  se  aff  is  claene  and  unmsene, 
ffe  N.  swor. 

Kenntnis  der  Person  des  Hauptschwörers  voraussetzt,  so  können 
die  Eidhelfer  nur  dann  aus  den  benachbarten  Hundertschaften  ge- 

')  Zu  dein  hundred  der  Verordnung  über  das  bundredgomot  ist  auch 
das  hnndretum  in  III  Km.  2 zu  stellen.  Man  beachte  die  Buße  von  30  sc. 
in  Hu.  7,1  und  III  Eni.  2;  die  30  Pfennig-Fälle  in  Hu.  entsprechen  sachlich 
nicht  III  Ern.  2. 


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1*7 


nommen  werden,  wenn  diese  so  klein  sind,  daß  die  Einwohner 
der  einen  die  der  benachbarten  kennen  können. 

Audi  das  hundredgemot  macht  keineswegs  den  Eindruck 
eines  Hundertschaftsgerichts.  Wenn  bestimmt  wird  in 

Hu.  7.  On  hundrede  swa  on  oder  gemote  we  wyllaö.  {net 
mon  folcriht  gefceee  a-t  adeere  spa-ce,  and  andagie,  hwa*nne 
man  fiad  gela*ste. 

so  ist  daraus  nicht  nur  zu  schließen,  daß  das  hundredgemot  noch 
jung  und  der  Rechtsgang  dortselbst  noch  nicht  durch  alte  Tradi- 
tion geregelt  ist,  sondern  auch,  daß  es  außer  ihm  ein  Gericht 
gibt,  das  nach  der  Anschauung  des  Gesetzgebers  dem  Recht  ge- 
mäß abgehalten  wird  und  dem  Recht  gemäß  urteilt;  dieses  andere 
Gericht  erscheint  als  das  typische,  ordentliche'). 

Dazu  kommen  noch  andere  Gründe. 

Die  Bezeichnung  hundred  erscheint  an  sich  schon  ungeeignet 
für  eine  germanische  Hundertschaft.  Wenn  wir  auch  nicht  wüßten, 
daß  es  in  England  Gebiete  von  je  hundert  oder  hundertundzwanzig 
Hiden  Flächeninhalt  gegeben  hat,  würden  wir  annehmen  können, 
daß  hundred,  sofern  nicht  eine  Gruppe  von  hundert  Personen, 
dann  doch  ein  solches  Gebiet  von  bestimmter  Hidenzahl  be- 
zeichnen soll.  Während  z.  B.  das  schwed.  hundari  sehr  wohl 
geeignet  ist,  das  Siedlungsgebiet  eines  Wanderhaufens  zu  be- 
zeichnen, eben  wegen  seiner  Bildung  aus  hund.  ist  es  hundred 
so  wenig  als  nur  möglich.  Denn  hundred  bezeichnet  nicht  eine 
Menge,  sondern  ist  ja  gerade  das  gezählte  Hundert,  wie  schon 
oben  ausgeführt  *). 

Sodann  widerspricht  die  angelsächsische  Besiedlungsgeschichte 
ganz  allgemein  der  Annahme  angelsächsischer  Hundertschaften. 
Aus  Beda3)  und  dem  Chron.  Anglosax.4;  selbst  ersehen  wir 

')  Von  diesem  ordentlichen  Gericht  scheint  mir  zu  reden 
II  Edw.  8 Je  wille  p;et  tele  gorefa  luebbe  gemot  ä yuibe  feower 
wucan;  and  gedon,  Ü'set  aclc  spra>c  hirbbe  ende  and  andagan,  hwsenne 
hit  ford'cume. 

Einen  Unterschied  zwischen  diesem  gemot  und  dem  hundredgemot  nimmt 
auch  an  Chadwick,  a.  a.  0.  S.  240. 

*)  S.  oben  S.  62. 

3)  Beda,  Historia  ccclcsiastica  ed.  Plummer  Buch  I. 

4)  Chronicon  anglosaxunicum  cd.  Plummer:  zu  vgl.  die  Nachrichten  bis 
etwa  a.  500. 


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1 88 


deutlich,  daß  die  Nachricht  der  letztgenannten  Quelle  iiher  die 
Einwanderung  der  Sachsen,  Jftten  und  Angeln  im  Jahre  449  nicht 
so  aufgefaßt  werden  darf,  als  seien  in  diesem  Jahre  alle  die 
Germanen  eingewandert,  die  wir  etwa  im  Jahre  (>00  in  England 
finden.  Die  Ansiedlung  war,  wie  Freemann ’)  sagt  „the  result  of 
a series  of  separate  expeditions,  long  continued  and  perhaps  in  point 
of  time,  continuous,  hut  unconnected,  and  independent  of  one  another.“ 
Sie  ist  in  ihrer  Allmählichkeit  zu  vergleichen  der  Landnäma  auf 
Island. 

Dazu  kommt,  daß  sich  schon  vor  der  großen  Einwanderung 
Germanen,  zurückgebliebene  römische  Soldtruppen,  in  England  an- 
gesiedelt hatten,  die,  wenn  sie  sich  nicht  in  die  Organisation  der 
Ureinwohner  einfügten,  auch  nicht  nach  Abzug  der  römischen 
Truppen  Hundertschaftsverbände  und  Hundertschaftsbezirke  er- 
richteten. Die  herüberkommenden  Jiiten,  Sachsen  und  Angeln, 
denen  wohl  schon  kleinere  Züge  vorausgegangen  waren,  werden 
sich  ebenso,  wie  dies  ihre  schon  ansässigen  Stammesbrüder  einst 
getan  hatten,  inmitten  der  einheimischen  Bevölkerung  niedergelassen 
haben.  Kleinere  Abteilungen  von  nur  wenigen  Familien  haben 
sich  wohl  bestehenden  Ansiedlungen  angeschlossen.  Kamen  dann 
und  wann  größere  Haufen,  dann  werden  sich  diese  neue  An- 
siedlungen geschaffen  haben. 

Bei  diesen  Ansiedlungen  wurden  dann  auch  Einrichtungen 
administrativer  und  gerichtlicher  Art  nötig.  Vermutlich  stand  in 
der  ersten  Zeit,  in  der  Einfälle  und  Angriffe  der  Ureinwohner  den 
Frieden  nicht  aufkommen  ließen,  auch  die  Leitung  innerer  An- 
gelegenheiten dem  heretoga  zu.  oder  man  wählte,  was  später  wohl 
Regel  wurde,  einen  ealdonnan.  Das  mußte  dann  dazu  führen, 
daß  sich  allmählich  Qerichtsbezirke  bildeten,  in  denen  regelmäßig 
Gericht  gehalten  wurde.  Es  entstanden  staatliche  Gebilde,  die  in 
ihren  Funktionen  genau  einer  germanischen  Hundertschaft  ent- 
sprachen, insofern  auch  sie  ordentliche  Gerichtsbezirke  waren. 
Aber  was  sie  von  der  Hundertschaft  ebenso  trennte,  wie  etwa  die 
langobardische  sculdasia,  das  war  ihre  Entstehungsgeschichte,  ihr 
Hervorgehen  aus  dem  Bedürfnis,  das  sich  nach  der  kolonisatorischen, 
allmählichen  Inbesitznahme  des  Landes  herausstellte  und  in  einer 


*)  The  nunnan  Conquust  1 S.  15  ff. 


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189 


Weise  befriedigt  wurde,  die  auf  den  Einrichtungen  der  alten 
Heimat  fußte,  aber  sie  nicht  unmittelbar  fortsetzte-. 

Dabei  waren  die  Umstände  für  die  Entstehung  echter  Hundert- 
schaften noch  ungünstiger  als  bei  den  Langobarden.  Wahrend 
hier  das  Volk  noch  in  verwandtschaftlicher  Gliederung  wanderte, 
wie  uns  die  schon  erwähnte  fara  zeigt,  waren  die  einzelnen  Haufen, 
die  unter  einem  heretoga  noch  England  segelten,  Ansammlungen 
von  Kriegslustigen  und  Heutelustigen,  die  dem  Ruf  eines  Führers 
folgten,  bunt  zusammengewürfelt  und  nicht  durch  die  Hände  der 
V erwandtschaft  verbunden. 

Das  sich  so  darbietende  Ergebnis,  daß  das  angelsächsische 
hundred  keine  germanische  Hundertschaft  ist,  bestätigt  sich,  wenn 
wir  auch  noch  einige  der  Bestimmungen  ins  Auge  fassen,  in  denen 
das  lmndred  erwähnt  wird. 

In  einer  Reihe  von  Bestimmungen  erscheint  das  hundred  wie 
die  hynden  der  Jud.  civ.  Lond.  als  eine  Vereinigung  von  10  Zehnt- 
schaften.  So  insbesondere  in  der  Verordnung  über  das  Hundert- 
geniot,  wo  von  dem  teosVingmann  die  Rede  ist.  Aber  auch  in 
II  Cn.  20  „and  we  wyllad  p;et  :ele  freoman  beo  on  hundrede 
and  on  teoflunge  gebroht,  . . . ofer  p;et  he  by<V  XII 
wintre  . . .“, 

eine  Bestimmung,  die  in  einem  Text  überschrieben  ist:  pu*t  ;elc 
mon  beo  on  teoffunge. 

In  diesen  Fällen  zeigt  sie  ihre  enge  Verwandtschaft  mit  der 
hynden1)  und  ist,  wie  diese,  als  ein  rein  persönlicher  Verband 
aufzufassen,  dem  man  ja  auch  nicht  angehört,  weil  man  in  einem 
bestimmten  Gebiete  wohnt,  sondern  nur  weil  und  wenn  man  darin 
aufgenommen  ist  und  dem  der  Minderjährige  nicht  angehört. 
Allerdings  scheint  dem  die  schon  oben  herangezogene  Stelle  zu 
widersprechen. 

Cn.  5.:  Eac  we  cwaedon,  gvf  him  hundred  bedrife  trod 
on  oder  hundred  .... 
zumal  im  Zusammenhalt  mit 

II  As.  8,  4 and  gif  mon  spür  gespirige  of  scyre  on  oiVre  . . . 
Aber  man  darf  nicht  übersehen,  daß  sich  diese  Stelle  auch 
erklären  läßt  ohne  abgegrenzte  Hundredbezirke.  Die  in  einem 

•)  Vgl.  Chadwick  a.  a.  0.  S.  247  Amn.  1. 


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100 


hundred  vereinigten  Personen  werden  schon  von  Anfang  an  auch 
beisammen  d.  h.  benachbart  gewohnt  haben.  Und  aus  diesem 
Grunde  haben  Grenzen  bestanden,  ohne  daß  eine  rechtliche  Ab- 
grenzung stattgefunden  hatte,  oder  überhaupt  Grenzen  von  recht- 
licher Bedeutung  waren.  Wenn  z.  B.  im  Hause  des  dem  hundred  a 
angehörenden  A etwas  gestohlen  wurde  und  man  die  Spur  in  das 
Haus  des  B leitete,  der  dem  hundred  b angehörte,  so  konnte  man 
sehr  wohl  sagen,  daß  die  Spur  aus  dem  hundred  a in  das  hundred  b 
geleitet  worden  war. 

Während  aber  das  hundred  anfangs  nur  als  persönlicher  Ver- 
band der  Verfolgung  von  Dieben  diente,  scheinen  sich  seine 
Funktionen  allmählich  erweitert  zu  haben. 

Aus  der  Verfolgung  und  dem  Einfangen  des  Diebes  mag  sich 
zunächst  das  Bestrafen  des  eingefangenen  Missetäters  und  dabei 
das  hnndredgemot  entwickelt  haben.  Das  hundredgemot  konnte 
nicht  nur  Notgericht  sein,  weil  auch  Gewährenprozesse  in  Frage 
kommen  konnten  und  überhaupt  Beweisaufnahmen.  Von  hier  aus 
scheint  sich  dann  das  hundredgemot,  dem,  wie  schon  hervor- 
gehoben, zunächst  ein  oö'er  gemot  gegenüberstand,  in  dem  wir 
vielleicht  das  kentische  ping  wiederfinden,  zu  einem  Untergericht 
schlechthin  entwickelt  zu  haben,  womit  eine  territoriale  Begrenzung 
Hand  in  Hand  gegangen  sein  mag.  S<>  erscheint  das  hundred  in 
den  Gesetzen  Knuts,  z.  B. 

II  Cn.  31a:  and  gif  hine  man  ajniges  pingces  teo  and- 
swarie  innan  pam  hundrede,  par  he  on  beclypod  beo,  swa  hit 
rihtlagu  sig. 

Diese  Entwicklung  des  hundredgemot  zum  Untergericht  war 
vielleicht  schon  zu  Zeiten  Eadgar’s,  also  Mitte  des  10.  Jahr- 
hunderts vollendet.  Es  ist  nicht  anzunehmen,  daß  das  nur  zweimal 
im  Jahre  stattfindende  scirgemot,  das  sich  überdies  durch  die 
Anwesenheit  des  Shirebischufs  als  ein  höheres  Gericht  charakterisiert, 
alle  Rechtsfälle  außer  Diebstählen  sollte  erledigt  haben. 

Soviel  über  diese  Seite  der  Frage.  Was  sodann  den  Zu- 
sammenhang des  hundred  mit  einem  territorialen  hundred  von 
100  oder  120  Hiden  anlangt,  so  steht  auf  Grund  der  Unter- 
suchungen englischer  Schrittsteller  fest,  daß  es  in  England  Ge- 


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191 


biete  von  100  oder  120  Hiden1)  gab.  Hierbei  ist  es  ohne  Belang, 
daß  und  aus  welchem  Grund  die  einzelne  Hide  in  den  ver- 
schiedenen Distrikten  verschieden  war.  Dagegen  ist  ein  Zusammen- 
hang zwischen  diesen  hundred  und  den  im  Vorausgehenden  be- 
handelten aus  den  Quellen  nicht  ersichtlich.  Auch  die  Stelle  in  den 
Leis  Wl.  28  De  stretwarde.  De  chaseuns  X hides  del 
hundred  un  hume  dedenz  la  feste  seint  Michel  e la  seint 
Martin 

könnte  nicht  dafür  angeführt  werden.  Daß  dieses  hundred  in  Hiden 
geteilt  werden  konnte,  ist  nach  dem  über  die  allmähliche  Ent- 
stehung des  territorialen  hundred  aus  dem  hundred-Verband  Ge- 
sagten nicht  überraschend.  Und  mehr  sagt  die  Bestimmung  nicht, 
insbesondere  nichts  davon,  daß  in  jedem  hundred  hundert  Hiden 
waren.  Das  ist  sogar  unwahrscheinlich,  da  gleich  die  folgende 
Bestimmung  Leis  Wl.  28,1  den  Fall  vorsieht,  daß  der  guardireve 
allein  dreißig  Hiden  besitzt. 

Auch  die  Entstehung  des  persönlichen  hundred  einerseits,  des 
territorialen  andererseits  weist  m.  E.  darauf  hin.  daß  zwischen 
beiden  zu  unterscheiden  ist.  Wie  sollte  das  ohne  jede  Rücksicht 
auf  Hidenzahl  entstandene  persönliche  hundred  mit  dem  Hiden- 
hundred  in  Übereinstimmung  gekommen  sein? 

Der  gleiche  „Name“  hundred  kann  dieses  Ergebnis  nicht 
stören.  Denn,  ganz  anders  wie  huntari  oder  auch  centena,  ist 
hundred  sowenig  ein  Name  wie  hynden.  Es  heißt  „Hundertzahl“. 
Welche  Einheiten  aber  in  der  Hundertzahl  vorhanden  sind,  das 
ist  eine  Frage  für  sich  *) 3). 

Man  kann  somit  der  oben  erwähnten  Schlußfolgerung  von 
Chadwick  nicht  beitreten. 


')  Vgl.  Maitland,  Domesday  boock  and  beyond  S.  451  f.  455;  „We 
secm  te  see  pretty  plainly  that  Worccstershire  has  boon  divided  into  twelve 
diatricts  known  as  hnndrcda,  each  of  which  haa  containcd  100  hides.“ 
Andrews,  The  old  engliah  inanor  8.  78  Annt.  2 (bea.  für  das  kentiache 
hundred  nach  Maitland ) 85  f.  Ko  und,  The  feudal  England.  Chadwick, 
a.  a.  O.  8.  240  ff.  Vgl.  ferner  v.  Ainira,  Grundriß  ’ 8.  72.  Rhamm,  die 
Großhufen  der  Nordgcnnancn  S.  219  ff. 

*)  Über  wapengeta>c  vgl.  d.  Schluß  des  folgenden  Abschnitts. 

*)  Von  hier  aus  entfällt  die  Notwendigkeit,  das  Verhältnis  zwischen 
acire  und  hundred  an  dieser  Stelle  zu  beleuchten.  Auch  wenn  die  scire  in 
der  Regel  ein  ursprünglich  selbständiges  Herrschaftsgebiet  ist,  so  folgt 


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192 


IX.  Hundari,  herath  and  häräth. 

Von  den  nordgermanischen  Rechten  kennt,  wie  schon  oben 
hervorgehoben,  eines,  nämlich  das  schwedische,  den  Hegriff  hundari '). 
Allerdings  ist  er  auch  dort  nicht  über  das  ganze  Land  verbreitet. 
Nur  Upland,  Södermannaland,  Västmannaland  und  das  Stadrecht 
des  Königs  Magnus  Eriksson  kennen  ein  hundari,  nicht  aber  Ost- 
götaland,  Vestgötaland  und  Helsingeland.  Da  wir  aus  dem  Ge- 
biete der  Tiuha*rap  überhaupt  keine  Rechtsaulzeichnungen  be- 
sitzen, so  können  wir  demnach  sagen,  daß  das  hundari  im  Ge- 
biete der  Svear  vorhanden  ist,  in  dem  der  Götar  dagegen  fehlt; 
nur  Helsingelagh  hat  von  den  Landern  «ler  Svear  allein  kein  hundari 
aus  einem  unten  noch  zu  besprechenden  Grunde*).  Die  Ansichten 
der  schwedischen  Schriftsteller  über  das  Wesen  des  hundari  bauen 
im  Großen  und  Ganzen  auf  den  Ausführungen  von  Strinnholm 
oder  von  Verelius  und  Ihre  auf.  So  sagt  z.  R.  Schlvter,  daß 

daraus  natürlich  nicht,  daß  sic  in  Hundertschaften  eingeteilt  war,  wie  man 
dies  — einen  entsprechenden  Zusammenhang  vorausgesetzt  — bei  den 
salischen  Gauen  und  Grafschaften  anzunchmen  hatte.  Doch  möchte  ich 
der  Vermutung  Ausdruck  geben,  daß  der  Name  scirc  keinesfalls  ans  der 
Zeit  solcher  Selbständigkeit  herrührt  und  nicht  über  diu  Gründung  des 
angelsächsischen  Großreiches  hinaufreicht.  Denn  die  scire  (von  scieran- 
sehneiden)  ist  Teil  eines  größeren  Ganzen,  wie  schon  Stuunstrup,  Danelag 
8.  74  hervorgehoben  hat.  Vgl.  über  solche  Zusammenhänge  Chadwick, 
a.  u.  0.  8.  282  ff.  Adams,  a.  a.  0.  S.  19:  „The  facta  above  citcd  authorize 
the  aasumption,  as  a general  law,  oft  the  principle  that  the  State  of  the 
seventh  Century  bccainc  the  Shirc  of  the  tenth,  while  the  Shire  of  the 
seventh  Century  becarne  the  Hundred  of  the  tenth.“ 

')  Vgl. zu  dem  Folgenden  Schljtcr,  Juridisku  Afhandlingar  II  S.  38  ff.  • 
Schlvter,  Uplandslagh  Glossar  s.  v.  hundari,  folkland,  attungr,  fiu-rpungr, 
[ting  und  Index  Noininum.  Naumann,  Svenska  statsförfattningens 
historiska  utveckling  Cap.  1.  J.  Nordstrom,  liidrag  tili  den  svenska 
sainhälls  - fiirfattningens  Hiatoria,  I,  S.  1 1 ff.,  II,  S.  506  ff.  H.  Hildo- 
brandt, Svenska  folket  nttder  hednatiden  S.  202.  TcngbcrgOiu  de  äldste 
territoriale  indclning  i Sverige.  H.  Hildebrand,  Sverigcs  Medeltid.  I. 
Brunner,  ItG.  I3  S.  161  ff.  Schroedcr,  Hg.3  S.  17.  v.  Atnira,  Grundr.3 
S.  72  ff.  E.  Hildebrand,  Svenska  statsförfattningens  historiska  l'tvockling 
S.  11  ff. 

»)  s.  u.  S.  205. 


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1H3 

eine  Hundertschaft  ursprünglich  ein  Landgebiet  war,  das  von  100 
oder  120  Familien  bebaut  wurde1).  Nordström*)  schließt  sich 
an  Strinnholm  an;  ebenso  Naumann3),  H.  0.  Hildebrand4) 
und  E.  Hildebrand5). 

Das  älteste,  zuerst  besiedelte  Land  der  Svear  ist  bekanntlich 
l'pland  und  aus  diesem  Grunde  erscheint  es  angebracht,  das 
schwedische  hundari  an  den  uplündischen  Verhältnissen  zu  unter- 
suchen. 

Aus  Uplandslagh  geht  deutlich  hervor,  daß  das  dort  genannte 
hundari  ein  räumlicher  Bezirk  ist.  Denn  es  wird  davon  ge- 
sprochen. daß  jemand  innerhalb  des  hundari  den  Gewerenzug 
vomimmt*),  daß  kein  hensmann  seine  Pferde  in  das  hundari 
soll  laufen  lassen 7),  daß  in  jedem  hundari  eine  Dingstatt  sein 
soll*),  daß  jemand  innerhalb  des  hundari  einen  Hengst  ein- 
tauscht 9). 

Eine  Beleuchtung  erfahren  diese  Stellen  durch  eine  andere, 
nämlich 

Upl.  V.  XX  p.: 

Nv  six  um  almamingia*.  ligga-r  alnueninga-r  byse  madlum 
»dir  bolstapa-,  a-r  ra  ok  rör  til.  w;eri  pad  wa*rit  hawa*r.  a*r  ;ei 
ra  ok  rör  til  pa  taki  hwar  by  hallfwam  almaming.  Liggia*  ok 
vm  en  almaming  flere  bya-r  ok  a*r  ad  skiad  bya*  madlum,  taki 
slict  by  sum  by  liwat  han  ligg<er  fore  mene  »dir  minna*.  ligg<er 
alm;eningo‘r  hunderte  ma*llum  ad  Ir  folklandte.  ;er  ad  ra  ok  rör 
til.  hawi  hallfwam  almamninghwart.  ligga'r  almaminga-r  humhene 
madlum  ;er  ra  ok  rör  til  wseri  pad  want  ser.  ;er  a*i  ra  ok  rör 
til  skipti  w»*wildrad  pera*  madlum  j prv  sunda-r  twa  löti  wars- 
koghier  ok  pripiung  almamingter.  Liggoer  almeningier  hundara* 
nuellum  »dir  folklanda*  hawi  halffwam  alnnening  hwart.  (Nun 

■)  Afliandlingar  II  S.  32. 

*)  a.  a.  0.  I 8.  14  f. 

s)  a.  a.  0.  S.  4 f. 

*)  a.  a.  O.  I 8.  42. 

5',  a.  a.  0.  S.  11. 

ö)  Upl.  M.  XLV.  „GripaT  inan  til  homuls  maus/,  innam  liunilinris. 

1)  Upl.  Kp.  X.  § 2 „aingin  lunrrai  adlr  latnsman  ma  sin»)  luvst»’  j 
lmml»*ri  lata)  rinn»*. 

“)  Upl.  p I pr.  . . . en  akal  pinxstapurr  waira^  i hnndaTi  hwariu. 

v)  l'pl.  Kp.  V.  „Skiptir  man  luestum  innam  hundarU. 

».  Schwerin,  altgerm.  Hunden  schalt  13 


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19-1 


wird  gesagt  von  dem  Almänninger.  Liegt  ein  A.  zwischen  Dörfern 
oder  Hofstätten  und  ist  eine  Grenze  aus  Steinen  vorhanden,  so 
soll  es  sein  wie  es  war.  Ist  keine  Steingrenze  vorhanden,  dann 
nimmt  jedes  Gehöft  den  Almänniger.  Liegen  um  einen  A.  mehrere 
Dörfer  und  ist  keine  Grenze  zwischen  den  Dürfen,  so  nimmt 
jedes  Dorf  gleich  viel.  Liegt  ein  A.  zwischen  Hundaren  oder 
Volkslündern  und  ist  keine  Steingrenze  da.  dann  hat  jedes  die 
Hälfte  des  A.  Liegt  der  A.  zwischen  Hundaren  und  ist  eine  Stein- 
grenze da,  so  soll  es  sein,  wie  es  war  (wie  man  es  gewöhnt  ist). 
Ist  keine  Steingrenze  da,  so  teilt  man  gradlinig  zwischen  ihnen 
in  drei  Teile,  zwei  Teile  werden  Privatwald,  einer  wird  A.  Liegt 
der  A.  zwischen  Hundaren  oder  Volkslanden,  so  habe  jedes  den 
halben  A.) 

Der  Sinn  dieser  Bestimmung  ist  insofern  etwas  unklar,  als 
der  letzte  Satz  nur  früher  Gesagtes  zu  wiederholen  scheint.  Immer- 
hin läßt  sich  der  wesentliche  Inhalt  mit  Bestimmtheit  feststellen. 

Gehandelt  wird  von  dem  almenninga-r,  was  nach  Schlyter  silva 
et  pascuum  commune  ist,  jedenfalls  aber  Land,  das  nicht  im 
Privateigentmn  steht.  Wenn  nun  eine  solche  Allmende  zwischen 
zwei  Dörfern  oder  Gehöften  liegt,  dann  soll  sie  jedem  zur  Hälfte 
zufallen,  d.  h.  die  Einwohner  jedes  Dorfes  und  jede  Hofstatt  sollen 
die  Hälfte  zur  Rodung  haben.  Es  wird  also  unterschieden  zwischen 
dem  by  und  dem  bolstaper  einerseits,  dem  almenninga*r  anderer- 
seits, als  zwischen  verschiedenen  räumlich  abgegrenzten  Teilen  des 
Bodens.  Das  Gesetz  fährt  nun  fort  und  stellt  den  Fall  so,  daß 
nicht  ein  by,  sondern  ein  hundari  oder  ein  folkland  in  Frage  steht. 
Daraus  folgt,  daß  auch  hundari  und  folkland  vom  almenningser  ver- 
schiedene Bodenflächen  sind  und  infolgedessen  nehmen  die  hundari 
nicht  die  ganze  Fläche  von  Upland  ein,  solidem  nur  einen  Teil, 
nämlich  Upland  abzüglich  aller  Allmenden. 

Es  ergibt  sich  aus  demselben  flokker,  daß  hundari  auch  eine 
andere  Bedeutung  haben  kann,  als  diese  eingeschränkte  des  be- 
nützten und  bewohnten  Landes.  Denn  „a-neti  hundieri  ;ellr  bol- 
stapa-r  ma  annaers  allinaming  t'ar;e  a-llr  fikia-  hwarti  j skoghum 
aellr  watnum  ut;en  hau  hawi  loff  a-llr  legliu  fore  sik“  ’).  Die  Allmende 
gehört  also  zu  einem  hundari,  sie  ist.  annars  almseningier.  Und 


>)  UpL  V.  XX.  § 3. 


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195 


hieraus  folgt  nun  wiederum  die  weitere  Bedeutung  von  hundari, 
zufolge  deren  die  Summe  der  Hundari  in  Upland  gleich  ist  ganz 
Upland;  denn  da,  wo  eine  Steingrenze  die  Allmende  teilt,  stößt 
ebenso  die  Allmende  des  einen  hundari  an  die  des  anderen,  wie 
da,  wo  man  sie  erst  errichtet,  oder  jedem  die  Hälfte  zufällt, 
sodaß  das  Land  aufgeteilt  ist.  Zu  dieser  weiteren  Bedeutung  von 

hundari  stimmt  es  auch,  daß  für  einen  in  dem  ahmeningoer  Er- 

schlagenen  das  hundari  zu  zahlen  hat,  in  dem  er  liegt1). 

Es  ergibt  sich  also,  daß  die  hundari  einzelne  Gebiete  sind, 

in  die  Upland  zerfällt.  Wie  sie  entstanden  sind  und  welchem 

Zwecke  sie  im  Lande  dienen,  soll  das  Folgende  zeigen. 

Das  hundari  war  wieder  in  mehrere  Teile  zerlegt.  Für  be- 
sondere Zwecke,  wie  die  Verproviantierung  des  Heeres  und  den 
Brückenbau  bestand  eine  Teilung  in  Hälften;  sodann  zerfiel  jedes 
hundari  in  Achtel  (attungr)  und  in  Viertel  (fberpungr),  jedes 
Achtel  in  hampna J). 

Andererseits  war  je  eine  Anzahl  von  Hundaren  zu  größeren 
Bezirken  zusammengefaßt,  nämlich  zu  «len  drei  Volkslanden  Tiun- 
«laland,  Attundaland  und  Fheprundaland. 

Zu  diesen  Namen  sind  zunächst  einige  Bemerkungen  zu 
machen.  Es  ist  in  den  drei  Wörtern  das  h vor  u geschwunden, 
sodaß  wir  es  bei  der  zweiten  Kompositionshälfte  ursprünglich  mit 
einem  Worte  hundaland  zu  tun  haben  *).  Die  ersten  Kumpositions- 
hälften  sind  die  Zahlen  tiu,  atta  und  fiurir,  das  als  Präfix  die 
Form  fi;«-per  — annimmt4).  Erinnern  wir  uns,  daß  liund  das  alte 
Wort  für  hundert  und  der  allgemeine  Mengebegritf  ist,  und  fügen 
hinzu,  daß  hund-a  der  Genetiv  Plural  eines  neutralen  a-Stammes 
ist.  so  zeigt  sich,  daß  hundaland  nichts  anderes  ist,  als  das  Land 
der  Hunderten h).  Tiundaland  ist  das  Land  der  zehn,  Attundaland 
das  der  acht,  Fheprundaland  das  der  vier  Hunderte. 


')  Upl.  M.  VIII.:  „Wmrpier  inan  wicghin  ok  ahcgbin  j gatum  . . . 
adlr  nlimeningiuin  . . . han  :er  gildicr  at  tiughum  tiuruni  . . . p.et  a hun- 
tkeri  giaeldat  c hwar  pa't  liggier. 

a)  Vgl.  statt  aller  Upl.  Kg.  X und  V.  XXIII. 

3)  Vgl.  Noreon  Altscbwcdiachc  « Irammatik3  § 24li. 

*)  ebenda  § 483  Amn.  2. 

4)  Bugge  a.  a.  O.  (oben  S.  14  Anin.  8)  S.  15.  Hildebrand  Svrriges 
Aledeltid  II  S.  37. 

13* 


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Wenn  wir  nun  andererseits  beachten,  daß  in  der  Tat  Tiunda- 
land  zehn,  Attundaland  acht,  Fia-prundaland  vier  hundari  enthielt, 
so  ist  klar,  daß  hund  das  ursprüngliche  Wort  für  den  Begriff  war, 
den  die  Schweden  späterhin  hundari  hießen,  wir  Hundertschaft 
nennen.  Darin  liegt  zugleich  eine  Bestätigung  dafür,  daß  hundari 
auf  hund  zurückzuführen  ist. 

Zu  bemerken  ist  hierzu  noch,  daß  in  spaterer  Zeit  Fiseprunda- 
land  statt  vierer  fünf  Hundaren  enthalt,  Tiundaland  dreizehn  statt 
zehn1).  Aber,  wie  schon  Schlyter  hervorgehoben  hat*),  ist  dies 
darauf  zurückzuführen,  daß  in  diesen  beiden  Volkslanden  eine 
Teilung  alter  Hundaren  in  mehrere  jüngere  vor  sich  gegangen  ist. 

Soviel  über  die  räumlichen  Verhältnisse  des  upländischen  hundari. 

Wie  aber  centena  nicht  nur  ein  Gebiet  bezeichnete,  sondern 
auch  eine  Gruppe  von  Menschen,  so  können  wir  auch  bei  hundari 
eine  solche  Doppelbedeutung  feststellen.  Am  deutlichsten  tritt  ge- 
rade die  Parallele  zu  centena  hervor  in  Upl.M.  VIII  pr. 

„pa*r  a hundari  banae  Anna*  innaen  nat  ok  iamlamgae  adlr 
botum  uppi  haldae“. 

Das  hundari,  in  dem  der  Erschlagene  gefunden  wird,  zieht 
aus,  den  Mörder  zu  suchen  und,  wenn  es  ihn  nicht  findet,  muß 
es  die  Buße  an  die  Verwandten  des  Toten  zahlen  3).  Wir  werden 
aber  auch  hier  annehmen  dürfen,  daß  nicht  das  ganze  hundari 
auf  die  Suche  ging,  sondern  nur  ein  eben  nötiger  und  ausreichender 
Teil,  ähnlich  wie  bei  der  centena. 

Dagegen  sind  die  Inwohner  des  hundari  in  ihrer  Gesamtheit 
gemeint,  wenn  es  in  Upl.M.  XVII  pr.  heißt: 

„Nu  will  man  witse  drap  sa*tt  ok  bött  kiarir  malseghande 
septir  botum  ad  Ir  knnungar  adlr  hundari  . . 

Äußerst  zahlreich  sind  die  Fälle,  in  denen  das  hundari  einen 
Teil  der  zu  zahlenden  Buße  erhält.  So  kommt  ihm  zu  ein  Drittel 
der  Buße,  wenn  ein  bonde  den  in  seinem  Hause  liegenden  Leich- 
nam früher  als  vor  Ablauf  von  drei  Nächten  aus  dem  Hause 


*)  Die  Entwicklung  der  einzelnen  Gebiete  bei  Schlyter  Afh.  I S.  GGff. 
Styffo,  Skandinavien  under  l'nionstiden  S.  262 tf. 

*)  Corpus  Iuris  Svoo-Gothorum  ant.  Bd.  III.  Glossar  s.  v.  FjjBprunda- 
lund:  Afh.  11  S.  71  ff. 

3)  Vgl.  dazu  1'plM.  IX.  § 3 . . . hittis  ad  drapariu  pa  giaddi  humberi 
sum  fyrr  ser  saght. 


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197 


bringt1),  acht  örtuge  im  Falle  eines  Totschlags“);  es  nimmt  Teil 
an  der  einen  Hälfte  des  tveböte 3). 

Hundari  ist  somit  auch  Bezeichnung  für  einen  bestimmten 
Kreis  von  Personen,  der  innerhalb  eines  Hundari  wohnt.  Daß 
nicht  alle  Inwohner  des  Hundari  in  diesen  Kreis  gehören,  sondern 
nur  die  voll  Rechtsfähigen,  dürfen  wir  wohl  aus  den  eben  an- 

geführten Stellen  schließen. 

Nach  diesen  einleitenden  Bemerkungen  können  wir  zu  der 
Hauptfrage  übergehen,  dem  Zusammenhang  des  upländisehen  hundari 
mit  der  altgermanischen  Hundertschaft,  wobei  zunächst  die  Funk- 
tionen des  hundari  ins  Auge  zu  fassen  sind. 

Das  hundari  erscheint  in  Upland  als  Dingbezirk.  In  jedem 
hundari  soll  eine  Dingstatt  sein,  an  der  der  hensman  alle  sieben 

Tage  Ding  abhalten  muß.  Neben  sich  hat  er  zwei  vom  Volke 

gewählte  Gerichtspersonen,  die  domarar4).  Auch  der  lajnsherr 

kann  ding  halten 5). 

( her  dem  hundarisping  steht  das  folklandsping  als  Gerichts- 
versammlung der  drei  Volklande  von  Uppland : Attundaland,  Fheprun- 
daland,  Tiundaland  (ping  allra  svia). 

Zum  Verständnis  der  Funktion  dieser  Gerichte  muß  auf  ihre 
frühere  Geschichte  zunickgegriffen  werden.  Nach  der  Errichtung 
des  schwedischen  Königreichs  unter  Erik  Emundsson  erscheint 
allerdings  das  hundarisping  als  das  Gericht  des  untersten  Gerichts- 
bezirks und  diese  Stellung  hatte  es  Zeit  seines  Bestehens.  Das 
folklandsping  aber  erscheint  zu  dieser  Zeit  als  eingeschoben  zwischen 
der  staatlichen  Centrale,  dem  König,  und  dem  hundarisping  als 
das  Gericht  eines  Mittelbezirks.  Dies  entspricht  nicht  den  histo- 
rischen Verhältnissen. 

Aus  der  Ynglingasaga®)  wissen  wir  z.  B.  daß  Fkeprundaland 
und  Attundaland  unter  eigenen  höftjingjar  standen,  die  bis  zur 


•)  UplK.  XII.  § 1. 

“)  UplM.  IX.  § 1,2. 

*)  ebenda  XI  § 5,  fi. 

*)  Vgl.  über  den  douiarc  Schiller  Afli.I  S.209f.  II  S.  104.  v.  Amiru 
Obl-K.  1 S.  98.  Nordström  II  S.  765ff. 
s)  Upl.  p.  I pr. 

6)  In  der  Ausgabe  der  Ileimakringla  des  Sainfiind  til  tidgiv.  af  gainniel 
uurdisk  Literatur.  (1893.)  Hrsg,  durch  F.  Jungson!  S.  !)ff  eap.  3411'. 


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19« 


Zeit  Jngiald's  keinem  König  unterworfen  waren.  Sodann  berichtet 
die  Olafssaga  h.  h. '),  nachdem  sie  die  einzelnen  Teile  von  SviftjöiV 
aufgezählt  hat,  nämlich  Södermannaland,  Vestmannaland,  Fja*I> runda- 
land, Tiundaland,  Attundaland  und  Sj ne  11  and  in 

cap  77  ....  I hverri  peiri  deild  landzins  er  sitt  l<jg- 
ping  ok  sin  lpg  um  marga  hluti;  yfir  hverjum  lQgum  er 
lqgmatVr,  ok  r;HVr  hann  mestu  viff  birndr,  pviat  pat  skolu 

lqg  vera,  er  hann  rasiVr  upp  at  kveö'a 

Und  in  K.  7«  und  If.  berichtet  sie  dann  von  porgnyr,  dem  Iqgmapr 
von  Tiundaland  und  seiner  Tätigkeit  am  Upsalaping  *). 

War  auch  damals  schon  das  Königreich  Schweden  errichtet 
und  das  Übergewicht  des  lQgmapr  von  Tiundaland  über  die  lQgmen 
der  übrigen  Volkslande  begründet,  so  ersehen  wir  doch  daraus, 
dal!  jedes  folkland  sein  lqgping  hatte  und  eine  eigene  laghsagha 
bildete,  dal!  die  drei  später  in  Uppland  vereinigten  Volklande  ur- 
sprünglich selbständige  und  unabhängige  staatliche  Gebilde  waren3) 
und  daß  ihre  Stellung  als  Mittelbezirk  einer  größeren  Organisation 
erst  im  Laufe  der  Zeiten  sich  herausgebildet  und  den  ursprüng- 
lichen Zustand  verwischt  hat4). 

Von  hier  aus  ergibt  sich,  wenn  wir  die  uppländische  Gerichts- 
verfassung mit  der  germanischen  vergleichen,  eine  Parallele  zwischen 
den  beiden  Gerichten  der  germanischen  Periode  einerseits,  folk- 
landsping  und  hundarisping  andererseits.  Und  es  ist  wohl  der 
Schluß  gerechtfertigt,  daß  die  noch  nachweisbaren  hundarisping- 
Stätten  noch  in  die  gennanische  Zeit  zurückreichen. 

Allerdings  ist  das  historische  hundarisping  dem  germanischen 
gegenüber  jedenfalls  insoweit  verändert,  als  es  in  dem  hensmapr 
einen  Leiter  hat,  der  schon  seinem  Namen  nach,  aber  auch  bei 
seinem  engen  Zusammenhang  mit  der  Königtumsverfassung  nicht 
in  die  germanische  Zeit  zurückreichen  kann.  Dagegen  vermittelt 

')  Hierüber  auch  Schlytor  Afh.  II  105. 

’)  Vgl.  hierzu  auch  die  Urenzrcgulierung  zwischen  Dänemark  und 
Schweden  Dipl.  Succ.  I S.  28,  wo  neben  Vertretern  von  Vestmannaland  und 
Ogtgötaland  solche  von  Tiundaland  und  Fiseprundaland  auftreten. 

3)  Die  historischen  Verhältnisse  werden  vollkommen  übersehen  von 
K.  Hildebrand  a.  a.  O.  S.  12,  weshalb  dort  die  Annahme  vertreten  wird, 
es  könne  zwischen  hundari  und  Land  ein  Zwischenbezirk  eingeschoben  sein. 
*)  ebenda  II. 


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199 


der  domare  den  Zusammenhang  mit  der  frflheren  Periode,  wenn- 
gleich sich  auch  bei  ihm  schon  in  dem  dom  i luendrer  sa*tti;e 
durch  den  Kfinig  eine  Neuerung  zeigt. 

Der  domare  steht  parallel  dem  friesischen  äsega,  insofern  seine 
Hauptaufgabe  das  döm;e,  die  Urteilfindung  *),  ist.  Daneben  obliegt 
ihm  die  Schätzung  des  Gutes  des  Contumazierten  *),  mit  ihm  und 
den  Dingzeugen  wird  das  Dingzeugnis  erbracht5),  er  beteiligt 
sich  an  der  Haussuchung4). 

Ganz  ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  in  Vestmannaland  •).  Das 
hundari  erscheint  als  Bezirk,  aus  dem  Zeugen  genommen  werden 
müssen6),  und  erhält  Bußen1).  Das  hundari  empfängt  die  Hälfte 
der  Bußen  bei  pinglama*),  ferner,  wenn  jemand  am  Ding  zu  spät 
seine  Rede  verbessert“),  wenn  ein  anderer  als  die  rechte  Partei 
wettet").  Gerade  in  diesen  Fällen  zeigt  es  sich  deutlich,  daß 
das  hundari  der  Dingverband  ist  und  von  hier  aus  ist  besonders 
bedeutungsvoll,  daß  in 

Vestm.  I [>.  1 : „pingaripi  skulu  prea  wara  oc  i netum  oc 

gamblum  f>ings  stapum  oc  r;etum  pings  daghum“ 

Gewicht  gelegt  wird  darauf,  daß  das  Ding  an  der  althergebrachten 
echten  Dingstätte  stattfinden  soll;  denn  daran  sehen  wir,  daß 
das  hundari  in  Vestmannaland  zur  Zeit  der  Abfassung  von  Vest- 
mannalagh  derselbe  Bezirk  war,  wie  in  früherer  Zeit“).  Im 

')  Upl.  p.  II  § I:  Nu  rt  donnrri  a pingi  ok  will  a?i  döuiie:  Vgl. 
noch  ebda.  Kk.  XIX.  § 5 .K  XXV  § 1. 

*)  cbd.  p.  III  pr.  J p.  Nu  pryzk;cs  lian  sum  lyrrse  pa  a donueri  a 
samu  pingi  inst  i garp  bans  döm ;p. 

3)  cbd.  M.  1 § 2 . . fylli  pa  p;en  wip  swar  sitier  nuep  dumar.T  sinum 
ok  pingwitnum  prim,  at  ban  hawier  laghlika«  bamenum  fylght. 

4)  ebd.  M.  XLV1I  Nu  will  man  ranzakac  reptir  goz  sinn  piull'  stolno. 
pa  skal  lian  j garp  gangie  map  siex  mannum  tryggum  ok  bolfastum  sio-lfw.-cr 
w.xri  lian  siundi.  attundi  wwri  Iamsman  adlr  domaeri. 

s)  Der  ältere  Name  für  dieses  Land  war  nach  Gcijer,  Geschichte 
von  Schweden  I S.  70  Tuhundra. 

")  Vestm.  II  p.  XVIII.  § 3.:  ,\Vitne  scal  man  iunan  hundiercs  taea  . .,“ 

0 Z.  B.  Vestm.  I.  M.  1 pr;  2 pr:  19.  B 4:  38.  piufn,  1 6. 

•)  Vestm.  I p.  1 pr. 

*)  cbd.  I p.  9. 

“)  ebd.  I p.  II. 

")  Vgl.  noch  cbd.  IL  M.  XXL 


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•200 


übrigen  hat  auch  hier  der  bensman  den  Vorsitz  im  Ding  er- 
halten; neben  ihm  linden  wir  noch  in  Upland  die  domarar'). 

Über  dem  hundarisping  stellt  den  inneren  Verhältnissen  ent- 
sprechend das  Folklandsping1). 

Mehr  an  Uplandslagh  klingen  aber  an  die  einschlägigen  Be- 
stimmungen von  Södermanna  lagli. 

Hier  linden  wir  wieder  Vorschriften  Ober  die  Beteiligung 
des  hundari  hei  Ermordung.  Das  hundari  muß  den  banaman 
finden  oder  Buße  zahlen;  das  hundari  wird  durch  bupkafla  von 
'dem  Morde  benachrichtigt.  Es  erscheint  das  hundari  als  die 
Menge  der  in  einem  Bezirke  wohnenden  Personen,  oder  doch 
eines  Teils  dieser  Personen,  der  Dingpflichtigen;  deshalb  wechselt 
auch  hundare  hup  fa  mit  hundaris  mannum  hup  fa3).  Räumlicher 
Bezirk  ist  das  hundari  in 

Söderm.-L.  piufn.  VIII:  han  scal  fanga  man  sin  ;en  han 
innsen  hundaris  a-r  i.  III  pinx  dagha  framcoma  eller  winga- 
naman  oe  sie  of  handum  lep:e.  a*ru  pe  bape  utan  hundaris 
ligge  firi  hanum  nat  oc  manaper.  .Eru  pe  bape  utan  lanz 
oc  lagh  saghu  liawi  firi  sic  nat  oe  iamlanga  *). 

Zugleich  sehen  wir  an  dieser  Bestimmung,  wie  auch  in  Söder- 
mannaland das  hundari  die  einzige  territoriale  Abteilung  inner- 
halb des  „Landes“  ist,  das  sich  durch  die  Bezeichnung  als  laglt- 
saglia  zugleich  als  ein  ursprünglich  selbständiges  politisches  Ganzes 
erweist. 

Ganz  an  Uplandslagh  schließen  sich  an 

Söderm.-L.  Kp.  XIII  § 1.  Hulikin  luerra  eller  lamsman 
luestie  sina-  i hundare  sa*nder  at  fiipje  oc  fopra.  Hawi 
forgiort  ha*stena?  oc  pem  taki  kunungin. 
sowie  die  Bestimmungen  über  die  Abhaltung  des  ping  in  p.  1 und  II. 

Halt  man  diese  einzelnen  Vorschriften  zusammen  sowohl  mit 
der  Tatsache,  daß  das  hundari  in  diesen  Gebieten,  Upland,  Vest- 

')  Vgl.  ebd.  I p 4:  p 1 pr.  lind  bezüglich  der  Funktion  des  dumuri 
1 p 2. 

T)  ebd.  11  M.  XXXIII.:  <cro  a-i  po  til  pa  lyso  i by  pem  mestu,  lysc 
fore  humberus  pingc  oc  fore  sokn  sinne  . . . . oc  a han  lysa  Iure  folklanz 
pinge  fynd  pe  hau  hitt  hafwrer. 

*)  Södorm.-L.  XXII. 

')  Vgl.  hiezu  ebd.  J.  VII  §•! 


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201 


mannaland  und  Södermannaland  als  der  ordentliche  Gerichtebezirk 
erscheint  und  als  der  einzige  unter  dem  Landsding,  als  auch  mit 
der  Tatsache,  daß  es  auch  seiner  Bezeichnung  nach  eine  Hundert- 
schaft ist,  so  ist  der  Schluß  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  daß 
diese  hundari  alte  germanische  Hundertschaften  sind  und  in  die 
heidnische  Zeit  zurückreichen.  Im  Stadtrecht  von  K.  Magnus  Eriks- 
son  kommt  das  hundari  nur  an  einer  Stelle  vor,  nämlich 

Thju.  XIII  § 1 : Mcedh  ha-st,  hors,  oxa  ma  man  yrkia 
ok  sina  tharffwer  göra,  ok  siin  a*rende  fara  innan  stadhen 
ok  ha-radhet  tlier  thet  hit  aer,  sidhan  thet  laghlyst  a*r  ok 
lagha  witne  til  taken  ;eru  badhe  i stadhen  um  ok  hundarcno. 

Ganz  treffend  stehen  hier  die  Stadt  und  das  hundari  in  einem 
Gegensatz.  Die  Bedürfnisse  der  Stadt,  die  von  denen  des  flachen 
Landes,  die  ja  auch  zur  Ausbildung  von  besonderen  Stadtrechten 
geführt  haben,  verschieden  sind,  veranlaßten  eine  unterschiedliche 
Behandlung  dieser  Gebiete1). 

Die  Benennung  hundari  ist  im  Laufe  der  Zeit  verdrängt 
worden  durch  die  Bezeichnung  herafi.  So  heißt  z.  B.  das  upp- 
ländische  Simbohundari  schon  1415  Simboherap s).  Charakteristisch 
hierfür  ist,  daß  verschiedene  spätere  Handschriften  von  Upplands- 
lagh  das  im  Texte  stehende  hundari  durch  herap  ersetzen3); 
ja  es  findet  sich  sogar  in  einem  Codex  eine  Marginalnote:  hun- 
dareno  thet  är  heredeno4). 

Dieser  Wechsel  der  Bezeichnung,  der  in  den  sachlichen  Be- 
ziehungen des  hundari  nicht  die  geringste  Veränderung  zur  Folge 
hatte,  legt  die  Vermutung  nahe,  daß  das  in  den  übrigen  nicht 
in  hundari  geteilten  Teilen  von  Schweden  vorkommende  herap 
der  Sache  nach  dem  hundari  vollkommen  entspricht 

Die  Etymologie  von  ha-rap  oder  hera<V,  wie  die  altnorwegische 
Form  lautet,  ist  bestritten.  K.  Maurer  hatte  als  Grundwort  her 

■)  Übordas  hundari  auf  Gotland  vgl.  Schly  tur  Glossar  zu  Gotlandslagh. 
s.  v.  hundari:  ders.  Afh.  II  S.  64. 

3)  Styffc,  a.  a.  O.  S.  263.  Daraus,  da  LS  uns  die  Quellen  in  die 
Übergangszeit  führen,  erklärt  sich  wohl  das  Nebeneinander  von  hundari 
und  hserap:  vgl.  E.  Hildebrand,  a.  a.  0.  S.  13. 

*)  Ebenso  bei  Vcstgntalagh : vgl.  Schlyter.  Corpus  V S.  107.  Anm. 
43.  S.  109  Anm.  4. 

4)  Schlyter.  Corpus  III  S.  45.  Anm.  37. 


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•202 


= Heer  und  dazu  Hie  Ableitungssilbe  — ap  angenommen'). 
Andere  Forseher  vertreten  die  Entwicklung  aus  einer  ursprüng- 
lichen Form*  her-ratV.  Dieses  Wort  soll  zunächst  „Herrschaft 
(Leitung)  über  ein  Heer“  bezeichnen,  später  dann  den  Distrikt 
eines  Hersir  *).  Endlich  ist  auch  die  Ansicht  ausgesprochen 
worden,  daß  herap  (lnerap)  eine  altnordische  Form  des  isl.  liiriY 
und  aschw.  liirj»  ist,  die  Fortbildung  eines  german.  Suhstantivums* 
hiwa-rcfeöa  = Hauswesen,  Familienwesen.  Dann  wäre  die  Grund- 
bedeutung von  hnerap  etwa  Niederlassung  einer  Familie3). 

Ich  wage  nicht,  diese  Kontroverse  hier  zu  entscheiden.  Ist  die 
letztgenannte  Etymologie  richtig,  so  können  wir  in  der  Bezeichnung 
hierap  einen  Beweis  für  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  des  im 
ha-rap  angesiedelten  Haufens  sehen.  Ist  dagegen  die  Zusammen- 
setzung mit  her  anzunehmen,  so  müssen  wir  uns  erinnern  an 
den  Gebrauch  dieses  Begriffes  zur  Bezeichnung  einer  beliebig 
großen  Menge,  und  an  die  Stelle  der  kenningar:  herr  er  hundrat*). 
Jedoch  ist  hierzu  noch  eine  Bemerkung  vonnöten.  Hundrat  ist. 
wie  oben  erwähnt*),  das  gezahlte  hundert.  Man  könnte  dadurch 
versucht  sein,  gerade  diese  Stelle  für  eine  Zahlentheorie  zu  ver- 
werten und  auszuftthren,  daß  das  herap  ein  Complex  von  hundert 
(Hilfen.  Menschen  oder  Familien)  sein  müsse.  Aber  dem  wäre 
entgegenzuhalten,  daß  in  den  Kenningar  schon  die  oben  als  sinn- 
widrig bezeichnete  Verwendung  von  hundrap  als  Mengenwort  auf- 
tritt.  Dies  ergibt  sich  aus  dem  Zusammenhang.  Wenn  dort 
tlokkr  zur  Umschreibung  von  fünf  gebraucht  wird,  öld  zur  Um- 
schreibung von  achtzig,  so  ergibt  sich  hieraus,  daß  es  dem  Skalden 
nicht  auf  sich  mit  den  Zahlen  deckende  Begriffe,  sondern  auf 
allgemeine  Bezeichnungen  ankam. 

Die  stärkste  Stütze  für  die  hier  vertretene  Theorie  über  das 
Wesen  der  Hundertschaft  läge  in  dem  Worte  Inerap,  wenn  in 

*)  Kritst.  des  isl.  Staates  S.  1 Anin.  1. 

*)  Kalk  og  Torp,  Ktymolugisk  Urdbug  s.  v.  herred. 

*)  Tamm,  Etymulogisk  Ordbog.  g.  v.  bärad.  Nomen,  Altschwed. 
tirarnm.  * § 99.  Brate,  Arkiv  lör  nord.  tilulogiu  N.  F.  V S,  130. 

*)  Skaldskaparmal  76. 

s)  S.  62» 


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•203 


ihm,  wie  Tamm  als  möglich  hinstellt,  beide  Ableitungen  ver- 
einigt wären*). 

Zur  näheren  Untersuchung  diene  das  herap  in  Vestgötaland. 

Dieses  herap  zerfällt  wie  das  upländische  hundari  in  fjaerpunger, 
jeder  fjaerpunger  wie  dort  in  attunger.  Nach  oben  hin  vereinigen 
sich  sämtliche  herap  von  Vestgötaland  zu  diesem  einen  Land; 
Vestgötaland  bildet  eine  eigene  laghsagha  und  steht  insofern 
Tiundaland,  Attundaland  und  Fja-prundaland,  Vestmannaland  und 
Södermannaland,  nicht  Uppland  gleich. 

Dementsprechend  ist  auch  die  Gerichtsverfassung  geordnet. 

Oberste  Instanz  ist  das  landsping,  parallel  dem  upländischen 
folklandsping,  von  dem  das  ra-fsingaping  wohl  eine  Abart  ist. 
Im  herap  findet  das  herapsping  statt.  Dieses  aber  wird  nicht 
vom  l;ensinan  geleitet  und  berufen,  der  in  Vestgötaland  nur  Kin- 
treiber  königlicher  Gefälle  und  Steuern  ist,  sondern  vom  heraps- 
höfd'ing,  der  schon  seinem  Namen  nach  ein  weit  älteres  Gepräge 
hat  als  der  hensmapr;  er  ist  der  taciteische  princeps5). 
Aber  nicht  dieses  ist  das  interessante,  sondern  das  Fehlen  des 
domare.  Vestgötalagh  kennt  keinen  vom  Gerichtsleiter  verschiedenen 
Urteiler.  Und  ob  dann  der  herapshöfiVing  in  Vestgötaland  die 
Funktionen  des  domare  hatte,  erscheint  fraglich.  Von  dem  dom 
eines  heraphöfding  erfahren  wir  erst  aus  Vg.  II  Add.  13  § 1 und 
den  excerpta  Lydekini  (III  74).  Hieraus  ist  wohl  zu  schließen, 
daß  im  14.  Jahrhundert  die  Tätigkeit  des  Urteilens  auf  den  heraps- 
höfding  übergegangen  war,  andererseits  aber  macht  das  Schweigen 
der  älteren  Quellen  wahrscheinlich,  daß  zur  Zeit  von  deren  Ab- 
fassung das  Urteil  noch  nicht  ihm  oblag,  sondern  von  jedem  Ding- 
pflichtigen erteilt  werden  konnte5).  Im  älteren  Text  von  Vg.  er- 
scheint der  heraphöfding  nur  als  Vorsteher  des  herap  und  als 
Leiter  aber  nicht  als  Urteiler  im  herazping.  Vom  heraphöfding 
wird  die  Berufung  eines  Things  verlangt: 

Vcstg.  I piu.  6 . . . Nu  kuapoer  han  ne  vip,  pa  skal  sa 
sighiie  til  sinum  lneraeszhöfpinga*,  han  skal  ping  til  namme. 

*)  a.  a.  0. 

*)  v.  Amira  Gnindr.1  S.  73:  Hers.  Oblig.-K.  I.  S.  30.  100.  278.  Vgl. 
ferner  Lehmann  der  Königsfriede  der  Nordgemianen  8.  IO  f. 

*)  Dies  nimmt  auch  Lehmann  a.  a.  0.  8.  1 1 f.  an.  Unrichtig  aber 
ist  diu  Verallgemeinerung  für  ganz  Schweden. 


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•204 


Mit  dem  Eid  von  24  namidarmen  und  dem  des  heraphöWing 
klagt  der  Ehemann  gegen  den  von  ihm  erschlagenen  Ehebrecher. 

Vestg.  I M.  11:  . . . föri  til  pings,  lati  sea  blöd  ok 
b.-etuV,  giui  döpum  sak  ok  uittni  mied  tuanni  tylftum  n*m- 
dar  mans  uittuin  ok  hierasshöfping* '). 

Sieht  man  also  auf  die  Stellung  des  heraphöfding,  so  ist  beim 
herazping  der  Zusammenhang  mit  der  germanischen  Hundert- 
schaftsversammlung viel  deutlicher  als  beim  hundari,  wo  die  ur- 
teilende Funktion  nicht  mehr  den  versammelten  hundarismen. 
sondern  dem  domare  zusteht.  Übrigens  ist,  wie  ich  besonders 
betonen  möchte,  schon  hiernach  der  heraphöftTing  keineswegs  dem 
domare  gleichzustellen  *). 

Heachtet  man  aber,  daß  in  Vestgötaland  auch  in  späterer 
Zeit,  in  der  die  Urteilfindung  sicher  nicht  mehr  dem  jung  als  solchem 
obliegt,  kein  domare  erscheint,  so  ist  man  versucht  anzunehmen, 
daß  die  Einführung  des  Amtes  des  domare  zusammenhängt  mit 
der  Übernahme  der  Dingleitung  durch  den  hensman.  daß  gerade 
deshalb,  weil  ein  königlicher  Beamter  die  Dingleitung  übernahm, 
ein  Volksbeamter  als  Urteiler  aufgestellt  wurde’).  Dazu  würde 
auch  stimmen,  daß  in  Vestmannaland  und  Södermannaland  der 
domare  neben  dem  lsensman  erscheint')  und  daß  in  Östgötaland, 
wo  wie  in  Vestgötaland  der  heraphöfding  Dingleiter  ist,  das  Amt 
eines  domare  nicht  vorkommt:  allerdings  kennt  Ostgötalagh  einen 
domare,  aber  er  scheint  verschieden  von  dem  in  Uppland 5). 


')  Vgl.  noch  Vestg.  I M.  1 § 3.:  . . . I.iggi.T  vitV  tolf  ins  reiner  herab'» 
liyfpinga-,  a*n  han  sitier  kua-r  ok  vierdhar  Iran  eigh  ok  fyuratighi  imerk- 
:rr  luerapi :“  ferner  II  K.  83.  Dr.  IV. 

*)  A.  M.  Molbech,  lndledning  og  l’dkust  til  cn  Skildring  af  den 
genuanisk-skandinaviske  indvortes  Forfatnig  S.  488.  Vgl.  die  oben  S.  1117. 
Anm.  4 Genannten. 

*)  Vgl. hierzu  die  Besprechung  des  Werkes  von  Nurdström  in  Tidskrift 
för  VetenBkap  och  konst,  1841  S.  183  ff.  Schlyter  Afli.  II.  104. 

«)  Vgl.  oben  S.  200  ff. 

s)  Aus  Ostg.  Yap.  XXXI.:  Nu  brytrnr  man  kunungx  dom:  p:et  irr 
iliepOTtiught.  Nu  brytar  man  laghmanzsdoni,  pat  a>r  tolf  marka  sak.  Nu 
bryta-r  man  lueraps  hiifpinga  dom:  böte  siax  markier  ersehen  wir,  daß  das 
Urteil  (dom)  wie  im  lagping  dem  laghman,  so  (im  hserapsping)  dem  hieraps- 
höfping  zutiel.  Der  domare  setzt  Termine  an  (Kr.  111,  1 : E.  S.  VIII:  K.  XXI, 
1:  B XXI,  1.)  Bezeichnend  ist  die  zweimal  (E.  S.  XIV,  1:  ft.  XXI,  1) 


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20') 


Im  Gegensatz  zu  Uppland  gibt  es  in  Vestgötaland  auch  in  dem 
unter  dem  herap  stehenden  Bezirk  ein  Gericht,  das  Fjaerpungs- 
ping.  Dieses  ping  ist  für  unsere  Frage  nicht  weiter  von  Belang, 
da  auch  die  Einteilung  des  herap  in  Viertel,  wie  schon  das  Syste- 
matische an  ihr  zeigt,  keinenfalls  aus  der  germanischen  Zeit  stammt. 
Andererseits  ist  auch  nicht  daran  zu  denken,  daß  wir  in  ihm 
etwa  die  Fortsetzung  der  germanischen  Hundertschaftsversammlung 
zu  sehen  haben.  Dagegen  spricht  nicht  nur  der  Name,  sondern 
auch  der  Umstand,  daß  das  fjaerpungsping  wie  der  tjacrpunger  selbst 
erst  in  der  jüngeren  Redaktion  von  Vestgötalagh  vorkommt.  Das 
luerap  aber  kennt  schon  Vestgötalagh  I und  wenn  das  lnerapsping 
auch  erst  in  der  2.  Redaktion  erscheint  und  an  Stelle  des  ping 
schlechthin  tritt,  so  sehen  wir  daraus,  daß  erst  in  dieser  späteren 
Zeit  die  besondere  Hervorhebung  der  Art  des  Dinges  notwendig 
wurde.  Jetzt  mußte  das  harapsping  von  dem  neu  auftretenden 
fherpungsping  unterschieden  werden,  während  vorher  kein  Zweifel 
obwalten  konnte,  daß  unter  ping  lnerapsping  zu  verstehen  sei. 

Eine  Identität  von  luerap  und  fjierpunger,  wie  sie  Schlyter1) 
anzunehmen ‘scheint,  halte  ich  nicht  für  gegeben;  «lern  widerspricht 
m.  E.  daß  noch 

Vg.  III  128:  I hwarpu  hferape  scal  en  pingstaper  w;er;e 
a uti  i hwarinm  fiarpiung  oc  en  per  h;eraz  ping  seid  w:era* 
genau  unterschieden  wird  zwischen  den  Dingstätten  in  den  Vierteln 
und  der  Dingstätte  für  das  lnerapsping. 

Ehe  wir  das  schwedische  Gebiet  verlassen,  sind  noch  einige 
Worte  über  Helsingelagh  zu  sagen.  Dort  finden  wir  weder  ein 
liundari  noch  ein  herap;  vielmehr  ist  das  ganze  Gebiet  in  skip- 
lagha  geteilt,  die  aber  in  ihrer  Funktion  den  liundari  entsprechen  *). 
Daß  diese  Bezirke  aber  nicht  den  Namen  liundari  oder  herap  führen, 
und  daß  das  skiplagh  nicht  mit  dem  liundari  auf  eine  Stufe  zu 
stellen  ist,  hat  darin  seinen  Grund,  daß  es  auf  andere  Weise 

verkommende  Ausdrucksweise:  paen  surn  domarin  a*n.  Wechselten  vielleicht 
die  Dingm&nncr  in  der  Stellung  als  domare ? 

•)  Glossar  z.  Vestgötalagh  s.  v.  Fjierpunger. 

*)  Vgl.  über  skiplagh  Schlyter  Corpus  etc.  II  Glossar  s.  v.  skiplagh 
und  Dora.  Afhandlingar  II  74  f.  v.  Ainira  Grundr.’  S.  73.  Uber  die 
Gleichung  skiplagh  — liundari  vgl.  besonders  Schlyter  in  den  Glossaren  zu 
Söderiuannalugh  und  Vestmaniialagh  s.  v.  skiplagh. 


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206 


entstand.  Helsingelagh  wurde  nicht  auf  dem  Wege  der  Einwan- 
derung eines  ganzen  Volkes  bevölkert,  sondern  teils  durch  Kolo- 
nisten aus  Jämtaland,  teils  durch  kleinere  Abteilungen,  die  in  der 
Zeit  König  Haralds  des  Schönhaarigen,  ähnlich  wie  nach  Island  so 
hierher  kamen.  Das  skiplagh  ist  eine  nach  der  Besiedlung  von 
Helsingelagh  künstlich  hergestellte  Einteilung. 

Dies  zeigt  sich  auch  in  dem  Zweck  des  skiplagh,  das  den 
Bedürfnissen  der  Seewehr  dient  und  infolgedessen  auch  nur  an 
Küstenstrichen  vorkommt.  Bezeichnend  ist,  daß  auch  der  am 
Meere  gelegene  Teil  von  Upland  nämlich  Ropin  eine  solche  Ein- 
teilung in  skiplagh  aufweist  *). 

Hiermit  verlassen  wir  Schweden  und  gehen  über  zur  Betrach- 
tung der  Verhältnisse  in  dem  Nachbarlande  Norwegen*). 

Hier  treffen  wir  zu  der  Zeit,  aus  der  uns  Rechtsquellen 
erhalten  sind,  die  vier  großen  Verbände  des  Gulaping,  Frostuping, 
Borgarping  und  EiiVsiiäping.  Das  sind  Dingverbände,  die  obgleich 
zum  Teil  sehr  alt,  eine  hierüber  hinausgehende  politische  Bedeu- 
tung nicht  besitzen*).  Vielmehr  war  in  Norwegen  seit  frühester 
Zeit  der  oberste  politische  Verband  das  fylki,  entsprechend  dem 
schwedischen  land,  (z.  B.  Uppland)  der  Bezirk  eines  ursprünglich 
selbständigen,  in  sich  geschlossenen  Volkes*).  Soweit  diese  fylki 
nicht  in  den  erwähnten  Dingverbänden  zusammengefaßt  waren, 
erhielten  sie  sich  noch  bis  über  das  Jahr  1250  hinaus  in  derselben 
kleinstaatlichen  Vereinzelung *). 

Das  fylkisping  (allsherjarping),  die  Versammlung  des  ganzen 
fylki  ist  oberstes  Gericht  und  zugleich  gesetzgebende  Versammlung 


')  Über  skiplagh  in  Yestmannaland  und  Södermannaland  s.  Scblyter 
in  den  betreffenden  (ilossaren  s.  v.  skiplagh. 

0 Hierzu  Maurer  Vorlesungen  I,  1 §§  2,  3:  [,  2 3,  4.  Brandt 

Forcla'sninger  IIS.  161  ff.  Taranger  l'dsigt  over  den  norsko  Hets  Historie 
II,  1 42  ff.  230  ff.  Munch  Det  norske  Folks  Historie  I S.  35  ff.  0.  Mol- 
bech  a.  a.  0.  S.  464  ff.  Taranger  HeralT  og  heralfskirkja. 

*)  Vgl.  hierüber  Maurer  Artikel  (Iulaping  in  der  Enzyklopädie  von 
F.rsch  u.  Gruber:  ders.  Vorlesungen  I.  1 44  ff. 

*)  Über  die  Bedeutung  von  fylki  vgl.  Schlyter  Afh.II  8. 66.  Fritzner 
Ordbog  over  det  gamlo  norske  Sprog  s.  v.  Fylki  (Bd.  I S.  508  f.) 

5)  v.  Amira  Obl.-K.  11  S.  25.  Munch  1 S.  99  f.  Taranger  Odsigt 
II,  1 S.  42  f.  Lehmann  der  Königsfriede  der  Nordgermanen  S.  167  insb. 
Audi.  5. 


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207 


(die  uppländische  laghsagha);  nur  du  wo  sich  mehrere  fylki  zu- 
sammengeschlossen  hatten,  wie  in  prandhcimer  bildeten  sich  auch 
größere  Gesetzgebungsbezirke  (praendalgg). 

Die  Einwohner  des  heratf  versammelten  sich  im  heraffsping. 
dem  ordentlichen  Bezirksgericht ') ; an  der  Spitze  des  heraiV  steht  der 
hersir  oder  hcratVshöftVingi  ?).  Wir  haben  also  auch  hier,  soweit 
nicht  schon  Vereinigungen  von  fylki  die  ursprüngliche  Ordnung 
gestört  haben,  die  zwei  Instanzen  der  germanischen  Verfassung, 
die  Versammlung  (des  Staates)  und  die  Versammlungen  der  Unter- 
bezirke1). Einen  Mittelbezirk  gab  es  nicht  und  erst  später  wurde 
es  Regel,  die  fylki  nach  oben  hin  zu  einem  größeren  Ganzen  zu- 
sammenzufassen. 

Doch  wurde  die  Heradseinteilung  in  Norwegen  bald  durch 
andere  sich  mit  ihr  kreuzende  Einteilungen  verwischt,  so  durch 
die  Einteilung  der  Küstenvölker  in  Schiffsbezirke,  die  Einteilung 
in  kirchliche  Bezirke4),  in  Drittel,  Viertel,  Sechstel  und  Achtel.  Dies 
hat  zur  Folge,  daß  schon  in  den  ältesten  Gesetzbüchern  Norwegens 
die  Übereinstimmung  der  Verfassung  mit  der  altgermanischen 
nicht  mehr  so  zu  erkennen  ist  wie  in  Schweden.  Während  in 
Schweden  das  hundari  noch  Name  für  einen  bestimmten  Bezirk 
ist,  der  mit  dem  germanischen  Bezirk  auf  eine  Stufe  zu  stellen 
ist,  ist  heraiV  in  Norwegen  bereits  zu  einem  Wort  geworden,  mit 
dem  sich  ein  bestimmter  Begriff  nicht  mehr  auschließlich  verbindet. 

In  Island,  dem  Kolonisationsland  Norwegens,  hat  eine  Ein- 
teilung in  heraiV  nie  stattgefunden.  Wie  im  Kolonisationsgebiet 
Helsingelagh,  so  waren  auch  hier  die  Voraussetzungen  für  die 


’)  v.  Anlira  Obl.-R.  II,  S.  153.  Hortxborg,  Den  addste  norsko  Proces 
S.  11!  ff. 

-)  Vgl.  Maurer  in  üurmania  XVI,  S.  432;  Entstell,  des  Island.  Staates. 
S.  20  f.  t.  Ainira  Grundr.1  S.  73.  Brunner  RG.  I*  S.  1G2  Text  und 
Anm.  26.  Brandt  Forcla*sninger  II,  S.  173.  Taranger  Udsigt.  II,  1 S.  37. 
Den  inis  erhaltenen  norweg.  ltechtabüeher  fehlen  beide  Bezeichnungen. 

3/  Vgl.  Maurer  Vorlesungen  L,  2 8.  6 ff. 

4)  Vgl.  über  diese  Verschiebungen  Kcjser  Kfterladto.  Skrifter  II 
S.  153  ff.  Brandt  Porehesningcr  II  S.  163  f.  Maurer  Vorlosungon  1,1 
S.  40  ff.  Entstehung  des  isl.  Staates  .8.  118  ff.  Bekehrung  des  norwegischen 
Stammes  zum  Christentum  II  S.  444  Anm.  4.  Ta rauger HeraiV  ogHeraiVskirkja 
t,in  Hist.  Tidskrifl.  3.  Reihe  VIj  urd  darüber  Maurer  K.  V.  Sehr. 


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208 


Entstehung  von  Hundertschaften  nicht  gegeben  ’)  und  es  zeugt  nur 
von  dem  damals  offenbar  noch  vorhandenen  Verständnis  für  den 
Hegriff  he  raff,  daß  die . Isländer  den  Bezirken,  die  sie  in  ihrem 
Lande  künstlich  herstellten,  nicht  diesen  Namen  gaben. 

Etwas  anders  liegen  die  Verhältnisse  in  Dänemark*),  wo 
das  hierreth  trotz  des  Eindringens  des  königlichen  Beamten,  noch 
mehr  vom  alten  Charakter  bewahrte.  Insbesondere  tritt  uns  liier 
in  dem  Gegensatz  von  hseneththing  und  landsthing  wieder  der 
Dualismus  der  germanischen  Verfassung  entgegen,  wobei  das 
luera-ththing  als  das  ordentliche  Gericht  erscheint. 

Fenier  zeigt  sich  noch  die  urteilende  Tätigkeit  der  Thing- 
männer, während  allerdings  der  Vorsitz  im  Thing  bereits  an  den 
königlichen  ombuthsman  übergegangen  ist’).  Erst  im  13.  und 
14.  Jahrhundert  kommt  das  Urteilen  dem  königlichen  Beamten  zu*). 

Daß  dieses  dänische  luerneth  sprachlich  dasselbe  ist  wie  das 
nonv.  heraff  und  das  schwed.  herap  bedarf  keines  besonderen  Be- 
weises. Dagegen  ist  es  von  Interesse  zu  sehen,  daß  auch 
zwischen  hundari  und  dem  dän.  ha-rr*th  eine  Beziehung  nachzu- 
weisen ist  bei  Saxo  Gramm. 

At  ubi  in  regiam  est  ventum,  concionem  aduocari  facit 

in  quam  accersito  Erico  sub  sponsalium  fide  sororem  ac 

centurionatum  dedit 5). 

Der  hier  erwähnte  centurionatus  ist.  wie  allgemein  ange- 
nommen. ein  häerrceth;  das  Wort  selbst  ist  wohl  abgeleitet  von 
centurio,  der  Bezeichnung  der  Bezirksvorsteher.  Wenn  aber  Saxo, 

■)  Vgl.  Maurer  Island  S.  24  fl.  8.  3G  ft. 

*)  Vgl.  Kofod-Ancher,  Samlcde  juridiskc  Skrifter  II  S.  753  fT., 
7791T.,  Laraen,  Samlede  Skrifter  1 S.  256,  Stcrnan,  IJen  dansko  Hcts 
historie  S.  65f,  Matzen,  Forclaesninger.  OfTentlig  Bet  I S.  5 fT  insb.  14f, 
Lehmann,  Per  Königsfriede  bei  den  Nordgennanen  S.  IOC,  Steenstru|i, 
Nagle  llemacrkninger  oni  Tingdage  (1873),  Dahlmann,  (ieschichtc  von 
Dänemark  I S.  140  fT. 

*)  Vgl.  z.  B.  K.H.L.  III  50  (=  128)  . . . tha  mughae  bgndaer  vael 
<lein;c  bondeen  hans  ra-t  oc  koning  Ihre  marc.  Sk.  L.  I 154  . . . Uil 
bryti  ey  skyrae  band  af  pein  piufi  ey  skal  upluengia*.  pa  dpuiae 
pinguuen  band  of  hanuin.  Dazu  Matzen,  a.  a.  O.  II  S.  123  0*, 
Steinnn,  a.  a.  0.  S.  211  ff. 

4)  Vgl.  Matzen,  Forclaesninger  I S.  149,  II  S.  1 1 3 ff. 

5)  Ausgabe  von  Holder,  8.  144. 


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•209 

viel  leicht  einem  allgemeinen  Gebrauche  folgend,  das  harreth 
centurionatus  heißen  konnte,  so  ergibt  sich  daraus  entweder,  daß 
auch  in  Dänemark  das  harreth  ursprünglich  hundari  hieß,  und 
später  wohl  die  dänische  aber  nicht  die  lateinische  Benennung 
geändert  wurde,  oder  daß  doch  im  Bewußtsein  des  Schreibers  die 
beiden  Begriffe  li*rr*th  und  hundari  und  die  beiden  Bezirke  sich 
entsprachen. 

Wenn  wir  im  einzelnen  die  Verhältnisse  in  Schonen  be- 
trachten, so  ergibt  sich  ein  ähnliches  Bild  wie  in  Schweden,  in 
manchen  Zügen  aber  noch  ursprünglicher. 

Deutlich  treten  sich  lanzthing  und  h*r*zthing  gegenüber. 
Ist  es  auch  in  manchen  Fällen  gleich,  ob  sich  der  Rechtsuchende 
an  das  eine  oder  an  das  andere  wendet '),  so  zeigen  andere  Stellen 
den  Unterschied,  z.  B.  I 134: 

Tac  scal  man  fa  tone  sic,  hwar  sum  han  ma  haeldaer  hem 
til  sins  eghins  hus  *ll*r  til  pings.  Ma  han  ey  fa  tak  fore 
sic,  pa  före  bondam  hau  til  h*razpings  inu-p  coste 
sinuin  ubundin  oc  po  j tiatre  j iarne.  Ma  bondaen  ey  fa 
raet  a haenezpingi,  pa  noefnoe  hin  ;er  mcep  cost*n  takin 
*r,  köpae  sin  aellaer  hembyghd  sin*  oc  hin  *r  costa*u 
a fare  pit  um  han  wil.  aen  wil  han  ey  pit  farae  pa*n,  :er 
takit  hauir  hin  mcep  coste  sinuin  pa  wisi  han  pighat  andrae 
men  oc  late  lete  um  swa  aer  at  hin  takne  hauir  p*r  hem 
byghd  *llr  köp*  sin.  aer*  p*r  noghre  pe  m*n  *r  han 
wili*  röct*  pa  cummi  pe  oc  lös*  han.  Far  bond*n  *ngin 
p*s*  stap*  raet  af  p*n  tackne,  pa  för*  han  til  lanz- 
pings  oc  gör*  p*t  af  hanum  *.r  land*  döm*. 

Nur  die  Thingleute  haben  das  Recht  zu  urteilen.  „*r  ping 
men  wili*  oc  pe  döm*  til“s)  oder  „sum  ping  men  döm*  til“3) 
sind  die  Wendungen,  mit  denen  das  Gesetz  das  Urteilen  am  Thing 
bezeichnet*).  Die  Thiugmüuner  auch  sind  es,  die  den  laghdagh 
bestimmen  z.  B. 

I.  41  . . . oc  sithan  l*gi*  thinghmen  laghdagh  fore 
all*  am*  oc  fore  hin  *r  flat  föras  wil. 

')  z.  B.  Sk.  L.  I 16,  18  vsitiu  prin  til  lanzthing  a*lhi*r  luerrnzthing). 
*)  ebda.  I 131. 

3)  Sk.  L.  I.  133. 

*)  vgl.  mich  ebda  1 145,  154,  161  u.  A. 

V.  Schwer  tu,  allgerm.  Uuudertuchafl  14 


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•210 

Allerdings  ist  es  fraglich,  ob  in  dieser  Zeit  noch  die  Urteil- 
findung  und  das  Urteilen  dem  gesamten  Umstand  zukam,  oder  ob 
nicht  auch  am  hsertezthing  schon  ein  Ausschuß  von  thingnuen 
sich  gebildet  hatte.  Jedenfalls  unterscheidet  sich  das  ha-ra-zthing 
noch  in  keinem  wesentlichen  Funkt  von  der  Gerichtsversammlung 
des  germanischen  Unterbezirks. 

Eine  andere  Bewandtnis  hat  es  mit  den  dänischen  Harden  im 
Jordbog  Valdemars  II,  die  man  so  wenig  wie  die  sächsischen 
Gaue  unter  Zugrundelegung  ihrer  Bodenfläche  bei  Untersuchungen 
über  die  germanische  Hundertschaft  heranziehen  darf.  Wir  haben 
keine  Anhaltspunkte  dafür,  daß  diese  Harden  räumlich  mit  alten 
lueneth  übereinstimmen.  Die  Altertümlichkeit  der  Namen,  auf 
die  Meitze n1)  so  großes  Gewicht  legt,  beweist  in  dieser  Richtung 
nichts,  da  sie  sehr  wohl  früher  zur  Bezeichnung  von  Herraden 
dienen  konnten,  jetzt  zur  Bezeichnung  von  Harden  dienen,  ohne 
daß  der  Umfang  der  Gebiete  der  gleiche  sein  müßte.  Dies  abge- 
sehen davon,  daß  bei  der  ganzen  Hundertschaftsfrage  der  Umfang 
der  Bodenfläche  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommt*). 

Sehr  bezeichnend  ist  es,  daß  auch  im  dänischen  Kolonisations- 
gebiet, in  Nordengland,  das  ha- net  h keinen  Eingang  gefunden 
hat.  Die  dänischen  Gebiete  in  England  kennen  als  einen  dem 
angelsächsischen  hundred  entsprechenden  Bezirk  des  wa-pengeta-e, 
das  sich  schon  durch  den  Namen  vom  haeneth  genügend  unter- 
scheidet. um  nicht  als  Hundertschaft  angesprochen  zu  werden.*) 

Zum  Schlüsse  dieser  Erörterungen  mache  ich  noch  besonders 
aufmerksam  darauf,  daß  auch  die  Namen  der  skandinavischen 
Unterbezirke  über  einschlägige  Fragen  Aufschluß  geben. 

In  Upland  und  zwar  in  Tiundaland  findet  sich  ein  Ullerakers 
hundare4).  Dieses  hat  seinen  Namen  von  der  alten  Dingstätte 
Ulleraker4),  dem  aker  des  Ullr.  Der  Ullr  aber  ist  ein  Gott  der 


*)  Meitzcn,  Siedclung  III,  S.  81  (I.  und  Atlas  Kart«  22. 

*'  (her  die  sicher  jüngere  Sysseleinteilung  vgl.  Larseu,  Sainlede 
Skrifter  I,  S.  250.  Matzen  e.  a.  0.  II,  S.  10  f.  Dahlmann  a.  a.  O.,  S.  12t  II. 
Stein  an  a.  a.  O.,  S.  06  f. 

*)  Vgl.  Steenstrup,  Danelagh,  S.  85 f.  Chadwick  a.  a.  O.,  S.245Auni.l 
*)  Styffc  a.  n.  O.,  S.  270. 

5)  Vgl.  Olafsaga  hina  helga,  cc.  78,  9t.  Brunner  Hg.  I 100  Anm.  15. 


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•211 


nordischen  Mythologie1)  und  daraus  folgt  zweierlei.  Erstens  muß 
das  hundari,  das  von  einer  einem  heidnischen  Gott  geweihten 
Statte  den  Namen  trägt,  sehr  alt  sein.  Sodann  sehen  wir  einen 
Fall,  in  dem  Dingstatte  und  Kultstätte  zusammenfallen.  Jene 
Feststellung  können  wir  auch  bezüglich  des  in  Fia*prundaland 
liegenden  Thorsakers  hundare*)  treffen.  Ob  auf  dem  Thorsaker 
auch  eine  Dingstätte  lag,  wissen  wir  nicht,  können  es  aber  ver- 
muten. Beachtet  man  nun  ferner,  daß  bei  der  Einführung  des 
Christentums  die  Kirchenverfassung  möglichst  an  die  heidnische 
Tempelverfassung  angegliedert  wurde  und  daß  man  vielfach  an 
der  Stätte  alter  Tempel  christliche  Kirchen  errichtete5),  so  ge- 
winnt es  an  Bedeutung,  daß  im  Waxaldha  hundare  die  Dingstättc 
bei  der  Heradskirche  war4). 

Andere  hundari  oder  herap,  die  durch  ihren  Namen  auf  ein 
hohes  Alter  deuten,  finden  sich  in  Dänemark,  z.  B.  Froes  luerreth 
Hoethers  luerreth  und  Othens  luereth.  Auch  hier  wieder  der  Zu- 
sammenhang mit  Gottheiten') 

Auffallend  ist  auch  die  Zusammensetzung  einer  Reihe  von 
Namen  von  hundari  oder  herap  mit  hund.  So  gibt  es  in  Fia>pr- 
undaland  ein  Laghundhundari  mit  der  Stadt  Lagundzbergh,  in 
Tiundaland  ein  Haghund-hnndari,  in  Dänemark  ein  Hundborg- 
haerreth.  Nimmt  man  hinzu,  daß  in  Södermannaland  ein  Hundari 
schlechthin  Uphunde  heißt,  in  Vestergötland  ein  Bezirk  Borg- 
liunda6),  so  läßt  sich  wohl  vermuten,  daß  hundari  eine  spätere, 
die  älteste  Bezeichnung  aber  hund  ist.  Namen  wie  Laghund- 
hundari würden  dann  eine  spätere  Analogiebildung  darstellen,  zu 
einer  Zeit  erfolgt,  als  man  nicht  mehr  wußte,  was  das  hund  zu 
bedeuten  habe.  Da  aber  nach  dem  im  dritten  Abschnitt  Gesagten  das 

‘)  G.  H.  Meyer,  Gurmanisch«  Mythologie,  S.  185.  Mogk,  Germanische 
Mythologie,  S.  349  (in  l’aul’s  Grundriß  IIP).  Maurer,  Bekehrung  dos 
norwegischen  Stammes  zum  Christentum  II,  S.  7. 

»)  Styffe  S.  264. 

3)  Maurer,  Bekehrung  II,  448 f. 

4)  Styffe  S.  271.  Vgl.  auch  Dipl.  Norv.  IV  379:  a pinghucllinom 
viiVer  Nerderhofskirkia  a Kingariki  (dazu  ebd.  IV,  S.  327). 

6)  K.  Weinhold  fuhrt  bei  Mcitzcu,  Siedlung  I,  3,  S.  81  ff.  auch  noch 
andere  Hcradsnamen  auf  mythologischen  Ursprung  zurück. 

6 ) Bezüglich  der  angeführten  Namen  verweiso  ich  auf  Styffe  S.  267, 
269,  13,  213,  125. 

14* 


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212 


bloße  hund  eine  Menge,  einen  Haufen  bezeichnet,  hundari  dagegen 
zur  Bezeichnung  des  Gebietes  dient,  so  müßten  diese  Namen  in 
die  ersten  Zeiten  der  Ansiedlung  zuriickreichen,  in  denen  die 
Vorstellung  des  Gebiets  gegenüber  der  des  persönlichen  Verbands 
noch  ganz  im  Hintergrund  stand '). 

I)a  Kultstätte  nicht  nur  der  einem  Gott  geheiligte  Platz  sein 
konnte,  sondern  allenfalls  auch  die  Begräbnisstätte  hervorragender 
Männer,  die  nach  ihrem  Tode  Mittelpunkt  eines  Kults  geworden 
sind,  so  möchte  ich  endlich  noch  die  Vermutung  aussprechen,  daß 
wir  vielleicht  da  und  dort  in  den  Dinghügeln  solche  Begräbnis- 
stätten zu  erblicken  haben. 

Alles  dies  kann  hier  nur  angedeutet  werden.  Nur  eingehende 
Spezial  Untersuchungen  könnten  diese  Andeutungen  ausbauen  und 
prüfen  *). 


X.  Ergebnisse. 

Wenn  wir  die  vorstehenden  Untersuchungen  und  Ausführungen 
zusammenfassen  und  mit  dem  in  der  Vorbemerkung  entworfenen 
Arbeitsplan  vergleichen,  so  ergibt  sich  Folgendes. 

Der  germanische  Staat,  die  civitas  des  Tacitus,  zerfällt  bei 
hinreichender  Größe  seines  Gebiets  räumlich  in  kleinere,  verschieden 
große  Bezirke,  von  den  Römern  pagi  geheißen.  Der  civitas  ent- 
spricht das  Volk  (I>iuda),  das  sich  in  der  Landsversammlung  zu- 
sammenfindet. Gleicherweise  versammelten  sich  die  Inwohner  des 
pagus  in  einem  eigenen  Ding.  Als  Versammlung  bildet  die  Lands- 
gemeinde das  höhere  Gericht  mit  Zuständigkeit  für  die  Sachen, 
die  ihrer  Bestrafung  halber  der  in  dem  Landesding  enthaltenen 
obersten  Kultversammlung  zur  Aburteilung  unterliegen.  Die  Ver- 
sammlung des  pagus  ist  das  niedere,  ordentliche  Gericht  mit  Zu- 
ständigkeit für  alle  übrigen  Rechtssachen,  die  nicht  ihrer  Natur 

')  Sollte  hierher  auch  das  norwegische  Burgund  (alter  Kaufplatr.,  Ding- 
stätte, Kirche)  gehören?  Vgl.  Styffe,  S.  347. 

*)  Auch  aut'  dem  Contincnt  lassun  sich  vielleicht  alte  Ding-  und  Kult- 
stätten nachweisen.  Ich  mache  besonders  aufmerksam  auf  Maden  am 
(iudeusberg  und  Kirchditmold:  über  Heide  vgl.  Landau,  Beschreibung  dos 
Hessengaus,  S.  54  IT.,  65  fT. 


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213 


nach  von  den  Mitgliedern  privatrcehllicher  Genossenschaften 
(Markgenossenschaften)  entschieden  werden. 

Außer  dem  pagus  kennt  der  germanische  Staat  keinen  Bezirk, 
aber  andererseits  gibt  es  auch  unter  der  Versammlung  des  pagus 
keine  Versammlungen  kleinerer  Kreise  von  Volksgenossen  als 
solchen.  Versammlungen  dieser  Art  kommen  nur  vor  als  die 
von  Personen,  die  durch  andere  Umstände  in  eine  Vereinigung 
gebracht  sind,  als  die  Zugehörigkeit  zum  Volke.  So  kommt  der 
Germane  zum  Landesding,  weil  er  Volksgenosse  ist,  zum  Marker- 
ding aber  wenn  und  weil  er  Markgenosse  ist. 

In  der  folgenden,  der  sogenannten  „fränkischen“  Periode  ist 
das  Bild  in  den  einzelnen  germanischen  Reichen  und  innerhalb 
des  fränkischen  Reiches  in  den  einzelnen  Ländern  verschieden. 

Im  Frankenlande  selbst,  bei  den  Alamannen,  Baiern  und 
Friesen,  vielleicht  auch  schon  in  dieser  Periode  nach  der  Unter- 
werfung unter  den  Frankenkönig  bei  den  Sachsen,  hat  die  Landes- 
versammlung an  Bedeutung  eingebüßt.  Ihre  politischen  Funktionen 
sind  an  den  Herrscher  (König,  Unterkönig)  übergegangen.  Das 
Land  ist  geteilt  in  Mittelbezirke,  diese  wiederum  bei  einigen 
Völkern,  den  Franken,  Alamannen,  Friesen  und  Sachsen,  nicht 
aber  bei  den  Baiern,  in  Unterbezirke. 

Dabei  stehen  aber  Mittelbezirk  und  Unterbezirk  in  verschie- 
denem Verhältnis  zum  ganzen  Land.  Der  Mittelbezirk  ist  nicht 
Gerichtsbezirk,  sondern  nur  Verwaltungsbezirk.  Wohl  ist  der  Be- 
amte des  Mittel  bezirks.  der  Graf,  Richter  am  Gericht  des  Unter- 
bezirks. aher  das  Gericht  ist  Versammlung  der  Inwohner  des 
Unterbezirks.  Und  so  zeigt  auch  diese  Periode  nur  zwei  Gerichts- 
instanzen, das  Gericht  des  Unterbezirks  und  das  an  die  Stelle 
der  Landesversammlung  getretene  Königsgericht,  oder  Herzogs- 
gericht. Am  Gericht  des  Unterbezirks  aber  erscheint  nach  dem 
Aufbau  der  Gerichtsverfassung  das  Richteramt  des  Grafen  als  eine 
neuere  Einrichtung,  durch  die  der  ursprüngliche  Dingleiter  teils 
ganz  verdrängt,  teils  auf  bestimmte  Befugnisse  beschränkt  wurde. 
Diese  Verschiebung  zeigt  sich  am  deutlichsten  bei  dem  centenarius 
der  Lex  Salica  und  der  Lex  Alamannorum,  sowie  dem  skelta  des 
friesischen  Rechts,  weniger  deutlich  bei  dem  iudex  der  Lex 
Baiuvariorum. 


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214 


Sie  beweist  uns,  daß  der  in  der  fränkischen  Periode  vorhan- 
dene Mittelbezirk,  dessen  Beamter  eben  der  Graf  ist,  zwischen  den 
vorher  bestehenden  Unterbezirk  und  das  Land  eingeschoben  ist. 
Sofern  also  überhaupt  eine  Kontinuität  zwischen  der  Verfassung  in 
der  germanischen  Periode  und  der  in  der  fränkischen  Periode  an- 
zunehmen ist  — und  daß  dem  so  ist,  zeigt  die  vergleichende 
germanische  Rechtsgeschichte  — muß  der  Unterbezirk  der  frän- 
kischen Periode  dem  pagus  der  germanischen  entsprechen. 

Auch  in  der  zweiten  Periode  ohne  Mittelbezirk  geblieben  sind 
die  schwedischen  und  dänischen  Gebiete.  Die  dort  erfolgten  Zu- 
sammenfügungen kleinerer  Staaten  zu  größeren  Ganzen  haben  die 
Verfassung  der  einzelnen  Teile  im  wesentlichen  nicht  berührt. 
Dagegen  sind  in  Norwegen  einschneidendere  Veränderungen  vor  sich 
gegangen  und  bei  den  Angelsachsen  sind  die  Verfassungseinrich- 
tungen der  kontinentalen  Heimat  nicht  durchgeführt  worden.  Ebenso 
haben  die  Goten  und  Langobarden  aus  uns  offenen  Gründen  neue 
Verfassungen  entwickelt. 

Immerhin  sind  für  die  Untersuchung  des  germanischen 
Unterbezirks  die  Unterbezirke  von  sieben  germanischen  Völkern 
heranzuziehen,  nämlich  die  der  Franken  (centena)  Alamannen  (cen- 
tena,  huntari)  Friesen  (del)  Sachsen  (go),  Schweden  (hundari,  herafi) 
und  Dänen  (haeneth.)  Diese  Bezirke  sind,  wenn  auch  nicht  dem 
Namen,  so  doch  der  Sache  nach  unter  sich  und  mit  dem  germa- 
nischen pagus  identisch. 

Da  nun  vier  von  diesen  Bezirken  von  der  Wissenschaft  mit 
dem  von  ihr  geprägten  Namen  „ Hundertschaft“  belegt  werden, 
nämlich  centena,  huntari,  hundari  und  herap,  so  ergibt  sich,  daß 
auch  die  übrigen  nämlich  del  und  go,  aber  auch  der  germanische 
pagus,  diese  Bezeichnung  verdienen  und  die  in  der  Vorbemerkung 
gestellte  Frage  ist  dahin  zu  beantworten,  daß  auch  der  ger- 
manische Staat  Hundertschaftsbezirke  gekannt  hat  und 
in  solche  zerfallen  ist,  dagegen  eine  Einteilung  in 
größere  Bezirke  oder  „Gaue“  nicht  aufweist. 

Bezüglich  der  Entstehung  dieser  „Hundertschaften“  hat  die 
Untersuchung  gezeigt,  daß  sie  nicht,  wie  die  herrschende  Lehre 
annimmt,  auf  irgend  welche  Zahlenverhältnisse  zurückzuführen 
sind,  insbesondere  nicht  auf  eine  numerische  Gliederung  des  Heers 
oder  auf  Gebiete  von  bestimmter  Hufenzahl,  sondern  vielmehr  an- 


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215 


Zusehen  sind  als  Niederlassungsgebiet  eines  unbestimmt  grollen, 
wandernden  Haufens.  Sie  stellen  sich  dar  als  Produkte  germa- 
nischer Ansiedlung  auf  dem  Wege  der  Wanderung  und  fehlen  da, 
wo  die  Germanen  auf  dem  Wege  der  Kolonisation  sich  ansässig 
gemacht  haben  (Island,  Helsingelagh,  Danelag)  oder  in  schon  be- 
völkertem Land  zu  einer  Landesteilung  mit  den  Einwohnern 
geschritten  sind  (Langobardenreich,  Gotenreiche,  römische  Provinzen 
des  fränkischen  Reichs.) 


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A.  Favorkr.  vorm.  Eduard  Trewendt’*  Buchdruck  erei,  Brrnlau 


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Über  die  Strafe  des  Steintragens 

von 

Dr.  Eberhard  Frh.  v.  KiinUberg 


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Untersuchungen 

zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

heransgegebun 

von 

Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

91.  Heft 

Ober  die  Strafe  des  Steintragens 

von 

Dr.  Eberhard  Frh.  v.  Künßberg 


Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1907 


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Uber  die  Strafe 
des  Steintragens 


Dr.  Eberhard  Frh.  v.  Künßberg 

Assistenten  am  deutschen  Rechtswörterbuche 


-m- 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1907 


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Übersicht 

I.  Einleitung: 

§ 1.  Zweck,  Aussehen  und  Aufbewahrung  des  Steines  . . 1 

§ 2.  Kamen,  a)  Ungstein  und  dessen  Varianten  ....  5 

b)  Andere  Bezeichnungen  !) 

§ 3.  Verbreitung.  Unterschied  zwischen  Bäg-  und  Lasterstein  12 

II.  Vom  Ungstein  Insbesondere 

§ 4.  Das  Steintragen  als  Frauenstrafe 15 

§ 5.  Das  Vergehen 17 

§ 6.  Das  Verfahren 22 

§ 7.  Der  Vollzug  24 

§ 8.  Neben-  und  Ersatzstrafen. 

a)  Geldstrafe,  Gefängnis,  Verweisung 29 

b)  Fiedel 32 

§ 9.  Wirkliches  Vorkommen  des  Steintragens  33 

III.  Zur  Entstehung  der  Strafe  des  Steintragens 

§ 10.  Erklärung  aus  der  Hannschar. 

a)  Dio  Hamischar  überhaupt 35 

b)  das  Steintragen 39 

§ 11.  a)  Der  „Mühlstein  des  Evangeliums“ 41 

b)  Schwere  Steine  überhaupt 43 

c)  Der  Stein  als  Symbol  der  Buße  ? 44 

d)  Das  Steineführen 45 

e)  Der  Kampfstein  45 

f)  Die  Strafsteine  in  Schweden 46 

g)  Das  Versteinern 46 

h)  Das  Heben,  Schützen,  Lupfen  47 

i)  Kirchliche  Einflüsso 47 

IV.  Anhang 

Die  wichtigsten  Quellenstcllen  für  den  Bagstoin 48 

Bücherliste 62 


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1 

Einleitung 

§ 1.  Zweck,  Aussehen  und  Aufbewahrung  des  Steines 

Unter  den  Ehrenstrafen,  die  in  den  deutschen  Rechtsquellen 
des  Mittelalters  und  der  Neuzeit  Vorkommen,  gehört  zu  den 
häufigsten  das  Steintragen.  Für  gewisse  Verbrechen  mußten 
Frauen,  seltener  Männer,  ein  Strafwerkzeug  aus  Stein  ein  be- 
stimmtes Stück  Weges  schleppen. 

Dieses  Instrument  bestand  aus  einem  oder  zwei  Steinen ') 
und  wurde  der  Übeltäterin  an  den  Hals  gehängt;  zu  dem  Zwecke 
war  am  Steine  eine  Kette  oder  ein  Riemen2)  befestigt,  bezw.  waren 
die  beiden  Steine  durch  eine  Kette  oder  durch  Hügel  verbunden3). 
Der  Stein  wurde  auch  in  einem  Tuche  über  dem  Rücken 4)  oder 
auf  dem  Kopfe 5)  getragen. 


')  Von  »vier  großen  Steinen“,  die  nach  dein  Gesotz  einer  »heidnischen 
Itcgcntin  in  Pommern“  Frauen  tragen  mußten,  berichtet  Docplcr,:  7 heatrunt 
poenarum  1693.  Bd.  1,  S.  747. 

’)  Itb.  n.  Distinkt.  V.  cap.  20.  dist.  8:  der  steyn  sal  haben  eynen  tymen, 
den  man  or  wnb  den  hals  garte. 

3)  In  Köln  und  in  Soest  war  ein  besonderes  Traggcstell  gemacht.  Ennen 
u.  Nordhoff  in  I’ick's  Monntsschr.  f.  rbein.  westfSl.  Gescb.  3,355  f.  [1877]. 

*)  Knapp,  Hutnor  im  Würzburger  K.,  ZStW.  22  (1902)  S.  6:  Stadel- 
schwarzach  1605:  ein  hamlztvell  nemen  und  den  stein  . . auffassen , darnach  auf  den 
rück  — — 

5)  Stokar,  Verbrechen  u.  Strafe  i.  Schaffhausen,  ZschwcizStrlt.  5 
(1902)  332:  den  grössten  lasterstein  ttf  ir  hopt  heben  . . a.  1481. 

K&nBberg,  D*a  Stellungen  1 


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2 


Die  Form  der  Strafsteine  war  verschieden:  entweder  waren 
sie  gewichtähnlich oder  flaschenfärmig s);  sie  entlehnten  ihre 
Gestalt  wohl  auch  den  Scliandlarven  *)  und  Schandtafeln4). 

Das  Gewicht  der  Steine  schwankt  zwischen  den  Grenzen 
25  Pfund  und  180  Pfund5).  Häufig  ist  es  vom  Rechte  vorge- 


’)  So  in  Dottendorf  bei  Bonn.  Vgl.  die  Abbildung  im  Jahrb.  d.  Vcr. 
v.  Altertumsfrcundcn  i.  Itlieinlande  Heft  57  (1876)  Tafel  1,  Figur  4.  — 

Heydinger,  Descriptio  Archidiaconalus  in  Iampuisso . Trier  1884.  S.  252, 

Anm.  20.  — 0.  Bieder,  Bcitr.  i.  Kulturgeseh.  d.  Hochstifts  Eichstädt.  I, 
65  (Neuburger  Kollcktaneenblatt  54.  [1890]). 

J)  Daher  die  Bezeichnung  flascht.  Grimm,  RA4.  2,316.  — Korschelt, 
Strafen  d.  Vorzeit  i.  d.  0. -Lausitz,  S.  314  ff.  — Distel,  Strafrechtagesch. 
Findlinge,  S.  338  f.  — Katalog  d.  städt.  Museums  in  Eger  (1894)  No.  1377.  — 
Manche  Schaml flaschen  waren  aus  Holz.  Distel  a.  a.  0.  — Bimförmig  war 
der  Stein  in  Dclsberg.  Stöber,  der  Klapperstein  (Alsatia  1876)  S.  95. 

3)  Der  bekannteste  dieser  Art  wurde  in  Mülhausen  i.  F..  getragen. 
Kr  ist  abgebildet  im  Anzeiger  f.  K.  d.  d.  Vorz.  1857, 8C  und  in  der  Al- 
satia 1876. 

In  Müblberg  war  der  Doppclstcin  in  Gebrauch.  Dieser  wird  so  be- 
schrieben: „Der  eine  Stein,  welcher  die  Brust  bedeckte,  ist  sehr  schön, 
mit  einem  jugendlichen  Kopf  mit  spitzigen  Ohren,  auf  einem  Horn  blasend: 
der  Stein  aber,  welcher  auf  den  Rücken  zu  hängen  kam,  mit  einem  Manns- 
kopf durch  Bildhauerarbeit  verziert“.  [Neue  Mitteilungen  a.  d.  Gebiet 
histor.  Forschungen  hgg.  v.  thür.  sächs.  Ver.  Bd.  10.  1.  Hälfte  (1863)  S.  256.] 

Im  Germanischen  Museum  in  Nürnberg  findet  sich  ein  Stein,  der 
wahrscheinlich  hierher  gehört.  Er  ist  ungefähr  35  cm  lang,  25  cm  breit, 
ebenso  hoch;  an  einer  Seite  ist  eine  Kette.  Das  Stimgebildc  zeigt  eine 
menschliche  Fratze  mit  breiter  Nase,  spitze  Tierohren.  Der  Körper  und  die 
bloß  angedeuteten  Glieder  haben  Tierformen. 

Doepler,  1,745  spricht  von  Steinen  „teils  als  ein  Mannskopf,  teils 
als  ein  Esels-  oder  Hasenkopf“. 

4)  Im  Bayrischen  Nationalmuseum  ist  eine  Marmorplatte  [32  cm  X 25  X 4] 
mit  der  Inschrift:  « latterstein  anno  tyto «. 

5)  25  I’fd.  Mühlhausen  i.  E.,  Winterthur  (Stöber  95);  jo  P/J.  swer 
silbergewichtcs,  Rb.  n.  Dist.  (Ortloff  1,  304);  jo  Pfd.  oder  mer , Deißlingen 
(Kurier,  Gesch.  d.  Grf.  v.  Helfonstein,  Anhang  S.  16).  33  Pfd.  Bautzen 
(Stöber  90).  utagstain  der  da  hat  rin  ha/hm  smten , Straßhofen,  ÜW.  7,  234. 

1 /,  Zentner  Monum.  Boica  24,239.  Stöber  a.  a.  0.  S.  94.  Drei  Steine,  der 

kleinste  60  Pfd.,  der  größte  180  Pfd.,  Schaffhausen,  Stöber  95.  1 Zentner 

Dortmund  (Fronsdorff,  Dortm.  Statuten  35),  Grimm  RA4.  2,315,  2 LPfd 

2 Pfd.  und  2 LPfd  8 Pfd.  (Drcyer  Anticju.  Anmcrkg.  1792,  8.  117)  rin  jklich 
strin  soll  einen  getvegen  stein  bthalden  (Grimm  ItA4.  2,  315).  Vgl.  S.  8 f.  tentner- 
steine:  tvagstrin. 


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J} 

schrieben,  wie  schwer  das  Strafwerkzeug  sein  soll.  Daraus  könnte 
der  Schluß  gezogen  werden,  daß  man  gewöhnliche  Steine  ver- 
wendete und  sie  bloß  vorher  wog,  wie  uns  denn  auch  eine  Stelle 
erhalten  ist,  wo  der  Fronbote  für  das  Steinwiegen  eine  Gebühr 
bezieht1).  Andrerseits  ist  eine  Angabe  der  Schwere  auch  dort 
am  Platze,  wo  die  Gewichte  der  Ortswagen  dem  Strafvollzüge 
dienen  oder  wo  Foltergewichte  auch  als  Tragsteine  genommen 
werden  und  wo  eben  dann  festgesetzt  wird,  welches  Gewicht  ver- 
wendet werden  soll. 

Aus  Österreich  ist  kein  Exemplar  eines  derartigen  Steines 
bekannt  Es  lassen  sich  also  höchstens  Vermutungen  über  die 
Form  aufstellen.  Da  wohl  nicht  ohne  weiteres  anzunehmen  ist, 
daß  alle  Hagsteine  verloren  oder  in  Trümmer  gegangen  sind,  so 
liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  wir  derartige  Steine  zwar  auf  die 
Gegenwart  überkommen  haben , sie  aber  nicht  als  Bagsteiue, 
sondern  mit  andern  Namen  bezeichnen.  Dies  ist  besonders  in 
dem  Falle  möglich,  wenn  die  Steine  eine  einfache  Form  hatten 
und  demnach  auch  zu  andern  Zwecken  benutzt  werden  konnten, 
als  sie  ihre  Rolle  als  Strafwerkzeuge  ausgespielt  batten.  Je  weniger 
charakteristisch  ihre  Gestalt  war,  um  so  rascher  und  gründlicher 
konnte  ihre  einstige  Bestimmung  dem  Gedächtnis  und  der  Über- 
lieferung entschwinden.  Und  wenn  sie  gar  etwa  schon  von  Anfang 
an  zu  verschiedenen  Zwecken  gebraucht  worden  waren  (z.  B.  auch 
als  Gewichte  der  Ortswage2),  so  ist  es  möglich,  daß  sie  in  einer 
Zeit,  wo  sie  im  Strafsystem  keine  Bedeutung  mehr  hatten,  aus- 
schließlich nach  ihrer  sonstigen  Verwendung  bezeichnet  wurden. 
Die  Vermutung,  daß  die  Strafsteine  auch  in  Österreich  die  ein- 
fache Form  von  Gewichten3)  hatten,  ist  bei  diesen  Erwägungen 
wohl  nicht  zu  gewagt  und  wird  vielleicht  eines  Tages  durch  einen 
glücklichen  Fund  ihre  Bestätigung  finden4). 


l)  1402  Braunschweig:  Item  j d.  Corde  bodele  vor  den  sten  oft  to  weghenic . 
Vater],  Arch.  d.  hist.  V.  f.  Niedersachsen,  1841  S.  110. 

*)  S.  unten  § 11  b. 

3)  Die  gewichtähnliche  Form  ist  auch  die  einfachste.  Auch  die  Hand- 
inühlsteinc  (von  denen  unten  § 10b  ilic  Strafsteine  abgeleitet  werden)  hatten 
ungefähr  die  einfache  Form  von  Stcingewichteu. 

4)  Vgl.  die  Deutung,  die  Bormann  (Gosch,  d.  Ardennen,  Trier  1841. 
lld.  2,  S.  230)  ltuUsteiuun  gibt,  weil  sie  au  der  Kirchtüre  hiengen:  „sollte  die 

1* 


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4 


Der  Stein  wurde  allgemein  sichtbar  aufbewahrt.  Er  hing 
am  Pranger1)  oder  an  einem  öffentlichen  Gebäude.  Als  solche 
Verwahrungsstätten  sind  überliefert:  das  Gerichtshaus  *),  das  Rat- 
haus3), die  Schranne4),  die  Arbeitermietstätte5),  das  Wohnhaus 
des  Richters6),  das  Wirtshaus’),  der  Weinkeller"),  die  Mühle9); 
schließlich  auch  Kirche1“)  und  Kloster"). 

So  konnte  schon  der  tägliche  Anblick  '*)  des  gefürchteten 
Strafwerkzeugs  einen  bessernden  Einfluß  auf  zanksüchtige  Frauen 


Neuerburger  an  die  Freiheit  erinnern,  die  ihnen  1332  gegeben  wurde“. 
Später  dienten  dieselben  Steine  als  Gewichte  der  Kirchenuhr.  Heydinger 
S.  232  Anmerkung  20,  der  sie  richtig  als  Strafsteine  erkannte. 

*)  Daher  der  Name  kakstein.  S.  unten  S.  11,  an  der  st  ule : Hcrzogcnburg 
(Anhang  9),  an  der  sekraiseule : Reichenau  UW.  G,  69,  am  pranger;  Dorn- 

bnrg  a.  S.  (Neue  Mitteil.  a.  d.  Gebiet  histor.  Forsch,  h.  v.  thnr.  sächs.  Vcr. 
21,  137  Antnerkg);  Osnabrück  (Strodtm an n,  Idiotikon  Osnabr.  197):  Sieding 
UW.  7,250.  cm  stoek:  GciUlingcn.  (Kcrler,  Gesch.  d.  Grf.  v.  Helfenstcin 
Urk.  Anh.,  S.  IG.) 

*)  Saubersdorf  Ö\V.  7, 12-1  (Anhang  15). 

s)  Mühlhausen  (Stöber),  SchalThauscn  (Hochholz  i.  d.  Argovia  18G2, 
iS.  94),  Ofen  (Stadtrecht)  u.  s.  w.  — Unter  den  Rathaus  fenstern:  Eichstädt 
■ (lticder  1,65). 

4)  Senftcnberg  (Anhang  18). 

5)  Nufsdorf  OW.  7,  919.  «)  Kalksburg  OW.  7,  G23. 

*)  Diepolts  ÖW.  7, 230.  Die  Stelle  läßt  keinen  sicheren  Schluß  zu. 
Wohl  aber  folgende:  dass  sie  die  knecht  zu  dtr  sehnider  trinkstuhc  fürrtt  und  ir 

den  grössten  lastcrstein  uf  ir  hopt  h*htn  sollen SchafThausen  1481,  Zschw. 

Strlt.  5 (1902)  332. 

*)  Gera  (Schott,  Sainuil.  z.  deutsch.  St.  u.  LR.  1,  1G9);  im  Wein- 
hause: Bautzen  (Döpler,  Theatrum  poenarum,  1,745). 

*)  S.  Döpler  a.  a.  0. 

*")  an  der  Kirchtörc:  s.  Heydingcr,  S.  252  Anm.  20;  im  Torhaus  der 
Kirche:  Burgebrach  (Haas,  Slavenland  2,49);  im  Kapitol  d.  Stiftskirche: 
Köln  (Pick,  Monat  sschr.  f.  rhein.  westf.  Gosch.  3,  355):  ante  sununum  altare , 
Ottobeuern  (Anz.  f.  K.  d.  d.  Vorzeit  1858,  88.  18G7,  277).  Vgl.  Grimm, 
HA*.  2,  316.  — Brcmisch-nieders.  Wörterb.  4,  102G  f.,  karksleene.  Vgl.  unten 
S.  11. 

■■)  Zwettl  (Anhang  25).  Ensdorf  (Man.  Boica  24,  239). 

•*)  Vgl.  die  Notiz  aus  Marienberg  i.  Sachs.  (1532)  in  der  Saxonia  5: 
„Es  muß  aber  in  dieser  Stadt  keine  bösen  Weiber  gegeben  haben  und  der 
Hinblick  auf  diese  Schandstcine  mächtig  gewirkt  haben,  da  die  Strafe  nie  in 
Marienberg  exekutiert  wurde.“  Diesen  Beleg  verdanke  ich  gleich  einer  Reihe 
anderer  dem  Entgegenkommen  von  Dr.  Heer  wagen  in  Nürnberg. 


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5 


ausüben,  oder  sie  doch,  wenn  sie  z.  B.  auf  offenem  Markte  in 
Streit  geraten  waren,  noch  rechtzeitig  vor  dem  Gebrauch  „ver- 
botener Worte“  bewahren. 


§ 2.  Namen. 

Die  ältesten  Quellen,  die  uns  vom  Steintragen  Kunde  geben, 
bezeichnen  das  Werkzeug  schlechthin  als  lapidex ')  oder  nach  der 
verbindenden  Kette  als  lapidex  catenati s),  lapidex  per  cathenam 
cohaerentex 3)  oder  als  lapidex  ad  hoc  deputati*).  Deutsche  Rechts- 
aufzeichnungen sprechen  von  „2  Steinen,  die  dazu  dienen 5)“,  vom 
„Stein,  der  dazu  gemacht  ist“6)  oder  bloß  vom  „Stein“7).  1242 
findet  sich  die  technische  Bezeichnung  der  stad  xteene ")  und  seit 
dem  14.  Jahrhundert  eine  Reihe  andrer.  (Der  nach  1353  in 
Ottobeuorn  gebrauchte  Ausdruck  lapis  dedeeorix  et  ignominiae ■) 
ist  kaum  technisch  gewesen).  Als  Namen  dieses  Strafwerkzeuges 
kommen  vor:  pagxtein  (zuerst  im  14.  Jh.  in  Mühldorf),  laxterstein 
(zuerst  1396  in  Memmingen),  pulste  in  (nur  im  Ofner  StR.), 
klapperstein  (zuerst  1517  in  Ober-Ensisheim),  krötenxtein  (1625  in 
Schleiz),  xehandxtein  (zuerst  1523  in  Marienberg  i.  S.),  kakxtein 
(zuerst  Anfang  des  15.  Jh.  in  der  Apenrader  Skra),  ehebrecher- 
xteine  (1684  in  Aachen),  zentnerxtein  (1497  in  Burgebrach). 

Ihre  Erklärung  finden  diese  Benennungen  teils  aus  dem  Ver- 
gehen, wofür  der  Stein  getragen  wurde  [pag-,  laxter-,  puk-,  klapper-, 

*)  1182  Beaumont  (zitiert  von  Frensdorff  in  Hansische  Gcach.-Qu. 
3,35  Anmerkung  31).  — 1269  Kipen  St.-lt.  § 14  (Kolderup-Roaonvingc 
5,  226).  — 1321  Bochum  (Gengier,  Cod.  jur.  mun.  1,  243).  — 1399  Krakau 
' likr.  antUju.  cm.  Craceviemis  II  igS. 

3)  1229  Brüssel  (Du  Cange  5,28.  S.  a.  Frensdorff  a.  a.  0.) 

*)  Mitte  d.  13.  Jh.  Dortmund  (Frensdorff  a.  a.  0.) 

4)  1335  Apenradc  (Thorsen  S.  166). 

5)  1292  Hamburg  (Grimm,  RA4.  2,  315). 

*)  1328  Speyer  (Grimm,  RA4.  2,  315). 

’)  1329  Moontfort  (Fruin,  Kl.  steden  314). 

1362  Lebamündc  (Anz.  f.  K.  d.  d.  Vorz.  1857,  156). 

1367  Geiillingen  (Kerl er,  Gesch.  d.  Grf.  von  Helfenstein  Urk.  Anh. 
S.  16),  14.  Jh.  Berlin  (Berl.  Stadtbuch,  Schöffenreclit  § 26). 

e)  Neues  Schleswig«  St.-R.  (Thorsen  S.  38).  Dieser  Ausdruck  ist 
auf  den  Norden  beschränkt  geblieben.  Grimm,  RA4.  2,  317. 

*)  Anz.  f.  K.  d.  d.  Vorz.  1858,  88;  1867,  277. 


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6 


kröten-,  ehebrecher-,  vielleicht  auch  scliandsUin] , aus  dem  Aufbe- 
wahrungsort / kakstein ] oder  aus  dem  Gewichte  \zentner stein], 

a)  , Bagstein1  und  dessen  Varianten. 

Die  älteste  Fundstelle  für  das  Wort  pagstein , das  Mühldorfer 
Stadtrecht1),  gibt  zugleich  eine  Erklärung  desselben.  Es  heißt 
dort  nämlich:  Wie  man  den  pagstain  tragen  ml.  Welleich  leicht 
weip  pagent  mit  den  warten , di  s i cermeiden  sotten,  wider  ain 
purgerin  oder  wider  ir  genözzin,  der  sol  der  fronpot  den  pagstain 
an  irn  hals  hengen  und  sol  si  von  gazzen  ze  gazzen  traiben  umb  ir 
unnützes  pagen  — — daz  ist  ir  pitzz. 

,Bagen‘s)  bedeutete  .zanken,  streiten,  hadern1,  .Bagstein1  da- 
her den  Stein,  der  als  Strafe  für  Zank  und  Hader  auferlegt  wird. 
Als  jedoch  das  Wort  ,bagen*  außer  Gebrauch  kam,  wurde  auch 
.Bagstein1  nicht  mehr  verstanden.  Die  Verschiedenheit  der  Aus- 
sprache, namentlich  aber  die  volksctymologische  Anlehnung  an 
ähnlich  klingende  Wärter  wie  Bach,  pochen,  Bock,  Wage,  Weg, 
borgen,  trugen  das  Ihrige  dazu  bei,  eine  nicht  geringe  Zahl  von 
abweichenden  Formen  hervorzurufen. 

Bagstain  kommt  zu  Anfang  des  15.  Jahrh  noch  im  Ofner 
Stadtrecht,  Art.  155,  vor.  Pagstain  1495  in  Reichenau,  Ober- 
Österreich3),  zu  Anfang  des  IG.  Jh.  in  Penk,  Nieder-Österr. 4)  und 
in  Latzfons  und  Verdings  im  Vintschgau J).  pagkstain,  pakstain 
1512  in  Klosterneuburg6),  in  einer  1539  angefertigten  Kopie  eines 
alten  Gerichtsbuches  in  Lang-Enzersdorf1),  zuletzt  1667  in  Mauer8) 


')  Aus  dem  14.  Jh.  — Chroniken  d.  deutsch.  Städte  15,  400. 

'J)  Graff,  Ahd.  Sprachschatz  3,  22  f.  bng  zu  skr.  bhäj  frangerei  oder 
zu  skr.  bhösh  loqui.  schwerlich  zu  fugna.  — Schade,  Ahd.  WB.  36,  bdg 
as.  stm.  .lautes  Rühmen1  bögr  an  stm.  .Streit*,  böe  mhd.  stm.  , lautes  Schreien, 
Zanken,  Streiten*.  Daneben  ahd.  böga,  pöga  ahd.  stf.  1.  .Zank,  Hader,  Streit*, 
ltas  Zeitwort  ahd.  pigan,  mhd.  bögen.  Lexer,  Mhd.  H.-W.-B.  1,  112. 
Sch  mell  er,  Bair.  WB.J  1,214,  bäg  ,Zom,  Verdruß*,  bargen  ,lant  schreien*. 
I.ezer,  Kämt.  WB.  14,  pagg'n  .schelten,  zanken*.  Grimm,  DWB.  1,576. 
bägeren  1.  quäl  eil,  jmd.  unehrenhafte  Sachen  Vorhalten  2.  hadern,  zanken. 
S taub-Tobler,  Schweiz.  Id.  4,  1056,  beigeren  plagen. 

3)  Grimm,  Weistümer  3,  684. 

*)  ÖW.  7,  286.  »)  ÖW.  5,  359. 

«)  ÖW.  7,  961.  7)  ÖW.  8,  329. 

8)  ÖW.  7,  653;  ferner  ÖW.  8,  417. 


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7 


bei  Wien,  packstain  zuerst  1412  in  Solenau1),  zuletzt  1727  in 
Eggendorf,  Nied.-Österr.  *) 

Diese  Gruppe  wollte  man  in  der  Literatur  mit  , bocken'  zu- 
sammenbringen und  bezeichnete  daher  den  Stein  als  , Backstein' 3), 
eine  Form,  die  in  keiner  Quelle  belegt  ist. 

An  Steine  aus  dem  Bache  zu  denken,  war  recht  naheliegend. 
Das  Engelmannsbrunner  Weistum4)  ist  in  dieser  Hinsicht  be- 
merkenswert. Es  spricht  davon:  wann  f rauen  oder  man  schluegen 
oder  verpotne  wort  . . . geben  bei  dem  parh  und  gleich  darauf: 
wann  die  weiber  an  einander  handln  auf  der  gassen,  so  sein  si 
schuldig , das  si  den  pachstain  sollen  tragen.  Vielleicht  haben 
wir  hier  eine  volkstümliche  Worterklärung  vor  uns,  doch  muß  man 
sich  hier,  und  ebenso  bei  den  weiter  noch  anzuführenden  Varianten 
stets  auch  die  mundartliche  Aussprache  und  die  Schwierigkeit, 
dieselbe  schriftlich  festzuhalten,  ins  Gedächtnis  rufen1).  Pach- 
stain wird  sehr  häufig  gebraucht.  Zuerst  1399  in  München.6) 
Im  15.  Jh.  in  Mittersill  (Pinzgau)7).  In  Niederösterreich  treffen 
wir  diese  Form  von  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  (Heiligenkreuz)  *) 
bis  1666  (Atzgersdorf)9);  verdorben  in  pachstuen  im  15.  Jh.  in 
Gastern. ,0). 

Die  Form  bachstein  ist  bisher  nur  einmal  belegt  und  zwar 
im  Teiding  von  Friedberg  in  Böhmen11)  (1654  — 1697). 

Pochen  bedeutet  nicht  nur  , klopfen  und  schlagen',  sondern 
auch  , trotzen,  prahlen,  zürnen,  fluchen,  mißhandeln,  verhöhnen, 


■)  ÖW.  7,  382. 

*)  ÖW.  8,  500:  ferner  ÖW.  7,  918:  938.  8,  510. 

*)  Michnaj  u.  Li  ebner,  Ofner  StR.,  8.  98  u.  271.  Cliabcrt,  Bruch- 
stück e.  Staats-  u.  HG.  d.  deutsrh-üsterr.  L.  1848.  Denkschr.  d.  kais.  Akud. 
ph.  h.  Kl.  4, 39  Anmerkung.  — ÖW.  6,  G83  (Register.  Dagegen  ist  im 
Glossar  ebda  S.  G27  pachstein  zu  baqen  gestellt). 

*)  1500—1535.  — ÖW.  8,  657  Zeile  8 f.  und  Zeile  18  ff. 

s)  Die  Schreiber  waren  in  ihrer  Schreibweise  auch  keineswegs  konse- 
quent. ÖW.  8,  953  linden  wir  pogstain,  packstain,  pockstain! 

s)  Chroniken  d.  deutschen  Städte  15,  490.  Der  ältere  Abdruck  des  Katz- 
mair’schen  Gedenkbuches  (Obcrbajr.  Arch.  8,  108)  hat  irrtümlich  bachstein. 

T)  ÖW.  1,  286.  •)  ÖW.  7,  464. 

»)  ÖW.  7,  644.  ®)  ÖW.  8,  246. 

M)  Anhang  7.  — Vgl.  überdies  Note  6. 


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8 


herausfordern11).  Rochholz’)  stützt  darauf  seine  Erklärung  von 
pochslein.  Stöber3)  schließt  sich  ihm  an  und  sagt  weiter: 
„bochxtein  entweder  eine  andere  Form  von  pochstcin , bngstein  oder 
auf  die  zänkische  Natur  des  Rockes  bezüglich“.  Die  Rochholz’sche 
Erklärung  kann  nur  durch  zwei  Belege  gestützt  werden:  pochstain 
16.  Jh.  in  Erdprefs4)  und  bochstein  1603  in  Weikertschlag  a. Thaya*). 
Es  sind  wohl  höchstens  Deutungsversuclie  der  betreffenden  Schreiber, 
noch  eher  bloß  graphische  Abweichungen.  Die  am  häutigsten 
vorkommende  Form  ist  pockMain  (pog-,  pogk-,  pogkh-,  pokrh-, 
pokxtain).  Zuerst  in  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrh.  in  Olrichs- 
kirchen“)  (Nieder-Österr.).  1512  Kahlenbergerdorf:  «tot»  gewinnt 
pokstain ’).  Zuletzt  im  18.  Jh.  in  Perchtolsdorf 8).  Hierher  ge- 
hört noch  bochtain  (c.  1600  Hohenstein)’)  und  das  einmal  ge- 
brauchte bok  (1681  in  Ober-Nondorf) 10).  Insbesondere  die  letzt- 
erwähnte Form  macht  es  wahrscheinlich,  daß  man  bei  pockMcin 
an  einen  Bock  dachte,  sei  es  an  das  Tier,  oder  an  einen  so  be- 
zeichneten  Gegenstand. 

Wagxtain  finden  wir  in  der  Bedeutung  , Bagstein1 ")  seit  dem 
Ende  des  15.  Jh.  (Gutenstein) ,s)  einigcmale.  Zuletzt  1748  in 
Weikendorf13).  Eine  Anlehnung  an  ,Wage‘,  ja  eine  Erklärung  des 
Begriffes14)  scheint  in  der  Wendung  zu  liegen  wagxtain,  der  da 


')  Grimm,  I)WB.  2,200;  s.  namentlich  die  Verbindungen  pevhen  und 
sehenden,  pochen  und  plagen.  Vgl.  poefooort  Grimm,  DWB.  7,  1064.  Fischer, 
Schwab.  WB.  1,  1242.  Kluge*,  Etvuiol.  WB.  6,301. 

’)  Argovia  1862—63,  S.  94. 

3)  S.  89  f.  Hie  Variante  bogitein  wollen  Rochholz  und  Stöber  von 
mittelniederdeutsch  tagge  = Kröte  ableiten.  Vgl.  dagegen  unten  S.  10. 

4)  ÖW.  8,  86.  *)  ÖW.  8,  243. 

®)  ÖW.  8,  12  dort  auch  die  Variante  pockenstain. 

')  ÖW.  7,  944.  *)  ÖW.  7,  596.  Außerdem  noch  37mal. 

*)  ÖW.  8,  839.  Ferner  in  Grösten,  Archiv  f.  K.  öst.  Gesell. -yu.  25,  105. 

I0)  ÖW.  8,816. 

**)  uuacslein  — ealevlus  bereits  althochdeutsch  (8 1 ei  nmey  er  - S ievers, 
Ahd.  Gl.  2,  13,  32).  Mittelhochdeutsch  bedeutet  ; oae  Gewicht,  wage  Wage, 
Folter  (Lexer). 

'*)  ÖW.  7,  352.  I3)  ÖW.  8,  59. 

u)  Haß  Volksetymologie  vorliegt,  ist  namentlich  daraus  zu  schließen, 
daß  : vagstem  in  Texten  gebraucht  ist,  die  im  übrigen  den  Wechsel  von  b und 
;e  im  Anlaut  nicht  zeigen. 


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9 


hat  ain  halbm  zerUen  Straßhofen  1499  ’).  Die  Erläuterung,  die 
Rochholz9)  gibt:  „tc.  von  , bewegen',  wie  auch  die  auf  ihrer 
Spitze  beweglichen  Orakelsteine  genannt  wurden“  ist  sehr  be- 
streitbar. 

W egstain  ist  bisher  nur  einmal  belegt  und  zwar  1558  in 
Melk5).  Es  bleibt  dahingestellt,  ob  diese  Form  ein  selbständiger 
Erklärungsversuch  ist,  oder  nur  eine  Variante  zu  wagstain,  das 
in  andern  Melker  Texten  vorkommt. 

An  , borgen'  erinnert  die  Hezeichnung  ,borgsteiner'ky  der  wir 
im  18.  Jahrh.  in  Sierndorf4)  begegnen.  Schon  aus  dem  Plural 
ist  ersichtlich,  daß  der  Ausdruck  eine  Verstümmelung  des  unver- 
standenen ,pogstein‘  oder  einer  ähnlichen  Form  ist.  Der  Schreiber 
dieser  Quelle  hat  anscheinend  gar  keine  Vorstellung  mehr  vom 
Hagstein. 

b)  Andere  Bezeichnungen. 

Lutter  stein*)  ist  von  .lästern*  = schmähen  abzuleiten. 
Später  mag  sich  die  Vorstellung  gebildet  haben,  daß  der  Laster- 
stein seinen  Namen  deshalb  trage,  weil  er  als  Strafe  für  gewisse 
Laster  (fluchen,  Trunksucht  u s.  w.)  verhängt  wurde.  Der  Name 
„Lasterstein“  war  weit  verbreitet  und  hat  sich  lange  erhalten. 
Zeugnisse  seiner  Verwendung  finden  sich:  1396  in  Memmingen8), 
1481  in  Schaff  hausen’),  1503  (lesterstein)  in  Fürstenberg "),  1520 
in  Überlingen9),  seit  1576  im  Elsaß10)  und  bis  ins  18.  Jahrh.  in 
Bayern"),  wo  seinerzeit  Bagstein  üblich  gewesen  war IS).  Lasterstein 
bedeutete  jedoch  auch  den  Pranger. 13). 

Das  Ofner  Stadtrecht  gebraucht'  im  Art.  155  das  Wort  bag- 
stuin,  im  Art  180  dagegen  pukstain.  Auch  dieser  Name  dürfte 

■)  ÖW.  7,  234.  »)  Argovia  1862—63  S.  94. 

5)  Kalte n baek  1,  120.  ‘)  ÖW.  8,  466. 

»)  Leier,  Mlid.  HWB.  1,  1838.  Schmeller,  Bair.  WB.1  1,  1522. 

*)  Freiberg  5,279.  7)  ZscliweiiStrH.  5(1892)332. 

B)  Förstcnb.  UrkB.  7,  376. 

9)  Ans.  f.  K.  d.  d.  Vorzeit  1874,  S.  10. 

10)  Stöber,  S.  90.  Martin  und  Lienhart,  Elsaß.  WB.  2,600. 

U)  1751  CoJ.  iur.  Jlav.  er  im.  1,  4,  19. 

’*)  S.  oben  S.  6. 

,s)  ln  Speyer  seit  dom  17.  Jh.  Barster,  d.  Strafr.  v.  Speyer  S.  82  f. 
Vgl.  Osenbrfiggen,  Alaui.  Strafr.  110. 


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10 


vom  Vergehen  herzuleiten  sein;  ,puken‘  bedeutet  nämlich  ,sich 
gegenseitig  schlagen11),  ,puck‘  Puff,  Schlag*). 

Klapperstein  war  im  Elsaß  üblich.  Seit  1517  ist  der 
Ausdruck  nachweisbar *).  .Klappern1  heißt  plaudern,  schwätzen. 

Das  Wort  krötenstein , das  wir  im  Statut  von  Schleiz  1 625 4) 
überliefert  haben,  möchte  ich  von  ,kreten‘  zanken,  streiten1)  her- 
leiten. Rochholz6)  denkt  an  das  Tier  Kröte,  „weil  man  (sagen- 
haft) die  Kröte  einen  geheimnisvollen  Stein  im  Haupte  tragen 
läßt.“  Ebenso  erklärt  er  bngstein  durch  mnd.  Logge  Kröte.  Seiner 
Deutung  folgt  Stöber7),  der  auch  die  Form  bockstein  darauf 
zurückführen  möchte.  Was  tür  ein  Zusammenhang  zwischen  dem 
Strafstein  und  dem  .Krötenstein*  des  Aberglaubens8)  bestehen 
könnte,  ist  mir  unerfindlich.  Eher  könnte  man  noch  die  Votiv- 
kröten heranziehen,  die  von  kranken  Frauen  geopfert  wurden5). 
Doch  auch  dies  liegt  zu  ferne. 

Überdies  ist  daran  zu  erinnern,  daß  bogstein  bisher  nirgends 
belegt  ist.  Ähnliche  Formen  kommen  nur  in  Niederösterreich10) 
vor,  jedoch  nie  in  niederdeutschem  Sprachgebiete. 

Bezeichnungen  wie  ehebrechersteine  (1684  in  Aachen)11)  und 
zentnerstein  (1497  in  Burgebrach)1*)  erklären  sich  von  selbst. 

*)  Schröer,  WB.  d.  deutsch.  Mundart  d.  ungar.  lierglandcs  25,  251. 

*)  Lübben- Walther,  Mittelniederd.  HWB.  258. 

3)  Stöber,  S.  104:  S.  91  f.  Martin  u.  Lienhart,  Wörtcrb.  d.  clsäl). 
Mundarten,  2,  599.  — Sai  (Bischöfe  u.  Reichsfürsten  v.  Eichstädt,  S.  418, 
Anmerkung)  spricht  vom  Klapperstein  in  Eichstädt.  Das  entspricht  nicht 
den  Tatsachen.  Das  Woistuin  von  Enkcring,  das  hier  in  Betracht  kommt, 
kennt  nur  „Stein“.  Übrigens  sollen  nach  Sax  auf  diesem  Klapperstein  die- 
selben Verse  gestanden  haben  wie  auf  dem  Mühlhauscner! 

4)  Walch,  Vermischte  Beiträge  z.  Deutschen  R.  8,  78. 

6)  Schiller- Lübben,  Mittelniederd.  WB.  2,  565  f.  (Auch  Zitate  aus 
Reell  tsqucllen). 

6)  Der  Stcinkultus  in  d.  Schweiz,  Argovia  1862—63,  S.  94. 

»)  S.  89  f. 

8)  s.  Das  Steinbuch.  Ein  altdeutsches  liedicht  von  Voluiar,  hgg.  v. 
Lambel.  Heilbronn  1877.  S.  16  Vers  457  ff. 

9)  Andrec,  Votive  u.  Weihcgabon  d.  kath.  Volkes  in  Süddcutschland 
S.  129  ff.  — Liebrecht,  Zur  Volkskunde  S.  333. 

10)  S.  oben  S.  8. 

*')  Zeitschr.  d.  Aachener  Gesch.-Ver.  6,44.  — Im  Jahre  1331  kannte 
inan  die  ftna  lapidum  in  Aachen  noch  für  Scheltworte.  Loersch,  Achencr 
Rdenkmäler  S.  47,  §11. 

13)  Haas,  Slavenland  2,49. 


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11  __ 

Schandstein  bedeutet  den  Stein,  den  die  Frau  tragen  muß, 
welche  eine  andere  geschändet,  d.  h.  geschmäht  hat').  Es  ist 
jedoch  auch  möglich,  daß  das  Wort  von  .Schande4  abgeleitet  werden 
muß,  demnach:  , Stein,  den  man  zur  Schande  trägt1.  Das  wäre 
ein  Gegenstück  zu  schandxtein  .Pranger12)  , Stein,  auf  oder  an  dem 
man  zur  Schande  steht'.  In  der  Bedeutung  „Stein  zum  Tragen" 
rinden  wir  schundslein  1523  in  Marienberg  in  Sachsen  sj,  1532  im 
Braunschweiger  Sladtreehte 4),  1620  in  Ploen5). 

Die  kakstene  der  Apenrader  Skra6)  heißen  so,  weil  sie  am 
Kake  (=  Pranger)  hingen.  Im  bremisch -uieders  Wöiterbuche ’) 
werden  karksteene  angeführt  und  dazu  bemerkt:  „weil  sie  etwa  in 
den  Kirchen  auf  bewahrt  wurden  und  diese  Strafe  von  dem  geist- 
lichen Ehegerichte  auferlegt  wurde.“  Im  Nachträge’)  ist  dieser 
Gedanke  aufgegeben,  wohl  aufgrund  einer  Bemerkung  DreyerV), 
daß  man  statt  kack-  kaksteene  lesen  müsse. 

Zu  der  Reihe  von  quellenmäßigen  Bezeichnungen  des  in 
Rede  stehenden  Strafwerkzeuges  tritt  eine  weitere  Reihe  von  Namen, 
die  man  dem  Steine  in  der  Literatur  gegeben  hat. 

Lapis  vituperii^),  lapisfamotus}1),  lapts  scandali l!)  sind  Übcr- 

')  Vgl.  , Schandmaul1. 

J)  Mell«,  Gründliche  Nachricht  von  Lübeck3  1787,  S.  -147.  Dreyer, 
De  littophoria , S.  lli  will  unterscheiden  hsterstein  = Stein  rum  Tragen  und 
sehnmUtein  = Pranger.  Das  ist  nicht  möglich.  Heide  Worte  kommen  in 
beiden  Bedeutungen  vor. 

*)  Saxonia  5. 

*)  Braunschw.  Urklt.  1,313. 

*)  Kinder,  l'rkB.  z.  Chronik  d.  Stadt  Ploen,  1881  f.,  S.  34  f.  Siehe 
ferner  Schäfer  W.,  Deutsche  Städtewahrieichen,  1,  53.  — Schiller- 
Lübben,  Mittclnicdcrd.  WB.  4,  45. 

*)Thorsen,  Schlesw.  Stlt.,  S.  167.  — S.  a.  Schiller-Lübben, 
a.  a.  0.  4,385.  Verwijs  en  Verdaut,  Middelncderl.  Woordenb.  3,11. 

7)  Bremen  1767—71.  Bd.  4,  S.  1026  f. 

«)  5,  460. 

*)  Antiquarische  Anmerkungen.  Lübeck  1792,  S.  118. 

K) )  Stielcr,  d.  deutschen  Sprache  Stammbaum  u.  Fortwachs,  8.  2139 
Lop.  vit.  hieß  auch  der  Stein,  auf  dem  fallirto  Schuldner  saüou.  Grimm, 
BA.'  2,  162. 

")  Boccrus,  de  jurisdict.  c.  5.  n.  43  (1509).  — Stielcr,  a.  a.  0.  — 
Krebs,  Traetatus  pol.  pur.  de  ligno  et  lopüie.  1756.  S.  208. 

**)  Dieselben. 


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12 


Setzungen  von  Laster-  und  Scliandstein.  Mit  Lapides  publici  sen 
civitatis  übersetzt  Stiernhook1)  dar  stad  stene.  Andere  Aus- 
drücke dafür  sind  haderstein *),  rätodvtUin1),  zankstein *),  backstein*), 
straf  stein  ü)  und  bussstein 1). 

Hier  sei  auch  des  Ausdrucks  Litophorie  gedacht,  den  Dreyer 
in  seinem  Aufsatze  De  Htopharia*)  aufgebracht  hat,  welches  Wort 
aber  sonst  nicht  verwendet  wird. 

Grimm4;  führt  im  Abschnitt  über  den  Lasterstein  auch  rote 
rüder  an,  jedoch  irrtümlich;  an  der  von  ihm  erwähnten  Stelle 
bandelt,  es  sich  um  Brandmarkung. 

Hans  Sachs6)  gebraucht  das  bloch  anscheinend  in  der  Be- 
deutung Schandstein. 

Französisch  heißt  das  Strafwerkzeug  la  pierre  (a.  1247  bei 
du  Gange  5,  28)  oder  la  pierre  des  maucaises  langues , la  pierre 
de  scandale s). 

§ 3.  Verbreitung.  Unterschied  zwischen  bag-  und  lasterstein. 

Die  Rechtssitte  de9  Steintragens  ist  allem  Anschein  nach  auf 
dem  Boden  des  alten  Frankenreichs  entstanden,  hat  sich  über 
Frankreich,  Deutschland  und  die  Niederlande  verbreitet,  und  ist 
auch  durchdeutschen  Einfluß  nach  Norden10)  und  Osten  ")  gedrungen. 

Besonders  zahlreich  sind  die  Zeugnisse  für  diese  Strafe  in 

')  Hie  Stelle  bei  Du  Gange  5,28. 

*)  Grimm,  KA4.  2,316,  führt  das  Wert  aus  Wnrdtwcin,  Uiplom. 
Magunt.  2,  567  an.  Das  Wort  ist  aber  nicht  quellenmäßig,  sondern  steht  dort 
in  einer  Ilodmann'schen  Anmerkung.  Die  von  ßodmann  dort  gebrachten 
Stellen  sprechen  bloß  von  stenen.  Ob  diese  Angaben  von  Bodmann  gefälscht 
sind,  bleibt  dahingestellt. 

J)  St  öber  (S.  104)  spricht  vom  Lasterstein  in  Sulz  im  Ober-Klsaß  -den 
ich  dort  auch  Rätschstein  nennen  hörten . Bei  demselben,  an  der  Kirchen- 

wand steht  die  Jahreszahl  1489“.  (Vgl.  ebda,  S.  91,  Rätschen  = schwätzen). 
— Die  Mitteilung  Stöber’s  bleibt  zu  prüfen.  Im  Wörterbuch  d.  elsäss. 
Mundarten  v.  Martin  u.  Lienhart,  2.  Bd.  1907,  fehlt  rätschstein. 

4)  Grimm,  RA.4,  2,316.  «)  S.  oben  S.  7 Note  3. 

6)  Grimm,  RA.4,  2,317.  7)  Heydinger  S.  252  Amu.  20. 

8)  Kiel  1752.  »)  Stöber  S.  89. 

10)  Fritzner,  Ordbog  3,538.  — Grimm,  RA4.,  2,317. 

**)  Krakau  1399.  Kaindl,  Arch.  f.  Östcrr.  Gesch.  95  (1906),  S.  220.  — 
Siebenbürgen:  Fron ius,  Bilder  aus  dem  s&chs.  Bauernlebcn.*  1883.  S.  129. 


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13 


den  bäuerlichen1)  Quellen  Niederösterreichs  *).  Wenn  wir  diesen 
Nachrichten  noch  die  spärlichen  Belege  aus  Oberösterreich,  Süd- 
böhmen, Steiermark,  Salzburg,  Tirol  und  Bayern  angliedern,  so 
ergibt  sich  eine  Gruppe  von  liechtsaufzeichnungen,  die  ein  be- 
stimmtes einheitliches  Bild  gewähren,  das  sich  von  der  Entwicklung 
der  Steinstrafe  in  den  andern  Rechtskreisen  in  einigen  Punkten 
wesentlich  unterscheidet3). 

1.  Nur  im  bayrischen  Sprachgebiete  heißt  der  Stein  Bagstein, 
er  trägt  aber  auch  mit  ganz  geringen  Ausnahmen  stets  diesen  Namen. 

2.  Der  Bagstein  wird  von  Frauen  getragen.  Anderwärts 
tragen  auch  Männer  Schandsteine. 

3.  Das  Delikt,  wofür  die  Strafe  auferlegt  wird,  ist  in  dem 
angeführten  Rechtsgebiet  fast  ausschließlich  Frauengezünke.  In 
vielen  andern  deutschen  Rechten  ist  die  Entwicklung  dahin  ge- 
gangen, daß  das  Steintragen  eine  ganz  allgemeine  Strafe  wurde. 
Folgende  Delikte  wurden  mit  dem  Sehand-  oder  Lastersteine  be- 
straft: Schmähbriefe,  Spottlieder,  freventliches  Schwöron,  Gottes- 
lästerung, Verdacht  der  Hexerei,  Kindesraord,  Ehebruch,  Kuppelei, 
Hehlerei,  Fundverheimlichung,  Diebstahl,  Betrug,  Spiel.  Nament- 
lich Ehebruch  wird  häutig  so  gestraft.  Im  Norden  Europas  hatte 
diese  Strafe  ihre  besondere  Entwicklung4). 

4.  Im  Gebiete  des  Bagsteins  ist  nichts  von  einer  besonderen 
Tracht  der  Verurteilten  gesagt.  Anderwärts  ist  häutig  das  Büßer- 

•)  In  den  Städten  war  das  Steintragen  vermutlich  auch  üblich.  Vgl. 
das  unten  § 10a  über  die  Wf  Neustädter  Harmschar  Gesagte.  Auch  das 
Münchner  Stadtrecht  spricht  nicht  über  den  Strafstein,  und  doch  ist  das 
Vorkommen  desselben  dort  bezeugt.  Es  gab  ja  auch  Gewohnheitsrecht. 
Am  frim’/nfrei’el  ist  nit  ftielu.  vir!  ,/amit  %eh  ilttn  nie  <Ur  richter  nach  gestalt  tler 
snthtn  erkhennt.  1575.  Keyschor,  Samml.  altwürtemb. StatK.  Tüb.  1824,  S.208. 

3)  Es  kommen  in  erster  Linie  die  bisher  erschienenen  2 Bände  der  Nieder- 
österr.  Weistümer  (UW.  7.  n.  8.  hgg.  v.  Winter)  in  Betracht.  Solange  der 
3.  Band  (Viertel  ob  dem  Wiener  Wald)  nicht  erschienen  ist,  sind  auch  die 
Sammlungen  von  Kaltenbaek  (Pan-  u.  Bcrgteidingbnchcr  Nieder- Österr. 
2 Bdc.,  Wien  1840  f.  und  Zahn  (Archiv,  f.  Kunde  österr.  Geschichtsquellen 
25  ( 1 860 J S.  1 ff.)  heranzuziehen. 

J)  Die  Nachweise  zu  den  folgenden  Behauptungen  sind,  soweit  sie  den 
Bagstein  betreffen,  in  der  vorliegenden  Arbeit  gebracht;  soweit  es  sich  um 
das  außerösterr.  Kechtsgebict  handelt,  wird  sich  in  einer  späteren  Unter- 
suchung Gelegenheit  bieten,  ins  Detail  einzugehen. 

*)  Vgl.  Grimm,  KA.4  2,317. 


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hcmd  vorgeschrieben.  Auch  das  „Prekeln“  der  Verbrecherin  mit 
einem  Nagel  durch  die  hinter  ihr  gehende  verletzte  Frau  kommt 
in  Österreich-Bayern  nicht  vor1)- 

Alle  diese  Umstände  lassen  es  zweckdienlich  erscheinen,  die 
Untersuchung  über  die  Strafe  des  Steintragens  vorerst  auf  die 
österr.-bayrisebe  Gruppe  zu  beschranken,  um  so  ein  abgerundeteres 
Bild  zu  erhalten.  Selbstverständlich  müssen  bei  der  Frage  nach 
der  Entstehung  der  Strafe,  bei  Erwähnung  der  bisherigen  Deutungs- 
versuche und  bei  Aufstellung  eines  neuen  auch  alle  andern  Beleg- 
stellen in  gleicher  Weise  herangezogen  werden. 

Innerhalb  der  großen  Zahl  von  Quellen,  die  uns  über  den 
Bagslein  Aufschluß  geben  [die  älteste  überhaupt  ist  aus  dem 
14.  Jli. s),  die  älteste  österreichische  aus  dem  Jahre  1412  J),  die 
spateste  von  1 748 4J,  lassen  sich  eiue  Reihe  von  unter  sich  mehr 
oder  minder  gleichlautender  Gruppen  bilden,  wodurch  die  Unter- 
suchung wesentlich  an  Übersichtlichkeit  gewinnt.5)  Die  Text- 
verwandtschaft bestellt  natürlich  vor  allem  in  den  Reebtsauf- 
zeichnungen  von  Orten,  die  unter  einer  Grundherrschaft  standen 
oder  einander  benachbart  waren.  Namentlich  sind  die  Texte  in 
den  Sammelhandschriften  *)  häutig  identisch. 


')  Das  Ofner  StR.  gehört  dem  Magdeburger  Rechtskreise  an.  Die 
Bestimmung  fiber  das  Steintragen  hat  es  anscheinend  dem  Rb.  n.  Distinkt. 
entnommen.  Nur  der  Name  Bagstein  ist  dein  Ofner  Recht  und  den  österr. 
Weistnmcrn  gemeinsam. 

*)  Chroniken  d.  deutsch.  Städte  15,400  (Mühldorf;. 

3)  ÖW.  7,  382  Snlenau.  *)  ÖW.  8,  59  Weikendorf. 

5;  Die  wichtigsten  Texte  sind  am  Schlüsse  dieser  Abhandlung  in  ihrer 
ältesten  Gestalt  abgedruckt.  Es  ist  beigefngt  wo  sic  in  Geltung  waren. 
Auseinandersetzungen  über  die  Art  und  .Weise  der  Textentlehnung  und  Ver- 
wandtschaft waren  nicht  am  Platze,  häutig  ist  sic  jedoch  bereits  aus  den 
kurzen  beigegebencu  Notizen  zu  crsehliclien. 

°)  8.  Winter  i.  d.  Einleitung  zu  ÖW.  7.  S.  XV11I. 


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11 

Der  Bagstein 

§ 4.  Das  Steintragen  als  Frauenstrafe 

Das  Steintragen  war  von  jeher  eine  besondre  Fraucustrafe ') 
und  ist  es  im  Gebiete  des  Bagsteins  auch  geblieben. 

Diese  Strafe  batte  ihren  Ursprung2)  in  der  Verknechtung, 
bezw.  Strafarbeit  zahlungsunfähiger  Übeltäterinnen.  Die  Zahlungs- 
unfähigkeit lag  aber  nicht  nur  dann  vor,  wenn  die  Krau  arm  war, 
sondern  auch  dann,  wenn  ihr  Geschlechtsvormund  für  sie  nicht  zahlen 
wollte;  der  Hauptgrund  für  das  Fortbestehen  dieser  Ehrenstrafe 
war  also  die  geminderte  Vermögensfähigkeit  der  bevormundeten 
Frau.  Die  Witwe,  die  auch  sonst  eine  gewisse  Selbständigkeit 
genoß,  wurde  oft  den  Männern  gleich  geachtet3).  Für  Delikte, 
deren  Begehung  die  Männer  mit  einer  Geldstrafe  büßten,  trugen 
Frauen  den  Stein4)-  Es  lag  dieser  Rechtssatz  im  Interesse  des 
Hausherrn.  Er  sollte  durch  Vorgehen  seiner  Frau  keine  nam- 
hafte Vermögensschädigung  erleiden3).  Ebenso  wie  ein  Höuhst- 
betrag  festgesetzt  war,  bis  zu  welchem  man  der  Ehefrau  borgen 
durfte,  sodaß  sie  z.  B.  nur  eine  geringe  Summe  vertrinken®)  konnte, 

')  I)cr  [Handmnhl-jstein  war  eben  ein  Symbol  weiblicher  Arbeit,  s.  § 10b. 

2)  S.  unten  § 10a. 

3)  ÖW.  8,  605  Eggenburg:  bei  den  . . tadingen  sollen  sein  n tan , willen  und 

normen  — — . ÖW.  $,  100  Drösillg  1460:  ain  wittib  . . wag  so  vitl  verwandeln 
alfs  ain  mann.  — ÖW.  8,  147  Hörersdorf  1512:  Wie  ain  wittib  handelt , darnach 
soll  si  puefsen.  - ÖW.  8,  23  Wolfpassing  c.  1 630 : Es  ma$  auch  ein  fronte 

fridsamc  frau  nit  mehr  vertrinken  als  ja  f ein  wittib  die  ihrer  selbst  ist  alfs 
vH  alfs  ein  mann. 

4)  ÖW.  5,  359  Latzfons  u,  Vordings  [Tirol]  1539.  lugpan da  ist  ain 

man  . . ver  vollen  fünfzig  fhrml  und  ain  waib  sol  den  pagstain  tragen.  Dies  statt 
vieler  Beispiele.  Vgl.  Text  Lan,  Anhang  11. 

i)  S.  a.  Köstlin,  Ehrverletzung  nach  deutschem  Hecht  ZDIi,  15,431. 
I’fenninger,  Strafr.  d.  Schweiz  S.  63. 

•)  ÖW.  7,464.  Heiligenkreuzer  Generale  15.  Jh.:  Item,  ob  ain  weih 

hin:  ainem  leutgeben  vertrank  rok  mantl  slair ein  ires  marines  willen  una  wissen, 

tot  ir  der  leutgeb  nielitt  wer  darauf  porgen  etann  !2  . — Das  jüngere  WeistUüi 

von  Wolfpassing  (s.  Note  3)  setzte  32  ^ fest.  — 72  sind  die  Grenze  im 


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18 

ohne  ihres  Mannes  Willen,  grade  so  war  auch  begrenzt,  was  sie 
durch  Übeltaten  verwirken1),  verhandeln  und  verwandeln3')  konnte. 
Man  nahm  eben  die  Frauen  nicht  für  vollberechtigt  an  und  be- 
urteilte ihr  Gezänke  nicht  so  ernst  als  den  Streit  der  Männer 3). 
Ob  ....  itich  zwo  /rawn  vergangen  mit  red,  so  schulten  sich  di 
mannen  ntcht  darund/  annemen  sagt  das  Taiding  zu  Schatterlee 4). 
Doch  verfiel  ein  Weib,  das  sich  gegen  Männer  übel  benahm,  mit- 
unter in  besondre  Strafe;  namentlich  war  das  Herausfordernd 
eines  Maunes  durch  eine  Frau  als  unweiblich  mit  hoher  Buße 
verpönt.  Ebenso  war  es  ihr  verboten  sich  in  Männerhändel  zu 
mengen.®) 

Die  meisten  Weistümer  machen  keinen  Unterschied,  ob  die 
Frevlerin  verheiratet  war  oder  nicht,  ob  sie  Bäuerin  oder  Magd 
war,  ob  sie  im  Orte  selbst  oder  außerhalb  desselben  wohnte,  — 
alle  Weibspersonen , hausgetessen  oder  nicht1),  Jrau,  magd  oder 
tochter*),  jung  oder  alt*),  weiber  oder  andre  ledige  weibliche  pilt l"),  allen 

Amt  O.  u.  U.-Rohrbach,  16.  Jh.  (Ö\V.  8,  417).  — I)or  Wirt  wurde  sogar 
bußfallig,  wenn  er  mehr  verabfolgto.  ÖW.  8,  320.  Kipeltau  1512. 

')  Zu  den  Stellen  für  12.  32,  72  noch  eine:  ÖW.  8,  690  Falkenberg 
1566:  Hs  mag  aiuh  kein  frmu  wem  man  seine  guets  niehi  mer  venourchen  Jen  2 
um!  6 ^ . 

*)  ÖW.  8,  G80  Oetzdorf  1(1.  Jh.  — anderwärts  versebwatsen  n.  versehhgen. 

3)  ln  Bayrntani  ezwen  ritler  guet  wallten  Jarnmi  nieh'  kriegen,  Jas  ire  weiher 
sieh  zepiegen.  Stelle  aus  Zeichner  hei  Schmetter,  bair.  WB.-  1,  214. 

*)  Vom  Jahre  1489.  Anhang  Kl. 

5)  Die  bezüglichen  Stellen  sind  alle  miteinander  verwandt.  (IW. 
7,  5C5,  (laden  1431  [vgl.  UW.  7,  1065]:  Item,  Jas  ein  frmv  nieht  mer  verwirkt 
zu  wanJt  Jan  12  ^ , aufsgenommen  ob  si  ainen  man  aufs  seinem  häufe  vaJert  unJ 
manhait  allso  versehmähet,  Jie  toiir  to  tat.  Jer  Herrschaft  (der  Mann  blos  5). 
Vgl.  Text  Minkendorf,  Anhang  14.  — In  Wülfleinsdorf  a.  I,.  17  Jh.  betrug 
die  Buße  blos  72  fl  (ÖW.  7,448).  — In  I’faffstetten  17.  Jh.,  wenn  der 
eigene  Mann  herausgefordert  wurde,  blos  12  (ÖW.  7,536). 

*)  Für  Waflcnzutragen  32  Fl.  Strafe.  ÖW.  7,  1012,  Lockenhang  (West- 
ungarn) 17.  Jh. 

7)  ÖW.  8,  1095,  Guntramsdorf  1640. 

*)  Grimm,  Weist.  3,830  Knkcring  (Bayern).  — frau  oJer  Jirrn,  Tran- 
dorf,  Anhang  22,  Friedberg,  Anhang  7.  — weiber  oJer  Jiern,  Zwettel,  An 
hang  25. 

®)  Liesing,  Anhang  12,  sy  sey  iung  oJer  alt,  reich  oJer  arm  . . . harne  aufs- 
genommen. Kloster  F.nsdorf  c.  1460  Anhang  6. 

ln)  Lilienfeld.  Anhang  13. 


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17 


war  der  Bagstein  angedroht.  Andere  Gruppen  von  Teidingen  er- 
wähnen nur  die  contceiber  oder  andre  frume  f rauen  '),  eeweiber *)t 
gemessene*),  hausysensene*),  frume  gelante  f rauen*).  Der  Grund 
dafür,  datl  hier  bloß  von  haus- oder  grundbesitzenden')  Ehefrauen 
die  Rede  ist,  dürfte  sein,  daß  die  andern  teils  unter  der  häus- 
lichen Zucht  standen,  wie  die  Bauerntöchter  und  Mägde,  teils 
aber  einer  strengen  Bestrafung,  der  Ausweisung,  unterlagen»), 
wie  die  fahrenden  „freien “ Weiber.  Daher  sind  auch  in  einigen 
Rechten  die  inländischen  Frauen  zusammengefaßt')  und  den 
fremden,  fahrenden  gegenübergestellt.  Die  letzteren  konnten  über- 
dies vom  Beteiligten  sofort  nach  der  Missetat  gezüchtigt  werden9). 

Die  tatsächliche  bessere  Stellung  des  Vermögenden,  die  sich 
durch  das  ganze  ältere  Recht  verfolgen  läßt,  zeigt  sich  auch  beim 
Steintragen.  Zwar  bestand  rechtlich  kein  Unterschied  zwischen 
der  armen  und  reichen  Frau,  aber  tatsächlich  war  er  vorhanden. 
In  den  meisten  Fällen  wurde  die  Bagsteinstrafe  erst  verhängt, 
wenn  die  Buße  nicht  entrichtet  wurde.  Die  verhängte  Strafe 
konnte  durch  Geldzahlung  gewandelt  werden.  Wenn  eine  „Unge- 
gessene“ beleidigt  worden  war,  mußte  sie  sich  mit  einer  Schein- 
buße begnügen10). 

§ 5.  Das  Vergehen. 

Bagen,  also  Schelten  und  Streiten  war  das  Vergehen,  das 
dem  Bagstein  den  Namen  gegeben.  Die  Fälle,  in  denen  diese 

')  ÖW.  8,  939,  Hohenstein  e.  ISO«. 

*)  Stratzdorf  (Anhang  20). 

*)  ÖW.  7,  918,  Nnßdorf  u.  Heiligenstadt  15.  Jh.:  die  gesessen  sein  oder 
halt  ko/unfs  geben.  — 

4)  S.  16.  Anmerkung  7.  — ÖW.  8,  672  Grafenwerd  1433. 

5)  Senftenberg  (Anhang  18). 

®)  gelant  = gelandet.  — Auch  naehbarin  u.  frum  hat  vorzüglich  diesen  Sinn. 

*)  Herzogenburg  (Anhang  9). 

*)  Bogcn-Neusiedel  (Anhang  1).  ÖW.  7,  518. 

®)  ÖW.  8,  925,  Senftenberg  16.  Jh.:  ob  am  frei s föchtrl  herkäm  und  ainen 
fr  unten  man  mit  seheltworten  übel  handelt,  und  ob  si  dan  derselb  ....  mit  ainem 
scheit  sch/ueg,  der  ist  darum b kainfs  mandelfs  schuldig.  — Vgl.  Archiv  f.  Kunde 
österr.  Gesch.-Qu.  25,  103.  Mark  Grösten  § 34. 

*°)  ÖW.  7,  227,  Kamplach  17.  Jh.:  Wann  eine  gesessene  /rau  mit  einer 

/ rauen  oder  dirn  le stert  oder  schendt , soll  man  der  ledigen  dirn  zur  zehrung  geben 
3 und  die  andre  soll  den  pachstain  tragen. 

K ünßberg,  Dm  Steintragen.  - 


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Strafe  wegen  anderer  Übeltaten  verhängt  wurde,  sind  in  den  hier 
in  Betracht  kommenden  Quellen ')  so  selten,  daß  sie  als  Ausnahme 
gelten  können.  Es  sind  da  zu  nennen : Gotteslästern  *),  Fluchen 3), 
und  Trunkenheit4),  alles  Delikte,  die  zu  dem  Bagen  in  Beziehung 
stehen.  Ganz  vereinzelt  ist  die  Bestimmung  des  Weistums  von 
Eis,  welches  bei  Nichtzahlung  der  Geldbuße  für  verbotenes  Ge- 
treideschneiden den  Bagstein  androht  *).  Und  die  , Fassung  dieser 
Stelle  ist  wohl  nur  durch  Anlehnung  an  den  nächstfolgenden 
Artikel  zustande  gekommen,  der  vom  Frauengezänke  und  vorn 
Bagstein  spricht. 

Der  Unfriede  zwischen  Frauen  ist  vorzugsweise  die  Veran- 
lassung der  Steinstrafe.  Gelegenheit  zu  Friedensstörungen  durch 
„Haud  und  Mund“,  Wort  und  Werk6)  bot  sich  mancherlei:  beim 
Zusammenkommen  vieler  Frauen  auf  Markt7)  und  Straßen6),  bei 
der  Waschstätte9),  am  Bach10),  im  Weinberg11)  u.  s.  f.  Wie  die 
Frauen  auf  dem  Markt  und  bei  der  Arbeit  besonderen  Schutz 

■)  Uber  die  anderen  [nicht  bayrisch  - österreichischen]  Quellen  siehe 
oben  8.  13. 

*)  Herzogcnburg  (Anhang  9). 

3)  ÖW.  7,  G63,  Mauer  1730  (prechtl;  vgl.  aber  unten  S.  33).  — ln 
Khulb  stand  auf  Fluchen  Gefängnis,  auf  Scheltworte  der  Bagstein.  Archiv 
f.  K,  öst.  Gcsch.-Qu.  25,  115  u.  117. 

*)  ÖW.  7,  518,  Traiskirchen  1615:  Wan  die  weibsbersohnen,  si  seint  haus- 
gesessen  diernen  dienstboten  Inwohnerinnen , auf  offener  passen  an  einander  schelten 
oder  sieh  iberweinen  und  umichti g halten,  die  sollen  an  alles  mi/l  den  pockstein 
öffentlich  tragen  oder  mit  der  fidl  nach  gestalt  der  saehen  gestraft  werden . — 
Guntramsdorf  1640  (ÖW.  8,  1095)  stimmt  wörtlich,  doch  ist  dort  nur  von 
der  Fiedel  die  Rede. 

5)  Eis.  1605.  (Anhang  5). 

«)  ÖW.  8,  874  Ober-Bohrendorf  1434.  — Eis  (Anhang  5)  1605. 

*)  Archiv  f.  K.  öst.  GcschQu.  25,  105  Markt  G rösten.  — ebda  25.  132 
Eis  1487.  — ÖW.  8,  515.  Groß-Weikersdorf,  vor  1495:  Oh  two  /rauen  in  der 
freiuug  mit  einander  wärtln,  raufen  oder  schlagen,  die  »ein  schuldig  den  pag- 
stain  tu  tragen  oder  umb  dad  icandl  fi  ) 3 und  2 5).  geschiecht  e»  aber  nit  in 
der  freiung,  tu  s int  si  umb  6 fl  2 ^ , Man  ist  versucht,  statt  , oder * ,unrf*  zu 
leseu,  oder  einen  Fehler  in  den  Zahlen  anzunehmen.  Wie  ist  es  erklärlich, 
daß  für  Frevel  außerhalb  der  Freiuug  dieselbe  Bulle  bestimmt  ist,  wie  sie 
als  Ablösung  des  Bagsteins  bei  Freveln  wahrend  der  Freiung  eintritt? 

«)  ÖW.  8,  657:  315;  370.  — »)  ÖW.  8,  857  f. 

10)  ÖW.  8,657  Zeile  9;  vgl.  Zeile  18. 

11)  ÖW.  7,  961  Klosterneuburg  1512.  — e«  war  wo  es  ir oft,  :u  feit  oder 
tu  gatten  ÖW.  7.  124.  — Vgl.  ÖW.  7,  919. 


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genossen,  so  sollten  auch  sie  andere  Leute  in  Frieden  lassen.  Das 
Bergteiding  von  Klosterneuburg  drückt  dies  so  aus:  All  junk- 
frairen  und  /rauen  sullen  in  dem  perg  frxdsam  .sein,  avrh  den  frid 
in  dem  mund  halten.  Noch  deutlicher  war  das  Bannteiding  der 
Stadt  Eggenburg '):  Alle  erbahre  f rauen  die  «ein  friedber  also  lang 
kints  da»  »ie  dem  fried  selber  brüchet.  Man  konnte  sie  dann  buß- 
los beleidigen*).  Aus  den  Weistümern  hört  man  deutlich  den 
Ärger  über  das  Frauengezänke’)  heraus. 

Meist  wurden  die  Frauen  durch  Scheltworte  oder  durch  üble 
Nachrede4)  straffällig.  Dem  typischen  Formalismus  des  deutschen 
Rechts  entspricht  es,  wenn  seit  jeher  in  den  verschiedenen  Rechts- 
quellen bestimmte  Wörter  (Vorwurf  unehrlicher  Abstammung,  un- 
ehrlicher Handlungen,  Belegen  mit  Tiernamen  u.  dgl.)  als  verba 
interdicta,  verhorene  wort  u.  ä.  bezeichnet  werden.  Die  Quellen- 
stellen, die  vom  Bagstein  reden,  haben  dafür  den  Rechtsausdruck 
verbotene  v-orte 6),  führen  aber  keine  bestimmten  Worte  an®).  Es 
wurden  wohl  auch  besondre  Verbote  erlassen7).  Insbesondre 
darften  die  Schmähungen  nicht  treue  und  ehre*)  angehen.  also 
nicht  ehrenrührerisch 9)  oder  gar  ehrtötend 10)  sein. 

Dem  Wortstreite  und  den  Gebärden“)  folgten  Tätlichkeiten  **). 
Da  ist  handeln'3)  im  Sinne  von  „mit  der  Hand  etwas  tun“  ge- 


0 ÖW.  8,  609.  (17.  u.  18.  Jb.) 

’)  ÖW.  8,  444  Stockerau  vor  1465.  — ÖW.  8,  609:  949. 

®)  ÖW'.  8,  731.  889.  7,  1013.  Namentlich  die  Weistfimer  von  Eis  und 
Hartenstein  (Anhang  5)  im  Hinblick  auf  einen  konkreten  Fall. 

♦)  lugpan  ÖW.  5,  369.  »)  ÖW.  6,  58.  7,  105  u.  8.  f. 

®)  Wirklich  vorgekommene  Fälle  im  Archiv  f.  K.  öst.  GeschQu.  25,  132  ff 
— Statt  „verbotene  Worte“  heißt  es  auch  untitmliche,  unheecheidene , umcham- 
bare , untichtiye  irort  n.  ä. 

*)  irort  die  . . von  der  obrigkait  oder  richter  verfallen  teind.  ÖW.  7,  432. 
Zwölfaxing  c.  1569. 

*)  ÖW.  7,  628:  953:  983.  — Archiv  f.  K.  öst.  Gesch.Qu.  25,  105.  Ver- 
stümmelt in  treu  und  vor  ebda  25,  117.  — eh  re  und  glümpfen.  ÖW.  8,  788. — 

9)  ÖW.  8,  59.  ähnlich  ÖW.  7,  993:  8,  259;  510  u.  s.  f. 

10)  Zwettl  (Anhang  25).  — **)  ÖW.  8,  259  Windigsteig  17.  Jh. 

I5)  mit  unzüchtigen  icorthen  ....  und  vo/gtichen  mit  tchlägen.  ÖW.  8,  816 
Nondorf  1681. 

'*)  Gedersdorf  (Text  Stratzdorf,  Anhang  20).  — an  einander  handeln 
ÖW.  8,658.  ü beihandeln  ÖW.  8,652:  1084.  — freventlich  handeln  Grimm. 
Weist.  3,  684.  — verhandeln  ÖW.  8,  680. 

2* 


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•20 


braucht.  Doch  konnte  übelhandeln  auch  mit  Worten ')  geschehen. 
Häufig  sprechen  die  Quellen  von  raufen  und  schlagen'1). 

Mitunter  tritt  die  Bagsteinstrafe  nur  bei  tätlichen  Beleidi- 
gungen ein,  während  bloßer  Wortkrieg  eine  Geldbuße  einträgt3). 
In  Reichenau  (Nieder-Österr.)  war  in  der  Bestrafung  von  Schelten 
und  Raufen  der  Unterschied,  daß  ersteres  mit  Bagstein  oder 
Buße,  letzteres  mit  Bagstein  und  Buße  geahndet  wurde4). 

Artete  die  Prügelei  aus,  und  kam  es  zu  Wunden  oder 
Lähmungen,  so  richtete  sich  die  Strafe  nach  der  Verletzung5). 
Wenn  das  Raufen  nicht  in  den  Grenzen  der  Ehrverletzung  blieb, 
sondern  eine  Körperbeschädigung  zur  Folge  hatte 6),  so  sollte  auch 
an  Stelle  der  Ehrenstrafe  eine  Leibesstrafe  treten  ’).  Doch  es 
kommt  auch  vor,  daß  nebeneinander  Leibesstrafen  oder  der  Bag- 
stein angedroht  sind8),  oder  aber,  daß  das  Steintragen  nur  eine 
Verschärfung  der  ordentlichen  Strafe  ist9). 

Wenn  sich  die  Frauen  gegenseitig  geschlagen  und  beschimpft 
hatten,  so  wurde  häufig  nur  diejenige  straffällig,  die  den  Streit 
angefangen  hatte ,0).  Das  Zurückschlagen  war  also  nicht  Unrecht. 

>)  Stadtrecht  vuu  Wr.  Neustadt  cap.  34.  Arch.  f.  österr.  Gesch.  60,  215. 
— Solen  au  1412.  ÖW.  7,  382. 

»)  Zwettl  (Anhang 25).  Trandorf  (Anhang 22).  Minkundorf  (Anh.  !4)u.a.m. 

3)  Zwettl,  Minkendorf. 

4)  ÖW.  6,  69.  In  Spital  a.  S.  (ÖW.  6, 58)  stund  auf  Kaufen  nur  Geld- 
strafe: die  war  aber  für  Frauen  höher  (72  ^ ) als  für  Männer  (60  S^). 

5)  Minkendorf  und  Varianten  (Anhang  14.)  ÖW.  8,  672  Grafenwerd 
1433.  — Hierher  gehört  auch:  verschuldt  sie  aber  ain  mehrere , so  solle  sie 
auch  höher  gestrafft  werdet i ÖW’.  7,  345  Hohr  und  Schwarzenau  17.  Jh.  — 
nach  iem  verdienen  Text  Stratzdorf,  zweite  Stelle  (Anhang  20). 

*)  Vgl.  ÖW.  8,  949 : 953  Eis  und  Hartenstein. 

7)  Solche  sind  aufgezählt  ÖW.  8,680  Ötzdorf  16.  Jh.:  auch  mag  si 
verschuldn , das  man  si  durch  die  gackn  yrent,  auch  die  om  abschneiden  und 
unter  den  galing  (=  Galgen)  te  stussen.  Vgl.  OW.  8,  690. 

•)  ÖW.  8,259  Windigsteig  17.  Jh.:  Hürden  weibspersohnen krieg- 

bahr , so  sollen  sie  ohne  nachlass  an  leib  oder  guet  gestrafft  oder  andern  tur 
Warnung  [ihnen]  der  parhstein  angehenkt  werden. 

Archiv  f.  K.  österr.  Gesch.yu.  25,  105  Markt  Grösten : buckhstain  oder 

fidel  an  den  hals  henckhen und  . . nicht  destoweniger  nach  ihrer  lat 

gestrafft  werden. 

,0)  Herzogenburg  (Anhang  9):  ursacherin.  — OW.  7,  993  : 983.  8,243; 
788.  — Vgl.  11b.  n.  Distinkt.  llueh  V.  cap.  20.  dist.  7 (Ortloff  1,  304)  und 
Ofner  StR.  art.  155. 


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21 


Dieser  Satz  galt  jedoch  nicht  allgemein.  Wir  finden  auch  die 
Bestimmung,  daß  beide  den  Stein  tragen  müssen1).  Bemerkens- 
wert ist  in  dieser  Hinsicht  das  Trandorfer* **))  Weistum;  es  setzt 
fest,  daß  erst,  nachdem  beide  den  Stein  getragen  haben,  darüber 
befunden  werden  soll,  welche  Frau  im  Unrecht  ist.  Diese  muß 
dann  noch  den  Wandel  entrichten.  Wenn  sich  die  Verfeindeten 
aussCbnten,  so  konnten  sie  auch  straflos  ausgehen 5). 

Der  Natur  der  Sache  nach  sind  Bestimmungen  über  Streit 
zwischen  Frauen  und  Männern4)  in  den  Weistümern  seltener  als 
die  über  Frauenkrieg.  Die  Strafe  ist  oft  für  beide  Fälle  gleich 5). 
Andre  Quellen  wiederum  strafen  Scheltworte  zwischen  Frauen  mit 
dem  Bagstein,  verbotene  Worte  einem  Manne  gegenüber  mit 
Geld6).  Eine  Mittelstellung  scheint  das  Weistum  von  Ziersdorf7) 
(ebenso  das  gleichlautende  des  Nachbardorfes  Groß-MeiseldorP) 
einzunehmen. 

Für  unziemliches  Benehmen  den  obrigkeitlichen  Personen 
gegenüber  finden  wir  gleichfalls  die  Bagsteinstrafe  angedroht; 
also  wenn  Frauen  den  virrn  oder  zteelfern ’),  der  Herrschaft,  dem 
richter , den  gesworen 10)  nachreden.  Dazu  war  z.  B.  Gelegenheit  im 
Bannteiding,  dem  ja  unter  Umständen  Frauen  an  wohnen  konnten  n), 
oder  sogar  mußten 1J).  Namentlich  aber  wird  die  Tätigkeit  der 


•)  S.  § 7 am  Ende.  Friedberg  (Anhang  7).  — s)  (Anhang  22). 

s)  Laa  (Anhang  11).  — 4)  Ygl.  oben  S.  16. 

*)  Eipcltau  (Anhang  4.)  Senftenberg  (Anhang  18.)  Uedersdorf  (Text 
Stratzdorf,  Anhang  20).  Liesing  (Anhang  12.)  ÖW.  7,  62  Haübach  u.  Kirchau 
1566:  ÖW.  7,  644  Atzgersdorf  1666:  ÖW.  7.  424.  Velm  n.  Gutenhof  1725. 

•)  ÖW.  8,  12:  17  Ulrichskirchen  1438—52.  Drfising  (Anh.  2).  Praktische 
Fülle  aus  El*  1487  im  Arch.  f.  K.  Bat.  Geach.Qu.  25,  132:  A'.  Fleirschackerin 
. . . umb  2 und  6 (i^  ...  diu  sy  den  H’.  Schuster  ain  schering  hat  geheissen  — 

Kotbin  i /.. den  poclutnin  tragen  soll,  vmb  das,  dass  sy  ain  andreir  in  der 

freyung  geslagen  hat. 

7)  ÖW.  8,525  (16.  Jh.)  so  die  frnuen  in  dem  darf  an  einander  smeheten 
— die  sollen  den  pokstetn  tragen  und  ob  ein  frau  ein  man  handlet,  die  sol 
auch  den  pokstein  tragen  oder  mit  d^n  yericht  abkomen. 

*)  <>W.  8,530  (16.  Jh.).  — ®)  Kranichberg  (Anhang  10). 

I#)  Tattendorf  (Anhang  21).  Gehört  wahrscheinlich  hierher. 

■*)  ÖW.  7,  375  Picsting  1404  die  i rauen  die  da  sein  an  ihr  männer  statt. 

**)  ÖW.  7,  639  Atzgersdorf  c.  1450  das  ain  iegleich  man  oder  fraw  . . . . 

sein  tüllen  bei  dem  panlaiding.  ÖW.  8,  605  (S.  oben  S.  15  Anmerkung  3). 


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22 


Marktbeschauer ')  uud  Feuerbeschauer1)  den  Frauen  oft  ungelegen 
gekommen  sein  und  ihnen  darum  unfreundliche  Worte  entlockt 
haben. 


§ 6.  Das  Verfahren. 

Das  Verfahren  gegen  zänkische  Frauen  war  in  der  Regel 
das  gewöhnliche  Verfahren  in  Beleidigungssachen.  Der  niedere 
Richter  des  Tatortes3)  verhält  die  Schuldige  nach  Rat  seiner 
Beisitzer4)  zu  Widerruf,  Abbitte 5)  und  Versöhnung,  sowie  zur 
Zahlung  des  Wandels,  bezw.  zum  Tragen  des  Bagsteines.  Das 
Laa’er  Weistum6)  und  seine  Gruppe  schildert  das  in  anschau- 
licher Weise. 

Die  wichtigste  Besonderheit  bei  der  Bestrafung  der  Frauen- 
frevel war  der  Bagstein.  Andre  Besonderheiten  ergaben  sich  von 
selbst  aus  dem  Institut  der  Geschlechtsvormundschaft. 

Die  Frau  stand  unter  der  Vormundschaft  ihres  Ehegatten 
oder  ihrer  Anverwandten.  Der  Mann  hatte  demnach  die  Ver- 
antwortung, wenn  seine  Frau  sich  nicht  züchtig  benahm;  von  ihm 
wurde  verlangt,  daß  er  durch  angemessene  Vorhaltungen  und 
Strafen  (bei  den  ländlich  ursprünglichen  Verhältnissen  waren 
Prügel  etwas  Gewöhnliches7)  die  Zanksucht  der  Frau  heile6); 
sie  „stand  in  ihres  Mannes  Strafe9)“.  Ob  aber  ein  berechtigter 
Grund  zur  Züchtigung  vorlag  hatte  nicht  immer  der  Mann  allein 
zu  entscheiden.  In  Schatterlee 10)  wurde  die  Schuld  der  Frau  vor- 
erst gerichtlich  festgestellt  und  dann  dem  Manne  die  Bestrafung 

*)  Archiv  f.  K.  Bst.  Gesell. yu.  25,  102  Markt  Grösten  § 24. 

*)  ÖW.  8,  948  f.  Hartenstein  1805. 

3)  ÖW.  8,  G52  Dörfel  1835:  Welche  träte  die  ander  iibel  handlet , toll  ein 
richter  oder  ambtmann  mit  dem  pnehstain  straffen  und  Aüwen  und  tu  et  yetchäch 
in  andern  ämbtern.  toll  der  ambtman  ainetn  richter  antworten. 

*)  derer , yetchuorne,  biirger , rat,  gerichttinannen. 

*)  ÖW.  7,  393  Grillenberg  1747.  — ÖW.  8,  58  Weikendorf  1748.  — 
ÖW.  5,  359  Latzfons  u.  Vcrdings  1539. 

8)  Anhang  11. 

T)  Vgl.  Grimm,  RA.4  1,821. 

®)  Archiv  f.  K.  Sst.  Geschöu.  25,  97  Neumarkt,  Kngspach  18.  Jh.  hellen 
ry  [die  zerkriegten  Frauen]  mannen,  toll  man  ihn  dat  anteigen.  — t)W.  8,254 
Ulrichschlag  u.  Matzles  16.  Jh.  to  sollen  ti  di  mannen  straffen  und  di  mannen 
tollen  da*  wandt  geben.  — 

*)  Zwettl  (Anhang  25).  — lu)  Anhang  16. 


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•-'3 


aufgetragen.  Wenn  sich  jemand  zu  einem  Eingriff  in  dieses  ehe- 
herrliche Recht  hinreißen  ließ,  so  wurde  er  bußfällig1).  Bei 
handhafter  Tat  kamen  indes  Ausnahmen  vor2). 

Gelang  es  dem  Manne  nicht,  seiner  Frau  gute  Sitten  beizu- 
bringen. oder  wollte  er  sie  nicht  strafen3),  so  griff  die  richter- 
liche Gewalt  ein4),  die  sich  auch  bei  handhafter  Tat  der  Frevlerin 
unterwand3).  Der  Gatte,  der  sich  als  nachgiebig  und  schwach 
gezeigt,  mußte  selbst  Strafe  gewärtigen.  *).  Hierher  gehören  ins- 
besondere die  Bestimmungen,  daß  er  beim  Schandaufzug  einen 
Pauker  beistellen  oder  selbst  pauken  muß7).  In  der  Regel  wird 
der  Mann  alles  darangesetzt  haben,  seiner  Frau3)  und  sich*)  die 
Schmach  zu  ersparen  und  wird  womöglich  den  Wandel  gezahlt 
haben.  Widersetzlichkeiten,  Verstecken  der  Missetäterin  und  ähn- 
liche Hilfeleistungen  sind  da  nur  zu  begreiflich;  sie  waren  aber 
mit  einer  hohen  Buße  bedroht10).  Ebenso  verfiel  der  in  Strafe, 
der  darum  jemand  etwas  nachtragen  wollte11). 

Mitunter  werden  unfriedliche  Frauen  das  erstemal  bloß  ver- 
warnt; und  erst  wenn  sie  dann  nicht  auf  hören 1S),  nicht  davon  lassen 1S), 
oder  solich  List  erwart  imprauch  “)  haben,  wird  ihnen  der  Bagstein  an 
den  Hals  gehängt.  Wenn  auch  das  nicht  half,  so  konnte  die  zuestüßung 
auferlegt  werden l3).  Fahrende  Weiber  wurden  gleich  verwiesen.  ’*) 

*)  Archiv  f.  K.  öst.  GeschQu.  25,  90  Herrschaft  Topel:  vor  1515:  wenn 
ainer  »einem  nachher  »ein  weit  »chläyt  oder  schilt  und  klagt  ierem  mann  zuvor 
nit , ist  zu  wandt  6 ,1  2 -V  — Vgl.  Text  Stratidorf  (Anhang  20). 

*)  S.  oben  S.  19.  f)W.  8,  444. 

s)  Ulrichskirchen  und  seine  Gruppe  (Anhang  24). 

*)  d.  h.  also  in  der  Kegel:  die  Frau  nmU  den  Stein  tragen. 

*)  ÖW.  7,  961  Klosterneuburg  1512. 

*)  Tatteudorf  (Anhang  21).  Vgl.  Anhang  24. 

T)  Darüber  s.  unten  § 7. 

e)  GW.  8,  657  Kngclmannsbrunn  1500— 1534:  so  si  uher  dem  man  so  Heb 
wer,  »o  may  er  mit  der  obriyknit  abprechen.  — Vgl.  l’auli’s  Schimpf  u.  Ernst. 

*)  GW.  8,623  llippersdorf  15.  Jh.  ob  aber  ir  man  »ich  des  schämet  oder 
ireu  freunt , »e  may  ir  man  sei  dar  neiuen  umh  6 zlti  H . 

I0)  l'lrichskircheu  (Anhang  24):  Zwettl  (Anhang  25). 

u)  Scnftenberg  (Anhang  18).  n)  UVV.  8,792  Wegscheid  1882. 

*3)  GW.  7,  1004  Höflein  a.  d.  Donau  1540. 

u)  Herzogenburg  (Anhang  9). 

,3)  ÖW.  7,  1049  Kaiser  Steinbruch  1834  (Anhang  14).  — Vgl.  GW. 
8,  536  Iiarclsbach  1543 : Oh  etirar  fraw  odrr  mann  in  dem  jiurkfridt  hie  war 
. . . und  der  marktmeniy  mi  füeyet , der  setbiy  soll  zustiften 
Herzugenburg  (Anhang  9;. 


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24 


§ 7.  Der  Vollzug. 

Am  Vollzug  der  Steinstrafe  beteiligte  sich  die  ganze  Ein- 
wohnerschaft des  Ortes1)-  Wenn  in  den  Weistümern  davon  nur 
wenig  Erwähnung  getan  wird*),  so  ist  es  wohl  deshalb  weil  die 
Teilnahme  aller  etwas  Selbstverständliches  war.  Der  in  wenigen 
Quellen  ausgesprochene  Zwang3)  zur  Mitwirkung  war  früher  all- 
gemein. — 

Eine  große  Rolle  spielte  der  Richter,  bezw.  sein  Gehilfe  und 
Vertreter,  der  Büttel.  Er  hatte  dem  Weibe  den  Stein  an  den 
Hals  zu  hängen4)  und  führte  oder  trieb5)  die  Verurteilte  an  einer 
Fessel“)  den  vorgeschriebenen  Weg7)-  Für  das  Anhängen  und 
Abnehmen  des  Bagsteines  bezog  er  Gebühren8).  Das  Ausrufen 
der  Schuld  durch  den  Nachrichter  war  vermutlich  auch  dort 
üblich,  wo  es  nicht  geschriebenes  Recht  war“). 

Die  Genugtuung  und  Schadenfreude  der  begleitenden  Menge 
äußerte  sich  in  schmähenden  Worten,  spöttischen  Neckereien  und 
tätlichen  Beleidigungen.  Während  des  Strafvollzugs  war  die  Frau 
ja  nicht  vom  Frieden  geschützt.  Begreiflicherweise  benützte  die 
übermütige  Straßenjugend  '")  mit  Vergnügen  jede  solche  Gelegenheit 
zu  lärmen.  Es  wurde  sogar  auf  die  Mitwirkung  der  Buben  ge- 
rechnet. In  Saubersdorf11)  lieferte  ihnen  der  Richter  die  Eier1*), 


*)  11  rspriinglieh  geschah  dies  während  des  Kirchnmgangs. 

*)  Diepolts  16.  Jh.  (UW.  7,  230)  und  i'r  mann  t oll  knufn  ain  einer  mein 
den  nachpern. 

*)  Penk  16.  Jh.  (ÖW.  7,  286)  und  sollen  alle  naehpam  milgeen.  Die 
Lesart  nachtperin  klingt  recht  wahrscheinlich.  — Ensdorf  (Anhang  6)  dopey 

tollen  all  man  und  frawtn  sein  . , und  t rer  . . . nit  dobey  ist sol  da~  wandelen 

mit  12  . . den.  — Vgl.  auch  die  gemeinsame  Arbeit  an  der  Schandsteinkette 
in  Ploeu.  (Kinder,  l'rk.B.  z.  Chron.  d.  Stadt  Ploen,  S.  34  f.) 

4)  ÖW.  7,  961:  1004.  8,  138  : 510.  u.  a.  m. 

5)  Das  Treiben  ist  namentlich  in  den  (hier  außer  Betracht  bleibenden) 
Stadtrechten  oft  erwähnt. 

“)  Eipeltau  (Anhang  4).  — 7)  S.  27  f. 

“)  Zwettl  (Anhang  25). 

9)  Senftonberg  (Anhang  18).  Hicmit  in  Zusammenhang  steht  die  Ver- 
wendung von  Paukern  und  Pfeifern.  Darüber  gleich  unten  S.  25. 

,#)  Vgl.  Grimm  BA.4  2,  317.  — **)  Anhang  15. 

1J)  Wahrscheinlich  faule  Eier.  Vielleicht  liegt  hierin  zugleich  die  Strafe 
für  Nichtzahlung  der  Eierbuße,  die  anderwärts  zum  Steintragen  hinzukaui. 
F.haftbuch  v.  Enkering  (Grimm  Weist.  3,  360;  Item  welche  trau der  andern 


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25 


mit  denen  sie  die  Verurteilte  bewerfen  sollten1).  Damit  die  Er- 
innerung an  die  Strafe  langer  anhalte,  bekamen  die  Burschen 
Wein*),  den  die  Frau  zahlen  mußte.  Vielleicht  war  durch  diese 
Mitwirkung  bezweckt,  daß  die  Knaben  seinerzeit  als  Ehemänner 
ihre  Frauen  in  Zucht  halten  und  ihnen  eine  derartige  Schmach 
ersparen  sollten.  Der  Wein  war  zugleich  auch  Vollstreckungs- 
und Gerichtsgebühr,  ebenso  in  dem  Falle3),  wo  alle  Nachbarn 
am  Trünke  teilnahmen 4). 

Um  eine  größere  Zahl  von  Schaulustigen  herbeizulocken  und 
die  Übeltäterin  noch  mehr  dem  Spotte  und  dem  Gelächter  preis- 
zugeben, bestand  in  Ulrichskirchen1)  und  in  einigen  anderen  Be- 
sitzungen des  Stiftes  Heiligenkreuz  der  Brauch,  daß  der  Richter 
einen  Pfeifer  und  der  Ehemann  einen  Pauker  als  Geleite  bestellen 
sollten.  In  einem  Weistume6)  ist  vorgeschrieben,  daß  der  Mann 
selbst  pauken  soll  und  so  zur  Strafe  für  schlecht  geübte  Haus- 
zucht Hohn  und  Schmach  miterdulden7). 

Verschärft  wurde  die  Strafe  der  steintragenden  Frau  dadurch, 
daß  ihr  das  Rasten8)  verboten  wurde,  beziehungsweise,  daß  sie 


an  ihr  ehr  freventlich  redt . . . die  toll  geben  hundert  eier,  dartu  itrafhar  sein  mit 
dm  stein  - — . 100  Eier  gehören  zum  .Küchendienst“.  Maurer  Fronhöfe 
3.  242  f.  Eierstrafen  sind  als  Strafen  für  Frauen,  die  über  Geld  keine  Ver- 
fügung hatten,  sehr  entsprechend  und  kommen  auch  allgemein  vor.  I.oerscli 
Weist,  der  Rheinprov.  I 1,  237. 

*)  Vgl.  Grimm  RA4  2,  319  (heim  Eselritt)  a parvulis  cum  ovis  lapi- 
dentur.  — Verslagcn  en  Meded.  d.  Vereeniging  tot  uitg.  d.  bronnen  5,57. 
Der  zum  Kakstehen  Verurteilte  muß  faule  Äpfel  liefern,  mit  denen  er  dann 
beworfen  wird.  1521. 

*)  Eipeltau  (.Anhang  4). 

*)  Diepolts  (Kranichberger  Texte.  Anhang  20).  Vgl.  Grimm  RA.  2,320 
Anmerkung. 

4)  Vgl.  das  Weintrinken  nach  dem  Hundetragen.  OW.  7,  1045. 

s)  Anhang  24.  Dort  sind  auch  die  andern  Orte  genannt.  Dazu  kommt 
noch  Minkendorf  (Anhang  14)  und  Trumau. 

®)  Kaiser  Steinbruch  in  Westungarn.  (Text  Minkendorf,  Anhang  14.) 

*)  Das  entspricht  der  Sitte,  daß  beim  Eselritte  der  geprügelte  Ehe- 
mann das  Tier  führen  muß.  Grimm  RA.4  2,318.  Gierko  Humor*  70 
Wein  hold  Deutsche  Frauen3  2.  7. 

*)  Vgl.  das  Kasten  am  Grenzkreuz  beim  Hundetragen.  OW.  7,  1045. 
Dort  soll  es  jedoch  eine  Erleichterung  der  Rechtshandlung  sein. 


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•26 


für  jedes  Basten  eine  Buße *)  zahlen  mußte.  Die  Frau  bemühte 
sich  natürlich  möglichst  wenig  zu  rasten,  schon  aus  dem  Grunde, 
um  dem  Gespötte  bald  zu  entgehen.  Das  Senftenberger  Weistum !) 
schreibt  dreimaliges  Basten  vor,  wohl  damit  der  Nachrichter  zu 
seinen  Gebühren3)  komme. 

Eine  andre,  anscheinend  dem  Folterbrauch  entlehnte  Ver- 
schärfung ist  die  einmal4)  begegnende  Bestimmung:  der  richier 
» oll  Ir  den  Hain  drei  tntd  in  den  rucken  Julien  lernen.  Es  ist 
kaum  anzunehmen,  daß  in  dem  dreimaligen  Steinfallenlassen  eine 
letzte  Erinnerung  un  die  Steinigung  *)  zu  erkennen  ist;  ebenso  ist 
höchst  unwahrscheinlich,  daß  „in  den  rucken  fallen  lassen “ so  viel 
bedeutet  als  ,anA<inyen‘  und  daß  demnach  hier  nur  von  dreimali- 
gem Basten  die  Bede  ist 

Der  Tag  des  Strafvollzuges  ist  nur  in  zweien  der  österr. 
Weistfimer  festgesetzt6).  Wir  dürfen  jedoch  annehmen,  daß  der 
schimpfliche  Umzug  in  der  Begel  an  den  Gerichtstagen  oder  Markt- 
tagen’), wenn  eine  große  Menschenmenge  beisammen  war,  statt- 
gefundeu  hat;  und  zwar  entweder  gleich  nach  Zuerkennung  der 
Strafe,  am  selben  Tage6)  oder  am  nächsten  Gerichtstage ä).  Letzteres 
dann,  wenn  die  Bagsteinstrafe  erst  bei  Nichtzahlung  der  Geldbuße 

*)  /j  ^ als  oft  sie  rast  Schönberg  (Anhang  17):  Wegscheid  ÖT.  8,972. 
El»  (Anhang  5).  Kierling  ÖW.  7,  983.  als  oft  si  den  von  ihr  legt  Senften- 
berg  (Anhang  18.)  - 24  Rosenburg  a.  Kamp  ÖW.  8,  788  als  oft  man  ir  in 
anhenkt  ist  si  :u  wandl  is  und  abnimmt  auch  is  \ ; demnach  24  3)  bei 
jeder  Rast.  72  Zwettl  (Anhang  25);  Reichenau  OÖ,  lirimm  Weist.  3, 
684.  Hohenstein  ÖW.  8, 939.  niederzulegen  auf  den  hoi.ksiain.  Reichenau  u. 
Hohenstein  standen  unter  gleicher  Herrschaft. 

2 und  o tiedersdorf  ÖW.  8,  891. 

ä)  (Anhang  18)  den  stain  drei  * tunt  niderlegen. 

*)  In  Wegscheid  fiel  die  Rastbutte  an  die  Herrschaft,  in  Hohenstein  an 
den  Richter. 

4)  Ebersdorf  a.  Zaya  (Anhang  3).  — 4)  Vgl.  unten  § 10b. 

*)  Herzogenburg  (Anhang  9)  am  negslen  treiltay.  Reichenau  NÖ.  (<>W. 
6.  69)  an  sund  Jacobstag  oder  ainrm  andern  tag  nach  anfsazung  der  gegentrichter. 

’)  Am  Jakobitag  war  wohl  Jahrmarkt  in  Reichenau.  Einen  andern  Tag 
werden  die  tiogendrichter  bestimmt  haben,  wenn  die  Zeit  bis  Jakobi  zu  lang 
war.  Ähnliches  ninssen  wir  annehmen,  wenn  wir  Wendungen  wie  nach  der 
hurger  hekandnuss  l)W.  7,  9 u.  ä.  auch  auf  die  Ansetzung  des  Tages  beziehen. 

H)  ohn  ai nichts  auftiehen  oder  r erlenyerung.  Lilienfelder  Text  (Anh.  13). 

’)  Osenbrüggen  Wiener  SB.  41,  222  mit  Bezug  auf  die  Stelle  am 
ingstsn  frei'tag  (oben  Anmerkung  6). 


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•27 


eintrat.  Das  Wiener  Neustädter  Stadtrecht1)  läßt  vierzehn  Tage 
Zeit  zur  Zahlung. 

Während  in  vielen  Rechtsdeokmälern  die  Androhung  sie  a oll 
den  pagetein  tragen  ganz  allgemein3)  gehalten  ist,  ohne  Hinzu- 
fügung näherer  Umstände,  zeichnen  dafür  andere  in  mannigfaltigster 
Weise  den  Weg  vor,  den  der  Strafumzug  zu  nehmen  hat.  Die 
älteste  der  hieher  gehörigen  österreichischen  Quellen,  das  Wiener 
Neustädter  Stadtrecht,  befiehlt  das  Tragen  eines  Werkzeugs  usque 
ad  metas  terre  noetre,  an  dag  zil  und  gemerk  unsere  lande s.  Es 
erinnert  also  noch  deutlich  an  die  Landesverweisung.  Die  Dorf- 
rechte  als  nichtherzogliche  Satzungen  gelten  nur  in  engerem 
Kreise.  Hier  sind  Ziel  und  Gemerk  der  Markstein4),  die  Warte 5), 
das  Grenzkreuz6),  die  Grenzbrücke ’).  Auch  das  in  Kranichberger 
Texten  begegnende  ,bimark‘ 8)  bedeutet  Grenze.  Zu  der  in  außer- 
österreichischen Rechten  öfters  vorkommenden  Prozession  in  eine 
andere  Pfarre  finde  ich  bloß  eine  Entsprechung  in  den  österr. 
Weistümern9). 

Häufig  sind  dagegen  Wendungen  wie  ,von  einem  Falltor  zum 
zum  andern110),  ,von  einem  Ort11)  zum  andern1  und  ähnliche13). 

')  Arch.  f.  öst.  Gosch.  GO,  215. 

*)  Solenau  1312  ÖW.  7,  382.  Helmonsnd  Grimm  Weist.  3,  685  u.  v.  a. 
— herumb  tragen  Lilienfelder  Text  (Anhang  13). 

4)  Engelmannsbrunn  1500  - 1534.  ÖW.  8,  657. 

s)  Schönberg  (Anhang  17). 

*)  Reichenau  OÖ.  Grimm  Weist.  3,684.  — Reichenau  NÖ.  ÖW.  6, 69. 
Spital  a.  S.  ÖW.  6,58.  7)  Ensdorf  (Anhang  6).  Vgl.  unten  § 11a. 

8)  Anhang  10.  An  den  angeführten  Stellen  wird  das  so  häutig  mill- 
verstandene  Wort  pinn.erkf  und  , pimerk ‘ geschrieben. 

9)  Heiligenstadt,  Ende  16.  Jh.  ÖW.7,913;  von  ainer  kirche  zu  der  andern. 

Iü)  Damit  wird  das  ganze  (Reihen  =»)  Dorf  bezeichnet.  Vgl.  Wer  un- 

rechte  in  an»  gibt verwandelt  ro»  jeder  hofztat  von  ainem  valtar  zu  d-m  andern 

7 2$i.  Heiligenkreuz  15.  Jh.  ÖW.  7,465.  — Steintragen  von  ainem  falltar 
zum  andern  von  ainem  ort  zum  andern  l'lrichskirchen  (Anhang  24).  durch 
dai  gantz  darf  auf  und  ab,  von  aim  valtar  zum  andern  Zwettl  (Anhang  25). 
im  dorf  auf  und  nider  v.  e.  v.  z a.  Eipeltau  (Anhang  4)  u.  s.  f. 

'*)  ,Ort‘  bedeutet  ,Ende‘.  von  iiem  obern  ort  uns  auf  da»  under.  XuUdorf 
u.  Heiligenstadt  15.  Jh.  ÖW.  7,  919  von  einem  ort  zum  andern  Senftenberg 
(Anhang  18).  Trandorf  (Anhang  22)  u.  a.  in. 

“)  alt  weit  der  markt  i»t  Gfell  ( )W.  8,  935  Anmerkung,  zu  ring  umb  und 
umb  in  dem  dorf.  Gedersdorf  (Text  Stratzdorf  Anhang  20).  zu  der  einen  zeit 
auf  zu  der  andern  ab.  Hohenstein  ÖW.  8,  939. 


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•2S 

Sehr  interessant  ist  die  Ebersdorfer  Bestimmung:  zu  ainem 
rulUor  atusz  und  umb  da»  darf  und  zu  dem  anderen  valter  wider 
hinein.  Diese  Vorschrift  ist,  falls  sie  nicht  einfach  in  örtlichen 
Verhältnissen  begründet  war,  vielleicht  so  zu  erklären:  Es  wird 
scheinbar  die  Verweisung  vollzogen,  die  Frau  muß  aus  dem  Dorf 
hinaus.  Dann  wird  sie  begnadigt  am  andern  Ende  des  Dorfes 
wieder  hereingelassen. 

Der  vorgezeichnete  Weg  war  meist  lang1),  und  mußte  wohl 
auch  wiederholt  werden2).  Der  Sinn  solcher  Bestimmungen  war: 
die  büßende  Lästerzunge  sollte  von  möglichst  vielen  Leuten  im 
Dorfe  gesehen  werden.  Je  öffentlicher3)  ihre  Schmach,  umso 
härter  war  ihre  Strafe,  und  umso  eher  nahmen  sich  andre  unge- 
bärdige Weiber  ein  warnendes  Beispiel  daran.  Wer  öffentlich 
gescholten,  trug  vor  allermänig  den  Stein4). 

Der  durch  die  Scheltworte  an  ihrer  Ehre  gekränkten  Frau 
wird  es  zur  besonderen  Genugtuung  gereicht  haben,  wenn  das 
Ziel  des  Strafumzugs  ihr  Haus  war5).  So  war  auch  die  Wieder- 
herstellung ihres  geschädigten  Rufes  am  vollkommensten. 

Wenn  alle  beiden  streitenden  Parteien  zum  Steintragen  ver- 
urteilt waren,  so  mußte  die  Urheberin  des  Gezänkes  auch  mit  der 
Strafe  beginnen;  am  Ziele  hatte  die  nichtnachgiebige  andre  den 
Stein  zu  übernehmen  und  zurückzubringen4).  In  Spital  am 
Semmering7)  war  für  jede  ein  besondrer  Weg  vorgezeichnet; 
möglicherweise  ist  die  Stelle  so  zu  verstehen,  daß  die  beiden 
Strafumzüge  gleichzeitig  stattfanden  und  sich  beim  gemeinschaft- 
lichen Ziele,  dem  Pranger  trafen.  So  ist  gleichsam  die  Ver- 
söhnung, das  „Wiederzusammenkommen“  symbolisch  ausgedrückt. 


*)  dreimal I umb  den  pranyer  . . darnach  all  gatten  autt  und  wider  zu  dem 
pranyer  Grafenwerd  1433  Ü\V.  8.  672. 

*)  dreymal  in  dein  aigen  Hfitteldorf  und  W'atzendorf  1562.  Kaltcn- 
baek  2.  115. 

*)  offen  lieh  tu  pursten  mit  dem  paehtlain  Ober  Kohrendorf  1484  ÖW.  8, 
874.  öffentlich  um  die  vteitchpenk  Neunkirchen  1564  ÖW.  7,  213  (,um  die  Fleisch- 
bänke1 etwa  gleich  ,um  den  Markt1;  im  vorangehenden  Satz  ist  von  Pleisch- 
hackern  die  Rede).  — 4)  Friedberg  (Anhang  7). 

*)  biß  tu  der  beleidigten  haut.  Herzogenburg  1566  (Anhang  9). 

•)  Schönberg  (Anhang  17).  Reichenau  No.  ÖW.  6,  69. 

»)  ÖW.  6,  58. 


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29 


Das  Friedberger  Teiding  *)  sagt  einfach  so  sollen  sie  beide  — 
den  bachstein  — tragen. 


§ 8.  Neben-  und  Ersatzstrafen. 

a)  Geldstrafe.  Gefängnis.  Verweisung. 

Von  den  Strafen a)  die  in  den  Weistflmern  neben  dem  Stein- 
tragen und  an  dessen  Stelle  genannt  werden,  ist  die  wichtigste 
die  Geldstrafe.  Einmal  ist  als  eigentliche  Strafe  der  Bagstein 
genannt,  der  jedoch  durch  Geld  abgelöst  werden  kann;  ein  ander- 
mal ist  in  erster  Linie  Geldstrafe  angedroht  und  erst  bei  Nicht- 
zahlung der  schmähliche  Umzug  mit  dem  Steine.  Wieder  andre 
Bechtsweisungen  sprechen  nur  von  Bußgeldern.  Osenbrüggen3) 
nimmt  an,  daß  die  Steinstrafe  die  ältere,  ursprüngliche  ist,  die 
nach  und  nach  in  Abnahme  kam  und  durch  Geldbußen  ersetzt 
wurde.  Dagegen  ist  zu  bedenken,  daß  von  allem  Anfang  an4) 
das  Steintragen  an  zweiter  Stelle  genannt  wird,  oder  doch 
wenigstens  in  eine  Geldstrafe  umgewandelt  werden  konnte.  Es 
soll  der  Verlotzten  statt  der  sühnenden  Summe  die  Genugtuung 
geboten  werden,  daß  die  Frevlerin  sich  öffentlich  erniedrigen  muß5). 

*)  Anhang  7. 

*)  Daß  bei  Augarten  des  Zankes  und  bei  Körperverletzungen  besondre 
Strafen  eintraten,  wurde  bereits  erwähnt.  S.  20. 

s)  Wiener  SB.  41  (1863)  221. 

4)  1182  Loi  de  Beaumont  (Cuut.  d duche  de  Lui.  1,  10):  mutier  gue 

muiieri  convitia  dixerit 5 toi.  soloet et  si  . . tolvere  noluerit  lapides 

portabit.  Dies  ist  die  älteste  Stelle,  welche  vom  Steintragen  handelt. 
Vgl.  Frensdorff  in  Hansische  GeschQu.  3,35  Aum.  31.  — Die  harmtchar 
des  Wiener  Neustädter  StR.  Kap.  34  ist  ablösbar:  das  Steintragen  im  Markte 
Solenau  1412  (ÖW.  7,  382)  ebenfalls.  Der  Teit  von  Stratzdorf  (Anhang  20) 
kennt  nur  Geldstrafe. 

*)  Man  vergleiche  damit,  wie  gegen  zahlungsunfähige  Schuldner  verfahren 
wurde.  ÖW.  8,  949  Hartenstein  c.  1605;  Item  wer  einem  dem  andern  dat  vollen! 
übel  geil  in  dem  tont,  to  itt  er  der  hemehaft  ein  frävehwandel  2 und  6 ß 3[  und 
dem  gotishaus ....  ain  pfunt  wax.  to  er  dat  teax  nicht  hat , to  toll  ihn  ain 
phleger  dar-.ue  bringen  und  halten  dat  ihm  der  pfarrer  umb  die  kirchen  treib  alt 
ein  tchuldinger.  Ebenso  ÖW.  8,  955  Eis.  — Ähnlich  ÖW.  8,  817  Ober  Non- 
dorf   1681 : tolle  ihm  ein  pfarer  alß  einen  unvennögentlicben  Schuldner 

öffentlich  in  der  kirchen  und  umb  die  kirchen  herumb  treiben.  — Anderwärts 
das  Sitzen  auf  dem  „kalten  Stein“.  Grimm  RA.4  2,  162.  Liebrecht  Zur 
Volkskunde.  S.  427  ff. 


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30 


Wenn  der  Hagstein  richtigerweise  als  Handmtihlstein  zu  deuten 
ist1),  so  konnte  die  Demütigung  einstens  vollkommenen  Ersatz 
für  die  uneinbringliche  Buße  bieten : die  zanksüchtige  Frau  arbeitete 
eben  mit  dem  von  ihr  getragenen  Stein  als  Mühlmagd  ihre  Straf- 
schuld ab.  Als  von  dieser  Strafarbeit  bloß  mehr  das  Symbol 
übrig  geblieben  war,  konnte  leicht  der  Gedanke  entstehen, 
daß  die  Erniedrigung,  die  öffentliche  Schaustellung  mit  dem 
lächerlichen  Gepränge  die  eigentliche  Strafe  für  Schandmäuler  sei. 
und  da  wurde  es  als  eine  Gnade2)  oder  Huld3)  bezeichnet,  wenn 
der  büßenden  Frau  gestattet  wurde,  sich  durch  Geldzahlung  von 
der  Ehrenstrafe  zu  lösen.  So  konnte  es  auch  dazu  kommen,  daß 
das  Steintragen  unter  Umstanden  für  unablösbar4)  erklärt  wurde. 

Geldstrafe  oderSteintragen  setzen  fest  die  Weistümergruppen: 
Eis4),  Laa4),  Liesing4),  Saubersdorf4),  Grinzing'),  Khulb7)  u.  a. 

In  erster  Linie  Steinstrafe  und  diese  durch  Geld  ablöslich 
bestimmen  die  Rechte  von  Ensdorf8),  Hippersdorf9),  Kahlenbergen- 
dorfl#),  Lilienfeld"),  Nufsdort"),  Ober  Nonndorf13),  Solenau“), 
Wilhelmsdorf14)  u.  a. 

Wandel  und  Bagstein  kommen  auch  nebeneinander  vor;  so 
in  folgenden  Texten:  Gutenstein  ’6).  Kranichberg,  LangEnzersdorf1*), 
Ober  Rußbach  ’*),  Schöuberg,  Senftenberg,  Stratzdorf,  Trandorf, 
Weikendorf1*),  Zwettl,  Crösten20)  u.  s.  f. 

Im  Siedinger  Weistum21)  heißt  es:  und  soll  dem  Richter  darum 
danb'n.  Dieser  Dank  bestand  in  der  Entrichtung  des  Wandels. 

Die  Einhebung  der  Geldbuße  stand  in  gewisser  Beziehung 
zum  Strafvollzug.  So  wurde  z.  B.  das  Geld  auf  den  Bagstein  ge- 

•)  S.  unten  § 10b. 

*)  i eil  mon  ti  begnaden  ÖW.  8,  13t  Wilhelmsdorf  1512.  ÖW.  8,  147; 
417;  579:  872.  Arch.  f.  K.  Bst.  GeschQu.  25,  90. 

*)  ÖW.  8,  953,  Eis  1605. 

*}  ÖW.  8,  731  Schönberg  1430  (Anhang  17).  ÖW.  8,  510  Ober  Rufsbach 
1561:  ohn  alle  gnad.  ebenso  Friedberg  i.  Böhmen.  ÖW.  7,518  Traiskirchen 
1615:  an  alles  mitl.  4)  Anhang  5.  11.  12.  15. 

•)  ÖW.  7,  938.  - ’)  Archiv,  f.  K.  Bst.  GeschQu.  25,  117. 

8)  Anhang  6.  — »)  ÖW.  8,  623.  — '»)  ÖW.  7,  944. 

")  Anhang  13.  — **)  ÖW.  7,919:  913.  — »)  ÖW.  8,816. 

■*)  ÖW.  7,  382.  — 14)  ÖW.  8,  131:  147:  417. 

«j  Anhang  8.  — ,T)  ÖW.  8,  329.  — ">)  ÖW.  8,  510. 

>•)  ÖW.  8,  48.  — 5»)  Archiv  f.  K.  Bst  GeschQu.  25, 105. 

«')  ÖW.  7,  250. 


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31 

legt1);  der  Betrag  steigerte  sicli  mit  jeder  Rast5;,  wurde  nach 
der  Wegstrecke  berechnet5),  für  das  Anhängen  und  Abnehmen*) 
des  Steines  oder  beim  Aufnehmen  nnd  Niedersetzen5)  desselben 
gesondert  entrichtet. 

Der  Geldbetrag,  welcher  von  dem  Bagstein  befreite,  war  sehr 
verschieden.  Die  Festsetzung  des  großen  Wandels  von  32  tat 
zielte  wohl  auf  Nichtablösung  der  Ehrenstrafe ‘)  ab.  Auch  10  tal.7) 
konnten  nur  wenige  aufbringen.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  be- 
trug die  Ablösungssumme  2 f$6.5|a),  also  den  kleinen  Wandel 
Doch  findet  sich  auch  die  altüberlieferte  Scheltbuße  von  5 Pfd.*) 
und  andere  Beträge in). 

Die'Summen,  die  neben  dem  Steintragen  entrichtet  werden 
mußten,  variieren  in  ähnlicher  Weise  zwischen  5 fl.  ")  und  12  j|IS). 
Eine  besondre  Rolle  spielten  die  Rastbußen15). 

Statt  in  Geld  wurde  auch  in  Naturalien  gezahlt:  erwähnt 
werden  Getreide1*),  Wachs’5),  Wein1*)  und  Eier1T).  Das  Wachs 
wurde  an  die  Kirche  entrichtet. 

*)  ÖW.  7,  993  Höflein  a.  Donau  1512:  auf  den  pockstein  :u  trandl  legen 
72  3 ■ — ÖW.  8,  939  Hohenstein  c.  lfiOO.  niederzulegen  auf  den  pockstain  72  A . 

>)  S.  oben  S.  25  f. 

3)  OW.  7,  352  Gutenstein  15.  Jh.  ein  gasten  hinab . . , die  ander  n ieder 
herauf  ; hinab  i»  , herauf  auch  u ^ . 

*)  ÖW.  8,  788  ltoscnburg  1604.  — Zwettl  (Anhang  25.) 

5)  Gedersdorf  (Teit  Stratzdorf , Anhang  20).  6)  Lilienfeld  (Anhang  13). 

7)  Archiv  f.  K.  österr.  OcschQu.  25,  90.  Topler  Herrschaft  1515. 

8)  Also  die  Hälfte  von  5 fl.  — Dieser  Bußsatz  erlitt  mit  der  Zeit  die 
merkwürdigsten  Veränderungen.  Folgende  Ansätze  gehen  auf  ihn  zurück: 

2 und  S fl  (1500  ÖW.  8,  658),  die  häufigste  Form.  6 fl  2 3,  (1495  ÖW.  8, 15). 
taund6fl  3 (Archiv  f.  K.  ö.  G.  25,  99;  102).  62f 1 1727  (ÖW.  8, .500).  45  Kr. 

2 $ = 2 und  6 fl  i)  (Archiv  f.  K.  ö.  G.  25,  132.  ÖW.  8,  .508). 

9)  .5  tal.  (StR.  v.  Wiener  Neustadt.)  5 Pfd.  (Herzogenburg,  Anhang  9). 

5 Pfd.  72  (ÖW.  7,  919).  5 Pfd.  6o  j)  (ÖW.  7,  913).  .5  Fl  6 fl  (ÖW.  8,  857). 

“)  / tal.  (ÖW.  7,  382).  i Pfd.  (ÖW.  7,  953).  2 Pfd.  $ (ÖW.  7.  596). 

7 2 3,  (ÖW.  8,  131).  60  (ÖW.  8,  690).  22  fl  (Archiv  f.  K.  ö.  G.  25,  117). 

")  ÖW.  8,  510.  — >'J)  ÖW.  8,  935  Note.  — 1S)  S.  oben  S.  26. 

■*)  ÖW.  8.  315  Kagran  17.  Jh.  alle  weiber  sn  — — schelten  oder  raufen  — 
seint  . . der  herrschaft  verfallen  ain  muth  habern  ohn  alle  gnadt  oder  tragen  den 
pockstain.  Grimm  RA.4  2,  238  f. 

,s)  Bogen  Neusiedel,  Anhang  1.  - Arcli.  f.  K.  öst.  GcschQu.  25,  132.  — 
Wachs  gehörte  zur  Gerade.  Grimm  IiA.4  1,  115.  Scheltende  Weiber  bringen 
Schreibpapier  und  Sicgclwachs  aufs  Rathaus.  Grimm,  RA.*  2.  239  Anmerkung. 

’«)  S.  S.  25.  - ")  8.  24  f. 


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32 


Vereinzelt  ist  statt  des  Bagsteins  die  Gefängnisstrafe  ange- 
droht1); auch  Verweisung  kommt  vor’). 

b)  Fiedel. 

Vielfach  war  an  Stelle  des  Bagsteins  die  Fiedel  als  Straf- 
werkzeug für  scheltende  Weiber  in  Gebrauch s).  Dieses  Instrument 
(auch  geige*),  halsgeige *),  prechel6)  genannt)  diente  dazu  Hals  und 
Hände  einzuspannen.  Es  bestand  aus  Holz  oder  aus  Eisenbändern. 
Die  Lästermäuler  wurden  damit  an  den  Pranger  gekettet  oder  im 
Orte  herumgeführt1). 

Der  Grund  dafür,  daß  die  Fiedel,  die  viel  später  in  Gebrauch 
kam  als  der  Bagstein,  denselben  allmählig  verdrängte,  mag  wohl 
gewesen  sein,  daß  die  Fiedelstrafe  dem  Bedürfnis  nach  sinnlichem 
Ausdruck  der  Strafe  viel  mehr  entsprach.  Die  eigentliche  Be- 
deutung des  Bagsteins  war  vergessen,  sein  Name  ward  nicht  mehr 
verstanden  und  da  bot  sich  als  willkommener  Ersatz  ein  Werk- 
zeug, das  durch  seine  Gestalt  und  Bemaluug  das  Vergehen  in 
lächerlicher  Weise  widerspiegeln  und  so  Spott  und  Hohn  in 
gesteigertem  Maße  hervorrufen  konnte.  Der  Abschreckungszweck 
wurde  damit  viel  besser  erreicht.  Man  denke  an  die  drastische 
Wirkung  einer  Doppelfiedel! 

Die  Verbreitung  der  Fiedel  scheint  von  den  Städten  ausge- 
gangen zu  sein..  In  Wien  strafte  bereits  1443  der  Sterzermeister 
mit  der  Prechel8).  In  den  Dörfern  ist  der  Ausdruck  fiedel  seit 


')  Schattcrlce  (Anhang  IC),  keiche  ÖW.  6,  193  Wein  (17.  Jh.) 

J)  S.  oben  S.  17.  27, 

s)  Nur  soweit  soll  hier  von  ihr  gehandelt  werden.  — liedel  oder  eiten 
Schwanberg  1.598  ÖW.  6,  382.  — Mel  Kohr  u.  Schwarzau  17.  Jh.  ÖW.  7,  345. 
— Ml  Rauhenwart  u.  s.  w.  1614  (Text  Laa  Anhang  11).  Hartberg  1618 
ÖW.  6,  124. 

4)  ÖW.  7,  432  Zwiilfaxing  1562.  Tresdorf  1582  (Anhang  23).  geige  oder 
lidl  Tresdorf  1685.  — Weiz  17.  Jh.  ÖW.  6,  193. 

4)  ÖW.  8,860.  Groß  Gerungs  1701;  haltring  ebda  S.  856,  858. 

6)  ÖW.  7,  663.  Mauer  1730. 

7)  ÖW.  6.  193  Weiz  17.  Jh.  öffentlich  alle  gatten  in  der  Jidl  oder  geigt 
aoßgefihrt.  — ÖW.  7,673  Mauer  1730  die  weiber,  ..  in  der  prechel  im  ort 
auf  und  ab  gefüliret,  todann  an  die  bei  der  kirchen  itehende  prechl gespannt  werden. 

8)  v.  Schwind  und  Dupsch  Urk.  z.  Verf.  Gescb.  d.  flsterr.  Erblande 
S.  357  ; 359. 


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33 


der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jh.  belegt1).  Nicht  viel  davon  ver- 
schieden war  wohl  das  eisen  pant,  das  bereits  1512  genannt  wird  *). 

Mit  dem  Aufkommen  der  Fiedel  war  bei  den  konservativen 
ländlichen  Verhältnissen  der  Bagstein  nicht  aus  der  Welt  geschafft. 
Die  beiden  Strafwerkzeuge  wurden  vorerst  zusammen5)  angewendet 
oder  auch  alternativ*).  Es  wurde  einfach  in  den  althergebrachten 
Wortlaut  desTeidings  die  Fiedel  aufgenommen,  wobei  der  Wortlaut  im 
übrigen  unverändert  blieb 6).  So  erklärt  sich  auch  der  nicht  ganz 
passende  Ausdruck  „die  Fiedel  anhängen“.  Denkbar  ist  ferner,  daß  in 
einigen  Fällen  die  Fiedel  nicht  nur  die  Funktion,  sondern  auch 
den  bereits  unverständlich  gewordenen  Namen  des  Bagsteins 
übernahm,  daß  also  in  den  Teidingstexten  der  Bagstein  fortge- 
führt wurde,  die  Fiedel  aber  als  Strafmittel  verwendet  wurde,  ja 
daß  man  die  Fiedel  auch  Bagstein  nannte6). 

§ 9.  Wirkliches  Vorkommen  des  Steintragens. 

Darüber,  ob  das  Bagsteintragen  in  Wirklichkeit  häufig  oder 
selten  angewendet  wurde,  lassen  sich  nur  Vermutungen  anstellen. 
Die  Nachrichten,  die  auf  uns  gekommen  sind,  sind  recht  kärglich. 
In  Katzmair’s  Gedenkbuch ’)  steht  eine  Notiz  zum  Jahre  1399. 


f)  Also  in  einer  Zeit,  wo  nach  stärkerem  ltückgang  der  Bovölkerungs- 
zahl  durch  die  Törkeneinfällc  wieder  zahlreiche  neue  Ansiedler,  insbesondere 
aus  Franken  und  der  Oberpfalz  ins  Land  kamen.  Sollte  damit  etwa  das 
Auftauchen  der  Fiedel  in  Zusammenhang  stehen  ? 

*)  in  Eipeltau  (Anhang  4).  — fiedel  oder  eiten  (S.  32,  Anm.  3)  glaube 
ich  ebenfalls  heranziehen  zu  können. 

*)  Rohr  u.  Schwarzau  17.  Jh.  (Anhang  8,  Gutenstein). 

4)  Bogen  Neusiedel  (Anhang  1)  ÖW.  7,518  Traiskirchen  1G15.  — Archiv 
f.  K.  öst.  GeschQu.  25,  105  Grnsten.  ÖW.  8,  466  Sicrndorf  18.  Jh.  ÖW.  7, 
393  (Vgl.  8,  59)  Grillenberg  1747.  — Vgl.:  krotenttein,  fitdel  oder  pfeife 
Schleiz  1620.  Grimm  RA.4  2,  315. 

4)  Textgruppe  I.aa  (Anhang  11).  Vgl.  die  bei  Bogen-Neusiedel  (An- 
hang 1)  gegebenen  Varianten,  welche  auf  einen  Text  schließen  lassen,  der 
älter  als  der  von  Bog.-N.  war  und  die  Fiedel  nicht  enthielt.  — Vgl.  auch 
die  Texte  Traiskirchen  und  Guntramsdorf  (oben  § 5,  Anmerkung  4). 

®)  Die  Stelle  ÖW’.  8,466  Sierndorf  18  Jh.:  borgtteiner  oder  füedel  tragen 
ist  besonders  geeignet,  eine  derartige  Vermutung  wachzurufen.  Vgl.  auch 
die  andern  in  Note  4 angeführten  Stellen. 

*)  [ei]  fiengen  ain  dient und  Mengen  der  den  baebtlain  an.  (München 

1399)  Chron.  d.  deutsch.  Städte  15,  490. 

K An fiberg,  Du  Strlntrageu  3 


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34 


Eine  weitere  findet  sich  in  einer  Aufzeichnung  über  das  Bann- 
teiding  zu  Eis1)  in  Nieder-Österreich  vom  Jahre  1487.  Daraus 
allein  kann  man  keinen  Schluß  ziehen.  Es  darf  nicht  vergessen 
werden,  daß  es  sich  um  ländliche  Verhältnisse  handelt,  wo  die 
Schreiblust  nicht  grade  groß  war,  und  daß  die  geringen  Vergehen, 
auf  die  der  Bagstein  stand,  nicht  aufzeichnenswert  waren.  Daß 
die  Strafe  aber  geläufig  war,  ist  wohl  aus  den  wiederholt  ge- 
brauchten Ausdrücken ; als  recht  ist,  als  gewonlich  ist,  als  von  alter 
herkommen  u.  dgl.  zu  entnehmen.  Unger’s*)  Annahme,  daß  das 
Bagsteintragen  im  16.  Jahrhundert  aufgehört  habe,  dürfte  im 
allgemeinen  richtig  sein,  denn  damals  verbreitete  sich  der  Ge- 
brauch der  den  Stein  ersetzenden  Fiedel 3).  Inwieweit  das  spätere 
Vorkommen  des  Bagsteins  in  den  Quellen  den  wirklichen  Ver- 
hältnissen entsprach,  beziehungsweise  in  wievielen  Fällen  der  alt- 
überkommene*) Teidingswortlaut  unange wendet6)  und  unverstanden 
weitergegeben  wurde,  läßt  sich  kaum  entscheiden.  Interessant  ist 
in  dieser  Hinsicht  das  Ebersbrunner  Teiding  vom  Jahre  1586 s), 
in  dem  der  Satz  vom  Pfeifer  und  Pauker  mit  Bleistift  gestrichen 
ist.  Es  scheint  also  im  übrigen  das  Steintragen  noch  vorge- 
kommen zu  sein. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  wohl  die  Steinstrafe  durch 
Geldzahlung  abgelöst  worden  sein. 


*)  Arch.  f.  Kunde  Ssterr.  GeachQu.  25,  132. 

*)  Steir.  Wortschatz  S.  45.  — s)  S.  oben  S.  32  f. 

*)  S.  unten  (Anhang  21)  den  Tattendorfcr  Text,  der  nach  300  Jahren 
noch  fortgeführt  wurde. 

5)  ln  einer  Handschrift  des  Neunkirchncr  Marktleidings  (1534)  aus 
dem  18.  Jahrh.  steht  beim  Steintragen  die  Bemerkung:  Seind  aber  bithero 
mit  anderen  »tragen  belegt  worden.  ()\V.  7,  213  Anmerkung  10. 

6)  Anhang  24  (Ulrichskirchen).  Doch  wäre  noch  zu  ermitteln,  aus 
welcher  Zeit  der  Bleistiftstrich  stammt. 


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35 


in. 

Zur  Entstehung  der  Strafe  des  Steintragens. 

Die  Lösung  der  Frage:  Wie  ist  die  Strafe  des  Steintragens 
zu  erklären?  wird  durch  einige  Umstände  erschwert:  Aus  früher 
Zeit  besitzen  wir  Bur  sehr  spärliche  Nachrichten.  Später  war 
dann  Gestalt,  Bezeichnung  und  Gebrauch  der  Strafsteine  ziemlich 
mannigfaltig.  Überdies  fanden  Steine  die  verschiedenste  Ver- 
wendung bei  der  Strafvollstreckung,  im  gewöhnlichen  Leben  und 
in  religiösen  Bräuchen.  Es  ist  also  Raum  zu  zahlreichen  Ver- 
mutungen. 

Mag  auch  die  Steinstrafe  nur  aus  einer  Wurzel  entsprungen 
sein,  so  ist  doch  jedenfalls  ihre  weitere  Entwicklung  und  Ver- 
breitung verschiedentlich  beeinflußt  worden.  Insbesondere  auch 
durch  die  Vorstellungen,  die  man  sich  jeweilig  von  dem  Zwecke 
dieser  Strafe  und  von  ihrem  Ursprünge  machte.  Es  genügt  daher 
nicht,  die  Keime  aufzudecken,  aus  denen  die  Steinstrafe  erwachsen 
ist;  man  muß  überdies  eine  Reihe  andrer  Erklärungsversuche 
erwägen. 

§ 10.  Erklärung  aus  der  Harmschar. 

a)  Die  Harmschar  überhaupt. 

Die  Erklärungen,  welche  J.  Grimm  und  Waitz  geben,  sind 
darauf  gegründet,  daß  das  Steintragen  eine  Form  der  Harmschar ') 
war.  Daher  ist  von  dieser  auszugehen. 

Das  ältere  Recht  kennt  eine  ganze  Reihe  von  Fällen  sym- 
bolischer Prozession  als  Strafe.  Dabei  mußte  der  Missetäter  einen 
bestimmten  Gegenstand  zur  Schau  tragen.  Der  Edle  trägt  einen 
Hund8),  der  Reiter  einen  Sattel’),  der  Bischof  eine  Handschrift4), 

')  Grimm  RA.4  2,  255  f.  Waitz  VU.  4a,  523  Anmerkung;  6a,  607. 
Brunner  RG.  2,506.  v.  Amira  Grundzngo3  147.  Schröder  RG.4  352 
Anmerkung  18.  Hinschius  KR.  5,  109,  4.  DuCange4,  169  f.  Kluge  Etym. 
WB.“  162.  Körting  Lat.  rum.  WB.a  Nu.  4495.  Diez  Etym.  WB.4  612. 
Brinkmeier  Gloss.  1,  961. 

*)  Grimm  RA.4  2,  309  ff.  Waitz,  VG.  6*,  605  f.  — Aber  auch  Nichtcdle: 
ÖW.  7,1045.  Gehört  das  Katzentragen  hiehcr?  Grimm  DWB.  5,288. 

»)  Grimm  RA.4  2,  312  ff.  Brunner  RG.  2,596.  Waitz  VG.  6a,  606  f. 

4)  Waitz  VG.  6»,  606. 

3* 


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3ß 


der  Bauer  ein  Pflugrad1);  auch  Kerzen*),  Ruten*),  Besen4), 
Stäbe*),  bloße  Schwerter*),  abgebrochene  Schwerter'),  Slricke 
um  den  Hals*),  Ketten  um  den  Leib*)  werden  bei  solchen  Buß- 
nnd  Strafumzügen  getragen.  Das  Tragen  von  Ruten,  Schwertern, 
Stricken  n.  dgl.  soll  die  eigentlich  verwirkte  und  bloß  gnaden- 
weise erlassene  Strafe  des  Auspeitschens,  Köpfens  und  Hängens, 
andeuten;  dies  ist  in  einigen  Fällen  ausdrücklich  ausgesprochen10). 
Grimm11)  vermutet,  daß  es  sich  auch  beim  Hunde-,  Sattel-  und 
Pflugradtragen  in  ähnlicher  Weise  um  eine  symbolische  Andeutung 
des  Hängens,  „Bereitens“ IS)  und  Räderns  gehandelt  habe. 
Waitz1*)  erblickt  in  den  aufgezäblten  Gegenständen  Zeichen  des 
Berufes  der  von  einer  solchen  Ehrenstrafe  Getroffenen  und  weist 
auf  den  Fall  hin,  daß  ein  Bischof,  „der  mindestens  schriftkundig 
sein  sollte,“  eine  Handschrift  trägt14);  den  Hnnd  erklärt  er  als 
Jagdhund.  Die  Waitz’sche  Ansicht  scheint  mir  zutreffend  zu 
sein  und  ihren  quellenmäßigen  Beweis  (abgesehen  von  allge- 
meinen Wendungen  in  den  Urkunden1*)  namentlich  in  folgender, 


•)  Grimm  RA.4  2,  315.  Waitz  a.  a.  0. 

a)  Grimm  RA.4  2,306.  1,237.  Hinschius  KR.  5,  115  Anmerkung. 
Zcitschr.  d.  Aachener  UeschV.  6,  32,  44,  58.  26,  384. 

’)  Grimm  RA.4  2,308.  Hinschius  KR.  5,  114  Anm.  1 u.  3. 

4)  Grimm  RA.4  2,  308. 

*)  Grimm  RA.4  1,  185. 

*)  Grimm  RA.4  2,  306  f. 

T)  Grimm  RA.4  2,304.  Osenbrnggon  Alam.StrR.  107. 

•)  Grimm  RA.4  2,  307. 

*)  namentlich  bei  ButSwallfahrtcn.  Grimm  RA.4  2,  300.  Hinschius 
KR.  5,  105. 

I0)  8.  die  bei  Grimm  RA.  zitierten  Fälle. 

")  a.  a.  0.  S.  314  f. 

**)  Er  meint  Erniedrigung  zum  Reittier. 
u)  VG.  6*,  606. 

14)  epitcopu*  codicem.  Am.  Gest.  Mediol.  I 19,  S.  811  bei  Waitz.  VG. 
6.*  605,5.  Vgl.  Stöber  S.  82:  Im  Bistum  St.  Die  mußte  ein  Priester, 
welcher  Gott  gelästert,  ein  Kirchenbuch  oinc  Strecke  weit  zur  Kirche  hin- 
austragen. 

UJ  ttcundum  dignilatem  vet  conditionem , uvundum  convenientiam , proui 
tui  tanguinia  nobititaa  hu  generia  conditio  ....  reguirit.  Grimm  RA.4  2,  310  f. 
Wer  die  Grimm’sche  Deutung  vorzieht,  wird  diese  Ausdrücke  auf  die  Straf- 
art beziehen. 


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37 


von  Waitz  nicht  angeführter  Stelle  des  Wiener  Neustädter  Stadt- 
rechtes  ')  zu  finden: 

Sed  si  ipsum  dt  canibus  aut  \ Hat  er  in  aver  von  den  hunden 
iumentis  vituperaverit , iudici  in  oder  von  dem  vich  gescholten,  so 
j tat.  teneaiur  et  offenso  pro  ho-  beleibt  er  dem  richter  $ pfunt 
nore  de  sue  artis  utensili  usque  pfenning  und  dem  übelhandelten  tu 
ad  metas  terre  nostre  erecto  de-  einen  ern  sol  er  etleich  zaichen  s einet 
portel  brachio  aliquod  instrumen-  geteuges  oder  seinez  hantwerchez 
tum;  — — swaz  daz  ist  mit  aufgerakten  arm 

offenwar  tragen  an  das  zil  und  an 

Et  hec  pena  harmschar  dici-  das  gemerk  unser z landez. Die 

tur  vulgär Her.  j selben  pizzhaist  man  die  harmschar. 

Diese  Bestimmung  ist  eine  Analogie  zur  Strafe  der  Feiertags- 
entheiligung, wie  sie  uns  in  einer  von  Du  Canges)  gebrachten 
Urkunde  überliefert  ist:  Si  aliquem  in  aliquo  praediclorum  Jesto- 
rum  vel  die  Sabbati  post  vesjsercts  oiderint  vel  sciverint  relalu  fide 
dignorum  opera  ruralia  facere ; si  divites  eint  solvant  quinque  so- 
lidos  ad  luminare  suae  Ecclesiae;  si  pauper  quimpee  dies  Lbminicos 
sequatur  processionem  in  camisia  et  femoralibus,  habens  super  collem 
instrumentum  cum  quo  operabatur 

Hier  ist  die  Harmschar  typisch  für  eine  spiegelnde*)  Strafe. 
Man  könnte  darin  überhaupt  den  Ursprung  der  symbolischen 
Prozession  suchen.  Dann  wäre  die  Harmschar  in  der  Anwendung 
als  Strafe  für  Ehrenkränkung  bereits  eine  Weiterbildung. 

Ein  anderer  Weg,  die  hier  auftauchenden  Fragen  zu  lösen, 
ist  der,  daß  man  in  den  bei  der  Harmschar  getragenen  Oegen- 


*)  cap.  34  f.  Archiv  f.  österr.  Gesch.  60,  215  f.  Vgl.  dazu  die  Kritik 
von  Winter  ebda  8.  150  f. 

*)  Glossarium  4,  70  liarmucara  am  Ende.  Statuta  eccl.  Trccor.  apud 
Marten,  tom.  4.  col.  1109. 

*)  Von  einer  Sonntagsentheilignng  durch  Mahlen  auf  der  Handmnhle 
erzählt  uns  die  Vita  St.  Bertini,  die  im  11.  Jahrh.  entstanden  ist.  [Acta 
Sanctorum.  Sept.  II,  624  c.  2.]  Zur  Strafe  für  die  Sonntagsarbeit  und  für 
ihre  Lästerrede:  vQuot  sunt,  quotque  numerantur  anni  solo,  toi  nostri  pres- 
byteri  codex  inscriptas  habet  testivitates * blieb  der  sündigen  Frau  die  Hand  an 
der  Mühle  hängen,  nnd  sie  wurde  erst  in  der  Kirche  davon  befreit.  Sie 
trng  also  den  Mühlstein  bis  zur  Kirche. 

4)  Brunuer  HG.  2,589. 


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38 


ständen  Symbole  der  Strafknechtschaft1)  erblickt.  Wer  die  ver- 
wirkte Buße  nicht  zahlt,  verfällt  in  Strafknechtschaft.  Als  Straf- 
knecht wird  der  Übeltäter  natürlich  zu  Arbeiten  in  seinem  Berufe 
verwendet  oder  zu  den  niedrigsten  Arbeiten  seines  Lebenskreises. 
Um  die  Standesveränderung,  die  mit  den  Schuldigen  vorgegangen 
ist,  sichtbar  zu  machen,  trägt  er  nun  öffentlich  Zeichen  seines 
Berufes:  der  Handwerker  sein  Werkzeug,  der  Bauer  seinen  Pflug, 
der  Reiter,  der  nun  als  Sattelknecht  zu  dienen  hat,  einen  Sattel 
n.  s.  w.  Die  Strenge  des  Rechts  ließ  nach,  und  die  symbolische 
Handlung,  die  nur  das  Herabsinken  in  die  Unfreiheit  zeigen  sollte, 
wurde  die  eigentliche  Strafe.  Die  Strafe  bestand  nur  mehr  in 
einer  einmaligen  Erniedrigung  zu  knechtischen  Handlungen.  Damit 
war  genügend  angedeutet,  daß  der  Verurteilte  eigentlich  die  Straf- 
knechtschaft verwirkt  habe,  und  daß  sie  ihm  bloß  gnadenweise 
erlassen  sei3). 

Die  Strafknechte  wurden  in  der  Regel  ins  Ausland  oder  in 
einen  andern  Gau  verkauft.  So  wird  bei  der  symbolischen  Pro- 
zession, namentlich  beim  Steiutragen,  der  Brauch  erklärlich,  daß 
der  Zug  von  einer  Grafschaft,  Herrschaft  in  die  andre,  von  einem 


')  Fcicrtagsarboit  hatte  Strafknechtschaft  zur  Folge.  (Brunner  HU. 
2, 593  f.).  Durch  die  britischen  Missionäre  kam  diese  Strafe  in  die  lex 
Alant  38  und  lex  Bai.  App.  I,  1.  (Brunner  Forschungen  471).  v.  Schwind 
macht  (Neues  Archiv  31,  435,  2)  aufmerksam,  daLS  die  angelsächsischen  Buß- 
bücher, die  im  übrigen  bctreils  der  Sonntagsentheiligung  die  Vorlage  der 
beiden  genannten  Volksrechte  sind  (Brunner  Berliner  SB.  1885  S.  164  f.), 
die  Bestimmung  über  Strafkucchtschaft  nicht  cuthalten.  Sie  gebrauchen 
den  Ausdruck  exterminabitur  ab  ecclaia.  Dieser  geistlichen  Strafe  des  Aus- 
schlusses aus  der  Kirche  entspricht  die  weltliche  des  Ausschlusses  aus  der 
staatlichen  Kechtsgemeiuschaft,  die  Verknechtung.  Die  Strafknechtschaft 
ist  meist  auch  ein  exterminan.  Einen  Fall  von  Verknechtung  als  Strafe 
für  Beleidigung  zitiert  Hinschius  Kit.  5,204,  11. 

s)  Eine  weitere  Untersuchung  der  Harmschar  fällt  aus  dem  Haltmen 
dieser  Arbeit  heraus.  Doch  mag  darauf  hingewiesen  werden,  daß  zugleich 
mit  der  Strafprozession  auch  wirkliche  Strafarbeit  auferlegt  worden  ist. 
(Beispiel  bei  Hinschius  KK.  5,  109,4.)  Vielleicht  ist  harmtchar  ursprüng- 
lich gleichbedeutend  gewesen  mit  , Strafknechtschaft,  Strafarbeit1,  und  ist 
erst  später  zur  Bezeichnung  der  sich  davon  abspaltenden  Strafe  des  schimpf- 
lichen Zuges  zur  Strafarbeit  (Variante  z.  Ssp.  I 38  § 1 : die  och  harmtchar 
gegangen  haben  cor  ir  mittetad)  und  die  Strafft  selbst  geworden.  Vgl. 
Lex  er  Mhd.  HWB.  1,  1184. 


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39 


Dorf  ins  andre  geht.  Später  ist  dies  abgeschwächt,  und  der  Umzug 
findet  blos  bis  zur  Grenze  des  Herrschaftsgebietes  statt  und 
wieder  zurück,  oder  gar  nur  auf  einer  bestimmten  Strecke  inner- 
halb des  Ortes.  Da  ist  dann  der  andere  Gesichtspunkt  maßgebend, 
daß  eine  Ehrenstrafe  desto  empfindlicher  wirkt,  je  mehr  sie  öffent- 
lich bekannt  wird.  Der  einstmalige  Verkauf  in  die  Fremde  ist 
ganz  vergessen;  als  eine  letzte  Erinnerung  daran  mag  die  in 
manchen  Rechten  mit  der  Strafe  des  Umzugs  gleichzeitig  verhängte 
Verweisung  gelten. 


b)  Das  Steintragen. 

Entsprechend  ihren  Erklärungen  der  symbolischen  Prozession 
fassen  Grimm  und  Waitz  auch  das  Steintragen  verschieden  anf. 
Grimm1)  sieht  darin  die  Steinigung  angedeutet,  Waitz  ver- 
mutet ein  Zeichen  weiblicher  Arbeit  darin. 

Für  Grimm  spricht  die  Analogie  zum  Schwert-  und  Seil- 
tragen. Doch  eher  als  an  Steinigung  wäre  an  das  Lebendigbe- 
graben zu  denken.  Das  Lebendigbegraben  war  vorzugsweise 
Frauenstrafe  *)  u.  zw.  für  die  gleichen  Verbrechen  angedroht,  wie 
später  das  Steintragen.  Ja,  es  läßt  sich  in  einem  Falle  eine  un- 
mittelbare Aufeinanderfolge  beider  Strafen  nachweisen.  In  Braun- 
schweig3) hieß  es  im  Jahre  1401  von  Kupplerinnen:  de  schall  me 
leaendich  begraben.  Das  Braunschweiger  Stadtrecht  von  1535 
Tit.  22,  2 droht  ihnen  mit  dem  Schandstein. 

Waitz4)  sagt:  „Es  ist  vielleicht  an  den  Mühlstein  zu  denken, 

')  RA.4  2,317.  Ebenso  Stöber  i.  d.  Alsatia  1876  S.  83:  131  ff.  — 
S.  134,  2 weist  Stöber  darauf  hin,  wie  die  Steinigung  des  Märtyrers 
Stephanus  symbolisch  dargcstcllt  wurde:  »er  trägt  einen  Stein  auf  dem  Buch, 
einen  andern  Stein  auf  dem  Kopfe“.  Bas  spricht  gegen  die  Ansicht  Qrimm’s. 

s)  „Der  Mann  an  den  Galgen,  die  Frau  unter  den  Stein“.  Grimm 
RA.4  2,  266.  Vgl.  ebda  2,  274. 

*)  Braunschw.  UB.  1,313.  — Fronsdorff  in  ZSRG.  (germ.)  26,  246, — 
Wenn  die  Vermutung  Sack’s  (.Die  Schandsteino  tragen  und  sich  aufs  Maul 
schlagen.“  Vaterl.  Arch.  d.  hist.  Ver.  f.  Niedersachsen  1841,  10)  richtig  ist, 
daii  es  sich  bei  der  Stelle  der  Braunschw.  Ratsrechnung  (a.  1402)  3 d Corde  bodele 
vor  den  t ten  aß  Io  i reghende  um  den  Schandstein  bandelt,  dann  wäre  das  Stein- 
tragen in  Braunschw.  schon  für  1402  erwiesen;  es  bliebe  noch  die  Frage, 
wofür  die  Strafe  eintrat. 

4)  VG.  6,*  606  Anmerkung. 


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40 


mit  dem  sie  (die  Frauen)  das  Korn  mahlten“’)  und  will  im  Stein- 
tragen wohl  mit  Recht  ein  Gegenstück  zum  Hunde-  und  Sattel- 
tragen erblicken.  Die  Wartung  der  Jagdhunde*),  die  Sorge  um 
das  Sattelzeug*)  war  ebenso  knechtische  Arbeit  wie  das  Mahlen 
Magdarbeit 3).  Die  Mühlmägde  galten  als  die  niedersten  Mägde, 
ihre  Arbeit  als  die  schwerste,  es  war  daher  eine  sehr  empfindliche 
Strafe,  in  solche  Knechtschaft  versetzt  zu  werden4)8).  Umsomehr 
gewinnt  die  Waitz'sche  Ansicht  an  Stichhaltigkeit. 

Wenn  auch  in  späterer  Zeit  — wohl  mit  der  zunehmenden 
Verbreitung  der  Wassermühlen  und  besonders  in  den  Städten  — 
der  Ursprung  der  Steinstrafe  vergessen  wurde,  so  weisen  doch 
einige  Erinnerungen  darauf  zurück.  Hieher  rechne  ich  die  Ab- 
lösung der  Strafe  durch  Liefern  eines  Sackes  Getreide6),  oder 
durch  Neubespannen  der  Windmühlflügel  mit  Leinwand’).  Nach 
DoeplerV)  Bericht  sollen  Lastersteine  in  Mühlen  aufbewahrt 

*)  Es  kann  nur  eine  Handln  filile  gemeint  sein.  (vgl.  Heyne  Deutsche 
Hausaltertümcr  1,  44).  Getragen  wurde  der  obere  Stein,  der  ja  auch  einen 
King  und  ein  Holz  dazu  hatte.  S.  auch  oben  S.  37  Anmerkung  3. 

s)  Grimm  HA.4  1,  486.  Vgl.  H.  Schräder  Bilderschmuck  d.  deutschen 
Sprache  161. 

s)  Grimm  RA.4  1,485.  Weinhold  Deutsche  Frauen1  2, 50ff.  0. 
Schräder  Rcallexikon  d.  indog.  Altert.  512.  Koehne  D.  Recht  d.  Mühlen 
(Gierke  Untersuchungen  Heft  71)  S.  20.  — Steine  fanden  auch  bei  andern 
weiblichen  Beschäftigungen  Verwendung:  als  Gewichte  am  Webstuhl:  zum 
Glätton  des  Tons  u.  s.  f. 

4)  Derartige  Fälle  sind  verzeichnet  bei  Grimm  a.  a.  0.  8.  a.  Leier  Mhd. 
WB.  1,2221  an  mülen  ziehtn.  — Koehne  a.  a.  0.  15  Anmerkung  41.  Vgl. 
Grimm  DWB.  6,  2643  „als  Bild  für  etwas  schwer  drückendes:  den  mühlttein 
der  tchweren  dienttbarkeit  am  halte.  (Wieland)“.  Beispiele  andrer  Mühlen- 
fronden Grimm  RA.4  1,615.  Koehne  a.  a.  0.  40. 

*)  Schiller  Lübben  Mnd.  WB.  3,404  bringt  aus  Falck’s  Staats- 
bürgerl. Magazin  9,696  folgende  Stelle:  a.  1103  do  trat  ein  man,  mechtich 
van  wunden  de  hatlde  eine  dochter , de  vortpeelde  ere  eert  mit  einem  knechte, 
det  wart  er  vader  war  unde  hant  er  einen  yuemiteen  iho  deine  halte.  Da  mir 
Fa  Ick  unzugänglich  war,  so  konnte  ich  nicht  nachprüfen,  ob  es  sich  hier 
um  Verknechten,  Ersäufen  oder  Steintragen  handelt. 

*)  Grimm  RA.4  2,  238  f.  Die  Leinwandbuße  ist  auch  eine  Art  Straf- 
arbeit. denn  die  Leinwand  wurde  im  Hause  gewebt.  Ein  schönes  Beispiel 
für  Scbeltbuße:  Vrawen  gescheit  ein  tag  von  dren  eilen , und  eyn  kazee  von  dren 
wanden , und  eyn  tpiln  und  eyn  rocken.  Groß-Bursla  14.  Jh.  Grimm  Weist. 
3,  825. 

’)  Doepler  Theatrum  poenarum  1,  747. 


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41 


worden  sein,  freilich  dort  zur  Abschreckung  der  Mühldiebe.  Bei 
dem  Pesthalten  an  solchen  Erinnerungen  hat  auch  die  Sprache 
viel  mitgewirkt,  indem  sie  im  Vergleich  zwischen  dem  Lärm  in 
der  Mühle  und  dem  Weibergezänke  letzteres  durch  Ausdrücke  wie 
klappermühle,  geploderwerk1)  u.  ä.  bezeichnet  hat*). 

Das  Ergebnis  der  bisherigen  Untersuchungen  ist  demnach: 
Die  Strafe  des  Steintragens  ist  gleich  den  Strafen  des 
Hunde-,  Sattel-  und  Pflugradtragens  eine  Abspaltung 
und  Abschwächung  der  Strafknechtschaft.  Der  Stein  ist 
ursprünglich  ein  Handmühlstein  als  Zeichen  weiblicher 
Arbeit. 

§ 11. 

a)  Der  Mühlstein  des  Evangeliums. 

Gelegentlich  einer  Besprechung  von  Harsters  Buch  über 
das  Strafrecht  von  Speyor  wirft  Schreuer3)  die  Frage  auf,  ob 
bei  der  Erklärung  des  Steintragens  nicht  eher  an  den  „Mühlstein 
des  Evangeliums“ 4)  zu  denken  sei.  So  wäre  der  Lasterstein  kein 
Symbol  der  Steinigung,  wie  Harster  mit  Grimm  annimmt, 
sondern  der  Strafe  des  Ertränkens.  Oft  wird  uns  berichtet5), 
daß  man  Verbrechern,  die  ertränkt  wurden,  einen  schweren  Stein 
an  den  Hals  hing,  damit  sie  sich  nicht  durch  Schwimmen  retten 
könnten.  Darum  ist  aber  eine  Nachahmung  der  biblischen  Sitte 
noch  nicht  erwiesen.6)  Die  Gleichheit  beruht  auf  der  Überein- 
stimmung einfacher  Kulturstufen7).  Wohl  aber  können  wir  an- 
nehmen, daß  die  biblische  Stelle  in  einer  Zeit,  als  die  Erinnerung 

•)  öw.  7,  1013. 

*)  Vgl.  mulcmaer,  muleruchtig.  Brinkmeier  Gloss.  2,230. 

5)  ZaRG.  (germ.)  21,  309. 

*)  Eyang.  Matth.  18,6.  „Wer  aber  ärgert  dieser  Geringsten 
einen,  — — *. 

6)  Grimm  RA.42,278.  Eine  Reihe  von  Beispielen  bei  Do epl er  Schau- 
platz d.  Leib-  n.  Lebenstr.  2,  294  ff.  Vgl.  oben  S.  40  Amu.  5,  S.  44  Anm.  1. 

*)  Ebensowenig  wie  beim  8teinigen  u.  a.  m. 

r)  Man  vergleiche  z.  B.  2.  Sam.  11,21:  „Wer  schlug  Abi  Melech ? 

warf  nicht  ein  Weib  ein  Stück  von  einer  Mühle  anf  ihn?“  [ahd.  glossiert: 
guinutein J und  die  Stelle  aus  der  Edda:  at  hann  *kal  fara  u pp  glir  dgrnar , 
er  hon  gengi  ut,  oc  lata  gvernstein  fatla  i höfut  henni.  (Bei  Grimm  RA.4  2,  277). 
— Das  Bedienen  der  Handmühlen  war  bei  allen  Völkern  eine  schwere  und 
niedrige  Arbeit.  Vgl.  Klage!.  Jerem.  5,  13:  „Die  Jünglingen  haben  Mühl- 
steine müssen  tragen“.  Schräder  Reallei.  d.  indog.  Altert.  § 12.  8.  a.  8.  40. 


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42 


an  den  Ursprung  der  germanischen  Steintragungsstrafe  ver- 
schwunden war,  als  Urbild  aufgefaßt  wurde.  Die  Geistlichkeit 
erklärte  eben  alle  Rechtsätze  aus  der  Bibel. 

Die  angelsächsischen  Bußordnungen ')  und  dasauf  ihnen  be- 
ruhende Poenitentiale  XXXV  cap.2),  bringen  das  Zitat  aus  dem 
Matthäus-Evangelium  bei  den  Bestimmungen  über  Feiertagsent- 
heiligung und  Fastenbuße : Si  frequenter  consuetudinem  per  hoc  fecerit, 
exterminabitur  uh  uecclesia  Domino  dieente:  Q ui  scandul tzaverit 
unum  de  / nmllis  istis  qui  in  me  credunt,  expedit  ei,  ut  appendatur 
mola  (minaria  collo  eins  et  cetera*).  Wenn  wir  diese  Stelle  mit 
den  entsprechenden  der  Lex  Alamanorum  [38.  — quin  noluit  Deo 
cacare,  in  sempüernuin  scrcus  pei'inaneatj  und  der  Lex  Baiuvario- 
rum  [App.  1,  l.  eit  servus,  qui  noluit  in  die  sancto  liher  esse]  Zu- 
sammenhalten, so  will  mir  scheinen,  daß  die  Anführung  der  Bibel- 
stelle im  Poenitentiale  zwar  nicht  ganz  hinpaßt,  daß  sie  aber  lür 
die  Frage  nach  den  Anfängen  des  Steintragens  von  größter 
Wichtigkeit  ist  Das  externiinari  ab  ecclena  geschah  nicht  durch 
Ersäufen,  deshalb  brauchte  der  Mühlstein  nicht  erwähnt  zu  werden. 
Seine  Erwähnung  könnte  aber  eine  Andeutung  der  Straf  knecht- 
sehaft  als  Mühlknecht  oder  Mühlmagd  sein.  Jedenfalls  wäre  in 
der  Weise  das  Bibelzitat  in  diesem  Zusammenhänge  am  ehesten 
verständlich.  Und  die  bereits  oben  ausgesprochene  Vermutung4), 
daß  die  Volksrechte  hier  von  ihrer  Vorlage  nur  der  Form  nach, 
nicht  dem  Inhalt  nach  abweichen,  ist  wohl  am  Platze.  Die  Be- 
gründung der  Strafe  ist  in  den  Volksrechten  viel  sinnentsprechender 
als  in  den  Bußbüchern.  Möglicherweise  ist  diese  Begründung 
absichtlich  geändert  und  gebessert  worden.  — 

Wenn  man  die  auf  das  Steintragen  bezüglichen  Quellen 
daraufhin  untersucht,  ob  sie  Gebräuche  enthalten,  die  auf  ein 
ehemaliges  Ertränken5)  hinweisen,  so  lassen  sich  keine  festen 


*)  Wasserschlebcn  Die  BuQordnungcn  d.  abendländ.  Kirche  168; 
196:  489. 

2)  Das  war  auch  in  Österreich  in  liebrauch.  (Wien  und  Heiligenkreuz). 
Wasserchl eben  a.  a.  0.  505,  Anmerkung. 

3)  Wasscrschleben  a.  a.  0.  524. 

4)  S.  oben  S.  38  Note  1. 

5)  Kl 5p per  Französisches  Keallcxikon  führt  (3.  128)  das  Steintragen 
an  und  schlicüt  die  Beschreibung  desselben  so:  „Darnach  entkleidete  man 


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43 


Anhaltspunkte  dafür  finden.  Man  müßte  denn  das  Sacktragen  ’) 
als  ein  Symbol  des  Säckens  und  Ertränkens  ansehen.  Verschie- 
dentlich kommt  es  vor,  daß  die  steintragende  Verbrecherin  zu 
einer  Brücke8)  geführt  wird.  Da  es  sich,  wie  aus  einer  Stelle 
ersichtlich5),  um  Grenzbrücken1)  handelt,  wo  die  Verweisung  vor- 
genommen  wird,  so  liegt  kein  besondrer  Brauch  vor.  Nach  dem 
Statut  von  Dornburg  von  1615 s)  müssen  die  bösen  Weiber  den 
Stein  iitnb  die  pfitzen  tragen.  Die  Pfütze  war  wohl  dor  Stadtteich 
in  der  Mitte  der  Stadt.  Das  Führen  um  die  Pfütze  ist  nichts 
andres  als  ein  Führen  um  den  Markt6)  und  hat  den  Zweck,  die 
Ehrenstrafe  allgemein  bekannt  zu  machen. 

b)  Schwere  Steine  überhaupt. 

Es  entsteht  nun  die  Frage,  ob  nicht  etwa  die  Strafsteine,  bloß  als 
schwere  Steine,  ohne  symbolische  Grundbedeutung,  aufzufassen  sind; 
sei  es  als  einfache  Belastungsgewichte T)  oder  als  Marktgewichte.  Da- 
für könnte  angeführt  jverdeu:  stein  kommt  oft  als  Gewichtseinheit 
vor*);  das  Gewicht  der  Lastersteine  war  häufig  bestimmt  vorge- 

sie  [d.  h.  die  Übeltäterin]  und  tünchte  sie  ins  Wasser.  Du  Gange  s . lapii.“ 
Bei  Du  Cange  steht  nichts  davon  und  auch  sonst  habe  ich  keine  derartige 
Qucllenstelle  gefunden. 

*)  Grimm  RA.*  2,  238  ; 317. 

*)  Kloster  Ensdorf  c.  14GO  (Anhang  6).  Überlingen  1520  (Anz.  f.  K.  d. 
d.  Vorzeit  1874,  10):  sie  frieren  tu  den  4 thoren,  nachgeends  uf  die  itaine  brugk 
beym  hochbild.  — 

*)  den  grölten  lasterstein  uf  ir  ho/it tragen  allenthalbe  in  der  stadt  und 

sie  demnach  f ihren  uff  die  rinbrugg,  aüda  soll  lie  irreren  von  stund  an  hinweg 
in  gond  und  ain  nacht  nit  sin , du  sie  die  ander  gewesen  ist  und  nit  wieder 
harüber  tu  kommen.  Schaffhauscn  1481.  ZschweizStrR.  5 (1892)  332. 

*)  Gengier  Stadtrechtsaltcrtümer  215  f. 

J)  Neue  Mittoil.  a.  d.  Gebiet  hist.  Forschungen  h.  v.  thür.  sächs.  Vor. 
21,  237  Anmerkung. 

6)  um  den  bronnen  Wcikersbcim  1631  Z.  f.  wirtemb.  Franken  7,  324  f. — 
um  ilie  linde  Burgebrach  1407  Haas  Slavcnland  2,49.  Vgl.  S.  28. 

•)  Vgl.  unten  S.  45  Anm.  5.  Derartige  Gewichte  kommen  als  Verschärfung 
bei  anderen  Schandstrafen  vor.  Sie  wurden  z.  B.  an  die  Schandmäntel  gehängt, 
oder  an  die  Füße  des  Eselreiters.  (Bierdimpfl  Straf-  u.  Kolterinstrumente  d. 
bayr.  Nat.Mus.  1882.  S.83f.).  Ihre  Verwendung  bei  der  Folter  warganz  allgemein. 

•)  z.  B.  für  Flachs,  Wolle,  Federn  (Scliiller-Lnbben  Mild.  WB.  4,385), 
Wachs  (Andree  Votive  u.  Weihegaben  77),  Butter  (Grimm  Weist.  1,  159), 
Getreide  (Fontes  rer.  Austr.  II.  39,  218). 


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44 


schrieben ');  auch  die  äußere  Gestalt  war  vielfach  die  von  Ge- 
wichten*). Ja  es  wäre  nicht  undenkbar,  daß  ursprünglich  in 
der  Regel,  und  später  noch  in  Orten,  die  keine  eigens  für  Straf- 
zwecke bestimmten  Steine  hatten,  die  öffentlichen  Marktgewichte s) 
beim  Strafvollzug  verwendet  worden  sind.  So  einfach  und  durch 
ihre  Einfachheit  bestechend  die  Ableitung  der  Schandsteine  von 
Steingewichten  auch  ist,  so  bietet  sie  doch  keine  befriedigende 
Lösung  der  Frage.  Namentlich  gibt  sie  darauf  keine  Antwort, 
warum  das  Steintragen  vorzüglich  eine  Frauenstrafe  ist  Man 
müßte  sich  damit  behelfen,  daß  man  eine  Ausdehnung  einer 
ursprünglichen  bloßen  Standesstrafe  für  Marktweiber  (als  deren 
Berufszeichen  die  Gewichte  gelten  könnten)  annimmt.  In  späterer 
Zeit  ist  wohl  in  manchen  Städten  das  Steintragen  hauptsächlich 
Strafe  für  Marktfrauen;  für  die  frühesten  Quellen  wird  es  sich 
jedoch  nicht  nachweisen  lassen. 

c)  Der  Stein  als  Symbol  dey  Buße? 

Der  Stein  könnte  auch  als  Ersatz  der  Buße  aufgefaßt  werden, 
an  deren  Stelle  er  bei  Nichtzahlung  tritt.  So  wie  eine  Schenkung 
erst  dann  gütig  und  unwiderruflich  war,  wenn  eine,  wenn  auch 
wertlose,  Gegenschenkung  erfolgt  war,  so  gab  es  keine  Versöhnung 
ohne  Buße.  Dem  an  sich  wertlosen  Launegild  würde  in  unsrem 
Falle  die  Bußzahlung  mit  dem  wertlosen  Stein  entsprechen.  Als 
Bußen  kommen  in  Betracht:  Geld,  Wachs  und  Getreide.  Die 
Tatsache,  daß  im  Geldverkehr  Pfund  und  Stein  übliche  Bezeich- 
nungen waren.  Wachs  nach  Pfunden  oder  Steinen  gemessen  wurde, 
Getreide  ebenfalls  nach  Steinen,  verlockt  nun  zu  der  Annahme, 
daß  die  Unvermögenden,  um  doch  eine  Buße  zu  leisten,  statt 
Geld  oder  Geldeswert  den  Stein  als  Scheinersatz  tragen  mußten. 
Besonders  in  den  Fällen,  wo  der  Stein  zum  Haus  der  Beleidigten1), 


')  8.  oben  8.  2.  Kamen tlich  ist  zu  beachten:  ein  icklich  itein  toll 

einen  getregeu  itein  behalden.  (Grimm  KA.4  2,  315).  Des  Vergleichs  wegen 
mag  daran  erinnert  werden,  daß  bei  den  Priesen  (Ricbthofcn  Rqu.  367) 
dem  zu  Ertränkenden  so  viel  Steine  an  den  Hals  gebunden  wurden,  als  sein 
Körpergewicht  ausmachte.  Vgl.  Grimm  RA.4  2,  281. 

*)  8.  oben  8.  2. 

*)  8.  oben  S.  8f.  über  den  Namen  iragitain. 

4)  Herzogenburg  1566  (Anhang  9).  Vgl.  S.  28. 


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45 


oder  in  die  Kirche  zum  Altar  — wohin  ja  auch  das  Wachs  ge- 
bracht wurde  — geschleppt  wurde,  könnte  sich  diese  Anschauung 
gebildet  haben.  Der  ganze  Zusammenhang  ist  aber  doch  zu 
äußerlich,  als  daß  man  hierauf  eine  stichhaltige  Erklärung  bauen 
könnte.. 

d)  Das  Steineführen. 

• Troz1),  der  das  Steintragen  der  Weiber  mit  der  Strafe  des 
Steineführens’)  (Steinekarrens)  zusammenbringt,  scheint  auch  im 
Steineliefern3)  einen  Ersatz  für  Bußgeldliefern  zu  sehen.  Dreyer4) 
wendet  sich  gegen  Troz,  wobei  er  sich  begnügt,  „beiläufig  noch 
zu  berühren“,  daß  zwischen  „dieser  Lithophorie  und  jener  Stein- 
tragungsstrafe“ gar  keine  Verbindung  sei.  Da  wir  beide  Strafen 
auf  den  gleichen  Ursprung,  die  Strafknechtschaft,  zurückfuhren 
können,  so  besteht  doch  wohl  eine  Verbindung.  Freilich  läßt 
sich  nicht  die  eine  Strafart  von  der  andern  ableiten5). 

e)  Der  Kampfstein. 

In  der  Darstellung  des  gerichtlichen  Zweikampfes  zwischen 
Mann  und  Frau5)  ist  uns  als  Waffe  der  Frau  ein  Stein  genannt. 
Die  Frau  kämpft  mit  einem  in  einen  Schleier  — ebenfalls  weib- 
liches Symbol  — eingebundenen  Stein.  Ein  besonderer  Name  für 
diese  Waffe  ist  nicht  bezeugt  Aber  selbst  wenn  sich  eine  allge- 
meinere Verwendung  des  Steines  zum  Streite7)  nachweisen  ließe, 

')  De  jure  agrario  Belgii  foederati.  2,  287. 

*)  z.  B.  Schletta  tädter  Stadtrecht  (1294 — 1401)  S.  287. 

*)  Er  führt  u.  a.  an:  »teene  »Meten  t.  e.  eolvere  triiutum  paJatio. 

*)  Antiquar.  Anmerkungen  S.  121. 

s)  Wohl  aber  kommen  beide  Strafen  in  gleichzeitiger  Anwendung  vor. 
J.  0.  Heinritz,  Versuch  e.  Gesch.  der  Stadt  Bayreuth  1823  S.  G7  erwähnt 
einen  Pall,  wo  eine  Frau  für  Bruch  des  Kirchweihfriedens  folgende  Strafe 
erhielt:  8 Tage  lang  den  Stein  am  Fuße  in  ihrem  Hause  zu  haben  oder 
15  Stück  Steine  zu  führen  zu  der  Stadt  Notdurft.  Die  Verwendung  des 
Lastersteins  als  Fnßgewicht  ist  etwas  Außergewöhnliches. 

*)  Augsburger  StR.  1276  (Freybcrg  S.  55)  Ruprecht  v.  Freising  2,  51. 
Hommel  Jurispr.  numism.  illustr.  Lpz.  1763  S.  75  ff.  Schlichtegroll 
Thalhofer  1817.  Auf  eine  poetische  Darstellung  aus  dem  13.  Jh.  (Heinrich 
von  Neustadt,  Apollonius)  macht  Alwin  Schultz,  Höfisches  Leben11  2,  147  f. 
aufmerksam. 

*)  Vom  Steinwerfen,  Steinstoßen,  Steinzücken  dürfen  wir  hier  ganz 
abseheu. 


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könnte  man  das  Steintragen  nicht  davon  ableiten,  weder  als 
spiegelnde  Strafe,  noch  sonst.  Schon  darum,  weil  der  „Kampf- 
stein“ bedeutend  leichter  ist  als  der  Kagstein1). 

f)  Die  Strafsteine  in  Schweden. 

In  Schweden*)  war  das  Steintragen  nicht  in  der  ursprüng- 
lichen Art  gebräuchlich,  daher  läßt  sich  aus  der  dort  üblichen 
Form  der  Strafsteine  kein  Schluß  ziehen.  Den  Ausdruck  b>rra 
stadzens  mantol  möchte  ich  fast  als  eine  lächerliche  Umschreibung 
für  „nackt  laufen“  ansehen,  ähnlich  wie  es  anderwärts  heißt 
trinken  aus  des  bütteis  flasche  für  „</w  Flasche  tragen “. 

g)  Das  Versteinern. 

Stöber,  der  gleich  Grimm  im  Lasterstein  ein  Symbol  der 
Steinigung  sieht,  bringt  eine  Reihe  von  Notizen  über  Steinigung 
bei  den  Völkern  des  Altertums  und  führt  schließlich  3)  eine  Stelle 
aus  dem  Talmud  an.  „Welcher  Übles  redet  und  verleumdet, 
dessen  Seele  fährt  in  einen  stummen  Stein,“  Wenn  er  auch 
keine  weiteren  Folgerungen  zieht,  so  scheint  er  doch  hier  die 
erste  Wurzel  der  Strafe  des  Steintragens,  bezw.  der  Steinigung 
zu  sehen.  Dazu  hätte  Stöber  den  Talmnd  nicht  heranziehen 
müssen,  denn  die  Sage  von  Verwandlungen  in  Stein  ist  auch  den 
arischen  Völkern  sehr  geläufig4).  Sie  dürfte  überhaupt  allgemein 
Vorkommen  und  in  der  Regel  durch  menschenähnliche  Naturge- 
bilde oder  alte  unverstandene  Bildsäulen  u.  dergl.  ihre  Erklärung 
finden.  Das  bekannteste  deutsche  Beispiel  ist  die  Sage  von  der 
Frau  Hütt  bei  Innsbruck. 

Auch  die  Gedankenverbindung  von  „stumm“  und  „Stein“  ist 
sehr  naheliegend  und  allgemein. 

Es  müßten  viel  bessere  Argumente  ins  Treffen  geführt  werden, 
wenn  man  auch  nur  die  Möglichkeit  eines  Zusammenhangs  zwischen 

')  Der  Kampfstein  soll  sein  fustgross  (Augsbg),  ain  Pfd.  mär  der  stat 
wag  (Rupr.),  rteaere  fl  drirn  ffunden  (Hcinr.),  4 oder  5 Pfund  (Thalhofer). 
Vgl.  oben  S.  2. 

s)  Grimm,  RA.4  2,317.  Liebrecht  Zur  Volkskunde  429. 

*)  a.  a.  0.  S.  135. 

4)  Vgl.  ZVolksk.  16  (1906)  S.  177  ff.  „Eine  moderne  Sage  von  einem 
Gottesfrevlcr“. 


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der  dichterischen  Vorstellung  von  der  göttlichen  Strafe  der  Ver- 
steinerung und  der  ursprünglich  - einfachen  Todesstrafe  durch 
Steinigen  und  weiterhin  der  Strafe  des  Steintragens  zugeben  sollte. 

h)  Das  Heben,  Schutzen,  Lupfen. 

Es  ist  ein  alter  Volksbrauch1),  der  sich  als  Volksspiel  bis 
heute  erhalten  hat,  im  Heben  gewisser  schwerer  Gegenstände 
(eiserne  Statuen,  Leonhardsklotz,  Leonhardsnagel  u.  s.  f.)  seine 
Kraft  zu  erproben.  Diese  Sitte  hatte  religiösen  Charakter.  Die 
Kraftprobe  war  eine  Gewissensprobe.  Wem  sie  gelang,  der  war 
frei  von  Sünden.  Das  Heben*)  war  ein  verdienstliches  Werk,  es 
war  eine  Bußübung. 

Denkbar,  wenn  auch  recht  unwahrscheinlich,  ist  ein  Zu- 
sammenhang dieser  Sitte  mit  dem  Steintragen.  Etwa  in  der 
Weise:  Bei  religiösen  Umzügen  werden  Götter-  bezw.  dann 
Heiligenstatuen  umgetragen.  Diese  schwere  Arbeit  wird  als  ver- 
dienstlich und  reinigend  von  Sünden  angesehen.  Es  werden  dazu 
Leute  genommen,  die  ein  Vergehen  zu  büßen  haben.  Schließlich 
wird  das  Tragen  als  eine  Strafe  aufgefaßt.  Aber  warum  ist  das 
Tragen  grade  Frauenstrafe? 

i)  Kirchliche  Einflüsse. 

Wenn  auch  die  Steinstrafe  als  solche  nicht  kirchlichen  Ur- 
sprung hat5),  so  sind  doch  eine  Reihe  von  Einzelheiten  in  der 
Verhängung  der  Strafe  und  im  Vollzug  derselben  zweifellos  auf 
kirchlichem  Boden  erwachsen.  Dies  ist  aus  verschiedenen  Ursachen 
zu  erklären.  Einmal  schon  aus  dem  sakralen  Charakter  der 

')  Vgl.  Andrea  Votive  102  ff.  (Würdingcr  nnd  Leonhardsklötze).  — 
Hieher  und  nicht  zur  Strafe  des  Steintragens  gebärt  die  mir  von  Prof. 
Kahle  in  Heidelberg  fronmllichst  gemachte  Mitteilung  über  drei  Steine  in 
einer  Kaserne  in  Oldenburg  [mit  den  Namen:  Pippin  der  Kleine,  Karl  der 
Große,  Nero  der  Grausame):  das  Tragen  eines  dieser  Steine  war  als 
Kameradschaftsstrafe  in  Übung. 

*)  , Heben1  bedeutet  in  Luthers  Bibelübersetzung  auch  , opfern*.  Grimm 
DWB.  4,  2.  S.  731. 

*)  J.  Kreuser  (Christliche  Symbolik.  Brixen  18G8.  SA.  aus  „Wiederum 
Kirchenban1*.  S.  279)  sieht  im  Stein  eine  Sünde  symbolisiert.  Diese  Ansicht 
ist  ebensowenig  für  die  Aufhellung  der  Steinstrafe  verwertbar  als  der  Hin- 
weis auf  die  Sage  vom  steinrollenden  oder  steineführenden  Teufel.  (E.  L. 
Hochholz,  Der  Steinkultus  in  der  Schweiz.  Argovia  1862  — 63.  S.  44). 


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48 


öffentlichen  Strafen.  Ferner  war  durch  die  Einkleidung  in  kirch- 
liche Formen  die  Publizität  der  Strafvollstreckung  am  besten  ge- 
sichert, und  schließlich  stammen  eben  die  meisten  Nachrichten 
Aber  das  Steintragen  aus  kirchlichen  Gebieten. 

Das  öffentliche  Znrschautragen  der  Buße  geschah  ursprüng- 
lich beim  kirchlichen  Umgang.  Die  Sünderin  nahm  in  Büßer- 
tracht und  mit  dem  Zeichen  der  Buße  (Besen,  Rute,  Kerze)  an 
der  gewöhnlichen  Prozession  teil.  Es  erscheint  als  ein  Rest  dieser 
Einrichtung,  wenn  in  späterer  Zeit  der  vorgeschriebene  Weg  um 
die  Kirche,  von  einer  Kirche  zur  andern  führt,  oder  wenn  der 
Umzug  in  der  Kirche  vor  dem  Altar  oder  im  Kloster  sein  Ende 
findet,  wo  auch  der  Stein  aufbewahrt  wird.  Auch  der  Tag  und 
die  Stunde  der  Strafvollstreckung  weisen  auf  die  Kirche  hin. 
Die  Wachsstrafe  ist  gleichfalls  religiösen  Ursprungs. 

Namentlich  ist  daran  zu  erinnern,  daß  die  Delikte,  die  mit 
Steintragen  gebüßt  wurden,  vielfach  der  kirchlichen  Gerichtsbar- 
keit und  Kirchenzucht  unterlagen,  wie  Ehrenkriinkung,  Gottes- 
lästerung, Ehebruch. 


IV. 

Anhang. 

1.  Bogen-Neusiedel. 

So  zwo  nachbarin  oder  andere  inländische  weibspersohnen  mit 
einander  kriegten  und  sich  gotteslästerlicher')  unschambarer  Wort, 
gebrauchten,  darum  soll  sie  der  rieht  er  mit  der  ßdl‘‘)  oder  pockstain 
neben  ainem  pfunt  wa.r  zu  ihrer  kirchen s)  straffen. 

ÖW.  8,  28,  4 ff.  Bogen-Neusiedel  bei  Gaunersdorf,  Ende  des 
16.  Jahrhunderts.  Nur  in  den  angegebenen  Varianten  weichen 
davon  ab  die  Texte  von  Hagenbrunn  und  Klein-Engersdorf  [bei 

')  verbothner  und.  — *)  Mt  fehlt. 

*)  tur  St.  Veittkirchen.  Diese  stand  in  Engersdorf.  ÖW.  8,  851  Note  *. 


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49 


Korneuburg,  1629 — 32.]*),  Reinprechtspölla  [bei  Eggenburg,  erste 
Hälfte  des  17.  Jahrh.]*)  und  Stetten  [bei  Komeuburg  c.  1 685] 3). 
Alle  diese  Orte  waren  Klosterneuburger  Besitz. 

2.  Drösing. 

Item,  wann  ain  mann  und  ain  frau  mit  einander  kriegten  und 
geh  ainer  dem  andern  rerbottene  wort  und  redet  der  mann  der  f rauen 
auf  ihr  ehr,  so  ist  er  umb  daß  wandel  32  « pfennig. 

Item,  und  ob  die  frau  dem  mann  auch  redet  auf  sein  ehr  und 
daß  zu  ihm  nit  bringen  möeht,  die  ist  umb  daß  wandt,  die  ain  ehr- 
lichen mann  hat  umb  32  j|.  aber  wehr  daß  die  frau  den  mannkrieg 
nit  vertragen  wolt  und  wolt  den  mann  in  solch  groß  tcandl  und 
schaden  J Hehren,  so  ist  die  frau  32  H 5 j und  der  mann  umb  32 

Item,  und  ain  wittib  die  mag  so  rill  verwandln  alß  ain  mann. 

Item,  ob  sich  zico  frume  trauen  miteinander  zerritteten  und  mit 
ungezogenen  Worten  an  einander  kemben,  die  mag  der  richter  nach 
rath  des  raths  püessen  mit  dem  pockstain. 

ÖW.  8,  100.  Drösing  1469.  Dem  Frh.  v.  Althanu  gehörig. 

3.  Ebersdorf  a.  Z. 

Item  richter  und  gemein  rügen  und  melden  auch:  wenn  ein 
fraw  mit  der  andern  biegt  und  aine  der  andern  böse  wort  zusetzt, 
das  aine  unter  ihnen  verklagt  wierdl,  so  soll  ihr  der  lichter  den 
pachstein  anhachen  vor  seinem  hauß,  den  soll  sie  tragen  zu  ainem 
valtor  auß  und  umb  das  darf  und  zu  dem  andern  calter  wider  hin- 
ein und  }ur  deß  lichtere  hauß,  und  der  richter  soll  ihr  den  stain 
dreimal  in  den  nicken  fallen  lassen. 

ÖW.  8,  138,  36  ff.  Ebersdorf  a.  d.  Zaya  1514.  Zur  Herrschaft 
Schauenstein. 

4.  Eipeltau. 

Si  melden  weiter  zu  recht  ob  ain  unbeschaidens  weib  ainem 
mann  oder  andern  fratcen  zu  nahet  mit  warten  redet,  so  sol  si  der 
richter  in  ain  eisen  pant  nemen  und  sol  ir  den  pachstain  an  den 
hals  hangen  und  sol  si  in  den  darf  auf  und  nider  furn  von  ainem 
valthor  zum  andern;  und  dieweil  mon  sie  purst  so  sol  der  richter 
des  pesten  weins  ainen  enier  nemen  so  mon  in  zu  der  zeit  haben 
mag,  und  sol  darein  drew  oder  vier  assach  legen,  und  all  jung 

>)  ÖW.  8,354.  — »)  ÖW.  8,  598.  — s)  ÖW.  8,  361. 

Küntlbtrg,  Uw  SUInbrtgen.  4 


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50 


knaben  alz  vil  ir  in  dem  aigen  sein  sollen  den  zu  ainer  gedärhtnus 
austrinken,  und  den  sol  das  pöss  weit  bezallen  on  alle  widerred  pei 
dem  großen  wandl. 

ÖW.  8,  322,  34  ff.  Eipeltau  am  Marchfelde  1512.  Zu  Kloster- 
neuburg gehörig. 

5.  Eis. 

So')  die  beschauer  die  hert.itett  besrhauent  und  ander  notturft, 
so  man  in  dann  nachredet,  ist  es  ein  mann  so  ist  er  zu  wandl  von 
iedem  umb  72  jj,  ist  es  ein  fraw,  die  auch  den  beschauem  nach- 
redet, das  sich  das  in  wahrhait  befindt,  die  ist  zue  wandl  umb  2 
und  6 ß j|  oder  sie  trag  den  pockstain. 

Item ')  wer  ain  fridtbare  Jrauen  schiegt  ohne  dag  und  ohne 
rede  zu  sezen  ihre  manns,  der  hat.  venoandlt  b u und  soll 
der  frauen  hult  gewinnen. 

— — Ob  ein  p/arrer  da  zu  Elß  oder  ein  caplan  ieder  ein 
sshaffrrin  hette  die  unzüchtig  were  und  wolt  andere  leut  nil  mit  ge- 
mach lassen,  es  were  mit  Worten  oder  mit  werken,  und  wolt  albeege 
besser  sein  als  andere  leut  und  wolt  fromme  erbare  nachbarn  und 
/raui'n  übel  handeln  und  nachreden,  so  soll  man  sie  straffen  mit 
gueten  schiegen  das  ihr  an  dem  leben  nichts  soll  schaden,  darumb 
ist  man  nit  höher  zue  Wandel  der  herrschaft  den  umb  12  und 
stehet  dannoch  in  meines  gnedigrn  herrn  besserung  *). 

ÖW.  8,  948  f.  Hartenstein  c.  1605  (weltlich).  Eis5)  1605  bis 
1623  (Herrschaft  Hartenstein). 

Item  man  soll  auch  nicht  großen  auf  den  reinen;  nach  s. 
Johannestag  aber  ist  es  iedermann  erlaubet.  — sie  sollen  auch  nicht 

trait  schneiden. hett  sie  aber  trait  geschnitten,  so  stunt  sie  in 

meines  herrn  beßerung  bei  6 $ 2 S\  oder  trag  den  pogstain. 

Item  ob  zwo  Jrauen  krigha/’t  wurden  mit  unzüchtigen  warten 
oder  werken,  so  sollen  sie  den  jiogkstain  tragen  oder  ersuch  meines 
gnedigen  herren  hüll  bei  6 ß 2 ^ und  so  oft  sie  mit  dem  pockstain 
rast  12  \ — ÖW.  8,  953.  Eis. 

')  Diese  zwei  Absätze  nur  in  Hartenstein. 

*)  Der  letzte  Satz  nur  in  Eis. 

3)  ÖW.  8,  955.  Das  Steintragen  war  jedoch  schon  früher  dort  bekannt. 
Archiv  f.  Kunde  üsterr.  UeschQu.  25,  132. 


k 


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51 


6.  Ensdorf. 

Die  acht  ordenung  ist  dye,  daz  kai/n  jrawenpild,  sy  sey  iung 
oder  alt,  reich  oder  arm,  wye  sy  genannt  sey  kayne  ausgenommen, 
noch  hyndan  gesetzt,  sol  posc  i cort  sprechen,  schelten,  schweren,  noch 
fluchen,  noch  dye  andern  mit  sehend ichen  i corten  dy  do  nit  frumen 
frawen  zustent,  an  iren  leymat,  oder  an  ir  er  reden,  noch  ir  er  ab- 
schneiden mit  vergotten  Worten  heymlich  oder  offetdich  in  kaynerlay 
weise.  Welcher  aber  daz  überfure  daz  man  sy  dez  ubei'weisen 

jnöcht,  dieselb  die  daz  gethon  hat,  dye  soll  und  muess  den  sten 
tragen,  der  ein  halben  zenten  hat,  denselben  stein  soll  sy  auff  sye 
nemen  cor  dem  closter,  und  der  geschworen  amptmann  soll  ir  vor- 
gen  untz  zu  der  grucken  und  herwider  zu  dem  closter,  und  sol  an 
ayn  peck  schlahen  und  dopey  sollen  all  man  und  frawen  sein  on- 
rerlich  und  wer  aussen  peleybt,  und  nit  doltey  ist,  der  oder  die  sol 
daz  wandeln  mit  12  regenspuryer  den. 

Welch  fraw  aber  den  stain  nit  tragen,  wen  sy  daz  verdint  hat 
in  moss,  als  oben  geschriben  ist,  dy  soll  dafür  zu  puess  und  zu 
wandel  geben  on  alle  genad  1 H regenspurger  den.  in  heint  und  m 
morgen. 

Mon.  Boica  24,  239.  Kloster  Ensdorf  [Ober-Pfalz],  Gerichts- 
ordnung c.  1460. 

7.  Friedberg. 

hem  wann  zwo  frauen  oder  dimen  öffentlich  mit  einander 
schlüegen  oder  raufeten  oder  sich  schändeten,  so  sollen  sie  beide 
ohne  alle  gnad  den  bachslein  vor  allermänig  tragen. 

Mitteilungen  d.  Vereins  f.  Geschichte  d.  Deutschen  in  Böhmen 
15,  194.  Teiding  von  Friedberg1)  §37. 

8.  Gutenstein. 

Item  so  ain  fraw  die  ander  schilt,  so  ist  das  wandel  12  ^ 3J 
aber  man  sol  ir  den  wagstain  anhahen 

ÖW.  7,  352.  Gutenstein,  Ende  des  15.  Jahrh. 

So  ain  fraw  ain  schilt,  so  ist  das  wandel  12 

ÖW.  7,337.  Rohr  und  Schwarzau  1597.  Herrschaft  Gutenstein. 

')  Friedberg  liegt  bei  Hnhenfurt  im  südlichsten  Böhmen. 

’)  So  schon  Anfang  des  15.  Jahrh.:  ÖW.  7,369. 

4 * 


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52 


So  ain  weib  dass  aniere  häßlich  sehildt  — — ist  da s icandl 
32  auch  soll  der  richter  oder  ambtmann  derselben  die  fidel  anhenken 
und  mit  dein  pachstain  straffen,  verschuld t sie  aber  ain  mehrere  so 
solle  sie  auch  höher  gestrafft  werden, 

ÖW.  7,  345.  Rohr  und  Schwarzau.  17.  Jahrh. 

9.  Herzogenburg. 

41.  Wir  ordnen  und  wölen  auch,  wo  sich  zwo  frawen  ent- 
ziraien  und  aine  die  andere  iren  eren  verletzet e,  auch  yottslester n 
vnnd  schmähen,  so  sy  angesessen  sein,  soll  die  crsacherin  verfallen 
sein  <5  h i);  so  sy  aber  solches  am  guel  nit  hat  vnd  solich  läster- 
wort  im  prauch  hat  vnnd  sonst  leichtfertig  ist,  so  soll  sy  am  negsten 
freit  tag  den  pockhstain  von  der  seuln,  daran  er  henckht,  bis  zu  der 
beleidigten  haus  tragen. 

42.  Ob  aber  unangesessene  leichtfertige  iceiber  frumbc  Jrawen 
chulten,  an  ehm  verletzten,  die  sollen  den  pockstain  tragen  und 
sdamach  zum  Kremserthor  hinauf  die  vier  straff  weisen  und  zaigen, 
da  mag  sy  gehen  welliche  sy  idll  rnd  soll  ir  die  Wyden  verpoten  sein. 

Kaltenbaek  2,  121.  Herzogenburg  auf  der  Widen  1566. 

10.  Herrschaft  Kranichberg. 

Ob  die  weiber  ainander  schulten  oder  raupen,  so  sint.  si  ver- 
fallen das  frevelwandl  z wen  und.  secliff  Schilling  und  soll  den  pag- 
stain  das  ganz  pinmerkt  austragen  und  sollen  all  nachparn  mitgeen, 
wie  dan  ir  recht  ist. 

ÖW.  7,  286.  Penk. 

Welieher  der  war  der  den  viem  odtr  zwelfem  nachredet,  der 
selbs  an  dem  pandüding  gesessen  ist,  für  ieden  zwen  und  sechs 
Schilling  wann  es  aber  ain  frau  tritt,  so  ist  si  umb  zwen  und 
seehß  Schilling  und  soll  den  pachstain  tragen  wie  dan  ir  recht  ist. 
ÖW.  7,  296.  Enzenreut  (gleichlautend  Landschach1). 

Weliche  frau  unbeschaidne  oder  unziemliche  wort  trib,  die  sol 
den  bachstain  tragen  das  ganz  pimerk  aus  und  leider  haim  zu  dem 
leitgeb,  und  ir  mann  soll  kaufn  ain  emer  wein  den  nachpam;  und 
si  gibt  nichts.  — ÖW.  7,  230.  Diepolts. 

')  ÖW.  7,  281. 


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53 


Alle  diese  Orte  waren  Kranichberger  Herrschaft.  Die  Texte 
stammen  aus  dem  Anfänge  des  16.  Jahrh. 

11.  Laa. 

Gibt  ainer  dem  andern  verjiotne  wart  und  .schilt  in  unpillicher 
weis  an  seinen  eren  der  richtet  solle  in  dar  zu  halten  damit  er  dem 

durch  ainen  widerruef  oder  zum  wenigsten  ain  fruntlich  abpittcn 

alt  rag  zu  ergetzlichkait  seiner  eern  thue , also:  hat  ainer  seinen  nach- 
parn  oder  ein  andern  offenlich  gescholten  und  geschmückt,  so  bitte 
er  ime  söllichs  offenlich  wider  ab  ime  des  umb  gottes  willen  zu  ver- 
zeihen; ist  es  aber hai  in  lieh  besehehen,  so  solle  das  abpitten 

auch  dergleich  alain  vor  dem  richtet  besehehen ; und  geb  der  dem 
andern  unrecht  getan  hat  zu  tcandl  ain  phunt  und  dein  richter  72 
ob  aber  zwen  gleicher  weis  an  eiander  cerpotne  wort  gäben  und 
besehäch  doch  an  grünt , alain  aus  zorn  mit  trunkenhait,  oder  der- 
gleich Ursachen,  so  heb  der  richter  und  die  vierer  die . . . verpotnen 
wort  gegen  einander  auf  und  mach  die  partheien  zu  frunten  oder 
gebiet  in  bei  einem  peenfall  fride  und  straff  ieden  tail  umb  ain 
phunt,  davon  solle  er  haben  7 2 also  solle  es  auch  mit  den  frawen 

die  in  dergleich  vällen  beclagt  gehalten  werden,  oder  aber  so  es  von 
nntten,  sollen  sie  /ur  die  geldstraff  den  pockstain  tragen. 

ÖW.  7,  614  f.  Laa1)  1528.  (Vitzdomamt),  Hennersdorf2)  1530 
(früher  landesfürstlich,  seit  1527  im  Besitze  des  Vitzdoms),  Wein- 
haus 1 585 3)  und  zweite  Hälfte  des  17.  Jahrh.4)  (Herrschaft:  Pfarre 
Hütteldorf),  Siebenhirten8)  1617  (früher  landesfürstlich,  seit  1576 
Privatbesitz),  Erla  bei  Wien6)  um  1688. 

Nahverwandt  sind  die  unter  sich  gleichen  Texte  vou  Rauhen- 
wart’)  1614,  Ober  Stockstall 9)  1614,  Gersthof9)  17.  Jahrh.,  Lie- 
sing10) zweiter  Text  17.  Jahrh.  (insgesamt  zu  St.  Dorothea  in  Wien 

gehörig)  die  jedoch  so  schließen:  oder  aber für  die  geldstraff 

etliche  tag  lang  in  die  jidl  gespant  werden. 


•)  ÖW.  7,  682.  — *)  ÖW.  7,  614  f.  — *)  ÖW.  7:  856. 

4)  ÖW.  8,  1073.  — s)  ÖW.  7,  604.  — «)  ÖW.  8,  1098. 

»)  ÖW.  7,  437.  — 8)  ÖW.  8,  638.  — 9)  ÖW.  7.  856. 

'«)  ÖW.  7,  633.  Vgl.  aber  den  Text  von  1541. 


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54 


12.  Liesing. 

Item,  wer  ainem  anredt,  es  sei  /rate  oder  man , heimlich  oder 
oßenlich,  daß  es  gieng  auf  sein  trete  und  eer  und  mag  das  nicht 
erweisen,  zu  wandl  fünf  phunt  phenning  oder  die  zung  werd  im  zu 
dem  nagg  ausgezogen1),  und  leg  ime  seinen  schaden  ab. 

ÖW.  7,  627,  30  ff.  Liesing  1541  (Zu  St.  Dorothea  in  Wien. 
Ein  Teil  war  weltlich  und  kam  1657  an  die  Jesuiten  in  Wien), 
Baumgarten  an  der  Wien5)  16.  Jahrh.  (zu  Kloster  Formbach), 
Eigen  Atzgersdorf3)  1666  (früher  weltlich,  seit  1657  bei  den 
Jesuiten),  Mauer4)  1667  (seit  1609  bei  den  Jesuiten). 

Item,  weliche  fraw  jung  oder  alt  verpottne  wort  geit  gegen 
man  oder  f, rauen  die  geh  zu  wandl  72  oder  trag  den  pachstain. 

ÖW.  7,  628,  34  ff.  Liesing.  Ebenso  Baumgarten5),  Atzgers- 
dorf6), Mauer7). 


13.  Lilienfeld. 

Wann  die  treibe r oder  andre  ledige  weibliche  pilt  übl  einander 
außschelten,  die  sollen  zu  straf  ohne  ainiches  aufziehen  oder  ver- 
lengerung  den  pockstain  het'umb  tragen  oder  dafür  zu  wandl  02  tal. 

ÖW.  8,  589,  37  ff.  Grafenberg  bei  Eggenburg.  Radelbrunn  8J 
nnd  Stratzing 9)  unweit  von  Grafenberg,  Alle  drei  Orte  gehörteu 
dem  Kloster  Lilienfeld.  Die  Texte  sind  aus  dem  16.  Jahrhundert. 

14.  Minkendorf. 

Fordert  ein  mann  den  andern  auß  seinen  hauß  in  gef  ehr,  als 
oft  er  das  thuet  zo  ist  er  umb  das  wandl  fi  ft  2 fordert  ein  mann 
ein  weib  auß  einem  hauß  der  ist.  umb  .5  h ^ zu  wandl.  fordert 
aber  ein  weib  einen  mann  auß  einen  hauß,  die  ist  umb  10  H ^ zu 
wandl 10). 


')  Baumgarton:  in  Hem  nach  heraufgezogen.  Atzgersdorf:  auß  zu  dem 
näcken  gezogen.  Mauer:  nur  Geldstrafe. 

3)  ÖW.  7,  721.  — 5)  ÖW.  7,  643.  — *)  ÖW.  7,  652. 

*)  ÖW.  7,  723.  — «)  ÖW.  7,  644. 

0 ÖW.  7,  653.  Mauer  1730  ist  der  Text  ganz  verändert.  Da  kommt 

auch  der  Bagstein  nicht  mehr  vor,  sondern  die  Prechel. 

*)  ÖW.  8,  528.  — »)  ÖW.  8,  907. 

'•)  halb  zur  kürehen  und  halb  der  herrschaft. 


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5.5 


Kriegen),  aber  zwei  weiber  oder  mehr  mit  einander  und  geben 
gegen  einander  cerbottene  wort,  so  ist  ihr  iedes  12  ’).  rauf  ent  oder 

schlagent  sie  an  einander , doch  alß  sie  nit  merklichen  lembnus  be- 
gännen i),  so  sollen  sie  den  pockstein  in  dem  darf  auf  und  nider 
tragen  und  der  richtet  soll  dazue  dingen  ein  pjeifer  und  ihr  mann 
ein  pauker3).  theten  sie  aber  an  einander  lembnüß  oder  verderb- 
lichen schaden*),  so  soll  man  sie  straffen  als  recht  ist3), 

ÖW.  7,  4 13,«  17  ff.  7,418.  7,1060.  Minkendorf  a.  d. 

Triesting  1452,  16.  und  17.  Jahrh.  Gleichlautend  Truraau6) 
17.  Jahrh.  Beide  Orte  waren  Heiligenkreuzer  Besitz.  Das 
Teiding  von  Kaiser- Steinbruch7)  am  Leithagebirge  [in  Ungarn; 
Heiligenkreuzisch]  von  1634  ist  um  die  Zusätze  S.  54  Anm.  10 
und  S.  55  Anm.  5 erweitert. 

15.  Saubersdorf. 

Item  es  vermag  auch  die  gerechtigkaü  hie  zu  Sauberßdorf : 
wo  die  Weiber  an  einander  außschulden  oder  aine  der  anderen 
verpotne  wort  gäben  und  solches  auf  si  weißlich  wiert,  es  war  wo 
es  icollt,  zu  feit  oder  zu  gassen,  und  kämen  für  gerichl,  so  sein  si 
wändl  schuldig  ztcen  und  sechs  Schilling  der  obrigkeit  oder  si  soll 
den  pockstain  tragen:  so  solt  der  Richter  ain  ztstl Jolle*)  air  kaufen 
nnd  solt  die  jungen  knecht,  alß  eil  er  zu  wegen  kan  pringen,  zusam 
/ ordern  und  das  see  es  mit  den  airn  werfen  als  lang  si  weren, 
von  krichtßhauß  auß  piß  wieder  ins  Krichthaus  im  darf  auf  und 
ab,  so  sollt  si  der  zwen  und  sechs  Schilling  frei  sein. 

ÖW.  7,  124,  22  ff.  Saubersdorf  b.  Wr.-Neustadt.  16.  Jahrh. 
Dem  Geschleehte  Puchheim  gehörig. 

16.  Schatterlee. 

Item  ob  sich  gepurt  das  sich  zwo  frawn  vergössen  mit  red,  so 
schullen  sich  die  mannen  nicht,  darumb  annemen,  aber  si  schulln 
das  bringen  an  ein  richter  und  das  anklagn.  und  der  richter  scholl 

Bemerkenswerte  Änderungen  des  K.-Steinbrucher  Textes  sind:  \)  2 « ^ 
der  herrschaft.  *)  doch  also  daß  keine  der  anderen  sonderen  schaden  suege- 
füegel  helle.  3)  ihr  mann  soll  pauken.  *)  theten  sie  aber  einander  beschädigen. 

5)  trän  sie  aUeteil  also  zwiestreitig  sein  und  keine  besserung  zu  hoffen  ist, 
die  sustüftung  auferlegt  tcerden. 

*)  ÖW.  7,  413.  — ) ÖW.  7,  1048  f.  — •)  Variante  voller. 


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sentn  nach  den  Jraien  und  sol  die  gesworen  cm  im  nemen  find  schol 
sew  verhören  nach  irr  baider  Jnrlegung;  und  welchew  di  ist  deir 
die  gement  en  kunnen  erkennen  das  si  ungerecht  ist,  die  scholl  da- 
rumb  gebessert  tcerdn  und  gestrafft  von  irm  mann  untst  als  lang 
das  di  ander  der  ungutlich  ist  geschehen , ein  genuegn  hat.  war 
aber  das  sei  ir  man  nicht  strajfn  wollt  umb  di  schuld , so  scholl 
sei  der  richter  nemen  und  scholl  di  legn  in  ein  kastn  und  scholl 
für  sei  slahn  zwai  sloss,  damit  di  fraw  wol  behüet  sei ; auch 
scholl  der  richter  irm  mann  den  ainn  schlosst  gehn  und  er  scholl 
den  andern  habm ; und  scholl  sein  in  dem  kästen  untzt  als 
lang  das  di  gesworen  kunnen  erkennen  das  si  und)  die  schuld  ge- 
pessert  wert. 

ÖW.  8,  182,  24  ff.  Schatterlee,  südwestlich  von  Laa.  1489. 
Dem  Kloster  Waldhausen  in  Ober-Österreich  gehörig. 

17.  Schönberg. 

Weiber  greinen  straaf. 

Jtem  die  frauen  solden  sein  gezogen,  wo  das  aber  nicht  ge- 
schäche  und  daß  aine  mit  der  andern  anhueb  und  gab  aine  der  an- 
deren rerpottew  wort  und  die  ander  wollt  nicht  nachgeben,  so 
wehren  sie  heit  bueßf eilig,  uud  die  erst  so  angefangen  hat  solt  den 
pockstain  h inaus  tragen  an  die  waahrt  und  die  ander,  die  nicht  hat  nach- 
geben soll  den  pockstain  wider  herein  tragen,  und  als  oft  sie  rast,  es  wehre 
hierin  oder  draussen,  so  ist  sie  um  12  ^ zue  wandl,  und  wan  sie 
herwieder  in  kombt  so  sein  sw  beede  dem  Richter  zue  geben  3 helbling 
zum  wandel.  wolden  sie  aber  miht  dem  gericht  abkomen,  daß 
mögen  sie  duen  ehe  wan  sie  fier  recht  körnen;  dan  kamen  sie  fier 
recht,  so  soll  anderst  nichts  helfen,  dan  sie  dragen  den  pockstain. 
ausgenomben  sie  reden  sich  dan  auß  daß  zue  recht  genuegsamb 
seie,  darbei  man  sie  lassen  soll. 

ÖW.  8,  731,  5 ff.  Schönberg  a.  Kamp.  c.  1430 — c.  1625. 
Weltlich. 

18.  Senftenberg. 

Von  der  Scheltwort. 

Darnach  ist  mehr  unser  gercchtigkait  zu  melden  daß  ain  frume 
gelante  fraw  aine  die  ander  noch  ainen  frumen  gelanten  man,  eß 
sei  ainer  geseßner  oder  gast , mit  bösen  srhellworten  nicht  ubl  handln 
soll,  und  welche  deß  uberfahren  mirde,  die  soll  hie  den  pagstain 


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tragen  von  ainem  ort  zu  dem  andern , und  si  soll  denselben  slain 
drei  s tunt  niderlegen,  und  als  oft  ei  den  von  ihr  legt  so  ist  si  dem 
nachrichter  schuldig  zu  geben  zweit  pfennig;  und  es  soll  auch  der 
nachrichter  ihr  schult  oj) entlieh  beruefen.  welche  fraw  hinfür  solch 
sach  mit  warten  gegen  trauen  oder  mann  verschuldet , die  muesset 
auch  also  püessen  und  den  pagstein  tragen  von  einem  ort  zu  dem 
andern  und  den  pagstein  hinwider  zu  der  schranen  bringen,  wolt, 
aber  desselben  /rauen  mann  oder  ander  iemant  von  ihrenwegen  den 
richter,  die  geschworen  oder  andir  iemant  darumben  anfeinten , den 
soll  und  mag  der  richter  darum!»  zu  »einen  Landen  nehmen  und 
den  auch  püessen  noch  rathß  rathe. 

ÖW.  8,  923  f.  Scnftenberg  bei  Krems.  1524—54.  Herr- 
schaft Schaunberg. 


19.  Solenau. 

Item,  ob  ain  fraw  die  ander  ubl  handlet  mit  verpoten  warten 
ode r mit  pösen  Worten,  sol  tragen  den  paclcstain  oder  sol  der  her- 
scha/t  verfallen  sein  l tal.  und  dem  richter  12 

ÖW.  7,382,  30  fl.  Markt  Solenau  1412  (Herrschaft 
Schönau). 


20.  Stratzdorf. 

Item  ob  ain  eeweib  die  ander  ubelhandliet,  dew  ist  zu  wandel 
6 3 2 macht  si  den  man  zamig  daz  er  sich  selber  rech,  das  sol  man 
derkennen  zu  Prunn  in  der  schrämt  di  zwo  gemain  was  der  ver- 
wandelt hab. 

ÖW.  8,  866.  Stratzdorf  c.  1400  Ebenso  Brunn  im  Felde1), 
Ende  des  15.  Jahrh.,  Gedersdorf*),  Anfang  des  16.  Jahrh. ; 
Nieder-Rohrendorf  und  Ober-Weidling s).  Alle  Orte  liegen  bei 
Krems  und  standen  unter  der  Gerichtsbarkeit  von  Grafeneck. 

Brnnn  und  Gedersdorf  haben  noch  eine  zweite  Stelle: 

Item  ain  ide  frume  fraw  soll  haben  ir  beiplich  zucht  und 
er.  thuet  si  des  nicht,  so  ist  si  schuldig  den  pachstain  zu  tragen 
mit  der  straff  nach  iem  verdienen */ 

Gedersdorf  hat  überdies  folgende  dritte  Bestimmung: 

')  ÖW.  8,  885.  — >)  ÖW.  8,  883  Noto  a.  — *)  ÖW.  8,  880. 

4)  ÖW'.  8,  889.  erinnert  an  Schfinberg.  (Anhang  17.) 


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Item  ob  ain  eeiveib  ain  handlt,  wer  weih  oder  man , daß  trew 
und  er  perurt,  so  snlt  si  den  pokstain  tragen,  und  iran  si  in  auf- 
hebt  so  ist,  si  umb  2 und  6 ? und  den  pokstain  soll  si  tragen  zu 
ring  umb  und  umb  in  dem  dorf x). 

21.  Tattendorf. 

All  die  mannen  die  irer  weiber  nit  zu  gwalt  haben,  der  herr- 
schaft,  dem  richter  den  gesworen  nachreden  mit  verpoUen  Worten, 
soll  der  richter  baide  fraw  und  man  in  sein  straf  nemen  so  lang 
unz  si  nach  rat  der  eiern  gestrafft  werden. 

ÖW.  7, 402,  39  ff.  Tattendorf  a.  d.  Triesting  c.  1450, 
Klosterneuburger  Besitz.  Gleichlautend  im  Nachbardorfe  Ober- 
Waltersdorf*)  1732—68.  Heiligenkreuzer  Besitz.  Hirschstetten5) 
bei  Aspern  16.  Jahrh.,  Hagenberg1 * * 4)  bei  Mistelbach  c.  1554.  Die 
beiden  letztgenannten  Orte  standen  unter  weltlicher  Herrschaft. 

22.  Trandorf. 

Ob  /raten  oder  dienten  rauften  oder  schluegen  an  einander  oder 
verpotne  wort  ausgaben  aine  der  andern,  so  sein  sie  den  pachstam 
schuldig  zu  tragen  von  ainem  ort  zum  andern,  darnach  soll  sie  der 
richter  oder  amptman  erfordern,  und  weliche  unrecht 4)  erfunden 
wirt  die  ist  zu  wandl  7 2 ^<j). 

ÖW.  8,  1010,  34  ff.  Trandorf  1530.  (Es  gieng  in  diesem 
Jahre  vom  Stift  St.  Andrä  a.  d.  Traisen  an  das  Stift  Gottweih 
über.)  Gleichlautend:  Rechte  des  Stiftes  Göttweih,  der  Grafschaft 
Nieder-Ranna  und  der  Bürger  zu  Kottes  und  Mühldorf7)  1540. 
Rechte  und  Freiheiten  des  Stiftes  St  Andrä  a.  d.  Traisen*) 
17.  Jahrh. 


1)  ÖW.  8,  891.  *)  ÖW.  7.  408. 

*)  ÖW.  8,  306.  An  späterer  Stelle  (ÖW.  8,  307  Note  10):  Item  to  die 
trauen  einander  schelten  mit  verpotnen  Worten,  ist  jede  person  dem  herm  tu 
wandel  6 3 . 

Item  wan  trauen  und  man  einander  verletzen  jedes  an  seinen  ehren  und 
solche  Verleitung  nit  genugsam  beweisen  macht  to  ist  jedes  dem  herrn  zue  wandl 
5 ti 

4)  ÖW.  8,  152.  *)  Variante:  mit  anfang. 

»)  Variante:  \ tal.  t)  ÖW.  8,  982.  *)  ÖW.  8,  627. 


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23.  Tresdorf. 

Item,  ob  ein  treib  auf  der  ganten  öffentlich  mit  verbotnen  irorten 
schilt  oder  beleidigt,  welche  die  ist,  ist  zu  wandl  verfallen  6 3 2 
hat  ei  es  an  dem  guet  nit,  so  sols  sie  die  geigen  tragen. 

ÖW.  7,  370  Tresdorf  und  Sebam  1582.  (Herrschaft:  Jesu- 
iten in  Wien.) 

Gleichlautend  bis  auf  die  Schlußworte  (dafür:  so  soll  si  den 
jwtekstain  tragen ) Grinzing1),  17.  Jahrh.  (Jesuiten,  Wien). 

soll  sie  die  geige  oder  fidl  tragen  Tresdorf*)  1685. 

24.  Ulrichskirchen. 

I.  Ob  sich  die  weib  mit  einander  schendaten  mit  unzimblichen 
warten,  so  sol  mon  in  anhahen  den  pokstain,  den  siillen  si  tragen 
von  einem  falltar  zum  andern,  von  ainem  ort  zu  dem  andern,  und 
sol  in  der  richter  dingen  einen  pheifer  und  ir  aigner  man  einen 
pauker  3_).  ob  aber  ainer  sein  tceib  wolt  dem  gericht  Vorhalten, 
so  mon  si  vordret  zu  der  peen,  dem  sol  der  richter  schicken  das 
stäbl  und  ist  der  herschaft  verfallen  32  tal.  ^ als  ainer  der  sich 
des  gerichts  hat  underwuntn. 

Ob  aber  ein  weib  unzuchtig  wer  mit  Worten  und  mit  werchn 
und  würd  irm  man  geklagt  und*)  er  zug  si  nicht  davon,  die  sind 
baide  wandl  phlichtig  und  pessrung  darnach  und  die  unecht 
gros  ist 

ÖW.  8,12  Zeile  11  ff.  Ulrichskirchen  1438-52.  Mit  ge- 
ringen Abweichungen  haben  denselben  Text  Thomasl s),  Mitte  des 

15.  Jahrh.;  Bannersdorf'),  Mitte  des  15.  Jahrh.;  Nodendorf’) 
1530;  Baumgarten  a,  d.  March*),  IG.  Jahrh.;  Erdpreß*), 

16.  Jahrh.;  Nieder-Sulz I#),  16.  Jahrh.;  Haslach9 * 11),  16.  Jahrh.; 


9 ÖW.  7,  938.  *)  ÖW.  7,  375. 

*)  Dieser  Satz  ist  in  Ebersbrunn  mit  Bleistift  getilgt.  ÖW.  8,  161 
Anmerkung  b. 

*)  i colt  «'  nicht  davon  ziehen  und  darumh  straffen  Thomasl. 

»)  ÖW.  8,  161.  «)  ÖW.  8,  135.  »)  ÖW.  8,  170. 

•)  ÖW.  8,  38.  »)  ÖW.  8,  86. 

'»)  ÖW.  8,  94.  ■')  ÖW.  8,  206. 


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Ebersbrunn ')  1586;  Kl.-Ebersdorf*),  17.  Jalirh.  — Pfaffstetten  3), 
16.  u.  17.  Jahrh.  bat  Dur  den  zweiten  Absatz. 

//.  Geit  ein  fraw  einem  mann  verpotne  wart  umb  unverdient 
euch , die  ist  umb  12 

ÖW.  8,  17  Zeile  30  f.  ülrichskirchen  1438. 

Item  wann  ain  fraw  ain  mann  ain  eerpotenee  wort  geit  umb 
unverdient  sack,  die  ist  verfallen  1.2  ^ als  oft  si  das  thut *)  uiul 
demnach  in  der  herrschajl  straff. 

ÖW.  7,  1037,  20  ff.  Winden,  Mitte  des  15.  Jahrh.;  Neu- 
Eigen  oder  Münichhof4)  16.  Jahrh.;  Podersdorf“)  16.  Jahrh.; 
Wülfleinsdorf  a.  Leitha7)  17.  Jahrh.  (im  Texte  steht  die  Jahres- 
zahl 1240!);  Sulz,  Grub,  Siegenfeld,  Preinsfeld,  Meierling8), 
Sittendorf,  Dornbach“),  Alland10),  Sparbach,  Weißenbach,  Brühl“), 
1652—1735. 

Mit  Ausnahme  von  Nodendorf  und  Ebersbrunn  waren  alle 
aufgezählten  Orte  Heiligenkreuzer  Besitz.  N.  und  E.  waren  weltlich. 

25.  Zwettl. 

Ob  sich  weiber  oder  diernen  mit  einander  zerlcricgten  stiegen 
oder  raufeten  oder  mit  umimlichen  ertöttunden  ’*)  Worten  aine  di 
ander  schendet,  die  sol  mon  gen  closter  vorderen  oder  dahin  furen. 
daselbs  sol  mon  in  den  pachstain  anhengen,  den  sollen  si  dann  tragen 
hin  gen  Rudmars  durch  das  ganz  dorf  auf  und  ab,  von  aim  valtar 
zum  andern  und  hinwider  gen  closter,  und  als  oft  si  rasten  under- 
wegen  als  oft.  verwandlt  72  so  mon  in  dann  den  stain  im  closter 
widerumb  ablegt,  so  ist  aine  zu  wandl  verfallen  2 ^ 6’  ß 

Sein  si  aber  fridper  frawen  und  ob  sie  mit  einander  kriegen, 
nit  slahen , raufen,  auch  nit  mit  ertöttunden  Worten  an  einander 
schelten,  die  haben  ir  iede  vertcandlt  12  ^ und  stet  in  ires  mannes 
straff'*). 

')  ÖW.  8,  528  *)  ÖW.  8,  18.  s)  ÖW.  7,  1063  und  7,  536. 

*)  nur  bis  dahur  diu  Woistüwer  Sulz,  Grub  usw.  bis  Brühl. 

5)  ÖW.  7,  1042.  — •)  ÖW.  7,  1045. 

’)  ÖW.  7,  453.  — •)  ÖW.  7,  482. 

»)  ÖW.  7,  484.  — *0  ÖW.  7,  478.  — ")  ÖW.  7,  570. 

'*)  B verbessert  ehr  tödtunden.  C eher  t. 

,s)  In  B gestrichen.  Fehlt  C D. 


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hem  ob  ain  man  seinem  ireih  oder  ainer  andern  helfen *)  wolt, 
dem  gericht  oder  der  herschaft  des  closters  oorhalten  so  mon  si  zu 
iler  straff  errordert , so  hat  er  sich  des  gerhehtz  und  der  herschaft 
gerechtigkait  underst-nnden,  hat  darum/)  vertcandlt  32  tal.  J(. 

ÖW.  7, 464, 6 ff.  Heiligenkreuzer  Generale,  Mitte  des  15.  Jahrh.; 
Zwettl*)  (Text  A 1499,  B erste  Hälfte  16.  Jahrh.,  C um  1550, 
D um  1570).  Höflein3)  bei  Bruck  a.  Leitha  16.  Jahrh.  und 
17.  Jahrh.  Heiligenkreuzisch). 

Obwohl  die  Heiligenkreuzer  Überlieferung  die  älteste  ist,  so 
ist  doch  sicher,  daß  das  Zisterzienserstift  Zwettl  sein  Mutterkloster 
Heiligenkreuz  mit  seinem  Bannteidingsrecht  begabt  hat*),  denn 
der  im  Text  erwähnte  Ort  Rudmanns  liegt  bei  Zwettl. 5). 

Verwandt  ist  auch  der  Text  von  Hohenstein6)  a.  d.  Krems 
c.  1600  (Herrschaft  Starhemberg). 

*)  Variante  verkelfn  wider  ainen  ricMer. 

«)  ÖW.  8,  828.  — 3)  ÖW.  7,  1063  und  7,  456. 

*)  G.  Winter,  ÖW.  8,821  Anmerkung. 

s)  G.  Winter,  ÖW.  7,  464  Anmerkung. 

8)  ÖW.  8,  939.  Namentlich  der  letzte  Absati. 


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Bücherliste 


Acta  Sanctorum  — — Bollandns  ctc.  1643 — 1794. 

A 1 9 a t i a,  .lahrbuch  f.  elsäßische  Geschichte. 

K.  v.  Amira,  Grundriß  des  germanischen  Rechts.  2.  Aufl.  1901. 

R.  Andree,  Votive  und  Weihegaben  des  katholischen  Volkes  in  Snd- 
deutschland.  Braunschweig  1904. 

Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit 

Archiv  für  Kunde  österreichischer  Geschichtsquellen,  (fort- 
gesetzt als  Archiv  für  österreichische  Geschichte.) 

Neues  Archiv  für  sächsische  Geschichte  und  Altertumskunde,  (h.  v. 
Ermiscb.) 

Argovia,  Jahresschrift  der  histor.  Gesellschaft  des  Kanton  Aargau. 
Berlinisches  Stadtbuch.  1883. 

K.  A.  Bierdimpfl,  Polter  und  Strafinstrumente  des  bair.  Nationalmuseums. 
München  1882. 

Birlinger,  Volkstümliches  aus  Schwaben.  1862. 

M.  Bormann,  Geschichte  der  Ardennen.  Trier  1841. 

Braunschw.  UB.  = Urkundenbuch  der  Stadt  Braunschweig,  h.  v.  Hänsel- 
mann. 

Bremisch  — nieders&chsisches  Wörterbuch.  1767 — 1869. 

E.  Brinckmeier,  Glossarium  Diplomaticum.  1850 — 63. 

H.  Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichtc.  1.  Bd.  2.  Aufl.  1906.  2.  Bd. 
1892. 

H.  Brunner,  Forschungen  zur  Geschichte  des  deutschen  und  französischen 
Rechts  1894. 

H.  Brunner,  Über  das  Alter  der  Lex  Alamannornm.  Berliner  SB.  1885. 
Chabert,  Bruchstück  c.  Staats-  und  Rechtsgeschichte  der  deutsch-öster- 
reichischen I.ändcr.  Denkschriften  der  kaisorl.  Akademie.  Phil.- 
hist.  Kl.  III.  u.  IV. 

Chroniken  der  deutschen  Städte. 

Diez,  Etymologisches  Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen.  1887. 
Distel,  Strafrechtsgeschichtliche  Findlinge.  (N.  Arch.  f.  sächs.  Gesell.  Neue 
Folge  9.  (1888.) 

Doepleri  Theatrum  poenarum.  Schauplatz  der  Leib-  und  Lebensstrafen. 
2 Teile.  Sondershausen  1693.  1697. 

I.  C.  H.  Dreycr,  Anleitung  zur  Kenntnis  lübeckischer  Verordnungen.  1769. 
I.  C.  li.  DreycT,  Antiquarische  Anmerkungen  Lübeck  1792. 


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63 


I.  C.  H.  Dreycr,  Commentarii  de  littophoria.  Kiel  1752. 

Dn  Cange-L.  Favre,  Glossarium  mediae  et  infimae  latinitatis.  1882  ff. 
H.  Fischer,  Schwäbisches  Wörterbuch.  1901  ff. 

Freiberg,  Sammlung  historischer  Schriften  und  Urkunden.  1827 — 3(1. 

F.  Frensdorff,  Das  Dortmunder  Stadtrecht  bis  zur  Rezeption.  Z’RG.  26 
(1905). 

F.  Frensdorff,  Dortmunder  Statuten.  1882. 

Fritzner,  Ordbog  over  det  gamlc  norske  Sprog.  2.  Aufl.  1886  (T. 
Fronius,  Bilder  aus  dem  sächsischen  [siebenbürg.]  Bauernleben.  2.  Auf- 
lage. 1883. 

Fruin  R.,  De  middeleuwsche  rechtsbronncn  der  kleine  steden  — — 1897. 
Gengier,  Codex  juris  municipalis.  1863. 

Gengier,  Deutsche  Stadtrechtsaltertümer.  1882. 

Gerichtssaal  1864. 

Hansische  Gcschichtsblätter. 

Hansische  Geschichtsquellen  III.  (F.  Frensdorff,  Dortmunder  Sta- 
tuten. 1882.) 

O.  Gierke,  Der  Humor  im  deutschen  Recht.  2.  Aufl.  1887. 

Graf  und  Diotherr,  Deutsche  Rechtssprichwörter.  1864. 

Graff,  Althochdeutscher  Sprachschatz.  1834  ff. 

Grimm  DWB.  = J.  n.  W.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch.  1854  ff. 

Grimm  RA.  = J.  Grimm,  Deutsche  Rechtsaltertümer.  4.  Aufl.  1899. 

J.  Grimm,  Weistümer.  1840 — 78. 

L.  Günther,  Recht  und  Sprache.  1898. 

L.  Günther,  Kechtsaltertüincr  in  unserer  heutigen  deutschen  Sprache.  1903. 
N.  Haas,  Geschichte  des  Slavenlandes  a.  d.  Aisch  u.  d.  Kbrachflüflchcn. 

Bamberg  1819. 

Haitaus,  Glossarium  germanicum  medii  aevi.  1758. 
klarster,  Das  Strafrecht  der  freien  Reichsstadt  Speyer.  1900.  (Unter- 
suchungen zur  deutschen  Staats-  u.  Rechtsgeschichte,  hsg.  v.  Gierke. 
Heft  61.) 

Heydinger,  Descriptio  archidiaconatus  in  Longuino  archidiocc.  Trevirensis. 
Augusta  Trevir.  1884. 

M.  Heyne,  Fünf  Bücher  deutscher  Hausaltertfimcr.  1899  ff. 

P.  Hinschius,  Das  Kirchenrecht  der  Katholiken  und  Protestanten  in 

Deutschland.  1869  ff. 

R.  His,  Das  Strafrecht  des  Friesen  im  Mittelalter.  1901. 

Honnncl,  Jurisprudeutia  numismatibus  illustrata.  1763. 

Kaltenbaek,  Pan-  undBcrgteidingbüchervonNieder-Österreich.  Wien  1846 f. 
Kerler,  Geschichte  der  Grafen  von  llelfenstein.  Ulm  1840. 

Kinder,  Urkundenbuch  zur  Chronik  der  Stadt  I’loen.  1881  f. 

Kluge,  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  Sprache.  6.  Auflage.  1899. 
H.  Knapp,  Das  alte  Nürnberger  Kriminalvarfahren.  Berlin  1896. 

H.  Knapp,  Humor  im  Würzburger  Recht.  ZStW.  22.  (1902.) 

Koehne,  Das  Recht  der  Mühlen.  (Untersuchungen  zur  deutschen  Staats- 
und Rechtsgeschichte.  hsg.  v.  Gierke.  Heft  71.)  . 1 


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di 

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M.  Leier,  Kärntisches  WSrterbnch.  1862. 

M.  Leier,  Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch.  1872 ff. 

Libri  antiquissimi  civitatis  Cracov  ionsis.  (Mon.  bist,  res  gestas 
Poloniae  OL  T.  IV.  1878.) 

F.  Liebrecht,  Zur  Volkskunde.  Heilbronn  1879. 

Loersch,  Achener  Rechtsdenkmäler.  1871. 

Loerscb,  Weistümcr  der  Rheinprovinz  I.  1900. 

Martin  u.  Lienhart,  Wörterbuch  der  elsässischen  Mundarten.  1899.  1906. 

G.  L.  v.  Maurer,  Geschichte  der  Fronhöfe.  1862  f. 

Ncuu  Mitteilungen  aus  dem  Gebiet  historisch.-antiqu.  Forschungen,  hsg. 
v.  thüringisch-sächsischen  Verein. 

Mittcilungcu  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen. 
Monumcnta  Boica. 

Ofner  Stadtrecht,  b.  v.  Michnay  und  Lichner.  PreQburg  1846. 
Osenbrüggen,  Alamann.  Strafrecht.  1860. 

Osenbrüggen,  Rechtsaltertümer  aus  österr.  Panteidingen.  Wiener 
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Osenbrüggen,  Strafrecht  der  Langobarden.  1863. 

Osenbrüggen,  Studien  zur  deutschen  und  schweizerischen  Rechts- 
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ÜW.  = Österreichische  Weistümer.  1860 — 96. 

H.  Pfenninger,  Strafrecht  der  Schweiz.  1890. 

I.  E.  Kinder,  Urkundenbuch  zur  Chronik  der  Stadt  Ploen.  1881 — 4. 
Pufendorf,  Observationcs  iuris  universi.  1757 — 70. 

Rb.  n.  Dist.  «=  Rechtsbuch  nach  Distinktionen,  hg.  v.  Ortloff.  1836. 
Reyscher,  Sammlung  altwürteinbergcr  Statutarrechtc.  1834. 

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(Neuburger  Kollektanoenblatt  1890.) 

Rocbholz,  Steinkultus  in  der  Schweiz.  (Argovia  1862 — 3.) 

Sack,  Die  Scbandsteine  tragen  und  sich  aufs  Maul  schlagen.  Eine  Strafe 
aus  dem  Mittelalter  in  der  Stadt  Braunschweig.  (Vaterländisches 
Archiv  d.  histor.  Vereins  f.  Niedersachsen.  1841.) 

Schade,  Altdeutsches  Wörterbuch.  2.  Aufl.  1882. 

W.  Schäfer,  Deutsche  Städtewahrzcichcn.  1858. 

W.  Scheel,  Das  alte  Bamberger  Strafrecht  vor  der  Bamborgensis. 
Berlin  1903. 

Schiller-Lübben,  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch.  1875  ff. 
Schlichtegroll,  Thalhofer.  1817. 

Schmeller,  Bairisches  Wörterbuch.  2.  Aufl.  1872  ff. 

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O.  Schräder,  Realenzyklopädie  der  indogermanischen  Altertumskunde.  1901. 
It.  Schröder,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgoschichte.  5.  Aufl.  1907. 

I.  Schröer,  Wörterbuch  der  deutschen  Mundart  des  Ungar.  Berglandes. 

Wiener  SB.  25.  27.  31. 

Alwin  Schultz,  Deutsches  Leben  im  14.  und  15.  Jahrhundert.  1892. 
v.  Sch  «in  d-Dopsch , Ausgewählte  Urkunden  zur  Verfassungsgeschichte  d. 

deutsch-österreichischen  Krblande  im  Mittelalter.  1895. 
v.  Schwind,  Kritische  Studien  zu  Lex  Baiuwariorum  1.  (Neues  Archiv  d. 

Ges.  f.  ältere  deutsche  Geschichtskunde.  31,  401  ff.) 

SB.  = Sitzungsberichte  der  Akademie  der  Wissenschaften,  phil.-hist. 

Kl.  (Berliner  SB.,  Wiener  SB.) 

Staub-Toblcr,  Schweizerisches  Idiotikon.  1881  ff. 

C.  Stieler,  Der  deutschen  Sprache  Stammbaum  u.  Fortwachs.  1691. 

A.  Stöber,  Der  Klapperstein  nebst  ähnlichen  Strafarten.  2.  Aufl.  (Alsatia 
1876.) 

Stokar,  Verbrechen  und  Strafe  in  Schaffhausen.  ZschweizStrR.  5 (1902). 
Strodtmann,  Idiotikon  Osnabrugense.  1756. 

Thorten,  Stadsrctter  for  Sleswig  ctz.  1855. 

T.  Unger,  Steirischer  Wortschatz.  1903. 

Chr.  H.  Troz,  De  jure  agvario  Belgii  foederati.  1751  ff. 

Volmar,  Steinbuch,  hg.  v.  Lambel.  1877. 

G.  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichte.  IV1  1885.  VI5  I89GV  (bear- 
beitet von  Seeliger.) 

Walch,  Vermischte  Beiträge  zum  deutschen  Recht,  1771  ff. 
Wasserschieben,  BuUordnungcn  der  abendländischen  Kirche.  1851. 
Weinhold,  Die  deutschen  Frauen  im  Mittelalter.  3.  Aull.  1897. 
Wnrdtwein,  Diplouiataria  Maguntina.  Mainz  1788. 

Zeitschrift  des  Aachenor  Gcschichtsvcreins. 

ZDR.  = Zeitschrift  ffir  Deutsches  Recht. 

ZRG.  — Zeitschrift  für  Rochtsgeschichte.  Z*RG.  — Zeitsehr.  d. 
Savignystiftung  f.  Rechtsgeschichte. 

Zschweiz  StrR.  «=  Zeitschrift  für  schweizerisches  Strafrecht.  (C.  Stooß.) 
Z Volksk.  = Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde. 

Z St  W.  = Zeitschrift  ffir  die  gesamte  Strafrechtswissenschaft. 

ZwirtFr.  = Zeitschrift  für  das  wirtembcrgische  Pranken. 

Zimmerischo  Chronik,  hg.  v.  Barack.  2.  Aufl.  1881. 

Zöpfl,  Altertümer  des  deutschen  Reichs  und  Rechts.  1860  f. 

Zöpfl,  Deutsche  Staats-  und  Rochtsgeschichte.  4.  Aufl.  1871  f. 


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Verlag  von  M.  & H.  Marcus  in  Breslau,  Kaiser-Wilhelmstr.  8 

Festgabe  für  Fells  Baba 

zu  seinem  50  jährigen  Doktorjuöiläum 

gewidmet  von  gegenwärtigen  und  früheren  Angehörigen  der 
Breslauer  juristischen  Fakultät 

I.  Deutsche  Rechtsgeschichte 

10  Mark  

Beyerle,  Konrad:  Ergebnisse  einer  alainannischen  L'rbarforschung  2, — M. 

Brie,  Siegfried:  Die  Stollungjder  deutschen  Rechtsgelehrten  der  Rezeptiona- 
zeit  zum  Gewohnheitsrecht  . . . * 1,20  M. 

Hedemann,  Justus  Wilhelm:  Die  Fürsorge  des  Gutsherrn  für  sein  Gesinde 
(Brandenburgisch-Prcussischc  Geschichte) 1,60  M. 

Naendrup,  Hubert:  Dogmengeschichte  der  Arten  mittelalterlicher  Ehren- 
minderungen 5, — M. 

Schnitze,  Alfred:  Gcrüfte  und  Marktkauf  in  Beziehung  zur  Fahrnis- 
verfolgung 2, — M. 

II.  Römische  Rechtsgeschichte 

3 Mark  

Kleineidam,  Feodor:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  lex  Poctclia  1, — M. 

Klingmüller,  Fritz:  Über  Klagenrerjfthrung  und  deren  Wirkung  1, — M. 

Leonhard,  Rudolf:  Die  Replik  des  Prozessgewinns  (replica  rci  sccundutn 
me  judicatae),  ein  Beitrag  zur  Lehre  von  den  beiden  Funktionen  der 
ezeeptio  rei  judicatae 1,20  M. 

III.  Recht  der  Gegenwart 

9 Mark  

Reling,  Ernst:  Die  Beschimpfung  von  Religionsgesellschaften,  religiösen 
Einrichtungen  und  Gebräuchen,  nnd  die  Reformbedürftigkeit  des  § 166 
StGB 1,20  M. 

Fischer,  Otto:  Vollstreckbarkeit 1,80  M. 

Grctcncr,  Xaver:  Die  Religionsverbrechon  im  Strafgesetzbuch  fiir  Russ- 
land vom  Jahre  1903  1, — M. 

Heymann,  Emst:  Die  dingliche  Wirkung  der  handelsrechtlichen  Traditions- 
papicre  (Konnossement,  Ladeschein,  Lagerschein) 3,20  M. 

Jacobi,  Emst:  Die  Pflicht  zur  Berufung  der  Generalversammlung  einer 
Aktiengesellschaft 0,80  M. 

Meyer,  Herbert:  Die  rechtliche  Natur  der  nur  scheinbaren  Bestandteile 
eines  Grundstücks  (§  95  BGB.) 1, — M. 

Schott,  Richard:  Über  Veräusserungsverbote  und  Resolutivbedingungen  im 
bürgerlichen  Recht 1,20  M. 

A.  Favorite,  vorm.  Eduard  Trewendt’*  Buchdruckern  in  Breslau 


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Die  Geschichte  des  englischen  Pfandrechts 

ron* 

Pr.  Harold  D.  Hazeltine 


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Untersuchungen 

rar 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 

von 

Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

92.  Heft 


Die  Geschichte 

des  englischen  Pfandrechts 

von 

Dr.  jur.  Harold  Dexter  Hazeltlne 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1907 


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Die  Geschichte 


des 

englischen  Pfandrechts 

von 


Dr.  jur.  Harold  Dexter  Hazeltine 

B.  A„  Universität  Brown  — L.  L.  B.,  Universität  Harvard  — Hon.  M.  A,,  Universität  Cambridge 
Reader  in  Kngliah  Law  an  der  Universität  Cambridge  nnd  Law  Lecturer  Im  Emmanuel  Coltege, 

Cambridge 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 

1907 


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Herrn  Geheimen  Justizrat  Professor 
Dr.  Otto  Gierke  zu  Berlin 

in  treuer  und  dankbarer  Verehrung  zugeeignet 


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V orwort 

Es  ist  auf  die  Tatsache,  daß  bis  jetzt  keine  Geschichte  des 
englischen  Pfandrechtes  existierte,  von  Rechtsschriftsteilem  oft 
hingewiesen  worden.  Das  Fehlen  einer  solchen  Geschichte  hat 
sich  in  der  Tat  seit  Langem  fühlbar  gemacht,  und  zwar  nicht 
nur  bei  jenen,  die  sich  mit  dem  wissenschaftlichen  Studium  und 
der  praktischen  Anwendung  des  englischen  Rechtssystems  in 
England,  seinen  Kolonien  und  in  Amerika  befassen,  sondern  auch 
bei  solchen  Rechtsgelehrten  anderwärts,  die  an  der  Erforschung 
der  germanischen  Rechtsentwickelung  im  Allgemeinen  und 
an  der  Vergleichung  des  germanischen  Rechts  mit  dem 
römischen  Recht  und  anderen  Kulturrechten  ein  Interesse  haben; 
denn  das  englische  Recht,  obgleich  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
vom  römischen  Rechtssystem  beeinflußt,  hat  vielleicht  in  mancher 
Hinsicht  seinen  germanischen  Charakter  seit  der  Zeit  der  Angel- 
sachen bis  auf  unsere  Tage  besser  bewahrt,  als  das  Recht  irgend 
eines  anderen  germanischen  Volkes.  Gerade  aus  diesem  Grunde 
verspricht  das  englische  Recht  demjenigen,  der  willens  ist,  sich 
mit  seiner  Geschichte  und  seinen  Prinzipien  vertraut  zu  machen 
und  den  der  Form  zu  Grunde  liegenden  Geist  zu  erforschen,  eine 
reiche  Ausbeute. 

Der  Zweck  dieser  Abhandlung  ist,  eine  kurze  Darstellung 
der  Geschichte  des  englischen  Pfandrechts  bis  zum  Ausgang  des 
Mittelalters  zu  geben.  Die  ökonomische,  politische  und  rechtliche 
Grundlage  dieser  Entwicklung  haben  wir  in  der  Einleitung  kurz  zu 
skizzieren  versucht.  Die  beiden  großen  Zeitabschnitte  der  pfand- 
rechtlichen Entwicklung  umfassen  1.  die  angelsächsische  Zeit  und 


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VIII 


2.  die  Periode  von  der  normannischen  Eroberung  bis  zum  Aus- 
gang des  Mittelalters.  Aber  auch  die  spätere  Entwicklung  wird 
verfolgt  und  das  Ergebnis,  wie  es  sich  im  heutigen  englischen 
Recht  darstellt,  mit  einigen  Worten  angedeutet,  denn  hauptsäch- 
lich, weil  sie  dazu  beiträgt,  das  geltende  Recht  zu  erläutern  und 
zu  befruchten,  ist  die  Rechtsgeschichte  von  praktischer  Bedeutung. 
Die  Entwicklung  des  Formal-  oder  Wettvertrages  ist  geschildert 
worden;  obgleich  dies  nicht  direkt  zu  unserem  Thema  gehört, 
wird  die  ältere  Geschichte  des  Pfandbegriffes  dadurch  doch  in  ein 
helleres  Licht  gerückt.  Leider  ist  es  wegen  Mangel  an  Zeit 
nicht  möglich  gewesen,  eine  Untersuchung  anzustellen,  ob  und 
inwieweit  die  fränkische  fides  facta  auf  die  englische  fides 
facta  in  frühnormannischer  Zeit  eingewirkt  hat.  Die  grundsätz- 
lichen Unterschiede  zwischen  Mobiliar-  und  Immobiliarrecht  im 
englischen  wie  in  anderen  germanischen  Rechten  überhaupt  haben 
zu  der  gesonderten  Behandlung  von  Mobiliarpfandrecht  und  Immo- 
biliarpfandrecht in  jeder  Entwicklungsperiode  geführt.  Obgleich 
die  gerichtliche  Pfändung  für  die  angelsächsische  Zeit  in  Betracht 
gezogen  wurde,  ist  es  doch  nicht  möglich  gewesen,  die  Entwick- 
lung auch  für  den  zweiten  Abschnitt  nach  der  normannischen 
Eroberung  zu  verfolgen.  Diese  Phase  des  Themas  muß  späterer 
Forschung  Vorbehalten  bleiben. 

Wir  fassen  Pfandrecht  als  Sachhaftungsrecht  auf,  und  so 
weit  wir  ersehen  können,  wurde  ursprünglich  im  englischen  Recht 
wie  im  älteren  deutschen  Recht  durch  Pfandsatzung  stets  eine 
reine  Sachhaftung  begründet  mit  der  Ausschließung  jeder  weiteren 
Haftung  für  die  Schuld.  In  der  späteren  Entwicklung  wurde  die 
Verbindung  einer  weiteren  Haftung  — Haftung  mit  der  Person  oder 
mit  dem  übrigen  Vermögen  — mit  der  Pfandhaftung  als  zulässig 
angesehen ').  Inwieweit  die  Pfandhaftung  selbständig  blieb,  ist 
eines  der  schwierigsten  Probleme  der  englischen  Rechtsgeschichte. 

Der  Geschichte  des  englischen  Pfandrechts  liegt  das  höchst 
wichtige  Prinzip  zu  Grunde,  daß  der  Gläubiger  bei  Zahlungs- 
versäumnis des  Schuldners  Befriedigung  entweder  aus  den  Er- 
trägen oder  aus  der  Substanz  der  Pfandsache  erhalten  kann;  die 

')  Über  das  ältere  deutsche  Recht  siehe  Gicrkc,  Deutsches  Prirat- 
rccht,  Bd.  II,  S.  809-  811. 


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EX 


Realisation  der  Sicherheit  geschieht  im  letzteren  Falle  durch  Ver- 
fall oder  Verkauf.  Dieses  Prinzip  ist  es.  das  uns  veranlaßt  hat, 
die  verschiedenen  Formen  der  Sicherheit  als  Nutzpfand  oder  als 
Substanzpfand  bezw.  als  Kombination  dieser  zwei  Hauptformen 
zu  klassifizieren.  Um  den  Gegensatz  zu  Nutzpfand  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  scheint  es  in  der  Tat  besser  zu  sein,  den  Gattungs- 
namen „Substanzpfand“  an  Stelle  der  Bezeichnung  „Proprietäts- 
pfand“ oder  „Eigentumspfand“  anzuwenden *)  und  die  letzteren 
Bezeichnungen  für  Verpfändungsformen,  bei  denen  eine  Über- 
eignung erfolgt,  vorzubehalten. 

Vom  Nutzpfand  sowohl  wie  vom  Substanzpfand  zu  unter- 
scheiden ist  diejenige  Form  der  Sicherstellung,  wo  der  Gläubiger 
bloß  ein  Zurückbehaltungsrecht  an  der  Sache  hat,  aber  kein  Recht, 
sich  aus  den  Erträgen  resp.  aus  der  Substanz  der  Pfandsache  bei 
Verfall  oder  Verkauf  zu  befriedigen.  Dieser  Form  der  Sicher- 
stellung haben  wir  die  Bezeichnung  „Retentionsrecht'1  gegeben. 
Obgleich  dieses  Retentionsrecht  in  der  Tat  Sachhaftung  ist  und 
somit,  im  weiteren  Sinne,  unter  den  Pfandbegriff  fällt,  muß  es 
doch  von  anderen  Sicherheitsformen,  wo  dem  Gläubiger  ein  Be- 
friedigungsrecht zusteht,  gesondert  gehalten  werden. 

Die  Bearbeitung  der  Quellen  der  früheren  Entwicklung  des 
Wettvertrages  und  des  Mobiliarpfandrechts  stützt  sich  zum  größten 
Teil  auf  Sclimids  Ausgabe  der  angelsächsischen  Gesetze.  Das 
Erscheinen  der  Liebermann’schen  Ausgabe  dieser  Gesetze  machte 
einen  Vergleich  des  Textes  und  der  Übersetzungen  der  beiden 
Ausgaben  notwendig.  Unterschiede  von  sachlicher  Bedeutung  in 
Text  und  Übersetzung  sind  wenige  vorhanden.  Schmids  Text 
und  Übersetzung  sind  in  der  gegenwärtigen  Abhandlung  bei- 
behalten  worden,  doch  hat  der  Verfasser  in  ein  oder  zwei  Fällen 
eine  eigene  Übersetzung  verwendet,  die  von  der  Schmid’schen  ab- 
weicht. Wo  Text  ohne  Bezeichnung  der  Ausgabe  zitiert  wird, 

')  In  zwei  früher  erschienenen  Schriften  des  Autors  ist  der  Gegensatz 
durch  die  Bezeichnung  „Nutzpfand“  („usufruct-gage“)  und  „Proprietätspfand“ 
(„property-gage“)  zum  Ausdruck  gebracht.  Siehe  The  Gage  of  Land  in 
Medieval  England  (Harvard  Law  Review,  Bd.  XVII,  No.  8,  Bd.  XVIII,  No.  1); 
Englisches  Mobiliarpfandrecht  im  Mittelalter. 


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X 


handelt  es  sich  in  allen  Fällen  um  denjenigen  hei  Schraid.  Die 
Fundstellen  bei  Liebermann  sind  jedoch  überall  nachgetragen  und 
auf  Abweichungen  in  Text  und  Übersetzung  von  der  Schmid’schen 
Ausgabe,  soweit  sie  von  sachlicher  Bedeutung  sind,  wird  in  jedem 
einzelnen  Falle  hingewiesen. 

Die  vorliegende  Abhandlung  ist  aus  einer  der  Berliner 
Juristenfakultät  überreichten  Dissertation,  von  der  ein  Teil  unter 
dem  Titel:  „Englisches  Mobiliarpfandrecht  im  Mittelalter“  im 

Februar  1905  als  Promotionsschrift  erschienen  ist,  hervorgegangen 
und  wurde  im  Juli  1905  druckfertig.  Die  seitdem  erschienene 
und  sich  mit  dem  Gegenstand  der  Arbeit  befassende  Literatur  ist 
nicht  berücksichtigt  worden. 

Für  ihre  Mühe  beim  Kopieren  der  im  Anhang  erschienenen 
Texte  bin  ich  Miß  Evelyn  Fox,  von  London,  für  seine  Arbeit  bei 
Durchsicht  der  Korrekturbogen  des  Anhanges  bin  ich  Herrn  Alfred 
Rogers,  von  Cambridge,  zu  Dank  verpflichtet. 

Für  den  mir  von  vielen  Seiten  gewordenen  ermutigenden 
Zuspruch  bei  Abfassung  der  vorliegenden  Arbeit  drängt  es  mich, 
meinen  Freunden  in  Deutschland.  Amerika  und  England  an  dieser 
Stelle  meinen  Dank  auszusprechen.  Desgleichen  bin  ich  den 
Herren  Professoren  der  juristischen  Fakultät  zu  Berlin  für  ihr 
Wohlwollen  und  persönliches  Interesse  verbunden,  sowie  auch 
meinem  Freunde  Dr.  Neubecker,  Privatdozent  an  der  Universität 
Berlin,  auf  dessen  seinerzeitige  Anregung  hin  die  Arbeit  unter- 
nommen wurde,  und  dessen  Ratschläge  mir  stets  willkommen 
waren.  Von  besonderem  Nutzen  waren  für  mich  die  Schriften 
über  englische  Rechtsgeschichte  von  Professor  Arnes  von  der  Law 
School  der  Harvard  University,  Cambridge,  Massachusetts,  von 
Mr.  Justice  Holmes  vom  Supreme  Court  of  the  United  States, 
Washington,  D.  C.,  von  dem  verewigten  Professor  Maitland  von 
der  Universität  Cambridge,  England,  von  Sir  Frederick  Pollock, 
London,  und  von  Professor  Brunner  von  der  Universität  Berlin; 
ferner  die  Schriften  über  die  Geschichte  des  älteren  deutschen 
Rechts  von  Professor  Brunner  und  Professor  Gierke.  Den  Herren 
Professor  Gierke  und  Professor  Brunner  bin  ich  des  weiteren 
für  die  bei  Durchsicht  des  Manuskriptes  gehabte  Mühe  und  für 
ihre  freundlichen  Anregungen  und  Ratschläge,  vor  allem  Herrn 


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XI 


Professor  Gierke  für  seine  stete  Bereitwilligkeit,  mir  mit  Bat 
und  Tat  zur  Seite  zu  stehen  und  die  Arbeit  in  den  von  ihm 
herausgegebenen  Untersuchungen  zur  Deutschen  Staats-  und  Rechts- 
geschichte  aufzunehmen,  zu  außerordentlichem  Danke  verpflichtet. 
Es  gereicht  mir  zur  besonderen  Freude,  daß  mir  Herr  Professor 
Gierke  auf  meinen  besonderen  Wunsch  freundliehst  gestattet  hat, 
ihm  diesen  Versuch  zur  Erforschung  einer  wichtigen  Phase  der 
germanischen  Rechtsentwicklung  zuzueignen. 

Emmanuel  College,  Cambridge,  England, 
im  Oktober  1907 


Der  Verfasser 


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Inhalts-Ubersicht 


Einleitung 


Erster  Teil 

Die  Re  ch  ta*  und  3k  onoml  »ehe  Ent  Wickelung  En  gl  and» 

Die  angelsächsischen  Königreiche  4.  Augustin  und  der 
Einfluß  des  Christentums  4.  Die  Oberherrschaft  Ecgberhts 
und  der  Westsachsen  5.  Einfä^e  der  Dänen  und  Norweger  5 
König  Alfred  5.  König  Eadrcd  5.  Einfluß  der  Dünen  und 
die  Herrschaft  Cnnts  5.  Einwirkungen  des  langen  Kampfes 
mit  den  nordischen  Völkern  auf  die  sozialen  und  politischen 
Verh&ltnissc  6.  Normannischer  Einfluß  unter  Eduard  dem 
Bekenner  6.  Wilhelm  der  Eroberer  und  die  Herrschaft  der 
Normannen  G.  Die  Regierung  Heinrichs  II.  7.  Die  Regierung 
Heinrichs  DT.  7.  Entwickelung  des  Staatswesens  7.  Be- 
ziehungen Englands  zu1-  übrigen  Christonwelt  8.  Die  Guts- 
herrschaften (manors)  und  Städte  als  Mittelpunkte  für  Handel 
und  Industrie  8 — 9.  Verfall  des  Systems  der  Gutsherrlichkeit 
und  Verschwinden  der  Leibeigenschaft  9.  Festigung  des  ge- 
samten nationalen  Lebens  und  des  St&dtewesens  9.  Ent- 
wickelung der  Städte  unter  dem  Schutze  und  der  Direktion 
der  Zentralgewalt  9.  Verfall  der  Städte  zur  Zeit  der  Tudors  10. 
Verantwortlichkeit  der  Landesregierung  für  das  Wohl  und 
.Wehe  von  Handel  und  Industrie  10.  Einfluß  des  Königtums 
auf  die  Entwickelung  des  nationalwirtschaftlichen  Lebens  10. 
Entwickelung  einer  Handelspolitik  und  Zuzug  von  Ausländern 
nach  England  10 — 11.  Einfluß  der  Zentralgewalt  auf  Handel 
und  Industrie  seit  der  Zeit  Eduards  I.  12.  Die  Politik 
Eduards  III.  13.  Reaktion  unter  seinem  Nachfolger  14.  Das 
„Mcrcantilc  System“  14.  Die  allmähliche  Entwickelung  von 


Seite 

1—66 

4-15 


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XIV 


der  Naturalwirtschaft  zur  Geld-  und  Kreditwirtschafl  14. 
Gemeines  Recht  und  Billigkeitsrecht  14.  Die  Geschichte  des 
Pfandrechts  als  eine  der  Phasen  dieser  allgemeinen  wirt- 
schaftlichen und  Rechts-Entwickelung  seit  der  Zeit  der  Angel- 
sachsen bis  auf  den  heutigen  Tag  15. 


Zweiter  Teil 


S«lt* 

Das  englische  Privatrecht 15—54 

Erstes  Kapitel 

Bestandteile  de»  englischen  Priratrechts 15— 2G 


I.:  Germanisches  Recht  15 — 17.  Das  rein  angel- 
sächsische Element  15 — 16.  Das  skandinavische  Element  16. 
Das  fränkische  Element  16. 

1L:  Römisches  und  Kanonisches  Recht  17 — 26. 
Indirekter  Einfluß  des  römischen  Rechtssystems  auf  das  ger- 
manische Recht  in  England  durch  die  römische  Kirche  19. 
Einführung  von  Bestandteilen  des  römischen  Rechts  durch  die 
Beziehungen  der  englischen  Könige  zum  fränkischen  Hofe  und 
die  normannische  Eroberung  19 — 20.  Wissenschaftlicher  Ein- 
fluß der  beiden  Rechte:  I.anfranc,  Vacarius,  Longchamp. 
Anglicus,  William  of  Drogheda  20—21.  Eine  blühende  Schule 
für  beide  Rechte  zu  Oxford  20 — 21.  Einfluß  des  römischen 
Rechtssystems  auf  die  Literatur  des  gemeinen  Recht«:  Glanvill, 
Bracton,  Fleta,  Britton  20—21.  Alberico  Gentili  23.  EinflnQ 
des  römischen  Rechts  auf  die  Gerichte:  gemeinrechtliche  Ge- 
richte, geistliche  Gerichte,  Gericht  des  Lord  High  Admiral, 
Gericht  des  Constable  und  Marsbai,  Gerichte  der  zwei 
Universitäten  Oxford  und  Cambridge,  Court  of  Chancery  24 — 25. 
Befruchtung  des  englischen  Systems  durch  römische  Prinzipien, 
aber  keine  „Rezeption"  der  fremden  Rechte  22—25. 


Zweites  Kapitel 

Das  objektive  Recht 26—32 

I.:  (a)  Statute  law  (Gesetzesrecht)  26.  (b)  Common 
law,  gemeines  Recht  im  Sinne  des  Gewohnheitsrechts  26 — 27. 

(c)  Conventionary  law  (lex  contractu»)  27— 28.  II.:  „Com- 
mon law,“  gemeines  Recht  zum  Unterschiede  von  „Equity“ 
(Billigkeitsrecht)  28 — 32. 


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XV 

Dritte»  Kapitel 


Rechtsschutz 

L:  Selbsthilfe  32.  Pfändung  32.  > 

II.:  Das  Klagensystem  33 — 37.  Mandate  (writs 

brevia)  aus  der  Kanzlei  des  Königs;  brevia  originalia'und 
brevia  iudicialia  33.  Individualisierung  der  Klage  durch 
brevia  originalia  34.  Brevia  in  consimili  casu  34.  Bill  in 
equity  34.  Information  bei  Kronsachen  34.  Dingliche  Klagen 
(real  actions),  persönliche  Klagen  (personal  actions),  gemischte 
Klagen  (mixed  actions)  34—35.  Die  Grundlage  dieser’Ein- 
teilung  der  Klagen:  der  nach  germanischer  Anschauung  vor- 
handene Gegensatz  zwischen  Immobiliargut  und  Fahrbabe  34. 
Unterschied  zwischen  real  actions  und  personal  actions  34.  Reform 
des  Klagensystems  im  neunzehnten  Jahrhundert  35.  Ab- 
schaffung der  alten  real  und  mixed  actions  35.  Klagen  in 
factum  conceptac  36.  Der  ProieQ  36.  Die  Zwangsvoll- 
streckung 37. 


Vierte»  Kapitel 

Obligationenrecht 

Der  Realvertrag  und  der  Formal-  oder  Wettvertrag  der 
angelsächsischen  Zeit  87.  Die  drei  Vertragsformen  oder 
-Arten  des  klassischen  gemeinen  Rechts : der  sogenannte 
„contract  of  record“,  der  „contract  under  seal“  und  der 
, simple  contract“  38. 


Fünfte»  Kapitel 

Sachenrecht  

Besitz  und  Eigentum  in  der  angelsächsischen  Zeit  39. 
Die  drei  Formen  von  Landbesitz  in  der  angelsächsischen 
Periode : bdc-land,  folk-land,  lasn-land  40.  Scheidung  zwischen 
Immobiliar-  und  Fahrnisrecht:  real  property,  personal  pro- 
perty  40 — 41.  Corporeal  hereditaments  und  incorporeal  here- 
ditaments  40 — 41. 

I.:  Immobiliarrecht  42 — 50.  Tenure  42 — 43.  Die 
estates:  freehold  estates  und  estates  less  tban  freehold; 
estates  upon  condition:  incorporeal  hereditaments;  estates  in 
possession  und  estates  in  expectancy ; Einzelrechte  (severalty) 


Saite 

82—37 


37-38 


37-38 


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XVI 


und  Rechte  mehrerer  (wieder  gespalten  in  joint  tenancy, 
coparcenary  und  tenancy  in  common) ; legal  cstates  nnd  equitable 
estates  43—48.  Die  Erwerbsarten  der  dinglichen  Rechte 
48 — 49.  Die  Immobiliarklagen  49 — 50. 

II.:  Mobiliarrecht  50.  Besitz  nnd  Eigentum  50. 
„Hand  wahre  Hand“  50.  Übertragung  des  Fahrniseigentums  50. 
Die  Mobiliarklagon  50. 


Sechstel  Kapitel 

Quellen  nnd  Literatur 

Quellen  der  angelsächsischen  Zeit  51.  Quellen  der  Zeit 
nach  der  normannischen  Eroberung  bis  zur  Zeit  Heinrichs  II. 
(1066—1154)  51.  Quellen  und  Literatur  der  Zeit  von 
Heinrich  II.  bis  gegen  Anfang  des  Tierzehnten  Jahrhunderts 
51 — 52.  Quellen  und  Literatur  der  Zeit  Ton  dem  14.  Jahr- 
hundert bis  auf  Blackstone  (geb.  1723,  gest.  1780)  53 — 54. 


Dritter  Teil 

Terminologie  der  Quellen  des  englischen  Pfand* 
recht»  

I.:  Angelsächsische  Periode  54—62.  Formal-  oder 
Wettvertrag  54.  Mobiliarpfand  54—60.  Immobiliarpfand 
61-62. 


II.:  Zeitabschnitt  von  der  normannischen  Er- 
oberung bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  62 — 65. 
Formal-  oder  Wettvertrag  62.  Mobiliarpfand  62 — 63.  Im- 
mobiliarpfand 63—65. 


Salta 

51-54 


54—65 


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Erstes  Buch 

Die  angelsächsische  Periode 

Erster  Teil 

Der  Formal-  oder  Wettvertrag 

Erstes  Kapitel 

Überblick  der  Entwickelung 

Die  germanische  Entwickelung  69 — 70.  Entwickelung 
des  Formal-  oder  Wettvertrags  aus  Sachhaftung  und  Personen- 
haftung  69  — 71.  Das  wed  (vadium)  als  Scheinpfand  70 — 71. 
Der  Bürge  70 — 71.  Auslösung  des  Scheinpfandes  71.  Haftung 
des  Wettgebers  und  des  Bürgen  71.  Emanzipierung  des 
Wettvertrages  von  der  Bürgschaft  71.  Der  Wettvertrag  iin 
Iiechtsgang,  bei  der  Beilegung  der  Fehde  und  bei  der  Ver- 
lobung: als  allgemeine  Vertragsform  71.  Hingabe  der  Wette: 
Handschlag:  Gott-Verbürgung:  Eid;  Treuversprechen:  Wort 
und  Wette  71 — 75.  Einseitige  und  zweiseitige  Verträge  71. 
Der  Wettvertrag  als  allgemeine  Vertragsform  74.  Die  Idee 
der  Selbstbürgschaft  des  Schuldners  74.  Umwandlung  des 
alten  Wettvertrages  75.  Das  eidliche  Versprechen  und  das 
„plcdge  of  faith“  des  späteren  Rechts  75 — 76.  Überblick  der 
angelsächsischen  Quellen  71 — 76. 


/weites  Kapitel 

Der  Formal-  oder  Wettvertrag  in  seinen  einzelnen  Aus- 
gestaltungen   • . 

I.:  Im  Iiechtsgang  76 — 81.  Verhandlungsversprechen 
76 — 78.  Beweisversprechen  78—  80.  Befriedigungsversprechen 
(Urteilscrfüllungsgelübnis)  77,  78,  80—81. 

llazeltine,  Kngllselies  Pfandrecht  II 


Salt« 

67—146 

69—113 

69—76 


76—109 


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XVTTI 


II. :  Bei  der  Beilegung  der  Fehde  81—87.  Formal. 

Vorverträge  85.  87.  Der  gewettete  und  verbürgte  Vertrag  be- 
treffs des  Wergeides  81 — 87.  Gelöbnis,  dal!  der  Schirm 

(Friede)  des  Königs  bestehen  soll  83,  86,  87. 

III. :  Bei  der  Verlobung  87 — 93.  Die  angelsächsische 
Verlobung  als  ein  Wettvertrag  durch  wed  und  borh  zwischen 
dem  Bräutigam  und  der  Sippschaft  oder  den  Fürsprechern 
der  Braut,  d.  h.  ein  Heiratsvertrag  87—91.  Die  Ansichten 
der  Rechtsgelehrten  über  die  rechtliche  Natur  der  alten  ger- 
manischen Ehe  91 — 93.  Die  Raubehe  bei  den  Angelsachsen 
91.  Die  Ehe  durch  Mundkauf  bei  den  Angelsachsen  91.  Die 
Verlobung  (beweddung)  und  die  Trauung  (gifta)  als  die  beiden 
wesentlichen  Akte  der  Eheschließung  nach  angelsächsischem 
Recht  93. 

IV. :  Als  allgemeine  Vertragsform  93 — 97.  All- 
gemeine Formen  des  Formal-  oder  Wettvertrages  93 — 95. 
Obligatorische  Natur  dieser  Formen  95.  Gegenstand  dieser 
Verträge  95—96.  Verträge,  die  gegen  die  guten  Sitten'ver- 
stoßen  96.  Folgen  der  Nichterfüllung  des  Pormal-Joder  Wctt- 
vertrages  96 — 97. 

V. :  Im  Kirchenrecht  97.  Das  Gelöbnis  des  Mönchs  97. 

VI. :  Im  öffentlichen  Recht  98—109.  Der  Wett- 
vertrag (Gedinge,  Gelöbnis)  im  öffentlichen  Recht  98,  106 — 107. 
Zweiseitige  vertragsmäßige  Verbindlichkeiten  107.  Einseitige 
vertragsmäßige  Verbindlichkeiten  107 — 108.  Folgen  der  Nicht- 
erfüllung dieser  Verträge  108. 


Drittes  Kapitel 
Schuld  und  Haftung 


Saite 

109—113 


Begründung  eineB  Schul  d Verhältnisses  durch  den  angel- 
sächsischen Wettvertrag  109.  Die  weitere  Frage  hinsichtlich 
der  Natur  dor  Haftung,  welche  aus  dem  Formal-  oder  Wett- 
vertrag erwächst  109.  Ansichten  der  Rcchtsgelehrten  be- 
züglich des  alten  germanischen  Rechts  des  Kontinentes 
109—112.  Ob  der  Wettvertrag  in  angelsächsischer  Zeit 
Person albaftung  oder  Vermögenshaftung  oder  beides  be- 
gründete 112.  Der  Wettvertrag  als  Grundlage  für  die  eigen- 
mächtige Pfändung  112 — 113.  Die  Ansicht,  daß  die  Hingabe 
eines  Scheinpfandes  beim  Abschluß  eines  Wettvertrages  die 
Haltbarmachung  der  Fahrhabe  des  Schuldners  bedeutete  113. 


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XIX 

Zweiter  Teil 

Dai  Mobillarpfandrecht  

Ente»  Kapitel 

Das  genommene  Pfand 

Pfändung  bei  den  germanischen  Völkern  114—116.  Pfändung 
bei  den  Angelsachsen  114 — 116.  Das  Priratpfändungsrecht 
als  eigenmächtige  Selbsthilfe  114 — 116.  Gerichtliche  Erlaub- 
nis Mir  Pfändung  114 — 116. 

I. :  Pfändung  von  Vieh  wegen  Schadenzufügung 
an  Grundstücken  116 — 118. 

II. :  Pfändung  von  beweglicher  Habe  überhaupt, 
um  die  E rfnl  1 un  g ei  ner  Verb  in  dlichkeit  zu  erzwingen 
118 — 125.  $ 1:  Pfändung  als  Selbsthilfe  wegen  oiner  Schuld- 
forderung 118—121.  Das  angelsächsische  Priratpfändungsrecht 
bei  Zivilansprüchcn  als  begrenzte  Selbsthilfe  118 — 121.  Die 
gerichtliche  Erlaubnis  zur  Pfandnahme  118—121.  § 2:  Ge- 
richtliche Pfändung  122—125.  Pfändung  im  Ungehorsanis- 
prozeß  122 — 123.  Pfändung  im  Strafprozeß  123 — 125. 


Zweites  Kapitel 

Das  gegebene  Pfand 

I. :  Das  freiwillig  für  eine  Schuldforderung  ge- 
gebene Pfand  125 — 126. 

II. :  Das  gegebene  Pfand  im  Zivilprozeß  und  im 
Strafprozeß  126—133. 


Drittes  Kapitel 

Übersicht  des  Ergebnisses  ...  - 

L:  Das  genommene  Pfand  134 — 137.  Arten  der 
Pfändung  134.  Pfändung  ohne  gerichtliche  Erlaubnis  134. 
Pfändung  mit  gerichtlicher  Erlaubnis  134.  Wann  der  Gläubiger 
eigenmächtig  pfänden  darf  134.  Die  Personen,  die  der  eigen- 
mächtigen Pfändung  unterworfen  werden  134.  Eine  Ausnahme 
zur  letzten  Kechtsregel  134.  Diu  Personen,  die  zur  gericht- 
lichen Pfandnahme  berechtigt  sind  134 — 135.  Die  Personen, 
die  der  gerichtlichen  Pfändung  unterworfen  werden  können  135. 

II* 


Seite 

114—139 

114-152 


125—133 

133-139 


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XX 


Gegenstand  der  Pfändung  135.  Geldbuße.  Bürgschaft,  Haft 
oder  Tötung  135—136.  Ort  der  Pfändung  136.  Besitz  der 
gepfändeten  Gegenstände  136.  Zurücknahme  des  Pfandes 
136 — 137.  Das  Recht  der  Realisierung  des  genommenen 
Pfandes  137.  Die  Pfändung  als  Zwangs-  und  Sicherungs- 
mittel 137.  Das  Retentionsrecht  137.  Das  Verkaufsrecht  137. 

II.:  Das  gegebene  Pfand  138 — 139.  Das  freiwillig 
gegebene  Pfand  als  Sicherstellung  einer  Schuldforderung  138. 
Das  gegebene  Pfand  im  Prozeß  als  ein  nicht  ganz  freiwilliges 
Pfand  138.  Bürgschaft,  Buße,  Haft  138.  Die  Personen,  die 
berechtigt  und  verpflichtet  werden  138.  Die  Einlösung  des 
Pfandes  138.  Die  Realisierung  des  gegebenen  Pfandes  139. 
Der  Verfall  des  Pfandes  139. 


Dritter  Teil 

Das  lmmoblllarpfandrecht 

Erstes  Kapitel 

Notzpfand 

I. :  Todsatzung  140.  Dio  Theorie  der  Todsatzung  140. 

II. :  Zinssatzung  141.  Die  Theorie  der  Zinssatzung  141. 

Zweites  Kapitel 

Proprietätspfand 

Die  bedingte  Übereignung  des  Buchlandes  zu  l’famlzweckcn 
141  — 144.  Verkauf  auf  Wiederverkauf  142.  Die  Hyperocha 
143-144. 


Drittes  Kapitel 

Übersieht  des  Ergebnisses 

Nutzpfand  und  Proprietätspfand  144.  Pfand  mit  Besitz 
des  Gläubigers  144.  Keine  Hypothek  144.  Dio  zwei  Arten 
des  Nutzpfandes:  Todsatzung  und  Zinssatzung  144.  Das 
Proprietätspfand  als  eine  resolutiv  bedingte  Eigentunis- 
übertragung zur  Sicherstellung  einer  Forderung  144.  Das 
Einlösungsrecht  144 — 145.  Das  Pfandrecht  des  Gläubigers 
145.  Kein  persönliches  Recht  gegen  den  Schuldner  145. 
Das  Proprietätspfand  als  Verfallspfand  145.  Die  Idee  der 
Hyperocha  145. 


Seite 

139- 145 

140- 141 

141- 144 
144—145 


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Zweites  Buch 

Seite 

Die  Zeit  von  der  normannischen  Eroberung 


bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  . . . 147-305 
Erster  Teil 

Der  Formal-  oder  Wettrertrag 149—  lfi4 


Die  zwei  Arten  von  Verträgen,  die  zur  Jurisdiktion  der 
geistlichen  Gerichte  gehören  149.  Die  drei  Vertrags  formen, 
die  vor  das  weltliche  Goricht,  das  Gericht  des  gemeinen 
Rechts  gehören  149. 

Ergteg  Kapitel 

Der  alte  Formal-  oder  Wettvertrag 150 — 156 

Der  Ursprung  der  tidei  interpositio  (fiiles  facta)  oder 
pledge  of  faith  als  ein  Fonnaivertrag  in  der  Zeit  der  Angel- 
sachsen 1150.  Die  Entwickelung  der  tidei  interpositio  durch 
die  Kirche  in  der  Zeit,  die  der  normannischen  Eroberung 
folgt  150.  Die  tidei  interpositio  oder  pledge  of  faith  im 
öffentlichen  Recht  150 — 152.  Die  lidei  interpositio  oder  pledge 
of  faith  im  Privatrecht  152—153.  Die  Gerichte  des  gemeinen 
Rechts  und  eine  tidei  laesio  153.  Die  Jurisdiktion  der  geist- 
lichen Gerichte  über  Kontrakte  153.  Die  Verletzung  der 
durch  Eid  resp.  lidei  interpositio  übernommenen  Verpflichtung 
153.  Das  Verbot  (prohibition)  der  weltlichen  Gerichte  153 — 154. 

Der  große  Stroit  zwischen  der  Gerichtsbarkeit  der  Kirche  und 
derjenigen  des  Staates  154.  Der  Formalvertrag  nach  Kirchen- 
recht: 1.  Eid  und  2.  tidei  interpositio,  die  Verpfändung  seines 
christlichen  Glaubens  seitens  des  Versprechenden  155.  Einzel- 
heiten bezüglich  der  lidei  interpositio  oder  pledge  of  faith 
155—156. 


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xxn 


Zweites  Kapitel 


Der  eene  Foraalrertrag 


Seite 

157—164 


Die  fidei  intcrpositio  und  der  Formalvertrag  des  gemeinen 
englischen  Rechtes  157.  Das  klassische  englische  Vertrags- 
recht 157. 


L:  Der  nicht  formelle  Vertrag  (simple  contract) 
157 — 161.  Das  klassische  englische  Vertragsrecht  und  die 
Klagen,  genannt:  Dcbt,  Covenant,  Account  und  Assumpsit 
157 — 160.  Die  Schuldklage  (Debt)  157 — 161.  Das  Draufgeld 
(eamest)  159.  Die  causae  debendi  161.  Das  rein  unent- 
geltliche Versprechen  161.  Die  Doktrin  des  quid  pro  quo 
(„consideration“)  161. 

II.:  Der  Formalvertrag  (contract  under  seal)  162 — 164. 
Die  Anfänge  des  Formalvertrages  des  englischen  gemeinen 
Rechts,  des  niedergeschriebenen  und  gesiegelten  Vortrages  162. 
Die  Klage  Writ  of  Covenant  162 — 163.  Die  Versiegelung  nnd 
Übergabe  des  Pergamentes  als  die  vertragsbindende  Handlung 
163.  Ursprung  dieses  Formalvertrags  der  englischen  welt- 
lichen Gerichte  163.  Die  ganz  allmähliche  Entwickelung  und 
Umbildung  des  englischen  Formalvertrages  163—164.  Über- 
gang von  der  Naturwirtschaft  der  Angelsachsen  zur  Geld-  nnd 
Kreditwirtschaft  einer  späteren  Zeit  164. 


Zweiter  Teil 


Das  Moblllarpfandrecht 164—201 

Erstes  Kapitel 

Das  genommene  Pfand 165 — 191 


I.:  Retentionsrecht.  § 1:  Pfändung  von  Vieh 
wegen  Schaden  zu fügung  an  Grundstücken  (distress 
for  damage  feasant)  165 — 167.  Die  Pfändung  als  eigen- 
mächtige Selbsthilfe  165.  Pfand  und  Bürgschaft  (gagc  and 
pledge)  165 — 166.  Vetitium  namii  (vee  de  nam)  166.  Die 
custodia  legis  166.  Das  Retentionsrecht  des  Grundeigentümers 
an  den  gepfändeten  Sachen  166.  Der  Zwang  auf  den  Eigen- 
tümer des  Viehes  167.  Das  heutige  Recht  167.  §2:  Pfändung 
wegen  nicht  geleisteter  feudaler  Dienste  und  rück- 
ständiger Rente  (distress  for  Services  or  rent  in 
arrear)  167 — 190.  Die  Natur  dieser  Dienste  und  Kenten 
167—169.  Das  Recht  des  Lehnsherrn,  das  Mobiliar  seines 


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xxm 


Lehnsmannes  zu  pfänden  als  das  wichtigste  Beispiel  der 
eigenmächtigen  Pfändung  im  englischen  Kccht  des  Mittel- 
alters 169.  Die  gerichtliche  Erlaubnis  zur  Pfandnahme  169 
bis  170.  Die  außergerichtliche  Pfändung  171.  Die  Ansichten 
von  Bcchtsgelehrten  hinsichtlich  des  historischen  Ursprungs 
von  Mobiliarpfändung  für  Dienste  und  Renten  im  Rückstände 
171  — 174.  Die  Ansicht,  daß  Pfändung  für  rückständige  Dienste 
oder  Renten,  wie  denn  überhaupt  alle  Pfändungen,  ihren 
Ursprung  in  dem  alten  Wettvertrag  hat  173.  Die  Pfändung 
als  Zwangsmittel  174,  185.  Das  Recht  zu  pfänden  und  das 
Eigentumsrecht  (proprietär)-  right);  das  Recht  zu  pfänden 
und  der  Besitz  der  Dienste  und  der  Renten  (seisin  of  the 
Services  or  rent)  174.  Das  Recht,  von  einem  Lehnsmann 
Dienste  zu  verlangen  oder  ihn  zu  zwingen,  seine  Rente  zu 
bezahlen,  als  eine  Sache  und  zwar  als  eine  solche,  welche  der 
Grundherr  besitzen  kann  (be  seised  of)  174.  Der  Lehnsmann 
und  die  widerrechtliche  Entziehung  dieses  Besitzes  dem  Grund- 
herrn (disseisin)  174.  Seisin  und  dissoisin  174  ff.  Der  Akt  der 
Pfändung  175.  Wann,  wo,  wie  und  was  darf  der  Grundherr 
pfänden  ? 175  ff.  Eine  angemessene  Pfändung  (reasonablc 
distress)  179.  Eine  zweifache  Pfändung  (double  distress,  rc- 
caption)  179.  Die  Zurücknahme  (rescous)  des  Pfandes  180  ff. 
Das  Retentionsrecht  des  Grundeigentümers  an  dem  gepfändeten 
Mobiliar  und  die  custodia  legis  175,  184 — 185.  Die  Ver- 
weigerung, die  Mobilien  nach  der  Bereiterklärung,  Pfand  und 
Bürgschaft  (gage  and  pledge)  zu  stellen,  zurückzugeben,  als 
ein  sehr  schweres  Vergeben  (vetitum  namii,  vee  de  naam)  186. 
Die  Klage  auf  Znrückgabe  der  Gegenstände  gegen  Pfand  und 
Bürgschaft  (placitum  de  vetito  namii,  plec  de  vee,  Replevin) 
186  ff.  Die  Gegenpfändung  (withernam)  189 — 190. 

El:  Verkaufspfand  199.  Das  Vorkaufsrecht  als  eine 
Ausnahme  zu  Gunsten  der  Krone  191. 


Seite 

191—201 

I:  Einleitung  191—193.  Das  Mobiliarrecht  des  Mittel- 
alters 191  ff.  Die  „bailments“  (Fr.  baillcr)  des  englischen  mittel- 
alterlichen Rechts  191.  Die  mittelalterliche  Verpfändung  von 
Mobilien  (pledge,  pawn)  als  eine  Form  von  „bailment“  191  ff. 

Die  Mobiliarverpfändung  des  Mittelalters  als  eine  solche  mit 
Besitz  des  Gläubigers  193.  Keine  Hypothek  193. 


/.weites  Kapitel 
Da»  gegebene  Pfand 


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XXIV 


II:  Vcrfallspfand  193—201.  Der  Akt  der  Verpfändung 
193.  Die  Verpflichtungen  des  Pfandgläubigers  194 — 196.  Das 
Prinzip  .Hand  wahre  Hand'  im  englischen  Mittelalter  196.  ' 
Der  Unterschied  bezüglich  der  Besitzfrage  zwischen  Mobiliar- 
verpfändung  und  Immobiliarrerpfändung  zu  Glanvills  Zeiten 
196.  Realisierung  des  Pfandrecht«  durch  den  Verfall  des  ver- 
pfändeten Gegenstandes  197  — 199.  Die  Verfallsklausel  197 
bis  198.  Ein  auf  Billigkeitsprinzipicn  beruhendes  Verfahren 
198 — 199.  Verwandlung  des  mittelalterlichen  Verfallspfandes 
in  ein  Verkaufspfand  im  modernen  Recht  199.  Verfallspfand 
und  Verkaufspfand  als  Arten  des  Substanzpfandes  199.  Die 
moderne  Mobiliarhypothek  mit  Verkaufsrecht  199 — 201. 


Dritter  Teil 

Seit« 

Das  I m moblliarpfaDd  recht 201—305 

Erster  Abschnitt 

Pfand  mit  Besitz  des  Gläubigers 201—261 

Erstes  Kapitel 

Das  Nutzpfand 202—213 


I:  Verpachtung  oder  Nutzungsrecht  auf  Jahre 
(sog.  „benoflcial  lease“)  203 — 204.  Zwecke  dieser  Verpachtungs- 
form 203.  Unterschied  zwischen  dieser  Verpachtungsform  und 
der  Verpfändung  auf  Jahre  203 — 204.  Wucher  203  —204. 

II:  Totsatzung  (vivum  vadium)  und  Zinssatzung 
(mortuum  vadium)204— 213.  Die  Hauptunterschiede  zwischen 
diesen  beiden  Formen  des  Nutzpfandes  204  ff.  Die  seisina  des 
verpfändeten  Landes  205.  Wucher  205 — 206.  Erklärung  der 
Worte  mortuum  und  vivum  in  ihrer  Anwendung  auf  das  Pfand 
206  ff.  Die  Erhaltung  der  leitenden  Grundsätze  des  reinen 
Nutzungspfandes  bis  auf  den  heutigen  Tag  208  ff.  Die  Formen 
des  späteren  Nutzpfandes  208  ff.  Ausschließung  des  Verfalles 
bei  gewissen  Formen  211 — 212.  Persönliche  Haftung  des 
Schuldners  212.  Diu  Verpflichtung  des  Gläubigers  zur  Rech- 
nungsablegung 212—213. 


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XXV 


Zweites  Kapitel 
Das  ProprietXtspfand 


Solto 

218—261 


I:  Übereignung  un ter  S u spensivbedingung.  §1: 
Sog.  „Glanvillian  Gage“  214 — 232.  Das  Durcheinander- 
bringen von  Mobilien  und  Immobilien  in  Glanvills  Darstellung 
des  Pfandrechts  214—215.  Die  Anwendung  der  von  Glanvill 
niedergelegten  Rechtsregeln  215—216.  Die  Formen  der  Glan- 
villschen  Immobiliarverpf&ndung  216  ff.  Pfand  mit  Besitz  des 
Gl&nbigera  217  ff.  Vivum  vadium  und  mortuum  vadium  218  ff. 
Die  Rechte  und  Pflichten  des  Pfandgliubigcrs  219  ff.  Die 
seisina  ut  de  vadio  des  Pfandglliubigers  219  ff.  Die  Rechte 
und  Pflichten  des  Pfandschuldners  222  ff.  Die  Auflösung  des 
Pfandverhältnisses  223  ff.  Die  Rechte  und  Pflichten  der  Par- 
teien bei  der  Auflösung  des  Pfandverhältnisses  223  ff.  Der 
Verfall  des  verpfändeten  Landes  224  ff.  Der  Vertrag  mit  oder 
ohne  Verfallsklausel  225  ff.  Ein  auf  Billigkeitsprinzipien  be- 
ruhendes Verfahren  225  — 228.  Feodum  vel  vadium  229 
Mehrere  verschiedenartige  Formen  der  Immobiliarverpfindung 
und  Kombinationen  dieser  Formen  231  ff.  Das  reine  Nutzpfand 
231.  Das  Substanzpfand  231.  Hinzufügung  des  Substanz- 
pfandes zum  Nutzpfande  231.  Das  Anflergebrauchkommen  de 
Glanvillschen  Pfandes  232.  § 2:  Sog.  „Bractonian  Gag 
for  Years“  233—  238.  Die  Verpachtung  auf  Jahre  mit  Ver 
fallsklausel  233  ff.  Nutzpfand  plus  Substanzpfand  233.  Der 
Besitzschutz  233  ff.  Die  Recht«  der  Erben  der  Parteien  235  ff 
Unterschiede  zwischen  der  Verpachtung  auf  Jahre  als  Sicherheits- 
leistung nnd  dem  Glanvillschen  Pfände  237—238. 


II:  Übereignung  unter  Resolutivbedingung  239 
bis  261.  Die  Übereignung  unter  Resolutivbedingung  (condi- 
tional  feoffment)  als  das  klassische  englische  „inortgage“  239  ff. 
Der  Verfall  des  verpfändeten  Landes  239  ff.  Die  Besitzfragc 
243  ff.,  258  ff.  Das  englische  mittelalterliche  mortgage  durch 
bedingte  Belehnung  als  ein  kombiniertes  Geschäft  246.  Nutz- 
pfand plus  Substanzpfand  (Proprietätspfand,  Vorfallspfand)  246. 
Die  persönliche  Klage  gegen  den  Schuldner  246,  247,  259.  Das 
mortgage  eines  auf  eine  gewisse  Reihe  von  Jahren  gepachteten 
Grundstücks  (mortgage  for  a term  of  years)  247 — 248.  Dio 
Hirte  der  gemeinrechtlichen  Regel  des  absoluten  Verfalls  am 
Stichtage  248  ff.  Die  vollstindige  Umwandlung  des  klassischen 
englischen  mortgage  durch  dio  Equity-Geriehte,  besonders  seit 
der  Zeit  Karls  I.  248  ff.  „Equity  of  redemption“  und  „decree 
of  foreclosnre“  249  ff.  Das  spätere  mortgage  als  ein  Substanz- 
pfand (Proprietitspfand,  Verfallspfand)  254  ff.  Verwandlung 


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XXVI 


des  mortgagc  von  einem  Verfallspfand  in  ein  Verkaufspfand 
254  ff.  Der  Unterschied  zwischen  dem  bedingten  Verkauf 
(defeasiblc  oder  conditional  sale)  und  der  Übereignung  im 
Vertrauenswege  (trust)  260.  Das  klassische  englische  mortgage  I 

als  eine  besondere  Anwendungsform  der  gemeinrechtlichen 
Doktrin  der  bedingten  Besitzstände  (estates  upon  condition) 

261.  Das  englische  mortgage  und  die  römische  fiducia  2G1. 


Zweiter  Abschnitt 

Pfand  mit  Besitz  des  Schuldners 


Seite 

261—305 


Erstes  Kapitel 

Belastungen 262—276 

1:  Lehnsdienste  und  Renten  262 — 268.  Die  Belastung 
des  Landes  durch  Lehnsdienstc  und  Renten  262.  Ein  ding- 
liches Recht  262.  Das  Recht  der  Pfändung  262  ff.  Pfändung 
des  Mobiliars  und  des  Immobiliars  262  ff.  Verfall  des  Lohns 
bei  Nichtleistung  der  Lehnsdienste  seitens  des  Lehnsmannes 
263.  Das  Retentionsrecht  264.  Die  Klage  cessavit  per  biennium 
und  der  Verfall  des  Landes  264.  Pfändung  durch  ein  Ver- 
fahren, bekannt  unter  der  Bezeichnung  garelet  und  der  Verfall 
des  gepfändeten  Landes  265 — 267.  Das  bloße  Retentionsrecht, 
das  Nutzungsrecht,  und  der  Verfall  267.  Das  Außorgobrauch- 
kommen  der  alten  Formen  der  Jmmobiliarpfändung267.  Spätere 
Nachahmung  gewisser  Formen  der  Pfändung  von  Land  für 
rückständige  Dienste  und  Rente  267—268. 

II:  Gewährleistung  (Warranty)  268 — 274.  Natur 
und  Bedeutung  der  Gewährleistung  bei  der  Übertragung  von 
Land  268  ff.  Gewährleistung  als  eine  dingliche  Belastung  des 
Immobiliars  des  Gewährleistenden  268  ff.  Das  writ  of  cove- 
vant,  das  writ  of  warrantia  cartae,  das  „vouching  to  warranty“ 

270,  271,  273.  Belastung  des  linmobiliars  durch  ausdrückliche 
Gewährleistung  (express  warranty)  und  durch  stillschweigende 
Gewährleistung  (tacit  warranty)  272 — 273.  Warranty  im  mo- 
dernen Recht  273 — 274. 

III:  Das  W ittum  (dos)  der  Frau  274 — 276.  Belastung 
des  Immobiliars  des  Bräutigams  durch  eine  dos  ad  ostium 
ecclesiae  274  ff.  Dos  nominata  und  dos  rationabilis  275 — 276. 


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xxvn 


Zweites  Kapitel 


Die  Hypothek 

Hypothek  und  Kreditwesen  277.  Hypothek  und  Zwangs- 
vollstreckungsvcrfahren  277. 

1:  Die  Hypothek  zur  Sicherstellung  von  For- 
derungen jüdischer  Gläubiger  (sog.  „Jewish  Gage") 
277 — 284.  Eintragung  der  jüdischen  Darlehen  und  der  zu 
ihrer  Sicherheit  gegebenen  Pfänder  278  ff.  Die  jüdische 
Hypothek  und  der  feudale  Grundbesitz  280.  Die  Protokollierung 
und  die  Öffentlichkeit  280  ff.  Hypothek  an  gewissen  Grund- 
stücken 281.  Erstreckung  der  Verpfandung  den  Worten  der 
Yerpfändungsurkunde  nach  auf  das  gesamte  bewegliche  und 
unbewegliche  Vermögen  des  Schuldners  281.  Die  Hypothek 
am  Immobiliar  281 — 282.  Die  Haftung  der  Mobilien,  die  sich 
in  den  Händen  des  Schuldners  befinden;  keine  Hypothek  am 
Mobiliar  281—882.  Die  Schuldklage  282.  Die  Zwangsvoll- 
streckung 282  ff.  Die  seisina  ut  de  vadio  des  Gläubigers  282 
bis  284.  Das  Verkaufsrecht  283.  Besitz  des  Landes  als  vivum 
vadium  seitens  des  Gläubigers  284. 

II:  Die  Hypothek  zur  Sicherstellung  von  Forde- 
rungen kaufmännischer  und  anderer  Gläubiger  (sog. 
„Recognizances“  und  „Statutes“)  284 — 299.  Die  persön- 
liche Klage  gegen  den  Schuldner  284  ff.  Die  dingliche 
Belastung  des  Immobiliars  284  —285.  Die  Bedeutung  einer 
recognizance  im  Immobiliarrccht  und  besonders  im  Immobiliar- 
pfandrecht 285  ff.  Schuldanerkennungen  nach  gemeinem  Recht 
und  nach  Gesetzesrecht  287  ff.  Die  sog.  „Statutes“  287  ff. 
Die  Judikats-Hypothek  und  die  Hypothek  durch  „recognizance“ 
oder  „Statute“  288  ff.  Das  gerichtliche  Vollstreckungsver- 
fahren  288  ff.  Die  Eintragung  von  Schuldanerkennnngen  oder 
„Statutes“  in  die  Gericbtsprotokolle  288  ff.  Die  Erstreckung 
der  hypothekarischen  Belastung  auf  das  Immobiliar,  nicht  aber 
auf  das  Mobiliar  290  ff.  Die  Haftung  des  Mobiliars  in  den 
Händen  des  Schuldners  294.  Die  Schuldklage  294.  Die  Reali- 
sierung der  Hypothek  295  ff.  Übertragung  des  Besitzes  auf 
den  Gläubiger  295  ff.  Das  Recht,  das  der  Gläubiger  am  Lande 
bat  295  ff.  Das  Recht  des  Gläubigers  am  Lande  als  ein 
„chattel  real“  296 — 297.  Die  possessorischen  Klagen  296—297. 
Tilgung  der  Schuldforderung  aus  den  Renten  und  Erträgen 
des  Landes  296  ff.  Wiedererlangung  des  Besitzes  seitens  des 
Schuldners  297.  Summarische  Übersicht  über  das  mittelalter- 
lichelmmobiliarpfand  mit  Besitz  des  Schuldners  bis  zur  Zahlungs- 


belte 

277-305 


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xxv  rn 


Seite 

Versäumnis  297 — 298.  Verpfändung  bestimmter  Grundstücke 
oder  aber  des  gesamten  Landes  des  Schuldners  297.  Tilgung 
der  Forderung  aus  den  Renten  und  Erträgen  allein  (Nutzpfand); 
der  Anspruch  des  Gläubigers  auf  die  Substanz  der  Pfandsache 
(Substanzpfand)  298.  Das  mittelalterliche  Prinzip  bei  Pfand 
mit  sofortigem  Besitz  des  Gläubigers  und  bei  Pfand  mit  Be- 
sitz des  Schuldners  bis  zur  Zahlungsversäumuis  — Nutzpfand 
resp.  Substanzpfand  resp.  eine  Kombination  der  beiden  298. 

III. :  VcrmSgonshaftung  und  Hypothek  299 — 304.  • 

Vermögenshaftung  und  Hypothek  nach  älterem  deutschen 
Recht,  dem  französischen  tres  ancien  droit,  dem  belgischen 
und  dem  holländischen  Recht  299  ff.  Die  Einsetzung  des 
ganzen  Vermögens  für  eine  Schuld  299  ff.  Pfandrecht  und 
Haftungsrecht  299  ff.  Obligatio  generalis  und  obligatio 
specialis  300  ff.  Vermögenscinsetzung  nach  englischem  mittel- 
alterlichem Recht  303 — 304.  Pfandrecht  und  Haftungsrecht 
303.  Hypothek  am  Immobiliar  303.  Haftung  der  Mobilien 
solange  als  sie  in  der  Hand  des  Schuldners  sind  308.  Obli- 
gatio generalis  und  obligatio  specialis  303 — 304. 

IV. :  Die  neuzeitliche  Hypothek  304 — 305.  Die  ver- 
schiedenen Formen  der  heutigen  englischen  Hypothek  304. 
Umbildung  des  „mortgage*-  in  eine  Hypothek  304 — 305.  Das 
heutige  mortgage  als  ein  solches  mit  Besitz  des  Schuldners, 
oder  als  ein  solches  mit  Besitz  des  Gläubigers  304  —305.  Ein- 
fluß des  Equity-Rechts  bei  der  Umbildung  des  alten  mortgage 
zur  Hypothek  305. 


Anhang 

Quellen  de»  lnimobtllenpf andreehts 307—348 

Verzeichnt»  der  hauptsächlich  eftferten  Quellen 

und  Literatur  349—358 

Kamen-  und  Sachregister 359 — 372 


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Einleitung 


Ha  zeit  Ine,  Englisches  Pfandrecht  1 


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Die  Geschichte  des  englischen  Rechts  beginnt  mit  der  Landung 
germanischer  Seeräuber  auf  britischem  Boden  im  fünften  Jahr- 
hundert unserer  Zeitrechnung.  Es  waren  die  Angeln,  die  Sachsen 
und  die  Jüten,  welche  germanische  Sitten  und  Gebräuche  vom 
Kontinente  auf  der  Insel  der  Kelten  und  Römer  einführten. 

Die  Römer  hatten  bereits  die  Insel  vor  der  Niederlassung  der 
Germanen  verlassen  und  das  Ringen  der  eindringenden  Germanen 
mit  den  Kelten  endigte  mit  dem  Siege  der  ersteren  und  dem  Ver- 
drängen der  Kelten  in  die  westlichen  und  nördlichen  Berge.  Auf 
den  Sieg  in  der  Schlacht  folgte  der  Sieg  germanischer  Institutionen 
und  des  germanischen  Rechts.  Obgleich  im  englischen  Rechte  und 
in  englischen  Einrichtungen  späterer  Zeiten  keltische  und  römische 
Gebräuche  und  Spuren  von  Zivilisation  aus  der  Zeit  vor  den 
Römern  und  Kelten  möglicherweise  nachweisbar  sind,  ist  es  nichts- 
destoweniger das  vorherrschende  germanische  Element  vom  Fest- 
lande, das  auf  die  gesamte  zukünftige  Geschichte  des  Rechts  in 
England  bestimmend  einwirkte.  Gestärkt  durch  weitere  germanische 
Zuzüge  aus  Dänemark  und  der  Normandie,  ist  es  dieser  feste 
Stamm  germanischen  Rechts,  welcher  mit  der  Zeit  einen  Teil  der 
Form  und  auch  etwas  von  dem  Geiste  des  römischen  Systems  in 
sich  aufnahm  und  welcher  dessenungeachtet  seinen  germanischen 
Charakter  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  hat. 

Der  Zweck  unserer  Untersuchung  betrifft  die  Geschichte  eines 
Zweiges  des  Privatrechts  dieses  englischen  Rechtssystems,  nämlich 
des  englischen  Pfandrechts.  Weil  nun  dieses  Pfandrecht  mit  den 
englischen  Rechts-  und  ökonomischen  Verhältnissen  im  Allgemeinen 
bis  ins  Kleinste  verwachsen  ist,  müssen  wir  vor  dieser  Besprechung 
des  Pfandrechts  einen,  wenn  auch  nur  kurzen  Blick  auf  diese 

l* 


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4 


allgemeine  Entwickelung  werfen , ganz  besonders  aber  auf  das 
System  des  Privatrechts.  Wir  werden  uns  zuerst  mit  der  angel- 
sächsischen Periode  befassen,  von  dieser  auf  die  Zeit  des  Mittel- 
alters nach  der  normannischen  Eroberung  und  schließlich  zur 
Neuzeit  übergehen. 


Erster  Teil. 

Die  Rechts-  und  ökonomische  Entwickelung 
Englands. 

Die  angelsächsischen  Königreiche,  welche  sich  in  der  neuen 
Heimat  bildeten,  weisen  die  frühen  Rechts-  und  ökonomischen 
Verhältnisse  germanischer  Völker  auf,  modifiziert  jedoch  durch 
Zustände,  wie  solche  eine  kriegsmäßige  Kolonisation  des  neuen 
Landes  mit  sich  brachte.  Der  König  war  der  Mittelpunkt  der 
staatlichen  Organisation.  Die  kleinste  politische  Einheit  war  die 
Dorf-  oder  Stadtgemeinde  (village  oder  township),  eine  größere  die 
Hundertschaft.  Die  Bevölkerschaft;  zerfiel  in  die  zwei  Hauptklassen 
der  Herrschenden  (eorls),  deren  Stand  sich  vererbte,  und  der  ceorls, 
die  nur  einfache  Freie  waren.  Die  Zahlung  von  Wergeid,  der 
Beweis  durch  Eideshilfe  (compurgation)  und  das  Gottesurteil 
(ordeal)1)  waren  die  hervorragendsten  Grundlagen  des  Rechts- 
systems. Die  ökonomische  Entwickelung  wurde  wesentlich  dadurch 
beeinflußt,  daß  die  Angelsachsen  ein  Ackerbau  treibendes  Volk 
waren,  das  nicht  gewohnt  war,  in  Städten  zu  leben  und  sich  mit 
Handel  und  Industrie  zu  befassen.  Kreditgeschäfte  waren  den 
Angelsachsen  so  gut  wie  unbekannt’). 

Das  Erscheinen  Augustins  im  Jahre  597  und  die  Einführung 
des  Christentums  übten  einen  weitgehenden  Einfluß  auf  die 
heidnischen  germanischen  Stämme  aus  und  dies  zeigt  klar  uud 

')  Das  Nähere  über  Gottesurteile  bei  den  Angelsachsen  siche  unten  im 
ersten  Buch. 

*)  Siehe  Gardiner,  Hist,  of  Eng.,  I,  S.  26  — 33;  Cunningham  and 
Mc  Arthur,  Eng.  Industrial  History  , S.  8— 11,  -46 — 49 ; Heymann,  Eng- 
lisches Privatrecht,  Holtzendorffs  Encyclopädie  (hrsg.  von  Köhler),  I.  S.  79G; 
Pollock  and  Maitland,  Hist.  Eng.  Law,  II,  S.  184;  Chadwick,  Studies 
on  Anglo  Salon  Institutions,  S.  76  ff.;  Pollock,  Expansion  of  tlie  Common 
Law,  S.  139—158. 


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deutlich,  wie  die  Entwickelungen  religiöser,  ökonomischer  und 
rechtlicher  Verhältnisse  unter  einander  verbunden  sind.  Die  neuen 
Beziehungen  zum  Festlande  waren  für  die  Anfänge  des  Handels 
von  größter  Bedeutung,  denn  England  war  nun  nicht  länger  isoliert. 
Auch  römische  Rechtsanschauungen  verbreiteten  sich  und  beein- 
flußten den  Grundbesitz  und  das  Nachlaßrecht1)-  Durch  den 
Einfluß  der  Kirche  entwickelte  sich  der  alte  germanische  Wett- 
vertrag in  die  fidei  interpositio,  das  Verpfänden  des  christlichen 
Glaubens’). 

Die  erste  Hälfte  des  neunten  Jahrhunderts  sah  die  Ober- 
herrschaft Ecgberhts  und  der  Westsachsen  über  alle  anderen 
Königreiche.  Gleichzeitig  machten  die  Dänen  und  Norweger 
wiederholt  Einfälle.  Besonders  unter  Alfred  (871 — 901)  schlossen 
sich  die  Angelsachsen  gegen  die  ihnen  verwandten  nordischen 
Stämme  zusammen;  aber  nachdem  der  Friede  wieder  hergestellt 
war,  befand  sich  fast  die  Hälfte  des  Landes  in  den  Händen  der 
Dänen,  und  da  es  eher  nach  dänischem  .als  nach  englischem 
Rechte  regiert  wurde,  nannte  man  es  Danelag  (Danelaw)5).  Ein 
fast  vollständiges  Aufgehen  der  beiden  Völker  ineinander  erfolgte 
jedoch  bald4)  und  unter  Eadred  (946 — 955)  war  England  unter 
einem  Herrscher*). 

Die  Dänen  waren  bedeutende  Seefahrer  und  tüchtige  Kauf- 
leute und  weckten  bei  den  Angelsachsen,  die  sich  in  der  Haupt- 
sache noch  immer  mit  Landwirtschaft  beschäftigten,  das  Interesse 
für  Industrie  und  Handel.  Cnuts  Herrschaft  (1016 — 1035)  war 
es  besonders,  die  dazu  führte,  Englands  Handelsverbindungen  mit 
Island,  Dänemark  und  Norwegen  zu  enveitem.  Die  ersten  eng- 


•)  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  I,  S.  9,  10,  4G — 49.  Siehe 
auch  Fortescue,  De  Laudibus  Legum  Angliae,  S.  71. 

*)  Siehe  die  späteren  Ausführungen. 

*)  Gardiner,  a.  a.  0.,  I,  S.  54 — 60:  Cunningham  and  Mc  Arthur, 
a.  a.  0.,  S.  10,  11;  Spence,  Origin  of  the  I.aws  and  Political  Institutions  of 
Modem  Europe,  S.  234,  235.  Siehe  auch  Glasson,  Histoire  du  droit  et  des 
institutions  de  rAngleterre,  I,  S.  18;  Holdsworth,  History  of  English 
Law,  I,  S.  3.  Über  die  Danelag  siehe  aber  insbes.  Stecnstrup,  Norman- 
nerac  IV:  Danelag;  Chadwick,  Studios  on  Anglo-Saxan  Institutions, 
S.  198—201. 

4)  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  11. 

*)  Gardiner,  a.  a.  0.,  S.  64. 


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6 


lischen  Städte,  in  denen  diese  ökonomische  Entwickelung  Fort- 
schritte aufwies,  waren  dänische  Niederlassungen  '). 

Der  lange  Kampf  mit  den  nordischen  Völkern  hatte  in  der 
Tat  tiefgehende  Einwirkungen  auf  die  sozialen  und  politischen 
Verhältnisse  mit  sich  gebracht.  Besonders  war  es  die  Gewalt  des 
Königs,  welche  hierdurch  ganz  bedeutend  wuchs,  und  auch  die 
Entwickelung  der  sozialen  Stellung  des  ceorl  oder  einfachen  Freien 
zu  dem  Verhältnis  der  Leibeigenschaft  wurde  hierdurch  beschleunigt. 
Nachdem  die  Bedeutung  der  Städte  gewachsen  war,  kam  auch  die 
Einteilung  in  Grafschaften,  d.  h.  Bezirke  größer  als  die  Hundert- 
schaften und  kleiner  als  die  größeren  Königreiche  in  Gebrauch. 
Das  witenagemot,  eine  Versammlung  der  Weisen  des  Landes,  spielte 
um  diese  Zeit  eine  wichtige  Rolle  und  übte  auch  zeitweise  ein 
Gegengewicht  gegen  die  königliche  Macht  aus*). 

Unter  Eduard  dem  Bekenner  trat  der  normannische  Einfluß 
besonders  hervor  und  mit  der  Ankunft  Wilhelms  des  Eroberers 
und  der  Schlacht  bei  Senlac  (1066)  begann  die  Herrschaft  der 
Normannen  in  England3). 

Obgleich  während  der  späteren  angelsächsischen  Periode  die 
englischen  Institutionen  sich  dem  Feudalismus  zuneigten,  war  es 
Wilhelm  der  Eroberer,  der  in  England  das  feudale  Prinzip  ein- 
ftlhrte,  daß  alles  Land  der  Krone  gehöre  und  von  dieser  als  Lehen 
vergeben  werde.  Im  Jahre  1086  mußten  ihm  alle  seine  Unter- 
tanen, wessen  Leute  sie  auch  waren,  bei  Salisbury  den  Treueid 
schwören  und  ihn  als  ihren  obersten  Herrn  anerkennen  '),  Die 
Kronvasallen  (tenentes  in  capite)  und  die  Untervasallen  (sub- 
tenentes)  waren  nun  in  der  normannischen  Zeit  die  Großen  des 
Reichs.  An  die  Stelle  des  alten  witenagemot  traten  die  Hoftage 
der  Vasallen.  Die  Regierungsgeschäfte  lagen  jetzt  in  den 
Händen  der  vicecomites  des  Königs,  der  absetzbaren  Vorsteher 
der  Grafschaften,  und  in  den  Händen  der  Zentralbehörde,  zu 
der  der  Exchequer  als  Finanzbehörde  und  das  zentrale  Königs- 


')  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  8.  11,  46 — 49. 

*)  Sieho  Gardine  r,  a.  a.  0.,  I,  8.  G9 — 75.  Über  die  Geschichte  der 
Grafschaften  sieho  ferner  Chadwick,  a.  a.  0.,  S.  202  ff. 

*)  Siche  Gardiner,  a.  a.  0.,  S.  86 — 100. 

')  Williams,  Real  Property,  S.  13,  Anm.  (r).  Siehe  auch  die  woitcr 
unten  citierte  Literatur. 


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7 


gericht  gehörten.  Diese  Einrichtungen  waren  normannischer  Her- 
kunft '). 

Die  Regierung  Heinrichs  II.  (1154 — 1189)  war  von  großer 
Bedeutung  für  die  Entwickelung  des  englischen  Rechts  infolge  der 
Reformen,  welche  der  König  angeordnet  hatte,  denn  unter  seiner 
Regierung  wurde  das  englische  Recht  von  dem  ständigen  Gerichts- 
höfe, den  wir  eben  kennen  gelernt  haben,  einheitlich  zusammen- 
gefasst und  zentralisiert.  Fenier  wurde  unter  seiner  Regierung 
die  Einrichtung  der  wandernden  Richter  geschaffen,  welche  das 
ganze  Land  zu  bereisen  hatten.  Weiterhin  wurden  die  Geschworenen- 
Gerichte  (inquest  oder  recognition)  und  das  „original  writ“  als 
üblicher  und  notwendiger  Bestandteil  des  englischen  Rechts- 
systems eingeführt*). 

Unter  der  Regierung  Heinrichs  III.  (1216 — 1272)  entwickelte 
sich  das  Recht  schnell  und  andauernd;  und  am  Ende  seiner  Re- 
gierung „most  of  the  main  outlines  of  our  medieval  law  have  bcen 
drawn  for  good  and  all;  the  subsequent  ccnturies  will  be  able  to 
do  little  more  than  to  fill  in  the  details  of  a scheme  which  is  set 
before  tliem  as  unalterable“ 3). 

Mit  dem  Beginne  des  dreizehnten  Jahrhunderts  fing  auch  die 
Entwickelung  des  „mächtigen  englischen  Ständestaats“  an.  Die 
Grundlage  hierzu  lieferte  das  angelsächsische  Staatswesen  und  der 
normannische  Lehnsstaat.  Die  „ Magna  Charta“  ( 1 2 1 5)  König  J o h a n n s 
war  der  entscheidende  Beginn  einer  Entwickelung , ' die  in  ihren 
Grundzügen  unter  der  Regierung  Eduards  I.  (1272 — 1307)  ab- 
geschlossen wurde.  Das  Parlament,  bestehend  aus  einem  Oberhaus 
und  einem  Unterhaus,  stand  neben  dem  König.  Zu  den  Obliegen- 
heiten des  Oberhauses  gehörte  seine  Mitwirkung  bei  der  Gesetz- 
gebung; außerdem  war  das  Oberhaus  der  oberste  Gerichtshof  und 
das  höchste  Beratungsorgan  der  Verwaltung.  Seit  Richard  I. 
war  die  Mitwirkung  des  Unterhauses  bei  Erlaß  eines  Gesetzes 
notwendig.  Das  Reichsgericht,  das  Gericht  des  gemeinen  Rechts, 
setzte  sich  zusammen  aus  dem  „Court  of  King’s  Bench“,  dem 

*)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  797. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  136,  138.  Bctr.  weiterer 
Einzelheiten  s.  Brunner,  Entstehung  der  Schwurgerichte:  Holdsworth, 
History  of  English  Law,  1,  S.  112—169. 

3)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  174. 


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8 


„Court  of  Common  Pleas“  und  dem  „Court  of  Excliequer“ 
Neben  dem  Reichsgericht  stand  das  Kanzleigericht  (Chancery),  das 
seine  Jurisdiktion  nach  Billigkeitsgrundsätzen  (equity)  mehr  und 
mehr  auszuüben  begann.  Die  Kirche  strebte  nach  immer  größerer 
Unabhängigkeit  vom  Staate;  aber  die  Folge  der  Reformation  war 
ihre  vollständige  Unterwerfung  unter  den  Staat1). 

Die  ersten  zwei  Jahrhunderte  unter  den  Normannen  und  der 
Regierung  der  Plantagenets  waren  in  der  Tat  Perioden  von  großer 
Bedeutung,  besonders  wegen  der  neuen  und  höchst  wichtigen  Be- 
ziehungen zur  übrigen  Christenwelt.  Selbst  der  Verlust  von  Anjou 
und  der  Normandie  konnte  nicht  zur  Lösung  dieser  Beziehungen 
führen.  Geistige  und  religiöse  Bewegungen  Europas  machten  sich 
nunmehr  in  England  fühlbar.  Die  ökonomische  Entwickelung  war 
jetzt  eine  ähnliche  wie  in  den  anderen  europäischen  Staaten. 
Cunningham  und  Mc  Arthur  äußern  sich  hierüber  wie  folgt: 
„The  rise  of  the  religious  Orders,  the  influence  of  the  Crusades, 
the  growth  of  municipal  life,  the  devastation  of  pestilence,  the 
revival  of  leaming,  the  discovery  of  the  New  World,  the  growth 
of  nationalities,  were  events  which  affected  the  whole  of  Christen- 
dom, and  prodneed  similar  economic  results  in  many  lands.  And 
it  was  witli  the  Norman  Conquest  that  England  entered  for  the 
first  time  into  the  common  life  of  Christian  Europe“  s). 

Es  muß  fernerhin  berücksichtigt  werden,  daß  die  Guts- 
herrschaften (manor»),  im  zwölften  Jahrhundert  die  am  meisten 
vorkommende  Form  sozialer  Gemeinschaft,  mehr  und  mehr  den 
Städten  als  den  Mittelpunkten  für  Handel  und  Industrie  Platz  machten. 
Dieser  Niedergang  des  gutsherrlichen  Systems  wurde  beschleunigt 
durch  den  „schwarzen  Tod“,  die  große  Pestplage  des  Jahres  1349 
und  durch  den  Aufstand  der  Bauern  von  1381,  was  einen  großen 
Mangel  an  Arbeitskräften  zur  Folge  hatte  und  wodurch  es  schwer 
wurde,  das  Land  nach  dem  alten  Gutsverwalter  - System  bewirt- 
schaften zu  lassen.  Die  Gutsherren  begannen  ihr  Land  in  kleinere 
Güter  aufzuteilen  und  diese  gegen  bar  zu  verpachten;  hierdurch 

')  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  797.  Siche  auch  Gardiner,  a.  a.  0.,  I. 
S.  173 — 265.  Hinsichtlich  der  verschiedenen  Gerichte  siche  besonders  Pollock 
and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  153— 156,  189 — 206;  Holdsworth,  History 
of  English  Law,  I,  S.  1 — 401. 

•)  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  12,  13. 


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9 


entstand  das  System  der  Bewirtschaftung  durch  Gutspachter,  welches 
bald  seine  heutige  Form  annahm.  Auch  die  Schafzucht  war  da- 
mals sehr  lohnend  und  nahm  ständig  zu.  Noch  vor  der  Refor- 
mation hatte  das  System  der  Üutsherrlichkeit  seine  Bedeutung 
verloren.  Hand  in  Hand  mit  seinem  Verfall  ging  das  Ver- 
schwinden der  Leibeigenschaft,  obgleich  einige  der  Unznträglich- 
keiten  der  letzteren  sich  noch  bis  in  die  Zeit  Elisabeths  schwer 
fühlbar  machten '). 

Die  Eroberung  hatte  einen  großen  Zuzug  von  Angehörigen 
fremder  Nationen  mit  sich  gebracht,  aber  noch  vor  der  Zeit 
Eduards  I.  war  dieses  neue  Element  der  Bevölkerung  in  den 
angelsächsischen  und  dänischen  Elementen  aufgegangen  und  bildete 
mit  diesen  ein  einheitliches  Volk  mit  gemeinsamen  Institutionen. 
Für  das  ganze  Land  war  nur  ein  Parlament  vorhanden  und  im 
allgemeinen  machte  sich  eine  Festigung  des  gesamten  nationalen 
Lebens  bemerkbar*). 

Hand  in  Hand  mit  der  nationalen  Entwickelung  ging  auch 
eine  Festigung  des  Städtewesens.  Wie  in  der  Nation  als  Ganzem, 
so  entwickelten  sich  auch  in  den  Städten  freie  Institutionen  und 
ein  eigenes  organisches  Leben.  Die  Entwickelung  der  Städte 
vollzog  sich  jedoch  unter  dem  Schutze  und  der  Direktion  der  Zentral- 
gewalt und  sie  waren  daher  nicht  wie  die  Städte  Deutschlands 
und  Frankreichs  sozusagen  unabhängige  Staaten.  Dieses  einige 
Zusammengehen  und  harmonische  Anwachsen  des  nationalen  und 
Städtelebens,  welches  unter  Eduard  I.  einen  gewissen  Abschluß 
fand,  kam  einer  weitblickenden  fiskalischen  und  kommerziellen 
Politik  sehr  zu  Statten3). 

Die  Städte  waren  ins  Leben  gerufen  worden  als  Mittelpunkte 
für  den  Handel;  aber  bis  zum  vierzehnten  Jahrhundert  waren  sie 
soweit  vorgeschritten,  daß  sie  auch  als  Mittelpunkte  für  die  In- 


')  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  29,  30,  33,  41,  43— 46. 
Über  den  manor  8.  ferner  Vinogradoff,  Villainago  in  Eng.,  S.  223  ff., 
und  Growth  of  Manor  (8.  L.  Q.  K.  Bd.  XXI,  S.  294). 

*)  Siehe  Stubbe,  Medieval  and  Modern  History,  S.  149;  Cunning- 
ham and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  13,  24. 

s;  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  O.,  S.  13,  24.  Über  die  Be- 
deutung und  Stellung  des  deutschen  Städtewesens  siehe  besonders  Gierke, 
Das  deutsche  Genossenschaftsrecht,  I,  S.  300 — 310. 


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10 


dustrie  gelten  konnten;  demzufolge  setzte  sieh  die  Gilde  der 
Handelstreibenden  aus  mehreren  Handwerkergilden  zusammen.  Die 
Städte  standen  zu  einander  in  enger  Beziehung.  Eine  gemeinsame 
lex  mercatoria  war  zur  Regelung  merkantiler  Angelegenheiten  von 
allen  Städten  anerkannt  worden.  Oft  führte  eine  Stadt  die  Ge- 
bräuche einer  anderen  bei  sicli  ein,  auch  trieben  die  Städte  Handel 
untereinander.  Die  Art  und  Weise  der  Sicherstellung  und  Ein- 
treibung von  Fordeningen  war  in  allen  Städten  so  ziemlich  dieselbe. 
Zur  Zeit  der  Regierung  Richards  I.  waren  die  Städte  die  Haupt- 
faktoren, welche  der  Handelspolitik  die  Richtung  vorschrieben '). 

Zur  Zeit  der  Tudors  (1485 — 1003)  waren  die  Städte  jedoch 
in  Verfall  gekommen  und  in  den  Hintergrund  getreten.  Wie  die 
Guteherrlichkeit  (manor)  den  Städten  gewichen  war,  so  wichen  jetzt 
die  Städte  der  Zentralgewalt.  Mit  dem  fünfzehnten  Jahrhundert 
begann  die  Übertragung  der  Verantwortlichkeit  für  das  Wohl  und 
Wehe  von  Handel  und  Industrie  in  England  auf  die  Landesregierung 5). 

Die  Anfänge  des  nationalwirtschaftlichen  Lebens  scheinen  sich 
zum  großen  Teil  auf  die  Stellung  und  den  Einfluß  des  Königs  zurück- 
führen zu  lassen.  Seit  früher  Zeit  war  der  König  der  Mittelpunkt  der 
Nation  und  zur  Zeit  der  Normannen  war  der  König  und  seiu  Exche- 
quer  der  Mittelpunkt  des  gesamten  sozialen  Lebens.  Der  König  war 
der  größte  Grundbesitzer  und  auf  seine  Autorität  ist  das  gesamte 
Rechtssystem  zurückzuführen.  In  all  den  verschiedenen  Verhältnissen 
des  Lebens  machte  sich  der  persönliche  Charakter  und  die  per- 
sönliche Politik  des  Königs  fühlbar.  Seine  Stellung  im  Staate  war 
die  einigende  Macht,  welche  „die  getrennten,  isolierten  und  unab- 
hängigen Elemente  in  ein  Ganzes“  zusammenfaßte *). 

Die  Krone  übte  einen  direkten  Einfluß  auf  die  Industrie  des 
Landes  aus,  und  besonders  die  ausländische  Politik  lag  in  der 
Hand  des  Königs.  Der  König  war  seit  Jahrhunderten  derjenige, 
welcher  die  wirtschaftlichen  Beziehungen  zum  Festlande  leitete. 


')  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  O.,  S.  50 — 52,  54 — fiO.  Siehe 
ferner  Holdsworth,  History  of  English  I.aw,  I,  S.  307  - 313.  Siche  auch 
unsere  späteren  Ausführungen  im  zweiten  Buch.  Giorke,  a.  a.  0.,  II,  S.  383, 
weist  darauf  hin,  daß  iin  Mittelalter  die  Rechtsverhältnisse  zwischen  den 
einzelnen  .Städten  „einen  halb  völkerrechtlichen  Charakter“  haben. 

*)  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  29,  59,  60. 

3)  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  69. 


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11 


Offa  hatte  einen  Handelsvertrag  mit  Karl  dem  Großen  geschlossen. 
Die  Regierung  Cnuts,  des  Dänen,  hatte,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  eine  Erweiterung  der  Handelsbeziehungen  zu  Island,  Däne- 
mark und  Norwegen  zur  Folge.  Normannische  Herrscher  und  die 
Plantagenets  erweiterten  die  politischen  und  wirtschaftlichen  Be- 
ziehungen zwischen  England  und  dem  Kontinente  einerseits  und 
dem  Osten  andererseits.  Hand  in  Hand  mit  diesen  Handelsbe- 
ziehungen ging  die  Entwickelung  einer  bestimmten  Handelspolitik. 
Diese  Politik  äußerte  sich  hauptsächlich  in  dem  Anspomen  aus- 
ländischer Kaufleute,  ihre  Produkte  einzuführen,  um  Bedürfnisse, 
welchen  England  selbst  noch  nicht  gerecht  werden  konnte,  zu  be- 
friedigen. Auf  der  anderen  Seite  wurde  der  Ausfuhrhandel  nur  insoweit 
begünstigt,  als  dies  mit  den  Interessen  Englands  im  Einklang  stand '). 

Zusammen  mit  der  Entwickelung  dieser  Handelspolitik  ist 
ein  Zuzug  von  Ausländern  nach  England  zu  beobachten.  Nach 
der  Eroberung  wurden  auch  die  Juden  nach  England  gerufen;  sie 
lebten  in  den  Urnen  angewiesenen  Städten  und  ihre  Hauptbe- 
schäftigung bestand  im  Verleihen  von  Geld  gegen  Zinsen  an  den 
König  und  andere.  Ein  System  der  Protokollierung  beurkundeter 
Schuldforderungen  (bonds)  der  Juden  und  der  Verpfändung  zur 
Sicherstellung  solcher  Forderungen  wurde  eingeführt.  Die  Folge 
hiervon  war  ein  schneller  Vollstreckungsprozeß  bei  Zahlungsver- 
säumnis des  Schuldners  und  ein  freier  Kauf  und  Verkauf  von 
jüdischen  Schuldforderungen.  Fremde  Kaufleute,  besonders  solche 
aus  Italien,  kamen  herein  und  die  privilegierten  Städte  (charternd 
towns)  wurden  die  Hauptstätten  ihrer  Handelstätigkeit*).  Ein 
System  ähnlich  dem  für  die  Juden  eingeführten  wurde  zur  Sicher- 
stellung und  Eintreibung  von  Schuldforderungen  zu  Gunsten  dieser 
Kaufleute  und  im  Interesse  des  Handelskredits  im  allgemeinen 
geschaffen.  Schulden  an  Kaufleute  sowie  an  Juden  konnten  durch 
hypothekarische  Belastung  des  Landes  sicher  gestellt  werden’). 
Eine  große  Anzahl  Cistercienser  Klöster  wurde  im  zwölften  Jahr- 
hundert gegründet  und  die  Geistlichen  pflegten  ihre  Lieblings- 
beschäftigung, die  Schafzucht;  von  Kaufleuten  aus  Lucca  und 

')  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  70 — 73. 

*)  Siche  die  späteren  Ausführungen  im  zweiton  Buch;  Pollock  and 
Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  464. 

3)  Siehe  Näheres  im  zweiten  Buch;  Glasson,  a.  a.  0.,  III,  S.  242. 


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12 


anderen  italienischen  Städten,  sowie  aus  den  Niederlanden  wurde 
die  Wolle  aufgekauft ').  Auf  die  Einladung  Eduards  siedelten 
sich  flämische  Handwerker  in  England  an.  Unter  Eduard  VI. 
und  Elisabeth  kamen  Protestanten  herein,  was  dem  Handel  sehr 
von  Nutzen  war.  Die  Aufhebung  des  Edikts  von  Nancy  im 
Jahre  1685  hatte  eine  bedeutende  Einwanderung  besonders  von 
Seiden-  und  Leinewebern  aus  Frankreich  zur  Folge*). 

Die  Aufnahme  dieser  ausländischen  Elemente  ftbte  einen  be- 
deutenden Einfluß  auf  das  industrielle  und  kommerzielle  Leben 
in  England  aus.  Die  Geschicklichkeit  der  Handwerker  nahm  zu 
und  jeder  Zuzug  vom  Auslande  war  zum  Vorteil  für  das  Gewerbe. 
Handwerkergilden  gab  es  ohne  Zweifel  schon  kurz  nach  der  nor- 
mannischen Eroberung  und  die  Anfänge  des  Banken-  und  Ver- 
sicherungswesens sind,  wie  es  scheint,  auf  die  italienischen  Kauf  leute 
zurückzufflhren,  welche  sich  in  England  niedergelassen  hatten.  Es  ist 
zum  größten  Teil  dem  Einfluß  der  Juden  und  Italiener  zuzuschreiben, 
daß  sich  mit  der  Zeit  in  England  ein  Übergang  von  der  Natural- 
wirtschaft zur  Geld-  und  Kreditwirtschaft  vollzog.  In  der  Tat  waren 
es  diese  Ausländer,  welche  wesentlich  dazu  beitrugen,  den  Grund- 
stein zu  Englands  industrieller  und  kommerzieller  Größe  zu  legen3). 

Der  Einfluß  der  Zentralgewalt  auf  Industrie  und  Handel  war 
besonders  stark  seit  der  Zeit  Eduards  I.;  denn  unter  Eduards 
Regierung  wurde  das  nationale  Leben  sorgfältig  gefestigt.  Eduard 
strebte  nach  nationaler  Einheit  und  Macht  und  nach  der  Ver- 
besserung der  nationalen  Institutionen;  gleichzeitig  sah  er  aber 
von  Eroberungskriegen  ab.  Sowohl  dem  inländischen  wie  dem 
ausländischen  Handel  wurden  die  größtmöglichen  Erleichterungen 
gewährt.  Ein  neues  fiskalisches  System  wurde  eingeführt.  Gewisse 
Häfen  wurden  vorgeschrieben,  durch  welche  sich  der  Handel  des 
Landes  zu  bewegen  hatte,  und  die  Gesetzgebung  sorgte  für  poli- 
zeilichen Schutz  der  Handelstreibenden.  Den  Einrichtungen  bei 
der  Sicherstellung  und  Eintreibung  von  Schuldforderungen  der 
Kaufleute,  welche  sich  bisher  nach  den  lokalen  Gepflogenheiten  der 
einzelnen  Städte  richteten,  wurde  durch  das  Statute  of  Acton 

')  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  20. 

*)  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  S.  14,  15. 

*)  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a,  a.  0.,  S.  20;  und  siehe  auch 
unsere  Ausführungen  im  zweiten  Buch. 


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13 


Burael  (1283)  ein  neuer,  einheitlicher  und  nationaler  Charakter 
verliehen;  diesem  Gesetze  folgte  im  Jahre  1285  das  noch  weiter 
gehende  Statute  of  Merchants  *)• 

Daß  die  Festigung  des  Landes  und  der  innem  Angelegen- 
heiten des  nationalen  Lebens  der  Handelspolitik  Gelegenheit  gab, 
sich  zu  entwickeln,  ist  fernerhin  deutlich  zu  beobachten  unter 
der  Regierung  Eduards  III  (1327 — 1377).  Eduard  HI.  trieb 

eine  kraftvolle  Auslandspolitik;  er  scheint  von  kontinentalen  Er- 
oberungen und  einem  großen  Handelsreiche  geträumt  zu  haben. 
Fremde  Kaufleute,  immer  willkommen  in  England,  solange  sie 
nützliche  Produkte  von  auswärts  einführten  und  sich  auf  den 
Großhandel  beschränkten,  waren  besonders  willkommen  unter 
Eduard  IH.  Wolle  war  der  Hauptartikel  des  englischen  Export- 
handels im  dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhundert,  und  indem 
England  das  Rohmaterial  für  die  flämischen  Erzeugnisse  lieferte, 
trat  es  früh  in  Beziehungen  zu  den  Niederlanden.  Eduard  scheint 
sich  mit  der  Absicht  getragen  zu  haben,  auch  die  Fabrikation  in 
England  einzuführen,  und  ein  großer  Teil  der  englischen  Wollemte 
wurde  in  England  verarbeitet;  zu  welchem  Zwecke  Eduard  flämische 
Handwerker  hereinkommen  ließ.  So  kam  es,  daß  die  Schifffahrt  und 
ein  großer  Teil  des  inländischen  Geschäftes  in  den  Händen  von  Aus- 
ländem war.  Stapelplätze,  zu  welchen  alle  englischen  Produkte  be- 
fördert werden  mußten  und  in  welchen  die  englischen  Kaufleute  dem 
Handel  mit  dem  Kontinente  obzuliegen  hatten,  wurden  von  Eduard 
wieder  ins  Leben  geraten  und  organisiert.  Diese  Konzentration  des 
Handels  in  den  Stapelplätzen  brachte  zu  jener  Zeit  fiskalische  und 
kommerzielle  Vorteile  mit  sich.  Unter  anderem  war  es  möglich, 
dem  Kaufmanne  Rechte  und  Privilegien  zu  verleihen,  so  z.  B.  die 
Schaffung  der  Möglichkeit  mit  Hilfe  eines  einfachen  Rechtsmittels 
seine  Forderungen  sicher  zu  stellen  und  einzutreiben.  Von  ganz 
besonderer  Bedeutung  war  in  der  Tat  die  Schaffung  einer  speziellen 
Form  der  Hypothek  auf  Grundbesitz,  um  Ansprüche  von  Kaufleuten 
in  den  Stapelplätzen  gegen  ihre  Schuldner  sicher  zu  stellen*). 

')  Siche  Näheres  unten  im  zweiten  Buch;  Cunningham  and  Mc  Arthur, 
a.  a.  0.,  S.  74. 

*)  Siehe  Näheres  im  zweiten  Buch;  Brodhurst,  The  Merchants  of 
the  Staple,  L.  Q.  B.,  XVII,  S.  G7;  Cunningham  and  Mc  Arthur,  a.  a.  0., 
S.  14,  25,  2f>,  74—77. 


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14 


Dieser  so  kraftvoll  durchgeführten  Politik  zur  Befriedigung  der 
wirtschaftlichen  Bedürfnisse  des  englischen  Volkes  unter  Eduard  III. 
folgte  eine  Reaktion  unter  seinem  Nachfolger.  Diese  Reaktion 
fand  die  Unterstützung  des  Parlamentes  und  die  Billigung  der 
Krone;  immerhin  war  der  Einfluß  der  Politik  Eduards  mit  Bezug 
auf  die  Städte,  welche  Stapelplätze  waren,  ein  dauernder.  Die 
lokalen  Verwaltungen  waren  nunmehr  durch  die  Landesregierung 
so  ziemlich  ersetzt  worden.  Das  Streben  ging  jetzt  dahin,  den 
Handel  des  Landes  von  den  Märkten  (fairs)  und  aus  den  Händen 
der  Ausländer  in  diejenigen  der  englischen  Kaufleute  und  auf 
deren  Wohnplätze  zu  übertragen.  Unter  der  Regierung  Richards  H. 
sehen  wir  in  der  Tat  die  Anfänge  des  „Mercantile  System“. 
Dieses  politische  und  ökonomische  System  wurde  jedoch  erst  unter 
den  Tudors  (1485 — 1603)  mit  Bedacht  ausgebaut  und  durchge- 
führt1). 

Wir  ersehen  also  die  allmähliche  Entwickelung  von  der 
Naturalwirtschaft  zur  Geld-  und  Kreditwirtschaft,  den  Fortschritt 
vom  landwirtschaftlichen  Leben  der  Angelsachsen  zum  National- 
und  Städteleben  mit  seiner  Industrie  und  seinem  Handel,  wie  uns 
solches  in  den  Jahrhunderten,  welche  der  Hereinkunft  der  Dänen 
und  Normannen  folgten,  entgegentritt.  Die  zeitige  Entwickelung 
eines  starken  Königtums,  einer  starken  Zentralgewalt,  übte  einen 
hervorragenden  Einfluß  auf  die  gesamte  spätere  Geschichte  des 
Rechts  und  der  Nationalökonomie.  Diese  Zentralgewalt  schob  dem 
Überhandnehmen  lokaler  Gebräuche  und  feudalen  Rechtswesens 
einen  Riegel  vor,  sie  sorgte  dafür,  daß  die  Städte  zur  Verfolgung 
der  nationalwirtschaftlichen  Zwecke  beisteuerten.  Ihre  Politik  be- 
zweckte eine  Förderung  der  Industrie  und  des  Handels;  sie  hatte 
das  gemeine  Recht  und  Billigkeitsrecht  und  ihr  stand  hinreichend 
Macht  zur  Verfügung,  die  Urteile  der  Gerichte  vollstrecken  zu 
können.  Es  war  das  gemeine  Recht,  welches  im  Mittelalter  vor- 
herrschte, während  in  der  Neuzeit  das  Billigkeitsrecht  prädominierte. 
Dieser  Sieg  des  Billigkeitsrechts  über  das  gemeine  Recht  hat  einen 
fast  vollständigen  Umschwung  in  der  Rechtstheorie  und  Rechts- 


l)  Cuuningham  awl  Mc  Arthur,  a.  a.  0.,  76— 81. 


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15 


praxis  zur  Folge  gehabt.  Mit  einer  der  Phasen  dieser  allgemeinen 
wirtschaftlichen  und  Rechtsentwickelung  seit  der  Zeit  der  Angel- 
sachsen bis  auf  den  heutigen  Tag  haben  wir  uns  in  der  gegen- 
wärtigen Abhandlung  zu  befassen.  Es  ist  dies  die  Geschichte  des 
Pfandrechts.  Ein  vorheriger  kurzer  Überblick  über  das  System 
des  englischen  Privatrechts  wird  uns  dies  leichter  verständlich 
machen. 


Zweiter  Teil. 

Das  englische  Privatrecht. 

Erstes  Kapitel. 

Bestandteile  des  englischen  Privatrechts. 

Von  gewissen  Rechtsgelehrten  ist  behauptet  worden,  daß 
keltisches  Recht  und  keltische  Institutionen  die  germanischen  Er- 
oberungen überdauert  hätten  und  ein  wesentlicher  Teil  des  eng- 
lischen Rechtssystems  geworden  seien.  Wir  beabsichtigen  nicht 
anf  eine  Besprechung  dieser  Behauptung  der  keltischen  Schule 
einzugehen,  sondern  möchten  nur  in  kurzen  Worten  so  genau  wie 
möglich  feststellen,  welche  Bestandteile  des  englischen  Rechts 
germanischen  Ursprungs  sind  und  welche  dieser  Bestandteile  auf 
das  römische  und  kanonische  Recht  zurücbgeführt  werden  können. 

I.  Germanisches  Recht1). 

Nach  der  Ansicht  von  Pollock  und  Maitland*),  die  auch 
heute  bei  den  Rechtsgelehrten  die  vorherrschende  ist,  „the  English 
laws  have  bcen  formed  in  the  main  from  a stock  of  Teutonic 
customs,  with  some  additions  of  matter,  and  considerable  additions 
or  modifications  of  form  received  directly  or  indirectly  from  the 
Roman  system.  Both  the  Germanic  and  the  Romanic  elements 
have  been  constituted  or  re-inforced  at  different  tiines  and  from 
different  sources  ..." 

Germanische  Gebräuche  und  Einrichtungen  kamen  zuerst  nach 
England  durch  die  verschiedenen  Eroberungen  Britanniens  durch 

*)  Näheres  betr.  der  germanischen  Qnellcn  des  englischen  Rechts  siehe 
weiter  unten. 

>)  Hist.  Eng.  Law,  I,  S.  XXX. 


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16 


germanische  Völker,  wie  Angeln  und  Sachsen,  die  sich  dort  nieder- 
ließen, was  dann  später  die  Errichtung  des  englischen  Königreichs 
zur  Folge  hatte.  Ein  zweites  germanisches  Element  kam  durch 
die  dänischen  Einfälle  herein.  Es  ist  möglich,  daß  das  von 
Wilhelm  dem  Eroberer  eingefuhrte  normannische  Recht  auch 
skandinavische  Rechtsbestandteile  enthielt,  wennschon  natürlich 
das  normannische  Recht  jener  Zeit  in  der  Hauptsache  fränkisch 
war1).  Ein  drittes  germanisches  Element,  das  fränkische,  begann 
ungefähr  zur  Zeit  Karls  des  Großen  Eingang  in  England  zu  finden, 
jla  die  Könige  von  Mercia  und  Wessex  von  der  Zeit  Karls  des 
Großen  bis  zur  Zeit  der  normannischen  Eroberung  freundschaft- 
liche Beziehungen  zu  den  fränkischen  Königen  unterhielten’), 
und  Institutionen  wie  die  Ordalien-Liturgie  aus  dem  Rechtsleben 
der  Franken  übernahmen.  Unter  Wilhelm  dem  Eroberer  und 
anderen  normannischen  Königen  übte  das  normannische  und  da- 
mit auch  das  fränkische  Recht  einen  sehr  wesentlichen  Einfluß 
auf  das  englische  Recht  aus;  das  anglo-normannische  Recht  ist 
im  wahren  Sinne  des  Wortes  die  „Tochter  des  fränkischen  Rechts“ 
und  die  Originalität  der  Gesetzgebung  Heinrichs  n.  darf  daher 
nicht  überschätzt  werden 3).  Somit  sehen  wir,  daß  drei  große 


■)  Brunner,  Geschichte  der  Französischen,  Normannischen  und  Eng- 
lischen Hechtsquellen,  Holtzcndorffs  Encyklop&die  der  Rechtswissenschaft 
(1890),  8.  324,  330;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXX. 

*)  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  330;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I, 
8.  XXX,  XXXI. 

*)  Siehe  Brunners  Itezcnsiun  der  ersten  Auflage  von  Pollock  and 
Maitland’s  History  of  English  I.aw,  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung,  Band 
XVII,  Germ.  Abt.,  S.  125,  126;  Brunner,  Entstehung  der  Schwurgerichte, 
8.38 — 41,  76  ff.,  99  ff.,  129  ff.  und  144:  Brunner,  Gosch,  der  Franz.,  Norm, 
und  Engl.  Rechtsquellen,  Holtzcndorffs  Encyklop&die  (1890),  8.  324,  325, 
333—  347;  Stubbs,  Eng.  Const.  Hist.,  I,  S.  6,  11;  Pollock  and  Maitland, 
a.  a.  0.,  I,  S.  XXX,  XXXI,  94,  Anm.  2;  Thayer,  Evidence  at  the  Common 
Law,  S.  48,  55.  Thayer,  a.  a.  0.,  S.  55:  „Up  to  Glanvill  the  English  law 
was  constantly  fructiiied  from  the  Norman“.  Brunner  am  zuletzt  citierten 
Orte  8.  329:  „Die  Satzungen  der  Angelsachsen  nehmen  in  der  Geschichte 
des  englischen  Rechts  dieselbe  Stellung  ein,  wie  die  Volksrechte  in  der 
der  übrigen  deutschen  Stimme.  Wenn  zwar  dio  selbständige  Entwickelung 
des  angelsächsischen  Rechts  durch  die  normannische  Eroberung  abgebrochen 
wurde,  so  hat  es  sich  doch  zum  Teil  neben  den  normannischen  Neuerungon 
erhalten  und  mit  ihnen  in  die  geschichtlichen  Grundlagen  der  heutigen 


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17 


germanische  Elemente  zur  Bildung  des  englischen  Rechts  bei- 
getragen haben,  nämlich  das  rein  angelsächsische,  das  skandi- 
navische und  das  fränkische. 

In  England  und  Amerika  herrscht  erfreulicherweise  heutzu- 
tage in  Bezug  auf  die  Rechtsgeschichte  und  die  vergleichende 
Rechtswissenschaft  das  wachsende  Bestreben,  die  alte  Methode, 
das  englische  Recht  als  eine  abgeschlossene  Welt  für  sich  zu  be- 
trachten, aufzugeben  und  seine  Verwandtschaft  mit  dem  deutschen 
Mutterrechte  zu  studieren.  Man  macht  sich  die  germanistische 
Forschung  der  letzten  drei  Jahrhunderte  zu  Nutze,  um  das  englische 
Recht  zu  erklären  und  es  in  seinem  wahren  historischen  Lichte 
zu  zeigen.  Selbst  deutsche  Rechtsausdrücke  werden  in  die  englische 
Rechtssprache  eingeführt ').  Das  germanische  Recht  übt  daher  in 
unseren  Tagen  einen  Einfluß  auf  das  englische  Recht  und  das 
Rechtsstudium  aus,  welcher  mit  den  Jahren  noch  mehr  zuzunehmen 
verspricht.  Es  ist  zu  hoffen,  daß  die  englischen  und  amerikani- 
schen Juristen  die  deutsche  Systematik  sorgfältig  studieren  werden. 

II.  Römisches  und  Kanonisches  Recht. 

Die  Frage,  bis  zu  welchem  Grade  das  römische  System,  d.  h. 
das  römische  und  das  kanonische  Recht,  das  englische  Recht  be- 
einflußt hat,  ist  eins  der  kompliziertesten  und  schwierigsten  Pro- 
bleme der  englischen  Rechtsgeschichte;  für  den  vorliegenden  Zweck 


onglischcn  Staats-  und  Rechtsverfassung  geteilt  Zu  diesem  praktischen 
Gesichtspunkte  kommt  noch  ein  theoretischer.  Der  Reichtum  der  angel- 
sächsischen Gesetzgebung  in  dem  halben  Jahrtausend  vor  AEthelberht  bis 
auf  Wilhelm  den  Eroberer,  der  rein  deutsche  Charakter  des  Rechts,  das 
vom  römischen  Rechte  gar  nicht,  vom  kanonischen  nur  in  sehr  geringem 
Maße  beeinflußt  wurde,  die  deutsche  Gesetzes-  und  Urkundensprache,  welche 
in  Deutschland  selbst  orst  im  dreizehnten  Jahrhundert  die  lateinische  zu 
verdrängen  begann,  und  endlich  die  ununterbrochene  Reihe  der  Rechts- 
quellen, welche  anderwärts  zwischen  dem  neunten  und  dreizehnten  Jahr- 
hundert eine  schwer  auszufiillende  Kluft  aufweisen,  — all  diese  Umstände 
stellen  die  angelsächsische  Gesetzgebung  in  die  erste  Reihe  der  Erkenntnis- 
quellen  des  germanischen  Rechts“. 

')  Siehe  Brunner,  Zeitschrift  der  Sav.  Stift.,  Band  XVII,  Germ.  Abt., 
S.  125;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXXVI:  „Wbat  is  more,  in  the 
Works  of  Kreuch  and  German  medievalists  tboy  [Knglishmeu]  will  nowadays 
lind  many  an  invaluable  hint  for  the  solutiun  of  specifically  Emrlish  problcms*. 
llazeltlne,  Englisches  Pfandrecht  - 


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18 


müssen  wir  uns  mit  einer  kurzen  Betrachtung  dieses  Einflusses 
begnügen. 

Römisches  Recht  war  in  Britannien  wahrend  der  Zeit  der 
römischen  Okkupation  in  Kraft.  Papinian,  der  größte  aller 
römischen  Juristen,  sprach  Recht  nach  römischen  Prinzipien  am 
priitorischen  Gericht  zu  York  unter  der  Regierung  von  Septimius 
Severus1).  Es  ist  jedoch  von  verschiedenen  Rechtsgelehrten  die 
Behauptung  aufgestellt  worden,  daß  das  römische  Recht  und  römische 
Institutionen  nicht  nur  nach  dem  Abzüge  der  Römer  aus  Britannien 
im  Anfänge  des  fünften  Jahrhunderts  weiter  existiert  haben,  sondern 
daß  sie  auch  die  germanische  Eroberung  Britanniens  durch  die 
Angeln  und  Sachsen  überdauert  und  in  beträchtlichem  Grade  zur 
Schaffung  des  englischen  Rechtssystems  beigetragen  haben8).  Es 
mag  zugegeben  werden,  daß  einige  Wahrscheinlichkeit  dafür  vor- 
handen ist,  daß  im  siebenten  und  neunten  Jahrhundert  römisches 
Recht  in  englischen  Klöstern  studiert  wurde,  und  daß  gewisse 
Stellen  in  den  Gesetzen  der  Angelsachsen  eine  Bekanntschaft  mit  dem 
römischen  Rechte  aufweisen8);  immerhin  scheint  dies  eher  eine  Be- 
kanntschaft mit  dem  kanonischen  als  mit  dem  römischen  Rechte  zu 
sein4);  wenn  man  fernerhin  berücksichtigt,  daß  die  Behauptungen 
wenigstens  einiger  Juristen  der  englischen  Schule,  welche  diese  Ansicht 
des  Überdauerns  des  römischen  Rechts  nach  der  germanischen  Erobe- 
rung vertreten,  der  Beachtung  wert  erscheinen,  so  scheint  diese  Schule 
doch  einen  wirklichen  Beweis  zur  Unterstützung  ihrer  Behauptung 
nicht  beigebracht  zu  haben.  Was  immer  im  englischen  Rechte 


•)  Holland,  Civil  Law,  Rcnton's  Encyclopacdia,  III,  S.  3G,  38;  Ainos, 
Civil  Law  of  Home,  S.  443. 

8)  Bericht  über  dio  Ansichten  dieser  Schule,  nebst  Kritik  derselben  bei 
Scrutton,  Influcncc  of  the  Roman  Law  on  the  Law  of  England,  S.  1 — GG. 

8)  Savigny,  Geschichte,  II,  S.  167  — 170;  Holland,  a.  a.  O.,  III, 
S.  38,  39.  Siehe  auch  Spence,  Equitablc  Jurisdiction,  I,  S.  17 — 80. 

*)  Siehe  oben  S.  IG,  17,  Amn.  3,  Citat  Brunner.  Pollock  and  Mait- 
land,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXXII:  „And,  in  point  of  fact,  tlierc  is  no  trace  of  the 
laws  and  jurisprudencc  of  imperial  Rome,  as  distinct  from  the  precepts  and 
traditions  of  the  Roman  Church,  in  the  carliest  Anglo-Saxon  documents. 
Whatover  is  Roman  in  them  is  ecclesiastical.  The  danger  of  arguing  in 
these  matters  from  a merc  enumeration  of  cuincidences  ha»  alrcady  been 
pointed  ont.  with  rcfercnce  to  the  attempt,  in  our  opinion,  a substantially 
similar  one,  to  attribute  Knglish  law  to  a Celtic  origin“. 


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römischen  Ursprungs  ist,  läßt  sich  durch  die  Einführung  vom 
Kontinente  nach  der  Ankunft  der  Germanen  erklären1). 

Der  erste  indirekte  Einfluß  des  römischen  Rechtssystems  auf 
das  germanische  Recht  in  England  wurde  durch  die  römische  Kirche 
in  den  Tagen  Sankt  Augustins  und  seiner  Nachfolger  ausgeübt5). 

Etwas  später  dagegen,  von  der  Zeit  Karls  des  Großen  an, 
begannen  die  englischen  Könige,  wie  wir  bereits  gesehen  haben3), 
freundschaftliche  Beziehungen  zum  fränkischen  Hofe  zu  unter- 
halten; auf  diese  Weise  wurden  dann  Bestandteile  des  römischen 
Rechts,  welche  bereits  in  dem  Rechte  und  der  Praxis  der  Franken 
verkörpert  waren,  nach  England  gebracht.  Hierhin  gehören  die 
lateinischen  Charters  oder  Landbücher  des  Codex  Dip'lomaticus, 
welche  bei  den  Angelsachsen  bei  Übertragung  von  Land  und  bei 
der  Schaffung  sowohl  von  Proprietiitspfand  wie  Nutzpfand  an 
Immobilien  in  Gebrauch  waren4). 


■)  Savigny,  Geschichte,  II,  S.  170,  171:  Holland,  a.  a.  O.,  III,  S.  38, 
39;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXXI,  XXXII.  Vergl.  die  An- 
sicht von  Ainos,  a.  a.  ().,  S.  443,  444:  „Nevcrtheless,  it  is  rcinarkable  timt, 
from  the  time  of  the  withdrawal  of  the  Romans  tu  thc  complcte  scttlemcnt 
of  thc  Normans,  a periud  of  some  seren  hundred  ycars . theru  is  scarcely 
to  be  found  any  token  of  the  influcncc  or  of  the  knowledge  of  Koinan  law. 
The  Roman  influcncc  seems  to  have  expired  suddenly  in  Britain,  in  a way 
uh  ich  is  not  witncssed  in  those  countries  where  the  Roman  govcmment 
was  mercly  displaced  by  the  governments  of  the  barbarians.  Thcrc  was 
no  secondary  influence  of  the  Theodosian  Code  and  of  the  great  jurists  of 
the  Antonine  age  through  Iiarbarian  Codes;  and  thc  diffusion  of  thc  Justininn 
Compilation  could  not  cxtend  to  Britain.  Tlius,  though  it  is  probable  that 
Roman  ideas  and  institutions  really  surrived  in  one  form  or  anothcr  to  an 
extcnt  which  has  not  yct  bcen  traced,  yct  distinct  allusions  to  Roman  law 
are,  throughout  the  whole  period,  as  rare  as  possible,  . . .“ 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXXII.  Maitland,  Traill’s 
Social  England,  2.  Aull.,  I,  S.  173:  „From  the  days  of  AKthelbert  onwards 
Englieh  law  was  under  the  influence  of  so  much  of  Roman  law  ns  had  work- 
ed  itself  into  thc  tradition  of  the  Catholic  Church“.  Siehe  ferner  unsere 
Bemerkungen  über  die  Entwickelung  des  angelsächsischen  Wettvertrages, 
unten  im  ersten  Buch. 

*)  Sieho  oben  S.  4 ff. 

4)  Siehe  unsere  Ausführungen  im  ersten  Buch;  Brunner,  Zur  liochts- 
gesch.  der  röm.  und  gcrm.  Urkunde,  S.  194 — 198;  Scrutton,  a.  a 0.,  S.  G5; 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  1,  XXXII,  XXXIII.  Maitland,  a.  a.  0., 
I,  S.  173:  „The  written  conveyancc  was  introduccd  along  with  Ohristianity: 

Jr 


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20 


Die  normannische  Eroberung  brachte  noch  weitere  römische 
Elemente;  denn  die  Rechte  und  Institutionen  der  Normannen  waren 
in  der  Hauptsache  fränkisch  und  schlossen  an  römischen  Rechts- 
bestandteilen alles  das  in  sich,  was  die  Franken  bereits  sich  zu 
eigen  gemacht  hatten'). 

Eine  andersartige  Übernahme  erfolgte  mit  der  Wiederauf- 
nahme des  Studiums  des  römischen  Rechts  in  Italien,  wie  solches 
in  den  Justinianischen  Büchern  vorgefunden  wurde.  Dieser  neue 
Einfluß  des  römischen  Rechts  auf  das  englische  Recht  begann  mit 
der  Zeit,  als  der  Rechtsgelehrte  Lanfranc*)  von  Pavia  von 
Wilhelm  dem  Eroberer  als  „Vertrauter  Berater“  nach  England 
gerufen  wurde.  Ungefähr  im  Jahre  1144  ließ  Theobald,  Erz- 
bischof von  Canterbury,  den  römischen  Juristen  Vacarius,  sowie 
einige  Rechtsbücher,  letztere  wahrscheinlich  aus  Bologna,  nach 
England  kommen.  Vacarius  lehrte  römisches  Recht,  und  es  wird 
angenommen  zu  Oxford.  Er  schrieb  auch  ein  Buch,  wahrscheinlich 
um  1149,  zum  Gebrauch  für  arme  Studenten,  welche  nicht  in  der 
Lage  waren,  sich  den  römischen  Text  zu  beschaffen.  Ein  Abriß 
des  Codex  Justinians,  erläutert  durch  Auszüge  aus  den  Digesten, 
war  lange  Zeit  unter  dem  Titel  „Liber  Pauperum“  rühmlichst 
bekannt;  ferner  schrieb  er  Abhandlungen  über  Theologie  und 
kanonisches  Recht5).  Nach  nicht  allzu  langer  Zeit  wurde  Vacarius 

to  all  seeming  AEthelbert  himself  began  thc  practice  of  ,booking‘  land.t  to 
the  churchcs  . . . For  thc  more  part  they  [land  books]  are  written  in  Latin , 
and  they  wcre  fashionod  after  Italian  modelt:  but  at  the  samc  time  wo  can 
sec  that  thosc  modelt  havc  bccn  barbarisud  and  misunderstood ; thc  English 
scribcs  pervert  thc  ncat  dcviccs  of  Ruinan  lawyers“. 

')  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXXIII. 

*)  Über  Lanfranc's  juristische  Oarrierc  siehe  einen  Artikel  von 
William  Hunt  in  Dictionary  of  National  Biography,  XXXII,  S.  83  — 83 
und  die  dort  citiertcn  Quellen. 

3)  Liebermann,  Magister  Vacarius,  Eng.  Hist.  Review,  XI.,  S,  305  bis 
314,  514,  515  (siehe  Liebermann,  Vacarius:  A Correction,  E.  H.  K.,  XIII, 
297);  Holland,  a.  a.  0.,  III,  8.  39;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I, 
S.  XXXIII,  XXXIV,  118,  119.  Maitland,  Magistri  Vacarii  Summa  de 
Matrimonio,  S.  3,  sagt  daselbst,  daß  „in  all  probability  he  camc  to  England 
as  early  as  1148,  and  was  living  here  as  lato  as  1198“.  Größere  Teile  des 
„Liber  Pauperum“  sind  veröffentlicht  von  Wenck  in  seinem  Magister  Va- 
carins  (Leipzig,  1820).  Eine  Besprechung  des  Liber  Pauperum  ist  zu  linden 
bei  Savignv,  Geschichte,  III,  S.  47C,  477,  488:  IV,  422—430.  Pollock 


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•21 


das  Lehren  von  Stephen  untersagt  und  der  Besitz  römischer  Rechts- 
bücher wurde  als  strafbar  angesehen.  Nichtsdestoweniger  wurden 
aber  bald  das  römische  und  das  kanonische  Recht  in  England 
mehr  und  mehr  studiert  und  in  Oxford  erstand  eine  blühende 
Schule  für  beide  Rechte.  Auch  kamen  einige  wissenschaftliche 
Originalarbeiten  in  England  zustande.  Z.  B.  sind  die  Erläute- 
rungen des  Vacarius  wiederum  durch  seine  Schüler  glossiert  worden. 
Ein  Handbuch  über  den  Gerichts prozeß  wird  dein  William 
Longchamp  zugeschriebon ’).  Der  Kanoniker  Richardus  Angli- 
cus,  der  mehrere  Bücher  schrieb,  darunter  Ordo  judiciarius 
und  Distinctiones  super  Decretis*),  war  ein  Engländer. 
William  of  Drogheda  lehrte  römisches  Recht  zu  Oxford  und 
schrieb  Libellus  de  judiciorum  ordine5).  Englische  Könige 
folgten  dem  Beispiele  des  Eroberers  und  hielten  sich  Juristen, 
welche  in  den  beiden  Rechten  bewandert  waren,  als  Ratgeber*). 
Der  Einfluß  des  römischen  Rechts  tritt  in  der  Literatur  des  ge- 
meinen Rechts  zu  Tage,  so  bei  Glanvill,  Bracton,  Flcta, 


and  Maitland.  a.  a.  0.,  I,  S.  119,  Anm.  2,  sagen,  daß  ein  ausführlicher 
Bericht  über  ein  zu  Worcester  befindliches  Manuskript  desselben  bis  jetzt 
noch  nicht  gegeben  wurde.  Hierüber  und  über  andere  unveröffentlichte 
Manuseriptc  des  Vacarius  s.  Liebermann,  Magister  Vacarius,  Eng.  Hist. 
Kev.,  XI,  S.  314.  Betreffs  Vacarius’  Traktat  über  das  Eherccht,  siehe  Mait- 
land, Magistri  Yacarii  Summa  de  Matrimonio,  L.  Q.  14.,  (1897).  Über  Va- 
carius und  seine  Zeitgenossen  in  England  und  Frankreich  siche  Savigny, 
Geschichte,  IV,  S.  411  - 443.  Die  wichtigste  der  neueren  Forschungen  über 
Vacarius  ist  die  oben  citiortc  von  Liebcrmann.  Siehe  auch  Stubbs,  Eng. 
Const.  Hist.,  (1897),  I,  S.  532:  Stubbs,  Lcctures,  (1900),  S.  138,  157-161, 
348  —353:  Holland,  The  Origin  of  the  University  of  Oxford,  E.  H.  II.,  VI, 
S.  243,  244. 

')  Liebermann,  E.  H.  K.,  XI,  S.  310,  31 1 ; Hollan  d,  a.  a.  0.,  III, 
S.  39;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  118—122:  t'aillomer,  Lc 
Droit  Civil  dans  les  Provinees  Anglo-Normandes  au  XIle  Siede,  S.  15  bis  50. 
„Practica  legum  et  Decretorum,  edita  a Magistro  W.  de  Longo  Campo“,  wird 
herausgegeben  von  Caillemer,  a.  a.  0.,  S.  50  — 72.  Eine  ausführliche  Be- 
schreibung von  Longchamps  Laufbahn  ist  zu  finden  in  Stubbs’s  Einleitung 
zu  Chronica  Magistri  liogeri  de  Houedene,  Band  III. 

*)  Schulte,  Geschichte  der  Quellen  und  Literatur  des  Canonischcn 
liechts,  I,  S.  183 — 185. 

*)  Schulte,  a.  a.  0.,  II,  8.  113. 

*)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S,  121,  122. 


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00 


Britton').  Von  der  Ankunft  des  Vacarius  bis  zur  Mitte  des 
dreizehnten  Jahrhunderts  — etwas  Aber  ein  Jahrhundert  — wurde  das 
englische  Recht  von  der  neuen  Strömung  römischer  Rechtsgelehrsam- 
keit „geformt  und  modifiziert“.  Das  römische  System,  ganz  besonders 
aber  das  Recht  Aber  Zivilprozesse  trug  zur  rationellen  Entwicke- 
lung des  englischen  Rechtes  bei.  „Z.  B.  wurde  das  ,assize  of 
novel  disseisin1  durch  die  actio  spolii  angeregt,  doch  ist  es 
nicht  die  actio  spolii  selbst.  Das  englische  Recht  zeigte  sich 
stark  genug,  fremde  Ideen  sich  zu  eigen  zu  machen  und  dieselben 
seinen  eigenen  Zwecken  anzupassen.  Eine  Gefahr  für  eine 
, Rezeption1  des  römischen  Rechts  in  großem  Maßstabe  war  nicht 
vorhanden.  Seit  den  Tagen  zu  Clarendon  ist  es  klar,  daß  wir 
eine  Menge  consuetudines  haben,  welche  gegen  die  leges  und 
canones  aufrecht  erhalten  werden  müssen.  Bei  den  Richtern 
des  Königs,  besonders  bei  solchen,  die  Geistliche  waren,  wurde 
das  Interesse  fAr  die  Aufrechterhaltung  eines  Systems  wach,  das 
sie  ganz  und  gar  ihr  eigen  nennen  durften.  Von  Zeit  zu  Zeit 
versuchten  es  die  Gelehrtesten  unter  ihnen,  sich  eine  ausländische, 
d.  h.  italienische  Akkuratesse  und  Eleganz  zum  Muster  zu  nehmen; 


')  Siche  Güterbock,  Henrieus  de  Bracton  und  sein  Verhältnis  zum 
römischen  Kecht:  Maitland,  Bracton  and  Azo  (Seid.  Soc.);  Thaycr,  a,  a.  0. 
S.  418,  Anm.  3;  Scrutton,  a.  a.  0.,  S.  74 — 124;  Hollan  d,  a.  a.  O.,  III,  S.  39. 
Muitlanjd,  a.  a. O.,  S,  XXIII,  XXIV:  „Nor  is  it  for  one  moment  suggested, 
tliat  Bracton  and  bis  predecessor  Glanvill  derived  no  bonetit  from  the  books 
of  the  legists  and  canonists.  On  the  contrary,  the  benefit  that  they  derived 
was  inestimably  great.  They  leamt  how  to  write  about,  how  to  think  about, 
law,  and  besides  this  they  acquired  sowie  fertile  ideas,  distinctions  and 
uiaxims,  which  they  made  their  own  and  our  own.  In  a very  true  sense 
Bracton  is  most  Bonian,  not  when  he  is  copying  from  the  Institutes  or  from 
Azo’s  Summa,  but  when  he  is  studying  his  Note  Bock,  when  he  is  weaving 
a dnetrine  out  of  tho  plea  rolls,  when  he  is  dealing  with  the  jndgments 
of  Pateslmll  and  Haleigh  as  Azo  had  dealt  with  the  opinions  of  lllpian  and 
Paulus,  or  the  glosses  of  Martin  and  Placentin.  It  is  then  that  wo  sce 
what  tho  revived  jnrisprudcnce  of  Borne  has  done  for  Knglish  law“.  Siehe 
ferner  Maitland,  a.  a.  0.,  S.  250;  Maitland,  Bracton’s  Note  Book. 
Scrutton  a.  a.  0.,  S.  194:  „Bracton’s  great  treatise  contains  much  Bonian 
matter  and  tcrminology , but  his  knowledgo  of  the  civil  law  was  only  that 
of  every  clerical  jtldge,  (and  they  were  many),  of  his  Century*.  Pollock 
and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  207,  schließen,  daß  Bracton’s  Buch  zum  größten 
Teil  „Komanesque  in  form,  Knglish  in  substance“  ist. 


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23 


sie  entliehen  Ausdrücke  und  Definitionen  und  gelegentlich  sogar 
Rechtsregeln;  doch  durfte  ein  Zwang  von  aussen  her  nicht  statt- 
finden. Die  Gesetze  des  römischen  Reichs  als  solche  waren  in 
England  ausser  Kraft;  das  kanonische  Recht  hatte  seinen  eigenen 
Wirkungskreis  und  mußte  sich  auf  diesen  beschränken').“ 

In  der  Tat  muß  es  eine  der  wichtigsten  Fragen  in  der 
englischen  Geschichte  sein,  warum  der  schnellen  und  kraftvollen 
Flut  römischen  Einflusses  im  frühen  Mittelalter  eine  „ebenso 
schnelle  Ebbe“  folgte1).  Trotz  dieser  Abnahme  blieb  aber  ein 
gewisser  Einfluß  des  römischen  Rechts  auf  das  englische  Recht 
und  die  englische  Rechtsliteratur  bestehen  und  dieser  Einfluß  hat 
sich  mit  einigen  Unterbrechungen  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten3). 
Unter  Alberico  Gentili  (gegen  Ende  des  sechzehnten  Jahr- 
hunderts) machte  sich  zu  Oxford  ein  Aufleben  des  Interesses  für 
das  Studium  des  römischen  Rechts  bemerkbar,  doch  gegen  die 
Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts  hatte  man,  wie  es  schien,  das 
akademische  Studium  des  römischen  Rechts  vollständig  aufgegeben 
und  es  wurde  tatsächlich  erst  in  unseren  Tagen  wieder  auf- 

')  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXXIV,  134,  135.  Sieht) 
Stubbs,  Medieval  and  Modern  Historv,  S.  349.  Eine  interessante  Streit- 
frage hat  sich  vor  Kurzem  in  England  darüber  erhoben,  ob  die  englischen 
geistlichen  Gerichte  vor  der  Reformation  gezwungen  waren,  nach  dem  kano- 
nischen Rechte  zu  urteilen.  Die  herrschende  Ansicht  ist,  daß  „the  authorily 
given  to  the  Corpus  Jnris  Canonici  in  practice  was  rather  of  the  nature  of 
scientific  jurisprudence  than  of  recognized  acccpted  and  enacted  law“. 
Siehe  Stubbs,  Lectures,  S.  335—383,  über  .The  Historv  of  the  Canon  Law 
in  England“.  Eine  andore  Ansicht,  kürzlich  von  Prof.  Maitland  in  seinen 
Schriften  „Roman  Canon  I.aw  in  the  Church  of  England“  (1898)  und  „Canon  Law 
in  England:  A Reply  to  Dr.  Mac  Coli“,  E.  H.  R.,  XVI,  S.  35 — 45  (1901)  aus- 
gedrückt, geht  dahin,  dali  das  kanonische  Recht  — wenigstens  Liber  Extra, 
Sextus  und  die  Clcmentinen  — nicht  nur  Beachtung  gefunden  hatte,  sondern 
von  den  geistlichen  Gerichten  in  England  als  „absolutely  binding  statutory 
law“  angesehen  wurde.  Siehe  hierüber  Stubbs,  Lectures,  (1900),  S.  335, 
336  und  Mac  Coli,  The  Reformation  Settlement  (1901).  Siehe  auch  Mait- 
lands  Abhandlung  über  „Canon  Law“,  Renton’s  Encyclopaedia,  II,  S.  354 
bis  359:  Holdsworth,  History  of  English  Law,  I,  S.  352  ff.  Vcrgl.  unten 
S.  25,  Anm.  2. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  XXXIV.  Scrutton,  a.  a.  0., 
S.  194:  „The  Roman  Law  became  not  only  a subjoct  of  distrust,  owing  to 
the  conflicts  between  King  and  Pope;  it  even  dropped  into  oblivion“. 

*)  Siehe  Scrutton,  a.  a.  0. 


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24 


genommen1).  Das  englische  Recht  war  widerstandsfähig  genng, 
die  Periode  der  Renaissance  zu  überdauern  und  von  einer  Rezeption 
des  römischen  Rechts  verschont  zu  bleiben,  letzteres  hauptsächlich 
durch  das  Lehren  des  englischen  Rechts  in  den  Inns  of  Court*). 
Bereichert  durch  das  römische  System,  ist  das  englische  Recht 
trotzdem  englisch  geblieben  und  ist  auch  jetzt  noch  ein  besonderes 
System  für  sich. 

Diese  Befruchtung  des  englischen  Systems  durch  römische 
Prinzipien  ist  auf  verschiedene  Weise  vor  sich  gegangen.  Selbst 
Richter  an  den  Common  Law  Courts,  den  Gerichten,  welche,  wie 
wir  soeben  gesehen  haben,  zuerst  von  dem  direkten  Einfluß  des 
römischen  Rechts  befreit  wurden,  haben  sich  bei  ihren  Entschei- 
dungen von  römischen  Prinzipien  beeinflussen  lassen,  ganz  be- 

')  Holland,  a.  a.  0.,  III,  8.  40,  41.  Holland,  a.  a.  0.  weist  hin  auf 
,tlie  Stimulus  given  to  the  intelligent  study  of  Roman  law,  and  to  its  appli- 
cation  to  the  then  rudimentary  law  of  nations,  by  the  teaching  at  Oxford 
of  Alberico  (Jentili,  who  had  brought  thither  the  solid  leaming  and  systematic 
methods  which  he  had  himsclf  acquired  from  a distinguished  group  of 
Professors  at  Perugia“.  Holland  spricht  von  einem  „marrcllous  revival* 
des  Studiums  des  römischen  Hechts  an  den  englischen  Universitäten  und  in 
den  Inns  of  Court  während  des  letzten  Viertels  des  neunzehnten  Jahrhunderts. 

*)  Maitland,  Knglish  Law  and  the  Renaissance,  S.  35,  sagt  daselbst, 
dali  .Knglish  law  Schools  saved,  but  isolated,  Knglish  law  in  the  days  of 
the  Keccption“.  Und  S.  26 — 28:  . . . . no  Knglish  institutions  arc  morc 
distinctivcly  Knglish  than  the  Inns  of  Court:  of  none  is  the  origin  morc 
obscure  . . . Unchartered,  unprivileged,  unendowed,  without  remembered 
founders,  these  groups  of  lawyors  fonned  themsclvcs  and  in  course  of  time 
cvolved  a scheine  of  legal  education:  an  academic  schcme  of  the  medieval 
sort,  oral  and  disputatious.  For  good  and  ill  that  was  a big  achicvemcnt: 
a big  achievement  in  the  history  of  some  undiscovered  continents.  We  may 
well  doubt  whether  aught  eise  could  have  saved  Knglish  law  in  tlie  Age  of 
the  Renaissance.  VVhat  is  distinctivc  of  medieval  England  is  not  parliament, 
for  we  may  evcrywhere  see  assemblies  of  Estates,  nor  trial  by  jury,  for  this 
was  but  slowly  suppressed  in  France.  But  the  Inns  of  Court  and  the  Year 
Books  that  wlicre  read  Hierein,  we  shall  hardly  lind  their  likc  elsewherc.  At  all 
ovents  let  us  notice  that  where  I.ittleton  and  Fortescue  lectured,  there  Robert 
Rede  lecturcs,  Thomas  More  lcctures,  Edward  Coke  lectures,  Francis  Bacon 
lecturcs,  and  highly  tecbnical  were  the  lecturcs  that  Francis  Bacon  gave. 
Now  it  would,  so  I think,  be  difficult  to  conceive  any  scheuie  better  suited 
to  harden  and  toughen  a traditional  body  of  law  than  one  which,  whilo  books 
were  still  uncommon,  compelled  every  lawyer  to  take  part  in  legal  edn- 
cation  and  every  distinguished  lawyer  to  read  public  lcctures“. 


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25 


gonders  vielleicht  Holt  und  Mansfield1 * * *).  Scrutton  sagt  be- 
züglich der  Schriften  der  gemeinrechtlichen  Juristen,  z.  B.  Coke, 
Haie  und  Blackstone,  „while  there  is  knowledge  of  the  Law 
of  Korne,  there  is  also  a clear  definition  of  its  position,  as  of  no 
force  in  England,  unless  as  adopted  by  the  English  law,  or  in 
particular  courts  where  its  authority  was  recognized  by  English 
jurisprudence“  *).  An  jenen  Gerichten  aber,  welche  eine  besondere 
und  streng  abgegrenzte  Jurisdiction  hatten,  wie  die  geistlichen 
Gerichte,  das  Gericht  des  Lord  High  Admiral,  das  Gericht  des 
Constable  and  Marshai,  die  Gerichte  der  zwei  Universitäten  Oxford 
und  Cambridge,  hatte  das  römische  System  „freies  Spiel“,  wenn- 
schon sie  von  den  beiden  Gerichtshöfen  zu  Westminster  an  jedem 
Versuche  zu  größerer  Machtentfaltung  verhindert  wurden5).  Der 
bedeutendste  Einfluß  des  römischen  Rechts  aber  bei  der  Bereiche- 
rung des  Rechts  in  England  seit  den  Tagen  Bractons  ist  vielleicht 
zu  ersehen  in  der  Entwickelung  des  Systems  des  Equity  Law  (im 
Gegensatz  zum  Common  Law)  bei  dem  Court  of  Chancery,  wo 
von  den  reichen  Quellen  des  römischen  Rechts  freier  Gebrauch 
gemacht  wurde*). 

Es  liegt  jenseits  des  Zwecks  der  gegenwärtigen  Forschung, 
einen  Versuch  zur  Feststellung  jener  Regeln  und  Institute  des 


l)  Siebe  Holland,  a.  a.  Ü.,  III,  S.  39,  40;  Scrutton,  a.a.0.,  S.  152-195. 

*)  Scrutton,  a.  a.  O.,  S.  194.  Haie,  History  of  the  Common  Law, 
S.  24,  25:  „Hut  all  the  strength  that  oitber  the  papal  or  imperial  laws  have 
obtained  in  this  kingdom,  is  only  because  they  have  been  receivod  and  ad- 
mitted,  cither  by  the  consent  of  p&rliamcnt,  and  so  aro  part  of  the  Statute 
laws  of  the  kingdom;  or  eise,  by  immemorial  usago  and  custom  in  somc 
particular  cases  and  conrts,  and  no  otherwise.  And  tbereforc,  as  far  as 

such  laws  are  received  and  allowed  of  herc,  so  far  they  obtain  and  no 
farther;  and  the  authority  and  force  they  hare  herc  is  not  founded  on,  or 
derived  front  themselves.  For  they  bind  no  more  with  us  than  our  laws 
bind  in  Home  or  Italy.  But  their  authority  is  founded  merely  on  their 
being  admitted  and  received  by  us,  which  alone  gives  them  their  autorita- 
tive essence,  and  qualiiies  their  Obligation“.  Vergl.  oben  S.  23,  Anm.  1. 

*)  Siche  die  oben  Anm.  1 citierte  Literatur.  Vgl.  auch  Ho lds worth, 
History  of  English  Law,  I,  S.  313  ff. 

*)  Siehe  Scrutton,  a.  a.  0.,  S.  152 — 1G2;  Spenco,  Equitablc  Juris- 
diction; Kerly,  An  Historical  Sketch  of  the  Kquitable  Jurisdiction  of  the 
Court  of  Chancery.  Uber  die  Geschichte  des  Court  of  Chancery  siehe  auch 
ferner  Holdsworth,  History  of  English  Law,  I,  S.  194 — 2G3. 


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englischen  Reehtssysems  zu  machen,  welche  in  ihrem  Ursprünge 
auf  das  römische  oder  kanonische  Recht  zurückzuführen  sind. 
Dies  Gebiet  der  Rechtsgeschichte  verlangt  eine  ausführliche  Be- 
handlung und  eine  solche  würde  uns  zu  weit  führen1). 

Zweites  Kapitel. 

Das  objektive  Recht. 

Das  objektive  Recht  zerfällt  in  folgende  Hauptabteilungen: 
I.  „Statute  law“  (Gesetzesrecht),  „common  law“  (Gewohnheitsrecht) 
und  „conventionary  law“  (lex  contractus)  und  H.  „common 
law“  (gemeines  Recht)  und  „equity“  (Billigkeitsrecht)9). 

I.  a)  Statute  law  (Gesetzesrecht).  Dies  ist  derjenige  Teil 
des  Rechts  welcher  durch  Gesetze  festgelegt  ist.  Einzelne  Statutes 
haben  eine  höchst  wichtige  Rolle  in  der  englischen  Rechtsgeschichte 
gespielt  (z.  B.  die  zwei  Statutes  of  Westminster,  das  Statute  of 
quia  emptores,  das  Statute  of  Merchants  und  das  Statute  of 
Uses),  obgleich  eine  Koditizierung  niemals  vorgenommen  wurde. 

b)  Common  law,  gemeines  Recht  im  Sinne  des  Gewohnheits- 
rechts *),  hat  zur  wichtigsten  Erkenntnisquelle  die  Praxis  der  Ge- 

*)  Außer  der  in  diesem  Kapitel  citierten  Literatur  siehe  ferner  über 
den  Einfluß  des  römischen  und  kanonischen  Hechts  auf  das  englische  Recht: 
Gundermann,  Englisches  Privatrecht,  S.  91  — 109:  Duck,  De  Usu  et 
Authoritate  Juris  Civilis  Romanorum  in  Dominiis  Principum  Christianorum, 
Lib.  2,  Cap.  VIII — X:  [Coote],  Sketches  of  the  Lives  and  Characters  of 
Eminent  English  Civilians;  und  die  Literatur  bei  Scrutton  in  „Influcnce 
of  the  Roman  Law  on  the  Law  of  England“.  Es  sollte  nicht  unterlassen 
werden,  die  Behandlung  dieses  Gegenstandes  bei  Pollock  and  Maitland, 
History  of  English  Law,  in  Betracht  zu  ziehen. 

’)  Die  Bezeichnung  „Common  Law“  ist  auf  dreierlei  verschiedene  Weise 
zu  verstehen:  1.  im  Gegensatz  zu  „Statute  Law“,  2.  im  Gegensatz  zu  „Equity“ 
und  3.  im  Gegensatz  zum  römischen  Rechtssystem : im  letzteren  Sinne  schließt 
das  Common  Law  das  Equityreclit  in  sich.  Digby,  Hist.  Real  Prop.,  S.  65, 
Anm.  2.  Cher  den  Gebrauch  der  Bezeichnung  „common  law“  (ins  commune, 
lex  communis,  commun  droit,  commune  lei)  im  Gegensatz  zu  anderen 
Rechtsausdrüeken  in  englischen  mittelalterlichen  Quellen  siche  besonders 
Pollock  and  Maitland  a.  a.  0.,  I,  S.  176—178.  Über  „written  law“  und 
„unwritten  law“  s.  Pollock,  Jurisprudcnce,  S.  233 — 240:  über  „common  law“ 
(jus  commune)  und  „special  law“  (jus  speciale)  siehe  Salmond, 
Essays,  S.  90—99. 

3)  Siche  Pollock,  Jurisprudcnce,  S.  240  — 243,  über  „common  law“  als 
„custom  of  the  realm“.  Vgl.Pollock,  Expansion  of  the  Common  Law,  S.44Ü. 


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richte  (Entscheidungen,  Präjudizien,  — decisions,  prccedents). 
In  der  Tat  sind  die  Entscheidungen  der  (Jerichte  der  Hauptfaktor 
in  der  Entwickelung  des  Rechts  gewesen,  obgleich  im  neunzehnten 
Jahrhundert  die  Bedeutung  der  Gesetzgebung  in  bemerkenswertem 
Grade  zugenommen  hat.  Die  drei  alten  Gerichtshöfe  des  common 
law  (gemeinen  Rechts)  waren:  King’s  Bench,  Common  Pleas  und 
Exchequer.  Zu  dem  gemeinen  Gewohnheitsrecht  (general  customs, 
common  law)  kommt  noch  das  partikuläre  Gewohnheitsrecht  (par- 
ticular  customs);  dies  ist  teils  „local  custom“,  Observanz  (z.  B. 
das  „custom  of  gavelkind“  in  Kent,  wonach  alle  Söhne  erben, 
nicht  nur  der  älteste),  teils  das  von  einzelnen  Spezialgerichtshöfen 
(z.  B.  den  geistlichen  Gerichten,  der  Admiralty)  ausgebildete,  für 
einzelne  Personenklassen  oder  Materien  geltende  Recht  (z.  B.  die 
lex  mercatoria  so  lange  und  soweit  sie  einen  besonderen  Teil 
desjenigen  Rechts  verkörperte,  welches  vom  bürgerlichen  Recht 
verschieden  war,  ein  Zustand,  der  nicht  mehr  existiert).  Particu- 
läre  Gewohnheiten  derogieren  gemeinem  Gewohnheitsrecht  und  sind 
strikt  auszulegen;  dagegen  dringen  sie  gegen  ein  general  Statute 
überhaupt  nicht  durch '). 

c)  Convention ary  law  (lex  contractus)  war  im  Mittel- 
alter  derjenige  Teil  des  Rechts,  der  aus  dem  Abschluß  von  Ver- 
trägen sich  ergab.  Gleich  dem  Gewohnheitsrecht  derogierte  nach 
Ansicht  der  Juristen  des  Mittelalters  ancli  ein  Vertrag  dem  ge- 
meinen Recht,  d.  h.  ist  special  law.  Sahnond  äußert  sich  hierzu 
wie  folgt:  „In  our  early  law  an  agreement  was,  in  general,  rc- 
garded  not  as  title  conferring  rights  or  creating  obligations  at 
common  law,  but  as  itself  the  origin  of  a rule  of  special  law 
excluding  the  common  law,  just  as  a local  custom  did.  Again 
and  again  we  find  the  expression  specialis  conventio  contra 
jus  commune*).  So:  Modus  tenendus  est  contra  jus 
commune  et  contra  legem,  quia  modus  et  conventio  vin- 
cunt  legem*).  This  idea  is,  indeed,  the  origin  of  the  term 
specialty,  as  applied  to  a deed.  The  term  expresses  the  idea  of 
special  law  as  opposed  to  common  law;  a deed,  as  evidence  of 

')  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  801,  805,  806.  Vgl.  ferner  Pollock,  Ex- 
pansion of  the  Common  Law,  S.  47  IT.,  117  ff. 

*)  Bracton , f.  48 b. 

*)  Bracton,  f.  17b. 


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such  a nile  of  special  law,  came  tn  he  calleil  a special ty:  Es- 
pecialte  qc  defet  comune  droit“1).  l)a  das  gemeine  Recht 
einem  Fremden  das  Recht  absprach,  einen  tenant  zur  Verrichtung 
von  Diensten  zwingen  zu  können,  so  hatte  ein  Vertrag,  der  zu 
Diensten  an  Fremde  verpflichtete  (z.  B.  die  Schaffung  eines  rent- 
charge)  die  Priorität  vor  dem  gemeinen  Recht,  contra  jus  com- 
mune. Jedoch  wurde  nicht  jedem  Vertrage  die  Qualifikation 
einer  neuen  Rechtsregel  des  special  law,  durch  welche  das  ge- 
meine Recht  ausser  Kraft  gesetzt  wurde,  zuerkannt.  Da  z.  B. 
das  gemeine  Recht  anerkannte,  daß  mit  dem  Lehen  auch  Dienste 
verbunden  waren,  die  Bestimmung  über  die  Art  dieser  Dienste 
jedoch  einem  Vertrage  zwischen  dem  Grundherrn  und  dem  Lehns- 
manne überließ,  so  wurde  ein  solches  Abkommen  über  Lehnsdienste 
(„rent-service“)  als  eine  Ergänzung,  nicht  aber  als  eine  Derogation 
des  gemeinen  Rechts  angesehen*). 

II.  „Common  law“  bedeutet  ebenfalls  gemeines  Recht  zum 
Unterschied  von  „Equity“  (Billigkeitsrecht).  Das  Common  Law 
im  Sinne  des  gemeinen  Rechts  setzt  sich  in  der  Hauptsache  aus 
den  Rechtsregeln  und  Prinzipien  zusammen,  welche  sich  bei  dem 
alten  Königsgericht  und  seinen  drei  Unterabteilungen,  dem  Court 
of  King’s  Bench,  dem  Common  Pleas  und  dem  Exchequer  ent- 
wickelt haben3).  Equity  dagegen  bedeutet  jene  Gesamtheit  von 
Rechtsregeln  und  Prinzipien,  die  sich  beim  Kanzleigericht  in  der 
Ausübung  seiner  billigkeitsrechtlichen  Jurisprudenz  entwickelt 
haben.  Jede  Gesamtheit  von  Rechtsregeln  ist  ein  Teil  des  eng- 
lischen Rechts,  jedoch  ist  der  Ursprung  der  Regeln  des  Equity- 
rechts  viel  späteren  Datums  als  derjenige  des  gemeinen  Rechts, 
dessen  Uranfänge  in  den  alten  Gebräuchen  des  Landes  zu  suchen 
sind.  Gleich  dem  römischen  Billigkeitsrecht  des  Praetors  diente 
auch  das  englische  zur  Milderung  der  Härte  eines  alten  und 
strengen  Rechtssystems;  jedoch  wurde  in  England  die  Gerichtsbarkeit 
nach  Billigkeitsrecht  von  einer  besonderen  Gattung  von  Gerichten, 
deren  oberster  der  Court  of  Chancery  war,  ausgeübt.  Mit  der 
Zeit  erwarb  der  Court  of  Chancery  genügend  Macht,  um  seine 

')  Y.  B.,  4 Ed.  II,  102. 

*)  Salmond,  a.  a.  0„  S.  93,  94.  Siehe  auch  Salmond,  Jurisprudence, 
(1902),  S.  41,  42,  103,  105,  109,  über  „conventional  law“. 

*)  Williams,  Beai  Property,  S.  9,  Anm.  (c). 


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Urteile  vollstrecken  zu  können,  selbst  wenn  sie  im  Widerspruch 
mit  dem  gemeinen  Recht  waren ; und  die  Regeln  des  Equityrechts 
wurden  so  bindend  und  genau  so  vollziehbar  durch  die  Voll- 
streckungsgewalt des  Staates,  wie  die  Regeln  des  gemeinen  Rechts. 
Wie  sich  vom  König  als  der  Urquelle  aller  Rechtssprechung 
die  Jurisdiction  des  gemeinen  Rechts  ableiten  läßt,  so  läßt  sich 
von  ihm  auch  diejenige  des  Court  of  Chancery  herleiten ').  Vor 
der  Entwickelung  des  Equityrechts  des  Königlichen  Kanzlers 
pflegte  in  der  Tat  das  alte  Königsgericht,  das  Gericht  des  gemeinen 
Rechts,  eine  Art  Equity-Gerichtsbarkeit  auszuüben;  als  Beispiel 
sei  hier  angeführt  das  billigkeitsrechtliche  Verfahren,  welches  dem 
Pfandgeber  zu  Glanvills  Zeiten  das  Einlösungsrecht  nach  dem 
Stichtage  (vgl.  „equity  of  redemption“)  gewährt,  dem  Pfand- 
gläubiger derselben  Zeit  aber  das  Recht,  eine  Verfallserklärung  zu 
erwirken  (vgl.  „decree  of  foreclosure“)  zuspricht*).  Ungefähr  im 
zweiundzwanzigsten  Jahre  der  Regierung  Eduards  III.  (1348) 
wurden  Gnadengesuche  an  den  König  dem  Kanzler  zur  Erledigung 
überwiesen;  nach  dieser  Zeit  scheinen  Petitionen  auf  Abstellung 
von  Mißständen,  gegen  welche  das  gemeine  Recht  nicht  einzu- 
schreiten vermochte,  statt  an  den  König  und  seinen  Rat,  an  den 
Kanzler  direkt  gerichtet  worden  zu  sein.  Zur  Zeit  James  I.  wurde 
vom  König  ein  für  alle  mal  bestimmt,  daß  das  Equitygericht  auch 
nach  ergangenem  Urteil  seitens  des  Common  Law-Gerichts  und 
entgegen  diesem  Beistand  gewähren  konnte.  Hierdurch  wurde  die 
Gerichtsbarkeit  nach  Billigkeitsrecht  für  das  Kanzleigericht  end- 
gültig eingeführt s).  Das  Verfahren  des  Equitygerichts  wich  von 
demjenigen  des  Common  Law  ab;  einige  seiner  wichtigsten  grund- 
legenden und  auffallendsten  characteristischen  Merkmale  leitete  es 
von  dem  Verfahren  des  kanonischen  Rechts  her4).  Das  Verfahren 

*)  Williams,  a.  a,  0.,  S.  9,  Anrn.  (o),  158,  159.  Siehe  ferner  Brunner, 
Entstehung  der  Schwurgerichte,  S.  37,  7G,  104,  147,  151,  152;  Gundermann, 
a.  a.  0.,  S.  376;  Lord  St.  Leonarda,  Property  Law,  S.  3—9;  Stubbs,  Eng. 
Const.  Hist.,  I,  S.  421, 422, 472—476:  Pollock,  Expansion  Com.  Law,  S.  67  ff. 

*)  Siche  Näheres  unten  im  zweiten  Buch. 

s)  Williams,  a.  a.  0.,  S.  159,  160. 

4)  Ashburner,  Principlcs  of  Equity,  S.  28  (unter  Citierang  Lang- 
dell’s  Einleitung  zu  seiner  „Summary  of  Equity  Picading“);  Williams, 
a.  a.  0.,  8.  160,  161;  Heymann,  a.  a.  0.,  8.801.  Vgl.  Köhler,  Beiträge 
zum  Civilprozeß,  S.  584  ff. 


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des  Billigkeitsgerichts  richtete  sich  gegen  die  Person,  gegen 
welche  Klage  geführt  wurde.  Der  Beklagte  wurde  aufgefordert,  vor 
Gericht  zu  erscheinen  und  sich  zu  verantworten  und  es  wurde  ihm 
befohlen,  sofern  es  für  nötig  befunden  wurde,  davon  abzustehen, 
seine  Rechte,  die  ihm  nach  dem  gemeinen  Rechte  zustanden,  aus- 
zuüben, wenn  solche  Ausübung  gegen  die  Prinzipien  des  Billig- 
keitsrechts verstieß.  Rechtsprechung  nach  Equity  wurde  nur  vom 
Kanzleigerichte  und  anderen  Billigkeitsgerichten  ausgeübt,  da  das 
Gericht  des  gemeinen  Rechts  einen  Anspruch  auf  Beistand  nach 
Billigkeitsrecht  nicht  anerkannte.  Zwischen  dem  Gerichtsverfahren 
nach  Equity  und  demjenigen  nach  Common  Law  bestand  insofern 
ein  großer  Kontrast,  als  nach  Equity  u.  A.  das  Verhör  von  nur 
einem  Richter  ohne  Jury  vorgenommen  werden  konnte  und  indem 
es  die  Naturalerfüllung  (specific  performance)  und  das  gerichtliche 
Verbot  (injunctions)  zuließ.  Bei  Urteilen  nach  gemeinem  Recht 
handelte  es  sich  meist  um  die  Zurückgabe  von  Grundstücken  oder 
einfach  um  Geld ').  Rechtsprechung  nach  Equity  wurde  frühzeitig 
dort  ausgeübt,  wo  die  Partei  ein  gutes  Recht  auf  Beistand  hatte, 
die  Rechtsmittel  des  Common  Law  jedoch  nicht  ausreichten,  und 
erst  nach  und  nach  entwickelte  sich  eine  Jurisdiction  nach  Equity  - 
recht,  welche  in  gewissen  Füllen  Rechtsschutz  verlieh,  wo  das 
gemeine  Recht  überhaupt  nichts  bieten  konnte  und  wo  daher  eine 
allzugroße  Strenge  obwaltete.  Zwei  der  wichtigsten  Beispiele  der 
Equity  - Jurisdiktion  sind  der  Rechtsschutz  im  Falle  von  Ver- 
trauensbruch (breach  of  trust)  und  nach  späterem  Equityrecht  der 
dem  Pfandschuldner  gewährte  Rechtsschutz  zur  Venneidung  des 
Verfalls  bei  Nichtzahlung  der  Schuld  am  Stichtage;  aus  der  letzteren 
Jurisdiktion  entstand  das  „equity  of  rederaption“,  das  Einlösungs- 
recht am  Pfand,  welches  nach  gemeinem  Recht  verfallen  war5). 
Die  Übertragung  von  Besitz  an  eine  Vertrauensperson  (trust)  und 
die  Pfandverschreibung  (mortgage)  sind  im  heutigen  englischen 
Recht  zwei  der  wichtigsten  Kapitel  der  Institution  des  Billigkeits- 
rechts *).  Erst  kurz  vor  der  Wiedereinsetzung  Karls  II.  wurde  das 

')  Siehe  Ashburncr,  a.  a.  0.,  S.  3—7;  Williams,  a.  a.  0.,  S.  160,  161. 
Über  das  Verhältnis  des  Equity  zum  Common  Law  s.  Ashburner,  a.  a.  0., 
S.  12-24. 

s)  Williams,  a.  a.  0.,  S.  161, 162.  Siehe  auch  Näheres  im  zweiten  Buch. 

*)  Siehe  unten  und  Ashburner,  a.  a.  0.,  8.  113—  222,  257 — 320. 


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Billigkeitsrecht  zu  einem  auf  festen  Prinzipien,  welche  auf  Grand 
früherer  Entscheidungen  aufgestellt  worden  waren,  beruhenden 
System  zusammengefaßt.  In  der  Tat  basiert  das  heutige  Billig- 
keitsrecht in  großem  Umfange  auf  den  Entscheidungen  des  Kanzlei- 
gerichts aus  der  Zeit  der  Amtstätigkeit  der  Kanzler  beginnend  mit 
Lord  Nottingham  (1073 — 1682)  bis  herunter  auf  Lord  Eldon 
(1801  — 1806,  1807 — 1827).  Equity  war  nunmehr  „eine  Gesamt- 
heit von  Rechtsfällen  geworden  und  seine  Gerichtsbarkeit  wurde 
ausgeübt  nach  den  Prinzipien  früherer  Entscheidungen,  die  jedoch 
moralisch  nicht  mehr  beeinflußt  werden  durften“.  Im  Jahre  1875 
hörte  das  alte  Kanzleigericht  zu  existieren  auf.  Durch  die  Judi- 
cature Acts  aus  den  Jahren  1873  — 75  wurde  die  Jurisdiction 
dieses  Gerichts  zusammen  mit  derjenigen  der  alten  Courts  of  Common 
Law  auf  ein  neues  Gericht  übertragen , 'nämlich  auf  den  High  Court  of 
Justice.  Gemäß  diesem  neuen  Gesetze  soll  Recht  gesprochen  werden 
sowohl  nach  Common  Law  wie  nach  Equity  in  allen  Abteilungen  dieses 
neuen  Gerichts  und  vor  dem  Appellationsgerichte  (Court  of  Appeal), 
welches  zur  selben  Zeit  geschaffen  wurde.  Im  Falle  eines  Konflikts 
zwischen  den  Regeln  des  gemeinen  Rechts  und  denjenigen  des  Equity- 
rechts  soll  das  Equityrecht  die  Priorität  haben.  Die  beiden  Systeme  des 
gemeinen  Rechts  und  des  Billigkeitsrechts  sind  daher  seit  1875  zwar 
nicht  aufgehoben,  werden  aber  beide  von  demselben  Gerichte  an- 
gewandt. Der  Effekt  der  Judicature  Acts  soll  nicht  der  sein,  eine 
Änderung  in  der  Natur  der  subjektiven  Rechte  nach  Billigkeit 
(equity  rights)  als  solcher,  die  denen  nach  Common  Law  (legal  rights) 
entgegenstehen,  herbeizuführen,  sondern  es  soll  durch  die  Juris- 
diction nur  eines  Gerichts  dieselbe  Priorität  der  equity  rights  über 
die  legal  rights,  wie  sie  früher  beim  Kanzleigerichte  allein  existierte, 
gesichert  werden  *)•  Einige  der  leitenden  Grundsätze  des  Systems 
der  Billigkeit  sind  ihrer  Natur  nach  germanisch;  und  der  ausschlag- 
gebende Kontrast  zwischen  dem  gemeinen  Recht  und  dem  Billig- 
keitsrecht besteht  in  dem  Gegensatz  zwischen  Volksrecht  und 
Amtsrecht.  Gerade  dieses  System  der  Billigkeit,  dieses  jus 
honorarium  ist  es  gewesen,  welches  es  dem  englischen  Recht 


’)  Siche  Williams,  a.  a.  0.,  8.  1G3  — 165.  Über  die  Judicature  Acts 
siehe  Maitland,  Justice  and  Police;  Ashburner,  a.  a.  O.,  S.  18  — 24; 
Heyinann,  a.  a.  O.,  S.  803;  Pollock,  Kxpansion  Cum.  Law,  8 116. 


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ermöglicht  hat,  sich  weiter  zu  gestalten,  indem  es  sich  den 
wachsenden  Bedürfnissen  einer  neuen  Zeit  und  ihren  Ansprüchen 
anpaßte l). 

Drittes  Kapitel. 

Rechtsschutz. 

Unter  Rechtsschutz  nach  englischem  Recht  verstehen  wir 
I.  Selbsthilfe  und  II.  ein  Klagesystem. 

I.  Selbsthilfe.  In  der  Angelsächsischen  Zeit  finden  wir,  daß 
Selbsthilfe  zum  Schutze  der  Rechte  des  Individuums  eine  wichtige 
Rolle  spielt*).  Besonders  tritt  sie  auf  als  a)  Privatpfändung  von  Vieh 
wegen  Schadenzufügung  an  Grundstücken  und  b)  als  Pfändung 
von  beweglicher  Habe  überhaupt,  um  die  Erfüllung  einer  Ver- 
bindlichkeit zu  erzwingen.  Auch  im  letzteren  Falle  ist  die  Pfändung 
Selbsthilfe,  wenn  ihr  auch  dadurch,  daß  sie  an  eine  gerichtliche 
Erlaubnis  geknüpft  ist,  gewisse  Grenzen  gezogen  sind*).  Im 
dreizehnten  Jahrhundert  ist  das  englische  Recht  jedoch  so  streng 
„gegen  jede  Selbsthilfe,  daß  sogar  die  Selbstverteidigung  rechtlich 
so  gut  wie  unmöglich  ist“.  Die  Anschauung  jener  Zeit  war  die, 
daß  Selbsthilfe  der  Feind  des  Rechtes  sei,  und  daß  sie  in  der  Tat 
eine  Geringschätzung  des  Königs  und  seines  Gerichts  in  sich 
schließe,  und  dieser  Gedanke  ist  es  u.  A.,  der  die  Basis  zu  dem 
energischen  Besitzschutz  in  jener  Zeit  bildet.  Im  späteren  Mittelalter 
wurde  das  Recht  jedoch  weniger  streng  gehandhabt  und  bis  auf  den 
heutigen  Tag  gestattet  dasselbe  Selbsthilfe  bis  zu  einem  gewissen 
Grade*).  Die  mittelalterliche  Privatpfändung  wurde  besonders  an- 
gewandt, wenn  es  sich  darum  handelte,  jemand  zur  Verrichtung  von 
Diensten  oder  zur  Zahlung  der  Rente  zu  zwingen  oder  um  Ent- 
schädigung für  durch  Vieh  angerichteten  Schaden  zu  erzwingen5). 


')  Siche  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  801,  802.  Vgl.  Pollock,  Jurispru- 
doncc,  8.  243—245. 

*)  Siehe  Schuiid,  fiesetze  der  Angelsachsen,  s.  v.  Selbsthilfe.  Über 
Selbsthilfe  im  deutschen  Rechte  siche  (iierke,  Deutsches  Privatrecht,  I, 
S.  335  351. 

*)  Siehe  die  Ausführungen  im  ersten  Buch. 

*)  Pollock  and  Mailland,  a.  a.  O.,  II,  S.  574.  Vgl.  Nichols,  Rritton, 
I,  S.  288. 

s)  Siehe  im  zweiten  Buch  das  Nähere. 


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II.  Das  Klagensystem.  In  der  Zeit  des  Mittelalters  entwickelte 
sich  allmählich  ein  Klagensystem  '),  mit  welchem  die  Entwickelung 
des  Privatrechts  eng  verbunden  war.  Dieses  Klagensystem  ist  nicht 
römischen  Ursprungs,  obgleich  es  in  vielen  Punkten  mit  dem 
römischen  Formularsystem  verglichen  werden  kann  2).  In  der  Tat 
war  es  gerade  dieses  in  England  entstandene  Formularsystem, 
welches  in  den  folgenden  Jahrhunderten  „das  stärkste  Bollwerk 
gegen  eine  Romanisierung  bildete  und  unser  englisches  Recht  von 
allen  seinen  Schwestern  trennte“.  Hören  wir,  was  Pollock  und 
Maitland  hierüber  schreiben:  „The  English  peculiarity  is  this, 
that  in  the  middle  of  the  twelfth  Century  the  old,  oral  and  tra- 
ditional  formalism  is  in  part  supplanted  and  in  part  reinforced 
by  a new,  «Titten  and  authoritative  formalism,  for  the  like  of 
which  we  shall  look  in  vain  elsewhere,  unless  we  go  back  to  a 
remote  stage  of  Roman  history.  Our  legis  actiones  give  way 
to  a formulary  System.  Our  law  passes  under  the  dominion  of 
a System  of  writs  which  llow  from  the  royal  Chancery.  What  has 
made  this  possible  is  the  exceptional  vigour  of  the  English  King- 
ship, or,  if  we  look  at  the  other  side  ot  the  facts,  the  exceptional 
malleableness  of  a thoroughly  conquered  and  compactly  united 
kingdom“ *). 

Im  alten  königsgerichtlichen  Prozeß  wird  das  Verfahren  durch 
Mandate  (writs,  brevia)  aus  der  Kanzlei  des  Königs  eingeleitet 
(bre  via  originalia)  und  fortgeführt  (brevia  iudicialia).  Diese 
qrevia  entsprechen  nicht  den  römischen  formulae,  sondern  viel- 
mehr den  indiculi  commonitorii,  de  iustitia,  inquisitionis 

')  Dio  beste  Beschreibung  dieses  Klagensysteins  in  der  neueren  Hechts- 
literatur ist  diejenige  von  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  11,  8.  558  bis 
573.  Siehe  auch  bes.  Fitiherbert,  Natura  Brevium : Stearns,  Real  Actions: 
Arnes,  H.  L.  H.  II,  1,53,  111,23,  313,  337,  VIII, 252,  XI, 277,  374:  Mait- 
land, H.  L.  H.  111,97.  Ifi7,  212;  Maitland,  Three  ltolls  of  the  King’s 
Court  in  the  Reign  of  King  Richard  the  First  (Pipe  Roll  Soc.),  Introduction, 
S.  XXXII — XI.,  auch  beachte  inan,  was  er  S.  XXXII  betr.  der  Klagen  dor 
Pfandgläubiger  und  Pfandschuldner  sagt.  Über  die  Entstehung  des  englischen 
Klagen  Systems  siehe  besonders  Brunner,  Entstehung  der  Schwurgerichte. 

rl  Die  Klage  cessavit  per  biennium  wurde  aus  dem  römischen 
System  übernommen.  Siehu  Näheres  unten  im  zweiten  Buch.  Siehe  ferner 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  559,  Anm.  4. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  558  — 561:  Heymann 

a.  a.  0.,  S.  806. 

Haieltine,  Englisches  Pfandrecht  3 


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des  fränkischen  Reichsrechts  (Brunner).  Die  Klage  wird  durch 
das  breve  originale  individualisiert.  Die  Kanzlei  durfte,  nach 
dem  zweiten  Westminsterstatut  von  1285,  in  consimili  casu 
neue  brevia  (writs)  aufstellen;  iin  übrigen  sollte  das  Parlament 
neue  brevia  schaffen.  Die  Rechtslehre  beruht  zum  größten  Teil 
auf  den  zahlreichen  brevia.  Beim  Billigkeitsgericht  (court  of 
Chancery)  wurde  der  Prozeß  durch  Bill,  bezw.  bei  Kronsachen 
durch  Information,  Bittschriften  mit  einer  formlosen  Angabe  der 
Klagetatsachen  eingeleitet '). 

Im  englischen  Recht  werden  die  Klagen  eingeteilt  in  ding- 
liche Klagen  (real  actions)  und  persönliche  Klagen  (personal  actions), 
sowie  gemischte  Klagen  (mixed  actions);  diese  Einteilung  hat  ihre 
Grundlage  in  dem  nach  germanischer  Anschauung  vorhandenen 
Gegensätze  zwischen  Immobiliargut  und  Fahrhabe.  Real  actions 
unterscheiden  sich  von  personal  actions  nicht  durch  die  Verschieden- 
artigkeit der  Natur  des  Rechts,  welches  sie  verteidigten,  wie  dies 
der  Fall  war  bei  den  römischen  actiones  in  rem  vel  personam, 
sondern  durch  die  Verschiedenartigkeit  der  Natur  der  Rechtshilfe, 
welche  diese  Klagen  gewährten,  a)  „Real  actions“  waren  nach 
englischem  Rechte  solche  Klagen,  auf  Grund  deren  der  Kläger 
die  Wiedererlangung  eines  freien  Besitztums,  aus  welchem  er 
ungerechterweise  vertrieben  worden  war,  nachsuchte  und  wo  sich 
die  Zwangsvollstreckung  direkt  gegen  die  geforderte  Sache  richtete 
(in  rem).  Zu  den  wichtigsten  dieser  real  actions  gehörten  die 
alten  petitorischen  und  possessorischen  Klagen,  Grundstücke  be- 
treffend, (writ  of  right,  writ  of  novel  disseisin  u.  s.  w.)  und  ihre 
Nebenklageformen,  die  Patronatsklage  (actio  quare  impcdit), 
sowie  die  Wittumsklagen  (writ  of  dower,  writ  of  right  of  dower, 
writ  of  dower  unde  nihil  habet);  aber  die  meisten  dieser  Klagen 
kommen  jetzt  nicht  mehr  zur  Anwendung*),  b)  „Personal  actions“ 
wurden  gegen  den  Beklagten  persönlich  vorgebracht,  um  Schaden- 
ersatz zu  erlangen  für  Verletzung  eines  Rechts,  für  Kontrakt- 
bruch oder  für  Zufügung  eines  Unrechts5).  Die  personal  actions 

')  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  806.  Über  das  writ  in  consimili  casu, 

siehe  Carter,  History  of  Euglish  I.egal  Institution«,  S.  277—283. 

*)  Williams,  a.  a.  0.,  S.  23 — 25;  Heymann,  a.  n.  0.,  S.  807. 

3)  Williams,  a.  a.  0.,  S.  24,  25.  Vgl.  Heymann,  a.  a.  O.,  S.  807. 

Siehe  Neubecker,  Der  abstrakte  Vertrag,  S.  20,  21. 


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vor  dem  Gericht  des  gemeinen  Eechts  bezogen  sich  nur  auf 
Schadenersatz,  nicht  auf  die  direkte  Wiedererlangung  einer  Sache, 
die  dem  Kläger  unrechtmäßiger  Weise  von  dem  Beklagten  entzogen 
worden  war.  Das  Equitygericht  konnte  jedoch  in  einigen  Fällen 
anordnen,  daß  der  Gegenstand  in  natura  wieder  abgeliefert  werde, 
und  dieses  Prinzip  des  Equityrechts  ist  heutzutage  verallgemeinert '). 
Die  hauptsächlichsten  personal  actions  sind:  action  of  debt,  covenant, 
assumpsit,  detinue,  trover,  trespass,  trespass  on  the  case.  Von  diesen 
sind  die  trespass-Klagen  Deliktsklagen  („  actions  oftort“  im  Gegensatz 
zu  „actions  ofcontract“);  die  actions  of  detinue  und  trover  versehen 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  Funktionen  der  Mobiliar-Vindi- 
cation*).  c)  „Mixed  actions“  waren  Klagen,  auf  Grund  deren 
Schadenersatz  beansprucht  wurde  unter  gleichzeitiger  Forderuug 
auf  Zurückgabe  des  Grundstücks  selbst  (real  property).  Die 
wichtigste  der  mixed  actions  war  die  „action  of  ejectment“,  jetzt 
in  anderer  Form  bekannt  unter  der  Bezeichnung  „action  for  the 
recovery  of  land“.  Ursprünglich  war  diese  Klage  bloße  Schadens- 
klage, doch  hat  sie  seit  dem  siebzehnten  Jahrhundert  die  alten 
Realklagen  auf  Herausgabe  von  Grundstücken  verdrängt5). 

Die  alten  real  und  mixed  actions,  welche  das  gemeine  Recht 
den  freeholders  zuerkannt  hatte,  wurden  1833  abgeschafft,  da  das 
Rechtsmittel  des  tennors  auf  Besitzentziehung,  die  action  of  eject- 
ment, wie  bereits  erwähnt,  in  seiner  neuen  Form  unter  der  Be- 
zeichnung „action  for  the  recovery  of  land“  bekannt,  auch  auf 
freeholders  ausgedehnt  worden  war4).  Im  Laufe  des  neunzehnten 
Jahrhunderts  trat  eine  radikale,  wenn  auch  allmähliche  Reform  des 
Klagensystems  ein.  Die  spezielle  Individualisierung  der  Klagen  ver- 
mittelst besonderer  und  genau  abgegrenzter  b re  via  (writs)  wurde 
fallen  gelassen.  Seit  1875  ist  zur  Einleitung  einer  Rechtssache 
weiter  nichts  nötig,  als  ein  Ladungsmandat  in  der  Form  eines 
allgemein  gehaltenen,  vom  Gericht  ausgegebenen  „writ  of  summons“. 


’)  Siehe  Williams,  Personal  Property,  S.  18 — 20;  Williams,  Real 
Property,  S.  24,  25;  Hey  mann,  a.  a.  0.,  S.  807. 

s)  Siche  Nenbecker,  a.  a.  0..  S.  20,  21:  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  807; 
Williams,  Personal  Property,  8.6 — 27. 

s)  Williams,  Real  Property,  S.  24,  64,  Anm.  (g) ; II  e y m a n n , a.  a.  0., 
S.  807. 

41  Williams,  Real  Property,  S.  64,  Anm.  (g). 

3* 


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36 


Es  ist  notwendig,  daß  der  Kläger  in  diesem  writ  of  summons  seine 
Ansprüche  geltend  macht  (indorsment  of  claim),  in  anderen  Worten: 
das  „indorsement  of  claim“  ist  der  Klageantrag,  enthaltend  die- 
jenigen tatsächlichen  Behauptungen,  welche  zur  Individualisierung 
der  Klage  erforderlich  sind.  Alle  Klagen  sind  jetzt  in  factum 
conceptae;  trotzdem  werden  die  Bezeichnungen  für  die  alten 
Klageformen  in  der  Judikatur  und  Literatur  immer  noch  ange- 
wendet '). 

Werfen  wir  nun  noch  einen  kurzen  Blick  auf  den  Prozeß. 
Ein  real  aetiun  im  Mittelalter  setzte  sich  in  der  Hauptsache  zu- 
sammen aus:  Summons  und  Cape  und  Judgment  by  Default. 
Erscheint  der  tenant  trotz  der  Aufforderung  nicht  vor  Gericht,  so 
weist  das  writ  of  Magnum  Cape  den  Sheriff  an,  das  Land,  um 
welches  es  sich  handelt,  im  Namen  des  Königs  in  Besitz  zu 
nehmen,  gleichzeitig  aber  den  tenant  nochmals  vorzuladen,  damit 
er  über  seine  Versäumnis  Rechenschaft  ablege.  Erscheint  der 
tenant  auch  an  diesem  neu  festgesetzten  Tage  nicht,  oder  kann  er 
für  seine  frühere  Versäumnis  eine  genügende  Entschuldigung  nicht 
beibringen  (lieal,  sanare),  so  wird  das  Land  dem  Kläger  zuge- 
sprochen. Die  einzige  Möglichkeit,  welche  der  tenant  jetzt  hat, 
zu  seinem  Lande  zu  gelangen,  ist  durch  die  Klage  „writ  of  right“*). 
Die  englische  Cape  in  man  um  entspricht  der  fränkischen  Miss  io 
in  bannum  Regis.  Kraft  dieser  Missio  in  bannum  Regis 
des  alten  fränkischen  Rechts  bleibt  das  Grundstück  auf  ein  Jahr 
und  einen  Tag  in  den  Händen  des  Königs;  aber  im  englischen 
Recht  zu  Glanvills  Zeit  beträgt  die  Zeit,  während  welcher  der 
tenant  das  Land  durch  die  Besitzklage  „action  of  replevin“  wieder 
erlangen  kann,  nur  vierzehn  Tage’). 

Wir  gehen  vorläufig  über  den  Prozeß  bei  „personal  actions“ 
hinweg4),  um  auf  die  Tatsache  hinzuweisen,  daß  die  ältesten 
Klagen  nach  gemeinem  Recht  „specific  relief“  und  nicht  „damages“ 

*)  Odgcrs,  l’rocedure,  S.  34;  Heymann.  a.  a.  O.,  S.  806,  807.  Das 
best«!  Buch  über  «las  gegenwärtige  System  der  (Zivilklagen  des  High  Court 
of  Justice  istOdgcrs’s  eben  citiertes  „Procedure“.  Vergl.  ferner  Köhlers 
Aufsatz  über  den  englischen  Civilprozeü,  Beiträge  zum  Civilprozeß,  S.  588. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  8.592,  593. 

3)  Siehe  Brunner,  Deutsche  Hechtsgeschichte,  II,  S.  457—460;  Pollock 
and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  593,  Anm.  2. 

4)  Siehe  darüber  Polloek  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  593 — 595. 


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37 


zum  Zwecke  haben,  und  in  der  Tat  sind  in  dem  frühen  Common 
Law  viele  der  Ideen  zu  finden,  welchen  wir  später  als  einem  Teil 
der  Equity- Jurisprudenz  wiederbegegnen1).  In  dem  gemeinen 
Rechte  zu  Olanvills  Zeit  gibt  es  i.  B.  ein  Verfahren  für  die  Ein- 
lösung von  verfallenen  Pfändern  sowie  zur  Entziehung  dieses  Rechts 
der  Einlösung;  dasselbe  entspricht  in  gewisser  Hinsicht  dem  equity 
of  redemption  nnd  dem  decree  of  foreclosure  des  späteren  Billig- 
keitsrechts *). 

Nun  noch  ein  Wort  über  die  Zwangsvollstreckung.  Wenn 
nach  gemeinem  Recht  ein  Urteil  über  eine  Schuld  ergangen  war, 
so  veranlaßte  der  Gerichtshof  den  Sheriff,  die  notwendige  Summe  aus 
dem  Mobiliar  (goods  and  chattels)  des  Beklagten  (writ  of  fieri 
facias)  oder  aus  seiner  Habe  nnd  den  Früchten  des  Landes  (writ 
of  levari  facias)  aufzubringen.  Das  gemeine  Recht  kannte  kein 
Verfahren,  nach  welchem  das  dem  Schuldner  gehörige  Land  selbst 
verkauft  oder  dem  Gläubiger  übergeben  werden  konnte.  Im  Jahre 
1285  wurde  durch  ein  Statute  das  writ  of  eligit  geschaffen,  mit 
Hilfe  dessen  es  dem  Gläubiger  möglich  war,  die  Hälfte  des  Landes 
des  Schuldners  in  Besitz  zu  nehmen,  um  sich  daraus  zu  befriedigen. 
Auch  kannte  das  gemeine  Recht  kein  Verfahren,  wonach  jemand 
seine  Person  oder  seine  persönliche  Freiheit  für  die  Zhhlung  einer 
Schuld  verpfänden  konnte;  aber  unter  der  Regierung  Eduards  I. 
gab  die  sogenannte  security  by  „Statute  merchant“  dem  Gläubiger 
das  Recht,  die  Einsperrung  der  Person  des  Schuldners  zu  verlangen 3). 

Viertes  Kapitel. 

Obligationenrecht. 

In  der  .angelsächsischen  Zeit  finden  wir  nur  zwei  Vertrags- 
formen: 1.  den  Realvertrag4)  und  2.  den  Formal-  oder  Wettver- 
trag (Gelöbnis).  Besonders  der  Formal-  oder  Wettvertrag  scheint 
eine  höchst  bedeutende  Rolle  in  dem  Rechtsleben  dieser  frühen 
Zeit  gespielt  und  verschiedene  Formen  angenommen  zu  haben4). 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  595,  59G. 

*)  Siche  unsorc  Ausführungen  im  zweiten  Buch. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  8.  59G,  597.  Wegen  weiterer 
Einzelheiten  a.  unten  zweites  Buch:  Williams,  Personal  Property,  S.  97— 1(K). 

4)  Betreffs  des  Pfandvertrages  s.  unten  erstes  Buch. 

*)  Siehe  unsere  Ausführungen  im  ersten  Buch.  Vgl.  Pollock,  Ex- 
pansion Com.  Law,  S.  155. 


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38 


Dieselben  beiden  germanischen  Vertragsformen  waren  anfangs 
aucli  die  beiden  einzigen  bekannten  Formen  des  englischen  Rechts 
der  normannischen  Periode'). 

Die  3 Vertragsformen  oder  -Arten  des  klassischen  gemeinen 
Rechts  sind:  1.  der  sogenannte  „contraet  of  record“,  2.  der  „con- 
tract  under  seal“  und  3.  der  „simple  contraet“. 

1.  Die  contracts  of  record,  Rekordschulden,  beruhen  aut 
Gerichtsprotokollen.  Abgesehen  von  den  jetzt  obsolet  gewordenen 
„Statutes  merchant“  und  „Statutes  staple“  *),  handelt  es  sich  be- 
sonders um  Judikatsschnlden  (judgments)  und  gerichtlich  abge- 
gebene Schuldversprechen  (recognizances);  letztere  sind  resolutiv 
bedingt  durch  Vornahme  einer  gewissen  Handlung  (keep  tho  peace, 
appear  at  the  assize)  und  sind  deshalb  Mittel  der  Kautionsbe- 
stellung:).  Wie  wir  später  sehen  werden,  waren  die  „Statutes 
merchant“  und  „Statutes  staple“  in  Wirklichkeit  eine  Form  des 
contraet  under  seal.  Sie  waren  in  der  Tat  contracts  under  seal, 
welche  in  die  Gerichtsprotokolle  eingetragen  wurden,  und  hier- 
durch wurde  eine  Hypothek  auf  das  gesamte  Land  des  Schuldners 
zur  Deckung  der  Schuld  geschaffen4).  Neben  dieser  speziellen 
Form  des  contraet  under  seal  gibt  es  noch  2.  den  gewöhnlichen 
„contraet  under  seal“.  Dieser  ist  der  Formalvertrag  des  gemeinen 
Rechts  und  er  wird  geschlossen  durch  die  Übergabe  einer  ge- 
siegelten Urkunde  (deed,  bond),  wobei  jedoch  eine  Gegenleistung 
nicht  nötig  ist5).  3.  Der  „simple  contraet“  ist  der  formlos  ab- 
schlossene  Vertrag.  Derselbe  erfordert  aber  Consensus  und  Gegen- 
leistung (consideration)  und  muß  in  einigen  Fällen  schriftlich 
abgefaßt  sein.  Die  Gegenleistung  muß  von  dem  Kontraktgläubiger 
(promisee)  als  Nachteil  (detriment),  oder  aber  von  dem  Kontrakt- 
schuldner (promisor)  als  Vorteil  (benefit)  empfunden  werden.  Seit 
Ende  des  sechzehnten  Jahrhunderts  genügt  das  gegenseitige  Ver- 
sprechen der  Parteien  (Synallagma)®)7). 

')  Heymann,  a.  a.  O.,  S.  825;  und  siehe  auch  Näheres  unten  im  Buch  II. 

J)  Siehe  Näheres  im  Huch  II. 

s)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  825. 

4)  Siehe  Näheres  im  Buch  II. 

5)  Siehe  Neubecker,  a.  a.  0.,  S.  22:  sowie  auch  die  Ausführungen 
unten  im  zweiten  Buch. 

®)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  825,  826.  Über  consideration  s.  Ncubeoker, 
a.  a.  0.,  S.  18-31. 

’j  Siebe  im  zweiten  Buch  das  Nähere, 


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39 


Fünftes  Kapitel. 

Sachenrecht. 

Leider  ist  über  das  Gewohnheit«-  (Sachen-)  Recht  der  Angel- 
sachsen sehr  wenig  bekannt  und  selbst  dieses  Wenige  kann  in  der 
Hauptsache  nur  aus  der  Kenntnis  des  Rechts  der  normannischen 
Periode  gefolgert  werden.  Nach  der  Ansicht  von  hervorragenden 
englischen  Rechtshistorikern  ist  der  römische  Begriff  des  dominium, 
d.  h.  das,  was  man  heute  unter  Eigentum  versteht,  den  ein- 
heimischen Angelsachsen  vollkommen  fremd  gewesen,  wie  er  auch 
dem  frühen  germanischen  Recht  im  allgemeinen  unbekannt  war. 
Die  Grundidee  des  germanischen  Rechts,  sowohl  im  alten  England, 
wie  auf  dem  Kontinente,  ist,  nach  dieser  Anschauung,  die  des  Be- 
sitzes, nicht  des  Eigentums;  denn  es  ist  der  Besitz,  der  von  der 
Rechtsordnung  geschützt  wird.  In  der  Tat,  so  wird  angenommen, 
ist  das  Recht  auf  Besitz  zum  Unterschiede  vom  physischen  Besitz 
die  einzige  Auffassung  im  rein  germanischen  Rechte,  welche  in 
gewissem  Grade  mit  der  abstracten  Idee  des  Eigentums  in  den 
römischen  und  neuzeitlichen  Rechtssystemen  korrespondiert,  und  es 
scheint,  daß  im  englischen  gemeinen  Recht  diese  frühe  Auffassung 
sich  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  hat.  Nur  durch  die  Einführung 
des  ausländischen  Landbuchs  durch  die  Geistlichkeit  war  es  möglich, 
daß  der  Begriff  des  Eigentums,  dominium,  im  angelsächsischen 
Sachenrecht  sich  einbflrgerte '). 

Der  Meinung,  daß  dem  germanischen  Recht  ursprünglich 
hinter  dem  Begriff  der  Gewere  der  Begriff'  des  materiellen  Sachen- 
rechts fremd  gewesen  sei,  wird  von  anderen  Rechtsgelehrten  nicht 
beigepflichtet.  So  in  den  Worten  Gierkes:  „Im  Einklänge  mit  ihrem 
Ursprünge  ist  die  Gewere  stets  das  Kleid  des  Sachenrechts  ge- 
blieben. Sie  ist  nur  die  äußere  Seite  des  Sachenrechts;  das 
materielle  Sachenrecht  hat  von  je  hinter  ihr  gestanden  und  ist  von 
ihr  niemals  verschlungen  worden.  Allein  sie  ist  die  allgemeine 
Form,  in  der  das  Sachenrecht  zur  Erscheinung  gelangt“  *).  An 
anderer  Stelle  sagt  Gierke:  „Das  deutsche  Recht  kannte,  soweit 


l)  Pollock,  Knglish  Law  boforo  tho  Norman  Conquest,  in  Bowkcr’s 
„Alfred  the  Great“,  S.  234,  236;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I, 
S.  56,  57,  60. 

*)  Gierke,  Deutsches  Privatrecht,  Bd.  II,  8.  189. 


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40 


wir  zurückblicken,  eine  von  der  Ordnung  der  Gewere  verschiedene 
Ordnung  des  materiellen  Sachenrechts,  die  für  Verbände  und 
Einzelne  Herrschaftsrechte  mehr  oder  minder  voller  Art  an  be- 
weglichen und  unbeweglichen  Sachen  begründete.  Allein  in  seinem 
Jugendalter  fehlte  ihm  sowohl  der  abstrakte  Kegriff  des  dinglichen 
Rechts,  wie  der  begriffliche  Gegensatz  zwischen  Eigenthum  und 
begrenzten  dinglichen  Rechten“ '). 

Es  müssen  drei  Formen  von  Landbesitz  in  der  angelsächsischen 
Periode  unterschieden  werden:  Erstens,  böcland,  oder  Buchland, 
d.  h.  Land,  welches  jemand  gemäß  den  ausdrücklichen  Bedingungen 
eines  Huches  oder  eines  geschriebenen  Dokumentes  besaß,  ein 
königliches  und  geistliches  Privilegium,  jedoch  unter  Androhung 
des  Bannfluches,  sofern  gewisse  Bedingungen  nicht  cingehalten 
werden;  zweitens,  folk-land,  d.  h.  Land,  das  jemand  gemäß 
dem  gebräuchlichen  Volksrecht  und  ohne  Buch  oder  schriftlichen 
Rechtstitel  besaß*);  drittens,  lsn-land,  d.  h.  Land,  welches  von 
einem  Höherstehenden  für  bestimmte  Dienste  vergeben  wurde3). 
Es  handelt  sich  hier  weniger  um  verschiedene  Arten  von  Grund- 
stücken, als  um  verschiedene  Rechtstitel  am  Grundbesitz '). 

Die  germanische  Scheidung  zwischen  Immobiliar-  und  Fahr- 
nisrecht wird  im  englischen  Recht  am  schärfsten  bewahrt.  Das 
Vermögen  (property)  zerfällt  in  Immobiliargut  (hereditament,  real 
property,  tenement,  things  held)  und  Mobiliargut  (personalty, 
personal  property,  goods  and  chattcls  — Ausdruck  cliattels  von 
catalla  = Vieh5). 

Hereditament  (real  property)  wird  eingeteilt  in  corporeal  und 
incorporeal  hereditaments.  Als  corporeal  hereditaments  werden  die 
Grundstücke  (land  — richtiger  die  an  Grundstücken  begründeten 

')  Uiorkc,  a.  a.  0.,  Bd.  II,  S.  343. 

*)  Vinogradoff,  Folkland,  Engligh  Historical  lteview,  Bd.  VIII, 
S.  1—17. 

3)  Brunner,  Zur  ltcchtsgeschichte  der  röuiischcn  und  germanischen 
Urkunde,  S.  151;  Maitland,  Domesday  Book  and  Ileyond,  S.  226— 318; 
Pollock,  u.  a.  0.,  S.  235,  237;  Pollock,  I.and  Laws,  S.  20,  21,  27—29; 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  60—62;  I)igby,  History  of  Beal 
Property,  S.  12,  15,  16.  Vgl.  auch  Chadwick,  a.  a.  ().,  S.  100  ff.,  171,298, 
367—377. 

*)  Siehe  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  185;  Maitland,  a.  a.  0.,  S.  257, 

5)  Hey  mann,  a.  a,  0.,  S.  812. 


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41 


Hauptrechte  oder  freehold  estates  — ) und  gewisse  immobilisierte 
Fahmisstücke  (heirlooms)  gerechnet.  Incorporeal  hereditaments 
sind  gewisse  beschränkte  Rechte  an  Immobilien,  zerfallend  wieder 
in  dingliche  Anwartschaften  auf  corporeal  hereditaments  (sogenannte 
estates  in  expectancy)  und  gewisse  begrenzte  dingliche  Rechte 
geringerer  Bedeutung  (sogenannte  purely  incorporeal  hereditaments), 
besonders  Servituten  und  Reallasten.  Das  Recht  am  corporeal 
hereditament  stimmt  nicht  ganz  mit  dem  deutschen  Immobiliar- 
eigentum überein  Die  corporeal  hereditaments  sind  vielmehr  ver- 
schieden starke  Rechte  (sogenannte  freehold  estates),  die  alle 
ein  totales  Gebrauchsrecht  (bedingt  oder  unbedingt)  an  der  Sache 
bedeuten.  Nur  das  stärkste  von  diesen  Rechten,  das  estate  in  fee 
simple  (feodum  simplex,  estate  des  NN  und  seiner  Erben)  — 
abgesehen  natürlich  von  seiner  lehnsrechtlichen  Entstehung  und 
Färbung  — kann  man  dem  Eigentum  gleichstellen.  Alle  heredi- 
taments unterliegen  der  Immobiliarerbfolge  an  den  heir-at-law '). 

Mobiliargut  (personal  property)  umfaßt  1.  die  beweglichen 
körperlichen  Sachen  (chattels  personal,  corporeal  chattels,  choses 
in  possession)  und  2.  die  choses  in  action,  ursprünglich  die  Rechte 
auf  Sachherausgabe,  aber  heute  alle  Forderungsrechte,  und  die 
Aktien-  und  die  Erfinderrechte.  Zum  Mobiliargut  (personal  pro- 
perty) werden  auch  eigentümlicherweise  die  sogenannten  chattels 
real  gerechnet.  Zu  den  chattels  real  gehören  gewisse  grundsätz- 
lich dem  Mobiliarrecht  unterstellte  Rechte  an  Immobilien  (nämlich die 
sogenannten  estates  less  than  freehold,  besonders  Miete  und  Pacht)8) ; 
gewisse  „genommene“  Pfänder8),  besonders  die  Judikatshypothek 
(estate  by  elegit,  ferner  by  Statutes  merchant  and  staple);  die 
Lehnsvormundschaft  (wardship)  u.  s.  w.  *).  Mobiliargut  geht  ge- 
mäß dem  gemeinen  Recht  auf  den  Testamentsvollstrecker  (executor 
resp.  adininistrator),  nicht  aber  direkt  auf  den  gesetzlichen  Erben 
über8). 


')  Hey  mann,  a.  a.  0.,  S.  812. 

*)  Im  internationalen  Privatrecht  werden  jcduch  die  chattels  real  nicht 
als  Mobilien  betrachtet. 

*)  Vgl.  die  späteren  Ausführungen  im  Buch  II. 

4)  Heymann,  a.  a.  O.,  S.  812,  813. 

*)  Siehe  die  späteren  Ausführungen  im  Buch  II. 


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42 


I.  Immobiliarrecht.  a)  Tenure.  „Das  Immobiliarrecht  hat 
seine  vom  kontinentalen  sehr  abweichende  Gestaltung  dadurch 
empfangen,  daß  seit  der  normannischen  Zeit  und  grundsätzlich 
noch  heute  alles  Land  als  Lehn,  tenementum,  tenure,  behandelt 
wird:  nur  der  König  hat  Allod,  und  er  ist  — unmittelbar  oder 
mittelbar  — ,Lord  Paramount  of  every  parcel  of  land  within  the 
realm‘.  Wie  aber  schon  die  nach  der  Eroberung  durch  redemption 
erlangten  Besitzungen  eigentlich  keine  Lehn  gewesen  waren,  hat 
sich  der  Gedanke  des  Allods  trotz  des  Lehnsprinzips  immer  mehr 
durchgesetzt  und  ist  heute  tatsächlich  wieder  zur  Herrschaft 
gelangt“  '). 

Die  tenures  werden  nach  dem  Gesichtspunkt  der  vom  Be- 
liehenen  zu  gewährenden  Gegenleistung  eingeteilt  in:  tenures  in 
Kitterlehn  (feuda  militaria,  militarv  tenures,  knight’s  Service), 
geistliche  Güter  (in  libera  elemosyna,  später  frankalmoign), 
freie  Bauer-  und  Bürgerlehn  (socagia,  free  socages,  nur  mit 
Rente  belastet)  und  den  Hintersassenbesitz  (vil lenagia 2),  seit 
Anfang  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  als  copyholds  bezeichnet). 
„Besonders  geartete  Fälle  der  socagia  sind  übrigens  tenures  of 
ancient  demesne  an  den  alten  Krongfltem,  die  alte  städtische 
Hausleihe  (bourgage  tenure  mit  ihrer  Unterart  borough  english) 
und  das  partikulär  gefärbte  gavelkind  in  Kent . . . Die  erste  starke 
Einschränkung  erhielt  das  Lehnssystem  schon  1290  durch  das 
statutum  quia  emptores  (18  Edw.  I.  c.  1),  welches  für  feodum 
simplex  unter  Zurückdrängung  der  subinfeudatio  die  freie  Yer- 
äußerlichkeit  schuf,  und  dessen  Grundgedanken  dann  unter 
Eduard  HI.  und  später  durch  12  Karl  n.  c.  24  voll  durch- 
geführt wurden.  Andererseits  wurden  die  feudalen  Lasten  1(560 
durch  das  eben  erwähnte  Statut  1 2 Karl  H.  c.  24  im  großen  und 
ganzen  beseitigt“.  Verwandelt  wurden  sämtliche  Ritterlehen  in 
socagia  („free  and  common  socage“).  Heute  sind  die  den  unfree 
tenures,  d.  i.  den  copyhold  gegenüberstehenden  free  tenures  (free- 
hold, siehe  unten  S.  44)  in  der  Hauptsache  free  socage;  zur  Zeit 
ist  das  free  socage  land  tatsächlich  von  den  alten  Lasten  befreit. 
Das  copyhold  dagegen  hat  an  sich  noch  heute  Merkmale  des 


*)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  813. 

*)  Über  villcnagia  s.  bes.  Vinogradoff,  Villainage  in  England,  S.  43 ff. 


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43 


Hörigkeitsverhältnisses,  kann  aber  in  free  socage  verwandelt  werden. 
Nicht  nur  Land,  sondern  jedes  tenement,  tenementum  (d.  h.  land, 
„rents,  commons,  and  other  rights  and  interests  issuing  out  of  or 
conceming  land“)  kann  Gegenstand  eines  tenure  sein '). 

b)  Die  estates.  „Das  System  der  einzelnen  Immobiliarrechte 
ist  dadurch  abweichend  vom  kontinentalen  gestaltet  , daß  einer- 
seits . . . das  englische  Immobiliarrecht  infolge  seines  Ursprungs 
aus  dem  Lehnsrecht  grundsätzlich  nur  dingliche  Rechte  an  fremder 
Sache  (genauer  beschränkte  dingliche  Rechte)  kennt,  und  daß 
andererseits  alle  diese  Rechte  unter  den  einheitlichen  Begriff  des 
e state  (estate  in  land,  status,  6 tat,  Besitzstand)  gebracht  werden. 
Estate  gezeichnet  jedes  VerfÜgungs-  und  Benutzungsrecht  an 
Grund  und  Boden,  von  welchem  Umfange  immer1  (Gundermann); 
dabei  fallen  unter  den  Begriff  des  estate  nicht  nur  diejenigen 
Rechte,  welche  (unbedingt,  unbefristet  oder  in  den  verschiedensten 
Abstufungen  bedingt  oder  befristet)  die  , volle  Eigentumsausübung1 
gewähren,  sondern  grundsätzlich  auch  die  incorporeal  hereditaments, 
welche  nur  Teilbefugnisse,  einzelne  Nutzungen  bieten;  diese 
letztere  Kategorie  wird  aber  nach  germanischer  Art  vorzugsweise 
(unter  dem  Gesichtspunkte  des  unkörperlichen  Gutes)  als  Gegen- 
stand von  estates  verschiedenster  Abstufung  betrachtet,  und  die 
Besitzstände,  estates,  sind  infolgedessen  (entsprechend  dem  konti- 
nentalen Geweresystem  in  seinen  Anfängen)  in  der  Hauptsache  als 
Spezialfälle  eines  qualitativ  einheitlichen,  dinglichen  Herrschafts- 
rechts an  Immobilien  zu  bezeichnen.  Der  Aufbau  ist  dann  fol- 
gender: man  unterscheidet  vor  allem  freehold  estates  (freehold 
im  eigentlichen  technischen  Sinne,  liberum  tenementum,  frank 
tenement,  der  eines  Freien  würdige  Besitzstand,  Hauptrechte,  Voll- 
rechte) und  estates  less  than  freehold  (Realrechte  niederer  Bedeutung 
und  daher  chattels  real);  Unterscheidungsmerkmal  ist  die  Dauer 
der  Rechte  (quantity  of  interest),  insofern  freehold  stets  von  un- 
beschränkter oder  doch  von  unbestimmter  Dauer  sein  muß,  während 
die  chattels  real  Rechte  von  bestimmter  Dauer  (und  wenn  auch 
für  1000  Jahre)  darstellen;  dieser  Kategorie  tritt  hinzu  die  Kate- 
gorie der  estates  upon  condition  (conditional  estates);  es  sind 
das  bedingte  Besitzstände  der  beiden  ersten  Arten;  grundsätzlich 


*)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  813,  814, 


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44 


stehen  sie  also  nicht  im  Gegensatz  zu  diesen  (Stephen-Blackstone, 
eh.  VI,  init.),  wohl  aber  dadurch,  daß  einzelne  AnwendungsfÜlle 
sich  zu  besonderen  wichtigen  Rechtstypen  entwickelt  haben;  als 
vierte  Kategorie  werden  die  inrorporeal  bered itaments  genannt, 
als  Immobiliarrechte  geringsten  Umfanges,  die  im  Gegensatz  zu 
den  vorgenannten  Klassen  eben  nicht  die  volle  Sachherrschaft, 
auch  nicht  bedingt,  gewahren“ '). 

Nach  dem  Zeitpunkt  des  Genusses  unterscheidet  man  estates 
in  possession  und  estates  in  expectancy  (letztere  Anfallsrechte). 
Nach  der  Zahl  der  Berechtigten  (tenants)  werden  die  estates  in 
Einzelrechte  (severalty)  und  Rechte  mehrerer  (wieder  gespalten  in 
joint  tenancy,  coparcenary  und  tenancy  in  common)  gruppiert  *). 

Von  ganz  besonderer  Bedeutung  aber  ist  die  Unterscheidung 
von  legal  estates  und  equitable  estates,  die  dem  Dualismus  von 
Common  Law  und  Equity  entspricht.  Die  wichtigsten  equitable 
estates  sind  die  des  cestni  que  use  (cestui  que  trust)  und  des 
mortgagor 5). 

c)  Die  einzelnen  estates.  Das  freehold  ist  das  wichtigste  der 
nach  der  quantity  of  interest  gruppierten  dinglichen  Rechte.  Das 
freehold  erscheint  als  1.  vererbliches  freehold  (freehold  of  inheritance) 
und  2.  nicht  vererbliches  freehold  (freehold  not  of  inheritance). 
Das  estate  in  fee  simple  (fee  absolute,  feodum  simplex)  ist  das 
wichtigste  freehold  of  inheritance  und  ist  sogar  „das  Grund-  und 
Fundamentalrecht  des  englischen  Sachenrechts“,  entsprechend  in 
Wirklichkeit  dem  Eigentumsrecht  des  deutschen  Rechts.  Im  laufe 
der  Zeit  sind  die  Lehnslasten  fast  völlig  beseitigt,  die  freie  Ver- 
äußerlichkeit  (A.  I).  1290,  Statute  of  quia  emptores),  die  freie 
Vererblichkeit  durch  letztwillige  Verfügung  (temp.  Heinrich  VIII, 
Statute  of  wills)  eingeführt  worden.  Wiederum  beschränkt  sich 
das  gesetzliche  Erbrecht  nicht  auf  eine  bestimmte  Erbenklasse. 
Alle  heirs-at-law  sind  nach  der  gesetzlichen  Ordnung  berufen. 
Hier  gilt  das  Prinzip  der  Individualsuccession,  und  zwar  geht  das 
Immobiliar  zunächst  auf  den  ältesten  Sohn  über.  Weitere  Fälle 


*)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  814,  815. 

*)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  815. 

3)  Siehe  A a h b u r n e r , a.  a.  0.,  S.  83  G7 : Williams,  Keal  Property , 
S.  158  nnd  Sachregister  s.  v.  Equitable  estates:  Heymann,  a.  a.  0., 
S.  815,  818. 


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45 


des  vererblichen  freehold  sind  fee  simple  qualified  (base  fee)  und 
fee  tail;  und  in  diesen  estates  wird  die  Sachherrschaft  beschränkt. 
Ein  fee  simple  qualified  (base  fee)  ist  ein  unter  Resolutivbedingung 
verliehenes  fee  simple.  Das  fee  tail  (feodum  talliatum  = re- 
st  riet  um)  ist  ein  Stammgut,  ein  estate,  bei  dem  die  Erbfolge 
auf  die  Erben  des  Erwerbers  in  gerader  Linie  beschränkt  wird. 
In  Ermangelung  solcher  Erben  fällt  das  Land  an  den  Verleiher 
zurück.  Es  ist  hier  bemerkenswert,  daß  das  estate  in  fee  tail  die 
juristische  Fonn  für  die  englischen  Fideikommisse  geworden  ist. 
Nicht  vererbliche  freeholds  sind  estates  auf  Lebenszeit.  Diese 
estates  entstehen  durch  Rechtsgeschäfte  oder  treten  von  Gesetzes 
wegen  ein.  Bei  der  ersten  Gruppe  findet  man  Vergabungen  auf 
Lebenszeit  des  Empfängers  (estates  for  life)  und  auf  Lebenszeit 
eines  Dritten  (estates  pur  autre  vie).  Der  Leibzüchter  bei  einem 
estate  for  life  hat  auf  Lebenszeit  das  volle  Herrschaftsrecht,  er  ist 
aber  den  Anfalls-  und  Heimfallsberechtigten  für  waste  verantwort- 
lich und  hat  das  Recht  der  Verfügung  und  Belastung  nur  im 
Rahmen  seines  beschränkten  Rechtes.  Bei  der  zweiten  Gruppe 
kommen  in  Betracht  die  estates  by  the  courtesy  of  England,  in 
dower  und  of  tenant  in  tail  after  possibility  of  issue  extinct.  Das 
estate  by  the  courtesy  of  England  ist  das  Leibzuchtrecht  des 
Mannes  an  dem  gesamten  Immobiliarnachlaß  der  Frau  bei  beerbter 
Ehe  und  das  estate  in  dower  (doarium,  dos)  die  gesetzliche  Leib- 
zucht der  Frau  an  einem  Teil  (maximal  Vs)  der  Immobilien  des 
verstorbenen  Mannes1).  Heymann  sagt  hierzu:  „Eine  unterge- 
ordnete Art  der  estates  bilden,  als  estates  less  than  freehold,  die 
drei  Formen  der  estates  at  will,  estates  by  sufferance  und  estates 
for  years;  sie  sind  ehattels  real  und  unterstehen  im  Gegensatz 
zum  freehold  dem  Mobiliarrecht,  was  praktische  Bedeutung  be- 
sonders für  die  rechtsgeschäftliche  Begründung  dieser  Rechte 
(nicht  livery  of  seisin,  sondern  formloser  Vertrag,  neuerdings 
deed,  d.  i.  gesiegelter  Vertrag),  für  ihre  Vererbung  und  in 
Einzelpunkten  auch  für  ihre  Verfolgung  hat“*).  Das  wichtigste 
dieser  estates  less  than  freehold,  jener  ehattels  real,  ist  ohne 
Zweifel  das  estate  for  years.  Im  zwölften  Jahrhundert  finden 


■)  Hcyinann,  a.  a.  O.,  S.  815 — 817. 
*)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  817. 


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46 


wir  bereits  das  beneficial  lease  als  ein  Mittel  der  Geldauf- 
nahme und  als  eine  Form  der  Kapitalanlage  im  Wirtschaftsleben 
vor;  auch  wird  zu  dieser  Zeit  die  Verpachtung  auf  Jahre  (lease 
for  years)  zur  Sicherstellung  von  Forderungen  vorgenommen;  im 
dreizehnten  Jahrhundert  ist  das  lease  for  years  jedoch  im  allge- 
meineren Gebrauch.  Ara  Ende  des  zwölften  Jahrhunderts  wurde 
der  termor  von  den  vom  römischen  Recht  beeinflußten  Juristen 
als  nicht  im  Besitze  eines  free  tenement  angesehen,  es  wurde  ihm 
kein  Recht  an  dem  Lande,  kein  real  right  zuerkannt,  sondern  er 
wurde  nur  als  Nutznießer  betrachtet,  dessen  Rechte  durch  einen 
Vertrag  mit  dem  Verpächter  festgelegt  waren  und  dessen  Recht 
nichts  als  ein  chattel  real  war,  und  da  er  kein  „freeholder“ 
war,  hatte  der  termor  auch  kein  Recht  auf  die  possessorischen 
Klagen,  die  dem  freeholder  zustanden.  Der  termor  hatte  jedoch 
ein  aus  seinem  Vertrage  hergeleitetes  Recht  zur  Klage,  er  hatte 
ein  Recht  in  personam  gegen  den  Verpächter  und  seine  Erben. 
Das  ihm  zustehende  Rechtsmittel  war  die  Klage  „action  of  cove- 
nant“.  Mit  Hilfe  dieser  Klage  erwarb  er  den  Besitz,  oder  wie 
man  in  jener  Zeit  gewöhnlich  sagte,  die  seisina  des  Landes. 
Aber  diese  Klage  konnte  sich  nur  gegen  den  Verpächter  und  seine 
Erben  richten.  Die  Unzulänglichkeit  dieser  ganzen  Theorie  hin- 
sichtlich der  Rechte  des  termor  führte  schließlich  dahin,  daß  man 
sie  aufgab.  Ungefähr  im  Jahre  1235  wurde  eine  neue  Klage  für 
den  termor  eingefürt,  nämlich  die  Quare  eiecit  infra  terminum, 
und  auf  Grund  dieser  Klage  mußte  ein  Käufer,  welcher  das  Land 
von  dem  Verpächter  erworben,  dieses  dem  Pächter,  der  von  ihm 
aus  dem  Besitze  vertrieben  worden  war,  zurückgeben.  Vor  dem 
Ende  des  Mittelalters  war  es  dem  termor  noch  mit  Hilfe  einer 
anderen  Klage  — ein  besonderes  writ  of  trespass  de  eiectione 
firmae  — möglich,  nicht  nur  Schadenersatz  zu  erlangen,  sondern 
auch  den  Schutz  seines  Besitzes  gegen  alle,  die  ihn  unrecht- 
mäßiger Weise  zu  entziehen  oder  zu  schädigen  suchten.  Somit 
entwickelten  sich  in  England  zwei  Arten  des  rechtlich  geschützten 
Besitzes  — derjenige  des  freeholders  und  deijenige  des  termors,  — 
die  beide  bei  Betrachtung  der  englischen  Rcchtsgeschichte  ständig 
und  sorgfältig  auseinandergehalten  werden  müssen.  Die  ver- 
schiedenen rechtlich  geschützten  Besitzformen  wurden  durch  ent- 
sprechend verschiedene  Namen  unterschieden:  die  alte  „seisina“ 


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47 


des  freeholders,  geschützt  durch  assize;  die  neue  „possessio“  des 
leasee,  geschützt  durch  das  writ  of  trespass  ’). 

Die  bedingten  Besitztümer  (estates  upon  condition)  bilden 
eine  wichtige  Gruppe  unter  den  estates.  Estates  können  über- 
tragen werden  unter  Suspensiv-  (precedent,  ex  causa  praecedente) 
oder  unter  Resolutivbedingung  (subsequent,  ex  causa  subse- 
quente).  Besonders  interessant  ist  die  Anwendung  des  Prinzipes 
des  bedingten  Besitztums  bei  der  Verpfandung  von  Land  für 
Schulden,  wie  wir  später  sehen  werden1). 

Die  incorporeal  hereditatnents.  Die  purely  incorporeal  here- 
ditaments  — im  Gegensatz  zu  den  bloßen  Anwartschaften  — sind 
dingliche  Rechte,  aber  dingliche  Rechte,  welche  doch  nicht  die 
volle  Sachnutzung  gewähren.  Hier  kommen  zunächst  die  Prädial- 
servituten in  Betracht:  1.  easements,  die  nur  zur  Benutzung 

eines  fremden  Grundstücks  berechtigen,  und  2.  protits  ä prendre, 
die  zugleich  zur  Substanzentnahme  berechtigen.  „Des  weiteren 
gehören  zur  Gruppe  der  incorporeal  hereditaments  aber  auch  die 
Reallasten,  und  zwar  neben  dem  im  neunzehnten  Jahrhundert 
adärierten  und  auf  die  Getreidepreise  reduzierten  Kirchenzehnt 
(tithe)  und  den  alten  Hörigkeitslasten  (rent-service)  vor  allen  die 
rents-charge,  d.  i.  die  vorbehaltenen  und  die  — häufig  — gekauften 
Renten  an  freiem  Gut,  begründet  durch  Testament,  Ehevertrag  oder 
Registrierung,  und  heute  grundsätzlich,  auch  ohne  besondere  Klausel, 
mit  dem  Selbstpfändungsrecht  ebenso  ausgestattet  wie  von  alters 
die  — durch  den  eventuellen  Rückfall  gesicherten  — rents-service“. 
Unter  den  übrigen  incorporeal  hereditaments  sind  zu  erwähnen: 
die  nutzbaren  Regalien  und  Hoheitsrechte  (franchises  oder  liberties) 
und  das  Patronat  (advowson).  Die  incorporeal  hereditaments  sind 
keine  estates;  sie  sind  bloß  Gegenstand  von  estates5). 

d)  Die  Anfallsrechte  (estates  in  expectancy)  stehen  im  Gegen- 
satz zu  den' estates  in  possession.  Die  Anfallsrechte  sind  reversion 
und  remainder,  dem  anevelle  des  mittelalterlichen  deutschen 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  3G,  37,  106 — 117.  Uebcr 
das  heutige  Recht  siehe  Williams,  Real  Property,  S.  486 — 526;  Ileymann, 
a.  a.  0.,  S.  817-818. 

*)  Siehe  die  späteren  Ausführungen ; G u n d c r in  a n n,  a. a. 0.,  S.  239 — 24 1 ; 
Hey  inann,  a.  a.  0.,  S.  818;  Spence,  Equitable  Jurisdiction,  I,  S.  1 52  — 1 54. 

5)  Heymann,  a.  a.  0.,  S.  818,  819. 


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48 


Rechts  entsprechend.  „Reversion  ist  das  Recht  auf  den  Rückfall 
des  Gutes  für  den  Fall  der  Beendigung  eines  aus  dem  estate  im 
Wege  konstitutiver  Succesion  abgezweigten  estate  minderen  Inhaltes 
(z.  B.  Rückfall  an  den  Inhaber  des  fee  simple  nach  dem  Tode  des 
Leibzüchters).  Ein  remainder  andererseits  entsteht,  wenn  der  Be- 
steller eines  minderen  estate  (particular  estate)  die  reversion  nicht 
für  sich  behält,  sondern  gleichzeitig  an  eine  dritte  Person  — eben 
als  remainder  — überträgt“ '). 

e)  Die  Erwerbsarten  der  dinglichen  Rechte  werden  von  den 
englischen  Juristen  eingeteilt  in  die  titles  by  act  of  law  und  die 
titles  by  act  of  the  party.  Zu  den  titles  by  act  of  law  werden 
descent,  Intestaterbfolge,  escheat,  Heimfall  und  die  familienrecht- 
liche courtesy  und  dower,  zu  den  titles  by  act  of  the  party  werden 
occupancy,  forfeiture  (Verwirkung)  und  alienation  (conveyance, 
voluntary  transfer,  incl.  conveyance  by  devise,  d.  h.  durch  Testa- 
ment) gerechnet. 

Die  freiwillige  rechtsgeschäftliche  Übertragung,  die  alienation, 
erfolgte  im  englisch  - normannischen  Recht  in  der  Form  der  Be- 
lehnung (feoffment),  Das  feofl'ment  „zerfällt  entsprechend  der 
kontinentalen  Gestaltung  in  die  Herstellung  des  persönlichen  Treu- 
verhältnisses durch  das  feierliche  homage  oder  die  einfachere  (be- 
sonders bei  Verleihuug  von  socage  anwendbare)  fealty  und  in  die 
Herstellung  des  dinglichen  Verhältnisses  durch  die  gewöhnlich  mit 
homage  bezw.  fealty  zusammenfallende  Übertragungserklärung,  die 
Investitur;  an  diese  muß  sich  nach  englischer  Auffassung  aber  grund- 
sätzlich stets  die  reale  Besitzeinweisung,  die  livery  of  seisin  schließen, 
sodaß  man  sich  (eine  Frucht  vorübergehender  Einwirkung  der  röm. 
Traditionslehre)  mit  der  Herstellung  bloß  ideeller  Gewere  durch  Sym- 
bole nicht  begnügte.  Die  livery  of  seisin  erfolgte  in  deed,  d.  h.  unter 
feierlicher  Überreichung  der  über  das  Geschäft  aufgenommenen 
Urkunde  (deed,  von  alters  gebräuchlich,  obwohl  Schriftlichkeit  erst 
1677  essentiell  wird)  nebst  Investitursyrabolen  auf  dem  Grund- 
stück, oder  (formloser)  in  law  durch  bloße  Erklärung  angesichts 
des  Grundstücks,  der  aber  die  reale  entry  später  folgen  mußte“. 
Zur  Übertragung  von  Besitzrechten  (estates)  an  den  incorporeal 
hereditaments  genügte  schon  im  Mittelalter  die  bloße  traditio 

')  Hey  mann,  a.  a.  0.,  S.  819,  820. 


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49 


eartae.  Diese  letztere  Form  wurde  allmählich  verallgemeinert; 
und  wenn  man  von  dem  Verfall  der  feudalen  Prinzipien,  besonders 
in  persönlicher  Hinsicht,  absieht,  so  ergibt  sich,  daß  das  Statute 
of  Uses  vom  Jahre  1535  zu  diesem  Resultate  ganz  bedeutend 
beigetragen  hat.  Nach  dem  "27  Henry  VIII,  c.  ltl.  muß  die  Über- 
tragung von  freehold  estates  durch  Übergabe  einer  gesiegelten 
Urkunde  (deed)  und  enrolment  dieser  Urkunde  in  Westminster 
oder  beim  Grafschaftsgericht  erfolgen,  falls  die  Parteien  nicht  die 
alte  Belehnung  (feoffment)  mit  liverv  of  seisin  wählen.  Dieser 
Keim  eines  Buchsystems  wurde  aber  von  dem  .Juristenstand,  der 
das  Gesetz  durch  die  Übertragung  von  freeholds  mittels  des  Ver- 
fahrens von  lease  und  release  (estates  less  than  freehold  vom  Gesetz 
nicht  berührt)  umgingen,  erstickt.  Im  Jahre  1845  erfolgte  die 
Bestimmung  des  Parlaments,  daß  nicht  die  Übergabe  von  zwei 
Urkunden,  lease  und  release,  sondern  nur  eine  gesiegelte  Urkunde 
zur  Übertragung  von  freehold  estates  erforderlich  sein  sollte. 
Da  heutzutage  feoffment  und  enrolment  oft  nicht  praktisch  sind, 
so  fehlt  der  Regel  nach  in  England  noch  die  Publizität.  Die 
Bestrebungen  des  neunzehnten  Jahrhunderts  nach  einer  allgemeinen 
Grundbuchgesetzgebung  führten  zu  den  Land  Transfer  Acts  vom 
Jahre  1875  und  1897,  aber  zu  einem  durchgeführten  Grundbuch- 
system ist  es  noch  nicht  gekommen.  In  der  heutigen  Praxis  ist 
die  traditio  per  cartam  immer  noch  die  herrschende  Form1). 

f)  Die  Entwicklung  der  Immobiliarklagen,  sowohl  der  peti- 
torischen, wie  auch  der  possessorischen  hat  sich  an  das  nor- 
mannische Recht  angeschlossen.  Die  wichtigste  petitorische  Klage 
ist  das  writ  of  right  (breve  de  recto),  der  dinglichen  Klage 
des  deutschen  Rechts  des  Mittelalters  entsprechend.  Ein  An- 
wendungsfall dieser  Klage  ist  das  writ  of  right  of  dower.  Die 
assisa  novae  disseisinae  (Assize  of  Novel  Disseisin),  die  sich 
auf  frische  Dejektion  aus  der  seisina  (Gewere)  stützt,  ist  die 
wichtigste  possessorische  Klage.  Außerdem  sind  hier  die  assisa 
mortis  antecessoris  (des  Erben),  die  Wittumsklagen  (writ  of 

■)  Brunner,  a.  a.  O,,  S.  14011.:  Gundermann,  a.  a.  ().,  S.  201  ff.  ; 
Heymann.  a.  a.  ().,  S.  821,  822.  Siehe  Brunner,  Forschungen.  S.  4 ff.. 
lilSfl'.;  I.eake,  Digest.  S.  45— (Hl:  Williams.  Real  Property,  S.  143—157, 
195 — 212,  594— G57:  Pollock  and  Maitland.  a.  n.  (>.,  II.  80—10(5. 

Hszeltinr,  Englisches  l'faiulrccht  4 


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50  _ 

dower  unde  nihil  habet)  und  das  breve  de  ingressu  (writ 
of  entry)  zu  erwähnen.  Die  possessorischen  Klagen  haben  sich 
unabhängig  von  den  Interdikten  des  römischen  Hechts  ausgebildet, 
und  „höchstens  in  Grundgedanken“  sind  sie  durch  das  kanonische 
Hecht  beeinflußt  worden.  Das  Verfahren  bei  diesen  real  actions 
war  aber  schwerfällig  und  führte  seit  Heinrich  VII.  zur  Anwendung 
einer  bequemeren  petitorischen  mixed  action  an  ihrer  Stelle,  nämlich 
der  action  of  ejectment  (actio  de  eiectione  firina),  ursprünglich 
nur  die  Klage  eines  dejiziertcn  Pächters.  Die  meisten  Realklagen 
wurden  im  Jahre  1833  beseitigt;  und  die  action  of  ejectment 
wird  heute  als  action  for  the  recovery  of  possession  of  land  be- 
zeichnet '). 

II.  Mobiliarrecht.  Obgleich  sich  die  Idee  eines  Eigen- 
tumsrechts (general  property)  an  beweglicher  Habe  (movable 
goods,  ehoses  in  possession  als  Teil  des  personal  property)  nach 
und  nach  entwickelte,  so  haben  doch  neuere  Forscher  die  Frage 
aufgeworfen,  ob  das  frühere  Mittelalter  ein  Eigentumsrecht  am 
Mobiliar  im  Gegensatz  zum  Besitzrecht  gekannt  hat*).  In  der 
angelsächsischen  und  anglononnannischen  Zeit  handelte  man  nach 
dem  Prinzip  „Hand  wahre  Hand“.  Das  englische  Recht  hat 
„real  actions“  zum  Schutze  von  Fahrnisrechten  nie  gekannt, 
sondern  nur  „personal  actions“.  Seit  der  Abschaffung  der  alten 
Klageformen  und  seit  der  Entwickelung  der  Idee  des  „specific 
performance“  mit  einfacher  Klagebegründung  erreicht  man  jedoch 
denselben  Zweck  wie  mittelst  der  real  actions.  Im  alten  Rechte 
erfolgte  die  freiwillige  Übertragung  des  Fahrniseigentums  nur 
durch  körperliche  Tradition  (gilt  and  delivery t Zu  dieser  Form 
des  Erwerbs  ist  allmählich  die  Veräußerung  durch  Übergabe 
einer  gesiegelten  Urkunde  (deed)  und  die  Veräußerung  durch 
einfachen  Kaufvertrag  (sale)  getreten3). 


')  Brunner,  Entstellung  der  Schwurgerichte,  S.  293  ff.:  ileymann, 
a.  a.  ().,  S.  822,  823.  Siehe  ferner  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  <*..  II. 
S.  5.18 — 572;  Gundermann,  a.  a.  0.,  S.  318— 437. 

’)  Siehe  unten  Buch  II,  Teil  11.  Vgl.  Heymann,  a.  a.  O..  S.  823. 

3)  Heymann,  a.  a.  O.,  S.  823,  824.  Siehe  ferner  unten  Buch  II,  Teil  II ; 
Williams,  Personal  Property,  S.  1— 95:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0., 
II.  S.  149—188;  Köhler,  Archiv  für  Bürgerliches  Recht,  Bd.  18,  S.  50  ff. 


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_r»i 

Sechstes  Kapitel. 

Quellen  und  Literatur. 

Die  Hauptquellen1)  des  Rechts  der  angelsächsischen  Zeit  sind 
1.  die  Gesetze  der  Angelsachsen,  die  den  germanischen  Vnlks- 
rechten  des  Kontinentes  entsprechen*);  2.  Urkunden*);  3.  kompi- 
latorische  Arbeiten  aus  den  Anfängen  der  anglo-normannischen 
Zeit,  ilie  „angelsächsisches  Recht  darstellen  wollen  und  zum  Teil 
in  der  Absicht  verfaßt  worden  sind,  den  Bestand  des  alten  Rechtes 
den  Eroberern  gegenüber  zu  sichern“,  die  jedoch  als  Quellen  der 
angelsächsischen  Zeit  nur  mit  größter  Vorsicht  zu  benutzen  sind, 
da  sie  von  normannischem  Rechte  beeinflußt  sind. 

Unter  den  hervorragendsten  Quellen  der  Zeit  nach  der  nor- 
mannischen Eroberung  bis  zur  Zeit  Heinrichs  II.  (10(50  — 1154) 
verdienen  hervorgehoben  zu  werden:  1.  das  Domesday  Book,  das 
Reichsgrundbuch,  welches  gegen  Ende  der  Regierung  des  Eroberers 
erschien  und  als  Resultat  einer  offiziellen  Enquete  eine  vollständige 
Registrierung  des  englischen  Grundbesitzes  enthielt;  2.  die  Rechts- 
beschlüsse des  Exchequer  (die  Schatzrollen  werden  gewöhnlich 
Pipe  Rolls  genannt);  3.  Prozeßberichte  der  englischen  scriptores, 
königliche  Prozeßmandate  (writs)  und  prozessualische  Stellen  des 
Domesday  Book  und  der  Schatz  rollen '), 

Für  die  Zeit  von  Heinrich  II.  bis  gegen  das  Jahr  1300  stehen 
verschiedene  Arten  von  Quellen  zur  Verfügung.  Dies  sind  1.  die 
Statutes.  „Die  älteren  Satzungen  der  normannischen  Könige  zählen 
zu  den  Quellen  des  common  law.  Sie  sind  entweder  Constitutiones, 


')  Der  gegenwärtige  kurze  Überblick  über  die  Quellen  und  die  Literatur 
basiert  teilweise  auf  Brunners  Aufsatz:  Die  Quellen  des  cnglichen  Kerhts, 
Holtzendorff's  Kncyclupädie  (1890),  S.  329— 347.  Siche  ferner  eine  Über- 
setzung dieses  Aufsatzes  mit  selbständigen  Zusätzen  und  mit  einem  biblio- 
graphischen Anhang  von  W.  Hastie  unter  dem  Titel:  The  Sourccs  of  the 
Law  of  England,  an  historical  introductinn  to  the  study  of  English  Law  by 
H.  Brunner,  Edinburgh,  1888:  Gundermann,  Englisches  Privatrecht, 
8.  1—135:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  <>.,  1,  8.  Will  XXII.  1—225: 
Haie,  Hist.  Com.  Law:  Hey  mann,  Engl.  Privatrecht,  H oltzen  dorff’s 
Encyclopädie,  hrsg.  von  Köhler,  I 799 — 804. 

s)  Siehe  besonders  Schniid,  Gesetze  der  Angelsachsen:  Licheruiann, 
Gesetze  der  Angelsachsen. 

*)  Siehe  besonders  den  Codex  Diplomaticus. 

*)  Siehe  Bi  ge  low,  Placitn  Auglo-Morinaunica. 

4’ 


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Assissae  vom  König  nach  Beratung  mit  den  Großen  des  Landes 
erlassen  ....  oder  sie  heißen  (,’hartae,  Charters,  einseitige  könig- 
liche Verleihungen,  Freibriefe  zur  Abhilfe  von  Beschwerden  . . . 
Die  eigentlichen  Statuten  beginnen  mit  den  Provisiones  de  Merton 
aus  dem  20.  Regierungsjahre  Heinrichs  III.,  1236“  (Brunner). 

2.  Gerichtliche  Quellen:  a)  Writs  (brevia).  b)  Records,  Proto- 
kolle über  die  Verhandlungen  und  Entscheidungen  der  Gerichte. 

c)  Reports,  literarische  Aufzeichnungen  über  Gerichtsverhandlungen, 
enthaltend  eine  kurze  Erzählung  der  Tatsachen  des  Falles,  aus- 
führlicher die  Argumente  der  Parteien  und  die  Urteilsgründe '). 

3.  Die  Rotuli  Scaecarii.  4.  Chroniken,  Annalen,  etc.  3.  Car- 
tularies. 6.  Urkunden.  7.  Rechtsbücher:  a)  Der  Dialogus  de 
Scaccario  von  Richard  Fitz-Nigel.  b)  Der  Tractatus  de 
legibus  et  consuetudinibus  regni  Angliae,  das  Verfahren 
an  den  Königsgerichten  behandelnd,  verfaßt  wahrscheinlich  von 
Ranulph  de  Glanvilla,  einem  königlichen  Richter,  in  der  Zeit 
zwischen  11X7  und  11811,  „der  erste  Versuch  einer  wissenschaft- 
lichen Bearbeitung  des  einheimischen  Rechtsstoffes  im  modernen 
Europa“  (Gundermann),  c>  Der  Tractatus  de  legibus  et 
consuetudinibus  regni  Angliae,  verfaßt  von  Henry  de 
Bratton  (Bracton),  einem  Geistlichen  und  Richter  am  Königs- 
gericht unter  Heinrich  III,  (1216 — 1272),  „the  crown  and  flower 
of  English  medieval  jurisprudence  (Pollock  and  Maitland). 

d)  Fleta  seu  commentarius  iuris  Anglicani,  verfaßt  von 
einem  unbekannten  Juristen.  Den  Namen  Fleta  erhielt  es,  weil 
es  in  dem  sogenannten  Fleetgefängnis  entstand.  Es  basiert  in 
großem  Umfange  auf  Bracton,  enthalt  aber  auch  neues  Material. 

e)  Die  Summa  de  legibus  et  consuetudinibus  Angliae  von 
Gilbert  de  Thornton,  erschienen  ungefähr  im  Jahre  1292, 
wurde  niemals  gedruckt  und  scheint  verloren  zu  sein  ivon  Seiden 

')  Die  Reports  aus  der  Zeit  von  Eduard  I.  bis  Heinrich  VIII.  sind, 
abgesehen  von  einigen  Lücken,  veröffentlicht  worden  unter  der  Bezeichnung 
Vear  Hooks:  viele  derselben  sind  jedoch  sehr  fehlerhaft.  Eine  neue  und  zu- 
vcrlrissigc  Ausgabe  der  Year  Hooks  Eduards  II.  wird  jetzt  von  der  Seiden  Society 
unter  Leitung  von  Professor  Maitland  herausgegeben.  Bis  jetzt  sind  die 
folgenden  Bände  erschienen:  Bd.  1,  1 u.  2 Edward II,  A.  D.  1307 — 1309,  hrsg.  Ton 
Professor  Ma  it  lau  d,  London,  1903:  Bd.  II,  2 u.  3.  Edward  II,  A.  1).  1308  — 9 
und  1309  — 10,  hrsg.  von  Professor  Maitland,  London,  1904:  Bd.  III,  3 
Edward  II,  A.  I).  1309—1310,  hrsg.  von  Professor  Maitland,  London,  1905 


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53 


in  seiner  Dissertatio  ad  Fletam  erörtert),  fi  Ein  Rechtshuch, 
bekannt  unter  dem  Titel  B ritten,  geschrieben  wahrscheinlich  kurz 
nach  1290  von  einem  Beamten  im  Dienste  der  Krone  und,  wie  es 
scheint,  ein  Versuch  Eduards  I.,  das  englische  Recht  nach  Art 
der  Justinianischen  Institutionen  darzustellen,  g)  Die  Summa 
magna  et  parva  von  Ralph  de  Hengham,  erschienen  unter 
der  Regierung  Eduards  I.  und  beabsichtigt  als  eine  Ergänzung 
gewisser  Punkte  des  Bracton’schen  Werkes. 

Die  wichtigsten  Quellen  der  Periode,  die  mit  dem  vierzehnten 
Jahrhundert  beginnt  nnd  bis  zur  Zeit  Blackstones  (geb.  1723, 
gest.  1780)  reicht,  sind  1.  die  Statutes,  2.  die  gerichtlichen  Quellen 
(vor  allem  das  „Old  Natura  Brevium“,  das  offizielle  Registrum 
brevium  omnium  tarn  originalium  quam  iudicialium,  und 
die  amtlichen  Reports  bis  zur  Zeit  Heinrichs  VIII.),  ilnd  3.  die 
Jurisprudenz.  Nach  einer  Periode  lebhafter  literarischer  Tätigkeit 
von  seiten  der  englischen  Rechtsgelehrten  im  dreizehnten  Jahr- 
hundert erschienen  während  der  nächsten  anderthalb  Jahrhunderte 
keine  Rechtsbücher  mehr,  denen  irgend  welche  Bedeutung  hätte 
zugeschrieben  werden  können.  Mit  dem  Erscheinen  von  John 
Fortescue’s  De  laudibus  legum  Angliae  und  Thomas  Littleton's 
Ten u res  in  der  letzten  Hälfte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  be- 
ginnt in  der  Tat  eine  neue  Periode  in  der  englischen  Rechtsliteratur. 
Littleton’s  Ten u res  ist  eine  grundlegende  Darstellung  der  Besitz- 
lehre von  Grund  und  Boden  und  wird  von  Coke  als  „the  most 
perfect  and  absolute  work  that  ever  was  written  in  any  human 
Science“  bezeichnet.  Im  Jahre  1534  erschien  Anthony  Fitzherbert’s 
New  Natura  Brevium.  Unter  der  Regierung  Heinrich  VIII. 
hören  die  amtlichen  Reports  aut  und  an  ihre  Stelle  treten  die 
Privatarbeiten  von  freiwilligen  Reporters,  unter  denen  sich  einige 
der  bedeutendsten  englischen  Rechtsgelehrten  befinden,  wie  Dyer, 
Plowden,  Croke,  Yelverton,  Saunders,  vor  allem  aber  Coke.  Eine 
weitere  Klasse  wichtiger  literarischer  Werke  sind  die  abridgments 
oder  Bearbeitungen  der  Year  Books  von  Fitzherbert,  Rolle, 
llrooke  und  Bacon.  Eduard  Coke  (geb.  1552)  wurde  „die  ge- 
feiertste Autorität  unter  den  englischen  Juristen“  (Brunner).  Er 
veröffentlichte,  wie  eben  gesagt,  Reports  und  vier  Institutes,  von 
denen  das  erste  in  der  Gestalt  eines  Kommentars  zu  Littleton’s 
Tenures  erschien.  Matthew  Haie  (gest.  1(J7(>)  warein  bedeutender 


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r»4 


Jurist  und  schrieb  u.  A.  das  wohlbekannte  „History  of  the  Common 
Law“  und  eine  „Analysis  of  the  Law“.  Mit  der  Veröffentlichung 
der  „Conunentaries  on  the  Laws  of  England“  von  William  Black- 
stone igeb.  1723.  gest.  1730),  Advokat,  Richter  und  Professor  zu 
Oxford,  beginnt  eine  neue  Epoche  in  der  englischen  Jurisprudenz. 
Die  Commentaries  basieren  auf  Hale's  Analysis  und  sind  eine 
systematische  Darstellung  des  englischen  Rechts. 


Dritter  Teil. 

Terminologie  der  Quellen  des  englischen 
Pfandrechts. 

I.  Angelsächsische  Periode1). 

Die  Terminologie  Aber  den  Formal-  oder  Wettvertrag  ist  in 
dem  betreffenden  Abschnitt  über  diesen  Gegenstand  berücksichtigt. 

Das  eigenmächtig  genommene  Pfand  und  zwar  der  Gegenstand 
der  Viehpfändung,  wird  in  Ines  Gesetzen*)  mit  wed  bezeichnet’). 

Das  wegen  einer  Schuld  eigenmächtig  genommene  Pfand,  das 
Pfandobjekt,  bezeichnet  Ine  mit  wracu,  -e,  fern,4).  Näm,  -e, 
fern.,  von  niman  (nehmen)  erscheint  zum  ersten  Male  in  den  Ge- 
setzen der  Angelsachsen  bei  Cnut5),  und  ist  in  die  lateinischen 
und  französischen  Quellen  des  angelsächsischen  Rechts  auf- 

■)  Die  Citate  von  Stellen  aus  <len  angelsächsischen  Gesetzen  in 
dem  vorliegenden  Kapitel  über  Terminologie  sind  zum  grollten  Teil  der 
Schmid'schcn  Ausgabe  entnommen.  In  der  I.iebermann'schen  Ausgabe 
finden  sieb  nur  wenige  Varianten  Ton  wesentlicher  Bedeutung:  wo  solche 
vorhanden,  sind  sie  unten  in  den  Anmerkungen  zum  ersten  und  zweiten 
Teile  des  ersten  Buches  vermerkt,  woselbst  Citate  zu  allen  Stellen  der 
I. i cbcrin an n’schen  Ausgabe,  die  vom  Wettvertrag  oder  vom  Mobiliar- 
pfandrecht handeln,  zu  linden  sind. 

*)  Ine,  41)  pr.,  Schmid,  Gesetze,  S.  44. 

3)  Vgl.  von  Amira,  Das  altnorwegischo  Vollstreckungsvcrfahren,  S.  315. 

4)  Ine,  1),  Schmid,  Gesetze,  S.  24,  2ö,  Aum. 

s)  Cnut,  II,  11),  Schmid,  Gesetze,  S.  280,  mit  der  Überschrift  Be 
näämc.  — Ne  alium  intra  satrapem  cocrccat:  die  Überschrift  zur 
vetus  versio  luutet:  De  naniis  capiendis.  Schmid,  a.  a.  O.,  S.  280, 
281.  Siehe  Brunner,  Deutsche  RcchUgeschichte,  II,  S.  440:  Nicbols, 
Britten,  1,  S.  137,  Amn.  (t):  Schmid,  a.  a.  O.,  S.  636,  641. 


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55 


genommen1).  Die  angelsächsischen  Quellen  gebrauchen  auch  das 
Wort  bäd*).  Das  Pfand  wird  auch  mit  dem  Ausdruck  fiaet  he 
him  onnime  bezeichnet5). 

Für  den  Gegenstand  der  eigenmächtigen  Viehpfändung  hat 
die  vetus  versio  von  Ine,  4t*  pr.,  das  Wort  vadium  (als  Synonym 
für  wed)4). 

Für  den  Gegenstand  der  eigenmächtigen  Pfändung  wegen 
Schuld  finden  wir  in  den  lateinischen  und  französischen  Quellen 
folgende  Hezeichnungen : das  angelsächsische  Wort  mim  selbst5); 

*)  Cnut,  II,  19,  Schmid,  Gesetze,  S.  281,  Am».  9;  Wilhelm,  I,  44, 
Scbmid,  a.  a.  0..  S.  346. 

Das  Wort  nim  findet  sich  in  den  nordischen  Rechtsquellen  allgemein 
vor:  in  den  deutschen  Rechtsquellen  finden  sich  die  Formen  Nähme,  minie, 
nomc  (nehmen)  vor.  Es  scheint,  als  wenn  das  Wort  in  England  durch  die 
Dänen  eingeführt  wurde.  Siehe  Brunner,  a.  a.  0.,  II,  S.  445,  446:  Brunner, 
Entstehung  der  Schwurgerichte,  S.  129:  von  Amira,  Grundriß  des  germa- 
nischen Rechts,  S.  133:  Schmid.  Gesetze,  S.  636.  Britton,  der  zur  Zeit 
Edwards  I.  lebte,  sagt,  daß  naam  ein  allgemeiner  Ausdruck  für  Vieh  und 
alle  anderen  Mobilien,  die  Gegenstand  der  Pfändung  bilden,  sei.  Britton, 
liv.  I,  c.  XXVIII,  § 2.  Siehe  auch  Nichols,  Britton,  II,  S.  377. 

WiiVernäm  und  nijernäm  linden  sich  in  den  angelsächsischen  Quellen 
nicht  vor  (Schmid,  Gesetze,  S.  636):  in  späterer  Zeit  findet  man  die 
Formen  withernam  oder  wythernam  (z.  B.  in  den  Statutes  of  the  Rcalm, 
I,  8.  72.) 

*)  Gerrednes  betweox  Dünsetnn,  c.  3,  Schmid,  Gesetze,  S.  360. 
Die  Überschriften  zu  den  angelsächsischen  und  lateinischen  Texten  dieses 
Kapitels  sind:  Be  bädum  und  de  namo  (Schmid,  Goactze,  S.  360,  361). 
Siehe  Brunner,  Deutsche  Kechtsgeschichtc,  II,  S.  446:  Schmid,  a.  a.  O., 
S.  358  - 361,  533,  641. 

Der  Ausdruck  bäd  (bädian)  entspricht  dem  gotischen  baidjan, 
zwingen,  ahd.  peitjan.  peitan,  Gewalt  antun,  poscere,  urgere.  Räf,  Raub, 
für  das  genommene  Pfand,  ravia.  für  pfänden,  finden  sich  in  den  jüngeren 
friesischen  Quellen  vor.  Pfand,  ahd.  phant,  fant,  erscheint  zuerst  in  der 
Lex  Frisionum  (paut)  als  ein  Ausdruck  für  das  genommene  Pfand. 
Brunner,  a.  a.  0.,  II,  S.  446.  Siehe  von  Amira,  a.  a.  O.,  S.  133.  Mit 
räf,  Raub,  vgl.  das  angelsächsische  nyd-mbm,  spolatio,  nyd-nieman 
(njd-niman),  rauben  (Schmid,  Gesetze,  Glossar). 

s)  Ine,  9,  Schmid,  Gesetze,  S.  24. 

4)  Ine,  49  pr.,  Schmid,  Gesetze,  S.  45. 

s)  Siehe  Anui.  I oben.  Vgl.  das  nordische  tak  in  v.  Amira,  Alt- 
norwegisches Vollstreckungsverfahren,  S.  331  und  Grundrill  des  germanischen 
Rechts,  S.  132. 


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namus,  namium  (als  Synonym  für  nam)'),  und  wieder  namus 
(als  Synonym  für  häd!j;  namium5);  den  Ausdruck  quodcumque 
per  vim  caperit  (als  Synonym  für  p a e t he  liiin  onnime)4). 

Der  Gegenstand  der  gerichtlichen  Pfändung  wird  in  den 
Quellen  folgendermaßen  ausgedrückt:  eall  (ealle ) paet  he  äge 
(quicquid  habet)5);  on  hi 8 teil  tan  in-borh  (de  pecunia 
sua  inborhgum)*);  namium7). 

Für  die  Viehpfiindung.  d.  h.  den  Pfändungsakt  selbst,  findet 
man  bei  Ine  den  Ausdruck  genime  wed  (capiat  vadium*). 

Für  die  Pfandnahme  wegen  Schuld  sind  in  den  Quellen 
folgende  Ausdrücke  enthalten:  paet  he  him  onnime  (quodcum- 
que per  vim  ceporit)9);  And  ne  nime  nAn  man  näne  närne 
(Et  nemo  nnmum  capiat)10):  He  nAAme.  --  Ne  alium  intra 
satrapem  coerceat  (De  namis  capiendis)");  leAfe  . . . 
paet  he  möte  hentan  [hemten,  ha-tan]  aefter  his  ägenan 
[is  Agan]  (tune  licentiam  accipiat,  ut  . . . . suum  audeat 

perquirere  '*)  oder  auch  licentia ut  possit  accipere  name, 

quousque  habeat  sua)11);  Neprenge  hum  nam  nul  (Nullus 


')  Cnut,  II,  19,  Schmid,  Gesetze,  S.  281:  Wilhelm,  I,  44,  Schmid, 
a.  a.  0.,  S.  347.  Siche  oben  S.  .74,  Anm.  5. 

*)  Gera-dncs,  betweox  Ddnsetan,  c.  3,  Schmid,  Gesetze,  S.  361. 
Siehe  oben  8.  53,  Anm.  2. 

3)  Überschrift  zur  vetus  vursio  von  Wilhelm,  I,  44,  Schmid,  Ge- 
setze, S.  347:  Carta  ciribus  London,  $ 14  (capiant  namia  sua), 
Schmid,  a.  a.  0.,  S.  435. 

4)  Ine,  9,  Schmid,  Gesetze,  S.  25. 

*)  Aethelstan,  II.  20,  § 1,  Schmid.  Gesetze,  S.  142,  143. 

*)  Edward  II,  3,  § 1,  Schmid,  Gesetze,  S.  114,  115.  Siehe  Logos 
Henrici  Primi,  c.  82,  §2  (de  suo  aliquid  pro  inborgo  retineatur), 
Schmid,  a.  a.  0.,  S.  479.  Siche  ferner  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  115,  Anm.  und 
Glossar  s r.  inborh. 

*)  I.egcs  Henrici  Primi,  c.  29.  § 2.  Schmid,  Gesetze,  S.  449: 
Luges  Henriei  Primi,  c.  51,  §§  5,  B,  7,  8,  Schmid,  n.  a.  0.,  8.458. 

•)  Ine,  49,  Schmid,  Gesetze,  S,  44,  45. 

9)  Ine,  9,  Schmid,  Gesetze.  S.  24.  25. 

Iu)  Cnut,  II,  19,  Schmid,  Gesetze,  S.  280,  281. 

")  Überschrift  zu  Cnut,  II,  19,  Schmid,  Gesetze  S.  280,  281. 

’*)  Cnut  II,  19,  Schmid,  Gesetze,  S 280,  281. 

■*)  Dies  ist  eine  zweite  Lesart  der  vetus  versio  von  Cnut  II,  19, 
Schmid,  Gesetze,  S.  281,  Anm,  2. 


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namium  capiat)');  dunt  prenge  conge,  que  il  pussc  nam 
prendre  pur  le  son  luin  e pres  (accipiat  licentiam  namium 
capiendi  pro  suo,  et  prope  et  longe)*);  Gif  bäd  genumen 
sy  on  monnes  orfe  (Si  capiatur  de  alicujus  pecunia)*); 
Jionne  begyte  [>ä  bade  häm,  se  f>e  heö  fore  genumen  sy 
(perquirat  i 1 1 e namum,  pro  quo  captum  est,  vel  de  suo 
proprio  restituat  ei,  cujus  pecunia  eapta  [causa]  est)*); 
Ne  quis  ternere  namium  capiat5);  capiant  namia  sua‘); 
bädian  (namiari)7);  namiare8). 

Die  gerichtliche  Pfändung  wird  in  den  Quellen  folgendermaßen 
ausgedrückt:  and  nimon  eall  [nimen  ealle]  [>aet  he  äge  (et 
capiant  quicquid  habet)*);  niman  on  las  aehtan  in-borh 
(accipiant  de  pecnunia  sua  inborhgum ,u);  capiatur  de 
suo’1);  aliquem  namiet15);  si  vicecomes  namium  capiat13); 
divadiare1*). 

Das  gerichtlich  genommene  Pfand  gewaltsam  zurückzunehmen, 
heißt  in  den  Leges  Henrici  Primi,  Cap.  51,  §§  7,  8,  excutere 
namium;  und  die  Strafe  dafür  ist  overseunessa14). 


')  Wilhelm,  I,  44,  Schmid,  Gesetze,  8.  346,  347. 

*)  Wilhelm  I,  44,  Schmid,  Gesetze,  S.  347,  349. 
s)  Gerwdnes  betweox  Dünsetan  (Scnatuscunsultum  deMonti- 
colis  Walliae),  c.  3,  Schmid,  Gesetze,  S.  360,  361. 

4)  Siehe  obon  Anm.  3. 

5)  tberschrift  zur  vetus  vorsio  von  Wilhelm,  I,  44,  Schmid,  Ge- 
setze, S.  347. 

*)  Carta  civibus  London,  § 14  (Hcnr.  2),  Schmid,  Gesetze. 
S.  435,  642. 

7)  Gcrmdnes  betweox  Dünsetan  (Senatusconsultum  de  Mon- 
ticolis  Walliae),  c.  2,  Schmid,  Gesetze,  S.  358,  259.  Siehe  Brunner, 
Deutsche  Rechtsgeachichtc,  11,  S.  446:  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  358—361, 
533,  641. 

*)  Leges  Henrici  Primi,  c.  51,  §3,  Schmid,  Gesetze,  S.  457. 

*)  Acthelstan  II,  20,  § 1,  Schmid,  Gesetze,  S.  142,  143. 

I0)  Edward,  II,  3,  § 1,  Schmid,  Gesetze,  S.  114,  115. 

")  Leges  Henrici  Primi,  c.  29,  §2,  Schmid,  Gesetze,  S.  449. 

IS)  Leges  Henrici  Primi,  c.  51,  §4,  Schmid,  Gesetze,  S.  457. 

•*)  Henr.,  c.  51,  § 6,  Schmid,  Gesetze,  S.  458. 

'*)  Siehe  Schmid,  Gesetze,  Glossar,  s.  v.  divadiare. 

,J)  Schmid,  Gesetze,  S.  458.  Siehe  Thurpe,  Ancient  Laws  and  Inst. 
England,  Glossar,  s.  v.  ezeussiu. 


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:>8 


Die  Leges  Henrici  Primi  gebrauchen  namium  vendere 
für  den  Verkauf  des  gerichtlich  genommenen  Pfandes1;. 

Für  das  freiwillig  gegebene  Mobiliarpfand  wegen  Schuld, 
d.  h.  den  Gegenstand  der  Pfandbestellung,  wird  nicht  nur 
wed*),  sondern  auch  under-wed’)  gebraucht.  Ob  diese  beiden 
Wörter  verschiedenerlei  Bedeutung  hatten,  ist  nicht  bekannt4). 
Das  Synonym  von  wed  und  under-wed  in  den  lateinischen 
Quellen  ist  vadium1). 

Das  gegebene  Mobiliarpfand  im  Prozeß  wird  in  den  angel- 
sächsischen Quellen  durch  die  folgenden  Wörter  bezeichnet:  wed, 
wedd,  (-es,  n.,  ahd.  wetti,  mittellat.  vadium4):  under-wed7) 
ceäp,  ceäc  (-es,  m.)*);  borh,  (-ges,  m)9).  In  den  lateini- 

*)  Uenr.,  c.  51.  §6,  Schmid,  Gesetze  S.  458. 

J)  Dunsetan,  c.  1,  Schmid,  Gesetze,  Anh.  I,  S.  358.  Siehe  Lotters  and 
Papers  Illustrative  nf  the  Rcigns  of  Richard  III  and  Henry  VII,  (Rulls),  hrsg. 
von  Gairdner,  8.  332,  387.  388. 

*)  Dunsetan,  c.  I,  Schmid,  Gesetze,  Anh.  I,  S.  358.  Das  Wort 
under-wed  für  das  gegebene  Pfand  findet  sich  in  c.  8 von  Dunsetan, 
Schmid,  Gesetze,  Anh.  I,  S.  3G2.  Auch  im  lat.  Test  dieser  Stelle  findet 
sich  das  Wort  underwed.  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  363. 

4)  Siehe  Thorpe,  a.  a.  0.,  Glossar,  s.  v.  wed. 

5)  Dunsetan,  c.  1.  Schmidt,  Gesetze,  Anh.  1,  S.  359.  Das  Wort 
wed,  wedd,  -es,  n.,  ahd.  wetti,  mittellat.  vadium,  hat  in  den  angcls. 
Quellen  eine  zweifache  Bedeutung,  die  zu  berücksichtigen  ist.  Krstens  ver- 
steht man  darunter  specicll  das  Pfand,  l'nterpfand.  pignus.  Siehe  Schmid, 
Gesetze,  S.  673  und  Glossar  s.  v.  underwed:  vgl.  auch  daselbst  s.  v.  diva- 
diare,  divadiatio,  vadium,  vadimonium,  vadiarc.  Zweitens  versteht 
man  darunter  das  Gedinge,  Gelöbnis,  Bündnis,  pactum,  foedus  (siehe  Beleg- 
stellen bei  Schmid,  Gesetze,  S.  674:  ferner  daselbst  s.  v.  wcd-brycc, 
weddian:  unten  Buch  I,  Teil  II).  Vielleicht  hatte  es  auch  die  Bedeutung 
von  Sicherheit  überhaupt  (Schmid,  Gesetze,  S.  673,  674:  siehe  auch  ferner 
Grimm,  Rechtsaltcrth.,  II,  S.  141  ff.  169). 

*)  Ine,  8,  Schmid,  a.  a.  0..  S.  24:  Aethelred  III,  3,  7,  12.  Schmid, 
a.  a.  0.,  S.  214,  216.  Siehe  Schmid,  a.  a.  O.,  Glossar,  s.  v.  wed,  wedd 

7)  Dunsetan,  c.  8,  Schmid,  Gesetze,  S.  362. 

B)  Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  S.  50:  Schmid,  a.  a.  0.,  Glossar,  s.  v. 
coap,  (5)  und  S.  50,  51,  Anm.  zu  Ine,  62.  Vgl.  aber  I.icbcrmann,  a.  a. 
0.,  S.  116,  der  bei  Ine  62  ceac‘(Kesscl)  liest.  Siehe  ferner  unten  Buch  I. 
Teil  I,  sowie  Licbermann,  Kesselfang  bei  den  Westsachsen  im  siebenten 
Jahrhundert,  Sitzungsberichte  der  königl.  preuss.  Akademie  der  Wissen- 
schaften (1896),  S.  829  -835. 

®)  Edward,  I.,  1,  § 5,  Schmid,  Gesetze,  S.  112:  Schmid,  a.  a.  0., 
Glossar,  s.  v.  borh,  4. 


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srlien  Quellen  findet  man  vadium  (als  Synonym  für  wed, 
wedd)1);  vadium  recti  (als  Synonym  für  wed,  wedd)*); 
vadium,  vadium  recti,  vadimoniutn  recti3);  plegium 
(als  Synonym  für  borh)4);  captale  (als  Synonym  für  ceäp)*); 
l'auces  (als  Synonym  für  ceäp,  ceäc)6);  certamen  (als  Syno- 
nym für  ceäp,  ceäc)7);  underwed  (als  Synonym  für  under- 
wed)3). 

Die  Pfandbestellung  wegen  Schuld  wird  durch  den  angel- 
sächsischen Ausdruck  under-wed  lecgan  und  den  gleichbe- 
deutenden lateinischen  vadium  ponere  bezeichnet3).  Die  Leges 
Edwardi  Confessoris  gebrauchen  das  Wort  in vadiare1"). 

Für  die  Pfandbestellung  im  Prozell  finden  wir  folgende  Aus- 
drücke der  angelsächsischen  Quellen:  under-wed  lecgan”); 
wedd  lecgan15);  tö  wedde  lecgan13);  wedd  [wed]  sellan”) 
oder  wedd  syllan1*);  tö  borge  settan  [seatan] 1B) ; tö  ceäpc 
[ceäce]17);  tö  gesellanne  [syllanne,  gesyllanne]  beforan 
ceäpe  [ceäce]13);  ceäp  seien  [sylan,  syllan]13).  Die  lateini- 
schen Quellen  drücken  sich  folgendermaßen  aus : vadium  ponere 

•)  Acthelred,  [II,  3,  7,  12,  Schmid,  Gesetze,  S.  215,  217. 

*)  Ine,  8,  Sclitn id,  Gesetze,  S.  25. 

3)  Hcnr.  c.  52,  Schuiid,  tiesctzc,  S.  458.  Siche  auch  Schmid,  a.  a. 
O.,  S.  424  und  Glossar,  s.  v.  divadiatio. 

4)  Edward,  I,  I,  §5,  Schmid,  Gesetze,  S.  113. 

5)  Ine,  82,  Schuiid,  Gesetze,  S.  51. 

()  Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  8.51;  siehe  ferner  Schm  id’s  Anmerkung 
zu  dieser  Stelle. 

7)  Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  S.  51. 

8)  Dünsetan,  c.  8,  Schmid,  Gesetze,  S.  363. 

3)  Dünsetan,  c.  1,  Schmid,  Gesetze,  S.  358,  359. 

’")  Leges  Edwardi  Confessoris,  c.  32,  § 10,  Schmid,  tiesctzc,  S.  510 
und  Glossar  s.  v.  invadiarc. 

")  Dünsetan,  c.  8,  Schmid,  Gesetze,  S.  362. 

■5)  Aethclred,  III,  12,  Schmid,  Gesetze,  S.  216. 

,3)  Aethelrcd,  III,  7,  Schmid,  Gesetze,  S.  214. 

’*)  Ine,  8,  Schuiid,  Gesetze,  S.  24. 

IS)  Aethelrcd,  111,3,  Schmid,  Gesetze,  S.  214. 

■6)  Edward.  I,  1,  §5,  Schmid,  Gesetze,  S.  212. 

”)  Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  S.  50. 

la)  Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  S.  50. 

I3)  Ine,  62,  Schuiid,  Gesetze,  S.  50. 


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(Synonym  ftir  wedd  I er  pan) ') ; in  vadium  ponere  (als  Synonym 
für  tö  wedde  lecgan)*);  vadium  dare  (als  Synonym  für  wedd 
syllan)3);  vadium  recti  dare  (als  Synonym  für  wedd  [wed] 
sellan)4);  vadimonium  recti,  vadium  dare5);  per  plegium 
mittere  (als  Synonym  ffir  tö  horge  settan  [seatan]6);  under- 
wed  mittere  (als  Synonym  für  under-wed  lecgan)7);  captale 
dare  oder  auch  vadiare  et  cajttale  dare  (als  Synonym  für  ceäp 
seien  [syllan,  sylan]*);  ad  dandum  ante  certamen  (als 
Synonym  für  tö  gesellanne  [syllanne,  gesyllanne]  beforan 
ceäpe  [ceäce]“);  ad  componendum  und  auch  ad  fauces  (als 
Synonyme  für  tö  ceäpe  [ceäce]lu). 

Die  Auslösung  des  für  eine  Schuld  gegebenen  Pfandes  durch 
Tilgung  der  Schuld  wird  bezeichnet  mit  wed  undön  mid  rihtan 
gylde;  und  die  vetus  versio  hat  als  Synonym  vadium  redi- 
mare  recta  persolutione"). 

Bei  den  Quellen  über  im  Prozeß  gegebenes  Pfand  finden  wir 
die  Pfandanslösung  bezeichnet  mit:  ceäp  geinnian  (Synonym 
captale  intimare)7*). 

Für  den  Verfall  des  Pfände»  im  Prozesse  haben  wir  die  Aus- 
drücke Jtolige  ponne  his  ceäpes  (perdat  captale  suum)13) 
und  gilde  än  C.  (reddat)74). 


')  Acthelred.  III,  12,  Schmid,  Gesetze,  8.  217. 

*)  Aethelred,  III,  7,  Schmid,  Gesetze,  S.  215. 

3)  Aethelred,  III,  3,  Schmid,  Gesetze,  S.  215. 

*)  Ine,  8,  Gesetze,  Schmid,  S.  25. 

5)  Henr.,  c.  52,  Schmid,  Gesetze,  S.  458. 

*)  Edward,  I,  1,  §5,  Schmid,  Gesetze.  S.  113:  Schmid,  a.  a.  0., 
Glossar,  s.  v.  p 1 egi  um.  Borh  und  plegium  werden  in  den  Quellen  des 
angelsächsischen  Rechts  für  persönliche  Sicherheit  (Bürgschaft)  und  für 
Pfand  gebraucht.  Siehe  Schmid,  a.  a.  0.,  Glossar,  s.  v.  plegium:  vgl.  da- 
selbst s.  v.  inborh. 

7)  Dünsetan,  c.  8,  Schmid,  Gesetze,  S.  303. 

")  Ine,  02,  Sclunid,  Gesetze,  S.  51. 

9)  Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  S.  51. 

Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  S.  51:  siehe  auch  Anmerkung  daselbst. 

")  Dünsetan,  c.  1,  Schmid,  Gesetze,  Anh.,  S.  358,  35!>:  und  daselbst 
Glossar,  s.  v.  undön. 

'•)  Ine,  62,  Schmid,  Gesetze,  S.  50,  51. 

,3)  Siebe  oben  Anm.  12. 

'*)  Aethelred,  III,  7,  Schmid,  Gesetze,  S.  214,  217. 


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fil 


Als  Bezeichnung  <les  Immobiliarnutzpfandes  selbst,  d.  li. 
des  Gegenstandes  der  Verpfandung,  finden  wir  in  den  Urkunden 
folgende  Worte  und  Ausdrücke:  underwedd'J;  an  wedd*);  uadi- 
monium5); sceat  on  pam  lande  stent4). 

Die  Schuld  wird  ausgedrückt  mit:  mutuum*);  sceatp)(Geld)  '); 
1 ;‘e  n *). 

Die  Pfandbestellung  heißt:  to  underwedde  gesyllan*);  tö 
anwedde  bet;t*can '“);  pro  uadiinonio  dare");  he  haebbe 
paet  land  for  pundum  pe  he  linde1*). 

Die  angelsächsischen  Urkunden  bezeichnen  das  Immobiliar- 
Proprietätspfand,  d.  h.  den  Gegenstand  der  Proprietätsver- 
pfändung mit:  uadimonium ,5);  land  «Va-ron  stent  ü'äm  bis- 
ceope  eahte  marca  goldes14). 

Für  die  Schuld  finden  wir  die  Bezeichnungen:  mutuum'6); 
praetium'*);  marca  goldes11). 

Bezeichnungen  für  die  Pfandbestellung  sind:  commendare1*); 
donare'*);  dare*“);  in  uadimonium  dare*4). 

')  Crawford  Charters,  hrsg.  von  Napier  and  Stevenson,  S.  65. 

*)  Kemble,  Cod.  Dip.  CCCCXCIX. 

3)  Kcinble,  Cud.  Dip.  MCCXXXVII. 

4)  Crawford  Chart.,  S.  65. 

6)  Kcinble.  Cod.  Dip.,  MCCXXXVII. 

6)  Crawford  Chart.,  S.  65. 

7)  Siehe  Sehmid,  Gesetze,  Glossar,  s.  v.  sceat. 

*)  Kemble,  Cod.  Dip.,  DCCCCXXIV.  Siehe  Brunner,  Zur  Kerhts- 
geschichte  der  römischen  und  germanischen  Urkunde,  S.  198,  Anut.  1,  und 
Sehmid.  Gesetze,  Glossar,  s.  v.  la«n. 

*)  Crawford  Chart.,  S.  65.  Siehe  Sehmid,  Gesetze,  Glossar,  s.  v.  sy  11  an. 

"’)  Kemble,  Cod.  Dip.,  CCCCXCIX.  Siehe  Sehmid,  Gesetze,  Glossar, 
s.  v.  beta<acan  (-tiehtc,  -taeht),  impertirc,  überliefern. 

")  Kemble,  Cod.  Dip.,  MCCXXXVII. 

'-j  Kemble,  Cod.  Dip.jDCCCCX  XI  V.Siehe  Brunn  er,  a.a.O.,S.198,  Amn.l. 

**)  Kemble,  <’od.  Dip.,  DCXC. 

'•)  Kemble,  Cod.  Dip.,  DCCCCLIII. 

“)  Kemble,  Cod.  Dip.,  DCXC. 

w)  Kemble,  Cod.  I>ip.,  CLXXXVI.  Siehe  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  197. 

,7)  Kemble,  Cod.  Dip.,  DCCCCLIII. 

,a)  Kemble,  Cod. I)ip.,  CLXXXVI:  siebo  Brunner,  a.  a.O.,  S.  196,  197. 

,9)  Kemble,  Cod.  Dip.,  DCLXXXIX.  Siehe  Kemble,  a.  a.O.,  DCXC 
uml  Brunner  a.  a.  0.,  S.  195.  Vgl.  Kemble,  a.  a.  0.,  CLXXXVI. 

*“)  Siehe  oben  Anm.  19. 

»')  Kemble,  Cod.  Dip.,  DCXC. 


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r.-2 

Praetium  reddere1)  wird  in  einer  Urkunde  für  die  Einlösung 
des  Pfandes  gebraucht. 

II.  Zeitabschnitt  von  der  normannischen  Eroberung  bis 
zum  Ausgang  des  Mittelalters*). 

Die  übliche  Bezeichnung  für  den  Formal-  oder  Wettvertrag 
ist  interpositio  fidei  oder  affidare;  im  Englischen  wird  der 
Vertrag  gewöhnlich  pledge  of  faith  genannt. 

Der  Akt  der  Pfändung  von  Mitbiliar  wird  in  den  lateinischen 
Quellen  gewöhnlich  bezeichnet  mit  distringere  = zwingen,  doch 
findet  man  auch  tlas  Wort  deforciare*). 

Das  Pfandobjekt  heißt  d ist  riet  io.  Britton,  der  zur  Zeit 
Eduards  I.  lebte,  gebrauchte  das  normannisch-französische  Wort 
naam  für  das  Pfandobjekt  ‘).  Ferner  findet  man  das  Wort  namium1). 
Mit  dem  Ausdrucke  distresse  ist  ebenfalls  das  Pfandobjekt  ge- 
meint. Distresse  ist  wahrscheinlich  ein  französisches  von  dem 
lateinischen  districtio  sive  angustia  abgeleitetes  Wort,  denn 
die  gepfändeten  Sachen  werden  in  einem  straight  oder  Pfandstall 
untergebracht6).  Andere  leiten  das  Wort  ab  von  distringere  = 
zwingen’).  Destresse')  und  destresce9)  sind  nur  eine  andere 

')  Kemble,  Cod.  Di]'.,  CLXXXVI.  Siehe  Brunner,  a.  u.  0.,  S.  197. 

*)  l>ie  Besprechung  der  Terminologie  der  Quellen  dieses  Zeitabschnittes 
ist  etwas  unvollständig;  (Genaueres  hierüber  ist  in  der  Arbeit  selbst  zu  linden. 

3)  Siehe  Publications  of  the  Pipe  Roll  Society,  III,  S.  79. 

4)  Siehe  oben  S.  55  Anm.  1 und  Spei  man,  filossarium,  s.  v.  Na  in,  Ka- 
in alio.  Das  Wort  kommt  häufig  in  englischen,  in  nnruiännisch-franziisischer 
Sprache  geschriebenen,  Keehtsqucllen  und  Wiehorn  vor.  Nnani  findet  man 
in  dem  Mirror  of  Justices  (Seid.  Soc.),  S.  70—73.  Der  tirand  f'oustu- 
111  j e r de  Normandie  enthält  ein  Kapitel,  überschrieben  De  dclivcrance 
de  Nain]is.  Siehe  auch  Bullen.  Distress,  S.  8,  Anm.  (1). 

*)  Siehe  Stubbs,  Select  Charters,  tilossar,  s.  v.  na  min  in. 

6)  Coke  über  Littleton,  9(ia.  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O., 
II,  S.  575;  Blackstone,  III,  c.  I,  § V. 

’)  Siehe  Bullen,  a.  a.  0.,  S.  1,  Anm.  (c);  Spelman,  n.  a.  O.  s.  v. 
Distringere,  Districtus,  Districtio;  Digby,  History  of  Real  Property, 
S.  83,  434. 

®)  Das  Wort  erscheint  in  alten  engl.  Schriften  und  in  normannischen 
mittelalterlichen  Rcchtsqnellen.  Siehe  Murray,  Dictionary,  S.  532,  tit. 
Distress,  II;  Bullen,  a.  a.  0.,  S.  2.  Anm.  (c). 

*)  Britton,  liv.  I,  c.  XXY11I,  §2.  Siehe  auch  den  Mirror  of  Justices 
(Seid.  Soc.),  S.  7«,  71. 


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(iS 


Schreibweise  desselben  Wortes.  Destreynable ’)  nnd  destrei- 
nable*)  bezeichnen  die  Pfändbarkeit  eines  Gegenstandes. 

Der  Akt  der  Fortnahine  von  Gegenständen  und  deren  Einbe- 
haltung, um  den  Gepfändeten  durch  das  Verlangen,  die  Gegen- 
stände zurüekzuerhalten,  zu  zwingen,  Zahlung  zu  leisten  oder  irgend 
eine  andere  Handlung  vorzunehmen,  ist  bekannt  unter  der  Be- 
zeichnung „distress“  (districtio*).  Das  Wort  distress  findet 
jedoch  in  den  Quellen  und  in  der  englischen  Rechtsliteratur  so 
verschiedenartige  Anwendung,  daß  man  unter  demselben  nicht 
nur  den  Akt  der  Fortnahme,  sondern  auch  das  Pfändobjekt  selbst 
und  das  Rechtsmittel  im  allgemeinen  versteht4).  Als  Rechtsmittel 
findet  das  Wort  distress  für  verschiedene  Zwecke  Anwendung,  z.  B. 
für  das  Recht  des  Grundherrn,  seinen  Lehnsmann  zur  Zahlung 
rückständiger  Rente  oder  zur  Verrichtung  von  Diensten  zu 
zwingen5).  Ferner  versteht  man  unter  distress  sowohl  die  Pfän- 
dung von  Mobilien,  als  auch  die  von  Immobilien,  gleichgiltig  ob 
es  sich  um  eine  Pfändung  mit  Renten tionsrecht,  Verfallsrecht  oder 
Verkaufsrecht  handelt. 

Die  üblichste  Bezeichnung  für  das  gegebene  Mobiliarpfand  ist 
vadium  (pledge,  pawn)  und  die  gebräuchlichsten  Benennungen 
lür  den  Akt  der  Verpfändung  vadiare6)  und  ponere  in  va- 
dium7). 

Betreffs  des  Immobiliarpfandes  mit  Besitz  des  Gläubigers 
finden  wir  im  Domesday  Book  die  folgenden  Bezeichnungen:  für 
Pfand  — vademonium,  für  den  Akt  der  Verpfändung  — inva- 

')  Britton,  liv.  I,  c.  II,  §7. 

*)  Britton.  liv.  I,  c.  XXVIII,  § 10. 

*)  Siche  ferner  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  575,  570, 
Amu.  III.  Siehe  auch  Bullen,  a.  a.  ().,  S.  1;  Blackstone,  III,  r.  1,  § V. 
Vgl.  den  Mirror  of  Justices  (Seid.  Soc.),  S.  70 — 73. 

*)  Siehe  Bullen,  a.  a.  0.,  S.  2. 

s)  Siehe  Glanvill,  IX,  X,  XI:  Coke  über  Littleton,  47:  Brooke; 
Abridgment,  tit.  Distress;  Doctor  and  Student,  (Ausg.  1554),  2.  Buch,  e. 
VIII,  IX,  XXVII:  Beilewe,  Lcs  Ans  du  Roy  Richard  le  Second,  tit.  Dis- 
tres:  Special  and  Selected  Law  C'ases:  Blackstone,  III,  c.  I,  § V: 
Bullen,  a.  a.  0.,  S.  2;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0..  II,  S.  275,  570. 

*)  Siehe  The  Court  Baron  (Seid.  Soc.),  hrsg.  von  Maitland  andl’alcy, 
S 125,  120. 

7)  Siehe  Select  Plcas  öf  the  Crown  (Seid.  Soc.)  hrsg.  von  Mait- 
land, 8.  6. 


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f>4 


diare1),  ponere  in  radimoninm.  dare  in  vadimonium1),  für 
den  Besitz  des  Pfandgläubigers  — tenere  pro  vadimonio*), 
habere  in  vadimonio4),  für  den  Zustand  des  Verpfändetseins  — 
invadiata  terra4),  für  die  Einlösung  des  Pfandes  — dissolutum 
a vadimonio®) 

Die  Todsatzung  des  englischen  mittelalterlichen  Rechts  wird 
von  den  Schriftstellern  der  Neuzeit  vivum  vadium  oder  vif- 
gage  genannt7).  Ob  diese  Ausdrücke  auch  schon  im  Mittelalter 
im  Gebrauch  waren,  darüber  haben  wir  keine  Beweise.  Die  Zins- 
satzung wird  von  Glanvill  mortuum  vadium  genannt8)  und 
unter  dieser  Bezeichnung  ist  sie  auch  in  der  modernen  Rechts- 
literatur bekannt.  Die  befristete  Zinssatzung  wird  von  Littieton 
mortgage  oder  mortuum  vadium  genannt9). 

Für  den  Akt  der  Verpfändung  hat  man  die  Bezeichnung 
impignorari obligari  et  impignorari"),  invadiare12).  Kür 


')  Kelham,  ßomcsday  Book  Illustratcd,  S.  1G1.  353,  siche  auch  da- 
selbst S.  299. 

■J)  Chisenhale-Marsh,  Domcsday  Book  relating  to  Essex,  f.  CLVII, 
Anm.  b. 

s)  Chisenhale-Marsh,  a.  a.  0.,  f.  CLVII,  Anm.  b:  Crawford  Chart..  S.  77; 
Kelham,  a.  a.  0.,  S.  353. 

4)  Chisenhale-Marsh,  a a.  0.,  f.  CLVII,  Anm.  b. 

4)  Kelham,  a.  a,  0.,  S.  242. 

*)  Kelham,  a.  a.  O.,  S.  197,  244,  353. 

7)  Siche  unten  Buch  II,  Teil  III. 

*)  Glanvill,  X,  G,  8. 

9)  Littieton,  § 332.  Siehe  ferner  über  die  verschiedene  Anwendungs- 
weisc  der  Worte  mort  und  vif  Kranken,  ErnnzOsisches  Pfandrecht,  S.  8, 
123 — 130:  Beames,  Translation  of  Glanville,  S.  252,  Anm.  2;  lteeves, 
History  of  English  Law,  I,  S.  211,  Anm.  (a):  l’ollock  and  MBitland, 
a.  a.  O.,  II,  S.  119,  Anm.  3. 

10)  Register,  or  Rolls  of  Walter  Gray,  Lord  Archbishop  of  York  (Surtees 
Soc.),  a.  1).  1227,  S.  22G. 

")  Cartularium  Prioratus  de  Gyseburne  (Surtees  Soc.),  a.  I).  1230,  I, 
S.  144. 

'*)  Siehe  Select  Civil  Pleas  (Seid.  Soc.),  a.  P.  1200—1203,  I,  S.  2,  18, 
3G,  57,  77,  79,  80.  Siehe  auch  a.  a.  0.,  Inhaltsverzeichnis  s.  v.  writ  of  en- 
ry  sur  plege.  Vgl.  a.  a.  O.,  S.  10,  36,  70. 

Kiir  Einlösung  linden  wir  den  Ausdruck  disvadiare.  Siehe  Select 
Civil  Pleas  (Seid.  Soc.).  I,  S.  77. 


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die  Hypothek  finden  wir  die  Ausdrücke  ypotheca')  und  obligatio 
bonorum*). 


')  Siehe  Landboc  sive  Ke^istruin  Mnnasteri  de  Winchelcumba . I, 
S.  254.  V)fl.  Histnriaiis  of  the  Church  of  York  (Ibdls),  111.  S.  174. 

*)  I.andboc  sive  Ke^istnim  Mnnasterii  de  Winicheleumba,  I.  S-  304  , 305, 
318.  319.  348. 


Haieltfne,  Knatisches  rr&ntlrecht 


5 


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Erstes  Buch 

Die  angelsächsische  Periode 


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Erster  Teil. 

Der  Formal-  oder  Wettvertrag. 

Erstes  Kapitel. 

Überblick  der  Entwickelung. 

Im  Rechte  der  Angelsachsen,  wie  in  den  (Ihrigen  germanischen 
Rechten,  hat  sich  wahrscheinlich  der  Formal-  oder  Wettvertrag 
erst  allmählich  aus  Sachhaftung  und  Personenhaftung  entwickelt '). 


l)  Betreffs  des  germanischen  Rechtes  siche  Brunner,  Grundzüge  der 
deutschen  Kcchtsgcscbichtc,  S.  180,  184,  185,  188,  193;  Schröder,  Deutsche 
Rechtsgeschichte,  S.  286 — 295:  Ucuslcr,  Institutionen  des  deutschen  Privat- 
rechts, II,  S.  230—253. 

Wie  es  scheint,  geht  von  der  Auffassung  einer  früheren  Zeit  des 
Tauschhandels  und  der  Selbsthilfe  aus,  daß  das  englische  Recht  das  dem 
Gläubiger  übergebene  wed  oder  vadium  als  eine  vorläufige  Befriedigung, 
eine  provisorische  Zahlung,  ein  wiedereinlösbares  Verfallsobjekt  ansieht. 
Res  und  Forderung  werden  als  gleichwertig  angesehen,  und  wenn  der  Pfand- 
geber die  Einlösung  nicht  vomimint,  so  kann  sich  der  Pfandnehmer  zum 
Zwecke  der  Befriedigung  nur  an  die  res  halten.  Der  Pfandnehmer  kann 
keine  persönliche  Klage  gegen  den  Pfandgeber  erheben,  während  letzterer, 
sofern  eres  versäumt,  die  res  einzulösen,  keinen  Anspruch  auf  den  Überschuß 
hat,  wenn  die  res  mehr  wert  ist,  als  der  Betrag,  den  der  Pfandnehmer  zu 
fordern  hat.  Diese  Verfallsidee  ist  die  ursprüngliche  dem  wed  zugrunde 
liegende  Idee,  und  diese  Auffassung  hat  sich  auch  für  die  Folge  erhalten. 
Im  Laufe  der  Zeit  aber  haben  sich  mit  der  Entwickeluug  des  Kreditwesens 
und  des  gerichtlichen  Zwangsvollstreckungsvcrfahrens,  sowie  der  mannig- 
faltigen Obligationen  und  Klagen  zur  Geltendmachung  der  daraus  sich  er- 
gebenden Rechte  zwei  weitere  Ideen  abgezweigt:  1.  Durch  die  Übergabe 
einer  res  von  geringem  Werte  kann  zwischen  den  Parteien  ein  bindender 
Vertrag  geschlossen  werden,  der  sogenannte  Wett-  oder  Fonnaivertrag,  der 
sich  mit  der  Zeit  bei  den  englischen  geistlichen  Gerichten  in  den  Fonual- 


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70 


Anstatt  der  Pfandsatzung  oder  Geiselstcllung  gibt  der  Schuldner 
dem  Gläubiger  einen  wertlosen  (»egenstand  als  Scheinpfand  und 


vertrag  durch  interpositio  fidei  (pledgc  of  faith)  und  bei  den  Gerichten 
des  gemeinen  Rechts  in  den  Fonnalvcrtrag  durch  Übergabe  einer  gesiegelten 
Urkunde  (eontract  under  scal)  entwickelt  hat.  2.  Ist  die  res  von  beträcht- 
lichem Werte,  so  dient  sie  als  Sicherstellung  einer  persönlichen  Forderung. 
Der  Pfandgläubiger  ist  berechtigt,  den  Pfand  Schuldner  persönlich  an  ver- 
klagen, während  der  Pfandschuldner  den  Pfandgläubiger  auffordem  kann, 
über  den  Überschuß  Rechenschaft  abzulegen.  Über  diese  Ansicht  der  ger- 
manischen Entwickelung  im  allgemeinen,  aber  ohne  Berücksichtigung  der 
englischen  Quellen,  siche  Wigniore,  The  Plcdge-Idea,  Harvard  I.aw  Review, 
Hd.  X,  S.  321  ff.  Über  Schuld  und  Haftung  vgl.  von  Arnira,  Nordgerma- 
nisches  Obligationenrecht,  Band  I,  Altschwedisches  Obligationenrecht  (1882), 
S.  22 — 42,  und  Band  II,  Westnordisches  Obligationcnrecht,  8.  56  ff.;  ßrinz, 
Pandekten,  (1872),  II,  S.  1 ff.:  Puntschart,  Schuldvcrtrag  und  Treugelöb- 
nis des  sächsischen  Rechts  im  Mittelalter,  S.  73  ff.:  Egger,  Vermögens- 
haftung und  Hypothek  nach  fränkischem  Recht,  S.  86  ff.:  Gierke,  Deutsches 
Privatrecht,  Bd.  II,  S.  809  ff.  Siehe  auch  Köhler,  Das  Recht  als  Kultur- 
erscheinung, S.  17:  Ghironi,  Trattato  dei  privilegi,  delle  ipoteche  e del 
pogno,  (1894),  I,  S.  1 ff. 

Neben  dieser  Entwickelung  der  Idee  der  Sichcrheitsstcllung  aus  der 
primitiven  Pfandidee  tritt  gleichzeitig  die  Entwickelung  einer  verwandten 
Idee  auf,  die  von  der  ersteren  jedoch  sorgfältig  unterschieden  werden  muß. 
Insofern  nämlich  das  Pfandgeschfift  zur  Zeit  seiner  Entstehung  nichts 
uls  eine  vorläufige  Zahlung  darstellte,  mangelte  dem  Eigentumsrecht  des 
Pfandgläubigers  bei  der  Zahlungsversäumnis  die  Auflassung,  das  vollständingu 
Aufgeben  aller  Rechte  an  der  Sache,  das  nach  germanischem  Rechte  zu  einem 
vollgültigen  und  absoluten  Rechtstitel  notwendig  ist.  Der  Pfandgläubiger 
suchte  diesem  Mangel  dadurch  abzuhelfen,  daß  er  zum  Gerichte  ging  und 
dieses  aufforderte,  seinen  Rechtstitel  perfekt  zu  machen:  in  späterer  Zeit 
aber  veranlaßte  er  den  Pfandschuldner  gleich  von  vornherein,  eine  resig- 
natio-Klausel  in  die  Urkunde  aufzunchmen.  Durch  eine  solche  Klausel 
umgeht  jedoch  der  Pfandgläubiger  die  Verpflichtung,  welche  das  Recht  im 
I.aüfc  der  Zeit  ihm  auferlegt  hat,  nämlich,  den  Überschuß  zurückzuzahlen. 
Hier  tritt  aber  wieder  das  Recht  ein  und  verbietet  diese  Umgehung.  Be- 
treffs Einzelheiten  über  diese  Ansicht  der  germanischen  Entwickelung  im 
allgemeinen,  aber  ohne  Berücksichtigung  der  englischen  Quellen,  siehe 
Ileusler,  Institutionen  des  deutschen  Privatrccbts.  II,  S.128 — 153,  225-  250: 
Wigtnore,  The  Plcdge-Idea,  Harvard  Law  Review.  X,  S.  321—341.  über 
die  historische  Bedeutung  des  „release“  und  „quit-claim“  im  englischen 
Rechte  vgl.  Professor  Ames’s  Aufsätze  über  Disseisin  of  Chattels  in  Harv. 
L.  R.,  Bd.  III,  8.  23,  313,  337.  Über  die  Entwickelung  der  Pfandidoe  im 
röm.  Recht  vgl.  Wiginore,  The  Plcdge-Idea,  Harv.  L.  R.,  XI,  S.  29. 


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71 


stellt  gleichzeitig  Bürgen1).  Durch  die  Hingabe  dieses  Schein- 
pfandes, dieser  Wette  (wed,  vadium),  wird  also  der  Formal- 
oder Wettvertrag  rechtskräftig.  Dieses  Scheinpfand,  diese  Wette, 
muH  jetzt  ausgelöst  werden;  und  nach  älterem  angelsächsischen 
Rechte  haftet  der  Bürge  und  er  allein  dem  Gläubiger  für  die 
Einlösung,  während  der  Wettgeber  lediglich  dem  Bürgen  verhaftet 
wird*).  Später  wird  der  Wettvertrag  von  der  Bürgschaft  eman- 
zipiert und  der  Schuldner  haftet  dein  Gläubiger  allein  und  un- 
mittelbar durch  die  Hingabe  der  Wette3),  Dem  Anscheine  nach 
wird  der  Wettvertrag  im  Rechtsgang,  bei  der  Beilegung  der  Fehde 
und  bei  der  Verlobung  zuerst  gebraucht,  und  erst  später,  haupt- 
sächlich durch  die  Emanzipation  von  der  Bürgschaft,  zur  allge- 
meinen Vertragsform  ausgebildet4).  Außer  der  Hingabe  der  Wette 
entstehen  noch  weitere  Fermen.  Der  Formal-  oder  Wettvertrag 
(Gelöbnis)  wird  eingegangen  durch  Handschlag  (nn  hand  syllan), 
Gott-Verbürgung  (god-borh,  dei  plegium),  Eid  (ä<V,  juramen - 
tum),  Treuversprechen  (trywa,  fides),  Wort  und  Wette  (word 
and  wedd)4).  Obwohl  seiner  Natur  nach  nur  für  einseitige  Ver- 
bindlichkeiten geeignet,  wird  der  Wettvertrag  durch  gegenseitige 
Hingabe  der  Wette  oder  Treue  zu  einer  zweiseitigen  Vertragsform 
ausgebildet'). 

Die  älteren  angelsächsischen  Quellen  enthalten  verhältnis- 
mäßig wenig  über  die  erste  Periode  der  Entwickelung,  aber  sie 
veranschaulichen  uns  doch  mit  genügender  Deutlichkeit  den  alten 

')  Iliu  angelsächsischen  Quellen  sagen  nichts  Bestimmtes  über  die 
Wette  selbst.  Aus  einigen  Stellen  kann  man  aber  wohl  schliellen,  (lall  die 
Wette  (wed,  vadium)  irgend  ein  wertloser  Gegenstand  war.  Siehe  unsere 
späteren  Ausführungen.  Bei  anderen  germanischen  Völkern  linden  sich  die 
fest u ca  und  andere  körperliche  Gegenstände,  welche  als  Wette  dienten. 
Siehe  Brunner,  a.  a.  ü.,  S.  180:  Schröder,  a.  a.  0.,  S.  290. 

*)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen.  Obwohl  die  Quellen  nichts 
darüber  berichten,  an  bedeutet  die  Haftung  des  Schuldners  dem  Bürgen 
gegenüber  doch  höchst  wahrscheinlich , datl  der  Bürge  mit  der  Wedle 
I’fändungsrecht  am  Vermögen  des  Schuldners  erhält.  Darüber,  dal)  dies  bei 
anderen  germanischen  Rechten  der  Fall  war,  siehe  die  oben  S.  (i'J  Amn.  1 
citierto  Literatur. 

*)  Sicho  unten  das  Nähere. 

4)  Siehe  unten  das  Nähere. 

*)  Siehe  die  späteren  Ausführungen  und  Schmid,  Gesetze  der  Angel- 
sachsen, Glossar,  s.  v.  forword,  Word,  word-geewide. 

')  Siche  Näheres  unten. 


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72 


durch  die  Wette  (wcd,  vadium)  geschlossenen  Bürgschaftsvertrag 
(borli,  plegium).  Schon  in  den  Gesetzen  Hlothars  und  Ead ries  ’) 
wird  der  Verhandlungsvertrag  der  Parteien  im  Kechtsgang  durcli 
Bürgenstellung  (borli)  geschlossen.  Die  frühzeitigste  Form  der 
Civilobligation  im  angelsächsischen  Recht,  wie  im  germanischen 
Rechte  überhaupt,  ist  wahrscheinlich  die  Verpflichtung,  Wergeid  zu 
zahlen.  Kann  ein  Totschläger  nicht  sofort  zahlen,  so  schließen 
die  Parteien  einen  Sühnevertrag  in  Form  eines  Wettvertrages  mit 
Bürgenstellung.  In  einem  Bruchstücke,  Hü  man  sceal  gyldan 
twelf-hyndes  man*),  das  nach  der  Ansicht  Seebohms  wahr- 
scheinlich der  Zeit  bald  nach  Abschluß  des  Vertrages  zwischen 
Alfred  und  Gnthrun  (SSO— 890)  angehört  und  das  möglicherweise 
angelsächsisches  Gewohnheitsrecht  darstellt,  wie  solches  vor  An- 
kunft der  Dänen  in  Geltung  war3),  verspricht  der  Totschläger  der 
Magenschaft  des  erschlagenen  Mannes  durch  die  Hingabe  e ine 
Wette,  das  Wergeid  zu  zahlen  (beweddod  haebbe,  vadiaverit), 
und  stellt  auch  Werbürgen  (waer-borh,  werae  plegios).  In 
Edmunds  Gesetz  Be  faehö'e4)  wird  derselbe  Bürgschaftsvertrag 
durch  wed  und  borli  bei  der  Beilegung  der  Fehde  nach  Volks- 
recht (aefter  folcrihte)  geschildert;  auch  erscheint  er  in  den 
Leges  Henrici  Primi J),  die  angelsächsisches  Recht  vor  der  nor- 
mannischen Eroberung  darstellen  sollen.  In  dem  Traktat  Be 
wifmannes  beweddunge*),  der  nach  Schmid  einer  älteren 
Zeit  angehört,  sehen  wir  die  Verlobung  in  der  Form  eines  gegen- 
seitigen gewetteten  und  verbürgten  Vertrages  (wedd  und  borh) 
zwischen  dem  Bräutigam  und  den  Fürsprechern  der  Braut.  Aus 
einer  Stelle  in  dem  Traktate  lernen  wir,  daß  alles,  was  der  Bräuti- 
gam versprochen  hat,  durch  Wette  bekräftigt  werden  muß  (Trymme 
he  eal  mid  wedde  paet  pact  he  behüte;  Totum  hoc  vadio 
confirmetur);  und  an  einer  anderen  Stelle  sagt  der  Traktat, 
daß  das  Versprechen  des  Bräutigams  mit  der  Wette  oder  auf  die 


')  Siehe  unten  S.  76—78. 

*)  Siehe  die  späteren  Ausführungen. 

*)  I.iebcrmann,  a.  a.  0.,  S.  IX,  302 — 305,  hält  unsere  Quelle  für  «ine 
l'rivatarbeit  aus  den  Jahren  044 — c.  1060. 

*)  Sieho  die  späteren  Ausführungen. 

5)  Siche  Näheres  unten. 

6)  Siehe  Näheres  in  späteren  Ausführungen. 


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73 


Wette  (on  wedde  s y llan ')  abgegeben  werden  müsse.  Dieses 
Versprechen  mit  der  Wette  oder  auf  die  Wette  wird  durch  die 
Freunde  des  Bräutigams  verborgt  (äborgian,  plegient).  Ähn- 
lich scheint  der  Vertrag  bei  Rechtsverkehr  zwischen  Dänen  und 
Engländern  zu  sein1).  Die  Parteien  schließen  einen  Vertrag  in 
der  Form  eines  Treuversprechens  (trywa)  und  gegenseitiger 
Geiselstellung  (gislas),  d.  h.  einen  Bürgschaftsvertrag  in  der 
Form  des  Formal-  oder  Wettvertrages  (Treuversprechens). 

Die  Behauptung,  daß  in  dieser  ersten  Periode  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach,  obwohl  unsere  Quellen  nichts  darüber  sagen, 
die  Wette  vom  Schuldner  dem  Gläubiger  und  vom  Gläubiger  dem 
Bürgen  übergeben  wird,  wird  durch  zwei  Stellen,  eine  aus  Ines 
Gesetzen  nnd  eine  aus  Alfreds,  bestätigt;  denn  aus  diesen  Stellen 
sehen  wir,  daß  der  Bürge  dem  Gläubiger  und  der  Schuldner  dem 
Bürgen  haftet’).  Ine  31  sagt:  Wenn  jemand  ein  Weib  kauft 
und  der  Kaufpreis  nicht  gezahlt  wird,  entrichte  er  das  Geld  und 
leiste  Ersatz  und  büße  dem  Bürgen  (byrgean,  plegio),  je  nach- 
dem der  Bfirgschaftsbruch  (borg-bryce,  infraetio  p 1 egii)  ist4). 
In  Paragraph  8 von  Alfreds  Gesetz,  Be  äiVum  and  beweddum, 


')  Vergl.  die  späteren  Ausführungen  über  on  hand  syllan  (Handschlag) 
und  on  anum  wiepno  syllan  (Gelöbnis  auf  eine  Waffe). 

*)  Siche  unten  das  Nähere. 

3)  Siehe  Schmid,  a.  a.  O.,  S.  34,  35,  70,  71,  540:  Licbcrmann,  a.  a.  (J. 
S.  48,  43,  102,  103. 

Vgl.  auch  Ine  62  (siehe  unsere  späteren  Ausführungen),  wonach  der 
Beklagte  Geisel  seines  Bürgen  bleiben  umli,  bis  er  das  vom  Bürgen  im 
Prozesse  gegebene  Pfand  frcimachen  kann. 

4)  Schmid,  a.  a.  O.,  S.  34,  35.  Der  Test  dieser  Stelle  nach  der 
Cambridge-Handschrift,  wie  er  bei  Liebermann  a.  a.  0.,  S.  102  abgedruckt 
ist,  ist  im  Wesentlichen  derselbe  wie  der  bei  Schmid.  Liebermann, 
a.  a.  0.,  S.  103  übersetzt:  Wenn  man  ein  N'eib  (zur  Ehe]  kauft,  die  Braut- 
Ubergabe  [Tranung]  jedoch  nicht  zu  Stande  kommt,  gebe  [der  Braut-Vor- 
mund] das  Geld  [dem  Bräutigam]  zurück  und  bezahle  [ihm]  noch  einmal  so 
viel  [zur  Busse]  und  biiüe  dem  [Yerlobungsjbnrgen  so  viel,  wie  der  Bruch 
einer  durch  letzteren  [geleisteten]  Bürgschaft  kostet.  Vgl.  auch  andere  Les- 
arten — die  aber  im  Wesentlichen  dieselben  sind  — und  die  entsprechende  Stelle 
des  (juadripartitus  bei  Liebermann  a.  a.  0.,  S.  102,  103.  Über  Ine  31 
siehe  auch  ferner  Hazeltinc,  Zur  Geschichte  der  Eheschließung  nach  angel- 
sächsischem Recht  (Sonder- Abdruck  aus  der  Festgabe  für  H übler),  S.  5 
(Anm.  7),  7 (Anm.  13),  12. 


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74 


sagt  nach  Schmid  s Übersetzung  der  Gesetzgeber:  Wenn  aber 
ein  anderer  Mensch  Bürge  (bürg,  plegius)  ist,  so  büße  er  den 
Bürgschaftsbruch  (borg-bryce,  infractnram  plegii)  wie  ihn 
das  Recht  weist,  und  den  Bruch  der  Vertragstreue  (wed-bryce, 
infracturam  vadiii  wie  ihm  sein  Beichtiger  vorschreibt '). 

Der  Formal-  oder  Wettvertrag  tritt  mit  seiner  Loslösung  von 
der  Bflrgenstellung,  wie  oben  gesagt,  in  eine  zweite  Stufe  der 
Entwicklung  ein.  Der  Schuldner  bestellt  keinen  Bürgen.  Durch 
die  Übergabe  der  Wette  an  den  Gläubiger  oder  durch  eine  andere 
Form,  wie  Eid  oder  Treuversprechen,  geht  der  Schuldner  eine  ihn 
allein  verpflichtende  vertragsmäßige  Verbindlichkeit  ein.  Dadurch 
wird  der  Wettvertrag  zu  einer  allgemeinen  Vertragsform;  und 
wahrscheinlich  spielt  bei  dieser  Umbildung  des  alten  Wettver- 
trages, wie  in  anderen  germanischen  Rechten,  die  Idee  der  Selbst- 
bürgschaft des  Schuldners  eine  Rolle,  obwohl  unsere  Quellen  nichts 
darüber  enthalten  3i.  Wie  dem  auch  sei,  zur  Zeit  Hlothars  und 
Eadrics  linden  wir  das  von  der  Partei  selbst  im  Rechtsgang 
durch  Eidesleistung  (Arte)  gegebene  Befriedigungsversprechen3). 
Ines  Gesetze  sprechen  ganz  allgemein  von  Wettverträgen  (wed, 
vadium4);  und  bei  Alfreds  Gesetz  Be  Artum  and  be  weddum 
(De  juramentis  et  vadiis)5)  ist  es  auffallend,  daß  von  neun 
Paragraphen  acht  die  den  Schuldner  allein  verpflichtenden  vertrags- 


')  Aelfrcd  1,  §8,  Schmid,  a.  a.  O.,  S.  70:  Gif  pser  ponne  Örter 

mcnnisc  borli  sie,  bete  pone  borg-bryce  swa  bim  ryht  wisie,  and  pone  «ed- 
brvce  swä  hini  his  scrift  scrifc.  Der  Text  dieser  Stelle  nach  der  Cambridge- 
Handschrift,  wie  sie  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  48  abgedruckt  ist, 
lautet  : Gif  pmr  rt’onnc  oper  mcnnisc  borg  sic,  bete  pone  borgbrycc  swa  bim 
rvlit  wisie,  and  rt'one  wed-bryce  swa  liim  bis  scrift  scrifc.  Liebermann, 
S.  49,  übersetzt.:  Wenn  aber  andere  Leute  da  Bürgen  sind,  bülle  [der  Ver- 
tragsbrüchige an  jene]  den  Bürgschaftsbruch,  wie  ihm  [weltliches]  Kocht 
zuweist,  und  den  Vertragsbruch,  wie  ihm  sein  Beichtvater  auferlegt.  Vgl. 
ferner  die  Lesart  der  Itochcster-Handschrift  (Texlus  Koffensis)  und  die 
entsprechende  Stelle  des  Quadripartitus  bei  Liebermann,  a.  a.  O., 
S.  48,  49. 

*)  Betreffs  anderer  germanischer  Hechte  siehe  die  oben  S.  (59,  Anin.  I 
citierte  Literatur.  Vgl.  auch  den  Wortlaut  von  Alfreds  Be  art  um  and  be 
weddum,  § 8,  Schmid,  Gesetze,  S.  70,  71,  Liebermann,  Gesetze,  S.  48,  49. 

3)  Siehe  unten  das  Nähere. 

4)  Sie  unten  das  Nähere. 

•')  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 


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mäßigen  Verbindlichkeiten  durch  Wette  (wed,  vadium)  und  F3id 
(äff,  juramentum)  behandeln.  Nur  ein  einziger  Paragraph  be- 
handelt ausnahmsweise  den  Fall,  wo  der  Schuldner  einen  Bürgen 
durch  einen  Wettvertrag  bestellt.  In  diesem  Paragraphen  spricht 
Alfred  vom  menschlichen  Bürgen  (Gif  off  er  mennisc  borh  sie); 
und  im  Kapitel  33  seiner  Gesetze  spricht  Alfred  von  Gott-Ver- 
bürgungen (god-borh,  Dei  plegium).  Diese  geheimnisvolle 
Gott- Verbürgung  ist  auch  wahrscheinlich  als  eine  den  Schuldner 
allein  verpflichtende  wettvertragsmäßige  Verbindlichkeit  in  der  be- 
sonders solennen  Form  der  Verbürgung  Gottes  zu  erklären.  Der 
Schuldner  bestellt  keinen  Bürgen  durch  einen  Wettvertrag;  er 
selbst  haftet  dem  Gläubiger  durch  den  Wettvertrag  und  Gott  ist 
sein  Bürge1).  Wie  nahe  diese  Form  des  Wettvertrages  dem  Eid 
und  dem  Treuversprechen  steht,  ist  klar. 

Im  Kirchenrecht  der  Zeit  nach  der  normannischen  Eroberung 
haben  wir  die  beiden  Vertragsformen  des  eidlichen  Versprechens 
(oath,  juramentum)  und  den  Vertrag  durch  fides  facta  (pledge 
of  faith,  affidare)3).  Es  bedarf  nur  eines  flüchtigen  Blickes  in 
die  angelsächsischen  Quellen,  um  zu  ersehen,  daß  sie  bereits  beide 
Formen  enthalten.  Diese  Umwandlung  des  alten  Fonnaivertrages, 
der  durch  Übergabe  eines  körperlichen  Gegenstandes  (wed)  ge- 
schlossen wurde,  scheint  in  der  Tat  durch  die  christliche  Kirche 
wesentlich  beeinflußt  worden  zu  sein  ’).  Obgleich  unsere  Quellen, 

')  Anderer  Ansicht  ist  Schmid,  Gesetze,  S.  89,  Amu.  zu  Alfred  33: 
,God-borg,  dei  plegium,  sonst  nirgends  erwähnt,  scheint  eine  Verbürgung 
unter  Anrufung  Gottes  gewesen  zu  sein,  du  auch  die  Anklage  wegen  Bruchs 
derselben  durch  den  besonders  solennen  Yorcid  und  die  dem  entsprechenden 
ltcinigungseide  in  verschiedenen  Kirchen  ausgezeichnet  war.  Das  Schwören 
in  mehreren  Kirchen  erwähnt  noch  Fleta,  II,  63."  I)ic  Übersetzung  von 
.Elfred  33  bei  L iebermann,  a.  a.  0.,  S.  66,  67,  lautet:  Wenn  jemand  einen 
andern  anklagt  wegen  eines  bei  Gott  verbürgten  (Versprechens]  und  be- 
zichtigen will,  daß  derselbe  deren  eines  nicht  erfüllt  habe,  die  jener  [Be- 
klagte] ihm  gegeben  hätte,  so  leiste  er  den  [Kläger-JVoreid  in  vier  Kirchen: 
und  der  andere,  wenn  er  sich  reinschwören  will,  in  zwölf  Kirchen  thue  er  das 

*)  Siche  unten  Buch  II,  Teil  I. 

*)  Kirchlicher  Einfluß  machte  sich  lange  vor  der  Zeit  König  Ines  in 
England  bemerkbar,  indem  er  das  alte  angelsächsische  Recht  und  Stammcs- 
gemeinwesen  modifizierte.  Siche  Sccbohm,  Tribal  Custom  in  Anglo-Saxon 
Law,  S.  530,  531.  Alfred  war  einer  der  frömmsten  englischen  Könige  (Jenks, 
Law  and  Politics,  8.  275,  nennt  ihn  „the  pious  Alfred")  und  seine  Gesetze 


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so  wie  sie  auf  uns  überkommen  sind,  möglicherweise  durch  die 
Ideen  späterer  Zeiten  beeinflußt  worden  sind,  so  ist  doch  die  Tat- 
sache, daß  sie  Zeugnis  ablegen  von  dem  Vorhandensein  des  eid- 
lichen Versprechens  und  der  fides  facta  nicht  ohne  Bedeutung 
und  muß  bei  der  Erforschung  der  Entwickelung  des  Formalver- 
trages des  englischen  Rechts  berücksichtigt  werden. 


Zweites  Kapitel. 

Der  Formal-  oder  Wettvertrag  in  seinen  einzelnen  Aus- 
gestaltungen. 

I.  Im  Rechtsgang. 

Das  solenne  Versprechen  im  Rechtsgang  erscheint  in  den 
angelsächsischen  Quellen  als  1.  Verhandlungsversprechen,  2.  Be- 
weisversprechen, und  3.  Befriedigungsversprechen. 

Das  Verhandlungsversprechen  findet  sich  schon  in  den  Gesetzen 
Hlothars  und  Eadrics  vor.  Im  Kapitel  N derselben  heißt  es  nach 
Schmids  Übersetzung:  Wenn  jemand  einen  anderen  einer  Sache 
zeiht  und  er  mit  dem  Mann  zusammentrifft  an  der  Mahlstätte 
oiler  an  dem  Ding,  so  stelle  immer  der  Mann  (der  Bezichtigte; 
dem  Andern  einen  Bürgen  und  leiste  ihm  das  Recht '),  das  ihm 
die  kentischen  Richter  vorschreiben.  Kapitel  !>:  Wenn  er  aber 
einen  Bürgen  verweigert2),  gelte  er  dem  Könige  12  Schillinge, 
und  der  Rechtsstreit  sei  so  offen  wie  er  zuvor  war.  Kapitel  10: 
Wenn  jemand  einen  andern  bezichtigt,  nachdem  er  (der  Bezichtigte) 
ihm  einen  Bürgen  gestellt  hat,  und  sie  dann  nach  drei  Nächten 
den  Richter  für  sich  aufsuchen,  wenn  es  nicht  dem,  der  die  Klage 
erhebt,  später  lieber  ist,  so  tue  der  Mann,  wenn  die  Rechtssache 
entschieden  ist,  in  sieben  Nächten  dem  Andern  sein  Recht,  ge- 
schehe es  in  Gut  oder  durch  Eid  (an  feo  oflfö'e  an  aö’e),  was 
ihm  lieber  ist;  wenn  er  da  dann  nicht  will,  so  gelte  er  dann 

zeigen  deutlich  den  Kinfluü  der  Kirche.  Auch  Cnut  war  sehr  für  die  Kirche 
eingenommen.  Siehe  Friedberg,  Recht  der  Eheschließung,  S.  34:  l'ollock 
and  Maitland,  History  of  English  I.aw,  II,  S.  367. 

')  . . . synible  se  man  päm  i'iifrum  byrigean  geselle,  and  päm  riht 
wäyrcc,  . . . 

J)  Gif  he  ponne  byrigan  forwierne,  . . . 


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77 


100  ohne  Eid  (äffe),  sobald  eine  Nacht  über  den  Richtersprnch 
vergangen  ist  *>. 

Der  Zusammenhang  dieser  drei  Kapitel  scheint  folgender  zu 
sein*):  Hat  der  Beklagte  dem  Klüger  ein  verbürgtes  Gelöbnis  ge- 
geben , vor  Gericht  zu  erscheinen  (Bürgschaft  de  judicio  sisti), 
dann  gehen  die  Parteien  innerhalb  dreier  Tage  zum  Richter,  so- 
fern der  Klüger  nicht  einen  späteren  Termin  vorzieht.  Daselbst 
hat  der  Kläger  seine  Klage  wieder  vorzubringen.  Ist  die  Rechts- 
sache durch  richterlichen  Spruch  entschieden,  dann  soll  der  Be- 
klagte binnen  sieben  Nächten  entweder  zahlen  oder  die  Befriedigung 
durch  Eidesleistung5)  versprechen.  Wenn  der  Beklagte  dies  nicht 
will,  soll  er  100  s.  zahlen  ohne  zum  Eide  zugelassen  zu  werden, 
d.  h.  ohne  den  Vorteil  eines  Zahlungsversprechens  durch  Eid, 
sobald  eine  Nacht  über  die  Entscheidung  des  Richters  verflossen  ist. 

Wir  haben  also  hier  ein  Verhandlungsversprechen  und  ein 
Befriedigungsversprechen;  und  in  beiden  Fällen  handelt  es  sich 

')  Hinthar  and  Eadric,  c.  8,  9.  10,  Schmid,  Gesetze,  S.  12,  13.  Siehe 
Brunner,  a.  a.  0..  II,  S.  3fi8. 

Der  Text  dieser  drei  Capitel  bei  I.icbermann,  a.  a.  ().,  S.  10,  ist  itn 
Wesentlichen  derselbe  wie  bei  Schinid.  Liebermann  übersetzt:  c.  8: 
Wenn  einer  einen  andern  einer  Schuld  zeiht  und  er  diesen  Mann  in  Volks- 
versammlung oder  im  [Gerichtsjdinge  trifft,  [so]  bestelle  dieser  [bezichtigte] 
Mann  immerhin  dein  andern  [Klüger]  einen  Bürgen  und  leiste  demselben 
das  [ihm  gebührende]  Bucht,  was  ihnen  die  Richter  der  Kenter  zuerkennen, 
c.  9 : Wenn  er  aber  einen  Bürgen  verweigert,  gelte  or  dem  Könige  12  Schillinge ; 
und  es  sei  die  [Rechtsstrcitjsache  so  offen  wie  sie  zuvor  [vor  der  Weigerung] 
war.  c.  10:  Wenn  jemand  einen  anderen  bezichtigt,  nachdem  dieser  ihm 
einen  Bürgen  bestellt  hat,  [so]  sollen  sic  binnen  3 Nächten  darauf  sich  einen 
Schiedsrichter  aufsuchen  (alliier  wenn  spätcr[er  Termin]  demjenigen  lieber 
ist,  der  die  Klage  erhebt):  nachdem  die  Streitsache  entschieden  ist,  erfülle 
der  [beklagte]  Mann  in  7 Nächten  dem  anderen  das  l'rthcil,  passe  es  ihm 
in  Werthzahlung  oder  durch  [Reinigungs-JKid,  welches  von  beiden  ihm  [dem 
Beklagten]  lieber  sei.  Wenn  er  aber  das  [beides  zu  geloben]  weigert,  so 
zahle  er  dann  100  [Schilling]  ohne  [fernere  Berechtigung  zum]  Eid,  sobald 
eine  Nacht  über  den  Schiedsspruch  [vergangen]  ist. 

*)  Siche  Schmid,  Gesetze,  S.  12,  13,  Anm.  zu  Ille.  u.  Eadr.  c.  10,  wo 
man  auch  eine  Kritik  von  Brices  und  Thorpcs  Übersetzung  und  Aus- 
legung dieser  Capitel  8,  9 und  10  linden  wird.  Siehe  auch  Lappenberg, 
Hist,  of  England  under  the  Anglo-Saxon  Kings,  II,  S.  345. 

5)  Vgl.  aber  Lieber  man  ns  Übersetzung  von  lllothar  und  Eadric,  c.  10 
(obeu  Anm.  1). 


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78 


um  einen  Vertrag.  Der  Verhandlungsvertrag  wird  durcli  die 
Stellung  von  Bürgen  (borli)  geschlossen.  Das  Befriedigungs- 
versprechen ist  ein  Urteilserfüllungsgelöbnis  oder  -Vertrag  und 
wird  durch  Eidesleistung  (ä«Ve)  rechtskräftig. 

Das  Beweisversprechen  unserer  Quellen  bezieht  sich  auf 
Gottesurteile').  Schon  in  Ines  Gesetzen  [A.  D.  688 — 95]  erscheint 
der  Kesselfang1).  Gegen  Ende  des  neunten  Jahrhunderts  finden 
einseitige  Ordalien  wieder  gesetzliche  Erwähnung’).  Erst  später, 

')  Bei  den  Angelsacheu  wird  das  Wort  Ordal  immer  lnr  Gottesurteil 
gebraucht,  niemals  ffir  das  gewöhnliche  Urteil  (dom):  bei  den  Kranken  und 
Friesen  aber  bedeutet  Ordal  beides.  Brunner,  a.  a.  0.,  II.  8.  403;  Schmid, 
Gesetze,  S.  639. 

*)  Ine  37,  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  104,  und  Ine  62,  Liebermann, 
a.  a.  0.,  S.  116,  wo  Liebermann  statt  ceap  (Pfand  u.  s.  w.)  die  Lesart 
eeac  (Kessel)  bietet.  Siehe  ferner  Liebermann,  Kesselfang  bei  den 
Westsachsen  im  siebenten  Jahrhundert,  Sitzungsberichte  der  Königl.  preuss. 
Akademie  der  Wissenschaften  (1896),  S.  829 — 835.  Vgl.  aber  Schm i d,  a.  a.  ()., 
S.  38,  39,  50,51:  Stecnstrup,  Normanne  IV:  Danclag,  8.218:  vonAmira, 
Pauls  Grundriß  der  Germ.  Philologie,  III,  8.219.  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  829 : „Die  uns  erhaltene  Liturgie  des  Knglischen  Gottesurtheils  entstammt 
dem  Frankenreiche  und  ist  nicht  vor  dem  Knde  des  10.  Jhs.  überliefert. 
Oie  Englisch  geschriebenen  Hitualformeln  und  die  staatliche  Verordnung 
über  Ordal-Abhaltung  zeigen  spät- Angelsächsische  Sprache.  In  den  Gesetzen 
mit  Königsnamen  erwähnt  des  Otdals  zuerst  der  von  Eadward  bestätigte 
Friede  Guthrums.  Die  Sprache  einer  kentischen  Beschwörung  vor  dem  Ordal- 
gang  setzt  Sweet  nur  über  900  hinauf.  So  entstand  die  Meinung,  das 
Ordal  erscheine  in  England  erst  zur  Dänenzeit.  Allein  es  steht  schon  in 
Ines  Gesetz  an  drei  Stellen  und  ist  nur  durch  Mißverständniß  Eines  Wortes, 
durch  Vernachlässigung  Eines  Buchstaben  der  Rcchtsgeschichtc  entgangen.“ 
Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  835:  „ Gegen  alle  bisherigen  Erklärungen  sprechen 
also  Rechtsgeschichte,  Sprachwissenschaft,  Handschriftenkritik  und  die 
Notwendigkeit  die  Räthsel  von  Ine  37  und  62  mit  Einem  Schlüssel  zu  lösen. 
Gegen  die  Erklärung  ceac:  Kessel  spricht  nur  eine  Theorie,  die  sich 
bloß  auf  bisherigen  Mangel  an  (Quellen  beruft.  Nunmehr  muß  man  den 
Ursprung  des  Ordals  weit  hiuaufrücken.  Ine  spricht  vom  Kesselgriff  als 
etwas  lang  Bekanntem:  auch  mangelte  der  Westsächsischen  Monarchie  des 
7.  Jahrhunderts  wahrscheinlich  die  Stärke  und  der  römischen  Mission  der 
Wille  zu  Umwälzungen  im  Beweisrechte  des  Volkes.  Folglich  wird  wohl 
das  Gottesgericht  auch  bei  den  Inselgermanen  schon  im  Heidenthum  bestanden 
haben  und  bestätigt  sich  die  Ansicht  von  seinem  Germanischen  Ursprung.“ 
Vgl.  von  Amira,  a.  a.  0.,  S.  218,  219. 

’)  Siehe  Brunner,  DRG.,  II,  S.  402:  Liebermann,  Kesselfang.  a.  n. 
0.,  S.  829.  Arten  der  Ordalien  bei  den  Angelsachsen  waren  das  heiße  Eisen, 


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79 


unter  dem  Einflüsse  von  Wilhelm  und  den  westfränkischen  Nor- 
mannen, wird  der  prerichtliche  Zweikampf  in  England  eingeführt '). 
Das  Beweisversprechen  in  den  Quellen  der  angelsächsischen  Zeit 
bezieht  sich  daher  auf  einseitige  Ordalien;  und  deshalb  findet 
man  Versprechen  des  Zweikampfes  erst  in  den  kompilatorischen 
Arbeiten,  die  aus  der  normannischen  Zeit  stammen. 

Die  Gesetze  Edwards  regeln  das  verbürgte  Beweisversprechen 
nach  Schmids  Übersetzung  folgendermaßen*):  Wenn  jemand  des 
Diebstahls  bezichtigt  ist,  so  sollen  ihn  die  in  Bürgschaft  (borh, 


das  kalte  und  heilie  Wasser  und  der  l’rubebissen.  Schinid,  Gesetze, 
S.  G3f>,  640.  Über  den  fränkischen,  kirchlichen  Einlluß  auf  die  Ordalien  in 
England,  siche  Brunner,  a.  a.  0.,  II,  8.402,  403,  sowie  Liebermann, 
Kesselfang,  a.  a.  0.,  8.  823. 

')  Siehe  Brnnner,  a.  a.  0.,  II,  8.402,  403;  Pollock  and  Maitland 
a.  a.  O.,  II,  S.  600:  Bigelow,  Hist.  Proced.  in  England,  S.  326,  327;  Holds- 
worth,  History  of  English  Law,  I,  S.  140,  451.  Lea,  Superstition  and 
Force,  S.  83:  „It  is  net  a little  singulär  tbnt  the  duel  appears  t<>  have 
been  unknown  among  the  Anglo-Saxons  . . . There  seems,  indeed,  to  be  no 
reason  to  doubt  that  its  intrnduction  into  English  jurisprudence  dates  only 
from  the  time  of  William  the  Conquerer.“  In  Wilhelm,  II,  1,  2,  3, 
(Schinid,  Gesetze,  S.  352)  gibt  der  Eroberer  seinen  französischen  und 
englischen  Untertanen  volle  Erlaubnis,  den  Zweikampf  anzuwenden.  Wil- 
helm, III,  12  (Schmid,  Gesetze,  S.  356)  heillt  es:  8i  Francigena  appella- 
verit  Anglum  . . . Anglus  se  defendat  per  quod  melius  volucrit,  aut  judicin 
ferri,  aut  duello  . . . Si  autem  Anglus  Francigenam  appellavorit  et  probare 
voluerit  judicio  aut  duello,  volo  tune  Francigenam  purgare  se  sneramentn 
mm  fracto. 

s)  Edward,  II,  3,  Schmid,  Gesetze,  S.  114 — 117;  Brunner,  a.  a.  0., 
II,  S.  368.  Der  Text  dieser  Stelle  nach  der  Bochcster-Handschrift  (Text us 
Itoffensis),  wie  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  142  abgedruckt,  ist  im 
Wesentlichen  derselbe  wie  bei  Schmid.  Liebermann  (S.  143)  übersetzt 
(„B‘  unten  in  Klammern  bedeutet  die  Cambridge-Handschrift):  Wenn  einer 
Diebstahls  beschuldigt  wird,  dann  sollen  diejenigen,  welche  ihn  (früher  B) 
einem  Herrn  überwiesen  hatten,  sich  für  ihn  verbürgen  [dafür],  dall  er  sich 
von  dem  [Klagcpunkt]  reinigen  werde:  oder  andere  Freunde,  wenn  er  [welche] 
hat,  sollen  dasselbe  tun.  Wenn  er  niemanden  weiß,  der  ihn  in  Bürgschaft 
nehme,  dann  sollen  diejenigen,  denen  cs  zukommt,  pfandliche  Sicherheit  an 
seinem  Vermögen  nehmen.  Wenn  er  keines  von  beiden,  weder  Vermögen 
noch  sonstige  Bürgschaft  besitzt,  dann  werde  er  verhaftet  [bis]  zum  Ge- 
richtsurteil. Mit  Edward,  II,  3,  vgl.  Aethclstan,  II,  2,  Schmid,  a.  a.  0., 
S.  132,  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  150—153;  Leges  Henrici  Primi,  82,  §2, 
Schinid,  a.  a.  (>.,  S.  479,  Liebermann,  a.  a.  <>.,  S.  598. 


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80 


plegium)  nehmen,  die  ihn  früher  dem  Herrn  übergaben,  damit  er 
.sieh  davon  reinige,  oder  andere  Freunde,  wenn  er  welche  hat, 
mögen  dasselbe  tun.  Wenn  er  nicht  weiß,  wer  ilm  in  Bürgschaft 
(borh,  plegium)  nehme,  so  sollen  die,  welchen  es  zusteht,  von 
seinen  Gütern  pfandlichc  Sicherheit  nehmen  (on  his  tehtan  in- 
borh)1).  Wenn  er  keines  von  beiden  hat,  weder  Güter  noch 
andere  Sicherheit  (ne  a*hta  ne  öiVerne  borh),  so  halte  man  ihn 
zum  Gericht  fest*). 

In  Aethelstans  Verordnungen3)  linden  wir  vorgeschrieben, 
daß,  wenn  jemand  zu  einem  Ordal  von  Eisen  oder  Wasser 
durch  einen  Wettvertrag  sich  verpflichte4),  so  komme  er  drei 
Nachte  vorher  zu  dem  Messepriester,  der  es  weihen  soll,  und 
nähre  sich  mit  Brot  und  mit  Wasser  und  Salz  und  Wurzeln, 
bevor  er  hinzu  gehen  soll,  und  wohne  an  jedem  der  drei  Tage 
der  Messe  bei,  und  opfere  auch,  und  gehe  zum  Abendmahl  an 
dem  Tage,  wo  er  zum  Ordal  gehen  soll,  und  leiste  dann  den  Eid 
(;uV) s),  daß  er  nach  Volksrecht  unschuldig  sei  des  Bezichtigten, 
ehe  er  zu  dem  Ordal  geht*), 

Das  Befriedigungsversprechen  (Urteilerfüllungsgelöbnis)  haben 
wir  schon  bei  den  Gesetzen  Hlothars  und  Eadrics  kennen  gelernt7). 

')  Schmid,  Gesetze,  S.  115,  Anm.  hierüber:  -In-borh,  hier  und  Henr., 
82,  § 2,  eine  pfandliche  Sicherheit,  aber  Anh-,  I,  8 (l)unsetcn)  auch  im 
Gegensatz  zu  underwed  für  eine  persönliche  Bürgschaft."  Siehe  unsere 
späteren  Ausführungen. 

*)  Uber  persönliche  Haft  vor  dein  Ordal  — weil  der  Betreffende  keine 
Sicherheit  bieten  konnte  — , vgl.  Onut,  II,  35  pr.  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  336—338:  Pseudo-Cnut  He  Foresta  13,  Licberinann.  a.  a.  0.,  S.  622: 
Leges  Henriei  l’rimi,  65,  §5,  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  585. 

*)  Aethclstan,  II,  23  pr,  Schm  id,  ticsetze.  S.  144,  145,  Licberinann. 
a.  a.  0.,  S.  162.  Die  Überschrift  von  Aethclstan,  II,  23,  lautet  (Schmid, 
n.  a.  0.):  Be  Jl5n  fic  ordales  weddigatV  (He  illis,  «) u i radiant  orda- 
1 i u in). 

*)  Gif  hwü  ordäles  weddige,  . . . 

Si  qnis  jndicium  ferri  vel  aquac  vadiaverit,  . . . 

Siehe  die  Übersetzung  dieser  Stelle  und  die  Anmerkung  dazu  bei 
Schmid,  Gesetze,  S.  144,  145. 

5)  . . .and  swerige  (tonne  Jtane  ätV.  . . (et  juret  . . .) 

*)  Abfindung  bei  einem  Ordal  kann  ausbedungen  werden.  Siehe  Aethelstan, 
II.  21,  Schmid,  Gesetze,  S.  144.  Licberinann,  a.  a.  O.,  S.  162. 

*)  Vgl.  auch  Liebermanns  Übersetzung  von  Ine  8 (Lieberin a n u , 
Gesetze.  S.  !)3). 


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XI 


Das  Versprechen  besteht  in  der  Eidesleistung  (äffe)  und  bedeutet 
eine  vertragsmäßige  Verbindlichkeit,  das  Gerichtsurteil  zu  erfüllen '). 

Soweit  wir  aus  den  Quellen  der  angelsächsischen  Zeit  folgern 
können,  wird  das  Verhandlungsversprechen  rechtskräftig  durch 
Verbürgung  (borh),  das  Beweisversprechen  durch  a)  Wette  (wedd, 
vadium),  b)  Verbürgung  (borh,  plegium)  und  c)  Eid  (äff, 
juramen  tum),  und  das  Befriedigungsversprechen  durch  Eid  (äffe). 
Hier  handelt  es  sich  um  einen  Vertrag  im  Rechtsgang,  da  der 
anderen  Partei  ein  Versprechen  (Gelöbnis)  durch  Übergabe  des 
wedd,  Stellung  des  borh  oder  Leistung  des  äd  gegeben  wird*). 

II.  Beilegung  der  Fehde. 

Die  frühzeitigste  Form  der  Civilobligation  im  germanischen 
Rechte  war  dem  Anscheine  nach  die  Verpflichtung  das  Wergeid 
zu  zahlen3).  Jedoch  wurde  eine  sofortige  Zahlung  nicht  verlangt; 
eine  solche  wäre  in  vielen  Fällen  wohl  auch  unmöglich  gewesen. 
Es  genügte,  wenn  beim  Abschluß  der  Sühne  die  Zahlung  des 
Wergeides  versprochen  wurde,  und  „für  dieses  Versprechen  stand 
nur  die  Form  der  Wette  und  der  Bürgschaft  offen“ ').  Gleicher- 
weise lautete  auch  das  Recht  der  Angelsachsen4). 


')  Siehe  oben  S.  76 — 78.  Vgl.  lirunner,  a.  a.  ().,  II,  S.  368. 

a)  Vgl.  das  verbürgte  Beweisversprechen  des  des  Diebstahls  Bezich- 
tigten in  Edwards  Gesetzen,  oben,  S.  79,  80. 

3)  In  Zusammenhang  hiermit  steht  der  Inhalt  des  c.  12,  § 6,  der 
sogenannten  Leges  Kdwardi  Confessoris  (Codex  Harleianus,  Schmid,  Ge- 
setze, S.  498):  Emendationem  faciat  parentibus,  ant  guerram  patiatnr,  nnde 
Angli  proverbium  habebant:  Biege  apere  of  side  off'er  bere,  quod  est  dicere, 
lanceam  eme  de  latere  aut  fer  eam.  Vgl.  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  638. 
639.  Die  Verwandten  des  getöteten  Mannes  konnten  vom  Speere  (spere), 
d.  h.  von  der  Fehde,  durch  Zahlung  des  Wergeides  abgebrarht  werden: 
die  Zahlung  bestand  für  gewöhnlich  in  100  Stück  Vieh.  Siehe  Seebohm 
a.  a.  O.,  S.  413,  414.  Vgl.  die  knrzlichen  Untersuchungen  von  Chadwick 
in  seinen  Studies  on  Anglo-Saion  Institutions,  S.  156—160,  über  den  Wert 
der  Wergeider  in  Ochsen. 

*)  Brunner,  Sippe  und  Wergeid,  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung,  III, 
Germ.  Abt.,  S.  8 11'. : Brunner,  Deutsche  Kechtsgcschichtc,  II,  S.  441,  442: 
Heusler,  a.  a.  0.,  II,  S.  231  ff.:  Hollock  and  Maitlaud,  a.  a.  0.,  I, 
S.  58,  II,  S.  187. 

4)  Brunner,  Sippe  und  Wergeid,  a.  a.  <).,  S.  10:  „Das  Wetten  des 
Wergeides  haben  wir  bereits  aus  der  oben  citirten  friesischen  Kechts- 

llazeltlue,  Englisches  Pfandrecht  6 


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Vorkehrungen  über  die  Beilegung  der  Fehde  durch  Wette  und 
Bürgschaft  und  über  die  Ratenzahlung  des  Wergeides  findet  man 
in  dem  schon  erwähnten  angelsächsischen  Bruchstück,  Hü  man 
sceal  gyldan  twelf-hyndes  man!). 

Das  Bruchstück2)  erklärt  iin  § 1:  Eines  Zwölfhyndemannes 
Were  beträgt  1200  Schillinge.  Eines  Zwoihyndemannes  Were  be- 

aufieichnung  kennen  gelernt.  Die  Wette  und  die  Verbürgung  bezeugt  uns 
auch  das  angelsächsische  lteeht.*  Pollock  und  Maitland,  a.  a.  O.,  1, 
S.  58:  .Hut  our  Anglo-Saxon  authoritiea  are  of  the  verv  scantiest.  We 
lind  tlie  composition  of  a feud  secured  by  giving  pledges  and  the  payiuent 
by  instalments  regulated;  and  in  Alfred's  laws  there  is  mention  of  a soleuin 
kiud  of  promisc  called  ,god-borlC : . . . .“ 

’)  In  der  vetns  versio  (siehe  Schinid,  Gesetze,  S.  395)  trägt  das 
Bruchstück  die  Überschrift  Do  Wcregildis.  In  dem  bei  Lieberinann, 
a.  a.  0.,  S.  398,  abgedruckten  Quadripartitus  lautet  die  Überschrift: 
De  persolutione  occisi.  Thorpe,  Ancicnt  I.aws  and  Inst.  Eng.,  S.  75, 
fügt  dieses  Bruchstück  den  Gesetzen  Edwards  und  Guthrums  bei.  Scbmid, 
der  diese  Aufzeichnung  als  ein  Bruchstück  betrachtet,  bringt  dieselbe  in 
seinem  Anhang  VII  (siebe  Gesetze,  S.  394 — 397).  An  anderer  Stelle  (Gesetze 
S.  LXV)  sagt  er:  „VII.  Be  wergilde.  Unter  dieser  Aufschrift  werden  hier 
drei  Aufzeichnungen  über  das  Wergeid  vereinigt,  die  verschiedenen  Zeiten 
angehören  können  oder  wenigstens  wahrscheinlich  nicht  den  gleichen  Ver- 
fasser haben.  Es  gehört  dahin:  1)  Hü  mau  sceal  gyldan  twelf-hyndes  man, 
ein  Aufsatz,  der  eigentlich  nicht  richtig  überschrieben  ist,  da  er  nicht 
bloli  von  dem  Wergeid  eines  Zwölfhyndemannes  handelt,  sondern  von  der 
Art  und  Weise,  wie  überhaupt  das  Wergeid  durch  Vertrag  festgesetzt 
und  in  welchen  Raten  und  Fristen  es  in  Verbindung  mit  der  Mannbulie 
und  Pcchtwette  abgetragen  werden  soll.  Eine  im  Wesentlichen  überein- 
stimmende Regulierung  des  Verfahrens  bei  der  Beilegung  einer  Fehde,  d.  i. 
der  Sühne  eines  Todtschlages,  findet  sich  in  Edm.,  II,  7,  und  eine  verkürzte 
Übersetzung  in  llenr.,  70,  § 4—7.  In  dem  Cod.  B.  sowohl  als  dein  (’od.  H. 
erscheint  unser  Aufsatz  als  ein  Anhang  der  Gesetze  Edward's  und  Guthrum's, 
und  diese  Stelle  hat  er  auch  in  allen  bisherigen  Ausgaben  behalten.  Es 
ist  wohl  möglich,  duli  die  Aufzeichnung  dieser  Zeit  angehört,  aber  einen 
Bestandteil  von  E.  u.  G.  bildet  sic  offenbar  nicht.'  Seebohm,  a.  ».•(>., 
S.  350,  sagt,  das  Bruchstück  gehört  .probably  to  the  time  following  soon 
aftcr  the  Compact  butween  Alfred  and  Guthrum.“  Siehe  Seebohm,  a.  a.  O., 
S.  359,  300.  Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  IX,  392—395,  hält  unsere  Quelle 
für  eine  Privatarbeit  aus  den  Jahren  944— c.  1000. 

*)  Die  hier  von  uns  angeführte  Übersetzung  des  Bruchstücks  ist  aus 
Schinid,  Gesetze.  S.  394—397.  Text  und  Übersetzung  bei  Liebermann, 
a.  a.  O.,  S.  392—395  sind  zu  vergleichen,  obwohl  sie  im  Wesentlichen  init 
Schmids  Text  und  Übersetzung  übereinstiinmen. 


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83 


trägt  '200  Schillinge.  § 2:  Wenn  ein  Mann  erschlagen  wird,  gelte 
man  ihn  nach  Verhältnis  seiner  Geburt.  § 3:  Und  es  ist  recht, 
daß  der  Totschläger,  wenn  er  sich  über  das  Wergeid  vertragen 
hat,  Werbürgsehaft  findet1),  wie  es  sich  dazu  gebührt,  nämlich 
bei  der  Were  eines  Zwölfliynders  gebühren  sich  12  Mann  zur 
Werbürgsehaft  (wer-borge,  weraeplegium),  8 von  der  väter- 
lichen Magenschaft,  und  4 von  der  mütterlichen  Magenschatt.  § 4: 
Wenn  das  geschehen  ist,  dann  setze  man  des  Königs  Schirm 
(Frieden)  ein,  das  ist,  daß  sie  alle  mit  gemeinsamer  Hand  von 
jeder  Magenschaft  dem  Vermittler  (sein  ende*),  mediatori)  auf  eine 
Waffe  geloben,  daß  der  Schirm  (Friede)  des  Königs  bestehen  soll3); 
von  dem  Tage  in  21  Nächten  gelte  man  120  Schillinge  zum  Hals- 
fang ')  bei  der  Were  eines  Zwölfliynders.  §5:  Der  Halsfang  ge- 

')  And  riht  is,  |>a-t  so  slaga.  siiVdän  hu  weres  beweddod  hiebbe,  linde 
[liertö  wter-borh,  . . . 

Et  rectum  est,  nt  homicida,  postquain  weregildum  mortui  radiaverit, 
iuveiiiut  woran  plegiug,  . . . 

Vgl.  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  75  und  Scebohui,  a.  a.  O.,  S.  358. 

Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  393,  übersetzt  diese  Stulle  aus  dem  Brncli- 
stück:  Und  richtig  ist,  dali  der  Totschläger,  sobald  er  das  Wergeid  reohts- 
fürmlich  versprochen  hat,  dafür  Wergeld-Bürgschaft  stellt. 

a)  Hall,  Anglo-Saxon  Dictionary.  S.  204 : semend  (ip),  m.  = conciliator, 
arbitrator.  Boswurth,  Anglo-Saxon  Dictionary.  S.  323:  Semend,  es: 

in.  = a mediator,  a peacemaker.  Liebermann,  a.  a.  0.,  8.  393,  übersetzt 
das  Wort  semend  unserer  Stelle  mit  »Schiedsrichter“. 

3)  . . . |>a*t  is,  |):et  hy  eallc  gennenum  handum  of  ;egtVere  inmgtVe  on 
änum  wivpnc  [täiu  semende  syllan,  |);ct  cyniuges  iiiund  stände:  . . . 

. . . boc  est  ut  omnes  communi  manu  de  utraque  cognationc  in  uno 
armor  mediatori  dent,  qui  regis  munde  stet  inter  eos.  . . 

*)  (her  die  genaue  Bedeutung  des  Wortes  Halsfang  findet  mau  in 
der  Literatur  verschiedene  Ansichten  vertreten.  Brunner,  Sippe  und 
Wergcld,  a.  a.  0.,  S.  16,  17:  »Auch  der  angelsächsische  Halsfang  ist  aus 
der  Umarmung  zu  erklären.  . . Die  Aussöhnung  kommt  allenthalben  durch 
einen  FricdensknU  oder  durch  eino  Umarmung  zum  Ausdruck.  . . . Der 
angelsächsische  Halsfang  ist  seinem  Ursprünge  nach  das  Analogon  der 
flandrischen  Mundsühne,  er  ist  Halsfangsgebühr,  Umhalsungsgeld.“  Seebohin, 
a.  a.  0.,  S.  328,  sagt  bei  Erörterung  des  Halsfangs  der  Leges  Henrici 
Primi,  c.  LXXV1:  »This  halsfang  had  to  be  paid  ou  the  21st  day  front 
the  giving  of  the  pledge,  and  it  seeins  to  have  beeil  a token  in  recognition 
of  guilt  or  carnest  mnney  to  showr  that  the  wergold  would  be  paid.“  Siebe 
auch  Seebohin,  n.  a.  0.,  S.  329.  330,  359.  Eine  Besprechung  anderer 
Ansichten  über  den  Halsfaug  findet  man  bei  Brunner,  a.  a.  ().,  S.  15—17. 

6* 


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84 

bflhrt  den  Kindern,  Brüdern  und  Oheimen;  es  gebührt  dies  Geld 
keinem  Magen,  außer  dem,  der  innerhalb  des  Knies  ist.  § Ü: 
Von  dem  Tage  an,  wo  der  Halsfang  abgetragen  ist,  in  21  Nächten 
gelte  man  die  Mannbuße;  von  da  in  21  Nächten  die  Fechtwette '); 
von  da  in  21  Nächten  die  erste  Rate  der  Were*),  und  so  fort, 
damit  sie  vollständig  vergolten  sei  in  der  Frist,  welche  die  Witan 
festsetzen.  Dann  kann  man  mit  Liebe  vorschreiten,  wenn  man 
volle  Freundschaft  haben  will3).  § 7:  Alles  dies  soll  man  bei 

')  Brunner,  a.  a.  • >.,  8.  9,  Anui.  5,  sagt  bei  Besprechung  der  Ver- 
fügungen des  angelsächsischen  Bruchstücks  Hü  man  sceal  gyldan  twelf- 
hyndes  man:  „Die  Mannbuße  fällt  an  den  Herrn,  die  Fechtwette  an  die 
Öffentliche  Gewalt.  Beide  bilden,  wie  sich  aus  I.eges  Henriei  1,  c.  7(1, 
ergibt,  nicht  einen  Bestandteil  des  Wergeides.  Vgl.  Sehmid,  Ges.  der 
Ags.  58(1,  628.“  Seebnbin,  a.  a.  ().,  sagt  bei  Krörterung  des  I.eges  Hcnrici 
Priuii,  e.  I.XXX,  § 6:  „1t  is  clear  frnm  this  tliat  the  tight-witc  was  tho 
payment  due  to  the  lord  who  had  the  .sec”  »f  the  place  wherc  the  hmnicide 
occurrod  and  the  wergcld  was  pledged.  The  manbot,  on  the  nther  hand, 
was  the  payment  tu  the  lord  whose  man  the  person  slain  was.  The  lord 
<>f  the  soc  might  also  be  the  lord  <>f  the  man  slain,  in  which  case  bntb 
fightwite  and  manbot  were  payablc  t»  him.“  Siehe  ferner  Seebohm, 
a.  a.  ().,  Inhaltsverzeichnis,  s.  v.  Fightwite  und  Manbot:  I.iebermann, 
a.  a.  0.,  S.  393.  Liebermann,  a.  a.  (.).,  behandelt  die  Fechtwette  (fyhtcwite) 
unserer  Stelle  als  die  Strafe  an  die  Obrigkeit  für  Blutvergießen. 

s)  Das  frum-gyld  war  die  erste  Kate  der  NVcrc  und  scheint  20  Schil- 
linge für  einen  ceorl  gewesen  zu  sein.  „But  whether  part  of  this  — 12  s. 
(1  d.  — was  paid  on  the  dny  the  were  was  pledged,  as  stated  in  the  custu- 
mal  of  Henry  1,  c.  76,  and  the  rcuiaindur  aftcr  payment  of  the  tight-wite, 
or  whether  the  custoin  then  noticed  was  only  of  local  observanee  or  a point 
of  latter  practice,  is  nowhere  laid  down.“  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  7.5,  Anni.  a. 

s)  . . . SiÖ'Öän  man  inüt  mid  lüfe  ofgän,  gif  mau  wille  fülle  freön- 
draedene  habban. 

. . . Deinde  liceat  per  amorein  procedere,  si  perfectam  vclit  amicorum 
consocietatem  habere. 

Der  Text  dieser  Stelle  bei  Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  392  ist  im 
Wesentlichen  derselbe.  Liebermann  übersetzt:  Nachher  mag  man  [der 
Totschläger],  wenn  man  volle  Freundschaft  [von  der  beleidigten  Sippe]  er- 
halten will,  [das]  erlangen  durch  private  Versöhnung. 

Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  75,  Anm.  b,  bemerkt  zu  dieser  Stelle:  .The 
practice  here  briefly  hintod  at  is  tlius  recited  in  king  Kric's  Zealand  Law: 
. . . III.  27.:  And  he  who  has  taken  the  bote  shall  swear  tliat  he  never  will 
avenge  the  deed  for  which  he  has  taken  llie  bote,  neither  by  counsel  nor 
by  deed,  neither  upon  the  born  nor  the  uuborn,  (and)  therewitb  shall  tbey 
be  reconciled,  and  lay  their  hamls  tngcthec,  apd  kiss  each  other.“  Man 


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85 


der  Wert'  eine«  Keoris  in  dem  ilun  gebülirenden  Verhältnis  tun, 
wie  wir  es  bei  einem  Zwölf hynder  angaben1). 

Das  nächste  Beweisstück  stammt  aus  der  Mitte  des  zehnten 
Jahrhunderts.  Das  Gesetz  Be  faehtVe*)  Edmunds  (943 — 94(i) J), 
verordnet  folgendermaßen:  Die  Witan  sollen  die  Feindschaft  (Fehde) 
beilegen:  zuerst,  nach  Volksrecht,  soll  sich  der  Todsehläger 
seinem  Versprecher  (for-speca,  prolocutor)4)  zur  Hand  ver- 
pflichten, und  der  Vorsprecher  den  Magen,  daß  der  Todschläger 
der  Magenschaft  büßen  will;  dann  ferner  gebührt  sich,  daß  man 
sich  dem  Vorsprecher  des  Todschlägers  zur  Hand  verpflichte,  daß 
er  in  Frieden  nahen  und  selbst  um  die  Were  dingen  könne.  Wenn 
er  darum  sich  vertragen  hat,  so  finde  er  dazu  Werbürgschaft 5); 


beachte,  daß  das  Versprechen  in  diesem  Gesetze  Erics  — eigentlich  ein  Ver- 
sprechen, den  Frieden  zu  halten  — durch  Eid,  Handschlag  und  Kuß  be- 
kräftigt wird. 

*)  Schmid,  Gesetze,  S.  394,  393,  Anmerkungen,  sagt  bei  ltusprechnng 
dieses  ftruchsstücks:  9 und  3 sind  aufgenomnien  in  Henr.,  7f>,  §1:  §4 

ist  teilweise  aufgenummen  in  lienr.,  7G,  § 1 : § G ist  aufgcnoimncn  in  Henr., 
7fi,  §§  5 & 7. 

ä)  Edmund,  II,  7,  Schmid.  Gesetze,  S.  178 — 180.  Text  und  Über- 
setzung bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  188—191,  sind  zu  vergleichen,  obwohl 
sie  im  Wesentlichen  mit  Sehmids  Ausgabe  übereinstimmen. 

3)  Liebermann,  a.  a.  (>.,  S.  IX,  188-  191. 

4)  l'ber  das  Amt  des  Vorsprecher  oder  Fürsprecher  im  germanischen 
Kuclit  siehe  Itrunner,  Deutsche  Kechtsgeschichtc,  II,  S.  349  , 350  , 353: 
Schmid,  Gesetze,  S.  581:  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  107,  Anm.  a. 

4)  . . mrest,  iefter  folerihte,  slaga  sceal  bis  for-specan  on  hand  syllan. 
and  se  for-speca  maguui,  pact  se  slaga  willc  betau  will'  maegiVe:  | lohne 
syiVOan  gebyreiV,  paet  man  sylle  paes  slagan  for-specan  on  hand,  paet 
se  slaga  inöte  mid  grilVe  nyr  and  sylf  waercs  weddian.  ponne  he  paes  be- 

wedded  haebbe,  ponne  linde  he  piertö  wuere-borb : imprimis  juxta 

populi  lagatu  debet  prolocutor  uccisoris  in  manum  dare  cognationi,  i|Uod 
rectuui  ei  per  omnia  faciet.  Deinde  oportet,  ut  prolocutori  dclur  in  nutnum, 
ipiod  interfector  audeat  accedcrc  cum  ]>ace  et  ipse  weram  vadiare.  Kt 
ipiando  vadiaverit  eam,  invenial  werae  )degios  . , . 

Wir  haben  in  dieser  Arbeit,  ebenso  wie  Schmid,  on  hand  syllan 
mit  ..sich  zur  Hand  verpflichten“,  d.  h.  durch  Handschlag  versprechen,  über- 
setzt. Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  191,  übersetzt:  ,in  die  Hand  geloben“. 

Siehe  ferner  Schmid,  Gesetze,  S.  179,  180,  395,  (>UG,  (if>0.  Thorpe,  a.  a.  0., 
S.  107,  und  Scebohm,  a.  a.  0.,  S.  357,  358,  uebersetzen  on  hand  syllan 
mit  „gives  pledge“,  .gives  seeurity“.  Vgl.  Leo,  Angelsächsisches  Glossar, 


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86 


wenn  das  geschehen  ist,  dann  setze  man  des  Königs  Mnndiitm 
(Frieden)  ein1);  von  dem  Tage  an  in  2 1 Nächten  «eite  man  den 
Halsfang;  von  da  an  in  21  Nächten  die  Mannbuße;  von  da  an  in 
21  Nächten  das  erste  Zielgeld  der  Were. 

Aus  den  sogenannten  Leges  Henrici  Primi  erhält  man  „a 
Norman  though  unofticial  view  of  what  Anglo-Saxon  eustom  was 
or  had  been  before  the  Conquest“*).  ('apitel  76  (I)e  precio 
eujuslibet) 3)  dieser  „Leges“  enthält  im  Wesentlichen  dieselben 
Vorschriften  wie  die  Quellen,  die  wir  eben  angeführt  haben.  In 
§ 1 dieses  Capitels  wird  verordnet,  daß  wenn  ein  Mann  erschlagen 
wird  für  ihn  nach  dem  Hange  seiner  Geburt  zu  büßen  ist.  Hier 
muß  der  Mörder,  postquam  weregildum  vadiaverit,  inveniat  werc- 
plegios,  sicut  ad  eam  pertinebit.  Von  dem  Thane  12  Werbürgen, 
8 de  parte  patris,  und  4 de  cognatione  matris.  Wenn  das  ge- 
schehen ist,  soll  der  Friede  des  Königs  unter  ihnen  in  omni 
weregildo  erhoben  werden 4).  Zuerst  soll  der  Halsfang  nach  der 
Art  des  Wergeides  bezahlt  werden 5).  Im  § 5 lesen  wir:  A die 
illa,  qua  wera  vadiata  est,  in  vicesimum  unum  diem,  debet  lials- 
fangum  reddi;  inde Nach  §7  soll  der  Halsfang  am  einund- 

zwanzigsten Tage  nach  dem  Wetten  des  Wergeides  *),  ohne  Ent- 
schuldigung oder  Verzögerung  bezahlt  werden.  Capitel  80,  § 6 7); 
Wo  immer  der  Mord  begangen  wird,  soll  derjenige,  der  die  Grund- 
herrlichkeit (soc  et  sac)  hat,  si  homicida  divadietur  ibi  vel  cra- 


164,  s.  v.  Selan ; Uns  worth,  Anglo-Saxon  Dictionary,  hrsg.  von  Toller 
(1882),  s.  v.  sellan. 

’)  . . . ponnc  rsere  man  cyninges  munde : . . . 

. . . erigatur  inter  eos  pax  regis. 

J)  Scebohm,  a.  a.  0.,  S.  322. 

*)  Schmid,  Gesetze,  8.475,476.  Vgl.  auch  den  bei  Liebe ruiann. 
a.  a.  0.,  S.  593,  abgedruckten  Text  von  Kapitel  76.  8ic>hc  oben  8.  85  Anni.  1 : 
Leges  Henrici  Primi,  c.  92,  § 17. 

4)  ...  et  cum  hoc  factum  erit,  elovetur  inter  eos  pax  regis  in  omni 
weregildo,  et  debet  lialsfang  priiuo  reddi,  sicut  wcrac  umdus  erit. 

Licbcrmann,  a.  a.O.,  8.  593  liest  die  Stelle  folgendermallen.  [76,  1 b] : 
Et  cum  hoc  factum  erit,  cleuetur  inter  cos  pax  regis.  [76,  1 c] : In  omni 
weregildo  debet  lialsfang  .... 

s)  Siehe  Schmid,  Gesetze,  S.  473,  Anm. 

6)  A die,  ipia  wer«  vadiata  est,  in  XXI  diem,  . . . 

0 .Schmid,  Gesetze,  S.  478.  Vgl.  auch  Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  596. 


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S7 


vetur,  Fightwite  erhalten;  und  wenn  der  Ort  d<\s  Mordes  und  der 
Uetödtetc  selbst  eines  Herrn  sind,  soll  Derjenige,  der  die  Grund- 
herr! ichkeit  (soej  hat,  sowohl  Mannbuße  als  auch  Fightwite  er- 
halten '). 

In  diesen  Quellen  des  angelsächsischen  Rechts  sieht  man  also 
rlrei  Stadien  bei  der  Beilegung  der  Fehde  durch  Wettvertrag. 

Erstens,  in  Edmunds  Be  faehiVe  haben  wir  zwei  durch  Hand- 
schlag abgeschlossene  Formalvorverträge : Der  Todschläger  ver- 
spricht dem  Vorsprecher  durch  Handschlag  (on  hand  syllan)  und 
dieser  den  Magen  des  Erschlagenen  unter  Beobachtung  der  gleichen 
Formalität,  daß  der  Todschläger  der  Magenschatt  büßen  will. 
Ihrerseits  verspricht  die  Magensehaft  dem  Todschläger  durch  Hand- 
schlag, wiederum  durch  Vermittelung  des  Vorsprechers,  daß  der 
Todschläger  in  Frieden  nahen  und  selbst  um  die  Wette  dingen 
könne.  Da  der  Vorsprecher  in  diesem  Falle  nur  ein  Unterhändler 
des  Todschlägers  ist,  so  gelten  die  Verträge  als  zwischen  dem 
Todschläger  selbst  und  der  Magenschaft  geschlossen. 

Zweitens,  nachdem  diese  Vorverträge  abgeschlossen  sind,  be- 
gegnen sich  der  Todschläger  und  die  Magenschaft  von  Angesicht 
zu  Angesicht  und  schließen  einen  gewetteten  und  verbürgten 
Vertrag  betreffs  des  Wergeides.  Der  Todschläger  verspricht  durch 
wed  das  Wergeid  zu  zahlen  und  stellt  auch  Werbflrgen  (wer-borh). 

Drittens,  nach  dem  Abschließen  dieses  Vertrages  durch  wed 
und  borh  über  die  Zahlung  des  Wergeides,  wird  der  Künigs- 
schirm  (Friede)  durch  ein  Gelöbnis  eingesetzt,  d.  h.  die  Anwesenden 
einer  jeden  Magenschäft  geloben  dem  Vermittler  mit  auf  einer 
Waffe  (on  waepne  syllan)  vereinten  Händen,  daß  der  Schirm 
(Friede)  des  Königs  bestehen  soll. 

III.  Bei  der  Verlobung. 

Der  Wettvertrag  durch  wed  und  borh  erscheint  auch  im 
angelsächsischen  Familienrecht  bei  der  Verlobung. 

Unsere  hauptsächlichste  Quelle  darüber  ist  ein  wertvoller 
kleiner  Traktat,  Be  wifmannes  beweddunge-'),  der,  nach  Sclimid, 
einer  früheren  Zeit  angehört,  wo  das  ältere  Familienrecht  noch  in 

')  Siehe  oben  S.  84  Anm.  I. 

Sch  tri  id,  Gesetze,  Anh.  VI,  S.  31W — 3!)3:  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  442  -445. 


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88 


seiner  vollen  Kraft  bestand1),  aber  ohne  genügende  Rechtfertigung 
als  ein  Bestandteil  der  Gesetze  Edinunds  betrachtet  wird2).  Lieber- 
mann hält  das  Denkmal  für  eine  Privatarbeit,  die  aus  den  Jahren 
c.  970  (10:$0)  — c.  1060  stammt3). 

Kapitel  1 des  Traktats  verordnet'):  Wenn  Jemand  mit  einem 
Mädchen  oder  einer  Frau  sieh  verloben  will  (wcddian  wille), 
und  es  ihr  und  den  Freunden  genehm  ist,  dann  ist  Recht,  daß  der 
Bräutigam  nach  Gottes  Recht  und  den  Gebräuchen  der  Welt  zu- 
erst verheiße  und  Denjenigen  gelobe5),  die  ihre  Fürsprecher  sind, 
daß  er  in  der  Weise  ihrer  begehre,  daß  er  sie  nach  Gottes  Gesetz 
halten  wolle,  wie  ein  Mann  seine  Frau  (halten)  soll,  und  seine 
Freunde  mögen  das  verbürgen6).  Kapitel  2:  Hiernächst  muß  man 
wissen,  wem  der  Nährlohn  (föster-leän)1)  gebühre;  es  bedinge 
der  Bräutigam  dann  diesen,  und  seine  Freunde  mögen  ihn  ver- 


')  Siehe  die  Krörtcrung  dieser  Frage  bei  Sclimid,  Gesetze,  S.  I.X V. 
Yuung,  Kssays  in  Anglo-Saxon  Law,  8.  171,  betrachtet  den  Traktat  als  .an 
Angln  Saxon  formula,  cominonly  ealled  the  Kentisli  Betrothal,  belonging 
probably  tu  the  tonth  Century“. 

s)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  a.,  II,  8.  369. 

*)  Licberniann,  a.  a.  0.,  S.  IX,  X,  442. 

*)  Im  Wesentlichen  geben  wir  den  Wortlaut  der  Schniidschen  Über- 
setzung wieder.  Text  der  Kochester  (Toxtus  Roffensis)- und  Cambridge- 
Handschriften  und  die  entsprechenden  Stellen  des  Quadriparti tus  sowie 
Licberinanns  Übersetzung  bei  Liebermann,  a.  a.  ().,  S.  442  — 445,  sind 
zu  vergleichen. 

behüte  and  on  wedde  syllc. 
prnmittat  et  vadiet  eis. 

Liebermann,  a.  a.  <>.,  8.443,  übersetzt:  verheiße  und  kraft  Pfandes 
förmlich  gelobe. 

•)  and  üborgian  his  frynd  paet. 
et  plegicnt  hoc  amici  sui. 

7)  Thorpe,  a.  a.  ().,  S.  108,  Amn.  b,  sagt  bei  Besprechung  des  föster- 
leän  : „This  appears  tu  bo  another  nauie  für  the  „niund“  of  .F.thelbirht's 
dooms,  or  the  inoney  pledged  tu  the  family  of  the  wife  at  her  betrothal . . ., 
the  remunerstion  for  her  nnrture.  The  , foster-loan“  was  due  to  tliat  relation 
in  whose  ,mund’  the  woman  was  at  the  time  of  her  betrothal“.  Siehe  auch 
Thorpe,  a.  a.  O.,  Glossar,  s.  v.  Koster,  Koster-  leän.  t'bcr  das  föster- 
leän  siehe  ferner  Sohin,  Recht  der  Eheschließung,  S.  56,  317,  und  vgl.  die 
viugisef  des  altschwedischen  Rechts  (siehe  darüber  v.  Auiira,  Nord- 
germanisches  Obligationenrecht,  Hd  I,  8.  522 — 524,  534). 


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80 


bürgen1).  Kapitel  3:  Dann  erkläre  der  Bräutigam,  was  er  ihr 
zugesteht  dafür,  daß  sie  seinen  Willen  erkiest,  und  was  er  ihr 
zugesteht,  wenn  sie  länger  lebt  als  er.  Kapitel  4:  Wenn  so  die 
Bedingungen  festgesetzt  sind“),  dann  kommt  ihr  rechtmäßig  das 
halbe  Erbe  zu,  und  das  ganze,  wenn  sie  Nachkommenschaft  ge- 
meinschaftlich haben,  außer  wenn  sie  später  einen  Mann  kiest3). 
Kapitel  5:  Er  bekräftige  Alles  durch  Wette,  was  er  verheißt,  und 
seine  Freunde  mögen  es  verbürgen4).  Kapitel  fl:  Wenn  sie  dann 
über  jedes  Ding  einig  sind s),  dann  mögen  die  Magen  zugreifen 
und  ihre  Mage  Dem  zum  Weibe  und  zu  einem  rechten  lieben 
verloben*),  der  ihrer  begehrte,  und  es  nehme  die  Bürgschaft  an, 
wer  Leiter  der  Verlobung  ist7).  Kapitel  7:  Wenn  man  sie  dann 
aus  dem  Lande  führen  will  in  eines  anderen  Thanen  Land,  dann 
ist  es  für  sie  vorteilhaft,  daß  ihre  Freunde  da  einen  Vertrag  (for- 

')  weddigu  su  bryd-guina  oft  paus,  und  hit  äborgian  bis  frynd. 
vadict  hoc  bridguina  ut  plegient  ainioi. 

Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  443  übersetzt:  der  Bräutigam  gelobe  dann 
dieses  kraft  Pfandes  förmlich:  und  seine  (lllutsj  freunde  sollen  dies  ver- 
bürgen. 

*)  Gif  hit  swä  geforword  bliV . . . 

Si  sic  (|Uotjue  convcniat . . . 

3)  Vgl.  .LI  fr  cd  8,  § 1 — 3,  Lieber  mann,  a.  «.  (>.,  S.  54,  55:  Boeder, 
I)ie  Familie  bei  den  Angelsachsen,  S.  78:  Brunner,  Die  uneheliche  Vater- 
schaft in  den  älteren  germanischen  liechten  (Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung, 
Bd.  XVII,  Germ.  Abt.,  S.  16). 

4)  Trymme  he  eal  mid  wodde  [taut  (tuet  ho  behüte,  and  äborgian  frynd  paot. 
Totmn  hoc  vndio  coniirmotur  et  amiei  »ui  plegient. 

Liebermann,  a.  a.  <).,  S.  443,  übersetzt:  Jener  [Bräutigam]  bekräftige 
alles  das,  was  er  rerhciUt,  durch  Pfand:  und  [seine]  Blutsfreundu  sollen  das 
verbürgen. 

Siche  Ine,  31,  Schuiid,  Gesetze  8.34,  35. 

J)  sammadc  beim, 
concordent. 

*)  and  weddian  heora  magan  tö  wifo  and  tö  rillt  life. 

7)  and  fü  tö  pam  borge,  so  pe  paus  weddes  wählend  sy. 
et  excipiat  inde  plegium,  i| ui  jus  habet  in  vadio. 

Thorpe,  a.  a.  O.,  S.  1 09,  Anm.  a,  sagt  bei  Erörterung  dieser  Stelle: 
-Perhaps  the  meauing  of  this  passage  is,  that  the  purson  to  whom  the  wed 
was  plighted  by  the  hushand,  and  who  had  both  the  disposal  of  it  when 
tnadc  goud,  and  the  right  of  claiming  it  if  withheld,  was  also  to  unter  into 
a counter-engagemeut  to  the  husband,  to  undurtakc  the  borh  on  behalt 
of  his  kinswoman,  the  wifo“. 


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!>0 


word,  pactioncm)  haben,  daß  man  ihr  kein  Leid  zufuge,  und 
wenn  sie  eine  Schuld  verwirkt,  daß  sie  hei  der  Ruße  die  Nächsten 
sein  mögen,  wenn  sie  nichts  hat,  wovon  sie  die  Ruße  entrichte '). 
Kapitel  ß:  Bei  der  Trauung  (giftan,  dationi)*)  soll  der  Messe- 
priester nach  Recht  gegenwärtig  sein,  der  soll  mit  dem  Segen 
Gottes  die  Vereinigung  binden  zu  aller  Wohle.  Kapitel  !):  Auch 
ist  wohl  vorzusehen,  daß  man  wisse,  daß  sic  sich  durch  Sippen- 
schaft nicht  angehörig  sind,  damit  man  nicht  nachher  trenne,  was 
man  früher  mit  Unrecht  zusammenfügte. 

Hieraus  sehen  wir  deutlich,  daß  die  angelsächsische  Verlobung 
zur  Zeit  des  Traktates  ein  Wettvertrag  durch  wed  und  borh 
zwischen  dem  Bräutigam  und  der  Sippschaft  oder  den  Fürsprechern 
der  Braut,  d.  h.  ein  Heiratsvertrag  ist*).  Der  Bräutigam  seiner- 
seits verspricht,  daß  er  die  Braut  nach  Gottes  Gesetz  schützen 
will,  daß  er  das  foster-lean  zahlen  will,  und  daß  die  Braut  die 
Morgengabe  und  die  dos  erhalten  soll.  Alle  diese  Versprechen 
werden  durch  die  Hingabe  des  wed  rechtskräftig4),  und  durch  die 
Freunde  des  Bräutigams  verbürgt.  Eine  genaue  Erklärung  dafür, 
was  das  wed  war,  haben  wir  nicht.  Andererseits  verspricht  die 
Mage  der  Frau  dem  Bräutigam,  daß  sie  sein  Weib  sein  soll;  auch 
dieses  Versprechen  wird  vom  wed  und  borh  begleitet.  Der  Leiter 
der  Verlobung,  dem  Anscheine  nach  der  Wortführer  der  Mage  der 
Braut,  derjenige  der  das  wed  vom  Bräutigam  erhalten  hat,  wird 
hier  der  Bürge  (borh)5). 

Die  Mage  erfüllt  die  Bedingungen  des  Vertrages  durch  Über- 

')  Schund.  Gesetze,  S.  393,  Anm.:  _ 1 > a L»  nicht  der  Mann,  sondern  die 
Magen  der  Frau  Ihr  diese  die  Italic  geben  und  nehmen  sollten:  Hcnr.,  TO, 

S 12,  13“. 

*)  Vgl.  Alfred,  Kinlcitung,  12,  Schinid,  Gesetze,  S.  58. 

*)  Vgl.  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  109,  Anm.  a:  Young.  a.  a.  0.,  S.  163—173: 
l’ollock  and  Maitland,  a.  a.  (>.:  II,  S.  365,  369.  Siehe  oben  S.  89,  Anm.  7. 

*)  Man  beachte,  dal!  es  sich  hier  um  einen  Vertrag  zu  Gunsten  eines 
ltritten  handelt. 

5)  Friedberg,  liecht  der  KhcsclilioLSung,  S.  47,  Anm.  1:  ,.  . . Bei  den 
Angelsachsen  wird  kein  King  bei  der  F.heschlicllung  erwähnt ...  Daß  seinen 
Gebrauch  aber  für  diese  Zeit  anzunehmen  nichts  entgegensteht,  geht  aus 
der  ganzen  Wichtigkeit  hervor,  welche  dies  Symbol  das  ganze  Mittelalter 
hindurch  auch  in  England  hatte  . . .“  Siehe  ferner  Boeder,  a.  a.  0.,  S.  15, 
16,  27,  34  , 35,  60.  Vgl.  auch  Sohin,  Recht  der  Eheschließung,  S.  56: 
Jeaffreson,  Brides  and  liridals,  Bd.  I,  S.  138—166. 


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01 


gabt*  der  Kraut  an  den  Bräutigam,  und  bei  dieser  Handlung  oll 
der  Messepriester  von  Rechtswegen  zugegen  sein,  damit  er  durch 
den  Segen  Gottes  die  Vereinigung  zum  Wohle  Aller  vornehme. 

Die  Ansichten  der  Rechtsgelehrten  über  die  rechtliche  Natur 
der  alten  germanischen  Ehe  gehen  sehr  auseinander1);  und  der 
Streit  hierüber  ist  auch  nach  England  übertragen  worden*).  Es 
wird  behauptet,  daß  die  Raubehe  zur  Zeit  des  älteren  angel- 
sächsischen Rechts  existiert  habe5);  die  Ehe  durch  Mundkauf 
scheint  aber  bereits  nach  den  ältesten  angelsächsischen  Rechts- 
quellen die  allein  zulässige  und  gültige  Form  der  Eheschließung 
gewesen  zu  sein4).  In  dem  ersten  ausführlichen  Bericht  über 
angelsächsisches  Eherecht  der  uns  aufbewahrt  worden  ist,  nämlich 
in  dem  kleinen  Traktate,  Be  wifmannes  be weddunge,  sehen 
wir  die  Verlobung  als  einen  Wettvertrag  mit  Bürgenstellung 
zwischen  dem  Bräutigam  und  der  Mage  «ler  Frau;  dieser  Wett- 
vertrag ist  es,  den  wir  hier  erwähnen  wollen5).  Die  Frage,  ob 


!)  Siehe  Friedberg,  a.  ».  U.:  Friedberg,  Verlobung  lind  Trauung: 
Friedberg,  Kho  und  Eheschließung  im  deutschen  Mittelalter:  Sohin, 
Kccht  der  Eheschließung:  Heusler,  Institutionen,  II,  S.  277. 

s)  Über  das  Ältere  englische  Kccht  siehe  Friedberg.  Recht  der  Ehe- 
schließung, S.  18,  25.  33—57:  Young,  The  Anglo-Saxon  Family  Law  in  den 
Essays  in  Angto-Saion  Law:  Schmid,  Gesetze,  8.  561,  562:  Phillips,  Ver- 
such, 8.  129 — 133,  233 — 235,  240 — 244:  Howard,  History  of  Matrimonial 
Institutions,  Hd.  I,  S.  1 ff.;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  11,  S.  364  — 399: 
Hazeltinc,  Zur  Geschichte  der  Eheschließung  nach  angelsächsischem  Kocht 
(Sonder-Abdruck  aus  der  Festgabe  für  Hfibler).  Über  das  spätere  englische 
Hecht  siehe  Friedberg  a.  a.  0.,  S.  36 — 57,  309—437:  Pollock  and  Mait- 
land, a.  a.  0.,  Hd.  II,  S.  367—399;  Howard,  a.  a.  O.,  Bd.  I,  8.  287—473. 

3)  8iehe  Dargun,  Mutterrecht  und  Kaubehe  (Gierk es  Untersuchungen 
zur  deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte,  Bd.  XVI),  S.  114,  115.  Vgl. 
Pollock  and  Maitland.  a.  a.  0.,  Bd.  II,  8.  365:  Howard,  a.  a.  O.,  Bd,  I, 
S.  275,  276. 

4)  Siehe  Acthelberht  31,  77,  83,  Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  5,  7,  8: 
Ine  31,  Liebermann,  a.  a.  0.,  8.  102,  103:  Friedberg,  Recht  der  Ehe- 
schließung, 8.  33.  Vgl.  auch  Schniid,  Gesetze,  8.  561,  562. 

*)  ln  der  früheren  historischen  Periode  scheint  der  angelsächsische 
Verlobungsvcrtrag  für  gewöhnlich  ein  Kealvertrag  gewesen  zu  sein,  indem 
er  durch  die  Zahlung  des  Kaufpreises  seitens  des  Bräutigams  an  den  Munt- 
walt bindende  Kraft  erhielt.  Allmählich  scheint  aber  — jedoch  sind 
unsero  Duellen  hier  nur  sehr  dürftig  — , die  Zahlung  eines  Handgeldes  als 
hinreichend  angesehen  worden  zu  sein,  um  einen  gültigen  Vertrag  zu  be- 


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0-2 


die  Verlobung,  die  Übergabe  der  Braut  an  den  Bräutigam,  der 
Segen  des  Priesters  bei  der  Übergabe,  oder  die  physische  Ver- 
bindung der  Eliegatten  die  ehebegrflndende  Handlung  sei,  wollen 
wir  an  dieser  Stelle  nicht  erörtern.  Man  kann  kaum  sagen,  daß  die 
Verlobung,  d.  h.  der  Wettvertrag,  die  Ehe  selbst  sei,  da  die  Ver- 
weigerung, diesen  Vertrag  zu  erfüllen,  bloß  eine  Geldbuße  zur 
Folge  haben  würde1).  Ebenso  unangemessen  wäre  es  zu  sagen,  daß 
der  Segen  des  Priesters  bei  der  Übergabe  der  Braut  der  ehewirkende 
Akt  sei,  da  der  Anteil  des  Priesters  au  der  Feierlichkeit  zu  unter- 
geordnet erscheint3).  Möglich  wäre  es,  die  Übergabe  der  Braut 

wirken,  indem  das  Handgeld  einen  symbolischen  Kaufpreis  darslclltc.  während 
der  wirkliche  Kaufpreis  später  bezahlt  wurde.  Auch  wurde  es  frühzeitig 
üblich,  die  Verlobung  in  Form  eines  Wettvertrages  abzuschlicßeu,  wobei 
Zahlung  des  Kaufpreises  durch  Übergabe  einer  Wette  versprochen  wurde. 
Die  Anfänge  der  Verlobung  in  Form  eines  beiderseitigen  Wettvertragcs  mit 
Bürgenstcllung  fallen  wahrscheinlich  lange  vor  die  Zeit,  aus  der  der  Traktat 
stammt.  Siehe  ferner  Ha  zeit  ine,  a.  a.  0.,  S.  6—8. 

*)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  11,  S.  305,  3GG. 

Schmid  betrachtet  die  Verlobung  des  Traktates  als  Brantkauf.  be- 
setze, S.  5B1,  562.  Seite  561  sagt  er:  „Die  Verbindung  von  Mann  und  Weib 
scheint  wesentlich  nur  durch  die  vorausgegangene  Verlobung  (boweddung) 
den  Charakter  einer  ehelichen  erhalten  zu  haben,  weshalb  beweddod  wif  die 
gleiche  Bedeutung  wie  rillt  wif  (On.,  II,  54)  gehabt  zu  haben  scheint,  im 
Gegensatz  zu  der  bloßen  cifes  (ccafcs),  dem  Kebsweib".  Young,  a.  a.  O., 
S.  163—173,  betrachtet  die  Verlobung  des  Traktates  als  einen  Formal-  oder 
Wettvertrag  und  sieht  sie  als  die  rechtskräftige  Handlung  bei  der  Ehe- 
schließung au. 

a)  Friedberg,  Hecht  der  Eheschließung,  S.  35,  36,  bei  seiner  Erörte- 
rung der  Stellen  des  Traktates,  welche  den  Verlobungsvertrag  und  die  Über- 
gabe der  Braut  betreffen,  sagt:  „Es  ergibt  sich  auf  den  ersten  Blick,  daß 
der  Priester  hier  nur  eine  höchst  untergeordnete  Iiolle  spielt,  da  er  eigent- 
lich nur  die  schon  geschlossene  Ehe  einsegnet,  die  auch  ohne  seine  Bcne- 
diktiunen  vollkommen  zu  Kerbt  bestanden  haben  würde,  wie  denn  bei  zweiten 
Ehen  dieser  Segen  auch  gesetzlich  fortfallen  sollte.  Bald  greift  jedoch  der 
Geistliche  mehr  in  diu  Handlung  ein,  ja  wird  deren  Leiter  und  als  solcher 
erscheint  er  in  den  alten  Ritualen  der  Kirchen  von  Salisbury  und  York*. 

Phillips,  Versuch,  S.  240,  sagt:  „Einen  ganz  vorzüglichen  Einfluß 
gewann  die  Geistlichkeit  auf  die  Ehesachen.  Die  Übergabe  der  Braut  . . . 
geschah  gewöhnlich  unter  hinzutretender  Benediction  von  Seiten  eines  Pres- 
byters: doch  gehörte  diese  nicht  durchaus  zur  Gültigkeit  der  Ehe“.  In 
seiner  Anmerkung  zu  dem  oben  Angeführten  sagt  er:  „Bei  der  Einseguung 
der  Ehe  einer  sich  zum  zweiten  Male  verheiratenden  Person  durfte  der 


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nach  den  Bestimmungen  des  gewetteten  und  verbürgten  Verlobungs- 
vertrages als  das  Wesentliche  bei  der  Ehe  anzusehen.  Vacarius 
hat  später  die  Ansicht  vertreten,  daß  eine  traditio  das  Wesent- 
liche wäre;  doch  war  es  ihm  nicht  möglich,  seiner  Ansicht  gegen- 
über der  Lehre  des  kanonischen  Rechts,  daß  die  Ehe  formlos  und 
ungesegnet  sein  dürfe,  Geltung  zu  verschaffen  ').  Unserer  Ansicht  nach 
waren  die  Verlobung  (beweddung)  und  die  Trauung  (gifta)  die 
beiden  wesentlichen  Akte  der  Eheschließung  nach  angelsächsischem 
Recht*)- 

IV.  Als  allgemeine  Vertragsform. 

Als  allgemeine  Formen  des  Formal- oder  Wettvertrages  finden 
wir  in  den  angelsächsischen  Quellen,  Verträge  geschlossen  1.  durch 
wed,  2.  durch  wed  und  borh3),  3.  durch  äff  (juramentum), 

4.  durch  god-borh  (dei  plegium). 

Bei  Ine  13  pr.  *)  heisst  es:  Wenn  Jemand  vor  dem  Bischof 
falsches  Zeugnis  gibt  oder  sein  Gedinge  (wed,  vadium)  bricht, 
büße  er  es  mit  120  Schillingen5).  Kapitel  1 der  Leges  Anglicae 

Geistliche  nicht  zugegen  seyn  und  doch  war  eine  solche  Ehe  gültig“.’  Siehe 
auch  Schinid,  Gesetze,  S.  562;  Pollock  and  Maitlaud,  a.  a.  0.,  II, 

5.  3fi9,  370.  Uber  das  heutige  englische  Hecht  vgl.  aber  Pollock  and 
Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  372. 

')  Uber  Vacarius  und  die  Lehre  der  Kirche  in  Knglnud  siehe  Pollock 
and  Maitland  a.  a.  O.,  II,  3G7— 374.  Vacarius’  Traktat  ist  abgedruckt  in 
Law  Quarterly  Itcview,  lld.  XI II,  S.  133,  270. 

*)  Siehe  ferner  Hazeltine,  a a.  (>.,  S.  11  — 13.  Kür  die  richtige  An- 
sicht über  das  Verhältnis  zwischen  Verlobung  und  Trauung  nach  älterem 
deutschen  Hecht  siehe  Gierke,  Grundzüge  de»  deutschen  Privatrechts 
(Hol  t zcndorff-K  oh  ler,  F.ncyelopädie  der  Rechtswissenschaft,  ltd.  I,  S.  533, 
534):  Brunner,  Grundzngc  der  deutschen  Kechtsgeschichtc,  S.  192  — 194. 

3)  Vgl.  Verträge  im  Rechtsverkehr  zwischen  Fngläudcrn  und  Dänen, 
die  durch  Trcuversjirechen  (trvwa)  und  Geiselnstellung  (gislas)  geschlossen 
wurden.  Siche  unsere  späteren  Ausführungen. 

4)  Schmid,  Gesetze,  S.  27.  Siehe  auch  die  Lesarten  und  die  ent- 
sprechende Stelle  des  (juadripartitus  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  94,  95. 

5)  Gif  hwä  beforan  biscepc  bis  gewitnesse  and  his  weil  üleöge,  geböte 
inid  CXX  scill. 

Si  (juis  coram  episenpo  testimonimn  Simm  et  vadium  mentiatnr,  XXX 
[CXX  ?]  sol.  emendet. 

Liebcruiann.  a.  a.  0.,  S.  94,  übersetzt:  Wenn  jemand  vor  dem 
liischofe  sein  Zeugnis  falsch  abgibt  und  sein  rechtsfönnlicheg  Versprechen 
[abgegeben  vor  ihm,)  bricht,  büße  er  mit  120  Schill. 


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!)4 


Alfreds')  handelt  besonders  von  Eiden  und  Gedingen  (Be  aiVum 
and  be  weddum,  De  jurainentis  et  vadiis)  und  fängt  an:  Zuerst 
lehren  wir,  daß  es  vor  allem  nötig  ist,  daß  jedermann  seinen  Eid 
(äff)  und  sein  Gedinge  (wed)  wahrhaft  halte1).  Ähnlich  Aethelred’s 
Verordnung,  die  der  König  der  Angeln  und  die  geistlichen  und 
weltlichen  Witan  beschlossen  und  berieten’):  Und  jeder  Cristen- 

mensch handle  in  Wort  und  Tat  redlich,  und  halte  Eid 

(äiV)  und  Gedinge  (wed)  treulich4)’),  ln  Aethelred,  VI,  28‘), 
wird  verordnet:  Und  in  Worten  und  Werken  handle  jeder 

■)  Schmid,  Gesetze,  S.  68  — 71.  Sieh«:  auch  Lieberuiann,  a.  a.  O., 
S.  4t!,  47. 

*)  . . . ])aet  i'eghwclc  mon  his  a<V  and  hin  wed  wacrlice  hcalde. 

In  priinis  est,  qnod  maxiinc  necessarinin  est  cuique  fideliuni,  tidein 
nt  juranicntiiin  suum.  niiilta,  nt  convenit,  obscrvantia  eustodirc. 

Phillips,  Versuch,  S.  UH.  Anm.  416,  gibt  eine  andere  Lesart  des 
lateinischen  Textes:  Iniprimis  doeemus,  qund  maxiine  necessarinin  est,  ut 
quisqiic  honio  jnrainentuin  su um  et  pactum  suum  cautc  observet. 

In  Liebermanns  Ausgabe  der  angelsächsischen  Gesetze,  S.  47,  lautet 
die  Stsdle  in  tjuadripartitus  folgendermaßen:  Inpriinis  est,  quod  maximc 
necessarinin  est:  cuictuuquc  lidelium  tideni  et  inranientum  suum  lnulta  con- 
nenit  ubserrantia  rustudirc. 

Lieberuiann,  a.  a.  0.,  S,  47,  übersetzt  Alfred  1 pr.:  Zuerst  lehren 
wir,  was  zumeist  nötig  ist.  daß  jedermann  seinen  Kid  und  sein  rechtsförm- 
liehes  Versprechen  sorgfältig  halte. 

Jenks,  Law  and  Politics,  fährt  nach  Ilehandlung  der  Krage,  ob 
unter  den  germanischen  Völkern  der  Kid  die  Wirkung  einer  vertragsmäßigen 
Verbindlichkeit  hatte,  wie  folgt  fort  (274  —276):  „Hut  certainly,  under  the 
t'hureh’s  teaching,  the  Oath  assnmed  the  charactcr  of  a sacrcd  Obligation. 
We  reinembcr  the  pious  Alfred'»  Pooins.  Certainly,  also,  there  is  a streng 
probability  that  the  Church  enforccd  the  perfornmnee  of  Oatlis  by  the  threat 
of  exeomniunication,  sometiuies  with  the  appruval  of  the  lay  tribunals.  Hut 
there  is  no  proof,  it  would  sceiri,  that  the  Contract  by  Formal  Words  ever 
fonned  jiart  of  Teutonic  Law,  in  the  sense  that  it  would  be  directly  en- 
forced  by  the  courts  of  the  Clan,  the  Kicf,  or  the  State.  The  one  contract 
which  they  recognixe  in  early  time»  is  the  Contract  by  l’ledge.“ 

3)  Aethelred,  V,  § 22,  Schmid,  Gesetze,  S.  224.  Siehe  auch 
Lieberuiann,  a.  a.  O.,  S.  242,  243. 

4)  . . . and  üi)  and  wed  wacrlice  hcalde. 

*)  Licbcrmann,  a.  a.  O.,  S.  243,  übersetzt:  Und  jeder  Christenmensch 
handle.  . . . und  ordne  [sein]  Wort  und  Werk  gerecht  und  halte  sorgsam 
Kid  und  Versprechen. 

Schmid,  Gesetze,  S.  230.  Siehe  anch  Lieberuiann,  a.  a.  O.. 
S.  234,  233. 


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95 


Freund  nach  Recht  und  halte  Eid  (äff)  und  Gedinge  (wedd) 
redlich*)*).  In  Cnutü  Gesetzen,  I,  19,  § 1 5j  wird  gesagt:  Und  jeder 
Freund  handle  in  Wort  und  Werk  nach  Recht,  und  halte  Eid  (äff) 
und  Gedinge  (wedd)  redlich4)5)  Kapitel  1,  § S,  von  Alfreds  Ile 
affum  and  be  weddum  lautet6):  Wenn  aber  ein  anderer  Mensch 
Hfirge  (borli,  plegins)  ist,  so  büLle  er  den  Bürgsehaftsbrach  wie 
ihn  das  Recht  weist,  und  den  Bruch  der  Vertragstreue,  wie  ihm 
sein  Beichtiger  vorschreibt ’).  Alfred  33  handelt  Be  god-borgum 
[borhgnin]  (De  I)ei  jt  1 eg i«  violato)*)  und  verordnet:  Wenn 
Jemand  einen  Andern  wegen  einer  Gottverbürgung  anklagt  und 
ihn  bezichtigen  will,  daß  er  eine  von  den  Verpflichtungen,  die  er 
gegen  ihn  übernommen  hatte,  nicht  erfüllt  habe,  leiste  er  den 
Voreid  in  vier  Kirchen  und  der  Andere,  wenn  er  sich  reinigen 
will,  tue  es  in  zwölf  Kirchen. 

Die  obligatorische  Natur  dieser  Formen  ersieht  man  deutlich 
aus  der  Terminologie  der  Quellen,  da  es  bei  allen  Formen  heißt, 
daß  das  Versprechen  des  Schuldners  „erfüllt“  oder  „nicht  erfüllt 
(gebrochen)“  wird. 

Über  den  Gegenstand  dieser  Verträge  wissen  wir  nichts.  Dem 

')  . . . and  äff  amt  wedd  waerlice  heatde, . . , 

. . . juraiiii'iita  et  »uta  fideliter  complcat. 

*)  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  255,  übersetzt:  Und  ordne  der  Freunde 
jeglicher  Wort  und  Werk  gerecht  und  halte  sorgsam  Kid  und  Versprechen. 

*)  Schleid,  Gesetze,  S.  26(1,  2(17.  Siebe  auch  Liebermann,  a.  a.  0„ 
S.  300,  301. 

4)  . . . and  äff'  and  wedd  waerlice  bcaldc,  . . . 

. . . fidcm  ot  sacramenta  cauto  cnstndiat. 

In  Licbcrmann's  Ausgabe  der  angelsächsischen  Gesetze  lautet  die 
entsprechende  Stelle  des  Quadripartitus:  ...  fidem  et  sacramenta  raute 
custodiat.  Die  entsprechende  Stelle  der  Consiliatio  Cnuti  lautet:  . . ius- 
iurar.dum  et  manufirmacionem  raute  obseruet.  Lieber  mann,  a.  a.  O.,  S.  301. 

5)  Liebermann,  a a.  0.,  S.  301,  übersetzt:  Und  ordne  der  Freunde 
jeglicher  Wort  und  Werk  gerecht  und  halte  sorgsam  Kid  und  Versprechen. 

6)  Schmid,  Gesetze,  S.  70,  71.  Für  Text  und  Übersetzung  bei 
Liebermann  siehe  oben  S.  74,  Anm.  1. 

T)  Gif  pier  penne  öffer  menisc  borh  sie,  bete  pone  borg-bryce  [borh- 
brice]  swä  bim  ryht  wisie,  and  pone  wed-brvee  swä  him  bis  scrift  scrife. 

Si  tune  aliipiis  plegins  intersit,  einendet  infraeturam  plcgii,  sicut 
rectum  edneebit,  et  infraeturam  vadii  seenndum  pcnitcnciac  ccnsuram. 

*)  Schmid,  Gesetze,  S.  88,  8t).  Siehe  auch  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  Cd,  (17 : oben  S.  75,  Anm.  1 . 


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Oß 


Anscheine  nach  handelt  es  sich  um  allgemeine  Vertragsformen,  die 
bei  allen  Rechtsgeschäften  Anwendung  finden  können.  Die  Gott- 
Verbürgnng  scheint  ein  besonders  solennes  Versprechen  zu  sein-, 
vielleicht ')  wurde  es  auch  im  Familienrecht  und  bei  der  Bei- 
legung alter  Fehden  gebraucht. 

Verträge,  die  gegen  die  guten  Sitten  verstoßen,  soll  man  nicht 
erfüllen.  Nach  den  ersten  Worten  Alfreds  Be  a<Vum  and  be 
weddum*)  soll  jedermann  seinen  Eid  und  sein  Gedinge  (äff  und 
wed,  fides  et  juramentum)  wahrhaft  halten.  Gleich  darauf 
aber  sagt  er  in  § 1:  Wenn  Jemand  zu  einem  von  diesen  mit 
Unrecht  genötigt  worden  ist,  sei  es  zum  Verrate  des  Herrn,  sei  es 
zu  widerrechtlichem  Beistand,  so  soll  er  sie  dann  lieber  brechen 
als  erfüllen5)4). 

Über  die  Nichterfüllung  des  durch  god-borh  (Dei  plegium) 
eingegangen  Vertrages  kann  die  andere  Vertragspartei  Klage 
erheben.  Nach  Alfreds  Gesetzen:  Wenn  Jemand  einen  Andern 
wegen  einer  Gott- Verbürgung  anklagt  und  ihn  bezichtigen  will, 
daß  er  eine  von  den  Verpflichtungen,  die  er  gegen  ihn  über- 
nommen hatte,  nicht  erfüllt  habe,  leiste  er  den  Voreid  in  vier 
Kirchen,  und  der  Andere,  wenn  er  sich  reinigen  will,  tue  es  in 
zwölf  Kirchen. 

Bei  Nichterfüllung  muß  die  Vertragsbrüchige  Partei  für  den 
Vertragsbruch  büßen.  War  aber  ein  Bürge  gestellt,  so  muß  dieser 
für  den  Bflrgseliaftsbruch  und  den  Vertragsbruch  büßen,  so  wie  es 
die  Geistlichen  vorschreiben.  Die  Vertragsbrüchige  Partei  unter- 
liegt der  Inhaftierung  und  kann  unter  Umständen  geächtet  und 
exkommuniziert  werden. 

So  nach  Ine  1 3 *) : Wenn  Jemand  vor  dem  Bischof  falsches 
Zeugnis  gibt  oder  sein  Gedinge  (wed,  vadium)  bricht,  muß  er 
es  mit  120  Schillingen  büßen.  Nach  Alfreds  Be  affum  and  be 

')  Siche  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  58. 

*)  Schmid,  Gesetze,  S.  G8,  69:  Licbermann,  a.  a.  0.,  S.  4G — 49. 

3)  . . . patt  is  ponne  ryhtrc  tö  Alcöganne  ponne  tö  gchcatannc. 

*)  . . . rectius  est  hoc  cincntiri  t]uaiu  implcre. 

Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  47,  übersetzt  § 1:  Wenn  einer  [allerdings] 
böser  Weise  gezwungen  worden  ist  zum  [Versprechen]  eines  der  beiden  [Ver- 
brechen], entweder  zu  Herrenverrath  oder  zu  irgend  einer  widerrechtlichen 
Beihilfe,  das  ist  dann  richtiger  zu  weigern  als  zu  leisten. 

Siehe  oben  S.  93,  Anm.  4 und  5. 


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weddum').  §2:  Wenn  er  sich  aber  zu  Dem  verpflichtet,  was  er 
rechtmäßig  zu  leisten  hat,  und  Dem  untreu  wird*)  so  gebe  er  in 
Demut  seine  Waden  und  seine  Habe  seinen  Freunden  zur  Ver- 
wahrung und  gehe  40  Nächte  in  den  Kerker  in  des  Königs  Tune; 
er  tue  da  Huße,  wie  es  ihm  der  Bischof  vorschreibt,  und  die 
Magen  mögen  ihn  speisen,  wenn  er  selbst  keine  Nahrung  hat. 
§ 3:  Wenn  er  keine  Magen  oder  die  Nahrungsmittel  nicht  hat, 
speise  ihn  des  Königs  Gerele.  § 4:  Wenn  man  ihn  dazu  nötigen 
muß  und  er  anders  nicht  will,  so  verliere  er,  wenn  man  ihn 
bindet,  seine  Waffen  und  sein  Erbe.  § 5:  Wenn  man  ihn  er- 
schlägt, liege  er  unverbüßt.  §<>:  Wenn  er  daraus  entflieht  vor 
dem  Termin  und  man  ihn  einfängt,  bleibe  er  40  Nächte  im  Kerker, 
wie  er  früher  sollte.  § 7;  Wenn  er  aber  loskommt,  sei  er  geächtet 
und  exkommuniziert  in  allen  christlichen  Kirchen.  § 8:  Wenn 
aber  ein  anderer  Mensch  Bürge  ist,  so  büße  er  den  Bürgsckafts- 
bruch  wie  ihn  das  Recht  weist,  und  den  Bruch  der  Vertragstreue, 
wie  ihm  sein  Beichtiger  vorschreibt*). 

V.  Im  Kirchen  recht. 

Das  Gelöbnis  des  Mönchs  wird  in  den  Gesetzen  Aethelreds 
erwähnt4);  Und  unser.«  Herrn  und  seiner  Witan  Verordnung  ist, 
daß  jeder  Mönch,  der  außerhalb  seines  Klosters  ist  und  sich  um 
die  Regel  nicht  kümmert,  thue,  wie  er  thun  soll;  er  kehre  willig  in 
das  Kloster  zurück  in  aller  Deinuth,  und  enthalte  sich  aller  Misse- 
taten, und  büße  willig,  was  er  verbrochen  hat;  er  gedenke  des 
Wortes  und  Gedinges  (wo rd  and  wedd),  das  er  Gott  leistete'*)®). 


*)  Schmid,  Gesetze,  S.  68— 71.  Vgl.  I.iebcrman  n.  a.  a.  0.,  S.  40-49. 

*)  Gif  he  ponne  paea  weddie,  pe  liv in  rillt  sj  tü  gehnatanne  and  pa*t 
aleoge,  . . . 

Si  qui.«  autem  vadiet,  qtiod  fieri  justum  sit,  et  transgrediatur,  . . . 

*)  Siehe  oben  S.  74,  Anin.  1,  S.  95,  Anni.  7. 

*)  Acthelred,  V,  5,  Schmid,  Gesetze  S.  222:  und  vgl.  Lieberniann, 
a.  a.  O.,  S.  238,  239.  Gleichlautend  ist  Aethelred,  VI,  3 pr,  Schinid,  Gesetze» 
S.  22ti,  Lieberniann,  a.  a.  O.,  8.  248. 

5)  . . . gepence  Word  and  wedd,  pe  he  (Jode  beliebte. 

6)  Lieberniann,  a.  a.  0.,  S.  239,  übersetzt:  ...  er  bedenke  Wort  und 
Verpflichtung,  die  er  Gell  gegeben  hat! 

Httzeltin«,  hnglischfN  Pfandrecht  ^ 


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VI.  Im  öffent liehen  Recht. 

Wenn  wir  den  (lebrauch  der  Worte  wed  (vadi  um),  AtV  u.s.w. 
in  den  Quellen  etwas  weiter  verfolgen,  finden  wir,  daß  sie  nicht 
nur  beim  Wettvertrage  (Gelöbnis)  und  dem  I’fande  des  Privat- 
rechts Anwendung  finden,  sondern  auch  beim  Wettvertrag  (Gedinge, 
Gelöbnis)  im  öffentlichen  Recht  eine  Rolle  spielen. 

In  Aelfredes  and  Güd'rümes  fr i «V  (Friede)')  aus  den 
Jahren  880—890  wird  die  Grenze  und  der  Rechtsverkehr  zwischen 
Engländern  und  den  eindringenden  Dänen  geordnet*).  Der  Friedens- 
vertrag fängt  mit  diesen  Worten  an:  Dies  ist  der  Friede,  den 
König  Aellred  und  König  Guthrun  und  die  Witan  des  ganzen 
Angelvolkes  und  das  gesamte  Volk,  das  sich  bei  den  Ostanglieni 
befindet,  zusammen  abgeschlossen  haben  und  mit  Eiden  (inid 
Ad  um)  bekräftigt*)4),  für  sich  selbst  und  ihre  Nachkommen,  ge- 
borene wie  ungeborene,  die  Gottes  Gnade  begehren  oder  die 
unsrige.  §.  5:  Und  wir  Alle  beschlossen  an  dem  Tage,  da  man 
die  Eide  (Adas)  schwor4),  daß  weder  ein  Höriger  noch  ein  Freier 
ohne  Erlaubnis  zu  dem  „Heere“  gehen  solle,  noch  einer  von  ihnen 
zu  uns.  Wenn  es  aber  geschieht,  daß  einer  von  ihnen,  weil  er 
es  nöthig  hat,  mit  uns  Handel  haben  will,  oder  wir  mit  ihnen, 
über  Vieh  oder  Gut,  so  ist  das  zu  gestatten  in  der  Weise,  daß 
mau  Geiseln  (gislas)  stelle  zum  Pfand  des  Friedens  (frid'e  tö 

')  Schinid,  Gesetze,  S.  106—109:  Lieben» ann,  a.  a.  0.,  S.  126  fT. 

*)  Sclimid,  Gesetze  S.  XXXVIII:  Licbcrmann,  a.  a.  (>.,  S.  IX,  126. 
Siebe  ferner  Seebohm,  n.  a.  0,  S.  1 — 355 : Tliorpe,  a.  a.  0.,  8.  66.  Am»,  a. 

Vgl.  Gcriednca  betweoi  Dünsctan,  Sclimid,  Gesetze,  S.  358—  363,  filier 
die  Verhältnisse  zwischen  Angelsachsen  und  Walen. 

*)  . . . ealle  geeweden  habbad,  and  mit  ad'um  gefcnstnnd,  . . (.  . .ewed' 
and  geswnren  habbad.  . . .).  Kine  Randbemerkung  zur  zweiten  Lesart  lautet: 
and  mid  Ad  um  gcfacstnod.  Sclimid,  Gesetze,  8.  106,  Amu.  23.  Siehe  auch 
Liebermann,  a.  a.  ().,  S.  126.  Oie  entsprechende  Stelle  des  yuadri- 
part  itus  (siehe  Lieberinann.  a.  a.  0.,  S.  127)  lautet:  . . . constitucrunt  et 
iureiurando  confirmauerunt  . . . 

4)  Liebermann,  a.  a.  0..  S.  127,  übersetzt:  . . . alle  bestimmt  und  mit 
Kiden  gefestigt  (beschworen)  haben  . . . 

5)  And  ealle  we  ewiedon  on  päm  daege,  mon  pA  Adas  swür,  . . . 
(And  ealle  big  geewa-don,  pA  man  pA  Adas  swür,...).  Siehe  auch  Lieber- 
mann, a.  a.  0.,  8.  128.  Oie  entsprechende  Stelle  des  (juadripartitus 
lautet:  Kt  umnes  ediximus  in  illa  die  qua  iuramenta  facta  sunt ....  Siche 
Licbcrmann.  a.  a.  O..  S.  129. 


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90 


wedde,  ad  vadium  pacis)1)  und  zum  Zeugnis,  daß  man  wisse, 
daß  man  reinen  Rücken*)  habe’).  Eine  zweite  Lesart  dieses 
triff  (Frieden)  mit  der  Überschrift  Aelfredes  laga  cyninges*) 

lautet:  daß  man  Treue  (trjhva)  und  gegenseitige  Geiseln 

(gislas)  geben  will  zum  Pfand  des  Friedens  (friffe  tö  wedde)4) 
und  zum  Zeugnis,  daß  man  mit  Recht  gehe,  wenn  nöthig  ist,  daß 
Einer  von  uns  mit  Vieh  und  mit  Gut  zu  dem  Andern  gehe“). 

In  dem  Bruchstücke  Hü  man  sceal  gyldan  twelf-hyndes 
man  (944 — c.  1Q(>0)  heißt  es:  Sobald  der  Wettvertrag  über  das 
VVergeld  abgeschlossen  ist.  dann  setze  man  des  Königs  Schirm 
(Frieden)  ein,  das  ist,  daß  sie  Alle  mit  gemeinsamer  Hand  von 
jeder  Magenschaft  dem  Vermittler  auf  eine  Wallt*  geloben,  daß 
der  Schirm  (Friede)  des  Königs  bestehen  soll1). 

’)  f)aet  man  gislas  sylle  friffo  tö  wedde  . . . 
ut  lidejussores  dent  ad  vadium  pacis  . . . 

Siehe  auch  Liebcrmaun,  a.  a.  0.,  S.  128. 

Über  (iciseln  im  angelsächsischen  Recht  sieb«  Schund,  Gesetze, 
Glossar,  s.  v.  gisel. 

*)  Schmid,  Gesetze,  8.  108,  Anm.:  „('bene  bacc,  d.  i.  er  bat  einen 
Gewährsmann,  auf  den  man  zurüekgreill*.  Siehe  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  07, 
Anm.  a. 

’)  Liobermann,  a.  a.  0.,  S.  129,  übersetzt:  ....  Wenn  es  aber  vor- 
kommt, daß  aus  Notwendigkeit  einer  von  jenen  zu  uns  hin  Handel  mit  Vieh 
und  mit  Waren  haben  will,  oder  wir  zu  jenen  hin,  das  ist  in  der  Weise  zu 
gestatten,  daß  man  (der  Händler)  Geiseln  gebe,  dem  Frieden  zum  l’fande 
und  zum  Heweise,  daß  bekannt  sei,  daß  jener  reinen  lifieken  habe. 

*)  Schmid,  Gesetze  S.  100—109;  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  120— 128. 
Über  die  zwei  Lesarten  dieses  Friedensvertrages  siehcThorpe,  a.a.O.,  S.  OG,  07. 

4)  btiton  man  try  wan  and  betwynan  gislas  sylle  friffe  tö  wedde  . . . 

Siche  auch  Liebermann,  a.  a.  0.,  8.  128. 

Schmid,  Gesetze,  S.  108,  Anin.,  sagt:  ,Fnr  try  wan  and  betwynan  gis- 
las  will  l’rice  (Thorpe]  lesen:  betwynan  try  wan  and  gyslas:  ich  möchte  lieber 
trywa  (acc.  pl.  von  tryw)  lesen,  das  sehr  oft  in  ähnlicher  Verbindung  vor- 
kommt, z.  H.  auch  Cardin..  I,  1530:  Ic  eöw  trcöwa  pars  minc  seile-*.  Siehe 
ferner  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  07  und  Anm.  b;  Schmid,  Gesetze,  Glossar,  s.  v. 
gctreöwe,  gotrcöwian,  treöwian. 

6)  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  129,  übersetzt:  . . außor  wenn  man  Treu- 
gelübde und  dazwischen  Geiseln  stelle  dem  Frieden  zum  Pfände  und  zum 
Beweise,  daß  man  gesetzmäßig  reise,  wenn  [nämlich]  es  nöthig  wird,  daß 
unser  einer  zu  [jenen]  anderen  ziehe  mit  Vieh  und  mit  Waaren. 

7)  Siche  oben  S.  83.  Siehe  auch  Kdmunds  Be  faehffe  und  die  Leges 
Henrici  Primi,  oben  S.  85,  80. 

7“ 


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101) 


Edwards  Gesetze,  II,  4, ')  erklären  ausdrücklich,  dall  Niemand 
mit  Wissen  und  Willen  einen  Schuldigen  schützen  oder  beher- 
bergen soll.  Kapitol  ">*)  handelt  von  dem.  der  einen  Schuldigen 
in  seinen  Frieden  nimmt.  Kapitel  ä pr. : Wenn  Jemand  dies 
Übertritt  und  seinen  Eid  (äiV.  jurantentumj  und  seine  Gedinge 
(w;ed.  vadium),  die  das  ganze  Volk  eingegangen  ist,  bricht3), 
hülle  er  es,  wie  das  Gerichtsbueh  es  lehrt4).  Kapitel  5,  § 1: 
Wenn  er  aber  nicht  will,  verliere  er  unser  Aller  Freundschaft  und 
Alles,  was  er  hat.  Kapitel  5,  § 2:  Wenn  ihn  nachher  Jemand 
beherbergt,  hülfe  er  es,  wie  das  Gerichtsbuch  besagt  und  der  es 
soll,  welcher  einen  Flüchtigen  beherbergt,  wenn  es  hier  zu  Lande 
ist:  wenn  es  im  festlichen  Lande,  wenn  es  im  nördlichen  ist,  bfllie 
er  es,  wie  es  die  Friedensschritten  besagen. 

Gleich  im  Anfang  der  Epistola  .E |>e I s t a n i ad  omnes 
subjectos  (c.  !)27 — 37) *)  sprechend  De  malefactoribus  et  eos 
I i rinantibus4)  sagt  Aethelstan:  Ich,  Aethelstan,  König,  tliue 
kund,  dal!  ich  in  Erfahrung  gebracht  habe,  dall  unser  Frieden 
schlechter  gehalten  wird,  als  es  mir  gefällt  oder  als  es  zu  Grea- 
tanlea  verordnet  war  (geeweden  w;ere,  fuerit  institutum),  und 
meine  Witan  sagen , dall  ich  es  zu  lange  ertragen  habe.  § 1 : 
Nun  habe  ich  mit  den  Witan,  die  mit  mir  zu  Exeter  waren,  zu 
Weihnachten  beschlossen,  dall  sie  [d.  h.  die  Friedensstörer  oder 
Friedensbrüchigen] ’)  Alle  bereit  sein  sollen,  sie  selbst  mit  Frau 
und  Gut  und  mit  ihrer  ganzen  Habe  dahin  zu  gehen,  wohin  ich 

')  Schmid.  Gesetze,  S.  1 Ui,  1 17.  Vgl.  Lieberinann,  a.  a.  0.,  S.  142, 143. 

*)  Schmid,  Gesetze , S.  116,  117.  Vgl.  I.icbcrmann,  a.  a.  I)., 
S.  142— 145. 

J) . . . snd  bis  ii<V  and  his  w;ed  brecc,  |)e  e«I  Jlcöd  geseald  haeftV, . . . 
. . . et  jurament  um  suiiin  frangat,  ct  vadium,  ipiod  omnia  po|mlns 
i'ontulit,  . . . 

.Siebe  autdi  die  Lesarten  bei  Liebermann,  a.  a.  ö.,  S.  142,  143. 

•)  Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  143,  übersetzt:  Wenn  einer  dies  Übertritt 
und  |sn]  seinen  Kid  und  sein  Versprechen  bricht,  die  das  ganze  Volk  [dem 
Staat]  gegeben  bat,  so  bulle  er.  wie  das  Gesetzbuch  vorschreibt. 

5)  Aethelstan,  V,  Schul  id,  Gesetze,  S.  1.72,  173.  Vgl.  Lesarten  und  die 
entsprechende  Stelle  des  tpiadripartitus  bei  Liebermann,  a.  a.  rt., 
S.  1GG — 1GU. 

n)  Siehe  Thorpc,  a a.  <).,  S.  t)3.  Anm.  a:  Selnnid,  Gesetze,  S.  172, 

Anm. 

",  Thorpe.  a.  a.  •)..  S.  1)3:  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  1C7. 


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101 


will,  wenn  sie  nicht  hinfort  abstehen  wollen,  dergestalt,  «lall  sie 
nie  wieder  in  das  Land  kommen.  § 8:  Und  wer  sie  beherbergt, 
oder  Einen  von  ihren  Leuten,  oder  Jemanden  zu  ihnen  sendet, 
der  habe  sich  selbst  und  Alles,  was  er  hat,  verwirkt;  dies  ist 
darum,  weil  die  Eide  (ä«Vas,  juramenta)  und  die  Gedinge  (wedd, 
vadia)  und  die  Bürgschaften  (borgas,  plegia),  die  da  (darüber) 
eingegangen  waren,  alle  verletzt  und  gebrochen  sind.  Und  wir 
wissen  auf  nichts  Anderes  zu  vertrauen,  es  sei  denn  Dies1)*). 

Die  Judicia  civitatis  Lundoniae  sind  dem  Anscheine  nach 
eine  Sammlung  von  Statuten  der  Friedensgilden  zu  London,  sowie 
von  allgemeinen  Landesgesetzen,  die  von  den  Bischöfen  und  Gerefen, 
d.  h.  den  geistlichen  und  weltlichen  Obern,  die  zu  London  ge- 
hören. veranstaltet  worden  ist  und  auf  die  sie  die  Friedensgilden 
durch  Gedinge  verpflichteten.  Die  eigentlichen  Gildestatuten  icap.  - 
bis  is  der  Judicia)  erscheinen  als  Satzungen,  die  von  den  Gilden 
selbst  ausgehen  und  die  „vorzugsweise  eine  wechselseitige  Asse- 
kuranz gegen  Viehdiebstahle  und  eine  allseitige  Pflicht  zur  Unter- 
stützung bei  der  Verfolgung  von  Dieben  begründen“3). 

•)  . . . |v  |)it  ä (Vas  and  pä  wedd  and  pä  borgas  synt  ealle  oferhafcne 
and  Abrocene,  pe  paer  gescalde  Wieron.  And  w'e  nytan  nänuni  ödruni  pin- 
guin  tu  getrüwianne  [gctreowiganne],  bntan  hit  pis  sy. 

. . . qnod  juraincnta  et  vadia  et  plegia  pcnitus  superexcepta  sunt  et 
infracta,  quae  antca  fucrant  data,  et  nesciinus  alii  rci  crederc,  nisi  liaccfliocjsit. 

Siehe  auch  die  Lesarten  bei  I.iebermann.  a.  a.  0.,  S.  lBfi,  1H7. 

J)  I.iebermann,  a.  a.  0.,  S.  1<!7,  übersetzt:  . . . deshalb,  weil  die  Lide 
und  reehtsförnilichen  Versprechungen  und  Verbürgungen  alle  vernachlässigt 
und  gebrochen  sind,  welche  dort  gegeben  waren.  Und  keinen  anderen  Hin- 
richtungen mehr  können  wir  vertrauen,  es  sei  denn  dies  [Verpflanzen]. 

3)  Schund,  Gesetze,  S.  XLVI,  XLVII.  Siehe  ferner  Schmid,  a.  a.  ().. 
Glossar,  s.  v.  gegilda. 

Seebohin,  a.  a.  O.,  S.  415:  „The  use  of  the  ward  [,hynden‘J  in  tho 
Judicia  Civitatis  Lundoniae'  is  in  connection  with  the  organization  of  .fritli- 
gegildas1  for  the  prevention  and  punishment  of  theft.  These  frith-gogildas' 
were  groiips  or  .hyndens'  with  a coumion  purse.  And  contributions  weru  to 

be  made  for  the  common  benetit These  hyndens  were  not 

directly  groups  of  kinsmen  and  oath-holpcrs,  but  they  were  artilicial  grnups 
formed  and  bound  by  a pledge  for  mutual  protection,  and  the  use  of  the 
word  Jiynden*  in  this  sense  is  signilicant.  liiere  were  hyndens  of  oath- 
helpers  linder  tribal  eustom,  and  now  in  the  city  hyndens  of  fritli-gegildas 
were  formed  for  umtual  defence  against  powerful  kindreds  outsidc  their 
city  who  were  in  the  habit  of  protecting  tbieves  froin  justice.  This  was 


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10> 


Die  Judicia  civitatis  Lunduniae  beginnen  mit  den 
Worten1):  Dies  ist  die  Satzung,  welche  die  Bischöfe  und  die  Ge- 
rden, die  zu  London  gehören,  beschlossen  haben  und  mit  Gedingen 
(mid  weddum,  jurejurando)  bekräftigt  in  unseni  Friedens- 
gilden2), eorlischen  und  keorlisehen,  zur  Mehrung  der  Ver- 
ordnungen, die  zu  Greatanlea  und  zu  Exeter  gegeben  waren  und 
zu  Thunresfelde  *). 

Kapitel  8 dieser  Judicia  civitatis  Lundoniae  enthält 
Gildestatuten 4)  und  § 4 handelt  von  der  Verfolgung  der  Spur  aus 
einer  Shire  in  die  andere  und  schließt  : sodaLS  jeder  Gerefe  dem  andern 
beistehe  für  unsern  gemeinschaftlichen  Frieden,  bei  Strafe  des 
Ungehorsams  gegen  den  König*).  § 5:  Und  auch,  daß  Jeder 
dem  Andern  beistehe,  wie  es  beschlossen  ist  und  durch  Gedinge 
(mid  weddum,  v a d i o)  bekräftigt6),  und  wer  dies  über  die 
Grenze  hinaus  versäumt,  sei  30  Pfennige  schuldig  oder  einen 
Ochsen,  wenn  er  etwas  von  Dem  vernachlässigt,  was  in  unsern 
Schriften  steht  und  was  wir  durch  unsere  Gedinge  (mid  weddum, 

tlii.-  war  apparently  (hat  a substitute  was  fimml  in  tbe  towns  for  the  absent 
kindreds.  And  as  time  went  011  these  artificial  hyndens  of  gcgildas  or 
congildonus  no  doubt  in  sotne  nieasure  took  the  place  of  tbc  hyndens 
of  kinsmen  in  cases  of  homicide  as  well  as  in  cases  of  theft*. 

•)  Aethelstan,  VI  pr,  Schmid,  Gesetze,  S.  156,  157;  Lieber  mann 
a.  a.  O.,  S.  173. 

s)  ...  gecwcdcn  babbaiV  and  mid  weddum  gefaestnod  on  ürum  friiV- 
gcgylduin,  . . . 

. . . edixcrunt  et  jurejurando  continnaTerunt  in  suo  friiVgildo,  . . . 

■Siche  auch  Licbermann,  a.  a.  ().,  S.  173. 

3)  Licbermann,  a.  a.  O.,  S.  173,  übersetzt:  Dies  ist  der  Beschluß, 
welchen  die  Bischöfe  und  die  Vögte,  welche  zu  London[s  Gerichtsbezirk 
durch  ihre  Hintersassen]  zngehoren,  verkündet  und  durch  rechtsförmlichc 
Verpflichtungen  bekräftigt  haben  in  unserer  Friedensgilde  [oder  unseren 
F.-YerträgenJ,  sowohl  vornehme  wie  gemeinfreie,  zur  Ergänzung  für  die  Ge- 
setze, welche  zu  Great  ley  und  zu  Exeter  und  zu  Thundersficld  festgesetzt 
worden  waren. 

4)  Schmid,  Gesetze,  S.  164 — 16!);  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  178 — 181. 

*)  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  178,  übersetzt:  . . . daß  immer  aus  einer 

Grafschaft  in  die  andere  jeder  [Grafschafts-Jvogt  dem  anderen  helfe  zu  unser 
aller  l’olizeiordnung  bei  [Strafe  der  Buße  für]  Ungehorsam  gegen  den  König. 

*)  ...  swa  hit  geeweden  is  and  uiid  weddum  gefaestnod,  . . . 

. . . sicut  dictum  est  et  vadin  conlirmatum ; . . . 

Siehe  auch  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  17!). 


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103 


vaditione)  hekräftiirt  haben1)5).  §0:  Und  wir  beschlossen  auch 
von  jedem  der  Männer,  die  in  unsern  Üildensehaften  ihre  be- 
dinge (wedd,  vadium)  eingegangen  sind3)4),  daß,  wenn  sie  der 
Tud  trifft,  jeder  Gildengenosse  ein  Zukostbrot  für  die  Seele  gebe 
und  ein  Fünfzig  Fsalmen  singe  oder  binnen  30  Nächten  singen 

lasse.  § 0: Wenn  wir  aber  lässig  werden  rficksichtlich 

des  Friedens  und  der  Gedinge  (|>aes  weddes,  de  vadiis),  die 
wir  eingegangen  sind,  und  die  der  König  uns  geboten  hat3),  dann 
können  wir  glauben  oder  auch  wissen,  daß  die  Diebe  noch  mehr 
herrschen  werden,  als  sie  bisher  thaten.  Aber  laßt  uns  lieber 
unsere  Gedinge  (wedd,  fidem)  halten  und  den  Frieden*),  wie  es 
unsenn  Horm  gefällt;  uns  thut  sehr  noth,  daß  wir  ausführen, 

')  ...  and  *c  mid  ürum  weddum  gefaestnod  habbaiV. 

...  et  vaditiunc  [vadiatione]  nostra  conärniaviinus. 

Siehe  Sehrnid,  Gesetze,  S.  XXVI:  Liebermann,  u.  a.  O.,  S.  ISO. 

Hei  bieberniann,  a.  a.  O.,  S.  180,  lautet  der  Text  des  (juadripar- 
titus:  . . . et  uadiacinne  nostra  linnauinms. 

*)  biebermann,  a.  a.  ().,  S.  17H,  180,  übersetzt:  Und  auch,  daß  jeder 
[von  uns]  dem  anderen  helfe,  wie  es  bestimmt  und  durch  rcchtafünnlichc 
Versprechen  bekräftigt  ist:  und  jedermann,  welcher  das  jenseits  dieser 
[ Landschaft*] grenze  versäumt,  sei  .‘10  Pfennig  oder  einen  Ochsen  [uns] 
schuldig,  wenn  er  etwas  von  dem  vernachlässigt,  was  in  unserer  [Vertrags] 
urkunde  steht  und  [was]  wir  durch  unsere  rechtsförmlichen  Versprechungen 
bekräftigt  haben. 

3)  ...  |>c  on  üruui  gcgyldscipum  bis  wedd  geseald  hactiY,  . . . 

. . . ipii  in  nostram  gildscipani  vadium  dedit.  . . . 

Die  Texte  der  Stelle  bei  bi  eberinan  u,  a.  a.  0.,  S.  180,  lauten  ebenso. 
Vgl.  aber  Lieber  m a nn’s  Übersetzung  der  Stelle  in  Anm.  4 unten. 

4)  Vgl.  diu  Übersetzung  Liebcrmaun’s  (a.  a.  0„  S.  180):  Und  wir 
bestimmten  auch  über  jeden  der  Leute,  der  in  unseren  (iildeabmachungen  sein 
[Beitritts]  pfarnl  gezahlt  hat,  . . . 

*)  ...  Gif  we  Jlonne  äslaciaiV  Jlaes  friiVes  and  |)aes  weddes,  [)e  we 
seald  habbaiV,  and  ge  cyng  ils  bebodeu  liafaiV,  . . . 

. . . Kt  si  remissius  egerimus  de  pace  et  vadius,  quae  s i in  ul  dedi- 
mus  et  quam  rex  nobis  praeeepit,  . . . 

Siehe  auch  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  181. 

*)  ...  Ac  uton  healdan  üre  wedd  and  [laut  friiV,  . . . 

. . . Scd  ädern  tcncainus  et  pacem,  . . . 

Siehe  auch  Liebermann,  a.  a.  ü.,  S.  181. 


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104 


was  er  will,  und  wenn  er  uns  mehr  heißt  und  verschreibt,  so 
werden  wir  in  Demutli  bereit  sein  ')• 

An  einer  andern  Stelle  (Kapitel  10)  der  Judicia  civitatis 
L u ndoniae*)  wird  gesagt:  Dali  die  Witan  alle  gemeinschaftlich 
dem  Erzbischof  sich  durch  Gedinge  (wedd,  vadium)  verpflichteten  *) 
zu  Tlmnresfeld '),  als  Alfeah  Stvbb  und  Brithnod,  Oddan’s  Sohn, 
zu  dem  Gemote  kamen  auf  des  Königs  Wort;  daß  jeder  Gerete 
die  Verpflichtung  (wedd,  vadium)  annehme  in  seiner  eigenen 
Shire,  daß  sie  Alle  den  Frieden  halten  wollten*),  wie  es  König 
Aethelstan  beschlossen  hat  und  seine  Witan  ....*). 


')  Licbcruiann,  ».  a.  O.,  S.  181,  übersetzt:  . . . Wenn  wir  dagegen 
schlatt  nachlasscn  von  dieser  l’olizcinrdniiiig  und  dem  rechts  förmlichen  Ver- 
sprechen, welches  wir  abgegeben  haben  und  der  König  uns  geboten  hat, . . 

. . . Vielmehr  lallt  uns  unser  Versprechen  und  diese  Kriedensordnung  halten, 
wie  es  unserui  Herrn  gutdünkt:  , . . 

3)  Aethelstan,  VI,  10,  Schmid,  Gesetze,  S.  168 — 171:  Liebcrtnanii, 
a.  a.  ().,  S.  181,  182. 

s)  paet  pä  witan  ealle  scaidan  [sealdan  Lioberniann,  a.  a.  <).,  S.  181] 
heora  wedd  ealle  togaedere  päm  arcebisecopc.  . 

ljuod  sajiientes  nmnes  dedernnt  vadium  suuni  insimul  archiepiscopo  . . . 

Siehe  auch  Licbermaiin,  a.  a.  <>.,  S.  181. 

4)  Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  181,  übersetzt:  . . . daß  alle  Witan  ihr 
rechtsfönnliches  Versprechen  allesamt  dem  Erzbischöfe  zu  Thunderstield 
gegeben  haben  .... 

•')  ...  paet  aclc  gerefa  namc  pael  wedd  on  his  ägenre  scire,  paet  hi 

ealle  paet  tritt'  swä  healdan  wohlan,  . . . 

. . . ut  omnis  praepositus  vadium  capiat  in  suo  comitatu  du  pare 
servanda.  . . . 

Siehe  auch  Liebermann.  a.  a.  O.,  S.  181,  182. 

Schmid,  tiesetze,  S.  874.  sagt  bei  Besprechung  dieser  Stelle:  .Aber 
nicht  Moll  wedd  syllan  kommt  für  versprechen,  geloben  vor  (z.  B.  Kdw.,  II, 
5 l’r.  oben),  sondern  wed  niinan  hat  auch  die  Bedeutung  von  sieh  ver- 
sprechen lassen,  z.  B.  Athlst.,  VI,  10,  wo  paet  aelc  gerefa  namc  paet  wedd 
on  his  ägenre  scire  dem  ganzen  Zusammenhänge  nach  nur  auf  abgenonunene 
vertragsmäßige  Verpflichtungen  bezogen  werden  kann:  ebenso  Athlst...  VI, 
II,  gif  eöwer  hwilc  ...  paet  wedd  ael  his  hyre-mannum  niman  nelle.  Ich 
kann  selbst  in  Anh.  VI,  1 (Verlobung),  vgl.  mit  c.  5,  8,  die  Worte  on 
wedd«  syllan  nur  auf  ein  Gedinge,  nicht  auf  ein  Pfand  beziehen“. 

*)  Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  181,  182,  übersetzt:  . . . daß  jeder  [Graf- 
schaftsj  vogt  in  seiner  eigenen  Grafschaft  folgendes  rochtsfiirmliche  Ver- 


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105 


Das  nächst«  Kapitel  (11)  der  Judicia  civitatis  Lundoniae1) 
sagt:  Daß  Aethelstan  seinen  Bischöfen  und  seinen  Ealdormännern 
und  seinen  Gerefen  in  meinem  ganzen  Reiche  gebietet,  daß  ihr 
den  Frieden  so  haltet,  wie  ich  ihn  beschlossen  habe  und  meine 
Witan.  Wenn  einer  von  euch  es  versäumt  und  mir  nicht  ge- 
horchen will  und  die  Verpflichtung  (wedd,  vadium)  seinen 
Hiremannen*)  nicht  abnehmen  will  und  heimlich  Abfindungen  ge- 
stattet3)') und  für  die  Ordnungen  nicht  so  sorgen  will,  wie  ich 
geboten  habe  und  in  unsern  Schriften  steht,  dann  soll  der  Oerefe 
sein  Comitat  und  unsere  Freundschaft  verloren  haben,  und  er 
zahle  1 'JO  Schillinge  und  halb  so  viel  jeder  von  meinen  Thanen, 
der  Land  hat  und  die  Ordnungen  nicht  so  halten  will,  wie  ich  es 
geboten  habe. 

In  Edgars  Gesetzen,  IV,  1,  § 4 5),  verordnen  der  König 
und  der  Erzbischof,  daß  Jeder,  arm  oder  reich,  der  einiges  urbare 
Land  besitzt,  Gott  seinen  Zehnten  entrichte,  mit  allem  Segen  und 
aller  Willfährigkeit,  wie  es  die  Satzung  lehrt,  die  meine  Witan 
zu  Andefera  beriethen  und  nun  jetzt  zu  Witanbordestan  durch 


sprechen  [den  Eingesessenen]  abnehmen  werde:  daü  sie  alle  die  Friedens- 
ordnung so  bewahren  wollen,  wie  König  Aethelstan  es  verordnet  hat  mit 
seinen  Witan  . . , 

■)  Aethelstan,  VI,  11,  Sohiuid,  Gesetze,  S.  170,  171,  Liebermann, 
a.  a.  <>.,  S.  182. 

*)  Thorpe,  a.  a.  O.,  S.  101,  sagt  bei  Besprechung  der  Bedeutung  des 
Wortes  Hireuianncn  an  dieser  Stelle:  ,1t  is  clear  front  c.  II.,  tliat  the  terni 
is  a general  application  fnr  all  persona  owing  ubedience  to  sollte  superior 
authority“. 

3)  ...  and  paet  wedd  aet  bis  hyre-mannum  niman  nellc,  and  hu  ge- 

pafaiV  p«  dyrnan  gepingo, . . . 

...  ut  hoc  vadium  ab  hiromannis  vel  a subditis  suis  caperu  uolit, 
et  patiatur  occliltas  actiolies,  . . . 

Ygl.  die  Lesarten  bei  Liebermann,  a.  a.  O , S.  182. 

Ine,  52,  verordnet  (Sclimid,  Gesetze,  S.  46,  47]:  Wer  heimlicher  Ab- 
tindung (diernum  gepingum)  beschuldigt  ist,  reinige  sich  mit  120  Hyden 
wegen  der  Abfindung  oder  zahle  120  Schillinge. 

*)  Liebermann,  a.  a.  ().,  S.  182,  übersetzt:  W'enn  einer  von  euch  nach- 
lässig ist  und  mir  nicht  gehorchen  will,  indem  er  jenes  [Friedens-]  Versprechen 
seinen  Untergegebenen  nicht  abnehmen  will  und  die  heimlichen  Abfindungen 
[mit  Umgehung  des  Gerichts]  erlaubt  . . . 

J)  Schui id,  Gesetze,  S.  104:  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  206 — 200. 


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lor 


Gedinge  (rn i d wedde)  befestigen1)2).  § 5:  Dann  gebiete  icli 
meinen  Gerefen  bei  meiner  Freundschaft  und  bei  allem  dem,  was 
sie  haben,  daß  sie  jeden  von  Denen  zur  Strafe  ziehen,  der  das 
nicht  leistet  und  die  Gedinge  (wed)  meiner  Witan  durch  einige 
Säumnis  brechen  will3)4),  wie  sie  ihn  die  obengenannte  Satzung 
lehrt;  und  bei  diesem  Strafgesetz  gebe  es  keine  Vergebung. 

Aethelred  V enthalt  die  Verordnung,  die  der  König  der 
Angeln  und  die  geistlichen  und  weltlichen  Witan  beschlossen  und 
berieten;  und  im  Kapitel  1 dieser  Verordnung  heißt  es5):  Dies 
ist  aber  das  Erste,  daß  wir  Alle  einen  Gott  lieben  und  verehren, 
und  ein  Christentum  gerne  halten,  und  alles  Heidenthum  gänzlich 
von  uns  werfen;  und  das  haben  wir  Alle  durch  Wort  (mid 
worde)  und  Gedinge  (mid  wedde)  zugesichert6)  ’),  daß  wir 
unter  einer  königlichen  Macht  ein  Christentum  halten  wollen. 

Es  handelt  sich  also  hier  in  diesen  Stellen  um  Formal-  oder 
Wettverträge  (Gedinge,  Gelöbnisse)  des  öffentlichen  Rechts.  Wir 
linden:  1.  einen  Friedensvertrag  (wed  und  äiV)  zwischen  Alfred 
und  den  Witan  des  Angelvolkes  einerseits  und  Guthrum  und  dem 
ganzen  Volke  hei  den  Ostangliern  andererseits;  2.  das  Wort  und 
Gedinge  (wedd,  wed,  vadium;  Word  und  wedd)  des  englischen 

’)  ...  amt  n fi  eft  aet  Wihlbordesstano  mid  wedde  gefaestnodon. 

Siche  auch  Lieb  ermann,  a.  a.  O.,  S.  208,  200. 

*)  Lieberin  ann,  a.  a.  O.,  S.  209,  übersetzt:  ...  welche  meine  Witan 
zu  Andover  bestimmt  und  jetzt  wiederum  zu  ,Wihtbordestan‘  durch  rcclits- 
föruiliches  Versprechen  bekräftigt  haben. 

*)  . . . pe  |)is  ne  gehvste  and  minra  witena  wed  übrccan  mid  nigum 
wäcscipe  Wille,  . . . 

Siehe  auch  Lieb  ermann,  a.  a.  O.,  S.  208,  209. 

*)  Lieb  e r in  a n n a I bersetzung  (a.  a.  Ö.,  S.  209)  lautet  : Ferner  gebiet 
ich  meinen  Vögten,  bei  [Verlust]  meiner  Freundschaft  und  alles  dessen, 
was  sie  besitzen,  daß  sie  jeden  derer,  welcher  dies  nicht  leistet  und  das 
rechtsförmliche  Versprechen  meiner  Witan  durch  irgend  welche  Lässigkeit 
brechen  will,  so  bestrafen  . . . 

5)  Aethelred,  V,  1,  Schmid,  (iesetze,  S.  220,  Liebermann,  a.  a.  O., 
S.  236,  237. 

6)  . . . and  pact  wo  habbaiV  ealle  :eg»Ver  ge  mid  werde  ge  mid  wedde 
gefa-stnod,  . . . 

.Siehe  auch  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  236,  237. 

*)  Lieb  ermann,  a.  a.  0.,  S.  237,  übersetzt:  . ..  und  Folgendes  haben 
wir  alle  sowohl  mit  Wort  wie  mit  rechtsförmlichem  Versprechen  bekräftigt: ..  . 


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107 


Königs  und  der  Witan;  3.  die  Gedinge  (wedd,  vadium, 
vadiationa,  juramentum,  fides)  der  Friedensgildegenossen; 
4.  das  Gelöbnis  (on  an  um  w ;e  p n c syllan)  der  bei  der  Bei- 
legung der  Fehde  Beteiligten;  5.  die  Eide  (äö'as,  juramenta) 
und  die  Gedinge  (wedd,  waed,  vadia)  und  die  Bürgschaften 
(borgas,  plagia)  die  die  einzelnen  Untertanen  eingehen.  Mit 
diesen  Wettvertragen  (Gedingen,  Gelöbnissen)  sind  die  Ab- 
machungen des  Friedensvertrages  zwischen  Alfred  und  Guthrum 
über  den  Rechtsverkehr  zwischen  Dänen  und  Engländern  zu  ver- 
gleichen. wie  das  Treuversprechen  (trywa)  und  die  gegenseitige 
Geiselnstellung  (gislas)  zum  Pfände  des  Friedens  (friOe  tü 
wedde,  ad  vadium  pacis)  und  zum  Zeugnis,  daß  man  einen 
Bürgen  hat. 

Unter  den  Formen  des  solennen  Versprechens  in  diesen 
Quellen  befinden  sich  1.  zweiseitige  und  2.  einseitige  vertrags- 
mässige  Verbindlichkeiten. 

1.  Zweiseitige  vertragsmässige  Verbindlichkeiten.  Der  Friedens- 
vertrag (wed)  zwischen  Alfred  und  Guthrum1)  ist  ein  zweiseitiger 
Staatsvertrag.  Er  wird  durch  Eide  (mid  äiVum)  bekräftigt  und 
bezieht  sich  auf  die  Grenze  und  den  Rechtsverkehr  zwischen 
Dänen  und  Engländern. 

2.  Einseitige  vertragsmäßige  Verbindlichkeiten  werden  ein- 
gegangen: a)  von  den  Witan,  b)  den  Friedensgildegenossen,  c)  den 
bei  der  Beilegung  der  Fehde  Beteiligten,  dj  den  einzelnen  Unter- 
tanen, oder  Hiremannen: 

a)  Die  Witan  verpflichten  sich  alle  gemeinschaftlich  dem 
Erzbischof  durch  Gedinge  (wedd,  vadium),  daß  jeder  Gerefe  in 
seiner  eigenen  Shire  das  Versprechen  entgegennimmt,  daß  Alle 
den  Frieden  halten  wollen®). 

b)  Die  Gildegenossen  verpflichten  sich  durch  Gedinge  (wedd, 
vadium,  fides),  die  der  König  zu  geben  ihnen  geboten  hat,  den 
Frieden  zu  halten;  außerdem  finden  wir  Gedinge  (wedd,  vadium) 
der  Gildegenossen,  die  beim  Sterben  eines  Mitgenossen  durch  das 


')  Siehe  oben  S.  98.  Vgl.  Aethelstans  Epistola  (geeweden  wwre), 
oben  S.  100. 

*)  Acthelred,  VI,  10,  oben  S.  104. 


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108 


(»eben  vun  Zukostbrod  und  das  Singen  von  Psalmen  für  die  Seele 
iles  Verstorbenen  erfüllt  werden  müssen '). 

c,i  Nach  der  Verwettung  und  Verbürgung  des  Wergeides 
sollen  die  bei  der  Beilegung  der  Fehde  Beteiligten  den  Schirm 
i Frieden)  des  Königs  einsetzen,  d.  h.  sie  sollen  Alle  mit  ge- 
meinsamer Hand  von  jeder  Magenschaft  dem  Vermittler  auf  eine 
Waffe  geloben  (syllan),  daß  der  Schirm  (Friede)  des  Königs  be- 
stehen soll1). 

d)  Die  einzelnen  Untertanen  (Hireinannen)  verpflichten  sich 
den  Bischöfen,  Kaldonnfinnem  und  Gerelen,  in  den  verschiedenen 
Sliiren  oder  Bezirken,  durch  Eide  (äiVas,  juramenta),  Gedinge 
(wedd,  waeil,  vadia)  und  Bürgschaften  (borgas,  plegia)  daß 
sie  den  Frieden  des  Königs  halten  wollen s). 

Nach  Edwards  Gesetzen  muß  Jemand,  der  seinen  Eid  (äff, 
juramentum)  und  seine  Gedinge  iwaed,  vadium),  wie  solche 
das  ganze  Volk  eingegangen  ist,  bricht,  büßen,  wie  das  Gerichts- 
buch es  lehrt;  und  nach  Aethelstans  Epistola  ad  omnes  sub- 
jectos  hat  jeder  sich  selbst  und  alles  was  er  hat  verwirkt,  wenn 
er  seine  Eide  (ätVas,  juramenta),  Gedinge  (wedd,  vadia)  und 
Bürgschaften  (borgas,  plegia)  verletzt  und  gebrochen  hat4». 

Auch  linden  wir  in  diesen  Quellen  Staatsverträge,  Satzungen 
der  Witan  und  Beschlüsse  der  Friedensgilden,  durch  Wort  und 
Gedinge  bekräftigt  oder  befestigt*).  Der  Friedensvertrag  zwischen 
Alfred  und  den  Witan  des  Angelvolkes  auf  der  einen  Seite  und 
Guthrum  und  dem  ganzen  Volke  der  Ostanglier  aut  der  andern 
Seite  wurde  durch  Eide  -mit  äiVuim  bekräftigt  (gefeostnod). 
In  Aethclred  V haben  der  König  der  Angeln  und  die  geistlichen 
und  weltlichen  Witan  beschlossen  und  beraten,  sowie  durch  Wort 
(mid  werde)  und  Gedinge  (mid  wedde)  zugesichert  oder  be- 
kräftigt igefaestnod),  daß  „wir  unter  einer  königlichen  Macht 


')  Judicia  civitatis  Lundoniae,  oben  8.  101  IT. 

J)  Das  Krtichstäck  Hu  man  scual  uvldan  twclf-hyndus  man, 
oben  S.  1)9. 

3)  Acthclstan,  VI,  10,  11:  Aetliclstans  Episteln  ad  omnes  sub- 
jectos:  Edward,  II,  ö pr.  Siehe  oben  S.  100  IT. 

4)  Siehe  oben  S.  1O0,  101.  Vergl.  Judicia  civitatis  Lundoniae,  8, 
§ ö,  oben  S.  102. 

4)  Siehe  oben  S.  98  IT. 


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109 


ein  Christenthum  halten  wollen.“  In  Edgars  Gesetzen,  IV,  1, 
§ 4,  wird  eine  schon  heratene  Satzung  der  Witan  nun  von  den 
Witan  durch  Gedinge  (mid  wedde)  befestigt  (gefaestnodon). 
In  den  Judicia  civitatis  Lundoniae  sehen  wir,  daß  sowohl 
eine  Satzung  der  Hischöfe  und  Gerefe  von  London  als  auch  Be- 
schlüsse der  Friedensgilden  durch  Gedinge  (mid  wedduin, 
vadio,  vaditione,  jurejurando)  in  den  Gilden  bekräftigt 
werden  (gefaestnod,  confirmaverunt). 

Drittes  Kapitel. 

Schuld  und  Haftung. 

Wir  haben  bereits  angedeutet,  daß,  soweit  wir  ersehen  können, 
die  Wettform  in  der  Angelsächsischen  Zeit  grundsätzlich  zur  Be- 
gründung eines  Schuld  Verhältnisses  diente1).  Die  weitere  Frage 
hinsichtlich  der  Natur  der  Haftung,  welche  aus  dem  Formal- 
oder Wettvertrag  erwächst,  läßt  sich  außerordentlich  schwer  be- 
antworten, da  unsere  Quellen  keine  direkten  Angaben  über  diesen 
Punkt  enthalten.  Wenden  wir  uns  von  unseren  angelsächsischen 
Quellen  der  Literatur  des  alten  germanischen  Rechts  des  Kontinentes 
zu,  so  linden  wir,  daß  die  Ansichten  der  Rechtsgelehrten  wesent- 
lich auseinandergehen. 

Der  herrschenden  Ansicht  gemäß  entspringt  die  Personal- 
haflung  unmittelbar  aus  der  Wettform  (die  longobardische  „wadiatio“, 
die  fränkische  „fides  facta“,  das  sächsische  „Geloben“2).  So  sagt 

')  Uber  germanisches  Recht  im  allgemeinen  siche  Brunner,  Grttml- 
zfige  der  deutschen  Rechtsgeschichte,  8.  180  und  die  von  Puntschart  in 
seinem  Schuldvertrag  und  Treugelöbnis  S.  10—13  angeführte  Literatur,  so- 
wie Puntschart  a.  a.  0.,  S.  282  und  Kgger,  Verinftgenshaflung  und  Hypo- 
thek nach  fränkischem  Recht,  S.  396— 398:  vergl.  auch  Puntschart,  a.  a.  O., 
S.  1 — 10,  sowie  (lierke,  Grundzüge  des  deutschen  Privatrechts  (Holtzen- 
dorff- Köhler,  Kncvklopädie  der  Rechtswissenschaft,  Bd.  I,  S.  524). 
Puntschart  selbst  (siehe  a.  a.  0.,  S.  284  — 287,  375,  400,  512—518)  vertritt 
die  Ansicht,  dal!  das  Treugelöbnis  nicht  die  Schuld,  sondern  die  persön- 
liche Haftung  begründet. 

J)  Vgl.  ferner  Gicrke,  a.  a.  0.,  S.  522  — 525:  Brunner,  a.  a.  O., 

S.  184  — 187:  Schröder,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  S.  289—298:  Punt- 
schart a.  a.  0.,  S.  284-287,  400,  406,  429  (Anm  5),  512-515.  Gierke, 
Deutsches  Privatrecht,  Bd.  II,  S.  811,  Anm.  7:  „Die  vertragsmäßige  Rin- 
setzung der  Person  für  eine  Schuld,  ursprünglich  durch  Selbslliingabe  als 


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110 


Punfachart  in  seinem  Schul  dvertrag  und  Treugelöbnis  des 
sächsischen  Rechts  im  Mittelalter1):  „Das  Treugelöbnis,  dessen 
Grundgedanke  die  Verpfandung  der  Treue  ist,  und  für  welches 
die  Quellen  als  kurzen  technischen  Ausdruck  , Gelöbnis*  gebrauchen, 
ist  ein  rechtsfßnnlicher  Akt,  in  dessen  Form,  ,Hand  und  Mund*, 
der  Treuwille  Aug  und  Uhr  sinnfällig  werden  soll.  Es  tritt  zum 
Schuldvertrage  hinzu,  der  sich  im  Sinne  des  Gedinges  objektiv 
als  der  Inbegriff  seiner  Rechtsbestimmungen  darstellt.  Von  der 
Abgabe  des  Treugelöbnisses  unabhängig  ist  die  Entstehung  der 
Wirkungen  des  Schuld  Vertrages,  des  Haltensollens  und  der  Ver- 
tragsschuld, — abgesehen  von  Ausnahmen,  welche  das  positive  Recht 
aus  besonderen  praktischen  Redlirfnissen  aufstellen  kann.  Der 
Zweck  des  Treugelöbnisses  ist  einzig  und  allein  die  Begründung 
der  persönlichen  Haltung  im  Sinne  des  Einstehens,  der  Bürgschaft, 
Gewährschaft  oder  der  Verpfändung  der  Person.  Weil  die  Klag- 
und  Exequierbarkeit  der  Person  auf  ihrer  Haftung  beruht,  gibt 
das  Treugelöbnis  dem  Gläubiger  die  Möglichkeit,  gegen  die  Person 
die  „Forderung**  (Klage)  zu  erheben  und  gegen  sie  das  Ge- 
nugtuungsverfahren zu  veranlassen.  Als  ein  rechtsformlicher  Akt 
zur  Begründung  der  persönlichen  Haftung  ist  es  für  diesen  Zweck 
nicht  bloß  bei  denjenigen  Verträgen  notwendig,  bei  welchen  die 
herrschende  Lehre  den  Formalakt  zur  Begründung  der  Schuld  für 
erforderlich  hält,  sondern  es  kann  eventuell  auch  bei  Real  Verträgen 
notwendig  werden,  nämlich  dann,  wenn  durch  die  Bestellung  von 
Sachhaftung  die  persönliche  Haftung  ausgeschlossen  wurde  und 
diese  trotzdem  neben  der  Sachhaftung  bestehen  soll.“  Ferner  sagt 
Puntschart  an  anderer  Stelle5):  „Und  für  die  Form  ergibt  sich 
daraus,  daß  sie  nicht  nur  keine  Form  des  Schuld  Vertrages  ist, 
sondern  daß  sie  als  eine  Form  zur  Eingehung  der  persönlichen 
Hartung  allgemein  — von  Ausnahmen  abgesehen  — auch  keine 
Bedeutung  hat  für  die  Wirksamkeit  des  Schuldvertrages,  daß 
letztere  von  der  Vornahme  des  Formalaktes  unabhängig  ist.“ 

Geisel,  dann  aber  auch  durch  bloßes  Versprechen,  sich  im  Falle  der  Nicht- 
erfüllung als  Geisel  zu  stellen,  vollzogen,  richtet  sich  von  Hause  aus  nur 
auf  den  Körper.“ 

')  S.  513. 

•■>)  A.  a.  0.,  S.  28«. 


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111 


Im  Gegensatz  zu  dieser  Meinung,  naeli  der  der  Formal-  oder 
Wettvertrag  die  persönliche  Haftung  begründet,  steht  die  von 
Egger  in  seiner  kürzlich  erschienenen  Abhandlung  über  „Vermögens- 
haftung und  Hypothek  nach  fränkischem  Recht“  vertretene  Ansicht. 
Egger  faßt  die  wadiatio  als  eine  das  gesamte  bewegliche  Ver- 
mögen umfassende  Pfandsetzung  auf  und  laßt  nur  Vermögens- 
haftung aus  ihr  entstehen ')•  So  sagt  er2):  „Diese  und 

zahllose  andere  Stellen  machen  es  zweifellos,  daß  die  eigentümliche 
Wirkung  der  Wadiation  darin  besteht,  daß  der  Gläubiger  das 
Pfändungsrecht  an  den  Mobilien  des  Schuldners,  die  deshalb  von 
vorne  herein  schon  pignora  genannt  werden,  erhält.  — Das  ist 
das  uns  tatsächlich  Gegebene.  Halt  man  sich  strenge  an  dasselbe, 
so  kann  man  die  Folgerung  doch  wohl  nicht  abweisen:  ,Man 
haftet  aus  der  Wadiation  nicht  persönlich.4  Sondern  haftbar  wird 
die  schuldnerisehe  Fahrhabe.  Diese  wird  symbolisiert  durch  die 
Wadia,  die  ein  Teilstück  derselben  ist.  Mit  der  Reichung  dieses 
Teils  will  man  die  Unterwerfung  des  Ganzen,  dem  dieser  Teil 
angehört,  also  des  schuldnerisehen  Mobiliarbesitzes.  — Die 
Haftung  aus  der  Wadiation  ist  keine  persönliche.  Die  Fahrhabe 
ist  es,  die  haftet,  und  was  die  Wadiareiehung  in  haftungsrecht- 
licher Heziehung  bedeutet,  ist  nichts  anderes,  als  die  Kon- 
stituierung einer  generellen  Mobiliarhypothek.  Der  einzelne 
Gegenstand,  der  aus  der  Gesamtheit  herausfällt,  haftet  nicht  mehr 
— wie  dies  in  der  späteren  Generalobligation  auch  nicht  der 
Fall  ist.  Und  die  Haftung  hat  auch  nur  den  einen  Sinn  und 
Zweck:  Grundlage  für  eine  eventuell  herzustellende  intensivere 
spezielle  Sachhaftung  zu  sein.  Und  leicht  kippt  in  der  Tat  das 
Verhältnis,  das  auf  Grund  der  Wadiation  bis  zur  Pfändung  be- 
steht, in  diese  engere  Sachhaftung  um.  Ausgesprochen  tendiert 
es  dahin  — und  verrät  damit  auch  sein  Wesen  und  sein  Werden. 
Wie  ein  Provisorium  erscheint,  was  der  Pfandnahme  vorausgeht  und 
als  das  Hauptsächliche  und  Ursprüngliche,  was  ihr  nachfolgt, 


')  Egger  gibt  zu,  daß  das  germanische  Privatrecht  nicht  nur  die 
Sachen-,  sondern  auch  die  Personenhaftung  kennt,  meint  aber,  daß  cs  stets 
eines  besonderen  Vertrages  bedarf,  uni  die  Haftung  der  schnldnerischen 
Person  herzustellen.  Siehe  Egger,  a.  a.  0.,  S.  419 — 131. 

’)  A.  a.  0.,  S.  400—40:». 


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11-2 


(1.  i.  das  Faustpfandrecht.“  Weiter  sagt  er1):  «Was  vorhanden 
ist,  ist  eine  provisorische  Mobiliarhypothek  ....  Hier  ist  nur 
noch  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  dieselben  haftungs- 
rechtliehen Vorstellungen  wie  der  langobardischen  Wadiation,  auch 
der  fränkischen  Fidesstipulation  zu  Grunde  liegen:  Ans  der 

Festucareichung  die  Mobiliarhypothek  und  das  Pfändungsrecht, 
zwecks  Herstellung  eines  Faustpfandverhältnisses.“  Weiter  heißt 
es  an  einer  anderen  Stelle2):  «Aus  der  Wadiation  als  dem  nicht 
nur  die  Schuld,  sondern  auch  die  Haftung  begründenden  Akte, 
resultiert  ferner  ein  Pfandnngsrecht,  welches  zur  quasihypothe- 
karischen Vermögenshartung  wird.  Außerhalb  der  Wadiation  steht 
die  persönliche  Haftung.“ 

Ob  nun  der  Wettvertrag  in  angelsächsischer  Zeit  Personal- 
haftung oder  Vermiigenshaftung  oder  beides  begründete,  scheint 
uns  nach  den  uns  zur  Verfügung  stehenden  oben  angeführten 
Quellen  nicht  mit  Gewißheit  gesagt  werden  zu  können.  Es  ist 
wahrscheinlich,  daß,  wenigstens  in  früherer  Zeit,  Geisel  und 
Hürge  persönlich  hafteten*). 

Wennschon  unsere  Quellen  nichts  darüber  berichten,  so  ist  es 
doch  wahrscheinlich,  daß  dem  Wettvertrag  der  Angelsachsen, 
gleich  dem  Wettvertrag  anderer  germanischer  Völker,  eine  be- 
sondere Hedeutung  zukommt,  indem  derselbe  die  Grundlage  für 
die  eigenmächtige  Pfändung  bildet.  Die  weitere  Entwickelung 
dieser  Auffassung  linden  wir  in  den  Quellen  aus  der  Zeit  nach 
der  normannischen  Eroberung  deutlich  vertreten.  Wir  sehen,  daß 
die  fides  seitens  der  versprechenden  Partei  in  die  Hände  eines 

')  A.  a.  0.,  S.  403. 

*)  A.  a.  0.,  S.  450. 

3)  Vgl.  Gierke,  Deutsches  Privatrecht,  Bd.  II,  S.  841,  Anm.  7. 
Pollock  and  Maitland,  History  nf  Knglish  Law,  Bd.  II,  S.  59f>,  597: 
«It  is  not  a little  reniarkable  that  nur  common  law  knew  no  process  where- 
hy  a man  could  jdedge  his  body  or  liberty  for  payment  of  a debt,  for 
nur  ncar  cousins  came  very  naturally  by  such  a process,  and  in  old  times 
the  witc-eow  may  often  hure  been  working  out  by  bis  laboura  a debt  that 
was  dne  to  bis  master,  l'nder  Kd  ward  I.  the  tide  turned.  In  the  interest 
of  commerce  a new  form  of  security,  the  so-called  .Statute  merchant1,  was 
invented,  which  gare  the  creditor  power  to  demand  the  seizure  and  impris- 
onment  of  his  debtor’s  body".  I her  persönliche  Haftung  im  englischen 
Mittelalter  siehe  ferner  unsere  späteren  Ausführungen. 


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113 


Kirchen-  oder  Staatsbeamten  abgegeben  wird,  welch  letzterer  auch 
in  der  Lage  ist,  die  Erfüllung  des  Versprechens  durch  Pfändung 
zu  erzwingen.  Wir  finden  den  Formalvertrag,  abgeschlossen  durch 
Übergabe  einer  gesiegelten  Urkunde,  und  den  protokollierten 
Formalvertrag,  die  beide  ausdrücklich  das  Recht  der  Pfändung 
bei  Zahlungsversäumnis  verleihen.  Diese  Pfändung  findet  nun- 
mehr für  gewöhnlich  durch  einen  Gerichtsbeamten  statt.  Auch  in 
der  Notwendigkeit,  die  gerichtliche  Erlaubnis  vor  Vornahme  der 
Pfändung  einholen  zu  müssen,  tritt  uns,  wie  es  scheint,  die  alte 
Idee,  daß  die  Pfändung  auf  einem  von  den  Parteien  vor  Gericht 
geschlossenen  Veitrage  basiert,  wieder  entgegen,  wennschon  sie  im 
Laufe  der  Entwickelung  gewissen  Veränderungen  unterworfen  war  *). 

Sind  wir  somit  der  Ansicht,  daß  dieses  Pfändungsrecht  des 
Gläubigers  bereits  in  der  angelsächsischen  Zeit  existierte,  so 
können  wir  auch  annehmen,  daß  die  Hingabe  eines  Scheinpfandes 
beim  Abschluß  eines  Wettvertrages  die  Haltbarmachung  der  Fahr- 
habe des  Schuldners  bedeutete“). 


*)  Siehe  unten  im  zweiten  Buche  unsere  spätercu  Ausführungen.  Man 
beachte  auch  die  Wirkung,  die  eine  inrotulierte  gesiegelte  Urkunde,  durch 
welche  eine  Haftung  des  Mobiliars  des  Schuldners  in  der  Zeit  nach  der 
normannischen  Eroberung  herbeigeführt  wurde,  hatte.  Siehe  unten  Buch  II. 

*)  Eine  nähere  Untersuchung  dürfte  ergeben,  daß  die  angelsächsischen 
Gesetze  gewisse  Bestimmungen  über  dcliktischc  Haftung  enthalten  (siehe 
unsere  Ausführungen  oben  im  ersten  Buch);  letztere  muß  jedoch  von  der 
civilrechtlichen  Haftung,  mit  welch'  letzterer  wir  es  hier  zu  tun  haben, 
unterschieden  werden.  Siehe  Egger,  a.  a.  t).,  S.  408— 418,  421  ff.,  436  ff. ; 
Gierke,  a.  a.  0.,  Bd.  II,  S.  811,  Anm.  7. 


Hazeltine.  Kindische*  Ffsmlrecht 


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Zweiter  Teil. 

Das  Mobiliarpfandrecht. 

Erstes  Kapitel. 

Das  genommene  Pfand. 

Die  eigenmächtige  Pfändung  von  Mobilien  in  der  angel- 
sächsischen Zeit  zerfällt  in  1.  Pfändung  von  Vieh  wegen  Schaden- 
zufttgung  an  Grundstücken,  2.  Pfändung  von  beweglicher  Habe 
überhaupt,  um  die  Erfüllung  einer  Verbindlichkeit  zu  erlangen1). 
Autler  diesen  beiden  Fällen  von  eigenmächtiger  Pfändung  gibt  es 
noch  3.  die  Pfändung  von  Mobilien  im  Prozeß2). 

Man  hat  genügend  Beweise,  daß  die  frühzeitigste  Form  der 
Pfändung  bei  den  germanischen  Völkern  auch  die  einfachste  war, 
desgleichen  diejenige,  welche  für  ein  unkultiviertes  Volk  am  besten 
geeignet  war.  Vieh,  welches  bei  der  Anrichtung  von  Schaden  be- 
troffen wird,  wird  fortgenommen  und  einbehalten,  um  Schaden- 
ersatz zu  erzwingen.  Diese  Fortnahme  geschieht  ohne  irgend 
welche  gerichtliche  Beihilfe  und  sie  veranschaulicht  das  Prinzip 
der  Selbsthilfe  in  frühester  Zeit3). 

')  G lasse n , Histoirc  du  droit  ct  des  institutions  de  I’Anglcterre,  I, 
S.  169,  sagt  bei  Besprechung  des  angelsächsischen  Pfandes:  „Les  obligations 
elaient  souvent  garantics  par  un  droit  de  gage  qui  parait  avoir  joue  un 
rölc  assez  important  et  seinblablc  a celui  du  pignus  ehest  les  Romains. 
II  formait,  avant  tout,  un  mojen  indirect  de  contrainte“. 

J)  Über  das  angelsächsischeBnrgschaftsrecht  siehe  Phillips,  Geschichte 
des  Angelsächsischen  Rechts,  S.  140. 

*)  Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichtc,  II,  531  — 535;  Schmid, 
Gesetze,  S.  641,  642,  652:  Pollock  and  Maitland,  llistory  of  Knglish 
Law,  II.  S.  575:  Bullen,  Distress,  S.  4,  5:  Blackstone,  III,  c.  I,  § V. 


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115 


Unsere  angelsächsischen  Quellen,  welche  diese  Pfändungsform 
behandeln,  sind  sehr  dürftig:  in  der  Tat  sind  einige  Stellen  in 
den  Gesetzen  Ines  Alles,  was  wir  hierüber  besitzen.  Diese  Ge- 
setze, welche  wahrscheinlich  in  den  ersten  fünf  Jahren  der  Re- 
gierung Ines  oder  zwischen  G88  und  (>!>3  erlassen  wurden,  sind 
jedoch  die  ältesten  Gesetze  der  Westsachsen,  die  auf  uns  ge- 
kommen sind.  Sie  sind  von  besonderem  Interesse  und  großer 
Wichtigkeit  für  die  Entwickelung  des  angelsächsischen  Rechts, 
und  zwar  nicht  nur  wegen  ihres  großen  Umfanges,  sondern  auch 
deshalb,  weil  das  westsächsische  Recht,  gleich  dem  westsächsischen 
Dialekt,  sehr  bald  das  Übergewicht  in  den  angelsächsischen  König- 
reichen erwarb1). 

In  diesen  Ine’schen  Gesetzen  finden  wir  Bestimmungen,  nach 
denen  unter  gewissen  Umständen  die  Pfändung  von  Tieren,  welche 
Schaden  zufügen,  für  den  Geschädigten  als  Rechtsbehelf  dient,  um 
von  dem  Eigentümer  des  Tieres  eine  Geldbuße  zu  erlangen.  In 
diesen  Quellen  aus  der  zweiten  Hälfte  des  siebenten  Jahrhunderts 
finden  wir  jedoch  auch  die  Auffassung  vertreten,  daß  das  Vieh 
selbst  sich  der  Übertretung  schuldig  gemacht  hat  und  dafür  zu 
strafen  sei*),  denn  unter  gewissen  Umständen  kann  die  ge- 
schädigte Partei  das  Schaden  anrichtende  Vieh  ungestraft  er- 
schlagen und  ist  nur  verpflichtet,  dem  Eigentümer  das  Fell  und 
das  Fleisch  zurückzugeben*). 

Es  scheint  ziemlich  gewiß,  daß  die  außergerichtliche  Pfändung 
für  Schuldforderungen  in  der  prähistorischen  Zeit  bei  den  ger- 
manischen Völkern  in  Gebrauch  war.  Es  ist  auch  ganz  natürlich, 
wenn  angenommen  wird,  daß  in  frühgermanischer  Zeit  die  Selbst- 
hilfe hier  wie  auch  in  anderen  Phasen  eines  unentwickelten  Rechts- 
systems  zur  Anwendung  kam4).  Selbst  in  der  historischen  Zeit 
haben  die  longobardischen  und  schwedischen  Rechte  die  gericht- 
liche Erlaubnis  bei  Vornahme  der  Pfändung  nicht  vorgeschrieben 
und  gleicher  Weise  verhielt  es  sich  wahrscheinlich  im  sächsischen 
Recht.  Im  allgemeinen  scheinen  jedoch  die  germanischen  Rechte 

•)  Schmid,  Gesetze,  Einleitung,  S.  XXXV,  XXXVI. 

*)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  575,  Anm.  3. 

*)  Siche  unten  S.  117. 

4)  Wie  wir  gesehen  haben  war  die  älteste  Art  der  Pfändung  bei  den 
germanischen  Vfdkom,  die  Viehpfändnng,  ein  Akt  der  Selbsthilfe.  Siehe 
oben  S.  114. 


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116 


des  Mittelalters  diese  primitive  Auffassung  aufgegeben  zu  haben, 
indem  sie  Pfändung  ohne  gerichtliche  Erlaubnis  nicht  gestatteten; 
so  z.  B.  scheint  dies  der  Fall  gewesen  zu  sein  bei  den  Burgundern, 
den  Altwestgoten,  den  Franken,  den  Bayern,  und  wahrscheinlich 
auch  bei  den  Allemannen,  den  Friesen  und  den  Dänen1).  Die 
Lex  Saliea  erklärt  ausdrücklich,  daß.  wenn  ein  Gläubiger  ohne  ge- 
richtliche Erlaubnis  Pfändung  vomimmt,  er  den  Anspruch  auf 
seine  Forderung  verliert,  und  dies  selbst  dann,  wenn  er  nur  aus 
Unwissenheit  gehandelt  hat*). 

All  das,  was  beim  germanischen  Rechte  im  allgemeinen  Zu- 
tritt!, ist  auch  beim  Rechte  der  Angelsachsen  zutreffend.  Das 
Privatpfändungsrecht5)  bei  Zivilansprüchen  erscheint  im  angel- 
sächsischen Recht  als  eigenmächtige  Selbsthilfe;  aber  doch  als 
eigenmächtige  Selbsthilfe  nur  innerhalb  gewisser  Grenzen,  weil  es 
in  allen  Fällen,  abgesehen  von  der  Pfändung  fremden  Viehes,  das 
in  ein  Grundstück  eingedrungen  ist,  an  eine  besondere  gericht- 
liche Erlaubnis  geknüpft  wird4).  Wir  werden  bald  sehen,  daß 
dies,  sofern  es  Pfändung  wegen  rückständiger  Rente  oder  Dienste 
betrifft,  im  englischen  Rechte  bis  gegen  das  Ende  des  dreizehnten 
Jahrhunderts  beibehalten  wurde4). 

I.  Pfändung  von  Vieh  wegen  Schadenzufügung  an 
Grundstücken. 

Nach  Ines  Gesetzen  sind,  wenn  fremdes  Vieh  in  ein  Grund- 
stück eindringt,  drei  Fälle  zu  unterscheiden. 

■)  Siche  Gierke,  Deutsches  Privatrecht,  I,  S.  339;  Brunner,  a.  a.  0., 
II,  S.  446,  447:  Rigclow,  History  of  l’roeedurc  in  England,  S.  202  — 208; 
Pollock  and  Maitland,  a.a.O.  I,  S.353,  364.  II,  S.576;  Wach,  Arrestprozeß, 
S.  1 ff.;  von  Amira,  Nordgennanisches  Obligationenrccht,  I,  8.234;  von 
Ketbmann-Hollweg,  Civilprozess,  IV,  8.  168;  Yiollet,  Etablissements,  I, 
S.  185.  Vgl.  von  Ainira,  Das  altnorwcgische  Vollstreckungsverfahren, 
München  (1874).  S.  327. 

’)  Lex  Saliea,  c.  74,  Hessels  nnd  Kern,  408. 

*)  Einige  germanische  Volksrechte  des  Kontinentes  gestatteten  die 
Pfändung  nicht  nur  des  wirklichen  Schuldners,  sondern  auch  seiner  Sippe- 
genossen seitens  des  Gläubigers.  Brunner,  a.  a.  0.,  II,  8.448.  Über  angel- 
sächsisches Recht  vgl.  unten  S.  121. 

*)  Schmid,  Gesetze,  S.  641,  642,  G52;  Phillips,  Versuch,  S.  141,  142; 
Bullen,  a.  a.  0.,  8.  4:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  575,  Anm.  1. 

5)  Siehe  unten  Buch  II,  Teil  II. 


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117 


Der  erste  Fall  ist  der,  wo  das  Land  Sommer  und  Winter 
umzäunt  sein  soll  und  wo  eine  Öffnung  sich  findet,  durch  die 
fremdes  Vieh  eindringt.  Hier  hat  der  Eigentümer  des  Grundstücks 
kein  Recht  auf  das  Vieh.  Er  selbst  ist  schuld  und  muß  den 
Schaden  tragen1).  Ähnlich  ist  der  Fall,  wo  das  Land  eine  ge- 
meinsame Weide  ist,  die  von  einigen  der  Besitzer  teilweise  mit 
einem  Zaune  versehen  wurde.  Hier  hat  derjenige  Besitzer,  der 
nicht  an  der  Umzäunung  teilgenommen  und  daher  eine  Öffnung 
im  Zaun  gelassen  hatte,  durch  die  das  Vieh  eindrang,  nicht  nur 
keinen  Anspruch  auf  Ersatz,  sondern  muß  den  Schaden  allein 
tragen  und  sogar  den  Schaden  der  andern  Besitzer  ersetzen2). 

Ein  ganz  anderer  Fall  aber  liegt  vor,  wo  das  Vieh  seihst  das 
Gehege  durchbricht  und  irgendwo  in  das  Grundstück  eindringt, 
und  wo  der  Eigentümer  des  Viehes  entweder  nicht  gewillt  oder 
unfähig  ist  das  Vieh  zurückzuhalten.  Die  Regel  unter  diesen 
Umständen  ist,  daß  derjenige,  der  das  Vieh  auf  seinem  Lande 
finden  sollte,  es  ungestraft  erschlagen  darf  und  nur  gezwungen 
ist,  dem  Eigentümer  des  Viehes  das  Fell  und  das  Fleisch  zurück- 
zugeben s). 

Der  dritte  und  letzte  Fall  ist,  wo  Jemand  fremde  Schweine 
ohne  Erlaubnis  auf  seiner  Mast  antrifft.  Hier  darf  er  ein  Pfand 
(wed)  von  sechs  Schillingen  an  Wert  nehmen4),  und  der  Eigen- 


')  Ine,  40;  Schund,  Gesetze,  S.  39,  641,  Licberiiiann,  a.  a.  0., 
S.  106,  107:  Reeves,  History  of  Knglish  Law,  1,  S.  48,  Anm.(a).  lteeves 
citiert  hier  irrtümlich  Ine  4 anstatt  Ine  40.  Siche  auch  Schmid,  Gesetze, 
S.  39,  Anm. 

*1  Ine,  42  pr.:  Schmid,  Gesetze,  S.  40,  Anm.,  41,641.  Vgl.  auch  die 
Lesarten  von  Ine  42  pr.,  die  entsprechende  Stelle  des  tjuadripartitus 
und  die  deutsche  Übersetzung  bei  Liebermann,  a.  a.  <).,  S.  106,  107. 

3)  Ine,  42,  §1:  Schmid,  Gesetze,  S.  41,641:  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  106,  107.  Da»  Vieh  war  also  dem  geschSdigten  Grundeigentümer  nicht 
ganz  verwirkt.  Hatte  aber  ein  Rind  einen  Menschen  verwundet,  so  ver- 
langten die  Angelsachsen  zur  Zeit  Alfreds  die  vollständige  Verwirkung  des 
Tieres.  Alfr.  24:  Schmid,  Gesetze,  S.  41,  Anm.  85;  Licbermann,  a.  a.  0., 
S.  62,  63.  Vgl.  über  diese  Stelle  bei  Alfred,  Schmid,  Gesetze,  S.  641. 

4)  Ine,  49  pr. : Gif  mon  un  his  macstene  unaliefcd  swin  gemete,  genime 
{Kinne  VI  scill.  weoriV  wed. 

Siche  auch  Licbermann,  a.  a.  0.,  S.  110.  Die  entsprechende  Stelle 
des  Quadripartitus  lautet  (Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  111):  Si  quis  obuiet 
porco  sine  lioentia  in  pasnagio  suo,  capiat  uadium  sei  solid,  ualens. 


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11« 

tümer  der  Schweine  muß,  wenn  sie  nur  einmal  da  gewesen  waren, 
einen  Schilling,  und  wenn  sie  zweimal  da  waren,  zwei  Schillinge 
zahlen  '). 

Die  angelsächsischen  Gesetze  enthalten  keine  weiteren  Re- 
stimmungen über  das  Recht  der  Viehpfändung  wegen  Schaden- 
zufügung an  Grundstücken.  Wir  wissen  zum  Beispiel  nichts  über 
die  Unterscheidungen,  die  man  möglicherweise  gemacht  hat 
zwischen  einem  Falle,  wo  der  Eigentümer  selbst  das  Vieh  auf 
fremdes  Grundstück  trieb,  und  dem  Falle,  wo  es  ohne  seine  Schuld 
dahin  kam’). 

Das  Rechtsmittel  des  Grundeigentümers  im  dritten  Falle  be- 
steht also  im  Nehmen  des  Pfandes  (wed)  und  in  einer  Geldbuße, 
und  nicht  in  der  Tötung  des  Viehes  wie  im  zweiten  Falle’). 
Obwohl  dies  im  Gesetz  nicht  gesagt  wird,  so  ist  es  doch  wahr- 
scheinlich, daß  der  Grundeigentümer  einige  der  Schweine  als 
Pfand  nahm  *).  Auch  wird  in  den  Quellen  nicht  gesagt,  ob  diese 
Buße  sich  nur  auf  ein  Schwein,  oder  auf  alle  zusammen  bezog. 

II.  Pfändung  von  beweglicher  Habe  überhaupt,  um  die 

Erfüllung  einer  Verbindlichkeit  zu  erzwingen. 

§ 1.  Pfändung  als  Selbsthilfe  wegen  einer  Schuldforderung. 

Das  angelsächsische  Privatpfändungsrecht  bei  Zivilansprüchen 
ist  Selbsthilfe,  wennschon  ihr  dadurch,  daß  sie  an  eine  gericht- 


Über  das  angelsächsische  Münzsystcui  siehe  Chadwick,  Studie»  un 
Anglo-Saion  Institutions,  S.  1 — 63. 

•)  Ine,  49,  §§  1,2:  Schraid,  Gesetze,  S. 45,  641.  642:  Liebermann. 
a.  a.  O.,  S.  110,  111.  Siehe  auch  Ine,  49,  §3;  Schmid,  Gesetze,  S.  45 
und  Amn.;  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  110,  111. 

*)  Schmid,  Gesetze,  S.  642.  Siehe  Anm.  (3)  zu  Coke  über  Littleton  47b. 

3)  Vgl.  Heusler,  Institutionen  des  deutschen  Privatrechts,  II,  S.  206: 
Schröder,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  8.  701. 

4)  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  111,  übersetzt  Ine  49  j»r. : Wenn  jemand 
innerhalb  seiner  Mast  Schweine  ohne  Erlaubnis  antrilTt . dann  nehme  er  [an 
ihnen]  ein  6 Schill,  wertes  Pfand.  Zur  Zeit  Aetbetstans  hatte  ein  Schwein 
zehn  Schillinge  an  Wert.  Aethelstan,  VI,  6,  §2:  Schmid,  Gesetze, 
S.  163:  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  176.  Nach  dem  Wortlaut  der  entsprechen- 
den Stelle  des  Quad  ripartitus  hatte  ein  Schwein  zehn  Pfennig  (den.), 
nicht  zehn  Schillinge  an  Wert.  Siehe  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  176. 


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119 


liehe  Erlaubnis  geknüpft  ist,  gewisse  Grenzen  gezogen  sind1). 
Dies  ist  wahrscheinlich  auch  die  Bedeutung  von  Ine,  9*):  Wenn 
sich  Jemand  Genugtuung  (wrace)  verschafft,  ehe  er  um  sein 
Recht  bittet,  erstatte  und  vergelte  er,  was  er  ihm  nahm,  und 
büße  es  mit  30  Schillingen s).  Es  gibt  aber  noch  bestimmtere 
Beweise  für  die  Notwendigkeit  der  gerichtlichen  Erlaubnis.  So 


*)  Schmid,  Gesetze,  S.  641,  642,  652:  Phillips,  Versuch,  S.  141, 
142.  Vgl.  Schmid,  Gesetze,  S.  281,  Anm.  Vgl.  ein  Gesotz  Roberts,  König 
der  Schotten.  Siehe  darüber  Spei  man,  Glossarium,  s.  v.  namiuni:  Schmid, 
Gesetze,  S.  642.  Vgl.  Edgar,  II,  3,  Schmid,  Gesetze,  S.  186,  187,  Lieber- 
mann, a.  a.  0.,  S.  196 — 199. 

’)  Schmid,  Gesetze,  S.  24,  25,  Licbermann,  a.  a.  ü.,  S.  92 — 95. 

3)  Schmid,  Gesetze,  S.  25,  Anm.,  sagt  bei  Erörterung  dieses  Passus: 
„Wracu,  — c,  fern.,  bedeutet  allerdings,  ganz  wie  wrä'c,  — e,  f.,  ltache  und 
kommt  auch  in  diesem  Sinne  liäulig  in  unseren  Gesetzen  vor,  z.  11.  Athlst., 
II,  6:  . . . .:  hier  scheint  es  aber  nur  die  eigenmächtige  Selbsthülfe  durch 
Pfandnahine  zu  bezeichnen,  wie  auch  in  späteren  Zeiten  ultiones  gleichbe- 
deutend mit  distractiones  gebraucht  wurde,  z,  H.  Stat.  of  Mariebridge  . . 

Et  nullus  de  cetero  ultiones  aut  distractiones  faciat  per  roluntatem  suam 
absque  considerationc  curiae  domini  regis,  si  forte  dampnum  rel  injuria  sibi 
tiat,  undc  emendas  habere  voluerit  de  aliquo  vicino  suo,  sive  majore  sive 
minorc.  Demnach  entspräche  das  Gesetz  der  Verordnung  in  Cn.,  II,  19. 
Eine  weitere  Ausführung  enthält  Anh.  XX,  c.  I (Pseudo-Leg.  Can.)“  Thorpe, 
der  wrace  mit  „revenge“,  Rache,  übersetzt,  ist  anderer  Ansicht  (a.  a.  0.,  S.  47). 
In  seiner  Kommentierung  dieses  Wortes,  a.  a.  0.,  S.  47b,  sagt  er:  „The  lan- 
guagc  of  the  Statute  of  Marlebridgc  will  alford  the  best  illustration  of  the 
offence  here  alluded  to:  ,Et  nullus  de  cetero  ultiones  aut  districtiones  . . . 
sive  miniore.1  Upon  which  my  Lord  Coke  observes:  .Ultiones].  That  they 
(refusing  the  course  of  the  king's  laws)  took  upon  them  to  be  their  own 
judges  in  their  own  causes,  and  to  take  such  rovenges  as  they  thought 
fit,  until  they  had  ransom  at  their  pleasurc.  Districtiones.]  That  is,  taking 
distresses,  not  according  to  law,  as  for  Services,  rents,  or  for  damage  fe- 
saunt,  or  for  other  Iawful  cause,  but  for  revenge,  without  cause,  of  bis 
own  head  and  will;  that  is,  to  be  his  own  judge  and  carver,  to  satisfy 
himself  without  any  Iawful  means  or  course  of  law“*.  Seebohm,  a.  a.  0., 
S.  387,  ist  augenscheinlich  derselben  Ansicht  wie  Thorpe:  „From  clause  8 
and  clause  9 [Ine]  we  learn  that  private  revenge  for  a wrong  was  forbiddom 
before  justice  had  been  demanded  from  a ,„scirman“  or  other  judge*  “.  Vgl. 
oben  S.  114 ff.  Zu  vergleichen  ist  auch  Liebermanns  Übersetzung  von  Ine  9 
(a.  a.  0.,  S.  93  und  95):  Wenn  jemand  gewaltsame  Rechtsverfolgung  (wrace) 
übt,  che  er  sich  Recht  [gerichtlich]  erbittet,  gebe  er,  was  er  von  jenem 
[Gegner  in  Selbsthilfe]  fortgenommen  hat,  zurück  und  zahle  [ihm  dessen 
Werth]  nochmals  und  büße  [dem  König]  mit  30  Schill. 


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z.  B.  wird  in  den  Gesetzen  Cnuts  verordnet '),  daß  Niemand  ein 
Pfand  (na me,  namum)  nehmen  solle,  weder  innerhalb  der  Shirc 
noch  außerhalb  der  Shire,  bevor  er  dreimal  in  der  Hundertschaft 
um  sein  Recht  gebeten  habe.  Wenn  er  beim  dritten  Male  sein 
Recht  nicht  erlangt,  d.  h.  erfüllt  der  Beklagte  seine  gerichtlich 
anerkannte  Verbindlichkeit  nicht,  dann  gehe  er  zum  vierten  Male 
in  das  Shiregemot,  und  die  Shire  setze  ihm  den  vierten  Tennin. 
Wenn  der  dann  fehlschlägt,  dann  nehme  er  Erlaubnis,  sowohl  von 
hier  als  von  dort,  daß  er  sein  Eigen  behändigen  kann,  d.  h.  ein 
Pfand  nehmen*).  Wesentlich  dieselbe  Vorschrift  finden  wir  auch 
in  Wilhelm’s  Gesetzen1).  Der  Kläger,  beim  vierten  erfolglosen 
Verlangen  seines  Rechtes,  muß  die  gerichtliche  Erlaubnis  einholen, 
daß  er  sich  ein  Pfand  (nam,  namium)  nehmen  könne  für  das 
Seinige,  lern  und  nahe.  Auch  die  Leges  Henrici  Primi  setzen 
fest4):  Et  nulli,  sine  judicio  vel  licentia,  namiare  liceat  alium 


')  Cnut,  II,  19,  II«  nannte,  De  nainis  capiendis:  Schmid,  Ge- 
setze, S.  280,  281.  Siehe  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  842.  Vgl.  auch  die  Lesarten 
dieser  Stelle  aus  Cnuts  Gesetzen  und  diu  entsprechenden  Stellen  des 
Quadripartitus,  der  Instituts  Cnuti  und  der  Consiliatio  Cnuti  bei 
Licbcrmann,  a.  a.  0.,  S.  320 — 323. 

*)  Cnut,  II,  19,  wird  von  Licbcrmann,  a.a.O.,S. 32 1,322, folgendermaßen 
übersetzt.  19  pr. : Und  niemand  nehme  ein  Pfand  [für  Urthcilserfüllnng  dem 
Pocessgegner  fort],  weder  innerhalb  des  Grafschaftsgerichts  noch  außerge- 
richtlich, bevor  er  im  Hundertschafts  [gericht]  sein  Recht  dreimal  [vergeblich] 
gefordert  hat.  19,  § 1 : Wenn  er  beim  dritten  Male  kein  Recht  erlangt,  dann 
[erst]  ziehe  er  zum  vierten  Male  zum  Grafschaftsgerichte:  und  die  Grafschaft 
setze  ihm  (dann)  den  vierten  Termin.  19,  § 2:  Wenn  dieser  aber  fehlschlägt, 
dann  nehme  er  Erlaubniß,  daß  er  von  hier  und  da  [allerseits  in  Selbsthilfe] 
hinter  seinem  Eigentum  her  zugreifen  dürfe. 

Glasson,  a.  a.  0.,  I,  S.  1G9,  sagt  bei  seiner  Besprechung  des  angel- 
sächsischen Pfandrechts  (unter  Oitierung  von  Ine  9 und  Cnut  II,  19): 
„d'autres  fois  encors,  le  demandeur  se  mettait  en  possession  des  biens  du 
defendeur  recalcitrant  qui,  assigne  plusicurs  fois  en  justice,  refusait  de 
comparaltre.  Mais,  dans  ce  dernier  cas,  la  main  rnise  sur  le  bien  du  defen- 
dcur  aurait  ete  injuste  et  il  y aurait  en  lien  ä restitution,  si  le  gage  avait 
ete  pris  avant  que  l’action  eüt  ete  intentee“.  Siehe  auch  Lappenberg, 
History  of  England  under  the  Anglo  - Snxon  Kings,  II,  S.  341,  Plintoff, 
Rise  and  Progress  of  the  Laws  of  England  and  Wales,  S.  48. 

*)  Wilhelm,  1,44,  Schmid,  Gesetze,  S.  346  — 349,  Liebermann, 
a.  a.  0.,  S.  517. 

*)  C.  51,  § 3,  Schmid,  Gesetze,  S.  457,  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  573. 


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121 


in  suo  vel  alterius.  In  der  Historia  Eliensis ’)  heißt  es:  Wenn 
der  Beklagte  verweigert  das  Urtheil  des  Gerichts  auszuführen, 
kann  der  Richter  dem  Klager  Erlaubnis  geben,  von  den  Gütern 
des  Beklagten  Besitz  zu  ergreifen. 

Nach  der  Henrici  I.  Charta  Londoniensihus  concessa, 
§§  13,  14,  müssen  alle  Schuldner  der  Bürger  von  London  in 
London  Recht  nehmen.  Weigern  sie  sich,  so  wird  es  den  Bürgern 
erlaubt,  in  der  Stadt  London  oder  in  der  Grafschaft,  wo  sich  der 
Schuldner  aufhält,  Pfand  zu  nehmen  (capiant  namia  sua)*). 

In  Kapitel  2 (Be  rihtes  weorce  betweox  Wealum  and 
Englum)  und  3 (Be  büdum;  De  namo)  der  Genednes  bet- 
weox Dünsetan3)  wird  verordnet,  daß  zwischen  Engländern  und 
Wallisern  bei  Ansprüchen  von  einem  Ufer  nach  dem  andern  binnen 
9 Tagen  Recht  geleistet  werden  solle.  Wenn  man  in  dieser  Weise 
sein  Recht  nicht  erlangen  kann,  ist  es  erlaubt  zu  pfänden  (bädian; 
nainiari).  Das  Pfand  (bäd;  namum)  braucht  nicht  dem  Schuldner 
selbst,  sondern  kann  auch  Jemand  anders  abgenommen  werden; 
weil  in  diesem  Falle  die  ganzen  Grenzstämme  für  die  Verbind- 
lichkeiten ihrer  einzelnen  Angehörigen  einer  gegenseitigen  Haftung 
unterliegen ') ; denn  das  Gesetz  nach  dem  Wortlaut  der  Schmid’schen 
Übersetzung  sagt:  Wenn  ein  Pfand  genommen  ist  von  Jemandes 
Vieh  um  eines  andern  Mannes  willen,  dann  nehme  er  das  Pfand 
heim,  für  den  es  genommen  ist,  oder  es  befriedige  ihn  der  aus 
seinem  Eigen,  dem  das  Vieh  gehört.  Es  soll  dann  gezwungen 
Recht  angedeihen  lassen,  der  früher  nicht  wollte3). 


')  Historia  Eliensis,  I,  3t  (Historiae  Rritannicae,  Sazonicae,  Anglo-Pani- 
cae,  Scriptores  XV,  hrsg.  von  (j alt-,  I,  S.  477,  478).  Siche  unten  S.  123,  Anm.  4. 

’)  Schmid,  Gesetze,  S.  435,  632:  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  525. 

Siehe  Thorpo,  a.  a.  0.,  S.  217,  Anm.  e. 

*)  Schmid,  Gesetze,  Anh.  I,  2,  S.  358 — 361.  Vgl.  auch  Liebermann, 
a.  a.  O.,  S.  374  - 379. 

4)  Schmid,  Gesetze,  S.  642. 

s)  Zu  vergleichen  ist  Liebermanna  Übersetzung  (a.  a.  0.,  S.  375,  377) 
dieser  beiden  Kapitel  des  Gesetzes.  2:  (Von  Urtheilserfüllung  zwischen 
Wallisern  und  Engländern).  Je  nach  9 Tagen  gebührt  sich,  daß  einander 
zwischen  den  beiden  Ufern  das  Urtheil  erfüllt  werde,  sowohl  beim  Kcinigungs- 
beweis  als  bei  jeder  Klage,  die  zwischen  ihnen  [beiden]  schwebt.  2,  § 1 : 
Kein  anderer  Reinigungsbeweis  als  das  Ordal  gilt  bei  einer  Klage  zwischen 
Wallisern  und  Engländern,  es  sei  denn,  man  [Gegner]  wolle  [leichteren]  zn- 


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§ 2.  Gerichtliche  Pfändung. 

In  den  angelsächsischen  Quellen  finden  wir  einige  Stellen 
über  gerichtliche  Plandung  im  Gegensatz  zur  eigenmächtigen 
Privatpfändung,  und  zwar  finden  wir  Pfändung  im  Ungehorsams- 
prozeß  und  im  Strafprozeß. 

Für  die  Pfändung  im  Ungehorsamsprozeß  kommen  folgende 
Stellen  in  Betracht. 

Aethelstan  II,  Kap.  20'),  handelt  von  dem,  der  das  Gemot 
versäumt.  Kap.  20  pr.:  Wenn  Jemand  das  Gemot  dreimal  ver- 
säumt, gelte  er  den  Ungehorsam  gegen  den  König;  und  es  werde 
sieben  Nächte  vorher  geboten,  ehe  das  Gemot  ist.  § 1 : Wenn  er 
aber  weder  nach  Recht  thun,  noch  den  Ungehorsam  gelten  will, 
dann  sollen  die  ältesten  (angesehensten)  Männer,  die  zu  der  Burg 
gehören*),  sämmtlich  hinreiten  und  Alles  nehmen,  was  er  hat, 
und  ihn  unter  Bürgschaft  setzen.  § 2:  Wenn  einer  dann  nicht 
reiten  will  mit  seinen  Genossen,  so  gelte  er  den  Ungehorsam 
gegen  den  König. 

Die  Pfändung  bei  der  Versäumnis  des  Gerichtstages  wird  in 
den  Leges  Henri ci  Primi  folgendermaßen  geregelt:  Das  Pfand 
(namium)  soll  in  der  Hundertschaft  genommen  werden,  und  darf 
nicht  aus  der  Hundertschaft  weggeschafft  werden3).  Wenn  ein 

lassen.  2,  § 2:  Von  jedem  Ufer  zum  andern  darf  man,  wenn  man  sonst 
nicht  Urtheilserfnllung  erlangen  kann,  Pfand  fortnehmen  [von  jedem  Lands- 
mann des  Schuldigen].  3:  (Von  Pfändern.)  Wenn  ein  Pfand  an  jemandes 
Vieh  fortgenommen  worden  ist,  um  [der  Schuld]  eines  anderen  Mannes  willen 
[aus  demselben  Stamme],  dann  schaffe  dieser,  wegen  dessen  es  fortgenommen 
worden  ist,  jenes  Pfand  heim  oder  befriedige  aus  seinem  Eigenen  jenen, 
dem  das  [abgepfändete]  Vieh  gehfirt:  [3,  § 1]  Alsdann  soll  gezwungen  [durch 
Pfändung]  Urtheil  erfüllen,  wer  bisher  [freiwillig]  nicht  gewollt  hat. 

')  Schmid,  Gesetze,  S.  142 — 145.  Siehe  auch  die  Lesarten  bei  Lieber- 
mann, a.  a.  0.,  S.  IGO,  161.  Vgl.  die  Belegstellen  bei  Schmid,  a.  a.  O., 
8.  143,  Anmerkungen  zu  Aethelstan  II,  c.  20. 

s)  . . . ealle  pe  to  [):ere  byrig  hiron,  . . . Licbermann,  a.  a.  0.,  S.  160, 
der  (S.  161)  übersetzt:  welche  zu  jener  Gerichtsstadt  gehüren  . . . Die  ent- 
sprechende Stelle  des  Quadripartitus  lautet  (Liebermann,  a.  a.  0..  S.  161): 
. . . qui  ad  eam  curiam  obediunt,  . . . 

3)  Leges  Henrici  Primi,  c.  29  (Qui  debent  esse  judices  regis),  § 2, 
Schmid,  Gesetze,  S.  449.  Siehe  auch  Licbcrnian  n,  a.  a.  0.,  S.  363.  Vgl. 
die  Belegstellen  bei  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  449,  Anm.  zu  dem  eben  an- 
geführten c.  29,  § 2. 


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123 


vicecomes  widerrechtlich  pfändet  (injuste  aliquem  namiet), 
muß  er  es  doppelt  büßen ').  Möge  die  Pfändung  rechtlich  be- 
gründet sein  oder  nicht,  so  darf  doch  Niemand  das  Pfand  ge- 
waltsam zurüeknehmen  bei  Strafe  der  overseunessa *).  Das 
Pfand  soll  nicht  sofort  verkauft,  sondern  bei  der  nächsten  Ver- 
handlung dem  königlichen  Gerichtshof  überliefert  werden-1). 

Wir  haben  schon  eine  Stelle  aus  der  Historia  Eliensis 
citiert.  wonach  der  Richter  dem  Kläger  Erlaubnis  geben  kann, 
von  den  Gütern  des  Beklagten  Besitz  zu  ergreifen,  wenn  der  Be- 
klagte verweigert,  gemäß  dem  Gerichtsurteil  zu  handeln4). 

über  die  Pfändung  bei  Diebstählen  sind  folgende  Stellen  zu 
berücksichtigen. 


Thorpc,  a.  a.  O. , S.  231,  in  einer  Anmerkung  (c)  7.11  den  Worten  „et 
in  hundrcto  naininm  sit“  der  Leges  Henrici  Primi,  c.  2!),  § 2 (siebe  oben) 
sagt : „({und  scquitnr,  opinor,  additur,  ne  ,vetitum  (ut  voeant)  namium'  contra- 
heretur,  de  quo  vide  liracton  De  Corona,  cap.  37“.  Und  S.  231,  in  einer 
Anmerkung  (d)  zu  den  Worten  „ut  non  ducatur  lioc  namium  extra  hundretum“ 
der  Leges  Henrici  Primi,  c.  29,  §2:  „Unde  pignus  vel  rem  co  nomine 
prehensam  aut  eaptam  extra  hundredum,  i.  c.  centuriam.  nt  voeant,  abigere, 
intur  juris  nostri  municipalis  corruptelas,  ab  Horno  in  suo  Justiciariorum 
Speculo,  cap.  5,  sect.  1,  enummeratas  locum  obtinet,  num.  78“. 

')  Leges  Henrici  Primi,  c.  51  (De  snnunnnitionc  hundreti),  § 4,  Schund, 
Gesetze,  S.  457.  Die  Stelle  Ut  auch  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  573,  zu 
linden.  Siehe  Schmid,  a.  a.  O.,  S.  642. 

3)  Leges  Henrici  Primi,  c.  51,  §§  5,  7,  8,  Schmid,  Gesetze,  S.  458, 
Liebermann,  a.  a.  O.,  S.  573.  Siehe  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  642:  Thorpe, 
a.  a.  0.,  Glossar,  s.  v.  Excussio. 

s)  Leges  Henrici  Primi,  c.  51,  §6,  Schmid,  Gesetze,  S.  458:  Si  vice- 
comes namium  capiat,  ad  propinqniorem  regis  curiam  dimittat,  ncc  vendat 
ipsa  die.  Die  Stelle  ist  auch  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  573,  zu  linden. 
Siehe  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  642. 

4)  Siebe  oben  S.  121.  Philipps.  Versuch  8.  141,  142,  betrachtet  diese 
Stelle  der  Historia  Eliensis  als  gerichtliche  Pfändung,  denn  nach  einer 
kurzen  Erörterung  der  einseitigen  Pfändung  von  Seiten  des  Gläubigers  fährt  er 
fort  (unter  Citicrung  von  Hist.  Elien.  I,  34):  „ . . . auch  konnte  von  Seiten  des 
Gerichts  der  Iieklagte,  wenn  derselbe  dem  geschehenen  Urteilsspruche  nicht 
Folge  leistete,  ausgepfändet  werden“.  Glasson,  a.  a.  O. , I,  S.  169  sagt 
unter  Citierung  dieser  Stelle  der  Historia  Eliensis  in  seiner  Erörterung 
des  Angelsächsischen  Pfandrechts:  „Eutin,  parfois,  le  juge  ordonnait  an  do- 
mandeur  de  se  mettre  en  possession  de  tcls  biens  du  defendeur,  lorsque 
celui-ci  refusait  d'executer  la  sentence  rendue  contre  lui“, 


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1‘24 


Aethelstan  II,  Knp.  20'),  §3:  Und  man  gebiet*1  auf  dein 
Geinote  daß  man  Alles  in  Frieden  halte,  was  der  König  in  Frieden 
gehalten  haben  will,  und  daß  man  sieh  aller  Diebstähle  enthalte 
bei  Strafe  seines  Lebens  und  alles  dessen,  was  Jemand  hat. 
§ 4:  Und  wenn  Jemand  bei  Strafe  nicht  abstehen  will,  so  sollen 
alle  die  ältesten  Männer,  die  zu  der  Burg  gehören*),  hinreiten 
und  Alles  nehmen,  was  er  hat;  und  der  König  nehme  die  Hälfte, 
und  die  Hälfte  die  Männer,  die  bei  dem  Ritt  sind,  und  man  setze 
ihn  unter  Bürgschaft  (on  borh;  sub  fidejussoribus).  § 5: 
Wenn  er  nicht  weiß,  wer  für  ihn  Bürgschaft  leiste  (äborgie; 
plegium),  verhafte  man  ihn.  § (>:  Wenn  er  es  nicht  dulden  will, 
lasse  man  ihn  (ungestraft)  tödten,  wenn  er  nicht  entflicht  § 7 : 
Wenn  ihn  Niemand  rächen  will  oder  Einen  von  ihnen  befehden, 
dann  sei  er  Feind  des  Königs  und  aller  seiner  Freunde.  § X: 
Wenn  er  entflieht  und  ihn  Jemand  beherbergt,  sei  er  das  Wergeid 
desselben  schuldig,  außer  wenn  er  sich  zu  reinigen  wagt  bei  der 
Were  des  Flüchtlings,  daß  er  ihn  nicht  Flüchtling  wußte. 

Das  Pfandnehmen  bei  Leuten,  die  des  Diebstahls  bezichtigt 
waren,  wird  durch  Edwards  Gesetze5)  folgendermaßen  geregelt: 
Wenn  Jemand  des  Diebstahls  bezichtigt  ist,  so  sollen  ihn  die  in 
Bürgschaft  nehmen,  die  ihn  früher  dem  Herrn  übergeben,  damit 
er  sich  davon  reinige,  oder  andere  Freunde,  wenn  er  welche  hat, 
mögen  dasselbe  thun.  Wenn  er  nicht  weiß,  wer  ihn  in  Bürgschaft 
nehme,  so  sollen  Die,  welchen  es  zusteht,  von  seinen  Gütern 
plandliche  Sicherheit  (on  his  selitan  in-borh;  de  pecunia 
■sua  inborhgum)  nehmen4).  Wenn  er  keines  von  beiden  hat, 


■)  Schund,  Gesetze,  S.  142—145.  Vgl.  auch  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  160—163. 

*)  Die  Worte  Jle  to  pu  re  bvrig  hyron  (.Schmid,  a.  a.  0.,  S.  142,  Lieber- 
mann, a.  a.  0.,  S.  160)  dieser  Stelle  werden  von  Liebermann,  a.  a.  O., 
S.  161,  übersetzt  mit:  die  zu  dieser  Gerichtsstadt  gehören.  . . . 

*)  Edward,  II,  3,  Schmid,  Gesetze,  S.  114—117.  Vgl.  auch  Lieber- 
tnann,  a.  a.  0.,  S.  142,  143.  Siche  ferner  über  diese  Stelle  oben  S.  79,  SO. 

■*)  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  70,  Amn.  a,  bemerkt  zu  dieser  Klausel:  „To  take 
his  goods  in  ezecution.  ln  the  Custumal  of  Heu.  I,  it  is  said:  ,vel  de  suo 
aliquid  pro  inborgo  retineatur.  c.  82“.  Schmid,  Gesetze,  S.  115,  sagt  in 
einer  Anmerkung  zu  Edward  II,  3,  § 1 : „In-borh,  hier  und  Honr.,  82,  § 2, 
eine  pfandliche  Sicherheit,  aber  Anh.,  I,  8 (Dunsetcn)  auch  im  Gegensatz 
zu  under-wed  für  eine  persönliche  Bürgschaft“. 


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125 


weder  G fiter  noch  andere  Sicherheit  (borh;  plegium),  so  halte 
man  ihn  zum  Gericht  fest. 

Zweites  Kapitel. 

Das  gegebene  Pfand. 

In  der  angelsächsischen  Zeit  kann  das  gegebene  Mobiliar- 
pfand einmal  freiwillig  für  eine  Schuldforderung,  zum  andern  im 
Prozesse  gestellt  werden. 

I.  Das  freiwillig  für  eine  Schuldforderung  gegebene  Pfand 
findet  sich  in  den  Genednes  betweox  Dünsfitan  '),  auch  Sena- 
tusconsultum  de  Monticolis  Walliae  genannt2).  Es  ist  dies 
die  Verordnung,  welche  die  Witan  vom  anglischen  Geschlecht  und 
die  Berater  des  wälischen  Volkes  unter  den  „Dunseteii a)“  er- 
hellen *).  Die  Verordnung  zeigt  uns,  daß  sich  diese  beiden  Völker 
einander  fremd  gegenüberstanden  und  daß  sie  zum  Zweck  hatte, 
den  Frieden  zu  sichern  und  die  Eigentümer  von  Vieh  auf  jeder 
Seite  des  Stromes  gegen  die  Kaubanfälle  ihrer  Nachbarn  auf  der 
andern  Seite  zu  schützen1). 


')  Glasson,  a.  a.  0.,  I,  S.  169,  sagt  unter  Citicrung  der  Gcrä-dncs 
betweox  Dnnsetan,  c.  1,  daß  in  der  angelsächsischen  Puriode  „tantät  le 
gage  etait  fourni  volontairement  par  le  debiteur  cn  garantie  de  l’engage- 
ment  qu  ’il  avait  contracte.  . .“ 

Phillips,  Versuch,  S.  141,  ist  derselben  Ansicht  und  sagt  unter  Ci- 
tiening  der  Geraednes  betweox  Dünsetan  c.  1:  „Das  Pfandrecht 

konnte  theils  dadurch,  dal)  der  Schuldner  freiwillig  eine  Sache  als  Faust- 
pfand hingab,  theils  durch  einseitige  Pfändung  von  Seiten  des  Gläubigers 
entstehen“. 

J)  Siehe  aber  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  374,  Anmerkungen. 

*)  Das  Wort  „Dun-saetas“  bedeutet  mountain-dwellcrs  = Bergbewohner. 
Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  150,  Amu.  b.  Seebohm,  a.  a.  0.,  S.  403,  404,  sagt  bei 
Besprechung  dieser  Verordnung:  „Further,  tliis  cvidence,  though  lator  in 
date  probably  than  King  Alfrcd’s  laws,  is  practically  Wessex  eridence, 
bccause,  though  the  geographica!  position  of  the  Dunsetas  is  not  accurately 
known,  their  Connection  with  the  West  Salons  is  the  one  thing  which  is 
clear“.  Vgl.  Schmid,  Gesetze,  S.  LXI,  LXII. 

*)  S c h in  i d , Gesetze,  S.  358.  Siehe  auch  Liebermann,  a.  a.  0. 
S.  374,  375. 

5)  Seebohm,  a.  a.  0.,  S.  402. 


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126 


Kapitel  1 dieser  Verordnung ')  behandelt  die  Fährte  ge- 
stohlenen Viehes,  und  beiläufig  das  gegebene  Pfand  (under-wed; 
wed),  folgendermaßen : Wenn  man  die  Führte  gestohlenen  Viehes 
von  einem  Ufer  zum  andern  verfolgt,  dann  übergebe  man  die 
Nachspürung  den  Männern  des  Landes  oder  thue  durch  Zeichen 
dar,  daß  man  richtig  verfolgt.  Es  greife  dann  Der  zu,  dem  das 
Land  gehört,  und  habe  die  Nachsuehung  für  sich;  und  er  gelte 
von  da  in  9 Nächten  das  Vieh  oder  stelle  an  dem  Tage  ein  Unter- 
pfand (under-wed),  das  anderthalb  mal  so  viel  werth  ist  als 
das  Vieh,  und  löse  von  da  in  9 Nächten  das  Pfand  (wed)  durch 
richtige  Geltung*)  J).  Wenn  man  sagt,  daß  man  die  Spur  un- 
richtig verfolge,  dann  mag  der,  welchem  das  Vieh  gehört,  die 
Spur  bis  zu  dem  Ufer  leiten  und  daselbst  sechs  ungekorenen 
Leuten,  die  getreu  sind,  den  Eid  leisten,  daß  er  nach  Volksrecht 
das  Land  in  Anspruch  nehme,  wie  sein  Vieh  dorthin  ging4). 

II.  Das  gegebene  Pfand  findet  sich  auch  im  Zivilprozeß  und 
im  Strafprozeß  vor. 


■)  Schinid,  Gesetze,  Anh.  I,  S.  358,  359.  Vgl.  auch  Text  und  Über- 
setzung bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  374,  375.  Über  c.  8 derselben  Ver- 
ordnung siehe  unten  S.  128. 

s)  . . . and  paes  on  IX  nihton  gylde  paet  yrfe,  mViVe  tö  pam  daego 
under-wed  leege,  paet  sy  paes  orfes  ölVer  healf  weorfl',  and  paes  on  IX 
nihton  paet  wed  undö  mid  rihtan  gylde.  . . 

. . .et  inde  ad  IX  dies  reddat  ipsam  pecuniam,  vel  vadium  ponat  ipsa 
die,  quod  valeat  quaesitam  et  investigatam  pecuniam  scsquialteram,  vel  inde 
ad  IX  dies  ipauin  vadium  redimat  recta  persolutione.  . . 

Vgl.  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  374,  375. 

*)  Lieberuiann,  a.  a.  O.,  S.  375,  übersetzt:  . . . doch  bezahle  er  das 
Vieh  in  9 Tagen  von  dem  [Übernehmen]  ab  oder  hinterlege  an  diesem  Ter- 
min ein  Unterpfand,  das  anderthalb  des  Viehes  werth  ist,  und  lßse  von  da 
in  9 Tagen  dies  Unterpfand  ein  durch  richtige  Bezahlung  [des  Viehes], 

4)  In  Kapitel  8 derselben  Verordnung  (Schinid,  Gesetze,  S.  362,  363) 
lesen  wir:  Wenn  man  Vieh  mit  Beschlag  belegt  und  die  Gewähr  über  den 
Strom  ziehen  will,  dann  stelle  man  Bürgschaft  oder  Unterpfand  (in-borh 
oiVöe  under-wed),  dall  die  Klage  ein  Knde  habe. 

Über  Verfolgung  gestohlenen  Viehes  siehe  Schinid,  Gesetze,  S.  358, 
Anm.,  636  und  die  Belegstellen  daselbst. 


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127 


Ine,  8')  heißt  es:  Wenn  Jemand  vor  einem  Shirmann  oder 
anderm  Richter  um  Recht  bittet  und  nicht  erlangen  kann,  und 
man  (der  Beklagte)  ihm  kein  Pfand  geben  will8),  büße  er  es  mit 
30  Schillingen  und  lasse  ihm  binnen  7 Nächten  sein  Recht  an- 
gedeihen s). 

Ine  62  *)  handelt  von  demjenigen,  den  man  zur  Pfandstellung 
anhält:  Wenn  gegen  Jemand  eine  Klage  erhoben  wird  und  man 
ihn  zur  Pfandbestellung  anhält4),  er  aber  selbst  nichts  hat,  was 
er  als  Pfand  geben  kann*),  es  geht  aber  ein  anderer  und  giebt 
sein  Pfand  für  ihn7),  wie  er  das  festsetzen  kann,  unter  der  Be- 
dingung, daß  er  (der  Beklagte)  ihm  (als  Geisel)  zur  Hand  gehe, 
bis  er  ihm  sein  Pfand  frei  machen  könne6),  man  bezichtigt  ihn 


')  Schmid,  Gesetze,  S.  24,  25.  Vgl.  auch  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  92,  93.  Siehe  über  diese  Stelle  Thorpe,  a.  a.  0.,  8.  47,  Anm.  a:  Schmid, 
Gesetze,  Glossar,  s.  v.  wed,  wedd. 

3)  . . .and  him  wedd  [wedj  [mon]  sellan  nelle  . . . 

. . .et  accusatus  ei  vadium  recti  dare  nolit  . . . 

Vgl.  Lesarten  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  92,  93. 

*)  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  93,  übersetzt:  Wenn  einer  sich  [sein] 
Kocht  fordert  vor  irgend  einem  Amtmann  oder  einem  anderen  Richter  und 
[cs]  nicht  erlangen  kann,  indem  [Verklagter]  ihm  ein  Pfandversprcchen 
[künftiger  Urthcilserfnllung]  nicht  geben  will,  so  büße  dieser  [dem  König] 
30  Schill,  und  mache  ihn  binnen  7 Nächten  der  Urtheilscrfüllung  theilhaftig. 

Über  Urtheilserfüllungsversprechen  siche  oben  S.  76  ff. 

4)  Schmid,  Gesetze,  S.  50,  51;  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  61,  62;  Lieber- 
mann, a.  a.  0.,  S.  116,  117.  Siehe  Schmids  Anmerkung  zu  dieser  Stelle, 
a.  a.  0.,  8.  50,  51;  Thorpes  Anmerkung,  a.  a.  0.,  S.  549. 

s)  . . . and  hine  mon  bedrefciV  tö  ceäpe  [ccüce]  . . . 

...  et  ad  fauces  coartatur  . . . 

Vgl.  auch  Lesarten  bei  Lieber  mann,  a.  a.  0.,  8.  116.  Die  Stelle  im 
Quadripartitus  lautet  nach  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  117:  ...et  ad 
captale  pertrahitur  (fauces  coartatur  [cohortatur])  . . . 

•)  . . . tö  gesellannc  beforan  ceäpe  [ceäce] . . . 

...  ad  dandum  ante  certamen  . . , 

Vgl.  auch  Lesarten  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  116,  117. 

7)  . . . seiet)'  [sylatV,  ayllaiV]  his  ccäp  fore . . . 

...  et  vadit  alius  et  dat  suum  captale  pro  co . . . 

Vgl.  auch  Lesarten  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  116,  117. 

8)  . . . öö  paet  he  his  ccäp  him  geinnian  maege. 

. . . donec  captale  suum  possit  illi  intimarc. 

Vgl.  auch  Lesarten  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  116,  117. 


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128 


aber  nachher  nochmals  und  hält  ihn  zur  Pfandbestellung  an '), 
wenn  dann  der  hinfort  nicht  für  ihn  einstehen  will,  der  früher 
das  Pfand  für  ihn  gab,  und  er  (der  zweite  Kläger)  sich  seiner  be- 
mächtigt, so  verliere  dann  Der  sein  Pfand,  der  es  früher  für 
ihn  gab !)  *). 

Kapitel  8 der  Genednes  betweox  Dünsetan4)  handelt  von 
Vieh,  das  jenseit  des  Stromes  aufgefunden  wird:  Wenn  man  Vieh 
mit  Beschlag  belegt  und  die  Gewähr  über  den  Strom  ziehen  will, 
dann  stelle  man  Bürgschaft  oder  Unterpfand,  daß  die  Klage  ein 
Ende  habe6).  Wer  es  an  sich  zieht  (vindicirt),  leiste  selbsechs 
den  Eid,  daß  er  es  so  an  sich  ziehe,  wie  es  ihm  gestohlen  war, 

')  . . . and  beträft)’  [bedrefeiV]  tö  ceäpc . . . 

...  et  ad  componendum  pcrtraliatur  . . . 

Vgl.  auch  Lesarten  bei  Lieber  mann,  a.  a.  O.,  S.  11C,  117. 

*)  . . . sc  pc  bim  äer  ceäp  forc  scalde,  and  he  hine  penne  forfeh'J,  po- 
ligc  pnnne  his  ceäpes  se  pe  he  him  *r  fore  sealde. 

. . . qui  captale  suuin  dedit  pro  eo  antea  et  hoc  anticipaverit,  perdat 
captale  suum,  quod  antea  pro  eo  dederat. 

Vgl.  auch  Lesarten  bei  Liobermann,  a.  a.  0.,  S.  116,  117. 

*)  L iebermanu,  a.a.0.,  S.  116,  bei  Ine  62  liest  ceac  (Kessel)  statt  ceap 
(Pfand,  u. a. w.).  Siche  ferner  Liebcrmann,  Kesselfang  bei  den  West- 
saebsen  im  siebenten  Jahrhundert,  Sitzungsber.  der  Königl.  prcuQ.  Akademie 
der  Wissenschaften  (1896),  S.  829  — 835.  Er  übersetit  (Gesetze,  S.  117) 
Ine  62  folgendermaßen:  Wenn  jemand  einer  Strafsache  angeschuldigt  ist 
und  zum  Kessel  [fange]  gezwungen  wird,  aber  selbst  nichts  vor  dem  Kessel 
herzugeben  besitzt:  [wenn]  dann  jemand  anders  kommt  [und]  sein  Gut  vor- 
schießt — je  wie  er  dann  [mit  dem  Kläger]  abmachen  kann  — auf  die 
Bedingung  hin,  daß  ihm  der  [Schuldner]  diene,  bis  daß  derselbe  ihm  sein 
vorgoschossencs]  Gut  einbringen  kßnne  : es  wird  aber  jener  [Schuldner] 
späterhin  zum  zweiten  Male  verklagt  und  zum  Kessclfange  gezwungen  : 
wenn  [nun]  der,  welcher  ihm  früher  Vorschuß  gegeben  hatte,  ferner  nicht 
für  ihn  einstehen  will,  und  ihn  [den  Schuldigen,  der  zweite  Kläger]  nun  faßt, 
dann  verliere  [der  Gläubiger]  sein  Gut,  das  er  ihm  früher  vorgeschossen  batte. 

4)  Schmid,  Gesetze,  Anhang  I,  8.  362,  363.  Siehe  auch  Liobermann, 
a.  a.  0„  S.  378,  379.  Siehe  Schmid,  a.  a.  0.,  S.  363,  Anmerkung  zu  dieser 
Stelle. 

s)  . . . ponne  settc  mon  in-borh  odiVe  unde-wed  leege,  paet  seö  sprec 
ende  haebbe. 

. . . tune  ponatur  inborh  vel  underwed  mittatur,  ut  placitum  illud 
fmem  habcat. 

Vgl.  Lesarten  bei  Liebermann,  a.  a.  0.,  378,  379. 


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1-29 


und  wer  es  zur  Gewähr  zieht,  leiste  allein  den  Eid,  daß  er  die 
Gewahr  zu  derjenigen  Hand  ziehe,  die  es  ihm  verkaufte.  Wenn 
es  Jemand  jenseits  des  Stromes  sieh  zu  eigen  ziehen  will,  dann 
soll  das  durch  Ordal  geschehen.  Auf  gleiche  Weise  wie  der 
Engländer  soll  der  Wälische  Recht  gewähren '). 

Aethelreds  Gesetze,  III,  12*),  verordnen,  daß  man  bei  einer 
Rechtssache  vor  dem  Könige  G halbe  Mark  zum  Pfände  (wedd; 
vadium)  erlegen  müsse3),  und  bei  einer  vor  einem  Eorl  oder 
Bischof  12  Oeren  Pfand  (wedd)  und  bei  einer  vor  irgend  einem 
Than  6 Oeren  Pfand  (wedd;  vadium)4)4). 

Edwards  Gesetze”)  stellen  die  folgende  Rechtsregel  auf:  Auch 
haben  wir  beschlossen,  wenn  es  einen  schlechten  Mann  geben 
sollte,  der  Anderer  Gut  (Vieh)  zu  Pfand  setzen  (tö  borge  settan; 
per  plegium  mittere)  wollte  für  eine  Widerklage1),  'laß  er  dann 

')  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  379  übersetzt  Kapitel  8pr.:  (Vom  jenseits 
des  im  Anefang  gefällten  Vieh.)  Wenn  Vieh  im  Anefang  gefallt  wird,  und 
der  [verklagte]  Mann  es  über  den  Strom  hin  zur  Gewähr  schieben  will,  dann 
stelle  er  Sicherheit  oder  hinterlege  ein  Unterpfand  [dafür],  dall  diese  Klage- 
sache. einen  Abschluß  erhalten  werde.  § 8,  1 : Jener  [Anef&nger],  der  es 
für  sich  beansprucht,  leiste  als  einer  von  sechs  [d.  h.  mit  fünf  Helfern]  fol- 
genden Kid:  ,daß  er  es  so  für  sich  beanspruche,  wie  es  ihm  von  Dieben 
gestohlen  worden  sei*.  § 8,  2:  Und  wer  es  zur  Gewähr  schiebt,  leiste  für 
sich  allein  folgenden  Kid:  .daß  er  es  zu  der  Hand  schiebe,  die  [es]  ihm 
veräußert  hat*.  $ 8,  3:  Wenn  jemand  jenseits  des  Stromes  [gegen  diessei- 
tigen AnefiingerJ  es  als  sein  Ureigen  behaupten  will,  dann  soll  dies  [nur] 
durch  Ordal  [ihm  möglich]  sein.  §8,  4:  Diesem  gleich  soll  der  Engländer 
dem  Walschen  Recht  erfüllen. 

3)  Schmid,  Gesetze,  8.  216,  217.  Siehe  auch  Liebermann,  a.  a.  0., 
S.  230. 

*)  leege  man  VI  healf-marc  wedd. 

de  placito  regis  ponatur  vadium  VI  dimidiae.  marcae.  Siehe  auch 
Liebermann,  S.  230. 

*)  Siehe  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  12fi. 

s)  Liebermann.  a.  a.  0..  8.  231,  übersetzt:  Und  bei  Anklage  durch 
den  König  [Staat]  binterloge  [Verklagter  ti  Halbmark  Pfand  und  bei  einer 
durch  (iraf  oder  Bischof  12  Ür  Pfand  und  bei  [einer  durch]  irgend  einen 
Thegn  G Ür  Pfand. 

°)  Edward,  I,  1,  §5,  Schmid,  Gesetze,  S.  112,  113.  Vgl.  auch  Les- 
arten bei  Liobennann,  a.  a.  ().,  S.  140,  141. 

7)  Schmid,  Gesetze,  S.  :»40,  s.  v.  borh,  betrachtet  diese  Stelle  in 
Edwards  Gesetzen  als  „Pfandsicherheit,  Caution”:  und  dies  scheint  auch  die 
Meinung  Thorpes  zu  sein  (siehe  n.  a.  0.,  S.  G9).  Vgl.  Jenks,  Law  and  Pnl- 

lia  zeit  ine.  Englisches  l’famlrecht  9 


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130 


eidlich  bekräftige,  daß  er  es  nicht  aus  Gefährde  thne,  sondern 
mit  vollem  Recht,  ohne  Trug  und  Arglist,  und  der  thue  dann, 
wie  er  es  sich  da  getraut,  bei  dem  man  die  Sache  in  Beschlag 
nahm,  sei  es,  daß  er  sie  als  Eigentum  in  Anspruch  nahm,  oder 
sie  zur  Gewähr  zog1). 

Kapitel  52  der  Leges  Henrici  Primi  ist  De  proprio 
placito  regis*);  und  obwohl  der  Sinn  des  § 1 nicht  ganz  klar 
ist,  scheint  der  Passus  Folgendes  zu  bedeuten’):  1.  Ein  jeder, 
der  von  dem  König  durch  einen  seiner  Richter  angeklagt  wird, 
muss  vadium  recti  geben,  d.  h.  Sicherheit,  daß  er  der  An- 
klage Folge  leisten  und  für  den  Schadenersatz  einstehen  will,  zu 
dem  er  vom  Gericht  eventuell  verurteilt  wird4).  2.  Wenn  er 
zum  Erscheinen  vor  Gericht  nicht  geladen  wurde  und  deswegen 
nicht  kam,  so  muß  er  die  obengenannte  Sicherheit  (recti  vadi- 
monium)  geben,  und  Bürgen  (plegios)  stellen,  sofern  dies  von 
ihm  verlangt  wird.  3.  Wurde  er  aber  rechtmäßig  geladen,  und 
war  der  Tag  der  gerichtlichen  Untersuchung  festgesetzt  worden, 
so  muß  er,  wenn  der  Richter  es  verlangen  sollte,  ohne  Verzögern 
antworten,  oder  er  verliert  seine  Rechtssache4).  4.  Sollte  er  sich 
weigern,  die  verlangte  Sicherheit  (vadium  recti)  zu  geben, 
nachdem  es  dreimal  begehrt  worden  war,  so  ist  er  overseunessa") 


itics  in  the  Middle  Ages.  Über  Widerklage  (wiöer  - tilitlan)  vgl.  Cnnt, 
II,  27:  Henr.,  23,  §2:  und  Schniid,  Gesetze,  S.  13,  Audi.,  672. 

')  Lieber  mann,  a.  a.  0.,  S.  141,  übersetzt:  Auch  bestimmen  wir  — 
[gegen  den  Fall]  wenn  es  da  einen  der  bösen  (betrügerischen  B)  Menschen 
giebt,  der  kraft  widerrechtlicher  Klage  jemandes  Vieh  unter  Pfand[sicher- 
heit]  bringen  will  — , daß  der  [Anefänger  zuerst]  dann  erkläre  unter  Eid, 
.daß  er  dies  zu  keinerlei  Truge  thut,  sondern  nach  Volksrecht  (vollem 
Recht  H)  ohne  List  und  Tücke“:  und  der  [Verklagte],  bei  welchem  jenes 
im  Anefang  angegriffen  wurde,  handele  alsdann  so,  wie  er  sich  da  getraut : 
entweder  er  erkläre  es  als  sein  eigen,  oder  er  ziehe  es  zur  Gewähr. 

*)  Schund,  Gesetze,  S.  458.  Vgl.  auch  den  Test  bei  Liebermann. 
a.  a.  0.,  S.  573,  574. 

*)  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  271.  Siche  Schniid,  Gesetze,  S.  458,  Anm. 

4)  Siehe  Thorpe.  a.  a.  0.,  S.  239,  Anm.  c,  überdas  Wort  .justitia“ 
dieses  Textes. 

*)  Siehe  Thorpe,  a.  a O.,  S.  239,  Amu.  d. 

*)  Schniid.  Gesetze,  S.  641:  »overseunessa,  von  oferaeön  (-seali  etc.), 
übersehen,  was  danu,  aualog  dein  Worte  oferhjran.  sowohl  in  der  Bedeutung 


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131 

.«'huldig,  und  man  mag  ihn  in  Haft  zurückhalten,  bis  er  Bürgen 
(plegiosl  stellt  oder  Genugtuung  leistet:  maxime  si  judieatum 
sit  de  vadio,  si  de  capitalibus  agatur  in  eo.  § 2 desselben 

Kapitels  sagt:  Clericus  per  Consilium  praelati  sui  vadium  dare 
debet,  cum  dederit  in  accusatione. 

Aethelreds  Gesetze  zur  Besserung  des  Friedens,  erlassen  von 
Aethelred  und  seinen  Witan  zu  Wantage ')  unterrichten  uns  weiter 
bezüglich  des  gegebenen  Pfandes  im  Prozeß.  Nach  Aethelred,  III.*) 
gibt  der  Angeklagte,  oder  jemand,  der  den  Angeklagten  reinigen 
will,  irgend  einem  öffentlichen  Beamten  oder  einer  öffent- 
lichen Körperschaft  — Grundherrn,  Wäpentak,  oder  Königs  Ge- 
refen  — ein  Pfand  (wedd  oder  vadium3),  daß  der  An- 
geklagte, oder  derjenige,  der  ihn  zu  reinigen  beabsichtigt, 
zum  Ordal4)  schreiten  will  und  dafür,  daß  der  Angeklagte  un- 
schuldig sei5). 

von  perspicere,  intelligere.  als  in  der  von  praetermittere,  negligere,  vor- 
kommt.  Die  overseunessa  ist  iler  spätere  lateinische  Ausdruck  für  das  ags. 
oferhyrnes  ...  In  den  angelsächsischen  Gesetzen  finden  wir  die  oferhyrnes 
nur  bei  dem  Ungehorsam  gegen  königliche  Anordnungen  erwähnt,  obschon 
eine  Wette  auch  bei  der  Millachtung  anderer  obrigkeitlicher  Befehle  ge- 
zahlt werden  mußte:  die  overseunessa  bezieht  sich  aber  auch  auf  den  Un- 
gehorsam gegen  comites,  hundreda  u.  s.  w.  . . . Überhaupt  wird  in  den 
Leges  Henrici  der  Begriff  der  overseunessa  sehr  erweitert  oder  der  Aus- 
druck öfter  nur  zur  Bezeichnung  einer  bestimmten  Strafsumme  gebraucht . . .* 
Siehe  ferner  I.eges  Henrici  l’riuii,  c.  53,  §1  (Schmid,  S.  458)  und 
andere  Belegstellen  bei  Schmid,  Gesetze,  S.  641. 

')  Schmid,  Gesetze,  S.  212  ff.:  Licbermann,  a.  a.  0.,  S.  228  ff. 

*)  Die  Stellen  in  Aethelreds  Gesetzen,  welche  wir  im  Folgenden  be- 
sprechen werden,  befinden  sich  iu  Schmid,  Gesetze,  S.  212— 219,  und  in 
Liebcrmann.  a.  a.  0.,  S.  228 — 230.  Mit  unserer  Übersetzung  dieser  Stellen, 
die  mit  der  Schmid'schcn  übereinstimmt,  vgl.  auch  Lieber  man  n’s  Über- 
setzung. a.  a.  0.,  S.  229— 231. 

s)  Dazu  kommt  noch  die  Sicherheit  eines  Bürgen.  Siehe  Aethelred. 
III,  6,  Schmid,  Gesetze,  S.  214,  215,  Licbermann,  a.  a.  0.,  S.  230. 

4)  Uber  Eisen-  und  Wasserordal,  sowie  den  Probebissen  bei  den  Angel- 
sachsen siehe  Schmid,  Gesetze,  S.  414  - 417,  639,  640.  Über  Kesselfang 
siehe  Ine  37,  Licbermann,  a.  a.  O.,  S.  104,  105,  sowie  Ine  62,  Lieber- 
mann, a.  a.  0.,  S.  116,  117. 

s)  Vgl.  Edward.  II,  3,  Schmid,  Gesetze,  8.  114 — 117,  Liebermann, 
a.  a.  O.  S.  142:  Aethelstan,  II,  23.  Schmid,  a.  n.  O.,  S.  144  — 147,  Lieber- 
mann, a.  a.  0.,  S.  162 — 164. 

9* 


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132 


Aethelred,  III,  3,  schreibt  vor,  daß  mau  ein  Gemot  habe  in 
jedem  Wäpentake1),  und  daß  die  zwölf  ältesten  Thanea)  hinaus- 
gehen und  der  Gerefe  mit  •’),  und  sie  auf  das  Heiligtum  schwören, 
welches  man  ihnen  in  die  Hand  gibt,  daß  sie  keinen  Schuldlosen 
anklagen  und  keinen  Schuldigen  verhehlen  wollen4);  und  sie 
sollen  dann  die  oft  bezichtigten  Leute  nehmen,  welche  mit  dem 
Gerefen  eine  Sache  haben,  und  jeder  von  ihnen  soll  (5  halbe  Mark 
zum  Pfände  geben6),  halb  dem  Grundherrn  (land-rican;  domino 
ipsius  terrae),  halb  dem  Wäpentake;  und  jeder  oft  bezichtigte 

')  Schm id,  Gesetze,  S.  672,  sagt,  daii  wä-pengeUec  oder  w&pentäk, 
-es,  n.,  „nach  Kd.  Conf.,  30,  eine  der  Hundertschaft  entsprechende  Kinteilung 
der  Shire  in  mehrere  Grafschaften  Nordenglands  (York,  Lincoln,  Nottingham. 
Northampton,  Leicester,  bis  zur  Watlingstrete  und  noch  8 Milliaria  darüber;" 
sei.  Nach  seiner  Ansicht  ist  das  Wort  dänischen  Ursprungs.  Siehe  ferner 
Chadwick,  Studies  on  Anglo-Saion  Institutions,  S.  199,  239,  245.  Nach 
Schmid,  Gesetze,  S.  595,  596,  wiederum,  ist  das  hundred-geunit  (hundredcs- 
geiuüt,  oder  auch  bloß  hundred)  das  Hundertschaftsgericht,  das  alle  vier 
Wochen  gehalten  werden  soll:  und  „ihnen  gleich  (Kd.  Conf..  30)  steht  das 
gemöt  on  wsbpentake,  Athlr.,  III,  3;  Henr.,  7,  § 4." 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  33:  „The  official  terni  of 
rank  which  we  find  in  use  in  and  after  Alfred's  time  is  'thegn'  ([legen,  in 
Latin  usually  minister).  Originally  a thegn  is  a houschold  officer  of  some 
great  man,  eminent!)'  and  capecially  of  the  king.  From  the  tenth  Century 
to  the  Conquest  theguship  is  not  an  office  unless  described  by  some  specific 
addition  (horspegen,  discpegen.  and  the  like)  showing  what  the  office  was. 
It  is  a social  condition  above  that  of  the  churl,  carrying  with  it  both  Priv- 
ileges and  customary  duties.  The  „King's  thegns“,  those  who  are  in  fact 
attached  to  the  king's  person  and  Service,  are  specially  distinguished.  We 
may  perhaps  roughly  compare  the  thegus  of  the  later  Anglo-Saion  monarchy 
to  the  country  gentlemen  of  modern  times  who  are  in  the  commission 
of  the  peace  and  serve  on  the  grand  Jury.  Hut  we  must  remcmber  that  the 
thegn  had  a definite  legal  rank.  His  wergild.  für  czample,  . . . was  sii 
times  as  great  as  a common  man's:  and  his  oath  weighed  as  much  inore 
in  the  curious  contest  of  asseverations,  quite  different  from  anything  we 
now  understand  by  evidcnce,  by  which  early  Germanic  lawsuits  were  de- 
cided.’“  Siehe  ferner  Schmid,  Gesetze,  S.  664— 669. 

*)  Über  das  Amt  des  Gerefen  in  der  angelsächsischen  Zeit  siehe  Schm  id, 
Gesetze,  S.  597;  Chadwick,  a.  a.  O.,  S.  228  ff. 

*)  Das  Gesetz  Aethelred  III,  3,  ist  von  Interesse  in  Bezug  auf  den 
Ursprung  der  englischen  Jury.  Siehe  hierüber  Brunner,  Entstehung  der 
Schwurgerichte,  S.  402,  403;  Pollock  and  Mitland,  a.  a.  0.,  S.  142,  143. 

*)  and  heora  aelc  sylle  VI  hcalf-rnarc  wedd.  et  omnis  eoruui  det  VI 
dimidias  marcas  vadii.  Siche  auch  Liebermaun,  a.  a.  0.,  S.  228. 


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133 


Mann  g:ehe  zum  dreifachen  Ortlal  und  gelte  vierfach').  Wenn, 
sagt  Athelred,  III,  4,  der  Herr  ihn  dann  reinigen  will  mit  zwei 
guten  Thanen,  daß  er  weder  jemals  eine  Diebsbusse  zahlte,  seit 
das  Gemot  zu  Bromdun  war,  noch  auch  bezichigt  wurde,  vadet  ad 
triplex  ordalium  wel  persolvat  triplum. 

Wenn  nach  Aethelred,  III,  7S),  jemand  einen  Dieb  reinigen 
will,  lege  er  ein  Hundert  zum  Pfände5),  halb  dem  Grundherrn, 
halb  des  Königs  Gerefen  innerhalb  der  Stadt,  und  er  gehe  zum 
dreifachen  Ordal.  Wenn  er  rein  ist  bei  dem  Ordal,  nehme  er 
seinen  Magen  auf;  wenn  er  aber  schuldig  ist,  liege  er,  wo  er 
liegt,  und  gelte  Hundert4). 


Drittes  Kapitel. 

Übersicht  des  Ergebnisses. 

Das  Pfandrecht  an  Mobilien  entsteht  1.  durch  Pfandnahme 
(Pfändung,  genommenes  Pfand)  und  2.  durch  Pfandbestellung 
(gegebenes  Pfand  5). 

')  et  »innig  infamatus  hom»  vadet  ad  triplex  ordalium  Tel  reddat  qua- 
drupluni. 

Siehe  Thorpe,  a.  a.  0.,  S.  125,  und  Liebermann,  a.  a,  0.,  S.  228. 

J)  Vgl.  Ine,  21,  35:  Aothclstan,  II,  11:  Acthelred,  11,7:  Ed.  Conf.  36; 
Henr..  64,  §§  4,  5:  Henr.,  74,  §§  1,  2.  3 und  Belegstellen  bei  Schmid, 
Gesetze,  8.  28,  37,  473. 

3)  leege  än  C tö  wedde. 

unuui  hundretum  in  vadium  ponat. 

Siehe  auch  Licbermann,  a.  a.  0.,  S.  230. 

4)  gif  he  punnc  fül  beo,  liege  pär  he  laeg  and  gilde  än  C. 

Siche  auch  Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  230. 

Schmid,  Gesetxe,  S.  144,  Anm. , sagt  bei  seiner  Erörterung  von 
Aethelstan,  II.  23  pr:  ,Weddigc  übersetzt  Pricc  (Thorpe)  durch  gives 
_wed“,  und  allerdings  Anden  wir  auch  Athlr.,  III,  7,  ausdrücklich  festge- 
setzt, daß  vor  der  Beschreitung  des  Ordals  ein  Pfand  von  100  erlegt  werden 
sollte:  allein  das  gilt  doch  wohl  nur  von  dem  besonderen  Falle,  auf  den 

sich  jene  Bestimmung  bezieht,  wo  jemand  einen  anderen  von  der  An- 
schuldigung des  Diebstahls  reinigen  will,  da  sonst  nirgends  etwas  von  einer 
Pfandbestellung  vor  dem  Ordal  die  Rede  ist  und  weddian  in  der  Regel  nur 
die  Bedeutung  .vertragsmäßig  fcstsetzen*  hat.  S.  Gloss.,  v.  wed,  weddian." 
Schmid  scheint  Aethelred,  III,  3,  4,  übersehen  zu  haben. 

5)  Glasson,  a.  a.  0.,  I,  S.  169,  sagt  am  Schlüsse  soiner  kurzen  Er- 
örterung des  angelsächsischen  Pfandrechts  unter  Citierung  von  Cap.  3 der 


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134 


I.  Das  genommene  Pfand. 

Das  genommene  Pfand  tritt  auf  1.  als  Pfändung  von  Vieh 
wegen  Schadenzufügung  an  Grundstücken  (eigenmächtige  Selbst- 
hilfe), und  2.  als  Pfändung  von  beweglicher  Habe  überhaupt,  um 
die  Erfüllung  einer  Verbindlichkeit  zu  erzwingen.  Die  letztere 
Klasse  zerfällt  in  a)  Pfändung  wegen  einer  Schuld  (Selbsthilfe) 
und  b)  in  gerichtliche  Pfändung.  Die  Pfändung  wegen  einer 
Schuldforderung  ist  ebenfalls  eigenmächtige  Selbsthilfe,  jedoch 
sind  ihr  hier,  da  sie  an  eine  gerichtliche  Erlaubnis  gebunden  ist, 
gewisse  Grenzen  gezogen. 

Nach  den  angelsächsischen  Quellen,  welche  die  Pfändung 
behandeln,  scheinen  alle  Schulden  Holschulden  zu  sein  ')  und  erst, 
wenn  der  Schuldner  die  Zahlung  verweigert,  darf  der  Gläubiger 
zur  Pfandnahme  schreiten.  Verfährt  der  Gläubiger  anders,  so 
muß  er  das  Genommene  zurückgeben,  und  muß  außerdem  eine 
Buße  zahlen. 

In  beiden  Kategorien  der  eigenmächtigen  Pfändung  ist  der 
Gläubiger  selbst  zur  Pfandnahme  berechtigt2). 

Auch  muß  in  diesen  beiden  Kategorien  der  Schuldner  selbst 
der  Verpfändung  unterworfen  werden.  Eine  Ausnahme  *)  von  dieser 
Regel  findet  man  bei  Ansprüchen  von  einem  Ufer  nach  dem  andern 
zwischen  Engländern  und  Wälen.  Hier  braucht  das  Pfand  nicht 
dem  eigentlichen  Schuldner,  sondern  kann  auch  jemand  anderem 
abgenommen  werden;  denn  in  diesem  Falle  haften  die  Bewohner 
der  Grenzländer  gegenseitig  für  die  Verbindlichkeiten  der  einzelnen 
Angehörigen. 

Bei  der  gerichtlichen  Pfttndung  sind  zur  Pfandnahme  die 

Gertednes  betwcuz  Pnnsetan:  .Dans  tuus  los  cas,  le  gago  cntrainait 
pcrtc  de  la  poncsaion  ponr  le  debitcur.“  Kerner  l'.iiillips,  Versuch, 
S.  140,  141,  unter  Citierung  der  gleichen  Stelle:  .Andrer  dingliche  liechte, 
als  dos  Pfandrechts,  welches  wnhl  immer  mit  dem  besitze  der  verpfändeten 
Sache  verbunden  war,  wird  in  den  Rcchtsqucllen  dieser  Zeit  nicht  ge- 
dacht; . . .“ 

')  Siehe  ln e,  9:  Cnut,  II.  19:  Wilhelm.  1,44:  Gerxdnes  bctwcoz 
Dnnsetan,  c.  2,  3:  vgl.  aber  Henrici  1.  Charta  Luiidnnicnsibua  enn- 
ceasa.  §§  13,  14  (Henr.,  2). 

*)  Vgl.  Germdnes  betweoz  Dünsetati,  c.  3,  Schrnid,  Gesetze, 
S.  360,  361,  Liebermann,  a.  a.  ().,  S.  376. 

*)  Geriednes  betweoz  Dünsetnn,  c.  2 und  3. 


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135 


folgenden  Personen  berechtigt.  Im  Ungehorsamsprozeß  bei  Ver- 
säumnis des  Gemots,  sämtliche  der  ältesten  und  angesehensten 
Männer,  die  zur  Gerichtsstadt  gehören  (Aethelstans  Gesetze);  bei 
Versäumnis  des  Gerichtstags,  der  vicecomes  (Leges  Henrici 
Primi1);  bei  Verweigerung  seitens  des  Beklagten  dem  Richter- 
spruch  zu  gehorchen,  der  Kläger  selbst  mit  Erlaubnis  des  Richters 
(Historia  Eliensis);  bei  Diebstahlsfällen,  alle  die  ältesten 
Männer,  die  zur  Gerichtsstadt  gehören  (Aethelstans  Gesetze)  resp. 
diejenigen,  welche  hierzu  berechtigt  sind  (Edwards  Gesetze). 

Der  Pfändung  unterworfen  werden  können  der  Kontumaziar 
und  der  Dieb  oder  der  des  Diebstahls  Bezichtigte. 

Gegenstand  der  Pfändung  sind  in  allen  Fällen  Mobilien.  Bei 
Schadenzufügungen  an  Grundstücken  wird  wahrscheinlich  das  Vieh 
selbst  als  Pfand  genommen.  Bei  der  eigenmächtigen  Pfändung 
wegen  Schuld  geben  die  Quellen  nicht  an,  was  für  Mobilien 
gepfändet  werden  dürfen,  sondern  sagen  nur  ganz  allgemein,  daß 
Pfänder  genommen  werden  können;  eine  Ausnahme  bilden  die 
Ger;Mnes  betweox  Dünsetan,  wo  von  Vieh  die  Rede  ist. 
Bei  der  gerichtlichen  Pfändung  im  Umgehorsamsprozeß  kann 
.alles  was  er  hat“  (Aethelstans  Gesetze)  und  .Besitz  der  Güter“ 
(Historia  Kliensisi,  bei  Diebstahlsfällen  .alles  was  er  hat“ 
(Aethelstans  Gesetze),  und  .von  seinen  Gütern  pfandliche  Sicher- 
heit“ (Edwards  Gesetze)  genommen  werden. 

Außer  dem  Pfände  wird  in  einigen  Fällen  der  Pfändung  eine 
Geldbuße,  Bürgschaft,  Haft  oder  Tötung  verlangt.  Bei  der  Vieh- 
pfändung wird  dem  Eigentümer  des  Viehes  außer  der  Pfändung 
noch  eine  Geldbuße  von  einem  Schilling  bezw.  von  zwei  Schillingen 
auferlegt.  Im  Ungehorsamsprozeß  wird  sowohl  Pfändung  aufer- 
legt, als  auch  Bürgschaft  verlangt  (Aethelstans  Gesetze.)  Im  Straf- 
prozeß bei  Diebstahlsfällen  wird  nach  Aethelstans  Gesetzen  eben- 
falls Pfändung  auferlegt  und  Bürgschaft  verlangt,  und  wenn  der 
Dieb  oder  der  des  Diebstahls  Bezichtigte  keine  Bürgschaft  stellen 
kann,  Haft  und  eventuell  sogar  Tötung  angeordnet  und  nach 
Edwards  Gesetzen  wird  Bürgschaft  verlangt  und  eventuell  Pfändung 

')  Falls  der  vicecomes  widerrechtlich  pfändete,  hatte  er  doppelt  dafür 
tu  büßen. 


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13fi 


auferlegt,  und  wenn  weder  Bürgen  noch  Güter  zum  Pfänden  vor- 
handen sind,  Haft  angeordnet. 

Über  den  Ort  der  Pfändung  findet  man  in  den  Quellen 
Folgendes.  Bei  der  Viehpfändung  wird  dem  Anscheine  nach  das 
Pfand  auf  der  Mast  des  geschädigten  Grundeigentümers  genommen. 
Bei  der  eigenmächtigen  Pfändung  wegen  Schuld  kann  das  Pfand 
genommen  werden:  1.  innerhalb  oder  außerhalb  der  Shire  (nach 
Cnuts  Gesetzen);  2.  fern  und  nahe  (nach  Wilhelms  Gesetzen); 
3.  namiare  liceatalium  in  suo  vel  alterius  (nach  den  Leges 
Henrici  Primi);  4.  in  London  oder  der  Grafschaft  wo  sich  der 
Schuldner  aufhält  (nach  der  Henrici  I.  Charta  Lohdoniensi- 
bus  concessa  §§  13,  14);  5.  dem  Anscheine  nach  im  Domizil 
des  Schuldners  (nach  Gerwdnes  betweox  Dünsetan).  Bei  der 
gerichtlichen  Pfändung  im  Ungehorsamsprozeß  wird  das  Pfand 
genommen:  dem  Anscheine  nach  wo  die  Güter  sich  befinden  (nach 
Acthelstans  Gesetzen);  nur  in  der  Hundertschaft  (nach  den  Leges 
Henrici  Primi).  Im  Strafprozeß  bei  Diebstahlsfällen:  dem  An- 

scheine nach,  wo  die  Güter  sich  befinden  (nach  Aethelstans  Ge- 
setzen und  nach  Edwards  Gesetzen). 

In  allen  Fällen  der  Pfändung  bedeutet  die  Pfaudnahme  den 
Verlust  des  Besitzes  seitens  des  Vieheigentümers,  des  Schuldners, 
des  Ungehorsamen,  oder  des  Diebes. 

Den  Besitz  der  gepfändeten  Gegenstände  erwirbt  der  Grund- 
eigentümer bei  Viehverpfändung,  der  Gläubiger  bei  eigenmächtiger 
Pfändung  wegen  Schuld.  Über  den  Besitz  bei  gerichtlicher 
Pfändung  findet  man  in  den  Quellen  Folgendes:  im  Ungehorsams- 
prozeß bei  Versäumnis  des  Gerichtstages  soll  das  Pfand  an  den 
königlichen  Gerichtshof  bei  Ger  nächsten  Verhandlung  abgegeben 
werden  (Leges  Henrici  Primi),  und  bei  Verweigerung  dem 
Kichterspruch  zu  gehorchen,  soll  der  Kläger  mit  Erlaubnis  des 
Richters  den  Besitz  ergreifen  (Historia  Eliensis);  und  im 
Strafprozeß  bei  Diebstahlsfällen  soll  der  König  die  Hälfte  der 
Güter,  und  die  ältesten  Männer,  die  zu  der  Gerichtsstadt  gehören 
und  die  die  Pfändung  vollzogen  haben,  die  andere  Hälfte  nehmen 
(Aethelstans  Gesetze). 

Im  Ungehorsamsprozeß  bei  Versäumnis  des  Gerichtstags  darf 
das  Pfand  nicht  ans  der  Hundertschaft  weggeschaft  werden ; und 
möge  die  Pfändung  rechtlich  begründet  sein  oder  nicht,  so  darf 


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137 


doch  niemand  das  Pfand  mit  Gewalt  zurücknehmen  bei  Strafe 
der  orerseunessa  (Leges  Henrici  Primi). 

Über  das  Recht  der  Realisierung  des  genommenen  Pfandes 
enthalten  unsere  Quellen  sehr  wenig.  Wenn  man  aber  aus  dem 
Rechte  der  mittelalterlichen  Periode  nach  der  normannischen  Er- 
oberung Schlüsse  auf  die  angelsächsische  Zeit  ziehen  könnte,  so 
müßte  man  annehmen,  daß  die  Pfändung  Zwangs-  und  Sicherungs- 
inittel  war  und  daß  der  eigenmächtig  Pfandende  bloß  das  Retentions- 
recht hatte,  ln  der  Tat  finden  wir  einige  Stellen  in  den  angel- 
sächsischen Gesetzen,  welche  andeuten,  daß  dies  der  Fall  war. 
Die  lateinische  Überschrift  zu  Cnut,  II,  19'),  welches  Gesetz  von 
der  eigenmächtigen  Pfändung  wegen  Schuld  handelt,  lautet:  Ne 
alium  intra  satrapem  coerceat.  Nach  dem  Worte  coerceat  dieses 
negativen  Satzes  in  Verbindung  mit  dem  übrigen  Inhalte  dieses 
Gesetzes  zu  urteilen,  hat  man  es  hier  mit  der  Zwangs-  und 
Sicherungsidee  zu  tun.  Von  Bedeutung  hierfür  ist  auch  c.  3 der 
Ger&dnes  bctweox  Dünsetan,  wo  gesagt  wird:  „Wenn  ein 
Pländ  genommen  ist  von  Jemandes  Vieh  um  eines  andern  Mannes 
willen,  dann  nehme  der  das  Pfand  heim,  für  den  es  genommen 
ist,  oder  es  befriedige  ihn  Der  aus  seinem  Eigen,  dem  das  Vieh 
gehört.  Es  soll  dann  gezwungen  Recht  angedeihen  lassen,  der 
früher  nicht  wollte*).“  Die  Stelle  der  Instituta  Cnnti  welche 
Cnut,  II,  11»,  entspricht,  schließt  mit  den  Worten:  ut  possit 
aecipere  name.  quousque  habeat  sua.  Die  Pfändung  ist  also  nach 
der  Instituta  Cnuti  bloß  quousque,  d.  h.  bis  der  Schuldner 
zahlt,  hat  der  Gläubiger  das  Retentionsrecht. 

Die  Auffassung,  daß  die  Pfändung  im  Prozesse  Zwangs-  und 
Sicherungsmittel  ist  tritt  uns  entgegen  in  den  Worten  der  Eduard- 
schen  Gesetze  „von  seinen  Gütern  pfandliche  Sicherheit  (on  his 
iehtan  in-borh:  de  pecunia  sua  inborhgum)  nehmen.“ 

In  den  Leges  Henrici  Primi  ist  angedeutet,  daß  die  gerichtlich 
gepfändete  Sache  eventuell  verkauft  werden  kann. 


■)  Sch  m iii,  a.  a.  0.,  S.  280.  Diese  lateinische  Überschrift  ist  bei 
Liebermann,  a.  a.  O..  S.  320,  nicht  vorhanden. 

*)  Sceal  siiViVan  nedc  riht  wvreean  sc  {>e  ier  noble.  I’oatea  vel  coac- 
tus  rectum  fuciat,  qui  antea  gratis  noluit. 

Siche  auch  Liebcrmann,  a.  a.  O.,  S.  376  und  oben  S.  121,  Aom.  5. 


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138 

II.  Das  gegebene  Pfand. 

In  dem  einzigen  Passus  der  angelsächsischen  Gesetze,  der 
von  dem  freiwillig  gegebenen  Pfände  handelt,  scheint  es  sich  um 
die  Sicherstellung  einer  Schuldforderung  zu  handeln. 

Durch  das  Pfand  im  Prozesse  verpflichtet  sich  der  Pfand- 
geber bei  der  Klage  oder  Widerklage,  daß  er  den  Anordnungen 
des  Gerichts  Folge  leisten  will. 

Das  Pfand  wegen  Schuld  wird  vom  Schuldner,  das  Pfand  im 
Prozeß  von  den  Parteien  selbst,  oder  ihren  Bürgen  gestellt. 

Das  Pfand  wegen  Schuld  wird  dem  Gläubiger,  das  Pfand  im 
Civil  prozeß  der  andern  Partei  (siehe  Ine  8)  oder  dem  Gericht, 
das  Pfand  im  Strafprozeß  einem  öffentlichen  Beamten  oder  einer 
öffentlichen  Körperschaft  — Grundherrn.  Wäpentake,  oder  Königs 
Gerefen  — , gegeben. 

Das  gegebene  Pfand  im  Prozeß  ist  nur  in  gewisser  Hinsicht 
ein  freiwilliges  Pfand.  Die  Übergabe  des  Pfandes  wird  von  der 
andern  Partei  (siehe  Ine  8)  oder  vom  Gericht  verlangt,  und  falls 
der  Betreffende  kein  Pfand  hat  oder  kein  Pfand  geben  will,  muß 
er  Bürgschaft  stellen  oder  Buße  zahlen  oder  sich  der  Haft  unter- 
ziehen. Nach  Ine  8,  muß  er,  wenn  er  kein  Pfand  geben  will. 
Buße  zahlen.  Nach  Ine  fi-2,  kann  ein  Bürge,  wenn  der  Beklagte 
kein  Pfand  hat.  für  diesen  eintreten  und  das  Pfand  geben,  und 
wird  der  Beklagte  dadurch  Geisel  des  Bürgen.  Nach  den 
Geräednes  betweox  Dünsetan,  Cap.  8,  muß  Unterpfand  oder 
Bürgschaft1)  gestellt  werden.  Nach  den  Leges  Henrici  Primi 
ist  die  Partei,  falls  sie  sich  weigern  sollte,  die  verlangte  Sicher- 
heit (vadium  recti)  zu  geben,  nachdem  dieselbe  dreimal  begehrt 
worden  ist,  o verseunessa5)  schuldig,  und  mag  man  sie  in  Haft 
zurückbehalten,  bis  sie  Bürgen  (plegios)  findet  oder  Genugtuung 
leistet. 

Über  die  Einlösung  des  Pfandes  enthalten  die  Quellen  Folgen- 
des: Beim  freiwillig  gegebenen  Pfand  wegen  Schuld  wird  in  dem 
Falle  des  Kapitel  1 der  Gerä-dnes  betweox  Dünsetan  eine 
bestimmte  Frist  — !l  Nächte  — - festgesetzt,  innerhalb  welcher  das 


')  Vgl.  Leges  Henrici  Primi,  c.  52,  § 1,  Schinid,  Gesetze,  S.  458, 
Liebermann,  a.  a.  0.,  S.  573. 

*)  Vgl.  overseuneasa  bei  genommenem  Pfand,  oben  S.  136,  137. 


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139 


Pfand  durch  den  Schuldner  eingelöst  werden  muß.  Nach  Ine' 02, 
muß  der  Beklagte  (»eisei  seines  Bürgen  bleiben,  bis  er  das  vom 
Bürgen  gegebene  Pfand  freimaehen  kann '). 

Über  die  Realisierung  des  wegen  Schuld  gegebenen  Pfandes 
sagt  die  einzige  Quelle,  die  wir  gefunden  haben,  nichts.  Die  Fest- 
setzung einer  bestimmten  Frist,  innerhalb  welcher  der  Schuldner 
das  Pfand  „durch  richtige  Geltung“  auslösen  konnte,  deutet  auf 
Verfall  bei  nicht  Einlösung  des  Pfandes  zur  rechten  Zeit  hin. 

In  unseren  Quellen  über  Pfandbestellung  im  Prozeß  finden 
sich  zwei  Stellen,  die  den  Verfall  des  nicht  ausgelösten  Pfandes 
anzeigen.  Nach  I n e i>2,  „verliert“  der  Bürge  des  Beklagten  das 
Pfand,  das  er  für  den  Beklagten  bei  der  ersten  Klage  gegeben 
hat,  falls  ein  zweiter  Kläger  „sich  seiner  bemächtigt“.  Die  Worte 
des  Textes  sind:  polige  ponne  his  ceäpes1)  (perdat  captale 
suum1).  In  Aethelred,  III,  7,  heißt  es,  wenn  jemand  einen  Dieb 
reinigen  will  und  ein  Hundert  zum  Pfände  legt,  und  wenn  der 
Dieb  beim  Ordal  schuldig  ist,  „liege  er  wo  er  liegt“  und  gelte 
der  Bürge  Hundert  (gilde  an  (';  alius  reddat). 


Dritter  Teil. 

Das  Immobiliarpfandrecht. 

Neuere  Forschungen  haben  viel  dazu  beigetragen  Aufklärung 
über  die  Geschichte  des  angelsächsischen  Immobiliarpfandrechts 
zu  geben.  In  Brunners  Rechtsgeschichte  der  römischen  und  ger- 
manischen Urkunde  wird  bewiesen,  daß  Buchland  während  dieser 
Zeit  als  Nutzpfand  oder  als  Proprietätspfand  begehen  werden  kann. 
Üher  die  Verpfandung  von  Folc-land  wissen  wir  jedoch  nichts,  da 
unsere  Quellen  hierüber  nichts  berichten.  Das  Domesday- Pfand 
scheint  ein  solches  mit  Besitz  des  Gläubigers  gewesen  zu  sein  4), 

')  Vgl.  aber  L iebermu  nii’s  Übersetzung  von  Ine  62,  eben  S.  128.  Anin.8. 

*1  Vgl.  Schmid,  tiesctze,  (flos»ar,  s.  v.  ecüp. 

3)  Vgl.  aber  F.iehermatin's  Übersetzung  von  Inefi2,  oben  S.  1 28,  Anm.8. 

T)  Siehe  Fisher:  l.aw  of  Mnrtgage,  S.  ö,  Anui.:  I'hisenhale  • Marsh, 
f.  CLVIl,  DI.YIII,  CLXVII:  Sones,  Luw  of  Mortgages,  S.  2,  3:  l’ollock 


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uo 


obgleich  die  Worte  des  Domesday  Hook  im  besten  Falle  fragmen- 
tarisch zu  nennen  sind  und  uns  wenig  oder  gar  nicht  über  das 
angelsächsische  Pfand  informieren. 


Erstes  Kapitel. 

Nutzpfand. 

1.  Todsatzung. 

Eine  Urkunde  aus  dem  Jahre  !V24l)  enthält  ein  Beispiel  der 
Todsatzung*).  Nach  den  Bedingungen  eines  Vertrages  zwischen 
Fulder  und  dem  Convent  von  Worcester  soll  Fulder  für  drei  Pfund, 
welche  er  lieh,  das  Land  zu  Luddington  durch  drei  Jahre  nutzen1). 
Nach  den  drei  bedungenen  Jahren  muß  er  das  Land  dem  Convent 
zurückgeben,  in  demselben  Zustande,  wie  er  es  erhalten  hat. 
Über  die  Zurückzahlung  der  Anleihe  wird  in  der  Urkunde  nichts 
gesagt.  Es  scheint  aber,  als  ob  in  diesem  Falle  eine  Notwendig- 
keit für  die  Einlösung  des  Pfandes  durch  den  Schuldner  nicht 
vorliegt.  Nach  der  allgemeinen  Theorie  der  Todsatzung  wird  die 
Schuld  durch  die  Renten  und  Früchte,  die  der  Gläubiger  von  dem 
Lande  erhalt,  getödtet.  Mit  anderen  Worten,  die  Früchte  werden 
sofort  zur  Zahlung  der  Schuld  und  dadurch  gleichzeitig  zur  Ein- 
lösung des  Pfandes  verwendet.  Das  Grundstück  löst  sich  von 
selbst  ein4). 

and  Maitland,  Ilistory  of  English  Law.  II,  S.  118:  Kapier  and  Steven- 
son, Crawford  Charters,  S.  77.  Vgl.  Kclhain,  Domesday  Book  Illustrated, 
S.  161,  197,  242,  244,  298,  299,  353:  I’larita  Anglo-Nonnanica,  Index,  s.  v. 
Mortgage. 

')  Kcmble,  Codex  Diplomaticus,  DCCCCXXIY. 

*)  Brunner,  Zur  Rechtsgeschichtc  der  römischen  und  germanischen 
Urkunde,  S.  198. 

J)  he  haebbe  paet  land  aet  ludintune  III  gear  for  pam  ffreom  pun- 
dum  pe  he  laende. 

Lodgc,  Essays  in  Anglo-Saxon  Law,  S.  105,  nimmt  hier  kein  Pfand-, 
sondern  ein  Pachtverhältnis  an,  indem  er  übersetzt:  that  he  have  the  land 
at  L.  three  ycars,  for  which  be  pays  three  pminds.  Vgl.  aber  die  Ansicht 
Brunners  a.  a.  0.,  8.  193,  Anm.  1,  der  darauf  aufmerksam  macht,  daß 
laende  das  Präteritum  von  laenan,  commendarc,  sei.  Siehe  ferner 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  122,  Anm.  1. 

*)  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  198. 


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141 


II.  Zinssatzung. 

Der  Codex  Diplomaticus  enthält  auch  ein  Beispiel  der 
Zinssatzung.  Nach  einer  Urkunde  vom  Jahre  961 ')  borgt  Sighelm 
von  Goda  dreißig  Pfund  und  übergibt  den  Besitz  seines  Landes 
zu  Culingon  als  Pfand*).  Brunner’)  hat  bereits  darauf  hinge- 
wiesen, daß  es  sich  hier  um  eine  Satzung  und  nicht  um  eine  be- 
dingte Übereignung  handelt,  weil  der  Schuldner  den  Besitz  des 
Landbuches  hehalten  hat;  daß  es  eine  Zinssatzung  und  nichteine 
Todsatzung  sei,  weil  Goda  die  Früchte  an  Stelle  von  Zins,  und 
ohne  sie  auf  die  Schuld  selbst  anzurechnen,  genommen  habe4), 
und  daß  es  in  der  Tat  ein  Beispiel  der  Sicherstellung  einer  Forde- 
rung sei,  da  die  Schuld  bestehen  bleibt  bis  sie  von  Sighelm  be- 
zahlt, und  das  Pfand  in  dieser  Weise  eingelöst  worden  ist*). 


Zweites  Kapitel. 

Proprietätspfand. 

Das  früheste  Beispiel  des  Proprietätspfands  im  Codex  Diplo- 
maticus finden  wir  in  einer  Urkunde  aus  dem  Jahre  804*). 
Nachdem  Aethelric  durch  ein  gerichtliches  Urteil  die  Erlaubnis 

')  Kemble,  Codex  Dip.,  CCCCXCIX,  MCOXXXVII, 

*)  betaeht  bim  paet  land  paes  feos  tö  anwedde. 

et  pro  uadimonio  oidem  dedit  terram  quac  nominatur  Culinges. 

3)  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  198,  199.  Siehe  ferner  Köhler,  Pfandrecht- 
liche Forschungen,  S.  95,  96. 

4)  Fisher,  a.  a.  ().,  S.  5,  Anm.,  int  ebenfalls  der  Ansicht,  dal)  diese 
Crkunde  eine  Zinssatzung  enthält;  „ We  may  perhaps  infer  from  an  Anglo- 
Saxon  deed  of  the  teilt h Century,  that  a security  resembling  the  ancient 
mortuuin  vadium,  and  possibly  derived  from  the  pactum  antichre 
seos,  was  used  in  England  at  that  time  ....  it  scems  to  be  implied  that 
no  reduction  of  the  debt  had  taken  place  by  reason  of  the  mortgagee's 
possession“.  Vgl.  Lodge  a.  a.  0.,  S.  106:  Jones  a.  a.  0.,  S.  1,  2. 

5)  Vgl.  mit  dieser  Urkunde  aus  dem  Cod.  Dip.  eine  vor  Kurzem  ver- 
öffentlichte Urkunde.  Die  Bedingungen  der  Pfandbestellung  (ic  gesealde 
hym  ane  gyrde  landes  to  underwedde)  waren,  daß  der  Gläubiger  den  Besitz 
des  Landes  auf  Lebenszeit  haben  und  daß  es  ihm  frei  stehen  sollte,  die 
Schuldfordcrung,  mit  der  das  Land  belastet  war,  an  wen  es  ihn  beliebte, 
testamentarisch  zu  vermachen.  Siehe  Napier  and  Stevenson,  a.  a.  0., 
S.  5,  9,  65,  76,  77.  Vgl.  Kemble,  Codex  Dip.,  Bd.  VI,  S.  180;  Napier 
and  Stevenson,  a.  a.  0.,  S.  76,  77:  Earle,  Land  Charters,  S.  422. 

®)  Kemble,  Codex  Dip.,  CLXXXVI;  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  196,  197. 


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142 


bekommen  hatte,  daß  er  sein  Land  und  seine  Landhfieher  an  eine 
beliebige  Person  vergeben  könne'),  hatte  er  sein  Land  und  seine 
Landbücher  seinen  Verwandten  tradiert  (commendaui)  und  dafür 
eine  Summe  Oeldes  erhalten,  die  er  für  eine  Pilgerfahrt  nach  Rom 
benötigte.  Hei  seiner  Rückkehr  hat  er  dann  das  Geld  zurückge- 
zahlt und  sein  Land  genial!  dem  vorher  geschlossenen  Vertrag 
wiederbekommen  ®). 

Die  Urkunde  spricht  von  „commendare“.  Brunner  sagt 
mit  Bezug  hierauf:  „I)a.s  commendare  war  formell  kein  bloßes 
Anvertrauen.  Die  Verpfandung  muß  vielmehr  in  der  Form  der 
Eigentumsübertragung  erfolgt  sein.  Land  und  Landbuch  wurden 
zur  Sicherstellung  eines  Darlehns  tradiert“3). 

Die  Urkunde  spricht  auch  von  dem  Zurückzahlen  des  „prae- 
tium“.  Materiell  bedeutet  dies  die  Einlösung  des  Pfandes.  Man 
kann  es  nichtsdestoweniger  als  ein  Seitenstück  zur  Langobardisehen 
Pfandbestellung  durch  die  Übergabe  einer  Verkaufsurkunde  gegen 
Pfandrevers  auffassen.  Die  Übereignung  der  Proprietät  kann  an- 
gesehen werden  als  eine  Verabredung,  daß  der  Schuldner  bei  seiner 
Rückkehr  die  Rückgabe  des  Pfandes  gegen  Zahlung  des  Kauf- 
preises verlangen  könne.  Das  Geschäft  als  einen  Verkauf  auf 
Wiederverkauf  anzusehen,  wie  die  älteren  Romanisten  es  getan 
haben  würden,  scheint  unvereinbar  mit  der  Idee  einer  bedingten 
Eigentumsübertragung  zu  sein. 4). 

Die  nächste  carta  (aus  dem  Jahre  !Ut. '))•'')  stellt  einen  Fall 
dar,  wo  Bischof  Aesewig  dem  Erzbischof  Sigeric  von  Canterbury 
eine  Summe  Geldes  leiht,  als  Gegenleistung  für  das  Versprechen, 


')  , . . ut  über  essem  terram  meam  atquo  libcllos  dare  quocunquc  uolui. 

*)  . . . accepi  terram  incaui,  ct  jiraetinm  reddidi,  quasi  ante  pacti  suinus. 
ct  pacifice  fncrimiis  ad  inuiccm. 

Obwohl  die  l'rkunde  nichts  über  die  liiickgahe  der  Landbficher  an  den 
Schuldner  erwähnt,  so  scheint  dies  doch  angenommen  werden  zu  müssen, 
denn  Aethelrie  hat  später  über  die  eingelSsten  Landgüter  zu  (innsten 
verschiedener  Kirchen  verfügt.  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  19ß,  Anm.  2. 

3)  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  196,  197. 

4)  Brunner,  a.  a.  O.,  S.  197.  Siehe  auch  Brunner,  Forschungen, 
S.  624 — 626;  Franken,  Französisches  Pfandrecht,  S.  178  IT. 

5)  Kemble,  Codex  Dip.,  DCLXXXIX:  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  195,  19G. 
Siohe  Sapier  and  Stevenson,  a.  a.  ().,  S.  76,  77. 


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143 


daß  er  von  letzterem  das  Land  zu  Risenburg  erhalte1).  Sigeric 
überträgt  das  Landbuch  an  Aescwig  in  der  Gegenwart  des  Königs, 
und  der  König  stellt  eine  Urkunde  über  das  Geschäft,  die  vor- 
liegende Urkunde,  aus8).  Man  findet  in  dieser  keine  Andeutung, 
daß  es  sich  hier  um  ein  Pfandgeschäft  handelt;  aber  aus  einer 
andern  Urkunde  desselben  Jahres  erseheu  wir5),  daß  Aescwig  das 
I^and  und  das  Landbuch  an  Aelfric,  Sigeries  Nachfolger,  zurückge- 
geben hat,  uml  zwar  wird  ausdrücklich  gesagt,  daß  dieses  Land 
dasselbe  sei,  das  Sigeric  verpfändet  habe4).  Obwohl  nichts  von 
der  Rückzahlung  des  Darlehns  gesagt  wird,  scheint  es  doch,  als 
ob  dies  der  Fall  gewesen  ist5). 

Wie  bei  der  Urkunde  aus  dem  Jahre  «04,  die  wir  eben  be- 
sprochen haben6),  ist  auch  hier  die  Übereignung  formell  als  ein 
absolutes  Rechtsgeschäft  anzusehen.  Formell  wird  der  Gläubiger 
sofort  Eigentümer  des  verpfändeten  Grundstücks  und  die  Schuld 
dadurch  gleichzeitig  getilgt’). 

Ein  drittes  Beispiel  des  Proprietätspfandes  enthält  eine  c&rta8) 
angeblich  aus  dem  Jahre  1066,  dem  Jahre  der  normannischen 
Eroberung.  Nach  einem  von  Ulf  und  seiner  Frau  mit  Gott  und 
dem  heiligen  Petrus  vor  einer  Pilgerfahrt  nach  Rom  geschlossenen 
Vertrage,  soll  der  Bischof  Ealdred  die  Güter  zu  Schillington,  Hoby 
und  Morton,  „auf  welchen  dem  Bischof  acht  Mark  Goldes  stehen“  ’), 
haben.  Bei  ihrer  Rückkehr  von  der  Pilgerfahrt,  soll  der  Bischof 
sein  Geld  von  dem  Schuldner  wieder  haben;  wenn  sie  aber  nicht 
zurückkommen,  „so  soll  der  Bischof  für  ihr  Seelenheil  so  viel  tun, 


')  . . . in  sno  potestatis  arbitrio  . . . accipcre. 

*)  ...  et  librum  ruri»  praefati  me  praesente  meisque  optimatibus  testi- 
moniuoi  praebentibus  episcopo  Aescwig  libentissimo  tribucns  donauit  animo, 
ut  habest  et  possideat  quamdiu  se  esse  pracsentialiter  cognnscat;  et  post 
se  haeredi  cui  uoluerit  concedat. 

3)  Kenible,  Codex  Dip.,  DCXC:  Brunnor,  a.  a.  0.,  S.  195.  Vgl. 
Lodge,  a.  a.  0.,  S.  106,  107;  Jones,  a.  a.  0.,  S.  2. 

*)  . . . dedit  mihi  in  uadimoniuui,  pro  pecunia  quam  a me  mutuo  accepit. 

5)  Brunner,  a.  a.  O.,  S.  196. 

6)  Kcmblc,  Codex  Dip.,  CCXXXVl. 

7)  Brunner,  a.  a.  0„  S.  196. 

*')  Kenible,  Codex  Dip.,  DCCCCLIIl : Brunner,  a.  a.  ().,  S.  197. 

'J)  . . . Ö'seron  stellt  i)um  bisceope  eabta  uiarca  goldes. 


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144 


als  der  Wert  des  Pfandes  die  Schuld  übersteigt ').  Mit  anderen 
Worten,  diese  Güter  werden  nur  unter  einer  gewissen  Bedingung 
übertragen.  Sie  können  eingelöst  werden,  falls  dies  aber  nicht 
geschieht,  soll  die  Hyperocha  für  das  Seelenheil  des  Schuldners, 
vom  Gläubiger  aufgewendet  werden*). 

Drittes  Kapitel. 

Übersicht  des  Ergebnisses. 

Sowohl  das  Nutzpfand  als  auch  das  Proprietütspfand  ent- 
stehen durch  Vertrag  und  die  Übergabe  des  Besitzes  an  den 
Gläubiger;  erst  durch  die  Quellen  aus  der  Zeit  nach  der  nor- 
mannischen Eroberung  erhalten  wir  Kenntnis  von  dem  Vorhanden- 
sein der  Hypothek.  Beim  Nutzpfand  verbleibt  das  Landbuch  in 
den  Händen  des  Schuldners;  beim  Proprietätspfand  wird  das 
Landbuch  dem  Gläubiger  übergeben. 

Die  zwei  Arten  des  Nutzpfandes  sind:  Todsatzung  und  Zins- 
satzung. Bei  der  Todsatzung  werden  die  Früchte  sofort  auf  die 
Zahlung  der  Schuld  angerechnet  und  das  Grundstück  löst  sich 
dadurch  selbst  ein.  Bei  der  Zinssatzung  werden  die  Früchte  nicht 
auf  die  Zahlung  der  Schuld  angewendet  ; sie  werden  bloß  an  Stelle 
von  Zins  vom  Gläubiger  genommen.  Die  Forderung  wird  durch 
die  Verpfändung  sicher  gestellt. 

Als  Nutzpfand  kann  ein  Grundstück  auf  bestimmte  Zeit,  z.  B. 
drei  Jahre,  vielleicht  auch  auf  Lebenszeit5)  gegeben  werden.  Das 
Grundstück  muß  in  demselben  Zustand  zurückgegeben  werden,  in 
dem  es  sich  bei  der  Übergabe  befind.  Bei  Todsatzung  wird  das 
Pfand  durch  die  Früchte  selbst  und  bei  der  Zinssatzung  durch 
Zahlung  seitens  des  Schuldners  eingelöst. 

Das  Proprietätspfand  ist  materiell  eine  resolutiv  bedingte 
Eigentumsübertragung  zur  Sicherstellung  einer  Forderung.  Fur- 
mell  kann  die  Übereignung  ein  absolutes  Rechtsgeschäft  sein. 
Der  Gläubiger  wird  sofort  Eigentümer  de*  verpfändeten  Grund- 
stücks; und  die  Schuld  wird  dadurch  getilgt.  Der  Schuldner  be- 
hält aber  doch  das  Einlösungsrecht;  und  selbst  wenn  die  Über- 

')  and  gif  hcora  nätVcr  ne  cymiV,  lVi>  so  biscenp  for  hoora  säule  swä 
mjrccl  swä  iläet  land  is  betöre  Öcne  «Vaot  gold  sy. 

*)  Brunner,  a.  a.  0„  S.  197. 

*)  Vgl.  oben  S.  141,  Anrn.  5. 


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145 


eignungs  nrkunden  von  commendare  und  pretium  sprechen,  ist 
es  doch  mfiglich,  daß  hier  kein  bloßes  Anvertrauen  oder  Kauf  auf 
Wiederverkauf  im  Sinne  der  älteren  Romanisten  vorliegt,  sondern 
daß  es  sich  hier  materiell  um  eine  Übereignung  zu  Pfandzwecken 
handelt. 

Die  Schuld  bleibt  in  Wirklichkeit  bestehen,  und  wenn  der 
Schuldner  richtig  zahlt,  kann  er  die  Zurückgabe  des  verpfändeten 
Grundstücks  und  des  Landbuchs  verlangen.  Ob  der  Gläubiger  außer 
dem  Pfandrechte,  dem  dinglichen  Recht,  auch  ein  persönliches  Recht 
gegen  den  Schuldner  hat,  ist  nicht  gewiß1),  obwohl  dies  nicht  der 
Fall  zu  sein  scheint.  Dem  Anscheine  nach  hat  der  Gläubiger  nur  ein 
Pfandrecht,  Formell  wird  die  Schuld  durch  die  Pfandbestellung 
getilgt;  und  wenn  der  Schuldner  sich  sein  Einlösungsrecht  nicht 
zu  Nutze  macht,  fallt  die  Bedingung  bei  der  Übertragung  der 
Pfandsache  weg  und  der  Gläubiger  wird  schlechtweg  Eigentümer. 
Das  Proprietätspfand  ist  also  Verfallspfand. 

Obwohl  das  Proprietätspfänd  Verfallspfand  ist,  ersehen  wir 
doch  aus  einer  Urkunde  aus  dem  Jahre  der  normannischen  Er- 
oberung, daß  die  Hyperocha,  d.  h.  der  Wert  der  verpfändeten  Sache, 
der  die  Schuld  übersteigt,  für  das  Seelenheil  des  Schuldners  ver- 
wendet werden  soll.  Hierin  liegt  der  Gedanke,  daß  es  sich  um 
eine  Übertragung  des  Eigentums  zu  Pfandzwecken  handelt. 


•)  Siehe  Ketnble,  Codex  Dip.,  DCCCCLIII. 


Ha  sei!  ine,  Knglische*  Pfandrecht 


IO 


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Zweites  Buch 

Die  Zeit  von  der  normannischen 
Eroberung  bis  zum  Ausgang  des 
Mittelalters 


10* 


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Erster  Teil. 

Der  Formal-  oder  Wettvertrag. 

Für  den  Zeitabschnitt,  mit  dem  wir  jetzt  beschäftigt  sind, 
muß  genau  unterschieden  werden  zwischen  den  Verträgen,  die  vor 
das  geistliche  Tribunal  und  solchen,  die  vor  das  weltliche  Gericht 
gehören  und  von  dem  einen  oder  anderen  als  gültig  anerkannt 
werden. 

Man  unterscheidet  zwei  Arten  von  Verträgen,  die  zur  Jurisdiction 
der  geistlichen  Gerichte  gehören:  1.  der  Vertrag,  der  durch  Eid 
(juramentum,  oath)  und  2.  der  Vertrag,  der  durch  interpositio 
fidei  (affidare,  pledge  of  faith,  pawn  of  one’s  Christianity)  ge- 
schlossen wird ').  Man  unterscheidet  drei  Vertragsformen,  die  vor 
das  weltliche  Gericht,  das  Gericht  des  gemeinen  Rechts  (court  of 
common  law)  gehören.  Es  sind  dies:  1.  der  Vertrag  der  gericht- 
lich protokolliert  wird  („contract  of  record“);  J.  der  nicht  formelle 
Vertrag,  der  nicht  immer  notwendigerweise  schriftlich  abgefal.lt 
sein  muß,  dem  jedoch  eine  Gegenleistung  (quid  pro  quo,  „con- 
sideration“)  zu  Grunde  liegen  muß  („simple  contract“);  3.  der 
schriftliche  und  gesiegelte  Vertrag  („specialty“,  „deed“,  „contract 
under  seal*)“). 

Wir  beschäftigen  uns  an  dieser  Stelle  nur  mit  dem  Formal- 
vertrag und  werden  andere  Vertragsformen  nur  insoweit  berück- 
sichtigen, als  sie  mit  diesem  in  Beziehung  stehen. 


')  Siche  unten  S.  153  ff. 

*)  Siche  Neubockcr,  Der  abstrakte  Vertrag.  8.  18—21:  Heymann, 
Knglischcs  Privatrecht,  Holtzendorffs  Kncyklopädie  (hrsg.  von  Kollier), 
I,  S.  825,  82G:  Pollock,  Principlcs  of  Contract,  5.  Auflage,  S.  131  — 165: 
(llasson,  Histoire  du  droit  et  des  institntions  de  l’Anglcterrc,  IV,  S.  318 
—320. 


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150 


Erstes  Kapitel. 

Der  alte  Formal-  oder  Wettvertrag. 

Wir  haben  bereits  die  Gründe  angegeben,  die  uns  zu  der 
Annahme  veranlassen,  daß  die  fides  facta  oder  pledge  of  faith 
als  ein  Fonnaivertrag  ihren  Ursprung  in  der  Zeit  der  Angel- 
sachsen hat1).  Aber  erst  in  der  Zeit,  die  der  normannischen  Er- 
oberung folgt,  erreicht  dieselbe  ihre  höchste  Entwicklung  durch 
die  Kirche.  Die  fides  facta  wird  die  Quelle  ernster  Konflikte 
zwischen  den  geistlichen  und  weltlichen  Tribunalen,  und  trotzdem 
es  ihr  nicht  vergönnt  war,  sich  zum  Formalvertrag  des  weltlichen 
Rechts  *)  zu  entwickeln,  hat  sie  doch  in  meisterhafter  Weise  das 
englische  Recht  der  nachfolgenden  Jahrhunderte  beeinflußt3). 

Die  fides  facta  erscheint  in  mehreren  Zweigen  des  Rechts 
während  der  Periode  nach  der  normannischen  Eroberung,  gleichwie 
uns  der  ältere  Formal-  oder  Wettvertrag  in  verschiedenen  Zweigen 
des  angelsächsischen  Rechtes  entgegentrat4). 

Die  fides  facta  im  öffentlichen  Recht.  1.  Wir  finden  sie 
in  Verbindlichkeiten  politischen  oder  öffentlichen  Charakters. 
William  Rufus.  in  Furcht,  daß  Lanfranc  ihm  die  kirchliche  Weihe 
verweigern  würde,  versprach  ihm  fide  sacramentoque  Gnade, 
Gerechtigkeit  und  Billigkeit  walten  zu  lassen.  William  of  El.v, 
Johanns  Kanzler,  unterstützt  durch  das  gegebene  Wort  (plighted 
faith)  einiger  Anhänger  des  Ersteren,  versprach  gewisse  Burgen 
zu  übergeben.  König  Heinrich  III.  war  es,  der  seine  eigene 
Person  verpfändete  fide  et  juramentis,  daß  er  gewisse  von  ihm 
bereits  verliehene  Rechte  (grants)  nicht  zurücknehmen  würde4). 
1.  Die  fides  facta  (pledge  of  faith)  tritt  im  Laufe  des  Prozesses 


')  Siehe  oben  S.  611— 113. 

*)  Siehe  Pollock  und  Maitland,  Hist.  Eng.  Law.,  11,  S.  202. 

3)  Hier  ist  z.  H.  zu  beachten  der  Einfluß  der  fides  facta  auf  das 
englische  Billigkeitsrecht  (Equity).  Siehe  Pry,  Specific  Performance  and 
Laesio  Pidei,  L.  y.  R.,  V,  S.  241. 

*)  Für  das  angelsächsische  Hecht  siehe  oben  S.  69 — 113. 
s)  Siehe  Pry  a.  a.  0.,  S.  238.  Siehe  auch  Pollock  and  Maitland 
a.  a.  O.,  II,  S.  190,  191. 


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151 


auf.  Ein  Beauftragter  (essoiner),  der  abgeschickt  wurde,  jemand, 
der  vor  Gericht  geladen  war,  dort  zu  entschuldigen,  versprach 
durch  fides  facta  die  geladene  Person  zur  rechten  Zeit  zur 
Stelle  zu  bringen  und  daß  der  Geladene  dann  persönlich  seine 
Entschuldigung  Vorbringen  und  durch  seinen  Eid  die  von  dem 
Beauftragten  jetzt  abgegebene  Erklärung  beglaubigen  würde.  Die 
fides  facta  kommt  auch  in  der  Praxis  des  Schatzkanzleramtes 
(Exchequer)  vor.  Der  Inhaber  eines  Kronlehens  (tenant  in  capite) 
erhielt  weitere  Stundung  seiner  Zahlung,  indem  er  persönlich  oder 
durch  die  Hand  seines  Verwalters  (steward,  oeconomicus),  sein 
Wort  gab  (fides  facta),  daß  er  Zahlung  an  das  Schatzkanzleramt 
(Exchequer)  leisten  würde,  sodald  der  Sheriff  seinen  Bericht 
(account)  abgefaüt  haben  würde.  In  solchem  Falle  mußte  der 
Schuldner  (tenant)  oder  sein  Verwalter  (steward)  seine  Hand  in 
Gegenwart  aller  Prozessierenden  (suitors)  vor  dem  Grafschafts- 
gericht in  diejenige  des  Sheriffs  legen.  Ein  Grundherr,  der  sich 
der  Zahlungsversäumnis  schuldig  machte,  wurde  im  Schatzkanzler- 
amte (Exchequer)  zurückgehalten,  solange  als  die  Sitzung  dauerte, 
und  er  mußte  sich  verpflichten  fide  data  in  manu  mareschalli, 
daß  er  sich  ohne  Erlaubnis  der  Richter  (barons)  nicht  weiter  als 
drei  Meilen  von  der  Stadt  entfernen  würde.  Verweigerte  er  auch 
in  der  Folge  die  Zahlung,  so  wurde  er  zurückgehalten  sub  libera 
custodia.  Pro  fide  laesa  konnte  aber  ein  Soldat  oder  ein 
Verwalter  (steward)  mit  Gefängnis  bestraft  werden '). 

Bei  Betrachtung  dieses  Gegenstandes  müssen  wir  darauf  achten, 
daß  das  wed  und  die  fides  facta  in  dem  Rechtsgange  dieser 
Periode  viel  von  ihrem  alten  vertragsmäßigen  Charakter  verloren 
haben.  Pollock  and  Maitland  sagen  bei  Besprechung  des 
Rechtes  dieser  Periode  *) : „Within  a sphere  raarked  out  for  it  by 
ancient  law,  the  symbolic  wed  was  still  used.  This  sphere  we 


')  Bracton,  f.  337,  338:  Fry  a.  a.  0.,  S.  237,  238.  Bracton  f. 
337  b,  338:  Ideo  aftidabit  essoniator  qtiod  babcbit  dominum  suum  ad  alium 
dicm  ad  warrantizandum  dictum  4c  cssonium  suum,  4c  ad  probandum  pur 
sacramuntum  quöd  tali  iiifinnitatu  detcntus  fuit  . . . Sieb«  ferner:  Mait- 
land, The  Court  Baron  (Seid.  Soc.),  S.  16 — 18:  Carter,  English  Legal 
History,  8.  1. 

*)  Pollock  and  Maitland,  Hist.  Eng.  Law,  II.  S.  202. 


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15*2 


may  call  tlint  of  the  ,procedural  contract1  made  in  the  course  nl 
litigation,  the  contract  to  appear  before  the  court,  the  contract 
to  abide  by  and  fulfil  its  award.  By  this  time  justice  had  grown 
so  strong  that  these  engagements  were  hardly  regarded  as  con- 
tracts : but,  least  in  theory,  men  found  gage  as  well  as  pledge 
lor  their  appearance  in  court,  and  when  they  were  there  they 
,waged*  battle,  or  ,waged‘  their  law,  or  ,waged*  an  amerceinent, 
by  the  delivery  of  a glove  or  some  other  symbol.  In  the  exche- 
(juer  and  in  other  courts  men  were  constantly  pledging  their  faith 
(atfidare)  that  essoius  would  be  warranted,  that  pleas  would  be 
prosecuted  and  the  like;  but  they  were  ceasing  to  think  that  in 
such  cases  the  court's  power  to  punish  a defaulter  was  given  to 
it  by  agreeinent 

Die  fides  facta  kommt  auch  im  Privatrechte  vor.  1.  Wir 
finden  sie  im  Immobilarrecht  in  Verbindung  mit  dem  maritagium, 
d.  h.  Land,  welches  einer  Frau  als  Heiratsgut  mitgegeben  wurde. 
Wenn  das  Land  als  maritagium  servitio  obnoxiuin  übergeben 
wurde,  war  der  Mann  und  die  Erben  der  Frau  dem  Grundherrn 
Dienst  schuldig,  aber  ohne  Verpflichtung  zur  Huldigung  (homage) 
bis  zum  dritten  Erben.  Nichtsdestoweniger  waren  jedoch  die  Frau 
und  ihre  Erben  dem  Grundherrn  Lehnstreue  (fidelity)  sub  fidei 
vel  sacramenti  in terposit  ione  schuldig,  was  praktisch  in  den- 
selben Worten  wie  die  Huldigung  (homage)  zum  Ansdruck  kam*). 
Wiederum  gestatteten  die  Gerichte  des  gemeinen  Rechtes  im  Falle 
des  maritagium  eine  Ausnahme  von  der  Regel  des  gemeinen 
Rechts,  daß  selbst  wenn  fides  facta  (fidei  interpositio)  vorlag, 
um  eines  weltlichen  Lehens  llay  feei  willen  nicht  vor  dem  geist- 
lichen Gerichte  geklagt  werden  konnte.  Wollten  die  Frau  oder 
ihre  Erben  das  Land  von  einem  Fremden  zurückerhalten,  st)  mußte 
• die  Klage  vor  dem  weltlichen  Gerichte  (lay  court)  anhängig  ge- 
macht werden : handelte  es  sich  jedoch  nicht  um  eine  Klage  gegen 
einen  Fremden,  sondern  um  eine  solche  auf  Herausgabe  seitens  des 

')  Wenn  der  Sheriff  vom  Gericht  aufgefordert  wird:  Pone  per  va- 
dium et  sbIvob  p legi os,  so  nimmt  er,  wie  cs  scheint,  nur  die  letzteren, 
d.  h.  die  bürgen.  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  11,  S.  203,  Anm.  I. 

*)  Glanvill,  VII,  c.  18:  Fry , a.  a.  ()..  S.  236.  Siehe  Bornes, 
Translation  of  Glanville,  Beates  Ausgabe,  8.  157,  Anm.  5. 


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153 


Belehners  (donor)  oder  dessen  Erben,  dann  hatte  der  Kläger  die  Wahl 
vor  dem  weltlichen  oder  vor  dein  geistlichen  Gerichte  zu  klagen; 
gegen  die  Jurisdiktion  des  letzteren  machte  das  königliche  Gericht 
keine  Einwendung l).  2.  Fides  facta  (fidei  interpositio,  pledge 
of  faith)  kam  vor  bei  Privatgeschäften  verschiedener  Art.  Wenn 
jedoch  die  fides  facta  der  einzige  Beweis  einer  Schuldforderung 
(debt)  war,  so  war  dem  Gläubiger  keine  Möglichkeit  geboten, 
den  Prozeß  vor  den  Gerichten  des  gemeinen  Beeiltes  zu  ge- 
winnen *). 

In  der  Tat  scheinen  die  Gerichte  des  gemeinen  Rechts,  von 
einer  fidei  laesio  absolut  keine  Notiz  genommen  zu  haben,  aus- 
genommen wo  es  sich  um  ein  maritagium  oder  um  Vorgänge 
handelte,  die  vor  das  Exchequer-Gericht  gehörten  und  von  denen 
wir  im  Vorstehenden  gesprochen  haben3).  Die  geistlichen  Gerichte 
scheinen  jedoch  die  Jurisdiktion  über  Kontrakte  in  den  folgenden 
Fällen  beansprucht  zu  haben:  1.  Wenn  einer  der  Kontrahierenden 
Geistlicher  war;  2.  wenn  ein  Eid  geschworen  worden  war;  und 
3.  wenn  eine  fidei  interpositio  vorlag.  Wenn  die  durch  Eid 
oder  fides  facta  übernommene  Verpflichtung  verletzt  worden  war, 
so  scheint  die  Jurisdiktion  des  geistlichen  Gerichtes  durch  Er- 
mahnung (admonition),  Auferlegung  von  Buße  (penance)  und  wenn 
die  Partei  den  Anordnungen  des  Gerichtes  den  Gehorsam  ver- 
weigerte. selbst  durch  Exkommunikation  ausgeübt  worden  zu  sein. 
Aber  in  allen  den  Fällen,  wo  die  geistlichen  Gerichte  die  Juris- 
diktion beanspruchten,  trotzdem  es  sich  um  nicht  kirchliche  An- 
gelegenheiten handelte,  haben  die  weltlichen  Gerichte,  mit  Aus- 


')  Glanvill,  VII,  c.  18:  Fry,  a.  a.  0.,  S.  236,  237. 

*)  Siehe  Fry,  a.  a.  O.,  S.  237,  240.  Vergleiche  Phillips,  Englische 
Reichs-  und  Hechtsgeschichte,  II,  S.  22.7,  226,  uud  die  Erörterung  von 
Pollock  and  Maitland,  Hist.  Engl.  Eaw.,  II,  8.  184  —233. 

5)  Fry,  a.  a.  0.,  S.  239,  scheint  Ihr  den  Augenblick  das  maritagium 
außer  Acht  gelassen  zu  haben,  wenn  er  sagt:  „In  England,  with  the  single 
exception  of  the  proceedings  in  the  Eichequer  to  which  I have  referred,  I 
cannot  lind  that  any  lay  Court  took  any  cognizance  of  a fidei  laesio,  wbilst 
the  Canon  Law  . . .•  Fry  selbst  jedoch  hatte  kurz  vorher  das  maritagium 
als  eine  Ausnahme  von  der  allgemeinen  Kegel  des  gemeinen  Rechtes  erörtert. 
Siehe  a.  a.  0.,  S.  236,  237. 


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154 


nähme  der  eben  erwähnten  Fälle,  dagegen  ein  Verbot  (prohibition) 
erlassen  ’). 

Infolge  davon  entstand  dann  ein  großer  Streit  zwischen  der 
Gerichtsbarkeit  der  Kirche  und  derjenigen  des  Staates.  Es  war 
kein  Streit,  wo  es  sich  uin  die  Frage  handelte,  oh  die  eine  oder 
die  andere  Macht  gänzlich  ausgeschlossen  werden  sollte.  Vieles 
wurde  vom  Staate  als  rechtmäßig  zur  Jurisdiktion  der  Kirche,  . 
vieles  von  der  Kirche  als  zu  Recht  vor  die  weltlichen  Gerichte 
gehörend  anerkannt  *).  Doch  gab  es  viele  Fragen,  die  von  keiner 
von  beiden  Seiten  der  anderen  zugesprochen  wurden,  weder  von 
Heinrich  der  Kirche,  noch  von  Hecket  dem  Staate,  und  die  wirk- 
lich hochwichtige  fundamentale  Frage  war  die,  wer  in  solchen 
zweifelhaften  Fällen  darüber  zu  entscheiden  hatte,  wo  der  Fall 
verhandelt  werden  sollte5).  Die  Kirche  verlangte  die  Jurisdiktion 
in  allen  den  Fällen,  wo  es  sich  um  Verletzung  des  Eides  oder 
um  fides  facta  handelte,  gegen  welches  Verlangen  sich  der  Staat 
entschieden  widersetzte. 

Mit  der  Geschichte  dieses  Streites  über  Eid  und  fides  facta 
können  wir  uns  weiter  nicht  befassen,  und  ist  dies  auch  für 


’)  Bracton,  f.  40fib,  407:  Fry,  a.  a.  ().,  S.  239.  Glanvill,  X,  12: 
IM«  autein  statuta,  debitore  apparente  in  curia,  crcditor  ipsc  si  non  habest 
indc  vadium  nec  plegios  nec  aliam  diracionationcm  nisi  solam  fidcm,  nulla 
cst  liacc  probatio  in  curia  Domini  Iiegis.  Vcrumtamen  de  lidei  lesione  vcl 
transgrossione  indc  agi  poterit  in  curia  Christianitatis.  Sed  judex  ipsc 
ccclesiasticus,  licet  super  criminc  tali  possit  cognoscerc  ut  convicto  poeni- 
tentiam  vcl  satisfactionem  injungerc:  placita  tarnen  de  debitis  laicorum  vcl 
de  tenementis  in  curia  Christianitatis  per  assisaui  regni.  rationc  lidei  inter- 
positae,  tractare  vcl  terminare  non  potest.  Beispiele  von  Untersagungen 
(prohibitions)  sind  zu  linden  in  Bracton's  Note  Hook.  Fry,  a.  a.  0.,  8.  239, 
weist  darauf  hin,  daß  wenn  die  Ansprüche  der  geistlichen  Gerichte  aner- 
kannt worden  wären,  sic  schließlich  die  Jurisdiction  über  fast  alle  Dinge 
des  gewöhnlichen  Lebens  an  sieb  gerissen  haben  würde. 

’J)  Die  Doktrin  der  königlichen  Richter  drückte  sich  dahiu  aus.  daß 
nur  Angelegenheiten  religiöser  Natur  (spiritual  matters)  unter  die  Juris- 
diction der  geistlichen  Gerichte  gehörten.  Siehe  die  Stellen  citicrt  von 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  201,  Annt.  5.  Dies  scheint  testa- 
mentarische und  Khesachen  eingeschlossen  zu  haben.  Siehe  Pollock  and 
Maitland  a.  a.  0.,  S.  202. 

’)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  198. 


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155 


unseren  gegenwärtigen  Zweck  unnötig ').  Es  genügt  hier  zu 
zeigen , daß  der  Formalvertrag  nach  Kirchenrecht  geschlossen 
wurde  1.  durch  Eid,  oder  2.  durch  fides  facta,  die  Verpfändung 
seines  christlichen  Glaubens  seitens  des  Versprechenden.  Obgleich 
der  Eid  und  die  fides  facta  zuweilen  sich  sehr  ähnlich  sehen 
mögen,  müssen  sie  nichtsdestoweniger  doch  scharf  auseinander 
gehalten  werden s).  Eide  mußte  es  geben ; aber  die  Kirche  war 
froh,  eine  bindende  Vertragsform  zu  besitzen,  der  der  christliche 
Glaube  zu  Grunde  lag,  die  aber  trotzdem  kein  direkter  Eid  war  *). 

Die  fides  facta  wurde  zuweilen  von  dem  Beteiligten  selbst, 
zuweilen  aber  auch  von  seinem  Stellvertreter  betätigt.  Die  fides- 
Verpfandung  kann  durch  den  Beteiligten  selbst  in  Gemeinschaft 
anderer,  die  sich  zu  seinen  Mitbürgen  erbieten,  geschehen. 
Manchmal  werden  Zeugen  herbeigerufen;  zuweilen  auch  die  formelle 
Zeremonie  vor  dem  Grafschaftsgericht  oder  einer  anderen  bekannten 
Körperschaft  vorgenommen 4). 

Die  fides  facta  wird  gewöhnlich  durch  eine  manuelle  Hand- 
lung betätigt;  oft  besteht  diese  im  Handschlag4).  Das  Gelübde 
(faith)  wird  bald  auf  dem  Altar  niedergelegt,  bald  in  die  Hände 
eines  Dritten,  eines  Bischofs,  eines  Abtes,  eines  Sheriffs  oder  eines 


•)  Bio  beste  Darstellung  des  Streites  ist  bei  Pollock  and  Maitland . 
a.  a.  0.,  II,  c.  V,  xu  finden.  Siehe  Blackstone,  1.  Auflage.  IV,  c.  IV. 

J)  Fry,  a.  a.  O.,  S.  238;  ,Tlie  plighted  faith  was  not  an  oath:  souie- 
tiincs  it  was  the  alternative  for  an  oath:  sometitnes  thc  oath  and  the 
plighted  faith  werc  both  given.  But  so  closely  did  the  two  things  get  toge- 
ther  in  practice  that  the  Word  which  the  mcdiaeval  writers  use  to  describe 
timt  a man  had  plighted  his  faith  — aflidavit  — we  use  to  describe  the 
fact  that  a man  has  sworn.“  Siehe  auch  Pollock  and  Maitland.  a.  u.  0., 
II,  8.  189,  190. 

3)  Siche  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  189. 

*)  Fry,  a.  a.  O.,  S.  238. 

4)  Fry,  a.  a.  0.,  R.  238:  Pollock  and  Maitland,  II,  S.  188,  191, 
192,  202;  Blackstone,  11,  448.  Pollock  and  Maitland  sagen  über  den 
Handschlag  a.  a.  0.,  S.  188:  „It  is  possible  to  rcgard  this  as  a relic  of  a 
morc  elaboratc  ceretnony  by  which  sonte  material  wed  passed  front  Itand 
to  hand:  but  thc  mutuality  of  thc  hand-grip  secuts  to  makc  against  this 
explanation.  We  think  it  more  likely  that  the  protnisor  prolfered  his  hand 
in  the  nante  of  hintself  and  for  the  purpose  of  devoting  himself  to  thc  god 
or  the  godess  if  bc  broke  faith.“ 


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156 


Verwalters  (steward)1).  Zuweilen  wird  die  fides  direkt  in  die 
Hand  des  das  Versprechen  entgegennehmenden  und  nicht  in  die 
Hand  eines  Dritten  niedergelegt,  und  in  diesem  Falle  vermischt 
siel;  die  Zeremonie  mit  derjenigen  des  gegenseitigen  Hand- 
schlags a). 

Wie  war  es  aber  in  dem  Falle,  wo  der  manuelle  Akt,  der 
die  fides  facta  begleitete,  den  Heistand  von  drei  Personen  er- 
forderte? Im  alten  germanischen  Rechte  machte  die  fides  facta 
den  Bürgen  zum  Hauptschuldner  und  in  der  Tat  zum  einzigen 
Schuldner  des  Gläubigers,  dann  der  Besitz  des  wed  seitens  des 
Bürgen  berechtigte  den  Letzteren,  den  wirklichen  Schuldner  zur 
Zahlung  zu  zwingen3).  Aber  in  dem  Zeitraum,  der  hier  in  Betracht 
kommt,  nimmt  die  dritte  Person,  zuweilen  genannt  fideiussor, 
keine  Haftung  (legal  liability)  für  das  Versprechen  aut  sich.  Hin 
und  wieder  wurde  von  dem  Versprechenden  Gott  als  Bürge  an- 
getragen und  in  dieser  Form  scheint  der  Vertrag  die  alte  Gott- 
Verbürgung  (god-borh)  der  angelsächsischen  Zeit  zu  sein*). 
Aber  in  den  meisten  Fällen  war  der  mediator  oder  fideiussor, 
wie  wir  eben  gesehen  haben5),  eine  mit  Amtsgewalt  ausgerüstete 
Person,  ein  Bischof  oder  ein  Sheriff,  die  den  Versprechenden  durch 
die  ausübende  Gewalt  ihres  Amtes,  z.  B.  durch  eine  kirchliche 
Rüge  (censure)  oder  durch  eine  von  weltlicher  Seite  verfügte 
Pfändung  zwingen  konnte,  das  in  ihre  Hände  niedergelegte  formelle 
Versprechen  (fides  facta)  einzulösen6). 

')  Siehe  Fry,  a.  a.  0.,  S.  ‘237:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II, 
8.  18!)— 132,  197,  198. 

*)  Pollock  and  Maitland  a.  a.  O.,  II,  S.  191,  192. 

*)  Siche  oben,  S.  69ff. : Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  191. 

4)  Siche  unsere  Erörterung  oben  S.  95,  9fi. 

3)  Siche  oben  S.  151. 

6)  Pollock  and  Maitland,  a a.  0.,  II,  S.  191,  197,  198. 


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157 


Zweites  Kapitel. 

Oer  neue  Formalvertrag.' 

Die  fides  facta  mit  ihrem  Handschlag,  ihrer  Übergabe  des 
Stabes  (rod)  oder  des  Handschuhes  und  anderen  Förmlichkeiten 
möge  wohl  ihre  Bedeutung  vor  den  kleineren  lokalen  Gerichts- 
höfen (local  courts)  des  Mittelalters  gehabt  haben,  aber  sie  wurde 
nicht  zum  Fonnaivertrag  des  gemeinen  englischen  Beeiltes ').  Das 
klassische  englische  Vertragsrecht  muß  in  der  Geschichte  ver- 
schiedener Klagen  verfolgt  werden,  ganz  besonders  in  den  Klagen 
genannt:  Debt,  Covenant,  Account  und  Assumpsit.  Jedoch  können 
wir  auf  diese  Geschichte  hier  nicht  eingehen,  denn  sie  ist  zu  lang 
und  zu  verwickelt*).  Es  genügt  hier  anzuführen,  daß  die  drei 
Vertragsforinen  des  englischen  gemeinen  Rechtes,  deren  Wurzeln 
bis  tief  ins  Mittelalter  reichen,  wie  wir  bereits  oben  erwähnten, 
die  folgenden  sind:  1.  der  contract  of  record,  2.  der  simple  con- 
tract,  und  3.  der  contract  ander  seal :t).  Die  erste  dieser  drei 
Vertragsformen  werden  wir  hinreichend  bei  Besprechung  der  Hypo- 
thek berücksichtigen4).  Die  beiden  anderen  wollen  wir  hier  unter 
Bezugnahme  auf  die  spätere  Entwickelung  des  englischen  Formal- 
vertrages kurz  erörtern5). 

I.  Der  nicht  formelle  Vertrag  (simple  contract). 

Zuerst  müssen  wir  bemerken,  daß  zur  Zeit  Glanvills  nicht 
jener  Unterschied  zwischen  dinglichen  und  persönlichen  Rechten 

■)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S,  202,  203,  219.  Siehe  auch 
Phillips,  Englische  Reichs-  und  Rechtsgeschichte,  II,  8.  225,  226:  Mait- 
land, The  Court  Baron  (Seid.  Soc.),  S.  116,  und  was  Pollock  and  Mait- 
land, a.  a.  O.,  S.  202,  sagen  betreffs  des  Glanvill'schen  Pfandes  in  dieseui 
Zusammenhänge. 

a)  Bezüglich  der  Geschieht«  dieser  Klagen  siehe  Ames,  Hist,  of 
Assuuipsit,  HLR..  II,  8.  1,  53:  Jetiks,  Consideration : Salinond,  Essays 
in  Jurisprudence  and  Legal  History,  S.  174 — 224:  Pollock  and  Maitland, 
a.  a.  O.,  11,  S.  203—233:  Pollock,  Principles  of  Contract,  5.  Aufl.,  S.  131  — 144. 
Siohe  auch  eine  kurze  Bezugnahme  auf  diese  Klagen  in  unserer  Einleitung, 
oben  S.  33—  37. 

J)  Siehe  oben  S.  38,  149. 

*)  Siehe  unten  im  dritten  Teil. 

5)  Siehe  auch  unsere  Einleitung,  oben  S.  37,  38. 


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ir>8 


(real  and  personal  rights)  und  zwischen  dinglichen  und  per- 
sönlichen Klagen  (real  and  personal  actions)  existierte,  wie  in 
dem  Rechtssystem  späterer  Zeiten.  In  den  Worten  Pollocks 
and  Maitlands:  „The  hold  crudity  of  archaic  thought  equates 
the  repayment  of  an  equivalent  sum  of  money  to  the  restitution 
of  specific  land  or  goods.  To  all  appearance  our  ancestors  could 
not  conceive  credit  under  any  other  form.  The  claimant  of  a debt 
asks  for  wliat  is  his  own“.  Und  so  kam  es,  daß  die  Schuldklage 
(Debt)  eine  dingliche  (proprietary)  Klage  war  und  es  existierte  keine 
dingliche  (proprietary)  Klage  für  die  Wiedererlangung  einer  be- 
weglichen Sache  im  strikten  modernen  Sinne  von  Dinglichkeit 
(proprietary) '). 

Der  Jude  aber  und  der  lombardische  Kaufmann  lehrten  dem 
englischen  Volke  Geld  zu  verleihen  und  beim  Verkaufe  von  Waren 
Kredit  zu  geben;  die  Klage  Action  of  Debt  wurde  nach  und  nach 
immer  weniger  dinglich  und  durch  diese  Tendenz  kommt  das 
Streben  nach  einer  persönlichen  Verbind liclikeit  mit  der  Zeit  immer 
mehr  zum  Ausdruck.  „Debt“,  die  Idee  einer  persönlichen  Ver- 
pflichtung (persona]  Obligation),  trennt  sich  langsam  vom  „detinue“, 
der  Auffassung  des  dinglichen  Rechtes  (proprietary  right)*). 
Commodatum  und  mutuum  fangen  an  statt  eines  zwei  ver- 
schiedene Dinge  zu  bedeuten3). 

Die  Klage  Aktion  of  Debt  entsprang  gewöhnlich  einem  Dar- 
lehensgeschäfte, aber  sie  diente  auch  dazu,  den  Preis  für  verkaufte 
Waren  zu  erhalten.  Glanvills  Schilderung  des  Vertragsrechts 
war  rein  germanisch,  trotz  einiger  römischer  Phrasen,  und  er  be- 
richtet uns,  daß  wenn  jemand  einen  rechtlich  bindenden  Verkam 
abschließen  wollte,  entweder  die  Ware  fibergeben,  volle  oder  Teil- 


')  Pollock  and  Maitland  a.  a.  O.,  II,  S.  204.  205.  Die  gleiche  An- 
sicht Hullern  Holmes,  The  Common  Law,  S.  2 52  und  Salmond  a.  a.  0., 
S.  175.  Diese  Ansicht  scheint  die  allgemein  verbreitete  bczgl.  des  alten 
deutschen  Rechtes  zu  sein,  obgleich  Heuslcr  in  seinen  Institutionen,  I, 
S.  377— 3!)ß,  entschieden  die  entgegengesetzte  Meinung  vertritt. 

’)  Sobald  in  der  Klage  Detinue  ein  Urteil  ergangen  war,  stand  es  dem 
Beklagten  frei,  zwischen  einer  Rückgabe  des  geliehenen  Gegenstandes  und 
der  Zahlung  einer  entsprechenden  Summe  zu  wählen.  Pollock  and  Mait- 
land a.  a.  ().,  II,  S.  206. 

3)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  206,  207. 


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159 


Zahlung  erfolgen  oder  ein  Draufgeld  (eamest) ')  gegeben  werden 
mußte.  Die  Zeugen  bei  der  Handlung  (transaction  witnesses)  aus 
der  angelsächsischen  Zeit  sind  fast  ganz  verschwunden  mit  dem 
Aufgeben  der  Vorsichtsmaßregeln  (collateral  precaution),  zu  welchem 
Zwecke  sie  ursprünglich  da  waren*). 

In  dieser  frühen  Zeit  des  englischen  Rechtes  war  das  Drauf- 
geld (eamest)  kein  Teil  der  Kanfsumme.  Wie  nach  altem  deutschen 
Rechte,  war  es  eine  von  dieser  getrennte  bestimmte  Zahlung  an  den 
Verkäufer,  um  diesen  davon  abzuhalten,  den  fraglichen  Gegenstand 
an  einen  anderen  zu  verkaufen  oder  zu  übergeben.  Verfehlte  in 
den  Tagen  Glanvills  der  Käufer,  das  Geschäft  perfekt  zu  machen, 
so  resultierte  hieraus  nur  der  Verlust  des  Draufgeldes;  und  ob- 
gleich der  Verkäufer  kein  Recht  hatte,  vom  Geschäft  zurückzu- 
treten, so  ist  aus  Glanvills  Darstellungen  doch  nicht  zu  ersehen, 
welche  Ruße  (penalty)  darauf  ruhte.  Bracton  und  Fleta  sagen, 
daß  bei  einem  Zurücktreten  vom  Geschäft  seitens  dos  Verkäufers 
Zurückzahlung  der  doppelten  Draufgeldsumme  die  Folge  war. 
Fleta  meint,  daß  die  lex  inercatoria  den  Verfall  von  fünf 
Shilling  für  jeden  Farthing  des  Draufgeldes  vorschrieb.  Hier- 
durch wird  das  Abschließen  von  Verträgen  so  gut  wie  unmöglich 
gemacht,  und  es  ist  in  der  Tat,  nach  den  Worten  Pollocks  und 
Maitlands,  „among  the  merchants  that  the  giving  of  eamest  first 
loses  its  old  character  and  becomes  a form  which  binds  both  buyer 
and  seller  in  a contract  of  sale“.  In  England,  wie  im  ganzen 
westlichen  Europa  wird  das  Draufgeld  zum  denarius  Doi;  und 
Eduard  I.  bestimmt  in  seiner  Carta  Mercatoria,  daß  bei  Ge- 
schäften zwischen  Kautleuten  der  denarius  Dei  so  bindend  wirken 
soll,  daß  keine  der  Parteien  vom  Vertrag  zurücktreten  kann.  Das, 


■)  Obgleich  der  Ursprung  des  Wortes  eamest  er  ernes  ziemlich  in 
Dunkel  gehüllt  zu  sein  scheint,  so  ist  derselbe  möglicherweise  doch  durch 
die  Formen  arles,  erles,  ernes,  auf  das  Wort  arrula,  einem  Diminutiv 
von  arra  znrückzufnhren.  Siche  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  11, 
S.  208,  Anm.  2. 

*)  Glanrill,  X,  14;  Pollock  and  Maitland  a.  a.  0.,  II.  S.  207. 
Siehe  Glasson,  Histoirc  du  droit  et  des  institntions  de l'Angleterre.  II, 
S.  305  — 31!l.  Pollock  and  Maitland  sagen  a.  a.  O.,  11,  S.  207,  Anm.  3, 
daß  Bracton,  f.  til  b,  fast  den  gesamten  GlanvilTschen  Text  in  seine  Kr- 
örterungen  aufgenommen  bat. 


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180 


was  ehemals  lex  mercatoria  war,  wurde  später  in  England  die 
englische  lex  commune'). 

Zur  Zeit  Eduards  I.  scheint  der  Zweck  der  Klage  Action  of 
Debt  hauptsächlich  gewesen  zu  sein  1.  ausgeliehenes  Geld,  2.  den 
Preis  für  verkaufte  Waren,  3.  rückständige  Rente  aus  Verpachtung 
auf  Jahre  (leases  for  years),  höchst  selten  dagegen  um  rückständige 
Rente  aus  Freehold-Besitz  einzutreiben:  ferner  4.  um  fälliges  Geld 
von  einem  Bürgen  und  5.  um  den  Betrag  einer  Schuld  auf  Grund 
einer  gesiegelten  Schuldanerkennung  zu  erhalten.  Trotzdem  gab 
es  keine  Theorie,  welche  diese  Klage  auf  die  vorstehenden  Fälle 
beschränkte  und  das  Vorliegen  einer  vertragsmäßigen  Verbindlich- 
keit war  nicht  gerade  notwendig,  und  es  dauerte  nicht  lange,  so 
wurde  sie  angewandt,  wenn  immer  jemand  einem  anderen  eine 
feste  Summe  („sum  certainu)  schuldete.  Sehen  wir  aber  für 
unseren  gegenwärtigen  Zweck  nicht  allein  von  der  Klage  gegen 
einen  Bürgen  mit  ihrer  besonderen  Geschichte  der  Geißeln  und 
des  Formalvertrags  durch  weds),  sondern  auch  von  dem  Ver- 
sprechen unter  Siegel,  von  dem  später  die  Rede  sein  wird,  ab, 
so  finden  wir,  daß  die  Klage  Action  of  Debt  in  solchen  Fällen 
erhoben  werden  kann,  wo  der  Beklagte  etwas  — irgend  einen 
Gegenstand  — von  dem  Kläger  erhalten  hat.  Wahrscheinlich 
fielen  auch  geleistete  Dienste  in  dieselbe  Kategorie  wie  verkaufte 
und  gelieferte  Waren.  Am  Ende  des  13.  Jahrhunderts  scheint 
die  Klage  Action  of  Debt  auf  alle  Fälle  beschränkt  worden  zu  sein, 
wo  der  Kläger  dem  Beklagten  irgend  einen  Dienst  geleistet  oder 
letzterer  einen  materiellen  Gegenstand  vom  Kläger  erhalten  hat, 


')  Bracton,  f.  61b,  62:  Pollock  and  Maitland  a.a.O.,  II,  S.  208,  209. 

Entgegen  der  Ansicht  von  Sir  Edward  Fry  äußern  sich  Pollock 
and  Maitland  a.  a.  <>.,  II,  S.  208,  Anm.  2,  daß  die  Bestimmungen  über  das 
l*raufgeld  bei  (Ilanvill  und  Bracton  nicht  aus  den  römischen  Rechtsbfichern 
übernommen  wurden. 

Es  ist  möglich,  daß  in  gewisser  Hinsicht  die  lex  mercatoria  in 
England  „tonk  a more  liberal  and  modern  view  of  contractual  Obligation 
than  that  which  was  taken  by  the  common  law“.  Maitland,  Select  Pleas 
in  Manorial  and  Seignorial  Courts  (Seid.  Soc.),  I,  S.  132.  Siehe  über  die 
lex  mercatoria  in  England  Carter,  Early  History  of  the  Law  Merchant 
in  England,  LQR.,  XVII,  S.  232  ff.,  und  Carter,  History  of  English  Legal 
Institutions,  S.  250—270. 

>)  Siehe  oben  S.  69  ff.,  150  ff. 


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161 

und  wo  in  der  Tat  der  Anspruch  auf  eine  feste  Summe  lautete '), 
wennschon  jedwede  Doktrin  bezüglich  eines  quid  pro  quo  einer 
späteren  Generation  von  Rechtsgelehrten  Vorbehalten  war. 

Für  die  Advokaten  zu  Glanvills  und  ßractons  Zeiten  war  das 
bloße  Versprechen  kein  Klagegrund  (ground  of  action).  Die 
causae  debendi  der  Advokaten  waren  Rechtsgeschäfte,  wie  Dar- 
lehen, Verkauf  und  ähnliches,  nicht  bloße  Versprechen  *).  Spätere 
Theoretiker  fanden,  daß  das  allgemeine  Element  in  diesen  legi- 
timae  causae  debendi  das  sei,  was  sie  quid  pro  quo  nannten 
und  die  englischen  Gerichtshöfe  hielten  sich  strikte  an  das  gemein- 
giltige  Prinzip  des  alten  germanischen  Rechtes  im  Allgemeinen  *), 
daß  Gaben  ohne  Gegenleistung  (gratnitons  gifts)  sich  rechtlich 
nicht  aufrecht  erhalten  ließen  und  daß  rein  unentgeltliche  Ver- 
sprechen rechtlich  nicht  bindend  waren  und  dies  auch  nicht  sein 
sollten4).  Diese  Doktrin  des  quid  pro  quo  („consideration“)  ist 
bis  auf  unsere  Zeit  die  Doktrin  der  englischen  Juristen  geblieben. 
Ein  nicht  unter  Siegel  gegebenes  Versprechen  muß  durch  eine 
Gegenleistung  (consideration)  Giltigkeit  erhalten,  da  es  sonst  im 
Rechtswege  nicht  aufrecht  erhalten  werden  kann5). 

')  Pollock  and  Maitland,  Hist.  Eng.  Law.  II,  S.  211. 

Glanvill.  X.  3:  Utroqne  vorn  existente  in  Curia,  is,  qui  petit, 
pluribus  cx  cansis  debituni  putcre  potcat,  aut  enim  dubetur  oi  quid  ex  causa 
uilltui , aut  ex  causu  venditionis,  aut  cx  coimnodato,  aut  ex  locnto,  aut  ex 
depositi.  aut  ex  alia  iusta  debendi  causa.  Siehe  Salinond  a.  a.  O.,  S.  217. 

3)  Siebe  von  Ainira,  Xordgermanisches  Obligationsrecht:  Heusler, 
Institutionen,  I,  S.  81;  Schroeder,  DKG.,  S.  G2. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  210 — 214. 

Pollock  and  Maitland,  a.  a.  ().,  S.  213,  An m.  1:  .Tbc  Statement 
current  in  Knglish  books  of  recent  times  tliat  tbe  solemnitr  of  a deed  Im- 
ports consideration*  is  liistorically  incorrect,  bnt  shows  tbe  pcrsistance  of 
tbis  idca“.  Wabrscbeinlicb  würde  ein  rein  unentgeltliches  Versprechen, 
obwohl  unter  Siegel,  im  dreizehnten  Jahrhundert  nicht  einklagbar  gewesen 
sein,  „if  its  gratuitous  charactcr  had  stood  openlv  revealed".  Pollock 
and  Maitland,  a.  a.  O.,  S.  213,  214. 

s)  Die  Geschichte  der  .consideration“  ist  von  neueren  liechtshistorikern 
ausführlich  behandelt  worden.  Siehe  Am  es,  Historj  of  Assuinpsit,  ULK., 
II,  S.  1,  53:  Ileale,  Notes  on  Consideration,  HLK.,  XVIII,  S.  71  ff.:  Jenks, 
Doctrinc  of  Consideration:  Pollock,  l’rinciples  of  Contracts,  5.  Ausg.,  An- 
hang, Anm.  K.:  Pollock,  Afterthoughts  on  t’onsideration,  I.QK.,  XVII,  S.  415: 
Esinein,  Un  chapitrc  de  Phistoire  des  contracts  en  droit  anglais,  Nouvelle 
revue  historique  de  droit  fraueais  et  etranger,  1893,  S.  555:  Hartmann, 
Hazelttue,  Englisches  l'tancirecht  II 


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1(52 


II.  Der  Formalvertrag  (contract  under  seal). 

Wir  müssen  uns  für  einen  Augenblick  mit  der  Klage  Action 
ol  Covenant  befassen,  wenn  wir  etwas  über  die  Anfänge  des 
Formalvertrages  des  englischen  gemeinen  Rechts,  des  niederge- 
schriebenen und  gesiegelten  Vertrages,  erfahren  wollen. 

Die  Klage  Writ  of  Covenant  (breve  de  conventione)  er- 
scheint im  amtlichen  Protokoll  (rolls)  kurz  nach  der  Veröffent- 
lichung von  Glanvills  Werk  und  zur  Zeit  Heinrichs  III.  war  die 
Anwendung  des  Writ  of  Covenant  bereits  eine  allgemeine.  Es 
wurde  oft  in  Form  eines  Scheinprozesses  zum  Zwecke  der  Über- 
. eignung  von  Land  zur  Anwendung  gebracht,  d.  h.  im  Wege  eines 
endgültigen  gegenseitigen  Übereinkommens  vor  Gericht  (final  eon- 
cord);  und  es  war  das  Rechtsmittel  des  Jahrespiichters  (termor) 
während  der  frühesten  Anfänge  der  Jahres  Verpachtung  (term  for 
years,  lease  for  years,  Verpachtung  auf  Jahre),  zu  welcher  Zeit  man 
dem  Jahrespächter  nur  ein  obligatorisches  Recht  aus  seinem  Ver- 
trage (benefit  of  agreement)  zuschrieb,  aber  nicht  dingliche  Rechte 
(real  rights)  am  Lande  selbst,  und  keinen  Besitz  (seisinor  possession). 
wie  er  dem  Freeholder  zustand.  Später  wurde  es  zu  verschiedenen 
Zwecken  angewandt,  und  da  die  typische  conventio,  die  Ver- 
pachtung auf  Jahre,  langsam  begann  nicht  nur  ein  obligatorisches 
Recht  (personal  right)  zu  bedeuten,  sondern  auch  ein  dingliches 
Recht  (real  right)  am  Lande,  so  dachte  man,  daß  vielleicht  andere 
conventiones  dingliche  Rechte  am  Lande  verleihen  würden. 
Rechte,  die  das  Land  selbst  haftbar  machen  und  Dritten  gegen- 
über bei  einer  späteren  Belehnung  (subsequent  feoffees)  geltend 
gemacht  werden  könnten,  obgleich  das  Statutum  Walliae  vom 
Jahre  12N4  die  Sache  dahin  entschied,  daß  eine  frühere  conventio 
eine  spätere  Belehnung  (feoffment)  nicht  ungültig  machen  kann. 
Das  Writ  war  dehnbar,  da  ihm  strikte  Grenzen  nicht  gezogen 
waren.  Die  königlichen  Richter  konnten  in  der  Tat  „privatae 
conventiones“  auf  Grund  dieses  Writ  als  zu  Recht  bestehend 
erklären.  Die  nachfolgende  Einschränkung  muß  indes  berilck- 

Die  Grundprinzipien  der  Präzis  des  englisch-amerikanischen  Vertragsrechts, 
Archiv  für  die  civilistische  Präzis,  Bd.  77,  S.  161  ff.  Pollock  and  Mait- 
land,  a.  a.  0.,  Amn.  2,  sagen:  „Mr.  Arnes  has  put  tlie  snbject,  from  the 
fifteenth  Century  downwards,  on  a nuw  footing“. 


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163 


sichtigt  werden.  Eine  Schuld  (debt)  muß  aus  irgend  einer  causa 
erwachsen,  aus  irgend  einem  Rechtsgeschäfte  (transaction),  wie 
Darlehen  oder  Verkauf,  und  sie  muß  durch  die  Action  of  Debt 
eingeklagt  werden.  Die  Klage  Action  of  Covenant  kann  von  dem 
Kläger  nicht  anhängig  gemacht  werden,  um  eine  Schuldforderung 
(debt)  einzutreiben,  selbst  wenn  eine  gesiegelte  Urkunde  für  den 
Beweis  der  Schuld  beigebracht  wird  !). 

Die  Formalitäten  des  alten  germanischen  Vertrages,  das  wed, 
das  borh  und  der  Handschlag,  waren  von  den  königlichen  Ge- 
richten, den  Gerichten  des  gemeinen  Rechtes,  verworfen  worden. 
Obgleich  eine  Zeitlang  Ungewißheit  darüber  herrschte,  welche 
Formalität,  wenn  überhaupt  irgend  eine,  an  Stelle  der  alten 
treten  sollte,  und  obgleich  in  England  und  anderswo  Pacta  sunt 
servanda  im  Munde  Vieler  war,  hatten  die  Gerichte  des  Königs 
vor  dem  Tode  Eduards  I.  ein  für  alle  mal  dahin  entschieden, 
daß  nur  dann  das  Recht  aus  einer  conventio  geltend  gemacht 
werden  kann,  wenn  die  conventio  durch  ein  schriftliches  und 
mit  dem  Siegel  der  sich  bindenden  Partei  versehenes  Dokument 
nachgewiesen  werden  kann.  Der  Kläger  mußte  eine  gesiegelte 
Urkunde  („specialty“,  especialte,  aliquid  speciale’;  „deed“, 
fet,  factum)  beibringen,  oder  die  conventio,  auf  die  er  sich 
stützte,  hatte  vor  dem  königlichen  Gericht  keine  rechtliche  Be- 
deutung*). 

Die  vertragsbindende  Handlung  liegt  in  der  Versiegelung  und 
Übergabe  des  Pergamentes.  Dieser  Formalvertrag  der  englischen 
weltlichen  Gerichte  ist  in  der  Tat  nicht  aus  dem  alten  Volksrechte 
hervorgegangen.  Er  war  vom  Continente  nach  England  mit  hin- 
über gebracht  worden.  Das  Siegel  kam  vom  Hofe  der  fränkischen 
Könige.  Das  Dokument  rein  obligatorischen  Charakters  wurde  von 
den  italienischen  Bankiers  in  England  eingeführt3). 

Wir  beobachten  somit  in  England  die  ganz  allmähliche  Ent- 
wickelung und  Umbildung  des  Formalvertrages.  Aus  der  Über- 


')  Pollock  aml  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  216 — 219. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  219,  220. 

3)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.220 — 225.  Mit  diesen  Formal - 
Verträgen  durch  gesiegelte  Urkunde  (deed)  und  amtliche  Protokollierung 
(record)  werden  wir  uns  weiter  befassen,  wenn  wir  die  fioachichtc  der  Hypothek 
in  England  besprechen.  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen  im  dritten  Teil- 

11* 


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lf.4 


gäbe  eines  materiellen  Gegenstandes  (wed)  in  der  frühen  Zeit  der 
Angelsachsen  ist  für  das  Kirchenrecht  das  eidliche  Versprechen 
und  die  fides  facta  und  für  das  weltliche  Recht  die  Siegelung 
und  Übergabe  einer  schriftlichen  Urkunde  zur  bindenden  Form 
geworden.  An  der  allgemeinen  Umwandlung  des  Vertrages  ersieht 
man  den  Übergang  von  der  Naturalwirtschaft  der  Angelsachsen 
zur  Geld-  und  Kreditwirtschaft  einer  späteren  Zeit.  Der  Vertrag, 
der  auf  die  Verhältnisse  eines  Landwirtschaft  treibenden  Volkes 
angepaßt  war,  ist  allmählich  fast  ganz  und  gar  von  den  Formal- 
verträgen verdrängt  worden,  die  besser  geeignet  waren  für  die 
verschiedenen  Verhältnisse  und  Bedürfnisse  eines  Volkes,  das  sich 
mehr  und  mehr  den  Anforderungen  des  eingeführten  Christen- 
tums und  dem  Emporstreben  von  Handel  und  Industrie  anpaßte. 


Zweiter  Teil. 

Das  Mobiliarpfandrecht. 

In  dem  Zeiträume,  welcher  die  Periode  von  der  normanni- 
schen Eroberung  bis  zum  Ende  des  Mittelalters  umfaßt,  erscheint 
das  Mobiliarpfand  1.  als  genommenes  Pfand  (Pfändung.)  und 
2.  als  gegebenes  Pfand. 

Die  eigenmächtige  Pfändung  zeigt  sich  uns  in  zwei  großen 
Klassen  von  Fällen:  1.  in  solchen,  wo  das  Vieh  bei  der  Anrichtung 
von  Schaden  betroffen  und  dafür  genommen  wird  (distress  damage 
feasant)  und  2.  in  solchen,  wo  Mobilien  genommen  werden,  weil 
a)  feudale  Dienste  oder  mit  persönlichen  Leistungen  verbundener 
Grundzins  (feudal  Services  or  rent-service)  und  b)  Erbzins  (rent- 
charge)  im  Rückstände  sind.  Pfändung  von  Mobilien  wird  auch 
vorgenommen  bei  3)  rückständigen  Forderungen  der  Krone  und 
4.  im  Prozeß.  Die  Pfändung  im  Prozeß  ist  für  die  vorliegende 
Abhandlung  nicht  bearbeitet  worden. 


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lt>5 


Erstes  Kapitel. 

Das  genommene  Pfand. 

I.  Retentionsrecht. 

§ 1.  Pfändung  von  Vieh  wegen  Schadenzufügung  an  Grundstücken 
(distress  for  damage  feasant). 

Wir  haben  gesehen,  daß  unsere  angelsächsischen  Quellen  über 
die  Pfändung  von  Tieren,  welche  bei  der  Anrichtung  von  Schaden 
an  Grundstücken  betrotfen  werden,  sehr  dürftig  sind.  Aber  für 
die  Zeit,  welche  jetzt  in  Betracht  kommt,  stehen  uns  reichliche 
Quellen  zur  Verfügung.  Besonders  von  den  klassischen  Schrift- 
stellern des  dreizehnten  Jahrhunderts  (Bracton,  Britton,  Fleta) 
finden  wir  diese  Pfändungsform  eingehend  beschrieben. 

Der  Grundbesitzer  kann  das  Vieh,  welches  seinem  Eigentum 
Schaden  zufügt,  zurückbehalten '),  bis  der  Eigentümer  des  Viehes 
entweder  für  den  zugefügten  Schaden  Ersatz  leistet  oder  Pfand 
und  Bürgschaft  (gage  and  pledge)  bietet,  daß  er  Schadenersatz 
leisten  will*).  Die  Ptandung  geschieht  eigenmächtig  und  ohne 
gerichtliche  Beihilfe. 

Der  Pfändende  muß  naehweisen,  daß  er  das  Vieh  nahm, 
während  es  seinem  Eigentum  tatsächlich  Schaden  zufügte s). 

Der  Betrag  für  Schadenersatz  wird  bestimmt  von  angesehenen 
Männern,  welche  von  dem  Eigentümer  des  Viehes  zu  der  Stelle 
berufen  werden,  woselbst  sich  die  behaupteten  Übertretungen  zu- 
getragen haben4).  Wenn  der  Betrag  für  Schadenersatz  nicht  auf 
diese  Weise  an  Ort  und  Stelle  bestimmt  wird,  so  können  Pfand 
und  Bürgschaft  von  dem  Eigentümer  des  Viehes  dafür  gegeben 

■)  Bracton,  f.  158:  imparcavit  illa.  Britton,  liv.  I,  chap.  XXVIII, 
§9:  celes  bestes  fist  chacer  jekes  a sa  niesoiin  «n  mesine  la  vile,  et  illucs 
leg  detint.  Siehe  den  Fall  in  Select  l’Ieas  in  Manorial  atid  other  Seignorial 
Courts  (Seid.  Soc.),  hrsg.  von  Maitland,  I,  S.  113.  Über  einen  Fall  aus 
den  Jahren  1308 — 9,  wo  ein  Boot  als  damage  feasant  in  einer  aeveral 
lishery  genommen  wird,  siehe  V.  B.  2 und  3 Ed.  II.  (Seid.  Soc.),  hrsg.  von 
Maitland,  S.  78,  79. 

*)  Bracton,  f.  158;  Britton,  liv.  I,  chap.  XXVIII,  §9;  Fleta,  101 
(§25):  Bracton’a  Note  Book,  pl.  1680. 

s)  Bracton,  f.  158:  Britton,  liv.  I,  chap.  XXVIII,  § 11:  Fleta  101 
(§26).  Siehe  Coke  über  Littleton  142a. 

4)  Bracton,  f.  158. 


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werden,  daß  Schadenersatz  geleistet  werden  wird  nach  dem  Anspruch 
seiner  Nachbarn  bei  der  Gerichtsverhandlung.  Die  Bürgen  müssen 
in  solchem  Falle  vermögende  Leute  sein  (distrainable  sureties), 
welche  durch  Pfändung  ihres  Mobiliars  gezwungen  werden  können, 
vor  Gericht  zu  erscheinen  und  für  den  angerichteten  Schaden 
Ersatz  zu  leisten1).  Behält  der  Pfändende  das  Vieh  auch  zurück, 
nachdem  Pfand  und  Bürgschaft  angeboten  worden  ist,  so  macht 
er  sich  eines  vetitium  namii  oder  vee  de  nam  genannten  Ver- 
gehens schuldig  und  kann  durch  eine  von  dem  Eigentümer  des 
Viehes  gegen  ihn  erhobene  Klage  zu  einem  in  barem  Gelde  be- 
stehenden Schadenersatz  gezwungen  werden*). 

Es  scheint  als  ob  das  Vieh,  nachdem  es  gepfändet,  worden 
ist  und  bis  zu  der  Zeit,  wo  es  wieder  an  seinen  Eigentümer 
zurückgegeben  wird,  im  Sinne  des  Gesetzes  gleich  Gegenständen, 
welche  für  rückständige  Dienste  und  Renten  gepfändet  wurden, 
als  in  custodia  legis  betrachtet  wird.  Der  Pfändende  ist  nicht 
der  Besitzer  im  juristischen,  sondern  nur  im  physischen  Sinne, 
und  er  hat  kein  Recht  das  Vieh  zu  verkaufen  als  Ersatz  für  den 
Schaden,  der  seinem  Eigentum  zugefügt  wurde1).  Das  Vieh  wird 
nur  von  dem  Pfändenden  einbehalten  oder  in  einem  öffentlichen 
Pfandstall  untergebracht  bis  Ersatz  geleistet  oder  Pfand  und  Bürg- 
schaft geboten  wird.  Der  Grundeigentümer  hat  nur  das  Reten- 
tionsrecht4). 

')  Bracton,  f.  158;  Britton,  liv.  I,  chap.  XXVIII,  §§  9,  10,  11: 
Fleta  101  (§25). 

*)  Bracton,  f.  155,  I5li.  156b,  158b,  217b:  Britton,  liv.  1,  cliap. 
XXVIII,  §§  2,  G— 8;  Fleta  94,  95,  102  (§30):  Pollock  and  Maitlaud 
a.  a.  O.,  II,  S.  524,  577,  578.  Vgl.  auch  den  Mirror  of  Justiccs  (Seid.  Soc.), 
S.  70 — 73.  Über  die  gänzliche  Unzuverlässigkeit  dieses  sogenannten  .Mirror 
of  Justices",  eines  wahrscheinlich  kurz  nach  1285  und  vor  1290  geschrie- 
benen Buches,  siehe  Maitlaud,  Einleitung  zu  dem  Mirror  of  Justices 
(Seid.  Soc.),  sowie  Pollock  and  Maitland,  a.  u.  0.,  I,  S.  28.  II,  S.  177, 
478  (Anm.). 

*)  Siehe  Coke  über  Littleton,  47a:  Holle,  Abridgmont,  I,  6G7 
Blackstone,  III,  chap.  I,  § V:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  11, 

S.  576:  Bullen,  a.  a.  0.,  S.  12. 

4)  Betreffs  des  mittelalterlichen  Hechts  über  diesen  Gegenstand  der 
Pfändung  von  Tieren  wogen  Schadenzuffignng  an  Grundstücken  (distress 
damage  feasant.)  siche  ferner  Kollo,  Abridgmcnt.  I,  S.  G64,  6G5.  Vgl. 
Mirror  of  Justicos  (Seid.  Soc.),  S.  13,  26,  70 — 73  und  siche  oben  Anm.  2. 


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167 


Das  Vieh,  welches  auf  fremdem  Grund  und  Boden  betroffen 
wird,  wird  eiubehalten,  um  den  Eigentümer  des  Viehes  dadurch 
zu  Schadenersatz  zwingen  zu  können.  Zur  Zeit  Bracton’s  scheint 
die  ursprüngliche  angelsächsische  Auflassung,  daß  das  Vieh  selbst 
ein  Unrecht  begangen  und  dafür  Strafe  zu  erleiden  habe,  der 
Auffassung,  einen  Zwang  auf  den  Eigentümer  des  Viehes  auszu- 
üben, vollständig  Platz  gemacht  zu  haben. 

Diese  Form  der  eigenmächtigen  Pfändung  hat  sich  in  England 
bis  auf  unsere  Tage  erhalten  und  die  ihr  zu  Grunde  liegenden 
Prinzipien  sind  im  Großen  und  Ganzen  dieselben  wie  im  Mittel- 
alter.  Der  Pfändende  hat  kein  Gebrauchsrecht  an  den  gepfändeten 
Tieren  und  kein  Recht  sie  zu  verkaufen,  um  sich  dadurch  für  den 
erlittenen  Schaden,  der  seinem  Grundstücke  zugefügt  wurde,  schad- 
los zu  halten.  Der  Pfändende  hat  sowohl  nach  heutigem,  wie 
auch  nach  dem  mittelalterlichen  Recht  nur  ein  Retentionsrecht  an 
den  gepfändeten  Sachen '). 

§ *2.  Pfändung  wegen  nicht  geleisteter  feudaler  Dienste  und  rück- 
ständiger Rente  (distress  for  Services  or  rent  in  arrear). 

Pfändung  von  Mobilien  für  a)  feudale  Dienste  oder  für  mit 
persönlichen  Leistungen  verbundenen  Grundzins  und  b)  Erbzins 
im  Rückstand  bilden  die  zweite  große  Klasse  von  Fällen,  wo 
Mobilien  im  Mittelalter  eigenmächtig  gepfändet  werden  können  *), 
aber  bevor  wir  auf  den  Ursprung  und  die  Entwickelung  dieser 
Klasse  von  Pfändungen  näher  eingehen,  wollen  wir  einige  ein- 
leitende Worte  über  die  Natur  dieser  Dienste  und  Renten  voraus- 
schicken. 

Das  Wort  Rente  (reditus,  rent)  bedeutet  Ersatz  für  den 
Besitz  eines  vererblichen  Grundstücks  tcorporeal  inheritance);  und 
eine  Rente  wird  betrachtet  als  ein  gewisser  oder  bestimmter  jähr- 
licher Ertrag,  der  aus  dem  Lande  ausfließt  (profit  issuing  yearly 

’)  Für  das  mittelalterliche  Recht  siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 
Für  das  heutige  Recht  siehe  Bullen,  Distress,  S 172,  173,  257 — 276.  Siehe 
auch  Blackstone,  III,  c.  I,  § V. 

*)  Eine  kürzlich  veröffentlichte  lateinische  Handschrift  aus  dem  14.  Jahr- 
hundort über  die  lex  mercatoria  in  England  enthält  ein  Kapitel  betreffs 
der  Art  und  Weise  auf  Grund  dieses  Rechts  Pfändungen  vorzunehmen  und 
über  den  richtigen  Pfandgewahrsam  für  nach  der  lex  mercatoria  gepfän- 
dete Gegenstände.  Carter,  History  of  English  Legal  lustitutions,  S.  283,  295 


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ICH 


out  of  lanti Feudale  Dienste  oder  Renten  werden  als  eine  Be- 
lastung ( „Charge  upon  the  land“)  des  Grundstücks  angesehen  und 
steht  dem  Gnindherm,  im  Falle  die  Rente  oder  der  Dienst  in 
Rückstand  geraten,  das  Rechtsmittel  der  Pfändung  zu*).  Diese 
Dienste  oder  Renten  werden  fernerhin  nach  deutschem  und  eng- 
lischem Rechte  als  un körperliche  Sachen  angesehen,  welche  Gegen- 
stand von  Gewere  (seisina,  seisin)  und  von  Eigentumsrecht  (jus, 
right)  sein  können1). 

Nach  dem  gemeinen  Rechte  gal»  es  nun  drei  verschiedene  Arten 
von  Renten:  1.  mit  persönlichen  Leistungen  verbundener  Grundzins 
(rent-service),  Erbzins  (rent- Charge),  3.  Rente  ohne  Plandungs- 
recht (reditus  siccus,  harren  rent,  rent-seck) •).  1.  Rent-service 

bedeutet  mit  dem  Grundbesitz  zusammenhängende  körperliche 
Dienste  (corporal  serviee  incident  to  the  tenurei,  wie  Lehnstreue 
(fealty)  und  außerdem  eine  gewisse  Rente:  und  hier  kann  der 
Grundherr,  vorausgesetzt,  daß  er  das  Rückfallsrecht  oder  ein  zu- 
künftiges Recht  (reversionary  oder  future  iuterest)  an  dem  Lande 
hat,  nach  dem  gemeinen  Rechte  (of  common  right, i pfänden,  ohne 
einen  besonderen  Vorbehalt  bezüglich  des  Ptändungsrechtes  zu 
machen*).  Im  Falle  von  rent-charge  (siehe  2.  oben)  hat  auf  der 
andern  Seite  der  Eigentümer  der  Rente  kein  zukünftiges  Recht 
an  dem  Lande.  Rent-charge  kann  entstehen  dadurch,  daß  jemand 
seinen  gesamten  Besitzstand  an  einen  andern  und  dessen  Erben 
(estatc  in  fee  simple)  übergehen  läßt  und  sich  eine  Rente  an  dem 

')  Siche  Williams,  Real  Property,  S.  327  mul  die  Belegstellen  in 
Anm.  4,  unten. 

’)  Siehe  Williams,  Real  Property,  S.  fifi:  hinsichtlich  „rent-seck" 
unsere  hier  folgende  Erörterung.  I ber  Renten  als  Ueallasten  nach  deut- 
schem Hecht  siche  Gierke.  Deutsches  Privatrecht,  Rd.  11,  S.  752  IT. 

s)  Siehe  ferner  unsere  Erörterung  S.  174  fT.  und  die  dort  ungezogenen 
Belege. 

4)  Siehe  Kracton,  f.  203b:  Littleton  $$  öS,  213—217:  Coke  über 
Littlcton  47,  142  — 144,  löOb,  lölb:  Rlackstonc  II,  c.  «3,  X:  Williams, 
Heal  Property,  8.326,  410.  417,  420,  421,  424.  425,  428,  430,  Ö08,  50»: 
Pollock  and  Maitland,  History  uf  Knglish  Law.  II,  S.  12‘J:  !Hgby,  Hist, 
of  Real  Property,  S.  238,  239. 

s)  Aus  den  Lehnsdiensten  bat  sieb  mit  derZeit  das  rent-service  entwickelt. 

Über  die  Forderung,  daß  das  rent-serviee  ein  bestimmtes  (certain) 
sein  soll,  uni  den  Grundherrn  in  die  Lage  zu  setzen,  pfänden  zu  können, 
vgl.  Coke  über  Littleton  96». 


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lfi'.l 


Lande  reserviert,  wobei  aber  in  die  Urkunde  (deed)  eine  Plandungs- 
klausel  (covenant  giving  the  right  of  distress)  aufgenommen  werden 
muß.  In  solchem  Falle  ist  das  Land  selbst  kral't  dieser  Klausel 
und  nicht  nach  gemeinem  Hecht  der  Pfändung  ausgesetzt,  aus 
welchem  Grunde  es  auch  rent-charge  genannt  wird  !).  3.  Rent-seck 
ist  einfach  eine  Rente  durch  Urkunde  reserviert,  aber  ohne  irgend 
eine  Pfändungsklausel  (covenant  giving  the  right  of  distress  *).  Wir 
beschäftigen  uns  nunmehr  mit  der  Geschichte  der  Mobiliarpfändung 
ffir  rückständige  feudale  Dienste  und  mit  persönlichen  Leistungen 
verbundenen  Grundzins,  der  ersten  der  drei  Arten  von  Renten. 

Das  Recht  des  Lehnsherrn,  das  Mobiliar  seines  Lehnsmannes 
zu  pfänden,  ist  unzweifelhaft  das  wichtigste  Beispiel  der  eigen- 
mächtigen Pfändung  im  englischen  Recht  des  Mittelalters,  und 
es  spielt  auch  eine  hervorragende  Rolle  im  socialen  und  politischen 
Leben  in  dem  Zeitabschnitt,  beginnend  mit  der  normannischen 
Eroberung  bis  zum  Ende  des  Mittelalters,  und  in  der  Tat,  man 
kann  sagen,  bis  auf  unsere  Tage.  In  der  Neuzeit  ist  jedoch  das 
Recht  dieser  Form  der  Pfändung  sehr  wesentlich  geändert  worden, 
wie  wir  sogleich  sehen  werden. 

Wir  haben  soeben  gesagt,  daß  diese  Form  der  Pfändung  eine 
eigenmächtige  sei;  aber  bis  gegen  Ende  des  dreizehnten  Jahr- 
hunderts war  der  Grundherr  gezwungen,  eine  gerichtliche  Erlaubnis 
einzuholen,  bevor  er  pfänden  konnte.  Es  sind  verschiedene  solcher 
Fälle  aus  der  Zeit  Heinrichs  I.  uachgewiesen,  wo  der  Grundherr, 
ehe  er  zur  Pfändung  für  nicht  geleistete  Dienste  schritt,  den 


■)  Im  rcnt  - chargc  haben  wir  da*  beste  Beispiel  von  „conventionary 
law“  oder  lex  contractus.  Siehe  unsere  früheren  Ausführungen. 

Kulten,  Distress,  S.  30,  Anni.  (f) : _It  may  be  proper  to  observe  herc 
the  diatinction  botween  a rent-charge  and  an  annuity:  the  nne  being 
as  we  have  seen  a rent  iuiposed  upon  und  issuing  out  of  lands:  tho  other, 
a yearly  payment  of  a certain  sum  of  inoncy  granted  to  another,  and  charg- 
ed  otily  on  the  person  of  the  grantor“.  Siehe  ferner  Bullen  a.  a.  0. 
S.  31,  32,  34,  Anm.  (d):  Coke  über  Littleton  144b.  Kin  frühes  Beispiel 
einer  durch  Testament  verliehenen  Jahresrente  (annuity  mit  Pfändungsklausel) 
ist  zu  linden  bei  Furiiivall,  The  l’iftv  Karliest  Will*  in  the  Court  of  Pro- 
bate, London,  A.  I).  1387—1439,  S.  63. 

*)  (Jibt  es  eine  Ausnahme  von  der  Vorschrift,  daß  bei  rent-seck  nicht 
ge  pfändet  w erden  darf  ? Siehe  Cok  e über  Littleton,  153a  und  Anmerkungen 
Williams,  Kcal  Property,  8.  42U. 


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170 


('onsens  des  Gerichtes  nachgesucht  hatte  ’).  Auch  aus  späterer 
Zeit,  aus  Glanvills  Periode,  liegen  nocli  keine  Beweise  einer 
außergerichtlichen  Pfändung  vors).  Glanvill  erklärt,  daß  der 
Grundherr  für  nicht  geleistete  Dienste  pfänden  kann,  ohne  eine 
Ermächtigung  (writ)  seitens  des  Königs  oder  seines  Richters 
(justiciar)  einholen  zu  müssen1).  Aber  dies  muß  augenscheinlich 
in  Betracht  gezogen  werden  zusammen  mit  einem  anderen  Passus, 
woselbst  er  sagt,  daß  Grundherren,  ohne  solche  königliche  Er- 
mächtigung, aber  auf  Grund  eines  Erkenntnisses  ihrer  eigenen 
Gerichte  ihre  Lehnsleute  (tenants)  durch  Pfändung  zur  Leistung 
der  Dienste  zwingen  können4).  Ist  es  dem  Grundherrn  immöglich, 
seinen  Lehnsmann  selbst  nach  der  mit  Erlaubnis  des  Gerichts 
des  Grundherrn  vorgenommenen  Pländung  zu  zwingen,  dann,  sagt 
Glanvill,  darf  der  Grundherr,  wenn  er  will,  eine  Ermächtigung 
seitens  des  Königs  oder  dessen  obersten  Richters  (chief  justice) 
einholen1).  Selbst  bis  zur  Zeit  Bractons  scheint  es  noch  üblich, 
wenn  auch  nicht  notwendig  gewesen  zu  sein,  daß  der  Grundherr 
ein  Erkenntnis  seines  eigenen  Gerichtes  einholte,  ehe  er  einen 
Iiehnsmann  pfändete6). 

')  Karitius  e.  Golselin,  l’lacit»  Ang.-Norui.  92  (A.  I».  1106):  Karitius 
c.  Hugh,  a.  a.  0.,  109  (A.  I).  1111  ?):  The  King  c.  Ifugli.  a.  a.  ().,  110  (A.l*. 
1111  ?);  Bishop  Kobert  c.  Men  of  W„  a.  a.  O.,  139;  Bigolow,  Hist.  Proced. 
in  England.  S.  207,  208:  Maitland,  Select  l'leas  in  Manorial  and  other 
Seignorial  Courts  (Seid.  Soc.)  I,  S.  LVII,  I.VUI.  Siehe  auch  Custoins  of 
Newcastle-upon-Tvne,  temp.  Heinrieli  1,  Stubbs,  Select.  Charters,  8.  Aull.. 
S.  111.  In  dem  ältesten  Falle  von  Pfändung  wegen  rückständiger  Schuld 
in  den  Berichten  (records)  über  Rechtsstreitigkeiten  unter  Heinrich  I.  — 
Krmenold  c.  Abbot  Faritns,  Placita  Ang.-Norm.,  131  — wird  nicht  gesagt, 
ob  der  Konsens  des  Gerichtes  eingeholt  worden  ist  oder  nicht.  Siehe  Bige- 
low,  Hist.  Proced.  in  England,  S.  207  und  Anm.  1,  sowie  unten  S.  171,  Anm.  I. 

*)  Bigelow,  Hist.  Proced.  in  England,  S.  208.  Wie  es  scheint,  kamen 
auch  außergerichtliche  Pfändungen  wegen  Schulden,  die  nicht  aus  dem  Lchns- 
verhältnis  zwischen  Grundherrn  und  Lehnsmann  erwuchsen,  in  England  unter 
der  Regierung  Heinrichs  II.  nicht  vor.  Siche  Placita  Ang.-Norm.  260 
Bigelow,  Hist.  Proced.  in  England.  S.  208,  209. 

>)  Glanvill,  IX,  1. 

*)  Glanvill,  IX.  8. 

*)  Glanvill.  IX.  8.  9.  Siehe  Reeves,  Hist,  of  Eng.  Law,  I,  S.  174. 

6)  Bracton,  f.  157b:  Bracton's  Note  Book,  pl.  2,  78,  270,  348,  370, 
1207:*Maitland,  Select  Pleas  in  Manorial  and  other  Seignorial  Courts 
(Seid.  Soc.),  I,  S.  LVIIl. 


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171 


Im  dreizehnten  Jahrhundert  jedoch  finden  wir  da.s  Pfändungs- 
recht  der  Grundherrn  für  rückständige  Dienste  oder  Renten  häufig 
außergerichtlich  ausgeübt,  ohne  Erlaubnis  irgend  eines  Gerichtes '). 
Der  Schritt  vom  Vorgehen  mit  Erlaubnis  des  eigenen  Gerichtes 
bis  zu  einem  solchen  ohne  diese  Ermächtigung  scheint  in  der 
Tat  ein  leichter  gewesen  zu  sein  und  scheint  auch  von  den  könig- 
lichen Gerichten,  welche  allen  feudalen  Gerichten  feindlich  gesinnt 
waren,  begünstigt  worden  zu  sein3).  Vom  dreizehnten  Jahrhundert 
bis  auf  den  heutigen  Tag  ist  die  außergerichtliche  Pfändung  das 
allgemein  anerkannte  Verfahren3). 

Von  Rechtsgelehrten  sind  hinsichtlich  des  historischen  Ur- 
sprungs von  Mobiliarpfändung  für  Dienste  und  Renten  im  Rück- 
stände verschiedene  Ansichten  geäußert  worden*).  1.  Eine  Ansicht 
geht  dahin,  daß  hier  die  Pfändung  des  Mobiliars  auf  den  Verfall 
des  Lehens  (feud)  zuriickgeführt  werden  muß.  In  der  frühesten 
Zeit  des  feudalen  Systems  genügte  das  geringste  Versagen  von 
Seiten  des  Lehnsmannes,  seine  Lehensdienste  zu  verrichten,  einen 
vollständigen  Verfall  seines  Lehens  herbeizutühren.  In  einer 
späteren  Zeit  jedoch  wurde  diese  rigorose  Maßregel  etwas  gemildert, 
und  zwar  im  Falle  von  Lehen,  verbunden  mit  bestimmten  Leistungen 
(socagc  holdings);  beim  Versagen  der  Dienste  verfiel  das  Lehen 
nicht,  sondern  der  Grundherr  nahm  Besitz  von  dem  Grundstück 
und  behielt  solches  bis  seine  Ansprüche  befriedigt  waren5).  Diese 
Handlungsweise  war  in  Wirklichkeit  kaum  weniger  bedrückend  als 
vollständiger  Verfall,  da  es  den  Lehensmann  gewöhnlich  des  einzigen 
Mittels  beraubte,  seinen  Verpflichtungen  nachzukommen.  Im  Laufe 
der  Zeit  wurde  die  Pfändung  auf  das  Vieh  und  andere  bewegliche 

')  Siche  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  576.  Bigclow  nimmt 
an,  daLI  cs  sich  in  dem  Kalle  von  Krmennld  c.  Abbot  Faritius,  I’lacita 
Ang.-Norm.  131,  unter  der  Kcgierung  Heinrichs  I.  um  die  Pfändung  eines 
impotenten  Lehnsmannes  handelt,  die  auf  das  alleinige  Verlangen  des 
Grundherrn  vorgenommen  wurde,  und  dali  dies  die  Annahme  zuläUt,  dal!  es 
sich  hier  um  den  Ursprung  einer  eigenmächtigen,  anUergerichtlichen  (private, 
non-judicial)  Pfändung  in  England  handelt.  Higelow,  Hist.  Proced.  in 
England,  S.  207,  Anm.  1,  sowie  unsere  Anrn.  1,  oben  S.  170. 

*)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  11,8.576. 

*)  Siche  Bullen.  Distress,  8.  18. 

*)  Siehe  K o 1 1 e,  Abridgmcnt,  1,8.665. 

5)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 


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172 


liefen  stünde,  welche  sich  auf  dem  betreffenden  Grundstücke  be- 
fanden, beschränkt,  das  Grundstück  selbst  aber  und  mit  ihm  ge- 
wisse Mobilien  wurden  in  der  Hand  des  Lehnsmannes  belassen- 
Die  fortgenommenen  Mobilien  wurden  zurückbehalten  als  ein 
Mittel,  den  Lehensmann  zu  zwingen,  seine  Dienste  auszuüben. 
Dieses  Mittel  wurde  späterhin  auch  ausgedehnt  auf  Lehen,  die  an 
militärische  Dienste  gebunden  waren  (military  tenures),  obgleich 
es  hier  bis  zur  Umwandlung  des  unbestimmten  militärischen 
Dienstes  in  eine  bestimmte  Summe  Geldes,  genannt  „escuage,“ 
durch  gesetz  4 Heinrich  II,  nicht  in  allen  Fallen  anwendbar 
war’).  2.  Fälle  zweite  Ansicht  ist  die,  daß  Pfändung  für  Dienste 
oder  Rente  in  Gebrauch  kam  als  eine  Ausdehnung  der  alten 
Praxis,  das  Vieh,  welches  bei  der  Anrichtung  von  Schaden  be- 
trotfen  wurde  (damage  feasant),  fortzunehmen  und  zurückzubehalten, 
bis  von  seinem  Eigentümer  Schadenersatz  an  den  Eigentümer  des 
Grundstücks  geleistet  worden  war2),  ß.  Eine  dritte  Ansicht  ist 
die,  daß  die  Pfändung  für  Dienste  oder  Rente  im  Rückstände  sich 
sehr  wohl  aus  diesen  beiden  Prozessen,  d.  h.  Lehnsverfall  und 
Pfändung  von  Objekten  damage  feasant,  entwickelt  haben  kann, 
indem  jeder  Prozeß  seinen  Teil  hierzu  beigetragen  hat.  Diese 
Ansicht  wird  von  Hullen  vertreten3).  4.  Gilbert,  der  mehrere  sehr 
bekannte  juristische  Abhandlungen  über  Renten  und  Pfändungen 
schrieb,  sowie  andere  Juristen  haben  die  Ansicht  vertreten,  daß 
das  englische  Pfändungsrecht  gänzlich  aus  dem  römischen  Rechte 

')  Bracton,  1.  3 p.  130:  Spei  ma  n.  s.  v.  K schart a : Hengham  parva 
c.  6;  Rolle,  Abridgment,  I,  665:  Hullen,  Distress,  S.  5 7.  Siehe  ferner 
Uilbert,  Rents,  S.  3 — 5:  Lenke,  Digest,  S.  24:  Coke  über  Littleton,  I,  S 
LXXXVIII,  CLXIV,  s.  v.  „Escuage.“ 

Während  man  nicht  berechtigt  ist.  mit  Bestimmtheit  zu  behaupten,  daß 
Pfändung  wegen  rückständiger  Dienste  oder  Rente  vor  der  Zeit  Heinrichs  I. 
existiert  hat,  ist  es  doch  wahrscheinlich,  daß  sic  in  England  schon  vor  der 
Eroberung  als  eine  germanische  Institution  bestand.  Hat  sie  aber  in  dieser 
frühen  Periode  schon  existiert,  so  ist  fast  mit  Bestimmtheit  anzunehmen, 
daß  nach  den  Vorschriften  des  Rechts  über  Pfändungen  im  allgemeinen,  sie 
nur  mit  gerichtlicher  Befugnis  ausgeübt  werden  konnte.  Siehe  Bigelow 
Hist.  Proced.  in  England,  S.  20fi,  207.  Seit  der  Zeit  Heinrichs  I.  liegen  hier- 
auf bezügliche  Beweise  vor.  Siehe  oben  S.  169,  170. 

*)  Siehe  Bullen,  a.  a.  0.,  S.  4,  6,7. 

3)  Bullen,  a.  a.  0.,  S.  6,  7. 


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173 


übernommen  worden  ist1).  5.  Andererseits  wiederum  ist  man  der 
Ansicht  gewesen,  daß  der  historische  Ursprung  des  grundherrlichen 
Pfändungsrechtes  am  Mobiliar  des  Lehnsmannes  eine  sogenannte 
hypotheca  tacita  ist8). 

Pollock  und  Maitland  haben  in  ihrem  Werke,  The  History 
of  English  Law,  mit  Hecht  auf  die  Tatsache  aufmerksam  gemacht, 
daß  -im  dreizehnten  Jahrhundert  das  Recht  des  Grundherrn,  zu 
pfänden,  noch  immer  gerichtlichen  und  prozessualen  Charakter 
hatte.  Der  Pfändung  hatte  manchmal  die  Erlaubnis  des  Gerichtes 
noch  voranzugehen.  Der  Grundherr  durfte  die  gepfändeten  Mobilien 
nicht  in  Gebrauch  nehmen  oder  verkaufen,  welche  in  der  Tat  in 
custodia  legis  waren,  und  welche  ausgehändigt  werden  mußten, 
sobald  der  Lehnsmann  seine  Rückstände  zu  begleichen  sich  erbot, 
oder  Pfand  und  Bürgschaft  (gage  and  pledge)  anbot,  damit  die 
Angelegenheit  vor  Gericht  zum  Austrag  gebracht  werden  konnte. 
Die  Pfändung  war  nur  Zwangs-  und  Sicherungsmittel,  nicht  aber 
ein  Recht  der  Selbstbefriedigung8) 

Wir  möchten  hier  auch  der  Ansicht  Ausdruck  geben,  obgleich 
wir  diese  Meinung  hinsichtlich  des  englischen  Rechts  sonst  noch 
nirgends  vertreten  finden,  daß  Pfändung  für  rückständige  Dienste 
oder  Renten,  wie  denn  überhaupt  alle  Pfändungen,  ihren  Ursprung 
in  dem  angelsächsischen  Wettvertrag  haben.  Rechtsgelehrte  haben 
gezeigt,  daß  nach  germanischem  Recht  der  Wettvertrag  der  Par- 
teien vor  Gericht  eine  Basis  für  die  Pfändung  abgab  *);  nnd  ge- 
rade diese  Erlaubnis  des  Gerichtes,  von  der  wir  gesprochen  haben, 
dürfte  sich  in  der  Tat  aus  diesem  Prinzip  entwickelt  haben.  Es 
liegt  kein  Grund  vor,  anzunehmen,  daß  das  angelsächsische  Recht 
vom  germanischen  Recht  im  Allgemeinen  in  dieser  Beziehung 
abwich,  obgleich  wir  nicht  in  der  Lage  sein  dürften,  mit  den  uns 
zur  Verfügung  stehenden  dürftigen  Quellen  die  Stufen  zu  ver- 


')  Gilbert,  Rente,  S.  3:  siche  hierüber  auch  Hullen,  a.  a.  0.,  S.  7, 
Anin.  (f).  Dieselbe  Ansicht  wird  ausgedruckt  bei  Bacon,  Abridgment,  tit.  Rent. 

*)  Siebe  Pollock  and  Maitland»  Kritik  über  diese  Ansicht  in  ihrer 
History  of  Knglish  I.aw,  II,  S.  576. 

s)  Siehe  Pollock  and  Maitland  a.  a.  0.,  II,  S.  576,  und  unsere 
späteren  Ausführungen.  Siehe  auch  Brunner,  DKG.,  II,  S.  450,  451. 

*)  Siehe  Gierke,  Deutsches  Privatrecht,  I,  S.  338,  339. 


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1T4 


folgen,  gemäß  welchen  der  Wettvertrag  die  historische  Grundlage 
wurde,  aul  welcher  das  Pfändungsrecht  aufgebaut  wurde1). 

Sobald  feudale  Dienste  nicht  geleistet  werden  oder  die  Rente 
im  Rückstände  ist,  kann  der  Grundherr  seinen  Lehnsmann  durch 
Pfändung  seines  Mobiliars  hierzu  zwingen,  d.  h.  der  Grundherr 
kann  das  seinem  Lehnsmann  gehörige  Mobiliar  fortnehmen  und 
einbehalten,  bis  der  Lehnsmann  seinen  Verpflichtungen  nachge- 
kommen ist,  oder  Pfand  und  Bürgschaft  gestellt  hat,  daß  er  Er- 
satz leisten  wird*). 

Das  Recht  zu  pfänden  fließt  nicht  aus  einem  Eigentums- 
recht (proprietary  right),  sondern  aus  dem  Besitz  der  Dienste 
und  der  Renten  tseisin  of  the  Services  or  rent).  Das  englische 
Recht  des  Mittelalters  ist,  gleich  dem  germanischen  Rechte  auf 
dem  Kontinente,  reich  an  unkörperlichen  Sachen3).  Permanente 
Rechte,  besonders,  wenn  sie  räumlich  begrenzt  sind,  werden  als 
Sachen  ähnlich  den  Grundstücken  angesehen.  Infolgedessen  wird 
das  Recht,  von  einem  Lehnsmanne  Dienste  zu  verlangen  oder  ihn 
zu  zwingen,  seine  Rente  zu  bezahlen,  als  eine  Sache  angesehen, 
und  zwar  als  eine  solche,  welche  der  Grundherr  besitzen  kann 
(be  seised  of).  Der  Lehnsmann  kann  diesen  Besitz  dem  Grund- 
herrn widerrechtlich  entziehen  (disseise),  dadurch,  daß  er  sich 
der  Pfändung  des  Grundherrn  widersetzt  oder  wenn  er  ungezwungen 
Dienste  für  einen  Anderen,  der  gegnerisch  die  gleichen  Forderungen 
stellt  (adverse  claimant),  leistet.  Werden  dem  Grundherrn  solche 
Dienste  vorenthalten  und  er  dadurch  außer  Besitz  derselben  ge- 
bracht fdisseised),  so  kann  er  pfänden  oder  in  der  Tat  die  Besitz- 


')  Siche  unsere  Erörterung  des  angelsächsischen  Wettvertrages,  oben 
im  ersten  Buche. 

’)  Bracton,  f.  217;  Littleton,  §213.  Wie  es  scheint,  ist  aber  dem 
Grundherrn  keine  Möglichkeit  gegeben,  zu  pfänden,  wenn  die  Rente  am 
letzten  Tage  vor  Auflösung  des  gegenseitigen  Verhältnisses  fällig  ist,  denn 
es  kann  nicht  vor  dem  ersten  Tage,  nachdem  die  Rente  fällig  ist,  gepfändet 
werden:  an  diesem  Tage  ist  aber  hier  das  gegenseitige  Verhältnis  bereits 
aufgelöst,  und  da  zwischen  dem  Grundherrn  und  dem  Lehnsmanne  somit 
keine  Beziehungen  mehr  bestehen,  aus  denen  sich  das  l’fändungsrecht”ergibt 
(no  tenancj  to  support  the  distress),  so  kann  er  eine  Pfändung  auch  nicht 
vornehmen.  Siehe  Coke  über  I.ittle  ton.  47b,  und  Anmerkung  (6)  daselbst.. 

3)  Die  unkörperlichen  Sachen  im  deutschen  Rechte  sind  behandelt  in 
Heusler,  Institutionen.!,  8.32!),  und  in  Schröder,  1)RG.,  S.  712—714. 


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175 


klagen  erheben.  Er  kann  mir  pfänden  im  Falle  er  nachweisen 
kann,  daß  ihm  der  Besitz  ans  neuester  Zeit  znsteht  (recent  seisin) 
und  es  genügt  der  Nachweis  des  Besitzes  aus  neuester  Zeit,  selbst 
wenn  dieser  Besitz  ein  unrechtmäßiger  (wrongful  seisin)  ist. 
Wenn  der  Grundherr  eine  Klage  wegen  vor  kurzem  entzogenen 
Besitzes  an  den  Diensten  (assize  of  novel  disseisin)  erhebt,  so 
werden  in  der  Klageschrift  (writ)  die  gleichen  Worte  gebraucht 
als  wenn  ihm  der  Besitz  den  Grundstücks  selbst  vorenthalten 
würde.  Die  Theorie  des  mittelalterlichen  Rechtes  ist,  daß  das 
Land  selbst  die  Rente  schuldet,  aber  diese  Rente  wird  natürlich 
von  dem  Lehnsmanne  bezahlt,  und  dieser  darf  dem  Grundherrn 
diesen  Besitz  nicht  vorenthalten,  ohne  dafür  zur  Verantwortung 
gezogen  werden  zu  können1).  Wie  wir  gleich  sehen  werden,  kann 
auf  der  andern  Seite  der  Grundherr  sich  der  Besitzentziehung 
(disseisin)  schuldig  machen,  z.  B.  wenn  er  den  Lehnsmann  ohne 
Grund  pfänden  läßt. 

Gegenüber  dem  juristischen  Verhältnis  des  gepfändeten  Mo- 
biliars muß  nun  sorgfältig  unterschieden  werden  zwischen  dem 
Besitz  der  feudalen  Dienste  und  der  Rente  seitens  des  Grundherrn 
und  dem  Besitz  des  Mobiliars  seitens  des  Lehnsmannes.  Der 
Grundherr  hat,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  nur  das  Rententions- 
rcht  an  dem  gepfändeten  Mobiliar  und  in  der  Tat  befindet  sich  dies 
im  Sinne  des  Gesetzes  in  custodia  legis. 

Zuerst  müssen  wir  jedoch  den  Akt  der  Pfändung  selbst  etwas 
naher  betrachten  und  zu  den  wichtigsten  Fragen,  die  hier  zu  be- 
rücksichtigen sind,  gehören:  Wann,  wo,  wie  und  was  darf  der 
Grundherr  pfänden? 

Der  Pfändende  muß  in  allen  diesen  Dingen  mit  großer  Vor- 
sicht Vorgehen,  denn  sonst  kann  es  leicht  geschehen,  daß  er  den 
Lehnsmann  oder  irgend  einen  Fremden  an  seinem  Besitz  schädigt 
(disseise)  und  daß  er  sich  dadurch  der  Gefahr  aussetzt,  nicht  nur 
Schadenersatz  an  den  Gepfändeten  leisten  zu  müssen,  sondern  auch 
Freiheitsstrafe  und  Geldbuße  oder  Geldstrafe  (imprisonment  and 
fine)  sich  zuzuziehen  *). 

')  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  8.  124 — 149,  578.  Vcrgl.  5 .B. 
21—22  Edw.  I.,  8.  362. 

Bracton,  f.  217,  217b:  Poll  ock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  XI,  S.  577. 
Siehe  über  Bussen  (amerccments)  und  Freitsheitsstrafcn  (iinprisoninent)  im 


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176 

Wenn  somit  der  Grundherr  seinem  Lehnsmanne  gegenüber 
zur  Pfändung  schreitet,  ehe  dieser  in  Rückstand  ist,  so  wird  der 
Grundherr  dadurch  zum  widerrechtlichen  Besitzergreifer  gegenüber 
seinem  Lehnsmanne  (disseisor ’). 

Pfändungen  für  rückständige  Renten  und  Dienste  müssen  zur 
Tageszeit  vorgenommen  werden;  Viehpfändung  (distress  for  damage 
feasant)  ist  jedoch  auch  bei  Nacht  erlaubt,  denn  wenn  die  ge- 
schädigte Partei  bis  zur  Tageszeit  warten  wollte,  so  würde  sich 
das  Vieh  möglicherweise  entfernt  haben,  ohne  daß  man  seiner 
habhaft  wurde*). 

Der  Grundherr  kann  fernerhin  nur  gewisse  Mobilien  fortnehmen, 
oder  besser  gesagt,  es  scheint,  als  ob  alle  Mobilien  (personal 
chatteis)  gepfändet  werden  können,  außer  wenn  sie  aus  diesem 
oder  jenem  Grunde  von  der  Pfändung  ausgeschlossen  sind5). 
Wenn  der  Grundherr  Sachen  fortnimmt,  welche  der  Pfändung 
nicht  unterliegen,  oder  wenn  er  verfehlt,  die  richtige  Reihenfolge 
einzuhalten,  in  welcher  die  verschiedenen  pfändbaren  Mobilien 
fortgenommen  werden  dürfen,  so  macht  er  sich  dadurch  zum 
widerrechtlichen  Besitzergreifer  (disseisor)4). 

Der  gepfändete  Gegenstand  muß  in  erster  Linie  ein  solcher 
sein,  an  welchem  irgend  jemand  das  Eigentumsrecht  (property 
right)  hat.  Ferae  naturae,  oder  wilde  Tiere,  wie  Hunde, 
Hirsche,  Rehe  und  Kaninchen  können  daher  nach  dem  gemeinen 
Recht  des  Mittelalters  nicht  gepfändet  werden5).  Selbst  eine 

englischen  mittelalterlichen  Kocht  Pollock  and  Mai  tland,  a.  a.  (>.,  II,  S.  513. 
Ähnlich  ist  das  mittelalterliche  germanische  Recht  auf  dem  Kontinent,  das 
verfrühte,  übermäßige  oder  rechtswidrige  l'fandnahmc  zuweilen  als  Diebstahl, 
manchmal  aber  sogar  als  Itaub,  oder  als  ein  separates  selbständiges  Dulikt 
ansieht  und  dem  Russe  auferlegt,  der  sich  dessen  schuldig  macht.  Siehe 
Brunner,  DR»J.,  II,  S.  449.  Siehe  auch  Ine,  9,  Schmiil,  (iesetze,  S.  25. 

■)  Bracton,  f.  217;  Littlcton,  § 213. 

J)  Coke  über  I.ittleton,  142a,  unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen. 
Doctor  and  Student,  2.  Buch,  c.  IX  ; Blackstone,  III,  c.  I,  § V.  Siche  ferner 
bezügl.  der  Zeit,  zu  welcher  Pfändungen  vorgenommen  werden  können.  Rolle, 
Abridgment,  I,  S.  671.  672.  Vgl.  auch  den  Mirror  of  Justices  (Seid.  Soc.), 
S.  71  (und  siche  oben  S.  166  Anm.  2). 

3)  Blaks  tone,  III,  c.  I,  § V. 

*)  Bracton,  f.  217. 

5)  Ooke  über  Littleton,  47a.  unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen. 
Nach  modernem  Recht  wenigstens  kann  Damwild  zu  Verkaufs-  oder  gewerb- 


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177 


Sache  von  Wert  (valuable  property)  dar!  nicht  fortgenommen 
werden,  solange  sie  sich  in  Gebrauch  befindet,  z.  B.  ein  Pferd, 
das  gerade  geritten  wird,  oder  die  Axt  in  der  Hand  eines  Holz- 
fällers'). Weiterhin  dürfen  Gegenstände  von  Wert,  die  dem 
Lehnsmanne  nicht  gehören,  sich  aber  zu  gewerblichen  Zwecken 
und  mit  Erlaubnis  des  Gesetzes  in  seinen  Händen  befinden,  nicht 
gepfändet  werden:  z.  B.  Tuch  oder  Kleider  in  einem  Schneider- 
laden, ein  Pferd  in  der  Werkstatt  des  Schmiedes,  Säcke  mit  Koni 
in  der  Mühle  oder  auf  dem  Markte;  ferner  wegen  Beschädigung 
von  Grundstücken  gepfändetes  Vieh  (distress  damage  feasant), 
denn  es  befindet  sich  in  gesetzlichem  Gewahrsam  (in  custodia 
legis*).  Frei  von  der  Pfändung  sind  auch  Pflugtiere,  die  averia 
carucae,  die  Axt  des  Zimmennanns,  und  die  Bücher  des  Ge- 
lehrten, denn  nach  den  Grundsätzen  des  alten  gemeinen  Rechts, 
soll  niemand  durch  Pfändung  seiner  Utensilien  und  Werkzeuge, 
deren  er  zu  seinem  Berufe  bedarf,  verlustig  gehen.  Dagegen  sind 
Waren  oder  Tiere,  welche  Bracton  animalia  (oder  catella)  otiosa 
nennt,  pfändbar3).  Ferner  kann  nichts  für  rückständige  Rente 
gepfändet  werden,  das  nicht  in  ebenso  gutem  Zustande  zurückge- 
geben werden  kann,  als  es  sich  zur  Zeit  der  Fortnahme  befand, 
so  ist  Koni  in  Garben  und  andere  ähnliche  Dinge  von  der  Pfändung 
ausgeschlossen4!.  Wiederum  können  Sachen,  die  mit  dem  Haus 


liehen  Zwecken  (salc  or  pro  fit'  in  privater  Einzäunung  gehalten,  gepfändet 
werden.  Anm.  (11)  bei  Coke  über  Littleton,  47a:  Hl  ackst  one,  III.  c.  1.  § 5. 

■)  <’oke  über  Littleton,  47a,  und  Anm.  (13)  ebenda,  unter  Anführung 
mittelalterlicher  Quellen.  Siche  auch  Blackstone,  III,  c.  I,  § V. 

*)  Coke  über  Littleton,  47a,  und  Anm.  (14)  ebenda,  unter  Anführung 
mittelalterlicher  Quellen. 

*)  Bracton,  f.  217:  Fitzherbert,  Natura  Brevium,  90  B:  Coke  über 
Littleton,  47a,  unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen.  Siehe  auch  Fleta 
88—  93:  Bl ack ston c,  III,  c.  I,  § Y. 

Augenscheinlich  durften  jedoch  zur  Zeit  Bractons  und  später  Schafe 
und  Ochsen  gepfändet  werden,  sofern  nicht  genügend  andere  Mobilien  oder 
zum  Vergnügen  gehaltene  Tiere  zur  Pfämlnng  vorhanden  waren.  Bracton 
f.  217;  Y.B.  21-22  Edw.  I„  S.  134,  858:  Blarkstone,  III,  c.  I,  § V.  Siehe 
aber  auch  Anm.  (17)  bei  Coke  über  Littleton,  47a:  Pigby,  Hist.  Real 
Property,  S.  247. 

*)  Bracton,  f.  217;  Coke  über  Littleton,  47a  und  Anm.  (15),  ebenda^ 
unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen.  Siehe  Blackstonc,  III,  c,  I,  §V 
Hazeltlne.  Englisches  Pfandrecht  12 


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17« 

oder  Boden  fest  verbunden  sind  (fixed  to  the  freehold),  wie 
wachsendes  Korn  oder  die  Türen  eines  Hauses,  nicht  genommen 
werden').  Endlich  aber  können  Tiere,  welche  entfliehen,  nichts- 
destoweniger gepfändet  werden,  selbst  wenn  sie  nicht  wahrend 
wenigstens  einer  Nacht  auf  dem  Grundstück  sich  aufgehalten 
haben  (levant  and  couchant  *) 3). 

Der  Grundherr  muß  die  richtige  Reihenfolge  einhalten,  in 
welcher  die  pfandbaren  Gegenstände  fortgenommen  werden  dürfen. 
Der  Grundherr  muß  die  Mobilien  zuerst  fortnehmen,  und  nur  im 
Falle  dieselben  nicht  ausreichend  sind,  kann  er  sich  an  das  Land 
selbst  halten,  sonst  macht  er  sich  zum  widerrechtlichen  Besitz- 
ergreifer (disseisor) 4).  Nach  Bracton  wiederum  können  Ochsen 

Diese  Rechtsregel  des  gemeinen  Rechtes  wurde  abgeändert  durch  Statute 
4 William  and  Mary,  c.  5,  und  seit  dieser  Zeit  waren  Dinge,  wie  Korn  in 
Garben,  für  rückständige  Rente  pfändbar.  Amn.  flfi)  bei  Coke  über  Littleton, 
47a.  Aber  selbst  nach  gemeinem  Recht  konnten  solche  Gegenstände  für 
Schadenzufügung  an  Grundstücken  genommen  werden  (distress  damage 
feasant).  Coke  über  Littleton,  47a. 

')  Bracton,  f.  217:  Coke  über  Littleton.  47b  und  Amn.  (1),  unter  An- 
führung mittelalterlicher  Quellen.  Seit  der  Zeit  Georgs  II.  kann  der  Grund- 
herr Korn,  Gras  und  alle  anderen  Produkte,  welche  auf  dem  Lande  wachsen, 
pfänden  und  in  der  Erntezeit  schneiden  und  einfahren  lassen.  Anm.  (1) 
bei  C oke  über  Littleton,  47b. 

ä)  Coke  über  Littleton,  47b,  unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen. 
Siehe  aber  Anm.  (2)  und  (3)  bei  Coke  über  Littleton.  47b. 

3)  Ähnliche  Rechtsregeln  betreffs  der  pfändbaren  Gegenstände  linden 
sich  in  den  germanischen  Rechten  des  Continents,  wo  gewisse  Dinge  ohne 
weiteres  von  der  Pfändung  ausgeschlossen,  oder  erst  in  zweiter  Linie  pfändbar 
sind,  d.  h.  erst  dann  gepfändet  werden  dürfen,  wenn  andere  Gegenstände  nicht 
vorhanden  oder  nicht  ausreichend  vorhanden  sind:  z.  lt.  Zugtiere  und  Zinshöfe 
bei  den  Longobarden,  Ochsen  bei  den  Burgundern  und  gewisse  Viehherden 
bei  den  Baiem,  Alemannen  und  Longobarden.  Die  Lex  Burg.  10Ö  nimmt 
die  Ochsen  von  der  Pfändung  aus.  solange  andere  pfändbare  Mobilien  vor- 
handen sind,  und  stimmt  somit  in  diesem  Punkte  mit  dem  englischen  Rechte, 
wie  von  Bracton  geschildert,  überein.  Brunner,  DRG.,  II,  S.  449,  wo  die 
Originalquellen  der  contincntalrn  Recht«'  angeführt  werden.  Über  das 
englische  mittelalterliche  Recht  siehe  ferner  Rolle,  Abridgment,  I,  S.  066,  667. 

4)  Bracton,  f.  217,  217h.  Eine  Zeit  lang  während  des  dreizehnten 
Jahrhunderts  konnte  sich  der  Grundherr  bei  Vornahme  der  Pfändung  nur 
an  das  Mobiliar  des  Lehnsmannes  halten,  da  das  Recht,  das  Land  selbst  zu 
nehmen,  «lurch  Gesetz  beseitigt  worden  war.  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 


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179 


und  Schafe  nur  gepfändet  werden,  wenn  nicht  genügend  Tiere, 
die  zum  Vergnügen  gehalten  werden,  und  andere  Gegenstände 
vorhanden  sind'). 

Der  Grundherr  darf  nur  gerade  so  viel  Mobiliar  pfänden, 
um  dafür  seine  Forderung  decken  zu  können.  Überschreitet  er 
das  Maß  einer  angemessenen  Pfändung  (reasonable  distress),  so 
macht  er  sich  zum  widerrechtlichen  Hesitzergreifer  (disseisor)  und 
ist  zu  Schadenersatz  verpflichtet*).  Der  Grundherr  kann  sich 
fernerhin  dadurch  zum  widerrechtlichen  Besitzergreifer  machen, 
daß  er  eine  zweifache  Pfändung  für  eine  Forderung  vornimmt 
(double  distress,  recaption);  z.  B.  wenn  der  Grundherr,  nachdem 
das  Mobiliar  aus  der  ersten  Pfändung  nach  Sicherheitsstellung 
an  den  Lehnsmann  zurttckgegeben  worden  ist  (replevy'5),  eine  zweit« 
Pfändung  vornelunen  läßt,  bevor  eine  Entscheidung  seitens  des 
Gerichtes  bezüglich  der  ersten  Pfändung  erfolgt  ist.  Er  hat  in ' 
diesem  Falle  dem  Lehnsmanne  Schadenersatz  zu  leisten,  und  er 
wird  mit  einer  Freiheitsstrafe  belegt  und  zu  einer  Geldbuße  ver- 
urteilt werden.  Der  Zweck  des  Gesetzes  ist  hier,  andere  von 
gleichem  Vorgehen  abzuhalten4). 

Das  Mobiliar  muß  auf  dem  Grund  und  Boden  gepfändet 
werden,  welchen  der  Lehnsmann  von  dem  Pfändenden  zu  Lehen  er- 
halten hat5),  nicht  aber  auf  anderen  Grundstücken,  oder  auf  der 
Landstraße.  Kommt  nun  der  Grundherr  in  die  Lage  Vieh  zu 
pfänden,  welches  er  auf  dem  Lehen  (fee)  vorfindet  und  wird  dieses 
Vieh  von  dem  Lehnsmanne  oder  einem  anderen  fortgetrieben,  um 
die  Pfändnng  zu  verhindern,  so  kann  der  Grundherr  nichtsdesto- 
weniger sofort  nachfolgen  und  das  Vieh  pfänden,  ohne  daß  dem  Lehns- 

')  Brat- ton,  f.  217,  217b. 

*)  Nach  einigen  germanischen  Rechten  kann  jedoch  der  Pfändende 
mehr  als  den  Betrag  der  Schuld  — ein  Drittel  mehr,  oder  selbst  das  Doppelte 
- nehmen.  Siehe  Brunner,  1)RG.,  II,  S.  450. 

3)  Siehe  S.  188,  unten. 

4)  Bracton,  f.  159,  217h;  Brittnn,  liv.  I,  c.  XXVIII,  § 26:  Pieta,  103: 
Stat.  Marlbridge,  c.  4,  Statutes,  I,  S.  20:  Rocvcs.  Hist.  Eng.  Law,  I,  S.  493, 
494, 507,  II,  S.  27,  Amn.  (a).  Siche  ferner  betreffs  dessen,  was  nach  englischem 
mittelalterlichen  Recht  übermäUige  Pfändung  (excessive  distress)  ist,  Rolle, 
Abridgment,  I.  S.  674. 

5)  Littleton,  §237;  Iteeres,  Hist.  Eng.  Law,  I,  S.  506,  507.  Siehe 
Rolle,  Abridgment,  I,  S.  671. 

12* 


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180 

manne  das  Recht  zusteht,  dasselbe  wieder  zurückzunehmen  (res  cou  s '): 
denn  die  Pfändung  gilt  im  Sinne  des  Gesetzes  als  innerhalb  des 
Grundstückes  (within  the  fee)  vorgenommen.  Wenn  aber  anderer- 
seits der  Grundherr,  sobald  er  zur  Pfändung  schreiten  will,  das 
Vieh  nicht  sieht  und  es  wird  dann  von  dem  Grundstück  fortge- 
trieben oder  entfernt  sich  von  selbst,  so  steht  ihm  nicht  das  Recht  zu, 
das  Vieh  außerhalb  des  Grundstücks  zu  pfänden;  sofern  er  dies 
doch  tut,  kann  es  der  Lehnsmann  wieder  zurflcknehmen  (rescous*). 

Wenn  das  Objekt  der  Pfändung  ein  lebendes  ist,  so  mulS 
der  Pfändende  es  in  einem  den  gesetzlichen  Vorschriften  ent- 
sprechenden Pfändstalle  (lawful  ponnd)  innerhalb  dreier  Meilen 
in  derselben  Grafschaft  (eounty)  entweder  auf  seinem  eigenen 
Grund  und  Boden,  oder  auf  dem  eines  andern,  jedoch  mit  des 
letzteren  Erlaubnis  unterbringen.  Ist  der  Pfandstall  (pareus) 
ein  offener  (overt,  open),  so  darf  der  Eigentümer  des  Viehes 
diesem  Futter  geben,  ohne  sich  einer  Übertretung  (trespass) 
schuldig  zu  machen;  das  Vieh  wird  hier  auf  Gefahr  (peril)  des 
Eigentümers  desselben  unterhalten.  Ist  aber  der  Pfandstall  ein 
geschlossener  (covert,  closed),  wie  z.  B.  das  Haus  des  Pfändenden, 
so  wird  das  Vieh  auf  Gefahr  und  Kosten  des  Pfändenden  gefüttert 
und  unterhalten.  Sind  jedoch  die  Mobilien  tote  Objekte,  so  hat 
der  Pfändende  sie  in  einem  verschlossenen  Raume  (pound  covert) 
unterzubringen,  andernlalls  er  für  dieselben  verantwortlich  gemacht 
wird,  wenn  sie  beschädigt  oder  gestohlen  werden’). 


>)  Siehe  S.  181,  fl’.  . 

•)  Coke  aber  Littleton,  161»,  unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen. 
Die  Vorschriften  über  distress  damage  feasant  weichen  hiervon  ab.  Hier 
kann  der  Eigentümer  des  beschädigten  Grundstücks,  selbst  wenn  er  das 
Vieh  sieht,  demselben  außerhalb  des  Grundstückes  nicht  folgen  und  es 
pfänden,  denn  die  Tiere  können  nur  bei  Anrichtung  des  Schadens  selbst 
(damage  feasant)  gepfändet  werden.  Coke  über  Littleton.  Illla.  unter 
Anführung  mittelalterlicher  Quellen.  Siehe  auch  unsere  Erörterung  über 
distress  damage  feasant,  S.  165,  oben. 

s)  Stat.  Marlbridge,  c.  4,  Statutes,  I,  S.  20;  Stat.  Westminster  1,  c.  16. 
Statutes,  I,  8.  31 : 30  Ass.  38;  Coke  über  Littleton.  47b,  unter  Anführung 
mittelalterlicher  Quellen,  unter  diesen  30  Ass.  38:  B lackst  o n e.  III.  e.  I,  § V. 
Siehe  Fleta,  80.  Siehe  betreffs  der  Verantwortlichkeit  bei  gepfändeten 
Gegenständen  (Gefahr,  peril)  Doctor  and  Student.  2.  Buch,  c.  XXVII.  Siehe 
ferner  über  Aufbewahrung  von  gepfändeten  Gegenständen  imponnding)  im 


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181 

Daß  sowohl  der  Grundherr  wie  auch  der  Lehnsmann  mit 
großer  Vorsicht  vorzugehen  haben,  wenn  sie  sich  nicht  der  wider- 
rechtlichen Besitzergreifung  (disseisin)  schuldig  machen  wollen, 
erhellt  aus  den  Vorschriften  darüber,  wann  der  Lehnsmann  die 
Pfandobjekte  znrücknehmen  darf  (make  rescous)  und  wann  nicht1) 
Die  verschiedenen  Fragen,  welche  sich  hieraus  ergeben,  basieren 
hauptsächlich  auf  der  Fundamentalfrage,  ob  die  Fortnahme  (caption) 
seitens  des  Grundherrn  eine  rechtmäßige  (just)  war  oder  nicht. 
War  die  Fortnahme  eine  unrechtmäßige  (unjust),  so  wird  der 
Grundherr  dadurch  nicht  nur  zum  widerrechtlichen  Besitzergreifer 
gegenüber  dem  Lehnsmanne,  sondern  es  kann,  wie  eben  angedeutet, 
der  Lehnsmann  die  unrechtmäßig  gepfändeten  Gegenstände  auf 
Grund  der  hierüber  geltenden  Vorschriften  wieder  zurücknehmen 
(rescous). 

Gehen  wir  auf  diesen  Gegenstand  etwas  näher  ein.  Ist  das 
Mobiliar  ohne  Grund  gepfändet  worden  — z.  B.  wo  weder  Dienste 
verweigert  noch  Renten  im  Rückstände  waren,  oder  wo  die  ge- 
pfändeten Gegenstände  einem  Dritten  gehörten  — , so  ist  dies  als 
eine  widerrechtliche  Besitzergreifung  (disseisin)  seitens  des  Grund- 
herrn anzusehen  und  der  Eigentümer  des  Mobiliars  ist  berechtigt, 
dasselbe  zurückzunehmen  (rescous).  Sind  jedoch  alle  wiederrecht- 
lich gepfändeten  Objekte  bereits  seitens  des  Pfändenden  den  Vor- 
schriften gemäß  anderweit  untergebracht  (impounded),  so  ist  der 
Eigentümer  des  Mobiliars  nicht  berechtigt,  den  Pfandstall  gewalt- 
sam zu  öffnen  und  die  Gegenstände  fortzuschaffen,  denn  sie  be- 
finden sich  jetzt  in  custodia  legis.  Wenn  trotzdem  der  Eigen- 
tümer der  Mobilien  den  Pfandstall  erbricht  und  die  Gegenstände 
fortschafl't,  so  kann  der  Pfändende,  der  Grundherr,  die  sogenannte 

mittelalterlichen  liecht  Holle,  Abridgment,  I.  S.  673.  Übor  das  spätere 
Hecht  siehe  Keeves,  Hist.  Eng.  Law,  III,  S.  554,  555. 

Die  Prinzipien  des  mittelalterlichen  Rechtes  he/.gl.  < jefahr)  (peril  korre- 
spondieren im  Grollen  und  Ganzen  mit  denen  des  mittelalterlichen  deutschen 
Hechtes.  Siehe  Ileus ler,  Institutionen,  II.  S.  209. 

l)  Coke  über  I.ittleton,  47b.  Vergl.  Select  Pleas  in  Manorial  and 
other  Seignorial  Courts  (Seid.  Soc.),  I,  S.  43.  Rescous,  rescussus,  ist  ein 
altes  französisches  von  rescourrer,  rocuperare  abgeleitetes  Wort,  das 
letztere  bedeutend:  fortnehmen  (to  take  froni),  wiedererlangen  (to  rescue  or 
recover).  Coke  über  Littletnn.  160b. 


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He  parco  fracto  Klage  erheben,  desgleichen  kann  er  die  vorher 
bereits  gepfändeten  Mobilien,  wo  immer  er  derselben  habhaft 
werden  kann,  wieder  fortnehmen  und  in  den  Pfandstall  zu rück - 
briugen1).  Erbietet  sich  andererseits  der  Lehnsmann  die  rück- 
ständige Rente  zu  begleichen  (tender)  in  dem  Augenblick,  wo  der 
Grundherr  zur  Pfändung  schreiten  will,  so  kann  der  Lehnsmann 
die  Gegenstände  rechtmäßig  wieder  fortnehmen  (rescous),  sofern 
der  Grundherr  trotzdem  in  der  Pfändung  fortschreitet3).  Er  kann 
die  Gegenstände  auch  zurücknehmen,  wenn  die  Pfändung  auf  der 
Landstraße  vorgenommen  wird,  denn  Pfändung  an  diesem  Orte 
ist  nicht  erlaubt'1).  In  ähnlicher  Weise  kann  die  Zurücknahme 
(rescous)  erfolgen,  wenn  der  Grundherr  Pflugtiere  (averia  carucaei 
pfändet,  solange  noch  hinreichend  andere  Gegenstände  vorhanden  sind, 
oder  wenn  der  Grundherr  Gegenstände  fortnimmt,  die  überhaupt  nicht 
pfändbar  sind4).  Läuft  das  gepfändete  Vieh  in  das  Haus  seines 
Eigentümers,  des  Lehnsmannes,  in  dem  Augenblicke,  wo  es  von 
dem  Pfändenden  zum  Pfändstalle  getrieben  wird,  und  weigert 
sich  der  Lehnsmann  das  Vieh  auf  Verlangen  wieder  auszuliefern, 
so  wird  dies  als  eine  Zurücknahme  (rescous)  seitens  desselben 
angesehen  i);  ob  diese  rechtmäßig  war  oder  nicht,  hängt  augen- 


*)  Bracton,f.217:  Fi  tzher  bert,  Natura  Brevium,  100  E;  Littleton, 
§237:0  okc  über  Littleton,  47b,  160b.  unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen. 
Die  Form  des  writ  der  de  parco  fracto  Klage  ist  zu  Süden  in  Fitzberbert, 
Natura  Brevium,  100,  101.  Ober  die  Fortnahme  von  wegen  Schadenzufügung 
an  Grundstücken  (damage  feasaut)  gepfändetem  Vieh  aus  einem  Pfand- 
stalle siehe  Coke  über  Littleton,  47b  und  Aum.  5 ebenda. 

*)  Coke  über  Littleton,  ItiOb,  unter  Anführuug  mittelalterlicher  Quelleu. 
Siehe  auch  Aum.  (4)  bei  Coke  über  Littleton,  160b.  und  die  dort  edierten 
Quellen. 

*)  Stat.  Marlbridge,  c.  15,  Statutes,  I.  S.  23:  Coke  über  Littleton, 
160b,  161a,  unter  Anführung  mittelalterlicher  Qnellen:  Reeves,  Hist.  Eng. 
Law,  I.  S.  507.  Siehe  auch  Y.B.  20—21  Edw.  I.,  S.  242. 

Von  dieser  Uechtsregel  ist  aber  der  König  ausgenommen:  derselbe 
kann  auf  der  LandstraUe  pfänden  lassen.  In  einigen  Fällen  kann  selbst  der 
Grundherr  auf  der  LandstraUe  pfänden.  Siehe  Anw.  (1)  bei  Coke  über 
Littleton.  161a:  Coke.  2 Inst.  131:  Hale's  Anmerkungen  bei  Fitzherbert, 
Natura  Brevium,  90  A:  Rolle,  Abridgment,  I..  S.  670. 

4)  Coke  über  Littleton,  47a,  161a:  Coke,  2 Inst.  133. 

5)  Coke  über  Littleton.  161a.  unter  Anführung  mittelalterlicher  Quellen. 


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183 


schein  lieh  von  der  Frage  ah.  ob  der  Lehnsmann  Rente  schuldet 
••der  nicht. 

Wenn  auf  der  anderen  Seite  die  Mobilien  rechtmäßig  gepfändet 
worden  sind,  oder  wenn  eine  in  Aussicht  genommene  Pfändung 
'eine  rechtmäßige  ist,  so  kann  sich  der  Eigentümer  des  Mobiliars 
durch  Zurücknahme  oder  Vorenthalten  (rescous)  der  widerrecht- 
lichen Besitzergreifung  an  der  dem  Grundherrn  zustehenden  Rente 
schuldig  machen  (disseisin),  und  zwar  dadurch,  daß  er  entweder  die 
gepfändeten  Gegenstände  wieder  zurücknimmt  oder  indem  er  die 
Vornahme  der  Pfändung  verhindert,  nachdem  der  Grundherr  das 
Grundstück  betreten  hat,  um  die  Pfändung  vorzunehmen  ').  Es 
ist  dies  eine  widerrechtliche  Besitzentziehung  bezüglich  der  Rente 
(disseisin  of  the  rent),  da  der  Grundherr  .auf  diese  Weise  verhindert 
wird,  die  rechtmäßigen  Schritte  zu  tun,  nämlich  die  Pfändung 
vorzunehmen,  um  zu  seiner  Rente  zu  gelangen2).  Aber  es  kann 
sich  nicht  um  widerrechtliche  Besitzentziehung  handeln,  sofern 
die  Rente  nicht  tatsächlich  rückständig  ist,  denn  wenn  die 
Rente  nicht  rückständig  ist,  so  kann  der  Lehnsmann  rechtmäßig 


')  Bracton,  f.  217;  Littleton,  § 237;  Coke  über  Littleton,  160b, 
unter  Anführung  mittelalterlicher  (Quellen. 

Littleton  klassifiziert  den  Widerstand  bei  der  Pfändungsvomahinc 
(„resistancc  to  distraint*)  als  rcscous;Cokc  aber  sagt,  dal!  es  sich  nicht 
um  rescous  handeln  kann,  so  lange  das  Mobilur  nicht  tats&chlich  gepfändet 
worden  ist  und  klassifiziert  den  Widerstand  bei  der  Pfändungsvomahinc  als 
eine  anabhängige  Form  von  rechtswidriger  Besitzvorenthaltung  an  der  Rente 
(disseisin  of  rent-scrvice). 

Eine  Abschlieliung  („enclosure")  kommt  dem  Widerstande  bei  der 
Pfändungs  vorn  ahme  fast  gleich.  Eine  AbschlicBung  (cnclosure)  ist  auch  eine 
widerrechtliche  Besitzvorenthaltung  an  der  Rente  (disseisin  of  rcnt-service) 
und  dieselbe  liegt  vor.  wenn  das  Grundstück  (lands  and  tenements)  so  ab- 
geschlossen ist.  dall  cs  dem  Grundherrn  unmöglich  ist,  dasselbe  zu  betreten, 
nm  die  Pfändung  vorzunehmen.  Widerstand  bei  Pfändungsvornahme  (re- 
sistancc to  distraint)  liegt  erst  dann  vor.  wenn  der  Grundherr  das  Grund- 
stück schon  betreten  hat.  Littleton,  § 237. 

’)  Littleton,  § 237.  Wird  der  Lehnsmann  widerrechtlich  aus  seinem 
Besitz  vertrieben,  (disseised  of  the  tenancy),  nachdem  er  die  gepfändeten 
Gegenstände  durch  rescous  wiedererlangt  hat,  so  kann  trotzdem  die  Besitz- 
klage (Assizc  of  Novel  Disseisin)  für  die  durch  rescous  verursachte  wider- 
rechtliche Besitzentziehung  der  Rente  (disseisin  of  rcnt-servicc)  gegen  ihn 
anhängig  gemacht  werden.  Coke  über  Littletou,  160b. 


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184 


die  von  dem  Grundherrn  gepfändeten  Gegenstände  zurücknehmen 
(rescous)1).  Auf  ähnliche  Weise  ist  der  Lehnsmann  berechtigt, 
der  Vornahme  der  Pfändung  zu  widerstehen  (resist  distraint),  so- 
bald die  Rente  nicht  wirklich  rückständig  ist  und  der  Grundherr 
das  Grundstück  betritt,  um  die  Mobilien  des  Lehnsmannes  fortzuT 
nehmen5).  Werden  nun  die  Mobilien  dem  Ptändenden  gewaltsam  ab- 
genommen, während  sie  sich  auf  dem  Wege  nach  dem  Pfandstall 
befinden,  so  kann  der  Pfandende  durch  Erhebung  der  Klage  (ge- 
nannt: writ  of  rescous)  Schadenersatz  beanspruchen3). 

Angenommen  nun,  daß  der  Grundherr  die  Mobilien  seines 
Lehnsmannes  gepfändet  hat  und  daß  eine  Zurücknahme  (rescous) 
nicht  erfolgt  ist,  so  ist  jetzt  festzustellen,  welches  die  juristische 
Lage  der  Mobilien  ist  und  was  damit  geschehen  kann. 

Wenn  nach  englischem  mittelalterlichen  Recht  der  Grundherr 
die  Gegenstände  gepfändet  hat,  so  ist  er  im  Sinne  des  Gesetzes, 
trotzdem  sie  sich  in  seinen  Händen  befinden,  keinesfalls  der  Be- 
sitzer  derselben.  Sie  werden  als  in  custodia  legis  angesehen. 
Der  Grundherr  muß  zu  allen  Zeiten  bereit  sein,  die  Mobilien  zu 
zeigen,  ja  er  muß  sie  nicht  nur  zeigen,  sondern  muß  sie  auch 
herausgeben,  sobald  sich  der  Lehnsmann  erbietet,  die  Rückstände 
zu  begleichen,  oder  Pfand  und  Bürgschaft  zu  stellen  bereit  ist, 
und  sich  damit  einverstanden  erklärt,  daß  das  Gericht  über  den 
Anspruch  des  Grundherrn  entscheidet.  Wie  es  scheint  ist  keine 
bestimmte  Frist  gesetzt,  während  welcher  der  Lehnsmann  die  Ein- 


')  Littleton,  § 237:  Coke  Aber  Littleton,  160b.  Dies  ist  vor  der 
Zeit  Littletons  eine  strittige  Präge  gewesen.  Die  mittelalterlichen  Quellen 
sind  nt  finden  in  Coke  über  Littleton.  160b. 

s)  Littleton,  § 237:  Coke  über  Littleton,  160b.  Nach  ähnlichen 
Prinzipien  kann  ein  Prcmder  seine  Sachen  durch  rescous  wieder  an  sich 
nehmen,  wenn  sie  ihm  gepfändet  worden  waren.  Coke  über  Littleton, 
160b.  Siehe  ferner  über  die  Rechte  Fremder  Rolle,  Abridgment,  l, 
S.  668—670.  Vergl.  Ulackstone,  III,  c.  I,  § V. 

3)  Fitzherbert,  Natura  Brevium,  101:  Blackstone,  III,  c.  9,  § 1. 
Siehe  ferner  über  das  Recht  bezügl.  rescous  Rolle,  Abridgment,  I,  S.  673, 
674. 

Nach  germanischem  Rechte  auf  dem  Koutinente  ist  us  verboten,  sich 
der  rechtmäßigen  Pfändung  zu  widersetzen,  uder  die  gepfändeten  Gegenstände 
durch  Gewalt  wieder  an  sich  zu  nehmen.  Das  erstere  ist  bekannt  als  Pfand- 
wehrung, das  letztere  als  Pfandkehrung.  Brunner,  DIiG.,  II,  S.  449. 


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185 


lösung  vornehmen  muß;  verweigert  der  Lehnsmann  die  Zahlung 
so  kann  der  Grundherr  nichts  dagegen  tun,  denn  die  gepfändeten 
Mobilien  werden  nur  einbehalten  als  ein  Mittel,  den  Lehnsmann 
zu  zwingen,  seine  Dienste  zu  verrichten,  oder  seine  Rente  zu  be- 
zahlen, da  doch  diesem  daran  gelegen  sein  muß,  seine  Sachen 
zurückzuerhalten.  Selbst  wenn  der  Lehnsmann  sich  hartnäckig 
weigert,  hat  der  Grundherr  weder  das  Recht,  die  Mobilien  in 
Gebrauch  zu  nehmen,  noch  dieselben  durch  Verfall  zu  erwerben, 
noch  sie  zu  verkaufen;  die  Pfändung  ist  nur  ein  Zwangsmittel, 
kein  Recht  der  Selbstbefriedigung,  und  das  Einzige  was  dem  Grund- 
herrn zusteht,  ist  das  Retentionsrecht ')  *). 

•)  Einleitende  Erklärung  zu  Stat.  2 William  and  Mary,  c.  5,  abgcdruckt 
bei  Kulten,  Distress,  Anhang,  S.  324 — 326;  Blackstone,  III,  c.  I,  § V, 
c.  9,  § I:  Pollock  and  Maitland  a-  a.  0.,  II,  S.  576:  Bullen,  Distress, 
S.  12,  181. 

Das  englische  mittelalterliche  Hecht  über  eigenmächtige  Pfändung  von 
Mobilien  scheint  nichts  zu  enthalten,  was  dein  gegebenen  Nutzungspfand 
oder  gegebenen  Verfallspfand  entspricht,  und  in  dieserllinsicht  weicht  das  eng- 
lische mittelalterliche  Hecht  von  demjenigen  einiger  anderer  germanischer 
Hechte  ab.  Im  allgemeinen  kennt  das  germanische  liecht  im  Palla  eigen- 
mächtiger Pfändung  nur  ein  Betcntionsrecht  an  den  gepfänduten  Sachen: 
damit  verbunden  sind  jedoch  gewöhnlich  pfandrochtliche  Wirkungen,  welche, 
wenn  der  Lehnsmann  sich  fortgesetzt  weigert,  die  Gegenstände  innerhalb 
einer  gewissen  Zeit  einzulösen,  dem  Grundherrn  später  entweder  das  Nutz- 
ungsrecht oder  selbst  das  Eigentumsrecht  verschaffen.  Nach  einigen  ger- 
manischen Itechteu  erwirbt  der  Gläubiger  in  erster  Linie  nichts  als  das 
Zurückbehaltungsrecht,  dann  erst  das  Gebrauchs-  und  Nutzungsrecht  und 
endlich  das  Eigentumsrecht  selbst.  Siehe  Brunner  DKG.,  II,  S.  450,  451  : 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II.  S.  576,  Amu.  4. 

Das  englische  gemeine  Hecht  hat  jedoch  immer  eine  Ausnahme  zu 
Gunsten  der  Krone  gemacht,  indem  cs  derselben  das  Recht  verlieh,  die  für 
eine  Schuldforderung  der  Kroue  gepfändeten  Gegenstände  zu  verkaufen,  so- 
fern die  betreffende  Schuht  nicht  innerhalb  40  Tagen  bezahlt  wurde.  Brooke, 
Abridgmcnt.  t it.  Distress.  713:  Blackstone,  III,  c.  I.  § V : S.  191,  unten. 
Über  gerichtliche  Pfändung  im  Mittelalter  siehe  unten  S.  191,  Anm.  1. 

J)  Das  englische  Recht  der  Neuzeit  gibt  dem  wegen  rückständiger  Heute 
Pfändenden  das  Verkaufsrecht,  wenn  der  Reutschuldner  (tenant)  versäumt 
innerhalb  fünf  Tagen  nach  erfolgter  Mahnung  (notice)  die  Gegenstände  gegen 
Stellung  von  Pfand  und  Bürgschaft  znrückzunchmen  (replevy):  ein  etwaiger 
Überschuß  (overplus  or  surplus)  ist  dem  Schuldner  auszuzahlen.  Dieses  Ver- 
kaufsrecht steht  dem  Pfändenden  gemäß  einem  Gesetz  aus  der  Regierungs- 
Zeit  Williams  und  Marys  zu.  Stat.  2 William  aud  Mary,  wie  oben  citiert: 


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186 


Sobald  der  Lehnsmann  die  Zahlung  leistet  oder  Pfand-  und 
Bürgschaft  anbietet,  daß  der  Anspruch  dem  Gerichte  unterbreitet 
«erden  soll,  muß  daher  der  Pfändende  zu  allen  Zeiten  bereit,  sein, 
die  Gegenstände  herauszugeben,  selbst  wenn  dieFortnahme  (eaption) 
eine  rechtmäßige  gewesen  ist.  l)ie  Verweigerung,  die  Mobilien 
nach  der  Bereiterklärung,  Pfand  und  Bürgschaft  zu  stellen,  zurück- 
zugeben, ist  ein  sehr  schweres  Vergehen.  Das  Recht  zu  pfänden 
wurde  früher  nur  ausgeübt  mit  Erlaubnis  des  Gerichtes  (judical 
right),  und  jetzt  gegen  Ende  der  zweiten  Hälfte  des  dreizehnten 
Jahrhunderts  wachen  der  König  und  seine  Richter  stets  sorgfältig 
darüber,  daß  das  neu  erworbene  Recht  der  außergerichtlichen 
Pfändung  rechtmäßig  ausgeübt  wird.  Eine  solche  Weigerung  ist 
in  der  Tat  eine  Störung  des  Königsfriedens  (king’s  peace)  und 
bedeutet  den  Beginn  eines  Krieges  gegen  den  Staat  durch  den 
pfändenden  Grundherrn.  Um  mit  Bracton  zu  reden:  ubi  deficiunt 
vadia  et  plegia  deficit  pax1).  Das  Vergehen  (offence)  des  Pfän- 
denden ist  fast  so  schwer  wie  Raub  (robbery)  und  ist  bekannt 
als  vetitum  namii,  vetitum  namium,  ve  de  naam,  vee  de 
nam  oder  vee  de  naam*). 

Die  Klage,  welche  auf  diesem  vee  de  nam  basiert,  ist  das 


Amn.  (7)  bei  Coke  über'  Littlcton,  47b:  Anm.  (6,  111)  bei  Coke  über 
Littleton,  162b:  Blackstone,  111,  c.  I,  § V:  Bullen,  Distross,  8.  12,  18, 
181 — 185,324—326:  Williams,  Beal  Property,  S.  327.  Siehe  auch  Black- 
stone, II,  c.  30,  § IX,  2.  Die  Frist  von  fünf  Tagen  nach  erfolgter  Mahnung 
kann  jetzt  infolge  des  Law  of  Distress  Amendment  Act  of  1888  auf  fünfzehn 
Tage  ausgedehnt  werden,  wenn  der  Kentschuldncr  (tonant)  gewisse  Beding- 
ungen erfüllt.  Bullen,  Distress,  S.  17,  182,  388. 

Bezüglich  eines  Vergleiches  zwischen  einer  Pfündung  mit  Verkaufs- 
recht und  der  Zwangsvollstreckung  (proccss  of  exccntion)  nach  gemeinem 
Recht  geuiStl  writ  of  fieri  facias,  siehe  Blackstone,  III.  c.  1,  § V. 

•)  Bracton  f.  217b. 

•)  Bracton.  f.  155b,  1 57b.  158b.  21 7h : Britten,  liv.  I,  c.  XXVIII. 
§ 5:  Fleta,  100:  Y.B.  20-21  Edw.  I.,  S.  158:  Nichols  Britten,  II,  S.  383: 
Leet  Jurisdiction  in  the  City  of  Norwich  (Seid.  Soc.),  S.  41,  42,  45.  104: 
Maitland,  Select  I’leas  in  Manorial  and  other  Seignorial  Courts  fScld.  Soc.;. 
1,8.  LVI : Pollock  and  Maitla  nd,  a.  a.  0.,  II,  S.  576,  577:  Keeves,  Hist. 
Eng.  Law,  I,  S.  489—494.  Vergl.  auch  den  Mirror  nf  Justiees  (Seid.  Soc.) 
S.  70—73  (und  siehe  oben  S.  166.  Anui.  2.) 


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187 

plaritum  de  vptito  ltaniii,  auch  genannt  plee  de  vee,  placi- 
tum  de  vetito  namio,  Replevin  (replegiare)'). 

Wenn  die  gepfändeten  Gegenstände  noch  immer  in  den  Händen 
des  Pfändenden  verbleiben,  so  lautet  die  Klage  (Replevin)  auf 
Zurtickgabe  der  Mobilien  (specific  relief)  an  den  Lehnsmann,  bis 
die  Frage  durch  das  Gericht  entschieden  worden  ist2).  Sollte  das 
Gericht  dahin  entscheiden,  daß  die  Mobilien  unrechtmäßig  ge- 
pfändet geworden  sind  — z.  H.  weil  der  Grundherr  nicht  im  Be- 
sitze der  Dienste  oder  Rente  sich  befand  — so  behält  der  Lehns- 
mann die  Mobilien  und  der  Grundherr  ist  in  misericordia. 
Wird  jedoch  die  Klage  gegen  den  Lehnsmann  entschieden  — 
wenn  z.  B.  dahin  erkannt  wird,  daß  der  Grundherr  im  Besitze 
der  Dienst«  oder  der  Rentp  war  und  daß  sich  diese  im  Rückstand 
befanden  — dann  hat  der  Lehnsmann  die  Mobilien  an  den 
Pfändenden  zurückzugeben,  bis  der  Dienst  geleistet  oder  die  Rente 
gezahlt  worden  ist;  außerdem  befindet  sich  der  Lehnsmann  in 
misericordia’).  Beklagt  sich  der  Lehnsmann,  daß  beides,  die 
Fortnahme  (caption)  und  die  Einbehaltung  (detention)  unrecht- 
mäßig geschehen  ist,  während  der  Grundherr  die  Berechtigung 
beider  Beschwerden  in  Abrede  stellt  und  entscheidet  das  Gericht 
den  einen  Punkt  zu  Gunsten  des  Grundherrn,  den  anderen  zu 
Gunsten  des  Lehnsmannes,  so  befinden  sich  beide  in  miseri- 
cordia4). 

')  Siehe  Nichols"  Britto»,  11,  S.  379:  Blackstone,  III,  c.  I,  § V. 
Vgl.  auch  den  Mirror  of  Justices  (Seid.  Soc.)  S.  7(1 — 73  (und  siehe  oben  8.  1 SC, 
Anm.  2).  Whittaker,  Mirror  of  Justices  (Sehl.  Soc.)  S.  70,  Anm.  1,  sagt; 
.In  the  translation  of  tliis  chaptcr  the  old  Word  nnani,  or  natu,  has  been 
preserved;  it  signities  a Inking,  orthing  taken,  in  distress:  cf.  onr  wither- 
nam,  and  the  German  nehmen,  to  take.  The  distrainor  whu,  wben  suffi- 
cient  security  is  offered,  refuses  to  deliver  up  the  naain  is  guilty  of  a 
vcc  de  liaain:  an  action  de  retito  namii  lies  against  him.  Wc  could 
hardly  give  the  sense  of  the  original  text  if  wc  called  this  action  an  action 
of  replevin'. 

ä)  Glanvill,  XII,  12,  15:  Heeves,  Hist.  Kng.  Law,  I,  S.  491,  492. 
Vergleiche  Bracton.  f.  157  und  lieir  Brev.  Orig.  f.  81,  wo  die  Form 
des  replevin  writ  von  derjenigen  bei  Glanvill  abweicht.  Siehe  auch 
Britten,  liv.  I,  c.  XXVIII:  Fleta.  100. 

3)  Rceves,  Hist.  Kng.  Law.  I.  S.  490,  491:  Blackstnne.  III,  c.  I, 

j V,  c.  9,  §1:  siche  auch  die  in  Anm.  2 oben  citiertc  Literatur. 

•)  Ilevees,  Hist.  Eng.  Law,  1,  S.  491.  Siehe  ber.gl.  der  verschiedenen 


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IHM 

Werden  infolge  Versäumnis  seitens  des  Lehnsmannes  im  ersten 
Prozesse  (replevin  suit)  die  gepfändeten  Gegenstände  daraufhin 
zu  rück  gegeben,  so  können  dieselben  Gegenstände  nichtsdestoweniger 
nochmals  gegen  Pfand  und  Bürgschaft  von  dem  Lehnsmanne  ein- 
geklagt werden  (replevied).  Macht  sich  der  Lehnsmann  jedoch 
auch  im  zweiten  Prozesse  einer  Versäumnis  schuldig,  so  müssen 
die  Gegenstände  an  den  Pfändenden  zuriickgegeben  werden  und 
können  gegen  Stellung  von  Pfand  und  Bürgschaft  nie  wieder  ein- 
geklagt werden  (irrepleviable) '). 

Wenn  der  Pfändende,  obgleich  er  sich  durch  Zurückbehaltung 
der  Mobilien,  nachdem  Pfand  und  Bürgschaft  gestellt  worden 
sind,  schuldig  gemacht  hat.  die  Gegenstände  noch  zurückgibt, 
ehe  die  Klage  (Replevin)  gegen  ihn  anhängig  gemacht  wird,  so 
scheint  die  letztere  nur  auf  Schadenersatz  zu  lauten8). 

Die  Klage  auf  Zurückgabe  der  tiegenstände  gegen  Pfand 
und  Bürgschaft  (Replevin)  gehört  vor  ein  königliches  Gericht 
(royal  writ)  und  nur  von  wenigen  Grundherren  kann  die  Gerichts- 
barkeit ausgeübt  werden;  auch  amtiert  der  Sheritf,  wenn  er  über 
die  Rechtmäßigkeit  von  Pfändungen  zu  Gericht  sitzt,  nicht  als 
Präsident  des  Grafschaftsgerichtes,  sondern  als  königlicher  Richter  *). 
In  der  Tat  scheint  die  Schnelligkeit  und  Bequemlichkeit  bei  dieser 

Gründe  und  Gegengründe  fgrounds  of  coui|daint  and  defencc',  welche  von 
den  Parteien  vorgebracht  werden  können,  Kceves,  Hist.  Eng.  Law.  I. 
8.  491 — 494. 

■)  Stat.  Weatni.  II,  § II  (13  Edw.  I.,  A.  1).  1285),  Statutes,!,  S.  73. 
Dies  scheint  nicht  zu  bedeuten,  dal!  die  Gegenstände  dann  an  den  Lehns- 
mann verfallen,  sondern  dal!  sie  gegen  Stellung  von  Pfand  und  Bürgschaft 
nie  wieder  eingelöst  werden  können  (replevied)  und  bei  dem  Grundherrn 
verbleiben  müssen,  bis  der  Lehnsmann  den  Dienst  geleistet  hat  oder  die 
Rente  bezahlt  hat. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  U.,  II,  8.  524,  525,  Anin.  1.  Siehe 
Bracton's  Note  Book,  pl.  477. 

3)  Der  gewöhnliche  Weg  des  Verfahrens  scheint  auf  Grund  eines 
königlichen  writ  of  replevin  gewesen  zusein,  aber  der  Sheriff  konnte  nichtsdesto- 
weniger dazu  schreiten,  die  Gegenstände  gegen  Pfand  und  Bürgschaft  ohne 
writ  zurückzugeben  (replevy)  falls  von  dem  Lehnsmann  die  nötige  Sicherheit 
geboten  wurde.  Reeves,  Hist.  Eng.  Law,  I,  S.  491.  Vergl.  Reeves  a.  a.  0., 
1,  S.  48,  Anm.  (a).  Dieses  Recht  dos  Sheriffs  wurde  bestätigt  und  erweitert 
durch  Statute  of  Marlbridge,  c.  21  (A.  D.  1267).  Siehe  Reeves  a.  a.  ().. 
I,  S.  507,  508. 


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Klage  (Replevin)  auf  die  Auffassung  zurfickzuführen  zu  sein,  daß  der 
Pfändende  ein  schweres  Vergehen  gegen  den  König  selbst  sich 
hat  zu  schulden  kommen  lassen,  indem  er  seinen  Frieden  störte’). 

Begeht  nun  der  Pfändende,  der  Grundherr,  ein  solches  Ver- 
gehen (vee  de  nam),  so  ist  es  die  Pflicht  des  Sheriffs,  indem  er 
auf  Grund  der  königlichen  Klageermächtigung  (royal  writ  of  replevin) 
oder  ohne  eine  solche  handelt  *),  dem  Lehnsmanne  die  gepfändeten 
Gegenstände  zurückzugeben.  Der  Sheriff  kann  die  Vorzeigung 
(view)  des  Viehes  sowie  anderer  gepfändeter  Gegenstände  verlangen, 
und  wenn  er  mit  Gewalt  an  der  Besichtigung  und  an  der  Ausübung 
seiner  Pflicht  verhindert  wird,  so  hat  er  sofort  mit  lauter  Stimme  den 
Fall  zu  verkünden  (raise  the  hue  and  erv),  die  ganze  Macht  der  Graf- 
schaft zusammenzurufen  (posse  comitatus)  und  alle  Gewalt  anzu- 
wenden, die  nötig  ist,  um  das  Mobilar  zurückgeben  zu  können, 
sowie  alle  Friedensstörer  gefangen  zu  setzen3). 

Wenn  fernerhin  die  von  dem  Grundherrn  gepfändeten  Tiere 
in  einem  Hause  oder  Pfandstall  eingeschlossen,  oder  wenn  sie 
aus  der  Grafschaft  entfernt  werden  und  sich  somit  jenseits  der 
Jurisdiction  des  Sheriffs  befinden,  oder  wenn  der  Gerichtsdiener 
(bailiff)  auf  irgend  eine  andere  Weise  verhindert  wird,  nachdem 
Pfand  und  Bürgschaft  gestellt  worden  sind,  dem  Lehnsmanne  die 
Gegenstände  zurückzugeben,  so  hat  er  sofort  auf  Grund  der  Gegen- 
pfändung (withernam)  Vieh  des  Grundherrn  im  doppelten  Be- 
trage fortzunehmen.  Diese  Gegenstände  hat  der  Gerichtsdiener 
einzubehalten,  ohne  dem  Grundherrn  zu  erlauben,  dieselben  gegen 
Pfand  und  Bürgschaft  (replevin)  zurfickzunehmen,  bis  er  die 
Gegenstände  des  Lehnsmannes  zurückgebracht  hat4). 

')  Bractnn,  f.  105b,  155b:  Britto  n,  liv.  I,  c.  XXVIII,  1,  2: 
Fleta.  94:  Stat.  Westminster  II,  c.  2,  Statutes,  I,  S. 72:  V.  B.  30-31  Edw.  I., 
S.  223:  Maitland,  Select  Plcas  in  Manorial  and  other  Scignorial  Conrts 
(Seid.  Soc.),  I,  S.  XXV : Reeves,  Hist.  Eng.  Law,  I,  S.  489;  Pollock  and 
Maitland  a.  a.  O.,  I,  S.  587,  II,  S.  577,  578:  Anm.  r)  bei  Nichols’  Brit- 
ton  I,  S.  136.  Siehe  auch  den  Fall  des  Earl  of  Warennc.  P.  Q.  W.  751. 

Siebe  oben  S.  188,  Anm.  3. 

*)  Bracton,  f.  157:  Britton,  liv.  I,  c.  XXVIII  § 3;  Stat.  West- 
minstcr  I,  c.  17,  Statutes,  I,  S.  31 : Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.  I, 
S.  576,  577:  Reeves,  Hist.  Eng.  Law,  I.  S.  491.  Siehe  auch  Reeves 
a.  a.  O.,  II,  S.  22,  29. 

4)  Bracton,  f.  157:  Britton,  liv.  I,  c.  XXVIII,  §3:  Fleta.  97,  98: 


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Die  Gegenpfändung  (withemam,  A.  S.  wiffer-name)  ist  eine 
zweite  oder  reziproke  Pfändung  von  Gegenständen,  die  als  Ersatz 
für  die  aus  der  ersten  Pfändung  unrechtmäßig  einbehaltenen  oder 
fortgeschafllen  Gegenstände  fortgenommen  werden.  Die  zweite 
Piändung  wird  vorgenommen  als  Repressalia  für  die  erste  Pfändung 
und  als  Strafe  für  die  ungesetzliche  Handlungsweise  des  Grund- 
herrn *)  *). 

Stat.  Westminster  I,  c.  16,  17,  Statutes  I,  S.  31:  Reeres.  Hist.  Eng.  Law, 

I,  S.  491.  Yergl.  Reeres,  a.  a.  O.,  II,  S.  27.  Anm.  (a).  Rritton,  liv.  I, 
c.  XXVIII,  3:  tauntoat  face  prendre  des  bestes  del  dcforceour  a la  double 
\alue  cuui  wythernam. 

Nach  den  Berichten  Bractons  und  Brittens  scheint  der  Sheriff  oder 
der  GerichUdiener  (bailiff)  autorisiert  gewesen  zu  «ein  sofort  ohne  eine 
neue  schriftliche  Ermächtigung  (writ)  im  Wege  der  Gegenpfändung  die  Mo- 
bilien des  Pfändenden  fortzunehmen.  Nach  späterem  Recht  scheint  jedoch 
eine  besondere  Ermächtigung  (special  writ,  genannt:  capias  in  wither- 
nam)  notwendig  gewesen  zu  sein.  Siehe  Blackstone,  III,  c.  9.  $ I : siehe 
auch  über  diesen  Passus  Blackstones  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  <>., 

II.  S.  377,  Anm.  3,  6.  Siehe  ferner  Statutes,  I,  S.  72,  Anm.  6. 

‘)  Anm.  (u)  bei  Nirhols’  ßritton  I,  S.  138:  Blackstnne,  III,  c.  9, 
§ I.  c.  26. 

Nach  späterem  englischem  Recht  wenigstens  kann  Vieh,  das  im  Wege 
der  Gegenpfändung  (withemam)  fortgenommen  wurde,  gemolken  und  in  an- 
gemessener Wciso  zu  Arbeitszwecken  verwendet  werden,  da  es  dem  Rcnl- 
sebnldner  (tenant)  an  Stelle  seines  eigenen  Viehes  übergeben  wurde.  Siehe 
Bullen,  Distress,  8.  181.  Anm.  (s). 

*)  Germanisches  Recht  auf  dem  Kontinent  verbietet  die  Pfändung  im 
Wege  der  Vergeltung,  d.  h.  die  Gegenpfäudung.  Siehe  Brunner.  IMG., 
11,  S.  449.  In  Statutes,  I,  S.  72.  Anm.  6,  wird  withemam  dcliniert  als  ,a 
forbidden  or  unjust  taking“. 

Die  ursprüngliche  Pfändung  im  Wege  der  Vergeltung  (rer  enge)  muH  jedoch 
scharf  von  der  Gegenpfändung  (withernain)  unterschieden  werden.  Unter  der 
Regierung  Heinrichs  III.  scheint  es  jedoch  durch  eigene  Anmaßung  der 
Grundherren  und  auch  Anderer  und  um  sich  zu  rächen  (revengu)  bei  diesen 
zur  Praxis  geworden  zu  sein,  ihre  Schuldner  wegen  allerlei  Arten  von 
Forderungen  zu  pfänden,  trotzdem  das  Recht  in  Form  der  Klagt*  oder  auf 
andere  Weise  genügend  Rechtsmittel  verlieh,  und  wo  in  der  Tat  eine 
Pfändung  strikte  gegen  das  ältere  gemeine  Recht  verstieß.  Um  solche  un- 
gesetzliche Pfändungen  (illegal  distraints)  zu  verhindern,  bestrafte  das  Gesetz 
von  Marlbridge  vom  Jahre  1267  durch  Auferlegung  von  Geldbuße  (fine)  und 
durch  Verurteilung  zu  Schadenersatz  an  die  geschädigte  Partei.  Stat. 
Marlbridge,  Statutes,  1,  S.  19—23;  Coke,  2 Inst.  103,  131,  303;  Reeves, 
Hist.  Eng.  Law.  1,  S.  503,  306,  II,  S.  27,  Amn.  (a).  Vergleiche  die  Vor- 


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m 


II.  Verkaufspfand. 

Obgleich,  wie  wir  gesehen  haben,  der  Pfändende  im  Mittel- 
alter  für  rückständige  Dienste  und  Rente  und  für  Schadenzufügung 
am  Grundstück  nur  das  Retentionsrecht  an  der  gepfändeten  Sache 
hatte,  hat  das  englische  gemeine  Recht  immer  eine  Ausnahme  zu 
Gunsten  der  Krone  gemacht,  indem  es  dieser  gestattete,  den  für 
einen  ihr  schuldigen  Betrag  gepfändeten  Gegenstand  zu  verkaufen, 
sofern  die  Schuld  nicht  innerhalb  40  Tagen  beglichen  wurde*). 


Zweites  Kapitel. 

Das  gegebene  Pfand. 

I.  Einleitung. 

Das  Recht  des  Mittelalters  ist  nicht  reich  an  Worten,  um 
Transaktionen  mit  Mobilien  zu  beschreiben,  und  vereinigt  ver- 
schiedene Handlungen  in  derselben  Gruppe,  wo  der  Eigentümer 
sich  seines  Besitzes  an  einem  Gegenstände  begibt  oder  mit  anderen 
Worten  denselben  einem  anderen  anshändigt  (bail.  Fr.  bai  1 1er, 
lat.  tradere,  liberare).  Im  Mittelalter  wurde,  im  Gegensatz 
zur  Neuzeit,  das  Wort  bai  11er  auch  angewendet,  wenn  damit  ein 
vollständiges  Aufgeben  des  Eigentumsrechtes  gemeint  war.  Im 
mittelalterlichen  Recht  schlietlt  diese  Gruppe  von  Transaktionen, 
genannt  .bailment“,  auch  die  Verpfändung,  Aufbewahrung,  die 
Übergabe  an  einen  Fuhrmann  oder  Handwerker,  der  irgend  welche 
Arbeiten  an  dem  Gegenstände  zu  verrichten  hat,  die  unentgelt liehe 
Verleihung  zum  Gebrauche  bei  nachheriger  Zurückgabe  und  das 

schrillen  des  Gesetzes  von  Murlbridge  betreffs  rechtmäßiger  Pfändung  (lawful 
distresses).  Iteeves,  a.  a.  0.,  I,  S.  507. 

')  Rrooke,  Abridgment,  tit.  Distress,  713:  Illackstone,  III,  e.  I, 
§ V:  siehe  auch  oben  S.  185. 

Da  für  die  vorliegende  Abhandlung  eine  Bearbeitung  der  gerichtlichen 
Pfändungnicht  vorgenoimnen  wurde,  muß  es  dahingestellt  bleiben,  ob  im  Mittel- 
alter  die  im  Prozesse  gepfändeten  (iegenstände  verfallen  oder  verkauft 
werden  konnten.  Uber  die  gerichtliche  Pf&ndung  siche  Bractu  n 's  Note  Book, 
Inhaltsverz.  s.  v.  Distress;  Pollock  and  Maitland  a.  a.  0.,  II,  S.  578, 
594,  597:  Iteeves,  Hist.  Eng.  Law,  Inhaltsverz.  s.  v.  Distress. 


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I 


192 

Verleihen  gegen  Entschädigung  ein.  Im  Allgemeinen  unterliegen 
diese  verschiedenen  Transaktionen  denselben  Rechtsgrundsätzen '). 

Es  ist  nicht  beabsichtigt,  hier  auf  eine  Erörterung  der  schwie- 
rigen Probleme  einzugehen,  welche  mit  diesem  Zweige  der  eng- 
lischen Rechtsgeschichte  verbunden  sind.  Das  Material  für  die 
Geschichte  der  Mobilien  ist  viel  weniger  reichlich  als  das  für 
die  Geschichte  des  Immobiliarrechtes,  und  besonders  während  der 
letzten  Jahre,  wo  das  Interesse  an  der  Rechtsgeschichte  mehr  und 
mehr  gewachsen  ist.  haben  sich  stark  von  einander  abweichende 
Meinungen  bezüglich  der  wichtigsten  zu  Grunde  liegenden  Fragen, 
die  mit  den  ersten  Anfängen  des  law  of  bailment  verbunden  sind, 
ergeben.  Selbst  die  fundamentale  Frage  ist  aufgeworfen  worden, 
ob  das  mittelalterliche  Recht  wirklich  ein  Eigentumsrecht  im  Gegen- 
satz zum  bloßen  Besitz  an  dem  Mobilar  gekannt  hat,  und  es  ist 
viel  darüber  gestritten  worden,  ob,  im  Falle  diese  Frage  bejaht 
werden  muß,  der  Übergebende  (bailor)  beim  bailment  sich  sowohl 
seines  Eigentumsrechtes  als  auch  seines  Besitzes  begibt,  wenn  er 
den  Gegenstand  dein  Empfänger  (bailee)  aushändigt  *). 

')  Pollock  and  Maitland,  Hist.  Kng.  Law,  II.  S.  169,  170.  Holmes, 
Common  Law,  S.  175.  sagt,  daß  das  englische  .law  of  bailments  is  of  pure 
fierinan  descent“. 

’)  Siehe  Maitland,  The  Seisin  of  Chattels.  L.(|.k,  I,  S,  324—341: 
Arnes,  The  Disseisin  of  Chattels,  H.  L.  K.,  III,  S.  23— 40,  313 — 328,  337 
bis  346:  Holmes,  The  Common  Law,  S.  164 — 246:  Pollock  and  Mai  tland 
a.  a.  <).,  II,  S.  149 — 183:  Williams.  Personal  Property,  S.  10,  11.  516,  517. 

Bezüglich  der  Theorie,  daß  der  bailee  ein  ..special  property*  an  den 
übergebenen  (bailed)  tiegenständen  besitzt,  siehe  besonders  Holmes  a.  a.  O. ; 
Jones,  Law  of  Bailments;  Coke  über  Littlcton,  89a.  Ks  scheint  so  ziem- 
lich allgemein  angenommen  zu  werden,  daß  vor  dem  Ausgang  des  Mittel- 
alters, wie  auch  immer  das  frühere  liecht  gewesen  sein  mag,  der  bailor  das 
.general  property“  an  dem  Gegenstände  hat  und  in  der  Tat  der  Eigentümer 
Gowner“)  ist.  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  177.  Vergl. 
Williams,  Personal  Property,  S.  53. 

Die  klassischen  Werke  über  das  englische  law  of  bailments,  ein- 
schließlich der  Mobiliarverpfändung  (pledge.  pawn),  siud:  Jones,  Law  of 
Bailments,  und  Story.  Bailments  (über  Story  siebe  Markby,  Elements  of 
Law.  §§  434,  435).  In  diesen  Werken  wird  man  einen  Vergleich  zwischen 
dem  englischen  und  dem  römischen  Recht  finden.  Über  das  englische  Recht 
siebe  in  Ergänzung  der  in  dieser  Abhandlung  citierten  Literatur  die  Fol- 
genden: Reeves,  Hist.  Eng.  Law,  L S.  211 — 214:  Ashburncr,  Mortgages 
Pledges  and  Liens:  liohbins,  Law  of  Mortgage,  II.  8.  1458  ff.:  Turner, 


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193 


Es  muH  hier  genügen,  zu  konstatieren,  daß  die  Verpfandung 
von  Mobilien  (pledge,  pawn)  eine  Form  von  bailment  darstellt, 
und  daß  diese  Verpfandungsform  der  einzige  Modus  im  Mittelalter 
gewesen  zu  sein  scheint,  um  freiwillig  bewegliche  Sachen  zum 
Zwecke  der  Sicherheitsleistung  dienen  lassen  zu  können.  Mit  an- 
deren Worten,  wir  finden  im  Mittelalter  Mobiliarverpfandung  mit 
Besitz  des  (Jlsiubigers  •>,  keine  Hypothek  auf  hewegliche  Sachen; 
denn  obschon,  wie  wir  anderwärts  gezeigt  haben,  die  englischen 
mittelalterlichen  Quellen  von  einer  obligatio  sowohl  an  beweg- 
lichen wie  unbeweglichen  Sachen  sprechen,  so  scheint  damit  doch 
nicht  ein  dingliches  Recht,  eine  Hypothek  auf  bewegliche  Sachen 
gemeint  zu  sein*). 

II.  Verfallspfand  (pledge,  pawn). 

Eine  Verpfändung  von  Mobilien  (pledge  of  chattels)  zur 
Sicherstellung  einer  Forderung  (debt)  geschieht  im  Mittelalter 
durch  Übertragung  des  Besitzes  an  den  Gläubiger  in  Überein- 
stimmung mit  dem  Pfandvertrage  (contract  of  pledge)  zwischen 
den  Parteien;  dieser  Vertrag  wird  vor  dem  königlichen  Gericht 
(King's  Court)  geschlossen3). 

Die  Verpfandung  kann  auf  bestimmte  oder  unbestimmte  Zeit, 
geschehen 4). 

Contract  of  Pawn:  Beal,  Law  of  Bailmcnts:  Markt) y , Element«  of  Law, 
Kapitel  fiberschrieben  „Security“,  Uber  das  amerikanische  Kocht  siehe 
Kent,  Commentariea,  II,  S.  559—611. 

•)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  180.  Siche  auch  Williams, 
Personal  Property,  S.  10. 

*)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen:  und  über  das  tres  ancien  droit 
vergl.  Egger,  Vennögcnshnftung  und  Hypothek,  S.  18411.  Vorgl.  jedoch  be- 
züglich der  Anfänge  der  Geschichte  der  englischen  Hypothek  („hypotheration") 
auf  SchifTo  Seloct  Pleas  in  the  Court  of  Adiniralty  (Seid.  Soc.),  I. 

3)  Glan  rill.  X.  G,  8.  Uber  Verpfändung  (pledge,  pawn)  von  Mobilien 
an  jüdische  Gläubiger  im  Mittelalter,  siche  Select  Pleas  in  the  Jewish 
Exchequer  (Seid.  Soc.)  S.  4.  8,  t;4.  108,  103—104,  106,  107.  111,  115;  Leet 
.Inrisdiction  in  the  City  of  Nnrwich  (Seid.  Soc.),  S.  9,  10:  Hazcltinc,  The 
Exchequer  of  the  Jews  (Law  Qnartorly  Review,  Bd.  XVIII,  S.  308).  Betreffs 
Palle  von  Mobiliarrcrpfändurig  (pledge)  vor  lokalen  Gerichtshöfen  siehe 
Select  Pleas  in  Manorial  and  other  Scignorial  Courts  (Seid.  Soc.),  I, 
S.  150,  182. 

•)  Glanvill,  X.  G. 

Hazeltlne.  Englisches  Pfandrecht  15 


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194 


Wird  der  Besitz  an  den  Gläubiger  übertragen,  so  muß  derselbe, 
wie  es  scheint,  gleichgiltig  ob  die  Verpfändung  für  eine  bestimmte 
oder  unbestimmte  Zeit  geschehen  ist,  den  verpfändeten  Gegenstand 
sicher  aufbewahren  (keep  safely),  und  darf  er  denselben  weder  in 
Benutzung  nehmen  noch  für  irgend  welche  anderen  Zwecke  ver- 
wenden, wodurch  er  in  seinem  Werte  verlieren  würde.  Sollte  der 
Gegenstand,  während  er  sich  in  Verwahrung  des  Gläubigers  be- 
findet, durch  die  Schuld  des  letzteren  an  seinem  Werte  verlieren, 
so  kann  für  den  erlittenen  Verlust  Ersatz  verlangt  und  ein  ent- 
sprechender Betrag  von  der  Schuld  in  Abzug  gebracht  werden '). 
In  der  Tat,  sobald  die  Schuld  vom  Schuldner  beglichen  worden 
ist,  ist  der  Gläubiger  verpflichtet  (bound),  das  Pfandobjekt  unbe- 
schädigt zurückzuerstatten;  sollte  der  Gegenstand  aber  nicht  allein 
durch  die  Schuld  des  Gläubigers,  sondern  durch  irgend  einen 
Zufall  beschädigt  werden  oder  verloren  gehen,  während  er  sich  in 
Verwahrung  des  Gläubigers  befindet,  so  hat  dieser,  nicht  der 
Schuldner  die  Folgen  zu  tragen.  Mit  anderen  Worten,  der  Gläu- 
biger isf  nach  Glanvill  unbedingt  verpflichtet  (decidedly  bound) 

1 . entweder  den  verpfändeten  Gegenstand  zurückzngcben,  oder 

2.  Ersatz  dafür  zu  leisten,  oder  .‘t.  auf  seine  Forderung  zu  ver- 
zichten (löse  bis  debt) 2 1.  .Mit  dem  Besitz  trägt  der  Gläubiger 
daher  auch  die  Gefahr.  Seine  Haftpflicht  ist  daher  eine  absolute 
(absolute  liability).  und  schließt  sowohl  eigenes  Verschulden,  wie 
Vernachlässigung  und  Unfall  in  sich:t). 

')  Wenn  «las  verpfändete  Objekt  solcher  Natur  ist,  dal!  dasselbe  Aus- 
lagen nötig  niarlit,  z.lt.  Vieh,  das  gefüttert  werden  muH,  oder  ein  tiegenstand 
der  zu  reparieren  ist.  so  ist  das  l'bereinkoinmnn  der  Parteien  hierüber  mal! 
gebend.  Glanvill,  X,  <>. 

*)  Glanvill,  X,  t>,  8.  Vcrgl.  Glanvill.  X,  13.  siehe  Anhang. 

*)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  <)..  II,  S.  170—172:  Holmes, 
The  Common  I.aw,  S.  175:  Williams.  Personal  Property,  K.  10.  Williams. 
Personal  Property,  S.  10,  Anm.  (c),  citiert  Coke  über  l.ittlcton.  89a. 
neben  anderen  Quellen  zur  Unterstützung  der  I loktrin.  dal!  der  bailee  die 
Gegenstände  unbeschädigt  zurückzugeben  bat  und  hierfür  die  absolute  Ver- 
antwortlichkeit trägt,  auch  dann,  wenn  die  Gegenstände  ohne  seine  Schuld 
gestohlen  worden  sind  (absolute  responsibility  to  rotuni  the  goods  safely). 
Was  aber  den  Pfandgläubiger  (pledgec)  betrifft,  so  kann  dieser  Passus  von 
Coke  nicht  ohno  eine  gewisse  Keservo  hier  angewendet  werden,  denn  Coke 
(Coke  über  Littleton,  89a)  sagt:  .So  if  goods  be  delivered  to  one  as  a 
gage  or  pledge.  and  they  be  Stollen,  he  sball  be  diseharged:  because  be  hatli 


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195 


Bracton  sagt,  da  LI  nach  dem  Rechte  seiner  Zeit  der  Pfand- 
gläubiger nur  zur  üblichen  Sorgfalt  und  gebührender  Wachsam- 
keit (ordinarv  care  or  due  diligence)  verpflichtet  sei '),  aber  dies 
scheint  nur  römische  Gelehrsamkeit  zu  sein,  nicht  aber  englisches 
Recht  bis  nach  Rractons  Zeit®). 

a property  in  them,  and  therefore  he  ought  to  keepc  theui  no  othiTwi.se  t hau 
his  owiic:  but  if  he  that  gaged  them,  tendred  the  money  betöre  the  steal- 
ing,  and  the  other  refused  to  delircr  them,  then  for  this  default  in  hini  he 
shall  be  charged.“  Siehe  ferner  Anm.  (10)  bei  Coke  über  Littlcton,  S9b. 

Holmes,  Common  Law.  S.  166 — 168,  175.  stellt  die  Behauptung  auf. 
daß  die  absolute  Verantwortlichkeit  (absolute  responsibility)  des  bailee  auf 
das  deutsche  Hecht  zuriiekgoführt  werden  kann,  und  dall  sie  seit  unvordenk- 
lichen Zeiten  auch  zum  englischen  liecht  gehört.  Siehe  auch  Pollock  and 
Maitland.  a.  a.  0.,  II,  S.  170 — 172.  Hinsichtlich  einer  entgegengesetzten 
Meinung  siehe  Beale,  The  Carriers  Liabilitv:  Its  History,  HLIt..  XI. 
S.  158 — 168.  Holmes,  Common  Law.  S.  167.  behauptet  ferner,  daß  von  den 
beulen  alten  Kechtsregeln,  nämlich,  daß  dem  bailee  die  Klage  gegen  den 
unrechtmäßigen  Nehmer  zusteht,  und  daß  der  bailee  die  absolute  Verant- 
wortlichkeit gegenüber  dem  bailor  trägt,  die  erstere  die  ältere  sei.  Pollock 
and  Maitland  a.  a.  0.,  II.  S.  171,  172.  aber  sagen:  „Pcrhaps  we  coino  neur- 
ost to  historical  truth  if  we  say  that  between  the  twn  old  rnles  there  was 
no  logical  priority.  The  bailee  had  the  aetion  hecause  hc  was  liable  and 
was  liable  because  he  had  the  aetion." 

*)  Bracton,  f.  99,  99b:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  ()..  11,  S.  171: 
Jones,  Law  of  Bailmonts.  S.  86  — 96:  Story,  Bailments,  S 296,  297.  Vgl. 
Bracton,  f.  62b.  Siehe  auch  ferner  Pieta.  S.  120 — 121:  Holmes,  Common 
Law,  S.  175:  Gfiterbock,  Bracton  and  his  Relation  to  Koman  Law  (Über- 
setzung von  Coxo),  S.  141,  175:  Scrutton.  Kornau  Law  in  Bracton,  I.QIL, 
I.  S.  436.  137:  Bracton  and  Azo  (Seid.  Soc.),  S.  146,  147.  ln  Jones,  Law 
of  Bailments.  S.  86—96,  helindet  sich  eine  scharfe  Kritik  der  Kechtaregnl 
betreffs  der  Verantwortlichkeit,  wie  Coke  sie  hinstellt.  Siehe  aber  Story. 
Bailments,  S.  297 — 306. 

Holt  der  Richter  in  dein  großen  Streitfälle  Coggs  c.  Bernard  während 
der  Kegierungszeit  der  Königin  Anne,  hält  an  der  Rechtsrcgel  fest,  daß  der 
Pfandgläubiger  (pledgee)  nur  zur  üblichen  Sorgfalt  und  gebührender  Wach- 
samkeit (due  diligence)  angehalten  werden  kann.  Story,  Bailments,  S.  296. 
297.  Ein  eingehender  Bericht  über  diesen  wichtigen  Koehtsfnll  ist  tu  er- 
sehen hei  Jones,  Law  of  Bailments.  Anhang.  Siehe  ferner  über  das  mo- 
derne Recht  beziigl.  Verantwortlichkeit  Schouler,  Personal  Property,  S.  515. 

J)  Siehe  Holmes,  Common  Law,  S.  176;  Pollock  and  Maitland,  Hist. 
Eng.  Law,  II.  S.  171:  Bracton  and  Azo  (Seid.  Soc.)  S.  146,  147.  Ist  der 
Wortlaut  (f.  99,  99b)  auf  den  man  sich  hinsichtlich  der  scheinbaren  Modi- 
fikation der  alten  Hechtsregel  über  Verantwortlichkeit  des  bailee  stützt. 

13* 


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19« 


Bacon,  in  seinem  Werke  Abridgment  of  the  Law'),  sagt: 
„If  a creditor  takes  a pawn,  he  is  bound  to  restore  it  npon  pay- 
ment; but  if  he,  notwithstanding  all  his  diligcnce  lose  it.  he  shall 
howsoever  recover  his  debt,  29.  Ass.  pl.  2X  ftemp.  Ed.  III]:  for 
the  law  does  not  lav  upon  him  an  Obligation  to  keep  against  all 
accidents;  but  if  the  inoney  be  tendered,  and  he  after  detains, 
and  then  it  is  lost,  he  shall  then  be  liable,  for  he  is  the»  a wrong- 
doer,  and  his  keeping  it  alter  is  the  occasion  of  its  being  stolen, 
and  he  is  then  answerable  at  all  events.“ 

Bis  zum  Ende  des  vierzehnten  Jahrhunderts  hat  derjenige, 
der  eine  fremde  bewegliche  Sache  übernimmt  (baileei,  nicht  aber 
derjenige,  der  sie  übergibt  (bailor),  die  possessorischen  Rechtsmittel 
gegen  Dritte  in  der  Hand*),  und  der  bailor  kann  sich  mit  einer 
Klage  nur  an  den  bailee  halten;  das  Prinzip  des  englischen  Rechtes 
scheint  demnach  dasselbe  wie  dasjenige  des  deutschen  Rechtes 
zu  sein,  welches  in  dem  Sprichwort:  .Hand  wahre  Hand“  zum 
Ausdruck  kommt3). 

Wie  es  scheint  bezieht  sich  diese  allgemeine  Regel  betreffs 
bailment  gleicherweise  auf  die  besondere  Form  des  bailment,  mit 
welcher  wir  jetzt  beschäftigt  sind,  nämlich  auf  die  Verpfändung 
(pledge,  pawn)  von  Mobilien.  Diese  Regel  zeigt  den  Unterschied 
bezüglich  der  Besitzfrage  zwischen  Mobiliarverpfändung  und  Imtno- 
biliarverpfhndung  zu  ülanvills  Zeiten.  Zu  dieser  Zeit  stand  dem 
Pfandgläubiger  bei  Übereignung  von  Immobilien  unter  Suspensiv- 
bedingung zu  Pfandzwecken  absolut  kein  Rechtsschutz  seines  Be- 
sitzes zur  Seite '). 

der  ursprüngliche  Text  ßractons?  Siehe  Huhnes,  a.  a.  ().,  S.  175,  Amn.  4 
und  die  dort  angeführten  Quellen,  sowie  Pollork  and  Maitland,  a.  a.  O., 
II,  S.  171,  Amn.  4. 

')  Tit.  Kailment. 

*)  Hie  Entwickelung  der  Hechte  des  bailor  gegenüber  dritten  Pcrsouen 
scheint  unter  der  Regierung  Eduards  III.  /.u  beginnen.  Siehe  Williams, 
Personal  Property,  S.  11,  21. 

s)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  155,  159.  169 — 176: 
W i 1 1 i a m s,  Personal  Property.  S.  II.  Vergl.  Williams  a.  a.  0..  S.  8.  Über 
das  deutsche  Recht  siehe  Heusler,  Hewere.  S.  495:  Schröder.  1 »If < • .. 
S.  270,  373,  377,  698. 

*)  Über  die  Weigerung  der  Gerichte  zu  Glanvills  Zeiten,  den  Besitz 
des  Pfandglnubigers  (gagee)  bei  Immobil  in  rvrrpfSndnng  unter  Suspensivbe- 
dingung zu  schützen,  siehe  Ulanvill,  X.  II:  unten  S.  205  ff. 


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197 


Nach  Begleichung  der  Schuld  hat  der  Gläubiger,  wie  oben 
angegeben,  den  verpfändeten  Gegenstand  unverletzt  zurückzu- 
erstatten, und  wenn  er  dies  nicht  tun  kann,  so  muß  er  dem  Schuldner 
für  den  entstandenen  Schaden  Ersatz  leisten  oder  aber  auf  seine 
Forderung  verzichten '). 

Versäumt  der  Schuldner  die  Zahlung,  so  kann  das  Pfandrecht 
infolge  des  eingetretenen  Verfalles  des  verpfändeten  Gegenstandes 
realisiert  werden.  Ist  der  Pfandvertrag  für  einen  gewissen  Zeitraum 
abgeschlossen  und  enthält  derselbe  eine  Verfallsklausel,  dann  ist 
bei  Versäumnis  der  Zahlung  am  Stichtage  der  Verfall  ein  absoluter 
und  tritt  dieser  sofort  von  selbst  und  ohne  weiteres  ein®).  Ist  der 
Kontrakt  für  einen  gewissen  Zeitraum  abgeschlossen,  enthält  der- 
selbe aber  keine  Verfallsklauscl.  dann  muß  sich  der  Gläubiger 
im  Falle  der  Zahlungsversäumnis  am  Stichtage  an  das  Gericht 
wenden  und  dasselbe  veranlassen,  den  Schuldner  zu  zwingen,  vor 

')  Glanvill,  X,  6.  9.  .Spence,  Equitable  Jurisdiction,  1,  S.  601: 
.Uriginallv  a writ  was  given  for  the  recovery  of  a thing  pledged,  on  the 
debt  heilig  paid  Ml  [eitierl  Glanvill.  S.  259,  Aull.  Heamcs]:  afterwards 
where  the  subject  was  a movable,  the  action  of  detinne  was  substituted 
[eitiert  Y.  B.  9 Kd.  JV,  25,  und  weist  auf  Y.  B.  21  Edw.  IV.,  1t)  hin].“ 

3)  Story,  Hailments,  S.  309,  unter  t'itierung  (ilanvills  X,  6,  sagt:  „It 

is  elear,  by  the  common  law.  that,  in  cases  of  a tnore  pledge,  if  a atipulated 
time  is  fixed  for  the  payment  nf  the  debt,  and  the  debt  is  not  paid  at  the 
time,  the  absolute  property  docs  not  pass  to  the  plcdgee.  This  doctrine 
is,  at  least,  as  old  as  the  time  of  Glanville.“  Ferner  sagt  er  Seit«  276  unter 
t'itierung  (Ilanvills,  X,  1,  6,:  .The  common  lawr  of  England,  existing  in 
(he  time  of  Glanville,  seems  to  have  required  a judicial  process  to  justifv 

the  sale,  or  at  least  to  destroy  the  right  of  redemption.“  Über  Vorkaufs- 

recht sich«  auch  .Story,  a.  a.  0.,  S.  275. 

Es  ist  fast  ohne  Zweifel,  dal.!  Storv  Glanvills  Darstellung  der  Vcr- 
fallsklausel  übersehen  hat : denn  (Ilanvill  sagt  ausdrücklich,  daß  wenn  der 
Vertrag  auf  eine  bestimmte  Zeit  abgeschlossen  wurde  und  eine  Verfalls- 
klausel eutbält,  bei  Zahlungsversäumnis  am  Stichtage  absoluter  Verfall  die 
Folge  ist.  Kceves,  Hist.  Eng.  Law.  I,  S.  212,  und  Spence,  Equitable 
Jurisdiction,  I.  S.  600,  601,  geben  Glanvill  richtig  wieder. 

Wiederum  kann  Story’s  Darlegung  über  das  Vorkaufsrecht  leicht  irre- 
führen : denn  ein  Vorkaufsrecht  schließt  die  Zahlung  des  Überschusses  au 
den  Schuldner  ohne  weiteres  ein.  Das  Substanzpfand  (Ilanvills  ist  Verfalls- 
pfand und  nicht  Verkaufspfand,  und  wenn  es  dem  Gläubiger  beliebt,  den 
Gegenstand  zu  verkaufen,  so  kann  er  den  ganzen  Ertrag,  wie  hoch  er  sich 
auch  belaufen  mag.  für  sich  behalten,  denn  der  Gegenstand  war  zur  Zeit  des 
Verkaufes  sein  Eigentum. 


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ms 


Gericht  zu  erscheinen  und  sich  zu  verantworten.  Erkennt  der 
Schuldner  vor  Gericht  die  Schuld  und  die  Verpfändung  an,  dann 
wird  das  Gericht  eine  angemessene  Zeit  (rea.sonalde  time)  be- 
stimmen. wahrend  welcher  das  Pfand  eingelöst  werden  kann, 
oder  aber,  wenn  dies  nicht  geschieht,,  vollständig  dem  Gläu- 
biger verfallt.  Bestreitet  jedoch  der  Schuldner  die  Verpfändung, 
so  muß  er  entweder  anerkennen,  daß  der  Gegenstand  sein  Eigen- 
tum ist  und  einen  Grund  angeben,  warum  er  sieh  in  den  Händen 
der  anderen  Partei  befindet,  z.  B.  daß  er  zur  Aufbewahrung  über- 
geben worden  ist,  oder  er  muß  eingestehen,  daß  der  Gegenstand 
nicht  sein  Eigentum  ist.  In  dem  letzteren  Falle  wird  dem  Gläu- 
biger sofort  freigestellt,  über  den  Gegenstand  als  über  sein  Eigen- 
tum zu  verfügen.  Wenn  der  Schuldner  jedoch  behauptet,  daß 
der  Gegenstand  sein  Eigentum  sei,  dagegen  aber  die  Verpfändung 
und  die  Schuld  bestreitet,  so  muß  der  ( «laubiger  die  Schuld  und 
die  zur  Sicherstellung  seiner  Forderung  erfolgte  Verpfändung  des 
Gegenstandes  nachweisen.  Ist  der  Gegenstand  auf  unbestimmte 
Zeit  verpfändet,  so  kann  der  Gläubiger  zu  jeder  beliebigen  Zeit 
den  Betrag  der  Schuld  zurückfordern.  Dies  bedeutet  augenschein- 
lich, daß  bei  Versäumnis  seitens  des  Schuldners  nach  Aufforderung 
zur  Zahlung  der  Gläubiger  sich  an  das  Gericht  wenden  und  den 
Schuldner  zur  Verantwortung  ziehen  kann,  in  gleicher  Weise  wie 
vorstehend  angegeben.  Der  Verfall  eines  verpfändeten  Gegenstandes 
an  den  Gläubiger  ist  die  allerletzte  Gonsequenz  bei  Versäumnis 
der  Zahlung  innerhalb  einer  vom  Gericht  festgesetzten  an- 
gemessenen Zeit '). 

Der  Verfall  des  verpfändeten  Gegenstandes  scheint  daher  in 
allen  Fällen  die  letzte  Folge  zu  sein,  die  aus  der  Zahlungs- 
versäumnis seitens  des  Schuldners  hervorgeht.  Enthält  der  Vertrag 
eine  Verfallsklausel,  so  tritt  bei  Zahlungsversäumnis  am  Stich- 
tage der  absolute  Verfall  von  selbst  ein.  Andernfalls  muß  ein 
auf  Billigkeitsprinzipien  beruhendes  Verfahren  (proceeding  equi- 
table  in  nature)  vor  Gericht  eingeleitet  werden,  ehe  der  Gegen- 
stand verfallt.  Mit  anderen  Worten,  wenn  keine  Verfallsklausel 
vorhanden  ist,  soll  dem  Schuldner  noch  eine  Möglichkeit  geboten 

')  IjilanviD,  X.  6—8:  lteovcs,  Hist.  Kng.  Law.  1,  S.  212:  Pollock 
and  Maitland,  a.  a.  <).,  II,  S.  220. 


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199 

werden,  den  (legen stand  einzulösen;  tut  er  dies  nicht,  su  wird 
das  Anrecht  ("title)  des  Gläubigers  an  dem  verpfändeten  (legen- 
stand gernall  Spruch  des  Gerichtes  perfekt1). 

Diese  Verpfändungsform  (pledge,  pawn)  mit  Besitz  des  Gläu- 
bigers hat  sich  bis  auf  unsere  Tage  erhalten.  Welcher  Ansicht 
man  auch  darüber  sein  mag,  oh  während  des  Mittelalters  der 
Empfänger  ihailee)  sowohl  das  Eigentumsrecht  als  auch  den  Besitz 
erwarb,  so  stellt  doch  gegenwärtig,  wie  auch  in  früheren  Zeiten 
diese  Verplandungsform  ein  Substanzpfand  dar.  Im  Mittelalter 
ist  das  Pfand  (pledge,  pawn)  Verfallspfand  *).  Aber  im  modernen 
Hecht  hat  sich  diese  Form  des  Pfandes  in  ein  Verkaufspfand  ver- 
wandelt. Der  Pfandgläubiger  ist  nach  heutigem  Recht  nicht  in 
der  Lage,  zu  verlangen,  da  11  ihm  der  verpfändete  Gegenstand  vom 
Gericht  als  verfallen  zugesprochen  wird  (right  of  foreclosure),  denn 
der  Pfandgeber  (pledgor)  ist  berechtigt,  das  Pfandobjekt  wieder 
einzulösen,  so  lange  es  nicht  verkauft  ist.  Sowohl  hei  ausdrück- 
licher wie  bei  stillschweigender  Ermächtigung  (special  or  implied 
power)  hat  er  in  der  Tat  das  Recht  bei  Versäumnis  rechtzeitiger 
Einlösung  den  Gegenstand  zu  verkaufen,  jedoch  muß  er  über  den 
Ertrag  Rechenschaft  ablegen  (account),  und  den  Überschuß  (sur- 
plus)  über  den  Betrag  der  Schuld  und  die  gehabten  notwendigen 
Ausgaben  an  den  Pfandgeber  (pledgor)  auszahlen3). 

Obgleich  das  mittelalterliche  Recht  nur  die  Verpfändung  von 
beweglichen  Sachen  mit  Besitz  des  Gläubigers  (pledge,  pawn) 
kennt,  hat  sich  im  modernen  Recht  eine  Form  der  Verpfändung 


*)  Über  die  Notwendigkeit  lisch  mittelalterlichem  liecht  einen  Richter- 
spruch einzuholen,  um  einen  Rechtstitel  perfekt  zu  machen,  siehe  Wigmorc, 
Harv.  Law  Review  X,  S.  333  ff. 

-)  Siehe  S.  193  ff'.  Die  Hfirte  des  Verfalls  spiegelt  sich  in  der  nicht- 
juristischen  Literatur  wieder.  Siehe  x.  11.  Thomas  Dekker's  Tht  Hatc/ulan 
Hnntjucl,  \.  D.  1603  (in  The  Non-Dramatic  Works  of  Thomas  Dekker,  lirsg. 
von  A.  11.  (irossart.  I,  S.  164). 

*)  Robbins,  Law  of  Mortgagcs.  II.  S.  1460.  1470.  1471:  Fisher, 
Law  of  Mortgage.  $$  202,  928.  832:  Williams,  Personal  Property,  S.  53,  8.5: 
Ashburncr,  Priuciplcs  of  Kquity.  8.  308.  Nach  dem  heutigen  amerikanischen 
Rechte  kann  der  Pfandgl&ubiger  tplcdgee.  pawnee)  «stie  the  pledgor  person- 
ally  for  his  debt.  w ithout  selling  the  pledge  — a reinedy  always  open, 
sinec  the  pledge,  after  all,  fnrnishes  nierelv  a enllateral  sccurity“.  Schoulcr, 
Personal  Property,  S.  521. 


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200 


entwickelt,  wonach  der  Schuldner  iin  Besitze  bleibt,  bis  er  es  ver- 
säumt, seine  Zahlungen  rechtzeitig  zu  leisten.  Diese  Form  der 
Verpfändung  ist  bekannt  als  „mortgage“  an  beweglichen  Sachen 
('personal  property  or  goods)  und  ist  dem  klassischen  mortgage  an 
einem  Grundstück  auf  Grund  einer  Übereignung  unter  Resolutiv- 
bedingung (eonditional  feoffment)  sehr  ähnlich.  Bei  einem  solchen 
mortgage  auf  eine  bewegliche  Sache  (personal  chattel)  geht  das 
Eigentumsrecht  sofort  auf  den  Pfandgläubiger  (mortgagee)  über, 
aber  der'Pfandgeber  (mortgagor)  bleibt  in  dessen  Besitz  mit  dem 
Rechte  es  zu  einem  festgesetzten  Termine  wieder  einzulösen.  Mit 
anderen  Worten,  das  mortgage  auf  eine  bewegliche  Sache  ist  eine 
bedingte  Übereignung,  die  nach  gemeinem  Recht  mit  oder  ohne 
gesiegelte  Urkunde  vorgetiommeu  werden  kann.  Bei  Verzug 

dos  Schuldners  hat  der  Pfandgläubiger  (mortgagee)  das  Recht, 
davon  Besitz  zu  ergreifen,  und  der  Pfandgeber  (mortgager),  der 
sich  nun  sowohl  seines  Eigentumsrechtes  wie  auch  seines  Besitzes 
begeben  hat,  hat  nach  gemeinem  Recht  (Common  Law)  keine  Rechts- 
mittel zu  seiner  Verfügung,  um  wieder  zu  dem  verpfändeten 
Gegenstände  gelangen  zu  können.  Das  Billigkeitsrecht  (Equity) 
jedoch  gibt  ihm  das  Recht,  selbst  nach  Zahlungsversäumnis  am 
Stichtage  jsein  Gut  wieder  einzulösen:  dieses  Recht  (right  in  equity) 
des  Schuldners  erfüllt  also  für  das  mortgage  an  beweglichen 
Sachen  dieselbe  juristische  Funktion,  wie  nach  dem  Billigkeits- 
recht die  Wiedereinlösung  selbst  nach  dem  Verfalltage  (equity  nf 
redemption)  bei  mortgages  auf  Immobilien.  A bgesehen  vom  Gesetzes- 
recht (apart  from  Statute)  hat  der  Pfandgläubiger  auch  das  Recht, 
den  Gegenstand  nach  dem  Stichtage  vom  Billigkeitsgericht  als 
endgiltig  verfallen  erklären  zu  lassen  (right  to  foreclosei.  Der 
Pfandgeber  (mortgagor)  ist  jedoch  an  den  in  Übereinstimmung 
mit  den  Bedingungen  der  Verpfändungsurkunde  (mortgage  deed) 
rechtmäßig  vorgenomraenen  Verkauf  seitens  des  Pfandgläubigers 
(mortgagee)  gebunden,  und  im  Falle  des  Verkaufes  hat  der  Pfaud- 
geber  nach  dem  Billigkeitsrecht  (Equity)  nur  Anspruch  auf  den 
Überschuß  isurplus)  über  den  Betrag  der  Schuld  und  die  Kosten. 
Gegenwärtig  sind  die  Bedingungen  bezüglich  mortgages  an  be- 
weglichen Sachen  in  den  Bills  of  Sales  Acts  aus  den  Jahren  1878 
und  1HX2  niedergelegt.  Nach  diesen  Gesetzen  müssen  mortgages 
auf  bewegliche  Sachen  zur  Sicherstellung  von  Schuldforderungen 


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201 


vorschriftsmäßig  amtlich  eingetragen  werden,  sofern  sie  nicht 
absolut  nichtig  sein  sollen.  l>a,s  mortgage  an  Mobilien  ist  also 
nach  dem  heutigen  Recht  eine  Hypothek  mit  Verkaufsrecht  an  dem 
verpfändeten  Gegenstand  ')• 


Dritter  Teil. 

Das  Immobiliarpfandrecht. 

Die  Verpfändungen  von  Immobilien  während  des  großen  Zeit- 
abschnittes von  der  normannischen  Eroberung  bis  ans  Ende  des 
Mittelalters  lassen  sich  in  zwei  große  Klassen  einteilen:  Ver- 
pfändung mit  sofortigem  Besitz  des  Gläubigers  und  Verpfändung 
mit  Besitz  des  Schuldners  bis  zu  eventueller  Zahlungsversäumnis  *>. 

Erster  Abschnitt. 

Pfand  mit  Besitz  des  Gläubigers. 

Die  Verpfändung  mit  sofortigem  Besitz  des  Gläubigers  nahm 
in  der  angelsächsischen  Zeit,  wie  wir  schon  gesehen  haben, 
die  beiden  Hauptformen  von  Nutzpfand  und  Proprietätspfand  an. 

’)  Siehe  Bacon,  Abridgment,  tit.  Mortgage:  Williams.  Personal  Pro- 
perty, S.  87  ff  : Robbins,  Law  of  Mortgages.  I.  S.  14.  II,  S.  1000,  1450  : 
Ashburner.  Principles  of  Equity,  S.  261,  312. 

Das  Bills  of  Sale  Act  vom  .lalire  1882  hat  das  Recht  des  Pfamlgläu- 
bigers  (mortgagec),  den  verpfändeten  Gegenstand  als  verfallen  erklären  r.u 
lassen  (right  of  forcclosurc),  praktisch  außer  Gebrauch  gesetzt,  indem  es 
dem  Pfandgl&ubiger  das  Recht  verlieh,  den  verpfändeten  Gegenstand  bei 
Zahlungsversäumnis  seitens  des  Schuldners  fortzunehmen  (geize).  Siche 
Robbins,  I,aw  of  Mortgages,  I,  S.  220,  II,  S.  1000. 

Uber  das  amerikanische  Recht  beziigl.  liens,  pledgcs  und  mortgages 
auf  bewegliche  Sachen  (personal  property)  siehe  Schouler,  Personal  Pro- 
perty. S.  482 — 559. 

s)  Die  Unterscheidung  zwischen  Pfand  mit  Besitz  des  Gläubigers  und 
Pfand  mit  Besitz  des  Schuldners  ist  in  der  Tat  dieselbe,  wie  sie  der  fidu- 
ciaoder  dem  p ignus  einerseits  und  der  hypotheea  des  römischen  Rechts 
andererseits  (siehe  Dcrnburg,  Pfandrecht,  I,  S.  1 — 95),  der  älteren  Satzung 
des  deutschen  Rechts  einerseits  und  der  jüngeren  Satzung  andererseits  (siehe 
Meibom,  Pfandrecht;  Gierke,  Deutsches  Privatrceht.  Bd.  II,  S.  812 — 826: 
Bru nner,  Grundzüge d. deutsch. Rechtsgesch.,  S 188  — 191),  dem  en  gagemen t 
des  französischen  Rechts  einerseits  und  der  Obligation  andererseits  (siehe 


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202 

Diese  beiden  Hauptformen  tauchen  mit  einigen  Modifikationen  auch 
in  den  Rcchlsqucllcn  nach  der  Zeit  des  normannischen  Einfalles1) 
auf,  ja  sie  haben  sich  mit  einigen  weiteren  Modifikationen  bis  auf 
den  heutigen  Tag  erhalten. 

Erstes  Kapitel. 

Das  Nutzpfand. 

Im  Mittelalter  finden  wir  ein  Nutzungsrecht  oder  eine  Ver- 
pachtung auf  Jahre  (sog.  „beneficial  lease“),  wo  keine  .Schuld- 

Pranken,  l(as  fran z.  Pfandrecht,  S.  I 34!:  Vinllct,  Hisloirc  du  droit  civil 
fram.ais,  S.  73.'!  — 7-1 K)  7.11  <1  runde  liest. 

Das  von  Wilhelm  dem  Eroberer  eingefiilirte  Lelmssystein  war  eine 
/eit lang  der  freien  Veräußerung  oder  Verpfandung  von  Land  i in  Wege. 
Immerhin  war  es  aber  möglich,  das  tenemeiit  mit  Erlaubnis  des  Grundherrn 
oder  des  Königs  7U  verpfänden,  und  diese  Erlaubnis  scheint  hiiutig  erteilt 
wurden  711  sein.  tSehlieUlich  wurde  jedueh  dureh  das  .Statute  of  <Juia  Einp- 
tores  im  Jahre  12!K)  die  freie  Veräußerung  von  estates  in  fee  simple  — 
außer  für  die  tenoutes  in  eapite  der  Krone  — ermöglicht,  und  hierdurch 
wurde  die  lmmobiliarverpfändung  mehr  gebräuchlich.  Siebe  Chiscnhalc- 
M arsh,I>oinesday  Bookrelating  tu  Essex,  f.CLVIIl:  Ilegister,  orltotls,  of  Walter 
Gray,  Lord  Archbishop  of  Vork  (Surtees  Society),  S.  22fi:  llalmota  Prio- 
ratus  Dunelnicnsis,  Preface,  S.  XIX:  1'owell.  Law  of  Mortgages,  S.  3,  4: 
Goote,  Law  of  Mortgage,  I.  Aull.,  S.  4—7:  Jones,  Law  of  Mortgages, 
S.  ö.  Vergl.  Pollock  and  Maitland.  Historv  of  Englisb  Law,  1,  8.  32!) — 34!). 
Es  scheint  jedoch,  wie  wir  an  mehreren  Stellen  der  vorliegenden  Arbeit 
gereigt  haben,  daß  die  Iniinobiliarverpf&ndung.  entweder  durch  sofortige 
Lebergabe  des  Besit7cs  an  den  Gläubiger  oder  dureh  Hypothek,  vor  der 
Annahme  der  Quia  Euiptores  doch  häutiger  vorgckwuimen  ist,  als  von  den 
Schriftstellern  über  Pfandrecht  oft  angenommen  wird. 

Obwohl  nach  dem  Wortlaut  der  Erkunde  die  Hypothek  zuweilen  eine 
General-Hypothek  zu  sein  scheint,  so  handelt  es  sich  hier  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  doch  nur  um  eine  Hypothek  auf  das  Land,  nicht  aber 
auch  auf  das  Mobiliar.  Siebe  unsere  späteren  Ausführungen. 

Über  die  Verpfändung  der  Normandie  dureh  den  Herzog  Hubert  au 
seinen  Bruder  William  Kufus.  König  von  England,  siehe  Brady,  Historv  of 
England,  S.  XXX,  223:  Gardiner,  Historv  of  England.  I,  S.  121.  Über 
die  Verpfändung  von  Aquitaine  und  seiner  übrigen  Länder  durch  Wilhelm 
Herzog  von  Poictou  an  Wilhelm  Knfns,  siehe  Brady,  a.  a.  <).,  S.  224,  B.  C. 
Siehe  auch  Brady,  a.  a.  0„  S.  221,  Amn.  (c).  Betreffs  der  Verpfändung 
einer  Stadt  an  König  Henry  siehe  Sclect.  Civil  Pleas  (Seid.  80c.),  S.  18. 

')  Eine  Zeitlang  nach  der  Eroberung  konnte  die  Verpfändung,  welche 
Form  sie  auch  annehmen  mochte,  ohne  Aufstellung  irgend  einer  Urkunde 
vorgenommen  werden.  Siche  Pollock  and  Maitland.  a.  a.  t).,  II,  S.  123. 


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203 


forderung  den  Akt  der  Verpachtung  an  denjenigen,  der  das  (ield 
an  den  Verpächter  (lessor)  bezahlt  hat,  überdauert.  Zu  dieser 
Zeit  existieren  auch  zwei  Formen  von  Nutzpfand  zur  Sicherstellung 
einer  Forderung,  nämlich  vivum  vadium  (Totsatzung!  und  mor- 
tuum  vadium  (Zinssatzung),  mit  deren  Details,  besonders  im 
zwölften  und  dreizehnten  Jahrhundert,  wir  uns  bald  befassen 
werden '). 

I.  Verpachtung  oder  Nutzungsrecht  auf  Jahre 
(sog.  benelicial  lease). 

Das  sog.  benelicial  lease  ist  ein  Pachtverhältnis  auf  Jahre 
bei  dem  der  Pächter  nach  Vorwegzahlung  der  gesamten  Pacht- 
summe den  Pachtbesitz  übernimmt.  Im  zwölften  und  dreizehnten 
Jahrhundert  dient  diese  Verpachtungsform  zwei  wichtigen  Zwecken: 
sie  verschafft  dem  Verpächter  (lessor)  bares  Geld  und  bietet  gleich- 
zeitig die  Möglichkeit  «ler  Investierung  von  Kapital  mit  der  Aus- 
sicht für  den  Pächter  i lessee),  durch  die  Erträge  des  Landes  wieder 
zu  seinem  Gelde  nebst  Zinsen  zu  gelangen*). 

In  ihrem  Werke  „The  History  of  English  Law“  '■')  haben  Pollock 
und  Maitland  bereits  auf  die  Tatsache  hingewiesen,  daß  es  in  den 
Quellen  des  englischen  mittelalterlichen  Rechts  oft  äußerst  schwer 
ist,  zwischen  dem  „gage  for  years“  und  dem  „benelicial  lease“  zu 
unterscheiden.  Heide  Transaktionen  haben  fast  denselben  Zweck, 
nämlich  die  Wiedererlangung  einer  Summe  Geldes,  welche  jemand 
einer  anderen  Person  zur  Verwendung  übergeben  hat.  Das  „bene- 
ticial  lease“  ist  jedoch  keine  Verpfändung  im  Sinne  der  Sicher- 
stellung einer  Forderung,  denn  es  handelt  sich  hier  nicht  um 
eine  Schuld.  Der  Pächter  kann  sich  zur  Wiedererlangung  seines 
Geldes  nur  an  die  Erträge  des  Landes  während  «1er  Pachtzeit, 
in  keinem  Falle  aber  an  den  Verpächter  selbst  halten. 

Autler  «lab  es  demselben  ökonomischen  Zwecke  dient  wie 
eine  Verpfändung  auf  Jahre,  nämlich  der  sicheren  Rückkehr  der 
gezahlten  Summe  nebst  Zinsen,  hat  das  beneficial  lease  folgenden 
großen  Vorteil  über  die  Verpfändung  auf  Jahre.  Dem  Pächter 
kann  nicht  Wucher  (usury)  zum  Vorwurf  gemacht  weiden,  da 

■)  Siebe  unten  S.  -'04  IV. 

a)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  <).,  II,  S.  111.  112.  117,  121,  122. 

3)  Hand  II.  S.  117,  121,  122. 


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204 


eine  Schuld  nicht  vorliegt und  gerade  zu  der  Zeit,  wo  die  ben- 
eficiul  lease  am  meisten  zur  Anwendung  kommt,  wird  viel  über 
die  Sünde  des  Wuchers  gesprochen  und  das  Vermögen  (goods) 
des  Wucherers,  der  in  der  Sünde  stirbt,  verfällt  dem  König*). 
Die  Beliebtheit  einer  Transaktion,  welche  alle  Vorteile,  aber  keine 
der  Härten,  welche  die  Verpfändung  auf  Jahre  mit  sich  bringt, 
in  sich  schließt,  ist  daher  leicht  zu  verstehen. 

Während  der  Pachtzeit  hat  der  Pächter  natürlich  Anspruch 
auf  den  den  Pächtern  (lessees,  termors)  zustehenden  possessorischen 
Schutz  *). 

Nach  Ablauf  der  Pachtzeit  geht  das  Land  wieder  auf  den 
Verpächter  über*). 

II.  Totsatzung  (vivum  vadium)  und  Zinssatzung 
(mortuum  vadium). 

Das  Nutzpfand  wird  geschaffen  auf  Uruud  des  Vertrages 
zwischen  den  Parteien  und  durch  Übergabe  des  Besitzes  an  den 
Pfandgläubiger  unter  den  Bedingungen  des  Vertrages.  Das  Pfand 
wird  zur  Sicherstellung  einer  Schuldforderung  gegeben,  welche 
mit  Hilfe  der  Klage  action  uf  debt  eingetrieben  werden  kann s) 

Es  gibt  zwei  Hauptformen  des  Nutzpfandes:  welche  Form 
jeweilig  in  Betracht  kommt,  hängt  von  der  Verwendung  ab,  welche 
die  eingezogenen  Renten  und  Erträge  seitens  des  Pfandgläubigers 
finden,  während  der  Zeit,  wo  sich  das  Land  in  seinen  Händen 
befindet.  Die  Parteien  können  bestimmen,  dall  die  von  dem 
Pfandgläubiger  einzuziehenden  Renten  und  Erträge  zur  Kürzung 
des  Schuldbetrages  selbst  verwendet  werden  sollen  oder  nicht. 
Das  Rechtsgeschäft  ist  ein  vivum  vadium  (Totsatzung)6),  wenn  die 
Renten  und  Erträge  zur  Tilgung  der  Schuld  benutzt  werden;  es 
wird  mortuum  vadium  (ewige  Satzung)  genannt,  wenn  die 

’)  Pollock  and  Maitland.  a.  a.  ().,  11.  S.  122.  Vergl.  tiierke. 
Deutsches  Privatrecht,  Ud.  II,  S.  754. 

*)  Siehe  unten  S.  205,  206. 

’)  Siehe  unsere  obige  Besprechung  der  liechte  des  toruior  im  eng- 
lischen mittelalterlichen  Recht. 

*)  Siehe  unsere  früheren  Ausführungen. 

s)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 

*)  Betreffs  des  Ausdrucks  vivum  Tadium  siehe  unten  S.  20611'. 


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•203 

Renten  und  Ertrüge  nicht  zur  Tilgung  der  Schuld  selbst  dienen, 
sondern  an  Stelle  der  Zinsen  vom  Gläubiger  verwendet  werden !). 

Während  des  Bestehens  des  Pfandverhältnisses  pflegt  man  zu 
sagen,  daß  der  Pfandgläubiger  die  seisina  des  Landes  hat;  aber 
diese  sogenannte  seisina  entbehrt  gegenüber  dem  Pfandschuldner 
selbst  oder  gegenüber  dritten  Personen  jedes  rechtlichen  Schutzes  *). 

Beide,  sowohl  das  vivnm  vadium,  wie  das  mortuum 
vadium,  scheinen  vom  Königsgericht  als  rechtsgültiges  Geschäft 
angesehen  zu  werden’).  Aber  durch  das  Eingehen  eines  mortuum 
vadium  Vertrages  begeht  der  Gläubiger  eine  Sünde,  denn  dieses 
Geschäft  ist  eine  Art  Wucher;  und  wenn  der  Gläubiger  vor  Ab- 
lauf des  Vertrages  stirbt,  so  stirbt  er  in  seiner  Sünde  und  sein 

')  Glnnvill,  X.  I>:  Itcin  quandoqnc  invadiatur  res  aliqua  in  mortuo 
vadio,  quandoque  non.  Mortuum  vadium  dicitur  illnd  cujus  frnctua  vel 
redditus  interim  porcepti  in  nullo  so  acquictant.  Glnnvill.  X,  8:  Cum 
vero  res  immnbilis  ponitur  in  vadium,  ita  quod  inde  facta  fuerit  seisina 
ipsi  creditori,  et  ad  tenninum : aut  ita  convenit  inter  creditorem  et  debi- 
Uireni  quod  ovitns  et  redditus  interim  se  acqnietant,  aut  sic  quod  in  nullo 
sc  acquictant.  Prima  ennventio  jnsta  est  et  tonet:  secunda  injtixta  Mt,  et 
inhonesta,  qnac  dicitur  mortuum  vadium:  sed  per  Curiam  doinini  Kegis 
non  prohibetur  tieri.  et  tarnen  reputat  eam  pro  specie  t'surae.  fnde  si 
quis  in  tali  vadio  decesserit,  et  post  mortem  ejus  hoc  fuerit  probatum,  de 
rebus  ejns  non  aliter  disponetur  quam  de  rebus  usurarii.  Caetera  sen'entur. 
ut  piius  de  vadiis  in  rebus  mobilibus  consistentibus  dictum  est. 

Das  englische  vivum  vadium  entspricht  daher  der  deutschen  Tot- 
satznng  und  das  englische  mortuum  vadium  der  deutschen  Zinssatzung. 

3)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen.  Jones,  Law  of  Mortgages,  S.  1. 
sagt:  .The  mort  uum  vadium  was  the  designation  of  a pledge  of  land  of 
which  the  mortgagee  did  not  necessarily  receive  the  posseasion,  or  have  the  rents 
and  profits  in  rcduction  of  the  detnand.  In  the  time  of  Glanville  this  form  of 
security  was  looked  upon  with  much  disfavor  as  a species  of  usury."  Chaplin, 
a.  a.  ().,  IV.  S.  6,  7,  behauptet  ebenfalls,  da U das  vadimn  der  Zeit  Glan- 
vills  und  Ilractonx  entweder  ein  solches  mit  Besitz  des  Gläubigers  oder 
ein  solches  mit  Besitz  des  Schuldners  sein  konnte.  Diese  Ansicht  betreffs 
Besitz  scheint  unrichtig  zu  sein.  Wie  wir  an  anderer  Stelle  gezeigt  haben, 
scheint  der  Pfandgläubiger  im  Falle  des  Glanvill'schen  mortuum  vadium 
und  vivum  vadimn  stets  seisina  ut  de  vadio  zu  haben. 

3)  Glnnvill  sagt  dies  ausdrücklich  im  Kalle  des  vivum  vadium  und 
sein  Satz,  der  mit  Caetera  beginnt,  scheint  zu  bedeuten,  daß  das  mortuum 
vadium  ebenfalls  als  rechtsgültig  anzusehen  ist.  Siehe  Glanvill.  X,  8 
(wörtlich  angeführt  in  Anm.  I oben':  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O., 

II,  S.  119.  Anm.  3.  Yergl.  die  Ansicht  von  Philipps  unten  S.  206,  Anm.  I. 


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•20f> 


Vermögen  (chatiels)  verfallt  dem  König.  Stirbt  er  jedoch  nicht, 
bevor  der  Vertrag  abgelaufen  ist,  so  wird  die  Einhaltung  der  Ke- 
stimmungen  des  letzteren  vom  Königsgerichte  erzwungen  (enforced  i, 
denn  obgleich  Wucher  als  Sünde  angesehen  wird,  so  scheint  er 
doch  selbst  dem  Christen  nicht  ausdrücklich  verboten  zu  sein  und 
für  den  Juden  ist  es  an  und  für  sich  keine  Sünde,  Zinsen  zu 
nehmen.  Wie  es  scheint,  ist  die  gebräuchlichste  Form  des  Pfand- 
vertrages sowohl  für  Christen  wie  für  Juden  das  mortuum  vadi- 
um. trotz  des  ihm  anhaftenden  Charakters  der  Sündhaftigkeit1). 
Jedoch  auch  das  vivum  vavium  ist  in  der  Praxis  nicht  un- 
bekannt, denn  selbst  ein  Jude  läßt  sich  manchmal  dazu  herbei, 
Rechnung  über  die  Verwendung  der  Erträge  zur  Tilgung  der 
Schuld  abzulegen  *). 

Die  Worte  mortuum  und  vadium  in  ihrer  Anwendung  auf 
das  Pfand  sind  in  der  Literatur  des  Pfandrechts  zum  Gegenstand 
eingehender  Erörterungen  geworden.  Nach  Glanvill  liegt  der 
Zustand  des  „Totseins“  beim  mortuum  vadium  in  dem  Faktum, 
dall  die  Renten  und  Erträge,  welche  das  verpfändete  Grundstück 
abwirft,  die  Schuld  nicht  verringern,  während  der  Zustand  des 
„Lebendigseins“  des  vivum  vadium  darin  liegt,  daß  die  Erträge 
ans  dem  Pfandobjekt  die  Schuld  tilgen5).  Littletons  Erklärung 
des  Ausdrucks  mortuum  vadium  oder  inortgage  weicht  noch 
immer  von  der  Auslegung  der  Worte  mortuum  vadium  bei 

')  SichcG la n v i 1 1.  X.  8 : Jones,  a.  ».  0.,  S.  t : Pollock  and  Maitlanil, 
a n.  <>.,  II,  S.  119:  Glassnn.  Histoiro  du  droit  et  des  Institution*  d'Anglc- 
terre,  II,  S.  310,  313.  Phillips.  Knglischc  Reichs-  und  Recht sgeschichlo. 
II,  S.  237.  sagt  bei  llcsprechung  des  Glanv  il  1 'selten  innrtuuin  vadium: 
„ . . . dies  galt  für  ein  unerlaubtes  und  ungeziemendes  Geschäft.  auf  welches 
die  Regeln  von  der  usuraria  pravitas  unbedingt  ihre  Anwendung  fanden: 
erlaubt  war  daher  die  Verpfändung  von  < irimdstüeken  nur  für  den  Kall, 
wo  dem  Schuldner  die  Früchte  zu  flute  kamen."  Siehe  auch  Phillips, 
a.  a.  0„  II,  S.  230,  231.  I'hcr  die  (leschiehte  des  Wuchers  in  Kngland 
siehe  Plnwdeii,  l.aw  of  Knurr  and  Annuities:  Turner,  Kontraet  of  Pawn, 
S.  4 — 7.  Krst  nach  Annahme  des  Statute  37  Henry  VIII.  wurden  l>ar- 
lehen  gegen  Zinsen  als  rechtsgültige  Geschäfte  angesehen.  Konto,  l.aw  nf 
Mortgage,  1.  Aull..  S.  6,  Anm.  (b). 

*)  Siehe  Madnz,  Formulare.  No.  KXLII:  Pollock  aud  Mailland, 
a.  a.  0..  II,  S.  119.  Anm.  4.  Vergl.  Round.  Ancietit  Charters.  No.  .36. 

*)  Glanvill,  X,  8.  Bei  Beaumanoir  linden  wir  dieselbe  Auslegung 
(siebe  c.  68.  § 11).  Vergl.  Snmma,  S.  54.  279. 


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207 


Glanvill  im  zwölften  Jahrhundert  ah.  Littleton  sagt,  daß  das 
Land,  wenn  die  Schuld  nicht  bezahlt  wird,  für  den  Schuldner  tot 
ist,  während,  wenn  die  Schuld  bezahlt  wird,  das  Land  für  den 
Gläubiger  tot  ist '). 

Lei  seiner  Auslegung  des  mortuum  und  vivum  hat 
Glanrill  im  zwölften  Jahrhundert  nur  die  Verwendung,  welche  die 
Früchte  finden,  im  Auge.  Je  nachdem,  ob  die  Früchte  des  Landes 
die  Schuld  reduzieren  oder  nicht,  ist  das  Land  für  den  Schuldner 
lebend  (vivum)  oder  tot  (mortuum).  Auf  der  anderen  Seite 
hat  Littleton  bei  seiner  Auslegung  des  mortuum  vadium  oder 
inortgage  seiner  Zeit  beides,  die  Verwendung  der  Früchte  und 
den  Verfall  des  Landes  selbst  im  Ange.  Wenn  das  verpfändete 
Ijtnd  nicht  eingelöst  wird,  so  verfällt  es  dem  Gläubiger  und  ist 
somit  tot  (mortuum,  inort)  für  den  Schuldner;  wird  das  Land 
aber  eingelöst,  so  geht  der  Besitz  auf  den  Schuldner  zurück  und 
sowohl  die  Früchte,  wie  das  Land  selbst  sind  dann  tot.  für  den 
Gläubiger*). 

Littleton,  $ 032. 

*)  Coke.  bei  Kommentierung  von  Littleton,  § 332,  sagt  (Coke  über 
Littleton,  203a):  ., Mortgage1  is  dcrivcd  (Citierung  Glanvills,  üb.  10,  cap. 
(58  and  lib.  13  rap.  2t»,  27], of  two  French  worils,  viz.  mort,  that  is  mortuum. 
and  gage,  tliat  is  v ad i u in,  or  p ignus.  And  it  is  ealled  in  Latinn  mortu  um 
vadium,  or  morgagiiim.  Now  it  is  ealled  Iu  re  inortgage  or  inortiuiiii 
v ad  i ii  iii  , botli  for  thc  reason  here  oxpressed  by  Littleton,  a»  also  to  disting- 
uisli  it  from  that  «hieb  is  ealled  vivum  v ad  in  in.  Vivum  vadium 
dieitnr  vadium,  quia  nun  quam  moritur  ex  aliqnü  parte  quod  ex 
suis  prov eiitubus  ncq ii i ratur.  As  if  a man  borrow  a hnndred  pounds 
of  anotbor,  and  maketli  an  estate  of  iands  unto  bim.  untill  he  hntli  received 
the  said  surn  of  tlie  issues  and  the  protits  of  the  land.  so  as  in  this  eaae 
weither  money  nor  land  dieth.  or  is  lost,  (wliorcof  Littleton  hath  spoken 
[Coke  bezieht  sich  hier  auf  Li  tt  Icton,  § 327]  before  in  this  Chapter)  und 
tbereforc  it  is  ealled  vivum  vadium." 

Soviel  wir  ersehen,  bezieht  sieh  di»'  lliskussion  in  der  späteren  Hechts- 
literatur über  das  vivum  vadium  und  mortuum  vadium  als  Nutzungs- 
pfänder.  wo  „ncither  money  nor  land  dieth  or  is  lost"  meist  auf  diesen 
Passus  bei  Coke.  Siehe  z.  Ii.  (’ootc,  4.  Aull.  I.  e.  II:  Carter,  Lex  Vadi- 
orum,  S.  1:  Powcll,  Law  of  Mortgagcs,  S.  1 — 4:  Fisher,  I.aw  of  Mort- 
gage. S.  3;  Hobt» ins.  Law  of  Mortgages,  I,  S.  2,  3.  Vergl.  aber  Ree v es. 
a.a.O.,  I,  S.  211,  212,  der  der  Ansicht  zu  sein  scheint,  dali  das  Glanvill  - 
sehe  Pfand  ein  Ycrfallspfand  war  und  der  in  der  Tat  anzudeuten  scheint, 
dal!  das  (5 1 an  v ill'sclie  lnortuiim  vadium  und  das  I.it  t leton'sche  mort- 


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•208 

Obgleich  es  richtig  sein  mag.  dall  das  Glanvillsche  Pfand, 
wie  allgemein  angenommen  wird,  infolge  der  Weigerung  des 
Königsgerichtes,  die  sog.  „seisina“  des  Pfandgläubigers  zu 
schützen,  schnell  autler  < Jebrauch  kam'),  möchten  wir  hier  doch 
kurz  andeuten,  daü  die  leitenden  Grundsätze  des  Glanvillsehen 
reinen  Nutzungspfandes,  das  vivum  vadium  (Totsatznng)  und 
mortuum  vadium  (Zinssatzung),  trotzdem  durch  die  Jahrhunderte 
bis  auf  unsere  Zeit  sich  erhalten  haben. 

Coke  stellt  das  vivum  vadium  seiner  Zeit  als  eine  Form  der 
Verpfändung  hin,  die  zu  vergleichen  ist  mit  dem  mortuum 
vadium  oder  mortgage  bei  Littleton.  „As  if“,  sagt  Coke,  „a 
man  borrow  a hundred  pounds  of  another,  and  maketh  an  estate 
of  lands  unto  him,  untill  he  hatli  received  the  said  sum  of  the 
issues  and  the  profits  of  the  land,  so  as  in  this  case  neither  money 
nor  land  dieth,  nor  is  lost,  ....  and  therefore  it  is  called 
vivum  vadium.“  Bei  solcher  Form  der  Verpfändung  gibt  es 
keinen  Verfall,  denn  sobald  die  Schuld  aus  der  Welt  geschafft  ist, 
geht  das  Grundstück  wieder  in  die  Hände  des  Schuldners  über. 
Nach  den  Worten  Blackstones  ist  diese  Form  der  Verpfändung 

gage,  kombinierte  Geschäfte,  Nutzpfand  plus  Substanzpfand  (Vorfallspfand) 
((oweson  sind.  K*  ist  jedoch  von  Wichtigkeit,  zu  berücksichtigen,  dall 

I. ittleton  in  seinem  § 327,  wo  nach  Coke  vom  vivum  vadium  die  Itede 
sein  soll,  überhaupt  nicht  von  einer  Verpfändungsform  spricht.  Es  handelt 
sich  hier  vielmehr  um  Pfändung  für  rückständige  Kentc,  wo  der  Anspruch 
anf  die  letztere  aus  den  Erträgen  des  Landes  befriedigt  wird.  Po  well, 
a.a.O.,  S.  1 — 4,  sagt,  dall  das  ino rtuum  v adi u in  und  das  vivum  vadium 
(ilanvills  aus  dem  Gewohnheitsrecht  der  Normannen  übernommen  worden  zu 
sein  scheinen  und  identifiziert  offenbar  diese  zwei  Formen  Glanvills  mit  dem 
mortuum  vadium  (mortgage)  und  dem  vivum  radinm  Littletons  und 
•’okes.  Vergl.  I’owells  Ansicht,  daß  das  englische  klassische  „mort- 
gage“  aus  dem  römischen  Hecht  übernommen  wurde.  Jones,  a.a.O.,  S.  4. 
scheint  das  mort  umn  vadi  um  (inortg  age)  Littletons  in  gewisser  Hinsicht 
als  dieselbe  Verpfändungsform  wie  das  Glanvill’gehe  mortuum  vadium 
zu  betrachten,  obgleich  es  in  der  späteren  Zeit  ein  „conditional  estate"  ge- 
worden war.  Crabb,  Hist,  Eng.  Law.  S.  371.  identifiziert  die  beiden  Formen 
ohne  irgend  einen  Unterschied  fcstzustellen.  Vergl.  auch  Spence,  Equitahle 
Jurisdiction,  I,  S.  133,  fiOO,  HOI.  Fisher,  a.  a.  O.,  S.  3,  Anm.,  ist  ohne 
Zwoifel  im  Irrtum,  wenn  er  das  mortuum  vadium  Glanvills  mit  dem 
vivum  vadium  Cokes  identifiziert. 

■)  Siehe  das  unten  Ausgeführte:  Pollock  and  Maitland.  n.  a.  0., 

II.  S.  180. 


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•209 


ein  „es tat«  conditioned  to  be  void,  as  soon  as  such  sutn  is 
raised* '). 

Gewisse  Formen  des  späteren  vivum  vadium  ähneln  mehr 
der  antichrese,  wo  die  Früchte  sowohl  zur  Tilgung  der  Schuld 
als  auch  zur  Zahlung  der  Zinsen  verwendet  werden.  So  z.  B. 
wo  ein  Besitztum  (estate)  an  den  Gläubiger  und  seine  Erben 
(estate  in  fee)  oder  auf  eine  lange  Reihe  von  Jahren  auf  den 
Gläubiger  allein]  (long  term  of  yearsi  übertragen  wird  und 
das  Land  im  Besitze  des  Gläubigers  bleibt,  bis  sowohl  Schuld 
wie  Zinsen  aus  den  Renten  und  Erträgen  (rents  and  profits)  ge- 
tilgt sind*).  Eine  zweite  Form  der  Sicherheit  besteht  darin,  dall 
das  Land  auf  den  Gläubiger  auf  eine  kürzere  Reihe  von  Jahren 
(short  term  of  years)  übertragen  wird  (demised)  und  der  Gläubiger 
während  dieser  Zeit  die  Renten  und  alle  Erträge  zur  vollen 
Befriedigung  seiner  Forderung,  und  zwar  sowohl  Schuld  als 
Zinsen,  verwenden  kann.  Im  letzteren  Falle  enthält  der  Vertrag 
den  Vorbehalt,  dali  das  Land  durch  Zahlung  der  noch  rück- 
ständigen Schuld  und  Zinsen  zu  jeder  Zeit  während  der  Über- 
lassungsperiode eingelöst  werden  kann.  Am  Ende  der  Über- 
lassungsperiode geht  das  Land,  nunmehr  von  jeder  Schuld  voll- 
ständig entlastet,  wieder  auf  den  Schuldner  über.  Die  Renten 
und  sonstigen  Erträge  haben  die  Schuld  getötet3).  Diese  beiden 
Formen  der  Sicherheitsstellung  werden  genannt:  „securities  in 
the  nature  of  Welsh  mortgages“ 4). 

Diese  Verpfändungen,  bei  denen  die  Rente  und  sonstigen 
Erträge  beides,  Schuld  und  Zinsen  reduzieren,  sind  von  Lord 
Hardwicke  mit  „estates  by  elegit“  verglichen  worden.  In  beiden 
Fällen  endigt  das  Besitzrecht  (estate)  seitens  des  Gläubigers,  sobald 
Schuld  und  Zinsen  getilgt  sind,  und  der  Schuldner  kann  dann 
die  Besitzklage  (Ejectment)  erheben,  ausgenommen  er  wartet  so- 


')  Coke  über  Littleton,  205a:  Blackstone,  II,  c.  10,  § III.  Siehe 
Flintoff,  Introduction  to  Conveyancing,  S.  234.  Pollock,  Land  Laws,  S.  132, 
identiliziert  das  vivum  vadium  (vifgag'e)  mit  dem  -Welsh  mortgage.- 

*)  Robbins,  Law  of  Mortgages,  I,  S.  26. 

*)  Robbins.  a.  a.  O.,  I,  S.  26. 

*)  Siehe  Robbins,  a.  a.  0.,  I,  S.  26,  27,  wo  die  Erörterung  einer 
weiteren  Form  dieser  Art  von  Sicherheit  zu  linden  ist.  Betreffs  des  eigent- 
lichen .Welsh  mortgage“  siehe  unten  S.  211. 

Hazeltine,  KngUsches  Pfandrecht  1 4 


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•210 


lange,  bis  die  Klage  verjährt  ist  (barred  bv  Statute  of  Limitations). 
Auch  kann  der  Schuldner  in  beiden  Fällen  den  Gläubiger  nach 
Billigkeitsrecht  (Equity)  zur  Reehnnngsablegung  (account)  zwingen '). 

Nicht  nur  bei  „estates  bv  elegit“  finden  wir  das  Prinzip, 
daß  das  Hypothekenrecht  (lien),  welches  durch  Beurkundung, 
Siegelung  und  Protokollierung  eines  an  amtlicher  Stelle  abgegebenen 
Schuldanerkenntnisses  entsteht,  bei  Zahlungsversäumnis  seitens  des 
Schuldners  dadurch  geltend  gemacht  werden  kann,  daß  dem 
Gläubiger  der  Besitz  und  dadurch  ein  Besitzrecht  in  Form  eines 
vivum  vadium  (estatc  in  the  nature  of  vivum  vadium)  über- 
tragen wird,  sondern  wir  finden  es  auch  bei  sogenannten  „Statutes“ 
or  „recognizances“,  z.  B.  bei  den  sog.  „Statutes  merchant“  und 
„Statutes  staple“;  der  Gläubiger  behält  hier  das  Land,  bis  die 
Schuld  und  die  Zinsen  mit  Hilfe  der  Kenten  und  Erträge  getilgt 
sind.  Das  Hypothekenrecht  zur  Sicherstellung  von  Forderungen 
jüdischer  Gläubiger  (sog.  „Jewish  gage“)  kann  ebenfalls  auf  Grund 
des  Prinzipes  des  vivum  vadium  geltend  gemacht  werden*). 

Wiederum  kann  eine  Belehnung  (feoffment)  in  der  Weise  vor- 
genommen werden,  daß  sich  der  Belehner  (feoffor)  eine  gewisse 
Rente  vorbehält  mit  der  Bedingung,  daß  wenn  die  Rente  nicht 
pünktlich  bezahlt  wird,  er  und  seine  Erben  von  dem  Grundstück 
Besitz  ergreifen  (enter)  und  das  Land  einbehalten  können,  bis  die 
Rentschuld  durch  die  Erträge  getilgt  oder  von  dem  Belehnten 
(feoffee)  in  bar  bezahlt  worden  ist.  Die  Belastung  (ehargei  ent- 
steht durch  die  Rente,  indem  durch  den  Vorbehalt  derselben  das 
Land  belastet  wird  (charged);  auch  hier  wird  das  Recht  des  Be- 
lehnten auf  Grund  desselben  Prinzipes  (vivum  vadium)  geltend 
gemacht3).  Wie  wir  später  sehen  werden,  ist  es  eins  der  grund- 
legenden Prinzipien  des  englischen  mittelalterlichen  Hypotheken- 
wesens, daß  das  Recht  des  Hypothekars  in  gewissen  Fällen  durch 
das  vivum  vadium  geltend  gemacht  werden  kann,  und  dies  ent- 
spricht in  Wirklichkeit  einer  Hypothek  auf  die  Rente  und  Land- 
produkte. Bei  Betrachtung  der  Hypothek  und  Geltendmachung 
der  damit  verbundenen  Rechte  ersehen  wir,  daß  es  sich  in  diesen 

')  Robb  ins,  a.  a.  0.,  I,  S.  27.  Über  „estates  byelegit“  siehe  unsere 
späteren  Ausführungen. 

*)  Siehe  das  spätere  Ausgeführte. 

3)  Littleton,  § 327:  Coke  über  Littleton,  202b,  203a. 


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211 


Fällen  gerade  so  gut  um  ein  Nutzpfand  handelt,  wie  bei  der 
Form  des  Nutzpfandes,  wo  der  Besitz  sofort  auf  den  Gläubiger 
übergeht  ’-). 

Fernerhin  sollte  berücksichtigt  werden,  daß  nach  Billigkeits- 
recht (Equity)  das  „equity  of  redemption“  dem  Pfandgeber  gestattet, 
hei  einem  mortgage  durch  resolutiv  bedingte  Übereignung  (sog. 
„elassical  Knglish  mortgage“)  nach  Zahlung  seiner  gesamten 
Schuld  nebst  Zinsen  den  im  Besitz  des  Grundstücks  befindlichen 
Pfandgläubiger  (mortgagee  in  possession)  aufzufordern,  den  Besitz 
zurückzuerstatten  und  über  die  eingezogenen  Renten  und  sonstigen 
Erträge  Rechnung  abzulegen,  „thereby“,  in  den  Worten  Black- 
stones, „turning  the  mortuum  into  a kind  of  vivum  vadium8). 

Das  Prinzip  des  mortuum  vadium  läßt  sich  auch  in  dem 
späteren  Rechte  nachweisen.  Es  findet  sich  in  dem  klassischen 
mortgage  Littletons3)  und  ist  gleicherweise  nachweisbar  in  Fällen 
der  Geltendmachung  des  durch  die  Belastung  des  Grundstückes 
mit  der  Rente  entstandenen  Rechtes*).  Das  hauptsächlichste 
Beispiel  aber  ist  das  sog.  „Welsh  mortgage“,  eine  Form  der 
Sicherheit,  die  derjenigen  des  mortuum  vadium  Glanvills  sehr 
nahekommt5). 

Dieses  „Welsh  mortgage“  besteht  in  der  Übertragung  eines 
Besitzrechtes  (estate),  welches  jederzeit  wieder  eingelöst  werden 
kann  nach  Tilgung  der  Schuld,  aber  ohne  Zahlung  von  Zinsen. 
An  Stelle  der  letzteren  verwendet  der  Gläubiger  bis  zur  erfolgten 
Einlösung  die  Renten  und  Erträge  für  sich,  ohne  hierüber  irgend- 
wie zur  Rechnungsablegung  verpflichtet  zu  sein.  Ein  Verfall  ist 
hier  gänzlich  ausgeschlossen®). 

Dieses  „Welsh  mortgage“  und  die  „securities  in  the  nature 
of  Welsh  mortgages“  haben  gewisse  charakteristische  Grundzüge 
gemein.  Der  Gläubiger  kann  die  Einlösung  (redemption)  nicht 
erzwingen  und  hat  auch  kein  Recht,  das  Grundstück  gerichtlich 


')  Sicho  unsere  Ausführungen  unten  im  zweiten  Buch. 

*)  Blackstone,  II,  c.  10,  §111.  Siehe  auch  unsere  spateren  Ausführungen. 
*)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 

*)  Siehe  oben  S.  210,  Anni.  3. 

5)  Vergl.  oben  S.  209,  Anm.  I . Siehe  auch  J on  es,  Law  of  Mortgages,  S.  3. 
•)  Robbins,  ».  a.  U.  S.  2,  20. 

14* 


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*21-2 


als  verfallen  erklären  zu  lassen  (foreclosure) ').  Auf  der  andern 
Seite  kann  der  Schuldner  zu  jeder  beliebigen  Zeit  die  Einlösung 
bewirken.  Ein  Verfall  ist  daher  bei  diesen  Verpfändungsformen 
gänzlich  ausgeschlossen. 

Ob  der  Gläubiger  bei  solchem  Pfandrecht  außerdem  in  der 
Lage  ist,  den  Schuldner  persönlich  gerichtlich  zur  Zahlung  zu 
zwingen,  hängt  von  dem  jeweiligen  Wortlaut  des  betr.  Pfandver- 
trages ab.  Die  gesiegelte  Verpfändungsurkunde  (mortgage  deed) 
kann  mit  oder  ohne  Versprechen  (eovenant)  seitens  des  Schuldners 
abgefaßt  sein,  daß  er  die  Schuld  in  bar  abtragen  wird;  ein  solches 
Versprechen  seitens  des  Schuldners  kommt  aber  in  Wirklichkeit 
selten  vor.  Bei  Nichtvorhandensein  einer  solchen  schriftlichen 
Zusage  kann  das  Gericht,  je  nach  der  Form  der  Verpfandung,  das 
Versprechen  der  Zahlung  seitens  des  Schuldners  annehmen  oder 
nicht.  In  einem  richtigen  „Welsh  mortgage“,  d.  h.  in  einem 
mortuum  vadium,  scheint  eine  Klage  gegen  den  Schuldner  wegen 
der  Schuld  selbst  vorzuliegen,  nicht  aber  wegen  der  Zinsen,  denn 
zur  Tilgung  dieser  dienen  die  Früchte.  Auf  der  anderen  Seite 
scheinen  „Securities  in  the  nature  of  a Welsh  mortgage“,  d.h.  Formen 
des  vivum  vadium,  wo  die  Früchte  für  beides,  Schuld  und 
Zinsen,  in  Zahlung  genommen  werden,  alle  persönliche  Haftung 
auszuschließen s). 

Ein  interessanter  Vergleich  zwischen  diesen  beiden  Ver- 
pfändungsformen kann  mit  Bezug  auf  die  Verpflichtung  des  Gläu- 
bigers zur  Rechnungsablegung  (accountj  angestellt  werden.  Wo 
die  Sicherstellung  in  einem  „Welsh  mortgage“  (mortuum  vadium) 

')  Die  „Welsh  mortgages“  und  die  .mortgage»  in  the  nature  of  a 
Welsh  mortgage“  bilden  daher  eine  Ausnahme  von  dem  allgemeinen  I’rinzipe 
des  englischen  Rechts,  daß  da»  foreclosure  notwendigerweise  zu  einer  jeden 
transaction  gehört,  die  vom  Gericht  als  mortgage  behandelt  wird.  Robbins, 
m.  a.  0.,  I,  S.  14,  Anm.  (q). 

*)  Robbins,  a.  a.  0.,  I,  8.  10,  27,  29.  Siehe  Jones,  a.  a.  0.,  S.  3. 
Diese  Arten  der  Sicherheitsstellung  können  daher  mit  der  sog.  benclicial 
lease  des  Mittelalters  verglichen  werden,  wo  keine  Schuld  und  deshalb  auch 
keine  persönliche  Haftung  vorlag.  Siehe  oben  S.  203.  Obgleich  das  moderne 
klassische  mortgage  gewöhnlich  zur  Sicherstellung  einer  persönlichen  Forderung 
dient,  „personal  liability,  express  or  implied,  is  not,  however,  necessarily 
incident  to  a mortgage.  A charge  by  way  of  mortgage  upon  propertv  may 
be  so  frarned  as  to  exclude  all  personal  liability  of  the  mortgagor.“  Siehe 
Robbins,  a.  a.  O.,  I,  S.  9 — 11,  29. 


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213 


besteht,  scheint  der  Gläubiger  zu  einer  Rechnungsablegung  nicht 
verpflichtet  zu  sein.  Ist  jedoch  das  Pfand  in  Form  eines  vivum 
vadium  („security  in  the  nature  of  a Welsh  mortgage“)  gegeben, 
so  scheint  eine  Rechnungsablegung  mit  der  Einlösungsklage  un- 
trennbar verbunden  zu  sein,  genau  so  wie  bei  einer  Klage  gegen 
einen  Pfandgläubiger  im  Besitze  des  Pfandgrundstücks  (mortgagee 
in  possession)  bei  einem  neuzeitlichen  mortgage  durch  resolutiv 
bedingte  Übereignung  (sog.  classical  English  mortgage)1). 

Da  das  ständige  Einlösungsrecht  (continuing  right  of  re- 
demption)  mit  dem  „Welsh  mortgage“  und  der  „security  in  the 
nature  of  a Welsh  mortgage“  verbunden  ist,  scheint  das  den 
„mortgagees“  gemäß  t'onveyancing  and  Law  of  Property  Act  vom 
Jahre  18K1  verliehene  Verkaufsrecht  nicht  auf  diese  Verpfändungs- 
forraen  anwendbar  zu  sein a). 

Zweites  Kapitel. 

Das  Proprietätspfand. 

Wir  haben  bereits  gesehen,  daß  das  Proprietätspfand  bei 
Immobilien  in  der  angelsächsischen  Zeit  die  Form  der  Über- 
eignung von  Buch-Land  unter  Resolutivbedingung  auf  Grund  der 
Übergabe  eines  vom  Kontinente  eingeführten  Land-Buches  annahm. 
Wir  haben  auch  gesehen,  daß  der  Besitz  dem  Gläubiger  über- 
tragen wurde  und  daß  der  Verfall  des  Pfandes,  ohne  Rücksicht 
auf  den  Wert  des  Landes,  die  leitende  Idee  jener  Zeit  gewesen  zu 
sein  scheint,  denn  erst  in  dem  Jahre  der  normannischen  Eroberung 
( 1 066)  finden  wir  eine  ü rkunde,  die  das  Prinzip  der  Hy  perocha  enthält5). 

Während  der  Zeit  des  Mittelalters  nach  der  Eroberung  finden 
wir  zwei  Formen  des  Proprietätspfandes  an  Immobilien  mit  Besitz 
des  Gläubigers:  1.  Übereignung  unter  Suspensivbedingung  und 
2.  Übereignung  unter  Resolutivbedingung,'  und  in  dieser  Periode 
sehen  wir,  obgleich  die  Idee  des  Verfalls  noch  die  vorherrschende 
ist,  nichtsdestoweniger  die  allmähliche  Entwicklung  des  Ge- 
dankens, daß  das  Land  verpfändet  wird,  um  eine  persönliche 
Forderung  seitens  des  Gläubigers  gegen  einen  Schuldner  sicher 
zu  stellen. 

')  Kobbins,  a.  a.  O.,  I,  S.  29,  30. 

*)  Robbins,  a.  a.  0.,  I,  S.  31. 

*)  Siehe  oben  S.  143,  144. 


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214 


I.  Übereignung  unter  Suspensivbedingung. 

§ 1.  Sog.  „Glanvillian  Gage.“ 

Unsere  Hauptquellen  über  die  Übereignung  unter  Suspensiv- 
bedingung zu  Pfandzwecken  sind  Glanvill  und  Bracton.  Bevor 
wir  an  das  Studium  der  Immobiliarverpfändung,  nie  sie  von 
Glanvill  dargestcllt  wird,  herantreten,  haben  wir  uns  verschiedene 
Fragen  vorzulegen.  Diese  sind  hauptsächlich:  Ist  das  von  Glan- 
vill behandelte  Recht  dasselbe  für  Mobilien  wie  für  Immobilien? 
Stellt  die  Glanvillsche  Immohiliarverpfändung  ein  reines  Nutzpfand 
dar,  oder  ist  sie  Proprietätspfand  (Verfallspfand),  oder  behandelt 
Glanvill  verschiedene  Formen  der  Sicherheitsstellung,  die  sowohl 
für  sich  allein,  als  in  Verbindung  unter  einander  angewendet 
werden  können,  um  dann  von  den  Vertragsparteien  ihren  Zwecken 
angepaßt  zu  werden? 

Ein  Forscher  auf  dem  Gebiete  des  deutschen  Rechts  be- 
ziehungsweise des  englischen  Rechtes,  der  an  die  fundamentalen 
Unterschiede  zwischen  Mobiliarrecht  und  Immobiliarrecht  gewöhnt 
ist,  mag  sich  wundern  über  die  natürliche  und  einfache  Weise, 
in  welcher  die  älteren  englischen  Rechtsschriftsteller,  vor  allem 
Glanvill  und  Bracton.  von  dem  einen  zum  andern  übergehen '). 
In  der  Tat  sind  in  der  älteren  Rechtsliteratur  die  zwei  Ver- 
mögensarten in  einer  beinahe  verwirrenden  Weise  unter  derselben 
Rubrik  gruppiert.  Ob  diese  Darstellungsmethode  auf  den  Einfluß, 
den  das  römische  Recht  auf  diese  älteren  Schriftsteller  ausgeübt 
hat.  zurückzuführen  ist,  das  zu  erforschen,  ist  nicht  der  Zweck 
unserer  derzeitigen  Untersuchung.  Aber  diese  Darstellungsweise 
ist  bemerkenswert  und  muß  berücksichtigt  werden. 

In  keinem  Zweige  des  mittelalterlichen  Rechts  ist  dieses 
Durcheinanderbringen  von  Mobilien  und  Immobilien  so  auffallend 
wie  in  Glanvills  Darstellung  des  Pfandrechts.  Im  Großen  und 
Ganzen  ist  bei  ihm  das  Recht  der  Verpfändung  eines  Pferdes 
dasselbe,  wie  das  der  Verpfändung  eines  Grundstücks*).  Wir 
glauben,  daß  die  Nichtbeachtung  dieses  charakteristischen  Zuges 
in  Glanvills  Darstellung,  selbst  wenn  sie  nicht  zur  Ursache  ofl'en- 

')  Siehe  Pollock  and  Maitlaud,  a.  a.  0.,  II,  S.  2. 

J)  Über  da«  römische  Recht  siehe  Chaplin,  Story  of  Mortgage  Law. 
Han.  L.  R.,  IV,  S.  5. 


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215 


kundiger  Irrtümor  geworden  ist,  bei  mehr  als  einem  Schriftsteller 
der  Grund  gewesen  ist,  daß  die  wirkliche  Bedeutung  und  Natur 
der  Verpfändungsform  oder  -formen  bei  Glanvill  von  ihnen  nicht 
erläßt  wurde ').  Auf  der  anderen  Seite  haben  zu  viele  Schrift- 
steller sich  damit  zufriedengestellt,  Glanvills  Darstellung  fast 
Wort  für  Wort  einfach  abzuschreiben,  ohne  ernstliche  Versuche 
zu  machen,  dieselbe  sorgfältig  und  systematisch  zu  prüfen8). 

Wir  glauben,  daß  mit  Ausnahme  von  ein  oder  zwei  grund- 
legenden Punkten  — z.  B.  daß  das  Prinzip  des  Nutzpfandes 
sich  nur  auf  Immobilien  (land  and  tenements)  bezog  — die  von 
Glannil  niedergelegten  Reehtsregeln  dahin  auszulegen  sind,  daß  sie 
sowohl  auf  bewegliche  wie  unbewegliche  Sachen  angewendet  werden 
können;  und  zwar  glauben  wir  dies  aus  folgenden  Gründen. 
Ganz  am  Anfänge  seiner  Erörterungen  über  das  Pfandrecht  sagt 
er,  daß  manchmal  Mobilien,  manchmal  Immobilien  verpfändet 
werden,  und  geht  gleich  darauf  auf  die  Besprechung  gewisser 
grundlegender  Prinzipien  des  Rechtes  über,  indem  er  dabei  das 
Wort  „res“  in  Bezug  auf  die  Pfändsache  anwendet,  wie  es 
scheint,  gleichgiltig,  ob  dieselbe  beweglich  oder  unbeweglich  ist5). 
Richtig  ist,  daß  er  gleich  darauf  die  Verpfändung  von  Mobilien 
besonders  erwähnt4),  aber  es  ist  wohl  die  Annahme  zutreffend, 
daß  die  Möglickeit  der  Anwendung  derselben  Regel  auch  aut 
Immobilien  von  ihm  nicht  in  Abrede  gestellt  wurde.  Nach  dem 
zu  urteilen,  was  er  später  sagt,  scheint  es  klar,  daß  abgesehen 
von  der  Unterscheidung  zwischen  mortuum  vadium  und  vivum 
vadium,  er  genau  dieselben  Rechtsregeln  sowohl  auf  bewegliche 
wie  unbewegliche  Sachen  anwenden  will;  denn  nachdem  er  das 
mortuum  vadium  und  das  vivum  vadium  unter  besonderer 
Berücksichtigung  des  Wuchers  besprochen  hat,  sagt  er:  Caetera 
serventur,  ut  prius  de  vadiis  in  rebus,  mobilibus  consistentibus 


')  Siebe  unten  8.  216. 

*)  Siehe  7.  H.  die  Behandlung  des  Glanvill 'sehen  Pfandes  bei  Crabb, 
Hist.  Eng.  Law,  S.  103,  104:  Reeves,  Hist.  Eng.  Law,  1,  S.  211 — 214. 

5)  Glanvill,  X,  6.  Die  für  die  nachfolgende  Besprechung  des 
Glanvill’schen  Pfandes  benutzte  Ausgabe  von  Glanvill  stammt  aus  dem 
Jahre  1780. 

4)  Glanvill,  X,  6. 


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21  fi 

dictum  est').  Dies  bezieht  sich  klar  und  deutlich  auf  den  er- 
wähnten Passus,  wo  besonders  von  Mobiliarverpfändung  die  Rede 
ist.  Und  nicht'  nur  dies.  Glanvill  benutzt  in  der  Regel  durch- 
weg in  seinem  Kapitel  X bei  Besprechung  der  Pfandsache  ein- 
fach das  Wort  „res“,  und  zwar,  wie  es  scheint,  sowohl  mit 
Bezug  auf  bewegliche  wie  unbewegliche  Pfandsachen,  genau 
so  wie  dies  am  Anfänge  seiner  Erörterung  über  das  Pfandrecht 
geschieht. 

Dies  der  Glanvillschen  Besprechung  des  Pfandrechts  zu  Grunde 
liegende  wichtige  Prinzip  ist,  soviel  wir  wissen,  nirgends  in  der 
Rechtsliteratur  besonders  erwähnt,  mit  Ausnahme  von  Hinweisungen 
in  Spence’s  Equitable  Jurisdiction  und  in  Frankens  Französischem 
Pfandrecht)*).  Bei  ihrer  Besprechung  des  Glanvillschen  Pfandes  in 
ihrer  History  of  English  Law  ziehen  auch  Pollock  und  Maitland 
dasselbe  nicht  in  das  Bereich  ihrer  Betrachtung,  obgleich  sie 
dasselbe  stillschweigend  dadurch  anerkennen,  daß  sie  das  Prinzip 
des  Pfandverfalls,  welches  bei  oberflächlichem  Lesen  Glanvills  sich 
vielleicht  nur  auf  bewegliche  Sachen  zu  beziehen  scheint,  auf  die 
Verpfändung  von  Immobilien  in  Anwendung  bringen’) 

Wir  können  hier  auf  den  Gegenstand  nicht  so  genau  eingehen, 
glauben  aber,  daß  die  Unterlassung,  diesen  Punkt  der  Glanvillschen 
Erörterung  in  Betracht  zu  ziehen,  gewisse  hervorragende  Schrift- 
steller verhindert  hat,  zu  erfassen,  daß  die  Glanvillsche  Immobiliar- 
verpfändung nicht  nur  eine  Fonn,  nämlich  die  des  reinen  Nutz- 
pfandes, wo  die  Substanz  gar  nicht  ins  Spiel  kommt1),  darstellt, 

')  Glanvill,  X,  8:  Ree? es,  a.  a.  O.,  I,  S.  213.  Vergl.  Pollock  and 
Maitland,  a.  a.  ().,  II,  S.  119,  Anm.  3. 

*)  Spence,  Equitable  Jurisdiction,  I,  S.  fiOO.  601 : Franken,  Fran- 
zösisches Pfandrecht,  S.  156,  Anm.  2.  Vergl.  Chaplin,  a.  a.  0.,  IV,  S.  5. 

’)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  119,  120.  Desgl. 
Chaplin,  a.  a.  0.,  IV,  S.  8. 

4)  Dali  das  Glanvill’scbe  Pfand  ein  reines  Nutzpfand  ist,  scheint  von 
den  neuzeitlichen  Schriftstellern  allgemein  angenommen  zu  werden,  da  eine 
solche’Form  der  Sicherhcitsstellung  mehr  im  Einklang  steht  mit  den  feudalen, 
die  Veräußerung  verhindernden  Prinzipien.  Siehe  z.  B.  Coote,  Law  of 
Mortgage.  4.  Aull.,  I,  S.  6,  7 und  c.  II;  Kobbins,  Law  of  Mortgages,  I, 
S.  1,  2 — b;  Franken,  a.  a.  0.,  S.  1 46 — 148.  Vergl.  aber  Becves,  a.  a.  ().,  I. 
S.  211  ff. 


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•217 


sondern  daß  Glanvill  mehrere  Formen  behandelt,  die  sowohl  das 
Nutzpfand,  als  auch  das  Pro prietäts pfand  (Verfallspfand  i in  sich 
schließen,  und  daß  diese  verschiedenen  Formen  kombiniert  und 
den  jeweiligen  Zwecken  der  Vertragsparteien  angepaßt  werden 
können,  denn  den  letzteren  war  weiter  Spielraum  bei  der  Auf- 
stellung der  Pfandverträge  gelassen.  Auf  die  hier  vertretene  An- 
sicht werden  wir  demnächst  bei  der  Besprechung  des  Glanvillschen 
Pfandes  zurflckkommen,  wo  wir  auch  die  verschiedenen  Verptändungs- 
formen  und  die  etwa  möglichen  dabei  vorzunehmenden  Kom- 
binationen berücksichtigten  werden1 1. 

Wie  es  scheint,  kann  jeder  beliebige  Gläubiger  und  jeder 
beliebige  Schuldner  Pfändverträge  abschließen3) 

Nicht  nur  das  Land,  sondern  auch  Renten  können  verpfändet 
werden  ').  Zwei  Dinge  sind  notwendig,  um  die  Beziehungen 
zwischen  einem  Pfandgeber  und  einem  Pfandnehmer  herzustellen: 
1.  muß  ein  auf  den  Pfandgegenstand  bezügliches  Abkommen 
zwischen  den  Parteien  vorhanden  sein.  Für  gewöhnlich  will  es 
scheinen,  daß  sowohl  die  Schuld,  wie  auch  das  Pfand  durch  den- 
selben Vertrag  geschaffen  werden,  welcher  vor  dem  Königsgericht 
eingegangen  wird.  2.  Muß  Übergabe  des  Besitzes  an  den  Pfand- 
gläubiger  erfolgen4). 


')  Hier  sei  nur  bemerkt,  dall  jedes  Immobiliarpfand  mit  sofortigem 
Besiti  des  Gläubigers  gewöhnlich  auch  ein  zeitweises  Nutzpfand  in  sieb 
schließt.  Über  das  mittelalterliche  Recht  auf  dem  Kontinente  siehe  be- 
sonders Franken,  a,  a.  0.,  S.  207.  208:  Brunner,  a.  a.  0.,  S.  188 — 191. 
Vcrgl.  auch  Besuchet,  MUtoirc  de  la  proprietc  foncierc  en  Suede  (1904), 
S.  424  ff. 

*)  Glanvill  (X,  6)  drückt  sich  allgemein  aus:  Item  cum  inter  credi- 
torem  et  debitorem  convenerit  de  vadio  interponendo  . . . Die  Anwendung 
derGlanvill'schen  Verpfändungsformen  ist  deshalb  nicht  auf  gewisse  Klassen 
von  Gläubigern,  wie  kaufmännische  Gläubiger  oder  jüdische  Gläubiger,  be- 
schränkt, wie  im  Falle  gewisser  anderer  mittelalterlicher  l'fandformen.  Siehe 
unsere  späteren  Ausführungen. 

3)  Glanvill.  X.  6:  Crcditur  qiioque  mnliio  res  aliqtia  sub  vadii  positione: 
quod  cum  sit,  quandoque  res  mobiles,  ut  catalla,  ponuntnr  in  vadium, 
quandoque  res  immobiles,  ut  terrae  et  tenementa  et  redditus  sive  in  denariis 
sive  in  aliis  rebus  cunsisteutes.  .Tenementa“  bedeutet  hier  free  tenements. 
Siehe  Williams,  Keal  Property,  S.  22. 

*)  Glanvill,  X,  6,  8. 


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218 


En  ist  richtig,  daß  Glanvill  an  einer  Stelle  sagt,  daß  der 
Besitz  zuweilen  nicht  sofort  dem  Pfandgläubiger  ausgehändigt 
wird1).  Es  ist  jedoch  klar,  daß  er  damit  nicht  behaupten  will, 
daß  das  Königsgericht  das  Pfand  mit  Besitz  des  Schuldners  an- 
erkennen wird.  Es  ist  anzunehmen,  daß  dieser  Passus  zusammen 
mit  anderen  *)  in  Betracht  gezogen  werden  muß,  wo  Glanvill 
ganz  deutlich  sagt,  daß  der  Pfandvertrag  vor  dem  Königsgericht 
abgeschlossen,  und  daß  der  Besitz  des  verpfändeten  Grundstücks 
auf  den  Pfandgläubiger  übertragen  werden  muß;  denn  andernfalls, 
sagt  er,  ist  es  nur  ein  privates  Übereinkommen  (privata  conventio, 
private  agreement),  welches  von  dem  Königsgericht,  dem  Gericht 
des  gemeinen  Rechts,  nicht  anerkannt  wird3). 

Glanvill  bespricht  mehrere  Formen  des  Pfandes  und  deren 
Kombinationen  untereinander 4 1 

Zwei  Hauptformen  hängen  von  der  Verwendung  ab,  welche 
die  Renten  und  Erträge,  die  während  des  Bestehens  des  Pfand- 
verhältnisses von  dem  Gläubiger  eingezogen  werden,  finden,  und 
über  diesen  Punkt  haben  die  Parteien  bei  Abschließung  des  Ver- 
trages sich  zu  einigen.  Sie  können  Übereinkommen,  daß  die  von 
dem  Gläubiger  entgegenzunehmenden  Renten  und  Erträge  die 
Schuld  vermindern  sollen  oder  nicht.  Wird  die  Schuld  reduziert,  so 
ist  das  Geschäft  vivum  vadium,  wenn  nicht  murtu  um  vadium5). 

Wiederum  kann,  wie  es  scheint,  gleichgültig  ob  die  Renten 
und  Erträge  die  Schuld  reduzieren  sollen  oder  nicht,  das  Pfand 
gegeben  werden  1.  auf  eine  bestimmte  Zeit  (for  a term),  oder  2. 
auf  unbestimmte  Zeit  (without  a term6).  Wir  glauben,  daß,  wie 
wir  bei  späterer  Gelegenheit  sehen  werden,  der  Verfall  des  ver- 

')  Glau  v il  I,  X,  6:  lteui  cuui  inter  erediturein  et  debitorem  convenerit 
de  vadio  interponendo  cujuscunque  modi  res  invadiata  sit:  debitor  ipso  aut 
statim  ipsi  creditori  fae.it  habere  sui  vadii  seisinani,  postquam  sibi  rem 
uiutuo  datam  acccpit,  aut  uon. 

*)  Siehe  Glanvill,  X,  8. 

ä)  Siehe  auch  Maitland,  The  Court  Hanoi  (Seid.  Soc.),  S.  117; 
H lackst o ne,  II,  c.  10,  § 111:  und  unsere  spätere  Erörterung. 

4)  Siehe  das  spätere  Ausgefnhrte. 

5)  Glanvill,  X,  6,  8.  Siehe  unsere  Erörterung  des  Nutzpfandes, 
oben  8.  204  ff. 

tf)  Siehe  Glanvill,  X,  6,  8. 


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219 


pfändeten  Landes  selbst  in  beiden  Fällen  die  letzte  Konsequenz 
bei  Nichtbegleichung  der  Schuld  seitens  des  Pfändgebers  darstellt '). 

Welches  sind  nun  die  Rechte  und  die  Mittel  zu  ihrer  Geltend- 
machung, sowie  die  Pflichten  der  Parteien  während  des  Bestehens 
des  Pfandverhältnisses? 

Beschäftigen  wir  uns  zunächst  mit  den  Rechten  und  Pflichten 
des  Pfandgläubigers. 

Das  hauptsächlichste  Recht  des  Pfandgläubigers  besteht  in 
der  Aneignung  der  Renten  und  Erträge.  Ob  sie  nun  zur  Reduzierung 
der  Schuld  verwendet  werden  sollen  oder  nicht,  hängt,  wie  bereits 
gesagt,  von  dem  Übereinkommen  der  Parteien  ab*).  Fflr  gewöhn- 
lich wird  jedoch  angenommen,  daß  die  Transaktion  die  Form 
des  mortuum  vadium  annimmt,  und  daß  die  Renten  und  Er- 
träge, anstatt  zur  Tilgung  der  Schuld  selbst  Verwendung  zu  finden, 
von  dem  Pfandgläubiger  an  Stelle  von  Zinsen  genommen  werden, 
welcher  Weg  oft  der  einzige  ist,  der  dem  Gläubiger  offen  steht, 
um  überhaupt  etwas  für  das  angelegte  Geld  zu  erhalten3). 

Der  Pfändgläubiger  erhält  also  den  tatsächlichen  Besitz  des 
Landes,  und  er  ist  somit  in  der  Lage,  von  seinem  Rechte,  die 
Renten  und  Erträge  einzuziehen,  Gebrauch  zu  machen.  Dieser  sein 
physischer  Besitz  wird  seisina*),  d.  h.  seisina  ut  de  vadio 
genannt®).  Diese  seisina  ist  aber  keineswegs  juristischer  Besitz ; 
sie  ist  in  Wirklichkeit  eine  bloße  Detention  und  ist  rechtlich  voll- 
kommen ohne  Schutz.  Der  Pfandschuldner  behält  das  Besitzrecht 
eines  freeholders  i freehold  seisin)  und  sollte  irgend  eine  dritte 
Person  den  Pfändgläubiger  unrechtmäßig  von  dem  verpfändeten 
Grundstück  verdrängen,  so  steht  dem  Pfandschuldner,  die  Klage 
aus  widerrechtlicher  Besitzentziehung  (Action  of  Novel  Disseisin) 
zu.  Dem  Pfandschuldner,  nicht  dem  Pfändgläubiger  ist  in  Wirk- 
lichkeit der  Besitz  entzogen  worden  (disseised).  Wenn  weiterhin 
der  Pfandschuldner  selbst  den  Pfändgläubiger  vom  Grundstück 


*)  Siche  unsere  späteren  Ausführungen. 

*)  Siehe  oben  S.  218. 

3)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  123.  I*as  .bcnuhciul 
lease'  ist  ein  anderer  mittelalterlicher  Ausweg,  um  soviel  als  möglich  die 
unangenehmen  folgen  des  Wuchers  zu  vermeiden.  Siehe  oben  S.  203. 

*)  Olanvill.  X,  11. 

s)  Olanvill,  XIII,  28.  Siehe  ferner  Chaplin,  a.  a.  0.,  IV.  8.  6,  7. 


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220 


verdrängt,  so  hat  der  letztere  keine  Rechtsmittel  zur  Verfügung, 
welche  ihm  zur  Wiedererlangung  des  Besitzes  verheilen  könnten '). 
Wie  es  scheint,  kann  somit  der  Pfandschuldner  jederzeit  die 
Sicherstellung  illusorisch  machen,  indem  er  den  Pfandgläubiger 
einfach  vom  Grundstück  verdrängt*).  Glanvill  sieht  dies  für  ganz 
natürlich  an,  denn  auf  was  der  Gläubiger  in  Wirklichkeit  allein  ein 
Recht  hat,  ist  nach  seiner  Meinung  nicht  das  Land,  sondern  nur  die 
Schuldforderung.  Wird  er  von  dem  Pfandschuldner  vom  Grundstück 
vertrieben,  so  muß  er  daher  wegen  seiner  Schuldforderung  klagen, 
worauf  das  Gericht  den  Schuldner  durch  Gerichtsbefehl  (writ)  vor- 
laden und  zur  Zahlung  zwingen  wird*). 

Sicher  erscheint  uns  diese  Argumentation,  wie  Pollock  und 
Maitland  bereits  ausgeführt  haben4),  als  eigentümlich.  Sie  läßt 
das  wichtige  Faktum  ganz  außer  Acht,  daß  der  eigentliche  Grund 
warum  Pfänder  gegeben  werden,  der  ist.  den  Gläubiger  gegen 
verarmte  oder  zahlungsunwillige  Schuldner  sicher  zu  stellen.  Zu- 
gegeben selbst,  daß  der  Schuldner  in  der  Lage  ist,  zu  zahlen,  so 
ist  doch  vermutlich  im  zwölften  Jahrhundert  einem  Gerichtshof 
nicht  immer  die  Möglichkeit  gegeben,  ihn  hierzu  zu  zwingen. 
Die  Mittel  des  Gerichtes,  jemand  zu  zwingen,  den  Zahlungs- 
befehlen Folge  zu  leisten,  sind  in  der  Tat  unzureichend. 

Der  eigentliche  Grund,  warum  dem  Pfandgläubiger  possesso- 
rischer Schutz  nicht  zu  Teil  wurde,  liegt,  wie  man  annimmt, 
darin,  daß  die  Richter  des  Königs  gerade  zu  der  Zeit,  als  Glanvill 
dies  schreibt,  versuchen,  diese  neuen  possessorischen  Klagen  prak- 
tisch zur  Anwendung  zu  bringen  und  noch  Neulinge  in  dieser 
Sache  sind.  Sie  sind  sich  einig  darüber,  daß  dem  freeholder  die 
Klage  aus  Besitzentziehung  (assize  of  novel  disseisin)  zustehen 
soll,  aber  hinsichtlich  des  Pächters  auf  Jahre  (termor)  und  des 
Pfandgläubigers  glauben  sie  wohl,  daß  diesen  der  richterliche  Schutz 
vorenthalten  bleiben  sollte.  Sie  wissen  noch  nicht  bestimmt,  ob 
die  sog.  seisina  des  Pfandgläubigers  in  Wahrheit  und  Wirklich- 
keit eine  seisina  ist,  die  des  Schutzes  bedarf.  Nach  vielem  hin 

')  Glanvill,  X.  11.  Über  die  Satzungsgewerc  oder  pfandliche  Gewere  des 
älteren  deutschen  Hechts  siehe  G ierkc,  Deutsches  Privatrecht,  Bd.  II,  S.  813. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  ().,  II.  S.  121. 

3)  Glanvill,  X,  11. 

*)  Hist,  Eng.  Law,  II,  S.  120,  121. 


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•.>•21 


und  her  verweigern  sie  schließlich  dem  Pfandgläubiger  das  poss- 
essorische Rechtsmittel,  und  wie  wir  bereits  gesehen  haben,  wird 
dem  Pächter  auf  Jahre  (termor)  des  zwölften  Jahrhunderts  in 
gleicher  Weise  mitgespielt ’).  Wie  von  Pollock  und  Maitland*) 
angedeutet,  ist  es  möglich,  daß  ausländische  Besitztheorien  die 
Richter  des  zwölften  Jahrhunderts  bei  diesem  Entschlüsse  beein- 
flußten. Nach  dem  klassischen  römischen  Rechte  hatte  der 
Gläubiger  mit  dem  pignus  die  possessio;  aber  die  englischen 
Richter  zur  Zeit  Glanvills  studieren  das  römische  Recht  nicht 
aus  den  Digesten  des  Jnstinian,  sondern  aus  den  Schriften  der 
italienischen  Glossatoren;  die  Glossatoren  scheinen  aber  dem 
Gläubiger  den  Besitz  abgesprochen  zu  haben  und  im  dreizehnten 
Jahrhundert  schließt  Rracton  sich  den  Glossatoren  und  Glanvill  an3). 

Der  Pfandgläubiger  scheint  daher  dingliche  Rechte  nicht  zu 
haben.  Er  hat  nur  kontraktliche  Rechte  gegenüber  dem  Pfand- 
schulduer.  Neben  diesen  Rechten  hat  er  aber  auch  Pflichten. 
I>ie  Detention  des  Pfandobjekts  hat  selbst  bei  der  Form  des 
mortuura  vadium  in  der  Tat  recht  unangenehme  Schattenseiten. 

Der  Pfandgläubiger  ist  rechtlich  verpflichtet,  das  Land  vor 
Schaden  zu  bewahren.  Er  kann  natürlich  die  Renten  und  Erträge 
au  sich  nehmen,  da  sich  die  Nutzung  des  Landes  notwendigerweise 
aus  dem  Pfand  Verhältnis  ergibt.  Aber  er  hat  gleichzeitig  die 
negative  Pflicht,  das  Grundstück  nicht  in  einer  Weise  zu  nutzen 
oder  zu  verwenden,  welche  geeignet  sein  würde,  seinen  Wert  zu 
verringern.  Erleidet  es  während  der  Verpfändungszeit  Schaden 
durch  die  Schuld  des  Pfandgläubigers,  so  ist  eine  entsprechende 
Summe  hierfür  von  der  Schuldforderung  in  Abzug  zu  bringen4). 

Wenn  jedoch  die  Pfandsache  solcher  Natur  ist,  daß  ihre  In- 
standhaltung notwendigerweise  einer  gewissen  Pflege  bedarf,  so 
können  die  Parteien  Übereinkommen,  daß  der  Pfandgläubiger  diese 
auszuüben  hat.  Der  Pfandgläubiger  kann  z.  B.  durch  eine  Klausel 
im  Vertrage  verpflichtet  werden,  dem  Grundstück  die  notwendigen 
Reparaturen  zu  Teil  werden  zu  lassen5). 

■)  Polluck  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II.  S.  121. 

a)  Hist.  Kng.  Law,  II,  S.  121. 

3)  Hracton,  f.  268. 

4)  Glanvill,  X,  6. 

s)  Glanvill,  X.  6. 


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222 


Ob  der  Pfandgläubiger  bei  Nichtvorhandensein  eines  solchen 
Abkommens  unbedingt  verpflichtet  ist  (absolutely  bound)  die  Pfand- 
sache in  genau  so  gutem  Zustande  zu  erhalten,  wie  bei  ihrer 
Übernahme,  ist  eine  Frage,  deren  Beantwortung  wir  uns  bis  zur 
Besprechung  der  Auflösung  des  Pfandverhältnisses  Vorbehalten 
müssen '). 

Nimmt  das  Pfand  die  Fonn  des  vivum  vadium  an,  so  hat 
der  Pfandgläubiger  die  Verpflichtung,  über  die  Renten  und  Erträge, 
welche  er  während  des  Bestehens  des  Pfandverhältnisses  einzieht. 
Rechnung  abzulegen,  denn  die  Renten  und  Erträge  müssen  zur 
Reduzierung  der  Schuld  verwendet  werden*). 

Welches  sind  nun  die  Rechte  und  die  Mittel  zu  ihrer  Geltend- 
machung. sowie  die  Pflichten  des  Pfandschuldners  während  des 
Bestehens  des  Pfand  Verhältnisses? 

Der  Pfandschuldner  hat  nicht  nur  kontraktliche  Rechte  gegen- 
über dem  Pfandgläubiger,  sondern  er  hat  auch  dingliche  Rechte, 
die  gegen  all  und  jeden  geltend  gemacht  werden  können.  Diese 
dinglichen  Rechte  ergeben  sich  aus  seiner  ireehold  seisina. 

Der  Pfandschuldner  ist  in  der  Tat  im  Besitze  seines  freehold 
(seised  of  bis  free  tenement),  d.  h.  im  Besitze  des  Landes,  welches 
jetzt  der  Gläubiger  als  Pfand  in  Händen  hat. 

Die  sog.  seisina  ut  de  vadio  des  Pfandgläubigers  ist  somit 
nichts  weiter  als  ein  bloßer  physischer  Besitz,  keinesfalls  aber 
ein  juristischer  Besitz5).  Der  Pfandschnldner  kann  die  possessorische 
Klage  (action  of  novel  disseisin)  gegen  dritte  Personen  erheben 
und  er  kann  in  eigener  Person  den  Pfandgläubiger  wenn  immer 
es  ihm  beliebt  zum  sofortigen  Verlassen  des  Grundstückes  auf- 
fordern *). 

Diese  dinglichen  Rechte,  die  gegen  jedermann  einschließlich 
des  Pfandgläubigers  geltend  gemacht  werden  können,  sind  somit 
äußerst  wichtige  Rechte  des  Pfandschnldners  und  zeugen  ohne 
Zweifel  von  der  Tendenz  des  Rechtes  im  zwölften  Jahrhundert, 
die  Schuldner  zu  begünstigen. 

')  Siebe  unten  S.  223  ff. 

*)  Siehe  Mndoz,  Formulare,  No.  CXLII.  Vergl.  Round,  An  eien  t 
Charters,  S.  93. 

3)  Siehe  oben  S.  219. 

*)  Glan  rill.  X,  II. 


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•223 


Aber  der  Pfandschuldner  hat  außerdem  persönliche  Rechte 
gegen  den  Pfandgläubiger  und  diese  Rechte  können  variieren,  je 
nach  den  Bedingungen  des  Übereinkommens. 

Oer  Pfand  gläubiger  kann  sich  zu  etwaigen  Reparaturen  ver- 
pflichtet haben  (covenanted).  War  dies  der  Fall,  so  nehmen  wir 
an,  daß  der  Pfandschuldner  das  Recht  hat.  zu  verlangen,  daß  diese 
Reparaturen  auch  vorgenommen  werden,  oder  aber,  wenn  sich  der 
Pfandgläubiger  dessen  weigert,  fftr  den  Vertragsbruch  Schaden- 
ersatz beanspruchen  kann '). 

Ist  die  Verpfändungsform  das  vivum  vadium,  wo  die  Renten 
und  Krtriige  zur  Verminderung  der  Schuld  verwendet  werden,  so 
hat  der  Pfandschuldner,  wie  es  scheint,  das  Recht,  eine  Rechnungs- 
ablegung zu  verlangen’).  Ob  er  darauf  bestehen  kann,  daß  eine 
Rechnungsablegung  zu  gewissen  festgesetzten  Zeiten  zu  erfolgen 
hat,  oder  nur  bei  Ablauf  des  Vertrages,  ist  eine  Frage,  die,  wie 
es  scheint,  in  jedem  einzelnen  Falle  gemäß  den  Bedingungen  des 
Vertrages  zu  entscheiden  ist. 

Wir  kommen  nun  zur  Erörterung  der  wichtigen  Fragen,  die 
sich  aus  der  Auflösung  des  Vertragsverhältnisses  ergeben  und  durch 
welche  die  Natur  des  Pfandes  klar  zu  Tage  tritt. 

Das  Pfand  wird  als  ein  Mittel  zur  Sicherstellung  der  Schuld- 
forderung gegeben,  Infolgedessen  ist  das  Pfandverhältnis  auf- 
gelöst, wenn  im  Falle  des  vivum  vadium  die  Früchte  des  Landes 
die  Schuld  getötet  haben.  Fernerhin  wird  das  Verhältnis  auf- 
gelöst durch  Zahlung  der  Schuld  oder  Verfall  der  verpfändeten 
Sache  an  den  Pfändgläubiger.  Bei  Zahlung  muß  das  Pfandobjekt 
dem  Pfandschnldner  zurückgegeben  werden,  und  um  die  Zahlung 
zu  erzwingen,  kann  der  Gläubiger  nicht  nur  die  Schuldklage 
(action  of  debt)  anhängig  machen,  sondern  er  hat  auch  das  Recht, 
eine  gerichtliche  Verfallserklärung  zu  erwirken,  von  der  später 
die  Rede  sein  wird3). 

Auch  bei  der  Auflösung  des  Vertrages  müssen  die  Rechte 
und  Pflichten  der  Parteien  sorgfältig  geprüft  werden. 

Zuerst  nimmt  der  Pfändgläubiger  unser  Interesse  in  Anspruch. 

‘)  Siehe  l’ollock  amt  Maitland,  a.  a.  ().,  ff,  S.  595  über  Oovenant. 

’)  Siehe  Madox,  Formulare,  No.  0X1,11. 

3)  Siehe  Ul  an  vi  11,  X,  C — 10. 


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224 


Das  hauptsächlichste  Recht  des  Pfandgläubigers  besteht  in 
der  Schuldforderung  selbst  und  für  diese  steht  ihm  die  Schuld- 
klage (action  of  debt)  zu.  Wurde  das  Pfand  auf  eine  gewisse 
Zeit  gegeben,  so  hat  der  Pfandgläubiger  das  Recht,  den  Betrag 
der  Schuld  nach  Ablauf  dieser  Zeit  zu  verlangen,  jedoch  nicht 
vorher.  Wird  jedoch  das  Pfand  ohne  Festsetzung  einer  Frist  ge- 
geben, so  kann  der  Gläubiger  zu  jeder  beliebigen  Zeit  Zahlung 
verlangen').  Ist  die  Verpfändungsform  das  vivum  vadium,  sei 
es  auf  bestimmte  oder  unbestimmte  Zeit,  so  kann  der  Pfandgläubiger 
nur  Zahlung  der  Summe,  welche  nach  Abzug  der  in  der  Zwischen- 
zeit erzielten  Erträge  verbleibt,  verlangen*). 

Ist  jedoch  der  Pfandgläubiger  weder  durch  den  Pfandschuldner 
noch  durch  irgend  eine  dritte  Person  aus  dem  Besitz  vertrieben 
worden,  sondern  ist  noch  immer  im  Besitz  des  Landes  zur  Zeit 
der  Zahlungsversäumnis  seitens  des  Schuldners,  welches  sind  dann 
die  Rechte  des  Pfandglüubigers  an  dem  Lande*). 

Der  Pfandschuldner  hat  den  Besitz  des  Landes  dem  Uläubiger 
übergeben,  um  dessen  Forderung  sicherzustellen.  Hat,  der  Pfand- 
gläubiger  jetzt  bei  Nichtzahlung  der  Schuld  noch  irgend  einen 
Anspruch  auf  das  Land  als  Aequivalent  für  seine  Forderung? 

Um  diese  Frage  zu  beantworten,  müssen  wir  wiederum  unter- 
scheiden zwischen  den  Fällen,  in  denen  das  Pfand  auf  eine 
gewisse  Zeit  (for  a term),  und  denjenigen,  in  denen  es  auf  un- 
bestimmte Zeit  (without  a term)  gegeben  wird. 


■)  Glanvill,  X,  8.  11,  12. 

*)  Siehe  die  Stellen  bei  (ilanvill  (X,  6,  8),  die  sich  auf  die  Unter- 
schiede zwischen  mortuum  vadium  und  vivum  vadium  beziehen.  Es  ist 
fernerhin  anzunehmen,  daß  bei  Auflösung  des  Pfandverhältnisses.  gleichgültig 
um  welche  Form  cs  sich  handelt,  der  Pfandgläubiger,  sofern  die  Parteien 
in  dem  Pfandvertrage  dies  ausdrücklich  stipulieren,  einen  Anspruch  auf 
Erstattung  der  Auslagen  für  die  Pfandsache  erheben  kann.  So  z.  B.  könnte 
der  Pfandgläubiger  einen  Anspruch  auf  Ersatz  für  Reparaturen  erheben. 
Siehe  Glanvill,  X,  6. 

*)  Wir  sehen  vorläufig  von  solchen  Fällen  ab,  wo  es  sich  um  ein 
reines  Xutzpfand  handelt,  d.  b.  wo  die  Möglichkeit  des  Verfalls  ausdrücklich 
durch  die  Bedingungen  des  Vertrages  ausgeschlossen  ist.  Das  Nachfolgende 
betrifft  jedoch  solche  Fälle,  wo  das  vivum  vadium  und  das  uiortuum 
vadium  auf  bestimmte  oder  unbestimmte  Zeit  gegeben  sind.  d.  h.  wo  ein 
reines  Nntzpfand  nicht  vereinbart  ist. 


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225 


Ist  nun  das  Pfand  auf  bestimmte  Zeit  übergeben  worden, 
so  ist  eine  weitere  Unterscheidung  zu  berücksichtigen.  Der 
Vertrag  kann  entweder  mit  oder  ohne  Verfallsklausel  abgefallt  sein. 

Die  Parteien  können  eine  Verfallsklausel  in  den  Vertrag 
aufnehmen.  Sie  können  ausdrücklich  dahin  Übereinkommen  — und 
an  diesem  Übereinkommen  muß  strikte  festgehalten  werden  — 
daß  wenn  nach  der  festgesetzten  Zeit  der  Schuldner  nicht  bezahlt, 
die  Pfandsache  — das  Grundstück  — dann  sofort  das  Eigentum 
des  Gläubigers  werden  soll,  worüber  er  nach  seinem  Belieben 
verfügen  kann1).  Hierzu  ist  kein  Urteil  des  Gerichts  nötig,  denn 
das  Pfand  ist  das  Eigentum  des  Gläubigers  kraft  der  Verfallsklausel. 
Wie  durch  ein  Wunder  sieht  sich  jetzt  der  Pfandgläubiger  plötzlich 
im  Besitze  des  freehold  (seised  in  fee)  mit  all  den  Hechten  und 
Rechtsmitteln  eines  freeholders.  Das  Pfandobjekt  ist  dem  Gläu- 
biger verfallen,  da  der  Schuldner  nicht  zur  rechten  Zeit  be- 
zahlt hat. 

Auf  der  anderen  Seite  kann  der  Vertrag  ohne  Verfallsklausel 
abgeschlossen  sein.  In  diesem  Falle  muß  sich  der  Gläubiger  an 
das  Gericht  wenden  und  es  werden  gewisse  gerichtliche  Schritte 
notwendig  sein,  bevor  er  das  Pfand  als  Eigentum  betrachten,  d.  li. 
bevor  er  dasselbe  als  für  die  Schuldforderung  verfallen  betrachten 
kann.  Die  Transaktion  ist  nicht  so  einfach,  sozusagen  selbsttätig 
vor  sich  gehend,  als  wenn  der  Vertrag  eine  Verfallsklausel  enthält. 

Das  Verfahren  ist  wie  folgt:  Versäumt  der  Schuldner  nach 
Ablauf  der  Frist  zu  zahlen,  so  muß  ihn  der  Gläubiger  verklagen. 
Der  Schuldner  muß  dann  auf  Grund  eines  Gerichtsbefehls  (writ), 
der  ihn  auttordert,  das  Pfand  einzulösen  („acquit“),  vor  Gericht 
erscheinen*).  Einmal  vor  Gericht,  hat  nun  der  Schuldner  die 


')  Glanvill,  X,  6:  Spcnec.  Kquitable  Jurisdiction,  I,  S.  600,  601  : 
Chaplin,  a.  a.  0.,  IV.  S.  8:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  120. 

*)  Glan  v ill,  X,  6.  7.  Dieses  writ  ist  selbst  in  den  Ältesten  „Registers" 
nicht  zu  linden.  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  120,  Anm.  2. 

Glanvill  ist  im  Zweifel  betreffs  der  Maßnahmen,  die  zu  treffen  sind, 
um  einen  Schuldner  zu  zwingen  vor  Goricht  zu  erscheinen : es  scheint  jedoch, 
•lall  es  Sache  des  Gerichtes  war,  in  jedem  einzelnen  Falle  besonders  zu  ent- 
scheiden. Glanvill,  X,  8.  Eine  der  gebräuchlichsten  Malinahmen,  um  je- 
mand zu  zwingen,  vor  Gericht  zu  erscheinen,  ist  die  Pfändung. 

Haieltine,  Englisches  Pfandrecht  l*> 


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Verpfändung  des  Objektes  für  die  Schuld  entweder  zuzugeben  oder 
zu  bestreiten'). 

Gibt  er  die  Verpfändung  zu,  so  hat  er  damit  gleichzeitig 
nach  Glanvill  auch  die  Schuld  selbst  anerkannt.  Er  wird  von  dem 
Gerichte  aufgefordert,  das  Pfand  innerhalb  einer  angemessenen 
Zeit  durch  Zahlung  der  Schuld  einzulösen;  das  Gericht  erklärt 
gleichzeitig,  daß  im  Falle  der  Zahlungsversäumnis  bis  zum  Ablauf 
dieser  neu  festgesetzten  Frist  das  Pfandobjekt  Eigentum  des  Pfand- 
gläubigerswerden soll  und  somit  für  die  Schuld  verfallen  »ein  würde*). 

Sollte  jedoch  der  Schuldner  die  Verpfandung  für  die  Schuld 
bestreiten,  so  kann  er  doch  das  betreffende  Objekt  als  sein  Eigen- 
tum anerkennen  und  einen  Grund  Vorbringen,  warum  es  sich  im 
Besitze  der  anderen  Partei  befindet.  Er  kann  fernerhin  vor  Gericht 
zugeben,  daß  das  Streitobjekt  nicht  sein  Eigentum  ist,  und  in 
solchem  Falle  wird  dem  Gläubiger  sofort  vom  Gericht  gestattet, 
über  die  Sache  als  sein  Eigentum  zu  verfügen.  Behauptet  jedoch 
der  Schuldner,  daß  das  Grundstück  sein  Eigentum  sei,  bestreitet 
er  aber  sowohl  Verpfändung  wie  Schuld,  so  muß  dann  der  Gläu- 
biger nicht  nur  die  Schuld,  sondern  auch  die  Verpfändung  des 
betreffenden  Streitobjekts  für  die  Schuld  beweisen,3 ». 

Wir  haben  soeben  den  Fall  besprochen,  in  dem  das  Pfand  auf 
eine  gewisse  Zeit  gegeben  wird.  Wird  das  Pfand  ohne  Fest- 
setzung einer  bestimmten  Frist  (without  a term)  gegeben,  so  kann 
der  Gläubiger  zu  jeder  beliebigen  Zeit  Zahlung  der  Schuld  ver- 
langen*). Augenscheinlich  bedeutet  dies,  daß  der  Gläubiger  jeder- 
zeit vor  Gericht  erscheinen  und  ein  Urteil  erwirken  kann,  laut 
welchem  der  Schuldner  aufgefordert  wird,  innerhalb  einer  fest- 
gesetzten und  angemessenen  Zeit  die  Einlösung  vorzunehmen,  unter 
gleichzeitiger  Erklärung  des  Gerichtes,  daß  wenn  dies  nicht  ge- 
schieht, der  Gläubiger  mit  der  verpfändeten  Sache  nach  seinem 
Belieben  verfahren  kann,  d.  h.  das  Grundstück  für  die  Schuld  ver- 
fallen sein  soll8). 


')  Glanvill,  X,  8. 

«)  Glanvill,  X,  8. 

s)  Glanvill,  X,  8.  Siehe  die  Bemerkungen  Chaplins  über  die  Be- 
weislast (Chaplin,  Story  of  Mortgagc  Law,  HLH.,  Bd.  IV). 

*)  Glanvill,  X,  8. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  120. 


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2-27 


Das  Pfandobjekt  geht  daher  für  den  Schuldner  verloren, 
verfällt,  sofern  derselbe  versäumt,  durch  Zahlung  der  Schuld  die 
Einlösung  zu  bewirken,  und  zwar  gleichgültig,  ob  der  Vertrag 
eine  Verfallsklausel  enthält  oder  nicht;  ausgenommen  den  Fall, 
dal!  der  Verfall  durch  die  Bedingungen  des  Vertrages  ausdrück- 
lich ausgeschlossen,  d.  h.  das  Pfand  als  reines  Nutzpfand  bestellt 
ist.  Enthält  der  Vertrag  eine  Verfallsklausel,  so  tritt  der  Verfall 
unbedingt  und  selbsttätig  am  Ende  der  im  Vertrage  festgesetzten 
Zeit  ein.  Wenn  jedoch  der  Vertrag  eine  Verfallsklausel  nicht 
enthält,  so  muli  der  Gläubiger  bei  Nichtzahlung  zu  der  von  den 
Parteien  festgesetzten  Zeit  oder,  wo  ein  solcher  Termin  nicht  ver- 
einbart wurde,  bei  Nichtzahlung  auf  Zahlungsaufforderung  sich 
an  das  Gericht  wenden.  Durch  ein  Verfahren  ähnlich  dem  späteren 
foreclosure  nach  Billigkeitsrecht,  wie  es  bei  dem  klassischen  mort- 
gage  üblich  war,  muH  er  dann  seinen  Rechtstitel  vom  Gericht 
durch  die  Erklärung  desselben,  daLt  im  Falle  von  Nichtzahlung 
innerhalb  eines  neuen  angemessenen  Zeitabschnittes  der  ver- 
pfändete Gegenstand  sein  absolutes  Eigentum  werden  soll,  perfekt 
machen  lassen. 

Es  ist  in  der  Tat  höchst  wichtig,  von  der  seinem  Wesen 
mich  billigkeitsrechtlichen  Natur  dieses  Verfahrens  Notiz  zu  nehmen. 
Nachdem  der  von  den  Parteien  festgesetzte  Tag  verflossen  ist, 
wird  dem  Schuldner  eine  neue  Möglichkeit  gegeben,  sein  Pfand 
einzulösen.  Die  Geduld  der  Gläubiger  und  der  Gerichte  hat  jedoch 
liier  ihre  Grenzen,  und  wenn  der  Schuldner  versäumt,  innerhalb 
dieser  neu  festgesetzten  Zeit  zu  zahlen,  so  ist  die  Pfandsache 
absolut  und  unwiderruflich  für  die  Schuld  verfallen.  Dieser 
Vorgang  ist  in  seinen  Gnindzügen  eine  Milderung  der  Härte  des 
Rechts  und  seine  Prinzipien  neigen  entschieden  dem  späteren 
Billigkeitsrechte  (Equity),  anstatt  dem  gemeinen  Rechte  zu*). 

In  der  Tat,  zu  einer  späteren  Zeit,  als  die  beiden  Systeme 
des  gemeinen  Rechts  (Common  Law)  und  des  Billigkeitsrechts 
(Equity)  voll  entwickelt  sind  und  die  Prinzipien  dieser  beiden 
Systeme  von  zwei  verschiedenen  Arten  von  Gerichten  zur  An- 
wendung gebracht  werden,  gehört  diese  ganze  von  uns  eben  be- 


■)  C h a p 1 i iv,  a.  a.  0.,  IV,  S.  7- 10  and  Pollock  and  M a i 1 1 a n d , a.  a.  0., 
11,  S.  120  haben  bereits  hierauf  hingewiesen. 


15* 


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schrieben«  Prozedur  zur  Jurisdiktion  der  Equity-Gerichte.  Im 
Falle  des  klassischen  mortgage  durch  bedingte  Übereignung  ist 
das  Recht  des  Schuldners,  das  verpfändete  Grundstück  einzulösen, 
nachdem  der  von  den  Parteien  zur  Zahlung  festgesetzte  Tag  ver- 
flossen ist,  bekannt  als  „equitv  of  redemption“,  und  das  Urteil 
des  Gerichts,  welches  den  Schuldner  auffordert,  entweder  zu 
zahlen  oder  aber  sein  Grundstück  für  immer  als  verfallen  anzusehen, 
wird  „decree  of  foreclosure“  genannt.  Das  erstere  ist  eine 
Konzession  an  den  Schuldner,  das  letztere  eine  Konzession  an  den 
Gläubiger.  Aber  alles  dies  gehört  zu  der  späteren  Entwickelung 
des  Billigkeitsrechts.  Das  am  meisten  interessierende  bei  diesem 
Glanvillschen  Verfahren  ist,  daß  es  ein  Verfahren  des  Königs- 
gerichts, nicht  aber  ein  solches  des  Kanzleigerichtes  ist.  Es  ist 
ein  Verfahren  des  Gerichts,  dem  die  Entwickelung  des  gemeinen 
Rechts  in  England  obliegt,  nicht  des  Equity-Gerichts.  Dies  ist 
eine  weitere  Illustration  der  instruktiven  Tatsache,  daß  vor  der 
Entwickelung  des  Systems  des  Equitv-Rechts  durch  besondere 
Gerichte  das  Königsgericht  selbst,  das  Gericht  des  gemeinen 
Rechts,  gewohnt  ist,  im  Interesse  von  Gerechtigkeit  und  Billigkeit 
die  Härte  und  Strenge  des  Gesetzes  zu  mildem,  und  das  auszu- 
üben pflegt,  was  man  heutzutage  „equitable  jurisdiction“  nennt'). 
Der  Geist  des  im  zwölften  Jahrhundert  zu  Gunsten  des  Schuldners 
angewendeten  Verfahrens  drückt  sich  in  den  Worten  Glanvills 
aus:  „Es  ist  jedoch  zuweilen  nötig,  daß  er  vor  Gericht  erscheint, 
ehe  die  fragliche  Sache  dem  Gläubiger  endgültig  zngesprochen 
wird;  denn  ist  er  anwesend,  so  kann  er  vielleicht  einen  Grund 
angeben,  warum  die  betreffende  Sache  dem  Gläubiger  nicht  un- 
widerruflich angehören  soll*). 

Sobald  die  Schuld  getilgt  ist,  ist  der  Gläubiger  verpflichtet, 
die  Pfandsache  zurfiekzugeben  in  genau  so  gutem  Zustande,  wie 
sie  beim  Empfange  war,  und  dies  zeigt  deutlich,  daß  er  einer 
absoluten  Verantwortlichkeit  (absolute  liahility)  unterworfen  ist. 
Ohne  Rücksicht  auf  eigenes  Verschulden.  Vernachlässigung  oder 


')  Siebe  über  das  frühzeitige  .equitv*  bei  den  Oommon-Law-Gerichten 
Holmes,  Early  Englisb  Equitv.  L.  Q.  R.,  I,  S.  162:  Pollock  and  Muit- 
1 and,  a.  a.  0„  I,  S.  189.  197.  II,  S.  595.  596.  671. 

' ’)  Glanrill,  X,  8. 


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2-29 

Unfall,  ist  nach  Glanvill  der  Gläubiger  verpflichtet,  die  Pfand- 
sache unverletzt  zurückzugeben,  und  wenn  dies  unmöglich  ist, 
so  hat  er  Ersatz  zu  leisten,  oder  aber  er  verliert  das  Recht  auf 
seine  Forderung  ‘). 

•Sollte  der  Pfandgläubiger  bei  rechtzeitiger  Zahlung  oder 
Bereiterklärung  hierzu  die  Pfandsache  böswillig  einbehalten,  so 
kann  der  Pfandschuldner  den  Pfandgläubiger  durch  Klageerhebung 
(by  appropriate  writ)  vor  Gericht  laden  lassen.  Beim  Erscheinen 
vor  (jericht  wird  der  Pfandgläubiger  dann  anerkennen,  daß  das 
fragliche  Grundstück  verpfändet  wurde,  oder  er  wird  behaupten, 
daß  es  sein  Lehen  ist  (feodum  vel  vadium).  Gibt  er  an,  daß 
es  ein  Pfand  ist,  so  muß  er  dem  Schuldner  das  Land  zurückgeben 
oder  einen  triftigen  Grund  anführen,  warum  er  dies  nicht  tun 
will.  Behauptet  er,  daß  es  sein  eigenes  Lehen  ist,  so  kann  die 
Frage,  ob  der  Gläubiger  das  fragliche  Land  als  Lehen  oder  als 
Pfand  im  Besitz  hat,  den  Geschworenen  zur  Entscheidung  vor- 
gelegt werden  (reeognition  of  the  country);  dies  kann  geschehen 
auf  Antrag  sowohl  des  Schuldners  wie  des  Gläubigers,  Die  Ge- 
schworenen können  ferner  feststellen,  ob  des  Gläubigers  Vater  oder 
ein  anderer  seiner  Vorfahren  an  seinem  Todestage  das  Land  als 
Lehen  oder  als  Pfand  besessen  hat  (seised  of  the  land  in  fee  or 
as  a pledge.)  War  das  Grundstück  ein  Pfand,  so  muß  es  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  dem  Schuldner  zurückgegeben  werden, 
sofern  dieser  Zahlung  leistet  oder  sich  zur  Zahlung  erbietet. 
Diese  den  Geschworenen  zur  Entscheidung  vorgelegte  Frage  (re- 
cognition)  kann  in  unendlich  verschiedener  Form  vorgebracht 
werden,  wie  diese  sich  aus  den  Gründen  und  Gegengründen  der 
Parteien  ergibt.  Wird  die  Entscheidung  seitens  der  Geschworenen 
von  keiner  Partei  nachgesucht,  so  nimmt  die  Verhandlung  ihren 
Fortgang  (plea  may  proceed  in  court  upon  the  right)’). 


')  Glanvill,  X,  6,  8. 

’)  Glanvill,  X,  8,  9,  10.  Weitere  Einzelheiten  nebst  den  writs  sind 
zu  linden  bei  Glanvill,  XIII,  26-30.  Siehe  Three  Roll«  of  tbe  King'a 
(’ourt  (1194-1195),  hrsg.  von  Maitland,  S.  XXXIX.  s.  v.  Feodum  vel 
vadium.  Uber  die  Authentizität  des  Glanvill’schen  Textes  XIII,  30.  siehe 
Heimes'  Translation  of  Glanvillc,  8.332,  Anm.  1.  Vorgl.  über  die  Rechte 
der  Erben  unseren  Abschnitt  über  das  liracton'sche  gagc  foryears.  Unten  8.  235. 

Phillips,  Englische  Reichs-  und  Rechtsgeschichte,  II,  8.  149  sagt 


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230 

Wie  steht  es  nun  mit  «len  Rechten  und  Pflichten  des  Pfand- 
schuldners:' 

Das  hauptsächlichste  Recht  des  Pfandschuldners  besteht  in 
der  Einlösung  des  Pfandes  durch  Zahlung  der  Schuld.  Wie  wir 
gesehen  haben,  kann  er  selbst  nach  dem  Stichtage  einlösen  oder, 
im  Falle  von  Verpfandung  auf  unbestimmte  Zeit,  auch  nach  der 
Zahlungsaufforderung.  Der  Pfandschuldner  hat  fernerhin  das 
Recht,  darauf  zu  bestellen,  «lall  der  Pfandgläubiger  den  Gegen- 
stand unverletzt  zurückgibt,  oder  aber  daß  er  für  die  Beschädigung 
Ersatz  leistet.  Tut  der  Gläubiger  dies  nicht,  so  braucht  die 
Schuld  nicht  bezahlt  zu  werden '). 

Ist  das  Pfand  ein  reines  Nutzpfand  in  der  Form  des  vivum 
vadium,  so  besteht  das  Recht  des  Schuldners  darin,  die  Pfand- 
sache zurückzuerhalten,  sobald  die  Früchte  des  Landes  die  Schuld 
getötet  haben’). 

Der  Schuldner  ist  rechtlich  verpflichtet,  die  Schuld  zu  zahlen, 
und  er  kann  daher  durch  die  Klage  action  of  «lebt  gerichtlich 
hierzu  gezwungen  werden,  denn  das  Land  oder  die  Rente  wurde 
zur  Sicherstellung  dieser  .Schuldforderung  verpfändet’). 

Es  wird  auch  angenommen,  daß  die  Parteien  in  dem  Pfand- 
vertrage festsetzen  können,  daß  der  Pfandschuldner,  nicht  der 
Pfandgläubiger  die  nötigen  Auslagen  für  das  verpfändete  Grund- 

bei  Besprechung  der  Kecugnitio,  nt  rum  aliqnis  obierit  scisitus  de 
aliquo  tenemento  ut  de  feodo  an  ut  de  vadiu  bei  (ilanvill,  XIII, 
■26-29,  30,  § 1 : „Biese  Kocognition  trat  ein,  wenn  jemand  von  einem  anderen 
ein  Grundstück  zurückforderte,  von  dem  er  behauptete,  es  sei  diesem  von 
ihm  selbst  oder  von  einem  seiner  Vorfahren  verpfändet  worden,  der  Besitzer 
aber  dagegen  einwendete,  er  habe  das  Grundstück  nicht  als  Pfand,  sondern 
als  Lehen  iune.  Auch  hier  ist  nichts  von  den  übrigen  Kecognitionen  Ab- 
weichendes zu  bemerken.  Wenn  dem  Besitzer  das  Grundstück  durch  die 
Kecognitionen  abgesprochen,  es  bloß  als  ein  zu  Pfand  gegebenes  anerkannt 
wurde,  so  verlor  er  dasselbe,  ohne  gleichzeitig  infolge  der  Kccognition  die 
Bezahlung  der  Summe  verlangen  zu  können,  wegen  welcher  ihm  das  Grund- 
stück verpfändet  worden  war.  Ks  scheint  als  sei  hier  wirklich  die  Existenz 
der  Forderung  geknüpft  gewesen  an  das  verpfändete  Objekt  und  als  ob  ein 
neuer  Prozeß  wegen  jener  Obligation  nicht  habe  angefangen  werden  können. - 
Vergl.  «ilanvill.  X,  10. 

■)  Siehe  (ilanvill.  X,  8:  unsere  früheren  Ausführungen. 

*)  Siehe  unsere  früheren  Ausführungen. 

’)  Glau v Ul,  X.  1 1. 


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231 


stück  während  des  Bestehens  des  Vertrags  Verhältnisses  zu  tragen 
hat1). 

Wir  können  jetzt  deutlicher  die  Natur  des  „Glanvillschen 
Pfandes“  erkennen. 

Es  wurde  bereits  die  Ansicht  ausgedrückt,  dcß  Glanvill  in 
seinem  Buche  De  Legibus  et  Consuetudinibus  Regni 
Angliae  mehrere  verschiedenartige  Formen  der  Immobiliarver- 
pfändung  und  Kombinationen  dieser  Formen  bespricht. 

Obgleich  dies  nirgends  ausdrücklich  gesagt  wird,  glauben 
wir,  daß  Glanvill  der  Meinung  ist,  daß  das  Pfand,  sofern  es  die 
Parteien  wünschen,  eine  der  Formen  des  reinen  Nutzpfandes,  wo 
die  Substanz  gar  nicht  ins  Spiel  kommt,  annehmen  kann,  d.  h. 
daß  das  Nutzpfand  in  der  Tat  entweder  mortuum  vadium  oder 
vivum  vadium  ist. 

Gleichzeitig  kann  dem  Nutzpfand  — sowohl  dem  mortuum 
vadium  wie  dem  vivum  vadium  — ein  Substanzpfand  bei- 
gefügt werden ; es  kann  sich  in  anderen  Worten  um  ein  kom- 
biniertes Rechtsgeschäft  handeln.  Diese  Hinzufügung  des  Substanz- 
pfandes zum  Nutzpfände  kann  auf  zwei  verschiedene  Arten  ge- 
schehen: 1.  Die  Parteien  können  bei  Übergabe  des  Besitzes  des 
Landes  an  deu  Pfandgläubiger  entweder  als  mortuum  vadium 
oder  vivum  vadium  in  den  Kontrakt  eine  Verfallsklausel  auf- 
nehmen: Wenn  die  Schuld  oder  der  Rest  der  Schuld,  welcher 
nach  Abzug  des  Wertes  der  eingezogenen  Früchte  verbleibt,  nicht 
an  einem  bestimmten  Tage  bezahlt  wird,  so  soll  das  Land  selbst 
auf  den  Gläubiger  als  Eigentum  übergehen,  d.  h.  das  Land  soll 
für  die  Schuld  verfallen  sein’).  2.  Wenn  in  dem  Vertrage  nicht 
ausdrücklich  ein  reines  Nutzpfand  ausgemacht  ist  und  wenn  ferner- 
hin der  Vertrag  eine  Verfallsklausel  nicht  enthält,  dann  muß  der 
Gläubiger  zum  Gerichte  gehen  und  dieses  wird  bestimmen,  daß 
wenn  der  Schuldner  nicht  von  der  ihm  jetzt  gebotenen  letzten 


')  Siebe  Glanvill,  X,  6:  nnserc  früheren  Ausführungen, 

*)  Auch  nach  älterem  deutschen  Recht  kann  die  Satzung  mit  auf- 
schicbcnd  bedingter  I bercignung  verbunden  wurden:  hierdurch  gewinnt  sie 
die  Natur  eines  Verfallpfandes.  Siehe  Gierke,  Deutsches  Privatrecht, 
Bd.  II,  S.  81«. 


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232 


Gelegenheit,  «las  Land  einzulösen,  Gebrauch  macht,  dasselbe  dem 
Gläubiger  verfallen  sein  soll '). 

Das  Glanvillsehe  Pfand  kam  bald  außer  Gebrauch  infolge 
der  Weigerung  des  Königsgerichts,  die  seisina  des  Pfandgläubigers 
zu  schützen,  und  in  der  Tat  scheint  auch  der  Versuch,  die  Rechte 
des  Pfandgläubigers  an  dem  verpfändeten  Grundstück  als  Rechte 
von  besonderer  Natur  zu  behandeln,  bald  aufgegeben  worden  zu 
sein*).  Vom  Ende  des  zwölften  Jahrhunderts  an  trat  der  Pfand- 
gläubiger in  ein  Verhältnis  als  tenant  eiu.  Er  übernahm  das 
Grundstück  aut  eine  Reihe  von  Jahren  (tenant  for  years)  oder  als 
freehold  Besitz.  Wurde  er  „tenant  for  years“,  so  hatte  er  auch 
alle  Rechte  eines  solchen,  übernahm  er  aber  das  Grundstück  als 
freehold  Besitz,  so  standen  ihm  auch  die  Rechte  eines  frec- 
holders  zu. 

')  Siebe  ferner  unsere  früheren  Ansfühningen.  MH  unserer  Auslegung 
«ler  Natur  des  tilanvill’schcn  Pfandes  kann  verglichen  werden  diejenige 
von  Coote  und  Robbins,  welche  das  mortuutn  vadium  und  das  vivuin 
vadium  Ulanvills  als  .determinablc  or  base  fees,  witli  a right  of  reverter  in 
the  fctiffor  and  his  heirs,  on  the  payment  of  a given  suin“,  ansehen  und  dem- 
selben das  klassische  englische  mortgagc  gegenüberstollen,  wo  der  Pfand- 
gläubiger  .an  absolute  fee.  witli  a condition  annexed“  erwarb.  Coote  fährt 
fort:  „The  difference  between  the  estates  was  striking.  In  the  first  instanee 
the  creditor  took  an  estate,  which,  as  sonn  as  his  debt  was  satisfied.  ipso 
facto  ceased,  and  the  feoffor  might  re-enter,  and  maintain  ejeetniont:  in 
the  lattcr  instanee  the  feoffee  took  the  winde  estate  subject  to  be  defeated, 
but  which,  on  the  non-fulfillment  of  a certain  engagement,  bccatne  his  own 
by  an  indefeasible  title.  In  the  first  casc  the  defeasibility-  was  an  inherent 
quality  of  the  estate:  in  the  other  the  determination  was  collateral  to  it.“ 
Und  weiter:  .The  vivum  vadium  consisted  of  a feoffinent  to  the  creditor 
and  his  heirs,  until  out  of  the  rents  and  proKts  he  had  satisfied  himself 
his  debt:  ....  and  it  is  said  to  liave  been  called  vivum  vadium  because 
neithur  debt  nor  estate  was  lost.“  Nach  Coote  ist  das  mortuum  vadium 
Ulanvills  ein  „feoffment  to  the  creditor  and  his  heirs,  to  be  lield  by  him 
until  his  debtor  paid  him  a given  snm,  and  until  which  he  reecived  the 
rents  without  account.  so  that  the  estate  was  unprotitable  or  dead  to  the 
mortgagor  in  the  uicautime:  . . .“  Coote,  Law  of  Mortgage,  4.  Aufl.,  I, 
c.  11:  Robbins,  a.  a.  0,  I,  S.  1-3.  Siche  auch  unsere  früheren  Aus- 

führungen: Uoote,  Law  of  Mortgage,  1.  Aufl.,  S.  6:  Crabb , a.  a.  0.,  S.  371. 

’)  Siehe  unten  S.  233  ff.  Wir  sprechen  hier  von  dem  Pfand  mit  Besitz 
des  Gläubigers.  1 eber  die  Natur  der  Hechte  des  Hypothekars  siche  unsere 
späteren  Ausführungen. 


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233 


§ 2.  Sog.  „ßractonian  Gage  for  Years.“ 

Zur  Zeit  ßractons  war  eine  Verpachtung  auf  Jahre  (lea.se 
l'or  years i mit  Verfallsklausei  die  gebräuchlichste  Form  der  Immo- 
biliarverpfändung (sog.  „ßractonian  gage  for  years“ ').  Auch  dies 
ist  ein  kombiniertes  Geschäft,  denn  zu  der  Nutzung  des  Pfand- 
nehmers (lessee  for  years)  kommt  die  Möglichkeit,  daß  das  Land 
für  die  Schuld  verfallen  kann  (Nutzpfand  plus  Substanzpfand). 
Desgleichen  ist  es  nichts  weiter  als  eine  andere  Form  der  Über- 
eignung unter  Suspensivbedingung.  Sie  wurde  meist  von  Gläubigem 
sehr  gern  angewendet,  weil  der  ßesitz  des  l’fandgläubigers  recht- 
lich geschützt  war  und  weil  durch  den  Verfall  der  Gläubiger  so- 
fort und  ohne  weiteres  in  den  ßesitz  eines  freehold  kam,  während 
er  solange  nur  die  Pachtung  auf  Jahre  hatte  (term  for  years. 
chattel  real*). 

Wann  die  Verpachtung  auf  Jahre  (lease  for  years)  mit  Ver- 
lallsklausel  als  eine  Form  der  Sicherheitsstellung  zuerst  zur  An- 
wendung kam,  scheint  mit  Gewißheit  heute  nicht  mehr  festgestellt 
werden  zu  können3).  Sicher  hatte  sie  ein  Vorbild  auf  dem  Kon- 
tinent in  der  suspensiv  bedingten  Übereignung  zu  Pfandzwecken  in 
der  fränkischen  Periode4),  und  wie  wir  soeben  nachgewiesen  haben, 
war  das  Glanvillsche  Pfand  auf  eine  bestimmte  Reihe  von  Jahren 
mit  Vertallsklausel  ohne  Zweifel  ein  Geschäft  derselben  Art,  wobei 
es  jedoch  des  possessorischen  Schutzes  entbehrte,  dessen  sich  der 
ßractonsche  Pfandgläubiger  erfreute4). 

Die  ßracton'sehe  Verpachtung  auf  Jahre  (lease  for  years)  als 
Sicherheitsstellung  hat  folgende  Form.  Der  Schuldner  verpachtet 
das  Land  an  den  Gläubiger  auf  eine  Reihe  von  Jahren  unter  der 


')  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  120-122. 

■)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 

3)  Siehe  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  ().  11,  S.  111,  112. 

i)  Brunner,  Uber  Pollock  and  Maitlamls  Histury  of  Knglish  Law 
(Sonderabdruck  aus  der  Zeitschrift  der  Savigny-Stiftung). 

4)  Siehe  oben  S.  214  ff.  Chaplin,  a.  a.  O..  IV,  S.  8 identifiziert  das 
i llanvill  sehe  Verfallspfand  mit  dem  Bracton "sehen  Verfallspfand.  Nach  seiner 
Annahme  ist  die  Vcrfallsklauscl  wahrscheinlich  aus  dem  römischen  Hechte 
übernommen. 


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•234 


Bedingung,  daß  wenn  die  Schuld  nicht  am  Ende  der  Pachtzeit 
bezahlt  wird,  der  Gläubiger  das  Land  in  fee  behalten  darf1). 

Bei  Inkraftreten  der  Verfallsklausel,  d.  h.  bei  Zahlungs- 
versäumnis seitens  des  Schuldners  bei  abgelaufener  Pachtzeit, 
geht  das  freehold  sofort  und  von  selbst  auf  den  Gläubiger  über. 
Der  Pländgläubiger  ist  nun  plötzlich  im  Besitze  des  freehold  (seised 
in  fee)  und  es  stehen  ihm  nunmehr  alle  Rechtsmittel  eines  frec- 
holders  zu.  Das  freehold,  das  Land  selbst,  ist  ihm  für  die  Schuld 
verfallen.  Er  ist  nun  nicht  länger  termor,  solidem  in  Wirklichkeit 
Eigentümer  des  Landes  selbst. 

Die  Reehtsanschauungen  späterer  Zeiten  heißen  diese  Methode 
des  dreizehnten  Jahrhunderts,  nach  der  eine  Verpachtung  auf 
Jahre,  ein  bloßes  „ehattel  real“,  durch  Erfüllung  einer  Bedingung 
in  ein  freehold  estate  sich  auswachsen  kann,  nicht  gut'-’):  an  ihre 
Stelle  tritt  das  inortgage  durch  resolutiv  bedingte  Übereignung 
(conditional  feoffment)*).  Aber  in  dieser  frühen  Zeit  sehen  die 
Juristen,  wie  ja  auch  Pollock  und  Maitland  dies  bereits  ausgeführt 
haben4),  die  Schwierigkeit  nicht.  „Demise“  und  «feoffment“  sind 
beides  Formen  der  großen  Gruppe  „gifts“  und  die  forma  dona- 
tionis  wird  mit  beinahe  religiöser  Ehrfurcht  behandelt.  Der 

')  Bracton,  f.  20.  2(18-26!):  Britton,  liv.  III.  e.  XV,  §§2-7:  Brac- 
tou's  Note  Book,  pl.  889:  Madox,  Formulare.  No.  DIX:  Cart.  <iu  isborough, 
S.  144:  Pollock  and  Maitland,  u.  a.  ()..  II.  S.  122.  Siche  auch  Varianten 
dieser  Pfandform:  Ko  und,  Ancient  Charters,  No.  56:  Chron.  de  Melsa, 
I,  303:  Madox,  Formulare,  No.  COIJI:  Y.  B.  21-22  Ed.  I,  S.  125.  Siehe 
ferner  Selcct  Civil  l’lcas,  (Seid.  Soc.),  I,  S.  2,  10,  36,  57.  79. 

Vergl.  ein  lease  aus  dem  Jahre  1292  in  Y.  B.  20-21  Ed.  1.  S.  131,  das 
ein  reines  Nutzpfand  in  der  Form  der  Zinssatzung  (uiortuuin  vadium) 
gewesen  zu  sein  scheint:  Nota  si  un  Imine  lesse  sa  tere  a un  autre  en  gage 
pur.  XX.  mars,  issi  ke  a quel  oure  ke  yl  pByc  le  XX.  mars  ke  yl  eit  sa 
tere  arcrc,  en  coe  cas  cely  a ky  la  tere  cst  en  gage  ne  ad  fee  ne  franc 
tenement  par  tant. 

J)  Eine  Besprechung  der  theoretischen  Schwierigkeiten,  die  mit.  einem 
sulchen  Rechtsgeschäfte  verbunden  sind,  ist  zu  finden  bei  Cok  e über  Little- 
ton,  216-218.  Ferner  zu  beachten  Fitzherbert,  Abridgment,  tit.  Fcffe- 
inents,  pl.  119. 

s)  Später  kam  auch  die  Verpfändung  durch  umrtgage  eines  auf  eine 
gewisse  Reihe  von  Jahren  gepachteten  Grundstücks  (inortgage  for  a term  of 
years)  in  Gebrauch.  Siehe  Madox,  Formulare,  DLXXXIX,  auch  unsere 
späteren  Ausführungen. 

•)  Hist.  Eng.  Law.  II,  S.  122,  123. 


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•33.1 


bloße  Wille  des  Gebers  (grantor)  erweitert  durcli  bloße  Erfüllung 
einer  Bedingung  einen  Besitz  auf  Jahre  in  ein  freehold  oder  ver- 
mindert ein  freehold  in  einen  Besitz  auf  Jahre.  Aus  einem  free- 
hold kann  ein  chattel  real  und  aus  einem  chattel  real  ein  free- 
hold gemacht  werden'). 

Nicht  nur  den  Parteien  selbst,  sondern  auch  ihren  Erben 
können  Rechte  aus  dieser  Bracton’schen  Sicherstellung  durch  Ver- 
pachtung auf  Jahre  erwachsen. 

Die  possessorische  Klage  „assize  of  mortdancester“  steht  den 
Erben  eines  als  freehold  Besitzer  Verstorbenen  iheirs  of  an  ancestor 
who  died  seised  in  demesne  and  as  of  fee  — in  fee  simple  nr 
in  tail)  zu.  Sie  steht  nicht  den  Erben  jemandes  zu,  der  bei 
seinem  Tode  Land  als  Pachter  auf  Jahre  oder  als  Pfandgläubiger 
im  Besitze  hatte"). 

Wenn  jedoch  dem  Gläubiger  Land  verpfändet  worden  ist 
unter  Einschluß  einer  Verfallsklausel,  oder  in  anderen  Worten 
unter  der  Bedingung  daß,  wenn  die  Schuld  an  einem  gewissen 
Tage  nicht  bezahlt  wird,  das  Land  dem  Gläubiger  und  seinen 
Erben  als  freehold  verbleiben  soll,  und  wenn  das  Land  auf  solche 
Weise  tatsächlich  für  die  Schuld  während  der  Lebenszeit  des 
Gläubigers  verfallen  ist,  dann  können  die  Erben  des  Gläubigers 
die  possessorische  Klage  assize  of  mortdaneestor  anhängig  machen. 
Bei  Nichtzahlung  am  festgesetzten  Tage  kam  der  Gläubiger  in 

■)  ln  Y.  B.  21-22  E<i.  I.  (1293)  8.  222  - 224.  linden  wir,  daß  tcnu- 
nients  verpfändet  worden  sind  fnr  ein  Darleben  von  40  I.St..  welche  Summe 
je  mr  Hälfte  un  den  beiden  hierfür  festgesetzten  Tagen  zurückzuzahlen  war, 
und  daß,  wenn  der  Schuldner  versäumte,  an  den  festgesetzten  Tagen  zu 
zahlen,  das  Land  dem  tiläubigcr  und  seinen  Erben  in  fee  verbleiben  sollte. 
In  Übereinstimmung  mit  diesen  Bedingungen  wurde  von  dem  Pfandschuldner 
eine  Belehnungsnrknnde  (charter  of  feoffmont)  aufgesetzt,  die  einer  unpar- 
teiischen Person  (umpirc)  übergeben  wurde,  damit  sie  von  dieser  nach  dem 
Stichtage  au  diejenige  Vertragspartei  übergeben  werde,  welcher  sie  zukam. 
Der  Schuldner  zahlte  20  L.  St.  am  ersten  Stichtage,  versäumte  jedoch  die 
Zahlung  am  zweiten,  ln  einem  Writ  of  Entry  ad  terminum  qui  practe- 
riit,  das  von  dem  Pfandschuldner  gegen  den  Pfandgläubiger  erlassen  wurde, 
entschied  das  Gericht  dahin,  daß  der  Pfandschuldner  sein  Land  nicht  zurück- 
erhalten  könnte.  Der  Kall  ist  besonders  interessant  dadurch,  daß  er  zeigt, 
wie  der  Kechtstitel  des  Pfandgläubigers  bei  der  Zahlungsversäuumis  des 
l’fandschuldners  durcli  die  charter  of  feoffment  perfect  gcmacbt  wurde. 

*)  Siebe  unten  S.  23li,  Amu.  1. 


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den  Besitz  des  freehold  durch  Inkrafttreten  der  Verfallsklausel: 
und  beim  Tode  des  Gläubigers,  welch  letzterer  somit  freehold 
Besitzer  war  (seised  in  fee)  ging  das  freehold  auf  seine  Erben 
über.  Nunmehr  im  Besitze  als  freeholder  und  nicht  bloß  ut  de 
vadio,  sind  die  Erben  jetzt  berechtigt  zur  possessorischen  Klage 
assize  of  mortdancestor '). 

Die  Erben  des  Pfandschuldners  sind  ebenfalls  zur  possessorischen 
Klage  assize  of  mortdancestor  gegen  den  Pfändgläubiger  oder 
dessen  Erben  berechtigt,  sofern  Zahlung  der  Schuld  an  dem  von 
den  Parteien  festgesetzten  Tage  erfolgt  oder  zum  wenigsten  in  an- 
gemessener Form  angeboten  wird.  In  solchem  Falle  tritt  die 
\ erfallsk lausei  außer  Kraft.  In  der  Tat  befreit  Zahlung  oder 
angemessenes  Zahlungsanerbieten  das  freehold  des  Pfandschuldners 
von  der  Möglichkeit  des  Verfalls.  Stirbt  nun  der  Pfandschuldner 
als  lreehold  Besitzer  (seised  in  fee),  so  können  seine  Erben,  nicht 
aber  die  Erben  des  Pfändgläubigers  das  Land  beanspruchen  und 
die  possessorische  Klage  assize  of  mortdancestor  anhängig  machen  *). 

Die  Bedingungen  des  Pfandvertrages  können  derartige  sein, 
daß  die  Erben  des  Schuldners  am  Stichtage  bezahlen  und  so  das 
Land  einlösen  können.  Wenn  sich  jedoch  die  Bedingung  des 
Vertrages  bezüglich  Zahlung  nicht  auf  die  Erben  des  Schuldners 
erstreckt,  d.  h.  wenn  die  Erben  des  Schuldners  in  dem  Vertrage 
nicht  genannt  werden  und  wenn  der  Schuldner  selbst  vor  dem 
Stichtage  stirbt,  so  ist  das  Land  dem  Gläubiger  verfallen.  Dies 
geschieht  auch  dann,  wenn  sich  die  Erben  des  Schuldners  bereit 
erklären,  zur  rechten  Zeit  Zahlung  leisten  zu  wollen.  Der  Ver- 
trag hat  eine  strikte  Auslegung  gefunden :l). 

')  Bracton,  f.  268,  208b:  Brittoii,  Uv.  II.  c.  V,  $ 14,  liv.  III.  c.  XV. 
§§  2,  3.  Siebe  Y.  B.  20-21  Kd.  I.,  S.  242.  Vcrgl.  das  wril  de  fcodo  et 
vadio  oben  S.  229. 

s)  Siche  unten  Amu.  3. 

3)  Bracton,  f.  268b;  Brittoii,  liv.  III.  c.  XV,  8$  4-6.  Siebe  Mich 
Britto n , hv.  III,  c.  XV,  § 7. 

Zur  Zeit  Littletons  wird  eine  Bedingung  der  soeben  erwähnten  Art 
weniger  strikt  ausgelegt,  indem  den  Krben,  trotzdem  sie  iin  Vertrage  nicht  er- 
wäbut  sind,  gestattet  wird,  die  Bedingung  zu  erfüllen,  l.ittlcton,  § 334: 
Ouke  über  Littleton.  20.7b:  Xiehols'  Brittoii,  11.  8.  127,  Aum.  (d;. 
Vergl.  das  writ  de  feudo  et  vadio  oben  S.  229. 


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•237 

Die  sich  hin  und  wieder  ergebenden  Schwierigkeiten,  zu 
unterscheiden  zwischen  einer  Verpachtung  auf  Jahre  als  Sicher- 
heitsleitung ')  und  dem  Glanvill’schen  Pfand,  ist  bereits  angedeutet 
worden*).  Das  sog.  gage  oder  vadium  kann  auf  eine  Reihe 
von  Jahren  gegeben  werden,  und  wenn  dies  geschieht,  so  kommt 
die  Transaktion  einer  Verpachtung  auf  Jahre  sehr  nahe.  Es  ist 
besonders  schwer,  zwischen  den  zwei  Können  zu  unterscheiden, 
wenn  beide  Verträge,  welche  behufs  Sicherheitsstellung  abgeschlossen 
werden,  die  Verfallsklausel  enthalten. 

Es  wird  jedoch  angenommmen,  daß,  obgleich  die  beiden 
Formen  in  manchen  Fällen  in  leicht  zu  verwechselnder  Weise 
sich  tatsächlich  ineinander  verschmelzen3),  sie  doch  nichtsdesto- 
weniger zwei  deutlich  verschiedene  Können  darstellen.  Das  Glan- 
villsche  Pfand,  selbst  wenn  es  auf  gewisse  Zeit  gegeben  wurde, 
ist  eine  Form  der  Sicherheitsleistung  sui  generis,  eine  Fonn,  die 
in  der  Tat  nur  zum  Zwecke  der  Sicherheitsleistung  Anwendung 
findet.  Die  Verpachtung  auf  Jahre  ist  dagegen  ein  Rechtsgeschäft, 
eine  juristische  Form  für  sich,  die  je  nach  dem  Wunsche  der  Parteien 
zum  Zwecke  der  Sicherheitsleistung  Anwendung  linden  kann.  Die 
beiden  Formen  scheinen  in  der  Tat  von  den  früheren  Schriftstellern 
auseinander  gehalten  worden  zu  sein,  als  seien  es  zwei  verschiedene 
Formen  gewesen4),  und  es  darf  bemerkt  werden,  daß  obgleich  das 
Glanvill  sche  Pfand  auf  eine  gewisse  Zeit  hergegeben  werden  kann, 
es  doch  auch  auf  unbestimmte  Zeit  übergeben  werden  kann 5),  oder  wie 
es  scheint  sogar  nur  bis  zu  der  Zeit,  wo  die  Schuld  aus  den  Er- 
trägen getilgt  ist.  Auf  der  anderen  Seite  ist  Verpachtung  auf 
Jahre,  wie  schon  der  Name  andeutet,  immer  eine  Verpachtung 
auf  gewisse  Zeit. 


')  Das  sogenannt«  „bcnclicial  lease"  iimU  natürlich  scharf  unterschieden 
werden  von  der  Verpachtung  auf  Jahre  (lease  for  vears)  zur  Sicherstellung 
einer  Forderung.  Im  vorliegenden  Abschnitt  haben  wir  es  nur  mit  der 
letzteren  zu  tun.  Über  das  „beneticial  lease-  siehe  oben  S.  203,  204. 

*)  Siche  oben  S.  233. 

s)  Siehe  z.  B.  die  Erörterung  bei  Bracton.  f.  268.  268b.  269  und  bei 
Britton,  liv.  III,  c.  XV,  §§  2-7. 

4)  Siehe  Bracton,  f.  268,  268b:  Britton,  liv.  III,  c.  XV.  §§  2,  7. 
Vergl.  unsere  späteren  Ausführungen. 

s)  Glanrill.  X.  6. 


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238 


Der  Unterschied  zwischen  den  zwei  Formen  tritt  jedoch  am 
deutlichsten  hervor,  wenn  man  sich  mit  der  Franc  des  Besitz- 
schutzes beschäftigt.  Und  dies  scheint  in  der  Tat  der  Haupt- 
unterscliied  zwischen  der  als  Sicherheit  abgeschlossenen  Verpachtung 
auf  Jahre  und  der  Glanvill’schen  Verpfändung  auf  bestimmte  Zeit 
zu  sein.  Der  Glanvill’sehe  l’fandgliiubiger  hat  keinen  Schutz 
gegen  den  l’fandschuldner  oder  dritte  Personen.  Auf  der  anderen 
Seite  steht  dem  Pächter  auf  Jahre  am  Fnde  des  zwölften  Jahr- 
hunderts *)  die  Klage  Action  of  Covenant  zu,  auf  Grund  deren  der 
Verpachter  oder  seine  Erben  gezwungen  werden  können,  den  Be- 
sitz, oder  wie  es  genannt  wird,  die  seisina  des  Landes  zurück- 
zugeben. Und  im  dreizehnten  Jahrhundert  wird  dieser  Besitzschutz 
des  Pächters  erweitert,  indem  man  ihm  possessorische  Rechte  gegen 
dritte  Personen  verleiht.  Das  X ichtvorhan densein  eines  Schutzes 
für  den  Glanvill'schen  Pfandgläubiger  ist  jedenfalls  der  Haupt- 
grund für  das  Verschwinden  der  Glanvill’schen  Form  der  Sicher- 
heitsstellung, und  der  possessorische  Schutz  des  Pächters  auf  Jahre 
ist  vielleicht  der  Hauptgrund  der  Popularität  der  Verpachtung 
auf  Jahre  zum  Zwecke  der  Sicherstellung  einer  Forderung  in  der 
Zeit  Bractons*).  Beide  Formen  müssen  daher  scharf  auseinander- 
gehalten werden. 

Fernerhin  kann  man,  obgleich  der  historische  Zusammenhang 
noch  nicht  festgestellt  ist,  es  wagen,  die  Vermutung  auszusprechen, 
datl  der  Glanvill’sche,  auf  eine  bestimmte  Zeit  geschlossene  Pfand- 
vertrag mit  Verfallsklausel  viel  zu  der  Entwickelung  des  Bracton- 
schen  zur  Sicherstellung  von  Forderungen  geschlossenen  Pacht- 
vertrages auf  Jahre  beigetragen  hat.  Denn  abgesehen  von  dem 
Punkte  des  Besitzschutzes,  haben  sie  praktisch  dieselbe  Form,  d.  h. 
die  Form  der  suspensiv  bedingten  Übereignung  zu  Pfandzwecken. 
Die  Glanvill’sche  Verpfändung  auf  bestimmte  Zeit  mit  Verfalls- 
klausel  scheint  von  der  Bracton  schen  Form  absorbiert  worden  zu 
sein. 


*)  Mit  Bezug  hierauf  ist  es  interessant  zu  wissen,  ilali  (las  Ulanrill’sckc 
Buch  wahrscheinlich  in  der  Zeit  zwischen  1185  und  1188,  d.  b.  ganz  gegen 
Ende  des  zwölften  Jahrhunderts  geschrieben  worden  ist.  Siche  Beale, 
Beautes'  Translation  of  (ilanville,  Einleitung,  S.  XI.  XII. 
a)  Siehe  unsere  früheren  Ausführungen. 


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*2:lB 

II.  Übereignung  unter  Resolutivbedingung. 

Weder  das  Glanvillsehe  noch  das  Bractonsche  Pfand  wurde 
zur  Basis  des  klassischen  „mnrtgage“  des  englischen  Rechts.  Diese 
klassische  Pfandfonn  ist  keine  Übereignung  unter  Suspensivbe- 
dingung, sondern  eine  Übereignung  unter  Resolutivbedingung 
(conditional  feoöment).  Der  Schuldner  übergibt  dem  Gläubiger 
und  dessen  Erben  das  Grundstück  zu  Lehen  (feoffinent)  unter  der 
Bedingung,  daü  wenn  die  Schuld  am  Stichtage  bezahlt  wird,  der 
Schuldner  (feofl'or)  oder  seine  Erben  wieder  in  den  Besitz  eintreten 
ire-enter)  und  das  Land  wie  vor  der  Verleihung  behalten  dürfen. 
Auch  hier  linden  wir,  daü  das  Proprietütspfand  ilie  Form  des  Ver- 
fallspfandes annimmt1). 

Wir  haben  gesehen,  daLl  die  Angelsachsen  diese  Form  der 
Sicherheitsstellung  als  eine  Übereignung  unter  Resolutivbedingung 
die.  durch  die  Übergabe  des  Landbuches  vorgenommen  wurde,  ge- 
kannt haben*).  Buch-Land  als  eine  Form  des  Grundbesitzes 
erhielt  sich  noch  eine  Zeit  lang  nach  der  normannischen  Er- 
oberung3) und  es  ist  möglich,  daü  zuweilen  Land  auch  während 
dieser  späteren  Periode  auf  Grund  des  Landbuches  verpfändet 
wurde,  obgleich,  wie  es  scheint,  keine  Belege  über  eine  solche 
Verpfändung  von  Land  nach  der  angelsächsischen  Zeit  auf  uns 
überkommen  sind. 


')  Chaplin,  a.  a.  O.,  S.  8,  8,  sagt  bei  Erörterung  des  GlanviH'schcn  und 
Bractnn’gchen  Verfallspfandes:  „Certainly  this  System  was  efficient  enough. 
The  only  thing  of  which  tlie  pledgce  could  in  the  least  complain  was,  that 
in  any  actinn  which  involvcd  the  validity  of  bis  title,  the  burden  of  proof 
was  always  on  bim  to  show  the  debt.  This  difliculty  the  lender  dass  next 
set  themselves  about  getting  rid  of.  lf  it  could  be  contrived  to  givo  the 
lender,  at  the  outset,  not  a me  re  title  de  vadio.  but  a title  prima  facia 
absolute  at  its  ineeption,  that  is,  absolute  unless  and  unt il  defeated  by 
affirmative  proof  of  payment,  the  final  problem  would  be  solved.  Such  a 
step  would  give  the  creditor  full  and  unqualified  seisin  iu  the  first  instance. 
leaving  the  debtor  only  a right  to  end  that  seisin  by  paying  according  to 
the  strict  letter  of  the  deed,  and  consequently  would  throw  the  burden 
of  proof  upon  the  borrower,  the  pledgor,  in  any  contcst  which  might  arise. 
The  solution  of  the  problem  was  very  early  found  in  the  use  of  the  deed 
upon  condition." 

*)  Siehe  oben  S.  141  ff. 

3 ) Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  62. 


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■240 


Andererseits  scheint  den  Angelsachsen  die  symbolische  Über- 
tragung von  Land  vor  der  Einführung  des  Landbuches  bekannt 
und  beides,  die  symbolische  Übereignung  und  das  Land-Huch  in 
Gebrauch  gewesen  zu  sein  ’).  Es  liegen  hierüber  nur  wenig  Berichte 
vor  und  wir  können  nur  vermuten,  daß  unter  den  Angelsachsen 
zuweilen  Land  durch  symbolische  Übereignung  verpfändet  wurde. 

Bei  den  Schriftstellern  des  zwölften  und  dreizehnten  Jahr- 
hunderts finden  wir  keine  Besprechung  der  resolutiv  bedingten 
Übereignung  zu  Pfandzwecken;  aber  es  ist  wohl  nicht  daran  zu 
zweifeln,  daß,  ob  nun  die  Buch-Land- Verpfändung  sich  bis  in 
die  normannische  Periode  erhalten  hat  oder  nicht,  die  resolutiv 
bedingte  Übereignung  auf  Grund  einer  Belehnung  (feoffment)  zu 
Pfandzwecken  seit  früher  Zeit  in  England  existiert  hat.  Es  lag  wirklich 
kein  stichhaltiger  Grund  vor,  warum  Glanvill  und  Bracton  sie 
besonders  behandelt  haben  sollten,  denn  die  Transaktion  war 
rechtlich  eine  Belehnung  (feoflmenti  unter  Resolutivbedingung  und 
fiel  damit  unter  die  allgemeine  Doktrin  der  bedingten  Gaben 
(eonditiona!  gifts)  und  war  nur  in  ökonomischer  Hinsicht  eine 
Art  von  Sicherheitsstellung2).  Mortgages  in  der  Form  von 
conditional  feoffments  scheinen  in  der  Zeit  Heinrichs  VI.  und 
Eduards  IV.2)  im  allgemeinen  Gebrauch  gewesen  zu  sein,  und  in 
Littletons  Abhandlung,  geschrieben  am  Ende  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts, finden  wir  eine  eingehende  Besprechung  dieser  Form  der 
Sicherheitsstellung.  In  der  Tat  basiert  alle  spätere  Entwickelung 
<Ies  rmortgage  unseres  klassischen  gemeinen  Rechts“,  des  „klassischen 
englischen  mortgage“  auf  Littletons  Darstellung'). 


')  Pollock,  Land  Laws,  S.  199,  200  (siehe  auch  Schusters  Übersetzung 
dieses  Werkes  unter  dem  Titel  „Das  Hecht  des  Grundbesitzes  in  England*). 
Über  eine  von  Sohni  und  Schnöd  vertretene,  hiervon  abweichende  Ansicht 
siehe  die  eben  citicrte  Stelle  bei  Pollock. 

’)  Siehe  llrunner.  Über  Pollock  and  Maitlands  Hiatory  of  Knglisli 
Law  (Sonderabdruck  aus  der  Zeitschrift  der  Savignv-Stiftung):  Pollock  and 
Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  123.  Anm.  2.  Chaplin,  a.  a.  0.,  IV,  S.  9,  ist  der 
Ansicht,  daß  das  deed  upon  condition  zu  Pfundzwecken,  d.  h.  die  resolutiv 
bedingte  Übereignung  zu  Bractons  Zeit  noch  nicht  bekannt  war.  Siebe  aber 
unsere  späteren  Ausführungen. 

J)  S p e n c e , a.  a.  0.,  I,  S.  fi02. 

')  So  genannt  von  mehreren  Schriftstellern:  siehe  z.  B.  Pollock  and 
Maitland,  a.  a !>.,  II,  S.  122,  123.  Nach  der  Ansicht  von  Pbillpotts 


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241 


Obgleich  die  Rechtsliteratur  des  zwölften  und  dreizehnten 
Jahrhundert  nichts  über  die  bedingte  Belehnung  (conditional 
feoft'ment)  zu  Pfandzwecken  sagt,  wird  die  Richtigkeit  der  Vermutung, 
daß  diese  Form  der  Sicherheitstellung  nichtsdestoweniger  lange 
Zeit  vor  Littleton  existiert  hat,  durch  eine  Prüfung  anderer  Quellen 
aus  der  Periode  vor  Littleton  bestätigt.  In  Braeton’s  Note  Book 
finden  wir  ein  gerichtlich  protokolliertes  (enrolled)  mortgage  durch 
bedingte  Belehnung  (conditional  feoffment  in  fee)  aus  dem  Jahre 
1230.  Auf  Grund  einer  Annullierungsklausel  (clause  of  defeasance) 
muß  das  Land  wieder  auf  den  Schuldner  (feoffor)  und  seine  Krben 
zurückgehen,  sofern  die  Schuld  in  einer  gewissen  Zeit  bezahlt 
wird1).  Andere  Beispiele  dieser  Art  mortgage  sind  zu  finden  in 
Urkunden  aus  dem  vierzehnten  und  Anfänge  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts. Nach  dem  Wortlaut  der  Belehnungsurkunde  (charter 
of  feoffment)  zu  urteilen,  geschieht  die  Belehnung  bedingungslos 
(absolute).  Der  Charakter  der  Belehnung  als  einer  Übereignung 
zu  Pfandzwecken  jedoch  kommt  zum  Ausdruck  auf  Grund  einer 
Annullierungsklausel  auf  der  Rückseite  der  Originalurkunde  selbst  !>, 
oder  in  einem  besonderen  Dokumente3). 

Das  mortgage  oder  mortuum  vadium  Littletons  und  des 
klassischen  gemeinen  Rechts  ist  also  eine  bedingte  Belehnung 
(conditional  feoffment),  ein  „estate  upon  condition“,  eine  Über- 
eignung des  freehold  unter  Resolutivbedingung4).  Die  Bedingtheit 

(Renton’s  Encyclopu-dia  of  the  Law«  of  England  VIII,  S.  468)  „the  carliest 
form  of  mortgage  was  probably  auch  as  described  in  Littleton,“  §332. 

')  Braeton's  Note  Book,  pl.  458.  Weitere  Beispiele  sind  zu  linden 
in  den  Y.  B.  20-21  Ed.  I.  (1293),  8.  422,  Y.  B.  30-31  Ed.  I.  (1302;.  S.  208-212, 
Y.  B.  2—3  Ed.  II.  (1308-9),  (Seid.  Soc.),  S.  14,  15. 

a)  Madox,  Formulare,  No.  DLXXIX  (temp.  Henry  IV). 

*)  M adox,  Formulare,  No.  DLX  (temp.  Edward  III),  No.  DLXI  (temp. 
Eduard  III),  No.  DLX1I,  No.  DLXIX  (temp.  Richard  II;.  Vcrgl.  den  Fall 
in  V.  B.  30-31  Edw.  I.,  S.  210  (citicrt  Pollock  and  Maitland  a.  a.  0.,  II. 
S.  123,  Anm.  3),  wo,  obgleich  der  Pfandgläubiger  im  Besitze  einer  Urkunde 
ist,  welche  dem  Wortlaut  nach  eine  absolute  Belehnung  (absolute  feoffment) 
darstellt,  der  Pfandschuldner  nichtsdestoweniger  vor  Gericht  nachweist,  dall 
die  Belehnung  eine  bedingte  war. 

‘)  Littleton,  § 332,  337,  340:  lestato  de  la  terre  est  dependant  sur 
la  condition. 

Estatcs  iu  tail,  estate»  for  life  oder  cstates  for  ycars  können  ebenfalls 
verpfändet  werden  und  die  Pfandgläubiger  werden  in  solchen  Fällen  glcieh- 
H&zeitine,  Englisches  Pfandrecht  16 


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242 

liegt,  wie  eben  angedeutet,  in  dem  Recht  der  Wiedereinlösung 
und  damit  verbundener  Annullierung  der  Übereignung.  Wenn  der 
Belehner  (feoft'or)  dem  Belehnten  (feoffee)  an  einem  gewissen  Tage 
und  an  einem  bestimmten  Platze  eine  gewisse  Summe  zahlt,  so 
darf  der  Belehner  wieder  in  den  Besitz  seines  Landes  eintreten 
(re-enter)  ‘).  Wenn  jedoch  der  Schuldner,  der  Belehner,  versäumt, 
genau  am  Stichtage  zu  zahlen,  so  ist  das  Land  tftr  immer  dem 
Gläubiger,  dem  Belehnten  verfallen*;.  Diese  Bedingung,  welche  das 
Recht  des  Wiedereintritts  gibt,  ist  in  der  Belehnungsurkunde  (deed 
of  feoffment)  enthalten*),  obgleich  die  gesiegelte  Urkunde  (deed) 
selbst  für  die  Giltigkeit  der  Übertragung  durch  Belehnung  im  Mittel- 
alter  nicht  gerade  notwendig  ist4;. 

Die  Sicherheit  wird  mortgage  genannt,  sagt  Littleton,  weil 
„it  is  doubtful  whether  the  feoft'or  will  pay  at  the  day  limited  such 
sum  or  not:  and  if  he  doth  not  pay,  then  the  land  which  is  put 
in  pledge  upon  condition  for  the  payment  ot  the  money,  is  taken 

falls  „tenants  in  uiortgage*  genannt.  Littleton,  § 33IJ.  Über  «las  mort- 
gage  nf  an  cstate  for  years  siehe  unten  8.  247.  Nach  neuzeitlichem  Rechte 
wenigstens  kann  copyhold  laml  Pfandobjekt  hei  einer  Mortgage-Transaktion 
sein.  Siehe  Lenke,  Digest.  S.  330.  In  der  nachfolgenden  Besprechung 
werden  wir  nur  das  mortgage  in  fee  simple  berücksichtigen  und  nur  hin  und 
wieder  Bezug  nehmen  auf  die  anderen  I’fandformen.  Wir  werden  ferner 
einer  Besprechung  der  verschiedenen  Kinzelheiten  hinsichtlich  Zeit  und  Ort 
der  Zahlung,  sowie  betreffs  dessen,  wer  zu  zahlen  hat,  an  wen  die  Zahlung 
zu  geschehen  hat,  was  an  Stelle  von  Zahlung  angenommen  werden  kann  u. 
dcrgl.  mehr  aus  dem  Wege  gehen.  Littleton,  § 334-344  behandelt  diese 
Gegenstände  äullerst  eingehend.  Siehe  auch  Reeves.  a.  a.  0.,  II,  S.  .">81. 

*)  Diese  alte  Annullierungsklausel  (clause  or  condition  of  defeasancc) 
ist  in  der  Neuzeit  durch  den  Vorbehalt  der  Zurnckübereignnng  (proviao  for 
reconveyanee)  ersetzt  worden,  welche  letztere  durch  den  Pfandschuldner  im 
Kquity verfahren  erzwungen  werden  kann.  Arnes,  Harvard  Law  Review, 
XVII,  S.  174:  Robbins,  a.  a.  0.,  I,  S.  8,  Anin.  (h),  128,  129:  Williams, 
Real  Property,  S.  544. 

*)  Littleton,  § 332.  Siehe  ferner  Williams,  a.  a.  0.,  S.  528,  519: 
Robbins,  a.  a.  U.,  I,  S.  1-5,  8.  027 : Blackstonc,  II,  10,  $111:  Reeves, 
a.  a.  <>.,  II,  S.  680,  581:  Spence,  Kquitable  Jurisdiction,  I,  S.  G00 - C>03, 
II.  S.  014,  015. 

3)  Robbins,  a.  a.  0.,  I,  S.  3:  Bacon,  Abridginent,  tit.  Mortgage. 
Betreffs  frühzeitiger  Beispiele  des  mortgage  mit  Annullierungsklausel  (con- 
dition of  defeasanee),  siehe  oben  S.  241. 

4j  Siehe  Pollock  and  Maitland.  a.  a.  (>.,  II.  S.  801T. 


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243 

front  him  for  ever,  and  so  dead  to  liiin  upon  condition,  die.  And 
if  he  doth  pay  the  money,  then  the  pledge  is  deail  as  to  the 
tenant,  2t c"  l).  Coke  in  seinen;  Kommentar  zu  Littleton  sagt,  datt 
es  mortgage  oder  mortuum  vadium  genannt  wird,  nicht  nur 
aus  den  bei  Littleton  angegebenen  Gründen,  sondern  auch  um  es 
von  vivum  vadium2)  zu  unterscheiden.  Man  kann  dem  hinzu- 
fügen, daß  mortgage  oder  mortuum  vadium  bei  Littleton  stets 
unterschieden  werden  mul.1  von  mortgage  oder  mortuum  vadium 
bei  Glanvill,  welch  letzteres  zu  Littletons  Zeit  bereits  vollständig 
außer  Gebrauch  gewesen  zu  sein  scheint5). 

Das  mittelalterliche  Recht  verlangt  zur  Übertragung  des 
Rechtstitels  (legal  title)  am  freehold  estate  die  Übergabe  des  Be- 
sitzes (livery  of  seisin)4).  Sobald  dann  die  Übergabe  des  Besitzes 
stattgefunden  hat,  gelangt  der  mortgagee  oder  feoffee  in  freehold 
Besitz  (seisin  in  fee  simple).  Aber  nach  common  law  ist  sein 
Besitzrecht  (legal  estate)  ein  bedingtes.  Der  mortgagor  beh&lt 
nichts  als  das  Recht  der  Einlösung  und  des  Wiedereintritts  am 
festgesetzten  Tage’?. 

')  Littleton,  § 1132:  Item,  si  feoffment  soit  fait  sur  tiel  condition, 
ijue  si  lc  fcoffor  paya  al  feoffee  a certaine  jour,  Ae.  40  L.  dargent,  que 
adonqur  le  fcoffor  poit  reentcr,  ke.  cn  ceo  eas  lc  fcoffcc  ost  appell  tenant 
on  morgage,  quo  cst  autant  adirc  cn  Francois  comc  mortgage,  ct  cn  Latin, 
mortuum  vadium.  Et  il  scmblc  que  la  cause,  pur  que  il  cst  appelle  mortgage. 
cst,  pur  ceo  que  il  cstovt  cn  aweroust  si  lc  fcoffor  voyt  paycr,  al  jour 
limittc  ticl  summe  ou  non : ct  sil  ne  paya  pas,  donque  lc  terre  que  il  mitter 
cn  gagc  sur  condition  de  payment  de  lc  money,  cst  ale  de  luv  a tont« 
joiirs , et  issint  mort  a luy  sur  condition,  \e,  et  sil  paya  lc  monev,  donqs 
cst  lc  gagc  mort  quant  a lc  Tenant,  \c. 

*)  Coke  über  Littleton,  205a. 

3)  Siehe  oben  S.  232.  233,  239:  Hob  bi  ns  n.  a.  Ö.,  S.  2,  3.  Vergl.  oben 
S.  207,  Aura.  2. 

4)  Siehe  unsere  Erörterung  oben  S.  39 ff:  Littleton,  § 332,  337: 
Iilacks tone,  II,  c.  10,  §111 : Krunncr,  Forschungen,  S. 318,  G19:  Will iains, 
Iteal  Property.  S.  144,  157.  809.  Britton,  II.  e.  2,  § X:  Al  purehai  des 
chosos  corporcles  ne  suftit  nul  doun  sauntz  le  bayl  de  la  scysine. 

s)  Littleton.  §351;  Hobbins,  a.  a.  O.,  I,  S.  3-5,  G27:  Williams, 
a.  a.  0..  S.  527-.529,  .533:  Klackstone,  II,  c.  10,  § 111. 

Pie  gemeinrechtliche  Doktrin,  dall  der  mortgagor  kein  Besitzrecht 
(estate)  am  Lande  habe,  sondern  nur  ein  Hecht  auf  Wiedereintritt  (right  of 
re-entry)  wurde  frühzeitig  von  den  Equitygerichton  übernommen,  wich  jedoch 
später  dem  endgültigen  Prinzipc  des  Kiiligkeitsrechts,  wonach  der  l’i'aiid- 

1G* 


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244 


Erfüllt  nunmehr  der  mortgagor  die  Bedingung,  so  tritt  er 
wieder  in  den  Besitz  ein  und  ist  damit  sofort  wieder  im  Besitze 
des  freeholds  (seised  of  liis  estate  in  fee  simple);  und  zwar  hat 
sein  Anrecht  die  Priorität  vor  allen  Belastungen  durch  den  im>rt- 
gagee  (paramount  to  all  the  charges  and  incumbrances) '). 

Wenn  jedoch  die  Bedingung  durch  Nichtzahlung  seitens  des 
Schuldners  nicht  erfüllt  wird,  so  ist  das  Besitzrecht  (legal  estate 
in  fee  simple;  des  Pfandgläubiger»  sofort  und  absolut  unantastbar, 
d.  h.  ist  vollständig  von  der  Bedingung  befreit.  Der  Pfandgläubiger 
hat  nunmehr  das  Eigentumsrecht  id.  h.  estate  in  fee  simple)  und 
dieses  Eigentumsrecht  ist  jetzt  so  frei  und  absolut,  wie  es  nach 
englischem  mittelalterlichen  Recht  nur  sein  kann*).  Der  Verfall 
des  Landes  ist  jetzt  nach  gemeinem  Recht  perfekt  und  dem  mort- 
gagee  kann  nunmehr  sein  legal  estate  nicht  mehr  entzogen  (di- 
vested)  werden,  wenigstens  nicht  ohne  seinen  freien  Willen.  Den 
(törichten  des  gemeinen  Rechts  ist  es  nach  den  Prinzipien  des 
letzteren  nicht  möglich,  dem  Pfandschuldner  beizustehen,  selbst 
wenn  sie  hierzu  geneigt  waren.  Ohne  die  («rundlagen  des  ge- 
samten Immobiliarrechts-1)  zu  erschüttern,  stehen  dem  Pfandschuldner 
jetzt  keine  Rechtsmittel  mehr  zu  Verfügung,  es  sei  denn,  das 
Parlament  nähme  sich  seiner  Sache  an4). 

Wir  haben  die  Tatsache  hervorgehoben,  da  11  der  Pfandgläubiger 
nach  gemeinem  Recht  sofort  durch  Belehnung  der  Eigentümer 
des  Landes  (d.  h.  tenant  in  fee  simple)  wird,  jedoch  unter  einer 
Resolutivbedingung,  denn  es  ist  von  hervorragenden  Autoritäten 
die  Ansicht  vertreten  worden,  daß  der  Pfandschuldner  nach  ge- 

schuldner  nach  Equity  ein  Resitzrocht  (estate)  am  Lande  habe.  Siche 
Robbins,  a.  a.  0.,  I,  S.  627. 

')  Littleton,  § :t32,  337;  lilackstonc,  II,  c.  10,  §111:  Robbins, 
a.  a.  O.,  I,  S.  4. 

*)  Ober  die  Theorie  der  liositzrechtc  (estates)  siehe  oben  S.  42  ff. 

3)  Blackstone,  II,  c.  10,  §111;  Anm.  (')  zu  Coke  über  Littleton, 
205a:  Digby,  a.  a.  <>..  S.  285:  Williams,  a.  a.  0.,  S.  529:  Robbins, 
a.  a.  0.,  1,  S.  1,  4,  5,  8. 

Nach  heutigem  gemeinen  Recht  wird  der  Pfandgläubiger  immer  noch 
als  Eigentümer  (tenant  in  fee)  angesehen.  Siehe  Digby,  a.  a.  ().,  S.  28G, 
411:  Williams,  a.  a.  0.,  S.  527,  533.  534.  537,  538,  540.  Siehe  ferner  die 
Erörterungen  oben  S.  239  ff. 

4)  Ycrgl.  unten  S.  252,  Anm.  2. 


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245 


meinem  Recht  der  Eigentümer  verbleibt,  bis  durch  Nichteinhaltung 
der  Redingungen  des  Vertrags  das  Besitzrecht  (legal  es  täte)  durch 
Verfall  auf  den  Pfandgläubiger  übergeht ').  Es  wird  angenommen, 
daß  dieser  Irrtum  entstanden  ist  durch  die  Versäumnis,  zu  ersehen, 
daLl  im  englischen  gemeinen  Recht  der  Rechtstitel  am  Immobiliar 
(legal  title,  proprietary  right)  ans  der  seisina  fliel.lt  und  daß  die 
beiden  zeitweise  untrennbar  verbunden,  nicht  aber  zwei  getrennte 
Dinge  sind*).  Wenn  man  freehold  Besitzer  ist  (seised  in  fee 
simple),  so  hat  man  nicht  nur  den  Besitz  (Gewere,  seisin,  legal 
possession),  sondern  man  hat  auch  das  Eigentumsrecht  (proprietary 
right),  man  ist  nach  gemeinem  Recht  der  Eigentümer  des  Landes 
(legal  owner).  Wir  glauben  daher,  daß  es  unrichtig  von  Franken 
ist,  wenn  er  bei  Besprechung  der  Zeit  zwischen  der  Übergabe  des 
Besitzes  an  den  Gläubiger  durch  bedingte  Belehnung  und  der 
Zahlungsversäumnis  seitens  des  Schuldners  sagt:  „Eigentümer  zu 
sein,  hat  der  Verpfänder  nie  aufgehört.  Die  Gewere  andererseits 
richtet  sich  bloß  nach  außen,  gegen  Dritte;  sie  ist  die  vom  Rechte 
geschützte  Äußerung  des  Verhältnisses  zum  Gute,  nicht  das  Ver- 
hältnis selbst“  *).  Spräche  Franken  von  suspensiv  bedingter  Über- 
eignung zu  Pfandzwecken,  so  würde  seine  Behauptung,  daß  der 
Verpfänder  während  dieser  Zwischenzeit  der  Eigentümer  bleibt, 
unter  gewissen  Verhältnissen  vollständig  korrekt  sein:  denn  bei 
solchen  Verpfändungsformen  behält  der  Pfandschuldner  das  Eigen- 
tumsrecht (freehold)  bis  zum  Verfall.  Die  Tatsache,  daß  das 
Eigentumsrecht  (freehold  seisin  in  fee)  nicht  sofort  bei  Eingehen  des 
Pfandverhältnisses  auf  den  Pfandgläubiger  übertragen  wird,  ist 
theoretisch  und  praktisch  der  Hauptgrund  für  das  Verschwinden 
solcher  Formen  der  Sicherheitsstellung ').  Man  kann  sich  des 
Gefühles  nicht  erwehren,  daß  Franken  nicht  so  scharf  unterschieden 
hat  zwischen  Verpfändung  unter  Suspensivbedingung  (Glanvill’sches 

')  So  z.  B.  wird  in  Bacon,  Abridgmont,  tit.  Mortgagc  (C),  gesagt, 
dali  „the  mortgagor  before  forfeiture,  and  wbilst  it  remains  uncertain 
whether  he  will  perform  the  condition  at  the  time  limited  or  not,  hatli  the 
legal  estate  in  biin."  Dieselbe  Ansicht  findet  man  vertreten  hei  Franken, 
Französisches  Pfandrecht,  S.  162. 

Tj  Vergl.  Pollock  and  Maitland  n.u.O.,  II,  S.  1 — 80. 

s)  Franken,  a.  a.  0.,  S.  162. 

')  Siehe  oben  S.  214 — 238;  Coke  ober  Littleton  216-218. 


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246 

Pfand  und  Bracton’sches  Pfand  auf  Jahre)  und  Verpfandung  unter 
Resolutivbedingung  (conditional  feoffmunt  Littletons)  wie  er  solches 
wohl  getan  haben  sollte1).  Beides  sind  Formen  des  Verfalls- 
pfandes; aber  in  einigen  höchst  wichtigen  Punkten  sind  sie  voll- 
ständig verschiedene  Transaktionen.  Bei  Suspensivbedingung  bleibt 
der  Verpfänder  Eigentümer  bis  zur  Zahlungsversäumnis;  bei  Reso- 
lutivbedingung wird  der  Pfandgläubiger  sofort  Eigentümer,  ob- 
gleich dieses  Eigentumsrecht  einer  Bedingung  unterworfen  ist. 
In  der  Tat  können  wir  sagen,  daü  das  Eigentumsrecht  in  jedem 
Falle  einer  Bedingung  unterworfen  ist.  nämlich  der  Bedingung  der 
Wiedereinlösung.  Wenn  im  Falle  von  suspensiv  bedingter  Über- 
eignung der  Pfandschuldner  das  Land  einlöst,  so  ist  das  Eigentum 
des  Pfandschuldners  von  der  Verpfändung  befreit.  Wenn  bei  reso- 
lutiv  bedingter  Übereignung  der  Pfandschuldner  die  Einlösung 
nicht  vornimmt,  so  ist  auf  der  anderen  Seite  das  Eigentum  des 
Pfandgläubigers  von  der  Bedingung  befreit  und  dadurch  ein  ab- 
solutes Eigentum. 

Das  englische  mittelalterliche  mortgage  durch  bedingte  Be- 
lehnung ist  ein  kombiniertes  Geschäft.  Es  ist  in  der  Hauptsache 
ein  Substanzpfänd  (Proprietätspfand,  Verfallspfand).  Aber  es 
existiert  gleichzeitig  ein  befristetes  Nutzpfand,  d.  h.  ein  befristetes 
mortuum  vadium  im  Sinne  Glanvills.  Bis  zum  Zahltage  nimmt 
der  im  Besitze  des  Grundstücks  sich  befindende  Gläubiger  die 
Renten  und  Erträge,  ohne  sie  auf  die  Schuld  zu  verrechnen. 
Bezahlt  der  Pfandschuldner  die  Schuld  am  Stichtage,  so  ist  das 
Land  eingelöst  und  das  temporäre  Nutzpfand  hört  auf.  Versäumt 
der  Schuldner  zu  zahlen,  so  ist  das  Land  dem  Gläubiger  für  die 
Schuld  verfallen“). 

Soweit  wir  aus  Littletons  Darstellung  ersehen  können,  hat 
der  Pfandschuldner  das  Recht,  die  Schuld  am  Stichtage  zu  be- 
zahlen und  dadurch  das  Land  einzulösen,  aber  der  Pfändgläubiger 
hat  kein  Recht,  den  Pfandschuldner  persönlich  für  die  Schuld 

*)  Siehe  Franken,  a.  a.  0.,  S.  150,  Anw.  2,  und  S.  151,  Anin.  1. 

’)  Franken,  a.  a.  0.,  S.  162,  1G3.  Siehe  Coke  über  Littleton  205a: 
Spence,  Kquitablc  Jurisdiction,  I,  S.  602;  Heeres,  a.  a.  0.,  I,  S.  211 ; 
Jones,  n.  a.  ().,  S.  4.  Nach  heutigem  englischen  Hechte  muH  der  Pfand- 
gläubiger  im  ltesitze  über  die  Kenten  und  Erträge  genau  Rechnung  ablcgen. 
Siehe  unten  S.  250.  258. 


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247 

zu  verklagen,  wenn  der  Pfandschuldner  versäumt  die  Schuld  zu 
zahlen  oder  wenn  das  verpfändete  Grundstück  beim  Verfall  der 
Schuld  nicht  an  Wert  gleichkommt.  Allem  Anscheine  nach  kann 
der  Littleton’sche  Pfandgläubiger  sich  einzig  an  das  band  zur 
Wiedererlangung  seines  Geldes  halten ').  Möglich  ist  es  aber 
dem  Pfandschuldner  im  Mittelalter,  Zahlungsversprechen  unter 
Siegel  zu  geben  (covenant  to  pay  the  debt);  und  in  solchem  Falle 
kann  der  Pfandgläubiger,  so  wird  angenommen,  auf  Grund  des 
gesiegelten  Versprechens  den  Pfandschuldner  persönlich  belangen*)’). 

Das  früheste  Beispiel  der  Verpfändung  durch  mortgage  eines 
auf  eine  gewisse  Reihe  von  Jahren  gepachteten  Grundstücks  (mort- 
gage for  a term  of  years),  welches  zu  unserer  Kenntnis  gekommen 
ist,  ist  in  einem  Dokumente  aus  derZeit  Heinrichs  VI.  enthalten  *). 
Der  Verfall  des  Grundstücks  kann  sich  hier  nur  auf  die  Länge 
der  Pachtdauer  des  mortgagor  erstrecken,  nicht  auf  den  Verfall 
des  Lehens  (fee)  selbst,  wie  im  Falle  der  Verpfändung  auf  Jahre 
zur  Zeit  Bractons5). 

Da  das  freehold  Besitztum  (estate  in  fee),  in  dessen  Besitz 
sich  der  Gläubiger  auf  Grund  des  mortgage  befand,  jedweder  Be- 
lastung seitens  des  Gläubigers  unterworfen  werden  konnte  (real 
charges  und  incumbrances)  und  außerdem  auch  den  feudalen 
Lasten  unterworfen  war  (feudal  incidents),  wie  z.  B.  das  Wittum 
(dower)  der  Frau  des  feoffee,  so  wurde  es  üblich,  diese  Schwierig- 
keiten zu  umgehen,  und  zwar  durch  Übergabe  des  Grundstücks 
als  mortgage  unter  Festsetzung  einer  langen  Pachtdauer  (long 
term  of  years  by  way  of  mortgage).  Diese  letztere  Verpfändungs- 
form  ist  beibehalten  worden,  weil  bei  dem  Tode  des  Pfandgläubigers 
(mortgagee)  das  Grundstück  für  den  Rest  der  Pachtdauer  aut 
seinen  Testamentsvollstrecker,  d.  h.  auf  denjenigen,  der  auf  Grund 


')  Siehe  Litt  loten,  § 332-344.  Siehe  auch  Anui.  (1)  zu  Coke  über 
Littlcton,  ‘205a:  Coke  über  Littleton,  207a:  Jones,  a.  a.  0.,  S.  4. 

a)  Siehe  Madox,  Forinolare.  DLXIX  (tenip.  Richard  II).  Die  I’fand- 
haftung  scheint  doch  in  solchem  Kalle  selbständig,  nicht  akzessorisch  zu  sein. 

3)  Auch  nach  heutigem  englischen  Hecht  kann  der  l’faudschulducr  auf 
seine  im  Vertrage  gemachte  Zusage  hin  (personal  covenant)  verklagt  werden. 
Siohc  unten  S.  26!). 

‘)  Madox,  Formulare,  No.  DLXXXIX. 

4)  Siehe  die  l'rkunde  selbst  und  oben  S.  233,  234. 


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248 


des  mortgage  die  .Schuldforderung  erwirbt,  übergeht,  nicht  aber 
auf  die  Erben ').  I)a  mit  den  mortgages  auf  Jahre  auch  Schwierig- 
keiten verknüpft  waren  und  da  Gesetze  unter  der  Regierung 
Wilhelms  IV.  und  Victorias  gewisse  Nachteile,  die  mit  den  mort- 
gages in  fee  verbunden  waren,  beseitigt  haben,  so  ist  die  Form 
der  letzteren  wieder  die  gebräuchlichere  geworden*). 

Die  klassische  Verpfändungsform  des  gemeinen  Rechts  ist 
daher  eine  resolutiv  bedingte  Übereignung  zu  Pfandzwecken  (Sub- 
stanzpfand,  Proprietätspfand,  Verfallspfand).  Im  modernen  Billig- 
keitsrecht (Equity),  besonders  seit  der  Zeit  Karls  I,  ist  diese  Form 
der  Sicherheitsstellung,  sowie  die  Rechte  der  Parteien  einer  voll- 
ständigen Umwandlung  unterworfen  worden.  Der  verhältnismäßig 
klaren  Auflassung  des  gemeinen  Rechts  (Common  Law)  hinsicht- 
lich des  mortgage  standen  außerordentlich  komplizierte  und  ver- 
wirrende Regeln  im  Billigkeitsrechte  (Equity)  gegenüber.  Aber 
die  Härte  des  gemeinen  Rechts  ist  durch  die  Gerechtigkeit  des 
Billigkeitsrechts  verdrängt  worden,  denn  die  wirklichen  Beziehungen 
der  Parteien  zu  einander,  nicht  ihre  rein  formalen  und  gemein- 
rechtlichen Beziehungen  wurden  von  den  Equity-Richtern  bei  Aus- 
übung ihrer  Jurisdiktion  über  mortgages  in  Betracht  gezogen. 
Diese  spätere  Periode,  die  Zeit  des  Equity  ist  es,  in  der  die 
Möglichkeit  gegeben  ist,  daß  das  mortgage  entweder  in  Form  der 
Verpfändung  mit  Besitz  des  Gläubigers  oder  in  Form  der  Ver- 
pfändung mit  Besitz  des  Schuldners  zustande  kommen  kann. 
Was  diese  letztere  Form  des  mortgage,  die  somit  eine  Hypothek 
darstellt,  anlangt,  so  muß  ihre  Besprechung  einem  späteren  Ab- 
schnitte, der  die  Entwickelung  der  englischen  Hypothek  behandelt, 
Vorbehalten  werden 3). 

Es  war  der  absolute  Verfall  des  verpfändeten  Landes,  der 
eintrat,  gleichgültig  wie  hoch  der  Wert  des  verpfändeten  Grund- 
stücks war,  der,  obgleich  er  vollständig  gemäß  den  Grundsätzen 
des  gemeinen  Rechts  eingetreten  war,  den  Equity-Richtern  als  eine 
Härte  und  Ungerechtigkeit  gegenüber  dem  Schuldner  erschien, 

■)  Siehe  Spcnce,  a.  a.  0.,  II,  S.  615,  616:  Rlackstojie,  II,  c.  10, 
; 111:  Anm.  (I)  zu  Coke  über  Littleton  205a.  Über  die  spätere  Geschichte 
des  mortgage  of  a tenu  for  years,  siche  Racun,  Abridgmont,  tit.  Mortgage. 

Spencc,  a.a.t).,  II,  S.  616. 

, Siche  unten  S.  26!  IV. 


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249 

und  den  zu  beseitigen  sie  als  ihre  Ptlicht  ansahen ').  Das  römische 
Recht  hatte  die  Einlösung  zu  jeder  beliebigen  Zeit  gestattet,  so- 
lange ein  Urteil  nicht  ergangen  war,  und  unter  Annahme  dieses 
Prinzipes  gelang  es  den  Equity-Richtem,  trotz  der  schärfsten  Oppo- 
sition seitens  der  Common  Law-Richter,  die  Harte  des  absoluten 
Verfalles  zu  mildern.  Die  Equity-Richter  konnten  natürlich  die 
rechtlichen  Wirkungen  (legal  effects)  bei  Verfall  nach  gemeinem 


')  Die  ulten  Dramatiker,  die  Chroniker  ihrer  Zeit,  nehmen  häufig  Bezug 
auf  die  Härte  der  gemeinrechtlichen  Kege!  des  absoluten  Verfalls  am  Stich- 
tage. Diese  Erwähnungen  zeigen,  dalä  diese  Kcchtsregel  mit  dem  öffent- 
lichen Itcchtsgefühl  nicht  im  Einklang  stand,  und  dali  der  l'fandgläubiger, 
der  sich  den  Verfall  zu  Nutze  machte,  Einbulle  au  seinem  liufe  erlitt. 
Kobbins,  a.  a.  0.,  I,  S.  5,  Amn.  (i).  Als  Beispiel  hierfür  diene  Flotcher's  The 
Night  Walker,  or  Little  Thief: 

Alathe.  — Thou  hast  undone  a faithful  gentleman, 

Hy  taking  forfeit  <>f  bis  land. 

Algripc.  — 1 do  confess.  I will  henceforth  practise  repentance. 

I will  rcstore  all  mortgagcs,  forswear  abominable  usury. 
Knbbins.  a.  a.  0.,  der  diese  Scene  in  der  hier  gegebenen  Form  anfährt, 
schreibt  diese*  Stück  Beaumont  and  Flctcher  zu.  In  HaUiwell's  Dictionary 
of  Old  English  Plays,  S.  181,  wird  dieses  Stück  Flctcher  allein  zugeschrieben. 
In  The  Three  Ladies  of  London  wiederum,  einem  Stücke  aus  dem  . fahre 
1584  (citiert  in  Frederick  J.  Furnivall's  Auflage  aus  den  Jahren  1877-1879 
von  I’hillip  Stubbes's  Anatomy  of  the  Abuses  in  England  in  Shakspercs  Youth, 
8.  292): 

Simplicity.  0 that  vild  Usury!  he  lent  my  father  a little  inoney ; and  for 
breaking  one  day, 

He  took  the  fee-simple  of  his  house  and  will  quitc  away; 
And  yet  he  borrowed  not  half  a qnartcr  as  inuch  as  it  cost: 
Hut  I tliiuk.  if  it  had  been  a Shilling,  it  had  been  loste: 

So  hc  kill  'd  my  father  with  sorrow,  and  undued  me  quite. 
Betreffs  weiterer  Erwähnungen  in  der  Literatur  derselben  Zeit  über  die 
Härte  des  Verfalls,  siehe  Stubbes’s  Anatomy  (oben  erwähnte  Auflage  von 
Purnivall),  S.  119,  128,  293:  siehe  auch  die  Bemerkungen  Furnivalls  auf 
S.  48*  seiner  „Forewords"  zu  diesem  Werke.  Die  Eltern  des  groben  Dra- 
matikers William  Shakespeare  bestanden  darauf,  die  Einlösung  eines  alten 
mortgage  vornehmen  zu  können,  und  an  dem  sich  hieran  anschließenden 
Kochtsstreit  beteiligte  sich  auch  Shakespeare  selbst.  Siche  die  sehr  interessante 
Kritik  eines  neuen  Buchos  von  Phelps,  das  sieh  mit  diesem  berühmten 
Shakespcare’schen  Falle  beschäftigt  und  den  Titel  trägt  .Falstaff  and  Equity“ 
in  dor  Law  Quarterly  lteview,  Bd.  XVIII,  S.  322,  323.  Siehe  Kerl y,  Historical 
Sketch  of  the  Equitable  Jurisdiction  of  the  Court  of  Chancery,  S.  88,  89- 


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250 


Hecht  nicht  beeinflussen,  aber  sie  konnten  auf  das  Gewissen  (con- 
science)  des  Pfandgläuhigers  einwirken.  Sie  erklärten,  daß  der 
Zweck  des  Rechtsgeschäftes  nur  der  war,  das  ausgeliehene  Geld 
sicherzustellen,  und  daß  es,  trotz  des  Verfalls  nach  gemeinem 
Hecht  unbillig  (unconscionable)  sei,  daß  der  mortgagee  etwas  be- 
halten sollte,  was  doch  rechtmäßig  dem  Schuldner  gehörte,  und 
daß  daher  letzterer  berechtigt  sein  sollte,  sein  Eigentum  wieder 
einzulösen.  Da  hier  nur  gegen  die  Person  (in  personam),  nicht 
aber  gegen  die  Sache  (in  rem)  verhandelt  wurde,  wurde  der 
mortgagee  nach  Zahlung  der  Schuld,  Zinsen  und  Kosten  von  den 
Equity-Richtera  aufgefordert,  das  Eigentum  wieder  auf  den  Schuldner 
zu  übertragen  (re-conveyi,  und  wenn  das  verpfändete  Grundstück 
in  den  Händen  des  mortgagee  sich  befunden  hatte,  über  die  ein- 
gezogenen  Renten  und  die  Erträge  Rechnung  abzulegen,  wodurch 
dann  das  mortuum  vadium  (mortgage)  in  eine  Form  des 
vivum  vadium  verwandelt  wurde.  Dieses  Recht  des  l’fand- 
schuldners,  das  Grundstück  nach  Billigkeitsrecht  einzulösen,  selbst 
nachdem  es  nach  gemeinem  Recht  verfallen  war1),  wurde  „equity 
of  redemption“  genannt.  Die  Gerichte  des  gemeinen  Hechts  fuhren 
fort,  das  verpfändete  Grundstück  als  absolut  verfallen  zu  behandeln, 
sofern  der  Schuldner  versäumte,  am  Stichtage  die  Zahlung  zu 
leisten,  und  der  einzige  Weg,  der  ihm  offen  stand,  wieder  zu 
seinem  Eigentum  zu  gelangen,  war  der,  daß  er  sich  an  das  Equity- 
Gericht  wendete  und  dort  sein  Recht  der  Wiedereinlösung  nach 
Billigkeitsrecht  geltend  machte*). 

')  Der  Schuldner  imilS  jedoch  voll  seinem  equity  of  redcuqition  vor 
dem  foreclosnre  oder  Verkauf  (iebraueh  machen.  Siehe  die  spateren  Aus- 
führungen. 

*)  Kobhins,  a.  a.  O.,  I,  S.  5,  11,  12:  Pollock,  Land  J.aws,  S.  134: 
I’owcll,  Law  of  Murtgages,  S.  1,2:  Bacon,  a.  a.  O.:  Blackstone,  II,  c.  10, 
$111:  Itenton's  Kncyclopiedia  of  the  Lavvs  of  England,  VIII,  S.  4t>8: 
Digby,  Hist.  Iteal  Property.  S.  485,  488:  Kerly , a.  a.  0.,  S.  88.  143,  144. 

1 her  das  römische  Beeilt  siehe  Spence,  a.  a.  0.,  I,  S.  539,  (500.  Ein  be- 
trügerischer Pfandgläubiger  hat  kein  equity  of  redemption.  Blackstoiie, 
a.  a.  <*.  Vcrgl.  die  replicatio  doli. 

Es  scheint,  dalJ  nach  Statutes  aus  der  Kcgicrungszeit  der  Königin 
Anne  und  Georgs  11.  das  estatc  vor  Vollstreckung  des  Urteils  sowohl  nach 
einem  Verfahren  des  Common  Law-Gerichts  w ie  des  Equitygeriehts  vor  dem 
Verfall  bewahrt  werden  kann.  So  z.  B.  kann  bei  einer  gemeinrechtlichen 
Ejcetment- Klage,  wo  der  Pfandschuldner  dem  Pfandgläubiger  oder  dem  Ge- 


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251 

Es  kann  nicht  mit  Bestimmtheit  gesagt  werden,  wann  oder 
aus  welchem  Grunde  diese  Jurisdiktion  der  Equity- Gerichte  zum 
ersten  Male  mit  Bezug  auf  mortgages  ausgeübt  wurde.  Die  geist- 
lichen Gerichte  scheinen  schon  in  sehr  früher  Zeit  die  nachträg- 
liche Einlösung  gestattet  zu  haben  mit  der  Begründung,  daß  die 
Weigerung,  das  Land  nach  Zahlung  zurückzugeben,  eine  laesio 
tidei  sein  würde1).  Ferner  gab  es,  wie  wir  gesehen  haben, 
selbst  vor  dem  Gericht  des  gemeinen  Rechts  (vor  dem  Königs- 
gericht) am  Ende  des  zwölften  Jahrhunderts  ein  Verfahren,  auf 
Grund  dessen  dem  Glanvillschen  Pfandschuldner  selbst  nach  ver- 
säumter Zahlung  am  Stichtage  eine  Möglichkeit  gegeben  war,  das 
Land  einzulösen,  bevor  dasselbe  dem  Pfandgläubiger  endgültig  als 
verfallen  zugesprochen  wurde.  Im  Grunde  genommen  war  dies 
dasselbe  Recht  wie  das  spätere  „equity  of  redemption“  des  Equity- 
Gerichts,  wie  solches  mit  Bezug  aut  das  klassische  mortgage  zur 
Anwendung  kam-').  Wir  hören,  daß  im  Jahre  1201  ein  Gerichts- 
hof des  gemeinen  Rechts  den  Erben  des  Pfandgläubigers  auffordert, 
den  Erben  des  Pfandschuldners  Land  zurückzugeben,  das  auf  eine 
gewisse  Zeit,  die  inzwischen  abgelaufen  war,  verpfändet  worden 
war.  Es  wird  nichts  darüber  gesagt,  ob  die  Schuld  bezahlt  worden 
war,  wie  es  aber  scheint,  müssen  wir  annehmen,  daß  dies  der 
Fall  gewesen  ist5). 

Diese  Praxis  des  Königsgerichts  im  12.  Jahrhundert,  dem 
Glanvillschen  Pfandschuldner  die  Einlösung  zu  gestatten,  scheint 


rieht  die  Schuld  bezahlt,  das  Common  l.aw-Ooricht  den  Pfumlgläubigcr  auf- 
fordern,  den  Kechtstitcl  zurückzuübcrtragen.  Siehe  Blae  kstonc,  III,  t.  27, 
§4:  Shep.  Touch.  S.  140*.  Auu.  (z). 

•)  Siehe  White,  Outlines  of  Legal  Historv,  S.  17!l. 

3)  Siehe  unsere  späteren  Ausführungen. 

:1)  Select,  Civil  1‘leas  (Seid.  Soc.),  1.  S.  79.  Es  muH  ausdrücklich  be- 
rücksichtigt werden,  dali  wir  es  hier  mit  einem  Fall  vor  einem  Common 
Law  Court,  nicht  vor  einem  Kquity  Court  zu  tun  haben,  und  dali  es  sich 
hier  um  ein  Verfahren  in  personam  handelt,  wo  das  Gericht  den  Erben 
des  l’fandgläubigers  auflordert,  das  Land  zuriiekzugeben.  Der  Kläger  soll 
ausdrücklich  die  von  ihm  verlangte  Sache  erhalten,  nicht  bloücn  Schaden- 
ersatz. Dies  ist  ein  ausgesprochenes  Verfahren  nach  Kquity  - Prinzipien 
(equitahle  proccoding).  Siehe  die  Besprechung  oben  S.  227,  228  über  das 
redemption-  und  foreclosurc- Verfahren  bei  der  GlanvilFschen  Pfandform. 


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252 

mit  dem  Außergebrauchkotnmen  dieser  Verpfäitdungsfunu  auch 
aufgegeben  und  seitens  der  Common  Law-Richter  späterer  Zeiten 
überhaupt  vergessen  oder  wenigstens  unbeachtet  geblieben  zu  sein, 
wenn  bei  Vorhandensein  eines  klassischen  mortgage  der  Pfandgeber 
behufs  Zurückerhaltung  seines  verfallenen  Grundstücks  Hilfe  in 
Anspruch  nehmen  wollte.  Ob  die  Equity-Richter  bei  Zulassung 
der  nachträglichen  Einlösung  hicht  nur  vom  römischen  Recht'), 
sondern  auch  durch  die  frühere  Praxis  der  geistlichen  und  ge- 
meinrechtlichen Gerichte  beeinflußt  worden  sind,  wissen  wir  nicht. 
W as  bei  dieser  historischen  Entwickelung  des  mortgage  von 
Wichtigkeit  ist,  ist.,  daß  die  Equity-Gerichte  mit  den  römischen 
Rechtsbüchem  zu  ihrer  Verfügung  sich  tatsächlich  gegen  die  Ge- 
richte des  gemeinen  Rechts  erklärten  und  daß  sie  die  gewünschte 
Entbindung  des  Pfandschnldners  von  der  strikten  und  rigorosen 
Durchführung  des  Geschäftes  zuließen 2). 

Die  strikte  Regel  des  gemeinen  Rechts  scheint  zum  ersten 
Male  dort  durchbrochen  worden  zu  sein,  wo  die  Zahlungsversäum- 
nis des  Schuldners  am  Stichtage  durch  einen  Zufall  veranlaßt 
wurde,  wo  das  Versäumnis  nur  ein  kurzes  war,  oder  wo  in  einem 
Sondervertrage  bestimmt  war,  daß  trotz  der  Verfallsklausel  dem 
Schuldner  die  Möglichkeit  der  nachträglichen  Einlösung  gegeben 
werden  sollte.  In  solchen  Fällen  gestattete  das  Equity-Gericht 
die  nachträgliche  Einlösung3).  Auch  wurde  frühzeitig  vom  Equity- 
Gericht  die  nachträgliche  Einlösung  für  Bürgen  erlaubt,  selbst 
bei  vollständigem  Verfall  nach  gemeinem  Recht*».  Verpfändete 
jemand  ein  Grundstück  in  der  Form  eines  mortgage  bloß  als 


')  Siehe  Spence,  a.  a.  O.,  I,  S.  603. 

*)  Im  vierzehnten  Jahre  der  Regierung  Richards  II.  hatte  das  Parla- 
ment, so  wird  behauptet,  die  Einlösung  von  verpfändetem  Land  verweigert. 
Siehe  Orabb,  a.  a.  0.,  S.  371 : Butler,  Anm.  (I.  4 tlily)  zu  Coke  über  Littloton 
205  a.  Siehe  jedoch  über  diesen  Fall  Spence,  a.  a.  O.,  I,  S.  602,  wo  ge- 
sagt wird,  dal!  das  (leid  tatsächlich  vor  dem  Stichtage  bezahlt  worden 
war.  Dies  würde  die  Citierung  dieses  Falles  als  Beispiel  dafür,  daü  das 
Parlament  es  verweigert  hat,  die  F.inlösung  des  verfallenen  Landes  zu  ge- 
statten. hinfällig  machen,  denn  die  Einlösung  in  dem  Sinne,  wie  das  Wort 
hier  gebraucht  wird,  kann  nur  in  Frage  kommen,  wenn  die  von  den  Par- 
teien festgesetzte  Zeit  verflossen  und  die  Schuld  nicht  bezahlt  ist. 

3)  Spence.  n.  a.  O.,  I,  S.  602  und  die  dort  angeführten  tjuellen: 
Williams,  Real  Property,  t>.  530,  Anm.  (k):  Kerly,  a.  a.  <>.,  S.  143. 


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2 53 

Bürge  für  «len  Hauptschuldner,  so  erklärte  das  Eqnity-Gericht, 
dali  wenn  der  Bürge  für  den  Hanptsehnldner  Zahlung  leistete, 
auch  wenn  dies  erst  nach  dem  Verfallstage  geschah,  er  alles  ge- 
tan habe,  wozu  er  laut  Vertrag  verpflichtet  war,  denn  nur  bei 
Nichtzahlung  seitens  des  Hauptschuldners  wurde  der  Bürge  zur 
Zahlung  aufgefordert,  und  es  müßte  daher  dem  Bürgen  die  nach- 
trägliche Einlösung  gestattet  werden 

Bis  zur  Möglichkeit,  jedem  Schuldner  zu  gestatten,  nach  Ver- 
fall die  Einlösung  noch  bewirken  zu  können,  einerlei  aus  welchem 
Grunde  der  Verfall  eingetreten  war,  war  kein  kleiner  Schritt. 
Aber  der  Gedanke  gewann  bei  den  Equity-Gerichten  mehr  und 
mehr  an  Kaum,  bis  es  im  siebzehnten  Jahrhundert  unter  der 
Regierung  Karls  I.  definitiv  zu  einem  Prinzip  des  Billigkeits- 
rechts (Equity)  wurde,  daß  das  „equity  of  redemption“  allen 
Pfandschuldnern  zu  Gute  kommen  sollte5). 

Damit  hatte  die  Gruppe  der  Schuldner  einen  entschiedenen 
Vorteil  errungen.  Andererseits  wurde  aber  den  Gläubigern  eben- 
falls ein  Mittel  an  die  Hand  gegeben,  welches  dem  equity  of  re- 
demption des  Schuldners  angemessene  Grenzen  ziehen  sollte  und 
in  der  Tat  den  Schuldner  zwang,  den  Interessen  des  Gläubigers 
die  gebührende  Rücksicht  zu  Teil  werden  zu  lassen,  oder  aber 
sich  endgültig  und  für  immer  der  Möglichkeit  beraubt  zu  sehen, 
sein  Land  wieder  einlösen  zu  können.  Das  Eqnity-Gericht  erklärte, 
daß  es  von  dem  Schuldner  ungerecht  sein  würde,  den  Gläubiger 
zu  lange  auf  einen  Bescheid  darauf  warten  zu  lassen,  ob  er  das 
nach  gemeinem  Recht  verfallene  Pfand  als  sein  Eigentum  behalten 
darf  oder  nicht3).  Demgemäß  wurde  dem  Gläubiger  das  Recht 
gegeben,  dem  Equity-Gericht  eine  Klage  (bill)  einzureichen  und 

')  Spenee,  a.  a.  0.,  I,  S.  602,  603. 

*)  Williams,  a.  a.  0.,  S.  530;  Spence,  a.  a.  0.,  S.  603;  Kobbins, 
a.  a.  0.,  I,  S.  11,  12:  Bl  ackstune.  II.  c.  10,  § III:  K erly,  a.  a.  0.,  S.  143. 
144.  Das  von  Cromwell  einberufene  Barcbones  Parlament  beriet  über  den 
Entwurf  einer  Kechtarefnrm,  welche  u.  A.  auch  den  Antrag  in  sich  schloll, 
dali  die  Einlösung  eines  mortgage  nur  innerhalb  eines  Jahres  nach  dem 
Zeitpunkte,  an  welchem  der  Pfandgläubiger  infolge  Nichterfüllung  der  Be- 
dingung den  Besitz  übernommen  hatte,  erlaubt  sein  solle.  Dieser  Antrag 
wurde  aber  nie  zum  Gesetz  erhoben,  da  das  Parlament  zurücktrat  und  seine 
Gewalt  in  die  Hände  Gromwells  legte.  Kerly,  a.  a.  0.,  S.  157-160. 

s)  Conte.  I.aw  of  Mortgage.  4.  Aull.,  S.  990,  901. 


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254 


den  Schuldner  aufzufordern,  von  seinem  Einlösungsrecht  (equity 
of  redemption)  innerhalb  einer  festgesetzten  Zeit  Gebrauch  zu 
machen,  oder  aber  für  alle  Zeit  des  Hechtes  der  Einlösung  ver- 
lustig zu  gehen  (barred  of  bis  right  t<>  redeem).  Der  Spruch  des 
Gerichts  wenn  der  Schuldner  es  versäumte  bei  Ablauf  dieser  neuen 
Stundungsfrist  zu  bezahlen,  wurde  „decree  of  foreclosure“  genannt. 
Das  mortgage  war  demnach  verfallen,  oder  wie  der  technische 
Ausdruck  lautet  „foreclosed.“  Der  Schuldner  war  nun  nicht  mehr 
gegen  die  schweren  Folgen,  die  sich  aus  dem  Pfandvertrag  und 
nach  dem  gemeinen  Hechte  ergaben,  geschützt.  Der  Pfandgläubiger 
(mortgagee)  war  jetzt  nicht  nur  Eigentümer  nach  gemeinem  Recht 
i legal  owner),  sondern  auch  Eigentümer  nach  Billigkeitsrecht 
(equitable  owner').  Der  Verfall  an  den  Gläubiger  war  nun  perfekt 
sowohl  nach  gemeinem,  wie  nach  Billigkeitsrecht. 

Hieraus  ist  zu  ersehen,  daß  das  mortgage  selbst,  nachdem  es 
das  Billigkeitsrecht  zur  Rechtsregel  gemacht  hatte,  daß  dem 
Schuldner  das  Hecht  der  nachträglicher.  Einlösung  zustehen  sollte, 
im  Grunde  ein  Substanzpländ  (Proprietätspfand,  Verfallspfand)  war. 
Es  war  jetzt  nicht  nur  nach  gemeinem  Recht  ein  Verfallspfand, 
sondern  auch  nach  Billigkeitsrecht,  Das  Land  selbst,  wie  hoch 
auch  immer  sein  Wert  gewesen  sein  mag,  verfiel  dem  Pfand- 
gläubiger,  sofern  der  Schuldner  versäumte  es  zum  endgültig  fest- 
gesetzten Termin  einzulösen. 

Es  wurde  jedoch  sehr  bald  zur  Gewohnheit,  in  die  Ver- 
pfändungsurkunde ein  Vorkaufsrecht  (power  of  salei  aufzunehmen. 
Dieses  gab  dem  Pfandgläubiger  ein  viel  weniger  teures  und  um- 
ständliches Mittel  an  die  Hand,  als  das  des  foreclosure,  welch 
letzteres  natürlich  die  Notwendigkeit,  vor  Gericht  zu  klagen,  er- 
heischte. Mit  Hilfe  dieses  Verkaufsrechts  kann  der  Gläubiger, 

')  Kobbin s,  a.  a.  O.,  I.  S.  13,  14:  Spence,  a.  a.  0.,  I,  S.  608:  Will  iarns, 
a.  a.  0.,  S.  539.  540:  Pollock,  Land  Laws.  S.  135:  Kerlj,  a.  a.  O.,  S.  143. 
144:  Hlackstonc,  11.  c.  10.  § Ul.  Ks  scheint  jedoch,  daß  gegenwärtig 
das  decree  of  foreclosure  bei  Vorliegen  von  liilligkeitsgriinden  revidiert 
werden  kann  (opened).  Siehe  Kenton's  Kncrelopaedia  of  the  Laws  of 
Kngland,  VIII,  S.  468.  469. 

Nach  heutigem  Hecht  kann  nicht  nur  das  oquity  of  redemption  des 
Schuldners,  sondern  auch  das  Hecht  auf  foreclosure  des  (iläubigers  durch 
Verjährung  verfallen.  Williams,  a.  a.  0.,  8.545:  Anm.  (1)  zu  Coke  über 
Littleton,  2(l8a. 


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der  nacl-  gemeinem  Recht  ftber  das  gesamte  Besitztum  (in  Form 
des  estate  in  fee  simple)  verfügt,  bei  Zahlungsversänmnis  des 
Schuldners  einen  nach  gemeinem  Recht  gültigen  Titel  (legal  title) 
auf  den  Käufer  übertragen  und  kann  dies  fernerhin  ohne  Ein- 
willigung seitens  des  Pfandschuldners  tun.  Aus  dem  beim  Ver- 
kauf des  Landes  durch  den  Pfandgläubiger  erzielten  Betrage  darf 
dieser  sich  nur  im  Verhältnis  der  Höhe  seines  Anspruchs  am 
Lande  selbst  befriedigen.  Er  ist  daher  verpflichtet  nach  Deckung 
seiner  Forderung  und  Abzug  für  Zinsen  und  Kosten  einen  etwa 
verbleibenden  Überschuß  dem  Pfandsclnildner  auszuzahlen *) 

Das  mortgage  kann  somit  durch  Einfügung  dieser  Verkaufs- 
ermächtigung in  die  Verpfändungsurkunde  aus  einem  Verfallspfand 
in  ein  Verkaufspfand  verwandelt  werden;  und  in  der  Tat  haben 
es  neuere  Gesetze  unter  der  Königin  Victoria  unnötig  gemacht, 
diese  Verkaufsklausel  in  die  Urkunde  aufzunehmen.  Das  Vor- 
kaufsrecht versteht  sich  jetzt  von  selbst  lis  incident  tn  every 
mortgage),  ohne  daß  es  in  der  Urkunde  besonders  erwähnt  wird, 
ausgenommen  es  wird  in  derselben  ausdrücklich  ausgeschlossen. 
Das  Gericht  kann  auch  zu  dem  Entschlüsse  kommen,  statt  die 
Einlösung  oder  den  endgültigen  Verfall  (redemption  oder  foreclo- 
snre)  zuzulassen,  einen  Verkauf  anzuordnen.  Von  welcher  Seite 
der  Verkauf  vorgenommen  werden  soll,  darüber  entscheidet  das 
Gericht.  Bei  der  foredosure- Verhandlung  scheint  es  üblich  zu  sein, 
den  Verkauf  durch  den  ersten  Pfandgläubiger  (first  mortgagee) 
vornehmen  zu  lassen.  Wird  Einspruch  nicht  erhoben,  so  kann 
dem  Pfandschuldner  als  demjenigen,  der  an  der  Erzielung  eines 
möglichst  hohen  Preises  am  meisten  interessiert  ist.  der  Verkauf 
überlassen  werden.  Aus  demselben  Grunde  scheint  der  Pfand- 
gläubiger auch  da,  wo  es  sich  um  Einlösungsklagen  handelt,  mit 
dem  Verkauf  betraut  zu  werden.  Sowohl  bei  toreclosure-  wie  bei 
redemption-Klagcn  kann  hinsichtlich  des  Verkaufs,  wenn  ein  solcher 
überhaupt  angeordnet  wird,  dahin  erkannt  werden,  daß  derselbe 
ohne  Zutun  des  Gerichts  vorgenommen  werden  kann  (out  of  enurt)*). 

Wo  jedoch  die  Urkunde  eine  Klausel  enthält,  die  das  Ver- 

')  Williams,  n.  a.  0.,  S.  541-543:  Pollock,  a.  a.  0.,  S.  135. 

*)  Pollock,  a.  a.  O.,  S.  134:  Williams,  a.  a.  O.,  N.  540-544 : Itobbins, 
a.  a.  l.  s.  738.  II,  S.  1038.  I05;i. 


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25() 


kaufsrecht  ausschlietlt,  und  wo  das  Gericht  sich  weigert,  einen 
Verkauf  bei  foreclosure-  oder  redemption-Prozessen  anzuordnen, 
kann  selbst  noch  heutzutage  Verfall  durch  foreclosure  au  Stelle 
des  Verkaufs  treten,  da  ja  das  Recht  des  foreclosure  ein  notwendiger 
Bestandteil  jedes  mortgage,  mit  Ausnahme  des  sog.  „ Welsh  mort- 
gage“  ist'). 

Die  Umbildung  des  alten  mortgage-Rechts  durch  die  Equity- 
ßerichte,  besonders  im  siebzehnten  und  achtzehnten  Jahrhundert, 
ging  weit  über  das  bloße  redemption  und  foreclosure  hinaus.  Das 
Billigkeitsrecht  brachte  eine  vollständige  Umwandlung  des  Charakters 
dieser  Verpfändungsfonn  zustande.  Der  Sieg  des  Equity  über  das 
Common  Law  war  ein  vollständiger. 

Auf  die  Festlegung  des  nachträglichen  Einlösungsrechts  folgte 
die  Erklärung  des  Equity-Oerichts,  daß.  wo  immer  die  Übereignung 
ursprünglich  als  eine  Sicherheitsleistung  für  geliehenes  Geld  be- 
absichtigt war,  es  die  Regel  sein  sollte,  daß  das  Rechtsgeschäft 
vom  Equity-Gericht  als  „mortgage“  und  das  Pfand  als  einlösbar 
anzusehen  sei,  selbst  wenn  die  Parteien  ausdrücklich  beschlossen 
haben,  daß  eine  Einlösung  nicht  möglich  sein  sollte,  und  daß 
hiervon  nur  wenige  Ausnahmen  zuzulassen  seien.  Dieses  Prinzip, 
welches  die  notwendige  Folge  der  Theorie  der  Einlösung  nach 
Verfall  war,  kam  in  den  Worten  „once  a mortgage,  always  a mort- 
gage“ zum  Ausdruck  *1.  Ferner  erklärte  das  Equity-Gericht  jeden 

')  Itobbins,  a.  a.  <>..  I,  S.  13,  14.27,  11,  S.  99!).  l'bcr  .Welsh  mort- 
gagos“  siehe  oben  S.  211,  212. 

S)  Kobbins,  a.  a.  O.,  1.  S.  12:  Williams,  a.  a.  0.,  S.  530,  531. 
Chaplin,  a.  a.  <)..  IV.  S.  11:  .Still  anothcr  scheme  of  convoyancc  was 
derised.  lt  made  use  of  two  instrumenta.  The  lirst  was  a deed  of  the 
larnl  from  the  debtor  to  the  creditor,  absolute  in  form.  Concurrently  with 
it  the  creditor  gare  to  the  debtor  n bond,  which  ca  me  to  be  known  as  a 
bond  of  defeasance,  agreeing  that  if  a certain  sum  of  tnoney,  for  instance, 
were  paid  by  a certain  day,  the  deed  should  become  inoperative:  or,  to  use 
another  form,  that  the  grantee,  the  creditor,  would  reconvey.  It  was  attmnpt- 
ed  by  this  device  to  make  the  transaction  operate  as  a sale  of  land  with 
an  Option  of  buying  back,  lf  it  could  so  operate,  the  debtor's  right«  would 
be  lost  imuiediately  upon  default.  The  courts  of  equity,  however,  dccidcd 
in  England  and  it  was  very  early  decided  in  this  country  [Vereinigte 
Staaten  von  X.  A.]  at  law,  that  such  a transaction,  if  intended  in  fact  for 
mere  security.  was  nothing  but  a mortgage.“  Ähnlich  war  auch  der  Ver- 
such der  (iläubiger  erfolglos,  die  Konsequenzen  des  equity  of  redemption 


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Versuch,  das  nachträgliche  Einlösungsrecht  neben  Zahlung  der 
Schuld,  Zinsen  und  Kosten  noch  durch  andere  Bedingungen  ein- 
zuschränken,  als  ungiltig1). 

Aber  weiterhin  erklärte  das  Equity-Gericht,  daß,  nach  den 
tatsächlichen  wirtschaftlichen  Beziehungen  der  Parteien  zu  einander, 
dem  Pfandgläubiger  in  Wirklichkeit  nur  ein  Anspruch  auf  Rück- 
zahlung des  Geldes,  welches  er  hergeliehen  habe,  zustehe;  mit 
anderen  Worten,  der  Gläubiger  behielt  das  Land  nur  als  eine 
Sicherstellung  seiner  Forderung.  Inlolgedessen  war  nach  Ansicht 
des  Equity-Gerichts  das  Land  nichts  weiter  als  durch  die  Schuld 
ptändrechtlich  belastet  (charged),  und  dies  trotzdem  der  Gläubiger 
nach  gemeinem  Recht  als  tenant  in  fee  simple,  als  Eigentümer 
anzusehen  war.  Nur  der  Pfandschuldner,  sagten  die  Equity- 
Richter,  nicht  der  Pfandgläubiger  war  nach  Billigkeitsrecht  (in 
equity)  der  Eigentümer  des  verpfändeten  Landes,  das  nur  der 
Forderung  des  Gläubigers  entsprechend  belastet  (charged)  werden 
konnte;  denn  das  Recht  der  nachträglichen  Einlösung  (equity  of 
redemption)  war  nach  Billigkeitsrecht  ein  Besitzrecht  am  Lande 
(equitable  estatei  und  von  derselben  Art  wie  andere  „equitable 
estates“ 2). 

Die  Konsequenzen  aus  dieser  Theorie  wurden  in  logischer 
Weise  gezogen.  Obgleich  nach  gemeinem  Recht  das  Besitztum 
(estate)  des  mortgagee  in  fee  auf  dessen  Erben  oder  Legatare 
übergehen  würde,  so  wurde  doch  nach  Billigkeitsrecht  der  Erbe 
oder  Legatar  als  Treuhänder  (trustee)  für  den  Testamentsvollstrecker 
des  Pfandgläubigers  angesehen,  auf  welchen  sowohl  die  Schuld- 
forderung. als  auch  das  Pfandrecht  (charge)  zur  Sicherstellung 
dieser  Forderung  überging1).  Das  equitable  estate  des  Pfand- 


durch  eine  gesiegelte  Urkunde,  die  ihrer  Form  nach  ein  trust  deed  war,  in 
der  Tat  aber  eine  Sicherstellung  sein  sollte,  zu  umgehen,  da  die  Kquity- 
Gerichte  dahin  entschieden,  daß  eine  solche  Transaktion  als  mortgagc  an- 
zusehen sei.  Siehe  Chaplin,  a.  a.  0.,  IV.  S.  11. 

')  Williams,  a.  a.  ().,  S.  53 1 (r). 

*)  Anm.  (1)  zu  Coke  über  Littloton,  205a:  Williams,  a.  a.  O.,  S.  531. 

ä)  Die  Gerichte  ries  liilligkeitsrochts  nahmen  sich,  wie  cs  scheint,  die 
Prinzipien  der  Gerichte  des  gemeinen  Rechts  zur  Richtschnur,  welche  die 
sogenannten  „cs  tu  tos  by  Statutes  elcgit,  merchant  and  staple1-  nur  als 
chattel  oder  personal  internste  behandelten,  ilie  beim  Tode  des  l’fand- 
Hazeltiue,  Englische*  Pfandrecht  1' 


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■J.r>8 


Schuldners  wurde  auf  der  anderen  Seite  von  den  Billigkeitsgerichten 
als  Immobiliar  (real  estate)  angesehen  und  ging  als  solches  auf 
den  Erben  oder  Legatar  des  Pfandschuldners  über,  jedoch  unter 
pfandrechtlicher  Belastung  des  mortgage,  woraus  der  dingliche 
Charakter  des  Rechts  des  Gläubigers  erhellt1). 

Der  mortgagee  in  fee  hat  ein  Recht,  sofort  in  den  tatsächlichen 
Besitz  einzutreten  (right  of  immediate  entry  int»  actual  possession). 
Wenn  der  Pfandgläubiger  in  den  Besitz  eintritt,  entweder  sofort, 
oder  bei  Nichteinhaltung  der  Zahlungsbedingnng  seitens  des 
Schuldners,  so  ist  er  jedoch  nach  Equity-Recht  der  Verpflichtung 
unterworfen,  über  die  Renten  und  Erträge  genau  Rechnung  zu 
führen  (account),  für  den  Fall  einer  späteren  Einlösung  seitens 
des  Schuldners.  Die  Vorschriften  über  diese  Rechnungsführung 
sind  so  strikt,  daß  der  Pfandgläubiger  in  der  Regel  nur  ungern 
den  Besitz  übernimmt,  außer  wo  es  der  einzige  Weg  ist,  wieder 
zu  seinem  Gelde  zu  gelangen.  Nach  den  Worten  Pollocks  „the 
plight  of  the  mortgagee  in  possession  is  one  of  the  most  unenviable 
known  t»  the  law“  *). 

Die  von  dem  mortgagee  in  possession  erzielten  Renten  und 
Erträge  können  je  nach  den  Umständen  zur  Tilgung  der  Zins- 
schulden oder  zur  Tilgung  der  Schuld  nebst  Zinsen  verwendet 
werden3).  Bei  dieser  Sachlage  ist  das  mortgage  zugleich  eine 
Form  des  Nutzpfandes. 

Bleibt  jedoch  der  Pfandschuldner  im  Besitz,  so  ist  er  nicht 
besser  daran,  wie  ein  tenant  at  sutferance.  Der  Pfandgläubiger, 


gläubigors  auf  dessen  Testamentsvollstrecker  übergingen.  Siehe  oben 
S. 40— 41:  Amn.  (1)  zu  Coke  über  Littleton  208a. 

')  Williams,  a.  a.  0..  S.  534-537.  Seit  dem  Ponvcyaneing  Act  vom 
Jahre  1881  geht  das  estate  eines  sulc  mortgagee,  sofern  es  sich  um  die 
Verpfandung  eines  freehold  estate  of  inheritance  handelt,  gleich  jedem  an- 
deren chattel  real  beiin  Tode  des  mortgagee  auf  dessen  Testamentsvollstrecker 
(personal  roprosentative)  über.  Williams,  a.  a.  <).,  S.  534,  535.  I>ies  ist 
natürlich  nur  die  Theorie  des  Rilligkoitarechts  in  gesetzlicher  Form:  auch 
wird  hierdurch  der  Sieg  des  Kquity  über  das  gemeine  Hecht  noch  deut- 
licher veranschaulicht, 

s)  Williams,  a.  a.  ().,  S.  532-534:  Pollock,  a.  a.  O.,  S.  134. 

3)  Siehe  Robbins,  a.  a.  ()..  II,  S.  1207  - 1212.  Siehe  auch  Leake, 
Digest,  S.  295;  Story,  Kquitable  Jurisdiction , 8.661,  Amu.;  Pollock, 
a.  a.  <>..  S.  133.  131. 


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•J.V.t 

der  das  Beeilt  aut'  sofortigen  Besitz  hat,  kann  dein  Pfandschuldner 
zu  jeder  beliebigen  Zeit  den  Besitz  entziehen,  entweder  dadurch, 
dat!  er  selbst  in  den  Besitz  eintritt  (actual  entry),  oder  durch 
Klage,  und  der  Pfandschuldner  kann  weder  nach  gemeinem  Recht 
noch  nach  Equity-Recht  Einwendungen  hiergegen  erheben.  Wenn 
der  Pfandgliiubiger  nicht  auf  seinem  Recht  der  Besitzübernahmo 
besteht,  sondern  dem  Pfandschuldner  gestattet,  den  Besitz  zu  be- 
halten, so  kann  der  letztere  die  Erträge  für  sich  verwenden,  ohne 
dem  Pfandgläubiger  hierüber  zur  Rechnungsablegung  verpflichtet 
zu  sein.  Früher  war  es  dem  Pfandschuldner  in  solchem  Falle 
unmöglich,  eine  Klage  auf  Rückgabe  des  Besitzes  in  seinem  eigenen 
Namen  anhängig  zu  machen,  aber  jetzt  nach  dem  Judicature  Act 
vom  Jahre  1*73  wird  dem  Pfändschuldner,  wenn  er  zur  Zeit 
Anspruch  auf  die  Renten  und  Erträge  des  Landes  hat,  unter  ge- 
wissen Umständen  possessorischer  Schutz  zu  teil.  Es  ist  jedoch 
möglich,  die  Zurückbehaltung  des  Besitzes  seitens  des  Schuldners 
von  der  bloßen  Laune  des  Pfandgläubigers  unabhängig  zu  machen. 
In  der  Verpfändungsurkunde  kann  ausdrücklich  stipuliert  werden 
obschon  dies  nicht  gebräuchlich  ist,  — daß  der  Pfandschuldner 
im  Besitze  bleibt  bis  zu  dem  von  den  Parteien  für  die  Zahlung 
festgesetzten  Termin.  Solch  eine  Klausel  in  der  Urkunde  hat 
dieselbe  Wirkung  wie  eine  Verpachtung  (demise)  an  den  Pfänd- 
schuldner für  die  Zeit  bis  zum  Zahltage,  und  der  Pfandschuldner 
hat  daher  ein  Recht  (legal  right)  auf  Besitz  bis  zum  Ablauf 
dieser  Frist1). 

Außer  den  Rechtsmitteln  des  Pfandgläubigers  der  gericht- 
lichen Verfallserklärung  (foreclosure),  dem  Verkauf  und  der  Besitz- 
nahme zur  Tilgung  der  Schuld  aus  den  Renten  und  Erträgen 
— hat  der  mortgagee  bei  Zahlungsversäumnis  des  Schuldners 
eine  persönliche  Klage,  die  sich  auf  das  unter  Siegel  gegebene 
Versprechen  (convenant)  in  der  Verpfändungsurkunde  gründet. 
Von  all  diesen  Rechtsmitteln  kann  der  Gläubiger  sofort  Gebrauch 
machen a). 

■)  Williams,  a.  a.  0.,  S,  534,  535.  I*as  mortgage  mit  Besitz  dos 
Schuldners  wird  ferner  besprochen  in  dem  Abschnitte,  welcher  die  Kni  w ickelung 
der  Hypothek  betrifft.  Siehe  unten  S.  377  ff. 

*)  Story,  a.  a.  ().,  S.  665,  Anm.  1 : Williams,  a.  n.  ().,  S.  53H.  Siehe 
Itobbina,  n.  a.  0.,  f.  S.  II:  Auui.  (1)  zu  Coke  über  Littleton,  205a.  Uh 

17* 


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Im  modernen  englischen  Recht  muß  sorgfältig  unterschieden 
werden  zwischen  dem  „mortgage“  und  zwei,  anderen  Zwecken 
dienenden  Rechtsgeschäften  von  verschiedener  Form,  mit  denen 
das  inortgage  zuweilen  verwechselt  wird:  1.  dem  bedingten  Ver- 
kauf (defeasible  oder  conditional  sale1)  und  2.  der  Übereignung 
im  Vertrauenswege  (trust)*). 

Die  Geschichte  des  englischen  mortgage  mit  ihren  konservativen 
Prinzipien  ist  somit  äußerst  charakteristisch  für  die  englische 
Rechtsgeschichte  im  Allgemeinen.  Die  alte  Form  der  resolntiv 
bedingten  Übereignung  (conditional  conveyance)  ist  beibehalten 
worden,  und  die  Equity-Richter  haben  alles  getan,  was  in  ihren 
Kräften  stand,  sie  den  veränderten  rechtlichen  und  ökonomischen 
Verhältnissen  einer  modernen  Zeit  anzupassen.  Aber  die  Beibe- 
haltung der  alten  Form  ist  die  Quelle  von  Verwirrungen  und  Un- 
gelegenheiten geworden  und  hat  ohne  Zweifel  die  volle  Ent- 
wickelung von  einfacheren  Formen  der  Sicherheitsleistung  verhindert. 

Die  bedingten  Besitzrechte  i conditional  estatesi  spielten  eine 
höchst  wichtige  Rolle  im  mittelalterlichen  Recht3);  aber  in  keinem 
Zweige  des  Rechts  mehr  als  in  demjenigen  des  Immobiliar-Proprie- 
tätspfandes  dieser  Periode.  Die  suspensiv  bedingte  Übereignung 
zu  Pfandzwecken  war  die  gebräuchlichste  Form  des  Proprietäts- 
pfandes  zu  Glanvills  und  Bractons  Zeiten;  sie  wurde  aber  schließ- 
lich von  dem  klassischen  englischen  mortgage  durch  die  resolntiv 
bedingte  Übereignung  (conditional  conveyance),  welche  bereits  in 
den  Quellen  des  dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhunderts  zu  finden 
ist,  aber  literarisch  zum  ersten  Male  in  Littleton’s  Tenures  be- 

und  inwieweit  die  Pfandhaftung  nach  heutigem  englischen  Hecht  selbständig 
ist,  muH  vorläufig  dahingestellt  bleiben.  Siehe  Kobbins,  a.  a.  0.,  Bd.  I. 
S.  6 IT.,  ltd.  11.  S.  867  IT..  959  IT.:  Fisher,  a.  a.  0..  8.  329  ff,  385  ff. 

')  Siehe  Kobbins,  a.  a.  0.,  I,  S.  11 — 25:  Anm.  (1)  zu  Coko  über 
Littlcton,  205a.  Vergl.  Jones.  Law  of  Mortgage»,  8.3:  Pollock,  a.  a.  0., 
S.  133.  I ber  Verkauf  auf  Wiederverkauf  nach  römischem  und  germanischem 
Hechte  siehe  Dernburg.  Pfandrecht,  Bd.  I,  S.  12  ff.  Bd.  11,  S.  285:  Franken, 
Französisches  Pfandrecht,  S.  175  ff. 

*)  Siehe  Story,  Kquity  Jnrisprndencc,  S.  fi62,  Anm.  2:  Lenke,  a.  a.  0., 
S.  296,  297:  Sanders,  Uses  and  Trusts.  8.279,280:  Lew  in.  Law  of  Trust». 
S.  203,  796,  1164,  1165. 

*)  Siehe  Littlcton.  § 525 — 584:  Rocves.  a.  a.  ().,  II,  8.  580:  oben 
S.  47. 


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•261 


rflcksichtigt  wird,  verdrängt1).  Dieses  klassische  englische  mort- 
gage  war  nicht,  nach  dem  römischen  pignus,  hypotheca  oder 
fiducia  geformt , sondern  war  lediglich  eine  besondere  An- 
wendungsform der  gemeinrechtlichen  Doktrin  des  bedingten  Be- 
sitzstandes (estates  upon  condition)11).  Das  römische  Recht  übte 
unzweifelhaft  einen  EintluU  auf  die  Entwickelung  des  englischen 
mortgage,  besonders  im  Equity-Recht,  aus.  Aber  auffallend,  wie 
die  Ähnlichkeit  zwischen  dem  englischen  mortgage  und  der  alten 
römischen  fiducia  ist,  so  ist  es  doch  nichtsdestoweniger  klar,  dall 
das  englische  mortgage  keine  Kopie  der  römischen  Form  ist,  denn 
es  durchläuft  dieselben  historischen  Phasen , welche  auch  die 
fiducia  durchlaufen  hat*). 


Zweiter  Abschnitt. 

Pfand  mit  Besitz  des  Schuldners. 

Die  englische  Immobiliarverpfändung  mit  Besitz  des  Schuldners 
bis  zur  Zahlungsversäumnis  hat  sich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
später  entwickelt  als  das  Pfand  mit  sofortigem  Besitz  des  Gläu- 
bigers, denn  der  Ursprung  dieser  letzteren  Form  der  Sicher- 
stellung von  Darlehen  ist  mit  der  Geschichte  des  Zwangsvoll- 
streckungsverfahrens  direkt  verbunden4)-  Bevor  wir  uns  aber 
dieser  Phase  der  Entwickelung  zuwenden,  möchten  wir  uns  doch 
einen  Augenblick  mit  den  mittelalterlichen  „charges“,  „liens“, 
„burdens“  und  „encumbrances“  am  Lande,  die  nicht  zur  Sicher- 
stellung von  Forderungen  der  Gläubiger,  sondern  zu  anderen  Zwecken 
geschaffen  werden,  beschäftigen.  Hier  wird,  wenigstens  in  gewissen 
Fällen,  ein  dingliches  Recht  zu  Gunsten  jemandes  geschaffen,  der 
nicht  sofort  den  Besitz  des  belasteten  Landes  übernimmt.  Indes 
mögen  die  Meinungen  darüber  auseinander  gehen,  ob  es  sich  in 
solchen  Fällen  tatsächlich  um  eine  Inimobiliarverpfilndung  im  Sinne 
einer  Sicherstellung  für  eine  persönliche  Forderung  handelt. 

■)  Siehe  oben  S.  239,  240. 

s)  Butler,  Anm.  (1)  zu  Coke  über  Littleton,  205a.  Powell,  Law 
of  Mnrtgagcs,  S.  1,  ist  jedoch  der  Ansicht,  daü  das  englische  klassische 
mortgage  aus  dein  römischen  Hecht  übernommen  wurde. 

s)  Siehe  Franken,  Französisches  Pfandrecht.  S.  148—174. 

')  Franken,  Das  französische  Pfandrecht  im  Mittelalter,  8.  7,  und 


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Erstes  Kapitel. 

Belastungen. 

I.  Lehnsdienste  und  Renten. 

Jede  Rente,  bestehe  sie  in  rent-service  oder  rent-charge,  ist 
eine  Belastung  des  Landes,  von  dem  sie  ausfließt  ’) : sie  gestattet 
dem  Grundherrn  oder  demjenigen,  welcher  Anspruch  auf  die  Rente 
lmt  (seised  of  the  rent-charge),  seine  Rechte  am  Lande  auszuüben, 
auch  wenn  das  Land  in  die  Hände  von  dritten  Personen  übergeht. 
Die  Belastung  begründet  ein  dingliches  Recht,  und  um  dem  Recht 
aus  dieser  Belastung  Geltung  verschaffen  zu  können,  stellt  dem 
Grundherrn  oder  demjenigen,  welcher  Anspruch  auf  die  Rente 
hat,  das  Recht  der  Pfändung  zu. 

Wir  erwähnen  gleich  an  dieser  Stelle,  daß  wir  die  historische 
Entwickelung  des  Rechts  des  Grundherrn,  das  Land  seines  tenant 

Brunner,  Grundlage  der  deutschen  Hcchtsgoschichte,  S.  189  — 190,  ver- 
treten diese  Ansicht  hinsichtlich  des  germanischen  Rechtes  auf  dein  Kon- 
tinente. Heuslcr,  Institutionen  des  deutschen  l’rivatrechts,  11,  S.  135, 
143—150,  vertritt  die  Ansicht,  daß  das  Pfand  mit  und  das  Pfand  ohne  Besitz 
des  Gläubigers  gleichmäßig  früh  im  alten  germanischen  Recht  erscheinen 
und  daß  in  der  Tat  kein  direkter  Zusammenhang  zwischen  gerichtlicher 
Zwangsvollstreckung  und  dem  l'rsprung  des  Pfandes  mit  Besitz  des  Schuldners 
bestellt.  Betreffs  der  Ansicht  anderer  ltechtsgelehrtcn  hierüber  siehe 
lleuslcr,  a.  a.  0.,  II,  S.  114,  und  Wiguiure,  The  Pledge-Idea,  Harvard 
Law  Review,  X.  S.  341—350. 

Das  englische  gemeinrechtliche  Pfand,  wie  es  von  Gl  an  vi  II  und 
Braetou  beschrieben  wird,  scheint,  wie  wir  bereits  gesehen  haben,  ein 
solches  mit  Besitz  des  Gläubigers  gewesen  zu  sein.  Siche  oben  S.  201 — 238: 
Blackstonc,  11,  c.  10:  Sponcc,  Kqnitable  Jurisdiction,  I,  S.  G01.  Betreffs 
einer  Kritik  dieser  Ansicht  siehe  Ghaplin,  Story  of  Mortgage  Law,  Harvard 
Law  Review,  IV,  S.  6,  7.  welcher  daselbst  die  Ansicht  vertritt,  daß  das  Glan- 
vill’sche  und  Brac  ton  'sehe  Pfand  sowohl  ein  solches  mit  Besitz  des  Gläu- 
bigers, wie  auch  ein  solches  mit  Besitz  des  Schuldners  sein  konnte.  Der 
letzteren  Ansicht  ist  auch  Glasson,  Histoire  du  Droit  et  des  lustitutions 
(I  Angletcrre,  11.  S.  313 — 316,  und  Phillips.  Englische  Reichs-  und  Rechts- 
geschichte. II.  S.  239,  240.  Siehe  ferner  Phi 1 1 ips,  a.  a.  <>.,  II,  S.  236,  240—245. 
I ber  die  Jurisdiction  der  geistlichen  Gerichte  beim  Pfand  mit  Besitz  des 
Schuldners  siche  die  eben  citierten  Autoren  Glasson,  Phillips  und 
8 p e n c e . 

■)  Siehe  Stat.  Glouc.,  6 Kd.  I,  c.  4:  Stat.  West.  II,  13  Ed.  I,  c.  21: 
Britton.  liv.  II.  cap.  X:  Holmes,  t'ommou  Law.  S.  388:  oben  S.  167, 
168.  Vergl.  Kgger.  Vcrinügcnshaftung  und  Hypothek.  S.  173  ff. 


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263 

bei  rückständigen  Diensten  oder  Renten  pfänden  zu  können,  nur 
in  kurzen  Umrissen  schildern  werden.  Unsere  Aufmerksamkeit 
wird  sich  in  der  Hauptsache  nur  auf  zwei  hier  in  Betracht  kommende 
Fragen  erstrecken:  diese  sind  1.  Muß  der  Grundherr  erst  das 
Mobiliar  des  tenant  pfänden,  bevor  er  sich  an  das  Land  halten 
kann?  und  2.  Wie  wird  die  Pfändung  des  Landes  durchgeführt 
— einfach  durch  Retention?  durch  das  Recht,  die  Renten  und 
Erträge  mit  Beschlag  zu  belegen?  durch  Verfall?  oder  durch 
Verkauf? 

Es  scheint,  daß  in  früherer  Zeit  das  Land,  das  Lehn  des 
Lehnsmannes,  bei  Nichtleistung  der  Lehnsdienste,  welche  er  seinem 
Lehnsherrn  schuldete,  verfiel.  Doch  scheint  es  bald  notwendig 
geworden  zu  sein,  ein  Urteil  des  Gerichts  des  Grundherrn  ergehen 
zu  lassen,  bevor  der  tenant  auf  solche  Weise  seines  Landes  ver- 
lustig gehen  konnte;  ferner  konnte  dies  erst  geschehen,  nachdem 
der  tenant  entsprechend  gemahnt  worden  war  und  ihm  auf  ein 
Jahr  nach  Besitzergreifung  durch  den  Grundherrn  Zeit  gelassen 
war,  sein  Land  wieder  einzulösen ').  Es  ist  eine  Entscheidung*) 
bekannt  aus  der  Zeit  Heinrichs  I.,  derzufolge  der  Verfall  eines 
Lelms  eintrat,  da  der  tenant  es  versäumte,  militärische  Dienste 
zu  verrichten.  Später,  unter  Heinrich  II.  scheint  jedoch  das  Land 
bei  Nichtzahlung  der  Rente  nicht  zu  verfallen3). 

Zur  Zeit  Glanvills  und  Bractons  machte  jedoch  das  Königs- 
gericht, das  Gericht  an  welchem  das  ältere  gemeine  Recht  ent- 
stand, von  dieser  sehr  harten  Maßregel,  der  Billigung  des  Verfalls, 
keinen  Gebrauch.  Das  Königsgericht  zwang  den  Grundherrn,  zu- 
erst das  Mobiliar  des  tenant  zu  pfänden,  und  erst  nachdem  dies 
geschehen  war,  erlaubte  es  dem  Grundherrn,  ein  Urteil  seines 
seignorial  court  einzuholen,  auf  Grund  dessen  es  ihm  gestattet 
war,  das  Land  des  tenant  zu  pfänden.  Der  Grundherr  nahm  nun 
das  Land  und  behielt  es  als  ein  simplex  namiutn.  Er  hatte  kein 


')  Siehe  Chron.  Abingd.  II,  S.  128:  Wright,  Tenures,  S.  197—19!»: 
C ilbert,  Rents,  S.  3,  4:  Robinson,  (iavelkind,  S.  195:  Reeves,  Hist,  Kng. 
Law.  II,  S.  186:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  354.  Siehe  auch 
Plac.  Ang.-Nonn.,  S 97. 

’)  Chron.  Abingd.,  II,  S.  128.  Siehe  auch  Plac.  Ang.-Norm.,  S.  97. 

3)  Plac.  Ang.-Nnrai.,  S.  Ififi — 173:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0., 
I,  S.  354,  Anin.  2. 


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2(54 

Nutzungsrecht,  keinen  Anspruch  auf  Verfall  des  Landes  und  kein 
Verkaufsrecht:  das  Einzige,  was  ihm  zustand,  war  das  Retentions- 
recht. Die  Einlösung  konnte  der  tenant  zu  jeder  Zeit  vornehmen 

Dies  Recht,  das  Land  zu  pfänden,  wurde  den  Grundherren 
unter  der  Regierung  Heinrichs  III  (12(57)  durch  das  Statute  of 
Marlbridge  bald  entzogen;  dasselbe  gestattete  die  Pfändung  von  free- 
hold nur  auf  Grund  des  king’s  writ.  Der  Grundherr  konnte  sich 
also  wahrend  dieser  Zeit  behufs  Erzwingung  der  Leistung  nur  an 
die  Mobilien  des  tenant  halten8). 

Das  Bedürfnis  nach  einem  Rechtsmittel,  welches  gestattete, 
das  Land  selbst  zu  nehmen,  scheint  sich  jedoch  fühlbar  gemacht 
zu  haben;  es  dauerte  auch  nicht  lange,  nämlich  unter  der 
Regierung  Eduards  I.,  so  wurde  ähnlich  wie  bei  dem  eigenen 
Gerichte  der  feudalen  Grundherren,  das  Rechtsmittel  des  Verfalls 
durch  die  Statutes  of  Glocester  und  Westminster  the  Second  für 
das  gesamte  Land  eingeführt.  Dieses  Rechtsmittel  bestand  in  der 
Klage  cessavit  per  biennium,  welche  unmittelbar  aus  dem 
kanonischen  und  mittelbar  aus  dem  römischen  Recht  Justinians 
übernommen  war.  War  der  tenant  auf  zwei  Jahre  im  Rückstand 
und  war  nicht  genügend  Mobiliar  vorhanden,  so  ermöglichte  das 
writ  of  cessavit  des  Kanzlers  dem  Grundherrn,  sofern  der  tenant 
auch  jetzt  vor  Fällung  des  Urteils  nicht  einlöste,  das  Land  oder 
freehold  an  sich  zu  nehmen  (recover  the  fee  itself  in  demesne). 
Das  Land  war  dann  für  immer  an  den  Grundherrn  verfallen8). 

')  Clanvill,  IX,  8:  Uracton,  f.  205b,  217,  218:  ltracton's  Note 
Hook,  pl.  2,  270,  348,  370;  Wright,  Tenurea,  S.  1 09—  201 : Anui.  (2)  zu 
Coke  über  Littleton,  142a:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  1, 
S.  3.02  — 355.  Vcrgl.  Gilbert,  Hcnts,  S.  3,  4.  Es  ist  richtig,  daß  der  feoffor 
und  der  feofToo  ausdrücklich  vereinbaren  können,  daß  der  feoffor  bei  Zahlungs- 
versriumnis  durch  Wiedereintritt  das  Land  zurückerhalten  kann:  aber  solche 
Abmachungen  waren  vor  der  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  9ehr  selten. 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  1,  S.  352. 

8)  StaL  52  Hen.  III,  c.  22  (12G7),  Statutes,  I,  S.  19  ff:  Wright,  Tenures, 
S.  201,  202:  Ilargrave,  Anm.  (2)  zu  Coke  über  Littletun  142a:  Anm.  (4) 
zu  Coke  über  Littleton  47a:  liobinson,  Gavelkind,  S.  194.  195:  Kecvcs, 
a.  a.  0.,  I,  S.  508. 

*)  Siche  Stat.  Ulouc.,  G Kd.  I,  c.  4:  Stat.  West.  II,  13  Edward  I, 
c.  21:  Kitzherhert,  Natura  Brevium,  f.  208  H , 209.  210  A:  Coke,  2 Inst. 
295,  400,  4G0:  lllackstone,  111,  c.  15,  § 1 : Anm.  (4)  zu  Coke  über 


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205 


Ein  besonderes  writ  of  cessavit  erteilte  auch  das  Statute 
of  Westminster  the  Second  denjenigen  Grundherren,  welche  Land 
tTir  „Divine  Service“  (auch  „Ahns“  oder  „Almoigne“  genannt) 
zu  Lehn  hatten;  dieses  gestattete  den  Grundherren,  das  Land 
für  rückständige,  d.  h.  nicht  geleistete  Dienste  wieder  an  sich  zu 
nehmen  ’). 

Auch  in  den  lokalen  Rechten  und  Gewohnheiten  des  Mittel- 
alters treffen  wir  die  Pfändung  für  rückständige  Dienste  oder  Renten 
an.  In  der  Grafschaft  Kent  und  in  London  wurde  die  Pfändung 
durch  ein  unter  der  Rezeiehnung  gavelet  bekanntes  Verfahren  vor- 
genonnnen  *). 

Tn  Kent  gründete  sich  dieses  Rechtsmittel  des  gavelet  auf 
Gebräuche  und  Gewohnheiten  aus  unvordenklichen  Zeiten,  und  seine 
Anfänge  sind  auf  das  allgemeine  Feudalrecht  und  das  Recht  der 
angelsächsischen  Zeit  zurückgeführt  worden3).  Der  Text  des  kent- 
isehen  Custumal  — der  Consuetudines  Cantiae  — , abgedruckt 
in  den  „Statutes  of  the  Realm“,  ist  dort  klassifiziert  unter  Ge- 
setzen ungewissen  Datums,  doch  wird  vermutet,  dal!  er  aus  der 
Zeit  Eduards  I.  stammt4).  Auf  dieses  Custumal  ist  man  betreffs 
Information  über  die  kentische  Prozedur  des  gavelet  hauptsäch- 
lich angewiesen. 

Das  tenure  of  gavelkind  oder  richtiger  socage  tenure  sub- 
ject  to  the  custom  of  gavelkind  erhielt  sich  hauptsächlich  in 

Littlcton  47a:  Anm.  (2)  tu  Coke  über  Littluton  142a:  Anm.  (5)  zu  Coke 
über  Littlcton  143b:  Hooth,  Kcal  Actions,  S.  133 — 135:  Wright,  Tcnures, 
S.  202:  Hobinson,  Gavelkind,  S.  193  — 195:  l’ollock  and  Maitland, 
a.  a.  0.,  I,  S.  353:  Mai  Gand,  Select  Pleas  in  Mauorial  and  other  Seigno- 
rial  Courts  (Seid.  Soc.),  I,  S.  LVI1I. 

')  Stat.  West  II,  c.  41,  stat.  13  Kd.  I (1285).  Statutes  of  the  Ifealin. 
I,  S.  91,  92. 

*)  Über  das  Wort,  „gavelet"  oder  „gavillcttum"  siehe  Coke  über 
I.ittleton  142a:  Spclman,  Gloss.  s.  v.  Gav  eletnm:  Hargrare.  Anm.  (2) 
zu  Coke  über  Littlcton  142a:  Hobinson,  a.  a.  0.,  S.  194. 

3)  Siehe  Hargravc.  Anm.  (2)  zu  Co.  Lit.  142a:  Hobinson,  a.  a.  0., 
S.  194,  195:  Heeves,  a.  a.  0.,  II,  S.  18R,  187. 

l)  Statutes  of  the  Iicalin.  I,  S.  223,  Anm.  (*).  Das  Custumal  mit  einer 
englischen  Übersetzung  ist  ferner  zu  linden  in  Lombarde,  I’erambulation, 
S.  513 — 531.  Siehe  auchTattol,  Magna  Charta,  eine  Sammlung  von  alten 
Statuten,  veröffentlicht  im  Jahre  1556. 


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286 


Kcnt,  um]  das  am  meisten  charakteristische  bei  dieser  Art  des 
Grundbesitzes  (tenure)  war,  daU  beim  Tode  eines  tenant  in  fee, 
der  kein  Testament  hinterließ,  das  Besitztum  (estate)  nicht  nach 
der  gemeinrechtlichen  Regel  der  Primogenitur  sich  vererbte,  sondern 
nach  der  Regel,  daß  das  Luid  unter  alle  Sühne  gleichmäßig  zu  ver- 
teilen sei  ’).  Kam  ein  tenant,  welcher  Land  in  der  Form  des 
gavelkind  besaß,  mit  der  Leistung  seiner  Dienste  oder  mit  der 
Rente  im  Rückstand,  so  mußte  der  Grundherr  gemäß  den 
Consuetudines  Cantiae  zuerst  eine  Erlaubnis  seines  eigenen 
Gerichts  einholen,  um  das  Mobiliar  des  tenant  pfänden  zu  können. 
War  Mobiliar  nicht  vorhanden,  so  gestattete  das  Gericht  dem  Grund- 
herrn, das  Land  auf  ein  Jahr  und  einen  Tag  ohne  Bewirtschaftung 
selbst  in  die  Hand  zu  nehmen.  Löste  der  tenant  während  dieser 
Zeit  das  Land  nicht  ein,  so  war  dasselbe  dem  Grundherrn  durch 
Rechtsspruch  so  gut  wie  verfallen,  denn  die  Bedingungen,  unter 
denen  die  Fanlösung  vielleicht  hätte  vorgenommen  werden  können, 
waren  so  schwer,  daß  eine  Einlösung  gar  nicht  mehr  in  Frage  kam. 
Die  Tatsache  aber,  daß  dem  tenant  die  Einlösung  — trotzdem  sie 
in  Wirklichkeit  nicht  mehr  möglich  war  — theoretisch  doch  noch 
offen  stand,  zeigt,  eine  wie  große  Zurückhaltung  das  alte  Recht 
beobachtete,  wenn  es  sich  darum  handelte,  den  tenant  seines  Landes 
für  verlustig  zu  erklären  wegen  bloßer  Versäumnis,  seine  Dienste 
zu  leisten  oder  seine  Rente  zu  bezahlen-). 

Das  Verfahren  im  Wege  des  gavelet  scheint  sehr  geschätzt 
gewesen  zu  sein  als  ein  Mittel  zur  Pfändung  von  Land  wegen 
rückständiger  Dienste  oder  Rente;  es  wurde  in  London  für  rent- 
service  eingeführt  durch  das  Statutuin  de  Gaveleto  in  London 
im  zehnten  Jahre  der  Regierung  Eduards  II. s)  Das  Verfahren 
ähnelt  dem  in  Kent,  wennschon  es  in  gewisser  Hinsicht  von  diesem 
abwich.  Hier  sei  nur  noch  erwähnt,  daß  der  Grundherr  verpflichtet 

')  Robinson,  a.  a.  <).,  S.  89,  225;  Williams,  Real  Property,  S.  58,  59. 

s)  Genaueres  betr.  der  Einlösungsfrage  siche  boi  De  Wandlesworth's 
Oase,  Robinson,  Gavelkind,  S.  197:  Statutes  of  tbo  Realin,  I,  S.  225, 
Amn.  1:  l.auibarde,  Pcrambuiatiou,  S.  449:  Robinson,  Gavelkind, 

S.  196 — 202:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0..  I.  S.  355.  Anm.  1.  Vergl. 
Pollock  and  Maitland,  a.  a 0.,  II,  S.  591—593. 

*)  Statutes  of  the  Realm,  I,  S.  222:  Robinson,  Gavelkind.  S.  194: 
Am».  (2)  zu  Co.  I,it,  142a:  Reeves,  a.  a.  0.,  II,  S.  136,  187. 


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267 


war,  erst  alles  Mobiliar  zu  pfänden,  und  nur  wenn  dies  nicht  ge- 
nügte, konnte  er  durch  das  writ  Consuetudinibus  et  Servitiis 
das  Verfahren  in  gavelet  eröffnen,  das,  wenn  der  tenant  fortfuhr 
die  Zahlung  zu  verweigern,  schließlich  in  den  absoluten  Verfall 
des  Landes  an  den  Grundherrn  endigte. 

Die  Rechte  aus  der  Belastung  des  Landes  durch  Lehnsdienste 
oder  Renten  können  daher  gemäß  englischem  mittelalterlichen  Recht 
bei  Zahlungsversäumnis  des  tenant  auf  verschiedenerlei  Weise 
geltend  gemacht  werden.  Für  gewöhnlich  muß  der  Grundherr 
zuerst  das  Mobiliar  des  tenant  pfänden.  Nur  insofern  hiervon 
nicht  in  genügender  Menge  vorhanden  ist,  kann  er  entweder  das 
Land  nehmen  und  es  als  ein  simplex  namium  behalten,  d.  h. 
als  ein  bloßes  Zwangsmittel,  oder  er  kann  seine  Forderung  aus  den 
Renten  und  Erträgen  tilgen;  auch  kann  er  berechtigt  sein,  das 
Land  als  verfallen  für  sich  zu  beanspruchen. 

Lambarde  schrieb  im  Jahre  1576,  daß  er  nicht  sicher  sei, 
ob  das  Verfahren  des  gavelet  zu  seiner  Zeit  in  Kent  noch  in  (je- 
brauch sei..  In  der  Tat  sind  alle  Fälle  in  den  Büchein,  welche 
das  cessavit  und  gavelet  behandeln,  sehr  frühen  Datums,  und 
jene  verschiedenen  Formen  der  Immobiliarpfändung,  welche  wir 
besprochen  haben,  scheinen  nach  der  Zeit  des  Mittelalters  nicht 
mehr  existiert  zu  haben.  Sie  waren  sicherlich  lange  veraltet,  als 
das  Real  Property  Limitation  Act,  s.  36,  vom  Jahre  LS33  die 
real  actions  und  damit  die  altertümlichen  writs  of  cessavit  und 
de  Consuetudinibus  et  Servitiis  abschatfte '). 

Enter  Nachahmung  gewisser  Formen  der  Pfändung  von  Land 
für  rückständige  Dienste  oder  Rente,  welche  wir  eben  besprochen 
haben,  wurde  es  später  bei  Abschluß  von  Pachtverträgen  auf  Jahre 
oder  auf  Lebenszeit  üblich,  sich  ein  Recht  des  Wiedereintritts  bei 
Nichtzahlung  der  Rente  vorzubehalten:  doch  werden  wenig  der- 
artige Abkommen  vor  der  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts 
getroffen2).  Das  Statute  4 George  II,  c.  28  ermöglichte  es  dem 
Verpächter  in  solchem  Falle,  sich  eines  writ  of  ejectment  zu  be- 

')  Lambarde,  a.  a.  ().,  S.  5<X):  Robinson,  a.  a.  ().,  8.  200,  202:  Har- 
grave,  Anm.  (2)  zu  (Jo.  Lit.  142a. 

*)  Littlcton,  § 341 : Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  I,  S.  352.  Siehe 
auch  Leake,  fügest,  S.  203.  Vergl.  Williams,  a.  a.  <>.,  S.  420. 


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•268 


dienen,  wodurch  er  in  den  Besitz  gelangte,  wenn  eine  halbe  Jalires- 
rente  rückständig  war  und  eine  Pfändung  von  Mobilien  nicht  vor- 
genommen werden  konnte,  doch  war  dem  Pächter  gestattet,  das 
Land  innerhalb  sechs  Monaten  nach  der  Vertreibung  durch  Zahlung 
der  Rente  und  Kosten  wieder  einzulösen.  Ähnlich  verfügte  das 
Distress  for  Rent  Act,  Statute  11  George  II,  c.  19,  § 16  (1737), 
daß  Fridensriehter  (justices  of  the  peace)  dem  Eigentümer  (land- 
lonl)  das  Land  zurückgeben  können,  wenn  der  tenant  das  Grund- 
stück verläßt,  ohne  genügend  pfändbare  Sachen  zu  hinterlassen '). 

II.  Gewährleistung  (Warranty). 

Die  Gewährleistung  bei  der  Übertragung  von  Eigentum  spielte 
im  Mittelalter  eine  wichtige  Rolle  in  England.  Sie  kam  sowohl 
im  Mobiliar-  wie  im  Immobiliarrecht  vor  und  hatte  ihren  Ursprung 
in  der  Zeit  der  Angelsachsen  *).  Uns  beschäftigt  nur  die  Gewähr- 
leistung bei  der  Übertragung  von  Land  in  der  Zeit  des  Mittel- 
alters nach  der  normannischen  Eroberung,  und  diese  wiederum 
nur  insofern,  als  die  Verpflichtung,  für  das  übertragene  Land  Ge- 
währ zu  leisten,  nicht  bloß  eine  persönliche,  für  den  Gewähr- 
leistenden und  seine  Vertreter  bindende  war,  sondern  auch  eine 
dingliche,  sodaß  das  Land,  welches  zur  Zeit  der  Gewährleistung 
in  der  Hand  des  Gewährleistenden  verblieb,  mitbelastet  wurde. 

Die  Gewährleistung,  d.  i.  die  Verpflichtung,  den  Rechtstitel 
an  dem  übertragenen  Lande  zu  verteidigen,  und  wenn  diese  Ver- 
teidigung erfolglos  war,  dem  vertriebenen  Eigentümer  anderes 
Land  im  gleichen  Werte  als  Ersatz  zu  geben3),  tritt  in  ihren 
Anfängen  unter  dem  feudalen  System  in  zwei  Formen  auf:  1.  wo 
der  Lehnsmann  (feudal  tenant  in  fee)  dem  Grundherrn  huldigt 
(does  homage).  ist  der  letztere  verpflichtet,  den  Rechtstitel  des  tenant 
an  dem  freehold  (fee)  zu  verteidigen;  2.  wo  das  lamd  mit  einem 
Wittum  (dower)  belastet  ist  und  der  Erbe  das  Land  unter  der 


')  Bl ackst onc,  III,  c.  15,  § I;  Robinson,  a.  a.  0.,  S.  202,  203:  Har 
grave,  Anni.  (2)  zu  Co.  Lit.  142a. 

s)  Siehe  Schm id,  (iCsetrc,  3.  v.  Käufe,  Teiim:  Kgsays  in  Anglo-Saxou 
Law,  S.  218,  253.  254:  Pollork  and  Maitland.  ».  a.  ()..  Index  s.  v.  War- 
rantv:  Holmes,  Common  Law.  S.  371 — 409. 

J)  Siche  Bractou,  f.  380:  Holmes,  a.  a.  Ü.,  S.  372. 


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•2«n 

Verpflichtung  übernimmt,  für  «las  Wittum  der  Witwe  Gewähr  7,11 
leisten '). 

Später,  als  «lie  Form  der  Gewährleistung  schon  weiter  ent- 
wickelt war,  konnte  die  Verpflichtung  zur  Gewährleistung  durch 
die  Übergabe  von  Land  in  Folge  von  Schenkung  (giflt  oder  Ver- 
kauf entstehen  — durch  endgültigen  Vergleich  (fine),  Belehnung 
(feoffment),  Austausch  (exchange)  und  continnation  *).  Hracton 
berichtet  uns,  daß  man  verpflichtet  ist,  Gewähr  zu  leisten  per 
homagium,  et  flnem  factum,  et  per  chartarum  siue  aliorum  in- 
strumentorum  obligationem  *),  und  daß  die  Gewährleistung  da  auf- 
treten  kann,  wo  Übertragung  von  Land  oder  tenement  ex  quocunquc 
iusto  titulo  vel  iusta  causa  acquirendi  stattfindet ‘). 

In  der  'I'at  finden  wir  zu  Bractons  Zeit  das  auch  schon  in 
Glanvill’s  Tagen  anerkannte  Prinzip  entwickelt,  daß  „there  was  in 
all  cases  of  sale  an  implied  warranty  on  the  part  of  the  vendor 
of  his  title  to  seil,  and  further  that  where  the  Obligation  of  war- 
ranty was  established,  the  party  vouched  to  warrant  was  bound  to 
make  compensation  to  the  party  who  vouched  him,  if  he  could 
not  make  good  his  warranty  and  had  the  means  wlierewith  to 
compensate  him“  -').  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  war  diese  spätere 
Entwickelung  der  Gewährleistung  nicht  von  dem  normannischen 

•)  Bracton,  f.  78,  381,  383,  385:  Itawlo,  Covcnants  for  Tille,  8.  2 : 
Twiss,  Einleitung  111  der  Knirschen  Ausgabe  von  Bracton,  Bd.  VI, 
S.  XII. 

»)  Hracton,  f.  380—382,  389. 

Pollock  and  Maitland,  11,  S.  224:  „In  the  twclfth  centurv  Charters 
of  feoffment  had  bccome  common:  they  sometimes  contained  cluuses  of 
warranty.“  Dieselben,  II,  S.  313,  Anm.  1 : „The  clause  of  warranty  bccomes 
a normal  part  of  the  charter  of  feoffment  abnut  the  year  1200“. 

Nach  Bracton  (f.  37)  ist  der  fenffor  nur  dann  verpflichtet,  für  die 
ltcchtsnachfolgcr  (assigns)  des  feoffec  Gewähr  zu  leisten,  wenn  er  dies  aus- 
drücklich versprochen  hat.  Siehe  hierüber  Holmes,  a.  a.  O..  Lectnre  XI. 

s,  Bracton,  f.  381. 

*)  Bracton,  f.  380. 

Twiss,  n.  a.  O.,  VI,  8.  IX. 

Uawle.  a.  a.  O.,  8.  2,  unter  t’itierung  von  Co.  Eit.  384a:  „When, 
subsequently , it  becamc  usual  to  anthenticate  the  transfer  of  land  by 
Charters  or  deeds,  whether  the  lattcr  did  or  did  not  contain  the  tcehniral  Word 
warrantizo.  a warranty  was  implied  from  the  wurd  of  fenflhient  dedi. 
and  this  was  termed  a warranty  in  law."  Siehe  Uawle,  a.  a.  <>..  S.  15,  IG.  208. 


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270 


Recht  oder  den  germanischen  leges  oder  liewohnheiten  abgeleitet, 
sondern  war  englisches  Richterrecht  aus  der  Angevin-Zeit,  beein- 
flußt durch  römische  Jurisprudenz1). 

Gewährleistung  „probably  presented  itself  to  the  mind  of 
Glanvill’s  predecessors  simply  as  a dutv  or  Obligation  attached 
by  law  to  a transaction  which  was  directed  to  a different  point; 
just  as  the  liability  of  a tiailee,  which  is  now  treated  as  urising 
from  bis  undertaking,  was  original  ly  raised  by  the  law  out  of  the 
Position  in  which  he  stood  toward  third  persons“  *>.  Tatsächlich 
war  die  Gewährleistung  des  Grundherrn,  welche  für  die  Huldigung 
ihomage)  geschah,  „original  ly  created  without  express  contract  of 
any  kind.  — it  was  simply  a natural  incident  of  tenure,  . . . *)“ 
Und  in  feoflinents  bv  dedi  konnte  selbst  eine  ausdrückliche  Ge- 
währleistung (express  warranty)  diejenige  Gewährleistung  nicht 
modifizieren,  welche  eo  ipso  aus  dem  gegenseitigen  Character 
des  feudalen  Besitzes  (tenure)  lloß4).  Abgesehen  von  der  Gewähr- 
leistung, die  ohne  weiteres  mit  eingeschlossen  war  (implied  war- 
ranty), konnte  jedoch  im  Mittelalter  die  ausdrückliche  Gewähr- 
leistung (express  warranty)  aus  Verträgen  sich  ergeben.  Auch 
nach  späterer  Rechtsanschauung  war  die  Gewährleistung  eine  kon- 
traktliche Verpflichtung*),  und  selbst  Bracton  scheint  das  vertrag- 
liche Element  in  der  Gewährleistung  nicht  außer  Acht  gelassen 
zu  haben li). 

Die  Geltendmachung  der  Rechte  aus  der  Gewährleistung  vor 
Gericht  geschah  für  gewöhnlich  durch  eine  Vorladung,  genannt 
voucher  oder  durch  das  writ  of  warrantia  cartae,  gelegentlich 
auch  durch  writ  of  covenant 7).  Das  vouching  to  warranty,  die 
Prozedur  jemand  in  Sachen  von  Gewährleistung  vor  Gericht  laden 


')  Siche  die  Krörtertmjr  dieser  Frage  hei  T « iss,  a.  a.  0„  VI,  S.  IX — XIII. 

*)  Holmes,  a.  a.  O.,  S.  371. 

3)  Ha  wie,  a.  a.  < >..  S.  2. 

4)  Ha  wie,  a.  a.  I*..  S.  3. 

5)  Siehe  Holmes,  a.  a.  0.,  S.  371. 

6)  Siehe  Bracton,  f.  7S,  257b — 2(ilb,  380 — 393b.  Siehe  auch  Pollock 
and  M a i 1 1 a n d.  a.  a.  O.,  I.  S.  301 . 

!)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O..  II,  S.  213,  Amu.,  t>64.  Vergl- 
ltawle.  S.  12.  IC.  208—211.  Pas  writ  of  warrantia  cartae  betindct  airh 
bei  Bracton.  f.  3!)!». 


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•271 


zu  lassen,  konnte  in  der  ersten  Zeit  nach  seiner  Einführung,  ja 
sogar  bis  zur  Zeit  Eduards  I.  eine  Menge  Zeit  in  Anspruch 
nehmen  und  zu  einem  lästigen  Prozesse  werden,  denn  jeder  Ge- 
währleistende (warrantor),  der  durch  voucher  in  Anspruch  genommen 
wurde,  konnte  das  gleiche  Verfahren  gegen  seinen  Gewährleistenden 
zur  Anwendung  bringen,  u.  s.  w.,  bis  schließlich  in  der  Kette  der 
Rechtstitel  jemand  gefunden  war,  der  die  Folgen  der  Gewährleistung 
auf  sich  zu  nehmen  hatte.  Verlief  dieses  Verfahren  ohne  Erfolg, 
so  erhielt  der  den  Anspruch  Erhebende  das  fragliche  Land  und 
der  tenant  wiederum  erhielt  von  seinem  Gewährleistenden  ein 
excambium  ad  valentiam,  d.  h.  anderes  Land  im  Werte  dessen, 
welches  er  verloren  hatte1). 

Eine  Erklärung  der  ursprünglichen  Bedeutung  dieses  Systems 
des  „vouching  to  warranty“  glaubt  man  in  der  Tatsache  zu  haben, 
datl  es  in  gewissen  Fällen  zur  Bestrafung  des  Gewährleistenden 
führen  konnte,  ähnlich  wie  bei  der  alten  actio  furti.  Durch 
die  actio  furti  suchte  man  die  Herkunft  der  Waren  auf  einen 
Diebstahl  zurückzuführen,  indem  man  den  Beklagten  zwang,  den 
Käufer  zu  nennen,  und  zwar,  damit  der  Dieb  bestraft  werden  konnte. 
Ähnlich  suchte  man,  wenn  es  sich  um  Land  handelte,  durch 
voucher  to  warranty  auf  den  wirklichen  Missetäter  zurückzugreifen, 
damit  man  diesen  zwingen  konnte,  für  sein  Vergehen  zu  büßen  •). 

Auch  die  Gewährleistung  wurde  mit  der  Zeit  eine  große  Macht 
beim  Ausbau  des  feudalen  Systems.  Nach  den  Worten  Pollock  and 
Maitlands:  „The  gift  of  land  implied  protection,  delence,  warranty 
for  the  donee.  If  he  was  impleaded,  his  battle  would  be  fought 
for  him  by  a high  and  mighty  lord.  To  gain  the  right  to  vouch 
such  a lord  as  their  warrantor  many  men  would  be  content  to 
give  up  their  land  and  take  it  back  again  as  rent-paying  tenants.“ 
Die  Geschichte  der  commendation  ist  nur  unter  Berücksichtigung 
der  Gewährleistung  zu  verstehen;  tatsächlich  war  die  Gewähr- 
leistung die  „wertvolle  Gegenleistung“  (valuable  consideration) 
für  die  Ergebung  und  Unterwerfung  an  den  Grundherrn  *). 

■)  Holme»,  a.  a.  0..  S.  372:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  11, 
S.  002,  003.  Siehe  Glanvill,  III,  1—3:  Kracton.  f.  237b — 201h,  3K0 — 393b. 

Itrunner,  Deutsche  ltechtsgcschichtc,  II.  S.  310:  Pollock  and 
Maitland.  n.  ».  O.,  II.  S.  Hit.  003. 

Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  I,  S.  300,  307,  II.  S.  003,  004 


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Fernerhin  dürfen  wir  nicht  außer  Acht  lassen,  welche  Rolle 
die  Gewährleistung  im  Erbrecht  spielte.  Hören  wir,  was  Pollock 
and  Maitland  hierzu  sagen.  „A  man  is  debarred.  rebutted,  from 
claiming  land  because  the  bürden  of  a warranty  given  by  one  of 
his  ancestors  has  fallen  upon  him.  ln  later  days,  al ready  when 
Ilracton  was  writing,  this  doctrine  no  longer  came  into  play  when 
a tentant  in  fee  simple  had  alienated  his  land;  for  in  such  a 
case  the  heir  had  no  right  to  the  land,  no  claim  which  must  be 
rebutted.  It  only  came  into  play  when  the  alienator  and  warrantor 
had  beeil  doing  something  that  he  had  no  business  to  do,  when 
a husband  had  been  alienating  his  wife's  land  or  a tenant  for  life 
had  made  a feofl'ment  in  fee.  But  we  may  suspect  that  this 
doctrine  performed  its  first  exploit  when  it  enabled  the  tenant  in 
fee  simple  to  disappoint  his  expectant  heirs  by  giving  a war- 
ranty  which  would  rebut  and  cancel  their  claim  upon  the  aliena- 
ted land“ 

Neben  der  rein  persönlichen  Gewährleistung,  die  nur  den 
Gewährleistenden  i warrantor)  und  seinen  Stellvertreter  verpflichtete, 
konnte  auch  eine  Gewährleistung  erfolgen,  durch  welche  gleich- 
zeitig Grundbesitz  dinglich  belastet  wurde,  sodaß,  wenn  die  per- 
sönliche Gewährleistung,  die  erstfallige  Verpflichtung  zu  keinem 
Erfolge  führte,  der  warrantee  ein  excambium  ad  valentiam, 
Ersatz  im  gleichen  Werte,  verlangen  konnte. 

Die  Belastung  des  Immobiliars  durch  Gewährleistung,  die 
obligatio  rei*),  kann  entstehen  durch  eine  ausdrückliche  Gewähr- 
leistung (express  warranty)  oder  durch  eine  stillschweigende  Ge- 
währleistung (tacit  warranty).  Ein  express  warranty  belastet  ein 
bestimmtes  tenement’).  Eine  in  einem  feofl'ment  stillschweigend 
eingeschlossene  Gewährleistung  belastet  nach  Bracton  alles  übrige 
Land,  das  der  feoffor  am  Tage  der  Belehnung  im  Besitze  hat4). 

')  I’ollock  and  Maitland,  a.  a.  U..  II,  S.  312,  313.  Siebe  ferner 
Hlackstonc,  1.  Aull.,  II.  S.  301:  Kaxvle,  a.  a.  O.,  8.  2 — 12. 

s)  Siehe  Bracton,  f.  282,  388b  und  die  Randbemerkungen  aus  dem 
dreizehnten  Jahrhundert  7,u  Bracton’»  Note  Book,  ]d.  748. 

s)  Bracton.  f.  382:  Bracton'»  Note  Book,  pl.  748  und  die  Rand- 
bemerkungen aus  dem  dreizehnten  Jahrhundert : V.  B.  20 — 21  Kd.  I.  S.  359 — 
361.  Siehe  Maitland.  Bracton 's  Note  Book,  pl.  748,  Anm.  7. 

*)  Bracton,  f.  382,  382b.  388,  388b:  Bracton’»  Note  Book,  pl.  748 
Randbemerkungen  aus  dem  dreizehnten  Jahrhundert. 


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'273 

Dali  der  vom  warrantor  Belehnte  ein  dingliches  Recht  erwirbt, 
geht  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  das  durch  die  Gewährleistung 
belastete  Land  stets  mit  dieser  Belastung  übertragen  wird.  Die 
Belastung  des  Landes  bleibt  gegenüber  den  Erben  des  warrantor 
bestehen.  Die  Rechte  hieraus  können  gegen  die  Rechtsnachfolger 
geltend  gemacht  werden,  ja  sogar  gegen  den  König  und  den  chief 
lord,  der  es  als  ein  escheat  besitzt.  Sollte  die  Gewährleistung 
nicht  eingehalten  und  das  belastete  Land  zur  Befriedigung  der 
Forderung  des  von  dem  warrantor  Belehnten  herangezogen  werden, 
so  hat  der  jeweilige  Besitzer  das  Land  abzugeben l). 

Zur  Zeit  Heinrichs  IV.,  möglicherweise  auch  schon  früher, 
hatte  die  bloße  Gewährleistung  aufgehört,  dingliche  Wirkung  zu 
haben.  In  der  Klage  action  of  warrantia  cartae  wurde  jedoch 
durch  ein  Urteil  pro  loco  et  tempore  jetzt  eine  dingliche  Be- 
lastung der  gesamten  lands  und  tenements  des  Gewährleistenden, 
welche  ihm  bei  Fällung  des  Urteils  gehörten,  geschaffen.  Diese 
Klage  wurde  oft  vorgebracht  quia  timet  implacitari,  d.  h.  als 
eine  Vorsichtsmaßregel,  sobald  begründete  Befürchtung  vorhanden 
war,  daß  ein  Verlust  des  Landes  durch  einen  Defect  des  Rechts- 
titels eintreten  könnte.  Trat  der  Verlust  tatsächlich  ein,  so  er- 
mächtigte das  writ  of  scire  facias  nach  Erlaß  des  Urteils  den 
warrantee,  die  Pfändung  (execution)  aller  lands  und  tenements. 
welche  durch  das  Urteil  belastet  waren,  vorzunehmen.  Wenn 
fernerhin  eine  Klage  wegen  des  übertragenen  Landes  erst  nach 
dem  Urteil  pro  loco  et  tempore  in  der  vorhergehenden  Klage 
warrantia  cartae  angestrengt  wurde,  so  war  durch  ein  dem 
voucher  of  warranty  analoges  Verfahren  der  warrantee  genötigt, 
den  Gewährleistenden  zu  benachrichtigen  und  ihn  aufzufordern, 
den  Rechtstitel  an  dem  Lande,  für  welches  die  Gewährleistung  er- 
folgte, zu  verteidigen*). 

•)  Siehe  Bracton,  f.  380  — 382b.  388,  388b:  Bracton’s  Note  Book, 
pl.  638,  748,  1024:  Fleta,  Hb.  VI.  c.  23,  § 17;  Maitland,  Bracton's 
Note  Book,  pl.  748,  Anm.  7;  Holmes,  Common  Law,  S.  394,  395. 
Holmes,  a.  a.  0.,  S.  395:  „Fleta  writes  that  every  possessor  will  be  held. 
There  cannot  be  a donbt  that  a disseisor  would  have  been  bound  equallr 
with  one  whosc  possession  was  lawful."  Die  verschiedenen  writs  sind  au 
linden  bei  Bracton,  f.  380  - 399b. 

*)  Siehe  Rawle.  a.  a.  0.,  S.  12 — 14  und  Anm.  daselbst.  Über  die 
Haxeltlue,  Kubisches  Pfandrecht  18 


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•274 


Warrant#,  oder  die  Verpflichtung  eines  Verkäufers,  den  durch 
einen  älteren  Rechtstitel  vertriebenen  Käufer  zu  entschädigen, 
existiert  noeh  im  heutigen  englischen  Recht,  wennschon  es  von 
dem  alten  war  ran  ty  der  Zeit  Bractons  wesentlich  abweicht.  Das 
vouchingto  warranty  verschwand  zusammen  mit  dem  Außergebrauch- 
kommen  der  alten  Immobiliarklagen,  die  jetzt  durch  modernere 
und  einfachere  Klagen  ersetzt  sind.  Selbst  die  altertümliche  Ge- 
währleistung, die  nicht  am  I’latze  war,  wo  eine  Übergabe  des 
Besitzes  (livery  of  seisin)  bei  der  Übertragung  von  estates  nicht 
stattfand,  ist  ersetzt  worden  durch  covenants  for  title  — covenants 
for  seisin,  for  right  to  convey,  against  incuinbrances,  for  quiet 
possession,  and  for  further  assurance  — welche  in  die  heutigen 
englischen  Übertragungs-Urkunden  (deeds)  aufgenommen  werden 
(express  eovenant)  oder  ohne  weiteres  eingeschlossen  sind  (implied 
covcnant).  Heutzutage  tritt  bei  Vertragsbruch  (breaeh  of  eovenant) 
an  Stelle  des  Austausches  von  Land  im  gleichen  Werte,  des  alten 
excambium  ad  vatentiam  Bractons  und  des  Note  Book  der 
Schadenersatz  (damage).  Der  Wechsel  von  der  alten  Gewähr- 
leistung zu  den  neueren  „covenants  for  title“  scheint  eine  Begleit- 
erscheinung des  Übergangs  vom  feudalen  mittelalterlichen  zu  dem 
modernen  Rechtssystem  zu  sein.  Am  Ende  des  siebzehnten  Jahr- 
hunderts linden  wir  die  neuen  covenants  allgemein  in  Anwendung'). 

III.  Das  Wittum  (dos)  der  Frau. 

Dos  (dower)  hat  im  englischen  mittelalterlichen  Recht  zweier- 
lei Bedeutung.,  Man  versteht  darunter  erstens  das  vom  freien 
Manne  (freeman)  seiner  Braut  ad  ostiuin  ecclesiae  zurZeit  der 
Eheschließung  gegebene  Eigentum,  und  zweitens  das  von  der  Frau 
eingebrachte  Gut  (Heiratsgut  — maritagium).  Im  letzteren  Sinne 
entspricht  die  dower  der  dos  des  römischen  Rechts*).  Wir  haben 
es  hier  nur  mit  der  ersteren  Form,  der  dos  ad  ostium  ecclesiae. 

Krage  der  dinglichen  Wirkung  bei  „oxcliange"  von  Grundstücken  siehe 
ltawle,  a.  a.  ().,  S.  471 — 473. 

')  Siehe  Holmes,  a.  a.  0.,  S.  378:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0., 
1,  8.300:  ltawle,  a.  a.  0.,  S.  1,  10,  17.  Uber  das  moderne  Kocht 

siehe  Coke,  .Second  Institute.  Aull.  1081,  8.  275 — 2(7:  Woodfall,  I.andlord 
and  Tenant.  17.  Aull.,  8.  173— 200. 

>)  Glanvill,  VI,  1:  ltoevcs',  a'.  a.  ().,  I,  S.  155,  157. 


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275 


zu  tun,  und  mit  dieser  wiederum  nur  insofern,  als  dureli  dieselbe 
eine  Belastung  des  Immobiliars  des  Bräutigams  geschaffen  wird. 

In  der  Rechtsliteratur  des  zwölften  und  dreizehnten  Jahr- 
hunderts stellt  die  dos  eine  Schenkung  des  Bräutigams  an  die 
Braut  ad  ostium  ecclesiae  zur  Zeit  der  Eheschließung  dar1). 
Eine  solche  Schenkung  zu  machen,  ist  der  Bräutigam  durch  das 
Gesetz  gezwungen*).  Das  Wittum  kann  sich  auf  bestimmte  Län- 
dereien erstrecken,  darf  jedoch  nie  mehr  als  ein  Drittel  des  ge- 
samten Landes  des  Mannes  umfassen.  Eine  dower  in  dieser  Form 
wird  genannt  dos  nominata3).  Unter  dos  rationabilis  ist  da- 
gegen im  zwölften  Jahrhundert  diejenige  dower  zu  verstehen, 
welche  ein  Drittel  des  gesamten  freehold  Landes  umfaßt,  das  sich 
am  Tage  der  Hochzeit  im  Besitz  des  Mannes  befindet.  Wo  eine 
dos  nominata  nicht  gegeben  wird,  nimmt  das  Recht  an,  daß  eine 
dos  rationabilis  beabsichtigt  ist').  Zur  Zeit  Brittons  hat  die 
Frau  im  Falle  einer  (los  rationabilis  Anspruch  auf  ein  Drittel  des 
Landes,  das  sich  während  der  ganzen  Lebenszeit  des  Mannes  in 
dessen  Besitz  befand 5).  Ebenso  lantet  auch  die  Regel  des  gemeinen 
Rechts  *). 

Zur  Zeit  Bractons  scheint  die  Frau  durch  die  dos  nominata 
sofort  „true  proprietary  rights“  am  Lande  zu  erwerben.  Sofern 
sie  nicht  mit  ihrem  Manne  einen  endgültigen  Vergleich  vor  dem 
königlichen  Richter  getroffen  hatte  (levied  a final  concord  betöre 
the  king's  justices),  stand  ihr  beim  Tode  des  Mannes  das  Recht 
zu,  das  ihr  vermachte  Land  von  jedweder  Person  zu  reklamieren, 


')  Pas  Versprechen  des  Wittums  an  der  Kirchentür  geschieht,  uni  die 
Handlung  zu  einer  öffentlichen  und  feierlichen  zu  gestalten.  Siehe  Coke 
über  Littlcton,  34a:  lieames,  Translation  ofGlanvillc,  Beale's  Ausg., 
S.  94.  Anm.  2:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.O.,  11,  S.  374,  375. 

J)  Vergl.  Co.  Lit.  30b.  31a. 

3)  lut  späteren  Mittelalter  durfte  die  dos  nominata  mehr  als  ein 
Drittel  des  gesamten  Landes  betragen.  Siehe  Littlcton  , § 37,  39:  Pollock 
and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  421,  425,  426.  Vergl.  Co.  Lit.,  33b. 

4)  Ulanvill,  VI,  l,  2.  17:  Bracton,  f.  92:  Beevcs,  a.  a.  0.,  I,  155, 
156:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  420,  421,  425. 

5)  Nicbols,  Uritton,  Band  1.  S.  XLI.  XLII.  und  Band  II,  S.  238., 
242:  Pollock  and  Mait  land.  a.  a.  0.,  II,  S.  421. 

s)  Littlcton.  §37:  Co.  Lit.  33b.  Vergl.  Heeres,  a.  a.  0.,  II.  S. 
577  —579. 

18* 


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die  es  jetzt  in  Händen  hatte.  Wurde  der  tenant  von  der  Frau 
verklagt,  so  klagte  dieser  gegen  den  Erben  des  Mannes  (vouched 
the  heir).  Der  Erbe  war  dann  wahrscheinlich  genötigt,  für  die 
Gabe  des  Testators  Gewähr  zu  leisten.  Tat  er  dies  nicht,  so 
mußte  er  dem  vertriebenen  tenant  Ersatz  im  gleichen  Werte  aus 
dem  übrigen  nachgelassenen  Lande  des  Testators  geben.  Dies 
alles  ging  aber  die  Frau  nichts  an.  Sie  hatte  Anspruch  auf  das 
von  ihrem  Manne  namhaft  gemachte  Land  und  konnte  daher  den 
tenant  vertreiben 

Wird  ein  Drittel  des  Landes,  welches  der  feoffee  durch  Be- 
lehnung vom  Manne  besitzt,  von  der  Witwe  des  letzteren  als  dos 
rationahilis  reklamiert,  und  klagt  der  feoffee  gegen  den  Erben 
auf  Schutz  des  Rechtstitels  (vouch  the  heir  to  warranty),  so  muß 
die  Witwe  dafür  sorgen,  daß  der  Erbe  vor  Gericht  erscheint,  denn 
der  Erbe  hat  auch  den  Rechtstitel  am  Wittum  zu  schützen 
(warrant  the  dower).  Wird  von  dem  Erben  zugegeben,  daß  ge- 
nügend anderes  Land  auf  ihn  überkommen  ist,  um  die  Witwe  mit 
einer  dower  ausstatten  zu  können,  so  wird  dem  feoffee  gestattet, 
das  Land  zu  behalten,  während  die  Witwe  ein  Urteil  gegen  den 
Erben  erwirkt.  Sollte  der  Erbe  jedoch  anderes  Land  nicht  besitzen, 
dann  kann  die  Witwe  ein  Drittel  des  Landes  erhalten,  welches  der 
feoffee  besitzt.  Der  feoffee  erwirkt  dann  ein  Urteil  gegen  den 
Erben  und  beim  Tode  der  Frau  erhält  der  feoffee  dasjenige  Land 
zurück,  welches  die  Witwe  als  dower  besessen  hat.  Pollock  and 
Maitland  sagen  hierzu:  „The  unspecified  dower  is  therefore  treated 
as  a Charge  on  all  the  husband’s  lands,  a Charge  that  onght  to 
he  satisfied  primarily  out  of  those  lands  which  descend  to  the  heir. 
but  yet  one  that  can  be  enforced,  if  need  he,  against  the  husband’s 
feoffees“ 2). 

')  Bracton,  f.  299b:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  422.  423. 
über  die  Rechte  der  Frau  am  Lande  vor  dem  Tode  des  Mannes  vergl- 
Kra  c ton,  f.  3<H)b:  lteam  es  , a.  a.  0..  S.  97.  Anm.  3.  Siebe  Glanv  ill,  VI,  3. 

a)  Bracton, f.  300:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  ().,  11,  S.  423,  426. 
Uber  die  der  Witwe  zustehenden  Klagen  siehe  Glanvil  I.  VI:  Bracton,  f. 
296— 317b:  Britten,  liv.  V.  c.  IV— XII.  Vergl.  über  das  Wittum  Egger, 
Vermügenshaftung  und  Hypothek  nach  fränkischem  Rechte.  S.  276  ff. 


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277 


Zweites  Kapitel. 

Die  Hypothek. 

Mit  der  Ankunft  der  Kaufleute  vom  Kontinent  beginnt  die 
Entwickelung  der  Hypothek.  Ganz  besonders  haben  die  .Juden 
und  die  Italiener  das  Kreditwesen  in  das  wirtschaftliche  Leben 
Englands  eingeführt.  Mit  dem  Wachsen  des  Handels  wurde  das 
Redürfnis  nach  einem  bequemen  und  wirksamen  Mittel  zur  Sicher- 
stellung von  Forderungen  empfunden.  Zu  diesem  Zwecke  machte 
man  hauptsächlich  von  der  hypothekarischen  Belastung  Gebrauch, 
da  dies  eine  viel  bequemere  Form  der  Pfandbestellung  war,  wie 
diejenigen  Formen,  bei  denen  der  Gläubiger  sofort  den  Besitz  über- 
nehmen muhte.  Denn  durch  das  vorgeschrittene  Zwangsvoll- 
streckungsverfahren war  der  Gläubiger  ebenso  sicher  gestellt  wie 
bei  sofortiger  Übernahme  des  verpfändeten  Grundstücks.  Wir 
wollen  uns  hier  mit  der  Entwickelung  der  Hypothek  befassen  '•). 
Betrachten  wir  dabei  zuerst  die  Hypothek  zur  Sicherstellung  von 
Forderungen  jüdischer  Gläubiger  und  dann  die  Hypothek  der  kauf- 
männischen sowie  anderer  Gläubiger  überhaupt. 

I.  Die  Hypothek  zur  Sicherstellung  von  Forderungen 
jüdischer  Gläubiger  (sog.  „Jewish  Gage“). 

Die  .Juden  wurden  kurz  nach  der  normannischen  Eroberung 
nach  England  gerufen.  Sie  kamen  aus  der  Normandie  und  wurden 
in  Wirklichkeit  die  Leibeigenen  (serfs)  des  Königs.  Sie  waren 
hereingerufen  worden,  um  den  König  mit  Geld  zu  versehen,  und 
ihre  Stellung  beruhte  auf  dem  Prinzipe,  (lall  der  Jude  und  Alles, 
was  er  hatte,  dem  König  gehörte*).  Es  war  den  Juden  gestattet, 
Geld  auszuleihen;  auch  konnten  sie,  was  zu  jener  Zeit  des  kanonischen 
Zinsverbotes  von  besonderer  Bedeutung  war,  Geld  auf  Zinsen  ver- 
geben3;. Mit  dem  Fortschritte  der  Gewerbstätigkeit  und  des  Handels 

*)  Vgl-  die  jüngere  Satzung  iles  deutschen  Hechts:  siehe  Uierke, 
Deutsches  Privatrecht,  Bd.  II,  S.  818 — 826. 

*)  Bracton.,  f.  386b:  Plowden,  Usury  and  Annuities,  S.  95,  96: 
Uro  ss,  I’ublicatiuns  Angl.  Jew.  Bist.  Kxhib.,  I,  S.  203,  204.  Der  König 
konnte  sogar  die  ganze  Judunschaft  (Judaistn um,  Jewry)  verpachten  oder 
verpfänden.  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  I,  S.  472. 

3)  Grogs,  a.  a O.,  I,  S.  207  ff.  Siehe  auch  Jacobs,  Jews  of  Angevin 
England,  S.  IX— XXII. 


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unter  Heinrich  I.  und  Heinrich  II.  vermehrte  sich  ihr  Reichtum  be- 
deutend. Auch  die  Kreuzfahrer  gaben  ihnen  vorzügliche  Gelegen- 
heit, Geld  zu  verdienen.  Diese  übergaben  ihnen  ihr  Eigentum 
zur  Sicherstellung  der  aufgenommenen  Darlehen,  und  da  viele 
von  ihnen  niemals  zurückkehrten  und  die  Pfänder  daher  nicht  aus- 
gelöst wurden,  so  fiel  den  jüdischen  Gläubigern  in  vielen  Fällen 
das  Vermögen  gänzlich  anheim  ‘). 

Da  die  Schuldner  der  Juden  in  Wirklichkeit  auch  die  Schuldner 
des  Königs  waren,  so  konnte  dieser  die  Forderungen  der  Juden 
übernehmen,  wie  ihm  denn  schriftliche  Beweise  gegen  die  Schuldner 
stets  erwünscht  waren2).  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daü  schon 
vor  der  Zeit  Richards  I.  die  Juden  gewohnt  waren,  falls  sie  Ge- 
walttätigkeiten seitens  des  Volkes  befürchteten,  ihre  Schuldver- 
schreibungen oder  Schuldanerkennungen  (bonds  or  recognizances 
of  debt)  an  irgend  einem  sicheren  Orte  niederzulegen,  z.  B.  im 
Dom  ihres  Wohnortes.  Erst  gegen  die  Mitte  der  Regierung 
Richards  I.  hat  man  die  Kasten  zur  Aufbewahrung  dieser  Obli- 
gationen systematisch  eingerichtet5).  Die  Capitula  de  Judaeis 
des  Jahres  1194  enthalten  Verordnungen  des  Königs  hierüber4), 
und  bald  wurde  auch  eine  besondere  Abteilung  in  der  königlichen 
Schatzkammer  (royal  Exchequeri  die  sog.  Schatzkammer  der 
Juden  (Exchequer  of  the  Jews)  — zum  Zwecke  einer  allgemeinen 
Aufsicht  über  dieses  System  der  Kasten  eingerichtet5;. 

Gewisse  Städte  wurden  ausgewählt,  woselbst  ein  offizieller 
Vorstand  (offieial  board),  zusammengesetzt  aus  Juden  und  Christen 
die  Eintragung  der  jüdischen  Darlehen  und  der  zu  ihrer  Sicher- 
heit gegebenen  Pfänder  zu  überwachen  hatte.  Es  scheint  sogar, 
dal)  die  Darlehen  in  Gegenwart  der  Beamten  aufgenommen  wurden. 
Die  Urkunde  oder  Anerkennung  der  Schuld,  versehen  mit  dem 

■)  Gros  s,  a.  a.  O.,  I , S.  172,  173. 

*)  l’ollock  and  Mailland.  a.  a.  (>,,  I,  S.  468 — 470. 

3)  Sicliu  Gross,  a.  a.  (>.,  I,  S.  170—230:  Mack» tone.  11,  c.  20: 
Plowden,  a.  a.  ■•..  S.  95—98. 

*)  Hovcdcn,  III.  S.  266.  267. 

5)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  •).,  1,  S.  470.  Siehe  auch  Gross, 
a.  a.  0.,  I.  S.  172:  Rigg,  Select  Plcas,  Starrs  and  other  Records  from  the 
Roll»  of  the  Kjchcqucr  of  the  Jews  A.  I).  1220—1284  (Seid.  Soc.),  S.  XX: 
llaaeltiiie,  The  Kxehcqucr  of  the  Jews  (I.aw  tjuarterly  Review,  Ud.  Will;- 


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•279 


Siegel  des  Schuldners,  mußte  aus  zwei  Teilen  bestehen;  einer  der- 
selben wurde  dein  jüdischen  Gläubiger  übergeben,  der  andere,  der 
„pes“  oder  Fuß,  wurde  in  dem  gemeinsamen  Kasten  (ehest  oder 
arc)  deponiert1)-  Alle  Übertragungen  von  Obligationen  von  seiten 
der  Parteien  oder  Zahlungen  der  letzteren  mußten  in  die  Proto- 
kolle des  offiziellen  Vorstandes  eingetragen  werden“).  Späterhin 
wurden  gewisse  Änderungen  in  der  Organisation  dieser  Kasten 
getroffen.  Die  Anerkennungen  scheinen  zeitweise  in  dreifacher  Beur- 
kundung ausgestellt  worden  zu  sein,  wovon  das  dritte  Exemplar  dem 
christlichen  Schuldner  übergeben  wurde.  Wurde  die  Schuld  bezahlt, 
so  wurde  ein  release  oder  quit-claim,  „shetar“  oder  „starr  um“ 
von  dem  Juden  ausgeschrieben,  und  indem  er  diesen  den  Beamten, 
welche  den  Kasten  in  Verwahrung  hatten,  überreichte,  händigte 
dieser  dem  Schuldner  den  vorschriftsmäßig  annullierten  „pes“ 
der  Schuldanerkennung  zurück*).  Um  eine  Forderung  zu  verkaufen 
oder  zn  übertragen,  mußte  der  jüdische  Gläubiger  eine  Erlaubnis 
seitens  des  Königs  einholen.  Im  dreizehnten  Jahrhundert  wurde 
von  den  Juden  verlangt,  daß  sie  in  Städten  wohnten,  wo  sich 
Kästen  befanden '). 

Wie  es  scheint,  gab  es  kein  Gesetz,  welches  ausdrücklich  die 
Juden  verhinderte,  Land  zu  besitzen4),  und  die  allgemeine  Be- 
stimmung, welche  sich  in  gewissen  feoffments  befindet,  daß  das 
Land  keinem  Juden  verkauft  oder  verpfändet  werden  sollte,  deutet 
darauf  hin,  daß  Juden  zuweilen  Grundeigentümer  waren.  Später- 
hin verursachte  jedoch  der  Umstand,  daß  der  Jude  viel  Grundbesitz 
erwarb,  und  obendrein  als  freehold,  einen  heftigen  Widerspruch 
bei  den  Christen,  dessen  Resultat  das  Edikt  von  1271  war,  gemäß 
welchem  die  Juden  hinfort  keine  free  tenements  mehr  besitzen 


■)  V'crgl.  I’ollock  and  Maitland,  ».  a.  0.,  1,  S.  475. 

’)  Hovcdcn,  111.  S.  266,  267:  Gross,  a.  a.  0.,  1,  S.  182,  183. 

*)  Das  älteste  bekannte  „slietar"  (aus  der  Zeit  Richard  I.)  ist  zu 
linden  bei  Jacobs,  a.  a.  0.,  S.  58. 

4)  Gross,  a.  a.  <).,  I,  S.  183 — 186.  Betr.  der  Übertragung  von  Schuld- 
forderungen  und  verpfändetem  Lande  durch  jüdische  Gläubiger  siebe  Hör  wood, 
Y.  B.  32-33  Ed.  I,  S.  XU,  XLH;  Y.  H.  32-33  Ed.  1.  S.  355,  356:  Trans- 
lation of  Untranslatcd  Documenta  in  Stubbs’  Collection,  S.  252. 

4)  Bracton.  f.  13. 


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•’«0 

durften  ').  Jedoch  wurde  ihnen  seit  alter  Zeit  Land  zur  Sicherung 
ihrer  Anleihen,  die  zu  machen  sie  ja  nach  England  gerufen  wurden 
waren,  verpfändet;  und  obgleich  über  das  jüdische  Pfand  wenig 
bekannt  ist,  so  scheint  es  doch  ziemlich  gewiß,  daß  der  jüdische 
Gläubiger  sehr  selten  den  Besitz  des  Landes  übernahm,  auf  alle 
Fälle  aber  sehr  selten  im  Besitze  des  verpfändeten  Landes  ver- 
blieb3), und  daß  er  als  Pfandnehmer  nicht  als  Einer  angesehen 
wurde,  der  einen  Platz  in  dem  feudalen  System  der  lords  and 
tenants  inne  hatte.  Das  jüdische  Pfand  scheint  in  der  Tat  eine 
Form  der  Sicherheitsstellung  gewesen  zu  sein,  welche  bis  dahin 
in  England  unbekannt  war,  und  der  jüdische  Gläubiger  hatte  als 
solcher  eigenartige  Rechte  am  Lande  des  Schuldners,  wennschon 
der  letztere  den  Besitz  beibehielt*). 

Das  jüdische  Pfand,  welches  dem  Gläubiger  Rechte  am  Lande 
verlieh,  ohne  daß  er  den  Besitz  des  letzteren  übernahm,  war  eine 
Form  der  Sicherheitsleistung,  die  dem  Prinzipe  des  feudalen  Grund- 
besitzes, welches  Übergabe  des  Besitzes  (livery  of  seisin)  verlangte, 
strikt  zuwiderlief;  und  diese  neue  und  ausländische  Einrichtung 
wurde,  wie  es  scheint,  möglich  gemacht  im  Interesse  des  Handels 
durch  das  System  der  Protokollierung,  welches  wir  eben  beschrieben 
haben.  Dieses  System  gestattete  nicht  nur  ein  freies  Handeln  in 
bezug  auf  die  den  Juden  zustehenden  Forderungen*),  sondern 
ermöglichte  dem  Schuldner,  im  Besitze  des  Landes  zu  verbleiben, 
das  er  für  seine  Schuld  verpfändet  hatte.  Kurz  gesagt,  die  Pro- 
tokollierung brachte  die  Öffentlichkeit  mit  sich,  ohne  die  beschwer- 
liche Prozedur  der  Übergabe  des  Besitzes  (livery  of  seisin),  und 
es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß,  wären  die  Juden  nicht  ver- 
trieben worden  5)  und  wenn  das  Königsgericht  sich  der  Einführung 


')  Gross,  a.  a.O.,1,  8.  203,204:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  I, 
8.  473.  Vcrgl.  Jacobs,  „The  London  Jewry,  1290-  (in  Publications  Angl. 
Jew.  Hist.  Exhib.,  I,  S.  20-52)  8.  33. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  8.  123. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a,  a.  0.,  I,  S.  469,  473. 

4)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  123,  124:  Gross,  a.  a.  O.,  I, 
8.  207.  Vcrgl.  Gross,  a.  a.  O.,  S.  191. 

s)  Die  Juden  wurden  iin  Jahre  1290  aus  England  vertrieben.  Horwond, 
Y.  B.  20-21  Ed.  I,  Prcface,  S.  X. 


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•281 


einer  derartigen  Pfandform  geneigt  gezeigt  hätte,  die  spätere 
Geschichte  des  englischen  Pfandrechts  ganz  anders  sich  gestaltet 
haben  würde.  Es  ist  sogar  möglich,  daß  das  klassische  mortgage 
durch  bedingte  Übereignung  einer  solchen  viel  einfacheren  Form 
gewichen  wäre1). 

Die  Verpfandung  der  lands  und  tenements  an  jüdische  Gläu- 
biger, welche  den  Besitz  nicht  übernehmen,  geschieht  durch  Pro- 
tokollierung eines  gesiegelten  schriftlichen  Vertrages  durch  öffent- 
liche Beamten  beim  jüdischen  Kanzleigericht  oder  in  gewissen 
Städten  *). 

Um  Kapital  und  Zinsen  sicherzustellen,  kann  der  Schuldner 
gewisse  Grundstücke  hypothekarisch  belasten5).  Bis  zum  Jahre 
1 234  konnte  Land  in  jedweder  Besitzform  (tenure)  belastet  werden ; 
von  dieser  Zeit  ab  waren  gewisse  Krongüter  (crown  demesne  lands 
held  in  socage  or  villeinage)  hiervon  ausgeschlossen4). 

Andererseits  erstreckt  sich  die  Verpfändung  den  Worten  der 
Verpfändungsurkundc  nach  oft  auf  das  gesamte  bewegliche  und 
unbewegliche  Vermögen  des  Schuldners.  Zuweilen  sagt  der  Schuldner 
sogar,  daß  bei  etwaiger  Zablungsversäumnis  seinerseits  all  seine 
Habe,  beweglich  und  unbeweglich,  gepfändet  werden  kann5). 
Augenscheinlich  wird  durch  solche  Schuldanerkennungen  oder  bonds, 
was  bewegliches  Vermögen  anbelangt,  nur  ein  Recht  zur  Pfändung 
der  Sachen,  die  sich  in  den  Händen  des  Schuldners  befinden,  ge- 
schaffen, dagegen  keine  Hypothek  oder  dingliches  Recht,  welches 
dem  Gläubiger  gestatten  würde,  diese  Sachen  von  dritten  Personen 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0-,  II,  S.  124. 

s)  Siehe  über  dieses  System  der  archae  und  rotuli  oben  S.  278,  279. 
Vgl.  Rigg.  Jcwish  Eich.  (Seid.  Soc.),  S.  XIII,  XXXVII,  136  (s.  v.  stallarc). 
Über  die  Protokollierung  (enrollinent)  von  Erkunden  beim  Great  Exchequor 
siehe  Hall,  Red  Book  of  Exchoquer,  I,  S.  XIX-XXXV. 

*)  Siehe  Jacobs,  Jews  of  Angevin  England,  S.  57,  66.  67,  70-72,  99, 
215,  216,  220,  221,  234:  Jewish  Eich.  (Seid.  Soc.),  S.  45.  Über  die  Ver- 
pfandung von  Renten  und  Schuldurknnden  (chirographs  of  debt)  siche  J acobs. 
a.  a.  O,,  8.  99 ; Jewish  Eich.  (Seid.  Soc.),  S.  28,  29,  33,  34,  43-45. 

*)  Rigg)  Jewish  Exch.  (Seid.  Soc.),  S.  XIII. 

5)  Siehe  Jewish  Exch.  (Seid.  Soc.),  S.  XIX  (Anna.  1),  33,  34,  92-94, 
102;  Webb,  yuestion,  App.  No.  19,  30,  31.  Siehe  ferner  Jewish  Exch. 
(Seid.  Soc.),  S.  67,  68,  91,  93. 


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•>82 


zu  reklamieren ').  Es  ist  jedoch  erwiesen,  daß  durch  die  Ver- 
pfandung von  Land  an  Juden  mittelst  protokollierter  Verträge  ein 
dingliches  Recht  zum  Zwecke  der  Sicherheitsstellung  geschaffen 
wurde.  Wenn  der  Erwerber  des  durch  die  Schuld  belasteten 
Landes  sich  weigert,  die  Schuld  nebst  Zinsen  zu  bezahlen,  so 
wird  die  seisina  des  l^andes,  das  er  in  Händen  hat,  dem  Juden 
übergeben  *).  . . 

Hei  Zahlungsversäumnis  kann  der  Gläubiger  die  Klage  action 
of  debt  anhängig  machen,  was  die  Zwangsvollstreckung  zur  Folge 
hat  *).  Werden  die  Rechte  aus  der  Belastung  des  Lande?  geltend 
gemacht,  so  erhält  der  Gläubiger  vom  Gericht  die  seisina  des 
Landes4).  Der  Gläubiger  kann  dann  das  Land,  nachdem  er  es 
auf  ein  Jahr  und  einen  Tag  im  Besitz  gehabt  hat.  während  welcher 
Zeit  dem  Schuldner  noch  die  Möglichkeit  der  Wiedereinlösung  ge- 


')  Das  jüdische  Mobiliarpfaud  scheint  ein  solches  mit  sofortigem  Besitz 
des  Gläubigers  zu  sein.  Siehe  den  Aufsatz  des  Verfassers  der  vorliegenden 
Arbeit,  The  Eichequer  of  the  Jews  (Law  Quarterly  Review,  XVIII,  S.  308). 
Vergl.  ltigg,  a.  a.  0.,  S.  XIII. 

’)  Siche  Jewish  Esch.  (Seid.  Soc.),  S.  18.  f>3:  Los  Estatutes  de  la 
Jeneric,  Stats.  of  Hcalin,  I,  p.  221 : Madoi,  Hist,  of  Elch.,  I,  S.  233, 
Anni.  (y).  Vgl.  den  Rechtsfall  De  Sawston  v.  Da  Senlis.  Jewish  Eich. 
(Seid.  Soc.),  S.  53.  Der  Erwerber  kann  jedoch  seinen  warrantor  auffordern, 
seiner  Gewährleistung  nachzukominen  (vouch  his  warrantor).  Siehe  den  Rcchts- 
fall  in  Jewish  Eich.  (Seid.  Soc.),  S.  (>3. 

s)  Unsere  Quellen  enthalten  eine  grolle  Anzahl  von  Schuldklagen 
lactions  of  debt).  Siehe  z.  II.  Tovcy,  Anglia  Judaica.  S.  42,  43,  50:  l*rynne, 
Demurrer,  part  2,  S.  11:  Cole,  Dokuments  of  13th  and  14th  Centimes, 
S.  285 — 332:  Jewish  Eich.  (Seid.  Soc.)  s.  v.  Debt. 

Der  Zwangsvollstreckungsprozess  der  Lea  Estatutes  de  laJeuerie, 
State,  of  Realin,  I,  S.  221,  221a  ist  ziemlich  derselbe  wie  derjenige  des 
Stat.  West.  II,  c.  18. 

4)  Siehe  Jacobs,  a.  a.  O.,  S.  57,  HO,  231  (und  vgl.  233),  234;  Webb, 
a.  a.  <).,  App.  No.  4:  Hracton's  Note  Hook.  pl.  301:  l’lac.  Abb.  (Ree.  Codi.), 
S.  58;  .Eichequer  Heceipt  Roll,  1185"  (mit  Vorwort  von  Hubert  Hall),  S.  31: 
Lea  Estatutes  de  la  J eue r ie,  Stats.  of  Realm.  I,  S.  221  a:  Goldschmidt, 
Geschichte  der  Juden  in  England,  S.  t>9.  Anni.  37:  Jewish  Eich.  (Seid.  Soc  ), 
S.  XII.  XXXVIII  (Anm.  1),  (J3,  und  Indei  v.  v.  scisin.  Vgl.  Rigg,  a.  a.  0., 
S.  XXXV'.  Auf  ähnliche  Weise  kann  der  Rechtsnachfolger  des  jüdischen 
Gläubigers  die  seisina  des  verpfändeten  Landes  pcrpraeceptuin  Domini 
Hcgis  erhalten.  Siehe  Webb,  a.  a.  ().,  App.  6. 


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■2*3 


geben  war,  verkaufen ')  oder  solange  behalten,  bis  er  sich  durch 
die  Renten  und  Erträge  für  befriedigt  hält8). 

Während  sich  das  Land  in  seinem  Besitz  befindet,  hat  der 
Gläubiger  keine  feudal  seisin.  sondern  die  seisina  ut  de  vadio, 
den  Besitz  als  Pfandgläubiger *);  diese  seisin  das  Juden  oder 
seines  Rechtsnachfolgers  wird  vom  Gericht  geschützt4). 

Aus  den  Quellen,  die  zu  unserer  Kenntnis  gekommen  sind, 
ist  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  ersehen,  ob  das  durch  die  Charters 
Richards  I.  und  Johns  verliehene  Verkaufsrecht  besagt,  daß  das 
Land  nach  Ablauf  des  Jahres  und  einen  Tages  gänzlich  dem 
Gläubiger  verfällt,  und  ob  sein  Rechtstitel  am  Lande  durch  Erwerbung 
des  Vorkaufsrechts  perfekt  wird5),  oder  ob  der  Gläubiger  ver- 
pflichtet ist,  dem  Schuldner  über  den  aus  dem  Verkaufe  erzielten 
Betrag,  soweit  er  den  Betrag  der  Schuld  nebst  Zinsen  über- 
schreitet, Rechnung  abzulegeu.  Es  mag  sein,  daß  die  noch  un- 
gedruckten  Protokolle  des  Jewisli  Exchequer  Antwort  hierauf 
geben  können.  Was  das  dreizehnte  Jahrhundert  anlangt,  so  ist 
wohl  anzunehmen,  daß  eine  Rechnungsablegung  im  Falle  des 
Verkaufs  stattgefunden  hat,  genau  so  wie  in  solchen  Fällen,  wo 
der  Gläubiger  seine  Fordemng  dadurch  deckte,  daß  er  die  Erträge 
des  Landes  an  sich  nahm. 


')  Foedcra,  I,  S.  öl  (siehe  Jacubs,  a.  a.  0.,  S.  134-138):  Kotul i 

Chartaruni,  hrsg.  v.  Hardy,  I,  S.  93  (siehe  auch  Tovey,  a.  a.  0.,  S.  62-G4, 
und  Jacob»,  a.  a.  0.,  S.  212-214):  Goldschmidt,  a.  a.  Ö.,  S.  21,  22:  Kigg, 
a.  a.  0.,  S.  XIII.  Siehe  Wcbb,  a.  a.  0.,  App.  No.  14.  Kichard  I.  Carta 
quä  plurimae  libcrtate»  Judeis  conccduntur  et  con  firmantur 
(1190),  Foedera,  I,  S.  öl:  Kt  liceat  predictis  Judeis  quiete  vemlere  vadia 
sua,  post  quam  cortum  crit  illos  ipsa  per  unuiu  annurn  integrum  et  unuui 
diem  tonuisse. 

*)  Siehe  unten  S.  284,  Anm.  1. 

3)  Siehe  Jacobs,  a.  a.  0.,  S.  231:  Wcbb,  a.  a.  0.,  App.  No.  4,  8: 
Kigg.  a.  a.  0..  S.  XIII,  XXXVIII,  Anm.  1. 

*)  Siehe  l'lac.  Abb.  (Ree.  Com.),  S.  G4,  82.  17ö:  Kractou’s  Note  Book, 
pl.  301,  1825:  Jacobs,  a.  a.  ().,  S.  191,  234:  Wobb,  a.  a.  O.,  App.  No.  G 

5)  Vgl.  Wigmore,  The  Pledge-tdea,  Harv.  L.  R.,  X,  S.  335:  Pollock 
and  Maitland.  a.  a.  0.,  II.  S.  90-92.  Durch  Übereinkommen  mit  hoch- 
gestellten  Persönlichkeiten  wurde  es  zuweilen  ermöglicht,  die  Kinlösung  auf 
unbestimmte  Zeit  hinauszuschieben,  „thus  compassing  by  sharp  practicc 
what  we  now  eall  foreelosnre."  Kigg,  a.  a.  0.,  S.  XXXVII. 


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284 


Tilgt  der  Gläubiger  tatsächlich  seine  Forderung  aus  den 
Renten  und  Erträgen,  so  besitzt  er  das  Land  als  vivura  vadium. 
Der  Schuldner  kann  den  Gläubiger  durch  die  Klage  action  of 
Account  zur  Rechnungsablegung  zwingen;  hat  der  Gläubiger  mehr 
genommen,  als  ihm  zur  Deckung  der  Schuld  nebst  Zinsen  zusteht, 
so  ist  dieser  Überschuß  dem  Schuldner  zurückzugeben.  Ist  das 
Land  freehold  Besitz,  so  kann  der  Gläubiger  wegen  Beschädigung 
(waste)  belangt  werden;  der  Anspruch  auf  die  Klage  action  of 
Account  verjährt,  wie  es  scheint,  nicht1)- 

II.  Die  Hypothek  zur  Sicherstellung  von  Forderungen 
kaufmännischer  und  an  derer  Gläubiger  (sog.  recognizances 
and  Statutes). 

Ein  „bond“  ist  nach  englischem  Recht  eine  gesiegelte  Urkunde, 
durch  welche  eine  neue  und  rein  persönliche  Verbindlichkeit  ohne 
dingliche  Wirkungen  geschaffen  wird*).  Eine  „recognizance’)“ 
jedoch  ist  eine  freiwillige,  schriftliche,  gesiegelte  und  in  die  Ge- 
richtsprotokol le  eingetragene  Anerkennung  einer  bereits  bestehenden 
Verbindlichkeit.  Die  recognizance  erzeugt  sowohl  Rechte  in  rem, 
wie  Rechte  in  personam.  Durch  dieselbe  wird  ein  Pfandrecht 
am  Eigentum  des  Schuldners  geschaffen,  fast  in  gleicher  Weise, 
wie  dies  durch  ein  Urteil  geschieht.  Die  hypothekarische  Belastung 
des  Eigentums  des  Schuldners  geschieht  behufs  Sicherstellung 
einer  Forderung.  Bei  Zahlungsversäumnis  des  Schuldners,  des 
„conusor,“  können  die  Rechte  aus  dieser  Sicherheit  von  dem  Gläubiger, 
dem  „conusee“,  mit  Hilfe  des  Gerichts  geltend  gemacht.  Der 
Gläubiger  kann  tatsächlich  eine  persönliche  Klage,  ein  action  of 
Debt4),  gegen  den  Schuldner  anhängig  machen;  doch  kann  er  sich 

*)  Siehe  Jcwish  Eich.  (Seid.  Sec.),  S.  XIÜ,  XXXVIII  (Anm.  1).  LVII, 
10-27,  43-45,  89-91:  Chapitles  T u c li n u « i La  flyncrie,  Jcwish  Exch. 
(Sold.  Soc.),  S.  LXI:  Les  Estatutc*  de  la  Jeucrie.  Stats.  of  Kealm,  l, 
S.  221a:  Jacobs,  a.  a.  ()..  233. 

*)  Siehe  Shcppard,  Touchs  tone,  S.  3457,  395a:  Pollock  and  Mait- 
land,  a.  a.  0.,  II,  S.  225,  227. 

*)  Siehe  Blackstone,  II.  c.  20,  §2.  Andere  Bezeichnungen  für  die 
recognizance  sind  .bond  of  rccord",  .contract  of  reeord“.  .ncknowledgincnt 
or  Obligation  of  rccord".  Siehe  Bacon,  Abridgnient,  tit.  Kxecution  (B),  § 1: 
Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0.,  II,  S.  204. 

')  Über  die  Action  of  Debt  siehe  oben  S.  35.  158,  160 — 164. 


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•285 

gleichzeitig  seines  weiteren  Rechts,  seines  dinglichen  Rechts  be- 
dienen, welches  es  ihm  ermöglicht,  Eigentum  des  Schuldners,  da> 
durch  die  Hypothek  belastet  ist,  mit  heranzuziehen,  gleichgültig, 
ob  das  Eigentum  zur  Zeit  der  Vollstreckung  noch  in  den  Händen  des 
Schuldners  selbst  oder  in  den  Händen  eines  Käufers  sich  befindet. 

Welches  ist  nun  die  Bedeutung  einer  recognizance  im  Im- 
mobiliarrecht und  besonders  im  Immobiliarpfandrecht? 

In  den  Jahrhunderten  unmittelbar  nach  der  normannischen 
Eroberung  erreichte  das  feudale  System  des  Grundbesitzes  eine 
hohe  Entwickelung ')  und  die  Unveräußerlichkeit  ohne  die  Erlaubnis 
des  Grundherrn  des  freehold  tenant  war  eins  der  vornehmsten 
Prinzipien  des  Systems2).  Es  war  auf  Grund  dieses  Prinzipes 
des  feudalen  Systems,  daß  das  ältere  gemeine  Recht  die  Zwangs- 
vollstreckung in  Land  lur  Schulden  oder  Schadenersatz  ver- 
hinderte, denn  andernfalls  hätte  dem  Grundherrn  gegen  dessen 
Willen  ein  neuer  tenant  aufgedrängt  und  eine  Veräußerung  des 
Landes  durch  diesen  verwickelten  Prozeß,  der  dem  Geiste  des 
feudalen  Systems  widersprach,  herbeigefUhrt  werden  können1). 
Ähnlich  verhinderten  die  feudalen  Prinzipien  die  Fortnahme  der 
Person  des  Schuldners  im  Wege  der  Zwangsvollstreckung  behufs 
Beitreibung  der  Schuld,  denn  auf  diese  Weise  würde  dem  Grund- 
herrn die  Möglichkeit  entzogen  worden  sein,  über  die  Dienste 
seines  tenant  verfügen  zu  können.  Das  Meiste,  was  nach  altem 
gemeinen  Recht  der  Gläubiger  im  Wege  der  Zwangsvollstreckung 
behufs  Tilgung  seiner  Forderung  erlangen  konnte,  war  das  Mobiliar 
und  die  Kenten  und  Erträge  des  Landes,  welches  der  Schuldner 
besaß. 


')  Siehe  Butler,  Anin.  VI  (I)  zu  Oo.  Lit.  191a;  Williams,  a.  a.  0. 
S.  12-15.  37.  Betreffs  eines  Vergleiches  des  englischen  Feudalsystems  mit 
dein  Lehnswesen  des  Continents  siehe  Butler,  Anm.  zu  Co.  Lit,  191a. 

*)  W right,  a.  a.  0.,  S.  154  ff.:  Butler,  Anm.  (VI,  5)  zu  Co.  Lit.  191a  : 
Williams,  a.  a.  ().,  S.  tifi,  359,  359.  Siehe  aber  Williams,  a.  a.  O.,  S.  Ml, 
Anm.  (p.). 

Unter  der  Regierung  Johns  scheint  von  der  Erlaubnis  zur  Verpfandung 
von  Land  häutig  Gebrauch  gemacht  worden  zu  sein.  Rot.  Pat.,  I,  3.  1,  7, 
59;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  0„  I.  S.  341,  Anm.  3. 

3)  Bacon,  Abr.  tit.  Execution  (A):  Wright,  a.  a.  O.,  S.  170;  Cootc, 
Mortgage,  2.  Aull.,  S.  t!6.  Siche  Butler,  Amu.  (VI,  5)  zu  Co.  Lit.  191a 
uud  Wright,  a.  a.  O..  S.  170,  Anui.  (b). 


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Nach  und  nach  wurde  es  zur  Gewohnheit,  diese  strikte  Kegel 
gegen  die  Veränderlichkeit  im  Interesse  des  tenant  weniger  schroff 
zu  handhaben1),  und  im  Jahre  1290  ermöglichte  das  Statute  of 
Quia  Emptores*)  die  volle  und  freie  Veräußerliehkeit  der  estates 
in  fee  simple. 

Die  Sicherheitsleistungen  durch  recognizance  haben  eine  be- 
sondere Bedeutung  in  der  Geschichte  des  Immobiliarrechts,  indem 
sie  das  Bestreben  veranschaulichen,  selbst  vor  der  Quia  emptores 
die  Einschränkung  der  Veräußerliehkeit  zu  durchbrechen5).  Eine 
wirksame  Handhabe  zur  Sicherung  und  Durchführung  einer  prompten 
Zahlung  von  Schulden  scheint  für  die  Entwickelung  des  englischen 
Handels  im  dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhundert  äußerst  not- 
wendig gewesen  zu  sein.  Die  Protokollierung  der  recognizances 
trug  in  beträchtlichem  Umfange  zur  Schaffung  einer  solchen 
Möglichkeit  bei  *),  denn  durch  die  writs,  welche  zur  Geltendmachung 
der  Rechte  aus  solchen  recognizances  als  Zusatz  zu  den  alten  ge- 
meinrechtlichen writs  of  fieri  facias  und  levari  faeias,  vor- 
gesehen waren,  konnte  sich  jetzt  der  Gläubiger  sowohl  an  das 
Mobiliar,  wie  an  das  Immobiliar,  außerdem  aber  auch  an  die 
Person  des  Schuldners  selbst  halten.  Die  alte  Regel  gegen  die 
Veräußerliehkeit  war  hier  zu  Gunsten  des  Standes  der  Handel- 
treibenden durchbrochen  worden 5). 

Weiterhin  haben  Schuldanerkennungen  eine  Bedeutung  im 
Pfandrecht,  indem  sie  die  frühen  Phasen  der  Entwicklung  des 
Hypothekenwesens  in  England  illustrieren.  Man  nimmt  an,  daß 
wenn  die  Kaufleute  durch  die  Schuldanerkennung  eine  hypothe- 
karische Belastung  des  Landes  herbeiföhrten , dies  hauptsächlich 
darin  seinen  Grund  hatte,  daß  sie  sich  nicht  mit  dem  sofortigen 

,)  Williams,  n.  a.  0.,  S.  38,  359.  Siehe  Wrigbt,  a.  a.  0.,  S.  170. 
Anm.  (a):  Bacon,  Abr.  tit.  Kxecution  'A):  Keeves,  a.  a.  0.,  I,  S.  243-247. 

*)  18  IM.  I,  st.  1,  Stats.  of  Kcalni.  I,  S.  106. 

3)  Williams,  a.  a.  0.,  S.  202;  Hlackstone,  II,  c.  10,  § V. 

4)  Blackstone,  IV,  c.  33.  $ 111:  Cun ni nghain,  The  Uruwth  ofKngliab 
Indnstry  aml  Commerce  during  the  Early  and  Middle  Ages,  3.  Aull.,  S.  222. 
Anm.  3,  281-283,  290.  Siehe  ferner  über  die  ökonomische  Bedeutung  dieser 
Pfandformen  Bacon,  Abr.,  tit.  Kiecution  (A):  Keeves,  a.  a.  O.,  II,  S.  270 
bis  279:  I’algravc,  Dictionary  of  Political  Economy,  III,  S.  470,  471: 
I!  ogers.  Industrial  and  Commercial  Historv  of  England  (1892),  S.  71,  72. 

ft)  Siehe  I"1  int  off,  Conveyancing,  S.  243. 


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'2X7 

Besitz  des  Landes  befassen  wollten.  Zahlte  der  Schuldner  nicht, 
so  konnte  natürlich  die  Notwendigkeit  für  den  (»laubiger  eintreten, 
den  Besitz  zu  übernehmen  und  die  Schuld  aus  den  Renten  und 
Ertrügen  zu  tilgen.  Aber  bis  zur  Zahlungsversäumnis  war  sein 
hypothekarisches  Recht,  welches,  wenn  nötig,  mit  Hilfe  des  ge- 
samten Apparates  des  gerichtlichen  Vollstrecknngsverfahrens  durch- 
geführt werden  konnte,  alles  was  er  brauchte,  denn  er  war  jetzt 
ein  sichergestellter  Gläubiger'). 

Die  Geschichte  der  Entwickelung  der  Rechte  des  Gläubigers 
gegen  die  Person  des  Schuldners  und  dessen  Eigentum  in  der 
Zeit  von  der  normannischen  Eroberung  bis  auf  den  heutigen  Tag 
ist  lang  und  verwickelt  und  kann  hier  nicht  eingehend  besprochen 
werden.  Alles,  was  wir  zu  tun  gedenken,  ist,  die  mittelalterliche 
Gesetzgebung,  durch  welche  die  Schuldanerkennungen  geschaffen 
wurden,  in  großen  Umrissen  zu  skizzieren. 

Die  Schuldanerkennungen  wurden  vom  gemeinen  Rechte 
geschaffen , wennschon  gewisse  Arten  späterer  Sehnldaner- 
kennungen  ihre  Existenz  besonderen  Gesetzen  verdanken.  Dieser 
Unterschied  mit  Bezug  auf  den  Ursprung  muß  berücksichtigt  werden, 
denn  bei  der  späteren  Betrachtung  der  Geltendmachung  der 
Rechte  aus  der  Sicherheitsstellung  ist  dieser  Punkt  von  besonderer 
Wichtigkeit. 

Ferner  muß  scharf  unterschieden  werden  zwischen  Schuldan- 
erkennnngen,  deren  sich  gewöhnliche  Gläubiger,  und  solchen,  deren 
sich  kaufmännische  Gläubiger  bedienen.  Der  gewöhnliche  Gläu- 
biger ist  in  der  Lage  sich  erstens  der  Schuldanerkennungen  des 
gemeinen  Rechts  und  zweitens  besonderer  Schuldanerkennungen, 
welche  durch  das  Statute  of  Westminster  the  Second*)  und  durch 
das  Statute  23  Henry  VIII3),  bekannt  als  „Statutes  elegit“  und 
„recognizances  in  the  nature  of  a Statute  staple“  geschaffen 
wurden,  zu  bedienen.  Dem  kaufmännischen  (»läubiger  stehen  be- 
sondere Schuldanerkennungen  zu  Gebote.  Erstens,  diejenigen, 
geschaffen  durch  das  Statute  of  Acton  Burnel4)  und  durch  das 


')  Siehe  unten  S.  303. 

•')  13  Kd.  I,  c.  18  (A.  I)  128.1),  Stats.  of  Kealm,  I,  S.  82. 
*)  Stats  of  Realin  III,  S.  372,  373. 

«)  11  Ed.  I.  (A.H.  1283),  Stats.  of  Kealm.  I,  S.  53.  54. 


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28« 

Statute  of  Merchant« l)  und  bekannt  als  „Statutes  merchant“,  und 
zweitens,  diejenigen,  geschaffen  durch  das  Statute  of  the  Staple*) 
und  bekannt  als  „Statutes  staple.“  Die  historische  Entwicklung 
war  folgende:  1.  Becognizances  nach  gemeinem  Recht,  2.  „Statutes 
merchant“,  3.  „Statutes  elegit“,  4.  „Statutes  staple“,  „recog- 
nizances  in  the  nature  of  a Statute  staple.“ 

Schon  im  dreizehnten  Jahrhundert  und  vor  der  Gesetzgebung 
Eduards  I.  wurden  die  Judicats-Hypothek  und  die  Hypothek  durch 
recognizance  allgemein  angewandt,  als  ein  Mitfel  den  Gläubiger 
sicher  zu  stellen.  Es  ist  möglich,  daß  zum  wenigsten  die  Schuld- 
anerkennung schon  viel  früher  im  Gebrauch  war,  wennschon  das 
früheste  Beispiel,  welches  wir  aufgefunden  haben,  erst  aus  dem 
Jahre  1201  herrührt*), 

Wenn  der  Gläubiger  nicht  gewillt  war,  sich  auf  das  bloße 
Wort  oder  selbst  auf  die  gesiegelte  Urkunde  (bond)  des  Schuldners 
zu  verlassen,  so  konnte  er  die  Schuld  zu  einer  Judikatssthuld 
machen  und  sich  somit  den  Vorteil  des  gerichtlichen  Vollstreckungs- 
verfahrens sichern,  ohne  die  Weiterung,  bei  Nichtzahlung  des 
Schuldners  behufs  Wiedererlangung  seines  Geldes  erst  klagen  zu 
müssen.  Der  Gläubiger  mußte  in  erster  Linie  eine  Schuldklage 
(action  of  Debt)  erheben  und  dies  sogar  noch,  bevor  das  Geld 
hergeliehen  worden  war.  Diese  Klage,  gegen  welche  ein  Einspruch 
von  dem  Schuldner  nicht  erhoben  wurde,  hatte  sofort  ein  Urteil 
zu  Gunsten  des  Gläubigers  zur  Folge.  Bei  Nichtzahlung  am 
Stichtage  erhielt  der  Gläubiger,  der  jetzt  ein  judgment  creditor 
war,  auf  seinen  Antrag,  als  sich  von  selbst  verstehend  und  ohne 
weitere  Umstände,  ein  Zwangsvollstreckungsmandat  (writ  of  eie- 
cution ) ‘). 

Die  Schuldanerkennung  scheint  jedoch  viel  häufiger  angewendet 
worden  zu  sein,  als  das  judgment.  Die  Parteien  erschienen  vor 
Gericht,  nicht  um  ein  judgment  zu  erlangen,  sondern  um  eine 
Eintragung  in  die  Gerichtsprotokolle  vornehmen  zu  lassen,  was 
zuweilen  dem  Kompromisse  bei  einer  Schuldklage  ähnlich  sah. 

>)  13  Kd.  I,  (A.D.  1285),  Stats.  of  Rcalm,  I,  S.  98-100. 

*)  27  Kd.  III,  st.  2,  c.  9,  (A.  D.  1353),  Stats.  of  Rcalm.  I,  S.  336,  337. 

’)  Solcct  Civil  Pleas  (Seid.  Soc.)  pl.  102:  Coote,  Mortgage.  S.  82: 
Pollock  and  Maitland.  a.  a.  ().,  II,  S,  203,  204. 

*)  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  ().,  II.  S.  203,  204. 


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289 


Bei  dieser  Eintragung  gab  der  die  Anleihe  Aufnehmende  zu 
(recognoscit,  cognoscit1 * *),  daß  er  der  andern  Partei  eine  Summe 
Geldes  schulde,  und  versprach,  dieselbe  zu  einer  gewissen  Zeit 
zurückzugeben.  Gleichzeitig  willigte  er  ein  (granted),  daß,  sollte 
er  nicht  zur  rechten  Zeit  bezahlen,  der  Sheriff  den  Betrag  der 
Schuld  aus  seinem  Lande  und  sonstigen  Eigentum  erheben  darf*). 

Diese  Schuldanerkennung  oder  „contract  of  record“  oder 
„acknowledgement  or  Obligation  of  record“  war  dem  judgment 
gleichwertig.  Machte  der  Gläubiger  innerhalb  eines  Jahres  und 
eines  Tages  nach  dem  für  die  Zahlung  festgesetzten  Tage  seinen 
Anspruch  geltend,  so  war  ein  Zwangsvollstreckungsmandat  die  selbst- 
verständliche Folge,  ausgenommen  der  Schuldner  hatte  inzwischen 
die  Schuld  bezahlt  und  eine  Annullierung  (vacation)  der  Eintragung 
der  Schuldanerkennung  im  Protokolle  veranlaßt5). 

Von  den  Protokollen  (rolls)  der  Chancery  und  des  Exchequer 
wurde  behufs  Eintragung  von  Schuldanerkennungen  allseitig  Ge- 
brauch gemacht;  dies  ist  wohl  zum  Teil  darauf  zurückzuführen, 
daß  einige  der  Kanzleibeamten  gleichzeitig  bedeutende  Geldver- 
leiher waren.  Die  Praxis  der  Eintragung  von  Schuldanerkennungeu 
scheint  jedoch  eine  sehr  alte  zu  sein  und  ihre  Ähnlichkeit  mit  dem 
endgültigen  Vergleich,  dem  „fine  of  land“,  der  in  jener  Zeit  sogar 
manchmal  ein  Versprechen  zur  Zahlung  einer  Schuld  in  sich 
schloß,  die  durch  Zwangsvollstreckung  beigetrieben  werden  konnte, 
darf  nicht  unberücksichtigt  bleiben4). 

Die  gemeinrechtlichen  Zwangsvollstreckungsmandate  des  drei- 
zehnten Jahrhunderts,  das  fieri  facias  und  das  levari  facias, 
ermöglichten  es  dem  Gläubiger,  der  sich  ein  judgment  verschafft 
oder  die  Protokollierung  der  Anerkennung  hat  vornehmen  lassen, 
sich  an  das  Mobiliar  (goods  and  chattels)  und  die  Erträge  des 
Landes  zu  halten,  wenn  der  Schuldner  es  versäumte,  seiner  Ver- 


l)  Daher  der  Name  „rocognizance“. 

*)  Sei.  Civ  Pleas,  (Seid.  Soc ),  pl.  102;  Pollock  and  Maitland, 
a.  a.  0.,  II,  S.  203,  204.  Uber  die  gemeinrechtliche  rccognizance  vor  der  Ge- 
setzgebung Edward  1.  siebe  auch  Bacon,  Abr.,  tit.  Execution. 

*)  Black  stonc,  III,  c.  26,  §5;  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II, 
S.  204. 

4)  Pollock  and  Maitland.  a.  a.  O..  II,  S.  204.  Beispiele  von  „fines 
of  land“  sind  zu  linden  bei  Hunter,  Eines  sive  Pedes  Finiuui. 

Hazeltlne,  Kngliscbes  Pfandrecht  13 


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■290 


pflichtung  nachzukommen ').  Die  Gesetzgebung  Eduards  I., 
Eduards  III.  und  Heinrichs  VIII.  ermöglichte  es  dem  Gläubiger, 
sicli  auch  noch  an  das  Land  selbst,  sowie  an  die  Person  des  Gläu- 
bigers zu  halten. 

Ganz  besonders  die  Kaufleute  scheinen  seitens  des  gemeinen 
Hechts  bei  der  Eintreibung  ihrer  Forderungen  unzureichenden 
Beistand  gefunden  zu  haben.  Sie  klagten  (Iber  die  Verzögerungen 
und  Weitläufigkeiten  des  Rechtssystems,  und  viele  Kaufleute, 
welche  verarmt  waren,  verließen  das  Land*),  l'm  den  verlangten 
Beistand  leisten  zn  können  und  um  damit  nicht  nur  eine  weitere 
Auswanderung  der  ausländischen  Kaufleute  aus  dem  Lande  zu 
verhindern,  sondern  Englands  wachsenden  Handel  auch  noch  weiter 
zu  entwickeln,  schuf  das  Parlament  im  Jahre  1283  den  Act  of 
Acton  Burnel,  der  zwei  Jahre  später  durch  das  Statute  of 
Merchants  ergänzt  wurde.  In  der  Tat  zeigeu  uns  die  Können 
der  Sicherheitsleistung  und  die  schnellen  und  wirksamen  Prozesse 
zu  ihrer  Durchführung,  welche  durch  diese  Gesetze  und  die  Ge- 
setzgebung Eduards  III.  zum  ausdrücklichen  Nutzen  sowohl  der 
inländischen  wie  der  ausländischen  Kaufleute  geschaffen  worden 
waren,  wie  die  allgemeine  Politik  des  dreizehnten  und  vierzehnten 
Jahrhunderts  den  Handel  und  das  Gewerbe  zu  fördern  bestrebt 
war  *). 

Die  Schuldanerkennungen,  welche  durch  diese  beiden  Gesetze 
in  den  Jahren  1283  und  1 285  geschaffen  wurden,  wurden  bekannt 
als  „Statutes  merchant“ Mit  Hilfe  dieser  Sicherheitsstellung  konnte 
der  Kaufmann  die  Person,  das  Mobiliar  und  das  Immobiliar  des 
Schuldners  in  Anspruch  nehmen.  Die  Eintragung  (enrollment) 
des  Statute  merchant  schuf  eine  Hypothek  an  dem  gesamten 
Lande  des  Schuldners  und  ermöglichte  es  dem  Gläubiger,  das 

')  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  8.  506;  oben  S.  37. 

s)  Slat.  Acton  Bumol,  11  Ed.  I,  Stats.  of  licalm,  I,  S.  53:  Stat.  Merch., 
13  Ed.  I,  Stats.  of  Kealm.  I,  S.  08;  Rcevca,  a.  a.  0.,  II,  8.  71. 

3)  Sieh«  Bacon,  Abr..  tit.  Exccution  (B),  § 1 : Coote,  Mortgage,  S.GSfT.; 
\Vui8.  S a u n d e r s , II,  S. 2 1 6,  Amn. 3;  Blackstone,  IV,  c. 33,  § III : Cnnning- 
hani,  a.  a.  0.,  S.  134-368;  Itccves,  a.  a.  0.,  II,  S.  276  ff.;  Glasson,  a.  a.  0., 
II,  S.  238-243,  V,  S.  108-110:  Pollock  and  Maitland,  a.  a.  O.,  II,  S.  597. 

4)  Über  die  recognizance  in  den  lokalen  KechtsgebrSuchcn  der  Stadt 
Ipswich  siehe  Black  Book  of  Admirally.  II.  >S.  115;  ('unningham,  a.  a.  0., 
S.  222,  Anui.  3,  281. 


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•291 

Land  anch  dann  zu  erreichen,  wenn  es  sich  in  der  Hand  dritter 
Personen  befand.  Bei  Zahlungsversäumnis  übernahm  der  Gläubiger 
selbst  den  Besitz  des  Landes,  sodaß  er  die  Schuld  aus  den  Kenten 
und  Erträgen  tilgen  konnte. 

Wie  es  scheint,  haben  die  Vorteile,  welche  das  Statute  of 
Acton  Burnel  im  Jahre  1283  schuf,  von  seiten  der  Gläubiger 
mißbräuchliche  Anwendung  gefunden.  Ein  Gesetz  Eduards  II. 
aus  dem  Jahre  1311')  beschränkt  die  Handhabung  des  ersteren 
auf  merkantile  Transaktionen  zwischen  Kaufleuten  unter  sich  und 
erklärt,  daß  auf  Grund  des  Stiltute  of  Acton  Burnel  nur  burgage 
land  und  Mobiliar  des  Kaufmanns  dem  Gläubiger  übergeben  werden 
soll,  und  daß  das  burgage  land  einzubehalten  sei  „in  the  name 
of  frank  tenement  by  virtue  of  the  said  Statute.“  Das  letztere 
Gesetz  bestimmte  fernerhin  12  Städte,  in  denen  allein  die  Schuld- 
anerkennungen in  Gegenwart  von  vier  Zeugen  entgegengenommen 
werden  durften,  und  das  Siegel  des  Königs,  dazu  bestimmt,  die 
Rechtmäßigkeit  solcher  Scluildanerkennnngen  zu  bezeugen,  sollte 
den  „reichsten  und  weisesten“  Männern,  die  von  den  commonalties 
für  diesen  Zweck  bestimmt  wurden,  übergeben  und  von  ihnen  auf- 
bewahrt werden. 

Gleichzeitig  verfügen  die  Gesetze  Eduards  I.  ausdrücklich, 
daß  der  Kanzler  und  die  Richter  des  Exchequer  und  anderer  Ge- 
richtshöfe nicht  ihrer  alten  Rechte,  die  gemeinrechtliche  Schuld- 
anerkennung entgegenzunehmen,  verlustig  gehen  sollten.  Bei  diesen 
gemeinrechtlichen  recognizances  hatte  der  Gläubiger,  sei  er  nun 
common  creditor  oder  merchant  creditor,  bei  Zahlungsversäumnis 
des  Schuldners  noch  immer  ein  Recht  auf  die  common  law  writs 
offieri  facias  und  levari  faeias.  Nach  dem  Statute  of  West- 
minster  the  Second  vom  Jahre  1285  hatte  jeder  Gläubiger,  der 
sich  ein  judgment  verschafft  oder  die  Eintragung  der  Schuldan- 
erkennung veranlaßt  hatte,  fernerhin  ein  Recht  auf  das  writ  of 
elegit.  Nur  wenn  der  Gläubiger  den  wirksameren  Schutz  des 
Statute  merchant  wünschte,  mußte  er  gemäß  den  Bedingungen 
des  Statute  of  Acton  Burnel  und  des  Statute  Merchant  verfahren. 

Im  Jahre  1285,  dem  Jahre  der  Annahme  des  Statute  of 
Merchants,  wurde  ein  neues  writ,  das  writ  of  elegit,  durch  das 

*)  Stab.  5 Kd.  II,  c.  33,  Stals,  of  Realm,  I,  S.  165. 

19* 


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aogle 


292 


Statute  of  Westminster  the  Second  geschaffen  Unterließ  es  der 
Schuldner,  trotz  judgment  oder  protokollierter  Schuldanerkennung, 
zur  rechten  Zeit  zu  zahlen,  so  konnte  der  Gläubiger,  gleichgültig, 
ob  merchant  creditor  oder  nicht,  die  Hälfte  des  Landes  des  Schuldners 
auf  Grund  dieses  neuen  writ  in  Besitz  nehmen,  sofern  nicht 
genügend  Mobiliar  vorhanden  war,  um  daraus  die  Schuld  zu  decken. 
Aus  den  Renten  und  Erträgen  des  Landes  mußte  dann  der  Gläu- 
biger das  dem  Schuldner  geliehene  Geld  herausholen. 

Unter  der  Regierung  Eduards  III.  wurde  noch  eine  weitere 
Form  der  Sicherheitsstellung  im  Interesse  von  Handel  und  Gewerbe 
eingeführt *).  Mit  der  Ordinacio  Stapularum  oder  Statute  of 
the  Staple3)  wurden  im  Jahre  1352  eine  Anzahl  ausführlicher 
Regeln  für  die  Schaffung  und  Verwaltung  von  Stapelplätzen  (staples) 
für  den  Export  der  hauptsächlichsten  englischen  Produkte  auf- 
gestellt. Der  Markt  oder  Stapel  sollte  hinfort  nur  in  gewissen 
großen  Handelsstädten  Englands  abgehalten  werden,  und  es  wurde 
einem  englischen  Kaufmanne  als  Verbrechen  (felony)  angerechnet, 
wenn  er  eins  der  hauptsächlichsten  englischen  Produkte  exportierte; 
die  Kaufleute  der  Stapelplätze  wurden  durch  die  lex  mercatoria, 
nicht  durch  das  gemeine  Recht  oder  lokale  Gewohnheitsrecht 
regiert*).  Man  suchte  auf  diese  Weise  ausländische  Kaufleute  zu 
veranlassen,  das  Land  zu  besuchen,  und  gedachte  dadurch  mehr 
Wohlstand  in  das  Land  zu  bringen,  als  wenn  man  dem  englischen 
Kaufmannne  gestattete,  den  ausländischen  Markt  durch  Besuch 
der  großen  Handelszentralen  des  Kontinents  zu  erreichen8). 

Das  Statute  of  the  Staple,  c.  9,  sah  vor,  daß  die  Bürger- 
meister der  Stapelplätze  die  Schuldanerkennungen  in  Gegenwart 


')  13  Ed.  I,  c.  18  (1285),  Stats.  of  Realm,  I,  82. 
s)  Blackstone,  IV,  c.  33,  §111.  Siehe  auch  Carter,  Early  History 
of  the  Law  Merchant  in  England,  LQR.,  XVII,  S.  239. 

3)  27  Ed.  III,  stat.  2,  c.  9,  Stats.  of  Realm,  I,  S.  336.  Siehe  auch  stat. 
36  Ed.  III,  c.  7 (1362),  Stats.  of  Realm,  1.  S.  373. 

*)  Siehe  ferner  Reeves.  a.  a.  0..  II,  S.  278;  Carter,  a.  a.  0.,  S.  232 
bis  250;  Holdsworth,  a.  a.  0.,  I,  S.  311,  312. 

*)  Stat.  Staple,  27  Ed.  111:  Fortescue,  De  Laodibus  Legion  Augliac, 
S.  70,  71:  Coke,  4 Inst.  237,  238;  Bacon,  Abr.  tit,  Execution  (B),  § 1: 
Rcotus,  a.  a.  O.,  II.  S.  276-278;  Cooto,  Mortgage,  S.  86,  87:  Cunning- 
hain,  a.  a.  <>..  316.  317:  Brndhurst.  The  Merchants  of  the  Staple,  (Lt^R-, 
XVII,  S.  62-74). 


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293 


eines  oder  mehrerer  Konstabler  des  Ortes  entgegennahmen,  und 
dal!  nach  Anerkennung  der  Schuld  gesiegelte  Schriftstücke  oder 
Obligationen  auszustellen  waren.  Wie  es  scheint,  konnte  jeder 
Schuldner  eine  derartige  Anerkennung  vornehmen;  aber  diese  durfte 
nur  Schulden  an  Kaufleute  der  Stapelplatze  betreffen  und  mußte 
aus  diesbezüglichen  Handelsgeschäften  (staple  transactions)  er- 
wachsen sein.  Die  neue  Form  der  Sicherheitsstellung  oder  recog- 
nizance  wurde  bekannt  als  „Statute  staple.“  Sie  schuf  eine  Hypothek 
am  Lande  des  Schuldners,  und  das  Zwangsvollstreckungsverfahren 
gegen  die  Person,  Mobilien  und  Immobilien  desselben  war  schnell 
und  ähnelte  sehr  demjenigen  des  „Statute  merchant“  *). 

Obgleich  die  Sicherheitsleistung  gemäß  dem  Statute  of  the  Staple 
nur  zu  Gunsten  der  Kaufleute  in  den  Stapelplätzen  und  für  Stapel- 
geschäftc  beabsichtigt  war.  wurde  diese  Form  der  Sicherheitsleistung 
auch  von  anderen  Personen,  welche  nicht  Kaufleute  an  den  Stapel- 
plätzen und  für  Schulden,  die  nicht  Stapelschulden  waren,  ange- 
wendet. Das  Statute  of  23  Henry  VIII,  c.  6 (1531 — 32)  unter- 
sagte streng  derartige  Geschäfte,  indem  es  erklärte,  daß  das  Statute 
staple  nur  zu  den  ursprünglich  bestimmten  Zwecken  Anwendung 
finden  sollte.  Der  Vorteil  dieser  neuen  Form  der  Sicherheitsleistung 
war  jedoch  so  groß,  daß  das  Gesetz  gleichzeitig  eine  weitere  Form 
von  Sicherheitsleistung  derselben  Art  schuf,  welche  von  allen 
Gläubigem  angewendet  werden  konnte  und  unter  der  Bezeichnung 
„recognizance  in  the  nature  of  a Statute  staple“  bekannt  ist. 
Diese  Pfandform  sollte  dasselbe  Verfahren  haben  und  dieselben 
Vorteile  gewähren,  wie  das  „Statute  staple“  selbst*). 

Eine  Immobiliarverpfändung  mit  Besitz  des  Schuldners  an 
Gläubiger,  die  nicht  Juden  sind,  entsteht  daher  durch  ein  Urteil 
oder  durch  die  Protokollierung  der  Schuldanerkennung  durch  die 
courts  of  record  oder  durch  ordnungsmäßig  autorisierte  öffentliche  Be- 
amte von  Städten,  Stapelplätzen  und  Märkten.  Durch  das  Urteil 

*)  Siehe  Stat.  Staple,  c.  9:  Stat.  23  Henr.  VIII,  c.  6,  Stats.  of  Realin, 

III,  S.  372,  373:  Butler,  Anm.  (VI,  9)  zu  Co.  Lit.  191a:  Tidd,  Practice, 

n,  S.  1 101,  Anm.  (d). 

*)  Stat.  23  Henr.  VIII,  c.  C, “Stats.  of  Realrn,  III,  S.  372,  373:  Butler, 
Anm.  (VI,  9)  zu  Co.  Lit.  191a:  Bacon,  Abr.  tit.  Exccution  (B),  § 1;  Tidd, 
a.  a.  0.,  II,  S.  1101,  1102:  Wma.  Saundors,  II,  S.  218,  Amn.(c);  Beeves, 

a.  a.  0.,  in,  S.  289.  Siehe  auch  Stat.  32  Henr.  VIII,  c.  5 (1540),  State,  of 

Realm,  III,  S.  750. 


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294 


oder  die  Schuldanerkennung  im  Sinne  des  Statute  of  Westminster  the 
Second  werden  Ländereien,  welche  zur  Zeit  des  judgment  ödes  der 
recognizance  Eigentum  des  Schuldners  sind,  und  nach  späterem 
Recht  auch  Land,  das  er  nachträglich  erwirbt,  belastet,  doch  konnte 
mit  Hilfe  des  writ  of  elegit  bis  vor  kurzer  Zeit  nur  die  Hälfte 
des  Landes  dem  Schuldner  oder  einem  anderen,  der  das  belastete 
Land  vom  Schuldner  erworben  hatte,  genommen  werden.  Im  An- 
fänge seiner  Entstehungsgeschichte  wird  durch  das  protokollierte 
„Statute“  oder  die  Schuldanerkennung,  verbunden  mit  dem  Auf- 
setzen einer  gesiegelten  Obligation  auf  (»rund  des  Statute  of 
Merchant  und  der  anderen  bereits  erwähnten  Gesetze,  alles  das- 
jenige Land  belastet,  welches  bei  Abgabe  der  Schuldanerkennung 
Eigentum  des  Schuldners  war;  und  gemäß  späterem  englischen 
Rechte  wurde  auch  nachträglich  seitens  des  Schuldners  erworbenes 
Land  durch  die  recognizance  belastet'). 

Hei  Zahlungsversäumnis  des  Schuldners  kann  der  Gläubiger 
auf  Grund  der  Obligation  die  Schuldklage  anhängig  machen*). 

')  Siehe  Stat.  Acton  Bumel,  11  Ed.  I;  Stat.  Merch.,  13  Kd.  I:  SUt. 
West.  II,  13  Ed.  I,  c.  18:  Stat.  5 Ed.  II,  c.  33:  14  Ed.  III,  stat.  1,  c.  11; 
Stat.  Staple,  ‘27  Ed.  III,  stat.  ‘2,  c.  3:  stat.  36  Ed.  III.  c.  7:  stat  10  Hen.  VI, 
c.  1:  stat.  23  Hen.  VIII,  c.  6:  stat.  32  Hen.  VIII,  c.  5;  stat.  2 & 3 Ed.  VI. 
c.  31:  Keg.  Brcv.  f.  146-153,  299:  Vincr,  Abr.  tit.  Stats.  Merchant  etc.: 
Bacon,  Abr.  tit.  Execution  (B);  Kollc,  Abr.  I,  311.  892,  II,  4G6,  472,  473: 
Brooke,  Abr.  tit.  Stat.  Merch.  4i  Stat.  Staple:  Fitzherbert,  Natura 
Brevium,  f.  266,  267  D;  Coke,  2 Inst.  395,  396,  679;  Co.  I.it.  289b,  290a: 
Wright,  a.  a.  0.,  S.  170,  171:  Lilly,  I'ract.  Keg.  II,  S.  658,  659;  Black- 
stone, Band  II,  c.  IO  § IV,  V,  Band  II,  c.  20,  Band  III,  c.  26  § 4,  Band  IV, 
c.  33,  § III;  Anm.  (VI,  9)  zu  Co.  I.it.  191a;  Tidd,  Practice,  II,  S.  1101, 
1102;  Wni8.  Sannders,  II,  S.  197,  Anm.  (a),  199,  Anm.  (c),  208,  Anm.  (u), 
217,  Anm.  (3),  218,  Anm.  (c);  Recves,  a.  a.  O.,  II,  S.  96,  97.  III,  S.  289: 
Williams,  a.  a.  0.,  S.  262,  263,  266,  283,  284,  371,  372,  407,  408.  Über 
modernes  Recht  siehe  Cooto,  Mortgage.  2.Autl.,  S.  68,  72,  82,  83:  Williams, 
a.  a.  0.,  S.  261  ff. 

Es  scheint  vollkommen  dem  Geiste  des  mittelalterlichen  Rechts  zu 
entsprechen,  daß,  obgleich  Mobilien,  wenn  sie  sich  in  den  Händen  des 
Schuldners  befinden,  den  Bedingungen  des  .Statute  merchant“  oder  .Statute 
staple“  unterworfen  sind,  nicht  reklamiert  werden  können,  wenn  sie  sich  in 
den  Händen  von  dritten  Personen  befinden.  Siehe  unten  S.  303.  Vgl.  auch 
oben  8.  281,  282. 

*)  Siche  Stat.  Merch.,  13  Ed.  I:  Stat.  23  Hen.  VII,  c.  6;  Fitzherbert, 
Xat.  Brcv.  f,  122  1):  Viner,  Abr.  tit.  Stat.  Merch.  etc.:  Brooke.  Abr.  tit. 


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295 


Macht  sich  jedoch  der  Gläubiger  die  besonderen  Rechtsmittel  aus 
der  Schuldanerkennungzu  Nutze,  so  geht  der  Besitz  des  hypothekarisch 
belasteten  Landes  — ganz  gleich,  ob  es  sich  jetzt  in  den  Händen 
des  Schuldners  selbst,  oder  seines  volljährigen  Erben  oder  in  den 
Händen  des  feoffee  des  Schuldners  befindet  — auf  den  Gläubiger 
oder  dessen  persönlichen  Stellvertreter  oder  Rechtsnachfolger  über 
und  verbleibt  hier,  bis  der  Betrag  der  Forderung  entweder 
bar  bezahlt  oder  aus  den  Renten  und  Erträgen  getilgt  ist,  oder 
bis  das  Recht  des  Schuldners  am  Lande  abgelaufen  ist'). 

In  Hinsicht  auf  die  Geltendmachung  der  Rechte  aus  dieser 
Hyjtothek  hat  daher  der  Gläubiger  das  Land  als  ein  „gage“  in 
Form  des  vivum  vadium  in  Besitz*).  Die  Gesetze  und  die  auf 
Grund  derselben  eingeführten  writs  konstatieren,  daß  der  Gläubiger 
das  Land  besitzt  (holds  or  is  seised  of  the  land)  en  noun  de 
frank  tenement,  ut  liberum  tenementum,  indem  sie  ihm, 
resp.  seinem  Testamentsvollstrecker  oder  Rechtsnachfolger  gleich- 
zeitig das  Recht  auf  die  possessorischen  Klagen  des  Novel  Disseisin 
und  des  Hedisseisin  des  freeholder  verleihen.  Ja,  das  Statute  of 
Staple  erklärt  ausdrücklich,  daß  der  kaufmännische  Gläubiger 
faktisch  ein  „estate  of  freehold“  (estat  de  franktenement) 
haben  soll.  In  der  Rechtsliteratur  wird  der  Glänbiger  im  Besitz 
„tenant  by  Statute“  genannt  und  es  wird  gesagt,  daß  er  ein 
„estate  by  Statute“,  ein  „conditional  estate“,  ein  „estate  defeasible 
on  condition  subsojiient“ 3)  habe.  Trotzdem  sind  jedoch  die  Rechte, 

Stal.  Murch.  etc.:  Bacon,  Abr.,  tit.  Kxecution  (B).  Betreff«  eines  „Statute 
staple“  siehe  jedoch  Viner,  Abr.  tit.  Stat,  Merck,  etc.:  Lilly,  a.  a.  O., 
II,  8.  659. 

*)8tat.  West.  II,  c.  18:  StaLMercb.,  13F.il.  I:  Stat.  Staple.  27  Ed.  III,  c.  9: 
Y.B.  15  Ed.  II,  327:  Y.B.  15  Henr.VII,  16:  Y.B.  2 Kich.III,  8:  Y.B.  17  Ed.III,  3: 
Keg.  Brer.  f.  22:  Fitzherbert,  a.  a.  O.,  f.  130  132.  266A;  Fitzherbert, 
a.  u.  0.,  8.  Aull.,  S.  304,  Anut.  (a):  Bolle,  Abr.  I,  S.  311,  II,  S.  472-475,478; 
Brookc,  Abr.,  tit.  Stat.  Marc.,  pl.  16,  43,  49,  50:  Viner,  Abr.,  tit.  Stat. 
Merck,  etc.:  Bacon,  Abr.,  tit.  Execution  (B):  Coke,  2 Inst.  395,  396.  471, 
678-680;  Co.  Lit.  290a;  Blackstone,  II,  c.  10,  §5,  III,  c.  26,  § 4;  Wms. 
Saunders,  II,  S.  220,  Anni.  (8),  221,  Anm.  (3),  260,  (Anm.  (6);  Tidd. 
a.  a.  0.,  II,  S.  1088,  1084;  Williams,  a.  a.  0.,  S 268.  Vgl.  Williams,  a.  a.  O., 
S.  281,  282.  Über  das  Verkaufsrecht  eines  durch  Urteil  sicher  gestellten 
Gläubigers  nach  heutigen)  engl.  Hecht  siche  Williams,  a.  a.  0.,  8.268. 

*)  Siehe  Coke,  2 Inst.,  679,  Anm.:  Blackstone,  II,  c.  10,  § IV. 

s)  Siehe  Keg.  Brev.  f.  299;  Kastell,  Entries,  543,  545:  Fitzherbert, 


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•296 


die  der  Gläubiger  am  Lande  bat,  bis  jetzt  noch  nicht  genau  prä- 
zisiert worden. 

Man  könnte  im  ersten  Augenblick  geneigt  sein,  anzunehmen, 
daß  es  die  Absicht  des  mittelalterlichen  Gesetzgebers  war,  dem 
Gläubiger  tatsächlich  ein  freehold  estate  zu  geben;  und  nach  der 
Ungewißheit  der  Besitzform,  die  in  Wirklichkeit  quousque  war, 
könnte  es  scheinen,  daß  diese  „estates  by  Statute“  nach  strikter 
Reehtstheorie  als  freehuld  estates  behandelt  werden  sollen So- 
weit ging  jedoch  das  Recht  nicht.  Die  Gesetze  wurden  dahin 
ausgelegt,  daß  der  Gläubiger  ein  auf  seinen  Erben  übertragbares 
freehold  estate  nicht  besitze,  sondern  ein  chattel  real,  das  beim 
Tode  des  Gläubigers  auf  den  Testamentsvollstrecker  überging*). 
Lord  C o k e in  seiner  eigentümlichen  Ausdrucksweise  nennt 
das  Wort  ut  in  dem  Satze  ut  liberum  tenementum  nur  „simili- 
tudinary“,  d.  h.  der  tenant  by  Statute  hat  nur  ein  „similitude  of 
a freehold,  but  nullum  simile  est  idem“5). 

Da  das  Recht  des  Gläubigers  am  Lande  demnach  ein  ding- 
liches Recht  (chattel  real)  war,  das  gleichzeitig  durch  die  dem  free- 
holder zustehenden  possessorischen  Klagen  geschützt  war,  so  gewann 
der  Stand  der  Handeltreibenden,  zu  deren  Gunsten  diese  Formen  der 
Sicherheitsstellung  hauptsächlich  eingeführt  worden  waren,  dadurch 
zwei  höchst  wichtige  Vorteile.  Das  Besitztum  des  Gläubigers, 
seines  Testamentsvollstreckers  oder  seines  Rechtsnachfolgers  war 
vollkommen  sichergestellt,  denn  sobald  sie  vom  Lande  vertrieben 
wurden,  konnte  letzteres  durch  eine  possessorische  Klage  zurück- 
genommen werden4).  Fernerhin  ging  beim  Tode  des  Gläubigers 

Nat.  Brav.,  f.  178  G.  1891:  Rolle,  Abr.,  II,  475:  Coke,  2 Inst.,  398: 
Blackstone,  Band  II,  c.  10,  § IV,  V,  Band  III,  c.  26.  § 4:  Wms.  Saunders, 
II,  S.  203,  Anm.  (1);  Williams,  a.  a.  0..  8.  268.  Siehe  auch  ferner  Y.  B. 
2 und  3 Ed.  II.  (1308-9),  (Seid.  Soc.),  S.  67,  68. 

*)  Siehe  Butler,  Anm.  zu  Co.  Lit.,  208a:  Leake,  Digest,  S.  205. 
Vgl.  Fitzherbort,  a.  a.  0.,  f.  178  G. 

5)  28  Ass.  pl.  7:  Fitzherbert,  a.  a.  0.,  f.  178;  Coke,  2 Inst  396: 
Co.  Lit.  42a,  43b:  4 Co.  82a,  Corbet's  Case:  Blackstone,  II,  c.  10,  §V: 
Butler,  Anm.  zu  Co.  Lit.  208A;  Leake,  Digest,  8.205. 

*)  Co.  Lit  403  b. 

*)  Vgl.  Savigny's  Theorie  über  den  abgeleiteten  Besitz  des  Pfand- 
gläubigers. Betreffs  der  Literatur  und  einer  Kritik  dieser  Theorie  siche 
Dernburg,  Pandekten  (1900),  1.  § 172.  Siehe  auch  Puchta,  Institutionen. 
(1893),  11,  § 229:  Dernburg,  Das  bürgerliche  Recht.  (1904;,  111,  § 10. 


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•297 


nicht  nur  seine  Schuldforderung,  sondern  auch  sein  Pfandrecht 
zur  Sicherstellung  derselben  auf  seinen  Testamentsvollstrecker 
Aber,  nicht  auf  seinen  Erben;  das  Recht,  sagt  Blackstone, 
„judging  it  reasonable,  froin  a principle  of  natural  equity,  that 
the  securitv  and  remedy  should  be  vested  in  them,  to  whom  the 
debts  if  recovered  should  belong“ '). 

Dem  Gläubiger  mit  Besitz  stehen  daher  die  possessorischen 
Klagen  des  freeholder  zur  Verfügung;  trotzdem  verbleibt  aber  der 
Schuldner  der  eigentliche  freeholder  (remains  seised  of  his  freehold 
estate).  und  sollte  der  Gläubiger  vom  Lande  vertrieben  werden, 
so  kann  auch  der  Schuldner  seine  Klage  assize  of  Novel  Disseisin 
anhängig  machen,  denn  ihm  ist  gleichzeitig  sein  free  tenement 
widerrechtlich  entzogen  worden.  Sobald  aber  einer  der  beiden 
den  Besitz  zurückerlangt,  soll  das  Klageverfahren  des  anderen 
eingestellt  werden’). 

Sobald  der  Betrag  der  Schuldforderung  des  Gläubigers  ent- 
weder aus  den  Renten  und  Erträgen  getilgt,  oder  von  dem  Schuldner 
in  bar  bezahlt  worden  ist,  hat  der  Schuldner  oder  der  feoffee  des 
Schuldners  wieder  Anspruch  auf  das  Land,  das  jetzt  von  der 
Belastung  befreit  ist’).  Es  scheint,  daß  in  einigen  Fällen  der 
Schuldner  (conusor)  das  Recht  hat,  den  Besitz  ohne  weiteres  wieder 
zu  übernehmen  (right  of  re-entry).  Die  übliche  Form,  wieder  in 
den  Besitz  zu  gelangen,  besteht  jedoch  in  der  Klage  writ  of  fieri 
facias;  durch  eine  besondere  Form  dieser  Klage  kann  der  Gläu- 
biger (conusee)  gezwungen  werden,  die  Überschüsse  über  die 
Schuldsumme  zurückzu zah  1 en  *). 

Das  mittelalterliche  Immobiliarpfand  mit  Besitz  des  Schuldners 
bis  zur  Zahlungsversänmnis  besteht  demnach  in  der  Verpfändung 
bestimmter  Grundstücke  oder  aber  des  gesamten  Landes  des 

')  Siche  Stat.  Merch.,  13  Kd.  I;  Y.  B.  1 und  2 Kd.  II.  (Seid.  Soc.), 
S.  92,  93;  jFitzhcrbert,  a.  a.  0.,  130,  131:  Co.  Lit.  43b;  Blackstone, 
II,  c.  10,  § V:  Butler,  Anm.  zu  Co.  Lit.  208a. 

*)  Fitzherbert,  a.  a.  0.,  8.  Aufl.,  S.  412,  Anm.  (e),  unter  Citierung 
ron  12  Henr.  G,  4. 

3)  Siehe  Stat.  Merch.,  13  Ed.  I:  Coke,  2 Inst,  39G,  678,  679;  und 
die  in  oben  S.  294,  Anm.  1 citicrtcn  Quellen. 

4)  Siehe  Coke,  2 Inst.  679,  Anm.;  Vincr,  Abr.  tiL  Stat.  Merch.  etc. 
Über  die  Doktrin  des  Equityrechts  hinsichtlich  Rechnungsablegung  durch 
den  Pfandgllubiger  (connsee)  siehe  Sheppard,  Touchstone,  S.  357,  Anm  (i). 


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•208 


Schuldners  und  die  Verpfandung  geschieht  durch  die  Proto- 
kollierung eines  gesiegelten  Vertrages.  Hinsichtlich  der  Geltend- 
machung der  Rechte  und  der  Zwangsvollstreckung  bei  Zahlungs- 
versäumnis  des  Schuldners  ist  fernerhin  zu  unterscheiden  zwischen 
Nutzpfand  und  Substanzpfand.  Der  (»laubiger  kann  seine  Forderung 
aus  den  Renten  und  Erträgen  allein  tilgen ; oder  aber  er  kann 
Anspruch  auf  die  Substanz  der  Pfandsache  erheben.  Das  Prinzip 
des  Nutzpfandes  liegt  sowohl  den  jüdischen  securities,  wie  auch 
solchen,  die  durch  „Statutes“  oder  recognizances  geschaffen  wurden, 
zu  Grunde.  In  dem  den  jüdischen  Gläubigern  gegebenen  Ver- 
kaufsrecht ist  das  Prinzip  des  Substanzpfandes  zu  erblicken,  ob- 
gleich nicht  mit  Bestimmtheit  zu  sagen  ist,  ob  dieses  Verkaufs- 
recht bedeutet,  daß  das  Land  verfallen  ist,  oder  ob  beim  Verkaufe 
der  Überschuh  dem  Schuldner  zurückzuzahlen  ist:  und  es  ist  be- 
merkenswert. da  LS.  sollte  das  Recht  des  Schuldners  am  Lande 
ablaufen,  während  das  Land  sich  in  den  Händen  eines  durch  eine 
recognizance  oder  „Statute“  sichergestellten  Gläubigers  befindet, 
ein  Verfall  des  Eigentums  des  Schuldners  tatsächlich  eintritt. 

Es  steht  danach  fest,  daß,  ob  nun  der  Gläubiger  des  Mittel- 
alters den  Besitz  sofort  übernimmt,  oder  erst  bei  Zahlungsver- 
säumnis des  Schuldners,  das  pfändrechtliche  Prinzip  dasselbe  ist. 
In  beiden  Fällen  ist  das  Pfand  entweder  Nutzpfand  oder  Substanz- 
pfand, oder  eine  Kombination  der  beiden1);  und  obgleich  der 
Verfolg  der  Entwicklung  des  Pfandrechts  bis  auf  unsere  Tage 
jenseits  des  Zwecks  dieser  Arbeit  liegt,  so  darf  das  Gleiche  wohl 
auch  beim  heutigen  englischen  Pfandrecht  angenommen  werden. 

Ain  Anfänge  des  neunzehnten  Jahrhunderts  fanden  die  Statutes 
merchant  und  Statutes  staple  nur  wenig  Anwendung,  da  sie  zum 
grollen  Teil  durch  das  Verfahren  des  eonfessing  jndginent  auf- 
gehoben worden  waren  In  der  Tat  wurden  die  Statutes  merchant 
und  staple  und  recognizances  in  the  nature  of  a Statute  staple, 
nachdem  sie  lange  veraltet  waren,  im  Jahre  18(13  durch  Parlaments- 
gesetz abgeschafft  ').  Einige  der  Vorteile  dieser  Sicherheiten  scheinen 
jedoch  in  dem  confession  of  judgment  beibehalten  worden  zu  sein, 
denn  das  heutige  writ  of  elegit,  durch  welches  die  Rechte  aus 

')  Vgl.  Köhler,  f’fandrechtliche  Forschungen,  S.  22  ff. 

*)  Siche  Sheppard,  a.  a.  0.,  Aufl.  1826,  S.  355,  Amn.  (f). 

3)  Stat.  26  & 27  Victoria,  c.  125:  Williams,  a.  a.  0..  S.  266,  Amn.  («). 


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•>99 

der  Judicats-Hypothek  (judgment  lien)  geltend  gemacht  werden, 
ermöglicht  es  dem  Gläubiger,  das  ganze  Land  des  Schuldners, 
welches  sich  zur  Zeit  des  judgment.  in  seinen  Händen  befand 
oder  später  erworben  wurde,  zu  reklamieren.  Das  Mobiliar  des 
Schuldners  kann  auf  Grund  eines  elegit  jedoch  heutzutage  nicht 
mehr  genommen  werden 

III.  Vermögenshaftung  und  Hypothek. 

Wir  möchten  hier  die  Aufmerksamkeit  auf  die  sich  mit  der 
Einsetzung  des  ganzen  Vermögens  ft  1 r eine  Schuld  gemäß  älterem 
deutschen  Recht  und  nach  dem  französischen  tres  ancien  droit 
befassende  jüngste  deutsche  Literatur  verweisen  und  diese  Ver- 
mögenssatzung in  Verbindung  mit  dem  oben  an  mehreren  Stellen 
Aber  die  Einsetzung  des  ganzen  schuldnerischen  Vermögens  für 
eine  Schuld  nach  englischem  Recht  des  zwölften,  dreizehnten  und 
vierzehnten  Jahrhunderts  Gesagten  in  Erwägung  ziehen. 

Gierke  sagt  im  soeben  erschienenen  zweiten  Rande  seines 
Werkes  über  Deutsches  Privatrecht8)  bei  Erörterung  des  Grund- 
pfandrechts im  älteren  deutschen  Recht:  „In  der  Form  der  neueren 
Satzung  aber  oder  in  ähnlicher  Form  wurde  auch  das  Vermögen 
als  Ganzes  für  eine  Schuld  eingesetzt.  Eine  derartige  Vermögens- 
satzung begegnet  im  deutschen  Mittelalter  vielfach  neben  der 
Haltbarmachung  der  Person  oder  auch  ohne  diese;  sie  wird  meist 
auf  alles  unbewegliche  und  bewegliche  Vermögen,  mitunter  aber 
nur  auf  das  eine  oder  das  andere  oder  bloß  auf  einen  bestimmten 
Teil  des  Vermögens  erstreckt  und  kann  entweder  nur  für  das 
gegenwärtige  oder  auch  für  das  künftige  Vermögen  ausgesprochen 
werden.  Allein  sie  erzeugt  nur  ein  Haftungsrecht,  nicht  ein 
wirkliches  Pfandrecht.  Ihre  ursprüngliche  Bedeutung  bestand  darin, 
daß  sie  die  unmittelbare  Vermögenshaftung  für  Schuld  überhaupt 
erst  begründete  und  damit  dem  Gläubiger  die  Möglichkeit  eröffnet«*, 
im  Falle  des  Verzuges  ohne  weiteres  sich  an  die  verhafteten  Ver- 
mögensgegenstände zu  halten.  Auch  später  aber  erschöpfte  sich 
ihre  Wirkung  regelmäßig  in  der  Erleichterung  des  exekutivischen 
Zugriffes.  Gewere  und  dingliches  Recht  gab  sie  nicht.  Sie  legte 


■)  Siehe  Williams,  a.  a.  0.,  8.  261 — 287,  371,  372. 
*)  S.  824,  825. 


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300 


dem  Schuldner  eine  persönliche  Gebundenheit  in  Ansehung  der 
Verfügung  über  das  Vermögen  im  Ganzen  auf,  begründete  dagegen 
keine  Verfügungsbeschränkung  in  Ansehung  der  einzelnen  Ver- 
mögensstücke und  kein  Verfolgungsrecht  gegen  Dritte.  Auch  ge- 
währte sie  kein  vom  Alter  der  Schuld  unabhängiges  Vorzugsrecht 
bei  der  Befriedigung.  Immerhin  war  sie  befähigt,  pfandrechtliche 
Elemente  in  sich  aufzunehmen,  und  konnte  hierdurch  sich  einer 
Verpfandung  des  ganzen  Vermögens  nähern  und  nach  der  Rezeption 
in  die  fremdrechtliche  Generalhypothek  übergehen“. 

In  seiner  Abhandlung  über  „Vermögenshaftung  und  Hypothek" ') 
sagt  Egger  bezüglich  der  obligatio  generalis  des  tres  ancien 
droit:  „Die  Wirkung  der  obligatio  generalis  beschrankt  sich  dem- 
nach im  typischen  Falle  auf  die  schlichte  Obligierung  der  Güter, 
aul  die  Gestattung  der  Zwangsvollstreckung  in  dieselben.  — 
Dieser  Betrachtung  über  den  Inhalt  unseres  Rechtsinstitutes  seien 
nur  noch  zwei  Bemerkungen  beigefügt.  Die  erste  betrifft  den 
Umfang  des  mit  der  obligatio  generalis  hergestellten  Rechtes.  Es 
ist  charakteristisch  genug.  daß  die  Obligationsklausel  allüberall 
— es  handelt  sich  keineswegs  um  lokale  Gewohnheiten  — diese 
beiden  Gruppen  von  Haftungsgegenständen  ausdrücklich  namhaft 
machen.  Nur  das  gibt  die  Gewißheit,  daß  sie  gesatzt  sind. 
Dasselbe  gilt  von  den  zukünftigen  Gütern,  v.  Meibom  vertritt 
die  Ansicht,  daß  auf  Grund  der  Generalsatzung  nur  die  zur  Zeit 
der  Satzung  vorhandenen  Vennögensstücke  betroffen  würden.  Dies 
ist  zutreffend  für  den  Fall,  daß  aus  der  Einräumung  nicht 
ein  anderes  hervorgeht.  Völlig  richtig  bemerkt  Stobbe-Lehmann. 
daß  es  auf  den  Willen  der  Parteien  ankomme,  ob  die  Verpfändung 
sich  bloß  auf  das  gegenwärtige  oder  auch  auf  das  zukünftige 
Vermögen  erstrecke.  In  unseren  Quellen  fehlt  denn  auch  regel- 
mäßig dieser  Einbezug  der  künftig  zu  erwerbenden  Güter  nicht“. 

Des  Ferneren  heißt  es’):  „Die  älteste  in  Betracht  kommende 
Form  war  offenbar  die  Satzung  des  Vermögens,  weil  man  nur  so 
in  dasselbe  exequieren  konnte  und  weil  eben  die  elementare  Funktion, 
diese  Möglichkeit  zu  vermitteln,  der  Vermögenssatzung  zukam. 
Aus  in  der  geschichtlichen  Entwicklung  notwendigerweise  gegebenen 

•)  S.  155,  156. 

*)  Egger,  a.  b.  O.,  8.  156-168. 


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301 

Ursachen  war  diese  generelle  Obligation  ursprünglich  nur  eine 
Obligation  der  Fahrhabe.  Späterhin  wurde  das  unbewegliche  Ver- 
mögen mit  einbezogen.  Und  nun  griff  man  in  der  oben  darge- 
stellten Weise  auf  die  Liegenschaften.  Der  «Satzungsgläubiger 
verlangte,  wenn  der  Schuldner  nicht  zahlte  — nicht  vorher!  — 
die  Fronung  auf  Grund  der  Generalsatzung,  — nicht  also  lag 
jene  schon  in  dieser.  Die  Fronung  war  Teil  des  ordentlichen 
Exekutionsverfahrens.  — Nun  lag  in  dem  soeben  betrachteten 
Einbezug  der  künftigen  Güter  und  ebenso  in  dem  letztgenannten  Ein- 
bezug der  Immobilien  eine  Intensivierung  der  Haftung,  Intensi- 
vierung durch  Erweiterung  der  Vermögens-Haftung  in  Hinsicht 
auf  die  Objekte.  Eine  solche  Intensivierung  wurde  nun  aber  auch 
auf  ganz  andere  Weise  erreicht.  Es  mochten  wenige  Objekte 
haften,  ja  nnr  ein  einzelnes,  nur  eine  Liegenschaft  beispielsweise, 
diese  aber  dergestalt,  daß  sie  dem  Zugriff  des  Satzungsgläubigers 
nicht  mehr  entzogen  werden  konnten.  Deshalb  ist  die  sog.  neuere 
Satzung  ihrer  Funktion  und  rechtlichen  Ausgestaltung  nach  ein 

so  anders  geartetes  Institut  als-  die  Vermögenssatzung So 

besteht  also  ein  tiefgreifender  Unterschied  zwischen  der  obligatio 
generalis  und  der  obligatio  specialis.  Jene  ist  Vermögenshaftung, 
diese  ist  jüngere  Satzung  ....  Steigerung  ist  das  Zeichen  unter 
dem  die  haftungsrechtliche  Entwickelung  der  hier  betrachteten 
Perioden  mehr  als  je  eine  vorher  — der  einsetzenden  wirtschaft- 
lichen Blütezeit  entsprechend  — steht.  — Steigerung  liegt  wie  in 
der  Intensivierung,  so  auch  in  der  Vereinfachung  ....  Eine  solche 
Vereinfachung  lag  in  der  Umwandlung  der  jüngeren  Satzung 
zur  Hypothek  ....  Auf  Grund  der  neueren  Satzung  darf  der 
Eigentümer  nicht  mehr  veräußern.  Aber  wie,  wenn  er  diese  Dis- 
positionsbeschränkung ignoriert  und  doch  veräußert  ? . Die 

Sache  ist  gebunden,  deshalb  also  wird  sie  verfolgt.  Aber  es  ge- 
schieht dies  doch  nicht  in  dem  Sinne  der  Verwirklichung  eines 
hypothekarischen  Rechtes  und  einer  Verfolgung  desselben  gegen- 
über Dritterwerben  ....  Wie  aus  diesen  Auffassungen  heraus 
die  neuere  französische  Hypothek  erwachsen  ist,  wird  später  zu 
zeigen  sein  . . . Die  obligatio  generalis  erlitt  nämlich  nicht  nur  eine 
Erweiterung  des  Inhaltes  durch  Einbezug  neuer  Haftungsobjekte, 
sondern  sie  intensivierte  sich  ihrer  Wirkung  nach  im  Laufe  der 
Zeit  dergestalt,  daß  auch  sie  zu  einer  Hypothek  wurde“. 


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302 


Ara  Schlüsse  seiner  Betrachtung  über  die  obligatio  specialis 
und  obligatio  generalis  des  tres  ancien  droit  sagt  Egger1):  „Wenn 
anders  aber  die  Auffassung  der  obligatio  generalis,  die  hier  ihre 
Darstellung  gefunden,  richtig  ist,  müssen  sich  aus  derselben  nach 
ganz  bestimmter  Richtung  hin  zutreffende  Perspektiven  in  Hinsicht 
auf  das  germanische  Haftungsrecht  ergeben.  Wenn  im  Mittelalter 
die  schuldnerischc  Fahrhabe  und  die  schuldnerischen  Immobilien 
immer  besonders  obligiert  werden  mufften,  um  dem  (»laubiger  als 
Ersatzobjekte  Sicherheit  zu  bieten,  dann  ist  nicht  anzunehmen, 
daff  das  Altertum  etwa  im  Rahmen  einer  allgemeinen,  weiten 
personae  obligatio  freieren  haftungsrechtlicheu  Anschauungen  ge- 
huldigt hätte.  Vielmehr  muß  angenommen  werden,  daff  auch  die 
germanischen  Quellen  zwischen  Personenhaftung  und  quasihypothe- 
karischer  Vermögenshaftung  unterschieden  und  jede  Form  auf 
selbständige  Weise  zur  Entstehung  gelangen  ließen.“ 

Auch  bei  Besprechung  der  Vermögenshaftung  nach  belgischem 
und  holländischem  Recht  des  Mittelalters  sagt  Egger®):  „Die 

Generalobligation  bindet  die  Hüter,  aber  nur  so  lange,  als  sie 
in  der  (lewere  desjenigen  sind,  der  sie  obligiert  hat  . . Das 
Erlöschen  der  Obligation  bei  Austritt  der  Haftungsobjekte  aus  dem 
schuldnerischen  Besitz  wird  damit  erklärt,  daff  der  Schuldner  die 
Freiheit  zu  veräußern  habe.  Auf  Grund  welchen  Titels 
immer  ein  gutgläubiger  Dritter  die  Liegenschaft  vom  Schuldner 
erwirbt  — dieser  Erwerb  ist  vollwertig  und  er  soll  nicht  auf 
Gmnd  einer  generellen  Satzung  angefochten  werden  können.  . . . 
Da  nun  der  Schuldner  nicht  nur  veräussem,  sondern  auch,  wie 
sehon  angedeutet,  auch  verschenken,  ferner  mit  der  Wirkung  des 
Vorranges  speziell  obligieren  kann,  so  kann  ursprünglich  der 
Generalobligation  keine  andere  Funktion  zugekommen  sein,  als 
überhaupt  ein  Zugriffsrecht  zu  vermitteln,  das  droit  de  suite 
im  Sinn  der  älteren  Doktrin.  Daff  sich  dieses  gegen  die  Sach en 
richtet,  so  daß  diese  selbst  als  Objekte  der  Haftung  bezeichnet 
werden  müssen,  ergibt  sich  deutlich  aus  der  Redeweise  der  Quellen, 
wie  sie  uns  soeben  entgegengetreten  ist.  Trotzdem  hört  die  Haf- 
tung auf,-  wenn  die  Objekte  nicht  mehr  dem  Schuldner  gehören. 

')  A.  ».  o.,  S.  170. 

*)  A.  a.  (».,  S.  482,  483. 


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303 

Aber  es  ist  zu  beachten,  «laß  «lies  ein  das  gesamte  Satzungsrecht 
d u rc h z i e h c n d e r G r n n d s a t z ist.  Denn  er  gilt  ursprünglich  auch  für 
die  Spezialobligation:  Darum  gerade  die  Verbote,  die  sich  an  den 
Schuldner  richten  und  die  eine  Möglichkeit  geben,  eine  Veräußerung 
als  nichtig  erklären  zu  lassen.  Das  kann  doch  nur  einen  Sinn  haben, 
wenn  ganz  allgemein  gilt,  daß  die  Hartung  der  Sache  mit  dem  Aus- 
tritt aus  dem  scliuldnerischen  Vermögen  ein  Ende  nimmt.  Ein 
anderes  hypothekarisches  Sachhaftungsrecht  gibt  es  im 
Mittelalter  nicht.  Es  kann  intensiviert  werden  durch  Bannlegung. 
Aber  das  ist  kein  Institut  des  Sachenrechts.“ 

Es  kann  vor  der  Hand  dahingestellt  bleiben,  ob  eine  Obli- 
gierung  des  ganzen  Vermögens  durch  eine  nicht  protokollierte  ge- 
siegelte Urkunde  („bond“i  vor  und  nach  der  Zeit  der  englischen 
Gesetzgebung  des  zwölften,  dreizehnten  und  vierzehnten  Jahrhunderts 
die  Wirkung  einer  Einsetzung  des  ganzen  Vermögens  als  Exekutions- 
objekt, aber  ohne  dingliche  Belastung,  hatte.  Wir  haben 
deutlich  gesehen,  daß  die  neuen  Sicherheiten  — die  sogenannten 
„Jewish  gages“  und  „Statutes“  — , wie  solche  durch  die  Gesetz- 
gebung Richard  I.,  Edward  I.  und  Edward  III.  im  Interesse 
von  Handel  und  Industrie  eingeführt  wurden,  dem  Schuldner  er- 
möglichten, neben  der  Haltbarmachung  seiner  Person  sein  ganzes 
Vermögen  als  Exekutionsobjekt  für  seine  Schuld  einzusetzen.  So- 
weit wir  nach  den  Quellen,  die  uns  zur  Verfügung  stehen,  urteilen 
können,  hatte  diese  Vermögenseinsetzung  dingliche  Wirkung. 

Was  die  Mobilien  anlangt,  so  ist  ziemlich  sicher,  daß  kein 
dingliches  Recht,  keine  Hypothek  geschaffen  wurde,  sondern 
nur  ein  Haftungsrecht,  das  die  Mobilien  haftbar  machte,  jedoch 
nur  solange  als  sie  in  der  Hand  das  Scliulders  waren. 

Hinsichtlich  der  Immobilien  scheint  jedoch  durch  die  Pro- 
tokollierung einer  jüdischen  Schuldanerkennung  und  die  Inrotulierung 
eines  „Statute“  eine  dingliche  Belastung,  eine  Hypothek 
am  ganzen  Immobiliar  möglich  gewesen  zu  sein,  die  es  dem 
Gläubiger  gestattete,  bei  Zahlungs Versäumnis  des  Schuldners  das 
Land  aus  den  Händen  dritter  Personen  zu  reklamieren  und 
den  Zwecken  der  Sicherheit  dienstbar  zu  machen.  Ist  aber  unsere 
Ansicht,  daß  nicht  nur  die  obligatio  specialis,  sondern  auch  die 
obligatio  generalis  des  englischen  mittelalterlichen  Rechtseine 


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304 


dingliche  Belastung  der  Immobilien  erzeugte'),  richtig,  so  ist 
dieser  Unterschied  gegenüber  dem  mittelalterlichen  Recht  des 
Kontinents  höchst  interessant  und  zeigt,  wie  früh  das  englische 
Recht  zur  Entwicklung  einer  richtigen  Immobiliarhypothek  im 
Interesse  von  Industrie  und  Handel  schritt. 

IV.  Die  neuzeitliche  Hypothek. 

Die  heutige  englische  Hypothek  tritt  in  verschiedenen  Formen 
auf J).  Eine  dieser  Formen  ist  das  sog.  „equitable  mortgage,“  die 
Immohiliar-Hypothek.  die  u.  A.  durch  die  einfache  Übergabe  der 
Urkunde  über  den  Rechtstitel  (title-deed)  am  Lande  oder  durch 
die  Verpfandung  einer  „equity  of  redemption“  geschaffen  wird3). 
Eine  weitere  wichtige  Form  ist  die  Belastung  (chargej  von  ver- 
buchtem Lande  (registered  iand)  zur  Sicherstellung  einer  persön- 
lichen Forderung:  bei  Zahlungsversämnis  des  Schuldners  werden 
die  Rechte  aus  dieser  hypothekarischen  Belastung  dadurch  geltend 
gemacht,  daß  das  Land  für  verfallen  erklärt  oder  verkauft  wird, 
oder  dadurch,  daß  der  Gläubiger  den  Besitz  übernimmt  und  seine 
Forderungen  aus  den  Renten  und  Erträgen  des  Landes  tilgt'). 

Die  wichtigste  Form  der  Hypothek  im  heutigen  englischen 
Recht  ist  jedoch  das  „mortgage“  mit  Besitz  des  Schuldners.  Aus 
einer  Form  der  mittelalterlichen  Sicherheitsleistung,  wo  Übernahme 
des  Besitzes  durch  den  Gläubiger  unerläßlich  war,  hat  das  moderne 
Recht,  besonders  das  Equityrecht.  ergänzt  durch  Gesetze,  die  Um- 
bildung des  mortgage  in  eine  Hypothek  herbeigeführt.  Die  Rechte 
aus  dieser  Hypothek  werden  bei  Zahlungsversäumnis  seitens  des 
Schuldners  durch  Verfall  oder  Verkauf  geltend  gemacht.  Das 
heutige  mortgage  kann  in  der  Tat  entweder  ein  solches  mit  Be- 

■)  Vgl.  auch  unsere  Resprcchung  der  Helastungen  nach  englischem 
mittelalterlichem  Recht  oben  S.  262  ff. 

’)  über  die  moderne  Hypothek  in  Deutschland  siehe  Gierke,  Deutsches 
Privatrecht,  Hd.  II,  S.  829  ff. 

3)  Über  „equitable  mortgages"  siehe  Hacon,  Abr.  tit.  mortgage: 
Pollock,  Land  Laws,  S.  136,  137:  Williams,  a.  a.  0.,  S.  549,  555:  Rob- 
bins.  Law  of  Mortgages,  I,  S.  42-65:  Fisher,  Law  of  Mortgage,  § 24-38: 
Kcrly,  Historical  Sketch  of  the  Equitable  Jurisdiction  of  the  Court  of 
Chancery,  S.  234. 

*}  Siehe  Williams,  a.  a.  ().,  S.  516-557:  Fisher, a.  a.  (>.  und  Robbins, 
a.  a.  0.,  s.  v.  -Charge".  Siehe  betr.  -licns“  und  -hypothecations“  die  eben 
zitierten  Werke  von  Fisher  und  Rohhins. 


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305 


sitz  des  Schuldners  oder  ein  solches  mit  Besitz  des  Gläubigers 
sein;  für  gewöhnlich  nimmt  es  die  Form  der  Hypothek  an,  und 
hierfür  scheinen  verschiedenerlei  Gründe  maßgebend  gewesen  zn 
sein.  Die  hauptsächlichsten  hierunter  dürften  gewesen  sein:  erstens 
die  weniger  strenge  Handhabung  der  mittelalterlichen  Rechtsregel 
welche  eine  tatsächliche  Übergabe  des  Besitzes  bei  Übertragung 
von  dinglichen  Rechten  (proprietär}’  rights)  am  Lande  vorschrieb, 
sodaß  ein  formeller  Akt  und  später  eine  bloße  gesiegelte  Urkunde 
(deedj  hierfür  genügte;  in  anderen  Worten,  corporeal  hereditaments 
„lie  in  grant“,  not  „in  livery“;  zweitens  die  Kquity reget,  welche 
dem  Pfandgläubiger  im  Besitz  (mortgagee  in  possession)  vorschrieb, 
über  die  Renten  und  Erträge  genau  Rechnung  abzulegen;  drittens 
die  Theorie  des  Equityrechts,  daß  der  Pfandschuldner,  nicht  der 
Pfandgläubiger  der  freeholder  und  in  Wirklichkeit  der  Eigentümer 
bleibt,  während  der  Pfandgläubiger  nur  eine  hypothekarische  Be- 
lastung (charge)  am  Lande  zur  Sicherstellung  seiner  Forderung 
hat;  viertens  die  Einführung  des  Verkaufsrechts  für  den  Pfand- 
gläubiger bei  Zahlungsversäumnis  des  Schuldners.  Das  mortgage 
als  Hypothek  nimmt  selbst  heutzutage  die  alte  Form  der  bedingten 
Übereignung  nach  gemeinem  Rechte  an.  Es  ist  in  der  Hauptsache 
auf  die  Equity- Jurisdiction  zurückzuführen,  daß  diese  alte  Form 
beibehalten  und  trotzdem  dem  Schuldner  gestattet  werden  kann, 
den  Besitz  bis  zur  versäumten  Rückzahlung  der  Schuld,  welche 
dem  Gläubiger  sichergestellt  wurde,  beizubehalten  ‘). 

*)  Siehe  Glas s on , a.  a.  0.,  V,  S.  485,  VI,  S.  385-406:  Franken,  a.  a. O., 
S.  8,  9,  148-109;  Williams,  a.  a.  0.,  S.  143-157,  201,321,322;  Hlackatonc, 
II,  c.  10.  Dlaekstone  vergleicht  das  klassische  englische  nmrtgage  mit  Besitz 
des  Gläubigers  mit  dem  römischen  pignus  und  das  mortgage  mit  Besitz 
des  Schuldners  mit  der  römischen  hypnthcca.  Über  die  interessante  Knt- 
wickelling  des  mortgage  mit  Besitz  des  Schuldners  in  Amerika  siche 
Chaplin,  a.  a.  ().,  IV,  S.  12. 


Hazeltlne,  Kritisch***  Pfandrecht 


‘20 


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Anhang 


Quellen  des  Immobilienpfandrechts 


20* 


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Erster  Teil. 

Angelsächsische  Periode. 


I. 

Nutzpfand. 

[Keinble,  Codex  Diplomaticus,  No.  DCCCCXXIV.J 

Fulder. 

* Her  swuteladon  ymb  f>a  foreward  pe  wsron  gcworhte  betwux 
pam  hirede  on  wihgeraceastre.  and  fuldre.  pst  is  pst  he 
hsbbe  pst  land  st  ludintune  . III . geart  for  pam  dreom  pundum 
pe  he  Isnde.  and  pone  bryce  pe  on  dam  lande  beo  . III . gear. 
and  binnon  prym  gearum.  agife  pa*t  land  pam  hiredet  into  swa 
myclum  swa  se  hired  him  on  band  sette.  pst  synd  . XII . peowe 
men.  and.  II . gesylhd'o  oxan.  and  . I . hund  sceapa.  and  half 
hnndred  fod'ra  cornes.  And  se  de  pas  foreward  to  breke  he  ge- 
wurde  hit  hi  nsfre  forgifen.  ac  beo  he  fordemed  into  helle  wite. 
and  psr  mid  deofle  wunigo  od'  to  domes  dsge  .\ 


[Kemble,  Codex  Diplomaticus,  No.  CCCCXCIX.] 

Eädgifu,  960-963. 

+ Eädgifu  cjp  päm  arc.  biäc.  and  Cristes  cyrcean  hyrede.  hü 
hire  land  com  st  Culingon.  pst  is  pst  hire  Isfde  hire  fsder 
land  and  böc.  swä  he  mid  rihte  heget,  and  him  his  yldran  lefdon. 
Hit  gelamp  pst  hire  fsder  aborgude  XXX  punda  st  Godan.  and 
betsht  him  pst  land  pss  feos  tö  anwedde.  and  he  hit  hsfde  VII 
winter;  Dä  gelamp  emb  pa  tid  pst  man  beönn  ealle  Cantware 


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310 


tö  wigge  to  Holme.  pä  nölde  Sigelm  hire  fieder  tö  wigge  faran 
mid  nänes  manues  scette  unägifnum.  and  ägef  pä  Qodan  XXX  punda. 
and  becwaeff  Eädgife  his  debter  land.  and  böc  sealde ; ©ft  he  on  wigge 
äfeallen  wies.  pä  «tsöc  Godapaes  feos  «giftes.  and  pses  landes  wyrnde. 
off  pa?s  on  syxtan  geare;  1)4  spr.ec  hit  fivstlice  Byrhsige  Dyrincg. 
swä  lange  oft'  pa  witan.  pe  pä  wäron  gerehton  Eädgife  paet  heö 
sceölde  hire  faeder  hand  geclänsian  be  swä  miclan  feo.  and  heö 
pses  äff  laedde  on  ealre  ffeöde  gewitnesse  tö  .Eglesforda.  and  ffaer 
geclänsude  hire  fieder  pies  legiftes  be  XXX  punda  äffe;  Dä  gyt 
heö  ne  moste  landes  brücan  ihr  hire  frynd  fhndon  :et  Eädwearde 
cyncge  paet  he  him  pet  land  forbeäd  swä  he  :eniges  bnican 
wölde.  and  he  hit  swä  älet;  Dä  gelamp  on  fyrste  paet  se  cynincg 
Godan  oncüffe  swä  swyffe  swä  him  man  .etrehte  bec  and  land  ealle 
pa  pe  he  ähte.  and  se  cynincg  bine  pä  and  ealle  his  äre  mid 
böcum  and  landum  forgeaf  Eädgife  tö  ateönnc  swä  swä  heö  wölde; 
Dä  cwieff  heö  piet  heö  ne  dorste  for  gode  him  swä  leänian  swä  he 
hire  tö  geearnnd  haefde.  and  ägef  him  ealle  his  land.  bütan  twäm 
sulungnm  aet  Osterlande,  and  nölde  pa  bec  ägifan  är  heö  wyste  hü 
getriwlic  he  hi  aet  landum  healdan  wölde;  Dä  gewät  Eädweard 
cyncg.  and  fencg  .Effelsiän  tö  rice.  Dä  Godan  sael  pühte.  pä  gesohte 
he  pone  kynincg  ^Eöelstän.  and  baed  paet  he  him  gepingude  wip 
Eädgife  his  böca  edgift.  and  se  cyncg  pä  swä  dyde.  and  heö  him 
ealle  ägef  bütan  Osterlandes  bec.  and  he  pä  böc  unncndre  handa  hire 
tölet.  and  para  öperra  mid  eäffmettum  gepancude.  and  uferran  p*t. 
twelfa  sum  hire  äff  sealde.  ior  geborenne  and  ungeborenne.  pset  pis 
sefrc  gesett  sprsec  wäre,  and  pis  wies  gedön  on  iEffolstänes  ky- 
nincges  gewitnesse.  and  his  wytena  aet  Hamme  wip  Liewe.  and 
Eädgifu  biefde  land  mid  böcum  para  twegra  cyninga  dagas  hire 
suna.  Dä  Eädred  geendude.  and  man  Eädgife  berypte  «leere  äre.  pä 
namon  Godan  twegen  suna.  Leöfstän  and  Leöfric.  on  Eädgife  päs 
twä  foresprecenan  land  pet  Culingon  and  «t  Osterland,  and  sse- 
don  päm  cilde  Eädwige.  pe  pä  gecoren  wies,  paet  hy  rihtur  hiora 
wären  ponne  hire.  paet  pä  swä  waes  off  Eädgär  ästiffude.  and  he 
and  his  wytan  gerehton  paet  hy  mänfull  reäflac  gedön  haefden.  and 
bi  hire  hire  äre  gerehton  and  ägefon;  Dä  nam  Eädgifu  be  ffaes 
cynincges  leäfe  and  gewitnesse  and  ealra  his  bisceopa.  pa  bec. 
and  land  betaehte  intö  Cristescyrcean  mid  hire  ägenum  handura  up 
on  Pone  altare  lede.  pan  hyrede  on  ecnesse  tö  äre.  and  hire 


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311 


sä  wie  tö  restc.  and  cwa-ft  pa-t  Crist  sylf  mid  eallum  hcofonlicum 
ma-gne  pane  äwyrgde  on  ecnesse  pe  päs  gife  a-fre  äwende  oppe 
gewanude;  Düs  com  peös  är  intö  Cristes  cyrcean  liyrede; 


[Keinble,  Codex  Diplomaticus,  No.  MCCXXXVI1. 

Eädgifu,  961.] 

•fr  Anno  dominicae  incarnationis.  DCCCC.LXI.  Ego  Eadgyua 
regina  et  mater  Eadmundi  et  Eadredi  regum,  pro  saluto  ani- 
inae  meae,  concedo  aecclesiae  Christi  in  Dorobernia  monachis 
ibidem  deo  sernientibus  has  terras,  Meapeham,  Culinges,  Lean- 
ham,  Peccham,  Fernlege,  Munccetun,  Ealdintun,  liberas  ab  omni 
saeculari  grauitate,  exceptis  tribus,  pontis  et  arcis  constructione, 
expeditione  Qualiter  autem  istae  terrae  michi  uenerunt,  operae 
pretium  duxi  intimare  omnibus,  scilicet  Odoni  archisacerdoti  to- 
ciusque  ßritanniae  primati,  et  familiae  Christi,  id  est  monachis 
in  Dorobernia  ciuitate.  Contigit  aliquando  patrem  meum  Sigcl- 
inum  habere  necessitatem  .XXX.  librarum  quas  a quodam  principe 
nomine  Goda  mutuo  accepit,  et  pro  uadimonio  eidem  dedit  terram 
quae  nominatur  Culinges,  qui  tenuit  eatn  septem  annis.  Septimo 
itaque  anno  expeditio  praeparabatur  per  omnem  Cantiam,  cum 
qua  Sigelmum  patrem  meum  ire  oportuit;  cum  uero  se  para- 
ret  uenerunt  illi  in  mente  .XXX.  librae  quas  Godae  debebat, 
quas  statim  ei  reddere  fecit.  Et  quia  nec  lilium  nee  filiam  nisi 
me  habuit,  haeredem  me  fecit  illius  terrae  et  omnium  terrarum 
suarum,  et  libros  michi  dedit.  Forte  tune  euenit  patrem  meum 
in  bello  cecidisse;  postquam  autem  idem  Goda  audiuit  defunctum 
in  bello  esse,  negauit  sibi  triginta  libras  persolutas  fuisse,  terrain- 
que  quam  pro  uadimonio  a patre  meo  accepit  detiuuit  iere  per 
sex  annos.  Sexto  uero  anno  quidam  propinquus  meus  nomine 
Ryrhsige  Dyring  coepit  instanter  aperte  conqueri  apud  optimates 
et  principes  et  sapientes  regni  de  iniuria  propinquae  suae  a Go- 
done  facta.  Optimates  autem  et  sapientes  pro  iusticia  inuenerunt, 
et  iusto  iudicio  decreuerunt  quod  ego,  quae  filia  et  haeres  eius 
sum,  patrem  meum  purgare  deberem,  uidelicet  sacramento,  . XXX . 
librarum,  easdem  triginta  libras  patrem  meum  persoluisse;  quod, 
teste  toto  regno,  apud  Agelesford  peregi;  sed  non  tune  quidem 
potui  terram  meam  habere,  quoadusque  amici  mei  regem  Eadu- 


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312 


uardum  adieruut,  et  illum  pro  eadein  terra  requisierunt.  Qui 
uidelicet  rex  eidein  Godoni,  super  omnem  honorem  quem  de  rege 
tenuit,  praedictam  terram  interdixit,  sicque  terram  diraisit.  Non 
mnlto  autem  post  tempore  contigit  eundem  Godonem  coram  rege 
ita  inculpari,  quod  per  iudicium  iudicatus  sit  perdere  omnia  quae 
de  rege  tenuit,  uitamquo  eius  esse  in  iudicio  regis.  Rex  autem  dedit 
eundem  michi  et  omnia  sua  cum  libris  omnium  terrarum  suarum, 
ut  de  eo  facerem  secundum  quod  promeruit.  Ego  autem  pro 
timore  dei  non  ansa  fui  reddere  ei  secundum  quod  contra  me 
promeruit,  sed  reddidi  ei  omnes  terras  suas  excepta  terra  duorum 
aratrorum  apud  Osterland;  libros  autem  terrarum  non  reddidi  ei, 
probare  enim  uolui  quam  fidem  de  beneficio  contra  tot  iniurias 
michi  ab  eo  illatas  teuere  ucllet.  Defuncto  autem  domino  meo 
rege  Eaduuardo,  .diiYelstanus  filius  suscepit  regnum,  quem  uidelicet 
regem  requisiuit  idem  Godo,  ut  pro  eo  me  rogaret  quatinus  ei 
redderem  libros  terrarum  suarum.  Ego  autem  libenter,  deuicta 
amore,  uidelicet  regis  JEti'elstani,  ei  omnes  libros  terrarum  sua- 
rum reddidi,  excepto  libro  de  Osterlande,  quem  scilicet  humiliter 
bona  uoluntate  dimisit.  Insuper  pro  se  et  omnibus  parentibus 
suis,  natis  et  nondum  natis,  nuncquam  quaeremoniam  facturos  de 
praedicta  terra,  secum  acceptis  undecim  comparibus  suis,  michi 
sacramentuin  fecit.  Hoc  autem  factum  est  in  loco  qui  nominatur 
Hamme  iuxta  L;ewcs.  Ego  autem  Eadgyua  habui  terram  cum 
libro  de  Osterlande  diebus  duorum  rcgum  JEöelstani  et  Eadmundi 
tiliorum  meorum;  Eadredo  quoque  rege  filio  meo  defuncto,  des- 
poliata  sum  omnibus  terris  meis  et  rebus.  Duo  quoque  filii  iam 
saepenominati  Godonis,  Leofstanus  et  Leofricns,  abstulerunt  michi 
duas  superius  nominatas  terras  Culinges  et  Osterlande,  uenerunt- 
que  ad  puerum  Eaduuium,  qui  tune  nouiter  leuatus  est  in  regem, 
et  dixerunt  se  maiorem  iusticiam  in  illis  terris  habere  quam  ego. 
Iteinansi  ergo  illis  terris  et  omnibus  aliis  priuata  usque  ad  tem- 
pora  Eadgari  regis.  Qui  cum  audisset  me  ita  dehonestatam  ac 
despoliatam,  congregatis  principibus  et  sapientibus  Angliae,  in- 
tellexit  enim  me  cum  magna  iniusticia  rebus  et  terris  meis  des- 
poliatam, idem  rex  Eadgarus  restituit  mihi  terras  meas  et  omnia 
mea.  Ego  autem  licentia  et  consensu  illius  testimonioque  omnium 
episcoporum  et  optimatum  suorum,  omnes  terras  meas  et  libros 
terrarum  propria  manu  mea  posui  super  altare  Christi  quae  sita 


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313 


est  in  Dorobernia.  Si  quis  lianc  mcara  donationcm  a iure  prac- 
dictae  ecclesiae  auferre  conatus  fuerit,  auferat  ci  omnipotens  deus 
regnum  suum. 

( onjirmafio.  Ego  /KiVelredus , dei  opitulante  misericordia 
totius  Anglicae  gentis  regimen  tenendo,  priuilegiis  auditis  ueter[a]- 
norum  sapientum,  cordis  tactus  compunctione,  arcliipraesulis  ex- 
hortatione  Alfrici,  ad  animae  commodura  deputamus  nostrae,  quin 
praedecessorura  nostrorum  decrelo  firmemus,  hoc  aeternaliter 
statuentes  ut  impii  quique  a priuilegiis  praedictis  Christo  tonanti 
quid  auferentes,  sub  aDathemate  in  aeternura  cum  diabolo  punian- 
tur.  Qui  uero  banc  libertatem  augendo  firmauerit  illaesam, 
piissiino  liberetur  a domino,  cum  nouissima  insonuerit  tuba, 
reddens  cuiquc  secunduin  opera  sua. 


[Crawford  Collection  of  Early  Charters,  hrsg.  von  A.  S.  Napier 
& W.  H.  Stevenson,  No.  IV.1).] 

Endorsed  in  hand  of  lllh  cent.:  + In  nomine  domiui  nostri 
iliesu  christi..  Ic  eadnoiV  bisceop  eyde  on  pisson  gewriton  . [net 
ic  onborgede  . XXX . mancsa  goldes  be  leadgewihte  to  minre 
landhreddinge  a*t  beorhnoiVe.  and  ic  gesealde  hym  ane  gyrdc 
landes  to  underwedde  be  cridian  to  pam  forewerdon.  {net  he  h;ebbe 
liis  d;eg  . and  ofer  bis  d;eg  beewed'e  p sceat  pam  pe  bim  leofost 
beo  pe  on  pam  lande  stent.  l>is  sind  pa  landgema*ro  p:ere  gyrde 
be  cridian.  Jirest  on  sceocabroces  ford.  ponne  east  on  herpad'  on 
pone  lytlan  garan  easteweardne.  sud  on  pa  deadan  lace  on  cri- 
dian up  ongean  stream  on  pone  amlypan  ascer.  ponne  east  on  her- 
paiV  el't  on  sceocabroces  ford.  l>isses  ys  to  gewitnisse.  enut 
cyning.  and  wulstan  arcebisceop  and  lifing  arcebisceop.  and  birlit- 
wold  bisceop  and  eadnod  bisceop.  and  burewold  bisceop.  and  ied'el- 
wine.  bisceop.  and  birihtwine  bisceop.  and  sedelwerd  ealdorman. 
atVelwold  abbud.  and  eall  se  hired  on  exan  cestre  and  se  hired  on 
cridian  tune,  and  pis  eydde  se  bisceop  pam  burhwiton  on  exan 
ceastre  and  to  tottauesse,  and  to  hlidaforda  and  to  beardastapole. 
Pax  sit  hoc  seruantibus  et  infernus  sit  boc  frangentibus. 

')  Diese  earta  JEÖelstans  wird  hier  von  uns  nicht  angeführt,  sondern 
bloß  das  Ubertragungsindossamcnt,  Siehe  die  lieinerknngen  von  Napier  und 
Stevenson  a.  a.  0.,  S.  65— 80. 


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Endor*ed  in  emly  I4'A  cent.  hand : Carta  Regis  Etllthelstan 
de  Est  Samford  in  diebos  eaddulfi  episcopi  hnius  loci  sub 
anno  domini  DCCCC  nongentesi[mo]  XXXm°  apud  Chippenham 
confecta. 


II. 

Proprietätspfand. 

[Kemble,  Codex  Diplomaticus,  No.  CLXXXVl.) 

Aethelric,  804. 

4*  In  nomine  domini  dei  summi,  rex  regnm,  qui  in  altis 
habitat  et  prospicit  omnia  caelestia  et  terrestria!  Anno  ab 
incarnatione  Christi.  DCCC.  IIII.  Indictione  . XII . ego  Aethelric, 
tilius  Actbelmundi,  cum  couscientia  synodali  inuitatus  ad  synodum,  ct 
in  iudicio  stare,  in  loco  qui  dicitur  Clofeshoh,  cum  libris  et  ru- 
ris,  id  est,  aet  Uuestmynster,  quod  prius  propinqui  mei  tradide- 
runt  mihi  et  donauerunt,  ibi  Aethelhardus  archiepiscopus  mihi 
regebat  atque  iudicauerat,  cum  testimonio  Coenuulfi  regis,  et 
optimatibus  eius,  coram  omni  synodo,  quando  scripturas  meas 
perscrutarent,  ut  über  essem  terram  meam  atque  libellos  dare 
quocunquc  uolui.  Postea  commendaui  amicis  meis  ad  seruandum, 
quando  quaesiui  sanctum  Petrum  et  sanctum  Paulum,  pro  reme- 
dio  animae  meae,  et,  iterum  me  reuertente  ad  patriam,  accepi 
terram  meam,  et  praetium  reddidi,  quasi  ante  pacti  sumus,  et 
pacifici  fuerimus  ad  inuicem.  Facta  est  autem  post  paucos  annos 
alia  synodus  aet  Aclea.  Tune  in  illo  synodo  coram  episcopis, 
rege  et  principibus  eius,  rememoraui  pristinae  libertatis  meae, 
quae  mihi  ante  iudicatum  est,  et  cum  licentia  eorum  testificaui 
in  praesenti  testimonio,  queraadmodum  meam  haereditatem  dare 
uoluissem,  et  sic  dixi:  Haec  sunt  noraina  illarum  terrarum,  quae 
dabo  ad  locum,  qui  dicitur  Deorhyrst,  pro  me  et  Aethelmundo 
patre  meo,  si  mihi  contingat  ut  illic  corpus  meum  requiescat; 
Todanhom,  et  aet  Sture,  Scraefleh  et  Cohhanleh,  ea  conditiono, 
ut  illa  congregatio  uota  eorum  faciat  firma,  sicut  mihi  promise- 
runt  Iterum  dabo  UuaerfenVe  . XI . manentium  Bremesgraefan 
et  Feccanhom,  ut  habeat  suum  diom,  et  postea  reddat  ad  Uui- 
gorna  ceastre.  Uerum  etiam  do.  XXX.  manentium  Cnder  Ofre  ad 


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315 


Gleauuecestre.  Et  quando  mihi  contingat  cxitus  diei  mei,  tune 
dabo  Ciolburgc  matri  meae,  si  diutius  uiuit  quam  ego,  terrani 
. XLIII . manentium  aet  Uuestmynster,  et  aet  Stoce,  ut  habeat 
suam  diem,  et  postea  reddat  ad  Uueogernensem  aecclesiam. 
Pro  qua  re  ea  uinente  ut  ibi  habeat  protectionem  et  defensionem 
contra  Beorclinga  contentione:  et  si  aliquis  homo  in  aliqua  con- 
tentione  iuramentum  ei  decreuerit  contra  Berclingas,  liberrima  erit 
ad  reddendum,  cum  recto  consilio  propinquorum  meorum,  qui  mihi 
haereditatem  donabant,  etmeo,  quo  ei  dabo;  et  si  non  habeat  patroci- 
niuminciuitateüueogornensi,  postea  primum  quaeratad  archiepisco- 
pum  in  Cantia.  Et  si  ibi  non  habeat,  sit  libera  cum  ruris  et  libris  ad 
eiigendum  patrocinium,  ubi  placitura  sibi  fuerit.  Si  aliter  hat, 
ut  non  opto,  aliquis  homo  contendat  contra  libros  meos  uol  haere- 
ditatem indigne,  tune  habet  Alduulfus  episcopus  in  Liceetfelda 
istius  cartulae  comparem,  et  amici  et  necessarii  mei  et  fidelissimi 
alias,  id  est,  Eadberht  Eadgaring,  et  AeiVelheah  Esning,  ad  con- 
lirmationem  huius  rei.  Rogo  etiara  AeiVelric,  pro  amore  omnipo- 
tentis  dei,  et  praecipio  et  obsecro  per  omnes  uirtutes  coelorum, 
ut  nullus  homo  hanc  positionem  crucis  Christi,  quae  tantorum 
uirorum  testimonio  conhrmata  est,  non  praesumat  minuere. 
Si  ausus  est  aliquis  conhrmationem  istam  infringere,  deleatur  de 
laude  dei,  si  non  satisfactione  emendauerit. 

+ Ego  Coenuulf,  rex  Merciorum,  hanc  muniheentiam  signo 
sanctae  crucis  subscripsi.  4"  Ego  AeiYelheardus  archiepiscopus 
Dorouernensis  ciuitatis  signum  sanctae  crucis  subscripsi.  4*  Ego 
Alduulfus  Lieetfeldonsis  episcopus  consensi.  4«  Ego  Werenberht 
episcopus  consensi.  4*  Ego  Dcnebyrht  episcopus  consensi.  4*  Ego 
Wulfheard  episcopus  consensi.  4<  Ego  Eadwulfus  episcopus  con- 
sensi. 4<  Ego  Heaberht  dux  subscripsi.  4*  Ego  Beornofl  dux  sub- 
scripsi. 4*  Ego  Ciohvard  dux  subscripsi.  4*  Ego  Cynehelm  dux 
subscripsi.  4*  Ego  Wicga  dux  subscripsi.  4«  Ego  Wigheard  dux 
subscripsi.  4*  Ego  Byrnuuald  dux  subscripsi.  4*  Ego  Aldred 
dux  consensi  et  subscripsi. 

[Kemble,  Codex  Diplomaticus,  No.  DCXC.] 

£scwig,  995 

4*  Anno  dominicac  incarnationis  . DCCCC.XCV.  indictiono 
.VII.  Ego  .Escwinus,  Dorcestrensis  aecclesiae  pontifex,  reddo 


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aecclesiae  Christi  et  .Elfrico  archiepiscopo  raetropolitanae  sedis 
terrain  de  Risberghe  cum  libro  eiusdem  terrae  pro  saiute  animae 
meae;  quam  uidelicet  terrain  Sigericus  archiepiscopus  eiusdem 
aecclesiae  Christi,  praedecessor  praefati  archiepiscopi  .Elfrioi, 
dedit  mihi  in  uadimonium,  pro  pecunia  quam  a me  mutuo  acce- 
pit.  Ego  autem  timore  dei  compunctus  pro  spe  salutis  aeternae, 
ut  praefatus  sum,  liberam  eam  reddo  aecclesiae,  ad  quam  iuste 
pertinet,  ab  omni  mundiali  obstaculo,  cum  omnibus  ad  se  rite 
pertioentibus,  exceptis,  expeditione,  pontis  et  arcis  coaediticatione. 
Hane  meae  munilicae  concessionis  libertatem  conantes  mutare  uel 
minuere,  seu  frangere,  habeant  partem  cum  hiis  quibus  dicitur, 
,Discedite  a me  operarii  iniquitatis  in  ignem  flammiuomura,  ibi 
erit  fletus  oculorum  et  stridor  dentium1,  nisi  prius  digna  poeni- 
tentia  et  legali  satisfactione  ante  exitum  corporalis  uitae  diligenter 
canonice  emendauerit.  Anno  dominicae  incarnationis  . DCCCC.XCV. 
indictionc  uero  .VII.  praesens  cartula  caraxata  notatur,  hiis  testi- 
bus,  quorutn  inferius  nomina  scripta  uidentur,  consentientibus. 

4*  Ego  .Etfelredus  rex  Anglorum  huius  libertatis  donationem 
culminis  totius  regimen  gubemans  libenter  concessi.  + Ego  Siri- 
cus  Dorouernensis  aecclesiae  archiepiscopus  cum  signo  sanctae 
crucis  corroboraui.  4*  Ego  .Elphegus  Wyntoniensis  aecclesiae  prae- 
sul  confirmaui.  + Ego  .Ed'elstanus  Lundoniensis  aecclesiae  antistes 
consolidani.  4*  Ego  .Kscuinus  Dnrcestrensis  aecclesiae  pontifex 
conlaudaui.  4*  Ego  .E;Velstanus  Rouensis  aecclesiae  praesul  consig- 
naui.  4*  Ego  Ordbyrht  Seolesiensis  aecclesiae  antistes  impressi. 
4*  Ego  Sigar  Willanensis  aecclesiae  episcopus  adquieui.  4*  Ego 
Jilfricus  Willtunensis  aecclesiae  episcopus  adunaui.  4*  Ego  .EiYel- 
wyard  dux.  4<  Ego  .Elfrie  dux.  4*  Ego  Leofsye  dux.  4*  Ego 
Leofwyn  dux.  4»  Ego  .Elfsye  abbas.  4*  Ego  Leofric  abbas. 
4*  Ego  Bryghtnoö  abbas.  4«  Ego  /EiVelroar  minister.  4*  Ego  Ordulf 
minister.  4*  Ego  WolfryiY  minister.  4*  Ego  Wolfeby  minister. 
4«  Ego  jElfsye  minister.  4*  Ego  Fra-ne  minister.  4«  Ego  Wolfric 
minister 


[Kemblo,  Codex  Diplomaticus,  No.  DCLXXXIX.] 
yEHELRED,  995. 

4«  In  nomine  sancti  saluatoris,  qui  cuncta  a se  ex  nihilo 
condita  iure  gubernat  et  ad  suae  potestatis  imperium  ne  in 


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nichilum  redacta  lluant  sui  regiminis  potentia  furtiter  eonstringit 
seruatque  honeste!  Cum  enim  a sapientibus  saepe  multipliciter- 
que  narraturn  cogoouimus  quod  labentia  quaeque  ad  suae  perditionis 
detrimentum  festinare  uidentur  magno  opere  cuique  fidelinm  esse 
satagendum  uidetur  quo  se  in  praesenti  bonis  iugiter  actibus,  ut 
possibile  est,  exerceat  uita  ut  in  futura  de  retributionis  gaudeat 
mercede.  Qua  de  re,  ego.Eöelredus,  Anglorum  rector  caeterarumque 
gentium  per  circuitum  adiacentium  gubernator,  cuidam  meo  mihi 
ualde  fidelissimo  episcopo  nomine  usitato  .Kscwigo.  quandam  ruris 
particuiam  suae  potestatis  arbitrio  concedo  libentissimo  . XXX*. 
uidelicet  mansiunculas , in  loco  qui  ab  indigenis  at  Riseuburga 
nuncupatur  uocabulo;  sed  et  hoc  fidelibus  quibuslibet,  ut 
necessarium  aestimamus , intimare  curamus  qua  praedictum 
rus  serie  in  propriam  praefati  episcopi  potestatemconcessum  erat. 
Cum  enim  gens  pagana  Cantiam  suis  stomachando  caedibus  de- 
uastaret  et  hostiliter  bachando  deleret,  promiltebant  se  ad  aeccle- 
siam  sancti  saluatoris,  quae  in  Dorouernensi  ciuitate  sita  est 
ituros,  et  eam  suis  incendiis  funditus  delere,  nisi  pecuuia,  quae 
eis  ab  archiepiscopo  Sirico  promissa  fuerat,  ad  plenum  daretur. 
Unde  mullis  agitatus  ancxietatibus  archiepiscopus,  cum  nec  unum 
tantummodo  nummum  haberet,  iniit  consilium,  et  mittens  ad 
praesulem  praefatum,  „Escwium  uidelicet,  et  eum  multis  obnixe 
rogitabat  precibus  quo  sibi  pecuniam,  quae  deerat,  pro  sui  amo- 
ris  diligentia  donaret,  et  antedictum  rus  quo  in  suo  potestatis 
arbitrio  pro  hac  accipere  non  renueret  multa  prece  deposcit 
Unde  talibus  permotus  miseriis  praefatus  praesul  accepta  pecunia, 
nonaginta,  uidelicet,  libras  meri  argenti  ducentasque  purissimi 
auri  mancusas,  per  eosdem  nuncios  quibus  perlatum  est  ad  archie- 
piscopurn  mittens  consensutn  praebuit;  qua  accepta,  archiepiscopus 
accersitis  hostibus  ad  plenum  praebuit  quod  ante  quamuis  coactus 
promisit,  et  librum  ruris  praefati  me  praesente  meisque  optimati- 
bus  testimonium  praebentibus  episcopo  .Escwig  libentissimo  tri- 
buens  donauit  animo,  ut  habeat  et  possideat  quamdiu  se  esse 
praesentialiter  cognoscat;  et  post  se  haeredi  cui  uoluerit  concedat. 
Sit  autem  praedictum  ms  ab  omni  mundiali  obstaculo  liberum, 
cum  omnibus  quae  ad  se  perticere  dinoscuntur.  tarn  in  magnis  quam 
in  raodicis  rebus,  campis,  pascuis,  pratis,  siluis,  exceptis  istis 
tribns,  expeditione,  uidelicet,  pontis  arcisue  coaedificatione.  Est 


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autem  praedictum  rus  talibus  circumcinctum  terminis  qui  con- 
ti neotur  in  originali  codicello  isto  literis  Saxonicis  et  Saxonico 
idiomate  conscripti,  etc.  Hane  sane  nostrae  muniticae  concessionis 
libertatem  conantes  mutare  uel  ininnere  siue  frangere,  habeant 
partem  cum  bis  qnibus  dicitur,  ,Discedite  a me  operarii 
iniquitatis  in  ignem  ilammiuomum,  ibi  erit  tletus  oculorum  et 
stridor  dentium‘,  nisi  prius  digna  poenitentia  et  legali  satisfactione 
ante  exitum  corporalis  uitae  diligenter  canonice  emendauerit.  Anno 
dominicae  incarnationis  . DCCCC.XCV.  indictione  uero.  VII.  prae- 
sens cartula  caraxata  notatur,  hiis  testibus,  quorum  inferius  no- 
mina  scripta  oidentur,  consentientibus. 

4>  Ego  .Eifelredus  rex  Anglorum  huius  libertatis  donationem 
culminis  totius  regimen  gubernans  libenter  concessi.  4>  Ego 
Siricus  Dorouernensis  aecclesiae  archiepiscopus  cum  signo  sanctae 
crucis  corroboraui.  + Ego  .Elphegus  Wyntoniensis  aecclesiae  prae- 
sul  contirmaui.  + Ego  .Eöelstanus  Lundoniensis  aecclesiae  antis- 
tes  consolidaui.  + Ego  .Escuinus  Durcestrensis  aecclesiae  ponti- 
fex  conlaudaui.  + Ego  .Eöelstanus  Eouensis  aecclesiae  praesul 
consignaui.  4*  Ego  Ordbyrht  Seolesiensis  aecclesiae  antistes  im- 
pressi.  4*  Ego  Sigar  Willanensis  aecclesiae  episcopus  adquieui. 
♦ Ego  .Elfricus  Willtunensis  aecclesiae  episcopus  adunaui.  4*  Ego 
.Eöelwyard  dux.  4«  Ego  JSlfric  dux.  4*  Ego  Leofsye  dux.  4*  Ego 
Leofwyn  dux.  4«  Ego  .Elfsye  abbas.  4«  Ego  Leofric  abbas.  4*  Ebo 
BryghtnoiV  abbas.  4«  Ego  -Eöelmar  minister.  4*  Ego  Ordulf  mi- 
nister. 4*  Ego  Wolfiryö  minister.  4*  Ego  Wolfeby  minister.  4*  Ego 
Jilfsye  minister.  4«  Ego  Frame  minister.  4*  Ego  Wolfric  minister. 

[Keinble,  Codex  Diplomaticus,  No.  DCCCCLIII], 

Ulf  um  1066. 

4«  Dis  is  seö  feorewearde  <Te  ülf  and  Madselm  his  gebedda 
worhtan  wiA  [God]  and  wid  sancte  Peter  ffä  hig  tö  Ierusalem 
ferdon.  Dat  is  iVat  land  a*t  Carlatüne  intö  Burh,  a*fter  heora 
da'ge  heore  säule  tö  aljsednesse;  and  <Vat  land  aet  ßythäm 
intö  sancte  Güöläce;  and  iVat  land  a-t  Sempingahfim  intö  sancte 
Benedicte  tö  Ramesege ; and  iVat  land  set  Lofintüne  and  set 
Heordewican  Ealdrede  bisceope  tö  füllen  ceäpe;  and  ö'at  land 
:et  Scillintüne  and  a-t  Houcbig  and  :et  Mörtüne  öäron  stent  öäm 


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bisceope  eahta  marca  goldcs;  and  gif  hig  häm  cuman  gylde  dam 
bisceope  his  gold , and  gif  heora  näder  ne  cymd,  dö  6e  bisceop 
for  heora  söule  swa  mycel  swä  dset  land  is  betöre  «Vene  iVa*t 
gold  sj;  and  gif  d'äm  bisceope  getid  büton  eal  teala,  ga  de 
abbud  Brand  tö  dam  ilcan  foreweardan : and  da*t  land  a-t  Manne- 
d'orp  ic  hiebbe  ge-unnan  d'äm  abbot  Brande;  and  da*t  land  a-t 
Willabyg  ic  habbe  ge-unnan  Siferde  minen  m;t-ge;  and  d'a-t  land 
»t  Stoce  he  hafad "ge-unnan  Lyfgyfan  hyre  mägan ; and  d'a-t  land 
»t  Strodistüne  heö  hafad  ge-unnan  Ingemunde,  and  he  hyre  [anj  da 
westhealle  ongean  a*t  Wintringatüne;  and  dset  land  a-t  Ofertüne 
sylla-  man  and  dö  for  heora  begra  säulo;  and  twä  land  ic  habbe 
ge-unnen  minre  mödar,  dset  is  Kitlebig  and  Cotum,  and  heö 
ha-fd  me  ge-unnen  Ma-ssingahäm  and  Kytlebi;  and  gif  ic  hüm  ne 
cume  habbe  Ingemnnd  d'a-t  land  ;t-t  Coringatüne;  and  d'aet  land 
a-t  Cleaxbyg  ic  habbe  ge-unnen  Healdene  minan  breder;  and  d'a*t 
land  a-t  Drmesbj'g  intö  sancta-  Marian  stowe  and  eal  d'aet  ic  der 
ühte;  and  Lindbeorhge  habban  mine  cnihtas  gif  ic  hära  ne  cume; 
and  d'a-t  land  a-t  Lohtüne  da-t  heö  hatad  derinne  intö  Dornege. 


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Zweiter  Teil. 


Die  Zeit  von  der  normannischen  Eroberung  bis 
zum  Ausgang  des  Mittelalters. 


I. 

Pfand  mit  Besitz  des  Gläubigers. 

A.  Nutzpfand. 

(Siehe  die  (ilanviH'aclicn  Stellen  unter  l’n>|irielätspfa»d). 

B.  Proprietätspfand. 

(a)  Suspensiv  bedingte  Übereignung. 

[Tractatus  de  Legibus  et  Consuetudinibus  regni  Anglia*.  Ranulphus 
de  Glanvilla.  Aufl.  1 604.  | 

Liber  decimus. 

Capitulo  1. 

* Placiturn  quoque  de  debitis  laicorum,  spectat  ad  coronam 
Je  dignitatem  regis,  cum  quis  itaqae  de  debito  quod  sibi  debitur 
curif  queritur,  si  placiturn  illud  ad  curiarn  Regis  trahere  possit, 
tale  breue  de  prima  summonitione  facienda  liabebit. 

Cap.  2. 

^ Rex  vicecoiniti  salutem.  Prsecipe  N.  quod  iuste  & sine 
dilatione  reddat  R.  centum  marcas  quas  ei  debet  vt  dicit.  Et 
vude  queritur  quod  ipse  ei  iniuste  deforciat,  et  nisi  fecerit,  sum- 
mone  eum  per  bonos  summonitores,  quod  sit  coram  me  vel  Ius- 
tieijs  meis  apud  Westmonasterium  ä clauso  Pascha*  in  quindecim 
dies,  ostensurus  quare  non  fecerit.  Et  habeas  ibi  summonitores  & 
hoc  breue  T.  &e. 


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Cap.  3. 

* He  absentia  quidem  vtriusque  partis  qualiter  indicandum 
sit  vel  defalta  ante  litis  ingressum,  in  superioribus  satis  dictum 
est.  IUnd  tarnen  notandum  est  quod  non  solet  Curia  Regis  ali- 
quant districtionem  facere  ad  iustiiicandum  aliqnem  per  catalla, 
quod  ad  curiam  veniat  pro  aliquo  placito.  Ergo  de  tali  placito 
de  consilio  Curia*,  potest  quis  distringi  per  feodum  suum,  vel  per 
plegiorum  attachiamentum,  sicut  in  alijs  placitis  iieri  solet*  vtroque 
vero  existente  in  Curia,  is  qui  petit  pluribus  ex  causis  debitum 
petere  potest,  aut  enim  debetur  ei  quid,  ex  causa  mutui,  aut  ex 
causa  venditionis,  aut  ex  commodato,  aut  ex  locato,  aut  ex 
deposito,  aut  ex  alia  iusta  debendi  causa.  Ex  causa  mutui 
debetur  aliquid:  cum  quis  credit  alij  aliquid  tale  quod  consistit 
in  numero  vel  pondere  vel  mensura.  Cum  quis  itaque  aliquid 
tale  crediderit,  si  plus  eo  receperit  vsuram  facit.  Et  si  in 
tali  crimine  obierit,  damnabitur  tanquam  vsurarius  per  legem 
terra*  vnde  superius  dictum  est  plenius.  Cum  quid  autem 
creditur  alicui  solet  illud  plerunque  credi  sub  plegiorum  datione. 
Quandoque  sub  vadij  positione:  Quandoque  sub  fideij  inter- 
positione,  quandoque  sub  carte  expositione,  quandoqw«  etiam  sub 
plurium  istorum  simul  securitate.  Cum  ergo  aliquid  debetur 
sub  plegiorum  datione  tantum,  si  principalis  debitor  ita  inde  de- 
fecerit  quod  non  habeat  vnde  soluere  possit,  tune  demum  recur- 
rendum  erit  ad  plegios  & inde  summonebuntur  per  tale  breue. 

Cap.  4. 

Rex  vicecomiti  salutem.  Precipe  N.  quod  iuste  & sine  dila- 
tione  acquietet  R.  de  centum  marcis  versus  N.  vnde  eum  aple- 
giauit  vt  dicit,  et  vnde  queritur  quod  eum  non  acquietauit  inde 
k nisi  fecerit  summone  eum  per  bonos  summonitores  &c. 

Cap.  5. 

* Apparentibus  siquidem  plegijs  in  curia,  aut  confitentur 
suam  plegiationem  aut  negant.  Si  confiteantur,  tune  autem  te- 
nentur  creditori  inde  satisfacere,  ad  terminos  competentes  ei  in 
curia  ad  id  assignatos.  Vel  se  ab  illa  plegiatione  per  solutionem 
vel  alio  modo  legittime  acquietasse,  tenentur  legittime  probare. 

Haieltlne.  englisches  Pfandrecht  21 


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32  2 


Tenentur  autem  plegij  si  plures  fuerint,  singuli  in  totum,  nisi 
aliter  conuenerit  quando  se  plegios  inde  fecerunt,  k ad  inde 
satisfaciendum  simul  sunt  distringendi.  Ita  quod  si  plures  dati 
fuerint  plegij  & aliquis  vel  aliqui  eorum  non  habeant  vnde  reddere 
possunt,  ipsum  onus  acquietancie  ad  ceteros  vel  in  totum,  vel  in 
quantum  ipsi  defecerint  spectabit  verum  si  de  debitora  aliquo 
plegiando  plegij  pro  certis  partibus  dati  fuerint:  quicquid  de 
quibusdam  eorum  plegiorum  contigerit,  reliqui  no«  nisi  pro  par- 
tibus suis  inde  respondere  cogentur. 

* Poterit  ergo  ex  hoc  esse  contewtio  quandoque  inter  credi- 
torem  k plegios,  quandoque  inter  ipsos  plegios,  si  plegins  aliquis 
dicat  se  de  minori  summa  plegiasse  principalem  debitorem,  et 
contra  eum  dicatur  quod  de  maiori,  cum  enim  singuli  plegij 
de  certis  partibus  constituuntur,  tnnc  necesse  habet  ipse 
creditor  cum  illo  agere,  qni  minus  confitetur  se  debere  ex  sua 
plegiatione  quam  debeat.  Sin  autem  quidatn  eorum  in  totum, 
quidam  de  certis  paitibus  constituantur  plegij:  tune  quidem  ne- 
cesse erit  iliis  qui  in  totnra  plegiauerint,  agere  cum  illis  qui 
minus  quam  inde  debent,  confitentur  se  debere.  Quod  qualiter 
probari  debeat,  ex  sequentibus  liquebit.  ' Soluto  vero  eo  quod 
debetur  ab  ipsis  plegijs,  recuperare  inde  poterint  ad  principalem 
debitorem,  si  postea  habuerit  vnde  eis  satisfacere  possit,  per 
principale  placitum:  de  debitis  vnde  inferius  dicetur.  Sciendum 
tarnen  quod  si  quis  alium  plegiauerit  de  stando  ad  rectum  in 
aliqua  loquela,  k pro  defalta  ipsius  quem  plegiauerit  in  miseri- 
cordiam  inciderit,  ita  quod  ob  illam  causam  aliquid  persoluerit, 
super  hoc  de  cetero  nil  recuperare  poterit  versus  illum  quem 
plegiauit.  * Quicunque  autem  alium  plegiauerit  de  stando  ad 
reetnm  de  aliqno  placito  quod  pertinet  ad  coronam  domini  Regis, 
vt  de  pace  domini  Kegis  infracta,  'vel  alio,  si  non  habuerit  eum 
ad  rectum  pro  plegiatione  illa:  incidet  in  misericordiam  domini 
Regis,  qu?  qualis  sit  superius  dictum  est.  Gt  per  hoc  libe- 
rabiter  ab  illa  plegiatione  Sin  antem  plegij  ipsi  plegiatio- 
nem  in  Curia  negauerint,  tune  si  plures  fuerint  inde  dati  plegij, 
aut  omnes  negant  plegiatione»«  illam,  aut  quidam  confitentur,  & 
quidam  negant.  Si  vero  quidam  confitentur,  & quidam  negant, 
tune  placitum  inde  esse  poterit  tum  inter  ipsum  creditorem  & 
plegios  tum  inter  plegios  confitentcs  & plegios  negantes  secundum 


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323 


quod  supradictum  est.  Qu?  vero  diracionatio,  inde  exigatur  inter 
quoseunque  placitum  illud  vertatur?  quero.  Vtrum  scilicet  per 
duellum  tieri  debeat,  an  alio  modo,  vel  vtrum  scilicet  plcgij  per 
iuramentum  tot  bominurn  quot  Curia  exigit,  plegiationem  ipsam 
possint  negare:  Dicunt  autem  ad  hoc  quidam:  quod  creditor  ipse 
suo  & legittimorum  * testiüm  iuramento,  poterit  hoc  de  iure  pro- 
bare versus  ipsos  plegios,  nisi  plegij  ipsi  eum  velit  ä sacramento 
leuarc.  Nunc  quando  petens  ipse  paratus  accedit  ad  faciendum 
sacramentum,  olim  vero  oportuit  hoc  lieri  ante  legem  vadiatam. 
Sic  ergo  in  tali  casu  potest  inde  perueniri  ad  duellum. 

Cap.  6. 

* Creditur  quoque  mutuo  res  aliqua,  sub  vadij  positione,  quod 
cum  sit,  quandoque  res  mobiles  vt  catalla  ponuntur  in  vadium. 
Quandoque  res  immobiles,  vt  terra-  & tenementa  & redditus,  siue 
in  denarijs  siue  in  alijs  rebus  consistentes.  Item  cum  inter  cre- 
ditorem  & debitorem  conucnerit  de  vadio  interponendo  cuiuscunque 
modi  res  inuadiata  sit:  debitor  ipse  aut  statim  ipsi  creditori  facit 
habere  sui  vadij  seisinam  postquam  sibi  rem  mutuo  datarn  accepit, 
aut  non.  Item  inuadiatur  res  quandoque  ad  terminum  quandoquc 
sine  termino.  Item  quandoque  inuadiatur  res  aliqua  in  mortuo 
vadio,  quandoque  non.  * Mortuum  vadium:  dicitur  illud  cuius 
fructus  vel  redditus  interim  percepti  in  nullo  se  acquietant.  Cum 
itaque  res  mobiles  ponuntur  in  vadium,  ita  quod  creditori  inde 
fiat  seisina,  & ad  certum  terminum  saluo  tenetur  creditor  vadium 
illud  custodire.  Ita  quod  noc  eo  vtatur  vel  quocunque  modo 
tractet  illud,  quare  deterius  efficiatur.  Sin  autem  in  custodia 
deterius  factum  fuerit  infra  terminum  per  culpam  creditoris, 
computabiiur  in  debitum  ei  ad  valcntiam  ipsius  deteriorationis. 
Preterea,  si  res  talis  fuerit,  quod  expensas  exigat  et  custum 
necessarium,  veluti  vt  pascatur,  vel  reficiatur,  secundum  quod 
conuenerit  inde  inter  creditorem  et  debitorem  seruabitur  inter  eos. 
Preterea,  cum  ad  certum  terminum  res  aliqua  ponatur  in  vadium, 
aut  ita  conuenit  inter  creditorem  et  debitorem,  quod  si  ad  ter- 
miuum  illum  vadium  suum  non  acquietauerit  debitor  ipse:  tune 
vadium  ipsum  remanebit  ipsi  creditori,  ita  quod  negocium  suum 
sicut  de  sun  inde  faciat:  aut  nihil  tale  inter  eos  conuenit.  In 
priori  casu  stabitur  conuencioni.  In  secundo  existente  termino  si 

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324 


fuerit  debitor  in  mora  soluendi  debitum,  poterit  creditor  se  inde 
conqueri  & iusticiabitur  debitor  vt  ad  curiam  veniat  & inde  rcs- 
pondeat,  & per  hoc  breue. 


Cap.  7. 

Rex  vicecomiti  salutetn.  Precipe  N.  quod  iuste  & sine  di- 
latione  acquietet  rem  illam  quam  inuadianit  R.  pro  centum  raarcis 
vsqj/e  ad  terminum  qui  prqterijt  vt  dicit,  & vnde  queritur  quod 
eam  nondum  acquietauit,  et  nisi  fecerit  &c. 

Cap.  8. 

Qualiter  autera  distringendus  sit  vt  ad  curiam  veniat,  vtrum 
per  ipsum  vadium  an  alio  modo  quero.  Illud  autem  relinqui  po- 
test  consilio  curit;,  quia  vtrolibet  modo  potest  res  satis  competenter 
expediri,  oportet  enim  quod  aliquando  prqsens  sit  in  curia  ante- 
qua/n  res  sua  creditori  ciametur  quieta.  Possit  enim  prqsens  ali- 
quid  dicere  quare  res  ipsa  creditori  non  remaneret  <(uieta,  existens 
vero  in  curia  debitor  ipse,  aut  confitetur  se  rem  illam  in  vadium 
pro  debito  illo  posuisse  aut  negat.  * Si  confitetur:  quia  eo  ipso 
confitetur  debitum,  precipietur  ei  quod  ad  rationabilem  terminum 
vadium  ipsum  acquietet,  et  nisi  fecerit,  dabitur  licentia  ipsi  cr.V 
ditori,  de  cetero  negocium  suum  de  vadio  ipso  sicut  de  propria  re- 
facere  quomodo  voluerit  Sin  autem  id  lieget,  tune  rem  ipsam 
aut  dicit  suam  esse  sed  aliqua  de  causa  ab  eius  decidistse  posses 
sione  & alium  in  possessione  constitutum,  vt  ex  commoda  oaut  ex 
commendatione,  custodie  causa,  aut  alia  huiusmodi  causa,  aut  in 
curia  eandem  rem  suam  non  esse  contitebitur,  quod  si  fecerit, 
dabitur  statiro  lieewtia  ipsi  creditori  de  re  ipsa  vt  de  propria 
disponere.  Si  vero  rem  illam  suam  esse  dicat,  sed  neget  tarn 
vadium  quam  debitum:  tu/ic  tenebitur  ipse  creditor  probare 

versus  enm  qao//  tantum  ei  crcdidit  quantuin  est  in  demanda  sua, 
& quod  rem  ipsam  ei  inde  nominatim  in  vadinm  posuit.  Quales 
enim  diracionatio  inde  esse  debeat,  ex  prqdictis  patere  potest  qn- 
supradicta  sunt.  De  plegijs  qui  plegiationem  suam  negant,  ante 
terminum  vero  debitum,  peti  minime  potest.  * Si  vero  non 
ail  aliquem  terminum  sed  sine  termino  res  aliqua  inuadiatur, 
quocunqt/e  tempore  voluerit  creditor,  debitum  petere  potest. 


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325 


Soluto  autem  eo  quod  debctur  ab  ipso  debitore,  tenetur  ipse 
creditor  rem  inuadiata«/.  ei  sine  aliqua  deterioratione  restituere, 
nee  si  res  illa  aliquo  casu  amissa  fuerit,  aut  deteriorata  in 
custodia,  per  id  versus  debitore/«  minime  iiberabitur,  quia  pre- 
cise  tenetur  aut  rem  inuadiatam  restituere,  vel  de  ea  satisfacere 
aut  debitum  amittere.  Quandoque  vero  conuenit  inter  debitorem 
& creditorem  de  re  aliqua  inuadiata,  accepta  ä debitore  re 
rautuata,  si  non  sequatur  ipsius  vadij  traditio,  quomodo  consuletur 
ipsi  creditori  in  tali  casu  maxime  cum  possit  eadem  res  pluribus 
alijs  creditoribu«  tum  prius  tum  posterius  inuadiari.  Super 
hoc  notandum  est  quod  curia  domini  Regi*  hu/«smodi  priuatas 
conuentiones  de  rebus  dandis  vel  accipiendis  in  vadium  vel 
alias  huiusmodi  extra  curiam  sine  etiarn  in  alijs  curijs  quam  in 
curia  domini  Regis  factis,  tueri  non  solet  nec  warrantizare,  & ideo 
si  non  fuerint  seruate,  Curia  domini  Regis  se  inde  non  intromittet, 
ac  per  hoc  de  iure  diuersorum  creditorum  priorum  vel  posterio- 
rum,  aut  de  priuilegio  eorum  non  tenetur  responderi.  * Cum  vero 
res  immobilis  ponitur  in  vadium  ita  quod  inde  facta  fuerit  seisina 
ipsi  creditori,  & ad  terminum  aut  ita  conuenit  inter  creditorem 
& debitorem  quod  exitus  & redditus  interim  se  acquietent,  aut 
sic  quod  in  nullo  se  acquietent.  Prima  conuentio  iusta  est  & 
tenet.  Secunda  ininsta  est,  & inhonesta,  qn«j  dicitur  mortuum 
vadium,  sed  per  Curiam  domini  Regis  non  prohibetur  fieri,  & 
tarnen  reputat  eam  pro  specie  vsur<;.  Vnde  si  quis  in  tali  vadio 
docesserit,  & post  mortem  eius  hoc  fuerit  probatum  de  rebus 
eius  non  aliter  disponetur  quam  de  rebus  vsuarij.  Cetera  ser- 
uentur  vt  prius  de  vadijs  in  rebus  mobilibus  consistentibus  dictum 
est.  Notandum  tarnen  quod  ex  quo  aliquis  soluerit  id  quod 
debuit,  vel  soluere  se  obtulit  competentur,  si  creditor  vlterius 
vadium  penes  se  maliciosc  detiuuerit,  debitor  ipse  se  inde  curiq, 
conquerens  tale  breue  habebit. 

Cap.  9. 

Rex  vicecora»<«  salutem.  Prqcipe  N.  quod  iuste  & sine  di- 
latione  reddat  R.  totam  terra/«,  vel  terra«»  illa»»  in  illa  villa 
quam  ei  inuadiauit  pro  centum  marcis,  ad  terminum  qui  p/'cterijt 
vt  dicit,  & denarios  suos  idem  recipiat,  vel  quam  inde  acquietauit 
vt  dicit,  et  nisi  fecerit:  summone  eum  per  bonos  &e. 


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3-2« 


Cap.  10. 

* Apparens  autem  in  curia  creditor  super  hoc  summonitus: 
aut  cognoscit  terram  illarn  ad  vadium  suum,  vel  dicet  se  teuere 
terra/«  illam  vt  fcodum  suum  in  primo  casu  oportet  eum  aut  va- 
dium rcddere,  aut  rationabilem  causam  oste/idere  in  curia,  quare 
id  facere  non  debeat.  In  secundo  vero  casu  vtro  libet  eoru/« 
pctente,  id  cst  creditore  vel  debitore  ponctur  super  recognitionem 
patrii;  vtrum  creditor  teneat  terram.  illam  vt  feodum  suum  vel 
vadium  suu/«,  vel  vtrum  pater  eius  vel  alius  antecessor  fuerit 
inde  seisitus  vt  de  feodo  vel  vt  de  vadio  die  qua  obijt,  & sic 
potest  obici  ei  qui  seisinam  patris  sui  inde  petit,  & sic  poterit 
super  hoc  recognitio  multipliciter  variari  pro  modo  petendi,  & 
pro  modo  respondendi.  Si  autom  recognitio  a neutro  potatur, 
procedet  placitu/«  in  curia  super  recto. 

Cap.  11. 

Creditor  siquidem  si  ä seisina  sua  ceccderit  per  debitorein, 
vel  per  alium:  nullam  inde  seisinam  per  curiam  recuperabit,  nec 
ctiam  per  recognitionem  de  noua  disseisina.  Si  enim  per  alium 
quam  per  debitorem  iniuste  & sine  iudicio  de  vadio  suo  fnerti 
disseisitus  dcbitor  ipsc,  poterit  habere  Assisam  de  noua  disseisina. 
Si  vero  per  debitorem  ipsum:  nullum  versus  eum  per  curiam  re- 
cuperare  habebit  de  vadio  suo  recuperando,  vel  de  nouo  ingressu, 
nisi  per  ipsum  debitorem:  Oportet  enim  ipsum  creditorem  ad 
principale  placitum  redire,  vt  iusticietur  dcbitor  vt  ei  de  dcbito 
suo  satisfaciat.  Et  summonebitur  inde  debitor  per  brcue  supra- 
dictum  de  prima  summonitione  facienda. 

Cap.  12. 

* Die  autem  statuta  debitore  apparente  in  Curia,  creditor 
ipse  si  non  habest  inde  vadium  neque  plegium,  neque  aliam 
diracionationem  nisi  solam  tidem , nulla  est  hqc  probatio  in 
curia  domini  Regis,  Veruntamen  de  lidei  lesione  vel  trausgressione 
inde  agi  poterit  in  Curia  christianitatis.  Sed  Iudex  ipse  eecle- 
siasticus  licet  super  crimine  tali  possit  cognoscere  & conuicto 
penitentiam  vel  satisfactionem  iniungere:  Placita  tarnen  de  debitis 
laicorum,  vel  de  tenementis  in  Curia  christianitatis  per  assisam  regni 


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327 


ratioue  ddei  interposit*;  tractare  vel  terminare  non  potest.  Oportet 
ergo  creditorera  alijs  vti  probationibus,  si  debitor  debitum  ipsum 
neget.  Si  enim  illud  confiteatur,  tune  tenetur  inde  satisfacere 
simili  modo  vt  predictum  est  de  plegijs  condtentibus:  Per  testem 
siquidem  idoneum,  potest  inde  fieri  diracionatio:  Kt  per  duellum, 
& per  cartam  quoque.  Cum  quis  itaque  ad  debiti  sui  probatio- 
nein  cartam  aduersarij  sui  vel  antecessoris  eins  offerat  in  Curia, 
aut  cartam  ipsam  aduocat  aduersarius,  aut  non.  Si  debitor  car- 
tam suam  non  aduocat,  duobus  modus  eidem  contrarie  vel  contra- 
dicere  potest,  scilicet  ipsum  sigillum  in  Curia  recognoscendo 
suum  esse,  sed  tarnen  vel  per  se,  vel  per  suum  assensum,  siue 
antecessoris  sui  cartam  esse  co/ifectam  negando,  vel  omnino  et 
sigillum  et  cartam  negando.  In  primo  casu  vbi  sigillum  suum 
esse  publicb  recognouerit  in  curia,  cartam  illam  prtjeise  tenetur 
warrantizare,  & conuentionem  in  ipsa  carta  eipressam,  sicut  in 
ea  continetur  omnino  seruare  sine  contradictione.  Et  sm;  male 
custodie  imputet,  si  damnum  incurrat  per  sigillum  suum  male 
custoditum.  In  posteriore  vero  casu,  potent  in  curia  carta  ipsa 
per  aliquem  idoneum  testem,  presertim  ipsi  carte  infertum,  probari 
per  duellum.  Alio  etiam  modo  solet  fides  cartis  imponi  in  curia, 
scilicet  aliquibus  certis  & manifestis  iudieijs.  Veluti  per  alias 
cartas  eodem  sigillo  signatas.  Et  de  quibus  constet  quod  eius 
carte  sint,  qui  cartam  illam  suam  esse  negat,  ita  quod  eas  bene 
warrantizat  in  curia.  Tune  enim  si  ita  per  omnia  sibi  concordent 
quod  nulla  suspitio  diuersitatis  sigillorum  appareat  haberi  solet 
pro  conuicto,  & siue  hoc  siue  alio  legittimo  modo  aliquis  conuin- 
catur,  super  tali  opere  loquelam  semper  amittet,  siue  placitum 
fuerit  de  debito,  siue  de  terra,  siue  de  quacunque  alia  re.  Et 
preterea  in  misericordia  Regis  reraanet.  Generaliter  autem 
verum  est,  quod  quicunque  aliquid  dixerit  in  curia,  vel  in  placito 
quod  iterum  negauerit,  vel  vnde  sequela  vel  warrantum  vel  pro- 
bationem  sufdeientem  non  habuerit,  vel  ad  cuius  contrarium  di- 
cendum,  vel  ad  quod  negandu/n  per  sufdeientem  probationem 
districtus  fuerit,  in  misericordia  domini  Regis  remanet.  Si  vero 
cartam  illam  ab  initio  aduocat  is  contra  quem  producitur  ad  de- 
bitum aliquod  probandum,  tune  iuxta  carte  illius  tenorem  tenebitur 
ipse  debitor  creditori  satisfacere.  Cum  vero  aliquid  mutuo  cre- 
ditur  sub  plurium  praedictorum  securitate  simul  tune  quoque  ex 


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quo  debitor  ipse  recte  defecerit,  distringendus  est  ipse  simul 
per  omnes  securitates  illas.  Ideo  eniin  plures  securitates  ab  eo 
inde  recepte  sunt,  vt  citius  deficientc  debitore  creditori  inde  satis- 
Hat  quam  si  vna  sula  securitas  interuenisset. 


Cap.  13. 

* Ex  causa  quoque  commodati,  solet  res  aliqua  quanduque 
dcberi  vt  si  rem  meam  tibi  gratis  commodem  ad  vsum  iude 
percipiendum  in  seruitio  tuo,  expleto  quidem  seruicio  rem  meam 
mihi  teneris  reddere  sine  deterioratione  si  extat,  siu  autem  res 
ipsa  interierit.  vel  perdita  fuerit,  quocunqi/e  modo  in  custodia  tua, 
omnino  teneris  ad  rationabile  pretium  mihi  restituendum.  Sed 
sub  qua  vel  cuius  probatione  pra-standum.  Prqterea  si  quis 
vsque  ad  certum  locum  rem  sunm  vel  vsque  ad  certum  tempus 
alij  commodauerit,  & is  qui  eam  ita  recipit  vltra  illum  locum, 
vel  illud  tempus,  eadem  re  vsus  fuerit,  in  quantum  id  emendare 
debeat,  vel  sub  qua  probatione,  vel  cuius  idem  sit  iudicandum 
quero.  A furto  enim:  omnimodo  excusatur,  per  hoc  quod  initium 
habuerit  su«e  detentionis  per  dominum  illius  rei.  Quero  item 
vtrura  dominus  possit  rem  sua m ita  alij  commodatam,  infra  tem- 
pus vel  locum  reuocarc,  presertim  si  oius  vsu  ipsemet  interim 
indigeat. 


Cap.  14. 

* Ex  causa  quoque  emptionis  & venditionis  debetur  aliquid; 
Cum  quis  rem  sua»»  alieui  vendiderit,  debetur  enim  precium  ipsi 
venditori.  Et  res  empta  ipsi  emptori.  Perlicitur  autem  emptio  & 
venditio  cum  effectu,  ex  quo  de  pretio  inter  contrahentes  conuenit. 
Ita  tarnen  quod  secuta  fuerit  rei  empte  & vendite  traditio.  Vel 
quod  pretium  fuerit  solutum  totum  siue  pars  vel  saltem  quod 
arrhe  inde  fucrint  date  et  recepte.  Sed  in  duobus  prioribu*  ca- 
sibus  nullo  modo  potest  alteruter  contrahentium  soia  voluntate 
a contractu  resilire,  nisi  ex  aliqua  iusta  & rationabili  causa. 
Veluti  si  inter  eos  conuenerit,  vt  liceat  alterutri  eorum  inde  se 
impune  retrahere  infra  certum  terminum,  tune  enim  licet  vtrique 
(sicut  conuenit)  infra  datum  terminum  a contractu  impune  rece- 
dero.  Quippe  generaliter  verum  est  quod  conuentio  legem  vincit. 


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Preterea  si  venditor  ,ipse  rem  suam  vendiderit  emptori  taoquam 
sanam  & sine  mahemio,  si  postea  probare  poterit  emptor  rationa- 
biliter,  rem  ipsam  tempore  contractu:  minus  sanam  fuisse  & cum 
mahemio,  tune  quidem  venditor  tenebitur  rem  suam  retro  habere. 
Verum  sufficit  rem  fuisse  idoneam  tempore  contractus,  quiequid 
postea  de  illa  contingat.  Sed  infra  quod  tempus  liceat  hoc  pro- 
bare vel  inde  conqueri,  quero  maxirae  vbi  nullum  pactum  inter- 
uenit,  vbi  vero  sole  arrhe  date  sunt,  si  emptor  ä contractu 
recedere  voluerit  id  ei  cum  arrharum  amissione  licebit.  Si 
autem  venditor  recedere  voluerit  in  tali  casu.  quero  vtrum 
sine  pena  id  facere  possit,  quod  non  videtur  quia  tune  videretur 
in  hoc  melioris  conditionis  venditor  quam  emptor.  Quod  si  impune 
id  fieri  nequit,  quam  penam  inde  prjostabit,  periculu/n  autem  rei 
vendite  k empte  illum  generaliter  respicit  qui  eam  tenet  nisi 
aliter  conuenerit. 


Cap.  15. 

* Warrantizare  autem  venditor  k ha-redes  eius  tenentur 
emptori  & lneredibus  suis  rem  venditam,  si  fuerit  res  immobilis 
k inde  ponatur  in  placitum  emptor  ipse  vel  hreredes  eius,  eo 
modo  quo  supra  expositum  est  in  tractatu  de  warrantis;  Si  vero 
fuerit  res  mobilis  quam  quis  petit  versus  emptorem,  eo  quod  prius 
fuerit  ei  vendita  vel  donata,  aut  ex  alia  iusta  causa  adquisita,  nec 
adiecta  fuerit  ab  eo  ielonia  idem  dicendum  erit  quod  de  re  im- 
mobili  pr;edictum  est.  Si  vero  ex  casu  furtiua  res  aliqua  petatur 
versus  emptorem,  tenetur  precise  se  ab  omni  causa  furtiua 
sibi  imposita  defendere,  aut  warrantum  inde  vocare.  Si  itaque 
emptor  ipse  warrantum  vocauerit,  aut  certum  aut  incertum,  si 
certum  vocauerit  quis  warrantum  in  curia  quem  dicat  se  veile 
habere  ad  warrantum  ad  rationabilem  terminum,  tune  ei  ponendus 
est  inde  dies  in  curia.  Et  si  ad  diem  illum  presqns  fuerit  ille 
qui  vocatus  fuerit  ad  warrantum,  & venditionem  suam  k rem 
venditam  ipsi  emptori  warrantizauerit  in  curia  tune  emptor  ipse 
omnino  liberabitur  inde  ita  quod  nihil  de  cetero  inde  perdere 
poterit.  Si  autem  de  warrantizatione  ei  defecerit,  tune  erit  inde 
placitum  iuter  emptorem  & warrantum  suum  ita  quod  ad  duellum 
inde  poterit  perueniri.  * Sed  nunquid  warrantus  poterit  warran- 


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330 


tum  in  curia  vocare.  Quod  si  sic  est  ad  quotum  warrantum  eril 
standum.  Pretcroa  cum  quis  ita  nominat  warrantum  de  re  qu» 
petitur  furtiua,  solet  warrantus  ipso  attachiari  per  tale  breue  vice- 
couiiti  directum. 


Cap.  16. 

* Rex  vicecomiti  salutem.  Precipio  tibi  quod  sine  dilatione 
attachiari  facias  per  saluos  k seenros  plegios  N.  quod  sit  coram 
me  vel  lustieijs  meis  eo  die  ad  warrantizaodum  R . illam  rem 
quam  H.  clamat  aduersus  R.  vt  furtiu.un.  Et  vnde  praedictus 
R.  eum  traxit  ad  warrantum  in  curia  mea  vel  ad  ostendendum 
quare  ei  warrantizare  non  debeat.  Et  haboaB  ibi  summonitores 
& hoc  breue  &c. 


Cap.  17. 

Si  vero  incertum  warrantum  vocauerit,  in  tali  easu  si 
sufticientem  lialiuerit  probationera  de  legittimo  marcatu  suo,  id  eum 
a felonia  liberabit  Sed  tarnen  ä damno  non  conseruat  quod  non 
scilicet  rem  illam  amittat  Si  autem  super  hoc  sectam  non  ba- 
buerit  sufticientem,  in  periculo  est.  Probari  autem  solet  res 
debita  ex  empto  vel  ex  commodato  generali  probandi  modo  in  curia. 
Scilicet  per  scriptum  vel  per  duellum. 

Cap.  18. 

^1  Ex  locato  quoqne  & ex  conducto  solet  res  quandoqwc  de- 
beri,  vt  cum  qnis  locat  rem  suam  alij  vsque  ad  certum  terminnm, 
certa  interueniente  mercede.  Iiic  enim  tenetur  locator,  rem  lo- 
catam  ad  vsum  dare.  Conductor  qnoque,  soluere  mercedem. 
Sciendum  autem  quod  elapso  termino,  potest  locator  se  licite  in 
re  sua  locata  etiam  sua  anthoritate  recipere.  Sed  quid  gi 
conductor  censum  suum  statuto  termino  non  soluerit,  nunqnid 
k in  hoc  casu  licet  locatori  ipsum  sua  authoritate  expellere  ? 
Prsedictos  vero  contractus  qui  ex  priuatorum  consensu  fiunt, 
breuiter  transigimus,  quia  vt  prsedictum  est  priuatas  conuentiones 
non  solet  curia  domini  Regis  tueri,  & quidem  de  talibus  contrac- 
tibus  qui  quasi  priuate  quedam  conuentiones  censeri  possunt , se 
non  intromittit  Curia  domini  Regis. 


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[Tmctatus  de  Legibus  et  Consuetudinibus  regni  Angli:e.  Ranulpbus 
de  Glan villa.  Aufl.  1604.] 

Liber  tertius  decimus. 

Cap.  27. 

Hex  xicrcoiniti  salutem.  Suramone  per  bonos  summonitorcs 
duodeeim  liberos  & legales  homines  de  visineto  de  illa  villa, 
quod  sint  coram  me  vel  lusticia/'i/v  meis  eo  die  parati  sac- 
rainento  recognoseere  vtrum  N.  teneat  vnam  carucatam  terra?  in  illa 
villa  qua*  R.  clamat  versus  eum  per  breue  meu/it  in  feodo  an  in 
vadio,  inuadiatara  ei  ab  ipso  R . vel  ab  H.  antecessore  eins,  vel 
sic  vtrum  illa  canicata  terra?  quam  R.  clamat  versus  N.  in  illa 
villa  per  breue  meum,  sit  feodum  vel  hereditas  ipsius  N.  an  in- 
vadio  inuadiata  ei  ab  ipso  R.  vel  ab  ipso  H.  antecessoro  eins. 
Et  interim  terram  illam  videant  et  nomina  eorum  imbreuiari 
facias.  Et  summone  per  bones  summonitores  pnefatum  N.  qui 
terram  illam  tenet,  quod  tune  sit  ibi  auditurus  illam  reengnitionem. 
Et  babeas  ibi  &c. 


Cap.  28. 

* Verum  quandoque  contingit  aliquem  tenere  aliquod  tene- 
mentum  in  vadio,  ita  quod  inde  moritur  seisitus  vt  de  vadio, 
ha* res  quoque  eius  occasione  talis  seisine  querit  breue  de  morte 
antecessoris,  versus  verum  beredem  qui  adeptus  est  hniusmodi 
tenementi  seisinam  . Et  tune  quidem  si  recognoscatur  ab  ipso 
tenente  antecessorein  ipsius  petentis  obijsse  seisitum,  sed  vt  de 
vadio  & non  vt  de  feodo,  tune  quidem  & hac  de  causa  peruenitur 
ad  pru-dictam  recognitionem  & per  boc  breue  summonebitur  re- 
cognitio. 


[Year  Books  21  and  22  Edward  I,  lirsg.  von  A.  J.  Horwood, 
S.  125—127] 

Pleas  in  tbe  Common  Bench.  — 21  Ed.  I. 

A.  D 1293.  Brof  de  Novele  Disseysine. 

§ A.  porta  bref  de  novele  disseysine  ver  B.,  ke  respoundi 
ke  au  mautort  porte  yl  cest  assise;  e par  la  reson  ke  nous  bay- 
lames  a luy  cel  tenement  en  gage  dekes  a tel  terme,  e sy  issy 


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lut  ke  yl  ne  fut  paye  a cel  terme  ke  le  teneinent  remeyndreyt 
a luy  en  fee;  e nous  en  lalouance  de  cel  tenement  luy  baylaraes 
.XX.  acres  a terme  de  .IX.  ans.;  de  quel  tenement  yl  est  un- 
core  seysy  &c.  — Metingham.  Avet  ren  de  ceo  ke  vous  loy 
baylates  .XX.  acres  en  alouance?  — B.  ne  avoyt  nuyl  escryt  en 
poyn  &c.  — A.  respoundi  ke  nous  fumes  seysy  par  vostre  fefle- 
ment  si  la  ke  nous  fumus  disseysy  par  vous;  prium  le  assise. — 
B.  respoundi  ke  un  tel  porta  bref  de  mort  ver  A.,  devant  B.  C. 
e D.,  de  .VII.  souz  de  rente;  a quel  yl  dyt  ke  yl  ne  clama  ren 
en  cel  tenement  duut  la  reute  surd  sy  terme  noun:  e ceo  fut 
atteynt  par  le  assise;  e [de]  ceo  vouchum  record  de  Roule;  e un- 
ke puys  autre  estat  navoyt,  prest  del  averer.  — Ad.  Avaunt 
cele  assise  porte  e pus  seysy  ben  deus  ans,  si  la  ke  nous  alames 
a la  feyre  de  G.,  e vous  kaunt  nous  revinmes  vous  nous  dissey- 
sites;  prest  del  averer.  — Le  assise  passa,  ke  dyt  B.  fefl'a 
A.  de  cel  tenement,  e yl  fu  seysy  avant  le  heyr  e en  le  beyr 
pur  un  quarter  del  an;  ke  yl  sen  aia  a la  Feyre  de  G. ; e fut 
conte  ke  yl  fut  mort;  pur  quey  B.  son  pere  entra,  e kaunt  yl 
revynt  sun  pere  ne  luy  voleyt  suffrer  entrer.  — B.  Nous  vouchum 
a garand  record  de  Roule  ky  yl  fut  trove  ke  yl  navoyt  nul 
franc  tenement  tut  atrenche.  — Pur  ceo  la  Justice  lur  dyt  ke 
eus  dusent  estre  au  Bane  a teu  jeur  de  oyer  Record.  — B.  pria 
la  certiflcacioun.  — Mettingham  demanda,  quel  doute  ad  yl; 
pur  quey  vous  demandet  la  certificacioun  aver?  B.  dist  de  ceo 
ke  le  assise  ne  fut  nent  Charge  de  ceo  ke  nous  luy  baylames 
.XX.  acres  en  le  alouance.  — Justice.  Vous  metet  en  Record 
des  Roules  ke  A.  ne  clama  nuyl  franc  tenement,  e ceo  trove  fut 
par  le  assise;  e le  Record  dyt  ke  A.  ne  clama  rens  en  la  rente, 
e nuyl  ren  parle  de  tenement;  pur  quey  vous  avet  fayly  de 
vostre  garant  Sy  agarde  le  court  ke  Adam  rekevere  sa  sey- 
sine  &c. 


[Cartularium  Prioratus  de  Gyseburne  (Publications  of  the  Surtees 
Society)  No.  CCXLIII.] 

Walterus  lilius  Willelmi  Paternoster,  anno  Incarnacionis 
Dominica*  M0CC°XXX°  quarto,  ad  Purificationem  Beata*  (Marne), 
obligavi  et  impignoravi  Alicia*,  matri  me»,  et  suis  assign.,  pro 


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undecim  solidis,  quos  miclit  mea  mater  accommodavit,  unam 
acrara  terra1  in  Campo  de  Giseburne  apuJ  Foxoles,  usque  ad 
finem  octo  annorum.  Ita  quod  si  ego  persolvam  Alicia*,  matri 
mea-,  vel  suo  assignato,  undecim  solidos  ad  finem  SH  annorum, 
pra-nominata  acra  revertetur  ad  me  sine  ullo  impedimento  et 
contradictione  omnium;  et  si  non  persolvam  pra-dictos  solidos  ad 
terminnm  pra*dictum,  pra-notninata  acra  terra-  remanebit  imperp. 
pra-dicta-  Alicia-,  matri  mea-,  et  suis  a3sigoatis,  libere  et  quiete 
de  me  et  ba-r.  meis  sine  impedimento  et  contradictione:  et  in 
liujus  rei  test.  huic  scripto  sigillum  meum  apposui.  Et  sciendum 
est,  quod  ego  non  vendam  pra-dictam  terram  alicui  nisi  matri 
mea-,  si  ego  non  velim  eam  tenere  in  mea  manu  Hiis  testibus. 
Adam  de  Lyum,  Euslacbio  filio  Eustachii,  Petro  Westiby,  Peter 
Nnrri,  Willelmo  de  Lyum,  Rogero  de  Midelesburgli,  Thoma  Pu- 
layn,  aliis. 


(b)  Resolutiv  bedingte  Übereignung. 

[Bracton’s  Note  Book,  lirsg.  von  F.  W.  Maitland,  pl.  458.] 
Michaelmas,  A.  D.  1230,  A.  R.  14  — 15. 

')  Philippus  de  Hello  Campo  dimisit  Josceo  Juueni  de 
Londonia  manerium  suum  de  Hersham  cum  pert.  in  feodo,  tencu- 
dum  de  eo  et  heredibus  suis  reddendo  inde  per  nnn.  unum  par 
calcarium  deauratorum  uel  den.  faciendo  inde  forinsecum  ser- 
uicium  seil.  j.  militis  pro  omni  seruicio.  Concedit  eciam  idem 
Josceus  pro  se  et  beredibus  suis  quod  si  idem  Philippus  uel  he- 
redes  sui  non2)  reddiderint  ei  uel  heredibus  suis  ducentas  marcas 
quas  idem  Josceus  dedit  predicto  Philippo  pro  predicto  manerio 
a festo  Omn.  Sanct.  anno  regni  Regis  H.  XV.  in  unum  annum 
quod  predictum  manerium  reuertatur  ad  ipsum  Philippum  et 
beredes  suos  quiete  de  ipso  Josceo  et  beredibus  suis  inperpe- 
tunm  etc.3). 


')  A.  in.  13.  *)  nnn  interlincd:  it  is  not  in  A and  sli.mld  bi-  oniitted. 
s)  Thia  is  a mortgagc  enrollcd  for  beiter  securitv. 


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[Madux,  Formulare  Anglicanum,  No.  DLXIJ 
Ceste  endenture  tesraoigne,  que  come  Johan  Palet  de  Enr- 
boume  ad  done  & graunte  a Thomas  Monolf  & a ses  lieirs.  une 
crofte  apelee  Crorrescrofte , & un  pree  apele  Laurencesmede  oud 
les  apurtenaunces  en  Enebou rat •,  come  plus  pleynement  piert  per 
une  chartre  de  feoftement  a dit  Thomas  de  ceo  fait:  Joe  iarauntdit 
Thomus  voile  k graunte  pur  moi  & pur  mes  heirs  &.  raes  exe- 
cutours,  que  si  le  dit  Johan  ou  ses  heirs,  paient  on  facent  paicr 
a moi  ou  a mes  heirs  & a mes  executours.  dis  livres  dargent 
ascun  temps  dedenz  dis  aunz  proscheyns  ensiwanns  apres  la 
faisaunce  de  cestes;  adonque  la  dite  chartre  de  Feoflement  soit 
anyenty  & pur  nul  soit  tenu  atouz  jours:  Etsi  le  dit  Johan  ou  ses 
heirs,  ne  paient  ou  facent  paier  a dit  Thomas,  ou  a ses  heirs  ou 
a ses  executours,  les  avauntditz  dis  livres  a ascun  temps  dedens  la 
dite  terme  de  dis  aunz  proscheyns  ensiwaunz:  que  lavaundite 
chartre  estoise  en  sa  force  & nature,  al  eops  lavaundit  Thomas 
& ses  heirs  a touz  jours,  saunz  countredit  del  dit  Johan  ou  de 
ses  heirs  a touz  jours  En  tesmoignaunce  de  quele  chose,  les 
avaunditz  Thomas  & Johan  cntrechaungeablement  a ceste  en- 
denture  ount  mys  lur  seals;  Per  iceaux  tesmoignes,  Waltier  de 
Norton e,  (früh  Sereti  more)  & altres.  Done  a Nenhnriz  le  Sa- 
nwdy  proscheyn  apres  la  feste  des  A postles  seynt  Phelipp  & Jacob, 
Lan  du  regne  le  Roi  Edward  tierce  apres  la  Oonqueste  quatorzisine. 


[Madox,  Formulare  Anglicanum,  No.  DLX] 

Die  Mercurii  proxima  post  festum  Sancti  Marci  Evangelista-, 
Anno  regni  Regis  Edward i tercii  post  Conquestum  duodecimo, 
Convenit  iuter  Ricardum  Ordwy  de  Farnham  ex  parte  unä  Di- 
mittentem,  & Ricardum  Undrrwodc  de  Vyyeleyh  ex  parte  altera 
Recipientem;  videlicet,  quöd  pra-dictus  Ricardas  Ordwy  impigno- 
ravit  dicto  Ricardo  l'ndrrwode  duas  acras  terra-  cum  omnibus 
suis  pertinenciis,  jacentibus  in  Villis  de  Farnham  <Y  Stortr/ord  in 
campo  vocato  Wykamjeld , pro  ut  in  quädam  carbi  teofla- 
menti  eidem  Ricardo  I nder icode  inde  confecta  plenius  continetur 
& specificatur;  videlicet,  pro  trigiuta  & tribus  solidis  argenti 
bona-  & legalis  moneta-;  quos  pra-dictus  Ricardas  Underwode  dicto 
Ricardo  Ordwy  mutuavit,  A die  supradicto  usque  diem  Purifica- 


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cionis  Beat»  Maria » Virginia  proxime  sequentem  post  datain  con- 
feetionis  pr»sencium ; Solvendis  eidem  Ricardo  Underwode  vel  suo 
certo  Attornato  ad  domum  ejusdem  Ricardi  Undenoode  in  die 
Purifioationis  Beat»  Maria  supradicto  sine  ulteriori  dilatione; 
Et  si  contingat  pradictum  Ricardum  Ordwy  vel  h»redes  suos  in 
solucione  pra-dictorum  XXXIII.  solidorum  in  die  & in  loco  supra- 
dictis,  in  parte  vel  in  toto  qnovismodo  deficerc  (quod  absit),  quöd 
extunc  pr»dict»  du»  acr»  terr»  cum  omnibus  suis  pertiuenciis, 
secundum  tenorem  dict»  cart»  pr»dicto  Ricardo  & h»redibu* 
suis  & assignatis  liberö  OL  in  pacc  remaneant  imperpetuum;  Et 
si  contingat  pi»dictum  Ricardum  Ordwy  vel  b»redes  suos  seu 
assignatos,  de  pr»dictä  solucione  XXXIII.  golidos  ad  diem  OL 
locum  supradictos  persolvere,  quöd  extunc  pr»dicta  Carta  feoffa- 
raenti  pro  nullo  babeatur  nec  teneatur,  racionc  alicujus  seisin» 
pr»habit»;  Set  in  continenti  post  solucionem  factatn,  pr»dicta- 
du»  acrai  terra*  cutn  omnibus  suis  pertinenciis  pr»dicto  Ricardo 
Ordwy  vel  h»redibus  suis  & assignatis,  sine  aliquä  contradictione 
pra-dicti  Ricardi  Underwode  seu  h»redum  suorum,  integri-  OL  pa- 
cifice  revertantur  in  futuro.  In  cujus  rei  testimonium,  huic  pr»- 
senti  rcripto  indentato  partes  alternatim  sigilla  sua  apposuurunt. 
Hiis  testibus,  (dz.  ßce  Person»)  & aliis.  Datum  apud  Farnham 
pra-dictam,  die  X.  anno  supradictis. 


[Madox,  Formulare  anglicanum,  No.  DLXIL] 

Acorde  est  entre  .Johan  Baiei  de  Eneburn  dun  part,  et 
Richard  de  SuUun  Clerk  de  A ’eubury  daltre  part;  Ceo  est  a savoir, 
qc  le  dit  Johan  ad  engage  aut  dit  Richard  lieys  acros  de  terre 
arable,  des  queu\  une  acre  gist  en  MedfurUtunge  — et  la  demie 
acre  est  une  capitale  de  mesme  la  couture;  de  la  feste  Seint 
Michel  derrein  passe  lan  du  regne  le  Roy  Edward  dizseptizme, 
tauneque  a mesme  la  feste  de  treys  aunz  procheine  ensiwaunz 
et  accomplir;  sur  cest  forme  qe  ensiwist,  qe  si  le  dist  Johan  ses 
heirs  ou  executours,  ne  paient  au  dit  Richard  ses  heirs  ou  exe- 
cutors  quaraunte  souz  desterlyngz  de  bone  monee,  les  queux  le 
dit  Johan  receust  de  dit  Richard  sur  les  dites  treys  acres,  en  la 
dite  feste  Seint  Michel  a treys  aunz;  adunque  graunte  le  dit 
Johan  pur  luy  et  ses  heirs,  que  les  dites  treis  acres  demurgent 


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a dit  Richard  et  ses  heirs  a touz  jours,  solounc  la  tennr  d’nne 
charte  que  le  dit  Johan  a luy  ad  faite,  et  la  sevsine  sur  les  con- 
dicions  liveree;  Et  a dunqes  paiera  le  dit  Richard  ses  heirs  ou 
ses  executours,  a dit  Johan  ou  a ses  heirs  vynt  soulz  desterlyngz: 
Et  si  le  dit  Johan  ou  ses  heirs,  paient  au  dist  Richard  ou  a ses  heirs 
ou  a ses  assignez,  les  avaunt  diz  quarauute  souz  en  la  feste  susdite:  a 
dunques  les  dites  treys  acres  de  terre  revertent  et  returnent  a dit 
Johan  ou  a ses  heirs,  sanz  nulle  reprise;  et  que  la  sevsine  et  la 
chartre  soient  pur  nulles.  Et  a ceo  faire  oblige  le  dite  Richard 
luy  et  ses  heirs  et  ses  executours.  En  teimoignaunce  de  queux 
choses  — Ceaux  teigmoignes  — Done  a Neubur y le  Lundy  prochein 
apres  la  dite  feste  seynt  Michel,  lan  du  regne  le  Boi  Edward 
susdit. 


[Madox,  Formulare  Anglicanum,  No.  DLXIX.] 

Ceste  endenture  faite  perentre  Dame  Kiene  que  fuist  la  femme 
Monsr.  John  Frevill  Chivaler,  Roger  Harlesion,  William  Bateman, 
John  WctheresfeU  St  John  Bannebur y Clerk,  dune  part;  William 
HoseU , John  Härtere  et  Thomas  Sb-estecote  dautre  part;  tesmoigne, 
que  come  les  avantditz  William  II,  John  C,  et  Thomas  P,  ount 
enfefVez  les  avanditz  Roger  H,  William  B,  John  W,  et  John  B 
Clerk,  del  Manoir  de  Petit  Monden  en  Counte  de  llertford  ove 
les  appurtcnaunces,  ensemblement  ove  lavowson  del  Esglise  en  la 
ville  avantdit,  ove  touts  altres  terres  et  tenementz,  rentez  et 
servicez,  quex  les  avanditz  William  HoseU,  John  (',  et  Thomas  P 
ount  en  mesme  la  ville,  ove  touz  les  aportenauncez,  come  pluis 
pleinement  appiert  per  une  chartre  de  feffement  a eux  ent  fait: 
Et  auxint  come  les  avantditz  William  11,  John  < et  Thomas  1‘, 
soient  obligez  per  lour  escript  obligatotie,  a dite  Dame  Kiene 
et  a ces  executours  endeuxCente  marcz;  a paiers  a dite  Dame  Kiene 
ou  a scs  executours  en  la  feste  de  Nativitie  nostre  Seignour 
Jhesu  Crist  prochein  avener  apres  la  date  de  cestes;  come  pluis 
pleinement  appiert  par  la  dite  obligacion:  Nepurquaunt  les  avant- 
ditz Roger,  William  B,  John  W,  et  John  B Clerk  voilent  et 
grauntent  pur  eux  lour  heirs  et  assignez,  que  si  les  avantditz 
William  Hosell,  John  ('.,  et  Thomas  P,  lour  heirs  ou  Executours, 
ou  ascun  en  lour  nome.  paic  ou  face  paier  Cent  marcz  de  moneie 


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Dengletere,  a dite  Dame  Kiene  que  fuist  la  femme  Monsr.  John 
Frevyll  suis  eseript,  devant  la  feste  Seint  Mathew  Apostele  prochein 
avenir  apres  la  date  du  cestes;  et  de  ceo  ....  Acquitaunce  de 
dite  Dame  Kiene  portaunt  date  a Shel/ord  en  le  Counte  de  Ca  nie - 
briyy,  lex  ditz  Dame  Kiene,  Royer,  William  II,  John  W,  et  John  D 
Clerk  volount  & grantount  pur  eux  lour  lieirs,  executours,  et 
assignez  que  les  ditz  feflement  & Obligation  estoisent  pur  nulle 
a tous  jours;  Et  si  nemie.  si  bien  les  ditz  feifement  come  la  dit 
obligaeion  remainent  en  lour  force ; Et  les  ditz  Roger , William  II, 
John  IT,  et  John  B Clerk  volont  et  grauntont,  que  eux  lour  lieirs 
ne  null  en  lour  nome  prendra  nul  profit  de  ditz  Manoir  Avowsoun, 
terres  et  tenementz,  rentez  et  servicez  avauntditz,  avant  le  dit 
jour  de  Seint  Mathew.  En  tesmoinance  de  quel  chose,  a cestes 
endentures  les  parties  avauntditz  enterchaungeablement  onnt  mis 
lour  seals;  Per  cestes  tesmoinez  Roger  Scale«,  Baldewine  Senl 
George,  John  Colvyll,  Edmond  Bardolf,  Chivalers;  Edward  Ben- 
nestrd,  & autres,  Done  a petit  Shel/ord  le  Samadi  prochein  avant 
la  feste  Seint  Michel  larchaungel.  Lan  du  regne  le  Roi  Richard 
secunde  apres  la  conqueste  primer. 


[Madox,  Formulare  Anglicanum,  No.  DLXXIX.] 

Seiant  präsentes  et  futuri,  quöd  ego  Johannes  Wyggcr  dedi 
concessi  et  häc  prasenti  cartä  meä  confirmavi  Davidi  ap  Je  van 
Vicario  Ecclesia*  de  Caletre,  unam  pareellain  tera*.  continentem 
septem  dietas  arura,  jacentes  inter  terram  pra*dicti  Johannis  ex 
unä  parte,  et  communam  viam  ducentem  de  Cruce  voeatä  Blontes- 
croys  versus  Ktpigexbernes  ex  altera  parte:  Habendam  et  tenen- 
dam  pradictam  parcellam  terra;  cum  omnibus  suis  pertinentiis, 
pra*fato  Davidi  et  haredibus  suis  vel  suis  assignatis,  de  capitali- 
bus  Dominis  feodi  illius  per  servicia  inde  debita  et  de  jure  con- 
sueta.  Et  ego  vero  pradictus  Johannes  et  haredes  mei,  totam  pra- 
dictam  parcellam  terra;  cum  omnibus  suis  pertinentiis,  praefato 
Davidi  et  haredibus  suis  vel  suis  assignatis,  contra  omnes  gentes 
warantizabimus  et  imperpetuum'  (fefendemus  . In  cujus  rei  testimo- 
nium,  huic  prasenti  carta  mea  Sigillum  meum  apposui.  Hiis 
testibus  Royero  Fox,  Johanne  Tayllor,  Thoma  Rohart,  Johanne 
Rennok,  et  Stephano  Latymer,  et  inultis  aliis.  Datum  apud  le 

Hazeltiue,  EnglUches  Pfandrecht  22 


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338 


Calewe  die  Mercurii  proximo  ante  festum  Sancti  Hillarü,  Anno 
regni  Regie  Henrici  quarti  post  Conqnestum  secundo. 

[Madox,  Formulare  Anglicanum,  No.  DLXXXIX.] 
Omnibus  Christi  fidelibus  ad  quos  pnesens  scriptum  inden- 
tatum  pervenerit,  Rogerwt  Froste  4 Margareta  uxor  ejus  de 
Stratford  super  Arene,  salutem  in  Domino  sempiternam.  Cum 
Ricard  tu  Harr  gen  Vicarius  Ecclesia-  parochialis  de  Suyterfeld, 
confeoffatus  Agnetis  Fretter  nuper  de  Stratford  vidua-,  & Will  ein  tue 
Fretter,  filius  & lia-res  Thomae  Fi  etter,  per  quandam  indenturam 
cujus  data  est  apud  Stratford  pra-dictam,  in  festo  Annunciaconis 
Beat*  Maria;  Virginis,  anno  regni  Regis  Henrici  sexti  post  Con- 
questum  ricesimo  quarto,  tradiderint,  concesserint,  & ad  firmam 
dimiserint  nobis  pra-fatis  Rogero  8g  Margaretae  & assignatis  nostris, 
unum  tenementum  cum  suis  pertinenciis  in  eädem  Villa  de 
Stratford,  scituatum  in  quodam  vico  vocato  Bruggeetrete  ibidem, 
inter  tenementum  tune  Willelmi  Stafordehire — ; Habendum  & 
tenendum  pr*dictum  tenementum  cum  suis  pertinenciis,  nobis 
pr*fatis  Rogero  4 Margaretae  & assignatis  nostris,  a die  confec- 
cionis  dict*  indentur*,  usque  ad  finem  termini  triginta  annorum 
eitunc  proxime  sequontium  et  plenarife  complendorum ; Reddendo  inde 
annuatim  pr*dictis  Ricardo  4 WiUelmo  Fretter  haeredibus  <& 
assignatis  suis,  decem  solidos  sterlingorum  ad  quatuor  anni  ter- 
minos  per  *quales  porciones,  videlibet  ad  festum  — ; Necnon 
reddendo  inde  Capitali  Domino  feodi  illius  pro  Capitali  redditu 
annuatim  sex  denarios  sterlingorum ; cum  aliis  diversis  clausulis  in 
dictä  indenturä  contentis  & specificatis,  prout  per  eandem  inden- 
turam in  de  confectam  pleniüs  apparet:  Noveritis  nos  pnefatos 
Rogertim  4 Margaretam  dedisse,  concessisse,  & hoc  pnesenti 
scripto  nostro  indentato  confirmasse,  Ricardo  Wyldebore  & Jo- 
hanni Gairatange  Civibus  & Groceris  lAmdoniw,  totum  statnm 
nostrum  & terminum  quos  habemus  venturum  de  & in  tene- 
mento  pr*dicto  cum  suis  pertinenciis:  Habendum  & tenendum 
eisdem  Ricardo  Wyldebore  4 Johanni  Gairatange,  Executori- 
bns  & assignatis  suis  a die  Confectionis  pra-sencium ’ usque  ad 
tinem  & complementum  dictorum  triginta  annorum  nondum 
completorum:  snb  formä  & Condicione  subsequente;  videlicet  quöd 
si  nos  pnedieti  Rogertu  4 Margareta  solvamus  aut  solvi  faciamus, 


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339 


seu  alter  nostrum  solvat  seu  golvi  faeiat,  praefatis  Ricard ’o  Wyldebore 
dr  Johanni  Gairst-ange  aut  eorum  alteri,  vel  eonim  certo  Attornato, 
haeredibus,  vel  executoribussuis,  in  testoNatalü Domini  proximo  futuro 
post  datam  pra-sencium  in  Ecclesia  Sancti  Thema  de  Acon  Lon- 
doniae  novem  libras  sterlingorum ; Ac  nullam  acquietanciam,  solu- 
cionem,  perdonacionem,  relaxacionem,  nec  äliquod  aliud  quodcumque 
in  exoneracionem  dictarum  novem  librarum  seu  alicujus  inde 
parcell*  alibi  fore  factum  seu  triabile,  quam  solomodo  in  Ecclesia 
antedictä  allegemus  seu  allegari  faciamus,  aut  alter  nostrum  aut 
aliquis  alius  loco  seu  nomine  nostro  seu  alterius  nostrum  alleget, 
seu  allegari  faeiat  quoquomodo;  quöd  extunc  praesens  scriptum 
indentatum,  donacioque,  concessio,  & coufirmacio  supradict*  nullius 
sint  vigoris  nec  effeetus;  Sed  omni  juris  robore  tune  careant  & 
virtute.  In  cujus  rei  testimonium,  uni  parti  hujus  scripti  inden- 
tati  penes  dictos  Ricardum  Wyldebore  & Johannein  Gair Stange 
remanenti,  nos  praedicti  Rogerus  & Margareta  Sigilla  nostra 
apposuimus;  Alteri  vero  parti  ejusdem  scripti  indentati  penes  nos 
residenti,  praedicti  Ricardus  Wyldebore  & Johannes  Gairstanye 
sigilla  sua  apposuerunt.  Datum  sextodecimo  die  Januarii , Anno 
regni  Regis  Henrici  sexti  post  conquestum  vicesimo  nono. 


II. 

Pfknd  mit  Besitz  des  Schuldners. 

(a)  Belastungen. 

[The  Statutes  of  the  Realm.  Vol.  I.  p.  223.J 
Consuetudines  Cantiae. 

(Teonp. Incert.)  Ex.  MS.  Harl.  667,  p.  83b. 

Ces  sunt  les  Usages  [e  le  Custumes]  les  quels  la  communealte 
de  Kent  cleyment  aver  en  tenemenz  de  Gavelkynde  e en  gentz 
Gavelikendeitz ; Ceo  fet  asaver,  ke  toutz  les  [cors  de  KenteysJ  seyent 
francs  ausi  cum  les  autres  francs  [corsj  de  Engleterre. 

E cleyment  ausi  ke  si  nul  tenant  en  Gavelikende  [retyene] 
sa  rente  [e]  sun  Service  del  tenement  ke  il  tient  de  sun  seygnur, 
querge  le  Seignur  por  agard  de  sa  court  de  treis  simeynes  en 
treys  simeynes  [tenue,  destresse]  sur  [cel  tenement]  taut  ke 

Z2* 


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340 


a la  quarte  court  a tote  feth  tesmoynage.  E si  dedenft  cel 
tens  ne  trusse  destresse  en  cel  tenement  par  quey  il  pusse  sun 
tenant  Justiser,  dunk?  a la  quarte  court  seit  agarde  k?  il  prenge 
cel  tenement  en  sa  mayn,  en  noun  de  destresse  ausi  cum  boef 
ou  vache,  e le  tyene  un  an  et  un  jour  en  sa  meyn  san'z  meyn- 
overir,' dedentz  quel  terme  si  le  tenant  vient  e rent  ses  arerages, 
e fet  renables  amendes  de  la  [detenue],  adunk?  eyt  e joysse  sun 
tenement  si  cum  ses  auncestres  [e  li  avant  le]  tindrent  E si 
il  ne  vient  mie  [devant]  le  an  e le  jour  passe,  dunk  [äuge]  le 
seygnur  al  procheyn  Counte  suant,  ove  tesmoynage  de  sa  court, 
e face  la  pronuntier  cel  proces  pur  tesmoynage  aver.  E par 
agard  de  sa  Court  apres  cel  [counte]  tenue,  entra  e meynovera 
en  celes  teres  e tenementz  si  cum  en  sun  demeyne.  E si  le 
tenant  vient  apres  e voile  ceus  tenementz  reaver  e tenir  sicum 
1 fist  avant,  face  gre  al  seignur  sicum  il  est  auntienement  dist 
[en  kenteys]  [Neghesipe  yelde,  and  Neghesipe  gelde,  and  vif  pund 
for  pe  Were,  her  he  bicome  healdere:] 

[The  Statutes  of  the  Realm.  Vol.  I.  p.  222.] 

Statutum  de  Gaveleto  in  London.  *[Temp.  incert] 

Er.  Lib.  Hom.  in  London,  p.  91  b. 

Provisum  est  p er  dominum  Regem  et  Justiciar/o#  suos, 
et  [a]  Civibus  London/?  concessum  quod  [si]  Archiepwocyd 
Ep/seopi  Abbates  Priores  Comites  Barones  et  alii  qui  ha&ent  Red- 
ditus  in  Civitate  London/?;  et  in  aliquibus  [redditibus  illis]  eis 
aretro  sunt  redditus  illos  possunt  recuperare,  quod  b?n?  liceat 
eis  distr/ngere  tenentes  suos  pro  arreragiis  suis  quomdiu  aliquid 
inveniatur  in  feodo  per  quod  distn'ngi  possint,  et  tune  ip?i 
tenentes  inplacitentur  de  Gaveleto,  per  quoddam  breve  de  con- 
suetudinib«?  et  serviciis,  quod  bene  fieri  potest  p?r  Sokerennos 
eon/m  in  hustengo  presentatos,  ad  custodiam  soke  sue  ad  Reddi- 
tus suos  colligendos.  Ita  quod  si  tenentes  cognoverint  servicium 
sunm,  statim  et  sine  difficultate  satisfaciant  Dominis  suis  de  arre- 
ragiis suis.  Si  autem  senicia  sua  eis  denegaverint  petentes  sta- 
tim nominabunt  sectam  suam  scilic?«  duos  testes,  et  abreviabuntt/r, 
et  habebunt  diem  [procedendi]  eos  ad  proximum  Hustengum;  ad 
quem  diem  si  ipsos  produxwint  et  p?r  eos  [in  Cur/«  sua] 
ostendatur,  de  visu  suo  et  auditu  quod  ip?i  conquerentes  aliquan</o 


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341 


perceperunt  Redditus,  quos  petunt  de  tenementis,  tune  ipsi  tenentes 
amittant  feoda  sua  per  judicium  Curie,  et  conquerentes  recupera- 
bunt  ten ementa  sua  in  do/ninico.  Si  autem  ut  predtetum  est  [co- 
gnoverintj^domtnis  suis  servicia,  et  similiter  arreragia,  tune  per 
judicium  dic<e  Curie  duplicabuntwr  arreragia,  Et  [debent] 
Vic ecomiti  pro  injusta  detentione,  si  ad  hoc  sufficiant  sine  grava- 
mine,  [habere  Centum  soludos]  Si  autem  post  debitam  summoni- 
cionem  ad  Hustengum  non  venerint,  tune  feoda  illa  in  pleno  Hus- 
tengo  conquerentibus  [ha&ebuntur]  tenenda  in  manibus  suis  per 
unum  annum  et  unum  diem;  [Et]  si  Tenentes  venerint  ad  eos 
et  optulerint  eis.  satisfacere  de  arreragiis  suis  duplicandis,  et  Vice- 
comes  de  muericordi*  sua  ut  predictum  est,  tune  rehabebunt  tene- 
menta  sua,  Sin  autem  post  annum  completum  remanebunt  ten  ementa 
illa  Dominis  feodorum  eorum  per  iudicinm  Curie,  in  domsnico  suo 
imperpetuum;  et  tune  vocantur  ten  ementa  illa  [forthotj,  eo  quod 
[in  pe/petuum  remanebit]  in  dominico  dominis  feodorum,  pro 
defeetn  servicii.  Idem  autem  tenendum  est  et  observandura,  si 
tenentes  cognoscant  arreragia  sua,  et  non  possunt  inde  satisfacere 
secundum  quod  predictum  est. 

(b)  Die  Hypothek. 

[The  Statutes  of  the  Realm.  Vol.  I,  p.  53] 
llo-  Edw.  1.  1283  Stat.  de  Merc. 

Ex  magno  Rot.  Stat.  in  Turr.  Ixmd.  m.  46. 

Pur  ceo  qe  Marchauntz,  qi  avaunt  ces  houres  unt  preste 
lur  aver  a diverse  genz,  sunt  cheuz  en  poverte,  pur  ceo  qe  il  ni 
aveit  pas  si  redde  ley  purvewe,  par  la  quele  il  poeient  lur  dettes 
hastivement  recoverir  al  jor  asis  de  paye  e par  cele  achesun 
sunt  mult  de  Marchaunz  sustretz  de  venir  en  ceste  terre  od  lur 
Marchaundises,  a damage  des  Marchaunz,  e de  tut  le  reaume: 
Le  Rei  par  luy  e par  sun  conseil  ad  ordine,  e establi,  qe  Marchaunt 
qi  veut  estre  seur  de  sa  dette,  face  venir  sun  dettur  devaunt 
le  Meire  de  Lundres,  ou  de  Everwyk,  ou  de  Bristowe,  e devaunt 
le  Meire, e devaunt  un  Clerk,  qi  le  Rey  a ceo  atornera,  co- 
noise  la  dette,  e le  jor  de  la  pae;  e seit  la  reconisaunce  enroulee 

de  la  main  le  avauntdit  Clerk  qe  serra  conue.  E estre  ceo  la- 

vauntdit  Clerk  face  de  sa  main  le  escrit  de  obligacion,  al  quel 

escrit  seit  mis  le  seal  del  dettur,  od  le  seal  le  Rei,  qe  a ceo  est 


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342 


purveu,  le  quel  seal  demorra  en  sauve  garde  le  Meire,  e del 
Clerk  avauntdit;  E si  le  dettur  fne-e]  rende  al  jor  qe  lui  est 
asis,  si  veigne  le  Creannzur  al  Meire,  e al  Clerk,  od  sa  lettre 
de  obligacian;  E si  trove  seit  par  roule,  e par  lettre,  qe  la  dette 
fu  conue,  e qe  le  jor  asis  seit  passe,  Le  Meire  par  vewe  de  pro- 
deshomes,  ineintenaunt  face  vendre  les  moebles  al  dettnr  cum 
taeiut  de  la  dette,  si  com  chateis  e burgages  devisables,  desqes 
a la  summe  de  la  dette,  e les  deniers  saunz  delai  paez  as  Creauu- 
zurs.  E si  le  Meire  ne  troesse  achatur  face  par  renable  pris 
liverer  les  moebles  al  Creaunzur,  desqe  a la  summe  de  la  dette 
en  allowaunce  de  sa  dette:  E a la  vente,  e a la  liveree  des  bur- 
gages devisables,  serra  mis  le  seal  le  Rei  avauntdit,  en  pardurable 
tesmoinaunce.  E si  le  dettur  ne  eit  moeble  en  le  poer  le  Meire, 
dunt  la  dette  poet  estre  levee,  einz  eit  aillours  en  le  reaume, 
dunqe  maunde  le  Meire,  desuz  le  seal  avauntdit,  a Cbauncelier 
la  conoissannce  fete  devaunt  lui,  e le  avauntdit  Clerk,  e le 
Cbauncelier  enveye  bref  al  Viscunte,  en  qi  baillie  le  dettur  avera 
moebles,  e le  Viscunte  face  fere  gre  al  Creaunzur,  par  mesme  la 
forme  qe  est  devisee,  qe  le  Meire  le  fereit,  si  les  biens  moebles 
al  dettur  fussent  en  sun  poer;  mes  bien  se  gardent  ceuls,  qi 
priserunt  les  moebles  pur  liverer  al  Creaunzur,  qe  il  mettent 
resnable  pris  e owel,  qe  si  il  les  prisent  trop  baut  en  favour  del 
dcttour,  e en  damage  del  Creaunzur,  la  chose  prisee  seit  liveree 

a cels  qi  la  averunt  prise  par  le  pris  qe  mis  i unt,  e meinte- 

naunt  respoignent  al  Creaunzur  de  sa  dette.  E si  le  dettur  voille 
dire  qo  ses  biens  moebles  furent  venduz,  ou  liverez,  pur  meinz 
qe  il  ne  valent  de  ceo  ne  purra  il  remedie  aver,  par  quei  qe  le 
Meire  ou  le  Viscunte  eyent  leaument  les  biens  moebles  a celui 
qi  plus  offri,  vendu,  car  il  purra  retter  a lui  mesmes  qe  avaunt  le 
jor  de  la  seute,  poeit  ses  biens  moebles  aver  vendu,  e par  sa 
main  les  deniers  leve,  e ne  voleit  E si  le  dettur  ne  ad  moebles, 
dunt  tute  la  dette  pusse  estre  levee  dunqe  seit  sun  cors  pris,  ou 

qe  il  seit  trove,  e en  prisun  tenu  desqe  taunt  qe  il  eit  fet  gre, 

ou  ses  amis  pur  lui.  E si  il  nad  del  soen  dunt  estre  sustenu  en 
prisun,  le  Creaun  zur  lui  trusse  pain  e ewe,  issi  qe  il  ne  moerge 
pur  defaute;  les  quels  custages  le  dettur  lui  rende,  od  la  dette, 
avaunt  ceo  qe  il  isse  de  prisun.  E si  le  Creaunzur  seit  Marchaunt 
estraunge,  il  demorra  as  custages  del  dettur  tut  le  tens  qe  il 


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343 


siwera  pur  sa  dette  lever,  desqe  al  jor  qe  les  biens  moebles  al 
dettur  seiest  vendnz,  ou  a lui  liverez.  E si  le  Creaunzur  ne  se 
pae  pas  de  la  suerte  soulement  le  dettur,  par  quei  plegges  lui 
soient  trovez,  ou  mainpernours,  les  mainpernours  ou  les  plegges 
veignient  devaunt  le  Meire  e le  avauntdit  Clerk,  e se  obligent 
par  escrit  e par  reconoissaunce  si  com  avaunt  est  dit  del  dettur. 
En  mesme  la  manere,  si  la  dette  ne  seit  paee  al  jor  asis,  seit 
fete  la  execution,  sur  les  plegges  ou  mainpernours  cum  avaunt 
est  dit  del  dettur;  issi  nepurquaunt,  qe  taunt  come  la  dette 
pusse  pleinement  estre  levee  des  biens  moebles  al  dettur,  les 
mainpernours  ou  les  plegges  ne  eyent  damage;  Mes  en  defaute 
des  biens  moebles  al  dettur,  eit  le  Creaunzur  recoverir  sur  les 
mainpmmurs,  ou  sur  les  plegges,  en  la  forme  qe  avaunt  est  dite 
del  dettur.  E a sustenir  les  Custages  lavauutdit  clerk,  si  prendra 
le  Bei  de  cbescune  livre  un  denier.  Cest  ordeinement  e esta- 
blisement  veut  le  Bei  qe  desoremes  seit  tenu,  par  tut  sun  reaume 
de  Engleterrer  entre  quel  gent,  qe  ceus  seient,  qe  de  lur  ein 
degre  voderunt  tele  reconisaunce  fere,  forpris  Teus,  as  quels  cest 
establisement  ne  se  cstent  pas. 


[The  Statutes  of  the  Bealm.  Vol.  1.  p.  98.] 

13°  Edw.  1.  1285.  Stat.  Merc. 

Ex  Magno  Rot.  Stat.  in  Turr.  Lond.  M.  46  d. 

Pur  ceo  qe  Marchaunz  qi  avaunt  ces  hures  unt  presto  lur 
aver  a divers  genz,  sunt  cheuz  en  poverte  pur  ces  qe  il  ni  avoit 
pas  si  redde  ley  pur  ewe  par  la  quele  il  poeient  lur  dettes  hasti- 
vement  recoverir  au  jour  assis  de  paye;  E par  cele  encheson  sunt 
mulz  des  marchaunz  sustrez  de  venir  en  ceste  terre  ove  lur  mar- 
chaundises,  a damage  des  marchaunz  e de  tut  le  reaume;  Le  Bey 
par  luy  e par  sun  counseil  a sun  parleinent,  qe  il  tint  a Actone 
Burnell  apres  la  Seint  Michel  le  an  de  sun  regne  unzime,  fist  e 
ordina  etablissement  sur  ceo  a remedie  des  marchaunz,  le  quel 
ordeinement  e establisement  le  Bey  comaunda  qe  tenuz  fuissent 
e fermement  gardez  en  tut  sun  Beaume,  dunt  marchaunz  unt  eu 
remedie,  e a mains  meschief  e travail  unt  recovre  lur  dettes,  qe 
avaunt  ne  soleint:  Mes  pur  ceo  qe  marchaunz  puys  se  plcindrent 


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344 


al  Rey  qe  Viscuntes  [qi]  malement  enterprrterent  sun  Statut,  e 
aeonefei  par  malice  e par  mal  enterpreteison  delaerent  lexecucion 
del  Statut  a graut  damage  des  marchaunz,  le  Rey  a suu  Parle- 
ment  a Westm  apres  Pask,  lan  de  sun  regne  troizime,  fist 
reciter  lavauntdit  Statut  fet  a Actone  Burnell;  E pur  declarerer 
aquns  articles  de  sun  Statut  avauntdit  ad  ordine  e establi,  qe 
marchaunt  qi  veut  estre  seur  de  sa  dette  face  venir  sun  dettur 
devaunt  le  meyre  de  [Appelby,]  ou  devaunt  autre  chief  gardeyn 
de  vile  ou  de  autre  bone  vile  ou  le  Rey  ordinera;  E devaunt 
le  meire  ou  chief  gardein,  ou  autre  prodhome  a ceo  esleu  e jure, 
quaunt  meire  ou  chief  gardeyn  ne  poet  entendre,  e devaunt  un 
des  clers,  qi  le  Rey  a ceo  atornera  qaunt  ambedeus  ne  poent 
entendre,  conusse  la  dette,  e jour  de  la  paie,  e seit  la  conoissaunce 
enroullee  de  la  main  del  un  des  clers  avauntdiz  qi  serra  conue, 
e le  Roule  düble,  dunt  le  un  demorge  vers  le  meire  ou  chief 
gardein,  e lautre  vers  le  Clerk  qi  a ceo  pWtnes  serra  nome;  E 
estre  ceo  un  des  avauntdiz  clers  de  sa  main  face  le  escrit  de 
obligacion  a quel  escrit  seit  mis  le  seel  del  Dettur  ove  le  seel 
le  Rey,  qe  a ceo  est  purveu,  le  quel  seel  serra  de  deus  pieces, 
dunt  la  greignour  piece  demorra  en  la  garde  le  meire  ou  chief 
gardein,  E lautre  piece  en  la  main  le  Clerk  avauntdit.  E si  le 
dettur  ne  rende  al  jour  qe  lui  est  assis,  si  veigne  le  marchaunt 
al  Meyre  e al  Clerk,  ove  sa  lettre  de  obligacion;  E si  trove  seit 
p«r  roule  ou  par  lettre  qe  la  dette  fust  conue,  e le  jour  assis 
seit  passe,  si  face  le  Meyre  ou  chiet  gardeyn  prendre  le  cors  al 
dettur  sil  est  lay,  quel  houre  qe  il  seit  trove  en  sun  poer,  e live- 
rer  a la  prison  de  la  vile,  si  prison  iseit,  e la  demoerge  a ses 
custages  propres  desqe  ataunt  qil  eit  fet  gre  de  la  dette.  E 
comaunde  est  qe  le  gardein  de  la  prison  de  la  vile  le  reteigne 
par  la  livere  del  meyre  ou  le  gardeyn;  E sil  nele  voille  receivre, 
si  respoigne  meintenant  le  gardein  de  la  prison  de  la  dette,  sil 
eit  de  qei:  E sil  nad  de  qei,  si  respoigne  celui  qi  la  prison  luy 
bailla  [a  garderj;  E si  le  dettur  ne  poet  estre  trove  en  le  poer 
del  meyre  ou  chief  gardein,  dunqe  maund  le  meyre  ou  chief  gar- 
dein, desuz  le  seel  le  Rey  avauntdit  al  Chaunceler,  la  conoissaunce 
fete  de  la  dette;  E le  Chaunceler  envoie  bref  al  Viscunte,  en  qi 
baillie  le  dettur  serra  trove,  qil  preigne  son  cors,  sil  est  lay,  e 
en  sauve  prison  le  garde  desqe  ataunt  qil  eit  fet  gre  de  la  dette; 


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345 


E dedenz  un  quarter  del  an,  apres  ceo  qe  il  serra  prfs,  eit 
ses  cbateus  e ses  terres  delivres,  issint  qe  par  les  soens  puisse 
lever  e paier  la  dette;  E bien  luy  list,  dedenz  le  quarter,  terre 
et  tenement  vender  pur  ses  dettes  aquiter,  E sa  vente  serra  ferme 
et  estable.  E sil  ne  face  gre  dedenz  le  quarter  passe,  scient 
liverez  au  marchauut  touz  les  biens  del  dettur,  e totes  ses  terres 
par  resnable  estent,  a tenir  desqe  ataunt  qe  la  dette  pleinement 
serra  levee,  E ja  le  plus  tart  le  cors  demoerge  en  prtson  cum 
avaunt  est  dit;  E le  marebauot  luy  truisse  pain  e ewe;  E eit  le 
marchaunt  en  ceuls  teuemenz  a luy  liverez,  ou  son  assigne  tele 
seisine  qil  puisse  porter  bref  de  novele  disseisine  sil  seit  engete, 
e redeseisine  autresi  cum  de  frank  tenement,  a tenir  a lui  e a 
ses  assignez,  taunt  qe  la  dette  sait  paiee;  Apres  la  dette  levee  e 
paee  seit  le  cors  al  dettur  delivere  ove  sa  terre.  E en  le  bref, 
qe  le  Cbaunceler  enverra,  seit  mencion  fet  qe  le  Viscunte  certefie 
les  Justices  del  un  baunc  ou  del  autre,  coment  il  arera  furni  le 
comaundement  le  Key  a un  certein  jour.  A quel  jour  le  mar- 
chaunt, si  sun  gre  ne  soit  fet,  sue  devaunt  les  Justices;  E si  le 

Viscunte  ne  returne  nul  bref,  ou  returne  qe  le  bref  vint  trotart, 
ou  qil  ad  maunde  al  baillifs  de  la  frauuehise,  si  facent  les 
Justices  solom  ceo  qil  est  contenu  en  le  drein  Statut  de  West- 
muster. E si  par  cas  le  Viscunte  maunde  qe  le  dettur  nest  pas 

trove,  ou  seit  clerk,  si  eit  le  marchaunt  bref  a tuz  les  Viscuntes 
ou  il  avera  terre,  qil  lui  livrrent  tuz  les  chateus  e les  tenemenz 
al  dettur  par  resnable  estent  a 'tenir  a luy  e a ses  assignez  en 
la  furme  qe  est  avauntdite;  E ja  le  plus  tart,  eit  bref  a qel 
Viscunte  qil  vodra  de  prendre  son  cors,  sil  est  Lay,  e tenir  en 
la  furme  avauntdite.  E bien  se  garde  le  gardein  de  la  prisun 
qil  luy  covendra  respundre  del  cors,  ou  de  la  dette.  E apres 
ceo  qe  les  terres  al  dettur  serrunt  livereez  al  marchaunt  bien 
lirra  au  dettur  sa  terre  vendre  issent  que  lo  marchaunt  neit  da- 
mage de  ses  approumenz.  E sauvez  seient  touz  jours  al  marchaunt 
damages,  e chescunz  custagez  necessaires  e resunnables  en  trnvails, 
sutes,  delaies  e en  despenses.  E si  le  dettur  truisse  plegges,  qi 
se  conoissent  estre  principals  detturs,  apres  le  jour  passe  seit  fet 
des  plegges  en  totes  choses  cum  est  dit  del  principal  dettur, 
quant  a cors  prendre  e terres  liverer,  e autres  choses.  E quant 
les  terres  al  detturs  serrunt  liverez  as  marebaunz,  si  eit  seisine 


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346 


de  totes  les  terres,  qe  furent  en  la  main  le  dettur,  le  jour  qe 
la  conoissaunce  fu  fete,  en  qi  mein  qe  eles  serrunt  apres  devenuz, 
ou  par  feffement,  ou  par  autre  manere.  E apres  la  dette  paie, 
les  terres  [issuez  del  dettnr]  par  feffement,  ret«rnent  autresi  bien 
arere  al  feffe  cum  les  autres  ferres  as  detturs.  E si  le  dettur 
ou  plegge  moerge,  point  neit  le  marchaunt  [recoverir]  a prendre 
le  cors  le  Eir,  mes  a ses  teures  cum  avaunt  est  dit,  sil  est  de 
age,  ou  q««nt  il  serra  de  age  . E seit  pnrveu  un  seel  qi  serve 
as  feires;  E i ceo  seel  strra  envoie  a chescune  feire  desuz  le 
seel  le  Key  par  un  clerk  [Jure.  E par  le  Gardein]  de  la  feire  e 
la  communaute  des  marcliaunz  seient  elluz  deus  leus  marchaunz 
de  la  eite  de  Lundres  qil  faceot  le  serment;  e devaunt  eus  seit 
le  seel  overt;  E la  une  peece  seit  baille  as  avauntdiz  marchaunz, 
e l’autre  demoerge  vers  le  clerk;  E devaunt  eux  ou  le  un  des 
marchaunz,  si  amdeus  ni  poent  estre,  seient  les  connoissaunces 
fetes  cum  devaunt  est  dit.  E avaunt  ceo  qe  nule  reconoissaunce 
seit  enroullee  seit  la  peiDe  del  Statut  apartement  leu  devaunt  le 
dettur,  issint  qil  ne  puisse  autrefoiz  dire  qe  lom  Ii  met  autre 
peine,  qe  icele  au  quele  il  se  obliga.  E a sustenir  les  custages 
del  avauntdit  clerk,  si  prendra  le  Rey  de  chescune  livre  un  dener 
en  chescune  vile  ou  le  seel  serra,  horepris  Faire  ou  il  prendra 
treis  mailles  de  la  livre.  Cest  ordeinement  e establisement  veut 
le  Bei  qe  desoremes  seit  tenu  par  tut  sun  reaume  de  Engletere 
e de  Irlaunde,  entre  quelsz  genz,  qi  ceo  soient,  qi  de  lour  einpegre 
vodrunt  tele  reconoisaunce  fere,  forspn's  Jeus,  as  queus  cest 
establisement  ne  sestent  pas.  E par  cest  establisement  ne  seit 
pas  bref  de  dette  abatu:  E ne  seient  pas  le  Chaunceler,  Baruns 
del  Escbeker,  Justices  del  un  baunc  e del  autre  e Justices  erraunz 
[forclos]  de  prendre  reconoissaunces  de  dettes  de  eus  qi  devaunt 
eux  les  vodrunt  fere;  mes  les  execucioas  des  conoissaunces  devaunt 
eus  festes  nen  seient  pas  fetes  par  la  furme  avauntdite,  mes  par 
la  ley,  e le  usage,  e la  manere  purveue  aillors  en  autre  estatut  (a). 

[The  Statutes  of  the  Realm.  Vol.  1.  p.  165.] 

5°  Edw.  II.  1311.  (hdinaneex,  c.  33. 

Pur  ceo  qe  multz  des  gentz  de  poeple  autres  qe  marchantz 
conuz  se  sentent  mult  grevez  e reintez  par  lestatut  des  Marchanz 
fait  a Acton  Burnel,  Nous  ordenoms  qe  cel  estatut  ne  se  teigne 


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mes  fors  qe  entre  [Marchaux  et  Marchaux]  et  des  marchandises 
eux  faites,  et  qe  la  reconisance  se  face  si  come  est  contenuz  en 
le  'dit  estatut,  et  par  termoignanz  des  quatres  prodeshomes  et 
leaux  conuz  et  qe  lour  nons  soient  entrez  en  la  reconisanz  pwr  tes- 
moigner  le  fait;  Et  qe  a nuli  soient  autres  terres  liverez  a tenir 
en  noun  de  frank  tenement  par  la  vertu  del  dit  estatut,  forspris 
Burgages  des  Marchanz  e lour  chateux  moebles,  et  ceo  fait  a en- 
tendre  entre  marchanz  et  marchanz,  conuz  marchanz.  Estre  ceo 
Nous  ordenoms  qe  le  Seals  le  Roi  qe  sont  assignez  pur  tesmoigner 
les  dites  conisances  soient  haillees  a plus  riches  et  plus  sages  des 
villes  souzdites  a cele  garde  esleuz  par  les  comunaltez  de  mesmes 
les  viles,  cest  asavoir,  a Noef  chastel  sur  Tyne,  a Everwik  et 
Notingham  pur  les  contiez  de  la  Trente,  et  les  Marchantz  ilokes 
venantz  et  demoerantz.  A Excester,  Bristeut,  et  Suthamptone  pur 
les  Marchantz  venantz  et  demorrantz  en  les  paties  del  Suth  et 
del  West;  a Nicholne  et  Northamptone  pur  les  Marchantz  venantz 
et  demorrantz  ilokes;  a Loundres  et  a Canterbire  pur  les  Mar- 
chantz, venantz  et  demorrantz  en  cels  parties;  a Salope  sur  les 
Marchantz  venantz  et  demorrantz  en  cels  parties;  a Norwiz  pur 
les  Marchantz  venantz  et  demorrantz  en  cels  parties.  Et  les  re- 
conisances  par  aillours  faites  qe  en  les  ditz  villes  tiegnent  nul 
leu  desonnes. 

[The  Statutes  of  the  Realm.  Vol.  1.  p.  336.] 

27°  Edw.  HI.  1353.  Stat.  2.  c.  9. 

Item  au  fin  qe  les  contractz  faitz  deinz  lestaple  soient  le 
meultz  tenuz , et  les  paiementz  prestement  faitz , si  avons  ordene 
et  establi,  [qe  chescun  Meire  des  dites  Estaples  eit  poair  de 
prendre  reconissances  de  dettes,  qe  homme  vodra  faire  devant  lui, 
en  presence  des  Conestables  de  lestaple  ou  lun  de  eux,  et  qe  en 
chescune  des  dites  Estaples  soit  un  seal  ordene  demorant  en  la 
gard  du  dit  Meire  souz  les  Sealx  de  meismes  les  Conestables,  et 
qe  totes  obligacions  qe  yserront  faites  sur  tieles  reconissances  soient 
enselez  du  dit  Seal,  paiant  pur  chescune  Obligacion  de  C.  liwee 
et  dedenz,  de  chescune  livre  un  maille,  et  de  chescune  obligacion 
outre  C.  licree  de  chescune  livre,  un  ferthing:  et  qe  le  Meire  de 
lestaple,  par  vertue  de  celles  leftres  ensi  ensealez,  pussc  prendre 
te  tenir  en  prisone  le  Corps  du  dettour  apres  le  terme  encurru, 


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sil  soit  trove  deinz  lestaple,  tanqil  eit  fait  grc  au  Creditour  de 
la  dette  et  des  damages,  et  aussint  darester  les  biens  de  meisme 
le  dettour,  trovez  deinz  la  dite  Estaple,  et  deliverer  les  ditz  biens 
au  Creditour  par  verroie  estiraacion  ou  de  les  vendre  a meultz  qe 
homme  purra,  et  de  liverer  les  deniers  au  dit  Creditour  tan- 
q ue  a la  Summe  due.  Et  en  cas  q«  le  dettour  ne  soit  trovez 
deinz  lestaple,  ne  ces  biens  a la  value  de  la  dette,  soit  se  certifle 
en  la  Chauneellerie  souz  le  dit  Seal,  sur  quele  certificacion  soit 
brief  mande  de  prendre  le  corps  du  dit  dettour,  saunz  le  mettre 
a meinprise,  et  de  seisir  ses  terres  et  tenementz,  biens  et  ehatcux; 
et  soit  le  dit  brief  retournee  en  nostre  chauneellerie,  ove  la  certi- 
ficacion  de  la  value  des  ditz  terres  et  tenementz  biens  et  chateux; 
et  sur  ce  ysoit  due  exeeution  faite  de  jour  en  jour,  en  manere 
come  il  est  contenue  en  lestatut  Marchant,  issint  qe  celui  a qi 
la  dette  est  due,  eit  estat  de  franktenemente  en  les  terres  et  tene- 
ment:  qe  lui  serront  liverez,  par  vertue  de  cel  proees,  et  recoverir 
par  brief  de  novel  disseiemslet  en  eas  qil  soit  oste;  et  qe  le  dettour 
neit  mie  avauntage  de  quarter  dun  an,  qest  contenu  en  le  dit 
Estatut  Marchant.  Et  en  cas  qe  nul  Creditour  ne  voille  avoir 
lettres  du  dit  Seal,  einz  voille  esteer  a la  foi  du  dettour,  si  apres 
le  terme  encurru  il  demand  la  dette,  soit  le  dettour  cru  sur  sa  foie. 


[Madox.  Formulare  Anglicanum  No.  DCLM]. 

Noverint  universi  me  Johannem  Stone  de  London  Gentilman 
teneri  Roberto  Rede  uni  Justiciariorum  Domini  Regis  de  Banco 
suo,  in  quadraginta  libris  sterlingorum,  pro  mercandisis  ab  eo  in 
Stapulä  Westmonaeterii  emptis:  Solvendis  eidem  Rocerto  aut  suo 
certo  attomato  hoc  Scriptum  ostendenti , ha-redibus  vel  executori- 
bus  suis,  in  festo  Pentecostex  proximö  futuro  post  datum  pra*sen- 
cium:  Et  nisi  fecero,  concedo  quöd  currat  super  me  ha-redes  & 
executores  meos  porna  in  Statuto  Stapula-  pr;edict*  pro  hujusmodi 
debitis  recuperandis  ordinata.  Datum  in  dictä  Stapulä  octavo  die 
Marcii,  Anno  Regni  Regis  llenrici  septimi  sextodeeimo.  Per  me 
Johannem  Stone. 


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Verzeichnis 

der  hauptsächlich  citierten  Quellen  und  Literatur 


I.  Quellen 

Ancient  Charters  (I’ublications  of  the  Pipe  Koll  Society  Band  X).  Hrsg,  von 
John  Horaco  Round.  London. 

Ancient  Laws  and  Institutes  of  England.  Hrsg,  von  Benjamin  Thorpe. 
London  1840. 

Bracton’s  Note  Book.  Hrsg,  von  Frederic  William  Maitland.  3 Bände, 
London  1887. 

Cartularium  Prioratus  de  Gyscburnc  (Surtces  Society).  Hrsg,  von  Brown 
Band  I.  Durhain,  London  und  Edinburgh  1889. 

Chronica  Magistri  Rogeri  de  Houedene  (Rolls).  Band  III.  Hrsg,  von 
William  Stubbs.  London  1870. 

Chronica  Monasterii  de  Mclsa.  Hrsg,  von  Edward  A.  Bond.  Band  I. 
London  1866. 

Chronicon  monasterii  de  Abingdon  (Rolls).  Band  II.  Hrsg,  von  Joseph 
Stevenson.  London  1858. 

Coke,  Edward.  The  Reports  of  Sir  Edward  Coke.  Band  II.  London  1777. 

Court  Baron  (Seiden  Society).  Hrsg,  von  F.  W.  Maitland  und  William 
Paley.  London  1891. 

Crawford  Collection  of  Early  Charters  and  Documents.  Hrsg,  von  Napicr 
und  Stevenson.  1895. 

Documents  Illustrative  of  English  History  in  the  thirtccnth  and  fourteenth 
Centuries.  Hrsg,  von  Sir  Henry  Cole.  1844. 

Domesday  Book.  Amtliche  Ausgabe.  1816. 

Fifty  Earliest  English  Wills  in  the  Court  of  Probate,  London,  A.  D.  1387 
bis  1439:  with  a priest’s  of  1454.  Hrsg,  von  Frederick 
J.  Furnivall.  London  1882. 

Foedera.  Hrsg,  von  Thomas  Rymcr.  Band  I,  part  I.  London  1816. 

Formulare  Anglicanum.  Hrsg,  von  Thomas  Madoi.  London  1702. 

Gesetze  der  Angelsachsen.  Hrsg,  von  Reinhold  Schmid.  2.  Auf!. 
Leipzig  1858. 


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350 


Gesetze  der  Angelsachsen.  Hrsg,  von  Felix  Liebermann.  Bd.  I.  Halle 
a.  S.  1903. 

Hall,  Hubert.  The  Receipt  Roll  of  the  Exchequer  for  Michaelmas  Term 
XXXI  Henry  II,  A.  D.  1185.  Mit  Vorwort  von  Hubert  Hall.  1899. 
Historians  of  the  Church  of  York  (Rolle).  Band  III. 

Jacobs,  Joseph.  The  Jews  of  Angevin  England:  Documenta  and  Records. 
London  1893. 

Landboc  sivc  Registrum  Monaaterii  de  Wincbelcumba.  Band  I.  Hrsg.  Ton 
David  Royce.  Oxford  1892. 

Leet  Jurisdiction  in  the  City  of  Norwich  during  the  XIII0>  and  XIV 
centuries  (Seid.  Soc.).  Hrsg,  von  William  Hndson.  London  1892. 
I.es  Reports  des  Cases  cn  les  Ans  des  Roys  Edward  Y,  Richard  III, 
Henrie  VII  et  Henrie  VIII.  London  1679. 

Letters  and  Papers  Illustrative  of  the  Reigns  of  Richard  III  and  Henry  VII 
(Rolls).  Hrsg,  von  James  Gairdner.  Band  II.  London  1863. 
Lex  Salica.  Hrsg,  von  Hessels  und  Kern.  1880. 

Monuinenta  Juridica.  Band  II.  Hrsg,  von  Travers  Twiss.  London  1874. 
Placita  Anglo-Normannica.  Hrsg,  von  Melville  Madison  Bigelow. 
London  1879. 

Placita  de  Quo  Warranto.  Amtliche  Ausgabe.  1818. 

Placitorum  Abbreviatio.  Amtliche  Ausgabe.  1811. 

Rastell,  Wylliam.  A colleccion  of  entrees.  London  1566. 

Register  or  Rolls  of  Walter  Gray,  Lord  Archbishop  of  York  (Surt  Soc.). 
London  1872. 

Registrum  Brevium  tarn  originalitun,  quam  judicialium.  London  1687. 
Rotuü  Chartarum.  Band  I,  part.  I.  Hrsg,  von  Thomas  D.  Hardy.  1837. 
Rotuli  Litterarum  Patentium  (Rec.  Com.).  Band  I,  pars  I.  1835. 

Select  Civil  Pleas  (Seid.  Soc.).  Band  I.  Hrsg,  von  William  Paley  Baildon. 
London  1890. 

Seleet  Pleas  of  the  Crown,  A.  D.  1200—1225  (Seid.  Soc.),  hrsg.  von 
F.  W.  Maitland.  London  1887. 

Select  Pleas  in  Manorial  and  other  Seignorial  Courts  (Seid.  Soc.).  Band  I. 

Hrsg,  von  F.  W.  Maitland.  London  1889. 

Seleet  Pleas,  Starrs  and  other  Records  from  the  Rolls  of  the  Exchequer  of 
the  Jews,  A.  D.  1220—1284  (Seid.  Soc.).  Hrsg,  von  J.  M.  Rigg. 
London  1902. 

Special  and  Sclected  Law  Cases  oollected  out  of  the  Reports  and  Year  Books. 
London  1641. 

Statutes  of  the  Realm.  Amtliche  Ausgabe. 

Stubbs,  William.  Select  Charters.  8.  Aufl.  1895. 

Translation  of  Glanville.  John  Beames.  London  1812. 

Translation  of  Glanville.  John  Beames.  Hrsg,  von  Joseph  Henry  Beale 
Washington,  D.  C. 


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351 


Translation  of  the  Untranslated  Documenta  in  Mr.  Stubbs'  Collection. 
Oxford  1873. 

Yoar  Book»  of  the  ßeign  of  King  Edward  the  First.  Years  XX  and  XXI. 

(Rolls.)  Hrsg,  von  Alfred  J.  Horwood.  London  1806. 

Year  Books  of  the  Rcign  of  King  Edward  the  First.  Years  XXI  and  . XXII. 

(Bolle.)  Hrsg,  von  Alfred  J.  Horwood.  London  1873. 

Year  Books  of  the  Rcign  of  King  Edward  the  First.  Years  XXX — XXXI. 

(Rolls.)  Hrsg,  von  Alfred  J.  Horwood.  London  1863. 

Year  Books  of  the  Rcign  of  King  Edward  the  First.  Years  XXXII — XXXIII. 

(Rolls.)  Hrsg,  von  Alfrod  J.  Horwood.  London  1864. 

Year  Books  of  the  Reign  of  King  Edward  the  First.  Michaelmas  Term, 
Year  XXXIII  and  Years  XXXIV  and  XXXV.  (Rolls.)  Hrsg,  ron 
Alfred  J.  Horwood.  London  1879. 

Year  Books  of  Edward  II.  Bd.  I.  1 und  2 Edward  IL  A.  D.  1307—1309. 

Hrsg,  für  die  Seiden  8ocicty  von  F.  W.  Mai tl and.  London  1908 
Year  Books  of  Edward  II.  Bd.  U.  2 und  3 Edward  II.  A.  D.  1308-1309 
and  1309—1310.  Hrsg,  für  die  Seiden  Society  von  F.  W.  Mait- 
land.  London  1904. 

Year  Books  of  the  Rcign  of  King  Edward  the  Third.  Years  XIV  aud  XV 
(Rolls).  Hrsg,  von  Luke  Owen  Pike.  London  1889. 


II.  Literatur 

Arnes,  James  Barr.  The  History  of  Assumpsit.  Harvard  Law  Review, 
Band  II. 

— — The  Dissoisin  of  Chattels.  Harvard  Law  Review,  Band  III. 

Amira,  Carl  von.  Nordgermanisches  Obligationenrecht.  2 Bünde.  Leipzig 

1882-95. 

— — Das  Altnorwegischc  Vollstreckungsvcrfahreu.  München  1874. 

Grundriß  des  Germanischen  Rechts.  Straßburg  1901. 

Ainos,  Shelden,  History  and  Principles  of  the  Civil  Law  of  Rome. 
London  1883. 

Anglo-Saxon  Law,  Essays  in.  1876. 

Ashburner,  Walter.  Mortgages,  Pledges  and  Liens.  London  1897. 
Ashly,  William  James.  An  Introduction  to  English  Economic  History  and 
Theory.  London  1892 — 1893. 

Bacon,  Matthew.  A New  Abridgment  of  the  Law.  10  Bünde.  Phila- 
delphia, Pennsylvania  1846. 

Beal,  Edward.  Law  of  Bailments.  London  1900. 

Beale,  Joseph  Henry.  The  Carrier’s  Liability:  It«  History.  Harvard  Law 
Review.  Bd.  XI. 

Notes  on  Consideratlon.  Harvard  Law  Review.  Band  XVIII. 


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352 


Bcames,  John.  A Translation  of  Glanville.  To  which  are  added  Kotes. 
London.  1812. 

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Williams,  Serjeant,  and  Williams,  Edward  Vaughan.  Notes  to  Saunder's 

Reports.  2 Bde.  London  1871. 

Woodfall.  Landlord  and  Tenant.  1898. 

Wright,  Martin.  Law  of  Tenurcs.  3.  Aufl.  London  1768. 


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Namen-  und  Sachregister 


Acht  96,  97. 

Ackerbau  4. 

Actions 

Account  157—164.  284. 

Action  for  the  recovery  of  Und  35. 
Ad  terminum  qui  praotcriit  235 
(Anm.  1). 

Assumpsit  35,  157—164. 

Cessavit  per  biennium  264  ff. 
Consuetudinibus  et  servitiis  267. 
Covenant  35,  157 — 164,  238,  270. 
Debt  35,  157—164,  223,  224,  230, 
282,  284,  288,  294. 

De  eiectiune  firma  50. 

De  ingressu  50. 

De  parco  fracto  182. 

Detinue  35,  197  (Anm.  1). 

Dowcr  unde  nihil  habet,  Writ  of  34, 
50. 

— Writ  of  34. 

— — — right  of  34,  49. 
Ejectment  35,  209,  267. 

Feodum  vel  vadium  229. 

Furti,  Actio  271. 

Mordtancester  235  ff. 

Novel  Disaeisin  22,  34,  175,  183 
(Anm.  2),  219  ff.,  222,  297. 
yuarc  eiecct  infra  terminum  46. 
Quarc  impedit,  Actio  34. 

Hoplevin  36,  179  ff.,  186  ff. 
Rescoua  184. 

Right,  Writ  of  34,  36. 

Spolii,  Actio  22. 

Trespasa  35. 

Trespass  on  the  case  35. 

Trover  35. 

Warrantia  cartae  270  ff. 


Alfred  5. 

Allemann  isches  Recht  116,  178 
(Anm.  3). 

Amerikanisches  Recht  161  (Anm.  5) 
198  (Anm.  1),  201  (Anm.  1),’ 
305  (Anm.  1). 

Amtsrecht  31- 

Anefang.  Siehe  Verfolgung  des 
Viehes. 

! Angeln  und  Sachsen  16. 
Angelsächsische  Königreiche  4. 
Angelsächsischer  König  4,  6. 
Angelsächsisches  Recht  67  — 145, 
147  ff. 

I Anglicus  Richardus  21. 

Annuity  169  (Anm.  1). 
Annullierungsklausel  241  ff. 
Antichrese  141  (Anm.  4),  209. 
Auffassung  70,  Anm. 

Augustin  4,  19. 

| Ausländer  in  England  9,  11,  14. 
Bailments  191  ff. 

Banken-  und  Versicherungswesen  12. 
Bannlegung  303. 

Bauern,  Aufstand  der  8. 

Bayerisches  Recht  116,  178  (Anm.  3). 
Bedingte  Übereignung  zu  l'fand- 
zwecken  141  ff.,  305. 
Bofriodigungsrccht  IX. 
Befriedigungsversprechen  74.  76  ff. 
Beistand,  Widerrechtlicher  96. 
Belastungen  (charges)  168,  210,  211 
262—276. 

— von  Land  durch  warranty 
268  ff. 

— Belastung  der  Pfandsachc  247. 


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360 


Belehnung  (feoffment)  48,  162,  210, 
268  ff. 

— Bedingte,  zu  Pfandzwecken 

232  ff. 

— Belehnungsurkunde  232  ff. 
Belgisches  Recht  802. 

,Beneficial  Lease“  46,  2Ö2  ff,  212. 
(Anm.  2),  212  (Anm.  3),  232 
(Anm.  lj. 

Besitz  39.  46,  162.  239. 

— Abgeleiteter  Besitz  des  Pfand- 
gläubigers 226  (Anm.  4], 

— des  Lehens  263,  266. 

— von  Mobilien  192. 

— Pfand  mit  Besitz  des  Gläubi- 
gers 132  ff,  201-261. 

— der  Pfandsache  136, 166  ff,  171, 
IM  ff,  123  ff.,  196,  199,  200, 
204  ff.,  208,  21Q  ff.,  213,  217  ff., 
219 ff,  222,  224 ff,  232.  233 ff. 
238,  242  ff.,  233  ff,  280,  28L, 
236  ff,  221  ff,  225  ff.,  298,  304 

— einer  Rente  174  ff. 

— des  verpachteten  Grundstücks 
203  ff 

Boweisversprechen  16  ff 
Billigkeitsrccht  (Equity)  8,  14.  25  ff. 
200,  211,  227. 

— Billigkeitagerichtsbarkeit  der 

gemeinrechtlichen  Gerichte  29, 
— Einfluß  auf  Mortgages  248  ff 
Bischöfe  108.  109,  u.  s.  w. 
Blackstone  25. 

Bdcland  40. 

Bonds  2M ff,  303,  Siehe  auch 

Schuldancrkennungen. 

Bracton  21. 

„Bractonian  Gage  for  Ycars“  233  ff. 

246. 

Brcvia  in  consimili  casu  34, 

— iudicialia  33  ff. 

— original  ia  33  ff. 

Britton  22. 

Bnchland,  Verpfändung  von  139  ff., 
213.  239.  240. 


Burdens  261  ff.  Siehe  auch  Be- 
lastungen und  Chargcs. 
Burgage  land  291. 

Bürgschaft  II  ff.,  16  ff.  90.  98,  101  ff., 
LLQ  ff,  U2,  114  (Anm.  2),  122 
bis  126,  128,  130,  131.  135, 
139,  152  (Anm.  1),  155.  156, 

160,  165  ff.,  252,  253, 
Burgundischcs  Recht  116,178(Anm.31. 
Busse  62  ff,  115 ff.,  U8,  119,  127, 

134,  135,  138,  153,  159.  175. 
179.  190  (Anm.  2). 

Cambridge  und  Oxford,  Gerichte  der 
Universitäten  25, 

Causae  debendi  160,  163. 

Ceorls  4,  6. 

Charges  261  ff,  276,  304,  Siehe 
auch  Belastungen  und  Burdens. 
Ohattels  4L 

— real  41,  234,  257  (Anm  3)  258 
Anm.  1),  296. 

Choses  in  action  4L 
Christentum  4, 

Cnut  5. 

Cnuts  Regierung  1 1. 

Codification  26 
Coke  25. 

Commcndation  271. 

Common  Law  (gemeines  Recht)  26  ff. 

' — — (Gewohnheitsrecht)  26  ff. 

Consideration  (Gegenleistung)  38, 

161,  271. 

Contract  22. 

— ofrecord  38,  149—164,  289  ff. 
- under  seal  38,  149—164. 

— Simple  38,  149—164. 
Conventionary  Law  (lei  contractus) 
26  ff. 

Convcntiones  162  ff. 

— privatac  218. 

Copyhold  42. 

Covenants  for  title  274. 

— von  Pfandschuldnern  212. 
Cnstodia  legis  166  ff.,  173,  175,  177, 

181,  184. 


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3fi1 


Damagcs  36 

Danelag  (Danelaw)  5, 

Dinen  und  Norweger  5,  6 

Dänisches  Recht  116,  132  (Anm.  1). 

Darlehen  158,  163. 

Dced  49,  50,  149—164,  303,  305 
Siehe  auch  Recognitances, 
Schuldanerkennungen. 

— upon  condition  232  ff. 

Denarius  Doi  159. 

Detention  der  Pfandsache  219,  22L 

Deutsches  Recht  32  ff.,  44,  49,  23 
(Anm.  2),  168,  181  (Anm.),  196, 
201  (Anm.  2),  205  (Anm.  1), 
214,  220  (Anm.  1),  231  (Anm.  2], 
212  (Anm.  1),  222  ff.,  304  (An- 
merkg.  2). 

Diebstahl  79,  81  (Anm.  2).  101,  103, 
123  ff-,  133,  135,  136,  Ufi 
(Anm.),  271. 

Dienste  und  Renten,  Natur  der  feu- 
dalen 162  ff. 

Disseisin  114  ff. 

Distress  164 ff.  Siehe  auch  Pfän- 
dung. 

— damage  feasant  164  ff. 

— Double  179. 

— Excessive  179. 

— Reasonable  179. 

— for  Services  or  rent  in  arrear 
162  ff. 

Dnmesday  Book  63. 

— Pfand  139. 

Dominium  39. 

Dorf-  oder  Stadtgemeinde  (villagc  oder 
township)  4. 

Dos  ad  ostium  ecclcsiae  224  - 276. 

— nominata  275,  276. 

— rationabilis  275,  276. 

Draufgeld  (eamest)  159,  160. 

Drogheda,  William  of  2L 

Eadred  5. 

Eealdormänner  108. 

Ecgberht  und  die  Westsachsen  5. 

Eduard  der  Bekenuer  6, 


Eduards  I,  Regierung  7,  12. 
Eduards  III,  Regierung  13. 

Ehe  21  ff 

| Ehcrecht  154  (Anm.  2). 

| Eheschließung  21  ff. 

Eid  71,  74-  81.  23  ff,  28  ff,  126, 
128-130,  149-164. 

Eideshilfe  (compurgation)  L 
Eigenmächtige  Pfändung  1 64  ff.  Sie  he 
auch  Selbsthilfe. 

Eigentum  32. 

Eigentümer  der  Pfandsache  305. 
Eigentumspfand.  Siche  Proprietäts- 
pfand. 

Eigentumsrecht  und  Besitz  245. 

— ah  Mobilien  192. 

Einlösung  des  Pfandes.  Siehe  Pfand. 
Eintragung  von  Schuldanerkcnnungen 

288  ff.  Sieho  auch  Schuld- 
anerkennungen. 

Elisabeth  9,  12. 

Encumbranccs  261  ff.  Siehe  auch 
Belastungen , Burdens  und 
Charges. 

Entscheidungen  der  Gerichte  27. 
Eorls  4. 

Equity.  Siche  Billigkeitsrecht. 
Erben,  Rechte  der  235  ff,  251,  257. 

258,  273,  276.  295.  297. 
Erbrecht  272—276. 

Ermahnung  193. 

Erwerbsarten  der  dinglichen  Rechte 

48,  42. 

Estates  41.  43  ff. 

— upon  condition  47,  241  ff- 
— Equitable  44.  254,  256. 

— of  freehold  ü,  44  ff. 

— less  tban  freehold  45. 

— Legal  44, 

— by  Statute  elegit,  merchant  and 
staple  209,  257  (Anm.  3). 
Siehe  auch  .Statutes*. 

Excambium  ad  valcntiam  211  ff. 
Exchequer  6,  10. 

— of  the  Jews  278. 


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362 


Exkommunikation  96,  97,  153. 

Fälle,  Citicrto  164  (Anm.  1),  169, 
170, 111  (Anm.  1),  ISO  (Anm.  3), 
181  (Anm.  1},  186  (Anm.  2), 
ISS  (Anm.  2),  184  (Anm.  1), 
141  (Anm.  1),  143  (Anm.  2,  3}, 
IM  (Anm.  1_:  Coggs  v.  Bern- 
ard),  196.  202  (Anm.),  234. 
(Anm.  1J,  241  (Anm.  3),  242 
(Anm.  2),  263,  264  (Anm.  1), 
266  (Anm.  2),  272  (Anm.),  273 
(Anm.  1),  281  (Anm.),  282 

(Anm.),  283  (Anm.),  234  (Anm.), 
288,  239  (Anm.),  246  (Anm.  2}. 

Faustpfandrecht  112.  Siehe  auch 
Pfand  und  Pfändung. 

Fcchtwettu  84,  31. 

Fehde  107,  124, 

— Wettvertrag  bei  Beilegung  der 
72,  31  ff. 

Festuca  71,  Anm. 

Feudalismus  6,  271,  280,  285. 

Fidci  interpositio  VIII,  5,  74  ff,  109, 
112.  149—164. 

— laesio  151,  153,  251. 

Fides  facta.  Siehe  fidei  interpositio. 

Fiducia  2Ü1  (Anm.  2),  261. 

Fines  (ünal  concords)  162,  269,  289. 

Flandrisches  liecht  83  (Anm.  4], 

Fleta  2L 

Folc-land  40. 

— Verpfändung  von  139. 

Forcclosure  199.  200,  212.  227  ff. 
283  (Anm.  5). 

— Decree  of  29,  37,  233  ff. 

Formal-  oder  Wettvertrag  VIII,  32ff, 
64  ff,  144  ff. 

Formen  der  Immobiliarverpfändung 
und  Kombinationen  dieser 
Formen  231  ff. 

Fränkisches  Recht  VIII,  18  (Anm.  1), 
79.  104  ff.  116.  163,  233. 

— in  England  16,  19,  20. 


Französisches  Recht  62,  64,  201 
(Anm.  2),  299,  300—302. 
Freehold  42, 

— estates  41,  44  ff. 

Friede  (Schirm)  des  Königs  83,  86, 
87.  99.  108.  183, 
Friedensgilden  101  ff. 

Friedensstörer  100. 

Friedensvertrag  98,  106. 

Friesisches  Recht  44  (Anm.  2),  18 
(Anm.  1),  81  (Anm.  5),  1 16. 
Frunung  auf  Grund  der  General- 
satzung 301. 

Fürsprecher  (Vorsprecher)  72,  85,  88. 

Gabe  234  ff.  240.  271,  213, 

— ohne  Gegenleistung  161. 

Gage  for  years  und  die  „bcneficial 

lease“  203. 

Gavelet-Vcrfahren  265  ff. 

Gavclkind  27,  264  ff. 

Gebrauchs-  und  Nutzungsrecht  an 
der  Pfandsache.  Siehe  Ver- 
pfändung und  Pfändung. 
Gedinge  64  ff,  43  ff. 

Gefahr  und  Kosten  bezüglich  der 
Pfandsache  180,  194, 
Gegenleistung  38, 

Gegenpfändung  (withernam)  189,  190. 
Geiseln  70,  73,  43  (Anm.  3),  48  ff, 
107,  109  (Anm.  2),  112,  127. 
138,  139,  160. 

Geld-  und  Creditwirtschaft  12,  14, 
164. 

Gelöbnis  77,  81,  83,  82, 

Gelübde  155. 

Gemeines  Recht  14, 

Gemot  122  ff,  132.  135  ff,  u.  s.  w. 
Gcneralbypothek  202  (Anm.),  300  ff. 

Siehe  auch  Hypothek. 
Generalobligation  111. 
Generalsatzung  300  ff. 

Gentili,  Alberico  23, 

Genugtuung  119,  131,  138. 

Gerefe  97, 162  ff,  107,  109,  131—133, 
138,  u.  s.  w. 


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363 


Gerichte  24,  25,  27,  28,  31,  33  ff. 
u.  s.  w. 

Gerichtliche  Erlaubnis  zur  Pfändung. 
Siehe  Pfändung. 

— Pfändung  131  (Anm.  I),  1221T. 

Germanische  Elemente  im  englischen 
Recht  3,  15—17. 

— Institutionen  in  England.  3. 

— Völker  in  England  3. 

Germanisches  Recht  VII — XI,  löff, 
39  fT,  43,  69*  70,  21  (Anm.  1JI), 
74,  81,  35  (Anm.  4),  91,  94 
(Anm.  2),  111911,  114,  115. 116. 
132  (Anm.  2).  156.  161.  163, 
112  (Anm.  1).  173,  174.  176 
(Anm.),  128  (Anm.  3],  179 
(Anm.  2),  184  (Anm.  3),  185 
(Anm.  1),  19Ü  (Anm.  2],  260 
(Anm.  1),  26 2 (Anm.),  270,  302. 

— Recht  in  England  3, 

Geschworenen-Gcricht  (inquest  oder 
recognition)  2. 

Gesetze: 

Consuetudines  Cantiae  265. 

Les  Estatutes  de  la  Jcuerie  232 
(Anm.  2,  3,  4);  2S4  (Anm.  1). 

Chapitles  Tuchauuz  La  Gyuerie 
284  (Anm.  1}. 

Stat.  4 Henry  II  172. 

Capitula  de  Judaeis  (A.  1).  1194) 
278. 

Proyisiones  de  Merton,  (20  Henry 
III,  A.  I).  1236)  52. 

Stat.  of  Marlbridge,  (52  Henry  III, 
A.  D.  1267)  190,  Anm.  2. 

Stat.  of  Marlbridge  (C.  4]  129 
(Anm.  2),  130  (Anm.  3). 

Stat.  of  Marlbridge  (C.  15)  182. 

Stat.  of  Marlbridgc  (0.  21)  138 
(Anm.  3). 

Stat.  of  Marlbridge  (C.  22)  264. 

Carta  Mercatoria  (Ed.  I)  159. 

Stat.  Westminster  L A.  D.  1275 
(C.  16)  180,  Anm.  3,  190,  Anm. 


Stat.  Westminster  I (C.  17)  189. 

Anm.  3,  190.  Anm. 

Stat.  of  Glouccster,  fi  Ed.  I,  A.  D. 
1278  (C.  4)  264. 

Stat.  of  Acton  Bumel,  11  Ed.  I, 
A.  D.  1283  287.  290.  291. 
294  (Anm.  1). 

Statutuni  Walliae  (A.  D.  1284)  164. 
Stat.  of  Merchants,  13  Ed.  I,  A.  I). 
1285  288,  290,  291,  294  (Anm. 
1,2),  295  (Anm.  1),  291  (Anm. 
L 3), 

Stat.  Westminster  II,  13  Ed.  I, 
A.  D.  1285  (C.  2)  188  (Anm.  1), 
189  (Anm.  1), 

Stat.  Westminster  II,  13  Ed.  I, 
A.  D.  1285  (C.  18)  287.  291, 
292. 224  (Anm.  1),  295  (Anm.  1), 
Stat.  Westminster  II,  13  Ed.  I, 
A.  I).  1285  (C.  21)  264. 

Stat.  Westminster  II,  13  Ed.  I, 
A.  D.  1285  (C.  ü)  265. 

Stat.  Qnia  Emptorcs,  18  Ed.  I, 
A.  D.  1290  (st.  1)  42,  44,  202 
(Anm.),  286. 

Stat.  5 Ed.  II,  A.  D.  1311  (C.  33) 
291.  294  (Anm.  1). 

Statutum  de  Gaveleto  in  London, 
10  Ed.  II,  A.  D.  1317  266. 
14  Ed.  DI,  A.  D.  1341  (St.  1, 
C.  U)  294,  Anm.  L 
Stat.  of  the  Staple,  22  Ed.  III, 
A.  D.  1353  (St.  2,  C.  9)  288, 
290.  292,  294  (Anm.  1), 

3S  Ed.  III,  A.  I).  1362  (C.  7)  292, 
Anm.  3,  294.  Anm.  L 
10  Heu.  VI,  A.  D.  1432  (C.  1)  294 
Anm.  L 

23  Hen.  VIII,  A.  D.  1531-1532 
(C.  6)  287, 293, 294  (Anm.  1,  2). 
22  Hen.  VIII  (C.  16)  49, 

32  Hen.  VIII,  A.  D.  1540  (C.  5) 
293  (Anm.  2),  294  (Anm.  1), 
32  Hen.  VIII,  206  (Anm.  1), 

Stat.  of  Uses,  A.  D.  1535  42. 


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364 


Stat.  of  Will«,  32  Hen.  VIII,  A.  D. 
1541  A4. 

Stat.  2 aud  3 Ed.  VI,  A.  D. 

1548—1549(0.31)  294(Anm.  1). 
12  Charles  II  (0.  24)  42 
2 William  and  Mary  (C.  5)  185. 
Anm.  1,  2. 

4 William  and  Mary  (C.  5)  178 
(Anm.). 

4 George  II  (C.  28)  269 
Distress  für  Heut  Act,  stat.  II 
George  II  VC.  19)  § 16,  A.  D. 
1737  288. 

Kcal  Property  Limitation  Act,  8. 
38  (1833)  281. 

Stat.  26  and  21  Victoria  (0.  125) 
298. 

Judicature  Acts  (1873—1875)  iH, 

259. 

Land  Transfer  Acts  (1875, 1897)  49. 
Oonvcyancing  and  Law  of  Property 
Act  (1881)  213,  288, 

Bills  of  Sale  Act  (1882)  291,  Anm.  L 
Gesetze  der  Angelsachsen  89  ff. 
Gesetzgebung  21. 

Gewährleistung  (warranty)  288—274. 
— als  dingliche  Belastung  268, 
212  ff. 

— Persönliche  268,  272. 
Gewährsmann  99  (Anm.  2). 

Gewere  39,  229ff.  Siehe  auch 
Besitz  und  Seisina. 

Gift.  Siehe  Gabe. 

Gilden  10,  12,  101  ff. 

— Statuten  der  102. 

Glanvill  21. 

„Glanvillian  Gage“  214  ff,  231  ff, 
231  ff,  243,  245,  246,  251. 
Gotisches  Recht  55  (Anm.  2),  1 16. 
Gottesurteil  (ordeal)  4.  Siehe  auch 
Ordalien. 

Gott-Verbürgung  71,  75,  93  ff,  156. 
Grafschaften  6. 

.Grant,  Lie  in“  305. 

Grundbesitz  5. 


Grundherr  131  ff,  138  ff. 
Gutgläubiger  Dritter  302. 
Gutsherrschaften  (manors)  8—10. 
Gutspächter,  System  der  Bewirt- 
schaftung durch  8, 

Haft  8Q  (Anm.  2),  96,  125,  131,  135. 
138. 

Haftung  VIII,  69.  78.  75.  156.  194, 
246  ff.,  257.  258,  281,  299  ff. 
— Gegenstände  der  300  ff. 

— des  Mobiliars  111  ff.,  294 
(Anm.  1). 

— des  Pfandgläubigers  194  ff., 

228,  229. 

— des  Pfandschuldners  212, 

— und  Schuld  109  ff. 

Haie  25. 

Halsfang  83  ff. 

Hand  wahre  Hand  50,  196, 

Handel  und  Industrie  4 — 14,  98  ff-, 
164.  277,  286,  290.  292  ff.,  303, 
Handgeld  92,  Amn. 

Handschlag  71,  83  ff..  99.  151.  155, 
156,  163. 

Handschuh  152,  157. 

Heinrichs  II,  Regierung  L 
Heinrichs  III,  Regierung  L 
Uereditaments,  Corporeal  and  incor- 
pureal  40,  4L 
Hiremannen  105,  108. 

Hoftage  der  Vasallen  6. 
Holländisches  Recht  302. 
Holschulden  134. 

Holt  25. 

„Hue  and  cry“  189 
Hundertschaften  6,  120,  122,  132 
(Anm.  1),  136, 

Hyperocha  IQ  (Anm.),  144,  145,  185 
(Anm.  2),  197  (Anm.  2),  199, 
200,  210—213,  222-224,  246 
(Anm.  2),  250.  255,  258,  259, 
283,  284,  297,  298,  305. 
Hypotheca.  Siehe  Hypothek. 

— tacita  173. 


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365 


Hypothecations  304,  Anm.  4. 

Hypothek  H,  13,  38,  4L  144,  157, 
IM  (Anm.  3],  201  (Anm.  2),  202 
(Anm.),  210.  218.  248.  201  bis 
303. 

— General-  202  (Anm.),  3Ü0  ff. 

— am  ganzen  Immobiliar  303. 

— am  Mobiliar  Ul  ff..  193,  200, 

201. 

— Neuzeitliche  304. 

— Umbildung  des  mortgage  in 
eine  304. 

— und  Vermögenshaftung  233  ff. 

Immobiliargut  40. 

Immobiliarklagen  43  ff. 

Immobiliarpfandrecht  L23  ff.,  201 
bis  30k 

Immobiliarrecht  42  ff. 

Injunction  (gerichtliches  Verbot)  30. 

Inns  of  Court  24. 

Inrotulierung  von  „Statutes“  303. 

Interpositio  fidei  (pledge  of  faith) 
149— 1G4.  Siche  auch  Fidei 
interpositio. 

Italienisches  Hecht  163,  221. 

„Jcwish  Gage“  lL  210,  277-284, 
298.  303. 

Johann  X. 

Juden  1_L  12,  158,  277—284. 

Judgment  lien  299. 

— Confessing  298. 

Judgments  38,  288  ff. 

Judicats-Hypotbek  4L  288  ff.,  299. 
Siehe  auch  Hypothek. 

Judicaturc  Acts  31. 

Jury,  Ursprung  der  132,  Anm.  4, 

Kanonisches  Recht  93,  94  (Anm.  2], 

— — in  England  17. 

Kanzleigericht  (Chancery)  8. 

Kauf  auf  Wiederverkauf  145. 

Kaufehe  73,  31  ff. 

Kaufleute  11—14,  158,  286  ff. 


Keltische  Institutionen  und  keltisches 
Recht  15. 

— Zivilisation  in  England  3. 

Kesselfang  78,  128  (Anm.  3). 

Kirche  8, 

— Einfluß  der  35  (Anm.  3}. 

— Jurisdiction  über  Verträge 
149-164. 

— Römische  Kirche  in  England 

18,  IS, 

Kirchenrecht  143  ff. 

— Gelöbnis  im  97. 

Klageantrag  (indorsementofclaim)  36. 

Klagen  33  — 37,  153—104.  Siehe 
auch  Actions. 

— der  angelsächsischen  Zeit  76  ff. 

— Petitorische  42. 

— Possessorische  220  ff. 

Klöster  1L 

König  H),  14,  u.  s.  w. 

Königreiche  6. 

Königsfrieden.  Sieho  Friede  des 
Königs. 

Königsgericht  6. 

Kontinentalisches  Recht  42,  43,  174, 
120  (Anm.),  US  (Anm.  3),  184 
(Anm.  3],  130  (Anm.  2),  212 
(Anm.  1L  262  (Anm.),  285 
(Anm.  1),  304.  Siehe  auch 
GermanischesRccht,  Römisches 
Recht  u.  s.  w. 

Kreditwesen  277. 

Kronvasallen  (tenentes  in  capite)  0. 

Kuss  84,  Anm.  3. 

Lsen-Land  40. 

Landbncher  19. 

— Besitz  der  Landbncher  bei  Ver- 
pfändungen 141  ff. 

Lanfranc  20. 

Langobardisches  Recht  109,  112,  115, 
178  (Anm.  3). 

Lasten,  Feudale  247. 

Lease  and  release  49. 

Legal  estates  44. 

Legatare  257,  258. 


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3G6 


Lehnsdienste  und  Renten  als  Belas- 
tungen 2112  ff. 

Lehnsstaat,  Normannischer  7. 
Lehnssystem  42. 

Leibeigenschaft  9,  277. 

Lex  mercatoria  10,  27,  159.  160. 

167  (Anm.  2),  222  ff. 

Liens  2£1  ff.,  304  (Anm.  4).  Siehe 
auch  Belastungen,  Burdens, 
Charges. 

Literatur  des  gemeinen  Rechts  21  ff. 

— und  Quellen  des  Pfandrechts 

350-360. 

— und  Quellen  des  englischen 
l’rivatrechts  51 — 54. 

„Livery,  Lie  in“  305. 

Longchamp,  William  2L 

Magna  Charta  2. 

Mandate  (writs,  brevia)  23  ff. 
Mannbusse  84  ff. 

Mansticld  25. 

Maritagium  (Heiratsgut)  152,  153, 274. 
Märkte  (fairs)  14. 

Mercantile  System  14, 

Missio  in  baunum  Regis  des  fränki- 
schen Rechts  26, 

Mixed  actione  32, 

Mobiliargut  40, 

Mobiliarhypothek  111  ff.,  2Q2  (Anm.), 
302. 

Mobiliarpfand,  Jüdisches  282,  Anm.  L 
Mobiliarpfandrecht  114  ff.,  164—201. 
Mobiliarrecht  20, 

Mobiliarverpfändung  mit  Besitz  des 
Gläubigers  193. 

Mord  86,  82.  Siehe  auch  Tötung.  I 
Mortgage  30,  ,208,  211,  213,  228, 
232  (Anm.  1),  234.  239,  240  ff., 
260.  261,  281,  304.  302. 

— an  beweglichen  Sachen  200. 
— Equitable  304. 

— I.ittleton’s  240  ff. 

— for  term  of  years  247. 
Mortgagec  in  possession  258  ff. 


Mortgagor  in  possession  258  ff. 

Mortuum  vadium  141  (Anm.4),  203  ff., 
241  ff. 

Nachlaßrecht  5, 

Nährlohn  (föster-leän)  88  ff. 

Namium,  Simplex  263,  267. 

Nationale  Entwickelung  9, 

Naturalwirtschaft  12,  14,  164. 

Nordisches  Recht  55,  70,  84  (Anm.  3), 
88  (Anm.  7),  82  (Anm.  3),  88. 

— in  England  UL 

Normannen,  England  unter  den  8. 

Normannische  Eroberung  8. 

— Herrscher  1 1. 

Normannischer  Einfluß  6. 

Normannisches  Recht  48,  62,  79, 
206  (Anm.  3),  288. 

— in  England  16,  20, 

Nutzpfand  IX,  19,  138  ff.,  201 — 213, 

233  ff.,  258,  298. 

— Befristetes  246. 

— Reines  214,  224  (Anm.  3),  227, 
230.  231  ff. 

Nutzpfand  plus  Substanzpfand  IX, 
231  ff.,  288. 

Nutzungsrecht  264,  283, 

— auf  J ahre  202  ff. 

Oath.  Siche  Eid. 

Obligatio  generalis  300  ff. 

— personae  302, 

— specialis  301  ff. 

Obligationenrecht  37  ff.  , 

Offa  1_L 

Öffentlichen  Recht,  Wettvertrag  (Ge- 
löbnis, Gedinge)  im  88  ff. 

— Fides  facta  im  150  ff. 

Öffentlichkeit  bei  Hypothek  280. 

Oekonomische  Entwickelung  Eng- 
lands 4 ff. 

„Once  a mortgage,  always  a mort- 
gagc“  256. 

Ordalien  78  ff.,  121  (Anm.  5),  129, 
131,  133,  138, 


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367 


— Liturgie  16. 

— Siehe  auch  Kesselfang. 
Overseunessa  123,  130,  137,  138. 
Oxford,  Alberico  Gentili  zu  23,  24. 
— Schule  für  beide  Rechte  zu  2L 

Pachtverhältnis  140,  Anm.  3, 
Papinian  zu  York  IS, 

Parlament  7,  9. 

Person  des  Schuldners,  Zwangsvoll- 
streckung gegen  die  286  ff. 
Personal  actione  34  ff. 

— property  40,  AL 
Personenhaftung  VIII,  69,  1Ü2  ff., 

222  ff. 

Persönliche  Klage  gegen  den  Pfand- 
schuldner 199  (Anm.  3),  212,  | 
246  ff.,  259,  2SA  ff. 

„Pes“  (Fuß)  einer  Schuldancrkennung  j 

279. 

Pfand  80,  124,  125. 

— Einlösung  des  Pfandes  138  bis 
140,  142,  145.  184,  185,  198, 
200,  207,  209,  2H,  213,  225  ff. 
230,  238,  236,  241—243,  246, 
242  ff.,  222  ff.,  263,  266,  228, 
282. 

— Einlösung  des  Pfandes  nach 
dem  Stichtag  250  ff. 

— des  Friedens  99,  107. 

— Gegebenes  122  ff-  164,  191 
bis  201. 

— Genommenes  41,  11411.,  133  ff., 
164-191. 

„Pfand  und  Bürgschaft“  (gage  and 
pledge)  122  ff. 

Pfandgeschäft,  Kombiniertes  233  ff., 
246.  Siehe  auch  Nutzpfand, 
Substanzpfand. 

Pfandgläubiger  als  Freeholdbesitzor 

232  ff. 

— als  tenant  232. 
Pfandgläubigers,  Rechte  nnd Pflichten 

des  219  ff 

Pfandkchruug  184,  Anm.  3, 


1 Pfandrecht  als  accessorisches  Reeht 
IX.  Siehe  auch  Persönliche 
Klage  gegen  den  Pfandschuld- 
ner; Haftung. 

— Englisches  VIII. 

— Geschichte  des  12. 

— und  Rechts-  und  oekonomische 
Verhältnisse  3. 

— und  Schuld  145. 
Pfandsatzung  VIII,  111. 
Pfandschuldners,  Rechte  und  Pflich- 
ten des  222  ff,  23Qff 

Pfandstall  ISO  ff. 

Pfandwehrung  184,  Anm.  3. 

Pfändung  156.  299  ff. 

— Akt  der  175  ff. 

— Außergerichtliche,  für  Schuld- 
forderungen 114  ff. 

— Eigenmächtige  32)  114  ff. 

— mit  Erlaubnis  des  Gerichts  113, 
144  ff,  134  ff,  169  ff,  263  ff 

— ohne  gerichtl.  Erlaubnis  114ff 
— Gebrauchs  und  Nutzungsrecht 

an  gepfändeten  Sachen  167,185. 
— Gegenpfändung  189,  190. 

— Gegenstand  der  135,  176  ff. 
— Gerichtliche  VIII,  134  ff, 
122  ff,  191  (Anm.  li 

— von  Land  178,  263  ff..  213. 

— seitens  des  Lchnshemis  169  ff. 

— von  Mobilien  U4  ff,  134  ff, 
164  ff,  263  ff,  2SL 

— Ort  der  186. 

— im  Prozeß  114,  164. 

— wegen  rückständiger  Rente  und 
Dienste  116,  263  ff. 

— als  Selbsthilfe  32,  112  ff. 

— der  Sippegenossen  des  Schuld- 
ners 116  (Anm.  3),  121,  134. 

— im  Ungehorsamsprozeß  122  ff, 
135  ff. 

— Ungesetzliche  19Q  (Anm.  2], 

— von  Vieh  114  ff,  134  ff,  164  ff. 
— Widerstand  bei  der  Pfändungs- 
vornahme 183  (Anm.  1),  184. 


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368 


Pfändung,  Zeit  der  I7fi. 
Pfändungsklausel  169. 

Pignus  201  (Anm.  2),  221.  261.  305 
(Anrn.  1), 

Plantagenets  11. 

Pledge  of  faith  73  ff.,  143 — 164. 

Siehe  auch  Pidei  iuterpositio. 
Posse  comitatus  189. 

Priester  bei  Eheschließung  92. 
Priorität  244. 

Privatrecht,  Englisches  13  ff. 

— Fides  facta  im  152,  153. 
„Property-gage“  IX,  Anm.  L 
Proprietätspfand  IX.19. 139  ff..  201ff„ 

213-261. 

Protokollierung  von  Schuldaner- 
kennungen 280.  286  ff.,  303. 
Prozeß  36,  31. 

Quasihypotbckarischo  Vermögenshaf- 
tung 302. 

Quellen  und  Literatur  des  englischen 
Privatrechts  51 — 54. 

— des  Immobilienpfandrechts 
307—349. 

— und  Literatur  des  Pfandrechts 

350-360. 

Quid  pro  quo  161. 

Rache  113  (Anm.  3),  124,  190  (Anm.  2). 
Kaub  125,  llfi  (Anm.),  186. 

Kaubehe  31  ff. 

Real  actions  34  ff. 

— property  40,  4L 
Realisierung  des  Pfandrechts  137, 

139,  131  ff. 

ReallBsten  163,  Siebe  auch  Be- 
lastungen. 

Realvertrag  37,  31  (Anm.  5). 
Rechnungsablegung.  Siehe  Hype- 
rocha. 

Rechte,  Dingliche  und  persönliche 

157,  158. 

Rechtsausdrücke,  Deutsche  LL 
Rechtsentwickeluug  Englands  4 ff. 
Rechtsgang,  Wettvertrag  im  16  ff. 
Recbtsgeschichte  1L 


1 Rechtsschutz  32  ff. 

Rechtswissenschaft,  Vergleichende  1 1» 

Recognizances  38,  284  ff.  Siehe 
auch  Schuldanerkennungen. 

— in  the  nature  of  a „Statute 
staple“  282  ff. 

Redemption,  Equity  of  29,  30,  37, 
200,  211,  228.  250  ff.  3QL 

Reichsgericht  1, 

Reinigungsbeweis  121,  Anm.  5. 

Renten  47,  160,  161  ff. 

— und  Lchnsdienste  als  Belastun- 
gen 262  ff. 

— Rent-cbarge  28,  168  ff,  262  ff. 

— Rent-seck  168  ff. 

— Ront-scrvicc  28,  168 ff,  262ff. 

Rcsolutivbedingte  Übereignung  zu 
Pfandzwecken  144, 200.  213  ff. 
239  ff.  260. 

Retentionsrecht  IX,  137.  166,  167, 
175.  185.  191.  264, 

Rezeption  des  römischen  Rechts  22,24, 

Richter,  Wandernde  7. 

Richterspruch  199. 

Römische  Zivilisation  in  England  3ff. 

Römisches  Recht  VI,  50,  70,  142, 
145,  172,  132  (Anm.  2),  201 
(Anm.2).  214, 221. 233(Anm.5). 
250  (Anm.  2),  252. 260  (Anm.  1), 
261,  270,  274,  236  (Anm.  4), 
305  (Anm.  1}. 

Römisches  und  kanonisches  Recht  in 
England  5.  Uff.  172.  173, 

Sachen,  Dnkörperliche  168,  174. 

Sachenrecht  33  ff. 

Sachhaftung  69,  110,  111,  239  ff. 

— Reine  VIII. 

Sachhaftungsrecht,  Pfandrecht  als 
VIII. 

Sächsisches  Recht  109,  110,  115. 

Satzung,  Ältere  201  (Anm.  2). 

— Jüngere  201  (Anm.  2),  299, 
301. 

— des  Vermögens  300. 

Satzungen  der  Witan  108. 


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369 


Scheinpfand  70,  113. 

Scheinprozeß  162. 

Schenkung  269 
Schifffahrt  13. 

Schotten,  Kecht  der  1 19. 

Schuld  und  Haftung  102  ff. 

Schuld  und  Pfandrecht  1 43. 
Schuldanerkennungen, Gesiegelte  liiU. 

— der  Juden  278. 
Schuldforderung  des  Pfandgläubigers 

220.  230. 

Schwedisches  Recht  88  (Anm.  7J,  1 15. 
Scirman  112  (Anm.  3],  127. 

Seisin  und  Disseisin  von  Mobilien. 

192. 

— Livery  of  243.  280. 

Seiaina  46,  48,  49,  188,  245,  282, 
Siehe  auch  Besitz. 

— einer  Rente  124  ff. 

— ut  de  radio  203  (Anm.  2), 
212  ff.  222.  2»6.  283, 

Selbstbefriedigung,  Recht  der  173. 
185. 

Selbstbürgschaft  14. 

Selbsthilfe  32,  114  ff,  118  ff,  134  ff. 
Shetar  (starrum)  279. 

Shiregemot  120,  u.  s.  w. 
Sicherstellung  von  Forderungen  10 
bis  13,  TO  (Anm.),  138,  141  ff, 
203.  213,  223,  230,  233  ff,  250. 
258  ff,  281  ff,  277.  286.  304 
Sicherungsmittel,  Pßndung  als 
Zwangs-  und  137. 

Siegel  163. 

Special  Law  28,  22. 

Specialties  27,  149 — 184. 
Specificperfonuance  (Naturalerfnllung 
30. 

— relief  36. 

Staatsverträge  108. 

Staatawesen,  Angelsächsisches  2. 
Stab  152. 

Städtewesen  6—11. 

Ständestaat,  England  als  7. 
Stapolplätze  13,  14,  222  ff. 

Mazeltlne,  Englisches  Pfandrecht 


Statute  Law  (Gesetzesrecht)  28  ff. 
„Statutes  elegit“  41,  287  ff. 

— merchant“  37,  38,  4L  112 
(Anm.  3),  210,  288  ff- 

— Securities  by,  308. 

— staple“  38,  4L  210,  288  ff, 
293  ff. 

Strafprozeß,  Pßndung  im  122  ff, 
135  ff. 

— Gegebenes  Pfand  im  128  ff- 
Strafrecht  113  (Anm.  2),  1 15,  117. 
122  ff,  125  ff,  130  (Anm.  6], 
132  ff,  135  ff,  125  ff,  188  ff, 

271,  292. 

— der  Angelsachsen  22  ff,  28  ff, 
22  ff,  23  ff,  28  ff,  lOQff,  113 
(Anm.  2). 

Substanzpfand  IX,  122  (Anm.  2), 
199,  218  ff,  231,  233  ff.  246, 
248,  254,  228. 

Summons  36. 

Suspensivbedingte  Übereignung  zu 
Pfandzwecken  213  ff,  233  ff, 

260. 

Symbolische  Übereignung  zu  Pfand- 
zwecken 240. 

Synallagma  38. 

Tenants  in  mortgage  241,  Anm.  4, 
Tcnementum  42. 

Tenure  42. 

— Free  and  unfrec  42. 
Terminologie  der  Quellen  des  eng- 
lischen Pfandrechts  54—65. 
Testament  154,  Anm.  2. 

Thegn  132,  u.  8.  w. 

Todsatzung  140  ff,  203  ff. 

Tötung  72,  81  (Anm.  3],  82  (Anm.  1), 
83,  85,  86,  87,  97, 102  (Anm.). 
Traditio  50. 

— der  Braut  82  ff. 

— cartae  48. 

Trauung  90  ff. 

Treuhänder  (trustee)  257. 
Treuversprechen  7L,  73 — 75,  23 

(Anm.  3).  99.  107.  110. 

24 


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370 


Trust  260. 

— Breach  of(Vertraucnsbruch  30 

Tndors  14. 

I7nder-wcd  124  (Anm.  4},  126,  128, 
123  (Anm.  1},  138.'  L41  (Anm. 
2,  51- 

Ungehorsamsprozeß,  Pfändung  im 
122  ff,  IM  ff. 

Ungesetzliche  Pfündung  190,  Anm.  2). 

Untcrrasallen  (subtenentes)  6. 

Unveräußerlichkeit  des  Lehens  ohne 
Erlaubnis  des  Grundherrn  285ff. 

Urkunde,  Gesiegelte  113. 

Urteil  pro  loco  et  tempore  273 

Urteilserfüllung  121,  121  (Anm.  3). 

Urteilserfüllungsgelöbnis  78,  80. 

„Usufruct-gage“  IX,  Anm.  L 

Tacarius  2Ö. 

Vcränßerungsfreiheit  302  ff. 

Verbot  (prohibition)  134. 

Verbuchtes  Land  304. 

Verfall  des  Lehens  171,  263  ff,  266  ff 

— des  Pfandes,  Ein  auf  Billig- 
keitsprinzipien  beruhendes  Ver- 
fahren beim  198,  227. 

Verfalls,  Härte  des  absoluten  LOS 
(Anm.  2),  248  ff. 

V erfallserklärung.  Siehe  Poreclosure. 

Verfallsidce  69,  Anm.  L 

Verfallsklausel  131  ff,  225,  231.  233 
bis  237,  252. 

Vcrfallspfand  IX.  139,  145,  185, 
131  (Anm.  Ij,  193,  191  ff,  207, 
211-213,  214  ff,  225  ff,  233  ff, 
229  ff,  242  ff,  244  ff,  246,  251  ff, 
254.  256.  283,  298,  304, 

Verfolgung  der  Spur  gestohlenen 
Viehes  102,  126.  128  ff. 

Vergleich,  Endgültiger.  Sic  he  Fines. 

Vcrhandlungsversprechen  76  ff. 

Verkauf  158  ff,  160,  163. 

— Bedingter  (dcfeasible  or  con- 
ditional  salc)  260. 

— auf  Wiederverkauf  142,  260 
(Anm.  1). 


| Verkaufsklauscl  254  ff. 
Verkaufspfand  IX,  137,  166.  185, 
191,  121  (Anm.  2),  199.  200, 
213,  254  ff,  298,  304.  305. 
Vorkaufsrecht  132  (Anm.  2),  254. 
283,  228, 

Verkaufsurkunde  gegen  Pfandrevers 

142, 

Verlobung  22, 

— Wettvertrag  bei  81  ff. 
Vermittler  83,  108. 
Vermögenshaftung  111  ff. 

— und  Hypothek  299  ff. 
Verpachtung  auf  Jahre  46,  160,  162, 

202  ff,  220. 

— zu  Pfandzwecken  222  ff- 

— und  das  Glanvillsche  Pfand 

282, 

Verpfändung  mit  Besitz  des  Gläubi- 
gers 248. 

— Erlaubnis  des  Grundherrn  zur 
Verpfändung  von  Land  285. 
— Freie  Verpfändung  und  Ver- 
äußerungvon  Land  202  (Anm.). 

— des  ganzen  Vermögens  299 ff. 
— Gebrauchsrecht  an  verpfände- 
ten Sachen  194. 

— Gegenstand  der  217. 

— des  gegenwärtigen  und  zu- 
künftigen Vermögens  294, 
300  ff. 

— von  Ländern  und  Städten  202 
(Anm.). 

— von  Mobilien  als  eine  Form 
des  bailment  193. 

— der  Person  oder  der  Freiheit 
37,  110,  112  (Anm.  3),  150. 

— und  Verpachtung  der  ganzen 
Judenschaft  277  (Anm.  2). 

— Verschiedene  Verpfändungs- 
formen und  Kombinationen 
derselben  218  ff. 

Verrat  des  Herrn  96, 

Versprechen,  Rein  unentgeltliches  161. 


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371 


Verträge,  Zweiseitige  und  einseitige  I 

10L 

— gegen  die  guten  Sitten  96. 
Vertrauenswege  (trust),  Übereignung 
im  260. 

Vetitium  namii  (vee  de  nam)  Hifi, 
IM  ff- 

Vicecomites  6,  123.  135.  ti.  s.  w. 
Vivnin  vadium  (Todsatzung)  203  ff, 
213  ff,  284.  233, 

Vögte  102  (Anm.  3),  104  (Anui.  6), 
106,  u.  s.  w. 

Volksrccht  3L 

Vollstreckungsprozeß  U,  LL  u.  s.  w. 
Vorbehalt  der  Zurückübcreignung 
242.  Anm.  L 
Voreid  95*  96. 

Vorzugsrecht  bei  der  Befriedigung 

300. 

Wadiatio  109,  UL 

Waffe,  Geloben  auf  eine  83,  99,  108. 

Wäger  of  law  152. 

Walliser,  Recht  der  121  ff,  134  ff. 
Wäpentak  131,  132,  138,  u.  s.  w. 

W arranty  268 — 274. 

— Expreß  and  tacit  270,  212  ff.  ! 
— Vouching  to  270  ff. 

Wed  69  ff,  119  ff. 

»Welsh  mortgages“  2H  ff,  256. 

— Securities  in  the  nature  of  | 
209. 

Wergeid  4,  72,  81  ff.  99,  12L 
Wette  63  ff,  IL 

Wett-  oder  Formalvertrag  VIII,  5,  I 
63  ff,  33  ff,  149  ff,  173,  114,  j 
Wiedereintritt,  Recht  auf  243  (Anm. 
5},  267. 

Wilhelm  der  Eroberer  6, 
Witenagomot  6,U07,  108,  u.  s.  w. 
Withemam  189,  190. 

Wittum  247,  268,  269,  274—276.  . 

Wittumsklagcn  (writ  of  dower,  writ 
of  right  of  dowor,  writ  of  do- 
wer unde  nihil  habet)  34. 
Wort  und  Gedinge  106,  108. 


Wort  Das  gegebene  150. 

— und  Wette  IL 
Writ«  (brevia)  7,  33  ff.  Siche  auch 
Actions. 

Capias  in  withemam  190.  Anm. 
F.legit  37,  231  ff..  298.  299. 

Ficri  facias  37.  286.  289,  291.  232. 
Levari  facias  37,  286,  289,  291. 
Magnum  cape  36, 

Scire  facias  273. 

Summons,  Writ  of  35. 

Written  law  and  unwritten  law  26. 
Wucher  (usury)  203  ff.,  205  ff-,  213 
(Anm.  3), 

Year  Books  52 

20—21  Ed.  I (1311  234,  Anm.  1. 
20—21  Ed.  I (158)  186,  Anm.  2. 

20—21  Ed.  I (242)  182,  Anm.  2, 

236,  Anm.  1. 

20— 21  Ed.  I (422)  241,  Anm.  1. 

21— 22  Ed.  I (125)  234,  Anm.  1. 

21-22  Ed.  I (134, 358)  177,  Anm. 3. 
21—22  Ed.  I (222  - 224)  235,  Anm.  L 
21—22  Ed.  I (362)  175,  Anm.  L 

30-31  EdJL  (208  - 212)  241,  Anm.  L 
30-31  Ed.  I (223)  189,  Anm.  L 

32—33  Ed.  I (355, 356)  279,  Anm.  4. 

1— 2  Ed.  II  (92,  93)  297,  Anm.  L 

2— 3  Ed.  II  (14,  15)  241,  Anm.  L 
2—3  Ed.  II  (78,  79)  165. 

15  Ed.  II  (327)  295,  Anm.  L 
13  Ed.  UI  (3)  295,  Anm.  L 
28  Ass.  (pl.  7)  296,  Anm.  2. 

30  Ass.  (38)  180,  Anm.  3, 

12  Hen.  VF  (4)  297,  Anm.  2, 

9 Ed.  IV  (25)  197,  Anm.  L 
21  Ed.  IV  (19)  197,  Anm.  L 
2 Rieh.  III  (8)  295,  Anm.  L 
15  Hen.  VU  (16)  295,  Anm.  L 

Zentralgewalt  14. 

Zeugen  beim  Abschluß  des  Wottvcr- 
trages  155. 

Zeugen  beim  Verkauf  159. 

Zeugnis,  Falsches  93,  96. 

24* 


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372 


Zins  144. 

Zinssatzung  141  ff.,  203  ff. 
Zinsverbot,  Kanonisches  277. 
ZivilprozeLS.  Gegebenes  Pfand  im  126  ff. 
Zugriffsrecht  302. 
Zurückbehaltungsrecht  IX,  185 
(Amn.  1). 

Zurücknahme  (rcscous)  der  gepfän- 
deten Sache  180  ff. 


Zwangs-  und  Sichcrungsmittel,  Pfän- 
dung als  137,  1S7,  172,  173, 
185. 

Zwangsvollstrcckungsverfahrcn  37, 
261,  277,  282,  284  ff.,  299  ff. 
Zweihyndemann  82  ff. 
j Zweikampf  79. 

Zwölfhyndemann  82  ff. 


A.  Favorite,  vorm.  Eduard  Trewendt's  Buchdruckerei  in  Breslau 


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Grunderwerb  und  Treuhand  in  Lübeck 


von 

Dr.  jur.  Otto  Loening 


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Untersuchungen 


zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  Gierke 

Profewor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 


93.  Heft 


Grunderwerb  und  T reuhand  in  Lübeck 


von 


Dr.  jur.  Otto  Loening 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1907 


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Grunderwerb 

und 

Treuhand  in  Lübeck 


Dr.  jur.  Otto  Loening 


■£=»<§- -O  ♦ » 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marens 
1907 


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Inhalt 


Seite 

§ 1.  Einleitung 1 

I.  Persönliches  und  sachliches  Anwendungsgebiet  der  Trenhand. 

§ 2.  a)  Geistliche 5 

§ 3.  (Fortsetzung)  b)  Die  Fremden 25 

§ 4.  (Fortsetzung)  c)  Ritter  und  Hofleute 39 

§ 5.  II.  Oertliches  Anwendungsgebiet  . . 41 

§ 6.  III.  Die  Eintragungen  bei  den  Zuschriften  zu  treuen  Händen  . . 44 

§ 7.  IV.  Die  Bestellung  der  Treuhänder 48 

§ 8.  V.  Die  Rechtsstellung  des  Treuhänders  und  des  Treugebers  . . 56 


§ 9.  VI.  Vererblichkeit  und  Beendigung  des  Treuhänderverhältnisses  . 84 


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Vorwort 

Wenn  die  vorliegende  Arbeit  den  Titel  „Grunderwerb  und 
Treuhand  in  Lübeck“  trägt,  so  entspricht  der  Inhalt  der  Arbeit 
dem  Titel  nicht  vollständig.  Es  kam  bei  der  Arbeit  hauptsäch- 
lich darauf  an,  zu  zeigen,  wie  im  mittelalterlichen  Lübeck  das 
Institut  der  Treuhänder  beim  Erwerbe  von  Eechten  an  Liegen- 
schaften durch  Nichtbürger  zur  Anwendung  gelangt  ist.  Hiervon 
ausgehend  sind  einerseits  alle  Fälle  ausgeschieden,  in  denen  das 
Institut  der  Treuhand  bei  Lübecker  Bürgern  zur  Anwendung 
gelangte,  so  namentlich  die  Fälle,  in  denen  Treuhänder  für 
abwesende  Lübecker  Bürger  bestellt  wurden.  Andererseits 
beschränkt  sich  die  Arbeit  nicht  nur  auf  die  Anwendung  der 
Treuhänder  beim  Erwerbe  von  Liegenschaften,  sondern  gemäss 
der  geschichtlichen  Entwickelung  sind  auch  die  Fälle  berück- 
sichtigt worden,  in  denen  Treuhänder  bei  dem  Erwerbe  von 
Rechten  an  Liegenschaften  Vorkommen.  Die  Arbeit  befasst 
sich  aber  nicht  nur  mit  dem  Institute  der  treuen  Hand,  sondern 
auch  mit  der  Gesetzgebung  bezüglich  der  Beschränkungen,  denen 
die  Nichtbürger  in  Lübeck  beim  Erwerbe  von  Liegenschaften 
und  Rechten  an  Liegenschaften  unterlagen.  Die  Entwickelung 
dieser  Gesetzgebung  musste  dargestellt  werden,  denn  die 
städtische  Treuhand  lässt  sich  nur  aus  dieser  Gesetzgebung 
heraus  verstehen. 


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Nur  das  Recht  des  mittelalterlichen  Lübecks  ist  berück- 
sichtigt worden.  Die  spätere  Entwickelung,  die  im  revidierten 
Stadtrechte  zu  einem  ge  wissen  Abschlüsse  gelangte,  hat  das  Institut 
der  Treuhänder  wieder  zu  beseitigen  gesucht.  Mag  diese  Gesetz- 
gebung auch  in  mancher  Hinsicht  von  Interesse  sein,  für  die 
juristische  Konstruktion  des  Verhältnisses  der  treuen  Hand 
kommt  sie  nicht  in  Betracht;  sie  ist  daher  auch  nicht  behandelt 
worden. 

Die  erste  Abteilung  des  Urkundenbuches  der  Stadt  Lübeck 
ist  mit  Lüb.  Urkb.,  die  zweite  Abteilung  mit  Lüb.  Urkb.  Abt.  II. 
bezeichnet  worden. 

Otto  Loening 


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§ 1. 

Einleitung. 

Es  ist  bereits  mehrfach  darauf  hingewiesen  worden,1)  dass 
im  Mittelalter  das  Institut  der  Treuhänder  oder  Salmannen  in 
den  Städten  beim  Grundeigentumserwerb  eine  gewisse  Rolle  ge- 
spielt hat.  Die  Treuhänder  dienten  in  den  Städten  dazu,  be- 
stimmten Personenklassen  den  Erwerb  von  Grundeigentum  zu 
ermöglichen.  Wir  finden  diese  Anwendung  der  alten  Salmannen 
in  vielen  mittelalterlichen  Stadtrechten2),  auch  das  Rechtsbuch 
nach  Distinktionen  erwähnt  sie.3)  In  neuester  Zeit  sind  von 
Beyerle  die  Constanzer  Grundeigentumsurkunden  einer  privat- 
rechtsgeschichtlichen Untersuchung  unterzogen  worden,  wobei 
besonders  der  Gegensatz  des  freien  Eigentumes  und  des  ihm  zur 
Seite  stehenden  Salmannenrechtes  hervorgehoben  und  eingehend 
behandelt  worden  ist.  Von  Grund  auf  hat  Beyerle  das  städtische 
Salmannenrecht  für  Constanz  beleuchtet.  Er  kommt  dabei  zu 
folgendem  Resultat:  „Wer  nicht  Bürger  ist,  kann  freies  Grund- 
eigentum innerhalb  der  Mauern  von  Constanz  nur  unter  Zubülfe- 
nahme  von  Constanzer  Bürgern  als  Salleuten  erwerben“.  Schon 
dieser  Satz  zeigt  mit  Deutlichkeit,  welchen  Gang  die  Unter- 
suchung Beyerles  eingeschlagen  hat.  Nicht  nur  die  privat- 


’)  Stobbe,  lieber  die  Salmannen  (Zeitschrift  für  Recbtsgeschichte 
Bd.  VII.  S.  405  fg.)  S.  431  fg.  Heusler,  Institutionen  des  deutschen  Privat- 
rechts Bd.  I.  (1886)  S.  223.  Beyerle.  Qrundeigentuinsverhältnisse  und 
Bürgerrecht  im  mittelalterlichen  Constanz  Bd.  I.  (1900):  Das  Salmannenrecht, 
vgl.  auch  0.  Oierke,  Orundzüge  des  deutschen  Privatrechts  in  der  Ency- 
klopädie  der  Rechtswissenschaft  von  v.  Holtzendorff-Kohler  (6.  Aufl.)  Bd.  I. 
8.  452.  v.  Schulte,  Lehrbuch  der  deutschen  Reichs-  und  Rechtsgeschichte 
(6.  Aufl.  1896)  S.  467  Note  11.  H.  Lämmer,  Das  Recht  der  treuen  Hand 
(Diss.  Würzb.  1875).  Kober,  Das  Salmannenrecht  und  die  Juden  (Bd.  I 
Heft  3 der  von  Beyerle  heransgegebenen  .Deutschrechtliche  Beiträge“). 
*)  Vgl.  Stobbe  a.  a.  O.  S.  432  fg.  Beyerle  a.  a.  O.  S.  29  fg. 
s)  Rb.  n.  Dist.  (herg.  von  Ortloff  1836)  I.  48,  4. 

Locn  in  Grundcrwerb  und  Treuhand  in  Lübeck  1 


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9 


rechtliche  Seite  des  Institutes  der  Treuhänder,  sondern  auch  seine 
verfassungsgeschichtliche  Bedeutung  will  Beyer] e an  der  Hand 
der  Constanzer  Urkunden  beweisen.  Beyerle  bat  sich  in  seinen 
Untersuchungen  auf  Constanz  allein  beschränkt.  Es  mag  im 
folgenden  der  Versuch  gewagt  werden,  auf  Grund  der  bisher 
veröffentlichten  Lübecker  Urkunden  das  Institut  der  Treuhänder 
bezüglich  der  Grundeigentumsverhältnisse  zu  beleuchten.  Gerade 
in  Lübeck  hat  dies  Institut  eine  besondere  Rolle  gespielt,  ja 
man  hat  sich  der  Treuhänder  sogar  so  häufig  bedient,  dass  das 
revidierte  Lübecker  Stadtrecht  vom  Jahre  1586  in  Buch  I 
Titel  II  Artikel  5 es  für  nötig  erachtete,  hiergegen  einzuschreiten 
und  die  Zuschreibungen  von  Grundstücken  zu  treuen  Händen  im 
Oberstadtbuch  zu  verbieten.  Eine  Untersuchung  über  die  Treu- 
händer im  Lübischen  Recht  bezüglich  des  Grundeigentumserwerbes 
mag  trotz  der  eingehenden  Arbeit  Beyerles  gerechtfertigt  sein, 
wenn  man  die  verschiedene  Entwicklung  der  Grundeigentums- 
Ubertragung  in  Lübeck  und  Constanz  und  die  Entwicklung  der 
Stadtbücher  in  Lübeck  ins  Auge  fasst.  Selbstverständlich  werden 
sich  trotz  dieser  Verschiedenheiten  für  das  Recht  beider  Städte 
einige  gemeinsame  Rechtssätze  und  gemeinsame  Gesichtspunkte 
ergeben;  andere  dagegen  werden  verschieden  sein.  Wir  werden 
sehen,  dass  das  Institut  der  Treuhänder  in  Lübeck  im  wesent 
liehen  denselben  Zwecken  diente  wie  in  Constanz,  dass  sich  aber 
gerade  in  verfassungsgeschichtlicher  Hinsicht  doch  mancherlei 
Verschiedenheiten  zeigen.  Worauf  diese  andere  Gestaltung  in 
beiden  Rechten  beruht,  wird  im  Laufe  der  Darstellung  sich 
ergeben.  — 

Auf  die  ältere  Gestaltung  der  Treuhand  und  des  Salmannen- 
rechtes  soll  hier  nicht  näher  eingegangen  werden.  Sie  hat  für 
das  Lübische  Recht  weniger  Bedeutung.  Es  mag  genügen, 
wenn  auf  die  Ausführungen  Beyerles1)  verwiesen  wird.  Uns 
beschäftigt  allein  das  neuere  Salmannenrecht,  wie  es  uns  im 
mittelalterlichen  Lübecker  Stadtrecht  entgegentritt.  Vorerst 
die  privatrechtliche  Seite  des  Institutes.  Hier  ist  es  vor  allem 
Stobbe,2)  der  sich  eingehend  mit  dem  neuen  Salmannenrecht 


')  Beyerle  a.  a.  O.  8.  11  fg.  und  die  dort  Angeführten,  bes.  Heusler 
a.  a.  0.  Bd.  I.  8.  215  fg. 

*)  Stobbe  a.  a.  0.  8.  431  fg. 


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3 


beschäftigt  hat.  Er  geht  davon  aus,  dass  einige  Klassen  von 
Personen  eines  Vertreters  bedurft  hätten,  um  Erwerbsfähigkeit  für 
Grundeigentum  zu  erlangen.  Diese  mangelnde  Eigenschaft  hätten 
derartige  Personen  nur  dadurch  erlangen  können,  dass  sie  mit  einer 
anderen  in  dieser  Beziehung  vollkommenen  Person  zusammen 
das  Eigentum  oder  sonstige  Rechte  am  Grundstück  erwarben. 
Diese  Gemeinschaft  habe  dem  Vertreter  nach  innen  weder 
Eigentum  noch  sonstige  Befugnisse  erteilt.  Nur  nach  aussen 
sei  er  in  denjenigen  Beziehungen  als  berechtigt  erschienen,  in 
welchen  die  Rechtsfähigkeit  des  Vertretenen  einer  Ergänzung 
bedürftig  war.  Der  Vertretene  sei  in  seinen  Dispositionen  über 
das  Grundstück  unbeschränkt  gewesen  und  der  Treuhänder  habe 
ohne  spezielle  Vollmacht  des  Vertretenen  keine  Veräusserung 
vornehmen  können.  Der  Treuhänder  sei  nur  scheinbar  Eigentümer 
gewesen,  hätte  daher  auch  nicht  derjenigen  öffentlichen  Rechte 
teilhaftig  sein  können,  welche  vom  Grundbesitz  abhängig  waren, 
obwohl  er  die  öffentlichen  Lasten  zu  tragen  gehabt  habe.  Stobbe 
unterscheidet  also  zur  Erklärung  des  Rechtsverhältnisses  zwischen 
der  Stellung  dem  Vertretenen,  d.  h.  nach  innen,  und  Dritten 
gegenüber.1)  Nach  innen  sei  der  Treuhänder  nicht  Eigentümer, 
nach  aussen  dagegen  übe  er  die  Eigentumsrechte  aus.  Diese 
Auffassung  der  Rechtsverhältnisse  ist  aber,  wie  schon  Beyerle2) 
nachweist,  inkonsequent.  Einmal  giebt  Stobbe  dem  Treuhänder 
nach  aussen  hin  die  Stellung  eines  Eigentümers,  das  andere  Mal 
stellt  er  den  Satz  auf,  dass  nur  beide  zusammen  zur  Veräusserung 
des  Grundstückes  berechtigt  seien.  Dies  verträgt  sich  aber  nicht 
mit  einander.  Daher  konstruiert  auch  Beyerle)  das  Rechts- 
verhältnis auders.  Nach  ihm  hat  sich  die  alte  Treuhand  in  ein 
Verhältnis  der  gesamten  Hand  verwandelt,  bei  welchem  lediglich 
nach  innen  die  Rechte  nicht  gleichmässig  verteilt  seien.  Weder 
der  Vertretene,  noch  der  Salmann  könnten  daher  allein  für  sich 
handeln;  nach  aussen  hin  erschienen  mehrere  Personen  für 
dasselbe  Grundstück  als  berechtigte  Subjekte.  Das  Stadtrecht 
selbst  habe  die  Rechtsmacht  des  einen  Gesamthänders,  des 
Salmannes,  auf  die  Mitwirkung  bei  Veräusserungen  und  anderen 


‘)  Stobbe,  Uandbuch  des  deutschen  Privatrechts,  Bd.  II.  (3.  Aufl.)  3. 297. 
J)  Beyerle  a.  a.  O.  S.  32  fg.  Beyerle  a.  a.  O.  S.  34. 

1* 


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dinglichen  Verfügungen  über  das  Grundstück  kraft  Gewohnheits- 
rechtes beschränkt  und  dem  berechtigten  Treugeber  alle  Nutzungen 
am  Gute  überlassen.  Hierin  sei  lediglich  eine  obrigkeitlich  über- 
nommene Garantie  dafür  zu  sehen,  dass  der  Salmann  seine  Ge- 
samthandsberechtigung nicht  zu  Ansprüchen  auf  die  Nutzung  des 
Grundstückes  ausdehnen  werde.  Daher  sei  auch  das  salmannische 
Eigen  nicht  seinem  Werte  nach  über  das  vollfreie  Eigen  gestellt. 
Und  da  nur  vollfreies  Eigen  politische  Rechte  gewähre,  so  habe 
auch  das  salmännische  Eigen  weder  dem  Salmann  noch  dem 
Berechtigten  die  Grundlage  zum  Erwerb  des  Bürgerrechtes  bieten 
können.1)  In  wie  weit  diese  Sätze  für  das  Constanzer  Salmannen- 
recht  zutreffen,  darauf  soll  hier  nicht  näher  eingegangen  werden. 
Für  die  lübischen  Verhältnisse  treffen  sie,  wie  sich  aus  den 
weiteren  Ausführungen  ergeben  wird,  nicht  zu.  Von  einem  Verhältnis 
zur  gesamten  Hand  kann  beim  LübeckerTreuhänder  keine  Rede  sein. 

Rehme,2)  der  sich  ebenfalls  eingehend  Uber  die  Zu- 
schreibungen zu  treuen  Händen  im  Lübecker  Oberstadtbuch 
äussert,  kommt  zu  folgendem  Ergebnis:  Eigentümer  sei  nicht 
die  im  Oberstadtbuch  eingetragene  Person  gewesen,  obwohl  die 
Auflassung  an  sie  geschehen  sei,  sondern  der  Nicht-Bürger.3) 
Daher  sei  auch  nur  der  Nicht-Bürger  allein  zur  Veräusserung 
befugt  gewesen.  Die  öffentlich-rechtlichen  Verpflichtungen  da- 
gegen, wie  namentlich  die  Schosspflicht,  hätten  auf  dem  ein- 
getragenen Eigentümer  geruht.4)  Danach  scheint  Rehme  für 
Lübeck  auch  die  Theorie  der  Gesamthand  zu  verwerfen.  Rehme 
spricht  sich  allerdings  über  die  privatrechtliche  Construktion  des 
Institutes  nicht  weiter  aus. 

Versuchen  wir  zunächst  an  der  Hand  der  Quellen  einen 
Ueberblick  darüber  zu  gewinnen,  in  welchen  Fällen  in  Lübeck 
die  Treuhänder  im  Liegenschaftsrecht  Verwendung  fanden.  Indem 
wir  uns  Beyerle  anschiiessen,  untersuchen  wir  die  Fälle  nach 
drei  Richtungen  hin,  nach  dem  persönlichen,  sachlichen  und 
örtlichen  Anwendungsgebiet  der  Treuhand. 

l)  Beyerle  a.  a.  O. 

*)  Rehme,  Das  Lübecker  Oberatadtbuch  (1895)  S.  202  fg. 

s)  Rehme  a.  a.  O.  S.  204. 

*)  Vgl.  auch  Heusler,  a.  a.  O.  Bd.  I.  S.  223.  Hartwig,  Der 
Lübecker  Schoss  (io  dem  6.  Heft  des  XXL  Bandes  der  Staate-  und  sozial- 
wissenschaftlichen  Forschungen  herg.  von  Gustav  Schmoller)  S.  84. 


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5 


I.  Persönliches  and  sachliches  Anwendungsgebiet. 

§ 2. 

a)  Geistliche. 

Für  Constanz  ist  Beyerle1)  zu  dem  Ergebnis  gekommen, 
dass  der  Salmann  als  Mittel  aufgefasst  wird,  um  allen  Nicht- 
bürgern den  Erwerb  von  Grundbesitz  in  der  Stadt  zu  ermöglichen. 
Beyerle  rechnet  unter  die  Nichtbürger  alle  diejenigen,  die  nicht 
Vollbürger  sind,  also  nicht  nur  Geistliche  und  Fremde,  sondern 
auch  die,  wie  er  sie  nennt,  eingesessenen  Nichtbürger,  die  Hand- 
werker, ferner  Juden2)  und  Frauen.  Also  auch  Personen,  die  an 
und  für  sich  zur  Bürgergemeinde  gehörten,  die  aber  nicht  das  Voll- 
bürgerrecht besassen,  mussten  sich  beim  Grundeigentumserwerb 
eines  Salmannen  bedienen.  Hierin  sieht  Beyerle  gerade  den 
in  dem  Salmannenrecht  liegenden  Grundgedanken.  Und  er  will 
aus  ihm  weitgehende  Schlüsse  auf  das  ganze  städtische  Wesen 
in  Constanz  ziehen.  Dabei  ist  allerdings  hervorzuheben,  dass 
Beyerle  sich  wohl  bewusst  ist,  dass  seine  Ausführungen  sich 
nur  auf  Constanz  beziehen,  dass  sie  Allgemeingültigkeit  nicht 
beanspruchen.3)  Und  hier  setzt  auch  der  Unterschied  des 
Constanzer  und  des  Lübecker  Salmannenrechtes  ein,  ein  Unter- 
schied, der  allerdings  die  von  Beyerle  aufgestellte  Theorie  für 
Constanz  nicht  im  Mindesten  angreift.  Denn,  wie  wir  sehen 
werden,  folgt  diese  ganze  Verschiedenheit  in  dem  persönlichen 
Anwendungsgebiet  aus  der  verschiedenen  Gestaltung  der  Ver- 
fassung in  Constanz  und  in  Lübeck.  Allerdings  galt  in  Lübeck 
auch  der  Satz,  dass  nur  derjenige  Vollbürger  war,  der  freien 
Grundbesitz  in  Lübeck  hatte.  In  Lübeck  konnte  aber  jeder  in 
den  Kreis  der  Vollbürger  eintreten,  abgesehen  von  Fremden 
und  der  Geistlichkeit.  Es  kann  meines  Erachtens  nicht  davon 
die  Rede  sein,  dass  in  Lübeck  das  Salmannenrecht  „recht 


*)  Beyerle  a.  a.  0.  8.  66  fg. 

a)  FUr  Lübeck  kommen  die  Jaden  nicht  in  Betracht,  da  sich  fast  keine 
Juden  in  Lübeck  aufhielten.  Vgl.  Carlebach,  Geschichte  der  Juden  in 
Lübeck  und  Moisling  1899. 

3)  Beyerle  a.  a.  0.  8.  1 u.  2. 


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eigentlich  der  Träger  der  Geschlechtsherrschaft“  war.1)  Tn 
Lübeck  galt  nicht  der  Satz,  dass  nur  derjenige  Bürger  werden 
konnte,  der  freies  Eigentum  innerhalb  der  Stadt  besass.  Hier 
musste  jeder  Bürger  werden,  der  seinen  Aufenthalt  in  Lübeck 
ständig  nehmen  wollte.  Das  sprechen  die  Lübecker  Statuten 
ganz  deutlich  aus.  In  ihnen  heisst  es: 

„So  wellic  man  cumpt  inunse  stat  mit  sineme  wiue  ofte 
„mit  sinen  kinderen  dhe  mach  dar  inne  wesen  dre 
„manede  blifl  he  dar  leng  inne  he  schal  unse  burschap 
„winnen  dat  schal  auer  stan  in  den  ratmannen  weder 
„se  eme  de  burschap  gunnen  ofte  nicht“.2) 

Jeder  Neuangekommene,  der  sich  länger  als  drei  Monate 
in  Lübeck  aufhielt,  musste  um  die  Erteilung  des  Bürgerrechtes 
einkommen.3)  Selbst  Kinder,  die  nach  lübischem  Rechte  noch 
nicht  volljährig  waren,4)  mussten,  soweit  sie  Fremde  waren  und 
das  12.  Lebensjahr  erlangt  hatten,  um  die  Erteilung  des  Bürger- 
rechtes nachsuchen.5)  Mit  der  Erteilung  des  Bürgerrechtes 
waren  die  Betreffenden  aber  immerhin  noch  nicht  in  den  Kreis 
der  Vollbürger  aufgenommen.  Sie  gehörten  zwar  zur  Bürger- 
gemeinde, standen  im  Schutze  der  Stadt,  ihnen  standen  im  all- 
gemeinen die  Rechte  und  Pflichten  der  Bürger  Lübecks  zu. 
Nur  einzelne,  allerdings  sehr  wichtige  und  einflussreiche  Rechte 
und  Pflichten  wurden  ihnen,  wie  allen,  die  man  unter  den 
Namen  Einwohner  zusammenfasst,  nicht  gewährt.  Es  geht 
nicht  an,  wie  es  Beyerle  für  Constanz  nachgewiesen  hat,  die 
Einwohner,  überhaupt  die  Nichtvollbürger,  in  Lübeck  den  Gästen, 
d.  h.  den  Fremden  gleichzustellen.  In  der  Litteratur  wird  dies 
allgemein  vielfach  getan.8)  Für  Lübeck  spricht  nichts  für 


*}  Beyerle  a.  a.  0.  S.  9 u 66  fg. 

*)  Hach,  Das  alte  Lübisehe  Recht  (1839)  II.  180  vgl.  UL  233.  II.  232. 

*)  Vgl.  Frensdorff,  Die  Stadt-  und  Gerichtsverfassung  Lübecks 
(1861)  S.  192. 

4)  Nach  Lübischem  Rechte  trat  die  Mündigkeit  mit  dem  vollendeten 
18.  Lebensjahr  ein:  Hach  II.  101.  102.  I.  88.  Pauli,  Abhandlungen  aus 
dem  lübischen  Recht  III.  S.  194  fg.  Hartwig  a.  a.  ü.  S.  20. 

b)  Hach  II.  232.  Bürgersöhne  brauchten  dies  erst  mit  erlangter 
Mündigkeit  zu  thun.  Hach  U.  232  Note  3.  Rev.  Statuten  I.  2,  7.  Vgl. 
Frensdorff  a.  a.  O.  S.  192. 

•)  Vgl.  z.  B.  R.  Schroeder,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte 
(3.  Aufl.  1898)  S.  623.  Vgl.  dagegen  Rehme  a,  a.  O.  8.  199  Note  25. 


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diesen  Satz.1)  Und  gerade  die  uns  hier  interessierenden  Sätze 
des  Lübecker  Rechtes  über  den  Erwerb  von  Grundeigentum 
sprechen  nur  von  Fremden  und  der  Geistlichkeit  und  einigen 
anderen  Personen.  Nirgends  wird  bezeugt,  dass  diejenigen 
Mitglieder  der  Bürgergemeinde,  die  zwar  Bürgerrecht  hatten, 
aber  nicht  zu  den  Vollbürgern  gehörten,  von  dem  Erwerb  von 
Grundeigentum  ausgeschlossen  warfen.  Der  Besitz  von  Grund- 
eigentum war  in  Lübeck  nicht  Voraussetzung  zur  Erlangung 
des  Bürgerrechtes  überhaupt,  sondern  lediglich  Voraussetzung 
für  das  Vollbürgerrecht.  Wer  kein  Grundeigentum  besass, 
konnte  die  wichtigsten  öffentlich  rechtlichen  Rechte  und  Pflichten 
nicht  ausüben.  Nur  der  Besitz  von  Liegenschaften  zu  vollfreiem 
Eigentum  innerhalb  der  Stadt  gewährte  die  Möglichkeit  in  den 
Rat  gewählt  zu  werden.2)  An  den  Besitz  von  Liegenschaften 
knüpfte  sich  die  Pflicht  zum  Erscheinen  im  echten  Ding;3)  nur 
der  Besitz  von  Liegenschaften  gewährte  die  volle  Zeugen  fähig- 
keif)  Prinzipiell  konnte  aber  Jeder,  sobald  er  zur  Bürger- 
gemeinde gehörte,  Liegenschaften  zu  vollfreiem  Eigentum  er- 
werben. Hierin  besteht  also  der  Unterschied  von  dem  Constanzer 
Recht.  Dort  konnte  nach  Beyerles  Ausführungen  überhaupt 
nur  der  Vollbürger  Grundeigentum  erwerben,  nur  wer  zu  den 
„Geschlechtern“  gehörte,  konnte  daher  Vollbürger  sein.  In 
Lübeck  dagegen  bildete  der  Grundbesitz  zwar  eine  Voraus- 
setzung für  die  Geltendmachung  wichtiger  öffentlicher  Rechte, 
der  Grundbesitz  war  aber  rechtlich  nicht  an  die  Zugehörigkeit 
zu  den  „Geschlechtern“  geknüpft.  Nur  rein  tatsächlich  waren 
auch  die  Nicht-Vollbürger  vom  Erwerb  des  Grundbesitzes  aus- 


Rudorff,  Zur  Rechtsstellung  der  Gäste  im  mittelalterlichen  städtischen 
Prozess  (G i e rk  o , Untersuchungen  zur  deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 
Heft  88)  8.  5.  Pauli,  Lübeckischo  Zustände  im  Mittelalter  Bd.  I.  S.  65  fg. 

*)  Vgl.  auch  Hach  I.  110  111.  118—115.  Rev.  Statuten  I.  2,  5. 
vgl.  auch  Mevius,  Commentarii  in  jus  Lubecense  (1664)  ad.  h.  a. 

*)  Ratsordnung  Heinrichs  des  Löwen  ca.  1163  (Lüb.  Urkb.  L Nr.  4): 
.ende  dhe  hebbe  torfaebt  egen  binnen  dher  rnuren  . Vgl.  Hach  S.  171. 
Pauli,  Abh.  I.  S.  15.  Frensdorff  a.  a.  O.  S.  40.  Ueber  den  Begriff  von 
.torfachtegen“  vgl.  Pauli,  Abh.  I.  8.  19  fg.  Frensdorff  a.  a.  S.  84  Note  27. 

*)  Hach  L 2.  Vgl.  Frensdorff  a.  a.  0.  S.  40.  Pauli,  Abh.  I.  8.  15. 
Vgl.  auch  Lüb.  Urkb.  I.  Nr.  32  8.  39. 

4)  Hach  I.  67  cf.  I.  68.  Lüb.  Urkb.  VIII.  Nr.  620  8.  665.  Pauli, 
Zustände  Bd.  HI.  8.  65  fg. 


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geschlossen.  Verwehrt  war  der  Erwerb  von  Grundbesitz  nur 
einzelnen  Klassen,  nämlich  a)  der  Geistlichkeit,  b)  den  Fremden, 
den  Gästen,  und  c)  den  Rittern  und  Hofleuten.  Was  zunächst 
a)  die  Geistlichkeit  anbelangt,  so  stellen  schon  die  ältesten 
Lübecker  Statuten  folgenden  Satz  auf: 

„Nemini  siquidem  licet  immobilia  id  est  torfachteigen 
„conferre  ecclesiis  quin  ea  uendat  pro  argento  et  illud 
„conferat  ecclesiis.  quo  hoc  infregerit.  X.  marcas  argenti 
„componet.“’) 

Dadurch  war  jedoch  nicht  jeder  Grundbesitz  innerhalb  der 
Stadtmauern  in  den  Händen  der  Geistlichkeit  ausgeschlossen. 
Wie  in  allen  Städten  so  muss  man  auch  in  Lübeck  innerhalb 
der  Stadt  zwei  Gebiete  trennen.  Einmal  das  eigentliche  Stadt- 
gebiet, das  unter  der  Verwaltung  und  Gerichtsbarkeit  der  Stadt 
stand,  und  das  Gebiet,  das  der  geistlichen  Jurisdiktion  unterlag. 
Bekanntlich  ist  Lübeck  durch  den  Grafen  Adolf  II.  von  Schauen- 
burg im  Jahre  1143  gegründet.  Es  ging  jedoch  sehr  bald  in 
die  Hände  Heinrichs  des  Löwen  über.  Unter  seiner  Regierung 
wurde  das  Domkapitel  gegründet.2)  Bei  der  Gründung  des 
Domstiftes  wies  Heinrich  der  Löwe  dem  Bischof  Bauland  für  die 
Kirche  und  für  den  Bischofssitz,  sowie  für  Wohnungen  der 
Domherren  an.3)  Und  in  einem  Privileg  vom  Jahre  1164  be- 
freite er  die  Domherren  Lübecks  von  allen  Bürgerlasten,4)  sicut 
servi  dei  plena  gaudeant  immunitate  et  uacatione,  wie  es  in  dem 
Privileg  heisst.  Damit  war  das  Domkapitel  von  der  Bürger- 
gemeinde eximiert  und  bildete  innerhalb  dieser  Gemeinde  eine 
besondere  Gemeinde  mit  ihren  eigenen  kirchlichen  Rechten.5) 
Uebrigens  war  das  dem  Domkapitel  gehörige  Areal  im  13.  Jahr- 
hundert ziemlich  gross.  Das  ganze  grosse  Gebiet  zwischen  Trave, 
Mariesgrube,  Klingenberg,  Mühlenstrasse  nnd  Mühlenteich  gehörte 
damals  zu  dem  der  kirchlichen  Jurisdiktion  unterworfenen  Ge- 


•)  Hach  I.  26. 

5)  Hofft» an n,  Geschichte  der  freien  nnd  Hanaastadt  Lübeck  (1889) 
S.  15  fg.  19. 

s)  Helntoldi  Chronica  Slavorum  (Hon.  Germ.  Hist.  Script.  Bd.  XXI.) 
Lib.  1.  cap.  89  vgl.  Panli,  Abh.  IV.  S.  9.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  9. 

‘)  Lüb.  Urkb.  Abt.  II.  Bd.  L Nr.  7 S.  10.  Vgl.  Hartwig  a.  a.  O. 

8.  9.  S.  52. 

*)  Hartwig  a.  a.  O.  S.  52. 


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biet.1)  Dasselbe,  was  für  die  Domkirche  galt,  galt  aber  auch 
für  die  übrigen  Stadtkirchen  and  Kapellen.2)  Alle  diese  Kirchen 
mit  ihren  Gebieten  unterstanden  nicht  dem  Stadtrecht.  Denn 
dies  war  nur  „ab  omnibus  personis  laicalibus“  zu  beobachten.3) 
Ausserhalb  dieses  exempten  Gebietes  aber  sollte  die  Kirche  kein 
städtisches  Gebiet  erwerben  dürfen.  Der  Wortlaut  der  oben 
citierten  Bestimmung  des  lateinischen  Codex,  die  übrigens  älter 
ist  als  das  Codex  selber,4)  verbietet  bei  Strafe  von  10  Mark 
Silber')  „immobilia  id  est  torfachteigen  conferre  ecclosiis“. 
Unter  „ecclesia“  hat  man  nicht  nur  Kirchen,  sondern  jede 
kirchliche  Anstalt  zu  verstehen,  so  dass  diese  Vorschrift  auch 
für  die  Uebereignung  von  Liegenschaften  an  Klöster6)  gilt.7) 
Es  folgt  dies  auch  aus  dem  Zweck  der  ganzen  Bestimmung  und 
aus  einer  Eintragung  in  das  Wettebuch.  Hier  heisst  es: 

„Item  Johannes  Cruze  X mr.  arg.  nichil  dimittetur, 
„pro  eo  quod  concessit  domum  suam  monachis  et  posnit 
„pro  eis“.8) 

In  zweierlei  Hinsicht  bedarf  jene  Bestimmung  des  ältesten 
Stadtrechtes  noch  einer  Erklärung.  Einmal  nämlich,  was  be- 


')  Brehmer,  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  LUbeckische  Geschichte 
und  Altertumskunde  Bd.  V.  S.  128. 

s)  Die  Stadtkircben  waren  folgende:  Jacobi,  Mariae,  Petri,  Nicolai 
und  Egidii.  An  Kapellen  bestanden  drei  gesonderte,  nämlich  St.  Clemens, 
St.  Gertrnd  und  St.  Johannis.  Vgl.  Hartwig  a.  a.  0.  S.  52.  Hoffmann 
a.  a.  0.  S.  24  fg.,  S.  93  fg. 

*)  Hach  a.  a 0.  S.  170  (Vorrede  zum  Codex  von  1240). 

4)  Frensdorff,  Das  lübische  Recht  nach  seinen  ältesten  Formen 
S.  80.  Frensdorff,  Verfassung  S.  133.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  70. 

‘)  Vgl.  Pauli,  lieber  die  ursprüngliche  Bedeutung  der  ehemaligen 
Wette  (Zeitschrift  des  Vereins  für  liibeckische  Geschichte  und  Altertums- 
kunde Bd.  L S.  199). 

")  Im  13.  Jahrhundert  gab  es  in  Lübeck  3 Klöster:  das  Johannis- 
kloster  (ursprünglich  mit  Benediktinern,  seit  1247  mit  Cistercienserinnen 
belegt),  das  Burg-  oder  Maria  Magdalenenkloster  (Dominikaner)  und  das 
Katharinenkloster  (Franziskaner).  1602  wurde  noch  das  Annenkloster  erbaut. 
Vgl.  Hoffmann  a.  a.  O.  S.  23,  S.  93  fg.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  62  Note  6. 

.7)  Hartwig  a.  a.  0.  S.  70.  Pauli,  Abh.  HI.  S.  5.  Abh.  I.  S.  105.  — 
Hartwig  a.  a.  0.  S.  70  meint,  dass  Rehme  diese  Vorschrift  nicht  auf 
Klöster  beziehen  will.  Davon  kann  aber  keine  Rede  sein.  Rehme  spricht 
allgemein  von  .ecclesia*. 

8)  Pauli  a.  a.  0.  Zeitscb.  Bd.  I.  S.  209,  Nr.  44. 


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deutet  hier  „immobilia“,  und  dann  zweitens,  was  ist  unter 
conferre  zu  verstehen?  Rehme1)  geht  davon  aus,  dass  das 
Verbot  auch  die  Uebereignung  von  Renten  beträfe.  Dies  ergebe 
sich  einmal  aus  der  streng  durchgeführten  Auffassung  der  Renten 
als  unbewegliche  Sachen2)  und  sodann  unmittelbar  aus  einer 
Variante,  in  der  ausdrücklich  von  wicbelde  gud  edder  erve  die 
Rede  ist.3)  Es  ist  dem  nicht  beizustimmen.4)  Allerdings 
spricht  die  älteste  Recension  dieser  Vorschrift5)  nur  von 
„immobilia“  und  unter  „immobilia“  können  neben  Grundstücken 
auch  Renten  verstanden  werden.6)  An  dieser  Stelle  kann  man 
jedoch  unter  „immobilia“  nur  Grundstücke  verstehen,  hier  kann 
es  sich  nicht  um  den  erweiterten  Begriff  „immobilia“,  der  neben 
Grundstücken  auch  Renten  in  sich  begreift,  handeln.  Das  geht 
daraus  hervor,  dass  die  ältesten  Statuten  „immobilia“  mit 
„torfachteigen“  erklären.  Unter  torfachteigen  werden  aber  nur 
Grundstücke,  nicht  auch  Renten  verstanden,  wie  aus  der 
häufigen  Gegenüberstellung  von  Renten  als  bona  censualia  und 
„torfachteigen“  als  bona  hereditaria  hervorgeht.7)  Dass  aber 
Kirchen  und  Klöster  tatsächlich  im  Besitz  von  Renten  und 
Grundstücken,  die  im  Stadtgebiet  lagen,  waren,  wird  häufig 
bezeugt.8)  Erst  einige  Recensionen  der  Statuten  in  deutscher 
Sprache  sprechen  ein  Verbot  bezüglich  der  Renten  aus.9) 
Während  man  über  diesen  Punkt  gestritten  hat,  herrscht  be- 
züglich der  zweiten  Frage  Einigkeit.  „Conferre“  bedeutet 


')  Relime  a.  a.  O.  S.  198.  Vgl.  Frensdorff,  Verf.  S.  133. 

*)  Vgl.  Rehme  a.  a.  O.  S.  117. 

3)  Uach  II.  39  Note  9 und  Note  3. 

4)  So  schon  Hartwig  a.  a.  0.  S.  70.  Vgl.  auch  Pauli,  Abb.  III. 
S.  280  Note  236. 

6)  Lüb.  Urkb.  I.  Nr.  S.  41. 

•)  Rehme  a.  a.  0.  S.  117. 

*)  Vgl.  Pauli,  Abh.  I.  S.  18.  IV.  S.  33.  Hartwig  a.  a.  0.  S.  70. 
8)  Vgl.  Pauli,  Abh.  IV.  Urkb.  A.  Nr.  36,  43,  207.  Lüb.  Urkb.  I. 
Nr.  469  S.  426,  1284;  Nr.  5«  8 S.  462,  1287;  Nr.  609  S.  463,  1287  U.  8.  W. 

Hach  II.  122.  II.  82.  Note  9.  II.  124.  Vgl.  auch  Frenadorff, 
Verf.  S.  133.  Pauli,  Abh.  III.  8.  5,  280,  Abb.  IV.  S.  32.  Hartwig 
a.  a.  O.  S.  70.  Dies  führt  allerdings  auch  Rehme  (a.  Note  3)  als  Argument 
für  seine  Ansicht  an.  Da  jedoch  diese  Recensionen  zweifellos  späteren 
Datums  sind  als  die  lateinischen,  so  kann  man  m.  £.  aus  ihnen  den  von 
Rehme  gezogenen  Schluss  nicht  ziehen. 


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11 


jegliche  Uebertragung  von  Grundbesitz.  Also  nicht  nur  „ver- 
geben“, sei  es  unter  Lebenden  oder  von  Todes  wegen,  sondern 
es  begreift  auch  das  Verkaufen  in  sich,  sogar  das  Verpfänden.1) 
Bekanntlich  sind  in  Lübeck  schon  sehr  frühe  letztwillige  Ver- 
fügungen anerkannt  worden.2)  Pauli3)  scheint  zu  meinen, 
dass  unter  „conferre“  das  Testieren  zu  Gunsten  von  Kirchen 
nicht  fallen  könne,  da  bei  Testamenten  die  Uebertretung  der 
Vorschrift  erst  nach  dem  Tode  des  Erblassers  bekannt  würde, 
also  auch  nicht  bestraft  werden  könne.  Aber  gerade  aus  dem 
von  Pauli4)  selbst  angeführten  Streit  der  Stadt  mit  dem  Bischof 
Burchard  geht  hervor,  dass  die  Stadt  grundsätzlich  ein  Testament 
über  Liegenschaften  zu  Gunsten  der  Kirche  nicht  anerkannt 
hat.  Falls  Liegenschaften,  nicht  nur  der  Erlös  für  sie,  der 
Kirche  letztwillig  vermacht  wurden,  so  war  dies  ebenso  ungültig, 
als  wenn  die  Liegenschaft  geschenkt  worden  wäre.  Eine  Be- 
strafung des  Testators  konnte  allerdings  nicht  eintreten. 

Wir  sehen  also,  dass  bereits  die  ältesten  Aufzeichnungen 
des  Lübecker  Rechtes  die  Uebertragung  von  Liegenschaften  an 
Kirchen  und  Klöster  verbieten.  Die  Uebertretung  dieses  Ver- 
botes war  strafbar,  und  zwar  im  Verhältnis  sehr  hoch  strafbar. 
Der  Akt  der  Uebertragung  selber  war  nichtig.  Die  älteste 
Aufzeichnung  spricht  dies  nicht  ausdrücklich  aus,  wohl  aber 
heisst  es  in  dem  Codex  des  Kanzlers  Albert  von  Bardewich 
von  1294:  „so  ne  schal  degift  nicht  stede  bliuen“.5)  Wohl- 
gemerkt: Das  Verbot  richtet  sich  nicht  gegen  die  Kirchen  und 
Klöster.  Diese  unterstanden  der  weltlichen  Gerichtsbarkeit 
nicht.  Ihnen  war  der  Erwerb  von  Grund  und  Boden  nicht 
verboten.  Es  war  ihnen  nur  unmöglich  gemacht,  mdem  das 
Stadtrecht  den  Bürgern  die  Uebertragung  des  Eigentumes  an 
Liegenschaften  und  später  auch  die  Bestellung  von  Renten  für 
Kirchen  und  Klöster  verbot. 


')  Rehme  a.  a.  0.  S.  198.  Hartwig  a.  n.  O.  S.  71.  Frensdorff 
Verf.  a.  a.  O.  S.  133. 

*)  Pauli,  Abh.  III.  S.  191. 

3)  Pauli,  Abh.  III.  S.  280.  Vgl.  auch  Hartwig  a.  a.  O.  S.  71  Note  1. 

4)  Pauli,  Abh.  III.  S.  281  fg.,  Zustände  Bd.  II.  S.  24  fg. 

6)  Hach  II.  32.  Derartige  nichtige  Veräusserungen  kommen  im 
liibischen  Recht  auch  sonst  noch  vor.  Vgl.  Hach  II.  136.  Vgl.  auch 
Pauli,  Abh.  I.  3.  152. 


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12 


Hand  in  Hand  mit  dem  Verbot  Grundbesitz  an  Kirchen 
und  an  Klöster  zu  übertragen  ging  später  die  Vorschrift,  dass 
auch  Geistlichen  selber , nicht  nur  Kirchen , und  geist- 
lichen und  frommen  Anstalten  Grundbesitz  und  Renten  nicht 
zugewendet  werden  sollten.  Ich  sage  später,  denn  die  ältesten 
Aufzeichnungen  sprechen  nur  von  den  Kirchen,  der  ecclesia  als 
solcher.  Aber  bereits  im  Jahre  1247  war  allen  Klostergeist- 
lichen, Männern  und  Frauen,  verboten  worden,  neue  Wohnungen 
in  der  Stadt  anzukaufen,  ja  sie  sollten  nicht  einmal  ihre  alten 
verlegen  oder  grösser  machen  dürfen.1)  Der  Codex  von  1294 
geht  aber  noch  weiter.  Er  bestimmt: 

„Dhe  ghemene  Rat  is  des  to  rade  worden  dat  nen 
„borghere  . . ne  schal  vor  copen  en  erue  papen  oder 
„gheistlicden  luden  . . to  neghener  wis  so  we  dat  brecht 
„de  schal  dat  erue  to  voren  uor  loren  hebben  vnde  dar 
„to  schal  he  der  stat  gheuen  viftich  mark  suluers.“2) 
Danach  war  also  die  Uebertragung  von  Liegenschaften11) 
sowohl  an  Weltgeistliche  (papen)  als  an  Klosterinsassen  (gheist- 
licden luden)  verboten.  Die  Uebertretung  des  Verbotes  wurde 
nicht  nur  bestraft,5)  sondern  die  Liegenschaft  selber  wurde 
auch  eingezogen.  — Durch  diese  Verbote  sollte  es  unmöglich 


’)  Hach  II.  243.  Vgl.  auch  Rev.  Statut  I.  2,  4. 

>)  Hach  II.  226. 

s)  Hach  II,  226  spricht  allerdings  nur  von  .vor  copen  en  erue*.  Man 
wird  diese  Vorschrift  aber  auch  auf  alle  anderen  Uebertragungen  von  Liegen- 
schaften zu  beziehen  haben.  Vgl.  Rehme  a.  a.  O.  S.  198.  Hartwig  a.  a.  O. 
S.  72.  Es  hatte  keinen  Sinn,  wenn  nur  der  Verkauf  von  Liegenschaften 
verboten  werden  sollte.  Ein  derartiges  Verbot  würde  stets  umgangen  werden 
können.  Ob  allerdings  anch  die  Rentenbestellung,  wie  Hartwig  a.  a.  O. 
und  wohl  auch  Rehme  a.  a.  O.  meinen,  hierunter  fallt,  will  mir  bei  dem 
Anfang  der  Stelle  zweifelhaft  erscheinen. 

4)  Und  zwar  ist  hier  die  Busse  bedeutend  höher  normiert  (auf  50  Mark 
Silber),  als  bei  der  Veräusserung  an  Kirchen  und  Klöster  (10  Mark  Silber). 
Vgl.  Pauli  in  Zeitsch.  Bd.  I.  S.  201  fg.  Rehme  a.  a.  O.  S.  199  sieht 
darin  einen  Ausdruck  eines  jüngeren  Rechtszustandes,  will  diese  hohe 
Busse  daher  auch  bei  Veräusserungen  an  Kirchen  angewendet  wissen. 
Hartwig  a.  a.  O.  S 73  meint,  dass  die  Busse  deswegen  so  hoch  sei,  weil 
in  diesem  Fall  die  fromme  Gesinnung  der  Contravenieuten  keine  Berück- 
sichtigung verdient  hätte.  Letztere  Ansicht  dürfte  jedoch  nicht  stichhaltig 
sein;  auch  hier  ist  die  Veräusserung  meistens  nur  ein  Ausfluss  aus  dem 
religiösen  Sinn  der  Veräussernden  und  aus  der  Anregung  der  Geistlichen. 


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13 


gemacht  werden,  dass  der  Kirche  oder  ihren  Dienern  auf  irgend 
eine  Weise  Liegenschaften  übertragen  werdeu  konnten.  Nicht 
nur  unter  Lebenden,  sondern  auch  von  Todes  wegen  durfte 
ihnen  Grundbesitz,  resp.  Renten  nicht  zugewendet  werden.  Wie 
verhielt  es  sich  aber  mit  dem  Erbrecht  der  Geistlichkeit?  Eine 
ausdrückliche  Vorschrift,  dass  Welt-  oder  Klostergeistliche  nach 
weltlichem  Rechte  für  Liegenschaften  nicht  erbberechtigt  sein 
konnten,  bestand  in  Lübeck  nicht.  Die  Klostergeistlichen  waren 
aber  kraft  kanonischen  und  weltlichen  Rechtes  von  jeglicher 
Erbfolge  ausgeschlossen.1)  Es  handelt  sich  somit  nur  um  die 
Weltgeistlichen.  Es  ist  vielfach2)  die  Ansicht  aufgestellt 
worden,  dass  der  Geistliche  in  Lübeck  erbberechtigt  in  Liegen- 
schaften gewesen  sei.  Ehe  wir  jedoch  auf  diese  Frage,  sowie 
auf  die  Weiterentwicklung  der  städtischen  Verbote  bezüglich 
des  Grundbesitzerwerbes  durch  Kirchen  und  Geistlichkeit  näher 
eingehen,  müssen  wir  einen  Blick  werfen  auf  die  Gründe,  die 
die  Stadt  veranlasst  haben,  derartige  Verbote  auszusprechen. 
Denn  nur  so  lassen  sich  einzelne,  in  den  Statuten  nicht  besonders 
normierte  Fälle  entscheiden,  nur  so  lassen  sich  die  späteren 
Bestimmungen  des  Stadtrechtes  verstehen. 

Es  wird  manchmal  hervorgehoben,  dass  die  Gesetzgebung 
Lübecks,  wie  sie  im  13.  Jahrhundert  in  unserer  Frage  bestanden 
hat,  in  der  Folgezeit  mehrfach  gewechselt  habe,  dass  der  Rat 
von  Lübeck  in  der  Behandlung  des  Grunderwerbes  durch  die 
Geistlichkeit  mehrfach  seine  Methode  geändert  habe.3)  Es 
ist  dies  nicht  ganz  genau.  Die  Methode  ist  nicht  geändert 
worden,  sie  ist  nur  den  veränderten  Verhältnissen  angepasst. 
Sehen  wir  darauf,  welches  das  Endziel  aller  Verbote,  Grund- 
besitz an  die  Geistlichkeit  zu  übertragen,  gewesen  ist.  Es  kann 
meiner  Ansicht  nach  nicht  davon  die  Rede  sein,  dass  die  Stadt 
die  Vereinigung  von  Grund  und  Boden  in  der  Hand  der  Geist- 
lichkeit als  solcher  jemals  abhold  gewesen  ist.  Es  entsprach 
nicht  dem  fromm-religiösen  Geist  jener  Zeit,  dass  der  Rat  einer 
Stadt  eine  Zuwendung  an  die  Geistlichkeit  zu  frommen  Zwecken 


')  Vgl.  Pauli,  Abhand].  III.  S.  10.  Vgl.  auch  Stobbe,  Beiträge  zur 
Geschichte  des  deutschen  Rechts  (1865)  S.  167.  Steffenhagen,  Deutsche 
Rechtsquellen  in  Preussen  (1875)  S.  88  Nr.  2. 

a)  Hartwig  a.  a.  O.  S.  72.  Rehme  a.  a.  O.  S.  201. 

*)  Rehme  a.  a.  0.  S.  199.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  69. 


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14 


und  in  Folge  frommer  Gesinnung  des  Spenders  verhindern 
wollte.  Daher  war  es  stets  erlaubt,  Geld  oder  andere  Mobilien 
in  grossen  Mengen  der  Geistlichkeit  zuzuwenden.  Daher  auch 
jene  Bestimmung,  dass  zwar  nicht  ein  bestimmter  Grundbesitz, 
wohl  aber  der  baare  Wert  des  Grundbesitzes  an  die  Kirche 
vergabt  werden  konnte;1)  daher  die  Vorschrift,  dass  Liegen- 
schaftsvermächtnisse an  Gotteshäuser,  bei  denen  der  Verkauf 
nicht  ausdrücklich  angeordnet  war,  zwar  gültig  sein  sollten,  der 
Verkauf  der  Liegenschaften  aber  binnen  zwei  Monaten  bewirkt 
sein  musste.2)  Aus  diesen  Bestimmungen  erhellt,  dass  die 
Stadt  keineswegs,  wie  vielfach  behauptet  wird,  die  finanzielle 
Macht  der  Kirche  durch  derartige  Verbote  treffen  wollte.  Die 
Ansammlung  grosser  Vermögen  in  der  toten  Hand  war  nach 
damaliger  Ansicht  kein  Nachteil.  Der  innere  Grund  dieser 
Verbote  ist  vielmehr  darin  zu  suchen,  dass  der  Grundbesitz  in 
damaliger  Zeit  der  Massstab  für  die  Ausübung  öffentlicher  Rechte 
und  Pflichfen  gewesen  ist.  Trotzdem  Lübeck  bereits  früh  eine 
Welthandelstadt  geworden  war,  trotzdem  hier  das  Geld  in  Folge 
des  Handels  und  des  Verkehrs  eine  ganz  andere  Rolle  als  in 
anderen  Städten  gespielt  hat,3)  ist  es  doch  nicht  das  Kapital 
als  solches,  das  im  politischen  Leben  der  Stadt  einen  mass- 
gebenden Einfluss  ausgeübt  hat.  Die  Lübecker  Stadtverfassung 
baute  sich  auf  dem  Grundbesitz  auf.  Der  Grundbesitz  giebt 
für  die  Verwaltung  der  Stadt  den  Ausschlag.  Allerdings  ist 
nicht  zu  leugnen,  dass  der  Grundbesitz  in  damaliger  Zeit  auch 
das  Kapital  repräsentierte,  aber  für  die  Stellung  des  Einzelnen 
im  Verfassungsleben  der  Stadt  war  ausschlaggebend  nur  sein 
Besitz  an  Liegenschaften.  Es  ist  bereits  oben4)  hervorgehoben, 
welche  einflussreichen  politischen  Rechte,  welche  bevorzugte 
Stellung  im  Privatrecht  der  Besitz  von  Liegenschaften  gewährte. 
Hier  sei  nur  noch  daran  erinnert,  dass  auch  das  ganze  Steuer- 
wesen, abgesehen  von  den  Zöllen  der  Fremden,  auf  dem  Grund- 


»)  Hach  L 26.  II.  32. 

a)  Liib.  Urkb.  Abt.  II.  Bd.  I.  Nr.  282.  Pauli,  Zuatände  Bd.  II.  S.  3t. 
Pauli,  Abh.  III.  S.  281  fg. 

*)  Vgl.  Pauli,  Zuat.  Bd.  I.  8.  121  fg.  II.  8.  98  fg.  v.  Dukn, 
Deutsckrechtliche  Arbeiteu  (1877)  S.  58.  f. 

‘)  8.  oben  8.  7. 


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15 


besitz  basierte..1)  Es  ist  nun  klar,  dass  der  Stadt  daran  gelegen 
sein  musste,  die  einmal  begründeten  öffentlich  rechtlichen  Pflichten 
zu  erhalten.  War  einmal  ein  Grundstück  zu  den  öffentlichen 
Lasten  herangezogen,  so  sollte  es  nicht  ohne  weiteres  wieder 
aus  dieser  Verpflichtung  entlassen  werden  können.  Es  wäre 
sonst  unter  Umständen  für  die  Bürger  ein  leichtes  gewesen, 
sich  den  öffentlichen  Pflichten,  die  auf  ihrem  Grund  und  Boden 
ruhten,  zu  entziehen.  Dazu  kam  aber  noch  ein  weiteres,  was 
ebenfalls  bereits  oben  angedeutet  ist.  Es  ist  dies  die  Stellung 
der  Kirche  gegenüber  dem  Staate.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort, 
auf  die  Ansprüche  der  Kirche  auf  Befreiung  von  der  weltlichen 
Herrschaft  näher  einzugehen.  Es  genügt,  wenn  hier  darau 
erinnert  wird,  in  wie  ausgedehntem  Masse  die  Geistlichkeit  die 
Civil-  und  Criminalgerichtsbarkeit  beanspruchte2)  und  wie  die 
Kirche  die  Uebernahme  weltlicher  Pflichten,  namentlich  der  Steuer- 
pflicht, grundsätzlich  kraft  göttlichen  Rechtes  ablehnte.3)  Dies 
beanspruchte  Steuerprivileg  der  Kirche  sollte  nach  Anschauung 
der  Kirche  nicht  nur  der  Kirche  selbst,  sondern  auch  ihren 
Dienern  zu  Gute  kommen.  Während  die  Kirche  mit  ihrer 
Forderung  an  anderen  Orten  nicht  durchdrang,4)  hat  in  Lübeck 
die  Kirche  ihren  Anspruch  bis  in  die  Zeit  der  Reformation 
formell  aufrecht  erhalten  können.5 6) 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  ist  es  zu  verstehen,  wie  die 
überall  auftauchenden  Verbote,  Grundeigentum  an  die  Geist- 
lichen zu  übertragen,  sich  bilden  konnten.  Es  war  eine  Existenz- 
frage für  die  mittelalterlichen  Städte.  Man  konnte  und  durfte 
nicht  dulden,  dass  städtischer  Grund  und  Boden,  d.  b.  Liegen- 
schaften, die  bisher  unter  die  Jurisdiktion  der  Stadt  fielen  und 
die  zu  den  städtischen  Abgaben  herangezogen  worden  waren, 


l)  Vgl.  darüher  ausführlich  die  mehrfach  citierte  Schrift  von  Hartwig, 

hes.  S.  36  fg. 

s)  Vgl.  darüber  besonders  die  Schrift  von  Friedberg  de  finium  inter 
pcclesiani  et  eivitatem  regundornin  judicio  quid  medii  aevi  doctores  et  legen 
statuerint  1861. 

4)  c.  1,  3 in  Vl°  III.  23;  c.  4 in  VI0  III.  20.  vgl.  auch  Authent.  Fried.  II. 
Item  nulta  eommunitas  (Mon.  Herrn.  Hist.  Leg.  II.  243),  vgl.  Friedberg 
a.  a.  O.  S.  183  fg. 

4)  Vgl  Friedberg  a.  a.  O.  S.  195  Note  1,  S.  201  Note  1. 

6)  Hartwig  a.  a.  O.  S.  56  fg. 


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16 


in  die  Hände  der  Geistlichkeit  gelangten,  ohne  dass  eine  Gewähr 
dafür  geboten  worden  wäre,  dass  diese  Liegenschaften  mitten 
in  den  Städten  auch  weiterhin  zum  Nutzen  der  Stadt  unter  der 
städtischen  Oberaufsicht  herangezogen  werden  konnten.  Nicht 
die  Schwächung  der  kirchlichen  Macht,  sondern  die  Stärkung 
der  städtischen  Verwaltung  war  das  leitende  Motiv  aller  der- 
artigen Verbote.  So  sehen  wir  denn  auch,  dass  überall  da, 
wo  eine  Schwächung  der  städtischen  Macht  und  der  städtischen 
Befugnisse  nicht  zu  befürchten  war,  die  Geistlichkeit  auch  in 
den  Besitz  von  städtischem  Grund  und  Boden  gelangen  konnte. 
Behält  man  dies  im  Auge,  so  wird  man  von  einem  Wechsel  in 
der  Methode  nicht  sprechen  können.  Und  nur  so  wird  es  auch 
verständlich,  dass  trotz  der  strengen  Verbote,  Liegenschaften 
an  die  Geistlichkeit  zu  übertragen,  sowohl  Kirchen  und  Klöster, 
als  auch  einzelne  Geistliche  als  Private  häufig  im  Besitz  von 
städtischen  Liegenschaften  oder  von  Renten  erscheinen.') 

Kehren  wir  nunmehr  zu  der  Frage  der  Vererblichkeit  von 
Liegenschaften  an  Geistliche  zurück.  Es  ist  zweifellos,  dass 
Weltgeistliche  nach  lübischem  Stadtrecht  kraft  Erbrechtes  in 
den  Besitz  von  Liegenschaften  gelangen  konnten.  Wir  haben 
Zeugnisse,2)  in  denen  ausdrücklich  hervorgehoben  wird,  dass 
die  Liegenschaften  an  die  Geistlichen  in  Folge  von  Vererbung 
gekommen  sind.  Trotzdem  aber  kann  ich  der  bereits  oben 
ausgesprochenen  Meinung  nicht  beitreten,  dass  Liegenschaften 
ohne  weiteres  kraft  Erbrechtes  auf  Geistliche  übergehen  konnten. 
Es  ist  dies  ein  ähnlicher  Fall,  wie  bei  dem  Erbrecht  der  Fremden, 

')  Vgl.  z.  B.  für  Liegenschaften  im  Eigentum  der  Kirche:  Mit- 
teilungen des  Verein*  für  Ltibeckische  Geschichte  und  Altertumskunde  Bd.  III. 
S.  20  Nr.  61.  S.  162  Nr.  30  Anm.  1.  Lüb.  Urkb.  VH.  Nr.  667  8.  586.  — 
VIII.  Nr.  347  8.  397.  Nr.  610.  IX.  Nr.  35  S.  39;  — im  Eigentum 
von  Kllistern:  Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  173  8.  160;  VII.  Nr.  398  S.  374;  VIII. 
Nr.  664  8.  704.  Mitteilungen  III.  8.  136  Nr.  12a;  8.  146  Nr.  11  Anm.  1; 
IV.  8.  92  Nr.  19 — 21;  — im  Eigentum  von  Geistlichen:  Lüb.  Urkb.  I. 
Nr.  283  8.  271;  Nr.  326  S.  807;  Nr.  38  S.  50.  Zeitsch.  Bd.  IV.  Nr.  156 
8.  234.  Lüb.  Urkb.  Abt.  II.  Bd.  L Nr.  120  8.  110;  — für  Renten  im 
Eigentum  der  Kirche;  Lüb.  Urkb.  I.  Nr.  469  S.  426 ; Nr.  508  S.  462 ; Nr.  609 
8.  463;  II.  Nr.  343  S.  295;  VII.  Nr.  250  8.  231;  — von  Kliistern:  Pauli, 
Abh.  IV.  Urkb.  A.  Nr.  207;  Nr.  36;  Nr.  43;  Nr.  119;  — von  Geistlichen: 
Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  805  8.  749;  VII.  Nr.  663  8.  640;  VI.  Nr.  703  8.  680  u.  s.  w 

*)  Vgl.  Pauli,  Abh.  IV.  Urkb.  A.  Nr.  281.  Pauli,  Abb.  I.  8.  28 
Note  66.  Beides  sind  Eintragungen  in  das  Oberstadtbuch. 


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17 


auf  den  wir  unten  noch  zurückkommen  werden.  Es  kann 
nicht  angenommen  werden,  dass  der  Fall  der  Vererbung  bei 
dem  Erlass  jener  Verbote  zwecks  Uebertragung  von  Liegen- 
schaften an  Geistliche,  übersehen  worden  ist.  Es  kann  in.  E. 
als  ausgeschlossen  bezeichnet  werden,  dass  die  Stadt  die  Ueber- 
tragung unter  Lebenden  und  von  Todes  wegen  verboten  haben 
sollte,  die  Vererbung  aber  zuliess.  Gewiss  wird  der  Fall  der 
Vererbung  von  Liegenschaften  an  Geistliche  nicht  allzu  selten 
vorgekommen  sein.  Wollte  man  diese  Ausnahme  machen,  so 
würde  dies  eine  Durchlöcherung  des  allgemeinen  Prinzipes  dar- 
stellen, die  dem  allgemeinen  Prinzipe  wesentlich  seine  Spitze 
brach.  Ich  glaube,  die  Lösung  dieser  Schwierigkeit  liegt  in 
folgendem:  Das  Erbrecht  der  Weltgeistlichen  bezüglich  Liegen- 
schaften war  prinzipiell  nach  dem  Stadtrechte  anerkannt.  Damit 
aber  die  städtischen  Rechte  dadurch  nicht  geschmälert  werden 
und  nicht  die  Abgaben,  der  Schoss,  für  die  Stadt  in  der  Folge- 
zeit wegfallen  konnten,  so  musste  der  Kleriker  sich  bereit  er- 
klären, die  mit  dem  Grundstücke  verbundenen  Lasten  zu  tragen, 
und  er  musste  ferner  anerkennen,  das  Grundstück  in  der  Folgezeit 
niemals  iuri  ecclesiastico  sed  iuri  seculari  perpetue  subjacere.1) 
Ausserdem  konnte  ein  ähnliches  Verfahren  stattfinden,  wie  bei 
dem  Vermächtnis  von  Liegenschaften  an  Kirchen:  das  Grund- 
stück musste  innerhalb  einer  bestimmten  Frist  verkauft  werden 
und  der  erbberechtigte  Geistliche  erhielt  nur  den  Erlös.2)  Für 
eine  derartige  Lösung  spricht  auch  folgende  Stelle  im  Oberstadt- 
buche vom  Jahre  1295:'1) 

„Notum  sit,  quod  Wedeghe,  plebanus  de  Seveneken, 
„emit  a Sifrido  de  Bocholte  et  a Gerardo  fratre  suo, 
„filiis  suis  Hinrico  et  Thiderico  hereditatem,  sitam  . . . 
„pertinentem  domine  Wohben,  filie  domine  Woldeken, 
„quam  eis  cor.  Gons,  resignaverunt,  pro  qua  hereditate 
„Thidericus  de  Raceborg,  patruus  ipsorum  puerorum,  in 
„talliis  et  in  aliis  faciet  inde  jura  sua  civitati  nostre. 
„Si  facti  fuerint  clerici  dicti  pueri,  haec  hereditas 
„hereditabit  super  laicos  vel  ipsa  laicis  vendetur  . . 

>)  Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  383  S.  330. 

J)  Vielleicht  liegt  der  Stelle  Pauli,  Abh.  I.  S.  28  Note  66  ein 
derartige»  Verfahren  zu  Grunde. 

»)  Pauli,  Abh.  IV.  Urkb.  A.  Nr.  94. 

Loening,  Grunderwerb  und  Treuhand  in  Lübeck  2 


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18 


Wenn  auch  an  dieser  Stelle  nicht  von  einer  Vererbung  von 
Liegenschaften  an  Geistliche  gesprochen  wird,  so  geht  doch  ans 
ihr  hervor,  dass  selbst  dann,  wenn  ein  Eigentümer  einer  Liegen- 
schaft später  zu  dem  geistlichen  Stande  übertreten  wollte,  ei- 
serne Liegenschaften  an  Laien  verkaufen  musste  (vel  ipsa  laicis 
vendetur)  oder  sie  gingen  auf  seine  Erben,  soweit  sie  Laien 
waren,  über  (hereditabit  super  laicos).  Aus  diesem  Verfahren 
geht  meiner  Ansicht  nach  deutlich  hervor,  dass  die  Stadt  es 
nicht  zugelassen  hat,  dass  städtischer  Grund  und  Boden  in  Folge 
von  Erbgang  in  die  Hand  von  Geistlichen  gelangen  konnte. 
Nicht  das  Erbrecht  der  Geistlichen  an  sich,  wohl  aber  der 
Erwerb  von  Liegenschaften  in  Folge  des  Erbrechtes  musste 
aus  öffentlichem  Interesse  gehindert  werden. 

Derartige  Verfahren  wurden  übrigens  nicht  nur  bei  der 
Vererbung  von  Liegenschaften  an  Geistliche  angewendet  Auch 
der  rechtsgeschäftliche  Erwerb  von  Grund  und  Boden  seitens 
der  Geistlichkeit  bewegte  sich  in  diesen  Bahnen.1)  Das  erste 
derartige,  mir  bekannte,  Beispiel  stammt  aus  dem  Jahre  1 266.2) 
Als  in  diesem  Jahre  das  Kloster  Reinfeld  in  Lübeck  in  der 
Mariesgrube  ein  Grundstück  erwarb,  musste  sich  das  Kloster 
verpflichten : 

„Omnia  etenim  ex  ea  facere  tenebimus  in  t&lliis,  in 
„exactionibus,  in  vigiliis  et  in  ceteris  omnibus,  que 
„unus  civium  ipsius  ciuitatis,  si  emisset,  ex  ea  facere 
„teneretur.  Adjeetum  est  preterea,  vt  si  aliquo  tempore 
„hanc  hereditatem  nobis  vendere  placuerit,  eam  vendere 
„debemus  ipsi  ciuitati  pro  tanta  pecunia,  quantum  ualet 
„hereditas  memorata.  Si  uero  sepedicta  ciuitas  eam 
„emere  noluerit,  possumus  eam  vendere  cui  voluerimus, 
„dum  tarnen  vni  ex  ipsius  concivibus  vendamus  eandem . .“ 
Und  einige  Jahre  später  bekundete  dasselbe  Kloster  noch  einmal: 
„quod  hereditatem,  quam  in  ciuitate  vestra  de  vestra 
„beniuola  permissione  comparauimus,  eo  jure  omnia  . 
„possidemus,  quo  ceteri  vestri  ciues  suos  possident 
„hereditates.“3) 

l)  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  8.  202.  Hartwig  a.  a.  0.  S.  77  fg.  Frens- 
dorff  a.  a.  0.  8.  135  Anm.  41. 

s)  LUb.  Urkb.  I.  Nr.  283  8.  271. 

S)  Lüb.  Urkb.  I.  Nr.  325  8.  307  (1270). 


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19 


Musste  sich  in  diesem  und  in  ähnlichen  Fällen1)  die  Geistlich- 
keit verpflichten,  den  erworbenen  Grundbesitz  nicht  dem  Stadt- 
recht zu  entziehen,  vielmehr  alles  zu  tun,  was  die  Stadt  von  einem 
erbbesessenen  Bürger  verlangte,  musste  sie  selbst  beim  Wieder- 
verkauf das  Grundstück  zuerst  der  Stadt  zum  Kaufe,  und  dann 
nur  einem  Bürger  anbieten,  so  finden  sich  auch  viele  Fälle,  in 
denen  dio  Geistlichkeit  gezwungen  wurde,  den  zugewendeten 
Grundbesitz  entweder  sofort,  oder  in  einer  bestimmten  Frist 
wieder  zu  verkaufen.  So  heisst  es  z.  B.  in  einer  Eintragung 
im  Oberstadtbuche  von  1299:2) 

„Notum  sit,  quod  Gesa,  relicta  Willekini  de  Luneborg, 
„emit  a provisoribus  ecclesiae  Sti.  Jacobi  domum  quandam, 
„sitam  in  fossa  piscatorum,  quam  sibi  coram  Consulibus 
„resignaverunt.  Et  est  domus,  quam  Rodolfus  de  Luneborg 
„dicte  ecclesie  in  suo  dedit  testamento.“ 

In  einer  Urkunde  von  131 5, 3)  in  der  wir  schon  eine  Zu- 
schreibung zu  treuen  Händen  finden,  wird  bestimmt,  dass  der 
Treuhänder  verpflichtet  sei,  das  Grundstück  „infra  decem  annos 
a data  presencium  numerandos  vni  burgensi  in  Lubeke,  omni 
contradictione  cessante,  vendere.“  Die  Urkunde  fährt  dann  fort: 
„et  quod  alten  nisi  ciui  Lubicensi  non  possit  vendere 
„vel  alio  quouis  modo  alienare  vel  obligare,  coram  nobis 
„publice  est  confessus.“ 

In  anderen  Fällen  wieder  behält  sich  der  Rat  vor,  das  Grund- 
stück zu  verkaufen.  So  ward  z.  B.  im  Jahre  1301  im  Stadt- 
buch vermerkt,  als  die  Egidienkirche  ein  Haus  ankaufte: 


*)  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  179  S.  223  (1420).  Hier  handelt  es  sich  um 
die  Stiftung  einer  Rente  für  den  Dominikanerkonvent.  Er  musste  sich  dabei 
verpflichten:  „Jodoch  wille  wi  vnde  schoten  de  vorbenomeden  XX  mark  gheldes 
iorlikes  vorscboten  vnde  der  atnt  plicht  darvan  entrichten".  Vgl.  auch 
Lilb.  Urkb.VI.  Nr.305  8.336  (1421);  Mitteilungen  des  Vereins  für  Liibeckische 
Geschichte  und  Altertumskunde  Bd.  III.  8.  145  Nr.  1 1 Amu.  1 ; Bd.  III.  8.  162 
Nr.  30  Anm.  1;  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  646  S.  542  (1423).  Pauli,  Abh.  IV. 
Urkb.  A.  Nr.  354.  Lüb  Urkb.  II.  Nr.  383  S.  330  (1320).  Rehme  a.  a.  O. 
Urkb.  Nr.  112  8.  296.  Vgl.  auch  Wehrmann.  Das  Haus  des  deutschen 
Ordens  in  Lübeck  (Zeitschrift  a a.  0.  Bd.  V.)  S.  461  fg. 

3)  Pauli,  Abh.  III.  S.  282  Anm.  238.  Vgl.  die  in  derselben  Anmerkung 
abgedruckten  Stellen,  ferner  Mitteilungen  a.  a.  O.  III.  S.  65  Nr.  10.  Pauli, 
Abh.  IV.  Urkb.  A.  Nr.  354. 

5)  Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  335  S.  279. 


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20 


„Provisores  ecclesie  sancti  Egidii  emerunt  a Rothero 
„Calvo  domam  quondam  sitam  juxta  cimiterium  sancti 
„Egidii,  sed  dicta  ecclesia  non  utatur  dicta  domo  dincius, 
„quam  placuerit  consulibus  civitatis“.1) 

Ferner  heisst  es  in  einer  Urkunde,  durch  die  der  Rat  den 
Karthäusern  in  Ahrensbock  ein  Haus  in  der  Dankwärtsgrube 
im  Jahre  1399  überliess:2) 

„Et  si  aliquid  contingeret,  quod  Consilium  ipsis  eadem 
„domo  amplius  fauere  nollet,  extunc  Consilium  ipsis  suas 
„pecunias  restituere  debet.“3) 

In  allen  diesen  Fällen  aber  war  es  stets  ein  Akt  der  freien 
Entschliessung  des  Rates,  dass  der  Geistlichkeit  Liegenschaften 
oder  Renten  übertragen  wurden.  Wir  finden  dies  auch  in  den 
Urkunden  zum  Ausdruck  gebracht.  Ausdrücke  wie  „de  speciali 
fauore  et  gracia“4)  oder  „de  vestra  beniuola  permissione“ 5)  finden 
sich  nicht  selten.6)  Principiell  ist  an  dem  Verbot  der  Ueber- 
tragung  von  Liegenschaften  an  die  Geistlichkeit  nichts  geändert. 
Dreyer7)  giebt  uns  nun  Kunde  von  einer  Ratswillkür  aus  dem 
Jahre  1296,  wonach  „die  Güter,  welche  Kirchen  und  Klöster 
in  dieser  Stadt  acquiriren,  unter  die  bürgerlichen  Unpflichten 
bleiben  sollen“.  Man  hat  aus  diesem  Statut  gefolgert,  dass  der 
Grundstücksverkehr  wieder  freigegeben  sei  und  dass  an  Stelle 
des  Verbotes  der  Uebertragung  von  Liegenschaften  das  Gebot 
des  Ueberganges  cum  onere  getreten  sei.8)  Dem  kann  nicht 
beigestimmt  werden.  Die  meisten  vorhin  erwähnten  Urkunden 


*)  Mitteilungen  a.  a.  O.  III.  S.  20  Nr.  61.  Vgl.  auch  Rehme  a.  a.  O. 
Urkb.  Nr.  112  S.  296.  Lüb.  Urkb  IL  Nr.  383  S.  330  (1320).  Pauli,  Za- 
stände  Bd.  I.  S.  22. 

*)  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  681  S.  776. 

3)  Wie  aus  dein  Schlüsse  der  Urkunde  hervorgeht,  bandelt  es  sich  nicht, 
wie  Brehnier,  Mitteilungen  a.  a.  O.  III.  S.  78  meint,  nur  um  die  Ueber- 
lassung  zur  Benutzung,  sondern  es  liegt  ein  Kaufvertrag  vor. 

*)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  681  8.  775. 

s)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  I.  Nr.  325  S.  307. 

•)  Hartwig  a.  a.  O.  8.  77  f.  Rehme  a.  a.  0.  8.  202. 

7)  Dreyer,  Einleitung  der  . . . von  E.  Hochw.  Rath  der  Reichsstadt 
Lübeck  . . ergangenen  allgemeinen  Verordnungen  (1769)  8.  137. 

e)  Hartwig  a.  a.  0.  8.  80  f. 


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21 


stammen  ans  einer  Zeit  nach  1296,  in  ihnen  wird  ausdrücklich 
der  Uebergang  der  Verpflichtungen  auf  die  Geistlichkeit  erwähnt, 
und  selbst  da,  wo  ein  solcher  Uebergang  nicht  erwähnt  wird, 
wird  wenigstens  die  Verkaufsverpflichtung  hervorgehoben.  Es 
kann  meines  Erachtens  kein  Zweifel  bestehen,  dass  jenes  Verbot 
zu  allen  Zeiten  in  Lübeck  bestanden  hat.  Wie  ist  aber  dann 
jene  von  Dreyer  erwähnte  Willkür  auszulegen?  Ich  glaube 
dahin:  Das  Verbot  bestand  weiter.  Wurden  trotz  diesem  Verbote 
aus  Gnade  des  Rates  der  Geistlichkeit  Liegenschaften  übertragen, 
dann  sollten,  ohne  dass  es  im  einzelnen  Falle  erwähnt  zu  werden 
brauchte,  die  aus  dem  Stadtrecht  sich  ergebenden  Verpflichtungen 
auch  von  der  erwerbenden  Geistlichkeit  übernommen  werden. 
Beruhte  die  Uebernahme  der  Pflichten  bisher  auf  einem  Vertrage, 
so  wurden  sie  nunmehr  gesetzliche  Pflichten. 

Der  Zustand  um  die  Wende  des  13.  Jahrhunderts  war  also 
folgender:  Prinzipiell  galt  das  Verbot  der  Uebertragung  von 
Liegenschaften  und  Renten  auf  die  Kirchen,  Klöster,  Geist- 
liche und  fromme  Stiftungen.  Durch  den  Rat  konnte  jedoch 
von  diesem  Verbot  Dispens  erteilt  werden;  dann  hatte  aber  die 
Geistlichkeit  kraft  Gesetzes  die  mit  dem  Grundbesitz  verbundenen 
Pflichten  gegenüber  der  Stadt  zu  tragen.  Die  Entwicklung  war 
damit  aber  nicht  beendet,  sie  schritt  fort;  ja  schon  im  13.  Jahr- 
hundert wird  vermutlich  die  Entwicklung  in  andere  Bahnen 
gelenkt  sein.  Nicht  unmittelbar  auf  einer  gesetzlichen  Vorschrift 
beruhend,1)  aber  anknüpfend  an  die  neue  Gestaltung  des  Grund- 
stücksverkehrs in  Lübeck  seit  der  Anlegung  des  Oberstadtbuches 
im  Jahre  1227  entstand  das  System  der  Zuschreibungen  zu 
treuen  Händen.  Zur  Zeit  der  Anlegung  des  Oberstadtbuches  war 
zur  Uebereignung  von  Liegenschaften  in  Lübeck  ein  öffentlicher 
Akt,  eine  Auflassung,  erforderlich.2)  Diese  geschah  vor  dem  Rates) 


*)  Hartwig  a.  a.  O.  S.  83  meint,  dass  die  Neuerung  auf  einer  Rats- 
willkiir  aus  dem  Ausgang  des  14.  Jahrhunderts  beruhe.  Er  beruft  sich 
dabei  auf  Rehme,  der  dies  aber  an  dem  von  Hartwig  angegebenen  Orte 
nicht  behauptet.  Es  liegt  ein  derartiges  Statut,  soviel  mir  bekannt  ist, 
auch  nicht  vor.  Auch  reichen  die  Zugehreibungen  zu  treuen  Händen  schou 
bis  in  den  Anfang  des  14.  Jahrhunderts. 

s)  Vgl.  darüber  Rehme  a.  a.  O.  S.  110  Note  21. 

*)  Und  zwar  vor  dem  ganzen,  sitzenden  Rate,  vgl.  Rehme  a.  a.  0.  S.  1 12. 


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22 


der  Stadt.1)  Man  hat  vielfach  gemeint,2)  dass  die  Auflassung 
zur  Uebertragung  des  Eigentums  in  Lübeck  bereits  am  Anfänge 
des  13.  Jahrhunderts  nicht  genügt  habe.  Der  Auflassung 
hätte  die  Eintragung  in  das  Oberstadtbuch  folgen  müssen. 
Nur  Auflassung  mit  nachfolgender  Eintragung  hätte  den  Ueber- 
gang  des  Rechtes  bewirkt.  Wie  Rehme3)  ein  wandsfrei  nach- 
gewiesen hat,  war  dies  nicht  der  Fall.  In  ältester  Zeit  hatte 
die  Eintragung  uur  beurkundende  Kraft.  Erst  am  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  kam  der  Eintragung  in  das  Oberstadtbuch  im 
Falle  einer  freiwilligen  Verftusserung  eine  andere  Bedeutung  zu. 
Erst  seit  dieser  Zeit  wirkt  die  Eintragung  konstitutiv.4)  Es 
kann  hier  nicht  die  Aufgabe  sein,  die  Wandeluugen,  die  die 
rechtliche  Bedeutung  der  Eintragung  in  das  Oberstadtbuch 
durchgemacht  hat,  geschichtlich  zu  entwickeln.  Genug,  am 
Anfang  des  13.  Jahrhunderts  war  die  Eintragung  lediglich 
rechtsbekundend.5)  Am  Ende  des  13.  Jahrhunders  war  sie  neben 
der  Auflassung  rechtserzeugend,  um  schliesslich  für  sich  das  allein 
massgebende  Moment  in  der  Uebertragung  von  Liegenschaften 
zu  werden.6)  Mit  dieser  Entwicklung  des  Gruudstücksverkehres 
geht  auch  die  Entwicklung  jenes  Verbotes,  Grundstücke  an  die 
Geistlichkeit  zn  übertragen,  Hand  in  Hand.  Lautete  das  Verbot 
früher:  Liegenschaften")  dürfen  nicht  an  die  Geistlichkeit  über- 
tragen werden,  so  wurde  es  jetzt  so  gefasst,  dass  Liegenschaften 
der  Geistlichkeit  im  Oberstadtbuch  nicht  mehr  zugeschrieben 


*)  Pauli,  Abh.  I.  S.  171  und  Frensdorff,  Verf.  a.  a.  O.  S.  84  folgern  ans 
Hach  I.  3,  dass  nach  den  ältesten  lateinischen  Statuten  die  Auflassung  im 
echten  Ding,  in  legitimo  placito,  zu  geschehen  habe.  Es  ist  dies  nicht  richtig. 
Vgl.  Rehme  a.  a.  O.  8.  44,  S.  110  fg. 

*)  Vgl.  Beseler,  Privatrecht  (4.  Anfl.)  8.  362.  Stobbe  in  Iheringa 
Jahrbüchern  Bd.  XII.  S.  208;  Stobbe,  Deutsches  Privatrecht  Bd.  I.  (3.  Aufl.) 
8.  640,  Bd.  II.  (2.  Aufl.)  S.  193.  Gengier,  Deutsches  Privatrecht  (4.  Aufl.) 
8.  153.  R.  Schröder,  Deutsche  Rechtsgeschichte  (3.  Aufl.)  8.  691. 

*)  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  8.  251  fg. 

4)  Rehme  a.  a.  0.  8.  261. 

s)  Vgl.  auch  meine  Schrift,  Das  Testament  im  Gebiet  des  m&gde- 
burgur  Stadtrechtes  (Untersuchungen  zor  deutschen  Staats-  und  Rechts- 
goschicbte,  herg.  von  O.  Gierke  Heft  82)  S.  17  fg. 

6)  Rehme  a.  a.  0.  S.  263. 

7)  Dasselbe  gilt  natürlich  für  die  Rentenbestellung  in  dem  oben  ge- 
schilderten Umfange. 


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23 


werden  durften.  Sachlich  blieb  das  Verbot  dasselbe.  Denn  da 
erst  durch  Auflassung  und  Eintragung,  später  durch  die  Ein- 
tragung allein,  Eigentum  an  Liegenschaften  im  Falle  freiwilliger 
Veräusserung  begründet  werden  konnte,  so  besagte  das  Verbot 
nunmehr  auch  weiter  nichts,  als  dass  der  Uebertragnngsakt 
nicht  vorgenommen  werden  konnte.  Hiermit  war  aber  der 
Zweck,  den  die  Stadt  mit  all  diesen  Verboten  erreichen  wollte, 
vollkommen  erfüllt.  Die  Geistlichkeit  sollte  nicht  die  Möglichkeit 
erlangen,  städtische  Grundstücke  aus  dem  städtischen  Verbände 
herauszuziehen.  Es  sollte  ihr  unmöglich  gemacht  werden,  die 
Vorteile,  die  mit  dem  Besitz  von  städtischem  Grund  und  Boden 
verbunden  waren,  zu  geniessen,  ohne  die  Lasten  gegenüber  der 
Stadt  zu  übernehmen.  Man  brauchte  daher  nicht  mehr  die 
Uebertragung  als  solche  zu  verbieten,  es  genügte,  wenn  die 
betreffenden  Liegenschaften  der  Geistlichkeit  nicht  im  Ober- 
stadtbuch zugeschrieben  werden  konnten.  Alles  andere  konnte 
der  Stadt  gleichgültig  sein.  So  sehen  wir  denn  auch,  dass  un- 
gefähr gleichzeitig  mit  jener  Aenderung  der  Bedeutung  der 
Eintragung,  die  Geistlichkeit  sich  eines  Verfahrens  bediente, 
das  sowohl  ihrem  eigenen  Interesse  als  auch  dem  Interesse  der 
Stadt  gerecht  wurde.1)  Man  benutzte  das  Institut  der  Treu- 
händer dazu,  um  den  Bestimmungen  des  Stadtrechtes  nach- 
zukommen.2) Das  erste  derartige  Beispiel,  das  bisher  bekannt 
ist,  stammt  aus  dem  Jahre  1315.3)  In  dieser  Urkunde  heisst 
es,  dass  ein  „dominus  Alardus  de  Estorpe,  cellerarius  ac  noster 
concanonicus“  eine  hereditas  „sitam  ex  opposito  cimiteri  sancti 
Jacobi  in  Lubeke“  gekauft  und  rationabiliter  bezahlt  hat.  Dieses 
Grundstück  wurde  jedoch  nicjit  dem  Cellerarius  und  Coneanonikus 
im  Stadtbuch  zugeschrieben,  vielmehr  heisst  es  in  der  Urkunde: 
„ . . licet  ad  manus  Arnoldi  Nigri  ciuis  Lubicensis  sit 
„resignata  et  scripta  secundum  conswetudinem  ciuitatis . 

>)  Rehme  a.  a.  0.  S.  202  verlegt  diese  Aendernng,  nämlich  das  Auf- 
kommen der  Treuhänder,  erst  in  das  Ende  des  14.  Jahrhunderts.  Es  ist  dies 
nicht  richtig.  Schon  im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  wird  dies  Verfahren 
in  einer  Weise  uns  bezeugt,  die  bereits  ein  längeres  Bestehen  desselben 
voraussetzt.  Vgl.  Lttb.  Urkb.  H.  Nr.  335  S.  279  anno  1315. 

3)  In  diesem  Verfahren  ist  daher  keine  Umgebung  des  Stadtrechtes  zu 
sehen,  wie  Stobbe  in  Zeitgeb.  f.  Rechtsgeschichte  Bd.  VII.  S.  432  fg.  meint. 
Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  S.  204  Note  48.  Heusler,  Institutionen  Bd.  I.  S.  228. 

3)  Lüb.  Urkb.  LL  Nr.  335  S.  279. 


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24 


Nach  der  Gewohnheit  der  Stadt,  nicht  kraft  Gesetzesvorschrift 
wurde  nicht  der  Käufer,  sondern  ein  Lübecker  Bürger  als 
Eigentümer  in  das  Stadtbuch  eingetragen.  Man  sieht  daraus, 
dass  ein  derartiges  Verfahren  bereits  1315  allgemein  eingebürgert 
gewesen  ist.  Hier  in  dieser  Urkunde  wird  allerdings  der  Grund 
des  Verfahrens  noch  nicht  angegeben.  Es  wird  einfach  kon- 
statiert, dass  nicht  der  Geistliche,  sondern  ein  Bürger,  dieser 
aber  nur  „ad  manus“,  als  Eigentümer  im  Stadtbuch  eingetragen 
ist.  In  späteren  Urkunden  wird  dann  auch  der  Grund  dieses 
ganzen  Verfahrens  angegeben.  Mir  sind  derartige  Angaben 
jedoch  erst  aus  dem  Anfänge  des  15.  Jahrhunderts  bekannt. 
So  heisst  es  in  einer  Eintragung  in  dem  Niederstadtbuch,  dass 
ein  Haus  mehreren  Personen  nur  deswegen  im  Oberstadtbuch 
zugeschrieben  sei  „eo  quod  secundum  statutum  Lubicensis  ciuitatis 
presbiteris  hereditates  asscribi  non  debeant  pro  sua  empta  re“.1) 
Und  bereits  im  Jahre  1403  hatte  der  Bürgermeister  von  Lübeck 
gelegentlich  einer  Anfrage  des  Rates  der  Stadt  Reval  erklärt:  „dat 
men  nenen  gestliken  luden  in  unser  stad  buk  gestlik  gut  plecht 
laten  to  scriuende“.2)  Diese  Beispiele  zeugen  deutlich,  wie  man 
in  der  damaligen  Zeit  den  Grundgedanken  jener  Verbote  erfasst 
hatte.  Die  Anwendung  der  Treuhänder  bei  der  Geistlichkeit 
entsprang  lediglich  der  Bestimmung,  dass  die  Geistlichkeit  im 
Stadtbuch  nicht  eingetragen  werden  sollte.  Gemäss  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  dieser  Gesetzgebung  verwendete  man  die 
Treuhänder  sowohl  für  den  Liegenschaftserwerb  durch  einzelne 
Geistliche3)  als  auch  durch  geistliche  Anstalten,4)  seien  es  nun 
Kirchen  und  Klöster  oder  fromme  Stiftungen.  Dies  gebt  auch 
aus  dem  Wortlaut  der  soeben  erwähnten  Urkunde  von  1403 
- hervor.  Unter  „gestliken  luden“  hat  man  nicht  nur  den  einzelnen 
Geistlichen,  sondern  auch  die  geistliche  Anstalt  zu  verstehen. 

>)  Ltlb.  Urkb.  V.  Nr.  216  S.  218  atmo  1408.  Vgl.  ferner  ibid.  V.  Nr.  359 
S.  401  anno  1411;  V.  Nr.  407  S.  448  anno  1412;  V.  Nr.  517  S.  662  anno 
1414;  IX.  Nr.  473  S.  471  anno  1457;  X.  Nr.  579  8.  589  anno  1465. 

3)  Liib.  Urkb.  V.  Nr.  72  S.  71.  Vgl.  Kebme  a.  a.  0.  S.  204.  Uartwig 
a.  a.  0.  S.  84. 

*)  Vgl.  die  in  Anm.  1 angegebenen  Stellen. 

«)  Vgl.  z.  B.  Ltib.  Urkb.  IV.  Nr.  437  S.  482  anno  1384;  ibid.  V.  Nr.  641 
8.  728,  1417;  vgl.  auch  ibid.  VI.  Nr.  194  S.  234,  1420;  VII.  Nr.  375  S.  361,  1430; 
IX.  Nr.  339  S.  340,  1456;  IX.  Nr.  473  S.  471,  1457;  IX.  Nr.  168  S.  167 
1463;  vgl.  auch  Mitteilungen  a.  a.  0.  IV.  S.  156  Nr.  72. 


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25 


Sachlich  war  das  Anwendungsgebiet  der  Treuhänder  bezüglich 
der  Geistlichkeit  nicht  auf  die  Uebertragung  von  Liegenschaften 
beschränkt.  War  früher  nicht  nur  die  Uebertragung  von  Eigen- 
tum an  Liegenschaften  auf  die  Geistlichkeit  verboten,  sondern 
war  es  nicht  einmal  erlaubt  auch  sonstige  dingliche  Rechte  für 
die  Geistlichkeit  zu  bestellen,1)  so  waren  jetzt  Verpfändungen 
oder  Rentenbestellungen  für  die  Geistlichkeit  nur  mit  Hülfe  der 
Treuhänder  möglich.  Während  mir  Treuhänder  bei  Verpfandungen 
nur  in  wenigen  Beispielen  bekannt  sind,2)  finden  sich  mehrere 
Stellen,3)  wo  sie  bei  der  Bestellung  von  Renten  für  die  Geist- 
lichkeit verwendet  sind.4) 

In  welcher  Weise  sich  die  Kirche  gegen  diese  städtischen 
Vorschriften  gewahrt  hat,  wie  sie  teils  heftige  Kämpfe  mit 
Lübeck  zu  bestehen  hatte,  das  alles  fällt  aus  dem  Rahmen 
dieser  Arbeit  hinaus.5)  Ebenso  wenig  interessiert  hier,  dass 
von  Seiten  der  Stadt  später  gegen  die  Zuschreibungen  zu  treuen 
Händen  eingeschritten  ist.6)  Erwähnt  mag  jedoch  werden,  dass  auch 
zu  Zeiten,  als  man  der  Geistlichkeit  das  Oberstadtbuch  verschloss, 
es  dennoch  vorgekommen  ist,  dass  der  Geistlichkeit  unter  ge- 
wissen Kautelen  Liegenschaften  oder  Renten  im  Oberstadtbuch 
ohne  weiteres  zugeschrieben  worden  sind.7) 

§ 3.  (Fortsetzung.) 

b)  Die  Fremden. 

Nachdem  im  vorigen  Paragraphen  die  städtische  Gesetz- 
gebung in  Lübeck  bezüglich  der  Grundbesitzverhältnisse  der 


■)  Vgl.  obeu  8.  11  Amn.  1. 

*)  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  159  S.  »04,  1419.  VIII.  Nr.  664  8.  705,  1450. 

’)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  563  8.  597,  1415;  Nr.  349  8.  379,  1410;  VI. 

Nr.  169  8.  204,  1419;  VI.  Nr.  296  8.  826,  1420;  VI.  Nr.  305  8.  336,  1421; 

VI.  Nr.  547  S.  543,  1423;  V.  Nr.  350  8.  379,  1411;  X.  Nr.  679  S.  689,  1466. 

4)  Vgl.  auch  Rehme  a.  a.  O.  S.  203.  Ungenau  wohl  Hartwig  a.  a. 
0.  8.  85  Note  1. 

6)  Vgl.  darüber  Hartwig  a.  a.  O.  8.  76  fg.,  86.  Rehme  a.  a.  0. 
S.  197  fg.  Pauli,  Abh.  III.  8.  281. 

•)  Dreyer  a.  a.  O.  8.  94.  Rev.  Stat.  I.  2,  6.  Vgl.  Rehme  a.  a.  0. 
8.  204.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  86. 

7)  Vgl.  z.  B.  Pauli,  Abh.  IV.  Urkb.  A.  Nr.  354  anno  1511;  Mit- 
teilungen a.  a.  0.  III.  S.  145  Aum.  1.  Vgl.  Hartwig  a.  a.  0.  8.  86. 


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26 


Geistlichkeit  im  Einzelnen  klar  gelegt  ist,  kann  ich  mich  be- 
züglich der  Fremden  kürzer  fassen.  Einmal  hat  die  Gesetz- 
gebung fast  denselben  Gang  genommen,  wie  bei  der  Geistlichkeit. 
Dann  aber  sind  mir  auch  nicht  so  viele  Urkunden  über  Liegen- 
schaftserwerb durch  Fremde  in  Lübeck  bekannt.  Die  Fälle,  in 
denen  Fremde  in  Lübeck  Grundeigentum  erworben  haben,  werden 
wohl  nicht  so  häufig  eingetreten  sein.  Konnten  doch  Fremde 
einen  dauernden  Aufenthalt  in  Lübeck  in  der  Regel  nicht 
nehmen.1)  Immerhin  liegen  uns  jedoch  genügend  Urkunden  vor,  um 
ein  Bild  von  der  mittelalterlichen  G esetzgehung  bezüglich  des  Liegen- 
schaftserwerbes durch  die  Fremden  in  Lübeck  zu  gewinnen. 

Fragen  wir  zunächst,  wer  ist  ein  Fremder  oder,  wie 
man  sie  im  Mittelalter  allgemein  nannte,  wer  ist  ein  Gast? 
Im  Gegensatz  zu  anderen  Rechten2)  giebt  uns  das  Lübische 
Recht  keine  ausdrückliche  Antwort.3)  Und  doch  ist  die  Antwort 
für  die  vorliegende  Arbeit  von  einem  gewissen  Wert.  Wird 
doch  vielfach4)  ein  Unterschied  zwischen  dem  Begriff  der  Gäste 
und  der  Einwohner  nicht  gemacht,  ja  man  rechnet  hin  und 
wieder  die  Einwohner  zu  den  Gästen  und  unterwirft  sie  denselben 
Beschränkungen.5)  Für  Lübeck  kann  es  m.  E für  zweifellos 
gelten,  dass  die  Gäste  nicht  mit  den  Einwohnern  auf  dieselbe 
Stufe  gestellt  werden  können.6)  Gäste  und  Einwohner  sind 
zwei  grundverschiedene  Klassen.7)  Einwohner  sind  diejenigen 
Bewohner  einer  Stadt,  die  zwar  nicht  zu  dem  engeren  Bürger- 


J)  S.  oben  S.  6. 

*)  Vgl.  z.  B.  Goalaer  Statuten  (lierg.  von  Göschen)  S.  101  Z.  26. 
Magd.  Frg.  II.  2,  8.  Wassemchleben,  Deutsche  Rechtsquellen  des  Mittel- 
alters (1892)  I.  cap.  144,  145. 

s)  Gast  wird  auch  gebraucht  lür  Randsaase.  Vgl.  z.  B.  Ssp.  Lehur.  73 
§ 2.  Vgl.  auch  R.  Schröder,  Rechtegeschichte  (3.  Aufl.)  S.  447  Note  73. 

4)  Vgl.  Varges  in  den  Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und  Statistik 
III.  Folge  Bd.  IX.  S.  511.  R.  Schröder  a.  a.  O.  S.  623  Anm.  54.  Hertz, 
Rechtsverhältnisse  des  freien  Gesinde»  (Untersuchungen  zur  deutschen  Staats- 
und Rechtsgescbichte  Heft  6)  S.  10,  vgl.  dagegen  aber  S.  6 Anm.  6. 

h)  ln  Gonstanz  unterlagen  nach  Beyerle  a.  a.  0.  S.  76  die  eingesessenen 
Nichtbürger  allerdings  bezüglich  des  Grundeigentumerwerbes  denselben  Be- 
stimmungen wie  die  Gäste. 

*)  Vgl.  Rehine  a.  a.  O.  S.  199  Anm.  25.  Pauli,  Zustände  Bd.  I. 
S.  65  fg.  Stein,  Gründliche  Abhandlung  des  Lübischen  Rechtes  Theil  I. 
(1738)  p.  64. 

7)  Vgl.  jetzt  auch  Rudorff  a.  a.  0.  S.  5 fg. 


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27 


verbände  zugelassen  sind,  die  aber  immerhin  zu  dem  Gemeinde- 
verbande  der  Stadt  gehören.1)  In  welche  Zeit  die  Spaltung 
der  Bewohner  Lübecks  in  die  eigentlichen  Bürger  und  die  sog. 
Einwohner  zurückgeht,  lässt  sich  nicht  mehr  feststellen.  Bereits 
die  ältesten  Recbtsaufzeichnungen  des  lübischen  Hechtes  enthalten 
aber  einen  Satz,  der  uns  einen  grossen  Vorrang  einer  Klasse 
von  Bewohnern  zeigt.  Schon  die  älteste  Lübecker  Ratsordnung 
aus  der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  knüpft  die  Fähigkeit,  Mitglied 
des  Rates  zu  sein,  daran,  dass  der  Betreffende  „sine  neringe  mit 
handwerke  nicht  ghewunnen  hebbe“.2)  Ausserdem  wird  weiter 
verlangt,  dass  der  Betreffende  echt  und  recht  geboren,  nicht 
eines  Geistlichen  Sohn  sei,  in  niemandes  Dienste  stehe  u.  s.  w , 
ganz  abgesehen  davon,  dass  er  Grundbesitz  in  der  Stadt  haben 
musste.  Wir  sehen  daraus,  dass  bereits  in  der  ältesten  Zeit 
eine  ganze  Anzahl  Personen  aus  dem  Kreise  der  vollberechtigten 
Bürger  ausscheiden  musste:  einmal  alle  diejenigen,  die  kein 
„torfacht  egen“  besassen  und  dann  diejenigen,  die  durch  Hand- 
werk ihren  Unterhalt  gewannen  oder  die  irgendwie  anrüchig 
waren.  Ob  man  ihnen  überhaupt  die  Möglichkeit  eröffnete, 
Vollbürger  zu  werden,  lässt  sich  für  die  älteste  Zeit  nicht  mehr 
feststellen.3)  Für  die  spätere  Zeit  ist  es  zweifellos,  dass  auch 
Handwerker  und  nicht  erbgesessene  Bewohner  das  Bürgerrecht 
erwerben  konnten,  ja  erwerben  mussten.4)  In  späterer  Zeit 
mussten  alle  wirtschaftlich  selbständigen  Bewohner  Lübecks 
Bürgerrecht  erwerben.5)  Alle  nicht  selbständigen  dagegen,  wie 
Gesinde  und  Gesellen,  bildeten  die  Klasse  der  Einwohner.  Der- 


')  Die  Einwohner  oder  Beisassen  werden  liänfig  als  diejenigen  Bewohner 
einer  Stadt  definiert,  die  trotz  dauernder  Anwesenheit  kein  Bürgerrecht  in 
ihr  erworben  haben.  Vgl.  z.  B.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  26.  v.  Below  im 
Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften  (2.  Aull.)  Bd.  II.  S.  1205.  Vgl. 
auch  Stein  a.  a.  0.  Theil  I.  S.  62.  Für  Lübeck  trifft  dies  nicht  zu.  Gab 
es  doch  auch  Gäste,  dio  längere  Zeit  in  Lübeck  sich  aufhielten  und  trotzdem 
nicht  zu  den  Einwohnern  rechneten.  In  den  Gästeregistern  kehren  nach 
Hartwig  a.  a.  0.  S.  30  die  meisten  Namen  der  Gäste  von  Jahr  zu  Jahr 
wieder  und  nur  selten  wird  vermerkt:  „der  is  nu  borger“. 

а)  Lüb.  Urkb.  I.  Nr.  4.  Vgl.  auch  Pauli,  Zustände  I S.  67  fg. 

*)  Hartwig  a.  a.  O.  S.  17  scheint  dies  anzuuehmen. 

4)  Vgl.  Hantele,  Ueber  die  beiden  ältesten  BUrgermatrikel  (1854)  S.  10. 

б)  Hartwig  a.  a.  0.  S.  16. 


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28 


jenige  „de  in  Koste  ghad“1)  ist  Einwohner.  Dazu  rechneten 
auch  die  im  Dienste  der  Stadt  stehenden  Bewohner.2)  Ursprüng- 
lich gehörten  alle  diese  Personen  zur  Familie  ihres  Brotgebers.3) 
Wie  sie  unter  seinem  Schutze  standen,  so  hatte  ihr  Herr  ihnen 
gegenüber  ein  Züchtigungsrecht.4)  Allmählich  jedoch  machten 
sich  auch  diese  Personen  von  dem  persönlichen  Verhältnis  zu 
ihrem  Brotherrn  frei;  ihre  Zahl  vermehrte  sich  durch  Zuzug 
von  ausserhalb,5)  so  dass  sie  schliesslich  als  eine  besondere 
Klasse  von  Bewohnern  angesehen  wurden,  die  zwar  kein  Bürger- 
recht im  eigentlichen  Sinne  besassen,  die  aber  zum  Gemeinde- 
verbande  gehörten.6)  Dies  kommt  auch  in  der  städtischen 
Gesetzgebung  zum  Ausdruck.  In  den  Verordnungen  des  Rates 
werden  sie  vielfach  als  eine  besondere  Klasse  aufgeführt;7)  sie 
genossen  denselben  Frieden  wie  die  Bürger,  hatten  einen  An- 
spruch auf  den  Schutz  der  Stadt,  wie  sie  auch  ihren  Gerichts- 
stand vor  dem  Gerichte  der  Stadt  hatten.8)  An  den  eigentlichen 
Rechten  und  Pflichten  der  Bürger  nehmen  sie  aber  keinen  Teil. 
Auch  unterlagen  sie  im  allgemeinen  nicht  der  Schosspflicht.9) 
Dass  in  Lübeck  streng  zwischen  Einwohnern  und  Gästen  ge- 
schieden wird,  bezeugen  einzelne  Artikel  dos  Lübischen  Rechtes.10) 

')  Lüb.  Urkb.  V.  S.  378. 

ä)  Lüb.  Urkb.  X.  Nr.  155  S.  160  anno  1462. 

s)  Vgl,  Maurer,  Geschichte  der  St&dteverfassung  in  Deutschland 
Bd.  II.  (1870)  S.  222.  V arges  a.  a.  O.  Bd.  IX.  S.  510. 

«)  Hach  III.  351. 

6)  Pauli,  Zustände  Bd.  I.  S.  63.  Mantels  a.  a.  O.  S.  9 u.  10. 

«)  Vgl.  Lüb.  Urkb.  L Nr.  269  S.  252.  Vgl.  Maurer  a.  a.  0.  Bd.  II. 
S.  222,  226,  792.  Varges  a.  a.  O.  Bd.  IX.  S.  610.  Stein  a.  a.  O.  Bd.  L 
S.  63.  Rndorff  a.  a.  O.  S.  5fg. 

’)  Vgl.  z.  B.  Mitteilungen  a.  a.  0.  I.  S.  15.  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  568 
S.  648.  V.  Nr.  34»  S.  378,  1410.  Hacb  IV.  4.  Vgl.  auch  Hartwig  a.  a. 
O.  S.  27.  — Ob  in  H ach  I.  24  „ciuis  aut  burgensis“  den  Gegensatz  von  Bürger 
und  Einwohner,  wie  dies  Deecke.  Grundlinien  zur  Geschichte  Lübecks 
(1839)  S.  37  annimmt,  andeuten  will,  erscheint  mir  zweifelhaft.  Vgl.  auch 
Hartwig  a.  a.  O.  S.  18  Note  4. 

*)  Vgl.  jetzt  bes.  Rudorff  a.  a.  O.  S.  10. 

»)  Vgl.  jedoch  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  349  S.  378.  V.  Nr.  668  S.  648. 
Hartwig  a.  a.  O.  S.  26  fg. 

I0)  Hach  I.  110,  Ul,  113—115.  Revid.  Statuten  I.  2,  6.  Mevius 
ad.  h.  a.  Vgl.  auch  Lüb.  Urkb.  I.  Nr.  710  S.  639,  I.  Nr.  711  S.  640. 
Hach  IV.  4.  Vgl.  auch  Rehme  a.  a.  O.  S.  199  Note  25.  Pauli,  Zu- 
stände Bd.  I.  S.  65  fg.  Rudorff  a.  a.  0.  S.  13. 


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29 


Es  mag  dies  genügen,  um  darzutun,  dass  in  Lübeck  wenigstens 
Einwohner  und  Gast  zwei  ganz  getrennte  Begriffe  waren  und 
dass  e&  nicht  angeht,  ohne  besondere  Bestimmung  die  Vorschriften, 
die  für  Gäste  gelten,  auch  für  die  Einwohner  gelten  zu  lassen. 
Im  Gegensatz  zum  Einwohner  sind  Fremde  oder  Gäste  Personen, 
die  weder  dem  geistlichen  noch  dem  Ritterstande  angehören, 
und  die  zu  der  Stadt  als  solcher  in  keiner  weiteren  Beziehung 
stehen.  Sie  rekrutieren  sich,  soweit  sie  für  Lübeck  hauptsäch- 
lich in  Frage  kommen,  meist  aus  Kaufleuten  oder  Handwerkern, 
die  ihres  Berufes  wegen  nach  Lübeck  gekommen  sind.1)2)  Mit 
dem  Begriff  des  Gastes  hat  es  natürlich  nichts  zu  tun,  ob 
derselbe  sich  in  Lübeck  selbst,  sei  es  vorübergehend,  sei  es 
durch  die  Gnade  des  Rates,3)  auf  längere  Zeit  aufhielt  oder 
nicht.4)  Auch  ohne  dass  ein  Fremder  selbst  nach  Lübeck  kam, 
konnte  er  unter  Umständen  mit  Lübeck  in  Verbindung  kommen. 
Man  braucht  nur  an  das  Erbrecht  zu  denken.  Gäste  sind  die 
Angehörigen  eines  anderen  Rechtskreises.  Der  Angehörige  einer 
anderen  Stadt  oder  ein  Bewohner  des  platten  Landes  ist  für 
einen  anderen  Rechtskreis  ein  Fremder,  der  im  allgemeinen5) 
der  städtischen  Gerichtsbarkeit  nicht  unterworfen  ist  und  der 
an  den  öffentlichen  Rechten  und  Pflichten  der  Stadtbürger  keinen 
Teil  hat.8)  In  fast  allen  Städten  hat  sich  daher  ein  vom  Stadt- 
recht verschiedenes  Gästerecht  gebildet. 

Ursprünglich  scheint  auch  in  Lübeck,  wie  überall,  die 
städtische  Gesetzgebung  den  Fremden  nicht  feindlich  gegenüber- 
gestanden zu  haben.  Ja,  man  duldete  nicht  nur  die  Fremden, 
man  gewährte  ihnen  auch  mannigfache  Vorteile  und  suchte  durch 
Zuzug  von  Fremden  die  junge  Stadt  zu  grösserer  Macht  und 
und  grösserer  Blüte  zu  bringen.7)  Dies  änderte  sich  jedoch 


*)  Vgl.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  29  Note  3.  v.  Below  a.  a.  O.  Bd.  III. 
S.  1^83  f. 

а)  Doch  finden  sich  auch  Vertreter  liberaler  Berufe  unter  den  Gästen. 
Vgl.  Hartwig  a.  a.  O. 

*)  Wenn  sich  Güte  längere  Zeit  in  Lübeck  aufhalten  wollten,  bedurften 
sie  der  Erlaubnis  des  Rates.  Hach  II.  180,  232. 

*)  Dies  behauptet  Hartwig  a.  a.  O.  S.  29. 

б)  Vgl.  Planck,  Das  deutsche  Gerichtsverfahren  im  Mittelalter  Bd.  1. 
(1879)  S.  78  fg.  Rudorff  a.  a.  O.  S.  19  fg.,  37  fg. 

*)  Vgl.  v.  Below  a.  a.  O.  Bd.  III.  S.  1284.  Rudorff  a.  a.  O.  S.  18. 
7)  Vgl.  v.  Below  a.  a.  0 Bd.  HI.  S.  1288. 


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30 


sehr  bald.  Nachdem  einmal  Lübeck  zu  einer  Metropole  des 
Landes  geworden  war1)  und  von  fern  und  nah  in  hellen  Haufen 
Fremde  zuströmten,  musste  die  Stadt  darauf  bedacht  sein,  die 
Konkurrenz,  die  die  Fremden  ihren  eigenen  Bürgern  machten, 
abzuschwächen  und  durch  allerlei  Beschränkungen2)  den  schäd- 
lichen Wirkungen  des  Zuzuges  von  Fremden  entgegenzutreten. 
So  gelangte  man  schliesslich  dazu.  Fremden  einen  dauernden 
Aufenthalt  in  Lübeck  ganz  zu  verbieten,  nur  mit  besonderer 
Erlaubnis  des  Rates  konnten  Fremde  für  längere  Zeit  in  Lübeck 
ihren  Wohnsitz  nehmen.  Damit  allein  war  es  aber  nicht  getan. 
Der  Stadt  musste  auch  daran  gelegen  sein,  dass  nicht  städtisches 
Vermögen  in  grossem  Umfange  in  die  Hände  von  Fremden 
überging.  War  Fremden  der  dauernde  Aufenthalt  in  Lübeck 
verboten,  so  konnte  die  Stadt  auch  nicht  dulden,  dass  dauernd 
Werte  der  Stadt  entfremdet  wurden,  die  unter  städtischem 
Schutze  Stauden,  deren  Verwertung  aber  nicht  den  Bürgern  zu 
Oute  kam.  So  kam  man  dazu,  diejenigen  Werte,  die  in  damaliger 
Zeit  für  die  Machtstellung  einer  Person  den  Ausschlag  gaben, 
dem  Verkehr  mit  Fremden  zu  entziehen.  Es  war  das  der 
Grundbesitz  im  eigentlichen  Sinne  und  die  Grundrenten,  beides 
Faktoren,  die  im  Mittelalter  bei  der  unentwickelten  Kapital- 
wirtschaft von  grosser  Bedeutung  waren. 

Es  ist  falsch,  wenn  man  den  Stadtrechten  des  Mittelalters 
eine  fremdenfeindliche  Tendenz  unterschiebt.  Die  Städte,  nament- 
lich die  grossen  Handelsemporen,  kannten  genau  den  Vorteil, 
den  ein  grosser  Fremdenverkehr  mit  sich  brachte.  Man  wollte 
nur  die  nachteiligen  Folgen  eines  allzu  grossen  Ueberhandnehmens 
der  Fremden  beseitigen.  Und  wie  wir  heutzutage  auch  die 
Ausländer  von  den  öffentlichen  Rechten  eines  Inländers  aus- 
schliessen,  so  hat  man  auch  damals  Vorsorge  treffen  wollen, 
dass  die  Fremden  auf  das  städtische  Regiment  keinen  Einfluss 
gewinnen  konnten.  Hieraus  erklären  sich  hauptsächlich  jene 
Beschränkungen  bezüglich  des  Landerwerbes  durch  Fremde. 

Wann  sich  in  Lübeck  der  Umschwung  in  der  rechtlichen 
Behandlung  der  Fremden  vollzogen  hat,  kann  mit  Sicherheit 
nicht  festgestellt  werden.  Hier  kommt  nur  in  Frage  die  Stellung 


»)  Vgl.  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  242,  VI.  Nr.  397. 

*)  Vgl.  Hartwig  a.  a.  0.  8.  30.  v Below  a.  a.  O.  Btl.  III.  8.  1284  f. 


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31 


der  Fremden  gegenüber  dem  Erwerb  von  unbeweglichem  Ver- 
mögen. Die  Meinungen  gehen  hierin  auseinander.  Frensdorff1) 
meint,  dass  erst  das  revidierte  Statut  in  I.  2,  5 die  Fremden 
vom  Erwerb  des  Eigentumes  an  städtischem  Erbe  ausgeschlossen 
habe.  Rehme2)  setzt  den  Erlass  dieses  Verbotes  bereits  in 
das  Ende  des  14.  und  den  Anfang  des  15.  Jahrhunderts,  vorher 
sei  der  Verkauf  und  die  Vergabung  von  Grundstücken  an  Fremde 
zulässig  gewesen,  nur  das  Verbot  der  Rentenbestellung  und  der 
Verpfändung  habe  bereits  früher  bestanden.  Gegen  Frensdorff 
und  Rehme  hat  sich  bereits  Hartwig  gewendet.  Nach  ihm 
gehen  beide  Verbote  Hand  in  Hand.  „Warum“,  so  fragt 
Hartwig,  „soll  der  Bürger  sein  Haus  an  einen  Gast  verkaufen, 
nicht  aber  verpfänden  dürfen?“3)  Sehen  wir  uns  die  uns  erhaltenen 
Urkundenstellen  näher  an,  so  werden  wir  bei  eingehender 
Prüfung  der  Ansicht  Hartwigs  beitreten  müssen.  Die  ältesten 
lateinischen  Statuten  enthalten  über  diese  Frage  nichts.  Hier 
finden  wir  nur  das  Verbot  bezüglich  der  Geistlichkeit.  Nach 
Dreyer4)  erliess  der  Rat  erst  im  Jahre  1247  ein  Verbot,  dass 
kein  Gast  Weichbildsgeld  in  einem  Erbe  haben  sollte.  Die 
deutschen  Recensionen  des  Lübecker  Stadtrechtes  haben  diese 
Bestimmungen  aufgenommen: 

„Oc  so  ne  scal  nen  gast  hebben  wicbelde  ghelt  in 
„ienegheme  erue  in  vnser  stat“.5) 

Sie  gehen  sogar  noch  darüber  hinaus,  indem  sie  bestimmen: 

„Dhe  ghemene  Rat  is  des  to  rade  worden  dat  nen 
„borghere  mut  setten  sin  erue  vor  enen  gast  . . .“*) 
Die  deutschen  Redaktionen  stammen  frühestens  aus  der  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts.7)  Nach  den  eben  angeführten  Stellen 


>)  Frensdorff,  Verf.  S.  136  Anm.  43. 

*)  Rehme  a.  a 0.  8.  199. 

*)  Hartwig  a.  a.  0.  S.  76.  Vgl.  auch  Wehrmann  in  Zeitsch.  Bd. 
III.  8.  403. 

4)  Dreyer  a.  a.  0.  8.  86. 

6)  Hach  H.  244. 

•)  Hach  II.  226. 

7)  Vgl.  die  Schrift  von  Frensdorff,  Das  läbische  Recht  und  seine 
ältesten  Formen  (1883);  Kraut.  Qrundriss  zu  Vorlesungen  Uber  das 
deutsche  Privatrecht  (6.  Aufl.  bearb.  v.  Frensdorff  1886)  S.  27.  R. 
Schröder,  Kechtsgeschichte  S.  671. 


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32 


bestehen  ausdrücklich  nur  zwei  Verbote:  Einmal  die  Verpfändung 
von  „eruc“  an  einen  Gast.1)  Und  dann:  Kein  Gast  sollte  eine 
Rente  an  einem  „erue“  haben.  Also  nicht  nur  die  Bestellung, 
sondern  auch  die  Veräusserung  zu  Gunsten  eines  Gastes  war 
verboten;2)  ja  nach  dem  Wortlaut  des  Artikels  muss  man  sogar 
annehmen,  dass  auch  kraft  Erbrechtes  eine  Rente  nicht  auf  den 
Fremden  übergehen  konnte.  Denn  der  Artikel  wendet  sich 
nicht  an  die  Bürger,  sondern  nach  seinem  einfachen  Wortlaut 
will  er  ausdrücken,  dass  kein  Gast  eine  Rente  haben  soll.3) 

Andere  gesetzliche  Bestimmungen  sind  nicht  vorhanden. 
Rehme4)  schliesst  daher  folgendermassen:  Man  darf  den  Artikel 
über  die  Verpfändung  von  Grundstücken  an  Gäste  „nicht  extensiv 
interpretieren,  da  er  der  einzige  unter  den  Ver&usserungs -Ver- 
boten ist,  in  dem  der  Verpfändung  gedacht  wird,  und  noch  dazu 
in  jenem  Artikel  steht,  in  dem  der  Verkauf  an  Geistliche,  Ritter 
und  Hofleute  untersagt  wird“.  Rehme  stützt  seine  Ansicht 
aber  auch  noch  darauf,  dass  derselbe  Artikel  226  bezüglich 
der  Veräusserung  von  Liegenschaften  an  Geistliche,  Ritter  und 
Hofleute  verordnet : 

„Liker  wis  eset  bi  eneme  erue  dat  eneme  gaste  tu 

„höret  dat  hir  inder  stat  beleghen  is“. 

Wir  werden  sofort  sehen,  wie  dieser  Schluss  von  Art.  226  auch 
mit  unserer  Ansicht  sich  vereinigen  lässt.  Vorerst  einige  all- 
gemeine Bemerkungen  gegen  Rehmes  Ansicht,  die  auch  schon 
Hartwig  angedeutet  hat.  Gehen  wir  auf  den  Grundgedanken 
aller  dieser  Verbote  zurück.  Er  ist  darin  zu  suchen,  dass  die 
Stadt  ein  grosses  Interesse  daran  hatte,  dass  der  städtische 
Grund  und  Boden  in  den  Händen  der  Bürger  blieb  und  nicht 
durch  Veräusserung  an  Fremde  dem  allgemeinen  städtischen 
Nutzen  entzogen  werden  konnte.  Die  mit  dem  Grundbesitz 
verbundenen  Rechte  und  Pflichten  sollten  nicht  auf  jemand  über- 
gehen, der  der  städtischen  Jurisdiktion  nicht  unterlag,  den  die 
Stadt  zur  Erfüllung  seiner  Pflichten  nicht  anhalten  konnte. 


')  Rehme  a.  a.  0.  S.  199.  Hartwig  a.  a.  0.  8.  76.  Frenadorff, 
Verf.  S.  136. 

s)  Rehme  a.  a.  O.  Hartwig  a.  a.  O.  Frenadorff  a.  a.  O. 

*)  Diea  iat  bisher  m.  fi.  übersehen  worden. 

4)  Rehme  a.  a.  0. 


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33 


Nicht  das  persönliche  oder  wirtschaftliche  Interesse  der  einzelnen 
Mitbürger,  sondern  das  allgemeine  Interesse  der  Stadt  war  das 
massgebende  für  diese  Politik.1)  Rehme2)  verkennt  dies  auch 
nicht.  Er  zieht  hieraus  nur  nicht  die  notwendigen  Konsequenzen. 
Was  hat  es  für  einen  Zweck,  einem  Bürger  die  Verpfändung 
seines  Grundstückes  an  einen  Gast  zu  verbieten,  die  Veräusserung 
aber  zu  gestatten?  Sollte  man  nicht  eher  annehmen,  dass  die  Ver- 
äusserung verboten,  die  Verpfändung  aber  erlaubt  sei?  Die 
Verpfändung  kann  doch  wohl  nur  aus  dem  Zwecke  verboten 
sein,  weil  der  Gast  unter  Umständen  das  Grundstück  erwerben 
konnte.  Der  Grundgedanke  der  Beschränkungen  würde  m.  E. 
durch  die  Zulassung  der  Veräusserung  an  Fremde  gänzlich 
verwischt  worden  sein.  Und  dann  braucht  man  sich  ja  nur  die 
Wirkungen  der  Zulassung  der  Veräusserung  von  Grund  und 
Boden  an  Gäste  zu  vergegenwärtigen.  Grundbesitz  war  in 
Lübeck  jederzeit  schosspflichtig,  die  Gäste  waren,  wie  überall, 
anfangs  vom  Lübecker  Schoss  befreit,  sie  steuerten  dort,  wo 
ihnen  Bürgerrecht  zukam.3)  Gelangte  nun  Grundbesitz  durch 
Veräusserung  an  Gäste,  so  erlitt  der  städtische  Schoss  einen 
Ausfall,  was  natürlich  nicht  im  Interesse  der  Stadt  liegen  konnte. 
Aber  weiter:  in  Hach  II.  109  heisst  es: 

„So  we  en  dinc  tnghen  scholen  dat  it  war  si  de  scholen 
„binnen  der  stat  hebben  er  torfach  eghen  so  moghen 
„se  dat  wol  tnghen.“4) 

Würde  man  den  Erwerb  von  Grundbesitz  in  der  Stadt  durch 
Fremde  zulassen,  so  müsste  man  zu  dem  Resultat  kommen,  dass 
auch  Fremde  unter  Umständen  vollgültige  Zeugen  selbst  gegen 
Bürger  sein  konnten.  Ein  Resultat,  das  doch  kaum  annehmbar 
sein  dürfte. 

Bezüglich  der  Erwerbung  von  Renten  durch  Gäste  ist  das 
Verbot  ausdrücklich  ausgesprochen,  für  den  Erwerb  von  Grund- 
besitz müssen  wir  ein  solches  Verbot  annehmen.  Es  fragt  sich 
nur,  warum  ist  ein  derartiges  Verbot  in  den  Statuten  nicht 
enthalten.  Denn  auffällig  bleibt  es  immer,  dass  die  Statuten 


')  Vgl.  darüber  auch  Frensdorff,  Verf.  S.  134  fg. 

*)  Rehme  a.  a.  0.  S.  201. 
s)  Hartwig  a.  a.  0.  S.  29. 

4)  Vgl.  Hach  I.  67.  Pauli,  Zustände  Bd.  111.  S.  65  fg. 
Loening,  Grunderwerb  und  Treuhand  in  Lübeck  H 


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34 


eine  derartige  Bestimmung  nicht  erwähnen,  zumal  da  in  dem- 
selben Artikel  226  das  Verbot  des  Grunderwerbes  für  die  Geist- 
lichkeit ausdrücklich  hervorgehoben  wird.  Ich  glaube,  dass  der 
Grund  dafür  darin  zu  suchen  ist,  dass  Gäste  in  damaliger  Zeit 
überhaupt  kein  Grundeigentum  in  Lübeck  zu  erwerben  suchten. 
Ihnen  war  der  ständige  Aufenthalt  in  Lübeck  im  allgemeinen 
verboten,1)  es  konnte  ihnen  daher  auch  nicht  viel  daran  liegen, 
Lübecker  Grundeigentümer  zu  werden.  Bei  Verpfändungen  von 
Liegenschaften  und  bei  Rentenbestellungen  zu  Gunsten  von 
Gästen  war  dies  etwas  anderes.  Hier  handelte  es  sich  wirt- 
schaftlich nur  um  die  Verwertung  von  Kapital,  als  Grundeigentümer 
hätten  die  Gäste  ganz  andere  wirtschaftliche  Pflichten  zu  erfüllen 
gehabt.  Weil  kein  oder  doch  nur  ein  ganz  geringes  Bedürfnis 
für  eiu  ausdrückliches  Verbot  vorhanden  war,  darum  vermissen 
wir  auch  eine  darauf  abzielende  Bestimmung  in  den  Statuten. 
Uebrigens  möchte  ich  noch  bemerken,  dass  mir  keine  Stelle 
bekannt  ist,  in  der  einem  Fremden  Liegenschaften  in  Lübeck 
übertragen  worden  sind,  abgesehen  von  einzelnen  unten  noch 
besonders  zu  erwähnenden  und  besonders  gearteten  Fällen. 
Dagegen  finden  wir  bereits  im  13.  Jahrhundert  eine  Bemerkung, 
die  unsere  Ansicht  zu  unterstützen  geeignet  ist.  Wenigstens 
geht  aus  ihr  hervor,  dass  bereits  in  dieser  Zeit  das  Bestreben 
des  Lübecker  Rates  dahin  ging,  dass  Liegenschaften  an  Gäste 
nicht  übertragen  werden  sollten.  Als  der  Rat  von  Lübeck  dem 
Kloster  Reinfeld  im  Jahre  1266  gestattete,  ein  Erbe  nach 
Weichbildrecht  zu  besitzen,  wurde  dabei  von  dem  genannten 
Kloster  ausdrücklich  versprochen,  dass  es  nur  „vni  ex  ipsius 
concivibus“  verkauft  werden  dürfte.2)  Und  ebenso  wird  in  einer 
Urkunde  von  1315:l)  bestimmt,  dass  eine  hereditas  an  niemanden 
anderes  als  an  einen  Lübecker  Bürger  verkauft,  noch  auf  irgend 
eine  andere  Weise  veräussert  oder  verpfändet  werden  dürfte. 
Noch  schärfer  zeigt  uns  diesen  Grundsatz  eine  Urkunde  aus 
dem  Ausgang  des  14.  Jahrhunderts.4)  In  ihr  heisst  es: 

„Pretcrea  predicta  bona  nulla  alienatione  debent  in 
„aliquas  transferri  . . . personas  quascunque  ex- 

>)  Hach  II.  ISO,  II.  232. 

»)  Lttb.  Urkb.  I.  Nr.  283  S.  271. 

3)  Lüh.  Urkb.  11.  Nr.  335  S.  279. 

*)  Llib.  Urkb.  IV.  Nr.  611  S.  565  (1389). 


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35 


„traneas  seu  extra  ciuitatis  nostre  marchiam 
„morantes,  sed  solum  in  nostras  conciues  et  ipsos, 
„qui  in  nostra  marcliia  fecerint  mansionem  . . 

Diese  Quellenstelleu  allein  würden  für  unsere  Ansicht  nichts 
beweisen,  wenn  sie  dieselbe  auch  wahrscheinlich  machen.  In 
Verbindung  mit  dem  allen  diesen  Verboten  zu  Grunde  liegen- 
den Gedanken  aber  sind  sie  m.  E.  wohl  geeignet,  das  Verbot 
der  Uebertragung  von  Liegenschaften  an  Gäste  darzutun. 

Der  oben  angegebene  Schluss  von  Hach  II.  Art.  266  scheint 
nun  dafür  zu  sprechen,  dass  Gäste  „erue“  in  Lübeck  besitzen 
konnten.  Heisst  es  in  dieser  Stelle  doch  ausdrücklich  „cneme 
erue  dat  eneme  gaste  tu  höret“.  Schon  Hartwig1)  glaubt  hier 
den  rechtsgeschäftlichen  Erwerb  von  Liegenschaften  ausschliessen 
^cu  müssen.  Er  meint,  dass  Liegenschaften  nur  in  Folge  von 
Erbgang  in  die  Hand  Fremder  gelangt  sind.  Während  er  also 
jede  Veräusserung  von  Liegenschaften  an  Gäste  ablehnt,  meint 
er,  ebenso  wie  auch  Rehme,2)  dass  der  erbliche  Anfall  von 
Liegenschaften  in  Lübeck  an  Gäste  nio  verboten  gewesen  sei. 
Eine  Bestimmung,  weder  in  positiver  noch  in  negativer  Hinsicht, 
hierüber  finden  wir  im  Stadtrecht  nicht.  Zweifellos  ist  es,  dass 
Fremde  in  Lübeck  im  allgemeinen  erbberechtigt  gewesen 
sind.3)  Es  beweist  dies  auch  die  Menge  noch  vorhandener  sog. 
„toversichtsbreve“,4)  in  denen  die  obrigkeitliche  Behörde  einer 
fremden  Stadt  ihren  Angehörigen  bezeugt,  dass  sie  erbberechtigt 
und  erbfähig  seien.5)  Dass  die  Fremden  allerdings  einen  Teil 
des  Nachlasses,  den  sog.  „zehnten  Pfennig“  an  Lübeck  zahlen 
mussten,6)  ist  für  die  Zeit  des  Mittelalters  nicht  zu  verwundern. 
Sehen  wir  uns  nun  alle  „toversichtsbreve“  an,  so  finden  wir, 
dass  in  allen  der  Nachlass  der  Verstorbenen  nur  in  Geld  oder 


')  Hartwig  a.  a.  O.  S.  76. 

*)  Rehme  a.  a.  0.  S.  201. 

3)  Vgl.  Pauli,  Abh.  III.  S.  32. 

*)  Vgl.  Pauli,  Abh.  III,  S.  139.  Wehrmann  in  Zeitsch.  Bd.  III.  S.  363. 
6)  Vgl.  z.  B.  Liib.  Urkb.  II.  Nr.  852  S.  791;  Nr.  946  S.  874;  Nr.  952 
S.  879;  Nr.  965  8.  892;  Nr.  972  8.  895  u.  8.  w. 

*)  Vgl.  Hach  IV.  5.  Mich  eisen,  Der  ehemalige  Oberhof  zu  Lübeck 
und  seine  Rechtssprüche  ( 1839 j Nr.  194  8.  267.  Vgl.  auch  Lüb.  Urkb.  VIII. 
Nr.  427  8.  470  (1447).  — Ueber  die  Einnahmen  der  Stadt  aus  dem  zehnten 
Pfennig  in  den  Jahren  1421 — 1430  vgl.  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  428  8.  409. 

3* 


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36 


soustigen  beweglichen  Sachen  besteht.  Mir  ist  jedenfalls  keiner 
bekannt,  indem  auch  Liegenschaften  zum  Nachlasse  gehörten. 
Schon  diese  Tatsache  ist  bei  der  Menge  der  Toversichtsbriefe 
auffallend. 

Zweifellos  ist  es,  dass  zu  Lebzeiten  der  Lübecker  Bürger 
etwaige  auswärtige  Erben  ebenso  wie  die  Einheimischen  ein 
Beispruchsrecht  hatten.  Hierfür  sind  Zeugnisse  vorhanden.1) 
Beim  Tode  der  Lübecker  konnten  daher  die  Fremden,  die  seine 
Erben  waren,  da  sie  bereits  zu  Lebzeiten  des  Verstorbenen  ein 
gewisses  Anrecht  hatten,  mit  ihren  Ansprüchen  nicht  ohne 
weiteres  exkludiert  werden.  Andererseits  aber  treten  wieder 
jene  Bedenken  hervor,  die  die  Stadt  veranlasst  haben,  die  rechts- 
geschäftliche Uebertragung  von  Liegenschaften  an  Fremde  zu 
verbieten.  Wir  haben  oben2)  gesehen,  wie  man  sich  in  diesen  t 
Fällen  bei  Geistlichen  half.  Aehnliche  Verfahren  traten  auch 
gegenüber  Fremden  ein,  wenn  diese  nicht  überhaupt  vorzogen, 
Lübecker  Bürger  zu  werden.3)  Waren  die  Fremden  nicht 
Alleinerben,  sondern  waren  neben  ihnen  noch  einheimische  Erben 
vorhanden,  so  wurde  gewöhnlich  der  Anteil  der  Fremden  an 
den  nachgelassenen  Liegenschaften  von  den  einheimischen  Erben 
oder  einem  einzelnen  derselben  übernommen,  der  auswärtige 
Erbe  aber  in  Geld  abgefunden.  Oder  die  Liegenschaften  wurden 
überhaupt  verkauft  und  der  Erlös  unter  die  mehreren  ein- 
heimischen oder  auswärtigen  Erben  geteilt.  Für  den  ersten 
Fall  bietet  eine  Eintragung  im  Oberstadtbuch  von  1329  ein 
Beispiel.4)  Waren  dagegen  die  Fremden  Alleinerben,  so  mussten 
die  Liegenschaften  an  Lübecker  verkauft  werden  und  nur  der 
Erlös  bildete  den  Nachlass,  der  dem  auswärtigen  Erben  anheim 
fiel.  Ein  derartiges  Verfahren  zeigt  eine  Oberstadtbuchs-Ein- 
tragung  von  1316,  in  der  besonders  hervorgehoben  wurde,  dass 
die  auswärtigen  Erben  „exigentibus  specialibus  necessitatibus  suis“ 
die  ererbte  Liegenschaft  veräussern  mussten.5)  Am  deutlichsten 
geht  aber  aus  einer  Eintragung  in  das  Niederstadtbuch  von 


*)  Vgl.  Pauli,  Abh.  I.  S.  132  Note  220a.  Rehme  a.  a.  0.  Urkb. 
Nr.  30  S.  278,  vgl.  auch  S.  133. 

*)  Vgl.,  oben  S.  16  fg. 

*)  Rehme  a.  a.  O.  Urkb.  Nr.  188  S.  318,  1350. 

4)  Pauli,  Abh.  1.  S.  100  Anm.  170a. 

6)  Rehme  a.  a.  0.  Urkb.  Nr.  105  S.  294. 


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37 


1397* ) hervor,  dass  die  Stadt  den  Erwerb  von  Liegenschaften 
durch  Gäste  selbst  im  Wege  des  Erbrechtes  nicht  duldete. 
Hier  heisst  es: 

„Notandum,  quod  ad  Hinricum  Hagemester  civem 
„Wismariensem  devenit  quedam  domus  sita  in  plathea 
„Mengonis  in  cono  supra  platheam,  que  dicitur  quinque 
„domus,  per  mortem  Bertoldi  Lezemans  pie  defuncti 
„patris  Cristine  uxoris  Hinrici  ejusdem  jure  hereditario. 
„Sed  quia  idem  Hinricus  civis  hujus  civitatis  non  est, 
„quare  sibi  eadem  domus  in  libro  hereditatum  non  potest 
„annotari  eandem  domum  Bernardo  Vrouderyk  coram 
„consilio  impignoravit  pro  puadringentis  et  quinquaginta 
„marcis  denariorum  Lubicensium  in  quibus  sibi  ibidem 
„recognovit  se  obligatum.  Scriptum  ex  jussu  consilii“.2) 
Diese  Niederstadtbuchseintragung  gehört  bereits  einer  Zeit  an, 
wo  die  Eintragung  ins  Oberstadtbuch  im  Falle  des  Erwerbes 
durch  Erbgang  notwendig  war.:i)  Da  Gäste  im  Oberstadtbuch, 
wie  wir  gleich  sehen  werden,  nicht  eingetragen  werden  konnten, 
so  konnten  sie  auch  auf  diese  Weise  nicht  in  den  Besitz  von 
Liegenschaften  gelangen.  Einen  Erbanspruch  besassen  die 
Gäste.  Das  zeigen  deutlich  die  Worte  „.  . . devenit  . . . per 
mortem  Bertoldi  . . . jure  hereditario“,  die  aber  nicht,  wie 
Rehme  meint,  schon  den  Erwerb  durch  Erbgang  dokumentierten, 
wenn  auch  genau  dieselben  Worte  bei  den  Eintragungen,  die 
sich  auf  den  Erwerb  durch  Erbgang  von  Seiten  Lübecker  Bürger 
beziehen,  angewendet  werden.  Die  Stelle  ist  meiner  Ansicht 
nach  dahin  aufzufassen:  Der  fremde  Erbe,  der  an  und  für  sich 
als  nächster  Erbe  die  Liegenschaft  hätte  erhalten  müssen,  kann 
die  Liegenschaft  zu  vollem  Eigentum  nicht  erhalten,  weil  er 
ein  Nichtbürger  ist.  Das  Erbrecht  gewährt  dem  Fremden 
also  nur  einen  Anspruch  auf  den  Erlös  oder  die  Nutzungen  der 
Liegenschaft,  nicht  aber  geht  das  Eigentum  voll  und  ganz  auf 
ihn  über.  Allerdings  bedurfte  es  anfangs  bei  Lübecker  Bürgern 
zum  Erwerb  der  Liegenschaft  durch  Erbgang  keiner  Eintragung 


’)  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  660  8.  738.  Vgl.  auch  Rehme  a.  a.  O.  S.  201. 
Pauli,  Abh.  IV.  Urkb.  B.  Nr.  46. 

a)  Vgl.  über  die  Stelle  Rehme  a.  a.  0.  Pauli,  Abh.  IV.  8.  138. 

3)  Rehme  a.  a.  0.  S.  260. 


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38 


in  das  Oberstadtbnch.  Wenn  man  dies  jedoch  auch  für  Fremde 
annehmen  wollte,  so  würde  man  zu  dem  Resultate  gelangen, 
dass  Fremde  auch  die  mit  dem  Grundeigentum  verbundenen 
öffentlichen  Rechte  hätten  ausftben  können.  Dass  Fremde  nicht 
dauernd  Eigentümer  einer  Lübecker  Liegenschaft  sein  konnten, 
ergiebt  sich  auch  aus  einer  Randbemerkung  im  Oberstadtbuch 
aus  dem  Jahre  1373, *)  die  lautet: 

„Dornum  dedit  E.  in  suo  testamento  D.,  cui  tarnen  non 
„potuit  asscribi  et  qui  eam  vendidit  F.  infra  1419 
„Mauricii“. 

Auch  in  diesem  Falle  wurde  der  Fremde  gezwungen,  das  ihm 
vermachte  Haus  an  einen  Bürger  weiter  zu  veräussern.  Nach 
allen  diesen  Zeugnissen  müssen  wir  annchmen,  dass  auch  durch 
Erbgang  Gäste  in  Lübeck  keine  Liegenschaft  zu  vollem  Eigen- 
tum erlangen  konnten.  Sie  mussten  sie  entweder  sofort  wieder 
veräussern  oder  wenigstens  an  Lübecker  Bürger  sofort  ver- 
pfänden. 

Auf  derartige  Fälle  bezieht  sich  nun  m.  E.  der  Schluss 
von  Hach  II.  226.  Er  will  nur  ausdrücken,  dass  dann,  wenn 
Gäste  gezwungen  wurden,  die  ihnen  an  und  für  sich  kraft  Erb- 
rechtes zustehenden  Liegenschaften  zu  verkaufen,  sie  die  Grund- 
stücke ebenfalls  nur  an  Lübecker  Bürger  verkaufen  durften. 
Einen  Schluss  darauf,  dass  Gäste  in  Lübeck  im  allgemeinen 
Grundeigentum  erwerben  konnten,  kann  man  m.  E.  aus  dieser 
Bestimmung  des  Stadtrechtes  nicht  ziehen. 

Uebrigens  gab  es  auch  einige  Fälle,  in  denen  den  Fremden, 
namentlich  fremden  Städten,  der  Grundeigentumserwerb  frei 
gegeben  wurde.  Aber  in  allen  dieseu  Fällen  handelte  es  sich, 
ebenso  wie  bei  der  Geistlichkeit,  um  eine  besondere  Vergünsti- 
gung, die  den  Fremden  gewährt  wurde.  Einen  Anspruch  hatten 
sie  nicht  darauf.  Und  jedesmal  musste  von  ihnen  ausdrücklich 
erklärt  werden,  dass  das  Grundeigentum  dem  städtischen  Rechte 
unterstellt  blieb  und  dass  der  Eigentümer  zu  den  öffentlichen 
Lasten  wie  jeder  Bürger  beizutragen  hätte.2) 


')  Rehme  a.  a.  0.  S.  91. 

»)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  648  S.  735  (1397).  Lüb.  Urkb.  IX. 
Nr.  891  8.  927  (1460).  Zeitschrift  des  Vereins  für  Hambargische  Geschichte 
Bd.  V.  S.  110  (1480).  Vgl.  Lüb.  Urkb.  VIII.  Nr.  253  8.  298.  Lüb.  Urkb. 
V.  Nr.  244  S.  243  (1409.). 


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39 


Die  Weiterentwicklung  vollzog  sich  nnn  in  denselben  Bahnen, 
wio  bei  der  Geistlichkeit.  Man  ging  allmählich  zu  dem  System 
der  Zuschreibungen  zu  treuen  Händen  im  Oberstadtbuch  über. 
Die  erste  mir  bekannte  Zuschreibung  zu  treuen  Händen  im 
Oberstadtbuch  bezüglich  von  Fremden  stammt  aus  dem  Jahre 
1383.1)  Im  Jahre  1410  heisst  es  in  einer  Schossverordnung: 
„.  . . Vortmer  weme  vppe  louen  eruen  eflle  rente  to 
„schrcuen  steit,  dat  sv  van  gestliken  edder  van  werliken 
„Personen  . . .“2) 

so  dass  also  in  dieser  Zeit  die  Zuschreibungen  zu  treuen  Händen 
auch  bei  Fremden  (werliken  personen)  allgemein  gewesen  sein 
müssen.  Uebrigens  finden  wir  Zuschreibungen  zu  treuen  Händen 
für  Gäste  ziemlich  selten.3)  Aus  jener  Schossverordnung  geht 
aber  auch  hervor,  dass  die  Treuhänder  bei  den  Gästen  ebenso 
wio  bei  der  Geistlichkeit  nicht  nur  bei  Liegenschaften,  sondern 
auch  bei  Renten  zur  Anwendung  gekommen  sind.  Lange  Jahre 
hindurch  scheint  dies  Verfahren  angewendet  zu  sein.  Erst  im 
Jahre  1543  schritt  die  Stadt  auch  hiergegen  ein.  Eine  Rats- 
willkür4) bestimmte,  dass  niemand  Renten  und  Häuser  an  Leute, 
die  nicht  dieser  Stadt  Bürger  sind,  verkaufen  noch  sich  zu 
treuer  Hand  zuschreiben  lassen  soll.  Diese  Bestimmung  ist  dann 
in  das  revidierte  Stadtrecht  übergegangen.5) 


§ 4.  (Fortsetzung.) 

c)  Ritter  und  Hofleutc. 

Ausser  für  die  Geistlichkeit  und  für  Gäste  bestanden  noch 
Grundeigentumserwerbsbeschränkungen  für  die  Ritter  und  für 
Hofleute.  Erstere  waren  in  den  mittelalterlichen  Städten  über- 
haupt mehreren  Beschränkungen  unterworfen  und  auch  nach 
lübischem  Rechte  waren  sie  in  mancher  Hinsicht,  z.  B.  im  ehe- 


>)  Pauli,  Abh.  I.  S.  02. 

а)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  349  S.  379. 

ä)  Eine  solche  wird  noch  erwähnt  in  Mitteilungen  a.  a.  O.  Heft  IV. 
S.  SS  Nr.  6S/60  (1448). 

4)  Dreyer  a.  a.  0.  S.  94. 

б)  Rev.  Stadtrecht  I.  2,  5.  Vgl.  Hartwig  a.  a.  0.  S.  86  über  die 
weitere  Entwicklung.  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  S.  205. 


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liehen  Güterrecht')  anders  gestellt  als  die  Bürger  einerseits 
und  die  Gäste  andererseits.  Für  sie  galt  ein  allgemeines 
Verbot,  dass  sie  in  Lübeck  selbst  nicht  wohnen  sollten: 

„Dat  en  schal  nen  Ridder  wonen  bynnen  desseme 
„wicbilde  dat  liebben  de  wittighesten  ghelouet  vnn 
„gewilkort“.2) 

Streng  gehandhabt  wurde  dies  Verbot  jedoch  nicht.  Mehrmals 
wird  uns  bezeugt,  dass  sich  Ritter,  sei  es  auf  längere  Zeit,  sei 
es  für  kürzere  Dauer,  in  Lübeck  aufgehalten  haben.3)  Für  sie 
galt  aber  ebenso  strikte  das  Verbot  des  Erwerbes  von  Grund- 
eigentum und  von  Renten,  wie  für  Geistliche  und  Fremde.4) 
Die  Gründe  waren  hier  ebenfalls  die  gleichen.  Auch  sie  nahmen 
ein  Steuerprivileg  in  Anspruch.’)  Trotzdem  aber  gab  es  auch 
einzelne  Fälle,  in  denen  aus  besonderen  Gründen  die  Stadt  den 
Rittern  gestattete,  Grundbesitz  oder  Renten  zu  erwerben.®)  In 
diesen  Fällen  mussten  sich  dann  die  Ritter  verpflichten,  alle 
Bürgerpflichten  getreulich  zu  erfüllen.  So  finden  wir  denn  auch 
hin  und  wieder  Ritter  im  Besitz  von  städtischem  Grundeigentum.7) 
Auch  hier  fanden  später  die  Treuhänder  Anwendung,  wenn  es 
auch  sehr  selten  vorgekommen  sein  mag.  Ein  Zeugnis  dafür 
ist  uns  aber  in  einer  Eintragung  von  1421  erhalten.  Dieselbe 
lautet:8) 

„Wilhelmus  Schonewerder  pro  se  et  suis  heredibus 
„coram  libro  recognouit,  quod  antedicta  pecuniarum 
„summa,  videlicet  VI  c marce  et  L XXXVII  marce 
„lub.  den.  cum  prefata  cista  et  clenodiis  non  sunt 


•)  Vgl.  z.  B.  Hach  I.  17. 

*)  Hach  III.  245.  Frensdorff,  Verf.  S.  191.  Mantels  a.  a.  O. 
S.  9.  — In  Wismar  dagegen  konnten  Ritter  sogar  Bürgermeister  werden. 
Vgl.  Ltlb.  Urkb.  VII.  Nr.  53  8.  17  (U27). 

3)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  132  S.  126  (ca.  1370).  IV.  Nr.  648 
S.  735  (1397).  VIII.  Nr.  169  8.  206  (1443). 

4)  Hach  II.  226.  Pauli,  Abh.  IV.  8.  33  Urkb.  A.  Nr.  95  (1296). 
Mantels  a.  a.  O.  8.  9. 

*)  Vgl.  Hartwig  a.  a.  0.  S.  57.  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  648  S.  735  (1397). 

6)  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  648  S.  735  (1397). 

7)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  1093  S.  1041  (1307).  Mitteilungen 
a.  a.  O.  IIL  S.  75  anno  1308.  IV.  S.  111  Nr.  12  (1425).  Pauli,  Abh.  IV. 
8.  12  (1227). 

s)  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  497  S.  504  Anm.  I. 


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„sui  nec  suorum  heredum,  sed  sunt  sibi  ad  fideles  manus 
„asscripti  prefati  Ottonis  Pogwissche1)  et  suorum 
„heredum,  et  hic  presentes  erant  dominus  Jordanus 
„Plescowe  et  Johannes  Gerwer  junior“. 

Gegenüber  von  Hofleuten  galt  ebenfalls  ein  derartiges  Verbot.'2) 
Auch  hier  wird  ein  Feld  der  Anwendung  von  Treuhändern 
gewesen  sein,  jedoch  ist  mir  kein  Fall  bekannt,  in  dem  bei 
Hofleuten  unzweifelhaft  die  Treuhänder  Anwendung  gefunden 
hätten. 


§ 5. 

II.  Oertliches  Anwendungsgebiet. 

Die  lateinischen  Recensionen  des  alten  LQbischen  Rechtes 
bestimmen,  dass  es  niemanden  erlaubt  sei,  „immobilia  id  est 
torfachteigen“  der  Geistlichkeit  zu  übertragen.3)  Sie  lassen  es 
dabei  unbestimmt,  ob  nur  die  Uebertragung  von  Liegenschaften 
innerhalb  der  Stadtmauern  oder  auch  die  von  Liegenschaften 
ausserhalb  der  eigentlichen  Stadt  verboten  sei.  Denn  „torfacht- 
eigen“ kann  sowohl  ein  Grundstück  „binnen  der  stat“  als  auch 
„buten“  bedeuten.4)  Auch  die  deutschen  Statuten  sprechen  an 
zwei  Stellen5)  nur  allgemein  von  „torfacht  eghen“  und  „wicbelde 
an  sime  erue“  oder  „erue“,  ohne  auf  die  örtliche  Lage  des 
Grundstückes  hinzuweisen.  Dagegen  wird  in  zwei  anderen 
Stellen  ausdrücklich  erwähnt,  dass  das  erue  „in  der  Stadt“ 
belegen  sein  soll.  Es  sind  dies  Hach  II.  226: 

„Liker  wis  eset  bi  eneme  erue  dat  eneme  gaste  tu  höret 
„dat  hir  inder  stat  beleghen  is“ 
und  Hach  II.  244: 

„Oc  so  ne  scal  nen  gast  hebben  wicbelde  ghelt  in 
„ienegheme  erue  in  vnser  stat“. 

Es  fragt  sich,  ob  wir  diese  örtliche  Beschränkung  jener  Verbote 
auf  alle  Verbote  erweitern  und  ob  wir  überhaupt  den  Ausdruck 
„in  der  stat“  strikte  interpretieren  müssen,  d.  h.  ob  wir  darunter 


’)  Nach  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  497  S.  504  ist  Otto  Pogwissch  ein  Bitter. 
s)  Hach  II.  226.  Rehme  a.  a.  0.  S.  200.  Frensdorff,  Verf.  S.  185. 
®)  Hach  I.  26. 

*)  Vgl.  Hach  H.  50. 

5)  Hach  II.  32.  IL  122. 


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nur  die  Grundstücke  zu  verstellen  haben,  die  innerhalb  der 
eigentlichen  Stadt,  also  innerhalb  der  Tore  belegen  sind,  oder 
ob  aber  auch  solche  Grundstücke  darunter  zu  verstehen  sind, 
die  nicht  in  dem  engen  Torbezirk,  sondern  auch  ausserhalb 
der  Tore,  sei  es  innerhalb  der  Stadtflur  oder  der  Feldmark 
oder  sei  es  schliesslich  sogar  ausserhalb  der  Feldmark,  aber 
noch  im  Stadgebiet,  belegen  sind.  Beide  Fragen  gehen  natürlich 
Hand  in  Hand.  Wir  versuchen  daher  erst  die  letztere  zu  ent- 
scheiden. Aus  den  Statuten  selbst  lässt  sich  keine  Entscheidung 
treffen.  Greifen  wir  daher  zu  sonstigen  Urkunden  oder  Stadt- 
buehseintragungen.  Da  finden  wir  dann,  dass  bei  weitem  die 
meisten  Urkunden,  die  eine  Grundeigentumserwerbsbeschränkung 
bezüglich  der  Geistlichkeit,  der  Fremden  und  Ritter  erkennen 
lassen,  sich  auf  Grundstücke  beziehen,  die  innerhalb  der  eigent- 
lichen Stadt  lagen.1)  Ebenso  handelt  es  sich  bei  der  Verwendung 
der  Treuhänder  meistens  um  Liegenschaften  innerhalb  der  Stadt- 
tore.2) Während  wir  aber  nach  Beyerle3)  unter  den  Constanzer 
Urkunden  kein  einziges  Beispiel  dalür  finden,  dass  Grundstücke 
oder  Häuser  ausserhalb  des  Mauerringes  jemals  dem  Salmannen- 
recht  unterlegen  hätten,  bezogen  sich  nach  den  uns  erhaltenen 
Urkunden  die  Grundeigentumsbeschränkungen  in  Lübeck  auch 
auf  diejenigen  Stadtgebiete,  die  ausserhalb  der  Stadtmauern 
lagen.  Besonders  häufig  sind  hier  wieder  die  Urkunden  über 
Grundstücke,  die  noch  innerhalb  der  Stadtflur,  also  innerhalb 
der  Torbezirke4)  lagen.  Bereits  eine  Eintragung  aus  dem 


])  Vgl.  z.  B.  Litb.  Urkb.  I.  Nr.  283  S.  271  (1206).  1.  Nr.  325  S.  307 
(1270).  IV.  Nr.  050  8.  738  (1307).  VI.  Nr.  546  S.  542  (1423).  VIII. 
Nr.  108  S.  210  (1443).  VIII.  Nr.  253  S.  298  (1444).  IX.  Nr.  801  8.  927 
(1460).  Pauli,  Abb  IV.  Urkb.  A.  Nr.  01  (1295);  ibid.  Urkb.  A.  Nr.  354 
(1511).  Vgl.  auch  Dreyor  a.  a.  0.  S.  86.  Mitteilungen  a.  a.  O.  III.  S.  20 
Nr.  61  (1301)  u.  s.  w. 

2)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  336  S.  279  (1315).  IV.  Nr.  437 
S.  482  (1384).  V.  Nr.  210  S.  218  (1408).  V.  Nr.  360  8.  379  (1411).  V. 
Nr.  407  8.  448  (1412).  V.  Nr.  517  S.  662  (1414)  VI.  Nr.  159  8.  204  (1419). 
VI.  Nr.  194  S.  234  (1420).  VI.  Nr.  296  S.  326  (1420).  VII.  Nr.  375  8.  351 
(1430).  IX.  Nr.  168  8.  167  (1453).  X.  Nr.  679  S.  689  (1405).  Pauli, 
Abb.  I.  8.  62  (1383).  Brelimer  in  Mitteilungen  a a.  O.  IV.  8.  88  Nr.  58,60 
(1148).  IV.  8.  156  Nr.  72  86  (1431). 

3 ) Beyerle  a.  a.  0.  8.  52. 

4)  Vgl.  Itelimc  a.  a.  O.  S.  31. 


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ältesten  Oberstadtbuch  ans  dem  Jahre  1270  besagt,  dass  die 
Stadt  unter  besonderen  Kautelen  dem  Konvent  von  St.  Johannis 
„duos  ortos,  sitas  juxta  novum  molendinum“  übertragen  habe.1) 
Im  Jahre  1320  kauft  Arnoldus  Wlome  „duos  mansos  extra 
valvam  molendinorum  sitos,  deren  Einkünfte  er  zu  einer 
Stiftung  für  Arme  bestimmt,  wobei  es  von  diesen  heisst  „.  . . 
sed  juri  seculari  per  omnia  perpetue  subjacebunt  et  manebunt 
asstricti  ad  talliam  et  ad  alia  civitatis  onera,  ad  que  agri  vel 
mausi  alii  positi  extra  eandem  valvam  in  civitatis  marchia  sunt 
asstricti  . . ,“2)  Doch  sind  uns  auch  Urkunden  enthalten,  in 
denen  es  sich  um  Grundstücke  handelt,  die  ausserhalb  der 
Stadtflur,  aber  innerhalb  der  Feldmark2)  lagen,  also  innerhalb 
des  Gebietes,  das  durch  den  1370  vollendeten  „Landwehrgraben“ 
umschlossen  wurde.4)  Den  besten  Beweis  aber,  dass  auch  diese 
Gegenden,  ja  selbst  das  Stadtgebiet,  das  noch  ausserhalb  der 
„Landwehr“  gelegen  war,  den  Grundeigentumsbeschränkungen 
unterworfen  waren,  liefern  die  Zuschriften  zu  treuen  Händen. 
Nicht  nur  ist  mir  eine  Anzahl  derartiger  Urkunden  bekannt,  in 
denen  die  Grundstücke  ausserhalb  der  Stadt,  aber  innerhalb  der 
Stadtflur  lagen,5)  sondern  eine  Urkunde  aus  dem  Jahre  14236) 
beweist  auch,  dass  Treuhänder  zur  Anwendung  kamen,  bei 
Gebieten,  die  sich  selbst  ausserhalb  der  Feldmark  befanden. 

So  sehen  wir,  dass  sich  die  Verbote  nicht  nur  auf  die 
Grundstücke  in  der  Stadt  selber  bezogen,  dass  sie  vielmehr 
gemünzt  waren  auf  das  ganze  Gebiet  von  Lübeck,  mag  es  sich 
innerhalb  der  Mauern,  innerhalb  der  Landwehr  befunden  haben 
oder  nicht.  Die  angeführten  Urkunden  zeigen  aber  weiter  auch, 
dass  überhaupt  keine  Beschränkung  jener  Verbote  hinsichtlich 

’)  Brehmer,  Zusammenstellung  der  erbalteneu  Eintragungen  in  das 
Obnrstadtbuch  in  der  Zeit-sch.  des  Vereins  fUr  LUbeckische  Geschichte  u.  s.  w. 
Bd.  IV.  (1884)  S.  240  Nr.  245. 

2>  Rehme  a.  a.  0.  Urkb.  Nr.  112  S.  296.  Vgl.  auch  Lüb.  Urkb.  II. 
Nr.  383  S.  330. 

s)  Lüb.  Urkb.  IV.  511  (1389):  „.  . . curia  sita  in  terra  dicta  Ileyuehold 
in  marchia  nostre  civitatis  . 

4)  Vgl.  Rehme  a.  a.  O.  S.  32.  Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  172. 

6)  Vgl.  i.  B.  Löb.  Urkb.  V.  Nr.  359  S.  401  (1411)  (a  u.  b).  V. 
Nr.  641  S.  728  (1417).  IX.  Nr.  339  S.  340  (1456).  IX.  Nr.  473  8.  471 
(1467).  V.  Nr.  553  S.  597  (1415). 

*)  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  547  8.  643  (1423). 


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der  Personen  stattfand.  Sowohl  Fremden  als  der  Geistlichkeit 
war  der  Grundeigentumserwerb  auf  dem  ganzen  Stadtgebiet  im 
weiteren  Sinne  beschränkt.  Man  sieht  auch  hier  wieder,  dass 
die  Verhältnisse  in  Cunstanz  ganz  beträchtlich  von  denen  in 
Lübeck  abgewichen  sind.  Beruhte  dort  das  Salmannenrecht  auf 
dem  Grundsatz,  dass  kein  Nichtbürger  innerhalb  der  Mauern 
von  Constanz  Grundeigentum  und  damit  Vollbürgerrecht  erwerben 
durfte,  so  haben  wir  bisher  gesehen,  dass  in  Lübeck  die  Ent- 
wicklung der  Treuhänder  beim  Grundeigentumsverkehr  mit  dem 
Bürgerrecht  als  solchem  nichts  zu  tun  hatte.  Hier  in  Lübeck 
beruhte  das  Salmannenrecht  vielmehr  auf  dem  Grundgedanken, 
dass  kein  Grundeigentum,  dessen  Eigentümer  zu  öffentlichen 
Lasten  herangezogen  werden  konnte,  in  Hände  überging,  in 
denen  eine  Erzwingung  der  öffentlichen  Pflichten  erschwert 
wurde.  Daher  erklärt  sich  hier  auch  die  Ausdehnung  jener 
Verbote  auf  Grundstücke,  die  nicht  im  Mauergürtel  lagen. 
Daher  finden  wir  auch,  dass  Fremde,  die  Bürger  werden  wollten, 
ohne  weiteres  Grundeigentum  erwerben  konnten.1) 


§ 6- 

UI.  Die  Eintragungen  bei  den  Zuschriften 
zu  treuen  Händen. 

Es  ist  bereits  oben2)  hervorgehoben,  dass  das  System  der 
Zuschreibungen  zu  treuen  Händen  nur  ein  Glied  in  der  Kette 
der  Entwicklung  der  Grundeigentumserwerbsverbote  gewesen 
ist.  Die  Zuschreibungen  zu  treuen  Händen  hängen  zusammen 
mit  der  Anlegung  und  der  Bedeutung  des  Oberstadtbnches. 
Wir  sehen  das  daraus,  dass  in  vielen  Urkunden  als  Grund  für 
die  Zuschreibungen  zu  treuen  Händen  das  Verbot  angegeben 
wird,  dass  Geistliche  oder  Fremde  im  Oberstadtbuch  nicht  ein- 
getragen werden  durften.2)  Nur  in  einigen  wenigen  Fällen 

>)  Vgl.  Pauli,  Abh.  III.  S.  3 Note  ta. 

*)  Vgl.  oben  S.  21  fg. 

’)  Vgl.  z.  11.  LUb.  Urkb,  V.  Nr.  216  S.  218  0 408).  V.  Nr.  517  S.  562 
(1414).  V.  Nr.  407  S.  448  (1412).  V.  Nr.  359  S.  401  (1411).  IX.  Nr.  473 
S.  471  (1457).  X.  Nr.  579  S.  589  (1465).  Rehme  a.  a.  0.  S.  91.  Rand- 
bemerkung neben  Hs.  1373  Jacobi. 


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wurde  aus  besonderen  Gründen  hiervon  abgesehen  und  auch  der 
Geistlichkeit  oder  Fremden  im  Oberstadtbuch  Grundstücke  zu- 
geschrieben. Es  handelte  sich  hier  meistens  um  fremde  Städte, 
die  für  ihre  Gesandten  in  Lübeck  ein  Haus  erwerben  wollten.1) 
Doch  wurden  auch  bei  Geistlichen,  Klöstern,  milden  Stiftungen 
und  bei  Fremden  hin  und  wieder  Ausnahmen  gemacht.2)  In 
allen  diesen  Fällen  wurden  die  Geistlichen  und  Fremden  im 
Oberstadtbuch  genau  so  eingetragen  wie  jeder  andere  Bürger. 
In  den  Regelfällen  dagegen  musste  zu  anderen  Mitteln  gegriffen 
werden.  Das  Grundstück  wurde  nun  nicht  auf  den  Namen  der 
Geistlichen  oder  Fremden  in  das  Oberstadtbuch  eingetragen, 
sondern  eingetragener  Eigentümer  war  irgend  ein  Lübecker 
Bürger.  Die  Eintragung  erfolgte  genau  so  wie  bei  Grundstücks- 
übertragungen unter  Lübecker  Bürgern  im  Oberstadtbuch.3) 
Hin  und  wieder  wurde  der  Eigentumsübergang  oder  die  Renten- 
bestellung auch  im  Garten-  oder  Wettebuch  verzeichnet,  je  nach 
der  Lage  des  Grundstückes.4)  Irgend  ein  Hinweis  darauf,  dass 
der  eingetragene  Eigentümer  nur  Treuhänder  sei,  finden  wir  in 
den  Oberstadtbuchseintragungen  nicht.5)  Erst  in  späterer  Zeit 


■)  Vgl.  z.  B.  Zeitschrift  für  Hamburgische  Geschichte  Bd.  V. 
S.  107  (1480).  LUb.  Urkb.  VIII.  Nr.  263  S.  298  (1444).  Hitteilungen 

a.  a.  O.  III.  S.  105  Nr.  2 (1486).  Dreyer  a.  a.  O.  S.  139.  Vgl.  Hartwig 

a.  a.  0.  S.  35,  86. 

*)  Pauli,  Abh.  IV.  Urkb.  A.  Nr.  364.  Mitteilungen  a.  a.  0.  III. 

S.  146  Nr.  25  Note  1.  III.  8.  162  Nr.  30.  III.  S.  147  Nr.  78  Note  1. 

Lflb.  Urkb.  IV.  Nr.  648  S.  736  (1397)  VI.  Nr.  694  S.  672  (1425).  Rehme 
a.  a.  0.  Urkb.  Nr.  297,  322,  330.  Vgl.  auch  Mevius  a.  a.  O.  ad  I.  2,  6 
nr.  112  sq.  Stein  a.  a.  0.  II.  S.  68.  Wehrmann,  Das  Lübecker  Archiv 
in  Zeitsch.  des  Vereins  für  LUbeckische  Geschichte  Bd.  HI.  S.  404. 

3)  LUb.  Urkb.  IV.  S.  438  Note  (1384).  VIH.  Nr-  664  S.  704  (1451). 
Rehme  a.  a.  O.  Urkb.  Nr.  237  S.  337  (1410).  Nr.  246b  S.  341  (1412). 
Vgl.  auch  die  Hindeutung  auf  solche  Eintragungen  in  Lob.  Urkb.  V.  Nr.  350 
S.  379.  V.  Nr.  359  c S.  401.  V.  Nr.  407  S.  448.  V.  Nr.  617  a 3.  562. 
V.  Nr.  663  S.  597.  VI.  Nr.  194  8.  234.  Zu  erwähnen  ist  vielleicht,  dass 
bei  diesen  Eintragungen  ausser  dem  Auflassungsvermerk  zuweilen  der  Zu- 
schreibungsbefehl des  Rates  eingetragen  wurde.  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  8.  186. 

4)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  369  S.  401.  V.  Nr.  641  8.  728.  VHI.  Nr.  472 
8.  617.  IX.  Nr.  473  8.  471.  Vgl.  auch  Rehme  a.  a.  O.  8.  203  Not«  41. 
In  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  339  8.  340  (1466)  erfolgte  die  Eintragung  im  Ober- 
stadtbuch und  im  Gartenbuch. 

6)  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  8.  202  f.  Hartwig  a.  a.  0.  8.  84. 


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46 


finden  sich  auch  im  Oberstadtbuch  Andeutungen,  dass  der  ein- 
getragene Eigentümer  nur  mit  Zustimmung  eines  anderen  Ver- 
änderungen mit  dem  Grundstück  vorzunehmen  berechtigt  sei.1) 
Hätten  wir  also  nur  das  Oberstadtbuch,  so  würde  uns  für  die 
ältere  Zeit  jegliche  Möglichkeit  fehlen,  Aufschluss  über  die 
Zuschreibungen  zu  treuen  Händen  zu  erhalten,  ja  wir  könnten 
nicht  einmal  wissen,  dass  die  Anwendung  der  Treuhänder  im 
Grundstücksverkehr  in  Lübeck  gebräuchlich  gewesen  ist.  Im 
Oberstadtbuch  erscheint  der  Bürger  nur  als  Käufer,  als  Be- 
gabter u.  s.  w.2)  Seine  Treuhändereigenschaft  erkennen  wir 
aber  aus  anderen  Urkunden.3)  Es  finden  sich  nämlich  im  Nieder- 
stadtbuch4) Eintragungen,  die  jenen  Oberstadtbuchseintragungen 
entsprechen  und  eine  Erklärung  des  im  Oberstadtbuch  ein- 
getragenen Eigentümers  enthalten,  dass  ihm  das  Grundstück 
nur  zu  treuer  Hand  zugeschrieben  sei.5)  Hin  und  wieder  sind 
derartige  Erklärungen  des  eingetragenen  Eigentümers  auch  in 
einer  besonderen  Urkunde  enthalten,  ohne  dass  eine  besondere 
Eintragung  im  Niederstadtbuch  stattgefunden  hätte.*1)  Als 
typisches  Beispiel  solcher  Eintragungen  im  Niederstadtbuch 
mag  folgende  dienen: 

„Johannes  Querkamp  presens  libro  recognouit  sponte  et 
„libere,  quod  ille  ortus  humulorum  situs  extra  valuam 
„Vrbis,  sibi  asscriptus  in  libro  vadiorum  anno  XIIIIc 
„X  circa  festum  Lucie,  pertineat  dominis  fratribus  de 
„online  predicatorum  ad  Vrbem  in  ciuitate  Lubicensi 


')  Vgl.  Zeitschrift  des  Vereins  für  Lübeckische  Geschichte  Bd.  VII. 
8.  19*. 

*)  Rehme  a.  a.  O.  8.  *03. 

J1  Vgl.  darüber  Rehme  a.  a.  O.  Hartwig  a.  a.  O.  S.  84. 

*)  lieber  seine  Bedeutung  vgl.  Rehme  a.  a.  O.  S.  3 fg„  lOfg.  Pauli, 
Abh.  I.  8.  7 fg. 

6)  Vgl.  Lüh.  Urkb.  IV.  Nr.  437  S.  482.  V.  Nr.  21ß  S.  218.  V.  Nr.  350 

8.  379.  V.  Nr.  517  S.  564.  V.  Nr.  653  S.  597.  VL  Nr.  179  S.  222.  VL 

Nr.  194  8.  234.  VI.  Nr.  305  S.  335.  VI.  Nr.  479  S.  489.  VI.  Nr.  547 

8.  543.  Rehme  a.  a.  O.  S.  337  Note  6,  8.  341  Note  1.  Pauli,  Abh.  III. 

S.  181. 

*)  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  168  S.  167  (1453).  X.  Nr.  579  S.  589  (1465). 
Lüb.  Urkb.  II.  Nr.  335  S.  279  (1316).  Vgl.  auch  Wehrmann  in  Zeitschrift 
des  Vereins  für  Lübeckiscbe  Geschichte  Bd.  I.  8.  366  f.  Pauli,  Abh.  I. 
8.  62  (1383). 


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47 


„et  qnod  sit  sibi  dumtaxat  ad  fidas  manus  eoruni  as- 
„scriptus,  eo  quod  spiritualibus  talia  bona  non  consuetuin 
„est  asscribi“1) 

Hier  wird  also  ausdrücklicli  hervorgehoben,  dass  tatsächlich  ein 
anderer  als  der  im  Oberstadtbuch  Eingetragene  als  Eigentümer 
der  Liegenschaft  anzusehen  und  dass  der  eingetragene  Eigen- 
tümer nur  Treuhänder  sei.'2)  Letzterem  ist  das  Grundstück  nur 
„ad  fidas  manus3)  asscriptus“.  Statt  dieses  letzteren  Ausdruckes 
finden  sich  noch  andere,  wie  „ad  fideles  manus“,4)  „ad  manus“,5) 
nur  „asscriptus“,6)  dann  ferner  „to  truwer  hand“,7)  „vppe  louen“8) 
und  „vp  gheloucn“.9)  Diese  Erklärungen  wurden  von  dem 
Treuhänder  öfters  nicht  nur  für  sich  allein,  sondern  zugleich 
im  Namen  seiner  Kinder  und  Erben  abgegeben.10)  Ja  auch  die 
Erben  allein  erklärten,  wie  es  scheint,  hin  und  wieder  neben 
dem  eingetragenen  Bürger,  dass  sie  nur  ein  Recht  zur  treuen 
Hand  an  dem  betreffenden  Grundstück  oder  der  Rente  hätten.11) 
Dei  Zeitpunkt,  wann  diese  Erklärungen  abgegeben  wurden, 
war  verschieden.  Keineswegs  fanden  die  Eintragungen  in  das 
Oberstadtbuch  und  in  das  Niederstadtbuch  immer  zu  derselben 


')  Litb.  Urkb.  V.  Nr.  359  8.  401  (1411). 

2)  Ucber  die  juristische  Konstruktion  s.  unten  § 8. 

3)  Derselbe  Ausdruck  findet  sich  noch  z.  B.  in  Liib.  Urkb.  V.  Nr.  553 
S.  597.  V.  Nr.  041  S.  728.  V.  Nr.  216  S.  218.  V.  Nr.  350  S.  379.  V. 
Nr.  517  S.  562. 

<)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  407  8.  448.  V.  Nr.  517  8.  562.  VI. 

Nr.  159  S.  204.  VI.  Nr.  194  8.  234.  VI.  Nr.  296  S.  326.  VI.  Nr.  305 

8.  335.  Nr.  497  8.  504  Note  1.  VI.  Nr.  547  8.  543.  Pauli,  Abh.  I.  8.  62 
(1383).  Abh.  III.  8.  181. 

s)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  II.  Nr  335  8.  279. 

<9  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  437  8.  482  (1384). 

?)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  V.  72. 

»)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  375  8.  351.  V.  Nr.  349  8.  379. 

IX.  Nr.  168  8.  167. 

«)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  339  S.  340.  IX.  Nr.  473  8.  471. 

X.  Nr.  579  8.  589. 

>°)  Vgl.  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  437  8.  482  (1381).  VI.  Nr.  159  S.  204 
(1419).  VI.  Nr.  296  8.  326  (1420).  VI.  Nr.  305  8.  335  (1421).  VI.  Nr.  497 
8.  504  Note  1 (1421).  VII.  Nr.  375  S.  351  (1430). 

«)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  375  8.  351  (1430).  IX.  Nr.  168 
S.  167  (1463). 


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48 


Zeit  statt,1)  wenn  die  Eintragungen  im  Niederstadtbuch  mitunter 
auch  von  demselben  Tage  datiert  sind.2)  Sehr  oft  erfolgten 
jedoch  die  Erklärungen  vor  dem  Niederstadtbuch  erst  jahrelang 
später.3) 

Hervorgehoben  mag  noch  werden,  dass  bei  Verpfändungen 
von  Grundstücken,  die  im  Niederstadtbuch,  nicht  im  Oberstadt- 
buch eingetragen  wurden,4)  sowohl  die  Verpfändung  an  den 
Treuhänder  als  auch  seine  Erklärung  in  einer  Eintragung  im 
Niederstadtbuch  aufgenommen  wurde.5) 


§ 7. 

IV.  Die  Bestellung  der  Treuhänder. 

Beyerle6)  hat  für  Constanz  nachzuweisen  versucht,  dass 
die  Bestellung  der  Salleute,  falls  die  Uebertragung  freien  Grund- 
eigentums in  Frage  kam,  vor  dem  Ammangericht,  d.  h.  vor 
dem  ordentlichen  Gerichte  der  Bürgerschaft  zu  erfolgen  hatte. 
Ein  derartiger  Satz  lässt  sich  in  Lübeck  nicht  nachweisen,  ja 
man  kann  sogar  auf  das  Gegenteil  schliessen.  Beyerle  scheint 
davon  auszugehen,  dass  die  Bestellung  der  Salleute  mit  dem 
Auflassungsakte  selber  in  Verbindung  stehe.  Weil  die  Auf- 
lassung vor  dem  Ammangerichte  stattgefunden  habe,  müsse  auch 


*)  So  Stobbe,  „lieber  die  Salmannen*  in  der  Zeitschrift  für  Rechts- 
geschichte  Bd.  VII.  (1868)  S.  438.  Hartwig  a.  a 0.  S.  84  Note  3 meint, 
dass  die  Erklärungen  in  der  Regel  gleichzeitig  mit  der  Eintragung  abgegeben 
wurden.  Die  mir  bekannten  Urkunden  bestätigen  dies  nicht. 

»)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  216  S.  218  (1408).  V.  Nr.  407  S.  448  (1412) 
(.  . . presenti  die  . . .).  V.  Nr.  553  S.  597  (1415)  (.  . . presenti  anno  et 

ipso  die  Exaltacionis  . . .).  VI.  Nr.  306  S.  335  (1421).  X.  Nr.  579  S.  589 

(1465).  Vgl.  auch  Mitteilungen  a.  a.  0.  X.  8 19  Note. 

*)  Vgl.  z.  B.  Mb.  Urkb.  V.  Nr.  350  S.  379:  1411  und  1410.  V. 

Nr.  369  a S.  401:  1411  und  1410  circa  festum  Lucie.  V.  Nr.  359  c S.  401: 
1411  und  1410.  V.  Nr.  517  b S.  562.  Beide  Eintragungen  erfolgten  1414, 
aber  an  verschiedenen  Tagen.  IX.  Nr.  168  S.  167.  £X.  Nr.  339  S.  340: 
1456  und  1465.  VIII.  Nr.  253  S.  298  (1444)  und  Zeitsch.  des  Vereins  für 
Hamburgiscbe  Geschichte  Bd.  V.  S.  110  (1480). 

4)  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  S.  77  fg. 

6)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  159  S.  204  (1419).  VI.  Nr.  547 

S.  543  (1423).  Vgl.  Rehme  a.  a.  O.  S.  283. 

*)  Beyerle  a.  a.  O.  S.  89  fg.,  S.  101  fg. 


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49 

die  Bestellung  der  Salleute  dort  vorgenommen  worden  sein.  In 
Lübeck  fand  die  Auflassung  vor  dem  sitzenden  Rate  statt.1) 
Der  Rat  ordnete  die  Eintragung  in  das  Oberstadtbuch  an. 
Aber  auch  das  Niederstadtbuch  wurde  auf  Anordnung  des  Rates 
geführt.  Es  unterscheidet  sich  vom  Oberstadtbuch  nur  in  dem 
Kreis  der  Geschäfte,  die  in  ihm  aufgenommen  wurden.  Der 
Rat  war  somit  in  Lübeck  die  Buchbehörde.2)  Nun  ist  es  zwar 
richtig,'  dass  dio  Erklärung  des  Treuhänders,  dass  ihm  das  be- 
treffende Grundstück  nur  zu  treuen  Händen  im  Oberstadtbuch 
zugeschrieben  sei,  meistens  vor  dem  Rate  abgegeben  und  dann 
im  Niederstadtbuche  aufgezeichnet  wurde.'1)  Eine  Notwendigkeit 
war  dies  jedoch,  wie  wir  gesehen  haben,4)  nicht.  Ausserdem 
wurden  derartige  Erklärungen  der  Treuhänder  nicht  sofort  bei 
der  Auflassung  des  Grundstückes  an  den  Treuhänder  abgegeben, 
sondern  sie  konnten  erst  jahrelang  nachher  erfolgen.  Lassen 
schon  diese  zwei  Punkte  es  unwahrscheinlich  erscheinen,  dass 
die  Bestellung  des  Treuhänders  vor  dem  Rate  zu  geschehen 
habe,  so  weist  auch  der  Wortlaut  der  Eintragung  des  Treu- 
händers im  Oberstadtbuch  darauf  hin,  dass  die  Bestellung  keines- 
wegs an  irgend  eine  Form  gebunden  war.  In  der  Oberstadt- 
buchseintragung heisst  es  ja  nur,  dass  dem  oder  jenem  Bürger 
von  Lübeck  ein  Grundstück  aufgelassen  sei.  Ein  Hinweis  auf 
die  Treubändereigeuschaft  fehlt.  Dem  Rate  konnte  es  völlig 
gleichgültig  sein,  ob  der  eingetragene  Eigentümer  auch  tatsäch- 
lich Eigentümer  sei  oder  ob  er  nur  als  Treuhänder  handelte. 
Bei  dem  Eintragungsantrag  prüfte  er  auch  nur,  ob  der  Ein- 
zutragende Bürger  war  oder  nicht.'1)  Wollte  man  nun  annehmen, 
dass  die  Bestellung  zum  Treuhänder  vor  dem  Rate  geschehen 
musste,  so  müsste  man,  da  die  Bestellung  der  Auflassung  natur- 
gemäss  vorausgehen  musste,  annehmen,  dass  auch  vor  der  Auf- 
lassung eine  Urkunde  über  die  Treuhändereigenschaft  des  Bürgers 


*)  Hach  II.  36.  Vgl.  Rehme  a.  a.  O.  S.  108  fg. 

*)  Rehme  a.  a.  O.  S.  170  fg. 

*)  Vgl.  die  Stellen  S.  46  Note  6. 

4)  Vgl.  oben  S.  46  Note  6. 

5)  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  S.  244.  Heviua  a.  a.  O.  ad  V.  6,  1 Note 
19  und  20.  Stein  a.  a.  O.  IV.  S.  189,  191,  195.  Erat  später,  als  die  Zu- 
schreibungen zu  treuen  Händen  verboten  waren,  musste  geprüft  werden,  ob 
der  Einzutragende  nicht  nur  Treuhänder  war.  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  S.  245  fg. 

Loening,  Grunderwerb  und  Treuhand  in  Lübeck  4 


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50 


aufgenommen  sein  würde,  die  entweder  mit  der  Auflassungs- 
nrknnde  zu  einer  Eintragung  verschmolzen  werden  musste  oder 
die  wenigstens  als  eine  besondere  Eintragung  im  Niederstadt- 
buche zu  finden  sein  würde.  Von  beiden  ist  aber  keine  Rede. 
Dass  im  Verhältnis  viele  Erklärungen  der  Treuhänder  vor  dem 
Rate  abgegeben  wurden,  kann  nicht  Wunder  nehmen;  gewährt  doch 
die  Eintragung  in  das  Niederstadtbuch  eine  viel  grössere  Sicherheit 
als  das  Ausstellen  einer  besonderen  Urkunde  in  Form  von  Brief 
und  Siegel.  Keine  der  mir  bekannten  Urkunden  aber  enthält 
nur  irgend  einen  Hinweis  darauf,  dass  die  Bestellung  des 
Lübecker  Bürgers  als  Treuhänder  vor  dem  Rate  geschehen 
musste.  Und  selbst  eine  Eintragung  im  Niederstadtbuch  von 
1411,  in  der  der  Prior  des  Burgklosters  im  Namen  des  Kon- 
ventes des  genannten  Klosters  erklärt,  dass  der  im  Oberstadt- 
buch eingetragene  Johannes  Querkamp  trotz  der  Eintragung  zu 
nichts  verpflichtet,  sondern,  dass  er  nur  Treuhänder  sei,1)  enthält 
nichts  darüber,  dass  die  Bestellung  als  Treuhänder  vor  dem 
Rate  stattgefunden  hat.  Uebrigens  ist  diese  Erklärung,  wie 
sich  aus  ihrem  Wortlaut  ergiebt,  auch  erst  nach  der  Eintragung 
in  das  Oberstadtbuch  erfolgt. 

Es  liegt  somit  kein  Anlass  dafür  vor,  dass  in  Lübeck  die 
Bestellung  der  Treuhänder  wie  die  Auflassung  vor  dem  Rate 
geschehen  musste.  Die  Bestellung  als  Treuhänder  war  vielmehr 
lediglich  ein  privates  Rechtsgeschäft,  das  allerdings  gemäss  der 
damaligen  Sitte  häufig  vor  dem  Rate  wird  abgeschlossen  sein. 
Es  war  aber  gültig,  selbst  wenn  sein  Abschluss  nicht  vor  der 
Obrigkeit  erfolgte.  Der  Abschluss  des  Vertrages  vor  der  Obrig- 
keit war  nicht  Voraussetzung  für  die  Gültigkeit  des  Vertrages. 

Dagegen  stimmen  die  Constanzer  und  Lübecker  Urkunden 
in  einer  anderen  Beziehung  überein.  Während  bei  der  älteren 
Gestaltung  des  Salmannenrechtes  der  Veräusserer  dem  Salmanne 
vorerst  das  Eigentum  überträgt  mit  dem  Aufträge  seinerseits 
wieder  das  Grundstück  einem  Dritten  zu  übertragen,  während 
also  hier  die  Bestellung  des  Salmannes  von  dem  Vormann  aus- 
geht,2) bestellt  im  städtischen  Salmannenreeht,  in  der  späteren 

»)  LUb.  Urkb.  V.  Nr.  359  S.  401  (1411). 

s)  Vgl.  darüber  Beyerle  a.  a.  0.  S.  14  fg.,  23.  Heusler,  Institutionen 
Bd.  I.  8.215  fg.  Beseler,  Die  Lehre  von  den  Erbverträgen  Bd.  I.  (1836) 
8.  263  fg.  A.  Schnitze,  Die  langobardische  Treuhand  und  ihre  Umbildung 


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51 


Gestalt  der  Treuhand,  der  Erwerber  den  Treuhänder.1)  Die 
Treuhand  in  dieser  jüngeren  Gestalt  bildete  ein  Schutz  Verhältnis; 
die  oberste  Aufgabe  der  Treuhänder  ist  es  jetzt,  seinen  Auf- 
tragsgeber sicher  zu  stellen  und  die  in  der  Person  des  Auftrags- 
gebers liegenden  Mängel  durch  seine  Person  zu  ersetzen.2)  Dies 
geht  aus  einzelnen  Lübecker  Urkunden  mit  Deutlichkeit  hervor. 
Meistens  lassen  die  Niederstadtbuchseintragungen  überhaupt 
keinen  Schluss  zu,  wer  eigentlich  der  Auftragsgeber  ist.  In 
der  soeben  erwähnten  Niederstadtbuchseintragung  von  1411  wird 
aber  zweifellos  zum  Ausdruck  gebracht,  dass  der  Besteller  des 
Treuhänders  der  Erwerber  ist.  Diese  Eintragung  lautet;3) 

„Dominus  Hinrieus  Schonenberch,  prior  fratrum  ordinis 
„predicatorum  ad  Vrbem  in  Lubeke,  presens  apud  hunc 
„librum  recognouit  pro  se  et  suis  confratribus  necnon 
„nomine  tocius  sui  conuentus  veile  .Tohannem  Querkamp 
„et  suos  heredes  indampnos  preseruare  occasione  illarum 
„V  marcarum  in  quadam  scriptura,  anno  X1III  c X 
„Lucie  in  hoc  libro  annotata,  comprehensarum,  que 
„incipit  Johannes  Querkamp  etc , quia  dictus  Johannes 
„se  et  suos  heredes  in  dicta  scriptura  solum  ad 
„peticionein  dicti  domini  prioris  obligauit,  sicud 
„eciam  sibi  ortum  in  precedenti  scriptura  expressum  ob 
„amorem  eiusdem  domini  prioris  fecit  asscribi“. 
Das  Burgkloster  war  der  Erwerber,  Treuhänder  war  Johannes 
Querkamp  und  er  war  es  „solum  ad  peticionem“  des  Priors  und 
„ob  amorem“  zu  jenem  Prior.  Doch  auch  aus  einer  anderen  Ur- 
kunde geht  dies  Verhältnis  hervor.  In  dieser4)  erklärt  Diederick 
Basedouw,  borger  vnde  inwoner  tho  Lübeck,  dass  ein  Haus, 
welches  seiner  Zeit  seinem  Vater  im  Oberstadtbuch  zugeschrieben 

zur  Testamentsvollstreckung  in  Gierkeg  Untersuchungen  zur  deutschen  Staats- 
und  Rechtsgeschichte  Heft  49  (1895)  8.  55.  Pauli,  Abh.  III.  8.  310 fg. 

>)  Vgl.  darüber  Beyerle  a.  a.  O.  S.  23,  102.  Beseler  a.  a.  O.  8.  271. 
Stobbe,  Zeitschrift  für  Rechtsgeschichte  Bd.  VII.  S.  418  fg. 

s)  Stobbe  a.  a.  O.  8.  418.  Heusler  a.  a.  ü.  Bd.  I.  8.  223.  Beyerle 
a.  a.  O.  Bd.  I.  8.  28. 

*)  Lttb.  Urkb.  V.  Nr.  359  8.  401  (1411). 

«)  LUb.  Urkb.  IX.  Nr.  188  8.  167  (1453).  Vgl.  ferner  LUb.  Urkb.  IX. 
Nr.  339  8.  340  (1456)  ,.  . . alzo  ik  de  oldemian  der  broderschap  was  mit 
Hans  Keutzeler,  de  it  alzo  ok  von  my  begberende  was,  dat  ik  em  alzo 
dede  . . * 

4* 


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52 


war,  diesem  und  jetzt  ihm  nur  zu  treuen  Händen  des  Klosters 
Doberan  „vmme  bede  willen  vnnd  fruntschap“  des  Abtes  des 
Klosters  zugeschrieben  sei.  Diese  zwei  Urkunden  lassen  keinen 
Zweifel  über  den  Unterschied  zwischen  der  älteren  landrecht- 
lichen und  der  jüngeren  städtischen  Treuhand  übrig.  In 
letzterem  Rechtsinstitut  ging  die  Wahl  der  Treuhänder  vom 
Erwerber  aus.  Die  Geistlichkeit-  oder  die  Fremden  waren 
natürlich  in  ihrer  Wahl  unbeschränkt,  sofern  nur  der  Erwählte 
die  Eigenschaften  besass,  die  in  ihrer  Person  fehlten,  d.  h.  sofern 
er  nur  Lübecker  Bürger  war.  Es  lag  aber  in  ihrem  Interesse, 
wenn  sie  einen  Bürger  wählten,  der  eine  besondere  Stellung  in 
Lübeck  einnahm,  um  so  besser  gegen  jeden  Angriff  geschützt 
zu  sein  und  um  bessere  Sicherheit  zu  haben,  damit  das  Treu- 
händerverhältnis nicht  mit  der  Zeit  verwischt  werden  würde. 
Wir  finden  daher  öfters  Ratmänner  als  Treuhänder.1)  Auch 
Namen,  wie  van  Dülmen,2)  Schonenberg,3)  Houemann,4)  Schone- 
weder,5)  Basedow3)  und  van  der  Heyde,7)  die  die  angesehensten 
Familien  in  Lübeck  führten,  finden  sich  als  Namen  von  Treu- 
händern. So  ereignete  es  sich  hin  und  wieder,  dass  ein  und 
dieselbe  Person  als  Treuhänder  für  mehrere  Grundstücke  bestellt 
wurde,  obwohl  die  Treugeber  verschiedene  Personen  waren.3) 
Kamen  religiöse  Stiftungen,  Kirchen  oder  Klöster  in  Betracht, 
so  wurden  hin  und  wieder  dieselben  Personen  als  Treuhänder 
bestellt,  bei  religiösen  Stiftungen  gewöhnlich  ein  „olderman“ 
oder  „vorstendere“.9) 

»)  Vgl.  * B.  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  407  S.  448  (1412).  V.  Nr.  641  S.  728 
(1417).  VI.  Nr.  194  S.  234  (1420).  VI.  Nr.  305  S.  336  (1421).  Brehmer  in 
Mitteilungen  a.  a.  0.  IV.  8.  88  Nr.  68/60. 

*)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  369  b S.  401. 

»)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  517  b 8.  662. 

«)  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  169  S.  204. 

5)  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  497  8.  604  Note  1. 

«)  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  375  8.  361.  IX.  Nr.  168  8.  167. 

*)  Pauli,  Abli.  I.  8.  63  (1390). 

*)  Vgl.  Lüb.  Urkb.  VI.  Nr.  194  S.  234.  VI.  Nr.  305  S.  335. 

•)  Vgl.  r.  B.  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  339  S.  340.  X.  Nr.  579  8.  589. 
IX.  Nr.  473  8.  471.  Vgl.  auch  Wehrmann.  Die  ehemalige  Sängerkapelle 
in  der  Marienkirche  in  Zeitsch.  des  Vereins  für  Lübeckische  Geschichte  u.  s.  w. 
Bd.  I.  (1860)  8.  366. 


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58 


Was  die  Zahl  der  Treuhänder  anbelangt,  so  finden  wir 
fast  ausnahmslos,  dass  nur  ein  Lübecker  Bürger  im  Oberstadt- 
buch eingetragen  wurde.1)  Nur  ein  einziges  Mal,  so  weit  mir 
bekannt,  wurde  ein  Haus  mehreren  Personen  im  Oberstadtbuch 
zugoschricben.2)  Und  zwar  waren  hier  die  Treuhänder  noch 
Kinder.  Für  sie  erklärten  dann  ihre  Vormünder  vor  dem 
Niederstadtbuch,  dass  das  im  Oberstadtbuch  den  Kindern  zu- 
geschriebene Haus  in  Wahrheit  einem  Piiester  gehöre.  Einen 
Grund,  warum  man  in  diesem  Falle  zwei  Treuhänder  bestellte  und 
noch  dazu  Kinder,  kann  ich  nicht  finden.  Wir  sehen  aus  dieser 
Eintragung  aber,  dass  es  für  die  Treuhänder  nur  darauf  ankam, 
dass  sie  Lübecker  Bürger  waren,  auf  ihre  sonstigen,  persönlichen 
Eigenschaften  scheint  rechtlich  kein  Gewicht  gelegt  zu  sein. 

Vergleichen  wir  die  Zahl  der  Treuhänder  mit  denen  in 
Constanz,3)  so  fällt  uns  sofort  auf,  dass  man  in  Constanz  fast 
durchweg  mehrere  Salleute  bestellte,  während  in  Lübeck  gerade 
das  umgekehrte  der  Fall  war.4)  Hier  in  Lübeck  lagen  die 
Verhältnisse  aber  vollständig  anders  als  in  Constanz.  Die 
Gründe,  weswegen  in  Constanz  mehrere  Salleute  bestellt  werden, 
sucht  Beycrle  in  folgendem:  „Die  in  der  Salmannschaftsüber- 
nahme  liegende  Währschaftspflicht;  das  Treugelübte,  mit  der 
übertragenen  Rechtspflicht  gemäss  der  Mutung  des  Treugebers 
zu  handeln;  die  Vererblichkeit  der  Salmannbefugnisse“.5)  Obwohl 
diese  Gründe  auch  für  die  Lübecker  Verhältnisse  in  Betracht 
kommen,  so  sprechen  gerade  hier  in  Lübeck  noch  andere  Um- 
stände mit,  die  in  Constanz  wegfielen.  Beyerle  erwähnt  bei 
der  Besprechung  der  Gründe  für  die  mehreren  Salleute,  dass 
zwei  oder  mehr  Bürger  die  Funktionen  eines  „lebendigen  Grund- 
buchs“ viel  besser  erfüllten  als  ein  einziger.8)  Eines  „lebendigen“ 
Grundbuches  bedurfte  es  in  Lübeck  aber  nicht.  In  Lübeck  gab 
es  Grundbücher,  die  besser  als  alles  andere  die  dinglichen 

>)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  IV.  S.  417  Note  J.  VIII.  Nr.  664  8.  704. 
Rehme  a.  a.  O.  8.  Urkb.  Nr.  237  S.  337.  Nr.  246  b S.  341. 

*)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  216  8.  218  (1408). 

*)  Vgl.  Beyerle  a.  a.  0.  8.  104  fg. 

4)  Uebrigens  wird  es  in  CoDstanz  seit  der  Mitte  dos  14.  Jahrhunderts 
ebenfalls  Regel,  dass  für  einzelne  Private  als  Qrundstückserwerber  nur  ein 
Salmann  anftritt.  Vgl.  Beyerle  a.  a.  O.  8.  108. 

B)  Beyerle  a.  a.  O.  8.  110. 

*)  Beyerle  a.  a.  0.  8.  100. 


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Rechtsverhältnisse  eines  Grundstückes  darlegten.  Indem  der 
Treuhänder  im  Oberstadtbuch  als  Eigentümer  eingetragen  und 
indem  im  Niederstadtbuch  verzeichnet  wurde,  dass  der  im  Ober- 
stadtbuch eingetragene  nur  Treuhänder  sei,  wurde  für  die 
Folgezeit  unumstösslich  festgelegt,  wer  eigentlich  der  wahre 
Eigentümer  des  Grundstückes  ist.  Eine  „Verdunkelung  der 
Tatsachen“  konnte,  selbst  wenn  nur  ein  Treuhänder  bestellt 
war,  nicht  eintreten.  Hieraus  erklärt  sich,  warum  in  Lübeck 
im  Gegensatz  zu  Constanz  nur  ein  Treuhänder  bestellt  wurde. 
Die  Eintragung  in  die  verschiedenen  Bücher  genügte,  um  dem 
Treugeber  die  nötige  Sicherheit  zu  gewähren. 

Es  bleibt  uns  noch  übrig,  einige  Worte  über  den  eigent- 
lichen Bestellungsakt1)  zu  sagen.  Mir  ist  nur  eine  einzige 
Urkunde  bekannt,  die  hierüber  Auskunft  giebt.  Es  ist  dies  die 
oben  wiedergegebene  Niederstadtbuchseintragung  von  141 1.2) 
Darin  wird  von  dem  Treuhänder  gesagt  „se  . . in  dicta  scrip- 
tura  . . obligauit“.  Nicht  das  Bestellen  von  Seiten  des  Treu- 
gebers allein  genügte,  der  Treuhänder  musste  sich  auch  zur 
Uebernahme  bereit  erklären  und  sich  verpflichten,  die  Pflichten 
eines  Treuhänders  gewissenhaft  zu  erfüllen  und  mit  dem  Grund- 
stücke nur  nach  dem  Aufträge  des  Treugebers  zu  verfahren.3) 
Er  musste  sich  weiter  verpflichten,  dem  Treugeber  diejenige 
Stellung  einzuräumen,  die  diesem  ermöglichte,  in  ausgedehntem 
Masse  die  Nutzungen  des  Grundstückes  zu  ziehen.  Der  Treu- 
händer musste  ferner  ein  Treugelöbnis  ablegen,  er  versprach, 
seine  Pflichten  „tho  haidende  an  gudeme  truwen“4).  Ueber  die 
Form  dieses  Ti  eugelöbnisscs  habe  ich  in  den  Urkunden  nichts 
gefunden.  Jedenfalls  war  es  aber  ein  formelles  Treugelöbnis, 
durch  das  der  Treuhänder  sich  zum  persönlich  haftenden 
Schuldner  des  Treugebers  machte.  Wahrscheinlich  wird  es  in 
der  damals  allgemein  üblichen  Form  mit  Finger  und  Zunge 
oder  mit  Hand  und  Mund  abgelegt  sein.5) 

*)  Vgl.  Beyerle  a.  a.  0.  S.  103 f. 

2)  S.  oben  S.  51. 

®)  Vgl.  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  375  S.  351  (1430).  IX.  Nr.  168  S.  167  (1453). 

*)  Iälb.  Urkb.  IX.  Nr.  168  S.  167. 

5)  Vgl.  darüber  R.  Schröder,  Rechtsgeschichte  (3.  Aufl.)  8.  716. 
Brunner,  Grundzüge  der  deutschen  Rechtsgeschichte  (1.  Aufl.)  S.  180. 
Beyerle  a.  a.  O.  S.  103. 


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55 


§ 8- 

V.  Die  Rechtsstellung  des  Treuhänders  und  des 
Treugebers. 

Nachdem  in  den  vorigen  Abschnitten  gezeigt  worden  ist, 
wie  man  in  Lübeck  überhaupt  dazu  gelangt  ist,  das  Institut 
der  Treuhänder  im  Grundstücksverkehr  zu  benutzen,  handelt  es 
sich  in  diesem  Paragraphen  um  das  Rechtsverhältnis  zwischen 
Treuhänder  und  Treugeber  einerseits  und  um  das  Verhältnis 
beider  zu  dritten  Wir  knüpfen  damit  an  das  in  der  Einleitung 
Gesagte  an.  Das  privatrechtliche  Verhältnis  der  stadtrechtlichen 
treuen  Hand,  wie  es  uns  in  den  Lübecker  Urkunden  entgegen- 
tritt, ist  das  Thema  der  folgenden  Untersuchung.  Während 
man  bisher  über  die  landrechtliche  Treuhand  im  allgemeinen  zu 
einer  haltbaren  Ansicht  gelangt  ist,  streitet  man  sich  noch  um 
die  juristische  Konstruktion  der  städtischen  Treuhand.  Darin 
haben  selbst  die  ausführlichen  Untersuchungen  Beyerles  nichts 
geändert.  Mag  auch  für  Constanz  die  städtische  Treuhand  auf 
einer  Gemeinschaft  zur  gesamten  Hand  beruht  haben,  für  andere 
Städte,  namentlich  für  Lübeck,  trifft  dies  nicht  zu.  Wenn  auch 
nicht  so  viel  Material  wie  in  Constanz  vorhanden  ist,  so  genügen  die 
uns  erhaltenen  Urkunden  doch,  ein  genaues  Bild  von  der  Stellung 
der  Treuhänder  und  des  Treugebers  in  Lübeek  zu  gewinnen. 

Was  zunächst  die  Stellung  des  Treuhänders  anbetrifft,  so 
geht  diese  aus  der  eigentümlichen  Gestaltung  des  Liegenschafts- 
verkehres in  Lübeck  hervor.  Der  Liegenschaftsverkehr  in  Lübeck 
weicht  insofern  von  dem  in  Constanz  und  vielen  anderen  Städten 
ab,  als  hier  in  Lübeck  die  Anlegung  des  Stadtbuches  einen 
völligen  Umschwung  herbeigeführt  hat.1)  Während  man  früher2) 

')  Die  folgenden  Ausführungen  stützen  sich  auf  das  bereits  vielfach 
erwähnte  Buch  von  Rehme.  Vgl.  auch  ferner  die  Bemerkungen  bei  Gierke, 
Grundzüge  des  deutschen  Privatrechtes  (in  v.  Holtzendorff-Koblers  Eucy- 
klopädie  der  Rechtswissenschaft)  S.  486.  Gierke,  Deutsches  Privatrecht 
Bd.  II.  S.  274  fg.  R.  Schröder,  Rechtsgeschichte  (3.  Aufl.)  S.  691,  706. 

s)  Vgl.  Baseler,  System  des  gemeiuen  deutschen  Privatrechtes  (4.  Aufl. 
1886)  S.  362.  Stobbe,  Uandbnch  des  deutschen  Frivatrechtes  Bd.  I.  (3.  Aufl.) 
§ 67  S.  640.  Bd.  U.  (2.  Aufl.)  6 94  S.  193.  Stobbe  in  Iherings  Jahr- 
büchern Bd.  XII.  S.  208.  Gengier,  Das  deutsche  Privatrecht  in  seinen 
Grundzügen  (4.  Aufl.  1892)  S.  163.  Aubert  in  Zeitsch.  der  Savigny-Stiftnng 
für  Rechtsgeschichte  Germ.  Abt.  Bd.  XIV.  S.  6.  R.  Schröder  a.  a.  0.  S.  691. 


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56 


allgemein  annahm,  dass  sich  in  Lübeck  im  Mittelalter  der  Eigen- 
tumsübergang an  Liegenschaften  erst  durch  die  Auflassung  und 
Eintragung  im  Oberstadtbuch  vollzogen  habe,  und  während  man 
sich  zum  Beweise  dieses  Satzes  lediglich  auf  einige  Stellen  des 
Stadtrechtes  und  auf  einige  Lübecker  Oberhofsentscheidungen*) 
berief,2)  hat  erst  Rehme,  gestützt  auf  Eintragungen  in  das 
Oberstadtbuch,  völlige  Klarheit  über  den  Eigentumsübergang 
bei  Liegenschaften  geschaffen.3)  Nach  Rehme  muss  man  unter- 
scheiden zwischen  dem  Falle  der  freiwilligen  Veräusserung  und 
dem  Erwerb  durch  Richterspruch  und  durch  Erbgang.  Für 
unsere  Fälle  kommt  nur  der  erstere  Fall  in  Betracht.  Rehme 
ist  nun  auf  Grund  der  Oberstadtbuchseintragungen  zu  folgenden 
Sätzen  gelangt,  deren  Richtigkeit  nicht  mehr  in  Zweifel  gezogen 
werden  kann.  Bereits  im  Jahre  1284  wurde  im  Falle  der  frei- 
willigen Veräusserung  erst  durch  die  Eintragung  in  das  Ober- 
stadtbuch das  Eigentum  erworben,  nur  durch  Löschung  geht 
das  Eigentum  wieder  verloren.4)  Während  früher  die  Auflassung 
allein  den  Eigentumsübergang  bowirkte,  erfolgte  dieser  nunmchr 
durch  die  Auflassung  und  die  Eintragung.  Damit  war  aber 
die  Entwicklung  nicht  abgeschlossen.  Im  15.  Jahrhundert  trat 
die  Auflassung  völlig  in  den  Hintergrund.  „Sie  galt  nur  noch 
als  Voraussetzung  des  die  Eigentums  Veränderung  bewirkenden 
Aktes  der  Eintragung“.5)  Erst  die  Eintragung  also  verlieh  die 
Rechtsstellung  eines  Eigentümers.  Eine  derartige  Wirkung 
hatten  die  Eintragungen  aber  nicht  nur  bei  der  Veräusserung, 
auch  bei  Verpfändungen  war  die  Eintragung  im  Mittelalter  not- 
wendig zur  Entstehung  des  Rechtes.8) 

Aus  diesen  Sätzen  folgt  nun  folgendes.  Der  Fremde  oder 
Geistliche  konnte  im  Oberstadtbuch  nicht  eingetragen  werden, 
ihnen  war  das  Oberstadtbuch  verschlossen,  wie  oben7)  gezeigt 


’)  Hach  III.  248,  345  Note  9.  II.  36  Note  6.  Michelgen, 
Der  ehemalige  Oberhof  zu  Lübeck  Nr.  198  S.  271. 

*)  So  Beseler  a.  a.  O.  Stobbe  a.  a.  O.  Aubert  a.  a.  O.  Vgl. 
auch  Homeyer,  Die  Stadtbücher  des  Mittelalters  (1860)  S.  46  fg. 
s)  Rehme  a.  a.  O.  S.  252  fg. 

*)  Rehme  a.  a.  O.  S.  261  f. 

5)  Rehme  a.  a.  O.  S.  263.  Qierke,  Deutscheg  Privatrecht  Bd.  LL  S 281. 
®)  Rehme  a.  a.  O.  S.  265. 

*)  8.  oben  S.  24,  39. 


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57 


worden.  Statt  ihrer  wurde  der  Lübecker  Bürger  eingetragen. 
Da  nun  nur  die  Eintragung  den  Uebergang  des  Eigentumes 
begründete  oder  wenigstens  der  Schlussakt  zur  Begründung  des 
Eigentumes  war,  so  folgt  daraus,  dass  auch  nur  der  eingetragene 
Lübecker  Bürger  Eigentümer  werden  konnte.  Nur  auf  ihn 
wurde  das  Eigentum  eingetragen,  nur  ihm  gegenüber  wurde 
aufgelassen,  wie  die  Oberstadtbuchseintragungen  beweisen.  Es 
kann  darüber  m.  E.  ein  Zweifel  nicht  mehr  bestehen.  Mit  der 
Eintragung  übertrug  der  Veräusserer  auf  den  Treuhänder  das 
Eigentum,  zu  dessen  Erlangung  der  Treugeber  unfähig  wTar. 
Dies  beweist  auch  eine  Urkunde  aus  dem  Jahre  1430.1)  In  ihr 
bezeugt  ein  Lübecker  Bürger,  dass  ihm  ein  Hof  in  Lübeck  nur 
zu  treuen  Händen  für  das  Kloster  in  Doberan  zugeschrieben 
sei.  Am  Schlüsse  der  Urkunde  erklärt  daun  der  Treuhänder: 
„alzo  dat  ik  Bernd  Bazedowe  edder  myne  eruen  den 
„erbenomeden  hoff  schol  vndo  wil  nummende  vorkopen, 
„vorpanden  ofte  vorsetten  vor  deme  erwerdighen  rade 
„edder  rechte  to  Lubik  ofte  vor  nyneme  rechte,  dat  sy 
„gheestlik  edder  werlik,  men  wanner  dat  de  . . . here 
„ . . . abbete,  edder  syne  nakomolinghe  van  my  edder 
„van  mynen  kynderen  ofte  eruen  ys  esschende  den 
„vorbenomeden  hoff,  so  schol  yk  vnde  wil  edder  myne 
„eruen  den  erbenomeden  hoff  vorant worden  vnde  vor- 
„scriuen  laten  ane  jenigerleye  vortogheringe  offte  wedder- 
nrede edder  arghelist  . . .“ 

Aus  dieser  Urkunde  geht  zweifellos  hervor,  dass  der  Treuhänder 
an  und  für  sich  befugt  gewesen  ist,  dinglich  über  den  Hof  zu 
verfügen.  Der  Treuhänder  hat  ein  Verfiigungsrecht  mit  ding- 
licher Wirksamkeit  gegen  dritte.  Er  kann  das  Grundstück 
„vorkopen,  vorpanden  ofte  vorsetten“.  Er  hat  auch  die  Ver- 
tretung dritten  gegenüber.  Entsteht  ein  Rechtsstreit  über  das 
Grundstück,  so  hat  er  es  zu  „vorantworden“,  er  ist  der  Kläger 
und  der  Beklagte.  Aber  er  ist  nicht  uneingeschränkter  Eigen- 
tümer des  Grundstückes.  Er  kann  nicht  jedo  beliebige  Ver- 
fügung treffen,  sondern  ist  in  seinem  Eigentumsrechte  beschränkt 
durch  die  Rechte  des  Treugebers.  Nur  nach  dem  Willen  des 
Treugebers  kann  er  über  das  Grundstück  verfügen.  Der  Treu- 

')  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  375  S.  361. 


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händer  hat  dem  Treugeber  gegenüber  sich  verpflichtet,  den  Hof 
aus  eigenem  Antriebe  weder  zu  veräussern  noch  zu  belasten, 
er  will  es  vielmehr  nur  dann  tun,  wenn  sein  Treugeber  dies 
von  ihm  verlangt.  Aber  nicht  nur  dies  allein,  der  Treuhänder 
kann  auch  gar  nicht  gegen  den  Willen  des  Treugebers  eine 
dingliche  Verfügung  treffen,  er  ist  durch  das  dingliche  Recht  des 
Treugebers,  wie  unten  ausgeführt  werden  soll,  in  seiner  Ver- 
fügungsmacht derart  beschränkt,  dass  der  Treugeber  gegen  jede 
Vertragsbrüchige  Verfügung  seinen  Einspruch  erheben  kann. 
Dass  aber  nur  der  Treuhänder,  nicht  auch  der  Treugeber  ding- 
lich über  das  Grundstück  verfügen  kann,  geht  ebenfalls  aus  der 
angeführten  Urkunde  hervor.  Der  dingliche  Uebertragungsakt 
muss  durch  den  Treuhänder  vorgenommen  werden.  Auch  ein 
von  Pauli  angeführtes  Testament  kann  man  für  die  Eigen- 
tümerstellung des  Treuhänders  anführen.  In  ihm1)  erklärt  der 
Treuhänder: 

„.  . . et  ideo  dictam  proprietatem  domus  do  et  resigno 
„dicto  Herbardo  Cleneberghe  aut  cui  ipse  dederit  aut 
„vendiderit  . . .“ 

Zu  diesen  Zeugnissen  kommt  aber  noch  ein  weiteres.  Nicht  nur 
privat  recht!  ich  wurde  der  Treuhänder  als  Eigentümer  angesehen, 
sondern  auch  der  Obrigkeit  gegenüber  hatte  der  Treuhänder 
diejenigen  Pflichten  zu  erfüllen,  die  einem  Lübecker  Grund- 
eigentümer zukamen.2)  Ausdrücklich  ist  dies  nur  für  die  Schoss- 
pflicht ausgesprochen.  So  berichtet  im  Jahre  1403  der  Lübecker 
Bürgermeister  auf  eine  Anfrage  an  den  Rat  von  Reval, ;i)  ob 
geistliches  Gut  schosspflichtig  sei: 

„.  . . Werit  auer  dat  jengem  borger  gestlick  gut  worde 
„toscreuen  to  truwer  hand,  de  moste  darvore  doen  lik 
„sinem  egenen  gude  . .“ 

Und  ebenso  heisst  es  an  einer  anderen  Stelle  bezüglich  des 
Grundeigentumes  und  der  Renten  der  Geistlichen  und  der  Fremden: 

>)  Pauli,  Abh.  I.  S.  62  anno  1383.  Vgl.  auch  ibid.  S.  63  Testament  von 
1390.  Vgl.  darüber  auch  Hans  Lämmer,  Das  Recht  der  treuen  Hand 
(Dies.  Wiirxb.  1875)  S.  15. 

J)  Vgl.  darüber  schon  Lämmer  a.  a.  O.  S.  15,  obwohl  er  dem  Treu- 
händer fälschlich  kein  Eigentum  xuschreibt.  Ebenso  Hartwig  a.  a.  0.  S.  84. 
Rebine  a.  a.  ü.  S.  204.  Albrecht,  Die  Gewere  S.  251. 

s)  LUb.  Urkb.  V.  Nr.  72  S.  71;  abgedruckt  auch  bei  Rehme  a.  a.  0. 


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59 


. . Vortmer  weme  vppe  louen  eruen  effte  rente 
„toschreuen  staet,  dat  sy  van  gestliken  edder  van 
„werliken  personen,  deme  dat  toschreuen  steit,  de  schal 
„dat  vorschoten  by  synem  eede  . .‘ll) 

Der  Treuhänder  also,  nicht  der  Treugeber,  war  der  Stadt  gegen- 
über der  zu  den  städtischen  Abgaben  Verpflichtete,  er  hatte  für 
die  Bezahlung  des  Schosses  aufzukommen.  Der  Treuhänder 
war  nicht  nur  Vertreter  des  Treugebers,2)  so  dass  sich  die  Stadt 
auch  an  den  Treugeber  gehalten  hätte,  sondern  der  Stadt 
gegenüber  war  der  Treuhänder  der  Grundeigentümer,  ihn  traf 
daher  auch  die  Abgabe.3)  Lag  dem  Treuhänder  die  Hauptpflicht4) 
des  Lübecker  Bürgers  ob,  indem  er  den  Schoss  zahlen  musste, 
so  werden  wir  ihm  um  so  eher  die  anderen  Pflichten5)  auf- 
erlegeu  dürfen.  Umgekehrt  kommen  aber  auch  dem  Treuhänder 
als  eingetragenen  Eigentümer  diejenigen  Rechte  zu,  die  in 
Lübeck  mit  dem  Grundbesitz  verbunden  waren.8)  Namentlich 
galt  der  Treuhänder,  was  seine  Eigenschaft  als  Zeuge  betrifft, 
für  einen  erbbesessenen  Zeugen.  Es  folgt  dies  m.  E.  zweifellos 
aus  zwei  Lübecker  Oberhofsentscheidungen.  In  der  einen7) 
wird  ausgesprochen,  dass  derjenige,  der  ein  Haus  in  Lübeck 
gekauft  hat  „stunde  eme  dat  huesz  in  der  stadt  boke  nicht 
togeschreuen“,  für  einen  erbbesessenen  Bürger  als  Zeuge  nicht 
angesehen  werden  kann.  Das  heisst  also:  Der  Beweis,  dass 
jemand  ein  erbbesessener  Bürger  ist,  wird  durch  das  Oberstadt- 
buch geführt.8)  In  der  anderen  Entscheidung9)  wird  bestimmt: 


')  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  349  S.  37»  (1410). 

*)  So  Hartwig  a.  a.  O.  S.  165. 

*)  Vgl.  auch  Hartwig  a.  a.  O.  8.  166  Note  6. 

4)  Hartwig  a.  a.  O.  8.  15  nennt  die  Scbosspflicht  die  Bürgerpflicht 
katexochen. 

5)  »recht  doen,  schoten,  waken  vnde  vtkmaken*  Zeitschrift  des  Vereins 
für  Lübeckische  Geschichte  Bd.  III.  8.  263.  Vgl.  ferner  Lüb.  Urkb.  IV. 
Nr.  648  8.  735  anno  1397. 

®)  Mit  Unrecht  wird  dies  von  Stobbo,  Ueber  die  Salmanuen  a.  a.  O. 
8.434  bestritten.  Unklar  Lämmer  a.  a.  0.8.  16,  17.  Vgl.  auch  Heyerle 
a.  a.  0.  8.  32. 

7)  Michelson,  Oberhof  8.  271  Nr.  198. 

8)  Vgl.  auch  Pauli,  Zustände  Bd.  III.  8.  66. 

®)  Michelsen  a.  a.  O.  S.  189  Nr.  103.  Vgl.  auch  Nr.  105  8.  191; 
Nr.  267  8.  344. 


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„Na  deine  de  erscreuen  Clawes  Kroger  en  ancleger  is, 
„wes  he  dan  mit  der  Stad  Boke  . . . tilgen  kau,  des 
„mag  he  geneten  . 

Aus  diesen  beiden  Entscheidungen  geht  hervor,  dass  einmal 
jemand,  der  nicht  im  Stadtbuche  eingetragen  ist,  nicht  Vollzeuge 
sein  kann,  und  dass  zweitens  die  Eintragung  im  Oberstadtbuck  un- 
widerleglichen Beweis  liefert.  Die  Eigenschaft  als  erbbesessener 
Bürger  wird  mithin  durch  den  Nachweis  der  Zuschrift  eines 
Grundstückes  im  Oberstadtbuch  geführt.1)  Der  Treuhänder  ist 
im  Oberstadtbuch  eingetragen,  ihm  ist  das  Grundstück  zu- 
geschrieben worden,  er  ist  daher  auch  erbbesessener  Bürger.2) 
Ein  ausdrückliches  Quellenzeugnis  für  dieses  Ergebnis  liegt, 
soviel  mir  bekannt,  nicht  vor.  Praktisch  wird  die  Frage  über- 
haupt wenig  in  Betracht  gekommen  sein,  da  wie  oben  gezeigt 
ist,  die  Treuhänder  meist  aus  den  alten  angesehenen  und  erb- 
besessenen Familien  gewählt  worden  sind.  Für  das  Gegenteil, 
dass  den  Treuhändern  in  Lübeck  die  Rechte,  die  am  Grund- 
besitz hafteten,  nicht  zukamen,  darf  man  sich  m.  E.  nicht  auf 
das  Hamburger  Recht  stützen.3)  Gewiss  haben  beide  Rechte 
eine  innere  Verwandschaft.4)  Aber  ohne  ein  ausdrückliches 
Zeugnis  kann  man  die  Stelle  des  Hamburger  Rechtes  nicht 
auch  für  Lübeck  gelten  lassen.  Denn  eine  derartige  Bestimmung, 
wie  in  Hamburg,  würde  mit  der  Bedeutung  des  Oberstadtbuches 
nicht  im  Einklang  stehen,  hat  doch  das  Oberstadtbuch  öffent- 
lichen Glauben.5)  Soviel  ergeben  allerdings  die  Urkunden,  dass 
dem  Treugeber  die  auf  dem  Grundeigentum  ruhenden  Rechte 
nicht  zukommen.  Jedenfalls  wurde  er,  wenn  seine  Fähigkeit 
als  Zeuge  in  Frage  kam,  nicht  als  erbbesessener  Bürger  an- 
gesehen.6) Mit  Rücksicht  auf  die  Bedeutung  des  Oberstadt- 


*)  Vgl.  auch  Rehme  a.  a.  O.  S.  252  fg.,  256. 

*)  Im  Hamburger  Recht  galt  der  Treuhänder  allerdings  nicht  als  erb- 
besessener Bürger:  Hamburger  Stadtrecht  von  1197.  E.  XXXI.  § 3 (bei 
Stobbe,  Ueber  die  Salmannen  a.  a.  0.  S.  434):  .Eft  ock  wol  erve  koft 
hadde  vorander  lüde,  eder  sick  van  enes  anderen  weghen  to  truwer  band 
schriven  lete,  dardorch  ys  he  nycht  erfseten  . . .* 

s)  S.  vorige  Note. 

4)  Vgl.  R.  Schröder,  Rechtsgeschichte  (3.  And.)  S.  671. 

6)  Vgl.  Rehme  a.  a.  0.  S.  254. 

*)  Pauli,  Zustände  Bd.  III.  S.  66  Note  2. 


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bnches  kann  man  m.  E.  auch  nicht  mit  Rehme1)  sagen,  aus 
dem  Wortlaut  der  Niederstadtbuchseintragungen'  gehe  hervor, 
dass  nicht  der  Treuhänder,  sondern  der  Geistliche  oder  der 
Fremde  Eigentümer  sei.  In  den  Eintragungen  werden  allerdings 
z.  B.  folgende  Wendungen  gebraucht: 

„mihi  nullatenus  pertinere  . . . attamen  dicta  curia  . . . 
„claustro  dinoscitur  pertinere,  nec  ego  et  mei  heredes 
„quiequam  iuris  non  habemus  in  eadem  . ,“2) 

ferner: 

„domus  . . . veraciter  et  juste  appertinet  domino  Th  . . 
„K  . perpetuo  vicario  . .“3) 

oder: 

. iste  redditus  V marcarum  wichelde  ....  fratri 
„M.  W.  . . juste  et  veraciter  appertinent,  sibi  nichil  in 
„eis  proprietatis  vendicans  . .4) 
einmal  heisst  es  sogar: 

„w’ente  de  egendoem  des  vorschreuenen  houes  mit  siner 
„tobehoringe  like  der  vorpandige  tokumpt  dem  godeshuse 
„sunte  Brigitten  . . .“5) 

Wollte  man  aus  diesen  Stellen  herauslesen,  dass  juristisch  wirk- 
lich der  Treugeber,  nicht  der  Treuhänder  der  Eigentümer  des 
Grundstückes  gewesen  sei,  so  würde  man  damit  die  sämtlichen 
Grundsätze  über  die  Uebereignungsform  von  Liegenschaften  in 
Lübeck  über  den  Haufen  werfen.  Man  würde  dadurch  an- 
erkennen müssen,  dass  nicht  nur  dem  Oberstadtbucbe  kein 
öffentlicher  Glaube  zukam,  sondern  dass  man  in  Lübeck  auch 
ohne  Auflassung  und  Eintragung  in  das  Oberstadtbuch  Eigentum 
an  Liegenschaften  im  Wege  freiwilliger  Veräusserung  erlangen 
konnte.  Ein  Resultat,  das  man  m.  E.  völlig  ablehnen  muss. 
Meiner  Ansicht  nach  soll  in  jenen  Niederstadtbuchseintragungeu 
nur  das  V erhältnis  zwischen  dem  Treuhänder  und  dem  Treugeber 
zum  Ausdruck  kommen,  von  dem  weiter  unten  zu  sprechen  sein 


')  Rehme  a.  a.  O.  S.  204. 

S)  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  437  S.  482  (1384). 

5)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  407  S.  448  (1412).  Vgl.  auch  Lüb.  Urkb.  V. 
Nr.  517  S.  662  (1414).  V.  Nr.  «41  S.  728  (1417).  VI.  Nr.  547  S.  543  (1423). 

*)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  553  S.  697  (1416). 

6)  Lüb.  Urkb.  VIII.  Nr.  664  S.  704  (1450). 


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62 


wird.1)  Auch  daraus,  dass  dem  Treugeber  die  mit  dem  Grund- 
eigentum verbundenen  Rechte  nicht  zukamen,  folgt  m.  E.,  dass 
der  Treugeber  nicht  als  Eigentümer  angesehen  werden  kann. 

Somit  sind  wir  zu  dem  Resultat  gekommen,  dass  dem  Treu- 
händer von  dem  Veräusserer  ein  dingliches  Recht  an  der  Liegen- 
schaft übertragen  worden  ist,  dass  der  Treuhänder  zu  Ver- 
fügungen über  das  Grundstück  mit  dinglicher  Wirkung  berechtigt 
ist,  dass  er  Eigentümer  der  Liegenschaft  geworden  ist.  Da 
aber  jedes  dingliche  Recht  einen  Anspruch  auf  Darstellung  in 
einer  Gewere  hat,2)  so  muss  dem  Treuhänder  auch  eine  Gewere 
an  dem  Grundstücke  zukommen.  Die  Frage  kann  nicht  zweifel- 
haft sein;3)  ist  dem  Treuhänder  doch  das  Grundstück  aufgelassen, 
ist  er  doch  eingetragener  Eigentümer  und  geht  doch  richtiger 
Ansicht  nach  auch  unter  Lebenden  durch  gerichtliche  Auflassung 
Gewere  über.4)  Ja,  noch  weiter.  Der  Treuhänder  in  Lübeck 
erlangte  auch  die  rechte  Gewere,  da  der  im  Oberstadtbuch 
eingetragene  Eigentümer  nach  Ablauf  einer  Frist  von  Jahr  und 
Tag,  von  dem  Tage  der  Eintragung  an  gerechnet,  rechte  Gewere 
erlangte.5)  Dem  steht  nicht  etwa  entgegen,  dass  der  Treuhänder 
nicht  die  leibliche  Gewere  an  dem  Grundstücke  hatte,  denn 
leibliche  Gewere  ist  für  die  Erlangung  der  rechten  Gewere 

>)  Rehme  a.  a.  O.  stützt  sich  ferner  noch  auf  die  oben  8.  68  Note  3 
angezogene  Urkunde,  ln  dieser  heisst  es  von  dem  Treuhänder,  er  habe  das 
gut  „lik  sinem  egenen  gude“  zu  verschossen.  Auch  in  diesen  Worten  kann 
ich  keinen  Gegenbeweis  erblicken.  Es  ist  sehr  wohl  möglich,  dass  hier  in 
diesem  Brief  des  Lübecker  Bürgermeisters  weniger  das  juristische  Moment 
als  das  tatsächliche  Verhältnis  hervorgekehrt  ist. 

*)  Gierke,  Deutsches  Privatrecht  Bd.  II.  S.  189.  Gierke,  Grund- 
züge  a.  a.  0.  8.  48).  Vgl.  auch  Huber,  Die  Bedeutung  der  Gewere  im 
deutschen  Sachenrecht  (1894)  S.  20,  22. 

3)  Allerdings  streitet  Lämmer  a.  a.  O.  S.  17  den  städtischen  Sal- 
männern  generell  die  Gewere  ab. 

*)  Vgl.  Gierke,  Deutsches  Privatrecht  Bd.  II.  S.  194/5.  Huber 
a.  a.  O.  8.  33  fg.  Heusler,  Institutionen  Bd.  II.  S.  34.  Albrecht,  Die 
Gewere  als  Grundlage  des  älteren  deutschen  Sachenrechts  (1828)  S.  63  fg. 
Brunner  a.  a.  O.  (1.  Aufl.)  S.  170. 

6)  Vgl.  Rehme  a.  a.  O.  S.  254  fg.  Die  von  v.  Duhn,  Deutschrecht- 
liche Arbeiten  (1877)  S.  16  fg.  aufgesteilte  Ansicht,  dass  die  rechte  Gewere 
sofort  durch  die  Zuschrift  im  Oberstadtbuch  erworben  werde,  ist  durch 
Rehme  widerlegt. 


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63 


nicht  erforderlich.1)  Der  Treuhänder  hatte  aber  nur  ideelle 
Gewere,  denn  die  Nutzung  des  Grundstückes  stand  ja  nicht 
ihm,  sondern  dem  Treugeber  zu.2)  In  Folge  dessen  ist  das 
Verhältnis  der  Gewere  des  Treuhänders  zu  der  des  Treugebers 
dahin  zu  charakterisieren,  dass  dem  Treuhänder  ideelle  Eigen- 
gewere,  dem  Treugeber  aber  Nutzungsgewere,  ja  sogar  vererb- 
liche Nutzungsgewere  an  dem  Grundstücke  zustand.'*)  In 
Constanz4)  dagegen  erlangte  der  Salmann  auch  Nutzungsgewere, 
indem  er  sechs  Wochen  und  drei  Tage  im  ungestörten  Besitze 
der  Liegenschaft  verblieb.  In  Lübeck  habe  ich  hierfür  keinen 
Anhalt  gefunden.  Man  könnte  nun  denken,  dass  der  Fremde 
oder  der  Geistliche  an  den  Lübecker  Bürger,  den  Treuhänder, 
einen  kleinen  Zins  zahlen  musste;  aber  auch  hierfür  fehlen 
jegliche  Beweise.  Derartige  Mittel,  um  dem  Treuhänder  die 
leibliche  Gewere  zu  verschaffen,  waren  in  Lübeck  nicht  nötig; 
hier  genügte  es,  wenn  der  Treuhänder  nur  die  ideelle  Gewere 
erwarb.  Die  Institution  des  Oberstadtbuches  hat  es  mit  sich 
gebracht,  dass  die  Auflassung  und  Eintragung  die  formale 
Wirkungen  der  Gewere  selbst  beim  Mangel  jeder  tatsächlichen 
Herrschaft  ausübte.  Wenn  jemand  in  das  Oberstadtbuch  ein- 
getragen war  und  Jahr  und  Tag  seit  der  Eintragung  vergangen 
war,  so  war  der  Eingetragene  berechtigt,  Verfügungen  mit 
dinglicher  Wirkung  über  das  Grundstück  zu  treffen,  der  Ein- 
getragene war  unabhängig  von  der  tatsächlichen  Herrschaft  der 
dinglich  Berechtigte.5) 

Gegenüber  dieser  Stellung  des  Treuhänders  als  Eigentümer 
hatte  der  Treugeber,  also  der  Fremde  oder  Geistliche,  keine 
dingliche  Verfügungsmacht  über  das  Grundstück  selber,  obgleich 
auch  ihm  ein  weitgehendes  dingliches  Recht  zur  Seite  stand. 
Ergiebt  schon  die  Institution  und  die  Bedeutung  des  Oberstadt- 
buches, dass  der  Fremde  oder  Geistliche  nicht  dinglich  über  das 


')  Gierke,  Deutsches  Privatrecht  Bd.  II.  8.  197  Note  42. 

*)  Vgl.  Ueber  die  Möglichkeit  der  ideellen  Gewere  des  einen  und  der 
leiblichen  Gewere  eines  anderen  an  demselben  Grundstücke  Gierke  a.  a.  O. 
Bd.  II  8.  194  Note  36. 

3)  Vgl.  Gierke  a.  a.  O.  Bd.  II.  8.  200  Note  58. 

*)  Vgl.  Beyer le  a.  a.  0.  8.  Il9fg.,  146. 

5)  Vgl.  Huber  a.  a.  0.  8.  74.  Rehme  a.  a.  O.  8.  254  f.  Gierke, 
Deutsches  Privatrecht  Bd.  II.  8.  193  fg. 


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04 


Grundstück  verfügen  konnte,  so  geht  dies  aber  auch  unzweifel- 
haft aus  den  Urkunden  hervor.  Am  deutlichsten  zeigt  es  jene 
oben1)  erwähnte  Urkunde  von  1430.  Wird  doch  in  ihr  aus- 
drücklich erwähnt,  dass  der  Treugeber  bei  der  dinglichen  Ver- 
fügung über  das  Grundstück  sich  des  Treuhänders  zu  bedienen 
hatte.  Auch  aus  einem  von  Pauli2)  angeführten  Testamente 
von  1383  geht  hervor,  dass  der  Treugeber  nicht  mit  dinglicher 
Wirksamkeit  verfügungsberechtigt  gewesen  ist.  Er  konnte  nur 
dare  und  vendere.  Den  Uebertragungsakt  selber  musste  der 
Treuhänder  vornehmen.  Hiermit  kommen  wir  zu  einem  weiteren 
Punkte.  Wir  haben  gesehen,  dass  dem  Treuhänder  die  Stellung 
des  Eigentümers  zukommt,  dass  er  Verfügungen  über  das  Grund- 
stück mit  dinglicher  Wirkung  allein  treffen  kann.  Das  der 
dinglichen  Verfügung  zu  Grunde  liegende  Rechtsgeschäft  dagegen 
schloss  der  Treugeber  ab.  Zum  Abschluss  von  schuldrechtlichen 
Verträgen  über  Grundstücke  in  Lübeck  waren  Fremde  und 
Geistliche  im  15.  Jahrhundert  zweifellos  berechtigt.  Auch 
brauchte  zum  Abschluss  des  Veräusserungs-  oder  Verpfandungs- 
vertrages der  Treuhänder  nicht  zugezogen  zu  werden.  Alle 
derartige  Verträge  wurden  nur  von  dem  Fremden  oder  Geist- 
lichen abgeschlossen.  Bei  dem  Kaufvertrag  selber  hatte  der 
Treuhänder  nicht  mitzuwirken.  Dieser  trat  vielmehr  erst  dann 
ein,  wenn  es  sich  um  die  Eigentumsübertragung  handelte.  Mag 
es  sich  nun  um  den  Erwerb  oder  um  die  Wiederveräusserung 
durch  den  Treugeber  handeln.  Der  Fremde  oder  Geistliche 
schloss  den  schuldrechtlichen  Vertrag,  sei  es  Kauf  oder  Verkauf, 
ab,  zahlte  oder  empfing  den  Kaufpreis.  Der  Veräusserer  da- 
gegen verpflichtete  sich,  das  Grundstück  auf  den  Namen  eines 
Lübecker  Bürgers  eintragen  zu  lassen.*)  Die  Möglichkeit  des 
schuldrechtlichen  Vertragsabschlusses  durch  den  Treugeber 
zeigen  viele  Urkunden.  Auch  ohne  dass  der  Fremde  bereits 
einen  Lübecker  Bürger  als  Treuhänder  gewonnen  hatte,  konnte 
von  ihm  der  schuldrechtliche  Vertrag  abgeschlossen  werden. 
Eine  Urkunde  aus  dem  Jahre  1460  bringt  dies  deutlich  zum 

')  Vgl.  oben  S.  67. 

*)  Abh.  I.  8.  63. 

*)  In  diesen  Verträgen  kommt  das  von  jeber  im  deutschen  Rechte  an- 
erkannte Prinzip  des  Versprechens  einer  Leistung  an  Dritte  zur  Qeltung.  Vgl. 
Gierke,  Grundzüge  a.  a.  0.  8.  526. 


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65 


Ausdruck.  In  ihr1)  verwendet  sich  der  Herzog  von  Braun- 
schweig-Lüneburg  beim  Rate  von  Lübeck  für  einen  gewissen 
Werner  Bese.  Derselbe 

„.  . . . hebbe  in  juwer  stad  bynnen  Lubicke  eyn  hus 
„gekofft  vnd  dat  merkliken  gebuwed  vnd  gebeterd,  vnde 
„alse  he  denne  datsulue  hus  sick  wolde  na  juwer  stad 
„wonheid  toscriuen  laten  vnd  darupp  bath  juwe  borger- 
„schupp,  hebben  gij  ame  des  geweygert  vnd  nicht 
„wolden  tostaden  . . 

Die  Urkunde  fährt  dann  am  Schluss  fort: 

„.  . . Wij  vernemen  ok  von  der  wegene,  wanner  ome 
„eyn  sulkes  nicht  mochte  wedderforen,  dat  he  hebbe 
„van  jw  gebeden  vnd  noch  bidde,  dat  denne  jemant 
„van  jw  edder  den  juwen  wolde  ghan  in  den  kopp  vnd 
„renthe  des  vorgescreuen  huses  mit  wedderkaringe  des 
„geldes  arbeides  vnd  kost  darupp  gedan  vnd  gedreuen, 
„so  bewislik  iss,  des  were  he  denne  wol  toureden  . 
Der  Fremde  hat  also  das  Haus  gekauft,  hat  daran  sogar  Ver- 
besserungen und  Umbauten  vorgenommen,  ohne  im  Stadtbucli 
eingetragen  zu  sein.  Als  er  dann  wirklich  die  Eintragung,  d.  h. 
die  Uebertragung  des  Eigentumes  verlangte,  wird  ihm  diese  ab- 
geschlagen, weil  er  ein  Fremder  ist  und  die  Bürgerschaft  nicht 
besitzt.  Den  schuldrechtlichen  Vertrag  hat  er  also  abschliessen 
können.  Ebenso  heisst  es  in  dem  mehrfach  erwähnten  Testamente 
des  Detmarus  Z warte:2) 

„.  . domus  non  attinet  michi,  sed  juste  pertinet  Herbordo 
„Cleneberghe,  qui  eam  emit  et  personaliter  per- 
„solvit  cum  sua  propria  pecunia  . 

Auch  hieraus  geht  deutlich  hervor,  dass  der  Treugeber,  nicht 
der  Treuhänder  den  verpflichtenden  Kaufvertrag  abgeschlossen 
und  den  Kaufpreis  gegeben  hat.  Dasselbe  beweisen  auch  einzelne 


*)  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  891  S.  927. 

s)  Pauli,  Abh.  I.  S.  62  (1383).  Hierher  gehört  m.  E.  auch  die  von 
Rehme  a.  a.  0.  S.  91  angeführte  Randbemerkung  (Hs.  1373  Jacobi).  Hier 
heisst  es  nur,  dass  der  Fremde  oder  Geistliche  sein  Haus  verkaufte 
(vendidit).  Von  einer  dinglichen  Uebereignung  ist  nicht  die  Rede.  Der 
Ausdruck  .vendidit'1  geht  nnr  auf  das  zu  Grande  liegende  Rechtsgeschäft. 

Looning,  Gründer  worb  mul  Treuhand  in  Lübeck  5 


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66 


Niederstadtbuchseintragungen.1)  Demgegenüber  finden  sich  aller- 
dings Stellen,  in  denen  gesagt  wird,  dass  der  Treuhänder  selber 
den  Kaufvertrag  abgeschlossen  habe.  Zunächst  sind  hier  einige 
Oberstadtbuchseintragungen  zu  nennen,  in  denen  erwähnt  wird, 
dass  der  eingetragene  Eigentümer,  also  der  Treuhänder,  das 
Grundstück  gekauft  habe.2)  Diese  Stellen  liefern  jedoch  keinen 
Gegenbeweis  gegen  die  hier  vertretene  Ansicht.  Wird  doch  im 
Oberstadtbuch  überhaupt  nicht  der  Kaufvertrag,  sondern  nur 
die  Tatsache  des  Kaufes  beurkundet.3)  Da  der  Treuhänder  im 
Oberstadtbuch  eingetragen  wurde,  so  wurde  auch  angenommen, 
dass  er  das  zu  Grunde  liegende  Rechtsgeschäft  abgeschlossen 
hätte.  Bedenklicher  dagegen  sind  zwei  andere  Niederstadt- 
buchseintragungen aus  den  Jahren  1456  und  1457J)  In  ihnen 
heisst  es  ausdrücklich,  dass  die  als  Eigentümer  Eingetragenen 
die  betreffenden  Grundstücke  gekauft  haben;5)  in  der  einen 
heisst  es  sogar,  dass  er  das  Geld  bezahlt  habe.6)  Es  handelt 
sich  aber  hier  um  zwei  besondere  Fälle.  Treuhänder  waren 
hier  die  Vorsteher  der  Antoniusbruderschaft  und  diese  Bruder- 
schaft. war  die  Treugeberin.  Die  Vorsteher  haben  den  Kauf- 
vertrag daher  auch  nicht  für  sich  als  Einzelpersonen,  sondern  in 
ihrer  Eigenschaft  als  Vorsteher  der  Bruderschaft  abgeschlossen. 
Diese  hat  auch  den  Kaufpreis  bezahlt,  trotz  der  anderweitigen 
Angaben.  Dies  geht  aus  dem  Schlüsse  der  Eintragung  von 
1456  hervor,  der  lautet:7) 


»)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  216  S.  218  (1408).  V.  Nr.  359  S.  401 
(1411).  Brebmer,  Lübeckiscbe  Häusernamen  in  den  Mitteilungen  des 
Vereins  für  Lübeckiscbe  Geschichte  IV.  S.  88  Nr.  68/60.  Lüb.  Urkb.  II. 
Nr.  336  S.  279  (1316):  „.  . . . quam  ipse  dominus  Alardus  (der  Geistliche) 
nnnc  emit  et  racionabiliter  persoluit,  licet  ad  manus  Arnoldi  Nigri  ciuis 
Lubicensis  sit  resignata  et  scripta  . . .“ 

*)  Vgl.  z.  B.  Lüb.  Urkb.  IV.  S.  438  Note  1.  Rehme  a.  a.  O.  Urkb. 

Nr.  246  b S.  341  (1412).  Vgl.  auch  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  517  b S.  662  (1414). 

3)  Rehme  a.  a.  O.  8.  46. 

*)  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr  339  S.  340  (1466).  IX.  Nr.  473  S.  471  (1457). 

6)  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  339  „.  . . den  ik  cofte  . . . den  hebbe  ik  en  to 

ghude  gecoft  . . .“  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  473  . . . dat  ik  hebbe  gecoft  . . . 

en  hoppenlant  . . .* 

“i  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  473. 

7)  Lüb.  Urkb.  IX.  Nr.  339. 


a 


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67 


. Wo  dur  dat  de  hof  ghecoft  waert  vnde  woer  dat 
„ghelt  heerquam,  dar  he  mede  betaelt  waert,  darvan 
„vint  me  alle  bescheet  gheschreuen  in  der  broderschap 
„permint  buke  mit  rodem  ledder  buten  betogen  . 

Mit  anderen  Worten:  Der  Kaufvertrag  wurde  von  dem  Vor- 
steher und  nachherigen  Treuhänder  im  Namen  der  Bruderschaft 
abgeschlossen,  diese  zahlte  den  Kaufpreis  und  dann  wurde  der 
Kaufvertrag  in  „der  broderschap  permint  buke“  eingetragen. 
Auch  in  diesen  Fällen  schliesst  also  der  Treugeber  das  Gedinge  ab. 

Ebenso  wie  das  Erwerbsgeschäft,  so  wurden  auch  alle 
anderen,  späteren  schuldrechtlichen  Verträge  von  dem  Treugeber, 
und  nicht  von  dem  Treuhänder,  geschlossen.  Schon  oben  sind 
dafür  einzelne  Beispiele  angeführt.1)  Hier  soll  nur  noch  auf 
etwas  anderes  hingewiesen  werden.  Der  Treugeber  konnte 
nämlich  nicht  nur  Verträge  über  das  Grundstück  inter  vivos 
abschliessen,  er  hatte  auch  die  Möglichkeit  einseitig  zu  bestimmen, 
was  mit  dem  Grundstücke  oder  der  Rente  nach  seinem  Tode 
geschehen  sollte.  In  einer  Niederstadtbuchseintragnng  von  1420, 
in  der  am  Anfänge  der  Treuhänder  sein  Treuverhältnis  bekannt 
giebt,  erklärt  der  Treugeber  unmittelbar  darauf  folgendes: 

„Prefatus  tarnen  dominus  Johannes  Vette  ob  reuerenciam 
„et  ob  salutem  anime  sue  coram  libro  recognouit,  se 
„totaliter  dedisse  et  dimisisse,  dedit  et  dimisit  eandem 
' „domum  cum  suis  appertinenciis,  quod  post  suam  mortem 
„euenire,  cadere  et  cedere  debet  ad  vicariam  altaris 
„beate  Virginis  ante  chorum  parrochialis  eiusdem  ecclesie 
„sancti  Egidii  iuxta  disposicionem  seu  ordinacionem 
„prouisorum  Holdes  van  Dülmen  uel  collatorum  predicte 
„vicarie,  ita  videlicet  quod  dicti  prouisores  uel  collatores 


')  Vgl.  die  bereits  vielfach  angeführten  Urkunden:  Pauli,  Abh.  I.  S.62 
(1383).  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  375  S.  351  (1430).  Vgl.  auch  Lüb.  Urkb.  II. 
Nr.  335  S.  279  (1315).  VIII.  Nr.  664  S.  704  (1460).  VI.  Nr.  497  S.  504 
(1421).  Hierher  gehört  auch  folgender  Lüschuugsveruierk  bei  der  Nieder- 
stadtbuchseintragung von  1412  Palmarum  (Lüb.  Urk.  V.  Nr.  407  S.  44M 
und  Rehme  a.  a.  O.  Urkb.  S.  341  Note  1):  „Deletum  in  presencia  et  ex 
jussu  predicti  domini  Tbome  Krogher*.  Dieser  Thomas  Krogher  war  der 
Treugeber.  Im  Niederstadtbuch,  wo  nicht  das  dingliche  Recht,  sondern  das 
dem  dinglichen  Rechte  au  Grunde  liegende  Rechtsgeschäft  beurkundet  wurde, 
konnte  also  der  Treugeber  allein  löschen  lassen. 

5* 


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68 


„possunt  eandem  domum  vendere  et  cum  istis  pecuniis 
„prefatam  pecuniam  meliorare  cum  certis  redditibus, 
„sicut  eis  melius  videbitur  expedire.“1) 

In  einer  anderen  Niederstadbuchseintragung2)  erklärt  der 
Treuhänder : 

. Insuper  dictus  Johannes  Houeman  pro  se  et  snis 
„heredibus  coram  libro  recognouit,  quod  prenominata 
„summa  non  est  sni,  sed  sibi  asscripta  ad  fldeles  manus 
„domini  Nicolai  de  Stendele  ad  vitam  dicti  domini  Nicolai 
„et  post  suam  mortem  peruenit  ad  capitulum  Ratze- 
„burgense  et  ad  vnam  vicariam  ibidem  instaurandhm“.3) 
Pauli  sieht  in  der  Eintragung  von  1420  eine  Vergabung  von 
Todes  wegen.4)  Es  ist  dies  meiner  Ansicht  nach  nicht  richtig. 
Von  einer  Vergabung  von  Todes  wegen  kann  man  nur  dann 
sprechen,  wenn  der  Bedachte  bereits  zu  Lebzeiten  des  Ver- 
gabenden  ein  dingliches  Recht  an  dem  vergabten  Gegenstände 
erlangt  hat/’)  Dies  gilt  auch  für  Lübeck,  wenn  auch  hier  Ver- 
gabungen von  Todes  wegen  seltener  vorkamen.  Auch  hier 
erfolgte  die  Vergabung  vor  dem  Rate  durch  Auflassung.8)  In 
der  vorliegenden  Urkunde  ist  von  einer  Auflassung  nichts  zu 
finden;  vielmehr  deuten  die  Ausdrücke  dare  und  dimittere  auf 
das  Rechtsgeschäft  selber  hin.  Welcher  Art  ist  aber  dieses 
Rechtsgeschäft?  Eine  Schenkung  unter  Lebenden  kann  es  trotz 
der  Worte  „dedisse  et  dimisisse“  nicht  sein,  denn  der  Erfolg 
der  Erklärung  soll  erst  nach  dem  Tode  des  Treugebers  eintreten. 
Auch  eine  Schenkung  auf  den  Todesfall  kann  bei  der  Persön- 
lichkeit des  Bedachten  nicht  in  Frage  kommen.  Es  handelt 
sich  hier  vielmehr  um  Folgendes:  Der  Treugeber  will  dem  Be- 
dachten nach  seinem  Tode  die  Stellung  einräumen,  die  er  bisher 
selber  innegelmbt  hat.  Der  Bedachte  soll  nach  dem  Tode  des 

')  I.üb.  Urkb.  VI.  Nr.  194  S.  234;  etwas  abweichend  auch  bei  Pauli, 
Abh.  III.  8.  181. 

*)  Lüh.  Urkb.  VI.  Nr.  169  S.  204  0419)  (auch  abgedruckt  bei  Rebme 
a.  a.  O.  S.  203).  Vgl.  ferner  LUb.  Urkb.  VI.  Nr.  305  S.  335  (1421). 

3)  Nicolas  de  Stendele  war  Priester  (LUb.  Urkb.  VI.  S.  204  Note  1). 

4)  Abh.  III.  S.  181. 

6)  Vgl.  darüber  genauer  meine  Schrift  über  das  Testament  im  Magde- 
burger .Stadtrecht  S.  23  fg.  und  die  dort  erwähnten. 

*)  Rehme  a.  a.  0.  S.  lisfg 


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69 


Treugebers  nicht  nur  dieselbe  dingliche  Rechtsstellung  erhalten, 
die  bisher  der  Treugeber  hatte,  sondern  er  soll  auch  zum  Treu- 
händer in  dasselbe  Verhältnis  treten,  in  dem  bisher  Treugeber 
und  Treuhänder  gestanden  haben.  Ein  derartiges  Eintreten 
eines  anderen  in  die  Stellung  des  Treugebers  kann  kraft  testa- 
mentarischen Erbrechtes  erfolgen,  indem  der  Treugeber  zu 
Gunsten  des  Bedachten  eine  Verfügung  von  Todes  wegen  trifft. 
Hierdurch  succediert  beim  Tode  des  Treugebers  der  Bedachte 
ohne  weiteres  in  alle  Rechte  des  Treugebers.  Die  Rechte  und 
Pflichten  des  Treugebers  gehen  kraft  testamentarischer  Erbfolge 
auf  den  Bedachten  über,  ohne  dass  eine  sonstige  Veränderung 
eintritt.  Auf  den  ersten  Blick  hin  scheint  dies  jedoch  nicht 
alle  Fälle  zu  decken.  Man  könnte  sich  z.  B.  den  Fall  denken  — 
es  ist  mir  allerdings  keiner  bekannt  — dass  der  Treugeber 
nach  seinem  Tode  jemand  bedenken  wollte,  der  Lübecker  Bürger 
ist,  der  also  fähig  ist,  Grundeigentum  in  Lübeck  zu  erwerben. 
Aber  auch  für  diesen  Fall  ist  eine  letztwillige  Verfügung  des 
Treugebers  ausreichend.  Zwar  konnte  der  Treuhänder  zur 
Uebereignung  der  Liegenschaft  an  den  dritten  Bedachten  ohne 
weiteres  auf  Grund  des  Testamentes  nicht  verpflichtet  werden. 
Durch  das  Testament  des  Treugebers  erlangt  der  Bedachte  nur 
die  Stellung  des  verstorbenen  Treugebers.  Eigentum  erlangt 
er  durch  das  Testament  nicht;  vielmehr  bleibt  der  bisherige 
Treuhänder  noch  Eigentümer.  Der  Bedachte  erhält  nur  das 
dem  bisherigen  Treugeber  zustehende,  weitgehende  dingliche 
Nutzungsrecht.  Wie  jedoch  der  bisherige  Treugeber  vom  Treu- 
händer jederzeit  die  Uebereignung  der  Liegenschaft  an  einen 
Dritten  verlangen  konnte,  so  kann  auch  jetzt  der  Lübecker 
Bürger  dieses  Recht  geltend  machen.  Und  da  er  selber  grund- 
eigentumserwerbsfähig ist,  so  kann  er  auch  die  Uebereignung 
der  Liegenschaft  an  sich  selbst  verlangen.  Er  kann  die  Auf- 
lassung an  sich  selbst  und  seine  Eintragung  ins  Oberstadtbuch 
begehren.  Da  jedoch  die  Stellung  des  Treugebers  nicht  nur 
auf  einem  dinglichen  Rechte  beruhte,  wie  noch  unten  näher 
ausgeführt  werden  soll,  sondern  da  der  Treuhänder  dem  Treu- 
geber mittels  eines  Treugelöbnisses  persönlich  verpflichtet  war, 
so  veranlasste  der  Treugeber  zu  seinen  Lebzeiten  den  Treuhänder, 
die  Schuld  dem  dritten  Bedachten  zu  geloben.  Die  aus  dem 
Treuverhältnisse  zwischen  Treugeber  und  Treuhänder  entstandenen 


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persönlichen  Verpflichtungen  des  Treuhänders  sollten  nach  dem 
Tode  des  jetzigen  Treugebers  einen  Dritten  berechtigen.  Es 
geschah  dies  durch  „Verwandlung  des  Gelübdes“.1)  Darum 
erklärt  in  der  Niederstadtbuchseintragung  von  14192)  nicht  der 
Treugeber,  sondern  der  Treuhänder,  was  mit  der  Rente  nach 
dem  Tode  des  Treugebers  erfolgen  sollte. 

Damit  sind  wir  aber  schon  bei  einer  anderen  Frage  an- 
gelangt: wie  charakterisiert  sich  das  Verhältnis  zwischen  Treu- 
händer und  Treugeber?  Es  mag  zunächst  bervorgehoben  werden, 
dass  die  uns  bekannten  Urkunden  nur  wenig  Aufschluss  darüber 
geben,  ob  von  Seiten  des  Treugebers  irgend  welche  Verpflich- 
tungen übernommen  worden  sind.  So  namentlich  lässt  sich  nicht 
feststellen,  ob  der  Treuhänder  seine  Treuhändereigenschaft  frei- 
willig übernommen  hat,  oder  ob  er  zur  Uebernahme  gezwungen 
werden  konnte,  ob  also  eine  Pflicht  jedes  Lübecker  Bürgers  be- 
stand, das  Amt  eines  Treuhänders  zu  übernehmen.  Wir  möchten 
uns  für  ersteres  erklären.  In  der  schon  oben  erwähnten  Urkunde 
von  141 13)  heisst  es,  der  Treuhänder  habe  seine  Verpflichtung 
übernommen  auf  Bitten  (ad  peticionem)  und  aus  Liebe  (ob 
amorem)  zu  dem  Treugeber.  Wenn  allerdings  auch  in  diesen 
Worten  kein  völliger  Beweis  zu  sehen  ist,  so  ergeben  sie  doch 
für  unsere  Annahme  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit.  Unter- 
stützung findet  diese  Annahme  auch  aus  der  Entstehungs- 
geschichte des  städtischen  Treuhänders.  Hat  sich  doch  das 
Institut  der  Zuschreibungen  zu  treuen  Händen  allmählich  in 
Folge  der  Gesetzgebung  herausgebildet,  die  in  Lübeck  den  Erwerb 
von  Grundeigentum  durch  Geistliche  und  Fremde  regelte.  Ebenso 
möchte  ich  aus  diesen  Worten  folgern,  dass  der  Treuhänder  für 
die  Uebernahme  seiner  Verpflichtung  ein  Entgelt  nicht  erhalten 
hat.  Es  war  gewissermassen  ein  Liebesdionst,  den  der  Treu- 
händer dem  Treugober  leistete,  der  entweder  aus  religiöser  oder 
aus  freundschaftlicher  Gesinnung  zu  dem  Treugeber  entsprang. 
Andere  Pflichten  dagegen  musste  der  Treugeber  übernehmen. 
So  lag  ihm  namentlich  eine  Ersatzpflicht  für  alles  das  ob,  was 


*)  Dieser  Ausdruck  für  die  Form  der  Uebertragung  einer  Schuld  wird 
angowendet  in  Blume,  v.  Magd.  LL  2cap.  98  (Ausg.  v.  Bühlau). 

*)  Vgl.  oben  S.  68  Note  2. 

®)  Lüb.  Urkb.  V.  Nr.  359  S.  401.  Vgl.  auch  Liib.  Urkb.  IX.  Nr.  168  S.  167. 


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der  Treuhänder  im  Interesse  des  Treugebers  aufwendete.  Der 
Treugeber  war  dem  Treuhänder  gegenüber  zur  Zahlung  des 
Schosses  verpflichtet ; der  Treuhänder  sollte  selber  keine  weiteren 
Nachteile  von  der  Uebernahme  seiner  Verpflichtung  haben.1) 
Daher  wurde  auch  manchmal  gleichzeitig  mit  der  Erklärung 
des  Treuhänders  vor  dem  Niederstadtbuch,  dass  ihm  das  Grund- 
stück oder  die  Rente  nur  zu  treuen  Händen  zugeschrieben  sei, 
hervorgehoben,  dass  die  Schosspflicht  nicht  dem  Treuhänder, 
sondern  dem  Treugeber  oblag.  So  heisst  es  in  einer  Eintragung 
von  1421,  in  der  Ludowicus  Crul  erklärte,  dass  die  ihm  im 
Oberstadtbuch  zugeschriebenen  Renten  „de  jure  pertinent  ad 
prefata  luminaria“,  am  Schluss  der  Eintragung:2) 

„Insuper  dicte  capeile  vicarius  perpetuis  temporibus 
„debet  et  potest  prefatos  redditus  singulis  annis,  wlgariter 
„verschoten,  pro  L III  marcis  lubicensium  denariorum 
„dominis  consulibus  huius  ciuitatis.“ 

Durch  eine  derartige  Erklärung  konnte  nur  die  Verpflichtung 
des  Treugebers  zur  Zahlung  des  Schosses  dem  Treuhänder 
gegenüber  festgestellt  und  beurkundet  werden,  der  Obrigkeit 
gegenüber  kam  aber  immer  nur  der  Treuhänder  für  die  Zahlung 
des  Schosses  in  Betracht.2)  In  gleicher  Weise  wird  wohl  — 
obgleich  Zeugnisse  dafür  mir  nicht  bekannt  sind  — der  Treu- 
geber auch  für  sonstige  Auslagen  des  Treuhänders  im  Interesse 
des  Teugebers  aufgekommen  sein.  So  namentlich  für  die  Ge- 
bühren, die  dem  Stadtschreiber  für  die  Eintragung  in  das  Ober- 
stadtbuch zu  zahlen  waren.4)  Aber  auch  hier  war  nicht  der 
Treugeber,  sondern  der  Treuhänder  zur  Zahlung  dem  Stadt- 
schreiber gegenüber  verpflichtet. 

Eine  etwas  genauere  Kenntnis  haben  wir  für  die  Ver- 
pflichtungen, die  der  Treuhänder  dem  Treugeber  gegenüber 
übernommen  hatte.  Wir  haben  oben  gesehen,  dass  sich  das 
Recht  des  Treuhänders  an  dem  ihm  zugeschriebenen  Grundstücke 

*)  Vgl.  Hartwig  a.  a.  0.  S.  166  f.  Vgl.  auch  Mitteilungen  de» 
Vereins  für  LUbeckische  Geschichte  VIII.  S.  127,  128. 

*)  LUb.  Urkb.  VI.  Nr.  303  S.  335. 

s)  Vgl.  die  Stellen  oben  S.  58,  59. 

4)  Bereits  im  13.  Jahrhundert  waren  hierfür  vom  Rate  besondere  Taxen 
aufgestellt.  Vgl.  LUb.  Urkb.  L Nr.  320  S.  303  (1270).  I.  Nr.  534  S.  487 
(1289).  Vgl.  darüber  Rehme  a.  a.  0.  S.  183.  Rrensdorff,  Verfassung  S.  116. 


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als  Eigentum  charakterisierte.  Der  Treuhänder  war  zur  Ver- 
fügung über  das  Grundstück  berechtigt,  er  konnte  es  veräussern 
oder  belasten  mit  Wirksamkeit  gegen  Dritte.  Seine  Stellung 
beruhte  nicht  nur  auf  dem  zwischen  ihm  und  dem  Treugeber 
geschlossenen  schuldrechtlichen  Vertrage,  sondern  kraft  der  Auf- 
lassung des  Grundstückes  an  den  Treuhänder  und  kraft  seiner 
Eintragung  in  das  Oberstadtbuch  war  er  Eigentümer  geworden. 
Jedoch  — und  hierin  liegt  ein  dem  Treuhänderverhältnisse  wesent- 
liches Moment  — die  Rechte,  die  ihm  als  Eigentümer  des 
Grundstückes  zukamen,  waren  nicht  unbeschränkt.  Es  war 
nicht  der  Zweck  der  Eigentumsübertragung  an  den  Treuhänder, 
diesem  ein  unbeschränktes  Verfügungsrecht  über  das  Grundstück 
einzuräumen.  Vielmehr  sollte  der  Treuhänder  nur  den  Interessen 
des  Treugebers  dienen.  Er  sollte  es  dem  Fremden  und  dem 
Geistlichen  ermöglichen,  in  Lübeck  Grundeigentum  für  sich 
nutzbar  zu  machen.  Die  Verfügungsmacht  des  Treuhänders 
sollte  ihre  Grenzen  finden  in  der  Stellung  des  Treugebers. 
Nicht  eigene  Interessen,  sondern  die  Interessen  des  Treugebers 
hatte  der  Treuhänder  zu  verfolgen.  Daher  kam  ihm  eine  un- 
beschränkte Verfügungsmacht  nicht  zu.  Sowohl  durch  den 
Schuldvertrag,  als  auch  durch  die  dem  Treugeber  zustehende 
dingliche  Rechtsmacht  war  der  Treuhänder  in  seinen  Ver- 
fügungen gebunden.  Dazu  kam  aber,  dass  der  Treuhänder 
noch  weiter  seinem  Treugeber  für  die  Erfüllung  seiner  Ver- 
pflichtungen persönlich  haftete;  denn  zu  dem  schuldrechtlichen 
Vertrage  zwischen  Treugeber  und  Treuhänder  trat  noch  das 
formelle  Treugelöbnis  hinzu.  Es  ist  bereits  oben  kurz  darauf 
hingewiesen,  dass  der  Treuhänder  dem  Treugeber  ein  förmliches 
Treugelöbnis  ablegte.1)  Der  Ausdruck  „zuschreiben  zu  treuer 
Hand“  und  ähnliche  derartige  Ausdrücke  sind  Beweis  dafür, 
dass  ein  Treugelöbnis  abgelegt  wurde.2)  Der  Treuhänder  ver- 
sprach „den  louen  . . . gerne  tho  holdende  an  gudeme  truwen“.3) 
Dieses  Treugelöbnis  giebt  jedoch  keinen  Aufschluss  über  den 


*)  Vgl.  oben  S.  54. 

a)  Ueber  die  Bedeutung  „treue  Hand*  vgl.  Puntschart,  Schuldvertrag 
und  Treugelöbnis  des  sächsischen  Rechts  im  Mittelalter  (1896)  S.  288  fg. 

»)  Liib.  Urkb.  IX.  Nr.  168  S.  167  (1463). 


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73 


Schuldvertrag  selber.1)  Es  tritt  vielmehr  nur  zu  dem  Schuld- 
vertrage hinzu,  „der  Zweck  des  Treugelöbnisses  ist  einzig  und 
allein  die  Begründung  der  persönlichen  Haftung  im  Sinne  des 
Einstehens,  der  Bürgschaft,  Gewährschaft  oder  der  Verpfändung 
der  Person“.2)  Die  vom  Treuhänder  übernommenen  Pflichten  — 
ebenso  wie  die  Begründung  der  Verpflichtungen  — ergeben 
sich  nicht  aus  dem  Treugelöbnisse,  für  sie  ist  massgebend 
das  Schuldversprechen,  der  Vertrag.  Dieser  Vertrag  begründete 
aber  drei  Hauptverpflichtungen  des  Treuhänders.3)  Die  voll- 
ständige Ueberlassung  der  Nutzungen  des  Grundstückes,  der 
Schutz  des  Treugebers  in  der  Ausübung  der  Nutzung  gegenüber 
Dritten  und  die  Verpflichtung,  nur  nach  dem  Willen  des  Treu- 
gebers über  das  Grundstück  zu  verfügen,  das  ist  der  Hauptinhalt 
des  schuldrechtlichen  Vertrages  zwischen  Treugeber  und  Treu- 
händer. Von  den  ersten  beiden  Verpflichtungen,  die  der  Treu- 
händer übernommen  hat,  erzählen  uns  die  Quellen  nur  wenig. 
Und  doch  bestehen  sie,  müssen  sie  bestehen,  denn  sie  bilden 
den  eigentlichen  Grund  für  das  Aufkommen  des  Treuhänder- 
institntes.  Die  Unmöglichkeit  für  Fremde  und  Geistliche,  ein 
völliges,  dem  Eigentumsrechte  fast  gleich  kommendes  Nutzungs- 
recht an  Grundstücken  zu  erlangen,  führte  zu  den  Zuschreibungen 
zu  treuen  Händen.  Ihr  Zweck  war,  dem  Fremden  oder  Geist- 
lichen die  Möglichkeit  zu  eröffnen,  ein  Grundstück  in  Lübeck 
für  sich  völlig  nutzbar  zu  machen  und  jeden  anderen  Willen 
bezüglich  des  Grundstückes  auszuscbliessen.  Aber  Eigentum 
konnten  sie  nicht  erlangen.  Daher  musste  ein  anderer  für  sie 
das  Eigentumsrecht  an  dem  Grundstück  erwerben,  während  die 
Fremden  oder  die  Geistlichen  ein  dem  Eigentumsrechte  sehr 
nahe  kommendes  Nutzungsrecht  erwarben.  Wurdon  daher  auch 
die  Grundstücke  dem  Treuhänder  aufgelassen,  wurden  sie  auch 
dem  Treuhänder  im  Oberstadtbuch  zugescbrieben,  kraft  des 
zwischen  dem  Treugeber  und  Treuhänder  geschlossenen  Scbuld- 


')  Auf  das  Verbältuis  zwischen  Schuldvertrag  und  Treugelöbnis  kann 
hier  nicht  näher  eingegangen  werden.  Eine  Uebersicht  über  die  verschiedenen 
Ansichten  giebt  Pnnt schart  a.  a.  0.  S.  1 fg. 

*)  Puntschart  a.  a.  O.  S.  513,  vgl.  auch  S.  376 fg,  406 fg.  Ferner 
R.  Schröder.  Recbtsgeschichte  (3.  Aufl.)  S.  716.  Heusler,  Institutionen 
Bd.  H.  S.  245  fg.  Qierke,  Grundzüge  a.  a.  0.  S.  624  u.  s.  w. 

3)  Vgl.  Beyerle  a.  a.  O.  S.  150 fg. 


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74 


Vertrages,  war  der  Treuhänder  dem  Treugeber  zur  Einräumung 
eines  weitgehenden  dinglichen  Rechtes  verpflichtet.  Dem  Treu- 
händer kam  der  Genuss  des  Grundstückes  nicht  zu,  er  war 
vielmehr  dem  Treugeber  zur  völligen,  uneingeschränkten  Ueber- 
lassung  der  Nutzungen  des  Grundstückes  verpflichtet.  Doch 
nicht  nur  dies  allein.  Der  Treuhänder  musste  auch  während 
des  Bestehens  des  Treuhänderverhältnisses  den  Treugeber  in 
dem  Genüsse  des  Gutes  schützen.  Er  hatte  als  Eigentümer  des 
Grundstückes  den  Treugeber  gegen  jeden  unberechtigten  An- 
spruch Dritter  in  Schutz  zu  nehmen.  Wir  haben  oben  gesehen, 
dass  der  Treugeber  allerdings  mit  dem  Veräusserer  den  schuld- 
rechtlichen Vertrag,  das  Gedinge,  abgeschlossen  hatte.  Der 
dingliche  Uebereignungsakt  vollzog  sich  jedoch  zwischen  dem 
Veräusserer  und  dem  Treuhänder.  Daher  hatte  auch  der  Ver- 
äusserer nicht  dem  Treugeber,  sondern  dem  Treuhänder  Gewähr 
zu  leisten  für  den  Fall  der  Anfechtung  innerhalb  der  gesetz- 
lichen Einspruchsfrist  von  Jahr  und  Tag.1)  Erst  nach  Ablauf 
dieser  Frist  erlangte  der  Treuhänder  rechte  Gewere  an  dem 
Grundstücke.  Während  aber  bei  der  landrechtlichen  Treuhand 
der  Treuhänder  dem  Dritten,  dem  er  das  Eigentum  an  dem 
Grundstücke  übertrug,  ebenfalls  Gewähr  leisten  musste,  konnte 
bei  Tier  stadtrechtlichen  Treuhand  dem  Treugeber  gegenüber 
eine  solche  Gewährleistung  nicht  eintreten;  der  Treuhänder 
behielt  ja  selbst  das  Eigentum  an  dem  Grundstücke  und  überliess 
nur  die  Nutzungen  und  die  Verfügung  über  das  Grundstück 
dem  Treugeber.  Der  Treuhänder  ist  überhaupt  nicht  Vormann 
des  Treugebers.2)  Eine  Gewährleistung  des  Treuhänders  kann 
dem  Treugeber  gegenüber  nie  eintreten,  wohl  aber  kann  der 
Treuhänder  seinerseits  wieder  einem  Dritten  Gewähr  zu  leisten 
haben,  wenn  er  nämlich  dem  Willen  seines  Treugebers  gemäss 
das  Grundstück  an  einen  Dritten  weiter  veräussert.3)  Dagegen 

')  Hach  II.  23:  .So  war  on  mau  en  emo  vorkoft  iemanne  he  schalet 
emo  nplaten  nor  deme  rade  vnde  schal  is  ene  waren  iar  unde  dach  . .* 
Vgl.  Hach  III.  130.  — Diese  Gewährleistung  beruht  also  auf  statutarischer 
Vorschrift,  nicht  wie  Pauli,  Abh.  I.  S.  145  meint,  auf  einer  besonderen 
Uebernakine  bei  der  Auflassung.  Vgl.  dagegen  auch  Rehme  a.  a.  0.  S.  148 
Note  143. 

s)  Vgl.  Beyerle  a.  a.  O.  S.  152. 

3)  Es  ist  dies  auch  ein  Fall,  in  dem  der  Treuhänder  eventuell  einen 
Anspruch  gegen  den  Treugeber  geltend  machen  kann. 


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hat  der  Treuhänder  dem  Treugeber  gegenüber  eine  andere 
Pflicht.  Nicht  dem  Treugeber,  sondern  dem  Treuhänder  hatte 
der  Veräusserer  Gewähr  zu  leisten.1)  Wurde  innerhalb  der 
Frist  von  Jahr  und  Tag  Einspruch  gegen  die  Eintragung  des 
Treuhänders  erhoben,  so  hatte  der  Treuhänder  dem  Treugeber 
gegenüber  die  Pflicht,  die  Realisierung  der  Gewährleistung  des 
Veräusserers  herbeizuführen.  War  diese  Frist  verstrichen,  so 
hatte  der  Treuhänder  den  Treugeber  weiter  gegen  alle  ungerecht- 
fertigten Angriffe  Dritter  zu  verteidigen.2)  Der  Treuhänder 
war  Eigentümer,  er  hatte  mithin  auch  die  Vertretung  vor 
Gericht.3)  Er  führte  diese  Vertretung  vor  Gericht  formell  im 
eigenen  Namen,  denn  er  war  der  eingetragene  Eigentümer;  er 
hatte  jedoch  dabei  den  Anweisungen  seines  Treugebers  zu  folgen. 
Er  hatte  das  Grundstück  zu  „vorantworden  . . . ane  jenigerleye 
vortogheringo  offte  wedderrede  edder  arghelist  . . ,“4)  Aus 
diesen  Worten  kann  man  folgern,  dass  der  Treuhänder  nur 
dann  von  dem  Treugeber  wegen  der  Verteidigung  in  Anspruch 
genommen  werden  konnte,  wenn  er  gegen  den  Willen  des  Treu- 
gebers gehandelt  hatte,  wenn  ihm  „arghelist“  zum  Vorwurf  ge- 
macht werden  konnte. 

Wie  schon  in  diesen  beiden  Fällen,  der  Ueberlassung  der 
Nutzungen  und  der  Schutzpflicht,  so  hatte  der  Treuhänder  auch 
in  allen  anderen  Fällen  den  Weisungen  des  Treugebers  zu  folgen. 
Allerdings  war  der  Treuhänder  auch  dem  Treugeber  gegenüber 
Eigentümer;  aber  kraft  der  dem  Treugeber  zukommenden  ding- 
lichen Rechtsstellung  konnte  der  Eigentümer  nur  nach  den  An- 
weisungen des  Treugebers  Verfügungen  treffen.5)  Der  Treu- 
händer musste  dem  Willen  des  Treugebers  sich  unterordnen. 
Zwar  hatte  er  nicht  den  Schuldvertrag  abzuschliessen,  dies  tat 

i)  Es  geschah  dies  meist  durch  Stellung  von  Bürgen;  doch  finden  sich 
auch  Beispiele  für  Verpfändungen  von  unbeweglichen  Sachen.  Vgl.  Rehme 
a.  a.  O.  S.  148 f.  Pauli,  Abh.  I.  S.  145.  Vgl.  auch  v.  Duhn  a.  a.  O.  8.  15. 

ä)  Vgl.  Beyerle  a.  a.  O.  S.  153. 

ä)  Vgl.  oben  S. 67;  ferner  Lämmer  a.  a.  O.  S.  15.  Bey  erle  a.  a.  0.  S.  153. 

«)  Lüb.  Urkb.  VII.  Nr.  375  S.  361  (1430). 

5)  Daher  finden  wir  in  den  Niederstadtbuchseintragungen  fast  allgemein 
die  Formel,  dass  nicht  dem  Treuhänder,  sondern  dem  Treugeber  das  Grund- 
stück gehöre.  Vgl.  i.  B.  Lüb.  Urkb.  IV.  Nr.  437  8.  482  (1384):  ..  . nec 
ego  et  mei  heredes  quicquam  iuris  non  habemus  in  cadem  . . .*  Lüb.  Urkb. 
V.  Nr.  553  S.  597  (1415).  VIII.  Nr.  664  8.  704  (1450).  Vgl.  oben  S.  61. 


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76 


der  Treugeber  selber,  er  musste  aber  die  dingliche  Verfügung 
gemäss  dem  Aufträge  des  Treugebers  ausführen.  So  hatte  er 
vor  allem  auf  Veranlassung  des  Treugebers  das  Grundstück  an 
Dritte  aufzulasseu,  resp.  seine  Mitwirkung  bei  der  Eintragung 
eines  Dritten,  an  den  der  Treugeber,  sei  es  durch  V erkauf  oder 
Schenkung,  veräussert  hatte,  nicht  zu  versagen.  Doch  auch 
alle  anderen  dinglichen  Verfügungen  wie  Verpfändung  u.  s.  w. 
hatte  der  Treuhänder  auf  Ansuchen,  auf  Mutung  des  Treugebers 
auszuführen.  Dies  geht  unzweifelhaft  aus  der  oben1)  angeführten 
Urkunde  hervor.  Diese  Urkunde  zeigt  zugleich  aber  auch,  dass 
der  Treuhänder  nicht  nur  auf  Mutung  des  Treugebers  hin  die 
dingliche  Verfügung  zu  treffen  hatte,  sie  zeigt  weiter,  dass  der 
Treuhänder  zu  einer  derartigen  Verfügung  im  Verhältnisse  zum 
Treugeber  ohne  dessen  Willen  nicht  berechtigt  war.  Erklärt 
doch  der  Treuhänder  ausdrücklich,  dass  er 

„.  . . . den  erbenameden  hoff  schol  vnde  wil  nummende 
„vorkopcn,  vorpanden  ofto  vorsetten  vor  deme  erwerdigben 
„lade  edder  rechte  to  Lubik  ofte  vor  nyneme  rechte, 
„dat  sy  gheestlik  edder  werlik  . . .“2) 

Verletzte  der  Treuhänder  diese  Pflicht,  übertrug  er  z.  B.  ohne 
oder  gegen  den  Willen  des  Treugebers  das  Eigentum  am  Grund- 
stücke auf  einen  Dritten,  so  wurde  der  Treuhänder  jedenfalls, 
wie  aus  den  Urkunden  hervorgeht,  kraft  des  zwischen  Treu- 
händer und  Treugeber  geschlossenen  Vertrages  obligatorisch 
verpflichtet.3)  Durch  den  Vertrag  zwischen  Treugeber  und 
Treuhänder  hatte  letzterer  die  Pflicht  übernommen,  nur  nach 
den  Anweisungen  des  Treugebers  über  das  Grundstück,  resp. 
über  die  Rente  zu  verfügen.  Verletzte  der  Treuhänder  durch 
eine  selbständige  Verfügung  Uber  das  Grundstück  seine  über- 


*)  Vgl.  oben  S.  57. 

*)  Vgl.  nuch  das  Testament  von  1383  bei  Pauli,  Abb.  I.  S.  62. 

*)  Für  die  laDdrechtliche  Treuhand  ist  es  bestritten,  ob  den  Treuhänder 
eine  schuldrechtliche  Verbindlichkeit  traf.  Dafür  erklären  sich  Beseler, 
Erbverträge  I.  S.  266 fg.,  281  fg.  Merkel,  Zeitschrift  für  Rechtsgeschichte 
Bd.  II.  S.  147.  Stobhe,  lieber  die  Salmannen  a.  a.  0.  S.  426.  Hausier, 
Institutionen  Bd.  I.  S.  221.  Bewor,  Sala,  traditio,  vestitura  (1880)  S.  77 
Note  8.  Dagegen  namentlich  A.  Schultze,  Die  langobnrdische  Treuhand 
und  ihre  Umbildung  zur  Testamentsvollstreckung  (Gierke,  Untersuchungen 
zur  deutschen  Staats-  uud  Kechtsgeschichte  Heft  41))  S.  145  fg. 


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77 


nommenen  Verpflichtungen,  so  machte  er  sich  jedenfalls  eines 
Vertragsbruches  schuldig.  In  Folge  des  Treugelöbnisses  haftete 
er  dem  Treugeber  persönlich.  Es  fragt  sich  nur,  ob  eine  der- 
artige Verfügung  gegen  den  Willen  des  Treugebers  sowohl 
dem  Treugeber  als  auch  Dritten  gegenüber  rechtliche  Wirkungen 
ausüben  konnte.  Ist  der  Treuhänder  nicht  nur  schuldrechtlich 
dem  Treugeber  verpflichtet,  sondern  sind  ihm  auch  dinglich  die 
Hände  gebunden?  Ist  seine  Stellung  eine  völlig  unbeschränkte, 
nur  durch  den  schuldrechtlichen  Vertrag  begrenzte,  oder  steht 
ihm  nur  ein  dinglich  gemindertes  Recht  zur  Seite?  Der  Treu- 
händer war,  wie  gezeigt,  Eigentümer  des  Grundstückes.  Man 
könnte  daraus  folgern,  dass  er  mithin  auch  unbeschränkt  ver- 
fügungsberechtigt gewesen  sei,  so  dass  seine  Verfügungen  unter 
allen  Umständen  auch  dingliche  Rechtswirkungen  ausübten. 
Wollte  man  das  Verhältnis  zwischen  Treuhänder  und  Treugeber 
rein  schuldreebtlich  auffassen,  so  würde  der  Treugeber  allerdings 
einen  Einspruch  gegen  derartige  Verfügungen  des  Treuhänders 
nicht  haben.  Nun  beruhte  die  Stellung  des  Treugebers  zwar 
auf  einem  schuldrechtlichen  Vertrage.  Aber  kraft  dieses  schuld- 
rechtlichen Vertrages  stand  dem  Treugeber  ein  weitgehendes 
dingliches  Recht  zur  Seite.  Durch  den  schuldrechtlichen  Vertrag 
hatte  der  Treuhänder  die  Verpflichtung  dem  Treugeber  gegenüber 
übernommen,  diesem  die  Nutzungen  des  Grundstückes  im  vollsten 
Masse  zu  überlassen  und  nur  nach  seinen  Weisungen  mit  dem 
Grundstücke  zu  verfahren.  Dieses  weitgehende  Nutzungsrecht 
verlieh  dem  Treugeber  ein  weitgehendes  dingliches  Recht,  das 
auf  der  Einräumung  der  Gewere  am  Grundstück  beruhte.  Kraft 
des  zwischen  dem  Treuhänder  und  dem  Treugeber  geschlossenen 
Vertrages  hatte  der  Treuhänder  die  tatsächliche  Herrschaft 
über  das  Grundstück  dem  Treugeber  zu  überlassen,  er  hatte 
ihm  die  Nutzung  des  Grundstückes  einzuräumen.  Dadurch 
erlangte  der  Treugeber  aber  nicht  nur  einen  persönlichen  An- 
spruch gegen  den  Treuhänder  auf  Erfüllung  seiner  übernommenen 
Verpflichtungen,  sondern  durch  die  Einräumung  der  tatsächlichen 
Herrschaft  über  das  Grundstück  wurde  das  ursprünglich  rein 
schuldrechtliche  Verhältnis  zwischen  Treuhänder  und  Treugeber 
verdinglicht.  Es  ist  dies  nicht  etwa  etwas,  was  dem  Rechts- 
verhältnisse zwischen  Treuhänder  und  Treugeber  eigentümlich 
wäre.  Vielmehr  beruht  dies  auf  der  allgemeinen  dcutschrecht- 


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78 


liehen  Vorstellung,  dass  jedes  persönliche  Recht  auf  Sachherrschaft 
durch  Hinzutreten  einer  Gewere  zu  einem  dinglichen  Rechte 
wurde.1)  Dieses  dingliche  Recht  des  Treugebers  war  nun  ein 
überaus  weitgehendes.  Es  war  nicht  nur  ein  uneingeschränktes 
Nutzungsrecht,  sondern  es  begründete  auch  für  den  Treuhänder 
ausgedehnte  Verfügungsbeschränkungen,  so  dass  der  Treuhänder 
nicht  gegen  den  Willen  des  Treugebers  mit  dem  Grundstücke 
verfahren  konnte.  Diese  dingliche  Beschränkung  des  Treu- 
händers wurde  wirksam  auch  gegen  Dritte,  so  dass  also  der 
Dritte,  wenn  ihm  vom  Treuhänder  vertragsbrüchig  das  Eigen- 
tum übertragen  wurde,  mit  der  Klage  gegen  den  Treugeber 
auf  Räumung  des  Grundstückes  abgewiesen  werden  musste. 
Das  dingliche  Nutzungsrecht  des  Treugebers  wirkte  auch  gegen 
ihn.  Der  Treugeber  hatte  gegen  jede  Vertragsbrüchige  Ver- 
fügung über  das  Grundstück  von  Seiten  des  Treuhänders  ein 
Einspruchsrecht.  Diese  dingliche  Rechtsstellung  des  Treugebers 
in  Iiübeck  folgt  aber  nicht  nur  aus  dem  allgemeinen  Prinzipe 
des  deutschen  Rechtes,  das  jedes  mit  Gewere  ausgestattete  Recht 
als  ein  dingliches  erscheinen  Hess,  sondern  sie  geht  auch  daraus 
hervor,  dass  in  den  Niederstadtbüchern  und  später  sogar  im 
Oberstadtbuch  die  den  Treuhänder  beschränkenden  Rechte  des 
Treugebers  kurz  eingetragen  wurden. 

Fassen  wir  zum  Schlüsse  die  Ergebnisse  über  das  Verhältnis 
des  Treuhänders  und  Treugebers  untereinander  und  gegenüber 
Dritten  zusammen.  Eigentümer  des  Grundstückes  war  nur  der 
Treuhänder,  nur  seine  Verfügungen  über  das  Grundstück  hatten 
dingliche  Wirkung.  Obwohl  der  Treuhänder  aber  Eigentümer 
war,  so  war  er  in  seiner  Verfügungsbefugnis  durch  die  Stellung 
des  Treugebers  in  jeder  Hinsicht  gebunden.  Er  hatte  dem 
Treugeber  ausserdem  die  sämtlichen  Nutzungen  zu  gewähren. 
Auf  der  anderen  Seite  kam  dem  Treugeber  ein  ausgedehntes, 
dem  Eigentumo  fast  gleichkommendes,  dingliches  Recht  zu,  das 
ihm  die  Nutzungen  des  Grundstückes  gewährte  und  den  Treu- 
händer in  seinen  Verfügungen  in  jeder  Hinsicht  beschränkte. 
Dagegen  konnte  er  selber  nicht  mit  dinglicher  Wirkung  über 
das  Grundstück  verfügen,  wenn  er  auch  jeden  schuldrechtlichen 
Vertrag  absehliessen  konnte.  Fragen  wir  nach  der  juristischen 

*)  Vgl.  Oierke,  Deutsches  Privatfecht  Bd.  II.  S.  607  fg. 


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79 


Konstruktion  dieser  Verhältnisse,  so  müssen  wir  sagen,  dass 
sie  durchaus  eigenartig  ist,  dass  sie  mit  keinem  anderen  deutsch- 
rechtlichen  Institute  auf  dieselbe  Stufe  gestellt  werden  kann. 
Eins  ist  sicher,  eine  Gemeinschaft  zur  gesamten  Hand  liegt 
nicht  vor.  „Bei  jeder  Gemeinschaft  zur  gesamten  Hand  besteht 
ein  Bereich  des  ungeteilten  Gesamtrechtes,  in  dem  die 
Gemeiner  nur  in  ihrer  Verbundenheit  als  Personeneinheit 
(kollektive  Einheit)  berechtigt  und  verpflichtet  und  zum  Handeln 
berufen  sind.“1)  Zwischen  Treuhänder  und  Treugeber  in  Lübeck 
besteht  kein  „ungeteiltes  Gesamtrecht“.  Eigentümer  ist 
lediglich  der  Treuhänder,  dem  das  Grundstück  im  Ober- 
stadtbuch  zugeschrieben  ist.  Er  allein  ist  zum  Handeln 
berufen.  Und  bei  Verfügungen  über  das  Grundstück  kann 
nur  er  allein,  muss  er  allein  handeln,  ein  gemeinschaftliches 
Handeln  ist  ausgeschlossen.  Es  ist  für  die  Treuhand  in 
Lübeck  nicht  richtig,  wie  Beyerlo2)  für  Constanz  ausführt, 
dass  weder  der  Treugeber  allein,  noch  der  Treuhänder  allein 
eine  Verfügung  über  das  Grundstück  treffen  konnte.  In  Lübeck 
konnte  der  Treugeber  überhaupt  nicht,  sondern  nur  der  Treu- 
händer dinglich  über  das  Grundstück  verfügen.  Die  Eigentümer- 
stellung kommt  in  Lübeck  nur  dem  Treuhänder  zu.  Ebenso 
wenig  ist  aber  auch  der  Ansicht  Stobbes;i)  beizutreten.  Stobbe 
zertrennt  das  Verhältnis  in  eine  äussere  und  eine  innere  Seite. 
Nach  aussen  sei  der  Treuhänder,  nach  innen  der  Treugeber 
Eigentümer  gewesen.  Auch  dies  trifft  nicht  zu.  Der  Treuhänder 
ist  in  Folge  der  Eintragung  als  Eigentümer  im  Oberstadtbuch 
auch  seinem  Treugeber  gegenüber  Eigentümer.  Man  hat  sich 
die  Rechtsstellung  des  Treuhänders  nicht  so  vorzustellen,  dass 
er  Dritten  gegenüber  andere  Rechte  als  dem  Treugeber  gegen- 
über hätte  geltend  machen  können.  Die  Stellung  des  Treuhänders 
in  Lübeck  war  eine  einheitliche,  nicht  in  eine  äussere  und  eine 
innere  Seite  gespalten.  Auf  der  anderen  Seite  ist  aber  das 
Rechtsverhältnis  zwischen  Treuhänder  und  Treugeber  nicht  als 
ein  rein  schuldrechtliches  aufzufassen.  Wohl  kann  man  dem 


*)  Gierke,  Grumlziige  a.  a.  O.  S.  478. 

*)  Beyerle  a.  a.  O.  S.  83,  166 fg. 

5)  Stobbe,  Handbuch  des  deutschen  Privatrechts  Bd.  II.  (3.  Auf!.) 
S.  297.  Stobbe,  Ueber  die  Salmannen  a.  a.  0.  S.  431. 


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so 


Treuhänder  eine  fiduziarische  Gewalt  zuschreiben.1)  Denn  er 
hatte  seine  Eigentümerstellung  im  Interesse  des  Treugebers, 
von  dessen  Weisungen  er  bei  dem  Gebrauche  seiner  Rechtsmacht 
abhängig  war.  In  diesem  Sinne  sprechen  die  Urkunden  von 
Uebertragung  „ad  fideles  manus“.  Man  darf  jedoch  nicht  so 
weit  gehen,  für  das  Verhältnis  zwischen  Treuhänder  und  Treu- 
geber den  römisch-rechtlichen  Begriff  der  fiducia  oder  den  Begriff 
eines  fiduciarischen  Rechtsgeschäftes  anzuwenden.2)  Sowohl  bei 
der  fiducia  als  auch  bei  dem  modernen  fiduciarischen  Rechts- 
geschäfte ist  der  Fiduciar  unbeschränkter  Eigentümer  und  nur 
durch  obligatorischen  Vertrag  dem  Fiducianten  gegenüber  ver- 
pflichtet. Bei  dem  Verhältnis  zwischen  Treuhänder  und  Treu- 
geber dagegen  kommt  dem  Treuhänder  nur  ein  ganz  beschränktes 
Eigentum  zu,  dem  Treugeber  steht  auf  der  anderen  Seite  ein 
weitgehendes  dingliches  Recht  zur  Seite.  Nicht  nur  würde  sich 
der  Treuhänder  durch  eine  Verfügung  gegen  den  Willen  des 
Treugebers  eines  Vertragsbruches  schuldig  machen,  sondern 
dem  Treugeber  steht  kraft  seiner  dinglichen  Rechtsstellung 
auch  gegen  derartige  Veräusserungen  ein  Einspruch  zu. 

Bei  der  landrechtlichen  Treuhand  stellt  sich  das  Verhältnis 
zwischen  Treuhänder  und  Treugeber  insofern  völlig  anders  dar, 
als  der  Treuhänder  seine  Rechtsmacht  vom  Treugeber  erhielt, 
während  im  Stadtrechte  der  Treuhänder  seine  Eigentümerstellung 
vom  dritten  Veräusserer  empfing.  Im  Landrechte  überträgt  der 
Treugeber  selber  das  Eigentum  auf  den  Treuhänder,  wenn  auch 
die  dingliche  Herrschaft  des  Treuhänders  keine  unbeschränkte 
ist3)  und  der  Treugeber  auch  für  sich  ein  dingliches  Recht 


*)  Vgl.  Beseler,  Erbverträge  Bd.  I.  8.  267.  Hausier,  Institutionen 
Bd.  I.  S.  216.  A.  Schnitze  a.  a.  O.  S.  95  fg. 

*)  Dies  tun  für  die  landrechtliche  Treuhand  Be  wer  a.  a.  O.  S.  76  fg. 

R.  Schmidt,  Die  Affatomie  der  lex  Salica  (1891)  S.  82. 

*)  Auf  die  Ansicht,  dass  bei  der  landrecbtlichen  Treuhand  der  Treu- 
geber nur  als  Vertreter  des  Treugebers  anzusehen  sei,  dass  also  nur  ein 
obligationenrechtliches  Verhältnis  zwischen  beiden  Vorgelegen  habe,  kann 
hier  nicht  näher  eingegangen  werden  Vgl.  Heusler,  Institutionen  Bd.  I. 

S.  217fg.  A.  Schnitze,  Die  langobardische  Treuhand  a.  a.  O.  S.  60fg. 
R.  Schröder,  Rechtsgeschichte  (3.  Aufl.)  S.  697.  Gierke,  Grundzüge 
a.  a.  O S.  452. 


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zurückbehielt.1)  Ganz  anders  im  Stadtrechte.  Hier  überträgt 
der  dritte  Veräusserer  auf  den  Treuhänder  dieselbe  Rechtsmacht, 
die  er  selber  inne  gehabt  hat,  ohne  auch  nur  etwas  für  sich 
zurückzubehalten.  Der  Treuhänder  wird  durch  den  Dritten 
Alleineigentümer.  Da  nun  der  Treuhänder  sein  Eigentumsrecht 
auf  den  Treugeber  nicht  überträgt,  ja  gar  nicht  übertragen 
kann,  so  folgt  daraus,  dass  auch  in  dem  Verhältnisse  des  Treu- 
händers zum  Treugeber  nur  der  Treuhänder  Eigentümer  sein 
konnte.2)  Die  Schwierigkeit  besteht  nur  darin,  dass  der  der 
Eigentumsübertragung  zu  Grunde  liegende  Schuldvertrag  nicht 
von  dem  Veräusserer  und  dem  Treuhänder,  sondern  von  dem 
Veräusserer  und  dem  Trengeber  abgeschlossen  worden  war  und 
dass  auch  in  der  Folgezeit  der  Treugebor  über  das  Grundstück 
schnldrechtliche  Verträge  abschliessen  konnte.  Die  erste 
Schwierigkeit  wird  meiner  Ansicht  nach  durch  die  Zuhülfenahme 
der  Verträge  zu  Gunsten  Dritter  gehoben,  die  im  deutschen  Rechte 
von  jeher  anerkannt  waren.3)  Durch  den  zwischen  dem  Dritten 
und  dem  Treugeber  abgeschlossenen  schuldrechtlichen  Vertrag, 
sei  es  Kauf,  Schenkung  u.  s.  w.,  wird  der  Dritte  verpflichtet, 
dem  Treuhänder  das  Grundstück  aufzulassen  und  es  für  ihn  im 
Oberstadtbuch  eintragen  zu  lassen.  Aus  diesem  Vertrage  wird 
aber  gleichzeitig  der  Treuhänder  berechtigt,  diese  Eigentums- 
übertragung selbständig  zu  verlangen.  Hinsichtlich  der  zweiten 
Schwierigkeit  ist  auf  die  Rechtsstellung  des  Treugebers  zu  ver- 
weisen, die  einmal  auf  dem  schuldrechtlichen  Vertrage  zwischen 
dem  Treuhänder  und  Treugeber,  der  notwendig  dem  Vertrage 
zwischen  Treugeber  und  dem  Veräusserer  zeitlich  vorausgehen 
muss,4)  sodann  aber  auf  der  dinglichen  Rechtsmacht  des  Treu- 
gebers beruhte.  Durch  den  schuldrechtlichen  Vertrag  übernahm 

*)  Vgl.  besonders  Heusler,  Institutionen  Bet.  I.  S.  218fg.  A.  Schnitze 
a.  a.  0.  S.  76.  Huber  a.  a.  0.  S.  61  Note  143.  Auf  die  im  einzelnen  von 
einander  abweichenden  Meinungen  Heusler«  und  Schnitzes  soll  hier  nicht 
näher  eingegangen  werden.  Vgl.  darüber  Beyerle  a.  a.  O.  S.  19  fg. 

5)  Vgl.  auch  Gierke,  Deutsches  Privatrecht  Bd.  H.  S.  200  Note  58; 
hier  schreibt  Gierke  dem  Treuhänder  Eigengewere,  dem  Treugeber  nur 
vererbliche  Nutzungsgewere  zu. 

3)  Gierke,  Grundzüge  a.  a.  O.  S.  526.  R.  Schröder,  Rechts- 
geschichte (3.  Auf! ) S.  718,  760  Note  4.  Heusler,  Institutionen  Bd.  I.  S.  21 1. 

4)  Dies  zeitliche  Auseinanderfallen  geht  auch  ans  LUb.  Urkb.  V.  Nr.  359 
S.  401  (1411)  hervor. 

Loening,  Grundorwerb  mul  Treuhand  in  Lübeck  6 


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82 


der  Treuhänder  nicht  nur  die  persönliche  Verpflichtung,  dem 
Treugeber  die  Nutzungen  des  Grundstückes  zu  überlassen  und 
nur  nach  dessen  Weisungen  über  das  Grundstück  zu  verfügen, 
sondern  der  Treuhänder  übernahm  dadurch  auch  die  Verpflichtung, 
dem  Treugeber  ein  weitgehendes  dingliches  Recht  an  dem 
Grundstücke  einzuräumen,  das  die  Realisierung  dieser  persön- 
lichen Verpflichtung  ermöglichte.  So  erlangte  der  Treugeber 
nicht  nur  einen  persönlichen  Anspruch  gegen  den  Treuhänder 
auf  Ueberlassung  der  Nutzungen,  sondern  er  erlangte  auch  eine 
dingliche  Rechtsmacht,  die  ihm  einen  ausreichenden  Schutz  gegen 
Vertragsbrüchige  Verfügungen  durch  den  Treuhänder  gewährte. 

So  sehen  wir  denn,  dass  bei  der  städtischen  Treuhand 
Eigentum  und  Nutzungsrecht  in  einer  Weise  konkurrieren,  wie 
wir  sie  sonst  bei  keinem  deutschrechtlichen  Institute  wieder 
finden.  Eigentum  gebunden  durch  ein  weitgehendes  dingliches 
Nutzungsrecht  und  begrenztes  dingliches  Recht,  das  dem  Eigentume 
nahe  stand,  das  sind  die  wesentlichen  Momente  der  städtischen 
Treuhand  in  Lübeck.  Kein  Gesamteigentum,  wie  Beyerle 
anniramt,  kein  geteiltes  Eigentum,  wie  Stobbe1)  will,  sondern 
Alleineigentum  des  Treuhänders,  gebunden  durch  ein  weit- 
gehendes dingliches  Recht.  Eine  derartige  ausgedehnte  Be- 
schränkung des  Eigentumes  steht  auch  mit  dem  deutschrechtlichen 
Eigentumsbegriffe  nicht  im  Widerspruch.  Das  deutsche  Eigentum 
ist  kein  ausschliessliches  Herrschaftsrecht;  es  ermöglicht  neben 
ihm  weitgehende  dingliche  Rechte,2)  die  das  Eigentum  in  den 
mannigfachsten  Beziehungen  beschränken  können,  die  sogar  den 
Eigentümer  in  seiner  Verfügungsmacht  von  dem  Willen  des 
dinglich  Berechtigten  abhängig  machen  können.  Ein  derartiges, 
weitgehendes  dingliches  Recht  steht  dem  Treugeber  an  dem 
Grundstücke  zu.  Das  ihm  eingeräumte  Recht  beschränkte  den 
Eigentümer  des  Grundstückes  in  jeder  Beziehung,  so  dass  er 
nur  nach  dem  Willen  des  Treugebers  verfügungsberechtigt  war. 
Trotzdem  aber  blieb  der  Treuhänder  Eigentümer.  Dies  erhellt 
schon  daraus,  dass  ihm,  nicht  dem  Treugeber,  die  auf  dem 


')  Stobbe,  Handbuch  des  deutschen  Privatrechts  Bd.  II.  (3.  Aufl.)  S.  896. 
*)  Vgl.  darüber  besonders  Gierte,  Deutsches  Privatrecht  Bd  II. 
S.  347  fg.,  359.  Gierke,  Das  deutsche  Genossenscbaftsrecht  Bd.  II.  S.  138  f. 
Gierke  Grundziige  a.  a.  0.  8.  488. 


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83 


Grundstücke  lastenden  öffentlich-rechtlichen  Pflichten  oblagen, 
dass  ihm  die  mit  dem  Grundeigentums  verbundenen  öffentlichen 
Rechte  zustanden.  Daraus  ergiebt  sich  aber  weiter,  dass  der 
Treuhänder  nicht  nur  formell  Eigentümer  des  Grundstückes  ist, 
während  materiell  der  Treugeber  als  Eigentümer  anzusehen 
wäre.1)  Der  Treuhänder  ist  wirklicher  Eigentümer,  nicht  nur 
Scheineigentümer.  Er  ist  aber  durch  die  dingliche  Rechtsmacht 
des  Treugebers  im  weitesten  Masse  gebunden.  Ueberall  da, 
wo  dies  dingliche  Recht  des  Treugebers  dem  Treuhänder  keine 
Schranken  setzt,  tritt  das  Eigentum  des  Treuhänders  in  volle 
Wirksamkeit.  Der  Treugeber  ist  auch  nicht  materieller  Eigen- 
tümer, denn  sonst  müssten  auch  ihm  die  öffentlichen  Rechte 
und  Pflichten  zustehen,  die  mit  dem  Grundeigentume  in  Lübeck 
verbunden  waren.  Gerade  dieser  Umstand  war  es  aber,  der 
dazu  geführt  hatte,  den  Grundeigentumserwerb  durch  Fremde 
und  Geistliche  auszuschliessen.  Man  kann  m.  E.  nur  dann  von 
einem  formellen  und  materiellen  Eigentume  sprechen,  wenn 
wirklich  alle  aus  dem  Eigentume  an  einem  Grundstücke  sich 
ergebenden  Rechte  einem  anderen  als  dem  Bucheigentümer  zu- 
stehen, wenn  der  materielle  Eigentümer  auch  fähig  sein  kann, 
formeller  Eigentümer  zu  werden.  Dies  ist  aber  für  Fremde 
und  Geistliche  ausgeschlossen.  Meiner  Ansicht  nach  ist  das 
Verhältnis  zwischen  Treuhänder  und  Treugeber  am  einfachsten 
so  zu  konstruieren,  dass  dem  Eigentumsrechte  des  Treuhänders 
am  Grundstücke  ein  weitgehendes,  begrenztes  dingliches  Recht 
des  Treugebers  gegenüber  stand.  Auf  diese  Weise  wurden  die 
Interessen  der  Stadt  im  weitesten  Masse  gesichert  und  trotzdem 
den  Fremden  und  namentlich  der  Geistlichkeit  die  Möglichkeit 
eröffnet,  Grundeigentum  und  Renten  in  Lübeck  ihren  Interessen 
dienstbar  zu  machen.  Das  Treuhänderverhältnis  in  Lübeck 
zeigt  jene  eigentümliche  Vermischung  von  personenrechtlichen 
und  sachenrechtlichen  Elementen,  wie  wir  sie  so  oft  im  deutschen 
Rechte  finden.  Durch  die  Verdinglichung  des  schuldrechtlichen 
Vertrages  zwischen  Treuhänder  und  Treugeber  erlangt  der 
Treugeber  diejenige  Rechtsstellung,  die  ihm  ermöglicht,  bei 
jeder  vertragswidrigen  Verfügung  des  Treuhänders  Einspruch 
zu  erheben  und  die  ihm  zustehenden  Rechte  zur  Geltung  zu 


‘)  So  Ke  h ine  a.  a.  O.  S.  204. 


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bringen.  Zwischen  dem  Treuhänder  und  Treugeber  bestand 
nicht  nur  ein  schuldrechtlicher  Vertrag,  der  Treuhänder  war 
nicht  nur,  wie  bei  der  fiducia  persönlich  verpflichtet,  sondern 
zu  dem  schuldrechtlichen  Vertrage  traten  noch  sachenrechtliche 
Momente.  Die  auf  der  tatsächlichen  Saehherrschaft  beruhende 
dingliche  Macht  des  Treugebers  beschränkte  den  Treuhänder  in 
jeder  Hinsicht,  so  dass  allerdings  der  Treugeber  ein  dem  Eigen- 
turne  sehr  nahe  kommendes  dingliches  Hecht  hatte. 


§ 9- 

VI.  Vererblichkeit  Und  Beendigung  des  Treuhänder* 
Verhältnisses. 

Aus  dem  im  vorigen  Paragraphen  Gesagten  ergiebt  sich 
mit  Notwendigkeit,  dass  das  Recht  des  Treuhänders  vererblich 
sein  muss.  Der  Treuhänder  ist  Eigentümer  und  vererbt  sein 
Eigentumsrecht  auf  seine  Erben.  Im  deutschen  Rechte  galt  der 
Satz,  der  Tote  erbt  den  Lebendigen,  d.  h.  mit  dem  Augenblicke 
des  Todes  erhielt  der  Erbe  dieselbe  rechtliche  Stellung,  wie  der 
Erblasser  sie  vor  seinem  Tode  inne  gehabt  hatte.'-)  Dies  muss 
auch  für  die  Erben  des  Treuhänders  gelten.'2)  Mit  dem  Tode 
des  Treuhänders  ging  das  Eigentum  an  dem  ihm  im  Oberstadt- 
buch zugeschriebenen  Grundstücke  auf  seine  gesetzlichen  Erben 
über.  Es  folgt  dies  unmittelbar  aus  der  Eigentümerstellung 
des  Treuhänders.  Aber  auch  abgesehen  hiervon,  liefern 
die  Urkunden  zahlreiche  Beweise  für  die  Vererblichkeit  der 
Treuhänderstellung.  In  den  meisten  Niederstadtbuchseintragungen, 
in  denen  der  Treuhänder  erklärt,  dass  ihm  das  Grundstück  nur 
zu  treuen  Händen  im  Oberstadtbuch  zugeschrieben  sei,  giebt 
er  diese  Erklärung  auch  im  Namen  seiner  Erben  ab.  So  heisst 
es  z.  B.: 

„Dominus  Ludowicus  Crul,  consnl  pro  se  et  suis 
„lieredibus  coram  libro  recognouit  . . ,“3) 

')  R.  Schröder,  Rechtageschichte  (3.  Auf).)  S.  736  und  die  dort 
Note  214  angeführten. 

*)  Vgl.  Beyerle  a.  a.  0.  S.  161  fg. 

3)  Lilb.  Urk.  VI.  Nr.  305  S.  336  (1421).  Vgl.  ferner  Lüb.  Urkb.  IV. 
Nr.  437  S.  482  (1384).  VI.  Nr.  159  S.  204  (1419).  VI.  Nr.  497  8.  504 


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85 


Aehnlich  ist  auch  folgende  Eintragung1): 

„.  . . mer  ik  Bernd  vorbenomed  vnde  myne  kyndere 
„edder  eruen  hebben  an  deine  vorscreuenen  lioue  nichtes 
„rechtes  . .“ 

Diese  Eintragung  ist  um  so  interessanter,  als  eine  ähnliche 
Erklärung  auch  von  dem  Sohne  des  Treuhänden  abgegeben 
wurde.  Und  als  dann  der  ursprüngliche  Treuhänder  gestorben 
war,  erklärte  sein  Sohn  den  Uebergang  der  Treuhändereigenschaft 
ausdrücklich : 

„Ick  Diederick  Basedauw  . . . Bekenne  openbar 
„befugende  vor  alswenne  vor  mij,  mijne  brodere  vnnd 
„sustere  vnd  vnse  rechten  eruen,  dat  ick  hebbe  seen 
„vnnd  höret  mijnes  leuen  zeligen  vaders  Bernt  Basedouw 
„genomet  besegilde  breff,  den  he  dem  hem  abbete  to 
„Dobrann  . . . vorsegelt  vnd  geuen  kefft  up  den  louen, 
„den  he  hadde  bij  sick  von  des  houes  wegen  ....  de 
„ehn  vnnd  sijnen  rechten  eruen  anders  nicht  denn 
„vp  louen  in  der  stadt  bock  tho  Lubegk  geschreuen  is, 
„so  bekenne  ick  Diederick  vorbenombt,  dat  ick  alse  ein 
„erue  des  vorbenombten  closters  sulcken  louen  na  dem 
„dode  mijnes  zeligen  vaders  vmme  bede  willen  vnnd 
„fruntschap  des  . . . abbets  ...  an  mij  genahmen  hebbe 
„inn  aller  mate  vnnd  wyse,  alse  mijn  vader  den  louen 
„vorgehat  hefft  vnnd  sijn  breff  darup  ludende  is,  den 
„loue  ick  vor  mij,  mijne  broder  vnnd  suster  vnnd  mijnen 
„eruen  den  hern  abbete  jegenwordich  vnnd  sijnen 
„nakommen  des  closters  Dobbrann  ock  so  gerne  tho 
„holdende  an  gudeme  truwen  . .“2) 

Diese  Urkunde  ist  aber  weiter  noch  in  doppelter  Hinsicht 
interessant.  Erhellt  doch  aus  ihr,  dass  beim  Vorhandensein 
mehrerer  gesetzlicher  Erben  eines  Treuhänders  seine  Befugnisse 
auf  alle  gesetzlichen  Erben  gemeinsam  übergingen  und  nicht 
nur  ein  einzelner  von  ihnen  die  Treuhändereigenschaft  ererbte.3) 


Note  1 (1421).  V.  Nr.  359  8.  401  (1411).  IX.  Nr.  339  8.  340  (1456).  VITT 
Nr.  664  S.  704  (1450). 

')  Lüb.  Urkb.  VH.  Nr.  376  8.  351  (1430). 

*)  LUb.  Urkb.  IX.  Nr.  168  S.  167  (1463). 

s)  Die  Const&nzer  Urkunden  geben  nach  Beyerle  a.  a.  0.  8.  163 
hierüber  keine  Auskunft. 


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86 


Denn  Dietrich  Basedow  erklärt  nicht  nur  für  sich  als  Erbe 
seines  Vaters,  sondern  auch  im  Namen  der  übrigen  Erben, 
seines  Bruders  und  seiner  Schwester,  dass  sie  in  Bezug  auf 
den  Hof  nur  Treuhänder  seien.  Auch  andere  Urkunden  lassen 
auf  diesen  Uebergang  auf  alle  Erben  schliessen,  in  denen  der 
Treuhänder  nicht  nur  für  einen,  sondern  für  alle  seine  Erben 
eine  Erklärung  vor  dem  Niederstadtbuch  abgiebt.1)  Das  zweite, 
was  die  obige  Urkunde  zeigt,  ist,  dass  auch  auf  Seiten  des 
Treugebers  dessen  Stellung  auf  seine  Erben  übergeht.  Dies 
zeigt  noch  deutlicher  eine  Niederstadtbuchseintragung  von  1421, 2) 
in  der  es  ausdrücklich  heisst,  dass  dem  Treugeber  die  Rente 
„ad  fideles  manus  asscripti  prefati  Ottonis  Pogwissche  et 
suorum  h'eredum  . . .“  Mit  dem  Tode  des  Treugebers 
erlangen  seine  Erben  genau  dieselbe  dingliche  Rechtsmacht, 
die  bisher  der  Treugeber  besessen  hatte.  Sie  erlangen  kraft 
Erbrechtes  das  dem  Treugeber  bisher  zustehende,  weitgehende 
dingliche  Nutzungsrecht,  sie  treten  aber  auch  in  das  zwischen 
dem  Treuhänder  und  Treugeber  bestehende  schuldrechtliche 
Verhältnis  ein. 

Nach  diesen  Zeugnissen  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen, 
dass  nicht  nur  das  Eigentum  am  Grundstücke,  sondern  auch  die 
Rechte  und  Pflichten  des  Treuhänders  auf  seine  Erben  über- 
gingen. Durch  den  schuldrechtlichen  Vertrag  zwischen  Treu- 
händer und  Treugeber  verpflichtet  der  Treuhänder  nicht  nur 
sich  allein,  sondern  auch  seine  Erben.3)  Mit  dem  Tode  des 
Treuhänders  treten  seine  Erben  in  den  Schuldvertrag  zwischen 
dem  Erblasser  und  Treugeber  ein.  Genau  wie  jede  andere 
Schuld  gingen  auch  die  Verpflichtungen  aus  dem  Treuverhältnisse 
auf  den  Erben  des  Treuhänders  Uber.  Die  von  Beyerle4) 
hiergegen  erhobenen  Bedenken  in  Folge  des  deutschen  Prinzipes 
der  beschränkten  Erbenhaftung  erledigen  sich  genau  so,  wie  sie 
Beyerle  für  das  Constanzer  Recht  zum  Schweigen  gebracht 
hat.  Auch  in  Lübeck  hatte  der  Erbe  nicht  nur  mit  Fahrnis, 


»)  Vgl.  z.  B.  LUb.  Urkb.  IV.  Nr.  437  S.  483  (1384).  V.  Nr.  359 
S.  401  (1411)  u.  «.  w. 

=)  LUb.  Urkb.  VI.  S.  504  Note  1. 

5)  Vgl.  auch  Beyerle  a.  a.  0.  S.  153. 

4)  Beyerle  a.  a O. 


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87 


sondern  seit  Alters  her  auch  mit  den  Liegenschaften  für  die 
Nachlassverbindlichkeiten  einzustehen.1)  Der  Erbe  haftete  zwar 
nur  mit  dem  Nachlasse,  aber  das  Grundstück  befand  sich  ja 
immer  im  Nachlasse  des  Treuhänders.  Da  jedoch  mit  dem  Tode 
des  ursprünglichen  Treuhänders  die  persönliche  Haftung  des 
Treuhänders,  die  durch  das  Treugelöbnis  begründet  war,  auf 
dessen  Erben  nicht  überging,  so  scheinen  sich  die  Treugeber 
von  den  Erben  des  Treuhänders  ebenfalls  ein  Treugelöbnis  haben 
ablegen  lassen.2) 

Wurde  durch  den  Tod  des  Treuhänders  oder  des  Treugebers 
das  Treuverhältnis  nicht  aufgelöst,  so  gab  es  doch  einige  Gründe, 
wodurch  der  Treuhänder  seiner  Verpflichtungen  ledig  wurde. 
Der  Hauptfall  ist  der,  dass  er  nach  dem  Willen  des  Treugebers 
das  Eigentum  am  Grundstücke  einem  anderen  übertrug.  Dem 
früheren  Treugeber  gegenüber  wurde  damit  das  Verhältnis  gelöst. 
Der  Treuhänder  liess  den  Erwerber  im  Oberstadtbuch  eintragen, 
wodurch  der  dritte  Erwerber  Eigentümer  wurde,  natürlich  mit 
der  aus  der  dinglichen  Stellung  des  Treugebers  sich  ergebenden 
weitgehenden  Belastung.  Durch  sonstige  dingliche  Verfügungen 
dagegen  verlor  der  Treuhänder  seine  Stellung  nicht  Gegen 
den  Willen  des  Treugebers  konnte  der  Treuhänder  nicht  etwa 
derart  ausscheiden,  dass  er  gegen  dessen  Willen  das  Eigentum 
am  Grundstücke  auf  einen  Dritten  übertrug.  Dies  w'ar  ihm  in 
Folge  seiner  beschränkten  Verfügungsmacht  unmöglich.  Von 
Seiten  des  Treugebers  konnte  das  Verhältnis  nur  dadurch  ein- 
seitig gelöst  werden,  dass  er  auf  sein  dingliches  Recht  freiwillig 
Verzicht  leistete.  Hierdurch  entstand  in  der  Hand  des  Treu- 
händers freies,  durch  die  dinglichen  Rechte  des  Treugebers 
nicht  mehr  gebundenes  Eigentum. 

')  Vgl.  Pauli,  Abh.  III.  S.  146  fg.  R.  Schröder,  Rechtegeschichte 
(3.  Aufl.)  S.  738  Note  226.  Michel  sen,  Oberhof  Nr.  200  8.  272.  Hach  II.  31. 

s)  Vgl.  LÜb.  Urkb.  IX.  Nr.  168  S.  167  (1453). 


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Verlag  von  M.  & H.  Marcus  in  Breslau,  Kaiser  Wilhelmstr.  8 


Abhandlungen 

aus  dem 

Staats-  und  Verwaltungsreeht 

mit  Einschluss  des  Kolonialrechts 

In  zwanglosen  Heften  berausgegeben  ron 

D.  Dr.  Siegfried  Brie  Dr.  Max  Fleischmann 

ord.  Professor  an  der  Universität  Breslau  Privatdozent  an  der  Universität  Halle 

1.  Flelschmann,  Max : Der  Weg  der  Gesetzgebung  in  Preussen  . 3,60  Hk. 

2.  Glatzer,  Felix:  Das  Recht  der  provisorischen  Gesetzgebung  in 
Sonderheit  nach  preussisebem  Staatsrecht.  Ein  Beitrag  zur 

Lehre  von  Gesetz  und  Verordnung 3,50  Hk. 

3.  Posencr,  Pani:  Das  Deutsche  Reichsrecht  im  Verhältnis  zum 

Landesrechte.  Eine  geschichtliche  und  dogmatische  Entwicklung 
des  Grundsatzes,  dass  .die  Reichsgesetze  den  Landesgesetzen 
Vorgehen’  (RV.  a.  2),  unter  eingehender  Berücksichtigung  der 
modernen  bürgerlichen  Gesetzgebung 6, — Mk. 

4.  Steinltz,  Julius:  Dispensationsbegriff  und  Dispensationsgewalt 

auf  dem  Gebiete  des  Deutschen  Staatsrechts 2,60  Hk. 

5.  Hamburger,  Georg:  Die  staatsrechtlichen  Besonderheiten  der 
Stellung  des  Reichslandcs  Elsass-Lothringen  im  Deutschen  Reiche  3,20  Mk. 

6.  Freund,  Ismar:  Die  Regentschaft  nach  preussisebem  Staatsrecht 

unter  Berücksichtigung  der  in  den  übrigen  deutschen  Bandes- 
staaten geltenden  Rechte 3, Bo  Hk. 

7.  Bahrfeidt,  Max:  Der  Verlust  der  Staatsangehörigkeit  durch 

Naturalisation  und  durch  Aufenthalt  im  Auslande  nach  gelten- 
dem deutschem  und  französischem  Staatsrechte 2, — Hk. 

8.  v.  Poser  und  («ross-Naedlitz,  Victor:  Die  rechtliche  Stellung 

der  deutschen  Schutzgebiete 2,40  Hk. 

9.  Fleischer,  Max:  Die  Zuständigkeit  des  deutschen  Bundosrates 

für  Erledigung  von  öffentlichrechtlichen  Streitigkeiten  ....  3,60  Hk. 

10.  Riess,  Alfons:  Die  Mitwirkung  der  gesetzgebenden  Körper- 
schaften bei  Staatsverträgen  nach  deutschem  Staatsrechte  . . 3, — Hk. 

11.  Riess,  Curt:  Auswärtige  Hoheitarechte  der  deutschen  Einzel- 
staaten   2,40  Hk. 

12.  Wiese,  Wilhelm:  Verfassungsänderungen  nach  Reichsrecht  . . 2,40  Hk. 

13.  Schreiber,  Karl:  Die  Beteiligung  des  Staates  an  den  Volks- 
schullasten in  Preussen 1,60  Hk. 

14.  W'alther,  Karl:  Das  Staatshaupt  in  den  Republiken 6,40  Hk. 

Otto  Hlllif  er’i  Buchdruckerei,  Altwasser. 


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Die  Justinianischen  Enterbungsgründe 

von 

Prof.  Dr.  Johannes  Merkel 


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Untersuchungen 

zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  Gierke 

Profeieor  Cer  Rechte  an  Cer  Universität  Berlin 

94.  Heft 


Die  Justinianischen  Enterbungsgründe 

von 

Prof.  Dr.  Johannes  Merkel 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1908 


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Die 


Justinianischen  Enterbungsgründe 


Eine  rezeptionsgeschiclitliche  Studie 

von 

Dr.  Johannes  Merkel 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Göttinnen 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1908 


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Kurze  Inhaltsübersicht 

Seite 

§ X.  Das  Justinianische  Recht  und  seine  Vorläufer 3 

§ 2.  Die  byzantinische  Überlieferung 15 

§ 3.  Die  romanischen  Versionen 22 

§ 4.  Die  deutschen  Rezeptionsformen  bis  zum  18.  Jahrhundert  ...  46 

§ 5.  Die  neuereu  Gesetzgebungen  und  Entwürfe 123 

[Eine  eingehendere  Inhaltsangabe,  welche  zugleich  ein  Quellenverzeichnis 
enthält,  findet  sich  am  Schlüsse.] 


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Unter  den  römischen  Rechtseinrichtungen  gibt  es  wohl 
wenige,  welche  eine  so  weit  ausgedehnte  Verbreitung  gefunden 
haben,  wie  das  erst  vom  Kaiser  Justinian  geschaffene  Rechts- 
institnt  der  Enterbungsgründe,  d.  h.  die  Bestimmungen  darüber, 
aus  welchen  Ursachen  es  den  in  gerader  Linie  miteinander  ver- 
wandten Personen  gestattet  sein  sollte,  mittelst  letztwilliger 
Verfügung  sich  das  gegenseitig  zustehende  gesetzliche  Erbrecht 
zu  entziehen1).  Danach  durften  andere,  als  die  damals  auf- 

')  „Enterben“  bedeutet  in  jedem  Falle  eine  Tätigkeit  des  Erblassers. 
Im  römischen  Rechte  ist  cs  die  ausdrückliche  Willenserklärung,  dass  ein  ge- 
setzlich Erbberechtigter  von  der  Erbschaft  ausgeschlossen  sein  solle,  und 
konnte  nicht  anders  als  in  Verbindung  mit  der  Einsetzung  anderer  Erben 
erfolgen.  Dies  biess:  exheredare,  exheredem  scribere  alifinem  (vgl.  Heu- 
mann, Handlexikon  zu  den  Quellen  des  römischen  Rechts,  9.  Aull.  (1907), 
s.  v.  exheredare),  «Ttixlr^ov  oder  «noxXtiQovöfior , auch  nito  xXt,Qovöfuor, 
jtoihV  oder  «noXifinäveo&at  uv«  (vgl.  Bas.  35,  8 und  Nov.  115,  3).  Aber  im 
weiteren  Sinne  konnte  auch  eine  Verfügung  über  den  Nachlass  zugunsten 
anderer  Personen,  als  der  gesetzlichen  Erben,  ohne  Nennung  der  letzteren 
als  „Enterbung“  bezeichnet  werden,  was  sonst  „praeterire“,  äfxvr^ivtujov 
xai aXifinavtiv  genannt  wurde  (vgl.  Bas.  35,8,36  = Nov.  115,3);  man 
sprach  von  „silentio  exheredare*  (D.  38,  2, 12  pr.  Ulpian)  und  „silentio  prae- 
terire“  (D.  29,  1,  41,  3 Tryphoninus).  Anders  im  germanischen  Rechte.  Da 
diesem  weder  eine  Erbeinsetzung  noch  eine  Enterbung  im  ersten  Sinne  be- 
kannt war  (s.  unten  im  Anfang  von  § 4),  so  sprach  es  von  „Enterben“  nur 
im  zweiten  Falle,  wenn  eine  Verfügung  über  das  Vermögen  zum  Nachteil 
der  künftig  Erbberechtigten  erfolgt  war.  Vgl.  Freusdorff,  Dortmunder 
Statuten  und  Urteile,  1882,  S.  326,  s.  v.  Enterben : „etwas  tun,  was  den  an- 
dern eigentumslos  macht  oder  sein  Erbrecht  kränkt“;  C.  Fipper,  Das  Bei- 
spruchsrecht nach  altsächsischem  Recht,  1879,  S.  54:  „durch  Veräussernng 
der  Sache  die  Möglichkeit  entziehen,  in  ihren  Besitz  einst  durch  Erbfolge 
einzurücken“.  Halt  aus  in  seinem  Glossarium  Gcrmanicmn  medii  aevi, 
Merket,  KoterlomgsgriiDdo  1 


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2 


gestellten  Fälle  nach  ausdrücklicher  Festsetzung  des  Kaisers 
nicht  mehr  als  zulässig  angesehen  werden.  Die  Angabe  anderer 
Gründe  im  Testament  würde  die  Ungültigkeit  der  Enterbung 
zur  Folge  gehabt  haben,  und  ohne  ausdrückliche  Angabe  irgend- 
eines zutreffenden  Grundes  war  die  Enterbung  ohne  weiteres 
wirkungslos.  Diese  Vorschriften  sind  in  dem  Justinianischen 
Gesetze  vom  1.  Februar  542,  der  Nov.  115  cap.  3—5  pr. , ent- 
halten *). 

Die  Wanderschaft  dieses  antiken  Fragments  durch  die  Ge- 
setzbücher der  Welt  ist  schon  anderen  Forschern  aufgefallen  2), 
und  es  schien  daher  vom  Standpunkte  der  Rezeptionsgeschichte 
aus  — und  zwar  nicht  allein  von  demjenigen  der  deutschen  — 
einiges  Interesse  zu  gewähren,  den  Wegen  nachzuspttren,  welche 
es  bei  seiner  Wanderung  eingeschlagen  hat.  Sie  führen  bis  in 
die  Gegenwart  herein,  und,  wenn  man  die  verschiedenen  Formen 


Tom.  I,  1758,  S.  320  s.  v.  enterben  definierte:  „spe  et  iure  ac  succcssioue  in 
bona  hereditaria  priunre“  und  gab  daftlr  Belege,  denen  aucli  noch  die  Formel 
zum  Ed.  Rothari  (Zeit sehr,  f Recbtsgescbichtc,  VIII,  1869,  S.  482)  hinzugeffigt 
werden  kann.  Vgl.  ferner  Zöpfl,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  4.  Aufl  , III, 
1872,  § 113  N.  15  (S.  214).  In  diesem  Sinne  war  „Enterben“  gleichbedeutend 
mit  .erblos  machen“  (vgl.  Haitaus,  I S.  377,  s.  v.  erblos)  und  konnte  z.  B., 
wie  nach  dem  Kleinen  Kaiserrechte  II,  10,  wegen  Verschwendungssucht  eiues 
Kindes  (als  exheredatio  bona  meute)  geschehen.  Ja  auch  die  in  demselben 
Rechtsbnche  (11,8)  geordnete  Vertreibung  aus  dem  Hause  wegen  „Ungehor- 
samkeit“, die  Emanzipation,  lässt  sich  trotz  des  Widerspruches  bei  v.  Gosen, 
Das  Privatrecht  nach  dem  Kl.  Kaiserrechtc,  1866,  8.  162  N.  17,  als  „eine 
Art  der  Enterbung*  im  deutschrechtlichen  Sinne  wohl  bezeichnen,  wie  dies 
H.  Siegel,  Das  deutsche  Erbrecht  nach  den  Rechtsquellen  des  Mittelalters, 
1853,  S.  133  N.  533,  getan  hat. 

*)  Corpus  iuris  civilis,  ed.  stereotypa,  vol,  III,  1895,  S.  534  ff. ; C.  E. 
Zachariae  a Lingenthal,  Imperatoris  Justiniani  Novellae,  pars  II,  1881, 
const.  CXXXVI. 

*)  Vgl.  Bluntscbli,  Deutsches  Privatrecht,  § 236,3  (3.  Aufl.,  1864, 
S.  704),  welcher  sich  jene  Erscheinung  daraus  zu  erklären  sucht,  dass  die 
Aufzählung  der  GrUnde  aus  Xov.  115  „im  Mittelalter  einen  günstigen  Ein- 
druck gemacht  zu  haben“  scheine;  auch  Frensdorff,  Zeitscbr.  d.  Sav.-Stift., 
Band  26,  Germ.  Abt.,  S.  252  (1905),  bemerkt  in  Beziehung  auf  das  revidierte 
Braunschweigische  Stadtrecht  von  1532:  „Man  liess  sich  durch  das  Fremde 
imponieren  und  nahm  auf,  was  man  in  der  Vorlage  in  kompakter  Masse, 
bequem  in  den  Novellen  zusammenhängend  vorfand*.  Vgl.  denselben  in: 
Hansische  Geschichtsblätter,  1907,  S.  37. 


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3 


betrachtet,  in  welchen  der  Fremdling  sesshaft  geworden  ist,  so 
stellt  sich  in  ihnen  zugleich  ein  Stückchen  kulturgeschichtlicher 
Entwicklung  dar,  denn  sie  greifen  ins  Leben  ein  und  man  wird 
doch  im  allgemeinen  voraussetzen  dürfen,  dass  bei  ihrer  Ge- 
staltung im  einzelnen  die  Anschauungen  und  Bedürfnisse  des 
Lebens  nicht  immer  völlig  aus  den  Augen  gelassen  worden  sein 
mögen.  Es  tut  diesem  Umstande  keinen  Eintrag,  weun  mit  der 
.allgemeinen  Bekanntheit  und,  wie  es  scheint,  Beliebtheit  des 
Gegenstandes  seine  praktische  Bedeutung  nicht  gleichen  Schritt 
hält,  wie  dies  die  Reformation  der  Stadt  Frankfurt  a.  M.  vom 
Jahre  1578  ausdrückt:  „Dieweil  aber  solche  Fälle  der  Ent- 
erbung zwischen  den  Eltern  und  den  Kindern  in  dieser  Statt 
bey  Menschen  Gedenken  keine  (Gottlob)  sich  zngetragen  und 
wir  erhoffen,  dass  auch  hinfüro  dieselben  durch  Verleyhung 
göttlicher  Gnad  sich  nicht  zutragen  sollen:  so  achten  wir  für 
unnötig,  die  Ehehaften  und  Ursachen  der  Undankbarkeit,  da- 
her die  Enterbungen  erfolgen,  allhie  weitläufig  aus  den  keyser- 
lichen Rechten  zu  erzehlen  usw.“1).  Nichtsdestoweniger  finden 
sie  sich  in  den  meisten  der  wichtigeren  Gesetzgebungen , und 
nur  wenige  haben  es,  wie  die  Stadt  Frankfurt,  gemacht  und 
sich  mit  einer  blossen  Verweisung  begnügt. 

Eine  eingehendere  dogmengeschichtliche  Behandlung  hat 
dieser  Gegenstand,  soviel  ermittelt  werden  konnte,  bisher  noch 
nicht  erfahren 2). 


§ 1 

Das  Justinianische  Recht  und  seine  Vorläufer 

Ehe  an  die  eigentliche  Aufgabe  herangetreteu  wird,  dürfte 
es  am  Platze  sein,  einen  Blick  auf  die  Justinianischen  Vor- 
schriften selber  und  deren  Vorgeschichte  zu  werfen. 

')  IV, 3, 9;  ebenso  noch  in  der  , erneuten“  Reformation  von  1611  Bl.  175b. 
’)  Die  umfassendste  Materinlsammlnng  findet  sich  bei  J.  A.Gruchot, 
Pronssischcs  Erbrecht,  Bd.  III  (1867)  S.  147—169  und  S.  331  ff.  Vgl.  ferner 
P.  v.  Roth,  Bayrisches  Zivilrecht,  2.  Aufl , III.  Teil,  2.  Abt.  (1898),  § 375 
S.  493  ff.,  und  0.  Stubbe,  Handbuch  des  deutschen  Privatrechts,  V (1885) 
§ 306  S.  247  ff. 

1» 


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4 


Hinsichtlich  des  Enterbungsrechtes  bestand  im  Jahre  542 
nach  römischem  Reichsrechte  noch  im  wesentlichen  derselbe  Zu- 
stand, welchen  das  Zentumviralgericht  im  Beginne  der  Kaiserzeit 
geschaffen  hatte:  Aszendenten  und  Deszendenten  sowie  die  kon- 
sanguinen  Geschwister  konnten  mit  der  Inoffiziositätsquerel  ihre 
Enterbung  oder  Übergehung  anfechten  und  den  — im  Jahre  536 
für  die  ersteren  (durch  Nov.  18)  neu  festgestellten  — Pflicht- 
teil verlangen,  falls  sie  jene  Behandlung  nicht  „verdient“  oder, 
wie  man  jetzt  auch  zu  sagen  pflegte,  gegenüber  dem  Erblasser 
sich  nicht  als  „ingrati“  benommen  hatten. 

Der  letztgenannte  Ausdruck  scheint  als  juristischer  Kunst- 
ausdruck zuerst  bei  den  Freigelassenen  Anwendung  gefunden 
zu  haben,  welche  sich  einer  ungehörigen  Aufführung  gegenüber 
dem  Freiiasser  schuldig  machten  und  deshalb  der  „accusatio 
ingrati“  verfielen  *).  Von  diesem  Rechtsverhältnisse  wurde  das 
Wort  dann  auf  die  querela  inofflciosi  testamenti  und  inofficiosae 
donationis  übertragen2)  und  auch  in  anderen  Fällen  gebraucht3). 
Die  entsprechende  griechische  Bezeichnung  war  d/dQioroi  (itQt 
oder  auch  eiV  rot  deha;  lat.:  circa  eum),  aber  man  ver- 
wendete in  dem  gleichen  spezifisch  erbrechtlichen  Sinne  auch 
dyvuifjuiv*)  und  besonders  „indignus“  (aVcti-ios)  seil,  successione, 
welches  Wort  also  keineswegs  auf  die  technische  Indignität  im 
Sinne  von  D.  34,  9 und  C.  6,  35  beschränkt  blieb5).  Den 
Gegensatz  bildet:  evxäQioiQg,  ti'xaQtoria  — während  eine  ent- 


')  So  schon  in  der  Lei  Aelia  Sentia:  vgl.  B.  W.  Leist,  Das  römische 
Patronatrecbt  (aus  Glück,  Pandektenkommentar,  Serie  der  Bücher  37,  38, 
Teil  IV),  I.  Teil,  1879,  S.  387  ff.  Vgl.  ferner  D.  37, 15, 4:  Bescr.  von  Severus 
und  Caracalla;  Paul.  Scnt.  I,  B,  2 (D.  37,  14,  19);  Ulpian:  D.  3,3,35,1; 
Cod.  Theod.  4,  10,  2 pr.  (a.  423). 

*)  Nach  0.  3,  28,  33,  1 vielleicht  schon  bei  Paulus;  ferner  in  C.  3,  29,  5 
(a.  286);  interpoliert  in  C.  Th.  2,  19,  2 = C.  3,28,28  pr.  (a.  321);  C.  3,28,30 
pr.  (a.  528);  C.  5,  9, 10  pr.  und  §§  3,  5,  6 (a.  529);  Theopil.  Inst.  II,  18,  1. 

*)  So  bei  Entziehung  des  Ehegutes  zugunsten  des  Fiskus  wegen  gesetz- 
widriger Eheschliessung:  C.  5,5,4  pr.  (Valent.,  Theodos.,  Arcad.),  heim 
Widerruf  von  Schenkungen:  C.  8,  55,  10  (a.  530),  Nov.  22,35  (a.  535),  und 
bei  der  gesetzlichen  Erbfolge:  Nnv.  22,  26,  1,  cap.  46  §§  3,  4,  cap.  47  pr. 
cap.  48  pr.  (a.  535). 

4)  Nov.  92,  1 (a.  539). 

*)  C.  3, 28, 1 1 (a.  224) ; C.  6, 35, 10, 1 (a.  294) ; Nov.  1 15, 3, 12  a.  E.  selber. 


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5 


sprechende  „ingratitudo“  bis  zu  den  Quellen  dieser  Zeit  nicht 
vorzukommen  scheint  — und  auch  xexapto/tevos; l). 

Im  Eingänge  des  Justinianischen  Gesetzes  (Nov.  115,  3 pr.) 
wird  nun  bemerkt,  dass  dasselbe  durch  den  unbefriedigenden 
Zustand  veranlasst  worden  sei,  in  welchem  sich  zu  damaliger 
Zeit  die  Ansichten  über  die  Acharistie-Gründe  befanden,  ohne 
deren  Vorhandensein  Aszendenten  ihre  Deszendenteu  in  ihren 
Testamenten  weder  übergehen  (praeteritos  xaral tfmäveiv)  noch 
ausdrücklich  enterben  (anu  xlr^ovoiuov  noielv)  durften.  Die  Ur- 
sachen ( ahiai ),  heisst  es,  aus  welchen  man  die  Deszendenten  als 
axÜQiaToi  zu  verurteilen  {xqiveo&ai)  habe,  fänden  sich  in  den  ver- 
schiedenartigsten Bestimmungen  verstreut2)  und  nirgends  deut- 
lich ausgesprochen  ((paveqüs  EtQtfttevcu) 8),  dazu  komme,  dass  die 
einen  von  ihnen  heutzutage  zur  Begründung  einer 

Acharistie  nicht  mehr  ausreichend,  indessen  andere  notwendige 
übergangen  seien.  Diese  waren  die  Erwägungen,  welche  dem 
Gesetzgeber  die  Veranlassung  zur  Aufstellung  seines  Kataloges  der 
„Enterbungsgründe“  boten,  während  z.  B.  die  andere  Vorschrift 
desselben  Gesetzes,  dass  der  zutreffende  Grund  in  der  letzt- 
willigen Verfügung  ausgesprochen  sein  müsse,  um  rechtswirksam 
zu  sein,  nichts  völlig  Neues  enthielt4). 

Die  Richtigkeit  dieser  Angaben  lässt  sich  aus  Justinians 
eigener  Gesetzgebung  unschwer  erweisen,  besonders  aus  dem 
Kodextitel  „de  iuofficioso  testamento“  (3,  28).  Danach  galt 
z.  B.  als  axaQtaros  ein  Sohn,  welcher  freiwillig  und  nicht  etwa 
infolge  gerichtlicher  Verurteilung  unter  die  Arenarier  sich  be- 
gab (c.  11,  a.  224),  eiue  Tochter,  welche  „turpiter  et  cum 
flagitiosa  foeditate  vivit“  (c.  19,  a.  293),  ferner  ein  jeder,  der 
den  Erblasser  an  der  Errichtung  eines  Testaments  verhinderte 
(c.  23,  a.  294).  Auch  einer  Mutter,  die  gegen  ihren  Sohn  in- 
triguiert  hatte,  wurde  das  Recht  auf  Erhebung  der  Inoffiziosi- 


*)  Nov.  22,  48  pr.  (a.  535);  Nov.  115,5  pr.  (a.  542);  Nov.  92,  1 (a.  539). 

*)  Vgl.  C.  5,  9,  10,  6 (a.  529):  casibns  qui  antea  priscis  legibus  enume- 
rati  suut;  J.  2,  18,  1:  turpibus  personis  — ex  sacris  constitutionibus. 

*)  Vgl.  Paul.  D.  48,  20,  7 pr. : (liberi)  ne  judicio  quidem  parentis  nisi 
meritis  (Lenel : meriti  instis  ?)  de  causis  sunimoveri  ab  ea  successione  possunt. 

*)  Vgl.  die  Notwendigkeit  der  Bezeichnung  als  ingrati  in  C.  3,  28,  30 
pr.  (a.  528)  und  C.  6,  9, 10  pr.  (a.  529). 


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G 

tätsquerel  gegenüber  dem  Testament  des  Sohnes  aberkannt 
(c.  28  = C.  Th.  2,  19,  2,  a.  312),  und  in  einem  anderen  Falle: 
wenn  die  Mutter  ihre  Kinder  lediglich  aus  Misstrauen  oder  aus 
Hass  gegen  den  Ehemann  enterbte,  lässt  sich  der  Wechsel  der 
Anschauungen  über  dessen  juristische  Behandlung  bis  zu 
Justinian  hin  verfolgen  (c.  25,  a.  301;  c.  33,  1,  a.  529). 

Die  seit  dem  Gesetze  von  542  allein  noch  als  zulässig  an- 
zunehmenden  Gründe  der  Enterbung  oder  Übergehung  können 
in  folgender  Weise  gruppiert  werden1): 

1.  Persönliche  Angriffe,  und  zwar  Aszendenten  gegenüber 
sowohl  Real-,  als  schwere  Verbal-Injurien  (I  und  II).  Zu  jenen 
gehört  in  erster  Linie  die  Tötung,  sowie  jede  Herbeiführung 
des  Todes  des  Erblassers,  ein  Fall,  für  welchen  bereits  Antoninus 
Pius  Einziehung  der  Erbschaft  zum  Fiskus  angeordnet  hatte  *). 
Das  Gesetz  bezeichnet  diesen  Grund  mit  einem  bei  Realinjurien 
geläufigen  Ausdrucke  als  •/tiQaj  irußäD.siv*).  Die  wörtliche  Be- 
leidigung heisst:  ßaQÜai'  xai  a.iQt.iij  vflQiv  in ayeiv*),  obgleich 
die  Beleidigung  der  Eltern  ohnehin  schon  eineu  Fall  der  atrox 
injuria  darstellte 5). 

Die  entsprechende  Bestimmung  für  Kinder  geht  nicht  so 
weit;  sie  lautet:  wenn  die  Eltern  ihre  eigenen  Kinder  zur  Ver- 
nichtung des  Lebens  ausliefern  («V  ävaifftoiv  Jw r^-Tcagadoitv) 
(1),  womit  nicht  allein  die  Veranlassung  des  Todes,  sondern 
auch  die  Bewirkung  eines  zur  Todesstrafe  führenden  Straf- 
prozesses gemeint  ist;  denn  es  wird  fortgefahren:  es  handle  sich 
denn  um  einen  Fall  der  xa9ooiwois,  d.  h.  des  Majestätsdeliktes. 

')  Im  folgenden  werden  als  „Gründe  für  Eltern*  diejenigen  bezeichnet 
werden,  welche  den  Aszendenten  das  Hecht  geben,  ihre  Deszendenten  zu  ent- 
erben, als  „Gründe  für  Kinder“  die  anderen.  Jene  werden  nach  der  Reihen- 
folge im  Gesetze  mit  römischen  Ziffern  I — XIV,  diese  mit  deutschen  1)— 8) 
gezählt  werden. 

*)  D.  34,  9,  3;  D.  48,  20,  7,  4;  vgl.  auch  Modestinus:  D.  49,  14,9  und 
C.  6,  3ö,  10,  1 (n.  294). 

*)  D.  47,  10, 1, 1 (Labeo);  D.  37, 15, 1,  2 (Ulpian).  Vgl.  Glück,  Pand.- 
Komm.  VII  S.  210;  „manns  impias  inferre“  auch  beim  .Schenkungswiderruf: 
C.  8,  65,  10  pr.  (a.  530). 

*)  Vgl.  wieder  C.  8,  65,  10  pr.  cit. : „iniurias  atroces  — effnndere*. 

s)  P.  47,10,7,8  (Ulp.);  J.  4,  4,9;  vgl.  Glück  a.  a.  0.  8.211,  der  aller- 
dings S.  214  noch  Uber  den  begriff  der  Verbalinjurie  hinausgehen  will. 


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7 


Andere  Realinjurien  und  die  Verbalinjurien  überhaupt  gewährten 
den  Kindern  kein  Recht,  den  Eltern  deshalb  die  Erbschaft  zu 
entziehen. 

Als  eine  Beleidigung  der  Eltern  galt  ohne  weiteres  auch 
die  Erhebung  einer  Kriminalanklage  wider  sie  (ßni  iyxXtjfiauxals 
ahiaii ; aisr uiv  xm rjyoQeiv l)  (III),  während  diese  im  allgemeinen 
nicht  unzulässig  war*).  Aber  auch  hier  wird  eine  Ausnahme 
hinzugefügt  für  den  Fall,  dass  die  Anklage  wegen  eines  gegen 
den  Kaiser  oder  gegen  den  Staat  gerichteten  Deliktes  erhoben 
würde:  denn  in  diesem  Falle  war  selbst  da,  wo  für  gewöhnlich 
die  Erhebung  der  Anklage  ausgeschlossen  war,  dieselbe  ge- 
stattet3). Erfolgte  also  die  Anklage  aus  solchem  Grunde,  so 
bestand  kein  Enterbungsrecht  für  die  Eltern.  Den  Kindern 
aber  gab  die  an  sich  durchaus  zulässige4)  Veranlassung  eines 
Strafverfahrens  durch  die  Eltern  nur  dann  ein  Enterbungs- 
recht, wenn  der  Prozess  nicht  wegen  xaitooiwoi g erhoben  war 
und  Todesstrafe  nach  sich  zog. 

Bei  der  nicht  unter  die  Ausnahme  fallenden  Kriminal- 
anklage wider  die  Eltern  kam  es  nicht  darauf  an,  ob  dieselbe 
begründet  war  oder  nicht:  denn  das  „officium“  galt  als  ver- 
letzt. Dagegen  wird  der  Fall  der  wissentlich  falschen  Anzeige, 
der  „Sykophantie“,  von  seiten  des  Sohnes  noch  besonders  (als 
Nr.  VII)  hervorgehoben,  aber  mit  der  Voraussetzung  verbunden, 
dass  dadurch  die  Eltern  schwere  Strafen  erleideu,  — letzteres 
offenbar  im  Anschlüsse  an  vorangehende  andere  Bestimmungen5). 
Die  Beschränkung  dieses  Falles  auf  männliche  Deszendenten 
dürfte  auf  der  Nachsicht  beruhen,  welche  das  Recht  den 


')  Vgl.  Nov.  22,  47  pr.  (a.  535)  beim  Erbrecht  der  Geschwister : fyxbr 
puttixi ]y  äno<f(QHy  xtti  auioü  ypmpijV. 

*)  Vgl.  Glück  a.  a.  0.  S.  229  ff.;  Mommsen,  Römisches  Strafrecht 
(1899)  S.  372  N.  1. 

*)  So  zwischen  Freigelassenem  nnd  Patron:  Mommsen  a.  a.  0.  S.  370 
N.  4;  zwischen  Sohn  nnd  Vater,  sowie  unter  Ehegatten:  Glück  S.  229  N.  54, 
Mommsen  S.  372  N.  1;  durch  Frauen:  Mommsen  S.  369  N.  6. 

*)  Mommsen  a.  a.  0.  S.  372  N.  1. 

*)  Vgl.  beim  Schenkungswiderruf:  C.  8,55,10  pr.  (a.  530):  iacturae 
molem  ex  insidiis  suis  ingerere  qtiae  non  levem  sensum  substantiae  douatoris 
imponit,  und  beim  Geschwistererbrecht:  Nov.  22,47  pr.  (a.  535):  rijc  oiatas 
tivitfi  antüiitiy  Inayuyti v <ttytu\uaiy. 


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8 


Frauen  hinsichtlich  der  Calumnie  angedeihen  zu  lassen 
pflegte1). 

Einen  den  Eltern  wie  den  Kindern  gemeinsamen  Ent- 
erbungsgrund bildete  endlich  die  Lebensnachstellung  (V  und2)2 *), 
wobei  die  mittelst  Giftes  und  — bei  den  Kindern  — die 
mittelst  Bezauberung  (yoqitiat)  erfolgende  besonders  hervor- 
gehoben wird®). 

2.  Blutschande  gewährt  ein  Enterbungsrecht,  wenn  sie 
zwischen  Sohn  und  Stiefmutter  oder  zwischen  Vater  und 
Schwiegertochter  stattgefunden  hat;  ebenso  die  mit  einer 
nakkaxig  (pellex)  des  Vaters  oder  Sohnes  begangene,  worunter 
der  Konkubinat  verstanden  sein  wird4)  (Nr.  VI  und  3).  Der 
Möglichkeit  einer  anderen  verbrecherischen  Geschlechtsver- 
bindung: mit  der  eigenen  Mutter  oder  Tochter,  zwischen  Tochter 
und  Stiefvater,  zwischen  Mutter  und  Schwiegersohn:  wird  nicht 
gedacht. 

In  dem  früheren  Rechte  scheinen  diese  Bestimmungen 
keinen  Vorgang  zu  besitzen.  Zwar  wird  der  testamentarische 
Erbteil  eines  wegen  Ehebruchs  Verurteilten  sowie  derjenige  der 
Ehebrecherin,  welchen  diese  sich  gegenseitig  zugedacht  haben 
und  der  einem  von  ihnen  nach  der  zwischen  ihuen  vollzogenen 
Eheschliessuug  zufällt,  wegen  „Indignität“  dem  Fiskus  zu- 
gesprochen, aber  diese  Entscheidung  beruht  auf  der  Ungültig- 
keit einer  solchen  Ehe 5 6).  Ebenso  wird  im  Anschlüsse  an  ein 
Reskript  Hadrians,  welches  in  diesem  Falle  „Inkapazität“  er- 
klärte, der  Erbteil  einer  Soldatenfrau  von  nicht  ganz  einwand- 
freiem Vorleben  behandelt,  nachdem  ihr  Manu  sie  zur  Erbin 


l)  S.  Mommsen,  Strafrecht  S.  369  N.  5. 

’)  Vgl.  wieder  C.  8,  65,  10  pr.  cit.:  vitae  periculum  aliquid  donatori 
inferre,  und  Nov.  22  cit. : »i'iymoy  tmßoviivuv  im  AäcX<f$. 

*)  Giftmischerei  und  Zauberei  dachte  man  sich  von  jeher  als  miteinander 
verbunden:  vgl.  Tbeoph.  Inst.  IV,  18,  5 i.  f. : yor, tat  — oV  /utuior,- 

(t(vai{  xrrl  (ftxnunxoi;  x«l  fiayixoit  ifii&upiOfiotf  (i“roi  ävaiQOvOtv 

ttvSQtänovs  = Inst.:  venefici  — qui  artihus  odiosis  tarn  venenis  quam  su- 
surris  magicis  homines  ucciderunt ; vgl.  auch  Mommsen,  Strafrecht  S.  639 
N.  6,  und  Frensdorff,  Zeitschr.  d.  Sav.-Stift.  26  S.  250  N.  2 (Germ.  Abt.). 

*)  So  M Uhlenbruch -Glück  XXXVII  S.  148. 

6)  Ll.  34,  9,  13  (Papiuiau). 


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g 


eingesetzt  hatte1).  Und  Theophilus  führt  unter  den  „turpes 
personae“ , gegen  welche  die  Geschwister  des  Erblassers  mit 
der  Inoffiziositätsquerel  durchzudringen  vermögen  (II,  18,  1), 
auf:  oi  am  aioxQwg  fii&wg  tyvuiofiimt,  ein  Ausdruck,  der  ver- 
schieden verstanden  werden  kann,  nämlich  entweder,  unter  Be- 
rufung auf  eine  Analogie  im  Syrisch-römischen  Rechtsbuche, 
von  den  wegen  Ehebruches  Verurteilten  *)  oder  von  unehelich 
Erzeugten*).  Jedenfalls  nähert  sich  keine  dieser  Bestimmungen 
der  Justinianischen  Vorschrift  in  erheblicher  Weise. 

3.  Die  Verhinderung  an  der  Errichtung  eines  Testamentes 
— soweit  Kinder  überhaupt  imstande  sind,  ein  solches  zu  er- 
richten — berechtigt  sowohl  Elteru  als  Kinder,  die  Enterbung 
vorzunehmen,  sobald  das  Hindernis  nicht  mehr  wirksam  ist  und 
ein  Testament  errichtet  wird  (Nr.  IX  und  4).  Aber  hier  geht 
das  Gesetz  über  das  Enterbungsrecht  hinaus  und  bestimmt,  dass 
auch  bei  untestiertem  Absterben  des  Erblassers  auf  den 
Hindernden  nichts  kommen  dürfe,  vielmehr  sollte  der  Erbteil 
des  Verhindernden  dessen  unschuldigen  gesetzlichen  Miterben 
oder  den  nach  ihm  Berufenen  oder  denjenigen  zufallen,  von 
welchen  sich  nachweisen  liess,  dass  der  Erblasser  sie  als  Erben 
oder  Vermächtnisnehmer  bedacht  haben  würde,  oder  die  sonst 
einen  erweislichen  Schaden  infolge  der  verhinderten  Testaments- 
errichtung erlitten  hatten.  In  dieser  Hinsicht  verweist  der  Ge- 
setzgeber auf  „die  anderen  einschlägigen  Rechtsnormen“  (rovg 
ätäovg  vöftovg  rovg  rr sq'i  tovtov  xeifievovg)  und  bestimmt,  dass 
nach  ihnen  solche  Rechtsansprüche  zu  behandeln  seien.  Von 
solchen  ist  aber  nur  eine  Äusserung  Scävolas  bekannt,  wonach 
die  actio  doli  gegen  den  Hindernden  Personen  zugesprochen 
wurde,  welche  nachweisen  konnten,  dass  der  Erblasser  die  Ab- 
sicht gehabt  habe,  sie  zu  bedenken4),  sowie  ein  Gesetz  des 
Kaisers  Zeno,  welches  in  derartigen  Fällen  einen  Anspruch  des 


')  D.  29,  1,  41,  1;  D.  34,9,  14  (Papinian);  vgl.  v.  Savigny,  System  II 
S.  558,  und  L.  Keller,  Institutionen  S.  407. 

’)  So  Ferrini,  Institutionen  graeca  paraphrasis  I (1889)  S.  197. 

*)  Scholion  bei  Reitz,  Theophil,  pnrapbr.  graeca  I (1751)  S.  418,  t. 

‘)  I).  31,88,4,  wozu  vgl.  Schirmer  im  Arch.  f.  d.  ziv.  Prax.,  Kd.  79 
(1892)  S.  232  ff. 


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10 


Geschädigten  anerkannte,  ohne  ihn  jedoch  näher  zu  bestimmen1). 
Übrigens  war  die  nunmehr  verordnete  gesetzliche  Enterbung 
durchaus  im  Sinne  des  geltenden  Rechts,  wie  ein  Reskript  vom 
Jahre  285  zeigt,  welches  die  „Indignität“  eines  die  Testaments- 
errichtung  verhindernden  Erben  mit  der  Folge,  dass  er  „a 
snccessionis  compendio  removiert“  werde,  für  „celeberrimi  iuris“ 
erklärte*).  Früher  schon  hatte  Hadrian  einem  solchen  Erben 
den  erbrechtlichen  Klagenschutz  versagt  und  die  Erbschaft  zum 
Fiskus  einziehen  lassen s).  Später  erklärte  man  die  Ver- 
hinderung der  Testamentserrichtung  für  eine  „iusta  offensa“, 
welche  Kindern  das  Recht  der  Inoffiziositätsquerel  gegenüber 
dem  Testament  ihrer  Mutter  benahm4).  Als  eine  Fortbildung 
dieser  Vorschriften  erscheint  demnach  die  Justinianische  Be- 
stimmung. 

4.  Eine  Vernachlässigung  des  Erblassers  von  seiten  der 
zu  seiner  Nachfolge  Berufenen  führt  in  zwei  Fällen,  und  zwar 
bei  Eltern  wie  bei  Kindern,  das  Recht  zur  Enterbung  mit  sich, 
nämlich 

a)  wenn  der  Erblasser  geisteskrank  war  (itaheaücu,  it> 
fiavin  tvyxävui).  Genas  er  von  der  Erkrankung,  so  trat  das 
Enterbungsrecht  in  Kraft.  Starb  er,  ohne  genesen  zu  sein,  so 
— und  hier  überschreitet  das  Gesetz  wiederum  die  Grenzen 
der  Enterbungsbefngnis  — sollten  weder  seine  gesetzlichen 
Erben  noch  auch  diejenigen,  welche  er  in  einem  früheren  Testa- 
mente zu  Erben  eingesetzt  hatte,  ihn  beerben,  falls  sie  sich 
seiner  nicht  angenommen  hatten,  sondern  die  Erbschaft  fiel  dem 
iS-wTixia  (extraneus)  zu,  welcher  ihn  aus  Barmherzigkeit  ver- 
pflegt und  jene  Erben  vergeblich  mittelst  einer  diaitctQTVQia 
aufgefordert  hatte,  ihre  Pflicht  zu  tun;  in  dem  Hause  dieses 
extraneus  musste  der  Erblasser  verstorben  sein.  Im  Falle  der 
Erbeinsetzung  jener  Nachlässigen  wird  dieselbe  ausdrücklich, 
uuter  Erhaltung  der  übrigen  Bestandteile  des  Testaments,  für 
ungültig  ( äiaiQenoftevi) ) erklärt  als  Einsetzung  „Unwürdiger“ 
(äre  dij  avaghov  ovuov)  (Nr.  XII  uud  6).  Das  Gesetz  ist  hier 

')  C.  6,  34,  4. 

*)  C.  6,  34,  2. 

')  D.  29,  6,  1 pr. ; vgl.  D.  36,  1,  3,  5 (Ulpian). 

*)  C.  3,  28,  23  (a.  294). 


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11 


uu vollständig,  indem  es  nur  dem  exlraneus  einen  Weg  zur  Erb- 
schaft weist,  nicht  aber  z.  B.  denjenigen  von  den  gesetzlichen 
oder  testamentarischen  Erben,  welche  ihrer  Verpflichtung  gegen 
den  Erblasser  uachgekommen  sind; 

b)  wenn  der  Erblasser  im  Kriege  von  den  Feinden  ge- 
fangen genommen  war  (Nr.  XIII  und  7).  Die  Verpflichtung, 
ihn  auszulösen , wird  jedoch  nur  für  diejenigen  unter  seinen 
Erben  aufgestellt,  welche  das  18.  Lebensjahr,  d.  h.  die  „plena 
pubertas“  bereits  überschritten  haben;  für  den  Testamentserben 
tritt  übrigens  noch  die  weitere  Voraussetzung  hinzu,  dass  er 
von  seiner  Einsetzung  in  Kenntnis  gewesen  sein  müsse.  Auch 
hier  sollen  die  säumigen  Erben,  auf  Grund  welches  Titels  sie 
zur  Erbschaft  berufen  sein  mögen1),  erbunfähig  sein;  ihr  Erb- 
teil fällt  der  Kirche  des  Wohnortes  des  Erblassers  zu , damit 
er  inventarisiert  werde  und  zum  Zwecke  der  Befreiung  anderer 
Kriegsgefangener  Verwendung  finde.  Gleichzeitig  verleiht  das 
Gesetz  dem  noch  nicht  voll  geschäftsfähigen  Erben  für  diesen 
Zweck  eine  erweiterte  Geschäftsfähigkeit,  um  im  Falle  des 
Mangels  von  Mitteln  zu  jenem  Zwecke  Darlehen  aufnehmen  und 
Pfandrechte  begründen  zu  können.  Die  Aufstellung  dieses 
Enterbungs-  und  Erbunfähigkeitsgrundes  schliesst  sich  an  die 
z.  B.  zwischen  Patron  und  Klienten  bezeugte  sittliche  Ver- 
pflichtung nahestehender  Personen  zum  Loskauf  von  Kriegs- 
gefangenen an  *).  Nur  wird  jetzt  auch  die  Fürsorge  für  das 
Seelenheil  des  Erblassers  (mittelst  der  kirchlichen  Verwendung 
seines  Nachlasses)  in  Erwägung  gezogen3). 

Eltern  gegenüber  reicht  die  Verpflichtung  zur  Befreiung 
ans  Gefängnissen  aber  noch  weiter:  auch  wenn  sie  als  Straf- 
gefangene oder  wegen  Schulden  eingesperrt  worden  sind,  haben 
ihre  männlichen  Deszendenten  wenigstens  — denn  den  weib- 
lichen verbot  es  das  Sc.  Velleiauum  — sie  auf  gestelltes  Ver- 
langen mittelst  Bürgschaftsübernahme  auszulösen,  vorausgesetzt, 

’)  Im  Falle  testamentarischer  Berufung  trat  hier  der  Fall  der  lex 
Cornelia  ein  1 

•)  Vgl.  Mommsen,  Röm.  Staatsrecht,  I S.84  N.l;  auch  Ang. Knecht, 
System  des  Justinianischen  Kirchenvermiigeusrechtes,  1905,  S.  105  ff. 

*)  „tiiart  — rnf  ixilytov  nuotto;  t'jv/iii  fx  utürr^  tf,t  tvoifloi/i;  jrpn;{i<>c 

tnixou<j.i'iioitai"  (Nov.  115,  3,  13). 


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12 


dass  dazu  nicht  alle  Mittel  fehlten.  Weigern  sie  sich  dessen, 
so  ist  damit  das  Enterbungsrecht  begründet  (Nr.  VIII).  Für 
Eltern  ist  eine  solche  Verpflichtung  ihren  Kindern  gegenüber 
nicht  anfgestellt  worden.  — 

Die  bisherigen  Fälle  hatten  ihren  Grund  in  der  Verletzung 
von  Verpflichtungen,  welche  man  als  solche  der  Erbberechtigten 
gegenüber  ihrem  künftigen  Erblasser  erachtete.  Es  gab  aber 
auch  gewisse  Eigenschaften  des  Erben,  welche  das  Recht  zur 
Enterbung  mit  sich  führten,  ohne  dass  ihr  Vorhandensein  der 
Erblasser  gerade  als  eine  Beleidigung  seiner  selbst  zu  empfinden 
brauchte.  Hierhin  gehörte: 

5.  schlechter  Lebenswandel  des  Kindes,  und  zwar 

a)  bei  allen  Deszendenten:  die  Gemeinschaft,  mit  Gift- 
mischern (=  Zauberern)  *)  und  die  Beteiligung  bei  deren  Ge- 
werbe (iteia  tfccQ/iaxoiv  cl5'  (f  ctQfiaxog  av\avaai^e<pBai}at)  (Nr.  IV), 

b)  bei  männlicher  Deszendenz  die  Ergreifung  eines  anrüchigen 
Berufes  wider  den  Willen  der  Eltern  und  vorausgesetzt,  dass 
nicht  die  Eltern  selber  das  gleiche  Gewerbe  betrieben,  auch 
dass  derselbe  Beruf  bis  an  den  Tod  der  Eltern  wider  dereu 
Wunsch  beibehalten  wurde.  Als  solche  anrüchige  Gewerbe 
finden  sich  aber  nur  genannt:  die  xwqyoi,  was  hier  soviel  wie: 
arenarii,  d.  h.  bezahlte  Zirkuskämpfer,  zu  bedeuten  hat,  und 
die  „Mimen“,  also  die  Repräsentanten  von  Zirkus  und  Theater. 
Die  Anrüchigkeit  des  Schauspielerberufes  in  der  römischen 
Anschauung  von  alters  her  ist  bekannt  *) ; hinsichtlich  der 
arenarii  liegt  eine  Vorentscheidung  in  bezug  auf  die  Inoffizio- 
sitätsquerel  vor3),  und  auch  das  Syrisch-römische  Rechtsbuch 
hat  sich  in  bezug  auf  die  Anfechtbarkeit  der  Erbeinsetzung 
ehrloser  Personen  von  ähnlichen  Grundsätzen  leiten  lassen4). 

c)  Bei  weiblichen  Deszendenten  ergab  sich  ein  besonderer 
Enterbungsgrund  noch  aus  der  Möglichkeit  unsittlichen  Lebens- 


■)  S.  oben  S.  8 N.  3. 

* i Man  vgl.  nur  das  prätorische  Edikt  in  D.  3,  3,  3,  5 ff. 

*)  C.  3,  38,  11,  s.  oben  S.  5. 

*)  Londoner  Text  §9,  Arabischer  §5  (bei  Bruns-Sachau  S.  7 u.  80). 
Auch  Theophilns  nennt  II,  18,  1 in  seinem  Infamen-Eatalog  für  die  Inoffizio- 
sitätsquerel  der  Geschwister  unter  anderen  dieselben  beiden  Kategorieen  wie 
Justiuian. 


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13 


wandeis  in  geschlechtlicher  Hinsicht  ‘),  den  man  den  männlichen 
Individuen  nachzusehen  pflegte  (Nr.  XI).  Aber  die  Verwend- 
barkeit dieses  Enterbungsmotives  hatte  ihre  besonderen  Voraus- 
setzungen: die  Aszendenten  mussten  der  Tochter  oder  Enkelin 
auch  die  Gelegenheit  zu  anständiger  Verehelichung  gegeben 
haben,  wozu  die  Darbietung  einer  standesmässigen  Mitgift  ge- 
hörte, und  jene  musste  diese  Gelegenheit  aus  Frivolität  aus- 
geschlagen haben.  Ferner:  war  das  Mädchen  über  25  Jahre 
alt,  so  bestand  der  Enterbungsgrund  nur,  wenn  die  Eltern 
nicht  die  Schuld  an  ihrer  Ehelosigkeit  trugen,  oder  wenn  sie 
sich  wider  der  Eltern  Willen  einem  unfreien  Manne  ergeben 
hatte.  Auch  diese  Bestimmung,  freilich  ohne  die  jetzt  festge- 
setzten Einzelheiten,  war  bereits  im  früheren  Rechte  vor- 
gebildet2), und  das  Erfordernis  des  väterlichen  Ehekonsenses 
bis  zu  25  Jahren  stand,  gleich  der  „Kollokations“-  und  Aus- 
stattungspflicht, seit  langem  fest 3). 

d)  Dass  aber  auch  die  Kinder  ihren  Eltern  oder  Voreltern 
unsittliche  Aufführung  zum  Vorwurfe  machen  und  sie  deshalb 
enterben  könnten,  war  nur  für  den  einzigen  Fall  anerkannt, 
wenn  die  Eltern  sich  gegenseitig  nach  dem  Leben  trachteten, 
indem  sie  etwa  sich  Gift  beibrächten,  um  sich  das  Leben  oder 
den  Verstand  zu  rauben  (eis  ävaiqeotv  rj  exazaotv  rijs  d tavo lag) 
(Nr.  5). 

6.  Der  letzte  Enterbungsgrund  für  Aszendenten  wie  für 
Deszendenten  (Nr.  XIV  und  8)  ist  der  Mangel  orthodoxen 
Glaubens:  denn  bloss  für  rechtgläubige  Christen  war  Justinians 
Erbordnung  bestimmt4).  Zu  diesem  Zwecke  wurde  gesetzlich 
der  Begriff  des  wahren  Bekenntnisses  festgestellt,  und  zwar  so, 

■)  Die  Worte:  „alay^öv  ßtoy  imUyta&ai“  und  ,,tl;  iö  iavrij ; aiöfia 
— ri^nprfiV1  sollen  sicherlich  die  Unzucht  bedeuten , wie  Dionysius  Gotho- 
fredus  zu  dieser  Stelle  und  Hühlenbrnch-Glück  XXXVIt  S.  160 ff.  mit 
Recht  annehmen.  A.  A.  Glück  VII  S.  241.  Die  Unvollkommenheit  des  ge- 
setzgeberischen Ausdruckes  in  diesem  Falle  hat  aber,  ebenfalls  mit  Recht, 
schon  W.  Franke,  Das  Recht  der  Noterben  (1831)  3.  407  ff.,  gerügt. 

’)  C.  3,  28,  19,  s.  oben  S.  6.  Vgl.  auch  die  oben  S.  12  N,  4 angeführte 
Stelle  aus  dem  Syrisch-römischen  Rechtsbucke  hinsichtlich  der  „Huren“. 

*)  Vgl.  C.  Th.  3,  7,  1 pr.  = C.  5,  4,  18  pr.  (a.  371);  C.  5,  4,  20  pr. 
(a.  408/9);  Marciau:  D.  23,  2,  19. 

*)  Vgl.  Nov.  118,  6 (a.  543). 


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14 


dass  für  massgebend  erklärt  wurde  die  Teilualime  an  der- 
jenigen Gemeinschaft,  welche  sich  zu  den  Leinen  der  4 grossen 
Konzilien  vou  Nicäa  (a.  325),  Konstantinopel  (a.  381),  Ephesus 
(a.  431)  und  Chalcedon  (a.  451)  bekannte  l).  Als  Ketzer  wurden 
insbesondere  die  Nestorianer  und  Akephali  gebrandmarkt,  es 
sollten  aber  die  alten  Ketzergesetze  hinsichtlich  aller  übrigen 
auch  noch  fortgelten.  Verblieb  also  der  Erbe  bis  an  den  Tod 
des  Erblassers  in  solchem  Unglauben,  so  wirkte  die  Enterbung 
zu  seinem  Nachteil.  Das  Enterbuugsrecht  aus  diesem  Grunde 
stand  übrigens  nur  einem  ebenfalls  orthodoxen  Erblasser  zu. 
War  er  selber  Ketzer,  so  durfte  er,  wie  das  Gesetz  wieder  über 
das  Enterbungsrecht  hinaus  festsetzte,  bloss  von  orthodoxen  Ver- 
wandten beerbt  werden;  den  nicht  rechtgläubigen  sollten  die 
rechtgläubigen  Miterben  ihre  Erbteile  aufheben  bis  zur 
Besserung,  jedoch  ohne  jede  Verantwortlichkeit,  abgesehen  vom 
Ausschlüsse  der  Veräusserung,  und  war  an  orthodoxen  Erben 
überhaupt  Mangel,  so  sollte  unterschieden  werden:  war  der 
Erblasser  Kleriker  (el  //*»  upjia  x/.ijqixiöv  ot  yoielg  — f/otei), 
so  erhielt  die  Kirche  den  Nachlass,  jedoch  mit  der  Auflage, 
binnen  Jahresfrist  ihn  in  Besitz  zu  nehmen,  widrigenfalls  er 
dem  kaiserlichen  Fiskus  zufiel;  war  der  Erblasser  Laie,  so 
erhielt  die  Erbschaft  ohne  weiteren  Unterschied  die  kaiserliche 
res  privata. 

Auch  diese  Ordnung  ist  durch  ältere  Gesetze  Justinians 
schon  vorbereitet  gewesen  *),  namentlich  enthielt  ein  Gesetz  von 
529  ganz  ähnliche  Bestimmungen3). 

Soweit  reicht  der  hier  interessierende  Inhalt  der  Novelle 
115.  Am  1.  Mai  546  fügte  Justinian  noch  für  Klosterpersonen 
die  Ausnahme  hinzu,  dass  sie  nicht  aus  Ursacheu,  deren  Tat- 
bestand vor  ihrem  Eintritte  ins  Kloster  lag,  enterbt  werden 
durften4).  Die  Absicht  des  Gesetzgebers  richtete  sich  dabei 
natürlich  auf  die  Beförderung  des  klösterlichen  Lebens. 

')  Dieselben  Synoden  sind  auch  in  Xov.  131,  1 (a.  545)  als  massgebende 
genannt,  wozu  vgl.  Diener,  Geschichte  der  Novellen  (1824)  S.  158 ff. 

*)  C.  1,  5,  13.  15.  17,  1.  18,  3. 

•)  C.  1,  5,  19  pr.  - § 3. 

‘)  Nov.  123,  41. 


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15 


§ 2 

Die  byzantinische  Überlieferung 

Die  Frage,  ob  in  dem  griechischen  Texte  der  Nov.  115 
das  Original  des  Justinianischen  Gesetzes  erhalten  sei  oder 
bloss  eine  Übersetzung  lateinischer  Vorlage,  wird  sich  schwer 
entscheiden  lassen  *)•  Für  die  letzte  Annahme  scheint  zu 
sprechen,  dass  die  Fassung  des  I.  und  II.  Grundes  sich  an  la- 
teinische Vorbilder  anlehnt*),  und  auch  der  Umstand  ist  auf- 
fällig, dass  die  byzantinischen  Novellenauszüge  gerade  bei  diesen 
beiden  Gründen  sich  einer  anderen  Fassung  bedienen,  ohne  dass 
etwa,  wie  in  anderen  Fällen,  die  Umständlichkeit  des  Urtextes 
Anlass  zu  besonderer  Kürzung  gegeben  hätte. 

I.  Bei  Athanasius  (a.  565—578)  und  Theodorus  (a.  582  — 
602) 3)  heissen  jene  beiden  ersten  Gründe:  io  twtijaai  tovs 
;w*i s und:  ib  ßaqiois  vßqlaai.  Durch  die  Knappheit  der 
Fassung,  welche  diese  Exzerpenten  dem  Texte  zu  geben  sich 
befleissigen,  ist  begreiflicherweise  manches  Wichtige  unterdrückt 
worden:  wie  beim  XI.  Grunde  (Ungehorsam  der  Tochter)  die 
Beschränkung  der  Eheerlaubnis  auf  die  Ehe  mit  einem  freien 
Manne,  bei  Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft)  das  Erfordernis, 
dass  der  eingesetzte  Erbe  von  seiner  Einsetzung  erfahren  haben 
müsse.  Andererseits  zerlegt  Athanasius  den  1)  Grund  für 

Kinder  sinngemäss  richtig  in  zwei  Fälle  — was  wieder  mit 

')  Zachariae  v.  Liugeuthal  in  seiner  oben  S.  2 N.  1 angeführten 
Ausgabe  8.  182  vermutet  die  originale  Fassung  in  derjenigen  des  Anthentikum, 
unter  Berufung  auf  die  Einschiebnngen  bei  Note  20a  und  25  a seiner  Aus- 
gabe ; vgl.  aber  dagegen  die  dort  zitierten  Stellen  aus  den  Prolegomena  in 
Heimbachs  Antheuticnm,  Bd.  I. 

’)  S.  oben  S.  6.  Auch  die  sonst  rätselhaften  xvyr/yol  in  Nr.  X (Schau- 
spielergewerbe) — oben  S.  12  — könnten  vielleicht  in  einer  ungenauen  grie- 
chischen Version  der  „arenarii*  ihre  Erklärung  linden. 

*)  Bei  Haimbach,  Anecdota  I (1838)  S.  86 ff.,  und  Zachariae,  Anec- 
dota  (1843)  8 109 ff.  Vgl.  auch  die  Paratitla  zu  Anastasius  bei  Heimbach 
8.157  § 8 zu  Nr.  VIII  (Gefangenschaft),  S.  147  §6  zu  XIII  (Kriegsgefangen- 
schaft), S.  49  § 7 zn  XIV  (Ketzerei)  und  S.  43  § 7 zu  den  beiden  letzt- 
genannten Fällen. 


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16 


dem  überlieferten  griechischen  Texte  nicht  übereinstimmt  — : 
kt i xetfahxtT)  eyxXrjftari  xuthtiüv , abgesehen  von  xaltoaiwoig, 
und:  dg  dvaiqeoiv  £oiijs  naQadiötWcu.  Die  Mittel,  mit  welchen 
Eltern  im  Falle  5)  sich  nach  dem  Leben  stellen,  nennt  er 
drjlrjrßia  (cf.  delere : Schädlichkeiten). 

Der  Auszug  des  Theodorus  ist  übrigens  weniger  voll- 
ständig, als  derjenige  des  Athanasius.  Er  lässt  in  der  Reihe 
der  Fälle  Nr.  IX  (Testierhindernis)  und  XIV  (Ketzerei)  aus 
und  holt  sie  erst  später  nach.  Die  Acharistie-Gründe  für 
Kinder  werden  nicht  besonders  aufgczählt,  vielmehr  die  für 
Eltern  geltenden  ungenauerweise  auch  sämtlich  den  Kindern 
gegeben. 

II.  Auf  Theodorus  beruht  im  wesentlichen  die  Ekloga  der 
Isaurischen  Kaiser  Leo  und  Konstantinus  (um  740) l);  nur  lässt 
sie  ausser  Nr.  IX  uud  XIV  auch  noch  die  Fälle  Nr.  X (Schau- 
spielergewerbe) und  XIII  (Kriegsgefangenschaft),  sowie  die  für 
Kinder  bestimmten  vollständig  weg  und  enthält  eine  wesent- 
liche Neuerung.  Sie  stellt  nämlich  die  von  ihr  gebrachten 
Fälle  nicht  als  Gründe  der  Enterbung  hin,  sondern  als  Ursachen 
des  Ausschlusses  von  der  gesetzlichen  Erbfolge,  also  als  Fälle 
der  Erbunfähigkeit  ab  intestato,  indem  sie  dieselben  mit 
den  Worten  einleitet:  „'Exnintovoi  de  r^g  vofiifiov  xi.r^tnofiiag 
di  axagtodav  e tc.“2).  Diese  Auffassung  ist  durchaus  neu,  und, 
soviel  zu  sehen,  ohne  Vorbild  in  den  bisherigen  Quellen.  Sie 
wiederholt  sich  in  den  späteren  Auflagen  des  Rechtsbuches, 
der  Ecloga  ad  Prochiron  mutata  (11.  Jahrh.)  und  der  Ecloga 
privata  aucta  (12.  Jahrh.),  obwohl  diese  von  ihrer  Vorlage  in 
manchem  abweichen.  Die  Ecloga  mutata3)  stellt  die  Vor- 
schriften unter  die  Überschrift:  n eyt  d.ioxi.tQm,  und  bringt,  ab- 
gesehen von  einem  nachher  zu  erwähnenden  besonderen  Zusatze  aus 


*)  ed.  Antonius  G.  Monferratus  (1889)  S.  22  § 13.  Die  Ekloga  ist 
— nach  der  Zeitschr.  f.  vergleich.  Bcchtswiss.  19  (1906)  S.  328,  339  usw.  — 
in  die  armenische  Sprache  übersetzt  worden. 

’)  Die  Überschrift  des  Titels  (VI  S.  20)  lantet  dementsprechend : //tpl 
tütv  ff  nt!tn!Ktov  xX^Qoroftiüiy  *nl  Xtyäriav  xn\  nun  uov  ff  {1/itotai  (ctz 
(xTttmivitov. 

*)  Bei  Zachariae  n Lingenthal,  Jns  Graeeo-Romanuin  IV  (1865) 
8.  87:  Tit.  VIII  § 27. 


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17 

dem  Prochiros  sowie  einer  Bemerkung  über  das  Enterbungs- 
reclit  der  Kinder  aus  derselben  Quelle1),  nichts  neues.  Aber 
sie  holt  Nr.  IX  (Testierhindernis)  sofort  und  Nr.  XIII  (Kriegs- 
gefangenschaft) in  anderem  Zusammenhänge  später  nach8). 

In  der  Ecloga  privata  aucta3)  fehlen  die  Nr.  III  (Kriminal- 
anklage)  und  VII  (Sykophantie) , dagegen  sind  Nr.  X (Schau- 
spielergewerbe), XIII  (Kriegsgefangenschaft)  und  XIV  (Ketzerei) 
eingefügt,  Nr.  X in  der  Form:  wenn  der  Sohn  wider  den  Willen 
der  Eltern  „thymelicus“  wird4).  In  Nr.  XII  (Geisteskrankheit) 
findet  sich  hier  die  Neuerung,  dass  die  Kinder  auch  der  testa- 
mentarischen Erbschaft  der  von  ihnen  vernachlässigten  Eltern 
verlustig  gehen  (ixTtimeiv)  sollen  und  dass  die  Erbschaft 
dann  an  ihre  testamentarischen  Miterben,  oder  in  deren  Er- 
mangelung an  die  gesetzlichen  Erben  der  Eltern  (ausser  ihnen) 
fallen  soll.  Das  Recht  des  Pflegers  des  Erblassers  wird  gar 
nicht  erwähnt.  Die  Enterbungsgründe  für  Kinder  sind  — 
während  sie  sonst  in  dieser  Überlieferung  vollständig  fehlen5) 
— als  Verlustgründe  hinsichtlich  des  gesetzlichen  Erbrechtes 
der  Eltern  durch  Bezugnahme  auf  die  vorangehenden  Fälle 
festgestellt,  wozu  noch  als  „fernerer“  Grund  Nr.  4 (Testier- 
hindernis) tritt. 

')  Vgl.  Ecl.  mut.  VIII  § 30  (S.  87)  mit  Prochiros  Nomos  Tit.  33  § 18  (S.  185). 

»)  S.  137  § 6;  vgl.  auch  Nr.  VIII  (Gefangenschaft):  S.  136  § 2. 

*)  Bei  Zachnriae,  Jus  Graeco-Rom.,  IV  S.  25 ff.:  Tit.  VII  §§  16 — 19. 

*)  Diese  Leute,  die  Chortänzer,  galten  nach  dem  prätorischen  Edikt  und 
nach  der  Auffassung  der  klassischen  Juristen  noch  nicht  als  anrüchig  (D.  3, 
2,  4 pr.),  die  Kaiser  Diokletian  und  Maximian  schützten  sie  sogar  in  ihren 
Privilegien  (Leipz.  üriech.  Urk.,  1906,  Nr.  44),  aber  eine  andere  Praxis  zeigt 
sich  in:  C.  Tb.  15,7,12,1  (a.  394);  ih.  14,3,21  (a.  403);  Iuterpr.  zu  C.  Th. 
2,  19,  1.  Vgl.  auch  C.  Th.  15,  7,  5 (a.  380). 

5)  In  der  ersten  Auflage  der  Ekloga  wird  allerdings  die  Aufzählung  der 
ErbunfähigkeitsgrUmle  für  Kinder  (=  Enterbungsgründe  für  Eltern)  mit 
einem  „fiiv"  eingcleitet,  zu  welchem  man  das  „dl"  erwarten  sollte,  so  dass 
der  Verdacht  einer  Uuvollständigkeit  der  Überlieferung  nicht  abzuweisen  ist. 
Der  letztere  ist  auch  dadurch  nahe  gelegt,  dass  die  ältere  Ekloga  gegenüber 
der  privata  aucta  8.  26  Z.  6 v.  o.  plötzlich  im  Satze  abhricht.  A.  M.  ist 
Zachariae  v.  Lingenthal  in  seiner  Geschichte  des  Griechisch-römischen 
Rechts,  3.  Aufl.,  1892,  S.  173  N.  549,  welcher  die  Auslassung  der  zweiten 
Gruppe  von  Enterbuugsgrilnden  für  eiue  ans  Pietätsrücksichten  beabsichtigte 
hält  und  das  „ftir“  entfernt  wissen  möchte. 

Merkel,  guterbiingsgründe  - 


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18 


III.  Im  Gegensätze  zu  den  bisher  besprochenen  Werken  by- 
zantinischer Jurisprudenz  enthält  der  Prochiros  Nomos  des  Kaisers 
Basilius  und  seiner  Mitregenten  (870-879)  nicht  bloss  einen  Aus- 
zug aus  dem  Justinianischen  Gesetze,  sondern  er  reproduziert 
im  wesentlichen  das  Original  selbst l),  obgleich  beim  X.  Grunde 
(Schauspielergewerbe)  nur  die  Mimen  genannt  sind  (ohne  die 
xwqyoi)  und  beim  XI.  (Ungehorsam  der  Tochter)  das  Distinktions- 
alter fehlt.  In  Nr.  XIV  (Ketzerei)  treten  den  4 alten  öku- 
menischen Konzilien  noch  diejenigen  von  Konstantinopel  II  und 
III  und  das  II.  von  Nicäa  hinzu,  und  andere  Sekten  werden 
verdammt,  so  die  Jakobiten,  die  Monotheleten  und  die  Ikono- 
mackcn.  Beachtenswert  aber  ist  hier  besonders  zweierlei: 

1.  die  Einfügung  von  Bemerkungen,  welche  in  der  Vor- 
lage nicht  enthalten  sind  und  welche  gleich  der  Ekloga  den 
Gedanken  an  eine  gesetzliche  Enterbung  nahelegen*).  Man 
scheint  testamentarische  Enterbung  und  Erbunfähigkeit  nicht 
mehr  scharf  auseinandergehalten  zu  haben,  aber  im  übrigen 
steht  das  Rechtsbuch  vollkommen  auf  dem  Standpunkte  des 
Justinianischen  Enterbungsrechtes  3); 

2.  die  Aufstellung  eines  neuen  Grundes  zwischen  Nr.  VII 
(Sykophantie)und  VIII (Gefangenschaft)  nämlich:  wenn  die  Kinder 
die  Fürsorge  für  ihre  an  chronischer  Schwäche  eV  uo&fvtiy 
XQuitq)  oder  an  Alter  oder  Kraftlosigkeit  (adwa/tly)  leidenden 
Eltern  vernachlässigen  und  trotz  erfolgter  Aufforderung  von 
deren  Seite  (jieraxalov/ievoi  ttoqu  reu  yoriwv)  sie  keiner  Für- 
sorge würdigen  mögen.  Das  letztgenannte  Erfordernis  ist  der 
Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  entlehnt,  als  deren  Erweiterung 
eigentlich  der  neue  Zusatz  erscheint4). 

Die  neue  unter  dem  Titel  'H.iaiayoryr  tov  ru/wv  (879 — 886) 
erschienene  Auflage  der  Prochiros5)  schliesst  sich  dem  Justi- 

*)  ed.  Zachariae  (1837)  8.  171  ff. : Tit.  33:  mgl  änoxkijQtov. 

’)  So  heisst  es  nach  der  Aufzählung  der  Fälle  Nr.  I — V (§  1):  iöv 
toiovior  (tTinxh, ftor  timt  AionCsOftiv , und  nach  IX  (Testierhindernis)  (§  6): 
xtu  ovitos  (t/röx/r^jor  yivtoSai  rein» r.  Auch  steht  an  letzterer  Stelle  anstatt 
des  originalen:  ünoxhßoröftov  nottiv.  uxk^uor  oder  ttnoxitjgoy  nottiv. 

a)  Vgl.  §§  16—18  des  Titels. 

*)  So  fasst  ihn  auch  die  Ecloga  ad  Proch.  inut.  (oben  S.  16)  auf, 

")  Zachariae  a Liugcuthal,  Collectio  librorum  juris  Graeco-Boinani 
ineditormn  (1852):  Tit.  34  cap.  4 — 7 (S.  182  ff  ). 


19  _ 

manischen  Originale  noch  enger  an,  indem  z.  B.  die  Vorschriften 
zugunsten  grossjähriger  Töchter  beim  XI.  Grunde  nicht  fehlen 
und  die  erwähnten  Einschiebungen  nach  I — V weggelassen  sind. 
Dagegen  heisst  es  bei  Nr.  IX  (Testierhindernis)  noch  schärfer: 
xai  oifcias  artöxlr^og  ö naig  i'aroj.  Die  Liste  der  verbotenen 
Sekten  wird  beim  XIV.  Grunde  um  die  Kendukladen  und 
Aposchisten  vermehrt.  — In  der  dritten  Auflage,  der  'Enavayioyrj 
aucta  (10.  Jahrh.) l)  fallen  diese  Abweichungen  zum  grossen 
Teile  wieder  weg,  es  finden  sich  aber  andere  ®),  und  die  vierte 
Auflage,  das  Prochiron  auctum  (um  1300)®),  ist  vollends  eine 
bis  auf  wenige  Ausdrücke  unveränderte  Ausgabe  der  ersten. 

Etwas  selbständiger  verfährt  das  unlängst  aus  einer  vati- 
kanischen Handschrift  herausgegebene  Prochiron  legum  aus  dem 
12.  Jahrh. 4).  Es  hat  jene  Einschiebsel  über  die  gesetzliche  Ent- 
erbung in  verstärktem  Masse5),  welche  hier  um  so  mehr  her- 
vortreten, als  die  Ausführungen  über  die  Art  der  Enterbung 
(im  Prochiros  Nomos)  ausgelassen  sind.  Ferner  hat  man  die 
Gründe  5)  (Lebensnachstellung  unter  Eltern)  und  8)  (Ketzerei) 
übergangen,  obgleich  unter  den  Enterbungsursachen  für  Eltern 
der  letztere  nicht  fehlt.  Bei  Nr.  1)  (Aufopferung)  wird  eine 
Definition  der  xaiioaiwaig  folgendermassen  gegeben:  nwiian 
;ce.Qi  trg  fielhijg  i /; s Big  %ov  Üävaiov  rnv  ßaaiXieag  % ijg  ydiQag, 
wobei  die  Beschränkung  auf  den  „Herrn  des  Landes“  beachtens- 
wert ist. 

*)  Zachariae  a Langenthal,  Jus  Graeco-Rom.  IV  S.  303 ff.:  Tit.  37. 

*)  So  bei  Nr.  IX  (Testierhindernis)  ein  Zusatz,  welchen  ähnlich  auch 
Athanasius  hatte  (a.  a.  0.  S.  87):  ei  — nuCr  ly  ? tj  Jiatv/iiüaet  fj{lu\fjrliat , 
«pj'ti  o ir,i  iyaQiaiia;  Xoyoi,  wonach  die  Eltern  in  dem  doch  nocli  errichteten 
Testament  den  Kindern  ihre  Tat  vorwerfen  müssen,  um  sie  von  der  Erb- 
schaft auszuschliessen.  Bei  Wiedergabe  des  XIII.  Grundes  (Kriegsgefangen- 
schaft) ist  die  Epanagoge  aucta  (§  13)  von  Prochiros  33,  11  unabhängig, 
auch  wird  der  Anfang  von  Proch.  33,  23  (bei  Nr.  5:  Lebeusnachstellung 
unter  Eltern)  fortgelassen  (§  22). 

*)  Zachariae,  Jus  Graeco-Rom.  VI  S.  287 ff. 

‘)  Konti  per  la  storia  d’Italia,  Leggi,  secolo  XII,  1893,  S.  180  ff. : Tit.  28, 
ed.  Brandileone  e Puntoni. 

‘)  Denn  hier  wird  auch  der  X.  Grund  (Schauspielergewerbe)  mit  den 
Worten  eingeleitet:  ov  fiovov  JI  xmn  eovrox  rix  inonoy  i nttii  ttnoxXr^ot 
ylvuni  (8.  182)  und  der  XI.  (Ungehorsam  der  Tochter)  mit  den  Worten  ge- 
schlossen: xai  ovrtus  autij  anoxXitfos  yiyetui  (S.  183). 

2* 


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20 


Zur  ersten  Ausgabe  des  Procliiros  Nomos  kehrt  das  Ma- 
nuale legum  des  Konstantin  Harmenopoulos  (um  1345)  zurück  l), 
welches  aber  beim  X.  Grunde  (Schauspielergewerbe)  die  xvvtjyol 
wieder  einfügt  und  in  dem  vom  Prochiros  neu  aufgestellten 
Falle  (S.  18  oben  Nr.  2)  an  Stelle  des  Alters  den  Mangel 
( anoqia ) setzt. 

IV.  Wieder  anders  verfährt  der  Mönch  Matthäus  Blastares 
in  seinem  a.  1335  zu  Thessalonich  verfassten  „Syntagma  alpha- 
beticum“8).  Er  beginnt  seine  Darstellung  mit  einem  Auszug 
aus  dem  Originaltexte  der  Novelle.  Dabei  leitet  er  die  Eut- 
erbungsgründe  mit  den  Worten  ein:  „aWixArpor  elvai  rrj$ 
TraiQtxr^  ovolag  9earti^ofisvu : und  folgt  bis  zum  VII.  Grunde 
(Sykophantie)  fast  wörtlich  Jnstiuian.  Sodann  schiebt  er  den 
Fall  des  Prochiros  ein,  welchem  letzteren  er  auch  hinsichtlich 
der  Fassung  von  Nr.  IX  (Testierhindernis)  und  X (Schauspieler- 
gewerbe) folgt.  Von  da  an  aber  verfährt  er  willkürlicher.  Bei 
Nr.  VIII  (Gefängnis)  spricht  er  nur  von  der  Anklage  wegen 
Zivilschulden  und  gar  nicht  vom  Gefängnis,  und  auch  die  drei 
letzten  Gründe  (XII:  Geisteskrankheit,  XIII:  Kriegsgefangen- 
schaft und  XIV:  Ketzerei)  sind  von  ihm  in  origineller  Weise 
neu  gestaltet  worden,  ohne  freilich  deren  Sinn  im  wesentlichen 
zu  verändern.  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  lässt  er  aus, 
ebenso  Nr.  5)  (Lebensnachstellung  unter  Eltern),  und  schliesst 
mit  einer  Erweiterung  der  Vorschriften  auf  alle  „Verwandten“ 
(ovyyeveis):  „Aber  auch  weun  jemand  einen  tauben  oder  stummen 
oder  schwachsinnigen  (lufQun)  oder  geisteskranken  ( ftaivifisvog ) 
Verwandten  besitzt“  — heisst  es  — „dessen  Sachen  er  nicht 
fürsorgend  verteidigt  (7iqofit]9ovftevos  — txdixü)u,  so  kann  er 
ihn  nicht  beerben,  und  dasselbe  gilt  hinsichtlich  eines  Kriegs- 
gefangenen. 

V.  Die  Basiliken  samt  der  Synopsis  Basilicorum  (10.  Jahrh.)5) 
schrieben  die  Novelle  wörtlich  ab  und  hörten  nur  beim  XIV.  Grunde 
(Ketzerei)  schon  im  ersten  Satze  (bei  dem  Worte : xrjQiooovoiv) 

')  Heransgegebeu  von  (i.  E.  Heimbacb  (1851)  S. 677 ff.:  Lib.  5 Tit.  10. 

’)  <le  Migne,  Patrologia  Graeca,  Toni.  144  (1865)  Sp.  1368 ff.:  Lit.  K 
rap.  XII : ,,7/cpl  xx^ooroolVts'  x«l  anoxh]t>ojy  viwx  i]  yoytuti''1 . 

•)  Raa.  ed.  Heimbacb,  III  S. 561  ff  : Lib. 35  Tit. 8 cap. 36/7.  Zacba- 
riae,  Jns  Oraec.vRoni  V 8.  122  ff  : Lib.  I rap.  71. 


21 


auf,  so  dass  sowohl  die  Festsetzung  des  orthodoxen  Kirchen- 
begriffes, als  die  Bestimmungen  über  die  Beerbung  ketzerischer 
Aszendenten  fehlen  ’). 

Soweit  die  byzantinische  Überlieferung  nicht,  wie  die 
Prochiros-Gruppe  und  die  Basiliken,  sich  dem  Originaltexte  des 
Justinianischen  Gesetzes  möglichst  anzupassen  sucht,  sondern 
vielmehr  exzerpiert,  ist  zu  beachten,  dass  der  XIV.  Grund  (der 
Ketzerei)  erst  in  der  Ecloga  aucta  des  12.  Jahrh.  Aufnahme 
gefunden  hat  sj,  ferner  dass  die  Ekloga-Gruppe  — bis  auf  die 
Ecloga  aucta,  die  ihn  überhaupt  auslässt  — den  VII.  Grund 
(Sykophantie)  zwischen  den  III.  (Kriminalanklage)  und  deu  IV. 
(Giftmischer)  hiueinstcllt,  wahrscheinlich  wegen  seines  materiellen 
Zusammenhanges  mit  III,  endlich  dass  auch  IX  (Testierhinder- 
nis), X (Schauspielerberuf)  und  XIII  (Kriegsgefangenschaft)  in 
der  ursprünglichen  Ekloga  fehlen,  obgleich  sie  später  nach- 
geholt werden s).  Die  Ecloga  aucta  liess  auch  Nr.  III  und 
Blastares  liess  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  fort. 

Von  den  Gründen  für  Kinder  sprechen  nur  Theodorus  und 
die  späteren  Auflagen  der  Ekloga,  indem  sie  die  für  Eltern 
aufgestellten  Gründe  einfach  ausdehnen ; das  Prochiron  legum 
des  12.  Jahrh.  und  Blastares  führen  sie  zwar  auf,  entfernen 


')  Von  anderen  byzantinischen  Werken  seien  noch  erwähnt:  1)  Die 
Schrift  Ai  (tonal  aus  dem  7.  Jahrh.  (ed.  Zachariae,  1836.  S.  220),  wo  bei 
Erwähnung  des  18.  Lebensjahres  an  den  XIII.  Enterbnngsgrund  (Kriegs- 
gefangenschaft) erinnert  wird.  2)  Der  Anonymus  bei  Heimbach,  Anecdota 
I S.  194  § 10,  welcher  die  Fälle  VIII  ((Jefangenschaft)  and  XIII  enthält. 
3)  Der  Nomocanon  (a.  883)  (bei  J.  B.  Pitra,  Juris  ecclesiastici  Graecorum 
historia  et  monumenta,  tom.  II,  1868,  8.  585  ff. : X,  8),  wo  des  XIV.  Ent- 
erbungsgrundes (Ketzerei)  gedacht  ist,  übrigens  nur  der  Fiskus  and  nicht 
auch  die  res  privata  principis  genannt  wird,  und  bei  Erwähnung  der  25jährigen 
Tochter  — Fall  Nr.  XI  — (S.  620:  XIII,  9)  die  Novelle  zitiert  ist.  4)  Der 
s.  g.  Tipucitus,  dessen  in  Heimbacbs  Basiliken  II  S.  566  N.  n mitgeteiltes 
Stück  nur  die  drei  letzten  Fälle  XII,  XIII  und  XIV  und  von  den  Gründen 
für  Kinder  Nr.  5 (Lebensnachstellung  unter  Eltern)  wiedergibt,  bei  welcher 
letzteren  Gelegenheit  bloss  die  „fxojaoit  toü  tfgiros"  sich  bervorgehoben  findet; 
vielleicht  ist  aber  auch  dieser  Auszug  unvollständig:  vgl.  Bullettino  dell.  ist. 
di  dir.  Bom.  I S.  109. 

*)  Bei  Theodorus  wird  er  freilich  nachgebolt. 

*)  Die  Ecloga  mutata  holt  Nr.  IX  und  XIII  nach,  die  aucta  stellt 
Nr.  X und  XIII  in  die  Reibe. 


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22 


aber  beide  den  5)  Grund  (Lebensnachstelluug  unter  Eltern), 
und  das  erstere  entfernt  auch  den  8)  (Ketzerei). 


§ 3 

Die  romanischen  Versionen 

I.  Wenden  wir  uns  vou  den  griechischen  Texten  der  la- 
teinischen Fassung  unseres  Gegenstandes  zu,  so  kommt  zunächst 
der  Novelleuauszug  Julians  in  Betracht l).  Er  bezeichnet  die 
Acharistie  als  „ingratitudo“  und  spricht  also  von  „causae  in- 
gratitudinis  iustae“.  Den  ersten  Grund  gibt  er  mit  den  Worten 
wieder:  „Si  quis  parentibus  suis  audaces  manus  imponat“,  in 
offenbarer  Anlehnung  an  Digesteu-  und  Kodex-Ausdrücke  *). 
Die  vßQtü  im  II.  Falle  nennt  er:  gravem  atque  iuhonestam 
contumeliam  facere3).  Bei  III  (Kriminalanklage)  werden  „iu- 
sidiae  adversns  principem  (xara  ßaailiui vel  rempublicam 
(nohttias)'1  ausgenommen.  Die  ifaQ/iaxui  in  Nr.  IV  übersetzt 
er  mit  „malefici“,  d.  h.  Zauberer1).  Bei  VI  (Inzest)  steht  „se 
turpiter  miscere“.  Der  Sykophant  (Nr.  VII)  heisst  „calumnia- 
tor“  und  seine  Tätigkeit:  „per  delationem  suaui  gravissimum 
damnum  infligere  (ßctQela s-  — tyt/ct g vno/nehai  n aQctoxtvtiv). 
Bürgschaftsübernahme  im  Falle  der  Gefangenschaft  der  Eltern 
(Nr.  VIII)  ist:  „in  fidein  suarn  recipere“  neben  „fideiussio“  und 
„fldeiubere“.  Bei  Nr.  IX  (Testameutshiudernis)  fällt  auf,  dass 
dieser  Fall  auf  den  Sohn  eingeschränkt  wird,  vielleicht  des- 
halb, weil  in  den  drei  vorangehenden  Fällen  und  in  dem  nach- 
folgenden auch  nur  von  männlichen  Deszendenten  die  Rede  ist; 
am  Schlüsse  aber  wird  deutlicher,  als  in  der  Quelle,  gesagt, 

’)  Jnliani  epitome  Latina  Novellarum  Justiniani,  instrux.  G.  Haenel, 
1873,  S.  125 ff.:  const,  CVII,  cap.  CCCLXX1II - CCCLXXV. 

*)  Vgl.  D.  37,  15,  1,  2 (Ulpian)  und  C.  8,  55,  10  oben  S.  6 N.  3. 

*)  Vgl.  D.  37,  15,  1,  2 cit. : contnmeliis  adficere. 

4)  Vgl.  oben  S.  8 N.  3 und  C.  9,  18  (de  maleficis  etc.),  1:  Plus  est 
lioniinem  veneno  extinguere  etc.  und  Mommsen,  Strafrecht,  S.  640;  auch 
D.  37,15,1,3  (Ulpian):  Indignus  niilitia  iudicandus  est,  qui  patrem  et 
rnatrem  — maleficos  apellaverit. 


2:3 


worauf  es  ankonimt:  „secundum  priora  iura  (sollen  die  durch 
die  Verhinderung  des  Erblassers  von  einem  Erwerbe  ausge- 
schlossenen) suas  exerceant  actiones“  ').  Anstatt  der  offenbar 
unrichtigen  xvvqyol  im  Texte  von  Nr.  X (Schauspielergewerbe) 
steht  hier  das  richtige  Wort:  arenarii.  Bei  Nr.  XI  (Ungehor- 
sam der  Tochter)  ist  von  der  Aussteuer  nicht  die  Rede;  das 
Vergehen  der  Tochter  wird  als  „turpiter  vivere  malle“  (alaxQov 
(iiov  enü-tysadai)  geschildert. 

In  Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  und  XIII  (Kriegsgefangen- 
schaft) ist  im  wesentlichen  der  Text  der  Novelle  wörtlich 
wiedergegeben,  aber  von  den  eingesetzten  Erben,  welche  ihrer 
Pflicht  gegen  den  Erblasser  nicht  genügen  und  daher  nach  der 
Bestimmung  des  Gesetzes  auch  ohne  ausdrückliche  Enterbung 
nichts  von  der  Erbschaft  erhalten  sollen,  findet  sich  der  Aus- 
druck gebraucht:  „ab  hereditate  repelli“ !).  Diese  Bezeichnung 
rührt  vom  prätorischen  Rechte  her,  welches  ein  „repellere  a 
bonorum  possessione  contra  tabulas“  aufstellte3),  und  ist  von 
hier  auf  die  eigentliche  Erbunwürdigkeit4)  und  auf  andere 
Fälle5)  übertragen  worden;  in  den  Justinianischen  Gesetzen 
scheint  sie  mit  Vorliebe  für  die  Erbunfähigkeit,  besonders  wo 
es  sich  um  iugrati  handelte,  gebraucht  zu  werden6).  Hiernach 
mag  Julian  sich  gerichtet  haben  in  den  Fällen,  wo  die  No- 
velle von  Umstossung  der  Erbeinsetzung  (dvarQeno/ievqs  oder 
dxvQovfte vqg  rijs  eVardoews)  spricht. 


')  Vgl.  oben  S.  9 S.  4 und  flg.,  auch  Theodoras  bei  Heimbacb,  Anec- 
dota  I S.  110,  unter  Verweisung  auf  C.  6,34,2,  und  4:  *«1  yytoog  oti  6 
xaiXitioy  — t(  vnoft(yu. 

*)  Ebenso  bei  Wiedergabe  von  Nov.  123,  41  (oben  S.  14  N.  4)  in  cap. 
488  (Haenel  S.  162),  wo  das  Original:  ttnoxXtUiv  xX^norouiu-; : hat. 

*)  D.  37,4,10,3  (Ulp.);  ib.  11  pr.  (Paulas);  D.  37,9,1,11  (Julian); 
D.  37,  10,  1,  3 (Ulp.) ; D.  38,  2,  8,  2 und  14,  6 (Ulp.);  ib.  47,  1 (Paulus);  ib. 
50  pr.  (Tryphonin). 

*)  „repellere  a testamento“  s.  in  D.  34,  9,  2,  2 (Marcian);  ib.  5,  14  und 
18,  20  (Paulas);  D.  49,  14, 13,  9 (Paulus). 

s)  So  bei  Erbscbaftsverlnst  infolge  unterlassener  Erbittung  eines  Vor- 
mundes: C.  5,  31,  8 (a.  291). 

•)  Vgl.  C.  1,  6,  19  pr,;  3,  28,  33,  1;  5,  9,  10  pr.  und  § 3 (alle  a.  529). 
Abnlich  „removeri  a successione“  in  C.  6,34,2  (a.  285),  wie:  ,a  bonorum 
possessione  contra  tabulas“ : D.  38,  2,  14,  5 (Ulpian). 


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24 


Beim  XIV.  Grunde  (Ketzerei)  nennt  er  nur  den  Fiskus, 
niclit  auch  die  res  privata  des  Kaisers  als  anfallsberechtigt '), 
und  hebt  diesen  Fall  mit  den  Worten:  „non  minima  liaec  causa 
ingratitudinis  est“:  besonders  heraus. 

Was  die  Enterbungsgrttnde  für  Kinder  angeht,  so  gibt 
Julian  dem  ersten  Grunde  (Aufopferung)  in  der  Form:  „vitae 
insidiari“:  sogleich  einen  Umfang,  welcher  den  zweiten  (Lebens- 
nachstellung) mitumfasst.  Daher  werden  an  zweiter  Stelle  nur 
Gift  und  yorjüai  berücksichtigt,  letztere,  in  Übereinstimmung 
mit  den  Justinianischen  Institutionen8),  als  „susurri  magici“, 
d.  h.  Zaubersprüche,  bezeichnet.  Die  xattoaiwots  im  1)  Falle 
nennt  Julian  „crimen  majestatis“.  Eine  eigentümliche  Ab- 
weichung aber  vom  griechischen  Text  der  Novelle  findet  sich 
beim  5)  Grunde  (Lebensnachstellung  unter  Eltern);  während 
hier  nämlich  das  Original  von  Vernichtung  oder  Verrückung 
des  Verstandes  durch  Beibringen  von  Gift  redet,  sagt  Julian: 
„sive  ut  occidatur  sive  nt  mentem  eius  cognoscat“,  und  denkt 
dabei,  wie  es  scheint,  an  einen  Zaubertrank,  dessen  Wirkung 
es  sein  soll,  die  Gedanken  der  Menschen  zu  offenbaren.  Nr.  6) 
(Geisteskrankheit)  und  8)  (Ketzerei)  wird  wieder  nur  von 
Söhnen  ausgesagt,  diesmal  ohne  ersichtlichen  Anlass. 

Julians  Text  ist,  wie  es  scheint,  wörtlich  in  die  Lex  Ro- 
mana  cauonice  compta  des  9.  Jahrh.  übergegangen3);  auch  eine 
der  jüngeren  von  den  Turiner  Institutionenglossen  zitiert 
wenigstens  die  Anfangsworte  seiner  Darstellung4),  und  Gratian 
hat  das  Julianische  Exzerpt  aus  Nov.  123,  41 5)  wörtlich  seiner 
Kanonensammlung  eiuverleibt 6).  Namentlich  aber  beruht  auf 
Julian  der  im  12.  Jahrh.  in  Frankreich  entstandene  Brachylo- 


’)  Ebenso  der  Nomokanon  oben  S.  21  X.  1. 

»)  Vgl.  oben  S.  8 X.  3. 

*)  Vgl.  U.  Conrat  (Cohn),  Die  Lex  ßomana,  1904,  S.  94  nnd  143.  Eine 
Kollation  beider  Texte  gibt  Haeuel,  Julian  S.  228* ff. 

*)  8.  r.  Saviguy,  Geschichte  des  römischen  Hechts  im  Mittelalter,  11 
8.  446  Xr.  180  (zu  J.  2,  13,  7 v.  mater).  Über  das  Alter  der  Glosse  (11.  oder 
12.  Jahrh.)  vgl.  Conrat,  Geschichte  der  Quellen,  I 8.  118  X.  5;  Dirksen, 
Hinterlasseue  Schriften,  II  8.  160  X.  81,  hielt  sie  (1847)  für  .Justinianisch'. 
s)  Oben  S.  23  X.  2. 

•)  c.  10  C.  19  qu.  3. 


25 


gus  juris  civilis  *),  von  dem  bekannt  ist,  dass  er  die  Justinianischen 
Novellen  in  dieser  Form  benutzt  bat 2).  Er  kürzt  noch  mehr, 
als  Julian.  Der  X.  Grund  (Scliauspielergewerbe)  ist  gestrichen, 
Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  und  XIII  (Kriegsgefangenschaft) 
werden  nmgestellt;  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  steht 
ebenfalls  nicht  in  der  Reihe,  wird  aber  nachgetragen.  Bei 
Nr.  III  (Kriminalanklage)  ist  die  Ausnahme,  wonach  eine  An- 
klage zulässig  sein  soll,  „crimen  perduellionis“  genannt,  wozu 
eine  Glosse8)  die  Erklärung  fügt:  „cum  aliquis  molitur  aliquid 
contra  propriam  personam  imperatoris  vel  rempublicam“.  Hier 
erscheint  zum  erstenmal  der  imperator  anstatt  des  originalen 
jiaadevs  und  des  Julianischen  „princeps“.  Beim  VI.  Grunde 
(Inzest)  wird  der  weibliche  Teil  nicht  als  „noverca“  = firjtqviöi 
bezeichnet,  sondern  als  „paterna  uxor“ , worunter  auch  die 
eigene  Mutter  begriffen  sein  könnte.  Das  Vergehen  der  un- 
gehorsamen Tochter  (Nr.  XI)  heisst  „more  meretricis  stuprari“4). 

Ziemlich  willkürlich  verfährt  übrigens  das  Rechtsbuch  mit 
den  Subjekten  der  einzelnen  Fälle.  Bei  VI  (Inzest!)  und  VII 
(Sykophantie)  werden  die  „liberi“  genannt,  bei  XIV  (Ketzerei) 
dagegen  — wie  von  Julian  bei  Nr.  8)  — nur  die  Söhne,  während 
in  IX  (Testamentshindernis)  — gegenüber  Julian  6)  — die  ori- 
ginale Beziehung  auf  alle  Kinder  wiederhergestellt  ist.  Die 
Gründe  für  Kinder  sind,  wie  bei  manchen  von  den  Byzantinern8), 
durch  Bezugnahme  auf  die  vorangehenden  für  Eltern  erledigt7). 
Dass  der  X.  Grund  (Schauspielergewerbe)  ausgelassen  ist,  wie 
vorhin  bemerkt  wurde,  mag  absichtlich  geschehen  sein,  aber  es 
wird  dies  schwerlich  damit  Zusammenhängen,  dass  man  ihn  „wegen 
veränderter  Lebensanschauungen“  für  „obsolet“  geworden  hielt*); 

')  Corpus  legum  s.  Brachylogus  iur.  civ.,  ed.  Ed.  Bücking,  1829,  S.  63 ff. : 
Lib.  II  tit.  23  „de  liberis  exberedandis  vel  beredibns  instituendis“. 

T)  C ou rat,  Geschichte  S.  551  N.  5. 

*)  Bei  Bücking  S.  216. 

*)  Vgl.  Theodoms  bei  Zachariao,  Anecdota  S.  109:  nopyiiaai. 

5)  S.  oben  S.  22. 

•)  S.  oben  S.  21. 

*)  Hierauf  dürfte  es  benihen,  dass  der  XI.  Grund  (Ungehorsam  der 
Tochter),  wie  bemerkt,  nachsteht;  denn  er  konnte  auf  Eltern  keine  An- 
wendung linden. 

•)  Dies  vermutet  Conrat,  Geschichte  der  Quellen,  I S.  560  N.  4. 


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26 


wenigstens  scheint  seiue  Weiterführung  in  anderen  Katalogen 
der  Enterbungsgründe  für  das  Gegenteil  zu  sprechen. 

II.  Bereits  im  7.  Jahrh.  scheinen  die  Justinianischen  Ent- 
erbungsgründe in  die  germanische  Gesetzgebung  eingedrungen 
zu  sein,  wenigstens  im  einzelnen  und  in  Auswahl.  Denn  so 
lässt  sich  seiner  Fassung  nach  zunächst  ein  Gesetz  Chindaswints 
im  Westgotenreiche  (a.  641 — 653)  „de  non  exheredandis  filiis“ 
verstehen ').  Es  wird  den  Eltern  (parentes)  eingeschärft,  dass 
sie  Söhne  und  Enkel  nicht  „pro  levi  culpa“  enterben  (exheredare) 
dürfen;  aber  wenn  die  Aszendenten  „wollen“  (si  — voluerint,). 
so  werden  jene  von  der  Erbschaft  „repeliiert“  — ein  Aus- 
druck, welcher  an  Julian  erinnert2).  Die  Gründe  sind:  wenn 
die  Deszendenten  dermassen  „presumtuosi  extiterint“,  dass  sie 
ihre  Aszendenten  „tarn  gravibus  iniuriis  conentur  afticere“ ; 
worauf  dergleichen  „schwere“  Injurien  genauer  erläutert  werden3). 
Ferner:  wenn  sie  ihnen  „publice  quodeunque  crimen  obiciant“. 
Voraussetzung  ist  stets,  dass  die  Deszendenten  der  Tat  „mani- 
feste convicti“  seien , aber  die  Möglichkeit  einer  Verzeihung 
wird  Vorbehalten,  welche  auch  in  Form  einer  Erbeinsetzung 
(rerum  suarum  successores  iustituere)  erfolgen  kann  mit  der 
Wirkung:  „ueque  prohiberi  ab  eorum  hereditate“.  Hiermit scheineu 
doch  die  drei  ersten  der  Justinianischen  Fälle  (Real-  und  Ver- 
bal-Injurie und  Kriminalanklage)  gegeben  zu  sein,  allerdings 
ohne  die  gesetzlichen  Ausnahmen  im  letzten  Falle.  Auch 
dürfte  nicht  der  römische,  sondern  vielmehr  der  deutsch- 
rechtliche Begriff  der  „exheredatio“  zugrunde  zu  legen  sein4). 
Übrigens  liegt  in  dem  „repelli  ab  hereditate“  und  dem  „prohi- 
beri ab  hereditate“  auch  eine  gesetzliche  Erbunfähigkeit,  wie 
in  dem  ixninTeiv  der  Ekloga 5). 

Deutlich  ist  diese  Art  der  „Enterbung“,  und  zwar,  wie  es 
scheint,  wieder  mit  römischen  „Enterbungs“-Gründen,  im  Lango- 

')  Mon.  Germauiac  bistor.,  Lcgum  sectio  I,  Tom.  1 (1902)  S.  196  ff. 

*)  Vgl.  oben  S.  23. 

*)  Es  heisst:  „si  aut  alapa  pugno  vel  cnlee  seu  lapide  aut  fuste  vel 
tiagello  pemuiant  sive  per  pedem  vel  per  capillos  ac  per  tnanum  etiam  vel 
qnocumque  iubunesto  casu  abstraere  contumeliose  presuraant“. 

*)  Vgl.  oben  8.  1 N.  1. 

5)  Oben  S.  16. 


27 


bardenrecht,  zunächst  im  Edictus  Rothari  (a.  643),  ausgesprochen. 
Auch  hier  findet  sich  unter  der  Überschrift  „de  exheredatione 
filiornm“  l)  die  Anordnung,  dass  niemand  seinen  Sohn  ohne  be- 
stimmte „culpae“  „enterben“,  noch  auch  das,  was  jenem  ge- 
setzlich gebühre,  einem  anderen  „thingare“  dürfe.  „Justae 
culpae“  sind:  „si  filius  contra  animam  aut  sanguinera  patris 
insidiatus  aut  consiliator  fuerit  aut  si  patrem  percusserit  volun- 
t-arie“  oder:  „si  cum  raatrinia  sua  id  est  noberca  peccaverit“. 
Der  letzte  Fall  verrät  sich  deutlich  als  der  VI.  der  Justinianischen 
(Inzest),  aber  dass  auch  der  erste  auf  die  Novelle  bezogen 
werden  darf,  etwa  auf  Nr.  V (Lebensnachstellung),  vielleicht 
auch  auf  I.  (Realinjurie),  dazu  berechtigt  eine  zu  dieser  Stelle 
gehörige  Formel,  welche  jene  Bezugnahme  geradezu  ausspricht2). 

Derselben  Ausdrucksweise,  wenigstens  zum  Teile,  bedient 
sich  das  Edictum  Liutprandi  (a.  713 — 735)  bei  der  Darstellung 
der  ingratitudines  pro  quibus  filie  vel  sorores“  — von  männ- 
licher Deszendenz  ist  hier  nicht  die  Rede  — „ab  hereditate 
repelli  possunt“  s).  Zwar  werden  „alie  quamplures  ingratitudines 
legibus  scripte“  ausdrücklich  Vorbehalten,  aber  besonders  her- 
vorgehoben sind  folgende:  „si  adversus  animam  patris  vel 
fratris  iusidiate  fuerint“ , und:  „vel  sua  voluntate  fornicate“. 
Soll  jenes  zweifellos  dieselbe  Bedeutung  haben,  wie  im  Edictus 
Rothari4),  also  die  des  Justinianischen  V.  Grundes,  so  zeigt 
die  weitere  Ausführung  der  ersten  Vorschrift  unverkennbar  die 
Anlehnung  an  die  Justinianische  Nr.  XI  (Ungehorsam  der 
Tochter).  Denn  es  wird  weiter  gesagt:  die  Wirkung  der  Ent- 
erbung trete  nur  ein,  wenn  das  Mädchen  unter  25  Jahren  sei 

’)  Mon.  Germ,  hist.,  Leges  IV,  1868,  S.  39:  cap.  168/9;  vgl.  auch  die 
„Concurdiae“  daselbst  S.  253:  cap,  19. 

’)  Vgl.  Zeitschrift  für  Rechtsgeschichte,  VIII,  1869,  S.  482:  „deheredi- 
tare  — potuit  quod  tu  insidiatus  es  animae  suae  ...  Et  probet  ingratitu- 
dinem  ille  — aut  taceat  per  Novellam“.  Die  Entlehnung  aus  dem  Novellen- 
recht erkennt  auch  Alfr.  v.  Halban,  Das  röm.  Recht  in  den  german.  Volks- 
staaten, II,  1901,  S.  113,  an,  und  Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  I 
(2.  Aufl.,  1906)  S.  532  N.  11. 

*)  Mon.  Germ,  hist.,  Leges  IV,  S.  406:  cap.  5 § 5. 

4)  Auch  die  Glosse  zu  cap.  5 v.  „Si  filie“  daselbst  verweist  hierauf. 
Ilalban  a.  a.  0.  S.  196  scheint  die  Bestimmung  der  Enterbuugsfälle  hier 
„willkürlicher“  zu  finden,  als  im  Edictus  Rothari. 


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28 


und  ohne  des  Vaters  oder  des  Bruders  Willen  („uutns“)  zur 
Ehe  schreite;  sei  sie  älter  und  verbinde  sie  sich  dann  „inor- 
dinate“  wider  des  Vaters  Willen  mit  einem  Gatten,  so  sei  sie 
gemäss  jener  „Novellarum  lex : Neque  pater  aut  raater“ , d.  h. 
der  Nov.  115  in  Julianischer  Fassung,  nicht  „ab  eius  hereditate 
pellenda“.  Würde  nicht  diese  Bemerkung  auf  die  Quelle  der 
ganzen  Bestimmung  deutlich  genug  hin  weisen,  so  könnte  man 
schon  dem  Ausdruck  „ingratitudines“  *)  die  Julianische  Her- 
kunft mit  ziemlicher  Sicherheit  ansehen. 

Aus  der  Westgotischen  Gesetzgebung  mögen  die  drei 
ersten  Fälle  in  die  Usatici  von  Barzelona  (um  1068)  über- 
nommen sein*).  Denn  es  heisst  hier:  „Exeredare  autem  possunt 
predicti  genitores  filios  suos  vel  Alias  vel  nepotes  sive  neptes, 
si  illi  tarn  presumptuosi  extiterint,  ut  patrem  aut  matrem,  avum 
vel  aviam  graviter  percusseriut  vel  dehonestaverint  vel  de 
crimine  eos  in  judicio  accusaverint“.  Aber  dieses  Gesetzbuch 
geht  noch  weiter.  Es  nennt  auch  noch  den  Fall:  „si  filii 
efficiantur  baudatores“,  d.  h.  Betrüger,  Verräter,  womit  wahr- 
scheinlich die  Julianiseben  „malefici“  des  IV.  Justinianischeu 
Falles,  unter  Einschränkung  auf  die  männliche  Deszendenz, 
wiedergegeben  werden  sollten3).  Ausserdem  ist  der  XI.  Justi- 
uianische  Fall  rezipiert  (Ungehorsam  der  Tochter)  mit  An- 
klängen an  Julian4),  und  der  XIV.  (Ketzerei)  in  der  Form: 
„si  filii  se  Sarracenos  fecerint  et  penitere  noluerint“. 

Die  „Usatici“  gehören  zu  derselben  Gruppe  mittelalter- 
licher Rechtsbücher,  welcher  auch  die  provemjalische  Über- 
lieferung im  Grazer  und  Tübinger  Rechtsbuch  und  in  den  s.  g. 
Petri  exceptiones  beizuzählen  ist6).  Hier  aber  werden  die 

')  Er  stellt  auch  in  der  oben  angeführten  Formel  (S.  27  N.  2). 

*)  Vgl.  M.  Ch.  Girard,  Essai  sur  l’histoire  du  droit  franqais  au  moyen 
age,  Tome  II,  1846,  S.  480/1  (§  77);  auch  bei  Adolf  Helffericb,  Entstehung 
und  Geschichte  des  Westgoten-Rechts,  1858,  S.  459  (§  77),  und  bei  A.  Mari- 
chalar  u.  C.  Manrique,  Hist,  de  la  legislacion  — de  Espaüa,  Tom.  VII, 
1863,  S.  254  (§  71). 

*)  Vgl.  Ficker  in:  Mitteilungen  des  Inst.  f.  Österreich.  Geschiehts- 
forsch.,  II.  Ergänzuugsband,  1888,  S.  271  ff.,  welcher  zugleich  an  eine  Ver- 
letzung der  Lehenstreue,  an  felonistische  Vasallen,  denkt. 

4)  „tnrpiter  viverint“ ; vgl.  oben  S.  23. 

’)  Im  Grazer  Rechtsbuche  soll  die  einschlägige  Stelle  nach  Ficker 


29 


Fälle  um  fünf  weitere  vermehrt.  Denn,  während  Nr.  VI  (In- 
zest), IX  (Testamentshinderung)  und  X (Schauspielergewerbe) 
ebenfalls  fehlen,  sind  dagegen  aufgenommen:  Nr.  V (Lebens- 
nachstellung), VII  (Sykophantie),  VIII  (Gefangenschaft),  XII 
(Geisteskrankheit)  und  XIII  (Kriegsgefangenschaft),  letzteres 
mit  VIII  verbunden  („parentes  captos  aut  in  earceribus  positos 
liberale  non  curare“}.  Nr.  I heisst:  „Si  patrem  aut  matrem 
aut  alium  asccndentem  scienter  et  ironice  percutiant“;  bei  III 
werden  die  Ausnahmen  nicht  verschwiegen:  „exceptis  si  de  in- 
sidiis  seniorum  accusaverint  eos  vel  de  traditione  loci“ : jenes 
zweifelsohne  auf  die  Lehensherren  gehend,  dieses  offenbar  als 
Bezeichnung  des  Landesverrats  gebraucht.  In  Nr.  IV,  auf 
„filii“  beschränkt,  werden  die  Julianischen  „malefici“  genannt, 
aber  verschieden  (mit:  „id  est“)  definiert:  als  „adjuratores“ 
(Graz),  „fraudulatores“  „afaduratores“  oder  „adfaduratores“ 
„fraudatores“  (Tübingen),  „faculatores“  facturatores“  oder 
„scapulatores“  (Petrus)1).  Von  diesen  Lesearten  dürfte  „facu- 
latores“ die  grösste  Wahrscheinlichkeit  für  sich  in  Anspruch 
zu  nehmen  haben,  weil  das  Wort  in  der  Tat  einen  Magier  oder 
Zauberkünstler  bedeutet*).  Nr.  VII  wird  so  ausgedrückt:  „si 
per  ingeniura  aut  factum  suum  dolosum  grave  dampnum  patian- 
tur“ ; die  quellenmässige  Einschränkung  auf  Söhne  findet  so 
wenig,  wie  in  Brachylogus,  statt.  „Dampnum“  ist  übrigens 
Jnliauisch,  und  ebenso  scheint  auch  die  Fassung  von  V (Lebens- 
nachstellung), XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  und  XII  (Geistes- 
krankheit) auf  dieselbe  Quelle  zurückzugehen,  nur  dass  die 
beiden  letzten  Fälle  erheblich  gekürzt  sind.  In  Nr.  XIV 
(Ketzerei)  wird  natürlich  nicht  auf  die  Saracenen,  sondern 
wieder  auf  „catholici“  und  „haeretici“  Bezug  genommen,  aber 
wieder  nur  von  Söhnen  gehandelt. 


a.  a.  0.  S.  240  und  Stintzing,  Populäre  Literatur,  S.  80,  unter  Nr.  31,  nach 
Conrat,  Geschichte,  I S.  493,  unter  Nr.  35  steheu.  — Das  Tübinger  Rechts- 
bnch  s.  im  Bnllettino  ilell  ist.  di  dir.  Rom.  III,  1890,  8.116  (Nr.  63).  — 
Petri  exc.  bei  v.  Savigny,  Geschichte,  II  8.329  (I,  15). 

')  Vgl.  Conrat,  Geschichte,  I 8.  449  N.  1 und  S.  491  N.  2. 

*)  So  Ficker  a.  a.  0.  8.8.  Vgl.  auch  das  altkastilische  „fechizero“  in 
den  VII  Partidas  (unten). 


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30 


Über  die  Enterbungsgründe  für  Kinder  schweigt  diese 
Überlieferung  vollständig. 

III.  Eine  weit  umfassendere  Rezeption,  als  die  bisher  be- 
sprochene proven^alische  Überlieferung,  weist  das  provengalisclie 
Rechtsbuch  des  12.  Jahrh.  „Lo  Codi“  auf,  dessen  lateinische 
Übersetzung  kürzlich  Fitting  heraasgegeben  hat1).  Doch,  ehe 
an  dieses  herangegangen  wird,  dürfte,  um  tunlichst  die  zeitliche 
Reihenfolge  beizubehalten,  vorerst  ein  Blick  auf  das  Authenti- 
kum  zu  werfen  sein,  dessen  Text  Zachariae  v.  Lingenthal,  wie 
bemerkt2),  für  den  Originaltext  Justinians  zu  halten  geneigt 
war.  Hier  wird  es  sich  zunächst  darum  handeln , die  wich- 
tigsten Abweichungen  von  Julian  festzustellen.  Sie  sind 
folgende 3). 

In  Nr.  I steht  „uianus  intulerit“  (xelQag  imßaloi)  anstatt: 
„audaces  mauus  imponat“;  in  II:  „iniuriam  ingesserit“  statt: 
„contumeliam  faciat“;  bei  VII:  „delator“  für:  „calumniator“ 
und  „dispendia“  (£17/ uiag ) für  „damnura“.  Der  Schluss  von  IX 
befiehlt  an:  „sccundum  alias  leges  super  hoc  positas  talia 
negotia  terminentur“,  wie  der  griechische  Text,  während  Julian 
verändert:  „suas  ad  versus  eum  exerceant  actiones“.  Bei  XI 
ist  von  „luxuriosam  degere  vitam  eligere“  die  Rede,  austatt: 
„turpitcr  vivere  malle“.  Bei  XII  und  XIII  stehen  die 

Äusserungen  Julians  über  „ab  hereditate  repelli“  nicht,  eben- 
sowenig findet  sich  das  Missverständnis  in  dem  5)  der  Gründe 
für  Kinder4).  Nr.  1)  der  letzteren  heisst:  „ad  iuteritum  vitae 
— tradere“,  wo  Julian  „vitae  — insidiari“  schreibt,  und  an 
Stelle  der  „susurri  magici“  in  Nr.  2)  sind  die  yoyteiat  als 
„maleficia“  bezeichnet. 

Auf  dieser  Fassung  scheint  auch  diejenige  zu  beruhen, 
welche  in  den  Libri  Feudorum  für  die  „prima  causa  beneficii 
amittendi“  gewählt  ist5).  Man  kann  hier  den  ersten  und 

*)  Lu  Codi,  I.  Teil,  1906. 

*)  Oben  S.  15  N.  1. 

*)  S.  G.  E.  Heiubach,  Autbenticum,  Pars  II,  1851,  S.  851  ff. 

*)  Vgl.  oben  S.  24. 

b)  Fend.  II,  24,  4—8.  Vgl.  auch  Consnetudines  Feudorum,  I,  Compilatio 
antiqun,  ed.  C.  Lehmann,  1892,  8.  37:  X,  2;  hier  heisst  es  nur  im  I.  Falle: 
„iniecerit“  statt:  „ingesserit“. 


31 


zweiten  der  Justinianischen  Fälle  finden  in  den  Worten:  „si  im- 
pias  manns  in  personam  doniini  — ingesserit  vel  alias  graves 
vel  inhonestas  iniurias  intulerit“.  den  V.:  „vel  morti  eins  veneno 
— vel  aliter  insidiatus  fuerit;  den  VI.:  „si  doniini  vel  dominae 
filiae  — sese  irainiscuerit“ ; den  VII.:  wenn  er  delator  seines 
Herrn  wird  und  durch  seine  Delation  ihm  „grave  dispendium“ 
zufügt;  auch  den  VIII.:  „si  cognoverit  dominum  inclusuin  et 
eum  quum  potuerit  non  liberavit*.  Ja  schliesslich  wird  auf  die 
„nova  constitutio  justas  exheredationis  causas  enumerans“  aus- 
drücklich hingewiesen. 

Damit  sind  wir  bei  der  Bolognesischen  Überlieferung  an- 
gelangt. Hier  werden  freilich  die  Enterbungsgründe  meistens 
durch  einen  blossen  Hinweis  auf  den  Inhalt  der  Novelle  ab- 
getan '),  wie  es  dann  die  mittelalterlichen  Schriftsteller  nach- 
zumachen pflegen  *).  Aber  eine  der  im  ganzen  seltenen  Authen- 
tiken  zu  den  Institutionen,  und  zwar  zum  Titel  „de  inofficioso 
testamento“:  2,  18,  verfährt  anders.  Hier  sind  die  einzelnen 
Fälle  wieder  aufgezählt,  und  zwar  alle  s).  Die  Fassung  ist  ein 

')  So  in  der  Autli.  „Non  licet“  zu  C.  G,  28,  4 und  in  der  Glosse  „has 
esse  decernimns*  zu  Nov.  115,  3 pr.  (a.  E.). 

*)  z.  B.  Johannes  Bassianus  in  Azos  Summa  — super  libro  noncllarum, 
zur  Rubrik  „Ut  cum  de  appellatione  cognoscitur“  (Ed.  Lugduni  1530  S.  370); 
Rofredus,  ordo  judiciarius,  Pars  VI,  bei  der  querela  inoff.  test.  (Ed.  Lugduui 
1561  S.  405  Lit.  F);  Hostieusis,  Summa,  Lib.  III,  Rubr.  de  testamentis,  §. 
Qualiter  infirmetur,  v.  Quod  intellige  quando  exheredatio  sine  causa  facta 
est;  Repertorium  super  lecturis  D.  Alberici  de  Rosate  (Opera,  Lugduni  1545 
Tom.  111)  Lit.  E,  s.  r.  „exhaeredatio“,  welcher  aber  auch  auf  die  noch  zu 
erwähnende  kanonische  Glosse  vetweist. 

*)  Vgl.  den  Hinweis  auf  die  hierher  gehörige  Stelle  in  Hugos  Civilisti- 
schem Magazin  III  (2.  Aufl.,  1812)  S.  288  Nr.  16  von  v.  Savignys  Hand. 
Zum  Zwecke  der  vorliegenden  Untersuchung  ist  die  Autheutika  nach  der 
Göttinger  Handschrift:  Cod.  ms.  Jurid.  27  Bl.  22b,  einem  Werke  des  13.  oder 
14.  Jahrhunderts,  italienischer  Herkunft,  verglichen  worden  (vgl.  Verzeichnis 
der  Handschriften  im  Prenssischen  Staat,  I,  1,  1893,  S.  313).  F.  A.  Biener, 
Historia  Authenticarum,  Sectio  prior,  1807,  S.  66,  setzt  diese  Auth.  in  die 
erste  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  und  sagt  von  ihr  (S.  67):  „sensum  Novellac 
iustum  exhibere“,  als  „ex  ipso  foute“  geschöpft.  Übrigens  stimmt  der  Ab- 
druck dieser  Stelle  iu  der  Inrtitutionen-Ausgabe  des  Cuiacius  (Paris,  1585, 
S.  379;  vgl.  Fabrot,  Opera  Cuiacii,  I,  1658,  S.  120)  und  bei  Herrn.  Vnlteii, 
In  iustitntioues  iuris  civilis  — coinm.  (1598)  S.  892,  nicht  völlig  mit  der 
Göttinger  Lesart  überein,  namentlich  fehlen  hier  die  Gründe  für  Rinder. 


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32 


Gemisch  aus  dem  Authentiknm  und  Julian  •).  Bemerkenswert 
ist  z.  B.,  dass  beim  VIII.  Falle  (Gefangenschaft)  die  männ- 
lichen Deszendenten  als  „capaces  doli1  bezeichnet  werden, 
ferner,  dass  in  einer  der  gedruckten  Ausgaben *  *)  beim  XII.  Grunde 
(Geisteskrankheit)  die  Erweiterung  hinzugefügt  wird:  „Idem<|ue 
juris  de  aliis  morbis  et  necessitatibus“,  welche  jedoch  vielleicht 
dem  Herausgeber  ihr  Dasein  verdankt. 

Eine  neuerdings  aus  einem  Münchener  Kodex  veröffentlichte 
„Extravagante“  deckt  sich  fast  wörtlich  mit  jener  Authentika3), 
sie  dürfte  daher  aus  der  gleichen  Quelle  fliesseu. 

Ebenfalls  auf  dem  Authentikum  zu  beruhen  scheint  eine 
von  Cicognario  herausgegebene  Summa  notariae,  die  zu  Arezzo 
in  den  Jahren  1240—1243  entstanden  sein  soll4).  Sie  fasst  sich 
kurz  und  hat  kleine  Abweichungen,  von  welchen  eine  Hervor- 
hebung verdient  die  bei  Nr.  X gegebene  Erklärung  des  „mi- 
mus“5):  „id  est  ioculator“ , ein  Ausdruck,  welchen  sonst  nur 
die  provent.-alische  und  spanische  Überlieferung  hier  verwendet, 
und  in  Nr.  XI  die  Bezeichnung  des  Vergehens  der  Tochter  als 
„vult  luxuriari“.  Eingehender  ist  auf  die  für  Kinder  aufge- 
stellten Gründe  aufmerksam  zu  machen,  schon  deshalb,  weil 
ihre  Zahl  nur  auf  7 angegeben  wird.  Letzteres  entspricht 
einer  weitverbreiteten  mittelalterlichen  Überlieferung,  welche 


')  So  wird  die  Bezeichnung  als  „cnnsae  iugratitndinis“  von  Julian 
stammen,  ebenso  diejenige  der  Ausnahme  in  Nr.  III  nnd  1)  als  .crimen  ma- 
jestatis*  (vgl.  Julian  zu  Nr.  1);  „conversatur“  in  IV  und  X stimmt  mit  ihm 
überein,  ebenso  der  Schluss  von  IX  (s.  oben  S.  23).  Auch  die  Beschränkung 
von  Nr.  IX  (Testierhindernis  auf  Söhne)  ist  Julianisch.  Dagegen:  .Furioso 
parenti  curam  praebcre  (Monac.  adhibere)  — competentem“  könnte  an  Bracby- 
logus  nnd  Petrns  erinnern,  wenn  nicht  die  Göttinger  Handschrift  an  dieser 
Stelle  statt  .competentem" : „unde  tarn*  (sc.  exheredationc  digni  sunt  etc.) 
stehen  hätte.  Das  Übrige  entspricht  meistens  dem  Anthentikum. 

*)  In  der  Ausgabe  von  Jnstiniani  Institutionum  juris  civ.  libri  IIIl  des 
P.  ab  Area  Baudoza  Cestii,  Colon.  Alobr.,  typis  Jac.  Stoer,  1614,  S.  113. 

*)  Bibliotheca  iuridica  medii  aevi,  vol.  III,  1901,  S.  81  Nr.  70.  Im  Cod. 
Monacensis  22  steht  diese  Auth.  beim  Kodextitel  .de  officio  praefecti  prac- 
torio  Africae“  (1,  27,  1);  der  Kodex  stammt  ans  dem  14.  Jahrhundert. 

4)  Bibliotheca  iurid.  med.  aevi  cit.  3.328:  cap.  157:  .de  ultimis  volun- 
tatibus“. 

*)  So  ist  jedenfalls  zu  lesen  austatt  des  keinen  Sinn  ergebenden:  .invius". 


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33 


auf  die  Glosse  selbst  zurückgeht  *),  und  dann  von  vielen 
Schriftstellern  befolgt  wird8).  Man  ist  gespannt  darauf,  die 
Aufzählung  dieser  Fälle  zu  vernehmen,  und  findet  sie  z.  B.  in 
einem  von  der  Glosse  zu  J.  2,  18  (de  inoff.  test.)  aufgenommenen 
Merkverse: 

Sed  pater  ex  septem:  si  nati  spernet  honorem, 

Hunc  accusabit,  dira  venena  dabit, 

Testari  vetat,  aut  uxorem  diligit  eius, 

Non  redimit  captum,  dum  furit  odit  eum8). 

Hier  fehlen  offenbar  Nr.  5)  (Lebensnachstellung  unter 
Eltern)  und  8)  (Ketzerei),  die  anderen  6 sind  in  den  drei  letzten 
Zeilen  erhalten,  und  zur  Vervollständigung  der  7-Zalil  ist  der 
allgemein  lautende  Grund  im  ersten  Verse  hinzugefügt. 

Die  Summa  notariae  lässt  ebenfalls  Nr.  5)  aber  auch  Nr.  7) 
(Kriegsgefangenschaft)  aus,  und  schliesst  sich  in  der  Ausdrucks- 
weise bei  Nr.  3)  (Inzest),  4)  (Testierhindernis)  uud  6)  (Geistes- 
krankheit) an  das  Autbentiknm  an,  nur  dass  bei  Nr.  4)  die 
Zulässigkeit  der  Testamentserrichtung  durch  den  Haussohn  nach 
den  Unterschieden  der  Peculien  behandelt  wird.  Nr.  1)  lautet: 
„si  — in  criminalibus  causis  accusavit“,  wie  in  der  Authentika 
zu  deu  Institutionen,  jedoch  ohne  die  Ausnahme  des  „crimen 
maiestatis  “ *).  Bei  Nr.  8)  (Ketzerei)  werden  die  Worte:  „ortho- 
doxus  id  est  catholicus  vel  in  fide  rectus“  etymologisch  zu  er- 
klären versucht6).  Aber,  um  an  Stelle  der  beiden  gestrichenen 
Fälle  die  7-Zahl  zu  erhalten,  schmuggelt  der  Redaktor  einen 


’)  Vgl.  Ol.  „ltas  esse  decernimus“  zu  Nov.  115,  3 pr.  und  Ql.  „quatuor- 
decim“  zur  Auth.  „Non  licet“  (C.  6,  28,  4). 

*)  So  in  der  von  Fitting  unter  dem  Namen  des  Iruerius  (1894)  heraus- 
gegebenen Summa  Trecensis,  S.  184,  ferner  bei  Johannes  Bassianus  und 
Kofredus  an  den  S.  31  N.  2 angeführten  Stellen.  Auch  Rogerius  sagt  in 
seiner  Summa  Codicis  zu  ß,  15  (Bibi,  jurid.  med.  aevi,  I,  1888,  S.  112):  „sep- 
tenario  immer«  continentnr*.  Jason  Maynus,  Coinm.  in  II  partem  Codicis, 
Lugd.  1508,  Bl.  125b,  zählt  sogar  nur  VI,  aber  es  kann  ein  Druckfehler 
vorliegen. 

*)  Der  Vers  ist  auch  z.  B.  in  Lanterbachs  collegium  Pandectarum,  I, 
1784,  S.  451,  ilbergegaugeu. 

‘)  Vgl.  S.  32  N.  1 oben. 

*)  „et  dicitur  ab  ortlios  quod  est  rectum  et  a doxa  id  est  gloria:  itide 
orthodoxus  id  est  recte  gloriosus“. 

Herkel,  Euterbungsgrilnde  3 


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34 


der  mir  für  Eltern  aufgestellten  Enterbungsgründe  ein,  nnd 
zwar  den  IV.:  „si  pater  cum  maleficis  ut  maleficus  versetur“! 

Man  sieht:  auf  solche  Weise,  wie  sie  in  dem  Merkverse 
der  Glosse  und  in  der  Summa  notariae  zur  Verwendung  kommt, 
entspringt  die  Zählung  von  bloss  7 Gründen  in  der  zweiten 
Gruppe  willkürlicher  Auswahl.  Der  wahre  Anlass  zu  dieser 
Zählung  dürfte  aus  dem  Institutioneulehrbuch  Perneders  (1544) 
erhellen,  welcher  einfach  die  Fälle  6 (Geisteskrankheit)  und  7 
(Kriegsgefangenschaft)  unter  einer  Nummer  zusammenfasst1), 
und  dies  mag  wieder  damit  in  Zusammenhang  stehen,  dass  der 
Text  des  Authentikum  ebenso  wie  der  griechische  Text  der 
Novelle  diese  beiden  Fälle  gewissermassen  in  einem  Atem  auf- 
zählt.  Denn  während  sonst  sämtliche  einzelne  Enterbungsgrnnde 
mit  dem  Wörtchen  ei  (si)  eingeleitet  werden,  ist  dies  für  den 
Fall  7 nicht  geschehen:  daher  konnte  man  bei  mechanischer 
Zählung  ihn  mit  Nr.  6 wohl  zusammenrechnen. 

IV.  Der  oben  erwähnte  Versuch,  die  Enterbungsgründe 
zum  Zwecke  leichterer  Fasslichkeit  in  Verse  zu  bringen,  ist  in 
der  Literatur  der  Zeit,  von  welcher  die  Rede  ist,  auch  bei  den 
Enterbungsgründen  für  Aszendenten  gemacht  worden.  Nur  ist 
die  Herkunft  der  Strophen  zweifelhaft.  In  einem  Druck  der 
kanonischen  Glosse  werden  sie  der  „Summula  paupernm“  zu- 
geschriebeu 2),  aber  in  der  „Summula  de  summa  Raymundi“3) 
scheinen  sie  sich  nicht  zu  finden.  Sie  treten  in  verschiedenen 
Lesarten  auf,  sind  es  indessen  nicht  wert,  dass  man  eine  text- 
kritisch genaue  Ausgabe  von  ihnen  mit  Angabe  der  Varianten 
herstelle.  Daher  mag  eine  der  üblichen  Fassungen  genügen: 
Bis  septem4)  causis  exhercs  filius  esto: 

Si  patrem  feriat,  si  maledieat  ei, 

Carcere  detrusum  si  negligat  ac  furiosum, 

Criminis  accuset,  aut  paret  insidias, 

Si  dederit  gravia  sibi  damna,  nec  hoste  redemit, 


’)  Andreas  Perneder,  Institutiones,  1544,  Bl.  59b. 

’)  Corpus  jnris  canonici,  Basileae  1511,  Tom.  II,  Bl.  142  b. 

*)  Vgl.  Stintzing,  Populäre  Bit.  S.  502. 

*)  Her  Ausdruck  wird  nicht  ohne  Rücksicht  anf  die  .septem  causae“ 
für  Kinder  gewählt  worden  sein. 


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35 


Testari  prohibet,  aut  dat  arena  locum  l), 

Si  prauos  sequitur,  vel  auiat  geuitoris  amicam, 

Non  orthodoxus,  filia  quando  coit8). 

V.  In  der  Glosse  zu  den  kanonischen  Rechtssamm- 
lungen, welche  diese  Verse  enthält,  Anden  sich  die  Ent- 
erbungsgt  finde,  allerdings  nur  diejenigen  für  Aszendeuteu,  auch 
in  prosaischer  Gestalt,  und  zwar  in  der  Glosse  „exheredaret“ 
zu  c.  23  X.  2,  24  (de  jure  juraudo),  welche  dem  Ende  des 
12.  Jahrhunderts  zuzurechnen  sein  wird *).  Auffallend  ist, 
dass  hier  gerade  der  XIV.  Grund,  die  Ketzerei,  fehlt,  was  aus 
den  ohnehin  nach  kanonischem  Rechte  bestehenden  erbrecht- 
lichen Beschränkungen  der  Nicht-rechtgläubigen  zu  erklären 
sein  wild.  Die  übrigen  sind  dem  Authentikum  entnommen, 
welches  als  Quelle  angeführt  ist,  aber  es  lassen  sich  auch 
Übereinstimmungen  mit  Brachylogus*)  und  der  Petrus-Gruppe8) 
nachweisen.  Eine  Verwechselung  mit  dem  Worte:  delatio: 
scheint  iu  Nr.  VII  (Sykophantie)  vorzuliegen,  indem  gesagt  wird: 
„si  ex  dilapidatione  filii  grave  dispendium  parentes  sustulerint“, 
ein  Missverständnis,  welches  für  die  spätere  Verarbeitung  nicht 
ohne  Folgen  geblieben  ist. 

Auf  die  kanonische  Glosse  nimmt  der  Vocabularis  juris, 
gleich  anderen  Schriftwerken6),  einfach  Bezug,  um  sich  die 

')  Eine  andere  Überlieferung  bat  hierfür  das  wahrscheinlichere  .jocum“. 

’)  In  der  luitgeteilten  oder  einer  etwas  abweichenden  Form  finden  sich 
die  Verse  in  der  Glosse  zu  J.  2,  18  und  in  der  kanonischen  Glosse,  ferner 
bei  Matth.  Wesembec  in  Fand.  jur.  civ.  — commentarii,  Basel  1606,  Bl. 865 
(zn  I).  28,  3:  de  iniusto  rupto  etc.  testamento)  und  bei  Lauterbacb  oben 
S.  33  N.  3.  Eine  sehr  fragwürdige  Gestalt  tragen  sie  iu  der  Summa  notariae 
(Bibi.  jur.  med.  aev.  III,  S.  328): ' 

Filius  bis  causis  exheres  iure  notatur: 

Si  fuerit  improperatus,  delatus  mentemque  minatus 
Si  fuerit,  et  capitur  patris  auxiliumque  uegatur, 

Noluit,  et  prohibet,  si  filia  luxuriatur. 

’)  v.  Schulte,  Geschichte  der  Quellen  des  kanon.  Rechtes,  I S.  175 ff. 
und  S.  228. 

4)  So  wörtlich  in  Nr.  V (Lebensnachstellung)  und  Nr.  VI  (Inzest),  wo 
mir  das  „turpiter“  (se  immiscere)  fehlt. 

*)  Vgl.  Nr.  IV : rsi  mnleficus  efticiatur“. 

*)  Vgl.  den  Vocabularius  s.  v.  exheredatio,  ferner  das  oben  S.  31  N.  2 
schon  erwühnte  Repertorium  super  leetnris  D.  Alberici  de  Rnsate,  wo  ver- 

3« 


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36 


Aufführung  der  einzelnen  Enterbungsgrfinde  zu  ersparen.  Eine 
deutsche  Übersetzung  derselben  enthält  die  unten  zu  erwähnende 
Hessische  Gerichtsordnung  vou  1497. 

VI.  Hier  schliesst  sich  nun  wohl  am  besten  die  übrige 
romanische  Überlieferung  an,  und  zwar  zunächst  die,  von 
welcher  oben  in  Zusammenhang  mit  der  provenqalischen  die 
Rede  war1).  Das  Rechtsbuch  „Lo  Codi“,  das  hier  zuerst  zu 
nennen  ist,  liegt  freilich  bis  jetzt  noch  nicht  im  Originaltexte 
vor,  man  muss  sich  einstweilen  mit  der  von  Fitting  trefflich 
herausgegebenen  lateinischen  Übersetzung  begnügen,  welche 
nach  den  Ausführungen  des  Herausgebers  um  das  Jahr  1160 
anzusetzen  und  als  die  Arbeit  eines  Italieners  (Ricardus  aus 
Pisa?)  zu  betrachten  ist. 

Aber  den  Inhalt  des  hier  interessierenden  Textes  kann 
man  aus  jener  Version  doch  mit  genügender  Deutlichkeit  kennen 
lernen2).  Man  ersieht  daraus  vor  allem  die  absolute  Voll- 
ständigkeit der  Enterbungsgründe,  obgleich  ein  Fall,  der  VI. 
(Inzest),  im  lateinischen  Texte  fehlt  und  die  Zahl  der  für 
Kinder  geltenden  Fälle  — bekanntem  Brauche  folgend8)  — 
auf  nur  sieben  angegeben  wird:  denn  in  Wirklichkeit  sind  der 
letzteren  doch  acht. 

Beim  ersten  Grunde  („si  filius  misit  manus  in  patrem“) 
wird  hinzugefügt:  „ut  offenderet  patrem“.  Beim  zweiten  (Ver- 
balinjurie) zeigt  sich  bereits  die  Neigung  des  Verfassers  zu 
Definitionen:  so  wird  die  „gravis  et  inhonesta  contumelia“ 
Julians  als  „grande  vituperium“  erklärt  und  bei  III  (Kriminal- 
anklage)  die  Ausnahme  des  „crimen  majestatis“  — von  Julian 
beim  1.  Grunde  für  Kinder  gebraucht  — als  „offensio  quam 
fecit  contra  imperatorem“  — man  erinnere  sich  der  Brachy- 
logus-Glosse!  *)  — erläutert.  Der  bei  demselben  Falle  der 
„civitas“  des  Verbrechers  gegebene  Beisatz:  „in  qua  ipse  manet“ 
erinnert  an  den  ßaaike iy  tijs  im  Prochiron  des  XII.  Jahr- 


wiesen wird  auf  den  „textus  vulgatns1'  in  dem  Authentikum  und  gesagt 
wird:  „et  est  plena  gl.  in  c.  quintavallis'  (d.  h.  c.  23  X.  2,  24). 

')  Oben  S.  30. 

’)  S.  a.  a.  0.  S.  49  ff.:  III,  17  und  19. 

*)  Oben  S.  32  ff. 

«)  Oben  S.  25. 


37 


hunderts.  Die  malefici  in  Nr.  IV  sind  dem  Verfasser:  „qui  fa- 
ciunt  malam  artem“ ; das  Majestätsverbrechen  wird  bei  Nr.  1 
geschildert:  „quod  voluisset  imperatorem  occidere  vel  aliquem 
de  consiliariis  eins“. 

Besondere  Ausdrücke  finden  sicli  noch:  in  Nr.  V (Lebens- 
nachstellung): „facere  ingeninm  ad  occidendum  patrem  snum“, 
ähnlich  wie  in  der  Petrus-Gruppe  bei  Nr.  VII1),  ferner  in  VI, 
wo  der  Urtext  mitgeteilt  ist:  „si  el  iaira  ab  sa  mairastra  o ab 
la  concoa  de  son  paire“;  bei  dem  entsprechenden  3.  Grunde 
für  Kinder  wird  aber  die  Konkubine  als  „bagascia“,  d.  h.  „mere- 
trix“,  bezeichnet.  Ganz  eigenartig  ist  der  VII.  Fall  (Sykophautie) 
beschrieben:  „si  filius  mittat  patrem  suum  in  placito  (d.  h.  in 
judicio)  *)  per  calumpniam  id  est  tortuose  et  per  elongamentum 
quod  filius  peciit  in  illo  placito  pater  sustinuit  maximum  darap- 
num“:  das  letzte  Wort  ist  Julianisch,  ebenso  entspricht  die 
„calumnia“  dem  Julianischen  „calumniator“ , aber  die  Veran- 
lassung einer  Termiusverlängerung  oder  Hinausschiebung  als 
weiteres  Erfordernis  ausser  dem  „tortuosen“  „mittere  in  placi- 
tum“  gibt  Rätsel  auf3). 

Die  Bürgschaftsübernahme  im  Falle  VIII  (Gefangenschaft) 
wird  „facere  firmanciam  pro  — “ genannt4),  die  Verhinderung 
der  Errichtung  eines  letzten  Willens  (Nr.  IX):  contradicere,  das 
Schauspielergewerbe  (Nr.  X),  wie  in  der  Summa  notariae5): 
manere  cum  „ioculatoribus“,  jedoch  ohne  des  arenarius  und 
mimus  zu  gedenken. 

Von  der  Tochter  beim  XI.  Grunde  wird  ausgesagt,  dass 
sie  „plus  uult  facere  uoluntatem  snam  cum  luxuriosis  hominibus“, 
anklingend  an  die  Fassung  des  Authentikum  (luxuriosam  vitam 
degere).  Beim  XII.  Grunde,  wenn  der  Vater  „furiosus“  ist  und 
der  Sohn  ihn  nicht  will  „pascere  uel  uestire“,  wird  hinzu- 
gesetzt: „perdit  hereditatem  patris,  quamuis  pater  non  exhere- 


>)  Oben  S.  29. 

*)  Vgl.  auch  III,  3.  4.  9.  10. 

*)  ln  den  Coutumes  de  l'Anjou  etc.  steht : „par  le  prolongneinent  que 
le  filz  lui  (von  dem  Vater?)  demande  en  icelui  plait“;  in  den  Assises  de 
Jerusalem  heisst  es:  „par  raloignement  que  le  fils  ou  la  Alle  font  de  celni  plait*. 
*)  So  auch  VIII,  38. 
s)  Oben  S.  32. 


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38 


dauit  filiuw“;  etwas  anders  ist  der  entsprechende  6.  Gruud 
gefasst,  wo  von  „sensum  suum  perdere“  und  Unterlassung  des 
„medicare“  und  „custodire“  gesprochen  wird  und  die  Bemerkung 
Uber  den  Verlust  der  Erbschaft  fehlt.  Dagegen  wird  der  ge- 
meinsame Fall  der  Kriegsgefangenschaft  (Nr.  XIII  und  7)  beide- 
mal als  eine  Gefangennahme  durch  die  Saracenen  aufgefasst, 
und  hier  heisst  es  bei  Nr.  7:  „pater  perdit  omnia  bona  filii  de 
quibus  filius  poterat  facere  testamentum“.  Übrigens  soll  im 
letzteren  Falle  nicht,  wie  im  ersten  (Nr.  XIII),  die  Erbschaft 
des  Unwürdigen  sofort  an  die  Kirche  fallen,  vielmehr  hat  man 
(die  Obrigkeit?)  hier  die  Wahl,  sie  anstatt  dessen  selbst  zur 
Lösung  von  Kriegsgefangenen  zu  verwenden. 

In  der  Wiedergabe  des  2.  Grundes  (Lebensnachstellung) 
folgt  das  Rechtsbuch  jedenfalls  Julian  nicht,  indem  von  „pre- 
parare  uenenum  uel  aliud  maleficium  contra  uitam  filii“  die 
Rede  ist  und  nicht  von  „susurri  magici  usw.“.  Ebensowenig 
beim  5.  Grunde  (Lebensnachstellung  unter  Eltern),  wo  es  heisst: 
„dare  medicinas  ad  perdendum  sensum  uel  ad  occidendum  unus 
alium“,  eine  Tat,  die  als  „for factum“  bezeichnet  wird. 

Das  Rechtsbuch  spricht,  wie  die  vorstehenden  Auszüge  er- 
geben, in  den  einzelnen  Fällen  bloss  von  Söhnen,  aber  die 
Überschriften  der  Kapitel  nennen  auch  die  Tochter,  und  unter 
den  Aszendenten  werden  nicht  bloss  Eltern  und  Grosseltern, 
sondern  auch  „aliae  personae  superiores“  verstanden. 

Die  Form,  welche  die  Justinianischen  Enterbungsgründe 
hier  angenommen  haben,  ist  offenbar  eine  originelle  und  lokal 
gefärbte,  nicht  selten  von  Julian  beeinflusst.  Der  Herausgeber 
der  Übersetzung  vermutet  aber,  auf  Grund  der  Annahme,  dass 
die  Euterbungsgründe  für  Kinder  „zweifellos“  dem  Authentikum 
entlehnt  seien : man  könne  nicht  annehmen,  dass  der  Verfasser 
bei  der  Bearbeitung  einer  und  derselben  Lehre  zuerst  Julian 
und  dann  das  Authentikum  benutzt  habe;  deswegen  sei  es  mög- 
lich, dass  seiner  Darstellung  vielleicht  ein  drittes,  unbekanntes 
Werk  zugrunde  liege,  welches  aus  Julian  schöpfe  und  die  Ent- 
erbungsgründe für  Kinder  überhaupt  nicht  enthalten  habe; 
letztere  seien  dann  „unmittelbar  aus  dem  Corpus  iuris“ , d.  h. 
dem  Authentikum,  nachgetragen1).  Indessen,  wenn  auch  die 

')  Fitting,  Lo  Codi  S.  *12. 


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39 


Fälle  Nr.  1)  und  2)  Anklänge  an  das  Authentikum  enthalten 
mögen  l),  so  ist  doch  z.  B.  die  Form  des  5.  Falles  dieser  Quelle 
nicht  nachgebildet.  Die  Gestaltung  entfernt  sich  überhaupt  im 
einzelnen  ebensosehr  von  Julian,  wie  vom  Authentikum , so 
dass  man,  wenn  nicht  eigene  Bearbeitung  durch  den  Verfasser, 
eine  Vorlage  vermuten  müsste,  die  von  beiden  sich  ebenfalls 
unabhängig  machte. 

Auf  Lo  Codi,  und  zwar  auf  der  lateinischen  Übersetzung 
desselben 2),  beruht  die  Fassung  einer  dem  15.  Jahrhundert  an- 
gehörigen  Rechtsquelle  des  nördlichen  Frankreich,  die  in  den 
„Coutumes  de  l’Anjou  et  du  Maine“  von  1437 s).  Daher 
wird  z.  B.  der  VI.  Grund  (Inzest)  auch  hier  weggelassen, 
während  er  bei  den  Gründen  für  Kinder  (als  Nr.  3)  vorhanden 
ist.  Aber  die  Darstellung  bewahrt  doch  vielfach  gegenüber 
jener  ihre  Selbständigkeit.  So  fehlt  der  Grund  der  Geistes- 
krankheit (Nr.  6)  bei  den  Gründen  für  Kinder,  und  es  kommen 
in  der  Tat,  wie  angekündigt,  bloss  7 solcher  Ursachen  heraus. 
Ferner  sind  die  Fälle  teilweise  umgestellt4),  und  ihr  Inhalt 
wird  nicht  unverändert  mitgeteilt,  wie  folgendes  ergibt. 

Das  Majestätsverbrechen  bei  Nr.  III  (Kriminalanklage) 
hat  der  Verfasser  als  „fait  contre  le  Roy  ou  contre  le  commun 
d’une  cit£“  — nicht:  contra  iinperatorem  uel  contra  comunem 
tocius  ciuitatis“  — bezeichnet.  Die  Worte  in  Nr.  IV:  „demeure 
ou  converse  o ceulx  qui  ouvrent  de  malefices  ou  o cieulx  qui 
font  et  maintiennent  mauvais  arts“  nähern  sich  mehr  Julian,  als 
Lo  Codi.  Bei  Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  unterscheidet  der  Ver- 
fasser, wie  die  Petrus-Gruppe  („parentes  captos  aut  in  car- 
ceribus  positos“),  zwischen  „emprisonö“  und  „en  chartre“,  und 
nennt  die  Übernahme  einer  Bürgschaft:  pleger  (vgl.  plegius  = 
fideiussor),  rccevoir  en  plaige.  Dem  X.  Falle:  „si  le  filz  demeure 
ou  converse  aveques  jugleurez“:  ist  die  interessante  Begründung 

')  Vgl.  .trailere  ad  mortem*  mit  „ad  interitum  vitae  tradere*  im  Autb. 
und  die  „maleficia“  in  Nr.  2). 

*)  Fitting  a.  a.  0.  S.  *59/60. 

*)  Vgl.  M.  C.  — J.  Beautemps-Beauprfi,  Coutumes  et  institutions 
de  1' Anjou  et  da  Marne,  anterieurea  au  XVI.  siede,  I.  partie,  tome  II,  1878, 
S.  300 ff.:  6.  partie,  Tit.  V,  §§  837/8. 

4)  Sie  folgen  sich:  XII,  XIV,  XIII,  XI;  5),  7),  8),  4). 


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40 


hinzugefügt:  „par  lequiel  offlce  celui,  pui  inaintient  un  an,  peut 
estre  dit  non  convenable  personne  ä obtenir  benefice  d’Eglise“  *)• 
Besonders  eigentümlich  ist  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter) 
ausgedrückt,  welcher  Fall  die  Reihe  der  Enterbuugsgrlinde  für 
Eltern  abschliesst.  Es  heisst:  „Gentil  femrne  — also  nur  vor- 
nehme Damen!,  übrigens  ohne  das  Unterscheidungsalter  von 
25  Jahren  — quant  eile  a en  euffant  avant  qn’elle  soit  marine, 
et  si  eile  se  fait  despnceller,  eile  perdra  son  heritaige  quant 
eile  en  sera  prouvee“.  Die  Bemerkung  über  den  offenbar  von 
selbst  eintretenden  Verlust  der  Erbschaft,  welche  in  den 
Fällen  XII  (Geisteskrankheit)  und  XIII  (Kriegsgefangenschaft) 
dem  römischen  Recht  gemäss  ist,  findet  sich  hier  zum  ersten 
Male  auch  beim  XI.  Grunde.  Eine  anonyme  Glosse  dazu  (aus 
dem  Jahre  1385)  erklärt  denn  auch  die  Gefallene,  weil  „nul  ne 
doit  avoir  prouffit  de  son  metfait“ , für  verlustig  ihrer  Ehre, 
ihrer  Ehe  und  ihrer  Erbschaft  und  gibt  die  zum  Zwecke  des 
Beweises  erforderlichen  Überführungsgründe  in  Übereinstimmung 
mit  dem  kanonischen  Rechte  an ä). 

Mit  Lo  Codi  sollen  in  der  vorliegenden  Materie  auch  die 
„Lois  de  PEmpereur“  übereinstimmen , welche  einen  Teil 
der  „Anciens  fors  de  Bearn“  bilden,  überhaupt  mit  Lo  Codi 
nahe  verwandt  sind  und  vielfach  einer  Übersetzung  desselben 
gleichkommen 8). 

VII.  Ebenso  erinnert  die  Fassung  in  den  Assiseu  von 
Jerusalem  mehrfach  an  Lo  Codi,  ohne  dass  jedoch  eine 
direkte  Beeinflussung  sich  nachweisen  Hesse.  Hier  stehen  die 
Enterbungsgründe  in  dem  Rechtsbuche  der  „baisse  Court“  zu 


')  Daran,  dass  die  „jocnlatores“ : „repelluntur  n promotione  ordinnm“, 
jedoch  ohne  Erwähnung  der  einjährigen  Zugehörigkeit,  erinnert  auch  Lopez 
in  seiner  Glosse  ,Iuglarw  zu  der  entsprechenden  Stelle  der  „VII  Partidas“: 
Los  Codigos  Espafloles,  IV  (1848)  S.  100. 

’)  Sei  es  „par  evidence  de  fait“  oder  „par  renommte  de  voisius“,  nament- 
lich wenn  sie  öfters  gesehen  worden  ist  „o  hoinnte:  seul  a seul,  nu  ä nu,  en 
lieu  snspect“  oder  wenn  andere  Vermutungen  Platz  greifen  „et  en  pourroit 
nng  mariaige  (estre)  depparti  pour  la  fornicacion“ ; vgl.  X,  2, 23, 12  und  4,1,9. 

*)  So  Meynial  in  Nouvelle  revue  hist.  d.  dr.  XXX,  1906,  S.  385,  nach 
J.  Brisaaud  et  P.  Rogfe,  Textes  additioneis  aux  anciens  fors  de  Bearn, 
1905,  Nr.  46/6. 


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41 


Nikosia1).  Es  werden  die  Fälle  IV  (malefici),  3 (Inzest)  und  6 
(Geisteskrankheit)  — letzterer,  wie  in  den  (Joutumes  de  l’Anjou 
etc.  — ausgelassen,  obgleich  die  beiden  letzten  unter  den 
Gründen  für  Eltern  stehen.  Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft) 
ist  sogleich  mit  Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  zusammengezogen,  wo- 
bei sich  letzterer  Fall  ebenfalls  die  Beziehung  auf  die  Sarazenen 
gefallen  lassen  muss  („en  prison  des  Sarrasins  poraver“!)  und 
bei  Nr.  XIII  vorausgesetzt  wird,  dass  die  Kinder  „für  die 
Eltern“  die  Gefangenschaft  erleiden. 

Nr.  III  (Kriminalanklage)  ist  so  ausgedrückt:  „se  ils  metent 
mensonge  d’aucun  crim  de  mauvastie  sur  le  pere  ou  la  mere  et 
les  accusent  ä cort,  si  que  par  ians  ne  remaint  que  le  pere  ou 
la  mere  nait  grant  mal  et  graut  honte“,  eine  Voraussetzung, 
die  nach  dem  Originaltext  zu  Nr.  VII  (Sykophantie)  gehört,  wo 
sie  in  den  Assisen  ebenfalls  steht.  Nr.  VI  (Inzest)  und  X 
(Schauspielergewerbe)  — „iugleors“  — werden  hier  auf  die 
weibliche  Deszendenz  mitbezogen  3) ; die  Konkubine  ist  im  ersten 
Falle  nicht  mit  genannt,  wie  im  Edictus  Rothari3).  Bei  dem  IX. 
bzw.  4.  Falle  (Testierhindernis)  finden  sich  besondere  Bemer- 
kungen, nämlich  die  Bezeichnung  des  Testaments  als  „por  Des“ 
oder  für  andere  errichtet  und  bei  den  Gründen  für  Kinder  die 
Schilderung  der  Verhinderungshandlung  als  „deffendre  a son 
enfant  qu’il  ne  se  comuniast  par  ce  que  testament  ne  feist  — 
et  par  ce  moruth  desconfes  et  sans  receivre  son  Creator  a sa 
mort“.  Der  Ungehorsam  der  Tochter  (Nr.  XI)  heisst  „faire 
puterie  et  devenir  communau“  und  die  Folgen  der  Vernach- 
lässigung des  geisteskranken  Aszendenten  (Nr.  XIII)  werden  so 
ausgemalt:  dass  er  „par  ce  vait  et  cliet  et  se  brise  le  col  ou 
se  fait  aucun  autre  mau“.  Auch  den  2.  Grund  für  Kinder 
sucht  das  Rechtsbuch  dadurch  anschaulich  zu  machen,  dass  als 
wahrscheinlicher  Zweck  der  Lebensnachstelluug  angegeben  wird: 
„pour  prendre  ce  qu’il  (sc.  der  Aszendent)  avet“.  Schliesslich 
mag  noch  die  Form  hervorgehoben  sein,  in  welcher  der  letzte 

')  Les  livres  des  assises  et  des  nsages  don  reaume  de  Jerusalem,  ed. 
E.  ü.  Hausier,  vol.  I.  1839,  S 206  ff.:  Nr.  CCXXXIV. 

’)  Nr.  VI:  „se  le  fis  gist  o sa  marastre  ou  se  la  fille  gise  o son  parastre 
charnammcnt“. 

*)  Obeu  S.  27. 


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42 


Grund  (Ketzerei)  angegeben  wird:  liier  werden  die  Orthodoxen 
„de  dreite  fei“  und  die  Ketzer  „hereges  ou  Patalins“  genannt; 
die  „Patalins“  oder  „Paterini“  sind  die  Waldenser1).  Um  aber  nun 
bei  den  Gründen  für  Kinder  die  Siebeuzahl  herauszubekommen, 
welche  durch  Weglassung  von  Nr.  3 und  6,  wie  oben  bemerkt, 
gestört  ist,  wird  als  „septime  raison“  hinzugefügt:  „se  vont 
reneer  (=  renegare?)  en  terre  de  Sarrasins  ou  deviennent  Jouis 
ou  Sarrasins“. 

VIII.  Auch  in  die  Gesetzgebung  Alfons  X.,  des  „Weisen“, 
von  Kastilien  sind  die  Justinianischen  Enterbungsgründe  ein- 
gedrungen, und  zwar  — was  nicht  ohne  Interesse  ist  — erst 
allmählich.  „El  Fuero  Real“  (von  1254  oder  1255) 8)  enthält 
sie  noch  nicht  alle.  Er  beginnt  damit3):  wenn  jemand  seinen 
Eltern  Schaden  zufügt  („ficiere  por  sana“)  und  fährt  deutlich 
mit  dem  zweiten  der  Justiuianischen  Fälle  (Verbalinjurie)  fort, 
indem  er,  ähnlich  wie  das  oben  erwähnte  Westgotische  Gesetz4), 
einzelne  Arten  der  Beleidigung  namhaft  macht:  nämlich  ausser 
der  Beleidigung  im  allgemeinen  („&  deshonra“)4)  das  Belegen 
mit  „verbotenen“  Schimpfworten  und  das  Verleugnen  der  Eltern. 
Hierauf  folgt  Nr.  III:  Anklage  wegen  einer  „Sache“,  welche 
Vernichtung  des  Körpers  oder  Verlust  eines  Gliedes  oder  Ver- 
bannung aus  dem  Lande  zur  Folge  hat,  ausgenommen  wenn 
das  Vergehen  sich  gegen  den  König  oder  gegen  den  „Senorio“ 
des  Täters  richtet,  welche  letztere  Ausnahme  neben  die  „insidiae 
seniorum“  der  Petrus-Gruppe  zu  halten  ist6).  Daran  schliesst 
sich  Nr.  VI  (Inzest)  mit  Beziehung  auf  das  „Weib“  des  Vaters, 
wie  im  Brachylogus7),  und  unter  Bezeichnung  der  Konkubine 
als  „barragana“ 8),  ferner  Nr.  V (Lebensnachstellung):  „le  ficiere 
cosa  con  que  pueda  morir  ö prender  lision“,  Nr.  VIII:  nicht- 

')  Vgl.  Dn-Cange-Hendschel,  Glossarium  mediae  et  infimae  Lati- 
nitatis,  VI  (1886)  S.  211,  s.  v.  „Paterini“. 

*)  Vgl.  Fr.  W.  Dnger,  Römisches  und  nationales  Recht,  1848,  S.  66. 

*)  Los  Codigos  Espaßoles  coucordatos  y anotados,  Tom.  I (1847)  S.  386: 
Lib.  III,  tit.  IX,  Ley  II:  En  quö  casos  puede  ser  el  fijo  desheredado. 

*)  Vgl.  oben  S.  26  N.  3. 

•)  Vgl.  „dehonestare“  in  den  Usatici  oben  S.  28. 

•)  Oben  S.  29. 

»)  Oben  S.  25. 

*)  Vgl.  die  „bagascia“  in  Lo  Codi  oben  S.  37. 


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43 


bürgen  (fiar)  für  den  Gefangenen,  und  Nr.  IX  (Testierhindernis): 
„si  lo  embarga  ö lo  destorva,  de  gnisa  que  no  pueda  faccr 
manda“  *).  Nr.  XIV  (Ketzerei)  heisst  : „se  facer  Herege2)  6 se 
tornar  Moro  ö Judio“9),  und  den  Schluss  bildet  Nr.  XIII:  nicht- 
lösen  aus  Gefangenschaft  („captivo“  gegenüber  „prision“  in 
Nr.  VIII),  obgleich  man  es  vermöchte. 

In  dieser  Aufzählung  fehlen  also  Nr.  IV  (Zauberei),  VII 
(Sykophantie),  namentlich,  wie  im  Brachylogus  und  in  der 
Petrus-Gruppe,  auch  Nr.  X (Schauspielergewerbe)4),  Nr.  XI 
(Ungehorsam  der  Tochter)  und  XII  (Vernachlässigung  in  Geistes- 
krankheit), ebenso  endlich  fehlen  völlig  die  Gründe  für  Des- 
zendenten5). Beachtenswert  aber  ist  noch  die  Abtrennung  von 
Indignitätsfälleu,  wie  im  römischen  Recht,  unter  der  Bezeich- 
nung: „perder  la  herencia““). 

War  das  frühere  Gesetzeswerk  des  Königs  Alfons  demnach 
zurückhaltend  und  wählerisch,  so  enthält  dagegen  der  „Codigo 
de  las  siete  Partidas“,  welcher  in  den  Jahren  1263  oder 
1265  vollendet  worden  ist7),  die  sämtlichen  Justinianischen 
Fälle  in  einer  sich  an  das  Original  möglichst  eng  anschliessen- 
den Gestalt8).  Bemerkenswert  ist  von  den  Einzelheiten  des 
Gesetzes  die  an  die  Petrusgruppe  erinnernde  Fassung  von  Nr.  I 
(Realinjurie):  „a  sabiendas  e saüiulamente“  (metre  mauos  yra- 
das)9),  ferner  die,  im  Fuero  übrigens  zum  Teil  bereits  vor- 
gebildete, Form  für  die  Bezeichnung  der  Anklage  in  Nr.  III: 
es  müsse  sich  um  Sachen  handeln,  auf  welche  Todesstrafe  oder 

')  Diesen  Fall  stellt  auch  Ley  III  ib.  unter  „ Strafe“. 

*)  Vgl.  in  den  Assises:  .hereges“,  oben  S.  42. 

*)  Die  Unzulässigkeit  der  Erbeinsetzung  von  Ketzern  liebt  noch  be- 
sonders Lib.  III,  tit.  V,  Ley  lt  hervor. 

*)  Vgl.  oben  S.  25  N 8 und  S.  29. 

*)  Jedoch  wird  in  den  Strafgesetzen  gegen  Inzest  auch  das  Inzest  des 
Vaters  mit  Weib  oder  Konkubine  des  Sohnes  berücksichtigt:  Lib.  IV,  tit.  VIII,  L.3. 

*)  Vgl.  L.  4 im  vorliegenden  Titel  (Lib.  III,  tit.  IX). 

’)  Unger  S.  70. 

*)  Los  Codigos  cit.,  Tom.  IV  (1848)  S.  97—102  und  S.  105/6:  La  sexta 
I’artida,  Tit.  VII,  Ley  IV  (enthält  die  Fälle  Nr.  I— IX),  Ley  V (Fall  X-XII), 
Ley  VI  (Fall  XIII),  Ley  VII  (Fall  XIV)  und  Ley  XI  (die  Gründe  für 
Deszendenten). 

’}  Vgl.  „scienter  et  ironice“  oben  S.  29. 


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44 


Verbannung  oder  Infamie  gesetzt  ist.  In  der  entsprechenden 
Nr.  1 bei  Deszendenten  wird  auch  der  Verlust  eines  Gliedes, 
wie  im  Fnero  zu  III,  gleichgestellt,  die  Ausnahme  aber  nennt 
neben  dem  König  nicht  mehr  den  „Seöorio“,  sondern  gemäss 
dem  Justinianischen  Originale:  „comunal  de  la  tierra“.  Der 
Zauberer  in  Nr.  IV  heisst  „fechizero  o encantador“  *),  die  Kon 
kubine  (in  Nr.  VI  und  3)  „amiga“,  die  Sykophantie  in  Nr.  VII: 
„si  enfamasse  el  fijo  a su  padre,  o si  le  buscasse  tal  mal,  por 
qne  padre  ouiesse  a perder  grau  partida  de  lo  suyo“.  In 
Nr.  X (Schauspielergewerbc)  wird  unterschieden  zwischen  dem 
„juglar“  und  demjenigen,  der  für  Geld  mit  Menschen  oder  mit 
wilden  Tieren  kämpft.  Bei  Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft) 
erscheint  anstatt  der  Kirche,  welcher  ein  Recht  auf  den  Nach- 
lass zusteht,  der  Bischof.  Endlich  werden  bei  Nr.  XIV  (Ketzerei) 
die  drei  Formen,  welche  El  Fuero  aufzählte : Mohammedaner, 
Jude  und  „Herege“  beibehalten  und,  wie  dort,  Indignitätsfälle 
ausgeschieden  *). 

Betrachtet  man  diese  spanische  Überlieferung  im  ganzen, 
so  lassen  sich  zwar  Anlehnungen  an  ältere  Formen  in  einzelnen 
Ausdrucksweisen  feststellen,  insbesondere  solche  an  die  Petrus- 
gruppe®), aber  im  ganzen  scheint  die  Verarbeitung  eine  durchaus 
selbständige  zu  sein. 

Übrigens  ist  die  Gesetzgebung  der  „sieben  Teile“  infolge 
einer  im  14.  Jahrhundert  von  ihr  veranstalteten  Übersetzung 
auch  in  Portugal  zur  Anwendung  gekommen4). 

IX.  Dem  spanischen  Vorbilde  nachgemacht  sind  wohl  auch 
die  Enterbungsgründe  im  „Civil  Code“  von  Louisiana  ( 1824) 5). 
Wie  im  Fuero  Real  fehlen  auch  hier  Nr.  IV  (malefici)  und  X 
(Schauspielergewerbe),  die  Eltern  dürfen  also  aus  solchem  per- 
sönlichen Verhalten  den  Kindern  keinen  Strick  drehen.  Aber 
diese  ist  so  ziemlich  die  einzige  Ähnlichkeit  mit  jener  älteren 


■)  Vgl.  oben  S.  29  N.  2. 

*)  Tit.  VII,  Ley  13  und  15-17. 

*)  Vgl.  oben  S.  42  N.  6 und  3.  43  N.9,  sowie  den  „Faculator* : N.  1. 

*)  Uugcr  S.  77. 

5)  Civil  Code  of  the  state  of  Louisiana,  Ausgabe  von  Wheelock  S.  Upton 
und  Noedler  R.  Jennings,  1838,  zweisprachig,  mit  französischem  Text  neben 
dem  englischen,  S.  246  ff.:  Art.  1609—1617,  besonders  Art.  1613—1615. 


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45 


Ordnung.  Ausserdem  werden  noch  die  Fälle  des  Inzestes 
(Nr.  VI  und  3)  und  der  Ketzerei  (Nr.  XIV  und  8)  gestrichen. 
Dagegen  ist  in  beiden  Kategorieen,  für  Eltern  sowohl  wie  für 
Kinder,  ein  neuer  Euterbungsfall  eingestellt,  den  man  als  eine 
Erweiterung  von  Nr.  XII  = 6 (Geisteskrankheit)  ansehen  kann, 
wie  sie  auch  in  älteren  deutschen  Rechtsaufzeichnnngen  vor- 
kommt1), nämlich:  die  Verweigerung  des  Unterhaltes  („suste- 
nance“)  im  allgemeinen  — bei  den  Kindern  wird  noch  hinzu- 
gesetzt: „in  necessity“  — . vorausgesetzt,  dass  man  die  Mittel 
zur  Gewährung  besitzt.  Die  übrigen  Justinianischen  Gründe 
sind  vorhanden,  werden  allerdings  eigenartig  geordnet*),  und 
sind  in  knapper  Form,  wie  es  scheint,  selbständig,  stilisiert. 
Bei  Nr.  I,  wo  dem  Originale  ähnlich  von  „Hand  aufheben“ 
gegen  die  Eltern  gesprochen  wird,  ist  bemerkt,  dass  eine  blosse 
Drohung  nicht  ausreiche.  Dagegen  wird  Nr.  II  („grievous  in- 
jury“)  ausgedehnt  auf:  sich  schuldig  machen  der  Roheit 
(cruelty)  oder  eines  Verbrechens  gegen  die  Eltern. 

Sogar  die  Unterscheidung  von  Nr.  VIII  (prison)  und  XIII 
(captivity)  findet  sich.  Nr.  XI  (Verheiratung  ohne  Zustimmung 
der  Eltern)  hat  der  Gesetzgeber  auch  auf  die  Söhne  bezogen. 
Insbesondere  erinnert  die  Fassung  des  5.  Grundes  (für  Kinder) 
(Lebensnachstellung  unter  den  Eltern)  stark  an  die  römische 
Vorlage,  indem  besonders  ansgeführt  ist,  dass  Kinder  und 
Deszendenten  in  ihren  Testamenten  denjenigen  Eltern-  oder 
Vorelteruteil  enterben  können,  der  dem  andern  nach  dem  Leben 
stand.  Dieser  Fall  ist  übrigens  auch  der  einzige,  in  welchem 
Deszendeuten  im  allgemeinen  das  Enterbungsrecht  gegenüber 
ihren  Aszendenten  verliehen  wird,  die  übrigen  Fälle  der  zweiten 
Gruppe  beziehen  sich  nur  auf  das  Verhältnis  von  Kindern  und 
Eltern,  während  die  Gründe  für  Eltern  sämtlichen  Aszendenten 
gelten 3). 

')  S.  z.  B.  unten  die  Summa  legnm  des  Raymund  von  Wiener-Neustadt 
und  das  Eisenacher  Rechtsbuch. 

’)  Die  Reihenfolge  ist:  I,  II,  V,  III,  der  neue  Urund,  XII,  XIII,  IX, 
VIII,  XI:  1),  2),  4),  neu,  6),  7),  5). 

*)  Art.  1614. 


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46 


§ 4 

Die  deutschen  ßezeptionsformen  bis  zum 
18.  Jahrhundert 

I.  Wir  gelangen  nunmehr  znm  Eintritt  der  Justinianischen 
Enterbungsgründe  in  das  Gebiet  der  germanischen  Hechts- 
schöpfung. Doch  ehe  an  dessen  Untersuchung  und  Beobachtung 
herangegangen  wird,  ist  es  nötig,  zu  bemerken,  dass  schon  das 
ältere  germanische  Recht  gesetzliche  Gründe  der  Erbunfähig- 
keit kannte,  welche  zum  Teil  mit  jenen  übereinstimmen  oder 
ihnen  wenigstens  ähnlich  sind.  Eine  Enterbung  im  römischen 
Sinne  in  Form  einer  ausdrücklich  hierauf  gerichteten  Er- 
klärung des  Erblassers  war  ohnehin  dem  deutschen  Rechte 
fremd1). 

So  galt  seit  alters  der  in  dem  jüngeren  Friesenrecht  for- 
mulierte Satz,  dass  „blutige  Hand  kein  Erbe  nimmt“,  d.  h,  dass 
derjenige,  welcher  den  Tod  des  Erblassers  verschuldet  habe,  ihn 
nicht  beerben  dürfe 8).  Damit  ist  seinem  Inhalte  nach  Nr.  I 
der  Justinianischen  Fälle  — abgesehen  von  der  technisch  s.  g. 
„Indignitäts“-Folge  — getroffen:  Hand  anlegen.  Noch  nach  dem 
vermehrten  Sachsenspiegel  hat  „alle  seine  Wartung  verloren“, 
wer  jemanden,  dessen  Eigens  oder  Lehens  er  erbfolgeberechtigt 
ist,  ums  Leben  bringt,  es  sei  denn,  dass  er  in  Notwehr  ge- 
handelt hätte3). 

')  Vgl.  Mittermaier,  Grundsätze  des  gern,  dtseb.  Privatr.,  II,  7.  Aufl. 
(1847)  S.  606  (§  463  N.  1);  Siegel,  Das  deutsche  Erbrecht,  S.  131 ; H.Boehlau, 
Nove  constitutione«  domini  Alberti,  1858,  S.  XV/XVI;  H.  Zöpfl,  Deutsche 
Rechtsgeschiclite,  4 Aufl.  (1872),  III,  S.  266  (§  121,  II).  S.  auch  oben  S.  1 N.  1. 

*)  Vgl.  Stobbe,  Handbuch  des  deutsch.  Privatr.,  V,  1885,  S.  15  N.  10 
(§  632);  Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  II,  1892,  S.  632.  Vgl  auch 
die  Erbrechtsregeln  bei  Wasserschieben,  Das  Prinzip  der  Sukzessious- 
ordnnng  nsw , 1860,  8.  158,  nach  einer  Danziger  Handschrift  (Stobbe,  Ge- 
schichte der  deutschen  Rcebtsquellen,  II,  1864,  S.  149). 

*)  Sachscnsp.  III,  84,  3.  Rud.  v.  Sydow,  Darstellung  des  Erbrechts 
nach  den  Grundsätzen  des  Sachsenspiegels,  1828,  S.  60  (g  15),  bezeichnet« 
diesen  Fall  als  „Indignität*  — ebenso  noch  Zöpfl,  Rechtsgesch.  III,  § 121, 
bei  N.  1 a — , wogegen  sich  mit  Recht  Siegel  a.  a.  0.  S.  128  ff.  erklärte,  in- 
dem er  einen  „Verlust  des  Erbrechts  — durch  Gesetz*  annahm. 


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47 


Ein  anderer  Fall,  den  Justinianischen  Nr.  I und  Nr.  II 
(Real-  und  Verbalinjurie)  nahe  kommend,  deren  direkte  Re- 
zeption schon  im  westgotischen  und  langobardischen  Rechte 
uacbgewiesen  wurde1),  findet  sich  in  der  Lex  Alamannorum 
und  in  der  Lex  Bajuwariorum*),  wo  ein  Sohn  des  Anrechts 
auf  das  väterliche  Erbgut  verlustig  erklärt  wird,  wenn  er  sich 
gegen  seinen  Vater  auflehnt.  Die  Lex  Bajuwariorum  bedient 
sich  dabei  des  in  den  spanischen  Versionen  gebrauchten  Aus- 
drucks: »dehonestare“ 8).  Als  eine  Fortsetzung  solcher  Be- 
stimmungen dürfen  die  einschlägigen  Vorschriften  des  Mainzer 
Landfriedens  Friedrichs  II.  vom  25. 121.  August  1235  ange- 
sehen werden4).  Hier  heisst  es,  dass  ein  Sohu,  der  seinen 
Vater  von  seinen  Burgen  oder  anderem  Gut  verstosse  oder  ihn 
brenne  oder  raube  oder  der  sich  zu  seines  Vaters  Feinden 
kehre  mit  Eiden  oder  mit  Treuen,  dass  es  auf  seines  Vaters 
Ehre  oder  auf  dessen  Verderbnis  gehe,  »verteilet“  sein  solle 
Eigens  und  Lehens  und  fahrenden  Gutes  und  »wahrlich“  alles 
des  Gutes,  das  er  von  Vater  oder  Mutter  erben  sollte,  ewiglich, 
so  dass  ihm  weder  der  Richter  noch  auch  der  Vater  (!)  jemals 
dawider  helfen  möge,  dass  er  ein  Recht  zu  diesem  Gute  jemals 
wieder  gewinnen  könnte.  Der  lateinische  Text  gibt  dies  mit 
den  Worten  wieder:  „omnium  bonorum  successione,  tarn  pater- 
norum  quam  maternorum,  mobilium  et  immobilium,  feodis,  pro- 
prietate  ac  hereditate  sit  perpetuo  ipso  iure  privatus“.  Dennoch 
tritt  die  Erbunfähigkeit  nicht  ohne  weiteres  ein,  vielmehr  be- 
darf es  eines  Willensaktes  des  beleidigten  Vaters  selbst,  für 
welchen  das  Verfahren  vorgeschrieben  ist:  der  Vater  muss  den 
Sohn  vor  dem  Richter  »ze  den  heiligen“  mit  zwei  »sentbaren 
mannen , die  niemen  mit  reht  verwerfen  mag“  seiner  Untat 

*)  Oben  S.  26  ff. 

’)  L.  Alam.  35,  1 : s Mon.  Germ,  hist.,  Legum  sectio  I,  Tom.  V,  pars  I, 
1888,  S.  92  3.  Vgl.  auch  die  späteren  Erneuerungen  von  1261  (daselbst 
Legum  sectio  IV,  Tom.  III,  8.  280  ff.),  1287  (daselbst  Leges  II  S.  448)  und 
1303  (daselbst  S.  481).  — L.  Bajuw.  eap.  9 und  10:  daselbst  Leges  III  S.  286 
und  390. 

’)  Vgl.  oben  8.  28  und  S.  42  N.  5. 

*)  Zeiuner,  Neues  Archiv  der  Gesellsch.  für  ält.  deutsch.  Geschiclits- 
kuude,  28.  Band  (1903)  S.  443  ff.;  derselbe  in  Triepels  Quellensammlung 
zum  Staats-,  Verwaltung»-  und  Völkerrecht,  2.  Band  (1904)  S.  52  ff. 


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48 


„bezeugen“  ‘).  Dies  Verfahren  entspricht  der  „Erblosteilung“ 
des  späteren  sächsischen  Rechtes  und  ist,  gleich  dieser,  vom 
Standpunkte  des  griechisch-römischen  Rechtes  aus  eher  eine 
dnoxrj(>v!;is  und  „emancipatio“,  d.  h.  eine  Verstossung  ans  dem 
väterlichen  Hause3),  als  eine  Enterbung  durch  letztwillige  Ver- 
fügung, denn  es  brauchte  die  Erklärung  nicht  mit  Verfügungen 
zugunsten  anderer  Personen  sich  zu  verbinden. 

Auch  das  zweite  Kapitel  des  Mainzer  Landfriedens  gehört 
hierher,  nach  welchem  ein  Sohn,  der  „an  seines  Vaters  Leib 
ratet“  oder  freventlich  angreift  mit  Wunden  oder  mit  Gefäng- 
nis oder  „in  dehein  bant  leit,  daz  vanchnusse  heizet“,  unter 
Voraussetzung  des  nämlichen  Verfahrens,  für  „§los  und  rehtlos 
ewichlichen“  erklärt  wird:  „also  daz  er  niemer  wider  chomen 
mag  mit  deheiner  slahte  dinge  ze  sinem  rehte“.  Auch  hier 
sagt  die  lateinische  Übersetzung:  filius  — qui  — manus  vio- 
lentas  in  eum  iniecerit3)  — omni  iure  omnique  actu  legitime 
perpetuo  sit  ipso  iure  privatus,  quod  vulgo  dicitur  „erenlos“  et 
„rehtlos“. 

Es  erscheint  wieder  wie  eine  Fortbildung  dieser  Vor- 
schriften, wenn  der  Sachsenspiegel  an  dem  vorhin  angegebenen 
Orte  weiter  bestimmt,  dass  auch  derjenige,  welcher  einem 
andern  sein  Gut  gewaltsam  nimmt,  sein  Recht  „verloren“  hat, 
welches  ilnn  an  diesem  Gute  anersterben  mochte,  und  dass  der 
Lehensherr  und  sein  Mann,  wenn  einer  den  andern  tötet,  Leben, 
Ehre  und  Gut  „verwirkt“4). 

Das  Enterbungsrecht  wegen  geschlechtlicher  Vergehen 
(Nr.  VI  und  3 der  Justinianischen  Fälle)  ist  ebenfalls  nicht 


')  In  Kap.  4 wird  dies:  „boziugeu  — selbe  dritte  zen  heiligen“  genannt. 
Knp.  3 enthält  für  das  Verfahren  noch  Vorschriften  hinsichtlich  des  Zengnis- 
zwauges,  Kap.  7 Uber  Vertretung  des  durch  „ehafte  not“  am  Erscheinen  vor 
Gericht  verhinderten  Vaters. 

’)  Über  die  änoxriQuSts  vgl.  Mitteis,  Reichsrecht  und  Volksrecht, 
S.  212  ff.  Es  ist  ein  bemerkenswerter  Umstand,  dass  die  Synopsis  Basilikorum 
(oben  S.  20)  beim  UI.  der  Justinianischen  Gründe  (Kriminalanklage)  plötzlich 
einschiebt:  ,,/zrI  iovuov  yag  anoxr^iiaaoyjni  0/ 

*)  Mau  erinnere  sich  des  Ausdruckes:  „audaces  manus  imponerc“  im 
Falle  I bei  Julian  und  im  Brachylogus  (oben  S.  22  ff.). 

*)  Vgl,  auch  bei  den  oben  S.  46  N.  2 erwähnten  Erbrechtsregeln : „Fälle, 
da  ein  Mann  sein  Gut  auf  seine  Erben  nicht  mag  geerben“. 


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49 


ohne  Vorbilder  im  germanischen  Rechte,  welches  in  entsprechen- 
den Fällen  Erbunfähigkeit  verordnet.  Denn  eine  solche  liegt 
in  der  Androhung  des  Vermögensverlustes,  welcher  bereits  nach 
einem  Gesetze  Karls  des  Grossen  (a.  803—813)  denjenigen 
treffen  soll,  der  mit  Mutter,  Schwester,  Vatersschwester  oder 
Nichte  „mechatus  est“  *),  und  in  ähnlicher  Weise  erklärte  die 
constitutio  de  conjugiis  illicitis  (von  1052)  Ehegatten  und  deren 
Kinder  für  „exheredati“,  wenn  die  Ehe  gegen  das  Gesetz  ver- 
stiess;  das  Vermögen  fiel  in  diesem  Falle  teils  dem  Fiskus 
teils  den  nächsten  Verwandten  zu3).  Am  häufigsten  findet  sich 
die  Erbunfähigkeit  für  den  Fall  ausgesprochen,  wenn  eine  weib- 
liche Persou  ohne  die  erforderliche  Zustimmung  ihrer  nächsten 
Angehörigen  eine  Ehe  schliesst,  ein  Tatbestand,  welcher  unter 
Nr.  XI  der  Justinianischen  Gründe  gestellt  werden  muss3). 
Dieser  Fall  ist  geradezu  typisch  für  das  deutsche  Recht,  und 
um  so  auffallender  nimmt  sich  demgegenüber  die  Bestimmung 
des  Sachsenspiegels  aus,  gemäss  welcher  in  dem  unseren  Be- 
griffen nach  noch  weit  schlimmeren  Falle  einer  „Unkeuschheit 
ihres  Leibes“  das  Mädchen  zwar  seine  weibliche  Ehre  kränken 
mag,  sein  Recht  und  sein  Erbe  deshalb  aber  nicht  ein- 
büssen  soll4). 

Endlich  mussten  auch  die  alten  Ketzergesetze  den  Justi- 
nianischen Enterbungsgründen  Nr.  XIV  und  8 (Ketzerei)  Vor- 
arbeiten, wie  die  Constitutio  Friedrichs  II.  vom  22.  Februar 
1232  und  ihre  späteren  Wiederholungen,  welche  dem  Ungläu- 
bigen das  Erbrecht  mit  den  Worten  versagte:  „nec  ad  heredis 
successionem  accedat“  *). 

II.  Nach  solchen  Vorbildern  nimmt  es  nicht  wunder,  dass 
die  Justinianischen  Fälle,  als  sie  in  Deutschland  bekannt 

')  Mon.  Germ,  hist.,  Legnm  sectio  II,  Tom.  I,  1883,  S.  143  Nr.  3.  Vgl. 
Brunner,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  II  S.  66ö  N.  53. 

*)  Daselbst,  Legnm  sectio  IV,  Tom.  I,  1893,  S.  101. 

*)  Vgl.  Stobbe,  Privatr.,  IV  S.  10  N.  12  (§  209),  S.  336  N.  17  (§253); 
V 8.  16  N.  9 (§  280),  auch  Zitate  bei  Siegel,  Erbrecht  S.  130  N.  521,  und 
das  reiche  spätere  Material  bei  Uruchot,  Erbrecht,  UI  S.  165  ff. 

‘)  Sacbsensp.  I,  5,  2. 

*)  Mon.  Germ,  hist.,  Legnm  sectio  IV,  Tom.  II,  1896,  S.  195  und  284; 
vgl.  Rieh ter-Dove- K ahl,  Kircheurecbt,  I § 52  N.  2 (S.  140). 

Merkel,  SnterhuiiK'griinde  4 


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50 


wurden,  zunächst  ebenfalls  nur  im  Sinne  von  gesetzlichen  Erb- 
unfähigkeitsgrttnden  verstanden  wurden.  Sie  begegnen  hier 
zuerst  iin  s.  g.  Deutschenspiegel,  dem  Vorläufer  des  Schwaben- 
spiegels, und  zwar,  wie  im  westgotischen  und  im  lango- 
bardischen  Rechte,  nur  mit  Auswahl.  Unter  der  Überschrift: 
„wie  ein  chint  vater  vnd  muoter  erbe  verwurchen  mag“ : werden 
hier  „vier  dinge“  angegeben,  „mit“  denen  dies  geschieht.  Das 
erste  ist  unverkennbar  der  VI.  der  Justinianischeu  Fälle 
(Inzest),  er  lautet:  „ob  der  vater  hat  ein  weib  dev  ist  sein 
stevfmuter.  ob  der  sun  bei  ir  leit.  oder  bei  einem  ledigen  weibe 
die  der  vater  hat  gehabet.  so  hat  er  alles  daz  erbe  verw&rchet 
des  er  von  im  wartunde  waz“ ').  Zum  Beleg  hierfür  beruft  sich 
der  Spiegler  auf  die  Geschichte  Absaloms,  die  in  „der  Könige 
Buch“  erzählt  worden  sei2),  wie  Absalom  der  Schöne  bei  seines 
Vaters  David  Freundinnen  „sündiglieh“  lag  „und  wissentlich“: 
„damit  verworcht  er  seine  hulde  vnd  sein  erbe.  Absolon  ver- 
worcht  auch  seines  vater  hulde  vnd  sein  erbe“.  Was  hierauf 
folgt,  ist  unklar:  „daz  er  seines  leibes  ofte  varet.  Wie  er  in 
erslßge  da  half  im  got  ie  von“.  Der  Sinn  aber  soll,  wie  sich 
namentlich  unter  Zuhilfenahme  des  französischen  Textes  des 
Schwabenspiegels  feststellen  lässt s),  offenbar  der  sein : Absalom 
versuchte,  öfters,  seinen  Vater  zu  erschlagen,  aber  Gott  hat 
diesen  davor  behütet.  Damit  schliesst  das  erste  „Ding“. 

Das  zweite  entspricht  dem  zweiten  Kapitel  des  Mainzer 
Landfriedens“):  „vnd  ist  daz  ein  sun  seinen  vater  vaehet  vnd 
in  in  sleuzzet  wider  recht  vnd  stirbet  er  in  der  vanchnüzze. 
Der  sun  aver  sein  erbe  verlorn“;  nur  wird  hier  ein  Erfordernis 
hereingetragen,  der  Tod  des  Vaters  in  Gefangenschaft,  welches 
in  jener  deutschen  Rechtsquelle  nicht,  wohl  aber  in  der 


')  Der  Spiegel  deutscher  Leute,  herausgegeben  von  J.  Ficker,  1859, 
S.  42  Nr.  19  (fälschlich:  20). 

’)  Vgl.  v.  Daniels,  v.  Gruben  und  Kuehns,  Recbtsdenkmäler  des 
dtseh  Mittelalters,  I,  1858,  S.  LXYII.  Vgl  II.  Samuelis  16,  22. 

*)  Vgl.  G.-A.  Matile,  Le  Miroir  de  Souabe,  1843,  8.  IV : „quar  absalon 
se  poenoet  celeemant  (sich  heimlich  bemilhte)  taut  conie  il  puet  docire  son 
pere  mas  dcx  lan  garda“. 

4)  Vgl.  oben  R.  48;  diese  Stelle  ist  daher  bei  Stobbe,  Rechtsqnellen, 
I S 331  N.  14,  den  Quellen  des  Dentseliensp.  noch  beizufllgen. 


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61 


römischen,  bei  dem  VIIT.  der  Justinianischen  Gründe  (Kriegs- 
gefangenschaft) sich  findet. 

Das  dritte  „Ding“  ist  wieder  römischen  Ursprungs,  und 
zwar  der  III.  Fall  (Kriminalanklage),  und  wird  so  ausgedrückt: 
„vnd  ist  daz  ein  sun  seinen  vater  vor  gerichte  ansprichet  er 
hab  im  getan  sogtanew  dinch  dev  dem  vater  an  den  leib  gant. 
vnd  enmag  er  sein  niht  vberwinden  er  hat  sein  erbe  verlorn“ 
Auch  hier  wird  etwas  in  den  Fall  hereingebracht,  was  im 
Originale  nicht  enthalten  ist,  wenigstens  nicht  an  dieser  Stelle: 
zuerst  der  Umstand,  dass  die  „Dinge“  ihm,  dem  Sohne,  an- 
getan sein  müssen,  um  die  er  den  Vater  verklagt,  und  sodann 
die  Voraussetzung,  dass  er  den  Vater  nicht  „überwinden“  könne, 
eine  Voraussetzung,  die  dem  V.  der  Justinianischen  Fälle 
(Sykophantie)  angehört.  Auf  der  anderen  Seite  ist  es  vom 
Spiegler  unterlassen  worden,  die  quellenmässigen  Ausnahmen 
von  der  Regel  (Anklage  W'egen  Majestätsverbrechens  und  Hoch- 
verrats) hinzuzufügen,  womit  übrigens  ältere  Rezeptionen  des 
III.  Falles  übereinstimmen J). 

Obgleich  der  Verfasser  des  Rechtsbuches  „vier  dinge“  ver- 
lieissen  hatte,  begnügt  er  sich  doch  mit  den  genannten  dreien, 
und  fasst  sie  noch  einmal  zusammen:  „mit  disen  dingen  ver- 
würchet  ein  isleich  erbe  güt  daz  er  erben  sol“.  Damit  ist 
freilich  zugleich  eine  wesentliche  Ausdehnung  der  Verwirkungs- 
fälle geschaffen  worden,  indem  sie  nicht  allein  auf  die  Des- 
zendenz, sondern  auf  „jeglichen“  Erben  bezogen  werden. 

„Mit  disen  dingen  venvtirchet  sich“  aber  auch  „ein  vater  gein 
seinen  cliinde“ ; es  folgen  also,  wie  nach  römischem  Recht,  die  Un- 
fähigkeitsgriinde  gegenüber  Kindern  nach.  Aber  sie  bestehen  bloss 
iu  einer  Bezugnahme  auf  die  schon  gegenüber  Eltern  genannten,  und 
hier  wird  zudem  ein  dem  im  Mainzer  Landfrieden  für  den  ent- 
gegengesetzten Fall  vorgeschriebenen  analoges  Verfahren  fest- 
gesetzt: der  Vater  muss  bei  seinem  lebendigen  Leibe  von  seinem 
Gute  scheiden,  und  der  Sohn  tritt  au  seine  Statt,  und  er  soll 
dem  Vater  die  Notdurft  geben  und  soll  ihm  die  „mit  Ehren“ 
geben  „nach  deu  ern  als  da  er  gelebt  hat“  (d.  h.  standesgemäss). 


’)  Vgl.  das  westgotigche  Gesetz  and  die  Usatici  Rarohinoniae  oben 
S.  26  und  28. 


4* 


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52 


Dieses  Verfahren  wird  allerdings  nicht  als  ein  gerichtliches  be- 
zeichnet, es  konnte  sicherlich  auch  in  einer  friedlichen  Guts- 
abtretung bestehen , aber  als  Regel  wird  der  Spiegler  eine 
solche  schwerlich  vorausgesetzt  haben.  Man  hat  diese  Ge- 
staltung für  ein  „grossartiges  Missverständnis“  des  Novellen- 
rechtes gehalten  ’),  allein  mit  Rücksicht  auf  die  angezogene 
Bestimmung  im  Mainzer  Landfrieden  dürfte  der  Vorschlag  eines 
solchen  Verfahrens  kaum  etwas  Befremdliches  besitzen. 

Die  Verwirkungsgründe  für  Eltern  sind  demgemäss:  Nr.  3 
(Inzest  mit  der  Ehefrau  des  Sohnes  oder  mit  dessen  Konkubine), 
Einsperrung  der  Kinder  und  Tod  im  Gefängnis  und  Nr.  III 
(fruchtlose  Kriminalanklage).  Dieser  Erfolg  wird  ohne  Über- 
legung erzielt  worden  sein,  aber  er  ist,  wenigstens  was  die 
Einmischung  eines  für  Eltern  bestimmten  Grundes  unter  die 
für  Kinder  bestimmten  angeht,  nicht  neu2).  Auch  Hesse  sich 
anstatt  Nr.  III  die  Justiniauische  Nr.  t verstehen  (Aufopferung 
der  Kinder),  welche  gerade  die  Anklage  wegen  eines  todes- 
würdigen Verbrechens  in  sich  schliesst. 

Interessant  ist  übrigens  jedenfalls  die  hier  getroffene  Aus- 
wahl unter  den  Justinianischen  Fällen:  Nr.  III  hatte  sich  auch 
die  westgotische  Gesetzgebung  und  Nr.  VI  der  Edictus  Rothari 
heransgesucht.  Etwas  Neues  aber  enthält  lediglich  die  Ein- 
mischung eines  dem  älteren  einheimischen  Rechte  entlehnten 
Falles  unter  die  fremdrechtlichen 8). 

III.  In  dieser  Form  sind  die  Enterbungsgründe  in  deu 
Schwabenspiegel  und  die  von  ihm  abhängigen  Rechtsbücher 
übergegangen,  mit  geringfügigen  Abweichungen,  deren  be- 
deutendste die  ist,  dass  keine  jener  Quellen  mehr  die  Fälle  auf 
„jeglichen  Erben“  ausgedehnt  hat.  Aber  die  Schwabenspiegel- 
gruppe zählt,  wie  Justiuian  bei  den  Eltern.  14  Gründe  auf. 
Dies  wird  darauf  zurückzuftthren  sein,  dass  eine  spätere  Hand 
das  übrige  nachgearbeitet  hat,  wie  schon  Ficker  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  vermutete4)-  Dafür  spricht  auch  noch  der 

')  Siegel,  Deutsches  Erbrecht  S.  132,  mit  Beziehung  auf  den  Schwaben- 
spiegel. da  ihm  der  Dentschenspiegel  noch  nicht  bekannt  sein  konnte. 

’)  Vgl.  die  Summa  notariae  oben  S.  34  hinsichtlich  des  Falles  IV. 

*)  Vgl,  übrigens  den  nenen  Grund  im  Prochiros  oben  S.  18. 

*)  Sitzungsberichte  der  philos.-histor.  Klasse  der  kaDerl.  Akad.  d.  Wiss. 


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53 


Umstand,  dass  in  dem  dem  Deutschenspiegel  zeitlicli  am  nächsten 
stehenden  mittelalterlichen  Rechtsbuche,  dem  s.  g.  kleinen  Kaiser- 
rechte  vom  Ende  des  13.  oder  vom  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts ebenfalls  noch  die  eklektische  Methode  in  bezug  auf 
die  Rezeption  der  Gründe  befolgt  ist,  und  dass  hier  wie  dort 
neue  Gründe  aus  dem  einheimischen  Recht  hinzugefügt  werden. 

Unter  der  Überschrift:  „Von  dem  Verlust  des  erbes  (de 
perdicione  hereditatis  filii)“  heisst  es  in  dieser  Bearbeitung1): 
„Eyn  iglich  sun  sal  wissen,  der  zu  sinen  iaren  kumen  ist,  daz 
der  keiser  hat  bestetiget  in  des  riches  recht:  wen  man  an  disen 
stucken  findet  schuldig,  daz  der  sines  vaters  erbe  hat  virloru, 
vn  hat  virwirket  alle  sin  selikeit  gen  dem  kaiser“.  Das  erste 
„stuck“  ist:  „leget  er  sin  liant  frefelich  an  den  vater  mit 
stozzin  oder  mit  slalien“,  denn  cs  stehe  geschrieben:  „wer  sin 
liant  frefelich  leget  au  sin  vater,  der  sal  enterbet  sin“.  Das 
ist  der  erste  der  römischen  Fälle  (Realinjurie).  Es  folgt  der 
VI.  (Inzest),  welchen  der  Deutschenspiegel  an  erster  Stelle 
nannte.  Er  hat  die  Form : „ab  er  by  sins  vaters  wib  get.  Siut 
gesc.  stet:  wer  sich  die  vnreine  gelüst  lezzet  virleiden,  daz  er 
bie  sins  vaters  wib  get,  den  hat  der  keiser  heizzen  enterben“. 
Die  Konkubine  wird  also  nicht  ausdrücklich  erwähnt.  Hierauf 
folgt  der  XIV.  der  Justinianischen  Fälle  (Ketzerei):  „get  er 
auch  uz  dem  glauben,  er  hat  sin  erbe  virlorn.  Sint  gesc.  stet: 
wer  des  glauben8)  nit  enliat  an  der  cristenheit,  den  sal  man 
werfen  uz  dem  erbe“.  Die  beiden  anderen  Fälle  sind:  der  zum 
Tode  Verurteilte  „durch  sine  missetat“  — er  hat  das  Erbe 

(Wien)  Band  23  (1857)  S.  164.  Anch  Paul  Laband,  Beiträge  zur  Kunde 
des  Schwabenspiegels,  1861,  S.  54/5,  kommt  zu  dem  gleichen  Ergebnisse  auf 
(irund  der  Tatsache,  dass  die  meisten  Überlieferungen  des  Schwabenspiegels, 
so  die  übersehe  uud  Ambraser  Handschrift,  die  französische  Übersetzung,  Brünn, 
Wien,  Ruprecht  von  Freising  und  die  alten  Drucke  (fol.  62  und  70;  Frank- 
furt 1566,  fol.  55)  die  Bemerkung  Uber  Enterbung  des  Vaters  gleich  dem 
Deutschenspiegel  nach  dem  3.  Gründe  einstellen,  während  Lassberg, 
Gengier  und  Kulm  sie  erst  am  Schlüsse  aller  14  Gründe  einreihen;  denn 
die  erstere  Ordnung  ist  offenbar  die  ursprüngliche  gewesen. 

')  Nach  der  Ausgabe  von  H.  E.  Endemann,  Das  Keyserrecht,  1846, 
S.  50:  Buch  II  Kap.  16. 

’)  Eine  Handschrift  hat  „die  glorie“  statt  „des  glauben“ ; man  vgl.  oben 
die  Erklärung  in  der  Summa  uotariae : S.  33  N.  5. 


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54 


verloren,  weil  geschrieben  stellt:  „der  sal  an  allen  dingen  wesen 
tot“1)  — und:  „wer  an  daz  liehe  redet“  oder  „rette“*)  oder: 
„wider  daz  liehe  tut“  — denn:  „der  ensal  keins  menschen 
recht  nit  haben“  und  „den  en  darf  man  uit  urteiln,  wan  er  ist 
geurteilt  vor  dem  keiser“  — . 

Das  Rechtsbuch  steht  bei  der  Rezeption  dieser  Gründe 
offenbar,  wie  der  Deutscheuspiegel , auf  dem  Standpunkte  der 
gesetzlich  eintretenden  Erbunfähigkeit,  obgleich  es  auch  die 
Enterbung  im  deutschrechtlichen  Sinne3)  kennt4),  und  es 
schweigt  über  eine  entsprechende  Erbunfähigkeit  der  Eltern, 
während  es  den  „bescheidenen“  Kindern  eine  Möglichkeit  eröffnet, 
dem  Vater  zu  „wehren“,  wenn  er  die  Kinder  durch  „unred- 
liches Vertun“  seines  Vermögens  „erbelos“  zu  machen  im  Be- 
griffe ist5). 

Übrigens  ist  die  Tatsache  der  Rezeption  römischer  Gründe 
in  dem  Kleinen  Kaiserrecht  in  Zweifel  gezogen  und  die  Ver- 
mutung ausgesprochen  worden,  dass  der  Verfasser  „namentlich 
aus  den  Reichsgesetzen“  geschöpft  habe,  welche  freilich  vom 
römischen  Rechte  beeinflusst  seien  und  oft  wörtlich  dasselbe 
enthielten6).  Hierauf  ist  zu  erwidern:  gewiss  decken  sich  die 
Fälle  I und  XIV,  welche  hier  als  rezipiert  betrachtet  sind,  mit 
reichsgesetzlichen  Vorschriften,  wie  oben  nachgewiesen7),  aber 
die  Fassung  des  I.  und  namentlich  diejenige  des  VI.  Grundes 
verrät  doch  deutlich  genug  die  Quelle,  aus  welcher  die  Vor- 
schrift stammt.  Auch  die  an  derselben  Stelle  gemachte  Ein- 
wendung ist  hinfällig,  als  ob  im  Falle  einer  Rezeption  aus  dem 
römischen  Rechte  zu  erwarten  gewesen  wäre,  dass  dann  auch 
die  übrigen  Fälle  hätten  Aufnahme  finden  müssen,  wie  im 

')  Er  bleibt,  wie  Raymuud  (I,  25  i.  f.)  sagt,  selbst  im  Falle  der  Be- 
gnadigung ehrlos. 

’)  Gemeint  ist  wohl  Hochverrat;  vgl.  Man.  Germ,  hist.,  Leges  II,  S.  448 
(Landfrieden  Kaiser  Rudolfs  von  1287)  cap.  II:  an  sine*  vater  lip  retet; 
daselbst  S.  481  (a.  1303):  cap.  2:  Von  der  sun  rfttt.  Im  Schwabeuspiegel 
(Lassberg)  cap.  370  heisst  es:  der  wider  dem  riche  ist. 

*)  Vgl.  oben  S.  1 N.  1. 

*)  Vgl.  Buch  II,  cap.  9,  10  (exlieredatio  bona  mente),  13. 

5)  Buch  II,  cap.  11. 

*)  v.  Gosen,  Da3  Privat  r.  nach  d Kl.  Kaiscrr.  S.  161. 

’)  Oben  S.  46  und  49. 


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55 


Schwabenspiegel ; denn,  wie  das  westgotisclie  und  das  lango- 
bardische  Recht,  so  sucht  sicli  aucli  der  Deutschenspiegel  nur 
einzelne  Gründe  heraus,  und  die  Vervollständigung  derselben 
iin  Schwabenspiegel  dürfte,  wie  bemerkt,  erst  späteren  Da- 
tums sein. 

IV.  Was  nun  den  Schwabenspiegel  anlaugt,  so  wird  die 
Schilderung  seines  hierhergehörigen  Inhalts  l)  sich  am  richtigsten 
mit  der  Angabe  der  Abweichungen  verbinden  lassen,  welche 
die  von  ihm  abhängigen  Rechtsbücher  aufweisen.  Diese  sind: 
das  Wiener  Stadtrechtsbuch  (a.  1278 — 96) s),  das  Landrechts- 
buch Ruprechts  von  Freising  (a.  1328) 3),  eine  Brünner  Schöffen- 
satzung4)  und  das  s.  g.  Kulmische  Recht5),  welche  beiden  letzten 
auch  noch  dem  14.  Jahrhundert  angehören. 

Deu  Beginn  der  Darstellung:  „wie  ein  kint  vater  vnd 

*)  Ausgabe  von  Lassberg,  1840,  Landrecht  cap.  15;  von  Wacker- 
nagel, 1840,  cap.  16;  von  Gengier,  1876,  cap.  16.  Die  Hermaunstädter 
Handschrift,  der  „Codex  Altenberger“,  berausgegeben  von  Gustav  Lindner, 
1885,  S.  12  ff.  (Nr.  13)  — die  hierher  gehörige  Stelle  ist  aber  auch  abgedruckt 
in  der  Zeitschr.  d.  Sav. -Stift.,  VI,  1885,  Germ.  Abt.  S.  124  ff.,  mit  zwei  gering- 
fügigen Abweichungen  — steht  am  nächsten  dem  Kulmer  Recht,  und  zwar 
der  Danziger  Handschrift  desselben,  bei  Homeyer,  Deutsche  Rechtsbücher, 
1856,  Nr.  137  = A bei  Lenau,  Das  alte  Knimische  Recht,  S.  VII  und 
S.  177  (§  49).  Neue  Lesarten  teilt  L.  v.  Rockinger  in  den  Abhandlungen 
der  historischen  Klasse  der  k.  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften, 
22.  Band  (1902)  S.  619  ff,  mit.  Die  Zitate  werden  hier  in  der  Regel  nach 
der  Lassbergschen  Ausgabe  erfolgen,  die  Rockingerschen  Mitteilungen  als 
„Rockinger“  bezeichnet  werden.  Im  Schwabenspiegel  wird  übrigens  auf  die 
Verwirkungsfälle  des  cap.  15  auch  noch  in  cap.  22,  162  und  354  Bezug  ge- 
nommen. 

*)  Das  Wiener  Stadtrechts-  oder  Weichbildbuch,  herausgegeben  von 
II.  M.  Schuster,  1873,  S.  103:  Art.  108.  Über  das  im  Text  angegebene 
Alter  des  Buches  vgl.  Schuster  in  den  Atti  del  congresso  internaz.  di  scienze 
stör.,  Vol.  IX  (1904)  S.  73  N.  1. 

*)  Das  Stadt-  und  das  Landrechtsbuch  Ruprechts  von  Freysing,  von 
G.  L.  v.  Maurer,  1839,  S.  24:  cap.  14. 

4)  E.  F.  Rössler,  Die  Stadtrechte  von  Brünn  aus  dem  XIII.  und  XIV. 
Jahrhundert,  1852,  S.  401  Nr.  227.  Die  Verbindung  unserer  Stelle  mit  dem 
Schwabenspiegel  „oder  mit  einer  ähnlichen  Quelle“  erkennt  auch  Rössler 
an : a.  a.  0.  S.  CXVII. 

s)  C.  K.  Lemau,  Das  alte  Kulmische  Recht,  1838,  S.  175:  Bnch  V,  § 49. 
Ebenso  wörtlich  in  dem  Strobandschcn  Drucke  von  1584. 


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56 


müter  erbe  verwvrken  mac“ : machen,  wie  oben  gesagt,  die  drei 
Fälle  des  Deutschenspiegels;  es  wird  übrigens  sogleich  ver- 
sichert, dass  der  „Dinge“  (Brünn  sagt:  „schulden“,  Kulm: 
„Sachen“)  vierzehn  seien1 *).  Die  Unterschiede  in  der  Wieder- 
gabe jener  drei  ersten  sind*):  dass  bei  dem  zweiten,  dem 
Mainzer  Landfrieden  entnommenen  Falle  Ruprecht  einschiebt: 
„ob  ein  suu  seinen  vater  sticht“,  dass  die  Besonderheiten  des 
dritten  Falles  im  Deutschenspiegel,  wonach  die  Dinge  dem  Sohn 
angetan  sein  müssen  und  vorausgesetzt  ist,  dass  er  den  Vater 
nicht  überwinden  könne,  fehlen,  und  dass  überhaupt  der  Wort- 
laut dieses  dritten  Falles  variiert3).  Neu  hiuzugearbeitet 
werden  aber  beim  Falle  III  in  der  Schwabenspiegelgruppe  die 
römischen  Ausnahmen,  wieder  in  verschiedener  Weise:  „ez  si 
daune  ein  sogetauiv  Sache  div  wider  dem  lande  si.  oder  wider 
dem  fvrsteu  des  daz  lant  ist.  da  si  inne  wonhaft  sint“ 4),  oder 
„ein  sach  davon  daz  laut  verderwen  möcht  oder  der  des  das 
laud  ist“  5). 

Hieran  schliessen  sich  dann  die  übrigen  Fälle  für  Aszen- 
denten, von  welchen  nur  Nr.  V (Lebensnachstellung)  und  XIV 
(Ketzerei)  — in  Brünn  auch  Nr.  II  (Verbalinjurie)  und  VII  (Sy- 
kophautie)  — ausgclasseu  sind,  gewiss,  namentlich  Nr.  XIV, 
wie  in  der  kanonischen  Glosse,  nicht  ohne  Absicht.  Dabei  hat 
das  Kulmische  Recht,  gleich  dem  Codex  Altenberger,  die  Eigen- 
tümlichkeit, dass  der  dritte  Grund  (=  der  Justinianischen  Nr.  III 
Kriminalanklage)  erst  an  fünfter  Stelle  erscheint,  so  dass  am 
Schlüsse,  wo  die  Rechtsverwirkung  für  den  Vater  steht,  die  dem 
Deutschenspiegel  entlehnte  Bemerkung:  der  Vater  verwirke  sein 
Recht  „myt  den  dryn  yrsten  Sachen“  nicht  mehr  zutrifft.  Über- 

l)  Der  Codex  Altenberger  spricht  in  der  Überschrift  des  Kapitels  zwar 
von  „fvmfczehen  dingen“  zählt  aber  dann  doch  auch  nur  14  auf. 

’)  Bemerkt  mag  ausser  dem  Folgenden  noch  werden  die  Bezeichnung 
„tzu-wyb“,  mit  welcher  Kulm  die  Konkubine  wiedergibt. 

*)  Im  Schwabenspiegel  heisst  es:  „ob  ein  snn  sogetaniv  dinc  von  siuem 
vater  seit*,  Wien  und  Ruprecht  sprechen  von  „rügen*  des  Vaters  oder  von 
dem  Vater  (solche  Dinge). 

‘)  So  Lassberg.  Die  Beschränkung  auf  das  Land,  darin  man  wohnt, 
fand  sich  schon  in  Lo  Codi  (oben  S.  36)  und  den  von  ihm  abhängigen  Cou- 
tnmes  de  l’Anjou  etc. 

*)  So  Wien ; ähnlich  Brünn  und  Kockinger. 


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57 


liaupt  ist  die  Reihenfolge  der  einzelnen  Fälle  in  den  genannten 
zusammengehörigen  Rechtsbüchern  eine  recht  verschiedene  ‘). 

Es  wird  nun  nicht  erübrigt  werden  können,  auf  den  Wort- 
laut der  einzelnen  Fälle  einzugehen,  da  es  sich  hier  um  die  erste 
Überlieferung  in  deutscher  Sprache  handelt. 

Der  I.  Fall  (Realinjurie)  ist  so  ausgedrückt:  wenn  der 
Sohn  den  Vater  geschlagen  hat  „an  daz  wange“  oder  wenn  er 
ihn  „geverlichen“  („vraefelichen“ : Wien  und  v.  Rockinger; 
„vreffleich  vnd  unwerleich:  Brünn;  „ernstlich“  oder  „verlieh“: 
Kulm)  geschlagen  hat.  Ruprecht  von  Freising  erinnert  hier  an 
das  vierte  der  Mosaischen  Gebote  und  begründet  damit  die 
Schlussfolgerung,  dass  ein  Mensch,  der  durch  die  Übertretung 
dieses  Gebotes  ein  langes  Leben  verwirke,  um  so  mehr  „pillich 
auch  sein  erb  damit  verlorn“  habe. 

Der  zweite  Fall  (Verbalinjurie)  heisst:  „ob  er  in  sere  vnd 
merclichen  („unerleich“:  Wien;  „mördlich“:  Ruprecht;  „nyt- 
lich“ : Kulm)  bescholten  hat“ ; v.  Rockinger  teilt  die  Lesart 
mit:  „ob  er  im  an  sine  ere  geredet  hat  und  baerlich  hat  be- 
scholten“. Alle  aber,  ausser  Ruprecht,  die  diesen  Fall  habeu, 
bringen  erst  bei  ihm  die  Begründung  aus  dem  vierten  Gebote 
an.  Alte  Drucke  fügen  hier,  vielleicht  nach  dem  Sachsen- 
spiegel2), den  Fall  der  Notwehr  ein:  wer  Vater  oder  Mutter  schilt 
oder  schlägt  und  schlägt  ein  Sohn  seinen  Vater  zu  tod  und  nicht 
in  Notwehr,  und  nimmt  ein  Sohn  seinem  Vater  Gut  ohne  Recht 
und  stösst  ihn  davon,  so  gilt  dasselbe  Recht*). 

Der  Sinn  des  vierten  Grundes  (<yap/<axös\  maleficus)  lässt 
sich  so  wiedergeben:  wenn  er  ein  Dieb  („leires“  Räuber:  hat 
der  französische  Schwabenspiegel)  oder  ein  Bösewicht  ist,  der 
sein  Recht  durch  seine  Übeltat  verloren  hat,  also  rechtlos  ge- 

')  Die  Reihenfolge  der  Gründe  I,  II,  IV,  VII  wechselt;  so  wie  hier 
steht  sie  in  der  Ausgabe  von  Wackernagel  und  Geugler,  bei  Ruprecht 
von  Freising  und  im  BrUnuer  Schöffenrecht,  wo  nur  eben  II  und  VII  fehlen, 
endlich  noch  im  Kulmischen  Recht,  nur  dass  letzteres  zwischen  II  nud  IV 
Nr.  III  einschiebt.  Bei  Lassberg  ist  die  Reihenfolge:  IV,  I,  II,  VII,  bei 
v.  Rockinger:  I,  II,  VII,  IV.  Die  Fälle  IX,  X,  VIII  und  XIII  sind  überall 
in  dieser  Folge  geordnet,  nur  Ruprecht  stellt  Nr.  IX  ans  Ende.  Den  Schluss 
bilden  überall  die  Fälle:  XII,  ein  neuer  (Vergeudung  über  die  Hälfte)  und  XI. 

*)  Vgl.  oben  S.  46  N.  3. 

*1  s I.  e a.  fol.  62  resp.  fol.  70;  Frankfurt  a.  M.  1566  fol.  55. 


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58 


worden  ist,  oder  wenn  er  mit  Leuten  verkehrt  (wissen dich  bei 
ihnen  wohnt),  welche  zu  dieser  Klasse  gehören.  Es  wird  dieser 
Fall  sehr  verschieden  ausgedriickt l).  Die  Zauberer  und  Gift- 
mischer, welche  sonst  hierher  gerechnet  werden,  kann  man 
unter  der  Kategorie  der  rechtlosen  „Bösewichte“  (inalefici)  ver- 
stehen , speziell  aber  meint  sie  wolil  der  Schwabenspiegel  mit 
den  Leuten,  die  „vnvertic  vnd  versprochen“  sind. 

Auch  der  VII.  Fall  (Sykophantie)  wird  sehr  verschieden 
ausgedrückt.  Die  kürzeste  Fassung  ist  die:  von  seiner  Rede 
(oder:  Sage)  grossen  Schaden  nehmen..  Ausführlicher  heisst  es 
bei  v.  Rockinger:  „ob  ain  sün  uf  sinen  vater  klagnot,  er  hab 
im  so  getanü  dink  getan  die  dem  vater  grosen  schaden  tün 
moehten  an  eren  oder  an  güte  oder  an  dem  übe,  vnd  er  in  des 
nit  Überzügen  mag“.  Der  französische  Text  sagt:  „se  li  fiz 
complaint  de  son  pere  per  devant  iostise  de  choses  que  li 
poroent  tenir  grant  damage,  decors  davoer.  ou  donour  et  il  ne 
les  poait  monstrer“.  Wien  fasst  so:  Vater  und  Mutter  zeihen 
solcher  Dinge,  die  nicht  ehrlich  sind,  uud  des  nicht  überzeugen 
mögen.  Kulm  erklärt  die  obige  kurze  Fassung:  „das  ist  also 
gesprochen,  ab  her  synen  lyp  adir  syn  gut  vorroten  hat“. 

Beim  VIII.  Grunde  (Gefangenschaft)  wird  der  eigentliche 
Anlass,  eben  das  Gefangensein,  verschwiegen,  wohl  deshalb, 
weil  nachher  beim  XIII.  Grunde  (Kriegsgefangenschaft)  von  dem 
„Gefängnis“  im  allgemeinen  die  Rede  ist,  und  es  ist  bloss  die 


■)  Lassberg:  „ob  er  ein  divp  ist.  oder  svz  mit  blitzen  livten  wizzent- 
Iicheu  wont.  die  vnvertic  vnd  versprochen  sint“ ; v.  Rockinger:  „ain  diep 
wirt,  oder  sns  ain  boeser  wiht  mit  so  getanem  leben  da  ieglicb  man  sin  rebt 
verlöret,  oder  ob  er  wissentlichen  mit  den  selben  löten  wonet  die  das  leben 
hant*;  französischer  Schwbsp. : „de  teil  vie  qne  les  bunes  gens  perdent  lo 
Ionr  per  sa  corpe  et  a tort‘;  Wien:  „ein  diep  wirt,  oder  snnst  poseu  ding 
tuet,  do  mit  ein  iesleich  man  sein  recht  pilleich  verlenset,  oder  ob  er  wizzen- 
leicli  mit  den  leuten  wonet.  die  dasselb  lewen  an  in  habent";  Ruprecht:  „ob 
der  sun  ein  piiswicht  ist  oder  ob  er  mit  pösenn  leutn  wonung  hat  dy  ire 
recht  mit  posbait  verlornn  babennt“;  Brünn:  „wicrt  auch  der  suu  ein  diep 
oder  diepez  gesel  oder  tuet  ein  solicher  poshait,  so  er  sein  recht  mit  verleust“ ; 
Kulm:  „ab  der  sone  eyn  dyp  ist,  adir  snst  eyn  bosewycht  ist.  adir  ab  her 
wissentlich  myt  bösen  luten  wonet“.  Der  französische  Text,  v.  Rockinger 
(S.  620  N.  6)  uud  Brünn  fügen  noch  ausdrücklich  hinzu,  dass  ein  solcher  sein 
Gut  und  Erbe  verliere  und  keinem  Anteil  habe  au  des  Vaters  Gut. 


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59 


Verweigerung  der  Bürgschaft  hervorgehoben:  wenn  der  Sohn 
um  zeitlich  Geld  (oder:  Gut)  („um  mesigs  guet  und  um  erleich 
und  um  pilleich  sach“  sagt  Brünn)  des  Vaters  Bürge  nicht 
werden  will.  Der  französische  Text  lautet:  „se  li  fiz  ne  vuet 
estre  plages  por  son  pere.  et  por  det  qui  est  a vie  et  ne  mie 
per  heritage  for  que  de  mobles“,  er  beschränkt  die  Vorschrift 
also  auf  solche  Schulden,  für  welche  der  Erbe  lediglich  mit 
dem  beweglichen  Vermögen  einzustehen  hat1). 

Der  IX.  Grund  (Testierhindernis)  ist  im  Sehwabeuspiegel 
anschaulicher  als  sonst  geschildert:  wenn  der  Sohn  den  Vater 
„an  seinem  Geschäfte  — Brünn  spricht  vom:  „selgeret“ — ge- 
irrt hat“  dadurch,  dass  er  die  Tür  verschloss,  als  der  Vater 
auf  seinem  Sterbebette  lag,  und  die  „Brüder“  oder  anderen 
Pfaffen  (oder  andere  Leute  und  Freunde)  nicht  zu  ihm  liess, 
mit  denen  er  seiner  Seele  „Dinge“  schaffen  wollte.  Man  möchte 
fast  annehmen,  es  hätten  dem  Redaktor  dieser  Stelle  die 
Äusserungen  Ulpians  über  „testari  prohibere“  mittelst  Ver- 
hinderung des  „testaiuentarius“  vor  Augen  gestanden'),  wenn 
es  sicher  wäre,  dass  derselbe  die  Pandekten  Justinians  eben- 
falls und  nicht  bloss  die  Institutionen 3)  benutzt  hat.  Jeden- 
falls aber  denkt  der  Spiegler  hier  nicht  an  das  römische  Testa- 
ment, vielmehr  an  die  Verfügungen  vor  Geistlichen  zugunsten 
der  Kirche4).  Hierauf  deutet  schon  das  längere  und  in  sehr 
verschiedener  Form  überlieferte  Zitat,  welches  sich  hier  an- 
schliesst,  um  dies  vom  Kaiser  Justinian,  abgesehen  von  „andern 
guten  Rechten  viel“,  gesetzte  Recht  durch  das  ihm  von  einem 
„Heiligen“  (d.h.  Kanonisten?5)  gespendete  Lob  zu  rechtfertigen8). 

')  Vgl.  Stobbe,  Deutsches  Privatrecht,  V S.  50  (§  285,  II,  a). 

»)  D.  29,6,  1 pr. ; D.  36,  1,3,5. 

*)  Es  rührt  auch  die  Nennung  des  Namens  Marcellus  statt  Marcian  in 
cap.  68  (Deutschensp.  60)  von  J.  1,  4 pr.  her. 

*)  Vgl.  Hcusler,  Institut,  d.  dtsch.  R.  II,  1886,  S.  644  (§  200). 

*)  Vgl.  die  Bezeichnung  als  „Weise“  und  „Heilige“  für  Legisten  und 
Kanonisten  auch  im  Codigo  de  las  siete  Partidas  1,1,6:  Unger,  Rüm.  u. 
nationales  Recht,  8.  71  N.  2 Der  Codex  Altenberger  nennt  ihn  „ein  inaister 
ein  heiliger“.  Die  einleitenden  Worte  des  Zitats,  aber  auch  nicht  mehr, 
stimmen  mit  einer  Bcrtholdseben  Predigt  (ed.  Franz  Pfeiffer,  I,  1862,  S.  60 
Zeile  16  n.  17)  überein:  „Unde  da  von  sprichet  ein  heilige  gar  ein  gnot  wort, 
uude  sprichet  also“.  Woher  aber  das  Zitat  stammt,  ist  noch  nicht  festgestellt. 

•)  s.  8.  60. 


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60 


Im  X.  Falle  (Scliauspielergewerbe)  ist  nur  des  Spielmanns- 
Berufes  gedacht,  und  zwar  in  Anknüpfung  an  eine  Formel, 
wonach  es  darauf  ankommt,  ob  mau  „Gut  für  Ehre  nimmt“1): 


v.  Lassberg: 
„8 wer  diez  bat 
ge8etzet  d&z  ist 
gar  ein  gfit  ge- 
sezed  daz  man 
den  menscben 
an  dem  totbete 
eins  gescbefedes 
nit  irren  aol. 
wau  er  wii  in 
siner  ewigen 
selicbeit  berov- 
ben.  wan  als  der 
mcusche  an  ei- 
nem tot  bete  lit 
so  mac  er  wol 
sin  dinc  schaf- 
fen. dazerimer 
me  der  behalten 
ist.  als  aber  dir 
sele  her  vz  ku- 
mct.  sone  mag 
er  frrbaz  nie- 
mer mer  weder 
gewelen  noch 
entwelen“. 


Gengier: 
„Ez  ist  ein 
gut  reht,  swer 
daz  gesezet 
bat,  daz  den 
menscben  ni- 
man  irren  so) 
au  der  sele  ge- 
scbefede ; wan 
als  der  tnen- 
sche  tot  gelit, 
so  enmac  er 
fütbaz  nimer 
mer  weder 
gewelen  noch 
entwelen*. 


v.Rockinger: 
„swer  dis  reht 
hat  gesczzet  der 
hat  es  gar  sae- 
liklichen  gesez- 
zet , wan  man 
den  mentschen 
nilit  gftter  din- 
ge irren  sol  an 
sinemtode:  wou 
di  wile  er  leben 
und  reden  mag, 
so  mag  er  im 
se(I)ben  wol  ge- 
belfen  von  der 
ewigen  marter 
in  die  ewigen 
vroede;  für  das 
aber  ain  meusch 
erstirbet.somag 
er  fUrbas  nie- 
mer weder  ge- 
wellennochent- 
wellen“. 


Kulm: 

„das  ist  gar  eyn 
gut  gesetze. 
Wenne  der  inen- 
sche  an  syme 
totbette  (al.  en- 
de) lyt.  so  ist 
daz  alle  syner 
Salden  eyu  bort. 
daz  em  denne 
got  ruwe  vnd 
andachtvorlyet. 

Vnde  wenne 
denne  das  kynt 
des  vatir  vnd 
mutiryrret  das 
hat  myt  rechte 
syn  erbeteyl 
vorlorn  (Codex 
Altenbg. : ver- 
woricht).  wenne 
noch  syme  tode. 
so  en  mag  der 
mensche  wedir 
wellen  noch  ent- 
wellen“. 


Franz.  Text: 
„ eist  droit  ha 
mixen  bien  ahu- 
rous  quar  nui 
nedoit  lomeam- 
pagier  on  puint 
de  la  mort  de 
faire  sou  testa- 
ment  tandix 
quant  il  vit  et 
puet  aleret  par- 
ier adonques  li 
vaut  ce  que  il 
fait  de  bien  por 
sarme  et  la  de- 
livre  de  la  pain- 
ne  danfer  qui 
tot  ior  dure.  et 

10  met  en  la  ioe 
permangniable. 
quar  quant  li 
hons  est  mors, 
se  ne  li  vaut 
un  festu  (Stroh- 
halm) voleuraon 
ne  voleurs  que 

11  puisse  faire“. 


Der  Inhalt  der  Ausführung  ist  trotz  ihrer  verschiedenartigen  Fassung 
ziemlich  klar:  Wer  den  Menscben  an  der  Errichtung  seines  letzten  Willens 
hindert,  der  gefährdet  das  Seelenheil  des  Erblassers,  er  will  ihn  seiner 
ewigen  Seligkeit  beraubeu,  wie  cs  bei  v.  Lassberg  heisst.  Denn  wenn  der 
Mensch  auf  seinem  Totbette  liegt,  mag  er  seiner  Seele  Heil  wohl  schaffen, 
er  kann  'sich  selber  helfen  von  der  ewigen  Marter  zur  ewigen  Freude  (so 
v.  Rockinger;  in  grösserer  Ausführlichkeit  der  französische  Text).  Ist  er 
aber  gestorben,  so  ist  cs  zu  spät:  er  kann  dann  weder  mehr  wollen  noch 
nicht  wollen.  Deshalb  ist  es  ein  gar  gutes  Gesetz,  welches  der  Kaiser 
Justinian  gegeben  hat.  — Lexer,  Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch,  I, 
1872,  S.  982,  s.  v.  ge-welen,  erklärt  freilich  dieses  Wort,  unter  Bezugnahme 
auf  die  vorliegende  Stelle,  für  „waelen“. 

')  Vgl.  cap.  310,  wo  die  Formel  ebenfalls  auf  Spielleute  angewendet 


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61 


es  muss  der  Sohn  wider  seines  Vaters  Willen  Gut  für  Ehre 
genommen  haben , und  es  darf  dies  der  Vater  selber  niemals 
getan  haben,  er  muss,  wie  es  öfters1)  heisst,  „ein  Ehrmann“ 
gewesen  sein. 

Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter),  welcher  Fall  in  dieser 
Gruppe  der  Überlieferung  überall  der  letzte  ist,  wild  von  der 
„ungeratenen“  Tochter  verstanden  — „de  fole  vie.“  heisst  es  in 
der  französischen  Übersetzung2)  — , deren  Vergehen  darin  be- 
steht, dass  sie  „man  zv  ir  leit“  ohne  den  Willen  des  Vaters; 
der  französische  Text  spricht  von  „darler  au  bordel“,  Brünn 
von  „Brechen  des  Maidtums“.  Vorausgesetzt  ist  aber  immer, 
dass  sie  noch  nicht  25  Jahre  alt  ist.  „Kommt  sie  über 
25  Jahre,  so  mag  sie  ihre  Ehre  wohl  verlieren8),  aber  ihr  Erbe 
kann  sie  niemals  verlieren“.  Die  Schlussworte  stammen  aus 
dem  Sachsenspiegel,  werden  indessen  dort  ohne  Rücksicht  auf 
den  Unterschied  im  Lebensalter  gebraucht4).  Einige  Texte 
(so  Wien,  Brünn  und  v.  Rockinger)  fügen  auch  die  römische 
Begründung  hinzu:  dass  man  ihr  (vor  25  Jahren)  sollte  durch 
Verschaffung  eines  ehelichen  Mannes  geholfen  haben.  Übrigens 
gehen  die  hierher  gehörigen  Recbtsbücher  in  Ansehung  des 
Distinktionsalters  auseinander:  Wien  setzt  20  Jahre  fest,  Rup- 
recht 24,  Kulm  sogar  nur  14,  womit  freilich  nicht  alle  Hand- 
schriften tibereinstimmen. 

Fall  XII  betrifft  des  Vaters  Krankheit  oder  Siechtum, 
wenn  dies  dazu  führt,  dass  er  „unsinnig“  oder  „töricht“  wird 
oder  „von  seinem  Wissen  kommt“  und  der  Sohn  ihn  nicht  „in 
den  Unsinnen  bewaret“,  „behütet“  oder  „fleissiglich  pflegt“ 
(Brünn),  wobei  Kulm  wieder,  wie  bei  Nr.  II,  auf  das  vierte 

wird.  Über  ihre  Bedeutung  s.  neuerdings  Frensdorff  in  den  Hansischen 
Geschirhtsblättern , 1907,  S.  37  ff.  Er  erklärt:  um  Lohn  Ehrenbezeugungen 
erweisen.  Man  könnte  freilich  auch  verstehen:  fremdes  Gut  nehmen  und  die 
eigene  Ehre  dafür  hingeben,  in  Erinnernng  an  den  eigentlichen  Grnud  der 
Unehrlichkeit,  den  die  Römer  mit  „quaestus  causa“  bezeichnet  haben.  Ruprecht 
von  Freising  hat  übrigens:  „gnet  für  ere  wigtt“,  Kulm:  „gut  vor  ere  gewan*. 

')  So  bei  v.  Rockinger  und  Wien. 

*)  Man  erinnere  sich  der  ,lnxuriosa  vita“  des  Autbentikums,  des  „tur- 
piter  vivere*  bei  Julian. 

’)  Der  Codex  Altenberger  schiebt  ein:  „mit  mannen“. 

*)  Sachsensp.  I,  5,  2;  vgl.  oben  S.  49  N.  4. 


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62 


Gebot  verweist.  Der  XIII.  Fall  lieisst  einfach:  vom  Gefängnis 
nicht  lösen:  and  umschliesst  daher,  wie  bemerkt,  nicht  allein 
den  Fall  der  Kriegsgefangenschaft,  sondern  auch  den  bei  Nr.  VIII 
(Gefangenschaft)  fortgelassenen  Teil  jenes  Grundes. 

Endlich  schiebt  die  Schwabeuspiegel-Grappe  vor  dem  letzten 
(XI.)  Falle  noch  einen  neuen  ein,  welcher  auf  römischem  Boden 
nicht  gewachsen  ist,  vielleicht  aber  auf  kanonischem,  wenn 
man  sich  der  Fassung  des  VII.  Grundes  (Sykophantie)  in  der 
kanonischen  Glosse:  „si  ex  dilapidatione  lilii  etc.“  erinnert“1). 
Es  handelt  sich  um  Verschwendung,  und  zwar  in  der  Weise, 
dass  der  Sohn  des  Vaters  Gut  über  die  Hälfte  seines  Betrages 
hinaus  („me  danne  lialbez“)  vertut  „mit  vnrechter  wise“  oder 
„mit  unfuer  (oder:  vngefiir)“  oder  „unnuczichleichen“  (Brünn); 
die  französische  Übersetzung  sagt:  „folemant  et  an  lecherte“. 
Eine  Enterbung  wegen  Verschwendungssucht  kennen  auch 
andere  ältere  germanische  Rechte*),  insbesondere  ist  sie  in  einer 
an  die  römische  exheredatio  bona  mente  erinnernden  Form  auch 
dem  Kleinen  Kaiserrechte  bekannt3),  indessen  die  Schöpfung 
einer  neuen  Art  von  laesio  enormis  durch  Festsetzung  der 
Vergeudung  über  die  Hälfte  scheint  auf  eine  Erfindung  des 
Spieglers  hinauszulaufen. 

Soweit  die  Schwabenspiegelgruppe.  Der  Redaktor  der  dem 
Deutschenspiegel  angegliederten  11  Enterbungsfälle  war  sich, 
wie  die  Bemerkung  bei  Nr.  IX  (Testierhindernis)  zeigt*),  der 
Entlehnung  aus  dem  Justinianischen  Recht  wohl  bewusst,  wenn 
er  auch  unmittelbar  aus  diesem  nicht  geschöpft  haben  sollte5). 
Aber  die  von  ihm  gebrachten  Abweichungen  vom  Originale, 
wie  etwa  bei  Nr.  VIII  (Gefangenschaft),  nur  als  „Ungenauig- 
keiten“ zu  betrachten6),  wird  nicht  ohne  weiteres  augehen, 
wenn  auch  zuzugeben  ist,  dass  das  Rechtsbuch  im  allgemeinen 
„eine  verwirrte  Kompilation  voll  von  Widersprüchen  und  Miss- 
verständnissen“ 7)  darstellt.  Denn  gerade  in  der  vorliegenden 

')  Obeu  S.  35. 

*)  Vgl.  Stobbe,  Deutsch.  Privatr.,  V S.  247  Nr.  3. 

*)  II,  10;  s.  oben  S.  54  N.  4. 

*)  Oben  S.  59. 

*)  Vgl.  J.  Merkel,  De  republica  Alaniaunorutn,  1859,  S.  % N,  14. 

*)  So  Zoepfl,  Deutsche  Rechtsgeschichte,  4.  Aull.,  I S.  116  N.  13. 

’)  Vgl.  Stobbe,  Uesebichte  der  iltsch.  Rechtsquellen,  1 S.  342, 


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63 


Materie  sind  diese  Abweichungen  nicht  so  erheblich,  um  sie  zu 
Missverständnissen  stempeln  zu  müssen. 

Von  grösstem  Interesse  wäre  freilich  ein  Nachweis  über 
die  Quelle  dieser  Darstellung.  Er  kann  hier  nicht  gegeben 
werden  Aber  es  ist  nicht  unwichtig,  festzustellen,  dass  in 
mancher  Hinsicht  mit  der  vorliegenden  Form  die  Überlieferung 
tibereinstimmt,  welche  sich  in  der  etwa  den  Jahren  1340—1348 
zuzurechnenden  *)  Summa  legum  des  Raymund  von  Wiener- 
Neustadt  findet,  deren  Identität  mit  der  früher  einem  Unbe- 
kannten zugeschriebenen  Arbeit8)  nunmehr  als  erwiesen  anzu- 
sehen ist,3). 

Hier  beginnt  die  Aufzählung  ebenfalls  mit  dem  VI.  Grunde 
(Inzest):  „si  legitimam  vxoreni  patris  violant  (M. : cognoscunt)“, 
wobei  die  Konkubine  offenbar  absichtlich  fortgelassen  ist. 
Ebenso  wird  mit  dem  XI.  Grunde  (Ungehorsam  der  Tochter) 
geschlossen,  und  zwar  wird  aus  demselben  im  Drucke  ein  be- 
sonderes Kapitel  (LVIII)  gemacht  mit  der  Überschrift:  „Ex- 
heredatio  filiarum“ : ausserhalb  der  im  vorhergehenden  für  die 
„Exheredatio  heredum“  angeführten  14  Gründe4),  und  es  heisst: 
„Exheredatur  similiter  filia  quando  degenerat  hoc  est  (M. : sci- 
licet)  quando  ante  XX Vs)  annos  meretricatnr“ . Tut  sie  es 
nach  Erreichung  dieses  Lebensalters  — so  wird  fortgefahren, 
und  zwar  mit  der  dem  Sachsenspiegel  entlehnten  Bemerkung  — 
„tune  (M.  ins.  bene)  perdit  (M.  perdet)  honorem,  sed  non  liere- 
ditatem“.  Dann  aber  wird  weiter  unterschieden:  wenn  die 

‘)  So  nach  Tomaschek  in  den  Sitzungsberichten  der  phil.-histor.  Kl. 
der  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  (Wien),  Band  105  (1883)  S.  309. 

•)  So  Tomaschek  a.  a.  0.  S.  241  ff. 

*)  Durch  Seckel,  Beitrüge  zur  Geschichte  beider  Rechte  im  Mittelalter, 
I,  1898,  S.  483  ff.  Der  Darstellung  des  Textes  ist  der  Druck  im  .commune 
incliti  Polonie  Regni  privileginm  etc.“,  Cracoviae  1506,  nach  Bl.  CCLXIII 
(Bl.  XXIII  b)  zugrunde  gelegt  — Lib.  II  cap.  57:  „exheredatio  heredam“, 
cap.  58:  „exheredatio  filiarum“  — , unter  Vergleichung  der  bei  Seckel  S.  486 
angeführten  Münchener  Handschrift  Nr.  22359  (M),  Bl.  237  a. 

*)  Auf  diese  Weise  würden  hier  die  15  Gründe,  welche  der  Codex 
Altenberger  in  der  Überschrift  nennt  (oben  S.  56  N.  1),  in  der  Tat  heraus- 
kommcii.  Vgl.  unten  S.  64  N.  2 die  Aufzählung. 

*)  Der  Druck  hat  XV  annos;  andere  Lesarten:  XX  und  XXIV  s.  bei 
Tomaschek  a.  a.  0.  S.  285/6. 


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64 


Tochter  nach  zurückgelegtem  18.  Jahre  wider  den  Willen  der 
Eltern  (M.:  oder  des  Vormundes,  falls  sie  keine  Eltern  hat) 
einen  „legitimen“  Gatten  nimmt,  so  verliert  sie  weder  „res“ 
noch  Ehre;  wenn  bereits  nach  dem  12.  Jahre:  „tune  demeretur 
paternas  res.  sed  non  honorem“.  Diese  Bestimmungen,  hin- 
sichtlich welcher  übrigens  die  Lesarten  schwanken,  beruhen 
offenbar  auf  deutschrechtlichen  Einflüssen  *). 

Ausser  solcher  in  der  Anordnung  des  ersten  und  des 
letzten  Falles  bestehenden  Übereinstimmung  zeigt  die  Reihen- 
folge der  Fälle  in  der  Summa  keinerlei  Ähnlichkeit  mit  der- 
jenigen der  Schwabenspiegelgruppe,  vielmehr  herrscht  hier 
gegenüber  dem  römischen  Originale  eine  wilde  Unordnung*). 
Die  Nr.  XIV  (Ketzerei)  ist  zwar,  wie  dort,  ausgelassen,  aber 
der  im  Schwabenspiegel  fehlende  Fall  V (Lebensnachstellung) 
ist  hier  als  12.  (M. : 11.)  vorgetragen:  si  patri  mortem  machi- 
nantur.  Nr.  VII  (Sykophantie)  fehlt.  Von  den  Gründen  für 
Kinder  äst  gar  nicht  die  Rede. 

Indessen  finden  sich  noch  andere  Ähnlichkeiten,  so  die 
Einstellung  des  Falles  aus  dem  Mainzer  Landfrieden:  „si  patrem 
indebite  captivant“,  und  die.  des  Verschwendungsfalles:  „si  bona 
paterna  dilapidant“ : freilich  ohne  Erwähnung  der  laesio  enor- 
mis.  Ferner  werden  die  „malefici“  des  IV.  Falles  als  „fures 
et  latrones“  aufgefasst8),  bei  Nr.  VIII  wird  nur  die  Bürg- 
schaftsverweigerung hervorgehoben : „si  in  licitis  (M. : pro  debitis) 
pro  patre  (M.:  ante  patrem)  fideiubere  nolunt“  und  bei  X 
(Schauspielergewerbe)  wenigstens  in  der  Münchener  Handschrift 
die  Bemerkung  beigefügt;  „recipientes  res  ante  honorem“. 

')  Vgl.  Scliwabensp.  cap.  66,  wonach  die  Ehe  einer  Ober  12  Jahre  alten 
Jungfran,  die  wider  ihres  Vaters  oder  ihrer  anderen  .Freunde“  Willen  sich 
verheiratet,  „stete“  ist.  Mit  18  Jahren  unterscheidet  Knymuud  (I,  21)  ,per- 
fecte  puberes“  (die  plena  pubertas  Justinians)  von  den  „semipuberes“  mit  12 
(resp.  14)  Jahren.  Vgl.  auch  die  Skala  des  perdere  honorem,  sed  non  here- 
ditatem  — perdere  neque  res  neque  honorem  — perdere  res  et  non  honorem 
in  den  Fällen  des  „ciuitatem  interdicere*  (I,  25).  Nicht  ganz  genau  berichtet 
Stobhe,  Privatreeht,  V,  §280  N.  9 (S.  15)  nach  Tomnschek. 

*)  Hie  Anordnung  ist  folgende:  Nr.  VI,  IX,  VIII  (bloss  Bürgschafts- 
verweigerung), Mainzer  Landfr.  c.  2,  XIII,  Verschwendung,  XII,  III,  II,  I, 
Verwundung  des  Vaters,  V.  X,  IV,  XI. 

*)  Vgl.  oben  S.  67. 


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05 


Von  Besonderheiten  in  der  Summa  sind  folgende  beachtens- 
wert: nach  dem  ersten  und  zweiten  Grunde:  „si  patrem  suum 
(M.  om.)  sine  causa  vituperant,  si  patrem  (M.  om.)  verberant“: 
die  Einfügung  im  Drucke:  „si  patrem  vulnerant“;  bei  III 
(Kriminalanklage)  die  Fortlassung  der  Ausnahmen;  bei  IX 
(Testierhindernis)  der  Zusatz:  „si  indebite  testamentum  patris 
impediunt“;  bei  X (Schauspielergewerbe)  der  Ausdruck:  „si 
filii  degenerant“  — wie  bei  Nr.  XI  für  die  Tochter  — „et 
hystriones  flaut“,  wozu  H.  fügt:  „lenones  ioculatores  efficiantur“; 
bei  Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  die  Fassung:  „si  patri  necessaria 
(M.  negocia)  non  ministrant  (M.  administrant1));  endlich  die 
Verbindung  von  Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft)  mit  Nr.  VIII 
(Gefangenschaft):  „si  ab  , honesta1  captivitate  patrem  non 
liberant“. 

Das  Ergebnis  dürfte  sein,  dass  sicherlich  zwischen  der 
Summa  und  der  Schwabenspiegelgruppe  in  der  vorliegenden 
Materie  eine  enge  Verwandtschaft  besteht.  Aber  die  Unter- 
schiede zwischen  beiden  lassen  darauf  schlossen,  dass  entweder 
die  Summa  neben  dem  Schwabenspiegel  selbst  eine  andere  un- 
bekannte Quelle  benutzt  hat8),  oder  dass  beiden  eine  solche 
als  gemeinsame  zugrunde  liegt,  aus  der  sich  ihre  Überein- 
stimmungen erklären.  Eine  unmittelbare  Benutzung  des  römi- 
schen Originales  lässt  sich  auf  keinen  Fall  begründen 3). 
Dennoch  ist  die  Summa  römischer  als  der  Schwabenspiegel. 
Dies  zeigt  sich  noch  in  folgendem.  Die  Aufnahme  der  s.  g. 
Enterbungsgründe  in  den  Spiegel  ist  zweifellos  in  dem  Sinne 
eines  Verlustes  oder  einer  „Verwirkung“  des  Erbrechtes,  wie 
sie  die  deutschen  Rechtsquellen  kannten  4)>  ohne  die  Voraus- 
setzung einer  Enterbungserklärung  erfolgt'').  Wenn  dennoch 


‘)  Vgl.  I,  39,  de  snspectis  tutoribus:  „Tertio  si  pupillis  necessaria  non 
rainistraverit“,  und  1,23:  ,quando  (patres)  ipsis  (filiis)  necessaria  non  ad- 
ministrant“. 

s)  Eine  Benutzung  des  Schwabenspiegels  durch  die  Summa  hält  auch 
Tomaschek  für  möglich,  der  sich  allerdings  a.  a.  0.  S.  2(59,  284/5  vorsichtig 
darüber  änssert. 

*)  So  auch  Seckel  a.  a.  0.  S.  500  N.  62  gegen  Tomaschek. 

4)  Vgl.  oben  S.  26  und  46  ff. 

*)  Vgl.  schon  v.  Kreittmayr,  Anmerkungen  über  den  Codicetn  Maximil. 

Merkel,  Knterlmnus&ruudo  5 


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66 


der  Spiegel  dem  Vater  gestattet,  seine  Kinder  „durch  seinen 
Willen  seines  Gutes  zu  enterben“1),  und  darüber  „Hantveste“ 
zu  machen,  vorausgesetzt,  dass  sie  nach  den  vorstehenden  Be- 
stimmungen eben  ihr  Erbe  verwirkt  haben,  so  dürfte  darin 
nicht  ohne  weiteres  eine  Einführung  der  römischen  Enterbung 
zu  erblicken  sein2),  vielmehr  eine  Enterbung  im  deutschrecht- 
lichen Sinne5),  indem  der  Vater  durch  Urkunde  über  sein  Ver- 
mögen anderweitig  ohne  Berücksichtigung  der  Kinder  verfügen 
darf.  Tut  er  dies,  ohne  dass  ihm  ein  Verwirkungsgrund  zur 
Seite  steht,  so  können  die  Kinder,  sobald  sie  zu  ihren  Tagen 
gekommen  sind,  d.h.  das  Alter  von  14  oder  12  Jahren  erreicht 
haben,  ihm  die  Handveste  „mit  Recht  brechen“,  oder  sie  können 
nach  seinem  Tode  vor  Gericht  klagbar  werden,  dass  der  Richter 
sie  ihres  Gutes  „gewaltig  mache“.  — Auf  entschieden  dem 
römischen  Recht  angenähertem  Standpunkte  steht  dem  gegen- 
über die  Summa.  Sie  ist  sich  ebenfalls  bewusst,  „nouum  ius“, 
d.h.  Novellenrecht  zu  schildern4),  und  definiert5):  „Exheredare 
(M.  exhereditare)  est  aliquem  de  liberis  suis  uominatim  ex 
(M.  cum)  causa  a legibus  appiobata  ab  hereditate  repellere6) 
sic  dicendo:  N.  filium  meum  exheredo  quia  insidias  mortis  mihi 
per  venenum  poculum  praeparavit  (M.  praeparat)“.  Dies  hat 

Bavaricuni  civilem,  HI.  Teil,  1764,  S,  344  (zu  111,3,  §§  XVI — XVIII):  ,Iu 
Deutschland  ist  die  Art  und  Weis,  auf  Römischen  Fuss  za  enterben,  sehr 
spät  angenommen  worden,  doch  macht  das  Jus  Alemanicum  und  der  Schwaben- 
Spiegel  allschon  Meldung  davon.  Man  jagte  vor  diesem  ungerathne  Kinder 
schlechterdings  zum  Haus  hinaus,  und  dieses  war  bey  den  alten  Deutschen 
das  nemlicbe,  was  bey  den  Römern  exhaeredatio  gewesen  ist“. 

')  cap.  354. 

*)  A.  M.  Siegel,  Erbrecht  S.  133,  nndZoepfl,  Dtscb. Rechtsgeschichte, 
III,  § 121,  N.  4,  offenbar  auch  v.  Krcittmayr  a.  a.  0.  — Stobbe,  Dtscli. 
Privatreclit,  V,  § 306,  N.  6 (S.  248),  bezeichnet  die  Bestimmungen  in  cap  15 
als  „Indignität“,  die  in  cap.  354  enthaltenen  als  „Enterbung“,  aber  gegen 
die  erstere  Bezeichnung  muss  ebenso,  wie  oben  zu  8.  46  N.  3,  Einspruch  er- 
hoben werden. 

*)  Wie  oben  S.  46  ff. 

*)  Es  heisst  (cap.  58):  „Xcc  iure  uouo  est  aliqua  differentia  inter  tili uiu 
et  filiam  in  inslitutioue  heredis  ( M heredum)  aut  successione  hereditatum  etc.“ 

»)  fot.  XXIII  a:  cap.  LV;  M.  Bl.  236  b. 

*)  Vgl  diesen  Ausdruck,  vielleicht  nach  Julian,  in  germanischen  Rechts- 
quellen oben  S.  26  ff. 


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67 


jedenfalls  eine  ausdrückliche  Erklärung  zu  bedeuten,  wenn  die- 
selbe auch  nicht  in  Testamentsform  gedacht  sein  sollte. 

Nächst  der  Schwabenspiegelgruppe  kommen  die  Sächsischen 
Glossenarbeiten  für  die  deutsche  Überlieferung  der  Enterbungs- 
fälle in  Betracht. 

V.  Der  Glossator  des  Sachsenspiegels,  Johann  von  Buch, 
verarbeitet,  zum  ersten  Male  in  deutscher  Sprache,  sämtliche 
Fälle,  allerdings  nur  die  für  Aszendenten,  in  der  Reihenfolge 
des  Originales,  nur  dass  er  die  Fälle  VIII  (Gefangenschaft)  und 
IX  (Testierhiudernis)  den  Platz  tauschen  lässt.  Er  stellt  die- 
selben in  der  Anmerkung  zu  Titel  I,  17:  „Wer  des  andern  erbe 
nemen  möge  usw.“:  dar,  und  bezeichnet  als  seine  Quellen  so- 
wohl das  römische  als  das  kanonische  Recht l),  ausserdem  aber 
an  anderer  Stelle  (zu  I,  3)2),  wo  er  auf  diese  Materie  zurück- 
kommt, auch  Nov.  92,  ls)  und  den  Mainzer  Landfrieden4). 
Diesen  Vorlagen  folgt  er  aber  in  ziemlich  freier  Weise  und 
namentlich  mit  bedeutender  Kürzung,  auch  wird  trotz  des 
kanonischen  Vorbildes  Nr.  XIV  (Ketzerei)  eingestellt.  Die 
Fassung,  welche  er  den  einzelnen  Fällen  gibt6),  klingt  manch- 
mal an  Bekanntes  an,  so  beim  I.  Grunde:  wenn  das  Kind  den 
Vater  „stot  edder  schleit“8),  beim  III.:  wenn  es  den  Vater 
„wruget  vp  id  lyff“ 7).  Anderes  ist  original  — so  II  (Real- 
injurie): „mit  grossem  Unrecht  unehren“,  VII  (Sykophantie): 
„oft  id  (das  Kind!,  nicht  bloss  der  Sohn,  wie  nach  der  Novelle) 
ene  uiet  aneuechtinge  vppe  grote  kost  toge“  — oder  schliesst 
sich  dem  Sprachgebrauche  des  Sachsenspiegels  an,  wie  die 
Wiedergabe  der  malefici  in  Nr.  IV  als  Zauberer:  „mit  Zauberei 
oder  mit  Zauberern  umgehen“8),  bei  Nr.  V:  „des  Vaters  Todes 

*)  d.  h.  Nov.  115,  3 und  die  kanonische  Glosse  (oben  S.  35). 

*)  Bl.  IX. 

*)  S.  oben  S.  4 N.  4. 

‘)  Es  wird  zitiert:  „de  nye  settinge  de  begiut:  Wy  Albrecht“ ; vgl. 
Boehlau,  Nove  const.,  S.  1 N.  3. 

*)  Hier  ist  die  Ausgabe:  „Sassenspegel  — snu  den  Leenrecht  und  Richt- 
steige“, Augsburg  1516,  BI.  XXb  benutzt.  Auch  Boehlau  a.  a.  0.  S.XX  druckt 
die  hierher  gehörige  Stelle  ab  und  Steffenhagen:  Wiener  Sitzungsber.  129  S.  19. 

*)  Vgl.  Kleines  Kaiserrecht,  oben  S.  53. 

’)  Vgl.  Wiener  Stadtrecht  und  Ruprecht  von  Freisiug  obeu  S.  56  N.  3. 

*)  Vgl.  Sachsensp.il,  13,7 : „mit  zcoubere  umme  gOt  oder  mit  vergifnisse“. 

5* 


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68 


ramen“  *),  die  Bezeichnung  der  Konkubine  in  Nr.  VI  als  „amie“  *) 
und  der  Ketzerei  in  Nr.  XIV  als:  „ vngelouich“  sein8).  Von- 
Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  an  bis  XIII  (Kriegsgefangenschaft) 
spricht  der  Glossator  nur  vom  Sohn,  während  vorher,  selbst 
bei  Nr.  VI  (Inzest)1),  stets  das  Kind  genannt  war.  Infolge- 
dessen wird  Nr.  IX  (Testierhindernis),  wie  bei  Julian s),  auch 
nur  auf  den  Sohn  bezogen,  und  zwar  in  der  Form:  „oft  dy 
sone  vorbode  den  vater  alniissen  tho  geuen“.  Ein  eigentüm- 
liches Missverständnis  läuft  dem  Glossator  beim  XI.  Falle  (Un- 
gehorsam der  Tochter)  unter,  den  er  so  darstellt:  „oft  he  (der 
Sohn!)  vorbode  syner  dochter  thu  beradene“,  was  in  der  Glosse 
zum  Lehenrechte  des  Sachsenspiegels  noch  deutlicher  ausgedrückt 
wird:  „Efft  de  son  verbode  syme  vadere  dat  he  syne  dochter 
nicht  beraden  scholde,  dat  de  dochter  werde  ein  vngeraden 
wyff“.  Man  könnte  auf  die  Vermutung  kommen,  dass  diese  Fassung 
auf  eine  Verkennung  des  Ausdrucks  „ungeratene“  Tochter,  wie 
er  im  Schwabenspiegel  steht6),  zurückzuführen  sein  dürfte,  und, 
wenn  dies  der  Fall  ist,  so  bleibt  immerhin  die  Umkehr  des 
Enterbungsgrundes  von  der  Tochter  auf  den  Sohn  auffällig 
genug.  Der  XIII.  Fall  (Kriegsgefangenschaft)  lautet  bei  v.  Buch 
nur:  „off  he  syne  nicht  losede“. 

Die  Wirkung,  welche  das  Vorhandensein  eines  dieser 
Gründe  („saken“  nennt  sie  v.  Buch)  hat,  bestimmt  der  Glossator 
dahin,  dass  der  Vater  „durch  sie“  sein  Gut  „nicht  erben  darf 
auf  seine  Kinder“  oder  wie  es  an  dem  andern  oben  angeführten 
Orte  (zu  I,  3)  heisst,  dass  er  sie  deshalb  „eruelos  machen“ 
kann.  Dies  ist  offenbar,  wenn  man  das  Zitat  aus  dem  Mainzer 
Landfrieden  hinzuniuiuit  und  sich  des  dort  vorgeschriebenen 


')  Vgl.  Sachsensp.  11,38:  „als  her  rfunet  eines  Vogels“.  Vgl.  auch 
Deutschen?!!,  cap.  148  und  Schwabeiisp.  cap.  182. 

*)  Vgl.  Sachsensp.  111,46,1.  Über  dieses  dem  süddeutschen  Sprach- 
gebrauehe  fremde  Wort  vgl.  auch  v.  Maurer,  Das  Stadt-  und  das  Land- 
rechtsbuch Ruprechts  von  Freysiug,  S.  XC  und  S 215  X.  13. 

*)  Vgl.  Sachsensp.  II,  13,  7. 

Dies  findet  sich  öfters,  z.  B.  im  Brachylogus,  oben  S.  25,  uud  bei 
Raymund,  oben  S.  63. 
s)  Oben  S.  22. 

•)  Obcu  S.  61. 


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69 


Verfahrens  erinnert1),  im  Sinne  einer  deutschreclit liehen  Ent- 
erbung gemeint. 

Die  Glosse  zum  Lehenrechte  des  Sachsenspiegels  *)  stimmt 
mit  der  Landrechtsglosse  im  ganzen  überein,  aber  es  fehlt 
Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  und  eigentlich  auch  Nr.  XIII  (Kriegs- 
gefangenschaft), welches  nur  durch  die  allgemeine  Fassung  von 
Nr.  VIII  (den  Vater  nicht  lösen,  ob  er  gefangen  wäre)  mit  ge- 
deckt wird.  Die  ursprüngliche  Reihenfolge  ist  wieder  voll- 
ständig hergestellt.  Im  Falle  IV  aber  soll  schon  das  Umgehen 
mit  „vngelowen“  der  Zauberei  gleichstehen,  bei  Nr.  VI  ist  die 
amie  fortgelassen,  bei  Nr.  IX  (Testierhindernis)  findet  eine  Ein- 
schränkung auf  den  Sohn  nicht  mehr  statt,  die  letztwillige 
Verfügung  heisst  hier,  wie  in  der  Brünner  Schöffensatzung s) : 
seelgerede  tho  donde.  Nr.  X wird  auf  Kinder  überhaupt  be- 
zogen, welche  „ein  speelman  edder  ein  ander  gerade  mau“ 
werden.  Nr.  XIV  heisst  hier:  in  Ketzerei  fallen  und  wider 
den  Christenglauben  sein,  wird  aber  nur  vom  Sohne  ausgesagt, 
wie  im  Brachylogus  und  in  der  Petrusgruppe4).  Die  Auffassung 
der  Bedeutung  dieser  Fälle  für  „rechte  vnde  redelken  erueloss“ 
werden  und  für  „Vorwerken“  von  „eruedeel  vnde  angeuel“  ist 
dieselbe  wie  in  der  Landrechtsglosse. 

Besonders  häufig  hat  sich  mit  den  Enterbuugsgrttnden,  und 
zwar,  wie  es  scheint,  auch  nur  mit  den  für  Eltern  bestimmten, 
Nikolaus  Wurm  beschäftigt,  so  dass  von  ihm  gesagt  werden 
konnte,  dieser  Katalog  gehöre  zu  den  Lieblingsbeschäftigungen 
des  schreibseligeu  Mannes6).  Er  bringt  die  Fälle  an  in  seiner 
Glosse  zum  Sachsenspiegel  ®),  in  derjenigen  zum  Mainzer  Land- 
frieden7), in  der  „Blume  von  Magdeburg“8)  und  in  der  aus 


')  Oben  S.  47  ff. 

*)  a.  a.  0.  (S.  67  N.  ö)  Bl.  XXV  b ff. 

*)  Oben  S.  59. 

*)  Oben  S.  25  und  29. 

5)  Boehlan,  Nove  constitutione«,  S.  XVI. 

•)  Daselbst  S.  XX.  Über  die  Handschrift,  welcher  diese  (Jlosse  ent- 
nommen ist,  s.  jetzt  Neues  Lnusitzisches  Hagazin,  Band  82  (1906)  S.  236  ff., 
besonders  S.  241. 

7)  Bei  Boehlau  a.  a.  0.  S.  8/9. 

•)  Uerausgegeben  v.  Boehlau,  1868,  8.9411.:  Particula  II,  1,  cap.48— 64. 


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letzterer  kervorgegangenen  „Blume  des  Sachsenspiegels ').  Er 
hat  die  vierzehn  Fälle  vollzählig  und  in  der  Reihenfolge  des 
Originales  dargestellt8),  und  lehnt  sich  in  bezug  auf  die  Form, 
welche  er  ihnen  gab,  vielfach  an  die  Glosse  zum  Sachsen- 
spiegel an. 

Der  Ausdruck,  welchen  die  Landfriedensglosse  für  den 
I.  Fall  wählt:  „den  vater  mit  gewaldiger  haut  anvertigen“, 
entspricht  einer  Version  des  Mainzer  Landfriedens*).  Fall  II 
wird  in  der  Landfriedensglosse  so  ausgedrückt:  „mit  swerer 
und  ungerichteter  und  uerlichir  sacke  besweren“,  während  die 
Sacksenspiegelglosse  und  die  Blume  von  Magdeburg  (c.  51)  sich 
mehr  an  v.  Buch  anschlicsseu  („mit  grossen  Unrechten  Sachen 
unehren“),  wozu  die  Blume  noch  die  „Gewalt“  fügt;  an  späterer 
Stelle  (Part.  II,  2,  cap.  268)  spricht  sie  von  „smoheit“  und 
ubilhandlunge“.  Bei  III  wird  nicht  nur  eine  gerichtliche  „Rüge“, 
welche  dem  Vater  an  den  Leib  geht,  berücksichtigt,  sondern 
auch  der  Fall,  weun  es  sich  um  „ere  odir  — gesund“  (Land- 
friedensgl.)  oder  um  „Gut“  (Blume  v.  Magdeb.  c.  50)  handelt, 
ausgenommen  es  wäre  um  „reiches  uorretnis“,  wie  es  in  der 
Landfriedensglosse  heisst,  unter  Verweisung  auf  c.  13  C.  3 q.  54). 

Zu  Nr.  IV  setzt  die  Landfriedensglosse  neben  Zauberer 
und  Zauberei,  ähnlich  wie  der  Sachsenspiegel  (II,  13,  7)5), 
„giftiger“,  die  Sachseuspiegelglosse  spricht  von  der  „schwarzen 
Kunst“,  die  Blume  von  Magdeburg  (c.  52)  von  „Künsten,  die 
in  der  Christenheit  verboten  sind“,  und  sie  fügt  hinzu:  „ob  iz 
der  uatir  geweret  hab  vnd  daz  beweisin  mag  alz  recht  ist, 
vnd  daz  kint  dez  nicht  lazin  weide“. 

Die  Lebensnachstellung  (Nr.  V)  nennt  Wurm  in  der  Land- 
friedensglosse: „mit  gifte  odir  mit  kokilfure  uou  dem  leibe 


*)  Bei  Boeblau,  Novo  const.,  S.  61  ff.  Hier  wird  S.  XVI  auch  noch 
das  s.  g.  Liegnitzer  Stadtrechtsbuch  Wurms  Art.  XII  § 5 angeführt. 

*)  Eine  Ausnahme  macht  nur  die  Blume  von  Magdeburg,  indem  sie  die 
Fälle  II  (Realinjurie)  und  III  (Kriminalanklage)  umstellt. 

*)  Es  ist  die  Version  in  der  (iörlitzer  Handschrift  (oben  S.  69  X.  6)  bei 
Boehlau  a.  a.  0.  S.  3:  „welch  son  seius  uater  leip  frenelichen  anuertiget'. 

*)  „Omnes  qui  adversus  patres  armantur  ut  patrnrn  iuvasores  infames 
esse  censemus  etc.“. 

»)  Oben  S.  68  N.  3. 


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breiigen  (wollen)“,  in  der  Blume  von  Magdeburg  (c.  53)  wird 
die  Bedrohung  der  Mutter  oder  anderer  „mogin“  der  des  Vaters 
und  die  Gewalt  an  Gute,  wie  bei  III,  der  an  Leibe  begangenen 
gleich  geachtet.  Das  „Treiben  auf  Uukost“  oder  auf  „grosse 
Kosten“  im  Falle  VII  (Sykophantie)  „mit  grosser  Anfechtung“ 
oder  „mit  Unrechter  Gewalt“  geschieht  nach  der  Blume  von 
Magdeburg  (c.  55)  „mit  notteiding“,  denn:  „dy  kinder  sullin 
mit  iren  elderen  nicht  czn  teidingin  gen“.  Bei  Nr.  VIII  (Ge- 
fangenschaft) verlangt  die  Landfriedensglosse  vom  Sohne  nur, 
dass  er  den  Vater  von  dessen  eigenem  Gut  löse  oder  ausbürge; 
die  Blume  von  Magdeburg  dehnt  diese  Pflicht  auf  Kinder  aus 
(c.  56).  Ebenso  wird  Nr.  IX  (Testierhindernis)  von  Wurm, 
wie  bei  v.  Buch l)  nur  auf  den  Sohn,  in  der  genannten  Blume 
(c.  57)  aber  auf  alle  Kinder  bezogen.  Dagegen  ist  Nr.  X 
(Schauspielergewerbe)  in  sämtlichen  Wurm  sehen  Arbeiten  auf 
die  Kinder  erweitert,  und  neben  dem  „Spielmann“  figurieren 
hier:  ein  „loter“,  ein  „kempfe“,  ein  „kokeler“  (falls  sich  das 
Kind  „dez  wolde  irneren“,  wie  es  in  der  Landfriedensglosse 
heisst),  ein  Pfeifer,  ein  Singer  (so  in  der  Magdeb.  Blume  c.  58). 
Bei  der  Schilderung  von  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  fällt 
Wurm  in  den  meisten  seiner  Darstellungen  demselben  Missver- 
ständnisse anheim,  wie  v.  Buch,  als  ob  es  sich  darum  handelte, 
dass  der  Sohn  — nach  der  Magdeburger  Blume  (c.  59)  wieder: 
das  Kind!  — dem  Vater  wehrte,  seine  Tochter  „czu  rate  auz 
czu  seczin“  oder  zu  „beratin“,  aber  in  der  Blume  des  Sachsen- 
spiegels steht  der  Fall  richtig:  es  verlobt  sich  eine  Maid  einem 
zur  Ehe  ohne  ihres  Vaters  oder  ihrer  Freunde  Willen  oder 
„dass  sie  hurte  oder  zu  einer  Hergin  geworden  wäre“,  vor- 
ausgesetzt, dass  sie  „noch  nicht  mündig  ist“,  wie  die  Land- 
friedensglosse bemerkt.  In  der  Ausführung  von  Nr.  XII  (Geistes- 
krankheit) und  XIII  (Kriegsgefangenschaft)  verfährt  die  Land- 
friedensglosse viel  eingehender,  als  die  bisherigen  deutschen 
Bearbeitungen,  indem  sie  sich  ziemlich  an  die  Novelle  selbst 
anschliesst;  im  ersteren  Falle  berücksichtigt  sie  auch  die  Mög- 
lichkeit, dass  die  Kinder  „unuornunftig“  d.  h.  unmündig  sind 
und  dass  der  Vater  ihnen  vor  seiner  Erkrankung  einen  Vor- 

’)  Oben  S.  68. 


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72 


mund  gekoren  hat,  welcher  den  „synnelozen“  Vater  nicht  in 
seiner  Hut  hielte:  zwar  sollen  dann  die  Kinder  ebenfalls  „irz 
uaters  hulde“  verlieren  und  infolgedessen  „erbloz“  werden, 
aber  der  Vormund  muss  den  Mündeln  „irz  schadin  irgeczin“. 
Bei  Nr.  XIII,  von  der  Landfriedensglosse  auf  den  Sohn  be- 
schränkt, findet  sich  eiu  Hinweis  auf  die  Bestimmung  in  J.  2, 
1,  8 über  das  Recht  zu  Veräusserung  sakraler  Sachen  zum 
Zwecke  des  Loskaufs  von  Kriegsgefangenen  (C.  1,  2,  21  a.  529), 
und  eine  an  den  Prochiros1)  erinnernde  Ausdehnung  gibt  diesen 
Fällen  die  Blume  von  Magdeburg  (c.  61),  indem  sie  als  Grund, 
weshalb  man  ein  Kind  erbelos  machen  kann,  auch  den  an  führt: 
wenn  eiu  Kind  seinen  Vater  in  Leibes  Nöten  sähe  und  nicht 
bei  ihm  steht  und  ihn  beschirmt  vor  Unrechter  Gewalt,  sondern 
„flüchtig  wird“.  In  der  Darstellung  von  Nr.  XIV  (Ketzerei) 
endlich  sind  die  von  Wurm  gebrauchten  Ausdrücke  verschieden: 
„zu  Unglauben  und  zu  Ketzerei  treten“,  „mit  Unglauben  be- 
fallen“ oder  „in  Ketzerei  gezogen  werden“. 

Die  Landfriedensglosse  hat  übrigens  die  Eigentümlichkeit, 
dass  sie,  wie  der  Deutschenspiegel 2),  die  Enterbungsgründe  auf 
„Ydirmanne“  bezieht,  „der  erbis  von  ymande  wartinde  is“,  wo- 
mit wiederum  die  Auffassung  des  Sachsenspiegels  über  Erbun- 
fähigkeit8) übereinstimmt. 

Von  besonderer  Erheblichkeit  ist  in  den  Wurm  sehen 
„Blumen“  die  Schilderung  des  Verfahrens  für  die  Enterbung, 
welche  hier  an  einer  Reihe  von  Beispielen  erfolgt.  Dies  Ver- 
fahren wird  „Eibiosmacheu“  oder  „Erblosteilen“  „mit  Urteil 
und  mit  Rechte“,  auch  „Erbteilung  versagen“  und  „des  Erbe 
nicht  würdig  vorteilen“  genannt  *).  Es  besteht  darin,  dass  der 
Vater  bei  Lebzeiten  vor  Gericht  den  Sohn  eines  jener  Gründe 
überführen  und  daraufhin  sich  von  dem  Richter  ermächtigen 


■)  Oben  S.  18. 

*)  Oben  S.  51. 

*)  Oben  S.  46  und  48. 

*)  Der  Ansdruck  „unwürdig“  oder  „nicht  wirdig“  kommt  in  der  Blume 
von  Magdeburg  fast  bei  sämtlichen  Entcrbungsgrlinden  vor.  Vgl.  auch  die 
Glosse  zum  Sachsenspiegel:  „virczenleye  weise  nordint  ein  kint  wider  sinen 
uater,  daz  iz  seyues  erbiz  nicht  wirdig  ist“;  auch  Landfriedensglosse  zu 
Sr.  XIII  und  XIV. 


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73 


lassen  muss,  sofort  dem  Kinde  die  väterliche  Treue  und  Gnade 
zu  versagen  und  ihm  alles  Recht  am  Erbgute  zu  nehmen,  wo- 
mit zugleich  das  Ansuchen  um  richterliche  „Bestätigung“  eines 
anderen  Erben  verbunden  werden  kann  *).  Im  IX.  Falle  (Testier- 
hindernis) hat  nach  der  Laudfriedensglosse  ein  ähnliches  Ver- 
fahren von  den  „testamentarii“  des  Vaters  auszugehen:  sie 
können  „ubir  den  son  mit  geczuge  clagin  und  in  erbloz  machin“. 
— Dass  dieses  Verfahren  dem  im  ersten  Kapitel  des  Mainzer 
Landfriedens  geschilderten  entspricht,  ist  schon  oben2)  bemerkt 
worden.  In  der  Blume  von  Magdeburg  wird  es  geradezu  als 
eine  Emanzipation  bezeichnet:  „Lasin  — auz  seinr  gewalt  vnd 
von  im  sunderin,  daz  iz  an  seynem  erbe  keine  ansprache  ge- 
habin  muge  nach  seinem  tode“3);  ja  es  wird  daselbst  auch  der 
Beweis  „selb  dritte“  vom  Vater  gefordert4). 

Zu  der  Gruppe  der  sächsischen  Rechtsbücher  gehört  auch 
das  Rechtsbuch  des  Eisenacher  Stadtschreibers  Johann  Rothe 
(•f  1434),  welches  früher  unter  dem  Namen  einer  Arbeit  des 
Johannes  Purgoldt  bekannt  war4).  Zwar  werden  dort  nur 
8 „Stücke“  aufgezählt,  „von  denen“  ein  Sohn  sein  väterliches 
Erbe  „vorluset“,  indessen  fehlen  tatsächlich  von  den  Justi- 
nianischen Fällen  bloss  Nr.  V (Lebensnachstellung),  wie  in  der 
Schwabeuspiegelgruppe,  und  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter), 
welcher  letztere  Fall  bisher  von  keiner  unter  den  nicht  rein 
eklektisch  verfahrenden  Darstellungen  ausgelassen  war  und 
dessen  Auslassung,  gegenüber  der  sonstigen  Betonung  seines 
Inhalts  gerade  in  den  deutschen  Rechten8),  auffällig  ist7).  Die 


')  So  im  Falle  XIV  (Ketzerei)  in  der  Blume  des  Sachsenspiegels. 

>)  Oben  S.  48. 

*)  Blnme  v.  Magdeb.  cap.  48. 

*)  Vgl.  daselbst  cap.  52  (bei  Nr.  IV  [Giftmischer]),  56  und  59;  auch 
Sachsenspicgelglosse  bei  Boehlan  a.  a.  0.  S.  XX.  wo  auf  die  „const.  dni 
alberti.  const.  I.“  geradezu  hingewieseu  wird. 

s)  Bei  Friedr.  Ortloff,  Sammlung  deutscher  Rechtsqucllen,  II,  1860, 
S.  66:  Buch  II  Nr.  XL. 

')  Oben  S.  49. 

*)  Ons  Gotbaische  Stadtrecht  XII,  6 (Ortloff  S.  337)  steht  sogar  aus- 
gesprocheuermnsseu  auf  dem  Standpunkte  des  Sachsenspiegels,  wonach  ein 
Weib  (oder  ein  Mann)  mit  Uukeuschheit  wohl  seine  Ehre  schwächen,  nicht 
jedoch  sein  Erbe  und  sein  Out  darum  verlieren  möge. 


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74 


übrigen  Fälle  sind  alle  vorhanden  und  nur  zum  Teil  unter  eine 
und  dieselbe  Nummer  zusammengearbeitet:  so  Nr.  I und  II: 
wenn  der  Sohn  seine  Eltern  „slchit  und  mit  worthin  obel 
handelt“,  III  und  VII:  „vorlumunt  und  an  die  ere  redet“,  IV 
und  X:  „mit  bosewichten  und  schelcken  uffinberlichin  wandirt“, 
VIII  und  XIII:  „ab  seine  eildern  gefangin  werdin  unndt  wel  der 
nicht  lossin“.  Die  eigentümliche  Form,  welche  der  Verfasser 
seinem  3.  Grunde  gibt : „ab  her  (der  Sohn)  sie  (die  Eltern) 
vorhungert  und  en  an  der  narunge  und  anderer  notdorfft  abe- 
zuhit* : scheint  eine  Erweiterung  des  XII.  Falles  (Geisteskrank- 
heit) zu  sein,  wie  in  der  Summa  Raymundi  und  in  der  Blume 
von  Magdeburg1).  Die  Vorstellung  aber,  welche  der  Verfasser 
des  Rechtsbuches  von  der  Bedeutung  der  Grüude  für  das 
geltende  Recht  hat,  nämlich  dass  sie  Verlustgründe  hinsicht- 
lich des  Anrechts  auf  die  elterliche  Erbschaft  seien,  gibt  er 
auch  dadurch  zu  erkennen,  dass  er  die  Enterbungsgründe  an 
eine  Ausführung  über  den  „Verlust“  des  Erb-  oder  Lehens- 
gutes „mit  rechte“  unmittelbar  anknüpft*). 

VI.  Der  Zeitfolge  nach  steht  den  zuletzt  erwähnten  Be- 
arbeitungen eine  Stadtsatzung  von  Bern  am  nächsten,  welche 
allerdings  erst  in  der  Redaktion  des  Jahres  1539  sich  findet 3), 
aber  einer  Notiz  zufolge*)  bereits  vom  7.  März  1438  datiert. 
Sie  verfährt  wieder  eklektisch,  und  verdient  somit  schon  das 
Lob,  welches  der  „Verbesserten  Stadtsatzung“  von  1607  gezollt 
worden  ist6),  nämlich,  dass  sie  eine  blinde  und  unkritische 
Rezeption  vermieden  habe.  Die  angenommenen  Fälle  sind : 
I:  „freffne“  Hand  an  die  Eltern  legen  oder  sie  schlagen,  II  — 
hier  vorangestellt  — : „so  ein  kind  sinem  vatter  oder  mutter 
gefluchet“,  und  XI:  wenn  sich  ein  Kind  unter  den  in  der 
Ehesatzuug  bestimmten  Jahren  ohne  Guust,  Wissen  und  Willen 
der  Eltern  „in  die  Ehe  verpflichtet“  hätte8);  die  Eltern  können 

')  Vgl.  obeu  S.  65  und  72. 

’)  Daselbst  II,  39. 

*)  Bei  F.  E.  Welti,  Die  Rechtsquellen  des  Kantons  Bern,  I.  Teil,  1.  Bd. 
(1902)  S.  295:  § 81. 

•)  Vgl.  Zeitschrift  fftr  Schweizerisches  Recht,  XX,  Rechtsqucllen,  S.  47. 

!)  Von  Huber  in  der  Ztsclir.d. Bern.  Juristenvereius.IO.Bd. (1874/5)8. 131. 

')  Vgl.  die  Satzung  von  1361  (Welti  8. 61:  § 66),  welche  „Erblosigkeit“ 
für  diesen  Fall  erklärt. 


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75 


in  diesem  Falle  die  Ehe  kraftlos  machen  und  „stürzen“,  und 
der  kritische  Fall  tritt  dann  ein,  wenn  das  minderjährige  Kind 
in  dieser  „selbst  angenommenen“  Ehe  dennoch  bleiben  und  hierin 
Vater  und  Mutter  nicht  gehorsam  sein  will.  Vor  dem  letzten 
Falle  steht  aber  als  dritter:  „item  so  ein  kind  böss  vnerber 
sachenn  so  das  malifitz  berüren  möchtent  gehanndlet  bette“, 
ein  Fall,  welcher  unter  keine  der  Justinianischen  Kategorien 
vollständig  passt,  vielmehr  der  erste  zu  sein  scheint,  in  dem 
die  selbständige  Verurteilung  des  Kindes  wegen  einer  Frevel- 
tat im  allgemeinen  den  Justinianischen  Fällen  au  die  Seite  ge- 
setzt wird '). 

Vater  und  Mutter  haben  Gewalt,  heisst  cs  dann  zum 
Schlüsse,  aus  jetzt  beschriebenen  Ursachen  ihre  Kinder,  so  hier- 
innen fällig  und  begriffen,  gänzlich  ihres  Guts  zu  enterben, 
und,  wie  die  Einleitnug  sagt,  ihres  Erbteils  gar  zu  berauben. 
Darin  möchte  man  die  römische  Enterbung  erblicken  wollen, 
zumal  das  Recht,  „Ordnung  zu  machen“  und  zu  testieren  in 
der  Satzung  ausdrücklich  Anerkennung  gefunden  hat2),  aber 
das  Wort  „enterben“  kommt  hier  ebenfalls  im  alten  deutsch- 
rechtlichen Sinne  vor3),  und  die  Überschrift  für  die  obigen  Vor- 
schriften lautet:  „Ursach  damit  ein  kind  sin  erb  verwürckt“, 
ein  Ausdruck,  welchen  spätere  Fassungen  offenbar  erst  absicht- 
lich in  „enterben“  verwandelt  haben4). 

VII.  Die  erste  deutsche  Version  der  Enterbungsgründe, 
welche  das  römische  Enterbungsrecht  in  der  Tat  rezipiert  und 
die  Justinianischen  Fälle  fast  alle,  namentlich  auch  diejenigen 
für  Kinder  zum  erstenmal  mit  verarbeitet  hat,  ist  das  erste 
der  gedruckten  deutschen  Stadtrechte,  die  Nürnberger  Refor- 

‘)  Vgl.  auch  die  modernisierte  Fassung  dieses  Falles  als  ersten  in  dem 
Berner  Zivilgesetzbuch  von  1827  (unten). 

*)  a.  a.  0.  § 86. 

s)  Daselbst  § 88  v.  5 (S.  298). 

•)  So  in  der  Erneuten  Stadtsatznng  von  Brugg  1620  (Die  Rechtsquellen 
des  Kantons  Aargau,  I.  Teil,  2.  Baud  [1900]  S.  239)  und  in  der  Verueuerten 
Gerichtssatzung  von  Bern  1614  (gedruckt  1615)  (2.  Teil,  4.  Titel,  5.  Satzuug), 
während  die  Erneute  Stadtsatzung  von  Aarau  aus  dem  Jahre  1572  (a.  a.  0. 
I.  Teil,  1.  Band  (1898)  S.  257  Nr.  50)  wörtlich  der  alten  Bernischen  Fassung 
folgt.  Dort  lautet  die  Überschrift:  „ Vss  was  vrsachen  die  Eiteren  jhre  kindt 
enterben  mögind“. 


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7fi 


mation  von  1479  (gedruckt  1484) ').  Zwar  spricht  auch  sie 
noch  von  „Verwirkung“  der  Erbschaft  an  den  hierher  gehörigen 
Stellen  *),  und  gebraucht  den  Ausdruck  „enterbt  seiu“  im  Sinne 
eines  gesetzlichen  Erbrechtsverlustes 3),  aber  daneben  ist  auch 
von  einem  „Enterben“  „durch  Geschäft“  die  Rede*),  und  die 
vollständige  Aufnahme  des  Testaments5)  lässt  keinen  Zweifel 
darüber,  dass  die  romanisierenden  Redaktoren  des  Gesetzbuches 
die  römische  Enterbung  aufzunehmen  beabsichtigt  haben. 

Von  den  Justinianischen  Fällen  sind  nur  Nr.  IV  (malefici), 
VII  (Sykophantie)  — dieser  wie  bei  Raymund  und  in  Briinn 
— und  Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft)  (wie  in  der  Lehnrechts- 
glosse) fortgelassen.  Die  Streichung  des  letztgenannten  Grundes 
beruht  offenbar  auf  Absicht,  wie  die  Fassung  des  entsprechenden 
(7.)  Falles  für  Deszendenten  zeigt,  wo  nach  Analogie  von 
Nr.  VIII  (Gefangenschaft),  nur  vom  Nicht-Ledigen  aus  unge- 
bührlichem Gefängnis  die  Rede  ist.  Thomasius  gibt  als  Er- 
klärung die  Beseitigung  der  aus  der  Kriegsgefangenschaft  her- 
vorgehenden Sklaverei  an6). 

')  Titel  XV,  2.  und  3.  Gesetz. 

*)  So  in  der  Überschrift  zu  diesem  Titel:  „Gesetze  vou  vertzig  vnd 
verwürekung  der  erbsehafft  der  kinder  gegen  iren  eitern',  ferner  in  der 
Überschrift  zuin  2.  Gesetz  dieses  Titels:  „von  veilen  damit  die  kinder  ir 
vetterlich  oder  mutcrlick  erbsehafft  oder  erbtail  verwurcken11.  Vgl.  anch 
Tit.  XXII,  2 (für  den  Fall  IX  [Testamentshinderung]):  „verlorn  vnnd  ver- 
wundet“, und  XXII,  5 a.  E. : „oder  aber  das  sie  solche  ir  erbsehafft  verwurcht 
betten  auf  maynung  des“  Tit.  XV,  2. 

*)  So  im  Falle  IX:  wenn  die  Eltern  ohne  „Geschäft“  abgingen,  so  sollen 
nichtsdestoweniger  die  Kinder  „enterbt“  sein  nsw.  Ferner  im  Falle  XI  (Un- 
gehorsam der  Tochter):  „so  sollte  sie  darumb  nit  enterbt  sein“. 

*)  Die  Überschrift  von  XV,  2 (oben  N.  2)  fährt  fort:  „Also  das  sie  der 
durch  gescheft  Ihrer  eitern  mögen  enterbt  werden“,  und  die  Überschrift  zu 
XV,  3 lautet:  „vou  veilen  darinnen  die  kinder  jre  eitern  auch  enterben  mögen 
Irer  wart  vnd  erbschafft  so  sic  von  Inen  haben  mögen“.  Im  IX.  Falle  (oben 
N.  3)  ist  ebenfalls  davon  die  Rede,  dass,  wenn  die  Eltern  gebührliche  Testa- 
ment oder  Geschäft  doch  noch  „tun“,  sie  ihre  Kinder  in  solchem  ihrem  Ge- 
schäft „enterben“  können. 

*)  Tit.  XX,  besonders  1.  und  3.  Gesetz. 

*)  Disputatio  inanguralis  juridica  de  Noricorum  causis  adimeudi  legiti- 
mam,  praeside  C.  Th.  Thomasio,  Laurentius  de  S andrer  t.  Haine  1703,  § L. 
Thomasius  schliesst  Bich  hierin  an  Stryck,  I)c  cautelis  testameutorum 
cap.  3,  v.  45,  an. 


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77 


Die  Fassung  der  einzelnen  „veile“  erinnert  nicht  selten 
an  frühere  deutsche  Versionen,  aber  diese  Übereinstimmungen 
sind  zn  wenig  charakteristisch,  als  dass  man  sie  für  Ent- 
lehnungen halten  dürfte.  Manchmal  möchte  man  sogar  an  eine 
unmittelbare  Übertragung  aus  dem  Originale,  dem  Authentikum, 
denken  '),  indessen  auch  diese  Vermutung  trifft  nicht  immer  zu*). 
Bemerkenswert  ist  die  Fassung  von  Nr.  III  (ähnlich  Nr.  1): 
„so  di  kinder  ire  eitern  vor  gerieht  beschuldigen  vnd  ansprechen 
vmb  frais  oder  peinlich  Sachen  oder  vmb  Sachen  leib  vnd  leben 
anrürend,  das  dann  zu  latein  crimen  capitale  genennt  wirt. 
Es  wer  dann  das  dieselben  vntat  ein  schwaerc  Verhandlung 
wider  den  Römischen  Kayser  oder  könig  oder  wider  den  ge- 
meinen stand  vnnd  wesen  der  Stat  Nuerenberg  fuergenomen 
oder  die  da  ketzerey  antreffe“.  Die  letzte  Ausdehnung  ist 
neu,  die  Definition  des  „lasters  beleidigter  mayestet“  — wie 
es  bei  Nr.  1 heisst  — hat  die  Anschauung  zur  Voraussetzung, 
dass  der  Kaiser  für  die  Reichsstadt  als  „Fürst  des  Landes“ 
gelte 3). 

Bei  Nr.  VI  =3  wird,  wie  so  oft4),  die  Konkubine  nicht 
erwähnt,  und  nur  von  der  Stiefmutter,  des  leiblichen  Vaters 
ehelicher  Hausfrau,  bzw.  von  „des  suns  Eeweib“  gesprochen, 
obgleich  das  Delikt  im  ersten  Falle  den  „Kindern“  zugetraut 
ist.  Das  Schauspielergewerbe  schildert  die  Nürnberger  Refor- 
mation so:  „so  der  svn  ein  katzenritter  were  oder  dessgleicheu 
sich  vnderstanden  hat  mit  andern  Tieren  zepeissen  vnd  ze- 
fechten“,  eine  Bezeichnung  des  arenarius,  welche  der  lateini- 
schen Landrechtsglosse  entlehnt  sein  soll5).  Bei  Nr.  XII  = 6 

')  So  bei  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter):  „ein  vnkensch  leben  vnd 
wesen  ansserwelt“,  vgl.  „luxuriosain  vitain  elegerit“;  auch  Thomasiiis 
§ XLI  weist  daranf  hin. 

’)  So  bei  1):  „So  der  vater  sein  kind  in  Recht  beschuldigt  usw.“  statt: 
„ad  interitum  vitae  tradiderit“. 

*)  Vgl.  den  „iraperator“  in  der  Brachylognsglosse  (oben  S.  26)  und  in 
Lo  Codi  (oben  S.  36),  auch  den  Ausdruck  „uinb  reiches  uorretnis“  bei  Wurm 
(oben  S.  70). 

*)  Vgl.  Edictus  Rotliari  (oben  S.  27),  Raymond  von  Wiener-Neustadt 
(oben  S.  63),  das  kleine  Kaiserrecht  (oben  S.  53)  und  die  Ueburechtsglossc 
zum  Sachsenspiegel  (oben  S 69). 

*)  Nach  Thoinasins  a.  a.  0.  § XXX  (Zobel  zn  Sachseusp.  1,38,  1). 


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78 


(Geisteskrankheit)  wird  zwar  nur  davon  gehandelt,  dass  der 
Aszendent  oder  der  Deszendent  „synnlos  vnd  vn vernünftig“ 
werde,  aber,  ausser  .pfleg“,  verlangt  das  Gesetz  auch  „narung“ 
und  „notturftige  ertzney“. 

Aus  den  Gründen  für  Kinder  mag  hervorgehoben  werden 
die  bei  Nr.  1 (Aufopferung)  gegebene  Vorschrift,  wonach  für 
Eltern  und  Kinder  beiderseitig  die  Verpflichtung  aufgestellt 
ist,  sich  wegen  des  Lasters  beleidigter  Majestät  und  wegen 
Ketzerei  gegenseitig  zu  beschuldigen. 

Der  Nürnberger  Reformation  folgen  mehrere  andere  Dar- 
stellungen : 

1.  Das  Tübinger  Stadtrecht  von  1493  *),  mit  welchem  wahr- 
scheinlich das  Uracher  Stadtrecht*)  und  jedenfalls  das  Stadt- 
recht von  Asperg  (1510) s)  in  den  hierher  gehörigen  Bestim- 
mungen fast  wörtlich  übereinstimmt.  Die  „Fälle“  „damit  die 
künder  ir  erbtail  verwirckent“,  sind  hier  als  solche  bezeichnet, 
durch  die  sie  „irer  väterlichen  vnd  mütterlichen  wartt  vnd 
erbfalle  benomen  vnd  enterbt  werden  durch  testament  vnd  ge- 
schafft“. Bei  Nr.  III  (Kriminalanklage)  ist  die  gelehrte  lateinische 
Fassung  der  Vorlage  in  Wegfall  gekommen,  samt  dem  spezifisch 
ni'irnbergischen  „fraiss“ ; unter  den  Ausnahmen  steht  nur  der 
römische  König,  nicht  auch  der  Kaiser,  und  der  Landesverrat 
wird  als  „wider  deu  gemaineu  stat  vnd  wesen  der  herrschaft“ 
gerichtet  bezeichnet.  Bei  VI  (Inzest)  nennt  Asperg  anstatt 
der  Stiefmutter  die  Mutter,  der  erste  Fall  der  Erwähnung 
dieses  incestus  jure  gentium,  wie  es  scheint.  Bei  IX  (Testier- 
hindernis) = 4 wird  der  einschränkende  Zusatz  gemacht:  „so 
doch  söllich  gesch&tft  oder  testament  geschieht  vss  vernünfftigen 
vrsachen  von  aim  gericht  darfür  geachtet  vnd  erkannt“.  In 
Nr.  X (Schauspielergewerbe)  endlich  ist  die  in  der  Nürnberger 

')  Bei  Frieilr.  v.  Thudiclium,  Tübinger  Studien,  I,  1 (1900)  S.  40 ff.: 
§§  Bö/6. 

’)  Vgl.  C.  G.  Wächter,  Handbuch  des  im  Königreiche  Württemberg 
geltenden  Privatr.,  I,  1839,  S.  72. 

*)  Bei  Friedrich  Christoph  Jonathan  Fischer,  Versuch  Uber  die  Ge- 
schichte der  tentschen  Erbfolge,  11,  1778,  8.  172 ff.  Wächter  scheint  hier 
aber  (S. 79)  an  eine  unmittelbare  Entlehnung  aus  dem  Corpus  juris  zu  denken: 
vgl.  denselben  hinsichtlich  Aspergs:  a.  a.  0.  S 90  N.  3. 


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79 


Fassung  sonst  übergangene  Nr.  IV  (maleficus)  mit  einbezogen, 
indem  neben  dem  „lotter“  ein  „offener  zoberer“  oder  das  Um- 
gehen „mit  vergifftnuss“  genannt  wird. 

2.  Die  Wormser  Reformation  von  1498,  gedruckt  1499 ') 
und  die  Reformation  des  Bayrischen  Landrechts  von  1518 2). 
Diese  beiden  Gesetzgebungen  sprechen  aber  schon  gar  nicht 
mehr  von  „Verwirken“  des  Erbrechtes,  sondern  bloss  von  Ur- 
sachen, darum  Vater  und  Mutter  ihre  Kinder  (oder  die  Kinder 
ihre  Eltern)  „enterben“  mögen.  Einige  Ausdrücke  sind  ge- 
ändert3). Die  Wormser  Reformation  lässt  die  Gründe  für  die 
Kinder  fort. 

3.  Ulrich  Tenglers  Layenspiegel,  zuerst  1509  erschienen4). 
Die  Darstellung  unterscheidet  sich  von  der  Nürubergischen  im 
wesentlichen  nur  darin,  dass  bei  Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  auch 
die  Armut  einbegriffen  wird,  dass  in  Nr.  VI  (Inzest)  von  des 
Kindes  (nicht  allein  des  Sohnes)  Ehegemahl  die  Rede  ist  und 
dass  zu  Nr.  7 (Kriegsgefangenschaft)  offenbar  eine  Entlehnung 
aus  Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  stattgefunden  hat:  wer  seinem 
Kinde  mit  Bürgschaft  nicht  zu  Hilfe  kommt,  es  aus  unbilligem 
Gefängnisse  zu  entledigen. 

4.  Die  Geldernsche  Reformation  von  1554  (veröffentlicht 
1555) 5),  die  sich  dadurch  auszeichnet,  dass  sie  die  sonst  über- 
all getrennt  gehaltenen  Fälle  für  Aszendenten  und  für  Des- 
zendenten zusammenarbeitet  und  sie  nach  den  für  letztere 
geltenden  Gründen  ordnet6).  Nur  fehlen  hier — ausser  Nr. IV, 

')  4.  Buch,  3.  Teil,  4.  Titel.  Ebenso  noch  1542. 

’)  Titel  49,  Artikel  5 und  6 (Bl.  CLVff.). 

*)  So  bei  Nr.  I,  der  römischen  Vorlage  näher:  „gedürstig  haut  anlcgen“ 
(statt:  „mit  freueler  gewaltsam  antasten“);  bei  Nr.  II:  „frenelwort“  (statt: 
„freuel“)  an  ihre  Eltern  legen;  bei  VI:  „ein  kindt“  (statt:  die  kinder). 

‘)  „Der  neu  Layenspigel“,  Augsburg  1512,  Bl.  XXXIX  b.  Der  bekannte 
„Klagspiegel“  dagegen  hat  die  Enterbungsgrilude  ursprünglich  noch  nicht, 
erst  in  der  Fassung:  „Teutscher  Reuocirter  (!)  Richterlicher  Klagspiegel  usw.“, 
Frankfurt  a,  M.  1601,  S.  240  ff.  (bei  der  Erbteilungsklage). 

5)  „Des  Durch).  Fürsten  zu  Gnlicb,  Clene  nnd  Berg  Rechtsordnung  und 
Reformation“,  cap.  72;  auch  bei  R.  Manrenbrecber,  Die  Rheinpreussischen 
Landrechte,  I,  1830,  8.  222  ff.  Über  die  Geschichte  dieser  Gesetzgebung  vgl. 
jetzt  Gg.  v.  Below,  Die  Ursachen  der  Rezeption  des  römischen  Rechts  in 
Deutschland,  1905,  S.  34  ff. 

")  Danach  beginnt  die  Darstellung  mit  Nr.  III  = 1),  danu  folgen 


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80 


VII  und  XIII  — auch  noch  Nr.  X („Katzeuritter“)  und  5 (Lebens- 
nachstellung unter  Eltern).  Auch  kommen  infolge  jenes  Zu- 
sammenbringens  der  Fälle  manchmal  eigentümliche  Ergebnisse 
heraus,  so  bei  Nr.  IX  ^ 4 (Testierhindernis),  wo  die  für  den 
Sohn  berechnete  Bemerkung:  „geschellt  — iu  solichen  guetern, 
die  er  zu  verschaffen  vnd  zu  vergeben  batt“:  auf  den  Vater 
mit  bezogen  werden  muss.  Eine  Neugestaltung  erfahren  die 
Nr.  I und  II  in  folgender  Form:  „So  die  kinder  mit  gewalt- 
samer tliat  vnnd  freuel  jre  eitern  schlagen  vnnd  beleidigen 
oder  sonst  gegeu  sie  vnerbare  schwere  und  vnbefuegte  vnge- 
rechtigkeit  vnnd  freuell  vornetnen  theten  darumb  sie  pillich 
jrer  elterlichen  gueter  enterbt  werden“. 

VIII.  Die  Gerichtsordnung  des  Landgrafen  zu  Hessen, 
„auft'gericht  vnd  geordnet  Anno  1497,  gedruckt  zu  Frankfurt 
a.  M.  am  22.  Tag  des  Brachmonats  Anno  1531“,  welche  aller- 
dings niemals  in  Geltung  getreten  ist1),  enthält  auch  die  Ent- 
erbungsgründe  für  Aszendenten,  und  zwar,  wie  schon  früher 
bemerkt  worden  ist2),  in  Gestalt  einer  deutschen  Übersetzung 
der  kanonischen  Glosse.  Jedenfalls  ist  in  dem  hierher  ge- 
hörigen Teile  derselben  die  sonst  für  die  Behandlung  der  Erb- 
fälle in  ihr  behauptete3)  Ähnlichkeit  mit  der  Nürnberger  Re- 
formation nicht  zu  bemerken.  Die  Übereinstimmung  zeigt  sich 
besonders  in  der  Fassung  von  Nr.  VII  (Sykophantie),  wo  die 
Worte:  „si  ex  dilapidatione  filii  grave  dispendium  parentes 
sustulerint“ : übersetzt  sind:  „so  er  durch  sein  verzerung  die 
altern  verderblich  machet“.  Im  übrigen  finden  sich  auch 
einige  Abweichungen.  „Princeps  und  „respublica“  in  Nr.  III 


V = 2),  VI  = 3),  IX  = 4),  XII  = 6),  VIII  = 7),  XIV  = 8);  Nr.  I,  II, 
XI  sind  angefügt,  so  dass  den  Schluss  derselbe  (irund  wie  in  der  Schwaben- 
spiegclgrnppe  bildet.  Es  folgt  auch  sogleich  incap.  73:  „von  bestraffung  der 
Shöne  vnd  Töchter,  die  sich  obn  jrer  elter  willen  vnd  wissen  verheyrathen“. 

')  Vgl.  P.  Roth  und  v.  Meibom,  Kurhessisches  Privatrecht,  I S.  47, 
und  Stiilzel  in  der  Kritischen  Vierteljahrschrift,  3.  Folge,  Bd.  XI  (1907)  S.22. 

*)  Oben  S.  36. 

*)  So  die  in  N.  1 genannten  Autoren  hinsichtlich  cnp.  27 — 47.  Sie 
zitieren  einen  Druck  von  1557  als  den  frühesten.  Der  im  Text  benutzte 
ältere  bat  keine  Kapiteleiuteilung;  nach  der  Zählung  der  späteren  Ausgabe 
würde  das  hierhergehürige  Kapitel  das  3ä.  sein.  Eiu  Abdruck  findet  sich 
auch  bei  Abraham  Sau r,  Fascieulus  iudiciarii  ordinis,  fase.  VIII  (1589)  S.  15. 


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81 


(Kriminalanklage)  werden  mit  „den  keyser  odder  das  Reich“ 
wiedergegeben.  Von  Nr.  IX  (Testierhindernis)  an  — mit  selbst- 
verständlicher Ausnahme  von  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter) 
— nennt  die  Gerichtsordnung  anstatt  des  Sohnes,  wie  die 
kanonische  Glosse,  immer  die  Kinder.  Bei  Nr.  X (Schauspieler- 
gewerbe) tritt  an  Stelle  der  quellenmässigen  Beispiele  die  all- 
gemeinere Fassung:  „so  sich  die  kinder  wider  der  altern  willen 
vnzimbliche  narung  sfichen  vnd  doch  die  altern  erbar  weren“. 
Von  der  Tochter  heisst  es  in  Nr.  XI:  „sich  zu  vnreyneu  handeln 
geben“,  und  in  Nr.  XII  werden  den  „sinnlosen“  Eltern  die 
„krancken“  gleichgestellt. 

IX.  Gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  erscheinen  die  Ent- 
erbungsfälle in  friesischer  Sprache  in  dem  unter  dem  Namen 
„Jurisprudentia  Frisica“  veröffentlichten  Rechtsbuche1),  eiuer 
Kompilation  von  römischem  und  kanonischem  Rechte,  welche 
nur  weniges  aus  älteren  einheimischen  Quellen  enthält2).  Hier 
werden  unter  dem  Titel  (LI):  „De  liberis  preteritis  et  exhere- 
datis“  die  Fälle  in  zwei  verschiedenen  Fassungen  mitgeteilt, 
von  denen  die  eine  am  Rande  der  der  Veröffentlichung  zugrunde 
liegenden  Handschrift  steht  und  demnach  wohl  als  die  jüngere 
angesehen  werden  darf.  Es  heisst  (im  Texte),  dass  es  14 
„Sachen“  gebe,  um  die  der  Vater  seinen  Sohn  „enterben“  möge, 
aber  die  Aufzählung  kommt  nicht  weiter,  als  bis  zu  11  Nummern. 
Die  Fälle  VIII  (Gefangenschaft),  XI  (Ungehorsam  der  Tochter) 
und  XII  (Geisteskrankheit)  werden  nicht  mehr  ausgeführt; 
freilich  ist  Nr.  VIII  unter  der  allgemeinen  Fassung  von 
Nr.  XIII:  die  gefangenen  Eltern  nicht  lösen:  mit  inbegriffen. 
Die  Reihenfolge  in  der  Aufzählung  ist  dem  Originale  gegen- 
über verändert3).  Dagegen  finden  sich  die  Enterbungsgründe 
für  Deszendenten  nicht  allein  vollständig,  sondern  auch  nach 
der  Ordnung  der  Novelle  aufgefübrt,  nur  dass  Nr.  5 (Lebeus- 

’)  Heransgegeben  von  Montanas  Hettcma,  1834  ff.:  Tweede  Stuck, 
1835,  S.  136  ff. 

*)  Vgl.  Karl  Freiherr  von  ßichthofen,  Friesische  Rechtsquellen, 
1840,  S.  XXVI. 

*)  Die  eiugehaltene  Reihenfolge  ist  diese : I,  IV,  II,  X,  V,  VI,  III, 
VII,  XIV,  XIII,  IX 

Merk«),  Kiiterl.linuHgriinde  6 


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82 


nachstellung  unter  Eltern)  an  das  Ende  gestellt  ist.  Im 
letzteren  Falle  läuft  zudem  das  eigentümliche  Missverständnis 
unter,  dass  nicht  von  der  Lebensnachstellung  unter  den  Eltern 
die  Rede  ist,  sondern  davon:  wenn  der  Vater  seines  Sohnes 
Weib  „fenyn“  gebe. 

In  der  marginalen  Gestaltung  sind  es  sogar  15  Enterbungs- 
gründe für  Aszendenten.  Es  wird  in  die  hier  sämtlich  vorhandenen 
Justinianischen  Fälle,  welche  übrigens  wieder  in  einer  ab- 
weichenden Ordnung  auftreten1),  eingeschaltet  (als  Nr.  11): 
wenn  die  Kinder  Freundschaft  wollten  halten  mit  jemandem 
gegen  den  heiligen  Glauben  und  die  Eltern  vorher  keine  Freund- 
schaft hatten  mit  den  Leuten.  Dies  macht  den  Eiudruck  einer 
Erweiterung  von  Nr.  XIV  (Ketzerei),  welcher  Fall  jedoch  aus- 
drücklich daneben  (als  15.)  genannt  ist.  Von  den  Gründen  für 
Kinder  enthält  die  am  Rande  mitgeteilte  Form  nur  Nr.  2 
(Lebensnachstellung),  in  zwei  Fälle  zerlegt:  Lebensnachstellung 
im  allgemeinen  und  Vergiftungsversuch,  sodann  Nr.  3 (Inzest), 
8 (Ketzerei)  und  7 (Gefangenschaft),  welcher  letztere  Grund 
hier  noch  besonders  ausgestaltet  wird:  Jeff  da  kyuden  buta 
wirth  worden,  jeff  jelkers  liata  to  coem,  ende  dat  hya  se  dan 
naet  wrwareden“,  also,  wie  es  scheint,  mit  Hinzufügung  des 
Falles,  dass  die  Kinder  ohne  Lösegeld  des  Vaters  wieder  frei 
werden  und  der  Vater  sich  daun  nicht  um  sie  kümmert. 

Die  Ausdrucksweise  im  einzelnen  erinnert  nicht  selten  an 
ältere  deutsche,  insbesondere  an  sächsische  Vorgänger,  so  das 
„wrogen“  (rügen)  im  Falle  III  und  1 (Kriminalanklage),  die 
Erwähnung  der  „amye“  bei  Nr.  VI  (Inzest),  während  sie  in 
der  entsprechenden  Vorschrift  für  die  Deszendenten  „holda* 
genannt  wird,  und  der  Ausdruck  „mislawich“  zur  Bezeichnung 
der  Ketzerei  (Nr.  XIV  und  8)2).  Auch  das  Beraden  der 
Tochter  („byreden“)  kommt  in  der  Mitteilung  am  Rande  beim 
XI.  Falle  vor3).  Der  VII.  Grund  (Sykophantie),  aus  welchem 
schon  die  Glosse  zum  sächsicheu  Lchnrechte  die  eigentliche  Ur- 
sache entfernt  und  bei  welchem  sie  nur  von  „vp  vnkost  dreuen“ 


')  Nämlich  I,  VII,  III,  IV,  X,  V— IX,  XI— XIV. 
’)  Vgl.  oben  S.  67  N.  7 und  S.  68  N.  2 und  3. 

*)  Vgl.  oben  S.  68. 


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83 

gesprochen  hatte1),  wird  aucli  hier  lediglich  von  einer  Be- 
schädigung oder  einem  „Wrsumen“  (Versäumen?)  des  elter- 
lichen Gutes  verstanden  *)  — man  erinnere  sich  des  besonderen 
Grundes  im  Schwabenspiegel!3)  — ; die  Form  von  Nr.  V (Lebens- 
nachstellung): au  der  Eltern  Leib  „reden“  oder  „wrreden“: 
hat  Ähnlichkeit  mit  einer  Ausdrucksform  im  Kleinen  Kaiser- 
recht 4). 

Diesen  Ähnlichkeiten  stehen  aber  vielfache  Eigentümlich- 
keiten gegenüber.  Man  beachte  z.  B.  die  Form  von  Nr.  I:  die 
Eltern  „myt  haester  (hastiger)  hand  oenfinzen“,  Nr.  II:  ihnen 
„swecr  secken  oplidzen“ 4).  Bei  Nr.  III  (Kriminalanklage) 
fehlen  die  Ausnahmen,  dagegen  sind  sie  in  der  entsprechenden 
Nr.  1 eingesetzt  als  „Sachen“  gegen  den  „ferst“  oder  gemeine 
Nützlichkeit.  Nr.  IV  (malefici)  heisst:  mit  „quade“  Leuten  um- 
gehen, Nr.  X (Schauspielergewerbe):  selber  „quad“  sein,  welcher 
letztere  Fall  in  der  marginalen  Fassung  jedoch:  „misdedich  man“ 
werden:  heisst,  eine  Bezeichnung,  welche  besser  für  den  male- 
ficus  in  Nr.  IV  passen  würde. 

Jedenfalls  hat  die  soeben  besprochene  Überlieferung  eine 
ausdrückliche,  dem  römischen  Rechte  entsprechende  Enterbung 
im  Auge.  Dies  dürfte  nicht  allein  aus  dem,  wie  erwähnt,  ge- 
brauchten Ausdrucke  „enterben“,  sondern  auch  daraus  hervor- 
gehen, dass  bei  Aufstellung  des  IX.  und  4.  Enterbungsgrundes 
(Testierhindernis)  das  „Testament“  genannt  wird. 

X.  Auch  nach  Ungarn  sind  die  Enterbungsgründe  gewandert, 
und  zwar  in  der  Form,  welche  ihnen  das  „Tripartitum  opus 

’)  Vgl.  auch  die  Hessische  Gerichtsordnung  oben  S.  80  und  später  die 
Lilneburgische  Reformation. 

’)  Der  im  8.  Falle  des  Textes  gebrauchte  Ausdruck  „byhalden*  („open- 
beer“  das  elterliche  Gut)  dürfte  hier  wohl  die  Bedeutung  von  Beschädigen 
haben,  welche  nach  v.  Uichthufen,  Altfriesisches  Wörterbuch,  S.  6:$6  Sp.  2 
möglich  ist. 

*)  Oben  S.  62. 

*)  Oben  S.  54  N.  2. 

•)  Die  Ausdrucksform  ähnelt  Ubrigeus  hier  wieder  den  Wnrmsehen 
Arbeiten,  wo  es  heisst:  mit  uerlichir  .Sache  beschweren,  oder:  mit  grossen 
Sachen  unehreu,  s.  oben  S.  70.  ln  der  Mitteilung  der  Fälle  am  Rande  soll 
offenbar  der  Ausdruck:  ihren  Eltern  grossen  Schaden  tun:  diesen  zweiten  der 
Justinianischen  Fälle  ansdrflcken. 

6* 


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84 


jnris  consnetudinarii1'  des  Stephan  v.  Werböcz  gegeben  hat  und 
in' welcher  sie  von  König  Wladislaus  im  Jahre  1514  approbiert 
wurden1).  Hier  finden  sich  die  Fälle:  I (Realinjurie),  II  Ver- 
balinjurie), III  (Kriminalanklage),  dieser  mit  der  Ausnahme: 
„de  tali  causa  quae  in  perniciem  Principis  vel  Reipnblicae 
totiusRegni  vergit“  *);  ausserdem  noch  Nr.  V (Lebensnachstellung). 
Nr.  IV  und  X scheinen  miteinander  verbunden  zu  sein  in  der 
Form:  „cum  maleficis  vel  aliis  nephandae  vitae  hominibus  con- 
tra voluntatem  patris  perseverare“,  aber  mit  dem  an  den  vor- 
letzten Fall  des  Schwabenspiegels  und  die  Version  von  Nr.  VII 
in  der  kanonischen  Glosse *)  erinnernden  Zusatz:  „bona  paterna 
praue  consuraendo“,  also  unter  der  Voraussetzung  einer  Ver- 
geudung des  väterlichen  Gutes  in  der  schlechten  Gesellschaft. 
Ebenso  sind  Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  und  Nr.  XIII  (Kriegs- 
gefangenschaft) in  ein  Stück  zusammengefasst:  „captum  de 
inanibus  inimiconim“  und  „de  carcere“  non  redimere. 

Die  Justinianischen  Fälle  treten  in  diesem  Rechtsbuche 
übrigens  keineswegs  als  Rechtfertigungsgründe  für  Enterbungen 
auf,  vielmehr  wird  das  „exhaereditare“  selbst  bei  ihrem  Vor- 
handensein ausdrücklich  untersagt.  Aber  sie  geben  den  Anlass, 
dass  der  Vater  seinen  Sohn,  vorausgesetzt  derselbe  sei  „pubes 
atque  legitimae  aetatis“,  zur  Vermögensabteilung  zwingen  kann 
(„ad  bonorum  diuisionem  compellere“),  also  zu  einer  Art  ge- 
milderter Emanzipation.  Das  Kind  verliert  infolgedessen  Anteil 
und  Anwartschaft  auf  das  väterliche  Vermögen  für  die  Zukunft. 
Auch  den  Kindern  wird  übrigens  das  Recht  verliehen,  ihren 
Vater  zur  Abteilung  zu  nötigen,  wenn  gegen  ihn  bestimmte 
Gründe  vorliegen.  Indessen  haben  diese  Gründe  mit  den 
Justinianischen  Fällen  nichts  zu  tun4). 

’)  Ausgabe:  Wien  1628,  S.  34:  Pars  I,  Tit.  LII. 

*)  ln  dem  zu  dem  Werke  gehörigen  „Encliiridion  articulomin*,  S.  41, 
ist  die  Ausnahme  als  „crimen  lnesac  maiestatis“  bezeichuet. 

*)  Vgl.  oben  S.  35. 

*)  Die  Gründe  sind:  Verschwendungssucht  und  Vernachlässigung  des 
Vermögens  (vgl.  das  Kleine  Kaiserrecht  oben  S.  54  N.  5:  11,  11),  unbegrün- 
dete schlechte  liehandlung  („impie  et  crudeliter  corripere“),  Verhinderung  an 
berechtigter  Heirat  und  Nötigung  zu  Übeltaten  (peccare).  Vgl.  auch  das 
Recht  auf  Abteilung  nach  dem  Schwabenspiegel  cap.  61  und  186,  und  die 
Summa  Raymunda  von  Wiener-Neustadt,  I.  23,  welche  sechs  Gründe  der  Ab- 


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85 


XI.  Die  nächste  deutsche  Gesetzgebung,  welche  die  Justi- 
nianischen Fälle  aufgenommen  hat,  ist  das  Freiburger  Stadt- 
recht von  1520  *),  während  der  Verfasser  der  a.  1511  erlassenen 
„Ordnungen  in  Testamenten,  Erbfällen  und  Vormundschaften“ 
für  die  Markgrafschaft  Baden2),  nach  dem  Vorgänge  älterer 
Autoren8)  sich  noch  mit  einer  blossen  Verweisung  auf  die  „ge- 
meinen kaiserlichen  Rechte“  begnügt  hatte4).  Ulrich  Zasius 
aber  hat  in  den  Text  des  Stadtrechtes  die  Fälle  eingestellt, 
freilich  die  für  Aszendenten  nicht  alle,  es  fehlen  nicht  nur, 
wie  in  Nürnberg,  Nr.  VII  (Sykophantie)  und  XIII  (Kriegs- 
gefangenschaft), sondern  auch  Nr.  IX  (Testierhindernis)  und 
XIV  (Ketzerei).  Die  Gründe  für  Kinder  sind  sämtlich  vor- 
handen, und  zwar  sind  sie  offenbar,  wie  ihr  Wortlaut  zeigt, 
der  Nürnberger  Reformation  entlehnt  Infolgedessen  ergibt  sich 
eine  Unstimmigkeit  zwischen  den  Fällen  der  ersten  und  denen 
der  zweiten  Gruppe,  indem  unter  den  Gründen  für  Kinder  von 
den  vorhin  für  Aszendenten  als  fehlend  bezeichneten  Fällen 
die  drei  letzten  (IX  = 4,  XIII  — 7,  XIV  — 8)  Aufnahme  ge- 
funden haben,  auch  bei  Nr.  3 (Inzest)  bloss  vom  Vater  und 
dem  „Sunsweib“  die  Rede  ist,  während  der  entsprechende  Fall 
Nr.  VI  auch  von  Tochter  und  Stiefvater  handelt.  Diese  Un- 
gleichmässigkeit  scheint  redaktionelle  Gründe  zu  haben,  welche 
sich  aber  einstweilen,  solange  die  Geschichte  der  Redaktion 
noch  nicht  ermittelt  ist5),  noch  nicht  feststellen  lassen. 

Von  der  den  einzelnen  Fällen  gegebenen  Fassung  dürfte 
hervorzuheben  sein:  die  Gestalt,  welche  Nr. III  (Kapitalanklage) 
hier  erhalten  hat,  indem,  wie  bei  Wurm8),  auch  die  Ehre  als 

teilung  nennt,  dem  Vater  aber  das  „compellere  filios  suos  ad  diuisionem 
hereditatis“ : „quarnlo  vollint“  gestattet. 

')  „Nitwe  Stattrechteu  vnd  Statute  der  löblichen  Statt  Fryburg  im 
Pryssgav  gelegen“,  III.  Tractat,  V.  Titel  (Bl.  LXXII  ff.). 

*)  .Der  marggraffschafft  Baden  statuta  vnd  Ordeuungen  in  Testamenten 
usw.“  von  Donnerstag  nach  St.  Michaelis  Tag  1511,  Nr.  111  a.  E. 

*)  Oben  S.  31  N.  2. 

*)  Es  heisst:  man  wolle  durch  diese  Satzung  niemandem  zugelasscn 
haben,  einige  Enterbung  zu  tun,  die  ihm  in  jenen  Rechten  verboten  sei. 

‘)  Vgl.  Rieh.  Schmidt,  Zasius  und  seine  Stellung  in  der  Rechtswissen- 
schaft, 1904,  S.  63  ff. 

*)  Oben  S.  70. 


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86 


Gegenstand  einer  unzulässigen  peinlichen  Anklage  aufgeführt 
wird,  und,  wie  in  Nürnberg  zu  Nr.  1)  ‘),  eine  Pflicht  aufgestellt 
ist,  die  ausgenommenen  Fälle  („Verraeterei,  vffgelöuff“  u.  dgl.) 
der  Obrigkeit  „anzubringen“.  Ferner  Nr.  VI,  auf  dessen  Aus- 
dehnung schon  vorhin  hingewiesen  wurde,  und  Nr.  X (Schau- 
spielerge  werbe),  welches  ebenfalls  von  den  Kindern  ausgesagt 
wird:  „So  die  kind  üppig  stend  an  sich  nemmen“;  dazu  die 
Beispiele:  Frauenwirt,  Henker8)  und  offner  Pflatzmeister  d.  h. 
ein  Aufseher  und  Ordner  bei  öffentlichen  Lustbarkeiten 3).  Bei 
Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  ist  die  Pflicht  zur  Bürgschaftsleistung 
für  die  Aszendenten  ebenfalls  von  den  Töchtern  verstanden, 
jedoch  werden  verheiratete  Töchter  ausgenommen,  falls  nicht 
der  Ehemann  zustimmt,  dessen  Einwilligung  aber  „auf  An- 
bringung“ durch  die  städtische  Obrigkeit  ergänzt  werden  kann. 
Bei  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  wird  unterschieden 
zwischen  Töchtern,  die  sich  nicht  wollen  „zu  den  Ehren“  ver- 
sorgen lassen,  sondern  sich  vornehmen,  in  Üppigkeit  zu  leben, 
oder  die  ihre  Leiber  Männiglich  zu  der  Unkeuschheit  feil 
bieten,  und  zwischen  Kindern,  die  ohne  Wissen  und  Willen  der 
Eltern  selbst  „in  die  Ehe  griffen“.  Indessen  ist  den  Eltern 
im  letzteren  Falle  nur  das  Recht  gegeben,  die  Kinder  auf  den 
Pflichtteil  zu  setzen.  Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  erweitert  der 
Gesetzgeber  auf  Krankheiten  oder  .zugestandene  Mängel“  an 
Leib  oder  Vernunft,  wobei  aber  dem  Rat  der  Stadt  Vorbehalten 
bleibt,  darüber  zu  entscheiden,  „ob  die  kind  vrsachenn  dawider 
anzögen“.  Den  Schluss  bildet  hier  (als  Nr.  XI)  die  Enterbung 
in  guter  Absicht. 

Für  die  aus  diesen  Ursachen  zulässige  Enterbung  hat 
übrigens  Zasius  eine  besondere  Form  vorgeschrieben,  welche 
mit  der  schon  mehrfach  in  einzelnen  Fällen  — so  bei  Nr.  VIII 
und  XII  — hervorgetretenen  Tendenz  der  obrigkeitlichen  Be- 
aufsichtigung übereinstimmt.  Auch  in  den  Fällen  der  Nr.  X 
(Schauspielergewerbe)  ist  dem  Rate  Vorbehalten,  im  einzelnen 

*)  Vgl.  oben  S.  78. 

*)  Diese  beiden  Kategorien  werden  auch  bei  Aufzilhlung  der  „schnöd 
lichtvertig  personenn*  in  Nr.  XI  genannt,  mit  denen  man,  gleichwie  mit 
„gemein  dirnen“,  eine  ehrbare  Ehe  nicht  eingebt. 

*)  Vgl.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch,  VII  S.  1925. 


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87 


zu  entscheiden,  es  müssten  denn  etwa  die  Eltern  selber  „solich 
vnlüt“  sein.  Die  regelmässige  Form  der  Enterbung  bildet  nun 
die  Erklärung  entweder  „in  gesessenem  Rat“  oder  vor  dem 
Stadtgericht,  wobei  die  Ursachen  der  Enterbung  zu  „wysen“ 
sind.  Bloss  bei  Verhinderung  durch  Krankheit  „ist  es  genug“, 
in  einem  Testamente  zu  enterben,  aber  dann  hat  nach  dem 
Tode  der  „gesetzte  Erbe“  die  Ursachen  zu  „er wysen“.  Nur  in 
besonderen  Fällen,  so  wenn  die  Tochter  sich  mit  einer  „schnöd 
leichtfertigen  Person“  verheiratet,  und  bei  Nr.  XII  = 6,  wo  der 
Text  Justinians  ebenfalls  die  Erbeinsetzung  der  „unwürdigen“ 
Kinder  für  null  und  nichtig  erklärt,  tritt  eine  gesetzliche  Ent- 
erbung „glich  stracks  nach  innhalt  diss  vnsers  Stattrechten“  ein. 

Diese  Bestimmungen  nahm  sich  zuerst  die  Stadt  Basel 
zum  Muster.  Sie  erliess  eine  Satzung  am  Donnerstag  nach 
dem  Sonntag  Quasimodogeniti  1523,  welche  in  die  Erneuerte 
Satzung  der  Stadt  vom  14.  September  1539  Aufnahme  fand l). 
Darin  werden  die  Enterbungsgründe  in  Form  einer  Warnung 
für  die  „ rechten  Kinder  und  Kindskinder  “ vorgebracht,  da- 
mit sie  sich  gegen  ihre  Eltern  „haben“  sollen,  wie  ihnen  von 
wegen  kindlicher  Verpflichtung  wohl  zieme  und  gebühre,  widrigen- 
falls sie  die  Enterbung  von  seiten  der  Eltern  gewärtigen 
müssen.  Ausgeführt  werden  aber  nur  die  Gründe  I (Realinjurie) 
und  II  (Verbalinjurie),  in  welchem  letzteren  Falle  die  Erwähnung 
des  „fluchen“  wohl  Bernischer  Einschlag  sein  könnte®);  sodann 
Nr.  X (Schauspielergewerbe),  wo  der  „Pflatzmeister“  „blatz- 
leger“  heisst  und  „gemein  frowen“  beigefügt  werden;  endlich 
Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter),  wrobei  auf  die  Ordnung  des 
Blauen  Buches  (um  1450)  verwiesen  ist8).  Ausserdem  stellt 
die  Satzung  aber  noch  den  neuen,  offenbar  den  Zeitverhältuissen 
angepassten  Fall  auf,  wenn  die  Kinder  „über  verbott  wissen 
und  willen  ir  eitern  in  ein  krieg  loufen,  und  das  selbig  verbot 
vormals  von  einer  oberkeit  by  eidt  und  eer  beschehen  were“, 
und  behält  schliesslich  „ander  derglichen  Sachen“  vor,  deren 


')  S.  Kechtquelien  von  Basel,  I.  Teil,  1856,  S.  368:  Nr.  163,  n und  o. 
*)  Vgl.  oben  S.  74. 

*)  Daselbst  8.  139,  lit.  i.  Danach  verlieren  Kinder  unter  20  Jahren  zwar 
ihr  Erbe,  die  Eltern  aber  können  ihnen  verzeihen  und  das  Out  wiedergeben. 


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88 


die  Kinder  „sich  nit  gebruchen“  sollen,  womit  zum  ersten 
Male  eine  clausula  generalis  in  der  vorliegenden  Materie  auftritt. 

Dieselbe  Fassung  wird  in  der  Neuen  Ordnung  des  Stadt- 
gerichts zu  Basel  von  1557  beibehalten1 II. III.),  und  in  die  Landes- 
ordnung der  Grafschaft  Farnsburg  sowie  der  Herrschaften 
Waldenburg,  Homburg  und  Ramstein  von  1611,  1654  und  1757 
übernommen*).  Von  1611  an  aber  bedurfte  es  in  Basel  stets 
einer  besonderen  Bewilligung  der  einzelnen  Enterbung  von  seiten 
des  Rates;  so  wenigstens  scheint  ein  Ratserlass  vom  5.  Januar 
1611  ausgelegt  worden  zu  sein3),  und  damit  stellte  man  sich 
ja  auch  im  Grunde  durchaus  auf  Alt- Freiburger  Standpunkt. 

Auch  das  Wiirttcmbergische  Landrecht  von  1554  ist,  wie 
bekannt4),  von  dem  Freiburgischen  Stadtrechte  beeinflusst 
worden,  wie  sich  in  der  vorliegenden  Materie  ebenfalls  fest- 
stellen lässt5),  es  steht  aber  auch  der  Fassung  in  dem  später 
zu  besprechenden  Pernederschen  Institutionenlehrbuch  von  1544 
nicht  fern8).  Von  der  erstgenannten  Vorlage  hat  es  sich  in 
manchen  Punkten  dennoch  entfernt.  Allerdings  fehlt  auch  hier 
Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft),  während  die  korrespondierende 
Nr.  7 vorhanden  ist,  aber  die  Fälle  IX  (Testierhindernis)  und 
XIV  (Ketzerei),  auch  Nr.  VII  (Sykophantie)  sind  eingeordnet. 
In  der  Gestaltung  der  für  Deszendenten  bestimmten  Gründe 
verlässt  sodann  Württemberg  das  Nürubergische  Vorbild  gänzlich 
und  fasst  sie  selbständig,  und  auch  hinsichtlich  der  ausser- 
testamentarischen  Enterbung  und  des  ganzen  obrigkeitlichen 

■)  Daselbst  S.  409:  Nr.  90/1. 

*)  Daselbst  Teil  II,  1865,  S.  126  (Nr. 53),  S.186  (Nr. 27)  und  S.329  (Nr.38). 

*)  Vgl.  daselbst,  I.  Teil,  S.  483  N.  2,  und  einen  Fall  aus  dem  Jahre  1783: 

II.  Teil,  S.  329  N.  31. 

*)  Vgl.  Wächter,  Württemb.  Privatr.,  I,  1,  8.  232/3.  Hier  wird  der 
Grund  fiir  diese  Erscheinung  in  dem  Schiilerverbältnisse  zwischen  Zasius 
und  Johann  Sichard,  einem  Mitgliede  der  WUrtteuibergiscben  Kommission, 
gesucht. 

s)  New  landtrecht  des  Ftlrstenthums  Würteuberg,  1554  (publiziert  1555): 

III.  Teil,  S.  CCXLVIII  ff. 

*)  Die  Ähnlichkeit  besteht  hier  namentlich  in  der  fast  wörtlich  gleichen 
Fassung  von  Nr.  V und  VI  (=  3),  auch  XI,  obwohl  hier  Perneder  das 
Unterscheidungsalter  berücksichtigt,  ferner  in  der  im  Text  zu  bemerkenden 
Übereinstimmung  der  Beispiele  zu  Nr.  X.  Auch  die  Verbindung  von  Xr.  6 
und  7 zu  einem  Falle  (vgl.  oben  S.  34)  findet  sich  hier  wieder. 


89 


Einflusses  auf  die  Enterbung  ist  es  Freiburg  nicht  gefolgt. 
Nr.  VIII  legt  die.  Pflicht  zur  „Ausbürgnng“  der  gefangenen 
Eltern  Kindern  und  Enkeln  ohne  Unterschied  des  Geschlechtes 
auf;  in  Nr.  X (Schauspielergewerbe)  werden  den  Beispielen, 
wie  bei  Perneder,  noch  Gaukler  und  „Scholderer“  hinzugefügt, 
ein  Wort,  welches  die  Aufseher  bei  Glücksspielen,  aber  auch 
Hurenwirte  oder  Kuppler  zu  bedeuten  hat l).  Bei  Nr.  IX 
(Testierhindernis)  wird  den  durch  die  Einwirkung  der  Deszen- 
denten des  Erblassers  von  dessen  Erbschaft  Ausgeschlossenen 
das  Verfahren  angegeben,  wie  sie  mittelst  Klage  bei  den  Amt- 
leuten und  Gerichten  des  Landes  jene  Deszendenten  „aller 
ihrer  angemassten  Erbgerechtigkeit  entsetzen“  können.  In 
Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  endlich  fehlt  das  Unterscheidnngs- 
alter  sowie  die  Ausdehnung  auf  die  männliche  Deszendenz. 

An  das  Württembergische  Laudrecht  lehnt  sich  in  den 
hier  in  Betracht  kommenden  Stellen  das  Kurfürstlich  Pfälzische 
Landrecht  von  1582  an*).  Nur  folgendes  ist  hervorznheben. 
Beim  XI.  Grunde  (Ungehorsam  der  Tochter)  kehrt  diese  Gesetz- 
gebung wieder  zum  Freiburgischen  Vorbilde  zurück  und  ist 
noch  milder,  als  dieses,  denn  das  Enterbungsrecht  soll  auch 
dann  wegfallen,  wenn  die  Heirat  wider  Willen  der  Eltern  aus 
Torheit  der  Jugend  erfolgt  ist  oder  ein  Kind  durch  Kuppelei 
„hinterführt*  wird  und  das  Kind  entweder  um  seiner  Eltern 
willen  oder  um  der  Obrigkeit  willen  (d.  h.  aus  Furcht  vor 
Strafe)  vor  gänzlicher  Vollziehung  der  Hochzeit  von  der  Ehe 
absteht  oder  sich  an  eine  ehrliche  Person  verheiratet,  wodurch 
es  seine  Sachen  merklich  verbessert  hätte  (!).  Sodann  wird 
hier  wirklich  und  unzweideutig  eine  Generalklausel  an  die 
Aufzählung  der  Gründe  für  Aszendenten  angeschlossen,  nach 
welcher  auch  aus  anderen  dergleichen  oder  grösseren  Ursachen 
eine  Enterbung  vorgenommen  werden  darf.  Als  Beispiel  ist 
angeführt:  da  ein  Sohn  ein  Verräter  des  Vaterlandes  wäre 
oder  frefentlich  wider  die  kaiserliche  Majestät  oder  den  Landes- 
herrn handelte,  ohne  dass  es  einer  Anklage,  wie  im  Falle  III 
oder  1,  bedarf.  Damit  ist  zum  erstenmal  in  einer  von  alters  her 

')  Vgl.  Grimm,  Deutsches  Wörterbuch  s.  b.  v. 

*)  III.  Teil,  XVI.  und  XVII.  Titul  (Bl.  16  ff.). 


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90 


aufgeworfenen  Streitfrage  über  die  Dehnbarkeit  der  aufge- 
zählten Gründe  gesetzlich  Stellung  genommen,  während  das  ge- 
wählte Beispiel  eines  selbständigen  Deliktes  des  Kindes  nichts 
ganz  neues  bietet1).  Neu  ist  aber  auch  die  Warnung  vor  leicht- 
fertigen Enterbungen,  welche  hier  erfolgt:  die  Eltern  sollen 
„zu  den  unmilden  beschwerlichen  Enterbungen“  sich  nicht 
leichtlich  bewegen  lassen,  vielmehr  mit  Rat  anderer  frommer, 
redlicher,  getreuer  Leute,  insbesondere  der  Rechtsgelehrten, 
hierinnen  handeln;  namentlich  wird  auch  Verzeihung  empfohlen, 
welche  dann  die  Enterbung  hinfällig  machen  soll. 

Jene  allgemeine  Klausel  ist  auch  in  das  erneute  gemeine 
Landrecht  des  Herzogtums  Württemberg  von  1610*),  welches 
im  wesentlichen  die  Form  von  1554  nicht  verändert  hat3), 
übernommen  wordeu4).  Es  gestattet  die  Enterbung:  „wann 
ein  kind  sich  gegen  seine  Eltern  oder  sonsten  in  ander  weg 
mit  solchen  schwehren  Vnthaten,  welche  oberzehlten  Vrsachen 
gleich  oder  noch  beschwehrlicher,  sträflicher  vnd  denn  Eltern 
ohnleidenlicher  weren  als  dieselben,  vergreifen  wurde“.  Das 
Churpfälzische  erneuerte  und  verbesserte  Landrecht  von  1610 s) 
und  1698 8)  dagegen  hat  an  der  älteren  Fassung  gar  nichts 
umgestaltet. 

Aus  den  Redaktionen  des  Württembergischen  und  Pfälzi- 
schen Landrechts  von  1610  ist,  sich  bald  an  dieses,  bald  an 
jenes  anschliessend,  das  Landrecht  des  Herzogtums  Preussen, 
publiziert  im  Jahre  1620,  hervorgegangen7),  nur  dass  hier 


')  Vgl.  im  Kleinen  Kaiserrecht:  „an  das  riche  reden*,  oben  S.  54,  nnd 
die  Berner  Satzung  oben  S.  75. 

*)  m,  17  und  18  (S.  390  ff.). 

*)  Bemerkenswert  ist  die  Änderung  von  „Scholderer“  oder  „Pflatzmeister“ 
in  Nr.  X in  „Wasenmeister“,  was  aber  einen  Abdecker  bedeutet.  Das  Pfäl- 
zische Landrecht  hatte  sich  einer  Exemplifikation  überhaupt  enthalten. 

4)  S.  S.  395.  Der  Zusatz  ist  auf  Dr.  Balthasar  Eisengreins  Relation 
zum  III.  Teile  des  Landrecbtes  zurückzuf Uhren:  vgl.  Württembergische  Land- 
rechtsakten, 1859,  S.  395/6,  vgl.  auch  S.  595. 

*)  III.  Teil,  Titel  14  und  15  (S.  400  ff.). 

*)  Bei  A.  v.  der  Nabmer,  Die  Landrechte  des  Ober-  und  Mittel-Rheins, 
I,  1831,  8.  509  ff. 

7)  V.  Buch,  Titel  V (S.  21  ff.).  Ebenso  Jus  provinciale  ducatus  Prussiae, 
publicatum  a.  1620:  Lib.  V,  Tit.  5 (S.  18—22). 


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Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft)  in  einer  dem  Justinianischen 
Originale  möglichst  angepassten  Weise  aufgenommen  ist  und 
überhaupt  keiner  der  Justinianischen  Fälle  fehlt.  Auch  die 
Generalklausel  und  die  Warnung  vor  den  unmilden  Enterbungen 
(diese  freilich  unter  Weglassung  der  Reclitsgelehrten  als  Inter- 
preten!) findet  sich  hier  in  der  Pfälzischen  Fassung  wieder, 
anderes  ist  geringfügig  modifiziert l).  Das  Churfürstlich  Branden- 
burgische  revidierte  Landrecht  des  Herzogtums  Preussen,  ge- 
druckt 1685 2),  lautet  dann  wörtlich  mit  der  Ausgabe  von  1620 
gleich,  und  hat  nur  an  einer  Stelle  eine  bemerkenswerte  Ab- 
weichung, indem  bei  Nr.  III  (Kriminalanklage)  die  Ausnahme 
nicht,  wie  früher,  heisst:  „Es  wäre  dann  eine  solche  Uebelthat 
und  Laster,  so  wider  die  höchste  Obrigkeit  und  Mayestet, 
oder  Vns  den  Landesfürten  usw.“,  vielmehr  jetzt  gesagt  wird: 
„nemlich  wider  Vns  den  Lands-Fürsten“,  so  dass  damit  die 
kaiserliche  Autorität  unter  den  Tisch  gefallen  ist.  Im  „ Ver- 
besserten Landrecht  des  Königreichs  Preussen  von  1721“ 3)  wird 
dann  in  diesem  Falle  nur  statt  „Fürstentum“  „Königreich“ 
gesetzt. 

Zu  den  Nachfolgern  derselben  beiden  Fassungen  von  Württem- 
berg und  Pfalz  gehört  auch  das  Landrecht  der  Markgrafschaften 
Baden  und  Hachberg  usw.  von  1622 4).  Auch  hier  ist  Nr.  XIII 
vorhanden.  Der  Nr.  I (Realinjurie)  ist  die  Ausnahme  hinzu- 
gefügt: wenn  es  „vngefehr  geschehen,  als  da  einer  einen  andern 
schlagen  wollen  vnnd  jhrne  der  Vatter  oder  Mutter  vnter  den 

‘)  So  ist  in  Nr.  III  bei  den  Ansnabmen,  den  Quellen  entsprechend,  vom 
„gemeinen  nutz“  die  Rede;  bei  VIII  wird  die  Bürgschaftsübernahme,  eben- 
falls den  Quellen  entsprechend,  auf  „Mannspersonen“  eingeschränkt;  in  Nr.  X 
steht  an  Stelle  der  WUrttembergischen  Beispiele  von  Scholderer  und  Platz- 
meister „Büttel“  „nnd  dergleichen  anderer  verachteter  Mann*  (vgl.  Glosse 
zum  Lehnrecht  des  Sachsenspiegels:  „edder  ein  ander  gerade  man“);  bei  4) 
(Testierhindernis)  wird  hervorgehoben:  „sonderlich  in  den  Dingen  darin  ihnen 
die  Recht  zu  testieren  zngelassen*. 

*)  S.  762  ff. 

*)  S.  230  ff. 

*)  V.  Teil,  Titel  17  und  18  (BI.  127a  ff.)  Ebenso  noch  1710  (S.  235  ff). 
Es  finden  Anlehnungen  statt:  an  Württemberg  bei  Nr.  XII  und  XIV,  an 
Pfalz  in  Nr.  II  bis  VII,  1)  bis  5),  7)  und  8).  Auch  die  Generalklausel  und 
die  Mahnung  vor  übereilten  Enterbungen  ist  aufgenommen.  Nr.  6 (Geistes- 
krankheit) setzt  sich  aus  beiden  Vorlagen  zusammen. 


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Straich  geloffen“.  Bei  Nr.  1 (Realinjurie  uuter  den  Gründen 
für  Deszendenten)  wird  der  Fall  ausgeschlossen:  wenn  die  An- 
klage wegen  „anderer  groben  abscheulichen  Misshandlungen“ 
erfolgt  ist. 

Endlich  hat  auch  die  Stadt  Basel  in  ihren  Statuta  und 
Gerichtsordnung  vom  5.  Juni  1719')  ihre  alte  Fassung2)  auf- 
gegeben und  in  der  vorliegenden  Materie  das  Vorbild  des 
Württembergischen  Landrechts  von  1610  fast  wörtlich  befolgt. 
Eigentümlich  ist  ihr  nur  der  Verzicht  auf  Nr.  IX  = 4 (Testier- 
hindernis), welcher  übrigens  dem  alten  Freiburger  Muster  ent- 
spricht, und  die  Ausdehnung  des  X.  Falles:  „ein  schändlich 
üppiges  Leben  führen“  auf  die  Eltern,  so  dass  Kinder  im- 
stande sind,  ihre  Eltern  deswegen  zu  enterben.  Auch  in 
Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  ist  wieder  auf  das  Freiburger 
Original  zuriickgegriffen,  indem  der  Falt  auf  die  Verehelichung 
der  Kinder  überhaupt  erweitert  wird,  unter  Hinweis  auf  die 
Ehegerichtsordnung  vom  13.  September  1717 3). 

XII.  Dem  16.  Jahrhundert  entstammen  zwei  weitere  nieder- 
deutsche Versionen  der  Enterbungsgründe,  die  im  Braun- 
schweigischen Stadtrechte  vom  22.  August  1532  und  die  im 
Ostfriesischen  Landrecht  aus  derZeit  zwischen  1540  und  1550 4). 
In  beiden  sind,  zum  erstenmal  seit  der  Altfriesischen  Überlieferung, 
sämtliche  Enterbungsgründe  für  Aszendenten,  im  Ostfriesischen 
Landrechte  auch  sämtliche  für  Deszendenten  dargestellt,  während 
Braunschweig  allerdings  nur  „Söuen  orsake“  kennt,  „wurdorch 
de  kynder  obre  eldern  jn  ören  testamenten  enteruen  edder 
obrer  nicht  gedenckenn  mögenn“ ; hier  fehlt  nämlich,  wie  nach- 
her in  der  Geldernschen  Reformation 5),  Nr.  5 (Lebensuachstelluug 
unter  Eltern). 

Dem  Braunschweigischen  Stadtrechte6)  sind  mehrfach  die 

')  Rechtsquellen  von  Basel,  I.  Teil,  2.  Hälfte  (1859)  S. 886  ff. : III.  Teil, 
Titel  XIII  u.  XIV.  Ebenso  noch  1849  (daselbst  8.  749  N.  1). 

*)  Oben  S.  87. 

*)  S.  a.  a.  0.  S.  675 ff.:  § 9 a.  E.;  § 10;  § 12  (Art.  II  und  III). 

*)  Vgl.  über  diese  Zeitbestimmung;  Borcbling  in  der  Zeitschrift  der 
Savigny-Stiftung,  Rom.  Abt.,  27  (1906)  S.  279,  und  in  Wächter,  Abhand- 
lungen und  Vorträge  zur  (jeschichte  Ostfrieslands,  5.  Heft  (1906)  S.  33  ff. 

s)  Oben  S.  80. 

‘)  S.  Urkundenbuch  der  Stadt  Brauuschweig,  I,  1873,  S.  315  ff. 


93 


sächsischen  Vorbilder  anzumerken.  So  schon  in  dem  öfters 
gebrauchten  Ausdrucke  „Erblosmachen“  neben  „enteruen“  und 
„orer  nicht  gedencken“  *).  Man  vergleiche  ferner  die  Be- 
zeichnung in  Nr.  IV:  „mitb  thöuerern  vnd  thouerye  vmmegen“*), 
bei  Nr.  VII:  „jn  grothe  vnkostynge  vnd  schaden  foiren“3),  sowie 
die  Beispiele  zu  Nr.  X:  „lodderboue“  und  „gökeler“ 4).  Auch 
die  Erweiterung  dieses  letzteren  Falles  auf  die  weibliche  Des- 
zendenz (Kinder)  entspricht  dem  sächsischen  Vorbilde.  Im 
übrigen  ist  nur  das  Fortlassen  der  Ausnahmen  in  Nr.  III 
(Kriminalanklage)  und  der  Konkubine  in  Nr.  VI  (Inzest)4)  zu 
erwähnen,  Erscheinungen,  die  auch  sonst  nicht  selten  sind6). 

Das  Ostfriesische  Landrecht7)  hat  mit  der  älteren  friesi- 
schen Überlieferung  in  der  vorliegenden  Materie8)  nicht  viel 
gemein.  Die  Übereinstimmung  beschränkt  sich,  abgesehen  von 
der  Vollzähligkeit  der  Fälle,  eigentlich  nur  auf  einige  Aus- 
drücke. So:  „dat  gemene  Beste“,  wie  dort  die  „gemeine  Nütz- 
lichkeit“ bei  den  Ausnahmen  von  dem  Verbot  der  Kriminal- 
anklage (Nr.  1),  hier  auch  bei  Nr.  III,  und  die  „quait  Gesel- 
schup“,  wie  dort:  „quade  Leute“,  in  Nr.  IV;  die  letzteren 
werden  jetzt  aber  ausdrücklich  als  Zauberer  erläutert,  die  „sich 
von  Gott  zum  Teufel  geben“.  Die  Reihenfolge,  in  welcher  die 
Fälle  für  Aszendenten  aufgezählt  werden,  ist  dagegen  wieder 
eine  besondere9),  und  der  5.  der  Fälle  für  Deszendenten 
(Lebensnachstellung  unter  den  Eltern)  findet  sich  hier  wieder 
zurechtgerückt. 

Nr.  II  (Verbalinjurie)  heisst  hier:  „schwarlich  versprecken“, 

')  Das  _ erllois  maken“  findet  sich  in  der  Einleitnng  zu  den  „verthein 
orsaken  der  vmlauckbarheit“  und  hei  Nr.  XII:  „Wen  denne  de  eldern  tho 
obren  vornüffigenn  synnen  wedder  kernen,  sso  möchten  sse  de  kyuder  edder 
frilnde  erfiois  maken“. 

*)  Vgl.  oben  S.  67. 

*)  S.  oben  S.  67  und  71. 

«)  Oben  S.  71. 

*)  Frensdorff  in  der  Zeitschr.  d.  Sav.-Stift.,  Germ.  Abt.,  26  (1905) 
S.  250,  hält  diese  Auslassung  für  eine  beabsichtigte. 

*)  Vgl.  z.  B.  oben  S.  77  N.  4. 

*)  Ausgabe  von  Matth,  v.  Wicht,  1746,  S.  356 ff.:  Lib.  II,  cap.  44. 

*)  S.  oben  S.  81  ff. 

*)  Sie  ist  folgende:  I,  II,  III,  V,  VII,  XII,  IV,  VI,  VIII,  XIII,  IX,  X,  XIV,  XI. 


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94 

die  „amie“  im  Falle  VT  und  3:  „Byscldepersche“,  die  „bösen 
Leute“  im  Falle  X (Schauspielergewerbe)  werden  mit  Bei- 
spielen belegt:  „als  Tatern.  Nette-Boven,  so  dorcli  de  Lande 
loepen“,  worunter  doch  wohl  eher  Schauspieler  mit  der  Gesichts- 
maske, als  vermummte  Räuber1),  zu  verstehen  sein  mögen. 
Beachtenswert  ist  namentlich,  dass  diese  Gesetzgebung,  gleich 
dem  Sachsenspiegel3),  im  Falle  Nr.  I (Realinjurie)  das  Recht 
der  Notwehr  berücksichtigt:  die  Kinder  können  deu  Eltern 
„den  Schlach  woll  schütten“,  ja  es  soll  nicht  schaden,  wenn  sie 
dann  die  Eltern  „seligen  in  schuttent“.  Eine  wichtige  Neuerung 
wird  ferner  noch  damit  eingeführt,  dass  auch  Geschlechtsver- 
gehen  der  Eltern  unter  den  Enterbungsgründen  Berücksichtigung 
finden.  Es  soll  nämlich  im  Falle  Nr.  XI  (Ungehorsam  der 
Tochter)  der  Vater  sein  Enterbungsrecht  durch  eigene  Unkeusch- 
heit einbüssen,  falls  er  dadurch  der  Tochter  selber  ein  schlechtes 
Beispiel  gegeben  hat,  und  die  Mutter  darf,  solange  sie  selber 
in  Uukeuschheit  lebt,  von  ihrer  Enterbungsbefugnis  keinen 
Gebrauch  machen,  vielmehr  können  die  Kinder  sie  (nicht  aber 
auch  den  Vater)  wegen  Unkeuschheit  enterben8).  Besserung 
der  Tochter  aber  rehabilitiert  sie  beiden  Eltern  gegenüber4). 

XIII.  Neben  den  Rechtsbüchern  und  Gesetzgebungen  müssen 
auch  zwei  Institutionen  - ähnliche  Darstellungen  in  deutscher 
Sprache,  welche  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  angehören, 
Berücksichtigung  findeu,  zumal  die  eine  derselben,  wie  bereits 
hervorgehoben  wurde6),  auf  eine  Gesetzgebung  der  Zeit,  nämlich 
auf  das  Württembergische  Laudrecht  von  1554,  nicht  ohne 
Einfluss  gewesen  zu  sein  scheint.  Es  sind  dies  die  deutsch  ge- 
schriebenen „Institutiones“  des  Andreas  Perneder  von  1544 6) 
und  „der  Rechten  Spiegel“  des  Justinus  Gobler  von  1552 7). 

')  So  erkläre  da»  Wort  v.  Wicht,  S.  359  N.  ß:  als  Masken  (=  Netzei- 
Buben,  die,  „wenn  sie  aut  den  Kaub  oder,  andern  Mutwillen  auszuüben, 
ausgelten1,  eine  Maske  vor  das  Gesicht  hängen,  um  nicht  erkannt  zu  werdeu. 

')  Oben  S.  46. 

*)  Dies  wird  bei  Nr.  XIV  bemerkt. 

4)  Vgl.  auch  II,  131,  158/9:  Verlust  des  Anrechts  auf  einen  Braut- 
schatz für  den  XI.  Fall. 

s)  Oben  S.  88. 

•)  S.  LVIII  ff. 

’)  Bl.  XXXVIII  h ff. 


95 


Perneder  stellt  die  Enteibungsgriinde  gelegentlich  des  In- 
stitutionentitels 2,  13  „de  exheredatione  liberorum“  zum  Schluss- 
paragraphen (§  7)  dar,  worin  er  nicht  ohne  Vorgänger  ist1). 
Seine  Ausdrucks  weise  erinnert  gelegentlich  an  die  Wormser 
(also  eigentlich:  Nürnberger)  Reformation*)  und  an  das  Frei- 
burger Stadtrecht8),  auf  welches  er  ja  sonst  auch  Bezug  nimmt4). 
Die  Konkubine  in  Nr.  VI  und  3 nennt  er  „schlaffweib“  und 
„schlafbüle“.  Den  schon  oben  erwähnten6)  Beispielen  für  den 
X.  Fall:  „sich  in  ain  leichtfertig  Übung  vn  büben  leben  be- 
geben“: tritt  hier  „ein  Freyhartsbub“  hinzu  „d.  h.  ein  Strolch, 
ein  Vagabund,  „oder  so  er  sich  vndterstüude  wilde  thier  im  land 
vmbzefüren  und  mit  denselben  sein  narung  zügewinnen“.  Bei 
Nr.  XII  (Geisteskrankheit),  welcher  Fall,  wie  in  Freiburg6), 
erweitert  wird,  ist  auch  Vorsorge  dafür  getroffen,  wenn  der 
Kranke  „gar  von  menigklich  verlassen  wurde“,  ein  Fall,  für 
welchen  die  Glosse  Neglexerint  zu  Nov.  115,  3,  12  die  Wahl 
lässt,  ob  man  ihn  als  Indignitätsfall  oder  nach  Analogie  des 
nächstfolgenden  Falles  Nr.  XIII  (Anfall  an  die  Kirche)  behandeln 
will.  Perneder  entscheidet  sich  für  keine  von  beiden  Möglich- 
keiten, sondern  lässt  die  Erbschaft  an  die  Obrigkeit  gelangen, 
welche  dieselbe,  wie  im  XIII.  Falle,  inventarisieren  und  zum 

')  Vgl.  die  Turiner  Glosse  oben  S.  24  N.  4,  während  die  Anthentika  zu 
den  Institutionen  (oben  S.  31)  und  die  Merkverse  Uber  die  Enterbungsfälle 
(oben  S.  33  ff.)  dem  Tit.  2,  18  de  inofficioso  testamento  beigefügt  sind.  Ebenso 
wie  die  Turiner  Glosse  nehmen  auf  J.  2,  13,  7 Bezug  die  im  Jahre  1498  ge- 
druckten Statuten  von  Messina:  s.  W.  v.  Brünneck,  Siziliens  mittelalter- 
liche Stadtrechte,  1881,  S.  86:  cap.  XXII,  wo  aber  auf  die  „causae  ex  quibus 
per  leges  exhaeredantur“  nur  verwiesen  wird.  Auf  die  zitierte  Institutionen- 
stelle dürfte  nämlich  durch  die  Worte:  „Mater  vero  eos  exhaeredare  non 
dicitur“  hingewiesen  sein,  während  v.  Brünneck  hier  freilich:  Systematische 
Darstellung,  S.  93/4,  ein  Missverständnis  der  Nov.  115  vermutet,  als  ob  für 
die  Mutter  wegen  Mangels  der  elterlichen  Gewalt  noch  das  alte  Recht  in 
Betracht  gekommen  sei.  Aber  auch  die  Note  des  Apulus  Uber  „tacite  prae- 
terire"  passt  auf  die  Institutionenstelle. 

’)  Vgl.  bei  Nr.  I:  „mit  freuenlicher  gewaltsam  hand  anlegen“  und  die 
Fassung  der  Folgen,  wenn  der  Erblasser  ohne  Testament  verstirbt,  bei  Nr.  IX. 

*)  Vgl.  Nr.  II:  „schwäre  vneerliche  schmach  zftlegen“,  Nr.  IV:  „mit 
zauberey  und  vnbolden  wercken  vinbgehen“. 

*)  Vgl.  Stintzing,  Geschichte  der  deutsch.  Rechtswissensch.,  I S.  575. 

•)  Oben  S.  89. 

•)  Oben  S.  86. 


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96 


Loskauf  von  Gefangenen  verwenden  soll.  Besonders  versucht 
es  der  Verfasser  noch,  die  Aufnahme  des  XIII.  Falles  (Kriegs- 
gefangenschaft) zu  rechtfertigen,  welchen  die  oben  als  seine 
Vorbilder  genannten  Gesetzgebungen  ausgelassen  haben.  Er 
meint,  dass  diese  Fälle  „der  fäncknuss  halber“  sich  jeden  Tag 
ereignen  könnten:  „dann  es  geschieht  offt  das  lewt  in  die 
Türckey  oder  sunst  an  den  feinden  gefangen  vnd  nachvolgend 
geschätzt  werden,  die  man  mit  erlegung  dess  schatzgelts  leiclit- 
licli  erledigen  möchte“.  In  der  Darstellung  der  beiden  letzten 
Gründe  XIII  und  XIV  (Ketzerei)  bemüht  sich  dann  Perneder 
sichtlich,  einen  möglichst  engen  Anschluss  an  das  römische 
Original  zu  gewinnen  und  dasselbe  tunlichst  getreu  zu  repro- 
duzieren. 

Hinsichtlich  der  Enterbungsgründe  für  Kinder  wurde  schon 
früher  darauf  hingewiesen,  dass  und  aus  welchem  Grunde  Per- 
neder nur  7 derselben  aufzählt1). 

Justinus  Gobler  fasst  sich  bei  seiner  Verdeutschung  der 
Justinianischen  Fälle  erheblich  kürzer,  als  sein  Vorgänger. 
„Enterben“,  sagt  er,  „ist  von  der  Succession  vnnd  Erbnennung 
ausschliessen.  Als  wann  ein  Vatter  seinen  Son  Tochter  oder 
Enckeln  vmb  verwirckung  willen  vnnd  auss  redlicher  vrsacb 
enterbet  vnd  von  seiner  haab  vnnd  gütern  ansschleusst“.  Er 
zählt  dann  die  sämtlichen  Justinianischen  Fälle  in  der  gesetz- 
lichen Reihenfolge  auf,  und  ist  manchmal  im  Ausdruck  originell. 
So  spricht  er  in  dem  III.  Falle  = 1 ähnlich  wie  Bern 2),  von 
„Malefizsachen“  und  macht,  allerdings  nur  bei  den  Gründen 
für  Kinder  (Nr.  1),  die  Nürnbergische  Ausnahme  der  Ketzerei. 
Die  malefici  in  Nr.  IV  nennt  er  „bosshafftige  vergifftige  leute“ 
und  auch  bei  Nr.  2 heisst  es:  dem  Leben  des  Kindes  „als  ein 
bösswicht“  nachstellen s).  Bei  Nr.  VII  (Sykophautie)  steht  neben 
dem  Angeben  noch  „bösslich  betrügen“,  ohne  dass  es  übrigens 
die  Absicht  des  Verfassers  zu  sein  scheint,  der  Angeberei  noch 
ein  anderes  Vergehen  an  die  Seite  zu  setzen.  Bei  X ist  von 
„leichtfertigen  Leuten“:  Gäucklern,  Spitzbuben,  Lotterbuben 

’)  Oben  S.  34. 

s)  Oben  S.  75. 

*)  Vgl.  bei  Ruprecht  von  Freising  und  Kulm  oben  S.  58  N.  1,  und  im 
Eisenacher  Rechtsbueh  oben  S.  74  die  Erwähnung  der  „Böswicbte“. 


t. 


9? 


die  Rede;  das  Vergehen  der  Tochter  in  Nr.  XI  wird  als  „hnrisch 
leben  wollen“  bezeichnet,  aber  ohne  Erwähnung  des  Unter- 
scheidungsalters oder  anderer  Ausnahmen.  Nr.  IX  (Testier- 
hindernis) und  die  drei  letzten  Fälle  XII  bis  XIV  beschränkt 
Gobler,  wie  es  scheint  unabsichtlich  l),  auf  das  männliche  Ge- 
schlecht; vorher  steht,  wo  es  auf  das  Geschlecht  nicht  au- 
kommt,  immer:  „einer“.  Beim  5.  Falle  endlich  ist  merkwürdiger- 
weise nur  davon  die  Rede,  dass  der  Vater  seiner  Hausfrau, 
des  Sohnes  Mutter,  listiglich  oder  heimlich  nach  ihrem  Leben 
gestanden  hätte,  nicht  aber  von  dem  umgekehrten  Falle,  wenn 
die  Mutter  sich  des  gleichen  Vergehens  gegen  ihren  Ehemann 
schuldig  machte. 

XIV.  Die  vierte  Ausgabe  der  Nürnberger  Reformation  von 
1564  ist  gegenüber  der  von  1479  in  mehrfacher  Hinsicht  ein 
neues  Werk,  während  bisher  in  den  hier  interessierenden  Gegen- 
ständen nur  an  einem  einzigen  Punkte  eine  Änderung  vorge- 
nommen worden  war2).  Sie  ist3)  dabei  offenbar  von  dem 
Württembergischen  Landrecht  (1554)  beeinflusst  worden4). 
Zwar  fehlen  auch  jetzt  noch  die  Fälle  IV  (malefici),  VII  (Sy- 
kophantie)  und  XIII  (Kriegsgefangenschaft),  obgleich  die  beiden 
ersten  im  Württembergischen  Landrecht  stehen,  und  der  Grund 
der  Ketzerei  ist  offenbar  infolge  der  inzwischen  eingetretenen 
konfessionellen  Umgestaltungen  — auch  wieder  gegen  Württem- 
berg — überall  ausgetilgt.  Auch  andere  Abweichungen  von 
Württemberg  lassen  sich  feststellen5).  Aber  diesen  Ver- 


*)  Hinsichtlich  der  Beschränkung  bei  Nr.  IX  lässt  sich  allerdings  auf 
Julian  und  die  sächsischen  Glossenarbeiten  Bezug  nehmen : oben  S.  22  u.  08. 

*)  Die  Änderung  ist  in  der  Ausgabe  von  1522  (XV,  2)  vorgenommen 
und  betrifft  die  Herabsetzung  des  Dnterscbeiduugsalters  beim  Vergehen  der 
Tochter  im  Falle  XI  von  25  auf  22  Jahre. 

*)  Titel  29,  Gesetz  4 und  7. 

*)  Thomasius  in  seiner  oben  (S.  76  N.  6)  erwähnten  Dissertation  hat 
dies  nicht  bemerkt. 

*)  So  ist  bei  IX  (Testierhindernis)  an  der  älteren  Fassung  festgebalten, 
welche  die  Erbschaft  „andern  des  abgegangeu  uehsten  erben  verfallen  sein'* 
lässt,  während  Württemberg  die  Hechte  derjenigen  zu  wahren  sucht,  „welchen 
es  der  Abgestorben  verschaffen  wöllen*.  Auch  bei  Nr.  XI  (Ungehorsam  der 
Tochter)  wird  an  dem  Unterscheidungsalter  von  22  Jahren  festgehalten,  von 
welchem  Württemberg  überhaupt  absieht. 

Korket,  KiiterliuiigsgrUiiile  7 


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98 


schiedenheiten  stehen  folgende  Übereinstimmungen  gegenüber. 
Nr.  VI  = 3 (Inzest)  wird  ausdrücklich  auf  die  Töchter  mit- 
bezogen, ebenso  bei  Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  die  Pflicht  zur 
Verbürgung1)  und  in  Nr.  X der  Schauspielerberuf.  In  dem 
letzteren  Falle  erscheint  auch  nicht  mehr  der  „Katzenritter“ 
als  Beispiel,  vielmehr,  wie  in  Württemberg,  Frauenwirt  oder 
-wirtin,  Nachrichter  und  Gaukler*),  während  die  „Scholderer“ 
und  „Platzmeister“  als  dem  einheimischen  Sprachgebrauche 
unverständlich  keine  Aufnahme  gefunden  haben.  Nr.  XII  = 6 
(Geisteskrankheit)  wird  uach  Württembergisehem  (und  Frei- 
burgischem)  Vorbilde  auf  „kranckheit  oder  Schwachheit  des 
Leibs“  und  auf  alle  Fälle,  da  die  Ellern  „sonst  an  täglicher 
jrer  Leibsnarung  mangel  betten*,  erweitert.  Endlich  unter- 
scheidet sich  auch  noch  dadurch  die  neuere  Fassung  von  der 
früheren,  dass  von  einer  „Verwirkung“  der  Erbschaft  nicht 
mehr  die  Rede  ist3),  und  dass  im  Falle  XI  die  über  22  Jahre 
alte  Tochter  nur  dann  als  entschuldigt  gilt  und  nicht  enterbt 
werden  kann,  wenn  sie  sich  „ehrlich  verheiratet“ ; anders  wenn 
sie  hurt,  in  welchem  letzteren  Falle  sie  nach  der  Fassung  von 
1479  ihren  Erbteil  hätte  beanspruchen  können4). 

Die  jüngere  Nürnberger  Fassung  ist  grösstenteils  in  die 
Hamburgische  Gerichtsordnung,  publiziert  am  10.  Oktober  1603, 
übergegangen6),  doch  nicht  immer  wörtlich.  So  fehlt  bei  IX 
(Testierhindernis)  nach  dem  ersten  Satz,  wonach  diejenigen  ent- 
erbt werden  können,  welche  ihre  Eltern  an  Aufrichtung  ihrer 
Testamente  und  letzten  Willen  zu  verhindern  sich  unterstanden 

')  Den  Anlass  hierzu  bot,  wie  Thomasius  § XVI  erwähnt,  die  An- 
erkennung der  Frauenbürgscbaft  in  II,  19,  5. 

*)  Den  Grund  hierfür  erblickt  Thomasius  §§  XX — XXXV  in  der  Auf- 
hebung der  praktischen  Anwendbarkeit  der  alten  Bezeichnungen. 

*)  Nur  bei  Nr.  IX  (Testierhindernis)  steht  der  Ausdruck  noch  (Tit.  29, 
Ges.  13,  Abs.  2),  um  die  gesetzliche  Enterbung  in  diesem  Falle  anzudeuten. 

•)  Vgl.  Thomasius  § XLIVff. 

®)  „Der  Stadt  Hamburgk  Gerichtsordnung  vnd  Statuta“,  Druck  von 
1605,  Teil  III,  Titel  1.  Art.  29  und  32  (S.  296  und  300)  Neue  Ausgabe  1842 
„auf  Veranlassung  des  Vereins  für  Hamburger  Geschichte“,  S.  441  ff.  und 
S.  444.  Vgl.  C.  Trümmer,  Das  hamburgische  Erbrecht,  II,  1852,  S.  44311. 
(§§  551—659,  565  ff.),  und  H.  Baumeister,  Das  Privatrecht  der  freien  und 
Hnusestndt  Hamburg,  II,  1856,  S.  271  ff.  (§  109,  III). 


99 


hätten , die  der  Novelle  entsprechende  Fortsetzung:  falls  die 
Eltern  ohne  Testament  absterben.  Bei  Nr.  X (Schauspieler- 
beruf) werden  Frauenwirt  und  -wirtin  nicht  genannt,  dafür 
Schinder  und  Spitzbuben.  Bei  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter) 
fehlt  die  Ausnahme  zugunsten  der  älteren  — wie  in  Württem- 
berg — und  bei  XII  (Geisteskrankheit)  wird  die  Form  der 
Aufforderung,  welche  der  fremde  Pfleger  an  die  Angehörigen 
des  Kranken  zu  erlassen  hat.  als  eine  „trewhertzige  vermanung“ 
in  Gegenwart  zweier  „ehrlicher  Leute“  festgestellt.  Auch  die 
7 Gründe  für  Kinder  (ohne  die  Ketzerei)  sind  nicht  vollständig 
von  Nürnberg  abgeschrieben. 

Auf  der  Hamburgischen  Gerichtsordnung  ist  offenbar  in 
unserer  Materie  das  Stadtrecht,  welches  Herzog  Friedlich  III. 
von  Gottorp  im  Jahre  1633  dem  erst  zwölf  Jahre  zuvor  ge- 
gründeten Friedrichstadt  (in  Schleswig)  verliehen  hat,  aufge- 
baut1), obgleich  dasselbe  die  Fälle  Nr.  IV:  sich  mit  Böse- 
wichtern  und  unehrlichen  leichtfertigen  Gesellen  vermengen  und 
mit  denselben  ein  ärgerlich  gottlos  Leben  und  Handel  treiben, 
und  Nr.  XIII:  „by  den  vyandt  gevangen“  sein,  einordnet.  Die 
Übereinstimmung  zeigt  sich  besonders  in  der  Fassung  von  Nr.  I 
und  II  (Real-  und  Verbalinjurie)  und  von  Nr.  XII  (Leibes- 
krankheit und  geistige  Gebrechen),  welches  hier  mit  der  er- 
wähnten Nr.  XIII  zusammengearbeitet  ist.  Abweichungen  da- 
gegen Anden  sich  z.  B.  in  der  Darstellung  von  Nr.  X (Schau- 
spielergewerbe), welches  hier  heisst:  „Als  een  Soon  sich  tot 
oneerlicken  Speien  begheven  lieeft“,  unter  Verzicht  auf  die 
Beispiele,  und  bei  Nr.  4 (Testierhindernis),  wo  der  Hinweis  auf 
die  Testierfähigkeit  der  Kinder  hinsichtlich  der  „Güter,  davon 
sie  zu  testieren  bemächtigt  sind“,  gestrichen  ist. 

Aus  der  Nürnberger  Reformation  von  1564  in  Verbindung 
mit  dem  Württembergischen  Landrechte  (1554)  ist  endlich  noch 
die  Fränkische  Kaiserliche  Landgerichtsordnung,  gedruckt  1618, 
hervorgegangen8).  Sie  folgt  bald  der  einen,  bald  der  anderen 


')  Policey,  Geriet  ts-Ordeuingbe  vnde  Stadts-recht  — Oase  Stadt  Fredcricks- 
Stadt  — gegeven,  gedruckt  1635:  2.  Teil,  3.  Sektion,  §§  55  u.  59  (S.  330  ff.). 

’)  „Des  Stifts  Wirtzburg»  vnd  Hertzogthumbs  zue  Franckheu  Keyser- 
licben  Landgericht»  Ordnung“,  Teil  III,  Titel  L und  LI  (S.  207  ff.). 


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100 


Quelle1).  Bei  Nr.  VI  (Inzest)  wird  die  Einkindschaft  erwähnt : 
„di  wcren  gleich  durch  die  Einkindschafft  angenommene  Kinder 
oder  nicht“.  Bei  IX  = 4 (Testierhindernis)  wird  hervorgelioben : 
soweit  sich  nach  dieser  unserer  Ordnung  Testament  zu  machen 
gebührt.  Die  Form  von  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter) 
steht  wohl  der  Nürnbergischen  am  nächsten,  aber  die  22  Jahre 
sind  in  20  verwandelt2).  Endlich  findet  sich  sowohl  bei  den 
Gründen  für  Eltern,  wie  bei  denen  für  Kinder  eine  Bemerkung, 
durch  welche  die  von  der  Gesetzgebung  ausgeschlossenen  Fälle 
(IV  Giftmischerei,  XIII  Kriegsgefangenschaft  und  XIV  Ketzerei) 
wieder  eingeführt  werden.  Die  Klauseln  ziehen  nämlich  nicht 
allein  die  „jetzo  erzehlte“,  sondern  „auch  etzliche  andere  mehr 
in  gemeinen  geschriebenen  Rechten  gegründete  und  audere  bey 
den  Rechtslehrern  befindliche“  Ursachen  herein. 

XV.  Es  folgt  nun  eine  Anzahl  von  Stadt-  und  Landrechten 
aus  dem  16.  bis  18.  Jahrhundert,  welchen  ein  Zusammenhang 
oder  eine  Verwandtschaft  untereinander  nicht  nachzuweisen  ist, 
die  aber  sämtlich  darauf  ausgehen,  die  Justinianischen  Ent- 
erbungsfälle für  ihr  Anwendungsgebiet  zu  kodifizieren. 

1.  Das  Lüueburgische  Stadtrecht  des  Heinrich  Husanus 
aus  den  80er  Jahren  des  16.  Jahrhunderts *).  Dasselbe  repro- 
duziert nur  die  Gründe  für  die  Aszendenten,  obgleich  es  auch 
den  Kindern  das  Recht  zuerkennt,  ihren  Eltern  „aus  zu  Recht 
erzehltcn  und  bewehrten  Ursachen“  den  Pflichtteil  zu  entziehen. 
Von  jenen  aber  fehlen  Nr.  VI  (Inzest)  und  XIV  (Ketzerei), 
die  übrigen  sind  in  eine  von  der  Justinianischen  unabhängige 
Ordnung  gebracht.  Auklänge  an  sächsische  Vorarbeiten  finden 
sich,  so  bei  Nr.  VII  (Sykophautie),  wo  der  eigentliche  Anlass 
unterdrückt  und  lediglich  von  Schadenszufügung  „an  seiner 
Nahrung“  die  Rede  ist4),  und  bei  Nr.  XI,  das  auch  hier  den 


')  So  fehlt  z.  B.  Nr.  IV  (malefici)  nml  XIV  = 8 (Ketzerei),  wie  in  Nürn- 
berg; dagegen  ist  Nr.  VII  (Sykophautie)  vorhanden,  das  in  Nürnberg  fehlt. 

*)  Vgl.  das  Wiener  Stadtrecht  oben  S.  61,  welches  dieselbe  Zahl  der 
Jahre  feststellte. 

*)  Gedruckt  1722:  4.  Teil,  Titel  8,  §g  1 und  2 (S.  80ff.).  Vgl.  darüber 
meine  Schrift  Uber  Heinrich  Husanus,  1898,  S.  809. 

‘j  Vgl.  Wurm  in  seinen  Darstellungen  ausserhalb  der  Magdeburger 
Blume;  s.  oben  S.  71.  Vgl.  ancb  die  altfriesischc  Überlieferung  oben  S.  82. 


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101 


Schluss  bildet,  wo  in  bewusstem  Gegensätze  zu  den  „Sächsischen 
Rechten“  (d.  h.  Sachsensp.  I,  5,  2)  die  Tochter,  die  sich  „in  ge- 
meinen Hurenstand  begiebt  oder  zum  zweytenmahl  (!)  sich  be- 
schlaffen  lässt“,  für  enterbbar  erklärt  wird.  Zugleich  ist  auch 
hier  dieser  Fall  auf  Kinder  erweitert,  die  sich  wider  der  Eltern 
Wissen  und  Willen  verehelichen. 

2.  Das  Landrecht  von  Ober-  und  Niederbayern  vom  Jahre 
1616  *).  Dasselbe  enthält  erhebliche  Abweichungen  von  seiner 
früheren,  auf  der  älteren  Nürnberger  Fassung  beruhenden  Ge- 
stalt*). Schon  darin  unterscheidet  es  sich  von  jener,  dass 
jetzt  sämtliche  Fälle  vorhanden  sind,  allerdings  die  für  Eltern 
in  einer  eigentümlichen  Reihenfolge.  Eingewirkt  scheint  zu 
haben  Perneder3)  und  das  Württembergische  Landrecht,  auch 
die  jüngere  Nürnbergische  Fassung  von  1564,  welche  das 
Württembergische  Landrecht  für  sich  verwendet  hat4).  Be- 
merkenswert ist  die  Erweiterung  von  Nr.  XI  (Ungehorsam  der 
Tochter)  anf  Söhne  über  30  Jahre,  die  eine  unzulässige  und 
unehrbare  d.  h.  nicht  standesmässige  Ehe  schliessen 6),  ferner 
bei  Nr.  III  = 1 (Kriminalanklage)  nicht  bloss  die  Beibehaltung 
der  Alt-Nürnberger  Ausnahme  der  Ketzerei,  sondern  deren 
Ausdehnung  auf  Zauberei,  und  für  den  Fall  1 die  weitere 
Ausnahme:  es  müsste  denn  der  Vater  sein  Kind,  welches  sonst 
der  Strafe  nicht  entgehen  möchte,  dem  Richter  überantwortet 
haben  „in  guter  Meinung“  und  „wegen  Ringerns  der  Strafe“. 

3.  Die  Nassau-Catzenelnbogische  Gerichts-  und  Landordnung 
von  1616 6).  Auch  sie  erinnert  in  ihrer  Fassung  der  Ent- 
erbnugsgründe  mehrfach  an  Württemberg  (1554)  und  Nürnberg 
(1564),  bekennt  aber,  diese  Gründe  ans  „den  gemeinen  kaiser- 

')  Titel  35,  Art.  2 und  3 (S.  347  ff.). 

*)  Vgl.  oben  S.  79. 

*)  Vgl.  besonders  Nr.  I,  IV  und  X,  an  welcher  letzteren  Stelle  nur  die 
Scholderer  und  Frauenwirte  ausgelassen  sind  nud  an  Stelle  des  Herumziebens 
mit  wilden  Tieren,  wie  in  der  älteren  Nürnberger  Fassung,  das  Kämpfen  mit 
Tieren  um  Geld  gesetzt  wird;  vgl.  auch  Nr.  XI  und  XIII. 

‘)  Vgl.  die  Ausdehnung  von  Nr.  VI  (Inzest)  auf  „Kinder“  und  von  Nr. XII 
(Geisteskrankheit)  auf  jede  Krankheit. 

s)  Es  wird  in  dieser  Hinsicht  auf  Tit.  40  Art.  9 (S.  372  ff.)  verwiesen. 

')  III.  Teil,  cap.  VII  (S.  95);  auch  hei  v.  der  Nabmer,  Landrechte,  I 
S.  225  ff. 


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102 


liehen  Rechten“,  wo  dieselben  »klar  und  hell  guugsam  auss- 
getruckt“  seien,  übernommen  zu  haben.  Deshalb  wird  bei 
Nr.  III  (Kriminalanklage)  hinsichtlich  der  Ausnahmen  auf  die 
„wenigen  in  Recht  benannten  Fälle“  verwiesen,  und  die  Gründe 
für  Kinder  werden  bloss  kurz  skizziert:  „Allermasscn  ein 
solches  die  allgemeine  keyserliche  Rechten,  welche  weitläufiger 
anhero  zu  erholen  ohnnötig  ist,  mit  fernerem  eigentlich  geordnet 
haben“.  Bemerkenswert  ist  bei  Nr.  XIV  (Ketzerei)  die  Berück- 
sichtigung des  Falles,  dass  die  Kinder  sich  wider  ihrer  Eltern 
Willen  „zur  Widertauf“  begeben,  oder  sonst  zu  einem  ver- 
dammten unchristlichen  Glauben  und  Ketzerei,  welche  letztere 
dahin  festgestellt  wird,  dass  „daher  auch  lebeusstraaf  oder 
ewige  Landsverweisung“  zu  gewärtigen  sei  und  dass  sie  „den 
bewehrten  Vier  Haupt-Conciliis  stracks  zuwider!“  Auch  ist 
eine  Clausula  generalis  zugunsten  „anderer  grösserer  und  zum 
wenigsten  nit  geringerer“  Ursachen,  als  die  „vorerzehlten“ 
ausdrücklich  aufgenommeu. 

4.  Das  Geldernsche  Landrecht  von  1619  (publiziert  1620) '). 
Dasselbe  ist  in  der  vorliegenden  Materie  allerdings  zunächst 
als  eine  Weiterbildung  der  Reformation  von  1554 2)  anzusehen, 
wie  sich  vor  allem  aus  der  auch  hier  befolgten  Methode,  die  G riinde 
für  Aszendenten  und  Deszendenten  znsammenzuarbeiteu,  ergibt, 
aber  die  Darstellung  ist  doch  in  vieler  Hinsicht  eine  von  jener 
unabhängige.  Es  wird  nicht  allein  die  Reihenfolge  in  der 
Aufzählung  verändert,  sondern  es  sind  auch  die  früher  — zum 
Teile  nach  Nürnberger  Vorbild  — fehlenden  Fälle  (IV,  VII,  X 
und  XIII)  jetzt  aufgenommen,  so  dass  nur  noch  Nr.  XIV  = 8 
(Ketzerei)  — gleichwie  im  jüngeren  Nürnberger  Recht  (1564) 
— fortgelassen  ist.  Die  Fälle  VII  (Sykophantie)  und  VIII  (Ge- 
fangenschaft) werden  auch  den  Kindern  verliehen;  sie  dürfen 
ihre  Eltern  beim  Vorhandensein  dieser  Gründe  ebenfalls  enterben. 

5.  Das  Jus  Culmeuse  correctum’,  Braunsberger  Ausgabe 
von  1711  “) , eine  Neubearbeitung  des  der  Schwabenspiegel- 
gruppe zugehörigen  und  noch  im  Jahre  1584  unverändert  nach- 

')  Teil  3,  Titel  6,  § 3,  Nr.  7—19:  bei  E.  Maurenbrecber:  Die  Rhein- 
preussischen  Landrechte,  II,  1831,  S.  744  ff. 

*)  S.  oben  S.  79  ff. 

>)  V,  48  und  49  (S.  94  ff.). 


103 


gedruckten  alten  Kulmischen  Rechtes1).  Die  neue  Redaktion 
beruht,  was  die  Gründe  für  Eltern  anlangt,  auf  der  Sächsischen 
Land-  und  Lehnrechtsglosse.  Hinsichtlich  der  Gründe  für 
Kinder  wird  zwar  am  Rande  vermerkt,  dieselben  seien  in 
dieser  Revision  nur  von  den  andern  gesondert  „und  kommen 
beyde  mit  dem  alten  überein“,  indessen  sind  sie,  da  sie  ja  in 
jener  Redaktion  eigentlich  fehlen,  eben  neu  redigiert.  Bei 
Nr.  1 (peinliche  Anklage  „an  den  Hals“)  findet  sich  die  Alt- 
Nürnbergische  Ausnahme  der  Ketzerei,  bei  Nr.  4 (Testierhindernis) 
wird  auf  das  Pekulienrecht  hingewiesen  mit  den  Worten:  „Gelt 
das  im  kriege  oder  sonst  durch  Mühe  und  Arbeit  woll  er- 
worben“, worüber  „das  Kind“  allein  zu  testieren  imstande  sei. 
Die  Konkubine  heisst  in  Nr.  VI  „Buhlschaft“,  in  Nr.  3 „Kebss- 
oder Buhlweib“.  — Das  Jus  Culmense  revisum  von  1745,  der 
s.  g.  Danziger  Kulm 8),  welcher  im  übrigen  nur  über  die  beiden 
letzten  Revisionen  (von  1584  und  1711)  Bericht  erstattet,  fügt 
zu  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  die  Heirat  der  Kinder 
wider  den  Willen  der  Eltern  neu  hinzu. 

6.  Das  Hohenlohesche  Landrecht  aus  dem  Jahre  1 737 8). 
Diese  Gesetzgebung  lässt  Nr.  IX  = 4 (Testierhindernis)  und 
XIII  = 7 (Kriegsgefangenschaft)  aus.  Die  Ausnahme  bei 
Nr.  III  = 1 (Kriminalanklage)  heisst  „Vaterlandsverrat“ 4),  bei 
IV  (malefici)  ist  von  „Teufelskünsten“  die  Rede5),  Nr.  VI  = 3 
(Inzest)  wird  auf  beide  Geschlechter  angewandt  und  als  „Blut- 
schande“ bezeichnet.  Ebenso  gilt  Nr.  VII  („boshaflt  verraten 
und  dadurch  in  grossen  Schaden  bringen“)  und  X (Schauspieler- 
gewerbe) von  allen  Kindern,  wobei  zur  Kategorie  der  Leute 
von  „leichtfertiger  oder  unehrlicherLebensart“  ausser  „Gaucklern“ 
auch  Zigeuner6)  und  Landstreicher  gerechnet  werden.  Die  Übel- 


■)  Oben  S.  55  N.  5. 

*)  Cap.  XIII,  N.  63  (S.  133). 

*)  Bei  Friedrich  Christian  Arnold,  Beiträge  zum  teutseben  Privat- 
Rechte,  I.  Teil  (184Q)  S.  430 ff.:  4.  Teil,  6.  Titel. 

•)  Vgl.  das  Pfälzische  Landrecht  von  1583  in  der  Generalklausel  oben  S.89. 
*)  Vgl.  die  „schwarze  Kunst“  bei  Wurui  oben  S.  70,  „Hexenwerk“  in 
Württemberg  (1554)  und  Pfalz  (1582),  „sich  von  Gott  zum  Teufel  geben“  in 
Ostfriesland  oben  S.  93. 

*)  Vgl.  die  „Tatern“  in  Ostfriesland:  oben  S.  94. 


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104 


tat  der  Tochter  im  Falle  Nr.  XI  heisst , ohne  Beschränkung 
auf  ein  bestimmtes  Lebensalter,  „der  Hurerey  sich  ergeben“  *). 
In  Nr.  XII  = 6 erscheint  neben  dem  Wahnsinn  die  „fallende 
Sacht“  und  bei  den  Gründen  für  Kinder  auch  „andere  schwere 
Krankheiten“.  Das  Religionsdelikt  bei  Nr.  XIV  = 8 wird  darauf 
abgestellt,  dass  man  entweder  von  der  christlichen  Religion 
abtrete  oder  zu  einer  andern  sich  begebe  „ausser  denen  im  hl. 
Römischen  Reich  angenommenen  drei  Religionen“.  — Eine 
blosse  Abschrift  dieser  Gesetzgebung  enthält  das  „Erneuert 
und  Vermehrte  Stadt-Recht  der  Freyen  Reichsstadt  Wimpffen“ 
von  1775 2),  wo  man  sich  früher3)  damit  begnügt  hatte,  nur 
den  Fall  Nr.  XI  (Heirat  wider  Willen  der  Eltern)  zu  ordnen 
und  im  übrigen  es  den  Eltern  anheimzustellen,  mit  Ehestiftuug 
und  anderer  Hilfe  sich  nach  ihrem  Willen  zu  halten,  wenn  die 
Kinder  „sichs  Vätterlichs  und  Mütterlichs  Erbs  sonst  un- 
würdigten“ ; jedoch  behielt  man  damals  dem  Rate  der  Stadt 
die  Entscheidung  im  einzelnen  Falle  vor,  so  etwa  „einig  Unmass“ 
gegen  die  Deszendenten  dabei  .fürgenommen“  würde. 

XVI.  Eine  blosse  Verweisung  auf  das  gemeine  Recht 
hielten,  gleich  den  früher  erwähnten  Markgräflich-Badischeu 
Statuten  (151 1) 4)  und  der  soeben  genannten  Wimpfener  Refor- 
mation (1544),  noch  eine  Anzahl  anderer  Rechtsordnungen  des 
vorstehend  behandelten  Zeitraumes,  vom  16.  bis  zum  18.  Jahr- 
hundert, für  ausreichend,  und  überhoben  sich  dadurch  der  Not- 
wendigkeit, die  einzelnen  Fälle  zu  regulieren.  Hierher  gehört 
die  Joachimika  von  1527,  welche  festsetzte,  dass  es  in  Be- 
ziehung auf  die  Enterbung  der  ehelichen  Kinder  „sol  vermöge 
Käyser  Recht  gehalteu  werden“ 6),  und  die  Reformation  des 
Erzstiftes  Köln  von  1538,  die  sich  auf  die  14  und  76)  Ur- 
sachen „iu  Rechten“  und  „in  beschrieben  Rechten  aussgedruckt“ 

*)  So  in  Lüneburg  oben  S.  101. 

*)  Bei  v.  der  Na  Inn  er,  Die  Landrechte  des  Ober-  und  Mittelrhcins, 
II  S.  1178  ff. 

*)  In  der  Reformation  der  Stadt  Wimpffen  von  1544  bei  v.  der  Nah- 
mer  II  S.  1057/8. 

4)  S.  oben  S.  85.  Vgl.  aucli  die  Statuten  von  Messina  oben  S.  95  N.  1. 

*)  Tit.  VI,  Sect.I,  § 5;  vgl.  Heydemann,  Elemente  der  Joachimika,  S.  358. 

•J  Vgl.  oben  S.  32  ff. 


105 


bezieht1 *).  Von  der  Frankfurter  Reformation  (1578  und  1611) 
und  ihrer  praktischen  Begründung  des  gleichen  Verfahrens  ist 
schon  ganz  am  Anfang  dieser  Studie  die  Rede  gewesen“). 
Auch  ein  Luxemburger  Weistum  von  1588  gestattet  den  Eltern 
Enterbung  der  Kinder  nur  dann,  wenn  diese  es  gegen  die 
Eltern  „aus  den  in  beschriebenen  rechten  angezogenen  und 
verwiesenen  Ursachen  verwurckt  haben“ 3 *),  ähnlich  Gerichts- 
ordnung und  Stadtrecht  von  Husum  (1608)  *),  und  am  22.  Juni 
1661  erging  eine  Kursächsische  Dezision,  welche  das  Recht 
der  Novelle  115  cap.  3 bestätigte  „etlicher  Rechtslehrer  widriger 
Meynung  ungeachtet“,  weil  die  Quellen  des  Landesrechtes  keine 
andere  Vorschrift  enthielten.  Der  Fall  Nr.  VIII  („incarceriert“) 
wurde  dabei  besonders  hervorgehoben5 *).  In  ähnlicher  Weise 
verfuhr  das  Erbrecht  der  Stadt  Zürich  vom  Jahre  1716®),  das 
Landrecht  des  Erzstiftes  Trier,  aufgerichtet  im  Jahre  1713 7 *), 
und  das  Fürstlich  Bambergische  Landrecht  von  1769“). 

Etwas  anders  liegen  die  Verhältnisse  nach  dem  Erneuerten 
Butjadinger  Landrecht  von  1664 9),  obwohl  auch  hier  diejenigen, 
welche  ein  Testament  machen,  „beständige  und  in  den  gemeinen 
beschriebenen  Rechten  zugelassene  Ursachen“  bei  der  Enterbung 
zu  berücksichtigen  haben.  Denn  hier  sind  jenen  „nach  Er- 
känntniss  Vnsers  Land- Gerichts  gleichgültige  Ursachen“  gleich- 
gestellt, so  dass  also,  wie  seit  dem  Pfälzischen  Landrecht  von 


lj  Bl.  65;  sie  bedient  sich  dabei  noch  des  Ausdruckes  , verwirkt“ : „die 
kynder  haben  es  dan  vmb  die  älteren  verwirckt“  usw. 

»)  Oben  S.  3 N.  1. 

*)  Vgl.  Bruno  Markgraf,  Das  Moselländische  Volk  in  seinen  Weis- 
tilmern  (K.  Lamprecbt,  Geschichtliche  Untersuchungen,  4.  Band  [1907]) S. 465. 

*)  Teil  II,  Titel  X:  „machen  der  vndanckbarbcit  — desswegeu  die  Ex- 
haeredation  oder  Enterbung  in  Rechten  geschrieben  vnd  zugelasscn  wird“. 

*)  W.  M.  Schaffrath,  Codex  Saxonicus,  I,  1842,  S.  373:  Decis.  LII. 

*)  Teil  III,  § 10  (S.  43):  „Es  mögen  Eltern  ihre  kinder  — einandern 
auss  genugsammen  erheblichen  am  Rechten  bestehenden  Ursachen  wol  enterben“. 

T)  Erneuert-  und  vermehrtes  Landrecht  usw.  bei  v.  der  Nahmer,  II 
S.  600 ff.:  Tit.  I,  §§  19,  20,  24. 

*)  Teil  I,  Anh.  2,  Tit.  4,  § 12:  „was  — die  zu  einer  Enterbung  erfor- 
derlichen Ursachen  — betrifft,  lassen  Wir  es  blatterdings  bey  gemeinen 
Rechten  bewenden“. 

*)  Art.  35  bei  F.  E.  v.  Pufendorff,  Observationes,  Appendix,  8.610. 


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1582  mehrfach '),  die  ausdehnende  Interpretation  zur  Aufgabe 
des  Gerichts  gemacht  wird.  Dagegen  weist  das  Mainzer  Land- 
recht von  1755 2)  die  Zulassung  anderer  Ursachen,  „welche  in 
denen  gemeinen  Rechten  nicht  ausdrücklich  enthalten  seynd, 
obschon  diese  angeführte  Vrsachen  eben  so  erheblich  oder  gar 
erheblicher  wären“,  ausdrücklich  zurück. 

Die  Zweibrückensche  Untergerichtsordnung  von  1 722 3) 
befiehlt  ihren  Ober-  und  Unteramtleuten  und  Befehlshabern, 
auch  den  Untertanen,  in  Enterbungsfällen  „sich  nach  gemeinen 
käyserlichen  Rechten  zu  regulieren  und  zu  richten“,  wo  alles 
dieses  „weitläufftig  versehen“  sei.  Aber,  „da  sie  es  nicht  gnugsam 
verstünden“,  sollen  sie  „von  unsern  Rechts-Gelehrten  Bericht 
darüber  einnehmen“.  Dieser  Vorbehalt  erinnert  an  die  ander- 
wärts sich  findenden  Warnungen  vor  „numilden  beschwerlichen“ 
Enterbungen  und  an  den  dort  gegebenen  Rat,  sich  mit  anderen 
verständigen  Leuten,  insbesondere  mit  Rechtsgelehrten,  vorher 
darüber  zu  besprechen4). 

XVII.  Noch  grössere  Freiheit  gewähren  Schweizerische 
Gesetzgebungen  aus  dem  17.  Jahrhundert,  indem  sie  weder 
Enterbungsgründe  im  einzelnen  namhaft  machen,  noch  auf 
andere  Quellen  verweisen,  vielmehr  die  Frage,  ob  eine  an- 
erkennenswerte Ursache  vorliege,  in  streitigen  Fällen  ganz  dem 
richterlichen  Ermessen  überlassen.  So  verhält  sich  das  Erneuerte 
Amtsrecht  von  Weiningen  (1637)’*),  welches  untersagt,  die 
rechten  natürlichen  Erben  ohne  „rächtmässig  vnd  hochwichtig 
vrsachen“  zu  enterben,  und  bestimmt,  dass  jemand,  der  unter 
seinen  Kindern  die  einen  vor  den  anderen  auszeichnen  wolle, 
dies  mit  des  Gerichts  Vorwissen  und  Bewilligen  tun  müsse, 

')  Vgl.  oben  S.  89,  ferner  Württemberg  1610:  oben  S.  90,  die  Fränkische 
Landgericbtsordnuug  von  1618:  S.  100,  die  N'assauische  Gerichtsordnung  von 
1616:  S.  102,  das  Badische  Landrecht  von  1622  = Pfalz  (oben  S.  91)  and  die 
Baseler  Gerichtsordnung  von  1719  = Württemberg:  S.  92. 

’)  Bei  v.  der  Nahmcr,  II  S.  720:  Tit.  XIII,  § 8. 

*)  Daselbst  S.  1029:  Nr.  CU. 

4)  Vgl.  Pfalz  1582  oben  S.  90,  Preussisches  Landrecbt  1620  und  Badi- 
sches Landrerht  1622  oben  S.  91. 

6)  Art.  2 bei  Jacob  Pestalutz,  Vollständige  Sammlung  der  Statuta 
des  Cantons  Zürich,  1.  Band  (1834)  S.  114;  vgl.  J.  C.  Bluntschli,  Staats- 
uud  Rechtsgescbichte  der  Stadt  und  Landschaft  Zürich,  2.  Teil,  1839,  S.  324. 


le 


107 


welches  darüber  zu  erkennen  habe,  ob  die  Anordnung  billig 
sei.  Eine  solche  Vorschrift  verfolgt  die  gleichen  Zwecke,  wie 
die  Erbloserklärung  des  sächsischen  Rechts l),  wie  die  von  Ulrich 
Zasius  für  Freiburg  vorgeschriebene  Enterbungsform2),  wie 
der  Vorbehalt  in  der  Wimpfener  Reformation  ■’)  und  die  Baseler 
Praxis  seit  1611  *). 

Denselben  Standpunkt  nimmt  dann  auch  noch  das  Amts- 
recht von  Grüningen  (1668)  ein5);  es  erlaubt  das  Enterben, 
wenn  ein  Kind  seinem  Vater  so  ungehorsam  wäre,  dass  er 
„vrsacli  ein  solches  gar  zu  enterben"  habe,  empfiehlt  ihm  aber, 
dann  anstatt  dieses  Kindes  dessen  Kinder  (wie  bei  der  Ent- 
erbung in  guter  Absicht)  „zu  Erben  anzunehmen“. 

So  entsprach  es  übrigens  auch  Alt-Lübischem  Gewohnheits- 
recht®), welches  noch  im  Jahre  1862  durch  ein  Gesetz  an- 
erkannt worden  ist’).  Letzteres  stellt  es  dem  Richter  anheim, 
im  einzelnen  Falle  zu  entscheiden,  ob  und  wann  ein  Pflicht- 
teilsberechtigter „der  Zuneigung  des  Erblassers  sich  unwürdig 
gemacht“  habe.  Jedoch  wird  eine  „ausdrückliche  und  be- 
stimmte“ Anführung  der  „zu  solcher  Entziehung  Veranlassung 
gebenden  Handlung  oder  Handlungsweise  des  Pflichtteilsbe- 
rechtigten in  der  letzwilligen  Verfügung“  verlangt. 

XVIII.  Das  Ziel  der  bisherigen  Untersuchung  richtete  sich 
im  wesentlichen  darauf,  die  Formen  nachzuweisen,  in  welchen, 
insbesondere  in  den  Ländern  deutscher  Zunge,  die  Aufnahme 
der  im  Justinianischen  Gesetz  kodifizierten  Enterbungsfälle 
stattgefunden  hat,  und  die  Verwandtschaft  oder  Ähnlichkeit 
unter  diesen  Gestaltungen  zu  ermitteln.  Es  dürfte  sich  ver- 
lohnen, nunmehr  auch  einen  zusammenfassenden  Rückblick  auf 
den  Inhalt  der  einzelnen  Erscheinungsformen  zu  tun,  namentlich 
um  zu  sehen,  welche  neue  Rechtsgedauken  sich  im  Laufe  der 


•)  Oben  S.  72. 

*)  Oben  S.  86. 

*)  Oben  S.  104. 

•)  Oben  S.  88. 

*)  Art.  12:  bei  Pestalutz  a,  a.  0.  S.  67. 

*)  Vgl.  Pauli,  Abhandlungen  aus  dem  Lübischen  Hecht,  III  S.  272. 

’)  Vgl.  C.  Plitt,  Das  Lübeckisclie  Erbrecht  nach  dem  Oesctze  vom 
10.  Februar  1862,  2.  AuÜ.  (1872)  S.  130. 


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Jahrhunderte  an  das  Originalgebilde  angesetzt  haben.  Am 
besten  wird  dies  an  der  Hand  der  einzelnen  Fälle  geschehen. 

I.  Der  erste  Fall  der  Realinjurie  gegen  die  Eltern  findet 
sich  überall  unter  der  Bezeichnung  Handanlegen,  wie  im  Ori- 
ginale, oder  Stossen,  Schlagen.  Dabei  pflegt  die  Absichtlich- 
keit durch  den  Beisatz  von  Adverbien,  wie  vorsätzlich,  frevent- 
lich, und  wohl  auch  die  Schwere  des  Deliktes  durch  die  Worte: 
gewaltsam  oder  gefährlich  ausgedrückt  zu  werden.  Das  Badische 
Landrecht  von  1622  hebt  daher  die  unabsichtliche  Verletzung 
als  eine  entschuldigte  hervor l).  Die  Entschuldbarkeit  der  Not- 
wehr aber  erkennt,  ausser  den  alten  Drucken  des  Schwaben- 
spiegels*), bloss  das  Ostfriesische  Landrecht  an8). 

II.  Auch  Nr.  II  (Verbalinjurie)  fehlt  nirgends,  wo  nicht 
bloss  eine  beschränkte  Auswahl  der  Fälle  gegeben  werden  soll, 
mit  einziger  Ausnahme  der  Brünner  Schöffensatzung4),  und  wird 
sehr  verschieden  ausgedrückt:  sehr  und  merklich  schelten 
(Schwabenspiegelgruppe),  mit  grossem  Unrecht  unehreu  (sächsische 
Glossenarbeiten),  mit  Worten  «bei  handeln  (Eisenach),  schwere 
und  unehrsame  Unrecht  oder  Frevel  an  die  Eltern  legen 
(Nürnberg  1479),  fluchen  (Schweizerische  Rechtsquellen 4)  und 
Lüneburg),  schwere  unehrliche  Schmach  zulegen  oder  zumessen 
(Freiburg,  Württemberg  usw.),  beleidigen  (Geldern  1555), 
schwarlich  versprecken  (Ostfriesland)  usw. 

III.  Der  III.  Fall  (Kriminalanklage)  ist  ebenfalls  überall 
rezipiert,  er  gehört  schon  zu  der  im  Deutschenspiegel  getroffenen 
Auswahl.  Er  heisst  in  den  deutschen  Quellen  eine  Anklage 
vor  Gericht  auf  Leib  und  Leben,  was  manche,  wie  Nürnberg 
und  Geldern,  als  crimen  capitale  bezeichnen  und  wozu  manch- 
mal noch  die  Ehre  gefügt  wird6);  der  sächsische  Ausdruck  da- 
für ist:  rügen  auf  den  Leib7).  Die  im  Originale  aufgestellten 

*)  Oben  S.  91. 

»)  S.  oben  S.  57. 

*)  Oben  S.  94. 

4)  Oben  S.  56. 

*)  Oben  S.  87  N.  2. 

•)  So  iu  Wurm  sehen  Arbeiten  oben  S.  70,  wohl  auch  im  Eisenacher 
Rechtsbnch  oben  8.  74,  und  in  Freiburg. 

’)  S.  aber  auch  Wien  uud  Ruprecht  von  Freising:  oben  S.  56  N.  3. 


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Ausnahmen,  bei  deren  Vorhandensein  die  Erhebung  der  Kriminal- 
anklage erlaubt,  ja  nach  manchen  (wie  Nürnberg,  Bayr.  Landrecht, 
Freiburg,  Geldern,  Badeu)  sogar  geboten  ist,  werden  manchmal 
ausgelassen1),  und  wo  sie,  wie  es  in  der  Mehrzahl  der  Fall 
ist,  sich  finden,  da  wird  unter  dem  crimen  laesae  majestatis 
doch  vielfach  nur  die  Verletzung  des  eigenen  Landesherren 
oder  des  eigenen  gemeinen  Wesens  („princeps“  und  „tespublica“) 
verstanden,  und  nicht  alle  nennen,  wie  Nürnberg,  Tübingen, 
Hamburg,  Franken  und  Ostfriesland,  auch  den  Römischen  König 
oder  Kaiser  oder  beziehen  „Reiches  Vorretniss“  hier  ein,  wie 
Wurm  in  seiner  Landfriedensglosse*).  Besonders  tritt  diese 
Nichtberücksichtigung  des  Reichsoberhauptes  in  den  süddeutschen 
Rechtsquellen,  der  Schwabenspiegelgruppe,  in  Freiburg  und 
Württemberg  hervor,  und  sie  erreicht  ihren  Höhepunkt  in 
Preussen  1685,  wo,  wie  bemerkt3),  an  Stelle  der  „Höchsten 
Obrigkeit  und  Majestät“  der  Landesfürst  sich  selbst  gesetzt 
hat.  Den  quellenmässigen  Ausnahmen  wird  in  der  älteren  Nürn- 
berger Gruppe  (1479),  bei  Tengler,  Gobler  und  im  Bayrischen 
Landrecht  von  1616  noch  die  Anklage  wegen  Ketzerei  und 
au  letztgenannter  Stelle  auch  noch  die  wegen  Zauberei  hin- 
zugefügt. 

IV.  Der  IV.  Fall:  mit  r/apoaxot  als  (paQfiaxög  verkehren, 
was  die  lateinischen  Quellen  bekanntlich  mit  „maleficus“  wieder- 
zugeben pflegen,  wird  doch  erst  von  der  sächsischen  Glosse 
an4)  auf  Zauberei  und  Zauberer  bezogen,  der  Schwabenspiegel 
betrachtete  die  malefici  als  Diebe  und  — in  wörtlicher  Über- 
setzung — als  böse  Leute,  auch  werden  sie  Bösewichte  und 
Schälke  (so  Eisenach)  genannt;  die  ausdrückliche  Erweiterung 
auf  „Giftiger“  und  Vergiftnis“  findet  sich  nicht  oft5),  obgleich 


')  So  im  Deutschenspiegcl,  bei  Baymuml  von  Wiener-Neustadt,  in 
Brannscbweig , in  der  sächsischen  Glosse,  auch  bei  Warm,  abgesehen  von 
seiner  Landfriedensglosse,  und  in  Eisenach. 

*)  Vgl.  auch  das  Kleiue  Kaiserrecht:  „an  das  Riehe  reden“  oben  S.  54. 

*)  Oben  S.  91. 

•)  Bei  v.  Buch,  in  der  Lehnrechtsglosse  und  in  Braunschweig,  aber 
auch  in  Württemberg,  Pfalz,  in  Bayern  und  Hohenlohe. 

e)  So  bei  Wurm  in  der  Landfriedensglosse,  in  Tübingen,  im  Geldern- 
schen  Landrecht  und  bei  Gobler. 


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110 


anzunehmen  ist,  dass  diese  Tätigkeit  überall  unter  dem  Namen 
der  Zauberei  mit  verstanden  werden  sollte.  Verlangt  wird  in 
der  Regel,  dass  man  wissentlich  oder  offenbarlich  mit  solchen 
Leuten  wohnt,  wandert  oder  umgeht.  Die  Beschränkung  des 
Deliktes  auf  die  männliche  Deszendenz,  wie  sie  in  der  Petrus- 
Gruppe  vorkam1),  ist  noch  in  eine  deutsche  Quelle,  die  Nassau- 
ische  Gerichtsordnung  von  1616 3),  libergegangen.  Dagegen 
hat  Nürnberg,  von  dessen  Nachfolgern  nur  Tübingen  (1493) 
„offener  Zauberer“  sein  und  „mit  Vergiftnuss  umgehen“  und 
das  Friedrichstädter  Stadtrecht  das  „Sich  vermengen“  mit 
„Böswichtern  und  unehrlich  leichtfertigen  Leuten“  rezipierte, 
und  die  Geldernsche  Reformation  die  Aufnahme  dieses  Falles 
überhaupt  unterlassen. 

V.  Den  V.  Fall  (der  Lebensnachstellung)  führt  nur  die 
Schwabenspiegelgruppe  nicht.,  auch  fehlt  er  im  Eisenacher 
Rechtsbuche.  Die  sächsischen  Arbeiten  nennen  ihn:  des  Vaters 
Tod  „ramen“,  wozu  Wurm  auch  noch  fügt:  oder  seiner  Mutter, 
oder  andere  seiner  Freunde:  mit  Gewalt,  mit  Frevel  an  Leib, 
Gut3),  oder:  mit  Gift  oder  mit  „kokilfure“  von  dem  Leibe 
bringen  wollen*).  Die  meisten  aber  begnügen  sich  mit  der 
quellenmässigen  Feststellung  der  Lebensbedrohung  durch  Gift 
„oder  in  anderer  Weise  (oder:  Wege)“. 

VI.  Der  VI.  Fall  (Inzest),  in  der  Gruppe  des  Deutschen- 
und  Schwabenspiegels  mit  Nachdruck  an  die  Spitze  gestellt, 
ist  nur  in  der  Lüneburgischcn  Reformation  — auch  bei  Werböcz, 
Tripartitum  — fortgelassen.  Der  hauptsächliche  Unterschied 
in  seiner  Behandlung  besteht  darin,  dass  er  auf  das  weibliche 
Geschlecht,  d.  h.  auf  die  Unzucht  der  Tochter  mit  ihrem  Stief- 
vater, ausgedehnt  und  dass  die  Erwähnung  der  Konkubine  oder 
„amie“,  wie  sie  in  den  sächsischen  Arbeiten  heisst,  unterlassen 
wird.  Jenes  ist  zuerst  der  Fall  in  Freiburg  1520,  dem  die  von 
ihm  abhängigen  Gesetzgebungen  (Württemberg,  Pfalz,  Preussen 
und  Baden)  folgen,  dann  in  der  jüngeren  Nürnberger  Fassung, 
im  Bayrischen  Landrecht  von  1616,  in  der  Nassauischen  Ge- 

')  8.  oben  S.  28,  29. 

’)  Oben  S.  101. 

*)  So  in  der  Blume  von  Magdeburg. 

4)  So  in  der  Landfriedensglosse. 


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111 


richtsordnnng  und  im  Hohenlohesdien  Landrecht.  Die  Er- 
wähnung der  Konkubine  unterbleibt  in  der  Lehnrechtsglosse, 
in  Nürnberg  und  Freiburg  samt  ihren  Tochterrechten,  in  Braun- 
schweig,  im  Bayrischen  Landrecht,  in  Nassau  und  in  Hohen- 
lohe. Inwieweit  diese  Auslassung  etwa  auf  eine  Erkenntnis 
des  römischen  Konkubinates  und  seiner  Unanwendbarkeit  oder 
auf  Schamhaftigkeit  oder  etwa  gar  auf  Gleichgültigkeit  gegen 
eine  solche  Verbindung  Zurückzufuhren  sein  dürfte,  lässt  sich 
nicht  feststellen.  Zwei  Besonderheiten  sind  noch  die  Nennung 
des  Inzestes  mit  der  Mutter  in  Asperg  ‘)  und  die  Hervorhebung 
der  Einkindschaft  in  Franken  (1618). 

VII.  Das  Sykophantentum  wird  von  den  deutschen  Rechts- 
quellen, welche  es  unter  den  Enterbungsgründen  mit  aufführen, 
richtig  verstanden,  obw'ohl  nur  einmal  (im  Wiener  Stadtrecht) 
die  Voraussetzung  hinzugefügt  ist,  dass  man  den  Angeklagten 
„des  nicht  überzeugen  mag“.  Überall  wird,  wie  im  Urtexte, 
hervorgehoben,  dass  die  „Sage“  oder  Anfechtung,  das  Ver- 
leumden oder  Angeben  grossen  Schaden  für  die  Aszen- 
denten nach  sich  ziehen  müsse,  welcher  letztere.  Tatbestand 
in  der  Lehnrechtsglosse  und  in  der  Lüneburger  Reformation 
sogar  — vielleicht  im  Anschlüsse  an  die  kanonische  Glosse? 
— von  dem  ganzen  Falle  allein  übrig  geblieben  ist2).  Das 
römische  Recht  beschränkte  diesen  Enterbungsgrund  auf 
die  männliche  Deszendenz,  dagegen  haben  ihn  die  meisten 
deutschen  Darstellungen  auf  die  Kinder  ohne  Unterschied  des 
Geschlechts  erweitert3).  In  der  Brünner  Schöffensatzuug,  in 
Nürnberg  und  den  von  ihm  abhängigen  Gesetzgebungen,  ab- 
gesehen von  der  Fränkischen  Landgerichtsordnung  (1618),  so- 
wie in  Freiburg,  hier  aber  nur  in  dem  Stadtrecht  selbst,  anders  in 
den  nachgebildeten  Rechten  (Württemberg,  Pfalz,  Preussen, 
Baden),  fehlt  der  Grund,  ebenso  bei  v.  Werböcz  und  in  der 
Geldernschen  Reformation. 

VIII.  Das  Nichtlöseu  der  gefangenen  Eltern  aus  dem  Ge- 

■)  Oben  S.  78. 

*)  Oben  S.  83  N.  1 und  S.  100  N.  4. 

•)  Es  geschieht  dies  nur  nicht  in  der  Schwabenspiegelgruppe,  bei  v.  Bach 
und  im  Eisenacher  Rechtsbnche,  die  aber  Überhaupt  nur  vom  Sobne  zu 
reden  pflegen. 


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fängnisse,  mag  nun  der  Anlass  der  Gefangennahme:  Geldschulden 
oder  andere  Ursache:  erwähnt  sein  oder  nicht,  betrachten 
sämtliche  deutsche  Reproduktionen  als  einen  Rechtfertigungs- 
grund der  Enterbung.  Sie  unterscheiden  sich  nur  wieder  darin, 
dass  viele  bloss  von  männlichen  Kindern  sprechen  und  die  Be- 
freiung durch  Bürgschaftsübernahme  von  seiten  der  Töchter, 
dem  römischen  Rechte  gemäss,  ausdrücklich  ablehnen  (so  Nürn- 
berg 1479  und  Braunschweig),  oder  wenigstens  dass  sie  zwar 
für  die  Befreiung  im  allgemeinen  die  Kinder  ohne  Geschlechts- 
unterschied in  Anspruch  nehmen,  die  Bürgschaftsleistung  aber 
nur  vom  männlichen  Geschlechte  verlangen  (so  Ostfriesland  und 
Preussen  1620).  Viele  aber  sprechen  ohne  jede  weitere  Ver- 
klausulierung von  „Kindern“1).  Die  Bedingung,  dass  es  sich 
um  „massiges  Gut“  und  um  „ehrlich  und  billig  Sach“  handeln 
müsse,  stellt  die  Brünuer  Schöffensatzung.  Nürnberg  (1479) 
spricht  von  „unziemlichen“  Gefängnisseu.  Auch  wird  die  dem 
römischen  Recht  entsprechende  Voraussetzung  des  erforderlichen 
Vermögens  auf  seiten  der  Kinder  öfter  hervorgehoben2). 

IX.  Die  Verhinderung  an  der  Errichtung  eines  letzten 
Willens,  von  den  älteren  deutscheu  Rechtsquellen  namentlich 
aus  dem  Gesichtspunkte  des  bedrohten  Seelenfriedens  aus  be- 
trachtet3) und  deshalb  überall  als  wesentlich  angesehen,  wird 
nur  bei  v.  Werböcz,  im  Freiburger  Stadtrecht,  in  der  Baseler 
Gerichtsordnung  von  1719  und  im  Hohenloheschen  Laudrechte 
(1737)  nicht  unter  den  Euterbungsgrüuden  mit  aufgeführt. 
Die  Tochterrechte  des  Freiburger  Stadtrechtes  aber  folgen 
dieser  Auffassung  nicht.  Gelegentlich  findet  sich  die  Voraus- 
setzung erwähnt,  dass  es  sich  um  „gebührliche  Testament  oder 
Geschäft“  (so  Nürnberg  1479),  um  Errichtung  des  Testaments 


')  So  Raymund  von  Wiener-Neustadt-,  die  Lelinrechtsglosse,  Wurm  iu 
der  Blume  von  Magdeburg  und  in  seiner  Glosse  zum  Sachsenspiegel,  Freiburg 
mit  seinen  Nachfolgern  ohne  Preussen,  ebenso  Nürnberg  in  der  jüngeren 
Form  von  1564,  das  Bayrische  und  das  Hohculohesche  Landrecht. 

*)  So  Freiburg:  „und  hättens  doch  wohl*;  Nürnberg  1564:  „nach  bestem 
Vermögen*;  Brannschweig:  „die  genügsam  besethen  wereu“  usw. 

*)  Vgl.  die  Schwabenspiegelgruppe  oben  S.  60,  aber  auch  das  Eisenacher 
Rechtsbuch:  „weren,  dass  seine  Eltern  für  ihre  Seele  nicht  geben  noch  be- 
scheiden“. 


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113 


aus  „vernünftigen  Ursachen“  (so  Tübingen  1493)  u.  dgl. ') 
handeln  müsse.  Für  den  Fall,  dass  die  Aszendenten  infolge 
der  Verhinderung  ohne  Testament  absterben,  verfügte  Nürnberg 

— was  wenigstens  zweideutig  klingt  — , dass  der  Erbteil  „den 
andern  nächsten  Erben“  der  Eltern  zufallen  solle,  während 
Württemberg  1554  hier  dem  römischen  Rechte  gemäss  auch 
die  Ansprüche  derjenigen  zu  wahren  sucht,  welche  die  Eltern 
zu  bedenken  beabsichtigt  haben2).  Merkwürdigerweise  beschränken 
auch  deutsche  Rechtsquellen  manchmal  diesen  Fall  auf  Söhne, 
wie  dies  Julian  getan  hat3):  so  die  v.  Buchsche  Glosse, 
Wurm  in  der  Glosse  zum  Landfrieden  und  zum  Sachsenspiegel 
und  das  Geldernsche  Landrecht  (1620). 

X.  Im  zehnten  Falle  (Schauspielergewerbe)  beanspruchen 
besonderes  Interesse  die  verschiedenartigen  Benennungen,  welche 
hier  als  Beispiele  des  Gewerbes  auftreten.  Der  älteste  Aus- 
druck ist,  dem  romanischen  Joculator  entsprechend:  „Der  Spiel- 
mann“, der,  wie  der  Schwabenspiegel  sagt:  „Gut  vor  Ehre 
nimmt“4).  Nächstdem  wird  wohl  am  häufigsten  der  Ausdruck: 
Gaukler,  „gokeler“  verwendet,  nicht  selten:  Loter,  Lotterbube. 
„Kempfe“  — aus  dem  Sachsenspiegel  bekannt  — nennt  in 
diesem  Zusammenhänge  Wurm  in  seiner  Landfriedensglosse, 
„Pfeifer“  und  „Singer“  derselbe  in  der  Blume  von  Magdeburg. 
Alt-Nürnberg  wählte  den  „Katzenritter“,  der  mit  Tieren  kämpft 5), 
wozu  Perneder  auch  das  Herumziehen  mit  Tieren  im  Lande 
rechnete.  In  Süddeutschland  (zunächst  im  Freiburger  Stadtrecht 
und  seinen  Nachfolgern)  treten  die  Frauenwirte  und  -Wirtinnen 

— Basel  sagt  (1719)  statt  dessen:  Kuppler  und  Kupplerin  — , 
der  Henker  oder  Nachrichter,  die  Platzmeister  (oder  Platz- 
leger, wie  es  in  Basel  heisst,  an  deren  Stelle  auch  die  Wasen- 
meister0) genannt  werden)  auf,  Württemberg  (1554)  fügt  die 

’)  Nassau  1616:  „ohne  billige  Ursach“  böslich  verhindern;  Geldern  1019: 
„in  aisnicke  goederen  als  hy  te  verschaffen  ende  te  vergeven  liadt“. 

*)  Oben  S.  89. 

*)  So  auch  die  oben  S.  32  N.  1 angeführte  Authentika  zn  den  Institu- 
tionen und  Gobler  (1652).  Über  Jnlian  s.  oben  S.  22. 

*)  Oben  S.  60  N.  1. 

“)  Vgl.  anch  noch  im  Mayr.  Landrecht  (1616). 

“)  So  Württemberg  1610  und  die  Farnsbnrgiscbe  Landesordnuog  (oben  .8.88). 

Merkel,  Kiiterbangfgrtiuile  8 


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114 


Scholderer  hinzu,  Perneder  und  das  Bayrische  Landrecht  von  1616 
sprechen  von:  Freihartsbuben  (=  Vagabunden,  Strolche),  andere 
von  Spitzbuben,  Hamburg  führt  noch  den  Schinder  an, 
Preussen  1620  den  Büttel.  Zigeuner  und  Landstreicher  reihen 
Ostfriesland  und  Hohenlohe  ein.  Manche  bringen  eine  Spezi- 
alität an,  wie  Ostfriesland  die  „Netteboven“  und  Geldern  (1620): 
„Guijchel  oder  C'amerspeelders,  Lantloopers,  Schermers  oder 
Schwerttänzer“.  Meistens  dienen  diese  Kategorien  als  Bei- 
spiele für  ein  „üppiges“  und  „leichtfertiges“  Leben  im  allge- 
meinen. Nur  in  der  Hessischen  Gerichtsordnung  von  1497 
sind  alle  Beispiele  vermieden,  und  es  steht  zur  Charakteristik 
des  anrüchigen  Gewerbes  allein:  „unzimblich  narung  suchen“. 
Dies  kommt  sonst  nur  noch  im  Werböczischen  Tripartitum  vor1). 
Vielfach  wird  endlich  auch  dieser  Fall,  der  quellenmässig  nur 
auf  den  Sohn  sich  bezieht,  für  Deszendenten  beiderlei  Geschlechts 
für  anwendbar  erklärt*).  Er  ist  nur  in  der  Geldernschen 
Reformation  von  1554  ausgelassen. 

XI.  Der  XI.  Fall  (Ungehorsam  der  Tochter)  ist  wieder  in 
sämtlichen  deutschen  Versionen,  die  auf  Vollständigkeit  der 
Gründe  halten,  vorhanden,  mit  Ausnahme  des  Eisenacher  Rechts- 
buches (und  bei  Werböcz).  Alle  verstehen  ihn,  von  dem  Miss- 
verständnis in  der  sächsischen  Glosse  abgesehen s),  von  ver- 
botenem geschlechtlichen  Umgang,  wofür  sehr  verschiedenartige 
Bezeichnungen  erfunden  werden4),  und  meistens  hält  mau  an 
einem  Unterscheidungsalter  fest,  über  welches  hinaus  die  Tat 
keinen  Anlass  zur  Enterbung  gibt.  Dieses  wird  in  der  Regel 

')  Oben  S.  84. 

’)  So  in  der  sächsischen  Lelmrechtsglosse  und  bei  Wurm,  in  der 
Hessischen  Gerichtsordnung  0497},  in  Freiburg  und  bei  seinen  Nachfolgern,  in 
Braunschweig  und  Ostfrieslaud,  in  der  jüngeren  Nürnberger  Überlieferung 
(1564),  in  Nassau,  im  Bayrischen  und  Hohenloheschen  Landrecht. 

*}  Oben  S.  08  und  S.  71. 

4)  „Ungeraten  werden'  heisst  es  in  der  Schwabeuspicgelgruppe , .sich 
zu  unreinen  Händeln  geben*  in  der  Hessischen  Gerichtsordnung  von  1497, 
sonst  ist  vielfach  in  Übertragung  der  „luxuriosa  vita“  des  Autbentikums  von 
.üppigem  Leben*  die  Kede.  Andere  drückeu  sich  drastischer  aus,  wie  Brünn: 
das  Muidlum  brechen,  oder  bezeichnen  das  Delikt  einfach  als  Hurerei  (so 
Lüneburg,  Hohenlohe,  Gobler),  am  meisten  realistisch  verhält  sich  wohl  Lüne- 
burg, das  den  einmaligen  uueheliclieu  Beischlaf  gestattet  (oben  S.  101). 


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115 


auf  die  römisch-rechtliche  Zahl  von  25  Jahren  abgestellt,  es 
finden  sich  aber  auch  20  (Wien,  Franken),  22  (Nürnberg  von 
1522  an)  und  24  Jahre  (Ruprecht  von  Freising).  Auch  wird 
meistens,  wie  im  römischen  Recht,  auf  das  Verhalten  der  Eltern 
Rücksicht  genommen,  ob  diese  zur  anständigen  Verheiratung 
ihre  Mitwirkung  nicht  etwa  versagt  haben.  Die  jüngeren  Rechts- 
ordnungen halten  übrigens  doch  vielfach  ohne  Rücksicht  auf 
das  Lebensalter  ein  unsittliches  Leben  bei  der  weiblichen  Des- 
zendenz für  einen  Enterbungsgruud,  so  zuerst  Freiburg  und 
seine  Gruppe,  dann  das  jüngere  Nürnberger  Recht1),  Geldern  1620, 
Lüneburg  und  Hohenlohe;  auch  der  Jurist  Gobler  lässt  in  dieser 
Hinsicht  schon  den  Altersunterschied  fallen.  Eineu  neuen 
Weg  schlug  aber  das  Freiburger  Stadtrecht  insofern  ein, 
als  es  neben  die  in  Unkeuschheit  lebende  Tochter  die  Kinder 
überhaupt  stellte,  welche  sich  minderjährig  ohne  die  gesetzliche 
Zustimmung  der  Eltern  verheirateten.  Hierin  folgen  ihm  nicht 
nur  die  von  ihm  abhängigen  Gesetzgebungen  ausser  Württem- 
berg, sondern  auch  das  Bayrische  Landrecht  von  1616  und  das 
Geldernsche  Landrecht  von  1620.  Auch  die  Wimpfener  Refor- 
mation von  1544  handelt  nur  von  Kindern,  welche  sich  ohne 
den  erforderlichen  elterlichen  Kousens  verheiraten*).  Die  Frei- 
burgische Gesetzgebung  hat  ferner  schon  den  Eltern  unter  Um- 
ständen bloss  die  Beschränkung  ihrer  unfolgsamen  Kinder  auf 
den  Pflichtteil  erlaubt,  worin  spätere  Ordnungen  ihr  folgen3), 
und  andere,  wie  Pfalz  und  Baden,  bemühen  sich  nicht  minder, 
der  Unbedachtsamkeit  und  Verführbarkeit  der  Jugend  durch 
mildernde  Bestimmungen  gerecht  zu  werden 4). 

XII.  Beim  XII.  Falle  (Vernachlässigung  in  Geisteskrank- 
heit) ist  zu  beachten,  dass  derselbe  zeitig  schon  über  den 
quellenmässigeu  Fall  der  geistigen  Erkrankung  hinaus  erweitert 
wird  uud  die  Deszendenten  dafür  verantwortlich  gemacht  werden, 


')  Vgl.  oben  8.  98. 

»)  Oben  8.  104  N.  3. 

*)  Vgl.  (irnchot,  Erbrecht,  III  S.  167,  Note:  fiir  Hamburg,  Frankfurter 
Reformation  und  Frauken.  Auf  die  mannigfache  Gestaltung  der  Folgen, 
welche  das  Heiraten  der  Kinder  wider  den  Willen  der  Eltern  in  den  deutschen 
Land-  und  Stadtrechteu  gefunden  hat,  kann  hier  nicht  eingegangen  werden. 
*)  Vgl.  filr  das  Pfälzische  Landrecht  oben  S.  89,  ähnlich  Baden  1622. 

8» 


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116 


wenn  sie  ihre  Aszendenten  nicht  allein  im  Zustande  der  Un- 
sinnigkeit,  Sinnlosigkeit  oder  des  „Töricht“seins,  sondern  auch 
wenn  sie  dieselben  in  anderer  Not  vernachlässigen.  Diese  Aus- 
dehnung wollte  wohl  schon  das  Eisenacher  Rechtsbuch,  indem 
es  das  Kind,  welches  die  Eltern  verhungern  lässt  und  ihnen 
nicht  die  notdürftige  Nahrung  reicht,  des  Erbrechts  verlustig 
erklärt1).  Dann  aber  stellt  auch  die  Hessische  Gerichtsordnung 
von  1497  der  Sinnlosigkeit  die  Krankheit  überhaupt  gleich, 
Freiburg  dehnt  auf  Leibeskrankheit  ausdrücklich  aus,  ebenso 
Nürnberg  in  der  jüngeren  Fassung  von  1564,  Württemberg  und 
Baden  (auch  Ulrich  Tengler)  sprechen  von  Armut  und  mangel- 
hafter Nahrung*),  andere,  wie  Geldern  und  Lüneburg,  von 
„Notli“  oder  „hoher  Noth“  im  allgemeinen,  Hohenlohe  von  fallender 
Sucht  oder  anderen  schweren  Gebrechen.  Der  gesetzliche  Ver- 
lust des  Erbrechtes  bei  den  diesen  Verpflichtungen  nicht  nach- 
kommenden Deszendenten  ist  überall,  wo  auf  den  Fall  genauer 
eingegangen  wird,  hervorgehoben.  Mit  der  Beschränkung  auf 
den  Sohn  steht  Justinus  Gobler  allein.  Fortgelassen  ist  der 
Fall  nur  in  der  sächsischen  Lehnrechtsglosse,  auch  bei  Stephan 
v.  Werböcz. 

XIII.  Der  XIII.  Enterbungsgrund,  die  Vernachlässigung 
der  kriegsgefangenen  Eltern,  fehlt  vielfach  in  den  deutschen 
Rechtsordnungen,  so  in  der  Lehnrechtsglosse,  vollständig  auch 
in  der  Nürnberger  Rechtsgruppe,  ausser  dem  Friedrichstädter 
Stadtrecht,  ebenso  in  der  Freiburger,  in  der  Geldernschen  Re- 
formation und  im  Hohenlohescheu  Landrecht.  Es  hat  ihn  aber 
der  Schwabenspiegel,  die  sächsische  Glosse  (abgesehen  von  der 
Lehn  rech  tsglosse),  das  Eisenacher  Rechtsbuch,  dieses  in  Ver- 
arbeitung mit  Nr.  VIII  (Gefängnis),  Braunschweig,  Ostfriesland, 
Nassau  und  Geldern,  das  Preussische  und  Badische  Landrecht, 
das  Bayrische  Landrecht,  Lüneburg  und  Wimpfen  (1755).  Aber 
nur  selten  wird  hervorgehoben,  dass  es  sich  nm  Gefangennahme 
im  Kriege  oder  durch  die  Feinde  handeln  müsse,  dies  tun  nur 
Braunschweig,  Geldern  1620,  das  Bayrische  Landrecht,  Baden 
und  Wimpfen.  Der  sächsische  Glossator  v.  Buch  beschränkte 

')  Oben  S.  74. 

*)  Vgl.  auch  Pfalz:  „mangelhaft  und  tobsüchtig“  und  Baudoza  oben 

S.  32  N.  2. 


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sich  sogar  auf  die  lakonische  Bemerkung:  .offt  he  syns  nicht 
losede“,  und  in  Wurmschen  Arbeiten  ist  bloss  davon  die  Rede, 
dass  sich  der  Aszendent  in  Not  oder  in  Leibesuöten  befinde. 
Auf  die  qnellenmässige  Voraussetzung  des  18.  Lebensjahres  für 
die  Verantwortlichkeit  der  Kinder  in  diesem  Falle  wird  nur  in 
der  Wurmschen  Landfriedensglosse  und  im  Geldernschen  Land- 
recht von  1620  eingegangen. 

Die  Auslassung  erklärt  sich  einfach  aus  dem  Grunde,  weil 
mau  entweder  den  Fall  für  nicht  mehr  praktisch  ansah,  oder 
weil  man  ihn  — und  dies  trifft  sicher  vielfach  zu  — als  mit 
unter  Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  enthalten  betrachtete.  Es  ist 
oben  gezeigt  worden,  welche  Motivierung  der  Jurist  Perneder 
für  erforderlich  hielt,  um  die  praktische  Bedeutung  des  Falles 
für  seine  Zeit  zu  begründen l). 

XIV.  Der  letzte  der  Justinianischen  Gründe  für  Aszen- 
denten, die  Ketzerei  der  Deszendenten,  fehlt  in  der  Schwaben- 
spiegelgruppe (auch  bei  Raymund)  vollständig8),  was  sich 
vielleicht  aus  dem  Einflüsse  der  kanonischen  Glosse8)  erklärt, 
ferner  in  Freiburg.  Nürnberg  lässt  ihn,  wahrscheinlich  doch 
infolge  der  inzwischen  eiugetreteuen  Kirchen -Reformation,  in 
der  jüngeren  Fassung  (1564)  aus,  dann  fehlt  er  noch  in  Lüne- 
burg und  im  Geldernschen  Landrecht  (1620).  Dagegen  hat 
das  Kleine  Kaiserrecht  ihn  unter  den  wenigen,  vou  ihm  aus- 
gewählten Fällen  besonders  eingestellt.  Ausgedrückt  wird  er 
mit  den  Worten:  aus  dem  Glauben  gehen  (Kl.  Kaiserrecht),  un- 
gläubig werden  (v.  Buch),  in  Ketzerei  fallen  u.  dgl.  Manche 
betonen,  dass  es  sich  um  eine  „verdammte“  Ketzerei  handeln 
müsse4),  wozu  Baden  (1622)  noch  bemerkt,  dass  das  Kind 
seines  Irrtums  überwiesen  sein  müsse,  und  überhaupt  wird  bos- 
haftiges  Verharreu  im  Unglauben  überall  vorausgesetzt.  Nur 
wenige  geben  sich  mit  einer  genaueren  Begrenzung  des  Begriffes 
der  Ungläubigkeit  ab,  wie  Nassau  1616,  das  noch  auf  „die  be- 
währten 4 Hauptconcilia“,  und  Hohenlohe,  das  auf  die  im  Hl. 


*)  Vgl.  oben  S.  96. 

’)  Auch  bei  Stefan  v.  Werböcz. 

•)  Oben  S.  35. 

*)  So  Württemberg,  Pfalz  und  Baden. 


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römischen  Reiche  angenommenen  drei  Religionen  verweist  ‘). 
An  der  Einschränkung  dieses  Falles  auf  männliche  Kinder,  wie 
sie  im  Brachylogus  und  in  der  Petrusgruppe  sich  fand*),  hält 
noch  die  Lehnrechtsglosse  und  Justinus  Gobler  fest. 

Nach  den  vorstehenden  Ermittelungen  finden  sich  nur  in 
zwei  deutschen  Gesetzgebungen,  nämlich  im  Braunschweigischen 
Stadtrecht  von  1532  und  im  Ostfriesischen  Landrecht  (1540 
bis  1550),  die  Justinianischen  Enterbungsgründe  für  Aszendenten 
vollzählig.  Ausserdem  stellten  sie  sämtlich  noch  die  v.  Buchsche 
Glosse  und  Wurm  in  seinen  Glossenarbeiten,  sowie  die  beiden 
Institntionisten  Gobler  und  Perneder  dar.  Überall  aber  werden 
die  aufgezählten  Fälle,  iu  Übereinstimmung  mit  der  Novelle  115, 
als  ausschliessliche  angesehen,  wo  nicht  ausdrücklich  ein  Vor- 
behalt für  „andere  und  grössere  Ursachen“  gemacht  worden 
ist.  Dies  geschah  zuerst  in  der  Baseler’)  Satzung  von  1523, 
deutlicher  und  ausführlicher  im  Pfälzischen  Landrecht  von  1582 
und  ihm  nach  in  der  jüngeren  Württemberger  Fassung  von  1610, 
in  Franken  (1618),  Preusseu  (1620)  und  Baden  (1622),  ferner 
in  Nassau  (1616)  und,  nunmehr  Württemberg  folgend,  auch  in 
der  Baseler  Stadtgerichtsordnung  von  1719.  Das  Mainzer  Land- 
recht von  1755  dagegen  tritt  mit  ausdrücklichen  Worten  für 
das  entgegengesetzte  Grundprinzip  ein4). 

Umgekehrt  sind  die  Fälle  des  römischen  Rechts  in  deutschen 
Rechtsquellen  nicht  selten  erweitert  worden.  So  in  der  Schwaben- 
spiegelgruppe sogleich  um  zwei  Fälle,  den  aus  dem  2.  Kapitel 
des  Mainzer  Landfriedens  entnommenen,  welchen  schon  der 
Deutschenspiegel  kannte5),  und  das  Vergeuden  von  mehr  als 
der  Hälfte  des  väterlichen  Gutes,  den  vorletzten  Fall  der 
Scliwabenspiegelgruppe 6).  Sodann  hat  das  Kleine  Kaiserrecht, 
welches  freilich  bloss  eine  geringfügige  Auswahl  von  Justini- 
anischen Gründen  darstellte,  zwei  neue  Fälle  den  ausgesuchten 


«)  Oben  S.  102  und  104. 

*)  Vgl.  oben  S.  25  und  29. 
*)  S.  oben  S.  88. 

‘)  Oben  S.  106  N.  2. 

*)  Oben  S.  50. 

*)  Oben  8.  62. 


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gleichgesetzt1),  deren  einem:  „wider  das  Reich  reden“:  das  im 
Pfälzischen  Landrecht  und  dann  auch  in  Preussen  innerhalb 
der  clausula  generalis  aufgestellte  Beispiel  des  Vaterlandsver- 
rates naliekommt.  Auch  die  Berner  Stadtsatzung  von  1539 
scheint  Handlungen  des  Kindes,  „so  das  Malefiz  berühren  möchten“, 
ohne  dass  eine  Verletzung  der  Eltern  erforderlich  wäre,  als 
eine  Enterbungsursache  zu  betrachten  *),  und  die  Baseler  Satzung 
aus  dem  16.  Jahrhundert  hat  das  Laufen  in  den  Krieg  wider 
Willen  der  Eltern  unter  die  Enterbungsgründe  gestellt3). 

Was  die  für  Deszendenten  geltenden  Fälle  anlangt,  so 
werden  sie  gänzlich  übergangen  in  den  sächsischen  Glossen- 
arbeitcn  (wie  es  scheint,  auch  bei  Wurm),  im  Eisenacher  Rechts- 
buche und  in  der  Wormser  Reformation,  obwohl  deren  Vorbild 
Nürnberg  sie  aufzählte.  Auch  die  Lüneburger  Reformation 
(1580  ff.)  enthält  sie  nicht  und  ebensowenig  Raymund  von 
Wiener-Neustadt  und  das  Werböczische  Tripartitum. 

Die  Schwabenspiegelgruppe  hat  es  bekanntlich  so  einge- 
richtet, dass  die  drei  ersten  der  für  Eltern  aufgezählten  Fälle, 
d.  h.  Nr.  VI  (Inzest),  der  Fall  aus  dem  Mainzer  Landfrieden 
(widerrechtliche  Gefangennahme)  und  Nr.  III  (Kriminalanklage) 
auch  für  die  Enterbung  der  Eltern  durch  die  Kinder  gelten 
sollen,  eine  Anordnung,  welche  sich  daraus  erklären  dürfte, 
dass  nur  jene  drei  Gründe  zunächst  rezipiert  und  dann  unbe- 
sehen auf  die  Deszendenz  erweitert  wurden. 

Daher  beginnt  die  Bearbeitung  dieser  Gründe  in  Deutsch- 
land erst  mit  der  Nürnberger  Reformation  von  1479,  welcher 
Freiburg  sie  entlehnt  hat*). 

Der  1.  Fall,  quellenmässig  so  ausgedrückt:  wenn  die  Eltern 
ihre  Kinder  dem  Untergang  überliefern:  wird  selten  mit  diesen 
Worten  wiedergegeben.  Nur  Württemberg  sagt:  „durch  ihre 
Anklage  oder  Angeben  in  Tod  zu  bringen  sich  unterstehen“, 
und  Braunschweig:  „an  ihrem  Leben  richten  lassen“.  Sonst 
wird  meist  nur  die  Anklage  auf  Leib  und  Leben,  in  Freiburg 
auch  auf  Ehre  und  Gut,  genannt  und  der  Fall  im  übrigen  ganz 

>)  Oben  S.  53. 

*)  S.  oben  S.  75. 

*)  Oben  S.  87. 

*)  Vgl.  oben  S.  85. 


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120 


nach  Analogie  von  Nr.  III  gestaltet.  Auch  die  Ausnahmen  von 
der  verbotenen  Anklage  finden  sich  wie  dort,  in  Baden  (1622) 
freilich  auf  die  Anklage  wegen  „anderer  grober  abscheulicher 
Misshandlungen“  erweitert. 

Beim  2.  Falle  (Lebensnachstellung)  ist  überall  Zauberei 
und  Gift  als  Mittel  genannt  — Gobler  sagt  anstatt:  mit 
Zauberei:  als  ein  Böswicht  (maleficus!)  — und  meistens  auch 
die  Möglichkeit,  wie  in  der  Novelle,  „in  anderer  Weise*  den  Kin- 
dern nach  dem  Leben  zu  trachten,  anerkannt.  Braunschweig 
lässt  hier  schon  (was  quellenmässig  erst  in  Nr.  5 geschieht)  den 
Versuch  genügen,  die  Deszendenten  um  ihre  Sinne  und  Vernunft 
zu  bringen. 

Der  3.  Fall  (Inzest)  ist  vollständig  dem  bei  den  Enterbungs- 
gründen für  Aszendenten  entsprechenden  (Nr.  VI)  uachgebildet, 
so  dass  auch  hier  eine  Erweiterung  auf  die  Eltern  an  Stelle 
der  Beschränkung  auf  den  Vater  tritt,  wo  die  Rechtsordnung 
eine  Verallgemeinerung  auf  die  Kinder  bei  Nr.  VI  zulässt  (also 
in  Nürnberg  erst  in  der  Fassung  von  1564).  Nur  ist  beachtens- 
wert, dass  von  einer  Konkubine  des  Sohnes  bloss  im  Friesischen 
Rechte  gesprochen-  wird. 

Auch  der  4.  der  für  Deszendenten  aufgestellten  Enterbungs- 
gründe ist  nach  Analogie  der  ersten  Abteilung  (Nr.  IX)  be- 
handelt: wenn  die  Kinder  durch  die  Eltern  verhindert  werden, 
ihren  letzteu  Willen  zu  errichten.  Tübingen  betont  auch  liier: 
„so  doch  solche  Geschäft  aus  vernünftigen  Ursachen  vorge- 
nommen werden“,  und  mehrfach  wird  darauf  aufmerksam  ge- 
macht, dass  die  Vorschrift  nur  insoweit  Bedeutung  habe,  als 
die  Deszendenten  überhaupt  befähigt  seieu,  selbständig  eine 
solche  Verfügung  zu  treffen1). 

Nur  die  Basler  Gerichtsordnung  von  1719  erwähnt  den 
4.  Fall  nicht,  sonst  fehlen  die  bisherigen  4 Enterbungsgründe 
für  Deszendenten  in  keiner  der  Bearbeitungen,  welche  diese 
Gruppe  von  Gründen  überhaupt  berücksichtigen.  Anders  steht 
es  mit  dem  5.  Grunde,  der  Lebensnachstellung  unter  Eltern: 
er  ist  im  Braunschweigischen  Stadtrecht  und  in  der  Geldern- 

’)  Vgl.  das  Ostfriesische  Landrecht : „sobald  sie  zu  ihren  Jahren  (d.  b. 
14,  12  Jahren)  kommen  sind“,  und  im  Kulm  1711  oben  S.  103  die  Erwähnung 
des  rekulicnrecbtes,  welches  schon  die  Summa  notariae  (oben  S.  33)  behandelte. 


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sehen  Reformation  übergangen.  Die  meisten  Darstellungen 
aber,  die  ihn  haben,  berücksichtigen  nur  die  Lebensnachstellung 
im  eigentlichen  Sinne,  während  von  dem  in  der  Novelle  gleich- 
gestellten Versuch  der  Beraubung  des  Verstandes  bloss  im 
Bayrischen  Landrecht  von  1616  uud  im  Hohenloheschen  Land- 
rechte (1737)  die  Rede  ist. 

Nr.  6 (Geisteskrankheit)  korrespondiert  Nr.  XII  bei  den 
Aszendenten,  und  ist  auf  Armut,  Elend  und  Krankheit  er- 
weitert, wo  die  Rechtsordnungen  dies  auch  in  jenem  Falle  tun. 
Dieselbe  Gleichmässigkeit  ist  für  Nr.  7 (Kriegsgefangenschaft) 
bezüglich  des  Verhältnisses  zu  Nr.  XIII  festzustellen,  so  dass 
also  z.  B.  das  Hohenlohesche  Landrecht  auch  hier  auf  den  Fall 
verzichtet.  Die  Kriegs-  oder  feindliche  Gefangenschaft  wird 
nur  im  Braunschweigischen  Stadtrecht  und  im  Bayrischen  Land- 
recht erwähnt,  im  übrigen  ist  bloss  vom  Gefängnis  die  Rede. 
Der  letzte  Fall,  Nr.  8 (Ketzerei),  ist  bloss  in  der  jüngeren 
Nürnberger  Überlieferung  (von  1564)  und  deren  Nachfolgern, 
sowie  im  Geldernschen  Landrechte  gestrichen,  er  wird  überall 
— abgesehen  vom  Freiburger  Stadtrecht1)  — gleich  Nr.  XIV 
bei  den  Aszendenten  behandelt. 

Demnach  sind  die  sämtlichen  Gründe  für  Deszendenten  in 
Nürnberg  (ältere  Form)  und  in  Freiburg,  sowie  den  von  diesem 
abhängigen  Rechtsordnungen,  im  Friesischen  Recht,  im  Bayrischen 
Landrecht  und  im  Wimpfener  Stadtrecht  von  1775  vollständig 
rezipiert,  also  bei  weitem  in  der  Mehrzahl  derjenigen  Rechts- 
quellen, welche  ihrer  überhaupt  gedenken. 

Zur  Vervollständigung  des  gezeichneten  Bildes  muss  noch 
daran  erinnert  werden,  das  es  Rechtsordnungen  gibt,  welche 
den  für  die  Deszendenten  aufgestellten  Gründen  solche  hinzu- 
rechnen, die  das  römische  Recht  nur  den  Aszendenten  zur  Ver- 
fügung stellte.  Dies  wurde  schon  hinsichtlich  des  IV.  Grundes 
(maleficus)  in  bezug  auf  die  Summa  notariae  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert bemerkt8),  es  wiederholt  sicli  aber  im  Ostfriesischen 
Landreclite  (1540  — 1550)  in  Form  der  Ausdehnung  der  Ge- 
schlechtsvergehen auf  die  Enterbung  der  Aszendenten3),  im 

')  3.  oben.  S.  85. 

•)  Oben  S.  34. 

»)  Oben  S.  94. 


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Geldernscheu  Landrechte  (1619)  hinsichtlich  der  Nr.  VII  (Syko- 
phantie)  und  VIII  (Befreiung  aus  der  Gefangenschaft)  und  in 
der  Baseler  Gerichtsordnung  von  1719  in  Beziehung  auf  Nr.  X: 
„ein  schändlich  üppiges  Leben  führen“  ’). 

Die  Gesamtheit  aller  Justinianischen  Enterbungsfälle  aber 
ist,  vou  Perneders  Institutionen  und  Goblers  Rechtsspiegel 
abgesehen,  in  deutscher  Sprache  vor  dem  17.  Jahrhundert  nur 
im  Ostfriesischen  Landrecht  dargestellt  worden.  Auch  nach- 
her findet  sie  sich  nur  in  der  Nassauischeu  Gerichtsordnung 
(1616),  im  gleichzeitigen  Bayrischen  Laudrecht,  im  Preussischen 
Landrechte  von  1620,  im  Badischen  Landrecht  (1622),  im 
Kulmischen  Recht  von  1711  und  im  Wimpfener  Stadtrecht 
von  1775. 

Die  Reihenfolge,  in  welcher  die  einzelnen  Fälle  auftreten, 
könnte  im  allgemeinen  — d.  h.  da,  wo  sie  nicht,  wie  für  die 
Schwabenspiegelgruppe,  typisch  ist  — als  etwas  Gleichgültiges 
erscheinen.  Indessen  ist  es  doch  von  einem  gewissen  Interesse, 
festzustellen,  dass  sie,  was  die  Gründe  für  Aszendenten  anlangt, 
nur  in  einem  Teile  der  deutschen  Überlieferung  sich  der 
Justinianischen  Novelle  anschliesst,  nämlich  nur  in  der  sächsischen 
Lehnrechtsglosse,  in  der  Nürnberger  und  Freiburger  Über- 
lieferung samt  ihren  Anhängern,  in  Braunschweig,  im  Preussischen 
Landrecht  und  in  den  systematischen  Darstellungen  von  Per- 
neder  und  Gobler.  Bei  den  Gründen  für  Kinder  aber  wird 
überall,  ausser  im  Ostfriesischen  Landrechte,  bei  Perneder  und 
in  der  Nassauischeu  Gerichtsordnung  (1616),  die  römische  An- 
ordnung befolgt. 

Von  den  Fällen  für  Aszendenten  fehlen  Nr.  I (Realinjurie), 
III  (Krimiualanklage)  und  VIII  (Gefangenschaft)  nirgends*), 
am  häufigsten  ist  Nr.  VII  (Sykophantie)  ausgelassen,  nämlich 
in  Brünn,  auch  bei  Raymund  von  Wiener  Neustadt  und  bei 
Werböcz,  in  Nürnberg,  Freiburg  und  in  der  Geldernschen  Re- 
formation, und  Nr.  XIV  (Ketzerei),  letzteres  in  der  Schwaben- 
spiegelgruppe, bei  Raymund,  in  Freiburg,  in  Nürnberg  seit  1564, 

>)  Oben  S.  92. 

*)  Die  Zusammenstellung  bezicbt  sieb  natürlich  nur  auf  diejenigen  unter 
den  erwähnten  Rezeptionen,  welche  nicht,  wie  auch  der  Deutschenspiegel, 
rein  eklektisch  verfahren,  d.  h.  nnr  wenige  Fälle  sich  ausgesucht  haben. 


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iu  Lüneburg  und  im  Geldernschen  Landrechte.  Dann  folgt  in 
der  Statistik  der  abgelehnten  Fälle  Nr.  XIII  (Kriegsgefangen- 
schaft): in  der  Lehurechtsglosse,  in  der  Nürnberger  und  Frei- 
burger Gruppe,  in  der  Geldernschen  Reformation  und  im  Hohen- 
loheschen  Landrecht.  Nr.  IX  (Testierhindernis)  ist  nur  bei 
Werböcz,  in  Freiburg,  Basel  (1719)  und  Hohenlohe  beseitigt. 
Nr.  IV  (malefici),  Nr.  V (Lebensnachstellung),  VI  (Inzest), 
XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  und  XII  (Geisteskrankheit)  fehlen 
gleichmässig  oft,  nämlich  nur  je  zweimal.  Nr.  II  (Realinjurie) 
vermisst  man  bloss  in  Brünn,  Nr.  X (Schauspielergewerbe)  allein 
in  der  Geldernschen  Reformation.  Von  den  Gründen  für  Kinder 
ist  Nr.  5 (Lebensnachstellung  unter  Eltern)  in  der  Geldernschen 
Reformation  uud  im  Braunschweigischen  Stadtrechte,  Nr.  8 
(Ketzerei)  in  der  jüngeren  Nürnberger  Gesetzgebung  von  1564 
und  im  Geldernschem  Landrecht  (1620)  übergangen. 

Einer  Ausdehnung  der  Enterbungsfälle  über  den  Kreis  der 
nächsten  gesetzlichen  Erben  hinaus  auf  Jedermann“  hat,  ausser 
dem  Deutschenspiegel,  nur  der  sächsische  Glossator  Wurm  in 
einer  seiner  Arbeiten  das  Wort  geredet1). 


§ 5 

Die  neueren  Gesetzgebungen  und  Entwürfe 

Auf  Gruud  der  vorstehenden  Übersicht,  in  welcher  ver- 
sucht worden  ist,  wenigstens  die  wesentlicheren  Verschieden- 
heiten in  der  Rezeption  der  Justinianischen  Gründe  zusammen- 
zufassen, wird  es  leichter  werden,  an  die  neuere  Gestaltung  der 
Fälle  seit  den  grossen  Kodifikationen  des  18.  Jahrhunderts 
heranzugehen. 

I.  Hier  tritt  zuerst  der  Entwurf  eines  „Corporis  juris 
Fridericiani“  von  1751  entgegen.  Cocceji  hat  in  ihm  nach  dem 
römischen  Vorbilde,  welches  er  zugrunde  legte,  auch  die  Ent- 
erbungsgründe eingestellt2),  aber  er  hat  sich  dabei  an  die 


')  S.  oben  S.  72. 

»)  2.  Teil:  Pars  II,  Lib.  VII,  Tit.  V (S.  174-178). 


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ältere  Preussische  Gesetzgebung,  die  zur  Gruppe  des  Freiburger 
Stadtrechts,  unmittelbarer  zum  Württembergischen  und  Pfäl- 
zischen Land  rechte  gehört1),  nicht  gebunden.  Es  fehlen  Nr.  IV 
(malefici)  mul  VII  (Sykophautie),  wie  in  Nürnberg  und  in  der 
Geldernschen  Reformation;  man  kann  aber  den  IV.  Fall  sehr 
wohl  unter  die  weite  Fassung  von  Nr.  X (s.  unten)  mit  begreifen. 
Die  Anordnung  der  Gründe  für  Aszendenten  ist  eine  freie, 
während  die  Gründe  für  die  Deszendenz  nach  der  Novelle  ge- 
ordnet werden,  welche  letztere  auch  vollständig  vorhanden  sind. 

In  der  Fassung  der  einzelnen  Fälle  finden  sich  allerdings 
einige  Anklänge  an  die  alte  Württembergische  ®)  und  an  die 
ältere  Preussische3)  Ausdrucksweise,  übrigens  auch  an  das 
Hohenlohesehe  Laudrecht4),  aber  diese  Spuren  sind  von  geringer 
Erheblichkeit,  Was  die  neue  Arbeit  besonders  charakterisiert, 
ist  die  genauere  Ausgestaltung,  welche  sie  einzelnen  der  Fälle 
zuteil  werden  lässt.  So  wird  im  I.  Falle  (Realinjurie)  nicht 
allein,  wie  in  Ostfriesland 5),  die  Zulässigkeit  der  Notwehr  her- 
vorgehoben8), sondern  es  wird  auch  — wahrscheinlich  im  An- 
schlüsse an  Lcyser7)  — die  Möglichkeit  berücksichtigt,  dass 
die  Kinder  die  Tat  nicht  selber  begehen,  vielmehr  andere  Per- 
sonen zur  Misshandlung  ihrer  Eltern  anstiften  „oder  Rat  dazu 
geben“  oder  dass  sie,  wenn  sie  von  der  bevorstehenden  Gewalt 
wussten,  die  Eltern  nicht  rechtzeitig  gewarnt  haben;  auch  ge- 
nügt eine  blosse  Bedrohung.  Nr.  III  (Kriminalanklage)  ist  dahin 
erweitert:  wenn  die  Kinder  aus  freien  Stücken  sich  zu  Zeugen 
„in  dergleichen  criminibus“  angeben  oder  darin  sich  als  Ad- 
vokaten gegen  die  Eltern  gebrauchen  lassen,  wobei  wieder  die 
Anstiftung  anderer  zu  gleichen  Dingen  gleichgestellt  wird. 

’)  Vgl.  oben  S.  90  ff. 

•)  Vgl.  Nr.  6 (§  15,  VI). 

*)  Vgl.  Nr.  4 (§  15,  IV). 

4)  So  bei  Nr.  XIV  (Ketzerei)  die  Erwähnung  der  drei  im  Reiche  ange- 
nommenen Religionen  (obeu  S.  118)  (§  14)  und  Nr.  3 (§  15,  III). 

“)  Oben  S.  108. 

")  Es  heisst:  die  Gerichte  sollen  „wohl  zu  examinieren  haben,  ob  die 
Eltern  die  Kinder  mit  Schlägen  oder  Peitschen  ohne  Ursache  Übel  traktieret, 
und  die  Kinder,  um  sich  von  der  Gewalt  zu  erretten,  gleichsam  eine  Notwer 
tun  müssen“. 

7)  Vgl.  Grnchot.  Erbrecht,  III  S.  159  N.  1. 


(• 


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125 


Unter  den  Ausnahmen  der  erlaubten  Anklage  erscheint  auch 
das  crimen  laesae  majestatis  divinae1)  und  der  Fall,  dass  die 
Kinder  „vi  officii“,  etwa  als  Richter  oder  Fiskale,  dergleichen 
Missetaten  der  Eltern  untersuchen  oder  ahnden  müssen,  „wie- 
wohl in  beyden  Fällen  die  Kinder  um  die  Subdelegation  eines 
anderen  Richters  oder  Fiscalis  anhalten  können“. 

Bei  Nr.  VI  wird  auch  die  Blutschande  mit  den  leiblichen 
Eltern  in  Betracht  gezogen*),  die  Konkubine  fehlt.  Nr.  VIII 
(Gefangenschaft)  hat  der  Gesetzgeber  nicht  allein  auf  Kinder 
ausgedehnt,  sondern  dem  Falle  XIII  (Kriegsgefangenschaft) 
vollkommen  gleichgestellt,  aber  die  Erbschaft  soll  nicht,  wie 
nach  dem  älteren  Landrecht3),  in  letzter  Linie  Kirchen  (oder 
ad  pias  causas),  sondern  vielmehr  dem  Fiskus  zufallen. 

Beim  X.  Falle,  welcher  so  ausgedrückt  wird:  „Wenn  die 
Kinder  sich  zu  liederlicher  Gesellschaft  schlagen,  um  Böses 
mit  derselben  auszurichten  — vgl.  Nr.  IV!  — oder  sonst  eine 
infame  Lebens-Art  erwählen“,  steht  als  Beispiel  neben  den 
auch  anderwärts  üblichen : Scharfrichter,  Schinderknechte,  Huren- 
wirte, Komödianten  und  Seiltänzer4):  sich  zu  einer  Zigeuner-, 
Diebs-  oder  Räuberbande  gesellen,  sogar  ohne  dass  man  an 
einem  Diebstahl  oder  Mord  teilgenommen  zu  haben  braucht 
und  auch,  wenn  man  die  Bande  wieder  verlässt,  man  müsste 
denn  „von  ohngefäbr  unter  deren  Hände  geraten“  sein.  Bei 
den  „Comüdianten,  Seiltänzern  usw.“  dagegen  hebt  das  „Quit- 
tieren“ der  „Profession“  den  Enterbungsgrund  auf. 

Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  gilt  ohne  Rücksicht  auf 
das  Lebensalter,  wenn  die  Tochter,  „zu  Falle  kommt“ ; in  bezug 
auf  die  eigenmächtige  Verheiratung  der  Kinder  überhaupt  wird 
auf  die  Grundsätze  des  Eherechts  Bezug  genommen5),  Söhne 


')  Vgl.  die  Nürnberger  Gruppe  oben  S.  109. 

’)  Vgl.  Asperg  oben  S.  111.  Demnach  wäre  das  Landrecht  doch  nicht 
„das  einzige  Gesetzbuch,  welches  das  von  allen  übrigen  in  Betreff  des  un- 
natürlichen Verbrechens  des  blntscbänderiscben  Umgangs  zwischen  leiblichen 
Eltern  und  Kindern  beobachtete  Schweigen  bricht“,  wie  (iruchot  a.  a.  0. 
S.  159  sagte. 

')  Oben  8.  91. 

‘)  Vgl.  oben  S.  114. 

5)  Vgl.  Pars  I,  S.  38,  § 18,  wonach  besonders  der  elterliche  Konsens 


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126 


aber  können  auch  enterbt  werden,  wenn  sie  „zum  Skandal  der 
Familie  und  des  Publici  sich  mit  Huren  und  andern  oben 
(Nr.  X)  beschriebenen  liederlichen  Weibsstücken  schleppen J. 
Nr.  XII  (Geisteskrankheit)  ist  auf  Armut  und  Krankheit  im 
allgemeinen  erweitert,  übrigens  quellenmässig  auf  Kinder  über 
18  Jahre  beschränkt,  denen  freilich  diese  Fürsorge  auch  in 
ansteckenden  Krankheiten  „und  sogar  bei  der  Pest“  zur  Pflicht 
gemacht  ist.  Der  Fall  wird  weiterhin  genau  wie  Nr.  XIII  be- 
handelt (s.  oben).  In  Nr.  XIV  endlich  wird  dem  Abgang  von 
einer  der  drei  anerkannten  Religionen1)  der  Übertritt  zum 
Judentum  oder  zum  Heidentum  gleichgestellt,  dagegen  der  Fall 
ausgenommen:  wenn  ein  Judenkind  den  christlichen  Glauben 
annimmt! 

Unter  den  für  Kinder  aufgestellten  Gründen  fällt  die  Ein- 
schränkung des  5.  Falles  auf  (Lebensnachstellung  unter  den 
Eltern  des  Erblassers);  sie  wird  nämlich  nur  auf  die  Ver- 
schwägerten (Schwiegereltern,  Schwager  und  Schwägerin)  des 
Kindes  bezogen.  Auf  der  anderen  Seite  hat  Nr.  7 (Kriegs- 
gefangenschaft) eine  Erweiterung  auf  die  Schuldgefangenschaft 
erfahren,  also  gemäss  Nr.  VIII,  wie  es  im  Geldernschen  Land- 
rechte von  1620  der  Fall  gewesen  ist  *). 

Coccejis  Projekt  scheint  bei  der  Abfassung  des  Codex 
Theresianus  für  Österreich 5)  zur  Vorlage  gedient  zu  haben, 
worauf  die  mannigfachen  Ähnlichkeiten  trotz  allerhand  Ab- 
wandelungen im  einzelnen4)  schliessen  lassen.  Besonders  fällt 


vou  Kindern  unter  2 5 Jahren  erzwungen  werden  kann;  vgl.  auch  daselbst 
lib.  2,  tit.  2,  §§  23  ff. 

')  Oben  S.  124  N.  4. 

»)  Oben  S.  102. 

*)  II.  Teil,  cap.  XV,  besonders  §§  II  und  III  (Ausgabe  von  Pb.  Harras 
Ritter  v.  Uarrasowsky,  II,  1884,  S.  281  ff.). 

*)  So  fehlt  in  Nr.  I (§  14)  die  Notwehr.  Bei  Nr.  III  (jj  16)  werden  die 
Ausnahmen  gekennzeichnet  als  .solche  Verbrechen,  welche  auch  Kinder  wider 
ihre  Eltern  anzuhringeu  nach  Aussatz  Unserer  peinlichen  Gerichtsordnung 
schuldig  sind“  (vgl.  die  Gesetzgebungen  oben  S.  109  vor  N.  1).  Nr.  VI  (§  25) 
handelt  wieder  nur  vom  Inzest  mit  den  Stiefeltern.  Nr.  VII  (Sykopbantie) 
(§  20)  wird  auf  Kinder  bezogen  (statt  nur  auf  den  Sohn).  Nr.  IX  (§  22) 
erwähnt  auch  die  Verhinderung  au  Abänderung  des  Testamentes,  in  Nr.  X 
(Schauspielergew'erbei  (§  23)  sind  die  Beispiele  weggelassen,  bei  Nr.  XII  i§  18) 


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127 


hier  die  Vollständigkeit  sämtlicher  Justinianischer  Fälle,  wiederum 
bei  eigenartiger  Anordnung,  auf  und  die  Beifügung  einer  all- 
gemeinen Klausel '),  womit  der  Entwurf  in  den  schärfsten 
Gegensatz  zum  Corpus  Fridericianum  tritt,  da  dieses  die  Zu- 
lassung anderer  als  der  angegebenen  Ursachen  ausdrücklich 
abgelehnt  hat2).  Die  von  Cocceji  nicht  bearbeitete  Nr.  IV 
(maletici)  lautet  hier:  „wenn  wohlverhaltener  Eltern  Kinder 
wider  deren  Willen  mit  ehrlosen  und  liederlichen  Gesindel  Ge- 
meinschaft gemacht,  mit  demselben  herumgezogen  und  sich  ge- 
nähret, wovon  die  Eltern  Schand  und  Spott  hätten“.  In  Nr.  XI 
(Ungehorsam  der  Tochter),  welcher  Fall  hier  wieder,  wie  ander- 
wärts3), den  Schluss  bildet,  verfährt  der  Kodex  eigenartig,  indem 
bei  den  Kindern,  die  sich  ohne  Zustimmung  der  Eltern  ver- 
heiraten, die  Zulässigkeit  der  Enterbung  dem  richterlichen  Er- 
messen Vorbehalten  bleibt.  Beim  XIV.  Falle  wird  die  Ketzerei 
als  Abfall  vom  christlichen  Glauben  oder  als  Annahme  einer 
Irrlehre  bezeichnet,  welche  in  dem  Lande  der  belegenen  Erb- 
schaft erbsunfähig  mache  und  ihre  Anhänger  von  der  Erbschaft 
ausschliesse.  Für  sämtliche  Fälle  der  Enterbung  von  Deszen- 
denteu  aber  gilt  die  allgemeine  Regel,  dass  sie,  um  enterbt 
werden  zu  können,  „die  Jahre  der  Kindheit  überschritten  und 
den  vollkommenen  Gebrauch  des  Verstandes  gehabt  haben,  dass 
von  ihnen  die  Fähigkeit,  die  angezeigten  Euterbungsursachen 
begangen  zu  haben,  vermutet  werden  möge“. 

Unter  den  Grüuden  für  Deszendenten  ist  hier  Nr.  5 
(Lebensnachstellung  unter  den  Eltern)  wieder  im  Sinne  des 
Justinianischen  Rechts  richtig  gestellt,  und  bei  Nr.  6 (Geistes- 

fehlt  die  Ausdehnung  auf  Armut,  bei  Nr.  XIII  (Kriegsgefangenschaft)  (§21) 
wird  anch  des  Gelangens  in  Sklaverei  gedacht. 

‘)  Sie  heisst:  dass  andere,  obschon  in  dem  wörtlichen  Verstand  der 
vorbeschriebenen  nicht  ausgedruckte,  doch  aber  in  der  Sachen  selbst  darunter 
begriffene  gleich  wichtige  oder  auch  wichtigere  Ursachen  anerkannt  seien, 
wann  selbe  der  Richter  erheblich  und  hinlänglich  zu  sein  befunden  habe. 

’)  Cocceji  hatte  (§  19)  verfügt:  „Ausser  diesen  benannten  Enterbungs- 
ursachen sollen  keine  andern,  sie  mögen  pares  oder  similes  sein,  attendirt 
noch  admittirt  werden“. 

*)  So  in  der  Schwabeuspiegelgruppe , in  der  Geldernschen  Reformation, 
im  Ostfriesischen  Landrecht  (oben  S.  93  N.  9)  und  im  Lüneburgischen  Stadt- 
reebt  (oben  S.  101). 


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128 


kranklieit)  wird  die  Armut  der  Kinder  ihrer  Erkrankung  gleich- 
geaehtet,  was  in  dem  entsprechenden  Falle  bei  Aszendenten 
(Nr.  XII)  nicht  geschehen  ist. 

II.  Der  Codex  Maximilianeus  Bavaricus  von  1756  kommt 
in  der  vorliegenden  Materie1)  nach  der  Angabe  seines  Ver- 
fassers8) „sowohl  mit  dem  Jure  commuui  in  Nov.  115  c.  3,  als 
dem  vorigen  Bayrischen  Landrechte  quo  ad  substantiam  völlig 
überein“.  Indessen  fehlt  es,  abgesehen  von  der  anderen  An- 
ordnung der  Fälle,  nicht  an  bemerkensweiten  Unterschieden 
gegenüber  der  Gestaltung  von  1616®).  So  sind  hier,  während 
dort  alle  Justinianischen  Fälle  rezipiert  waren,  Nr.  XIII 
(Kriegsgefangenschaft)  und  bei  den  Enterbungsgrüuden  für 
Kinder  auch  Nr.  8 (Ketzerei)  übergangen.  Die  letztere  Aus- 
lassung wird  damit  begründet,  dass  .Ketzer  und  Ungläubige“ 
bereits  nach  anderweitiger  Bestimmung4)  erbunfähig  seien  und 
„folglich  nicht  nur  ausgeschlossen  werden  können,  sondern 
auch  müssen*.  Dieselbe  Begründung  hätte  freilich  bei  den 
Enterbungsgründen  für  Eltern  (Nr.  XIV)  die  gleiche  Folge 
haben  sollen,  hier  aber  ist  dieser  Enterbungsgrund  stehen 
geblieben. 

Im  übrigen  lässt  sich  die  sachliche  Anlehnung  an  das 
ältere  Recht  allerdings  nicht  verkennen'),  nur  dass  öfters 
v.  Kreittmayr  sich  grösserer  Originalität  und  insbesondere 
grösserer  Kürze  befleissigt.  So  werden  Nr.  I und  II  zusammen- 
gezogen: den  Eltern  „mit  Real-  oder  schweren  Verbalinjurien 
begegnen“,  wo  das  Landrecht  von  1616  sich  mehr  dem  römischen 
Vorbilde  im  Ausdrucke  anpasste.  Bei  Nr.  X (Schauspieler- 
gewerbe) sind  die  Beispiele  weggelassen  und  namentlich  bei 
XI  (Ungehorsam  der  Tochter)0)  und  XII  = 6 („Kranck  oder 

• ')  Teil  III,  Kap.  3,  §§  17/8. 

’)  Anmerkungen  über  den  Codicem  uaw.,  III  Teil,  17(4,  8.  350. 

')  Oben  S.  101. 

«)  III,  1,  3,  4 to  und  III,  1,  12. 

f)  Man  vgl.  die  Aufnahme  der  Ketzerei  und  Zauberei  unter  die  Aus- 
nahmen in  Nr.  III  (Kriminalanklage),  sowie  die  Fälle  IV,  VI,  VII,  VIII  und  1. 

•)  Es  wird  auf  die  eherecbtlichen  Bestimmungen  für  Kinder  in  1, 0,4,3 
verwiesen  und  in  der  Anmerkung  bemerkt,  dass  diese  Ursache  zwar  jure 
canonico  nicht,  wohl  aber  „vi  eit.  Nov.  § 11  in  jure  Romnno  et  statntario 
nicht  nur  hier  zu  Land,  sondern  auch  fast  aller  Orten  wohl  fundiert*  sei. 


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129 


Blödsinnigkeit“)  wird  erheblich  gekürzt.  Auch  bei  den  Gründen 
für  Kinder  sind  Nr.  2 (Lebensnachstellung)  und  5 (Lebensnach- 
stellung unter  Eltern),  sowie  Nr.  6 (Krankheit)  und  7 (Gefangen- 
schaft) zusammengearbeitet,  und  in  Nr.  5 fehlt  die  quellen- 
lniissige  Ausdehnung  auf  Verderbnis  des  Verstandes. 

Neu  ist  aber  für  das  Bayrische  Recht  die  Einstellung  der 
Generalklausel,  nach  welcher  „andere  dergleichen  (Ursachen) 
von  der  nämlich  — oder  noch  grösseren  Stärke  nicht  ausge- 
schlossen sind“  ’). 

III.  Auch  das  Allgemeine  Preussische  Landrecht  bemüht 
sich,  die  durch  die  Rezeption  gemeinrechtlich  gewordenen 
römischen  Enterbungsgründe  zu  modernisieren s).  Es  stellt 
allerdings  einen  diesen  nicht  entlehnten  Fall  an  die  Spitze, 
welchen  bereits  das  alte  Preussische  Recht  kannte3),  nämlich 
den  Fall,  wenn  ein  Kind  „des  Hochverrats  oder  des  Lasters 
der  beleidigten  Majestät  gegen  die  Person  des  Oberhaupts  im 
Staate  schuldig  erkannt  worden“.  Er  war  inzwischen  durch 
ein  besonderes  Gesetz  vom  11.  Januar  1774  festgestellt.  Sodann 
aber  folgen  die  Justinianischen  Fälle  ohne  Nr.  IV  (malefici), 
VIII  (Gefangenschaft),  IX  (Testierhindernis)  und  XIV  (Ketzerei), 
und  in  abgeänderter  Reihenfolge. 

Dem  Coccpjischen  Projekt  gegenüber  schränkt  also  das 
Landrecht  die  Fälle  noch  weiter  ein,  insoferne  der  Grund  der 
Ketzerei  weggelassen  ist.  Dagegen  steht  hier  Nr.  VII  (Sykophantie), 
sei  es  auch  in  besonderer  Gestalt,  unter  den  Enterbungsgriinden, 
Nr.  VIII  wird  durch  die  allgemeine  Fassung  von  Nr.  XII 
(Geisteskrankheit)  gedeckt  und  die  Bestimmung  unter  Nr.  IX 
(Testierhindernis)  ist  durch  eine  an  anderer  Stelle  angeordnete 
Erbunfähigkeit  ersetzt  worden4). 

Im  übrigen  hat  man  dem  Coccejischen  Muster  sich  mehr- 
fach an  geschlossen  &). 


')  III,  3,  16,  5 to. 

*)  II.  Teil,  2.  Titel,  §§  399  ff. 

*)  S.  oben  S.  89  und  119. 

‘)  Vgl.  ALR.  I,  12,  6üö. 

s)  So  in  Nr.  I (§  402),  wo  allerdings  nur  die  „leiblichen“  Eltern  genannt 
sind,  aber  die  Erwähnung  der  „wirklichen“  Notwehr  und  der  Anstiftung  von 
Cocceji  stammt.  Die  mittelbare  Täterschaft  (Anstiftung)  ist  dann  auch  fitr 

Merkel,  Knterkungsgriinde  9 


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130 


Eine  neue  Form  erhielt  Nr.  III  (Kriminalanklage)  (§  401), 
wo  jetzt  nur  noch  von  einer  wider  besseres  Wissen  erfolgenden 
falschen  Anschuldigung  die  Rede  ist,  und  zwar  wegen  eines 
„Verbrechens,  auf  welches  eine  härter  als  Geld-  oder  blosse  bürger- 
liche Gefängnisstrafe  verordnet  ist“.  Weil  die  verleumderische  An- 
zeige hier  bereits  ihre  Erledigung  gefunden  hat,  so  ist  für 
Nr.  VII  (Sykophantie),  wie  in  älteren  Rechtsaufzeichnungen '), 
nur  die  beträchtliche  Vermögensbeschädigung  übrig  geblieben, 
wenn  sie  „durch  grobe  Verbrechen“  geschieht;  ja  mau  fühlt 
sich  an  den  alten  Fall  aus  der  Schwabenspiegelgruppe  über 
die  laesio  enormis  erinnert2),  wenn  fortgefahren  wird,  dass  die 
Beschädigung  wenigstens  den  Betrag  des  dem  Kinde  sonst  zu- 
kommenden Pflichtteils  erreicht  haben  müsse  (§§  406/7). 

Bei  Nr.  V (Lebensnachstellung,  § 400)  werden  die  Stief- 
eltern den  leiblichen  Eltern  gleichgestellt,  was  im  I.  Falle 
(Realinjurie)  absichtlich  nicht  geschah. 

Eine  erhebliche  Erweiterung  erfährt  Nr.  X,  indem  nicht 
nur,  wie  sonst,  das  Herumtreiben  mit  einer  für  liederlich  an- 
gesehenen Gesellschaft,  darin  begriffen  wird,  sondern  es  schon 
genügt,  wenn  das  Kind  im  allgemeinen  „durch  grobe  Laster, 
schändliche  Aufführung  oder  durch  die  Wahl  einer  nieder- 
trächtigen Lebensart  sich  bei  seinen  Standesgenossen  öffentlich 
entehrt  habe“;  Voraussetzung  ist  nur  die  „erhaltene  ehrbare 
Erziehung“  (§  409).  Auch  Nr.  XII  wird  in  ähnlicher  Weise 
verallgemeinert:  „Wenn  das  Kind  den  Erblasser,  als  derselbe 
notleidend  gewesen,  nicht  hat  unterstützen  wollen“  (§  408). 

Endlich  ist  noch  der  erheblichen  Einschränkung  von 
Nr.  XI  (§  412)  zu  gedenken,  indem  den  Eltern  — und  nur 
diesen  — bloss  das  Recht  zur  Entziehung  des  halben  Pflicht- 
teils zuerkaunt  wird,  wenn  Kinder  unter  24  Jahren  ohne  den 
elterlichen  Konsens  heiraten  oder  durch  unehelichen  Beischlaf 


•lie  folgenden  drei  Fälle  (II:  Realinjurie,  III:  Kriminalanklage  und  V: 
I.ebensiiachstellung)  angenommen  worden  (§§  400,401,403,404).  Bei  Nr.  VI 
(Inzest)  (§  405)  findet  sich  ferner  die  Ausdehnung  auf  die  leiblichen  Eltern 
(s.  oben  S.  125)  und  in  § 410  wird,  wie  im  Projekt  des  Corp.  iur.  Frid.,  jede 
weitere  Ausdehnung  der  angeführten  Fälle  ausgeschlossen. 

’)  Vgl.  oben  S.  111  N.  2 
>)  Vgl.  S 1 18  N 0. 


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diesen  Konsens  erzwingen  wollen1).  Das  sittenlose  Leben  der 
Tochter  nicht  allein,  sondern  der  Kinder  überhaupt  ist  aber 
bereits  durch  die  dem  Falle  X gegebene  Form  gedeckt  worden. 

Die  Gründe  für  Kinder  werden  im  Preussischen  Landrechte 
neu  gestaltet.  Folgerichtig  fallen,  wie  für  die  Aszendenten, 
Nr.  4 (Testierhindernis),  7 (Kriegsgefangenschaft)  und  8 (Ketzerei) 
fort  und  tritt  der  erste  der  oben  genannten  Fälle  neu  hinzu2). 
Aber  auch  Nr.  5 (Lebeusnachstellnng  unter  Eltern)  ist  aus- 
gelassen. Erhalten  sind  eigentlich  nur  Nr.  1,  welches  der  obigen 
Nr.  III  nachgebildet  ist,  aber  mit  der  Einschränkung  auf 
„grobes  Verbrechen,  worauf  in  den  Gesetzen  Zuchthaus  — oder 
Festungsstrafe  verordnet  ist“;  ferner  Nr.  2 in  der  Form:  dem 
Erblasser  oder  dessen  Ehegatten  oder  Abkömmling  nach  dem 
Leben  stehen“  — wobei  die  mittelbare  Täterschaft,  wie  bei  1, 
berücksichtigt  wird  — und  Nr.  3:  .mit  dem  Ehegatten  des 
enterbenden  Kindes  während  der  Ehe  ehebrecherischen  Umgang 
pflegen“.  Dagegen  ist  der  Tatbestand,  welcher  sonst  unter 
Nr.  6 (Vernachlässigung  in  Armut,  Krankheit  u.  dgl.)  zusammen- 
gefasst zu  werden  pflegt,  in  eine  Reihe  von  Bestimmungen  auf- 
gelöst, welche  von  dem  ganzen  Umfange  der  elterlichen  Ver- 
pflichtungen ausgehen.  Es  heisst:  wenn  die  Eltern  „durch 
üble  Behandlung  der  Gesundheit  des  Erblassers  einen  erheb- 
lichen und  dauernden  Schaden  boshafter  Weise  zugefügt  haben“, 
einschliesslich  wieder  der  mittelbaren  Täterschaft;  sodann: 
„Wenn  der  Enterbte  bei  der  körperlichen  oder  sittlichen  Er- 
ziehung des  Enterbenden  die  nach  den  Gesetzen  ihm  obliegenden 
Pflichten  gröblich  verletzt  hat“;  zuletzt:  „Wenn  er  sich  der 
gesetzmässigen  Obliegenheit  zur  Ernährung  des  ohne  grobes 
Verschulden  in  Mangel  und  Elend  geratenen  Kindes  bei  eigenem 
hinreichenden  Vermögen  dazu  vorsätzlich  entzogen  hat“. 

Nach  dem  Preussischen  Landrecht  hat  sich  in  mancher 
Hinsicht  die  Gesetzgebung  eines  kleineren  Rechtsgebietes  ge- 
richtet: die  Castellische  Landesverordnuug  „über  die  herkömm- 
liche eheliche  Gütergemeinschaft,  wie  auch  über  Eheverträge, 


')  Der  zuletzt  genaunte  Fall  des  ausserebelichen  Beischlafes  rührt  eben 
falls  schon  von  Cocceji  her;  s.  oben  S.  125  N 5 das  zweite  Zitat. 

»)  ALB.  II,  2,  50<i  ff. 

U* 


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132 


letzte  Willen  und  Vormundschaften  vom  1.  August  1801“,  vom 
Regierungsdirektor  Johann  Heinrich  Müller  verfasst  *).  Der 
Redaktor  hat  hier  ebenfalls  die  Justinianischen  Enterbungs- 
gründe oder  wenigstens  einen  Teil  derselben  zum  Landesgesetz 
gemacht.  Er  entfernt  nur  den  XIV.  = 8.  Grund,  die  Ketzerei, 
während  die  übrigen  nicht  besonders  erwähnten  Fälle  der  Ent- 
erbungsgründe für  Aszendenten,  Nr.  IV  (malefici)  und  XIII 
(Kriegsgefangenschaft),  uuter  anderen  Fällen  — nämlich  unter 
X (Schauspielergewerbe)  und  VIII  (Gefangenschaft)  — mit 
verstanden  werden  können.  Bei  Nr.  III  heisst  es:  „wenn  (das 
Kind)  seine  Eltern  peinlich  anklagt,  ohne  durch  Staatsgesetze, 
wie  beim  Hochverrat,  um  seiner  selbst  willen  dazu  gezwungen 
zu  sein“;  das  Gegenstück  hierzu  bildet  bei  Nr.  1 die  Nötigung 
„wegen  den  ihnen  obliegenden  öffentlichen  Pflichten“:  es  sollte 
also  jedenfalls,  wie  anderwärts2),  bei  dieser  Gelegenheit  an 
die  Anklagepflicht  erinnert  werden.  Bei  der  Darstellung  von 
Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  ist  wieder,  wie  im  römischen 
Vorbilde,  nur  vom  „Hurenleben“  die  Rede,  übrigens  ohne  Fest- 
setzung eines  Unterscheidungsalters3),  und  auch  in  anderen 
einzelnen  Fällen,  wie  z.  B.  Nr.  VIII  (Gefangenschaft)  und  IX 
(Testierhindernis),  sucht  der  Verfasser  sich  möglichst  dem 
römischen  Vorbilde  anzupassen.  Ebenso  sind  die  Justinianischen 
Fälle  für  Kinder,  ausser  Nr.  8 (Ketzerei),  sämtlich  und  in  der 
Reihenfolge  des  Gesetzes  aufgezählt. 

IV.  Die  Castellische  Verordnung  enthält  wohl  den  letzten 
Versuch,  welchen  eine  der  deutsch  geschriebenen  Gesetzgebungen 
gemacht  hat.  die  Justinianischen  Enterbungsgründe  in  grösserem 
Umfange  in  sich  aufzunehmen.  Denn  das  Zivilgesetzbuch  für 
die  Stadt  und  Republik  Bern  von  1827 4)  ist  nichts,  als  eine  mo- 
dernisierte Fassung  der  alten  Satzung  von  1539  und  1614,  welche 


')  Bei  Georg  Michael  Ritter  v.  Weber,  Darstellung  der  sämtlichen 
Provinzial- und  Statutarrechte  des  Königreichs  Bayern,  II.  Band,  I.  Teil,  1838, 
S.  451  ff.  (§  HO),  S.  454  (g  114). 

»)  Vgl.  oben  S.  109  und  S.  126  N.  4. 

aj  Die  blosse  „Schwächung“  soll  nicht  schaden!  vgl.  Lüueburg  oben 
S.  101. 

*)  2.  Teil : Sachenrecht,  l.Hanptstück:  dingliche  Rechte,  mit  Anmerkungen 
von  S.  L.  Schnell,  1827,  S.  216:  547.  Satzung. 


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133 


letztere  übrigens  auch  nur  eiuige  Fälle  rezipierte  *),  und  in 
Basel  bat  man  im  Jahre  1849  die  Gerichtsordnung  von  1719, 
eine  Nachbildung  des  Württembergischeu  Landrechts  von  16102), 
wörtlich  wiederholt.  Im  übrigen  pflegte  man  zum  eklektischen 
Verfahren  des  deutschen  Mittelalters  zurückzukehren  und  liess 
namentlich  Fälle  verschwinden,  die,  wie  Nr.  IV  (malefici  und 
Umgang  mit  solchen)  und  die  von  der  Befreiung  aus  der  Ge- 
fangenschaft handelnden  Bestimmungen  Nr.  VIII  und  XIII,  als 
nicht  mehr  zeitgemäss  erscheinen  mussten,  obgleich  die  Pan- 
dektenlehrer sie  in  ihren  Darstellungen  als  Bestandteile  des 
gemeinen  Rechtes  weiterführten.  Auch  der  religiöse  Glaube 
wurde  im  19.  Jahrhundert  nur  einmal  noch,  von  der  öster- 
reichischen Gesetzgebung,  als  Enterbungsursache  anerkannt. 

1.  Am  gründlichsten  hat  zuerst  der  Code  Napoleon  aufge- 
räumt. In  ihm  ist  von  den  Justinianischen  Fällen  nur  Nr.  VII 
übrig  gelassen:  „celui  qui  a portö  contre  le  döfunt  une  accu- 
sation  capitale  jugce  calomnieuse“ 3).  Aber  die  Einstellung 
dieses  Grundes  erfolgte  auch  in  einem  völlig  anderen  Sinne, 
als  in  demjenigen  der  römischen  Enterbungsgründe.  Zunächst 
ist  er  gegenüber  jedem  Erblasser  gültig  und  bezieht  sich  nicht 
mehr  nur  auf  das  Verhältnis  unter  Aszendenten  und  Deszen- 
deuten, sodanu  ist  er  überhaupt  kein  „Enterbungs“grund  mehr, 
vielmehr  ein  „Indignitäts“grund,  kraft  dessen  mau  von  der 
Erbfolge  „ausgeschlossen“  ist4).  Die  beiden  anderen  daneben 
stehenden  Fälle  sind  wahre  Indignitätsgründe  des  römischen 
Rechts. 


')  Vgl.  oben  S.  74  ff.,  besonders  S.  75  N.  4.  Jetzt  heisst  der  erste  Enterbungs- 
grund: wenn  der  Nachkomme  dem  Erblasser  (d.  h.  nur:  Vater  oder  Matter) 
geflucht  oder  ihm  eine  grobe  Ehrverletzung  zugefilgt,  der  zweite:  wenu  er 
ihn  „tätlich  misshandelt“  hat,  der  dritte:  „wenn  er  wegen  eines  peinlichen 
Verbrechens  mit  Schellenwcrkstrafe  belegt  worden“,  der  letzte:  wenn  er 
„während  seiner  Minderjährigkeit  eine  Ehe  vollzogen,  gegen  welche  der  Ein- 
spruch des  Erblassers  gegründet  erfunden  worden“. 

•)  Oben  3.  92. 

»)  Art.  727. 

*)  Zöpfl  lobt  deshalb  in  der  Zeitschrift  für  deutsches  Hecht,  V S.  127, 
dieses  Verfahren  als  „eine  glückliche  Rückkehr  zu  einem  Grundsätze  des 
alten  deutschen  Hechts*  und  erinnert  an  den  Sachsenspiegel  (oben  S.  46  ff.). 


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184 


2.  Etwas  mehr  ist  im  Allgemeinen  Bürgerlichen  Gesetz- 
buch für  Österreich  stehen  geblieben1):  nämlich  Nr.  X (Schau- 
spielergewerbe) in  der  Gestalt:  wenn  ein  Kind  „eine  gegen  die 
öffentliche  Sittlichkeit  anstössige  Lebensart  beharrlich  führet“, 
Nr.  XII  (Geisteskrankheit):  wenn  es  den  Erblasser  im  Not- 
stände hilflos  gelassen  hat,  und  Nr.  XIV : wenn  es  vom  Christen- 
tum abfällt.  Auch  entspricht  es  dem  neueren  Gebrauche,  die 
Verurteilung  wegen  schwerer  Verbrechen  an  sich  hierher  zu 
stellen®),  in  der  Weise,  dass  das  Mass  der  Strafe:  hier  lebens- 
lange oder  zwanzigjährige  Kerkerstrafe:  festgesetzt  wird. 

Daneben  sind  aber  „Ursachen  der  Unfähigkeit“,  welche 
den  Erben  „des  Erbrechts  unwürdig  machen“  (Art.  540 — 542) 
als  Enterbungsgründe  für  „Noterben“  zugelassen  (Art.  770), 
und  diese  kommen  zum  Teil  wirklichen  Enterbungsgründen 
des  römischen  Rechtes  nahe,  so  besonders  die  Bestimmung 
(Art.  542)  für  denjenigen,  der  den  Erblasser  „an  der  Erklärung 
des  letzten  Willens  gehindert“  hat,  dem  römischen  Falle  IX, 
welchem  er  auch  entnommen  sein  wird.  Durch  das  Ehegesetz 
für  Katholiken  vom  8.  Oktober  1856  (§  32)  wurde  sodann  ein 
dem  Justinianischen  Falle  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter) 
gleichzustellender  neuer  Enterbungsgrund  geschaffen 3). 

Dieselben  Gründe,  wie  für  die  Enterbung  von  Kindern, 
werden  im  ABG.  auch  für  die  Enterbung  von  Eltern  durch 
ihre  Kinder  für  massgebend  erklärt  (§  769),  wozu  noch  eiu 
der  Justinianischen  Nr.  6 entsprechender  hinzutritt,  ähulich 
dem  Preussischen  Allg.  Landrecht4):  „wenn  sie  das  Kind  in 
der  Erziehung  ganz  verwarloset  haben“. 

Das  Gesetz  beschränkt  das  Enterbuugsrecht  auf  diese 
Fälle;  eine  Generalklausel,  wie  im  Codex  Theresianus  und  im 


*)  §§  768 ff.  Die  Vorarbeit  hierzu,  der  Martinische  Entwurf  resp.  das 
s.g.  Westgalizische  Gesetzbuch  vom  18.  Februar  1797  (II,  §§  579,  581),  scheint 
nach  Unger,  Das  österreichische  Erbrecht,  2.  Auf!.  (1871),  § 83,  N.  3,  noch 
dem  Theresianischen  Vorbilde  (oben  8.  126)  gefolgt  zu  sein. 

*)  Vgl.  früher  im  Preussischen  Recht  die  Verurteilung  wegen  Hoch- 
verrats und  Majestfttsverbrechens  (oben  S.  129)  und  nachher  im  Bernischen 
Gesetzbuch:  oben  8.  133  N.  1. 

')  Vgl.  Gruchot,  Erbrecht  III  S.  153  N.  2. 

*)  Vgl.  oben  S.  131. 


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135 


Codex  Maximiliaueus '),  ist  nicht  eingestellt.  Aber  es  enthält 
doch  (§  771)  die  Bestimmung,  dass  die  Euterbuugsursachen  „in 
Worten  und  dem  Sinne  des  Gesetzes  gegründet  sein  müssen“, 
und  diese  Bemerkung  wird  darauf  gedeutet,  dass  eine  sinn- 
gemässe Ausdehnung,  z.  B.  von  der  Verurteilung  zu  schwerer 
Kerkerstrafe  auf  die  Verurteilung  zur  Todesstrafe,  nicht  aus- 
geschlossen sei  *). 

So  gilt  das  Gesetz  in  der  österreichischen  Monarchie  uocli 
heutzutage;  nur  der  Enterbungsgrund  des  Abfalles  vom  Christen- 
tum, sowie  der  im  Jahre  1856  neu  aufgestellte  sind  durch  Ge- 
setz vom  25.  Mai  1868  (Art.  7)  beseitigt  worden  3). 

3.  Der  grossherzoglich-hessische  Entwurf  eines  bürgerlichen 
Gesetzbuches  (1845 — 1853)  schloss  sich  dem  von  Österreich  ge- 
gebenen Vorbilde  an4),  freilich  nur  mit  Beziehung  auf  die 
Gründe  für  Eltern.  Diese  sind,  wie  dort,  Nr.  X („eine  gegen 
die  öffentliche  Sittlichkeit  anstossende  Lebensart  beharrlich 
fortführen*)  und  Nr.  XII  („in  hilfsbedürftiger  Lage  böslich 
verlassen  oder  in  solcher  Lage  die  verlangten  und  in  seinen 
Kräften  gestandene  Unterstützung  versagen“),  aber  der  Grund 
der  Ketzerei  fällt  weg  und  Nr.  I ist  hinzugefügt:  „dem  Erb- 
lasser oder  dessen  Ehegatten  bedeutende  körperliche  Misshand- 
lungen zufUgen“.  Dagegen  wird  den  Kindern  absichtlich  ein 
gleiches  Recht  gegenüber  den  Eltern  abgesprochen:  „denn  die 
Wächter  über  Zucht  und  Ordnung  in  den  Familien  sind  die  Eltern, 
nicht  die  Kinder“,  und  „die  Gewalt  und  der  Einfluss“  der  Eltern 
würde  nach  der  Ansicht  des  Gesetzgebers  „geschwächt,  ihr  Ansehen 
in  den  Augen  der  Kinder  herabgesetzt  werden,  wenn  das  Ge- 
setz auch  den  untergeordneten  Familiengliedern  eiu  Recht  ver- 
liehe, welches  nur  dem  zukommt,  der  an  der  Spitze  der  Fa- 
milie steht“.  Übrigens  hat  der  Entwurf  auch  noch  insofern 
eine  allgemeine  Milderung  geschaffen,  als  er  ein  volles  Ent- 
erbungsrecht gar  nicht  mehr  zulassen,  sondern  in  allen  Fällen  nur 
eine  Herabsetzung  des  Pflichtteils  auf  die  Hälfte  gestatten  wollte. 

')  Vgl.  oben  S.  127  N.  1 und  S.  129  N.  1. 

’)  Vgl.  J.  Unger,  Das  österreichische  Erbrecht,  2.  Aufl.  (1871)  8.352 
(§  83  N.  6). 

*)  Vgl.  Unger  a.  a.  0.  N.  4 und  8 (S.  353). 

*)  Art.  116;  Tgl.  Gruchot,  Erbrecht  111  S.  155. 


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136 

4.  Audi  im  privatrechtlichen  Gesetzbuche  für  den  Kanton 
Zürich  von  1856 l)  finden  sich  die  Fälle  X und  XII  wieder: 
„sich  einer  liederlichen  oder  entehrenden  Lebensweise  hingeben“, 
uud : „in  grosser  Not  auf  eine  lieblose  Weise  im  Stiche  lassen 
oder  sonst  auf  eine  grobe  Weise  die  dem  Erblasser  gebühren- 
den verwandtschaftlichen  Rücksichten  verletzen  oder  beharrlich 
missachten“.  Ausserdem  aber  gilt  noch  nach  preussischem  uud 
anderweitigem  Muster*)  die  Verurteilung  zu  einer  schweren 
Strafe  als  Enterbungsursache,  nämlich  dann,  wenn  dieselbe 
wegen  eines  „gemeinen  (nicht  politischen)  Verbrechens“  erfolgte, 
das  „eine  entschieden  niedere  und  unmoralische  Gesinnung  ver- 
rät“. Diese  Enterbungsgründe  gelten  von  jedem  pflichtteils- 
berechtigten Erben,  nicht  unter  Aszendenten  uud  Deszen- 
denten allein. 

5.  Dem  Österreichischen  Allgemeinen  bürgerlichen  Gesetz- 
buch war  die  „Würde,  Schouung  uud  Zartheit  im  Ausdruck“ 
nachgerühmt  worden,  mit  welcher  es  die  vorliegende  Materie 
behandelt  habe,  „ohne  der  Sache  etwas  zu  vergeben“,  im 
Gegensätze  zu  den  „derben,  das  Zartgefühl  eines  kultivierten 
Zeitalters,  ja  mau  kann  sagen  den  öffentlichen  Anstand  be- 
leidigenden Ausdrücken,  womit  die  Enterbungsursachen  in 
anderen  Gesetzbüchern  vor  Augen  gelegt  werden“  *).  Dieses 
Urteil  erscheint  als  ein  voll  begründetes,  wenn  man  sich  z.  B. 
der  naiven  Weise  erinnert,  in  welcher  nicht  selten  das  Delikt 
im  XI.  der  Justinianischen  Fälle  (Ungehorsam  der  Tochter) 
dargestellt  worden  ist4).  Indessen  darf  auch  nicht  vergessen 
werden,  dass  ein  ansehnlicher  Teil  der  in  der  Novelle  115  auf- 
gestellten Gründe  dem  modernen  Rechtsbewusstsein  überhaupt 
nicht  mehr  entsprach. 

Da  erschienen  denn  die  Thüringischen  Erbrechtsgesetze 
aus  den  30er  und  40er  Jahren  des  19.  Jahrhunderts 5)  fast  wie 

')  Mit  Erläuterungen  herausgegeben  von  Bluntschli,  Redaktor  des 
Gesetzes,  IV  S.  128  ff.  (§  2042). 

^ Oben  8.  134  N.  2. 

*)  So  Zeiller  in  seinem  Kommentar  zu  dem  Gesetzbuch,  II  S.  778, 
welchem  Unger  a.  a.  0.  N.  3 beitritt. 

4)  Vgl.  noch  S.  132  X.  3 oben. 

*)  Sie  sind  folgende:  Grossherz.  S.-Weimar-Eisenachisches  Gesetz  vom 
6.  April  1833  über  die  Erbfolge  obne  Testament  und  Vertrag  (bei  F.v.Gdckel, 


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137 


eiu  Rückschritt  auf  der  verlassenen  Bahn.  Sie  bringen  übrigens 
die  Euterbungsgründe  in  einer  Reihenfolge,  welche  für  die 
spätere  Darstellung,  namentlich  auch  für  die  in  unserem  BGB. 
beobachtete,  vorbildlich  geworden  ist.  Auch  wird  hier  schon 
zwischen  „Entziehung  des  Pflichtteils“  bei  Eltern  und  Kindern 
und  „Enterbung“  bei  den  übrigen  Pflichtteilsberechtigten  unter- 
schieden. In  der  nämlichen  Weise  besteht  ein  Unterschied 
unter  den  Enterbungsgründen  selber,  indem  die  einen  nur  für 
Eltern  uud  Voreltern  gegenüber  ihren  „Abkömmlingen“  — ein- 
schliesslich der  Wahlkinder  — aufgestellt  sind,  während  die 
andern  für  sämtliche  Pflichtteilsberechtigte  gelten. 

Der  ersten  Gruppe  gehören  an1):  wenn  das  Kind  sich  an 
dem  Erblasser  auf  strafbare  Weise  tätlich  vergangen  hat  — 
der  Justinianische  Fall  Nr.  I — , wenn  dasselbe  den  Erblasser 
durch  schwerelnjurien  („injuriaeatroces“)  absichtlich  beleidigt  hat, 
„wobei  die  Bildungsstufe,  auf  welcher  sich  die  Familie  befindet, 
mit  als  massgebend  — zu  berücksichtigen  ist“  — der  II.  der 
Justinianischen  Fälle,  übrigens  in  Gotha  fortgelassen  — und: 
wenn  die  Deszendenten  sich  eines  blutschänderischen  Umgangs 
mit  dem  Ehegatten  des  Erblassers  schuldig  gemacht  haben,  in 
welcher  Form  hier  der  VI.  der  Justinianischen  Fälle  wieder- 
kehrt. 

Für  alle  Pflichtteilsberechtigten  wird  festgestellt*):  wenn 
sie  den  Erblasser  oder  eine  zu  dessen  nächster  Familie  ge- 
hörige Person*)  eines  peinlichen  Verbrechens,  dafern  dasselbe 
seiner  Gattung  nach  (oder:  in  thesi)  wenigstens  mit  Zuchthaus 


Sammlung  Grossherz.  S.-Weimar-Eisenachischer  Gesetze  usw.,  4.  Teil  = 5.  Bö. 
[1835]  S.  178),  das  gleichlautende  Gesetz  von  Reuss  ä.  L.  vom  22.  Januar  1841 
(§§81—94;  vgl.  C.  W.  F.  Heimbacb,  Lehrbuch  des  partikulären  Privat- 
rechts der  zu  den  OAGericbten  Jena  und  Zerbst  vereinten  Länder,  II  [Nach- 
trag], 1853,  S.  316/7),  das  fast  gleichlautende  Herz.  Sachsen-Altenburgische 
Gesetz  vom  6.  April  1841  (Gesetzsammlung,  Stück  V [1841]  S.  81  ff. : §§  100 — 103) 
und  das  Herz. Gothaische Gesetz  vom  2 Januar  1844  (Gesetzsammlung,  V.Baud, 
Nr.  261,  S.  117  ff.:  §§  75—77).  * 

’)  Weimar  § 93,  Altenburg  § 101,  Gotha  § 76. 

*)  Weimar  § 92,  Altenburg  § 100,  Gotha  § 75. 

*)  Der  Begriff  „nächste  Familie“  wird  im  Gesetz  definiert  als : Ehe- 
gatten, Abkömmlinge,  Eltern,  Voreltern  und  Geschwister  ohne  Unterschied 
zwischen  voll-  und  halbbürtiger,  Bluts-  und  Wahlverwandtschaft. 


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138 


bestraft  wird,  wider  besseres  Wissen  *)  fälschlich  vor  Gericht 
angeschuldigt  haben 2)  — Nr.  III  unter  den  Enterbungsgründen 
der  Novelle  — , wenn  sie  dem  Erblasser  oder  einer  zu  dessen 
nächster  Familie  gehörigen  Person  nach  dem  Leben  getrachtet 
oder  dergleichen  Nachstellungen  anderer  absichtlich  nicht  ver- 
hindert haben*)  — Nr.  V — , wenn  sie  den  Erblasser  an  Er- 
richtung eines  letzten  Willens  durch  Gewalt,  Drohungen  oder 
List  zu  hindern  oder  denselben  auf  gleiche  Weise  zu  eiuer 
ihnen  günstigen  Verordnung  zu  bestimmen  versucht  haben  — 
Nr.  IX,  erweitert  um  die  zuletzt  angegebene  Idee  — und  end- 
lich Nr.  XII  in  der  Fassung  des  hessischen  Entwurfes  (oben 
S.  135).  Früher  galt  auch  noch  der  XI.  Fall  (Ungehorsam  der 
Tochter)  in  verschiedenen  Variationen4). 

Diesen  Gründen  ist  noch  die  Verurteilung  zu  eiuer  mehr 
als  dreijährigen  (in  Gotha  zehnjährigen)5)  Zuchthausstrafe  oder 
einer  derselben  gesetzlich  gleichkommenden  oder  härteren  Strafe 
gleichgestellt  worden. 

Die  oben  genannte  erste  Gruppe  der  Gründe  zur  Pflicht- 
teilseutziehung  bezog  sich  nur  auf  die  Enterbung  der  Abkömm- 
linge. Diesen  selber  wird  ein  Recht,  den  Aszendenten  das 
gleiche  anzutun,  nur  in  besonderen  Fällen  verliehen6).  Die 
Gründe  sind  hier  zum  Teil  neu : so  das  Verbrechen  der  Kindes- 
aussetzung, begangen  am  Erblasser  (Weimar),  oder:  sonst  sich 
jeder  pflichtmässigen  Fürsorge  für  den  Erblasser  gänzlich  und 
boshaft  entschlagen,  ferner  das  Verbrechen  der  Kuppelei, 
wiederum  vorausgesetzt,  dass  es  an  dem  Erblasser  selbst  be- 
gangen worden  ist.  Aber  es  findet  sich  auch  der  Justinianische 
Fall  Nr.  3:  blutschänderischer  Umgang  mit  dem  Ehegatten 
des  Erblassers,  und  Gotha  fügte  in  wörtlicher  Anlehnung  an 
das  Preussische  ALR.  hinzu:  „wenn  er  (der  Aszendent)  dem 


■)  Vgl.  hierzu  das  Preussische  ALR.  üben  8.  13Ü. 
s)  In  Weimar  genügte  scheu  die  Anschuldigung  wegen  jedes  „peiulicheu 
Verbrechens“  ohne  Beschränkung  uach  dem  Strafmasse. 

*)  Vgl.  wieder  das  preussische  Vorbild  oben  S.  124  beim  Falle  I. 

‘)  Vgl.  Heimbach  a.  a,  0.,  I.  Band  (1848),  § 294,  N.  1 (S.  556). 

*)  Gotha  hat  dafür  auf  die  Voraussetzung,  dass  das  Verbrecheu  kein 
„bloss  kulposes“  sein  dürfe,  verzichtet. 

•)  Weimar  § 94,  Altenburg  § 102,  Gotha  § 77. 


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139 


Erblasser  durch  üble  Behandlung  einen  erheblichen  und  dauern- 
den Schaden  an  der  Gesundheit  böswillig  zugefügt  hat“  ’). 

6.  Das  Bürgerliche  Gesetzbuch  für  das  Königreich  Sachsen 
vom  Jahre  1863  hat  sich  ebenfalls  wieder  mehr  dem  römischen 
Vorbilde  zugeneigt.  Die  Redaktoren  machten  sich  bei  der 
Ausgestaltung  der  Enterbungsgründe  die  jüngeren  deutschen 
Vorarbeiten,  insbesondere  die  Thüringischen  Gesetze,  zunutze. 
Sie  gehen  ebenfalls  von  dem  Unterschied  aus  zwischen  Gründen, 
aus  welchen  jeder  Erblasser  seine  „pflichtteilsberechtigten  Ver- 
wandten ganz  oder  teilweise  von  dem  Pflichtteil  auszuschliessen, 
zu  enterben“  das  Recht  hat,  und  Gründen,  welche  nur  die  As- 
zendenten berechtigen,  ihre  Abkömmlinge  zu  enterben.  Ferner 
findet  sich  die  Ausdehnung  auf  die  Wahlverwandtschaft  und 
die  Definition  der  nächsten  Verwandten  (hier  beim  V.  Grunde: 
Lebensnachstellung),  wie  dort.  Aber  in  der  Auswahl  der 
einzelnen  Fälle  verfuhr  man  zum  Teile  anders.  So  gehört 
zwar  zu  den  Enterbungsgründen  für  Aszendenten  (§  2576),  wie 
überall,  Nr.  I,  das  Sich-tätlich-vergreifeu,  ausserdem  jedoch  nur 
noch  Nr.  XI:  wenn  die  Deszendenten,  ohne  die  Einwilligung 
jener  zu  suchen,  „sich  in  einem  Falle  verehelicht  haben,  ivo  ein 
ausreichender  Grund  zur  Verweigerung  der  Einwilligung  vor- 
handen war  (vgl.  1664)“.  Verbalinjurie  ist  also  absichtlich  be- 
seitigt. Dagegen  stimmen  die  allgemeinen  Enterbungsgründe 
(§  2275)  mehr  mit  dem  Thüringer  Vorbilde  überein.  Denn  die 
Fälle  III  (Krimiualanklage),  V (Lebeusnachstellung)  und  XII 
(in  hilfsbedürftiger  Lage  böswillig  verlassen)  gelten  auch  hier, 
Nr.  III  so:  „wenn  der  Pflichtteilsberechtigte  wider  den  Erb- 
lasser oder  dessen  Ehegatten  (nicht  auch  andere  Angehörige!) 
das  Strafverfahren  wegen  eines  Verbrechens,  welches  im  ge- 
setzlichen Strafsatze  mit  Arbeitshaus  oder  einer  höheren 
Strafe  bedroht  ist,  absichtlich  wider  die  Wahrheit  veranlasst 
hat“.  Nr.  V und  XII  lauten  sogar  wörtlich  mit  der  Thüringer 
Vorlage  gleich , letzteres  demnach  auch  mit  dem  hessischen 
Entwürfe2).  Indessen  IX  (Testierhindernis),  welches  dort  zur 
Enterbung  diente,  steht  im  sächsischen  Gesetzbuche  nur  unter 


')  Vgl.  oben  S.  131. 
*)  Oben  S.  138. 


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140 


den  Gründen  der  Erbunwürdigkeit  (§  2277),  und  zwei  andere 
Fälle,  die  Modernisierung  von  Nr.  X (Führung  eines  ver- 
brecherischen und  sittenlosen  Lebenswandels),  welches  Öster- 
reich, Hessen,  Zürich  rezipiert  hatten“’),  sowie  die  in  den 
neueren  Gesetzgebungen  so  vielfach  gleichgeachtete  Verurteilung 
zu  einer  besonders  schweren  Strafe,  fanden  die  Zustimmung 
der  Stände  beim  Gesetzgebungsakte  nicht.  Denn  man  nahm 
an,  dass  in  solchen  Fällen  die  Beschränkung  des  Schuldigen 
auf  den  Pflichtteil  ausreiche*). 

V.  Als  mau  nun  daran  ging,  das  bürgerliche  Recht  für 
das  Deutsche  Reich  zu  kodifizieren,  war  eine  der  ersten 
Äusserungen  unter  den  zur  Neugestaltung  desselben  gemachten 
Vorschlägen  der  von  Friedrich  Momrasen  verfasste  „Entwurf 
eines  deutschen  Reichsgesetzes  über  das  Erbrecht,  mit  Motiven“ 
(1876)3).  Seine  Bestimmung  der  Enterbungsgrüude  schliesst 
sich  offenbar  ziemlich  eng  an  das  sächsische  Gesetzbuch  an. 
Unter  die  eigentlichen  „Enterbungsgründe“  (für  Aszendenten) 
ist  aber  neben  Nr.  I (tätliche  Vergreifung)  wieder  der  X.  Grund 
aufgenommen:  wenn  die  Abkömmlinge  „eine  gegen  die  öffent- 
liche Sittlichkeit  verstossende  Lebensweise  gewerbsmässig 
führen“,  wobei  die  Hervorhebung  der  Gewerbsmässigkeit  neu 
ist.  Übergehung  des  Ehekonsenses  (Nr.  XI)  wird  nicht  mehr 
als  Enterbungsgrund  vorgcschlagen.  Die  Verhinderung  an  der 
Errichtung  einer  letztwilligen  Verfügung  ist,  wie  jetzt  über- 
haupt, endgültig  unter  die  „Unwürdigkeitsgründe“  verwiesen 
(§12  Nr.  2).  Hinsichtlich  der  allgemeinen  Gründe  zur  Ent- 
ziehung des  Pflichtteils  folgt  Mommsen  dem  sächsischen  Gesetz- 
buche vollkommen  — nur  bei  Nr.  III  heisst  es  „Zuchthaus“ 
anstatt  „Arbeitshaus“  — , fügt  indessen,  mit  den  Thüringischen 
Erbgesetzen,  wieder  Nr.  VI  hinzu  in  der  Weise:  „wenu  der 
Pflichtteilsberechtigte  fleischlichen  Umgang  mit  dem  Ehegatten 
des  Erblassers  gepflogen  hat,  es  sei  denn,  dass  er  nur  der 
verführte  Teil  gewesen  ist“.  Die  letztere  Klausel,  welche  an 


')  oben  S.  134,  135  nml  136. 

*)  E.  Siebenhaar,  Kommentar  zu  dem  BGB.  für  das  Königreich 
Sachsen,  III,  1865,  S.  395 

*)  §§  490/1,  S.  120:1,  vgl.  S.  470  ff. 


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141 


alte  Vorbehalte  zu  Nr.  XI  (Ungehorsam  der  Tochter)  erinnert1), 
würde  wohl,  wenn  sie  Gesetz  geworden  wäre,  dem  erkennenden 
Richter  einige  Schwierigkeiten  in  ihrer  Anwendung  zu  bereiten 
geeignet  gewesen  sein. 

Die  erste  Lesung  des  Entwurfes  eines  BGB.  für  das 
Deutsche  Reich  (§  2001)  folgt  so  ziemlich  den  Mommsenschen 
Vorschlägen  hinsichtlich  der  aufgenommenen  Fälle,  schaltet 
aber  die  unsittliche  Lebensweise  (Nr.  X)  aus  und  nimmt  Nr.  XI: 
Eheschliessung  ohne  die  erforderliche  Einwilligung  des  Erb- 
lassers: wieder  auf  (gleich  dem  sächsischen  Gesetzbuche).  Auch 
finden  sich  in  der  Gestaltung  der  einzelnen  Fälle  einige 
Originalitäten.  So  wird  (Nr.  I)  die  vorsätzliche  körperliche 
Misshandlung  *)  des  Ehegatten  des  Erblassers  der  Misshandlung 
des  Erblassers  selbst  nur  dann  gleichgestellt,  wenn  der  Miss- 
handelte ein  leiblicher  Eltern-  oder  Vorelternteil  des  Miss- 
handelnden ist.  Bei  Nr.  III  (wissentlich  falsche  Anzeige  bei 
einer  Behörde)  kommt  es  nur  darauf  an,  dass  die  Beschuldigung 
wegen  eines  Verbrechens  oder  Vergehens  erfolgte,  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Höhe  der  Strafe.  Diesem  Falle  wird  sodann  der 
andere  angefügt:  wenn  der  Abkömmling  in  einer  Straf-  oder 
Disziplinarsache  vorsätzlich  zum  Nachteil  des  Erblassers  oder 
dessen  Ehegatten  als  Zeuge  oder  Sachverständiger  eines  Mein- 
eides sich  schuldig  gemacht  hat.  Zur  Erläuterung  dieses  Bei- 
satzes wird  in  deu  Motiven  bemerkt3),  dass  der  wissentliche 
Meineid  zum  Nachteile  des  Erblassers  „den  meisten  geltenden 
Rechten  als  Enterbungsgrund  bekannt“  sei;  indessen  eine  aus- 
drückliche Erwähnung  dieses  Falles  ist  bisher  nicht  vor- 
gekommen, und  man  kann  nur  annehmen,  dass  derselbe  als  ein 
Anwendungsfall  unter  Nr.  VII  (wissentlich  falsche  Anschuldigung) 
mit  begriffen  worden  sein  möchte.  Erwähnenswert  ist  auch 
noch,  dass  die  Lebeusnachstellung  (Nr.  V)  auf  die  an  einem 


')  Vgl.  S 89  (das  Pfälzische  Landreclit  von  1582). 

")  Dieser  Ausdruck  ist  nach  dem  Eeichsstrafgesetzbuch  § 223  gebildet; 
ebenso  soll  die  Wahl  der  Worte:  „sich  schuldig  machen“:  den  Fall  der  Not- 
wehr ausschliessen  , und  Handeln  als  Mittäter,  Anstifter  oder  Gehilfe  nach 
strafrechtlichen  Grundsätzen,  wo  denkbar  (d.  h.  in  den  Fällen  I,  III  und  V), 
dein  eignen  Handeln  glciehstehen.  Vgl.  Motive  V S.  431. 

*)  Band  V S.  433. 


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142 


anderen  Abkömmlinge  oder  an  dem  Ehegatten  des  Erblassers 
begangene  ausgedehnt  wird,  und  dass  die  Kinder  aus  denselben 
Ursachen  ihre  Eltern  enterben  können,  welche  diesen  ihnen 
gegenüber  gegeben  sind,  mit  Ausnahme  des  I.  (Misshandlung) 
und  selbstverständlich  des  XI.  Falles  (§  2003). 

Die  Scheidung  zwischen  den  nur  den  Aszendenten  ein- 
geräumten Euterbungsgründen  und  den  allgemeinen  Gründen 
für  Entziehung  des  Pflichtteils  hat  der  Entwurf  fallen  lassen, 
und  er  trennt  von  jenen  Entziehungsgründen  nur  noch  die  be- 
sonderen unter  Ehegatten  geltenden  (§  2005). 

Die  Kritik  rügte  an  dem  Entwürfe  vor  allem  die  Weg- 
lassung von  Nr.  X (unsittlicher  Lebenswandel),  infolge  deren, 
wie  man  mit  Recht  bemerkte  *),  — gegenüber  der  Beibehaltung 
von  Nr.  XI  (Umgehung  des  elterlichen  Ehekonsenses)  — die 
Möglichkeit  bestand,  da«s  eine  Tochter  wohl  wegen  unkonsen- 
tierter  Heirat,  nicht  aber  wegen  unsittlichen  Lebenswandels 
enterbt  weiden  konnte.  Der  Bährsche  Gegenentwurf  ging  noch 
viel  mehr  auf  das  sächsische  und  Mommsensche  Vorbild  zurück*). 

Darauf  fand  im  Entwürfe  zweiter  Lesung  (§  2198)  eine 
nicht  unerhebliche  Umgestaltung  statt,  indem  zunächst  jenem 
Wunsche  nach  Einfügung  einer  dem  Justinianischen  Falle 
Nr.  X entsprechenden  Bestimmung  Rechnung  getragen  wurde s). 
Dafür  hat  man  mehrere  der  in  der  ersten  Lesung  aufgenommenen 

')  Wilke  in  »Gutachten  aus  dem  Anwaltstande  über  die  l.Lesnng  des 
Entw.  c.  BGB.“,  1890,  S.  1000  und  0.  Gierke,  Der  Entw.  e.  b.  GB.  und  dag 
deutsche  Recht,  veränderte  und  vermehrte  Ausgabe,  1889,  S.  542.  Über  die 
der  zweiten  Lesung  vorangegangeuen  Verhandlungen  s.  Protokolle  der  Kom- 
mission für  die  2.  Lesung  nsw.,  Band  V (1899)  S.  553 — 565  und  579. 

’)  Vgl.  0.  Bähr,  Gegenentwurf  zu  dem  Entw.  e. BGB.  f.  d.  Dtsch.  Reich, 
1892,  S§  1779/80.  Er  trennt  wieder  die  Fälle  der  Enterbnng  von  Kindern 
nnd  die  von  anderen  Pflicbtteilsberechtigten  und  rechnet  zu  jenen  die  Fälle 
I (Realinjurie)  und  XI  (Umgehung  des  Ehekonsenses),  zu  diesen  Nr.  III: 
wissentlich  falsche  Anzeige  wegen  eines  Verbrechens  oder  Vergebens  und 
»wissentlich  in  einer  Rechtssache  falsches  Zeugnis  ablegen“,  Nr.  V:  Lebens- 
nnchstellung  »oder  sonst  ein  schweres  Verbrechen  gegen  den  Erblasser,  seinen 
Ehegatten  oder  sein  Kind  begehen“,  VI  (Inzest)  und  XII:  »bei  einem  Not- 
stände des  Erblassers  die  dem  Pflicbtteilsberechtigten  als  nächsten  Ange- 
hörigen obliegenden  Pflichten  gröblich  hintansetzen“. 

*)  In  der  jetzigen  Form  des  § 2333  Nr.  5:  »wenn  der  Abkömmling  einen 
ehrlosen  oder  unsittlichen  Lebenswandel  wider  den  Willen  des  Erblassers  führt“. 


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143 


Fälle  beseitigt  und  an  ihre  Stelle  die  allgemeine  Bestimmung 
gesetzt:  „wenn  der  Abkömmling  sich  eines  Verbrechens  oder 
eines  schweren  vorsätzlichen  Vergehens  gegen  den  Erblasser 
oder  dessen  Ehegatten  schuldig  macht“.  Hier  scheint  in  der 
Fassung  Bährs  Gegenentwurf  eingewirkt  zu  haben  *),  man  beab- 
sichtigte aber,  in  dieser  Weise  die  weggelassenen  Fälle  III 
(falsche  Anschuldigung),  VI  (Inzest),  auch  den  wissentlichen  Mein- 
eid zu  ersetzen®).  Ausserdem  erhielten  die  Nr.  I (Misshandlung), 

V (Lebensnachstellung)  und  XII  (Vernachlässigung)  eine  neue 
Fassung,  wie  sie  den  jetzigen  Fällen  Nr.  2,  1 und  4 im  § 2333 
des  BGB.  entspricht3).  Von  den  Enterbungsursachen  für  Kinder 
wurde  wieder  nur  der  I.  Fall  (körperliche  Misshandlung),  jetzt 
aber  auch  der  X. : Vorwurf  eines  unsittlichen  Lebenswandels, 
gestrichen  (§  2199  bzw.  2334). 

Auf  diese  Weise  ist  das  zurzeit  im  deutschen  Reiche 
geltende  Recht  in  betreff  der  Gründe  für  Entziehung  des 
Pflichtteils  erwachsen,  kaum  auf  dem  Boden  des  Pandekten- 
rechts oder  des  Usus  modernus  Pandectarum,  welche  den 
Justinianischen  Katalog  noch  ziemlich  unversehrt  mit  sich 
schleppten,  vielmehr  auf  Grund  einer  konsequenten  Fortent- 
wicklung aus  dem  Schosse  der  deutschen  Gesetzgebung  heraus. 
Man  wird  seiner  jetzigen  Gestaltung  das  Lob  der  Zurück- 
haltung und  des  Zartgefühls  nicht  versagen  können,  welches 
dereinst  der  neueren  österreichischen  Fassung  erteilt  worden 
ist4).  Nur  wird  sich  in  der  praktischen  Handhabung  zu  zeigen 
haben,  dass  so  weit  gehende  Einräumungen,  wie  das  Bemessen 
eines  „ehrlosen  und  unsittlichen  Lebenswandels“,  nicht  zu  einer 
Schädigung  des  Rechtsgefiihls  und  Rechtsbewusstseins  zu  führen 
vermögen. 

Überblicken  wir  noch  einmal  das  Schicksal,  welches  bis 

')  Vgl.  8.  142  N.  2 bei  Xr.  V. 

*)  Vgl.  Denkschrift  zum  Entw.  e.  BOB.,  1896,  S.  30ä,  und  Protokolle 

VI  S.  320;  1. 

*)  Es  ist  nur  an  Stelle  des  Perfektums:  getrachtet,  gemacht,  verletzt 
„hat“  in  den  Nr.  1 — 4 die  jetzige  präsentische  Form  getreten.  So  übrigens 
bereits  im  Entw,  e.  BOB.  in  der  Fassung  der  Bundesratsvorlage  §§  2307/8 
und  in  der  dem  Reichstage  gemachten  Vorlage  §§  2306/7. 

*)  Oben  S.  136. 


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144 


zu  dem  soeben  gewählten  Abschlüsse  den  Fällen  der  Novelle 
zuteil  geworden  ist,  so  ergibt  sich,  dass  ausser  den  Fällen 
Nr.  IV,  VIII  und  XIII,  von  welchen  schon  oben  die  Rede  ge- 
wesen ist  *),  auch  die  Fälle  II  (Verbalinjurie)  und  IX  (Testier- 
hindernis)  aus  der  neuesten  Gesetzgebung  als  Enterbungsgründe 
verschwunden  sind;  der  letzte  spielt  nur  noch  eine  Rolle  bei 
der  Erbunwürdigkeit,  während  allerdings  die  nicht  in  einer 
körperlichen  Misshandlung  bestehende  Beleidigung  als  ein 
„schweres  vorsätzliches  Vergehen“  würde  in  Betracht  kommen 
können.  Was  die  übrigen  Fälle  angeht,  so  findet  sich  Nr.  I 
als  schwere  körperliche  Misshandlung  überall,  nur  mit  ver- 
schiedenartiger Begrenzung  in  betreff  der  misshandelten  Per- 
sonen. Nr.  III  hatte  vor  dem  BGB.  noch  eine  grössere  Be- 
deutung in  der  vom  Preussischen  ALR.  eingeführten  Form  ge- 
wonnen, wonach  nur  eine  wissentlich  falsche  Anschuldigung  in 
Betracht  kommt;  dadurch  hatte  zugleich  der  Justinianische  Fall 
Nr.  VII  (Sykophantie)  seine  Erledigung  gefunden.  Nr.  V 
(Lebensnachstellung)  ist  ebenfalls  von  den  neueren  Gesetz- 
gebungen wieder  aufgenommen  worden.  Nr.  VI  (Inzest)  war 
noch  vom  Entw  ürfe  erster  Lesuug  uud  von  Moramsen  vorgeschlagen 
worden,  jetzt  fällt  es  ebenfalls  (wie  II)  unter  § 2333  Nr.  3. 
Für  Nr.  X (Schauspielergewerbe)  haben  die  neueren  Versionen 
durchgängig  den  allerdings  latenten , aber  der  heutigen  An- 
schauung sicher  weit  angemesseneren  Ausdruck  des  unsittlichen 
Verhaltens  ohne  nähere  Detaillierung  gesetzt.  Auch  Nr.  XI 
(Umgehung  des  Ehekonsenses)  ist,  abgesehen  vom  sächsischen 
Gesetzbuche  und  der  ersten  Lesung  unseres  BGB.,  nicht  mehr 
als  Enterbungsgrund  beliebt  worden;  man  hat  sich  hier  mit 
anderen  Mitteln,  wie  Versagung  der  Aussteuer  (BGB.  § 1621), 
begnügt.  Nr.  XII,  Vernachlässigung  in  Geisteskrankheit,  noch 
vor  kurzem  (im  hessischen  Entwurf  und  im  Züricher  Gesetz- 
buch, auch  in  Thüringen)  von  jeglicher  Notlage  verstanden,  hat 
man  jetzt  auf  die  böswillige  Verletzung  der  gesetzlichen  Unter- 
haltspflicht eingeschränkt.  Was  endlich  die  Nr.  XIV,  den  Fall 
des  Unglaubens,  angeht,  so  musste  sie,  mit  der  einzigen  oben 
bemerkten  Ausnahme*),  der  neueren  Anschauung,  dass  in 

Oben  S.  133. 

’)  Oben  S.  133  und  134. 


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145 


Glaubenssachcn  keine  benachteiligenden  Rechtsunterscbiede  im 
Gebiete  des  bürgerlichen  Rechts  mehr  gemacht  werden  dürfen, 
und  zugleich  dem  in  dieser  Richtung  erfolgten  gesetzlichen  Ans- 
spruche des  deutschen  Reichsrechtes  (selbst  in  Pandekten- 
Darstellungen)  weichen. 

In  Beziehung  auf  das  den  Kindern  verliehene  Euterbungs- 
recht  haben  es  die  Redaktoren  des  BGB.  und  seiner  Entwürfe 
nicht  über  sich  vermocht,  den  Standpunkt  des  hessischen  Ent- 
wurfes anzunehmen,  nach  welchem  ein  solches  Recht  überhaupt 
keine  Anerkennung  verdienen  soll 1).  Vielmehr  haben  sie  sogar 
diese  Befugnis  in  einem  grösseren  Umfange , als  die  jüngst 
vorangehenden  gesetzgeberischen  Äusserungen,  wieder  erneuert. 
Natürlich  mussten  die  den  fortgefallenen  Gründen  der  anderen 
Gruppe  korrespondierenden  Fälle  auch  hier  beseitigt  werden, 
so  Nr.  4 (Testierhindernis),  Nr.  7 (Kriegsgefangenschaft)  und  8 
(Unglauben),  aber  auch  Nr.  5 (Lebensnachstellung  unter  Eltern) 
wird  nirgends  mehr  erwähnt.  Dagegen  war  Nr.  1 in  Form 
einer  wissentlich  falschen  Anklage  noch  im  Entwürfe  eines  BGB. 
erster  Lesung  enthalten,  Nr.  3:  blutschänderischer  Umgang  mit 
dem  Ehegatten  des  Erblassers:  noch  in  Thüringischen  Gesetzen  *), 
und  den  Enterbungsgrund  der  Lebensnachstellung  (Nr.  2)  sowie 
einer  Modifikation  von  Nr.  6 (Vernachlässigung)  verleiht  ja  noch 
das  geltende  Recht  den  Abkömmlingen  (§  2333  Nr.  4). 

Nur  ein  Fall  verdient  noch  der  Hervorhebung,  weil  ihn 
das  preussische  und  österreichische  Recht  und  diesen  nach  die 
thüringischen  Gesetze  angenommen  haben,  obwohl  er  keiner  von 
den  Justinianischen  ist:  die  Verurteilung  wegen  schwerer 
Delikte.  Allein  nachdem  die  Einstellung  dieses  Grundes  von 
der  sächsischen  Gesetzgebung  ausdrücklich  abgelehnt  worden 
war3),  hat  man  ihn  seitdem  nicht  mehr  genannt. 

Zum  Schlüsse  seien  noch  zwei  neuere  Gesetzentwürfe  er- 
wähnt, welche  ebenfalls  die  Enterbungsgründe  in  sich  auf- 

*)  Vgl.  oben  S.  135.  Dass  diese  Auffassung  keiue  vereinzelte  ist,  zeigen 
die  Bemerkungen,  welche  Zachariae  v.  Lingentbal  in  seiner  Geschichte 
des  griechisch-römischen  Rechts,  3.  Anfl.  (1892)  S.  171  und  S.  173, 4 anlässlich 
der  Isaurischen  Ekloga  (oben  8.  lfiff.)  gemacht  hat.  Vgl.  oben  S.  17  N.  5. 

*)  Oben  S.  138. 

*)  Vgl.  oben  8.  140  N.  2. 

Merkel,  ButcrbtmgsgrUnde  10 


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146 


genommen  haben,  übrigens  bekannten  Vorbildern  folgen.  Der 
eine  ist  der  Entwurf  des  ungarischen  Erbrechts  von  1887  ’). 
Ihm  merkt  man  nicht  nur,  wie  begreiflich,  einen  Einfluss  des 
österreichischen  ABGB.  an,  sondern  auch  einen  solchen  des 
sächsischen  Gesetzbuches  und  wohl  des  hessischen  und  des 
Mommsenschen  Entwurfes  von  1876.  Er  gestattet  die  Ent- 
erbung der  Abkömmlinge  durch  ihre  Eltern  und  dieser  durch 
jene  wegen  Nr.  III,  in  der  Fassung  ähnlich  wie  Sachsen  (den 
Erblasser  oder  dessen  Ehegatten  wissentlich  wider  die  Wahr- 
heit wegen  eines  Verbrechens  anklagen),  aber  mit  dem  selb- 
ständigen Zusatze:  „so  dass  infolgedessen  das  Strafverfahren 
eingeleitet  wurde“ ; sodann  wTegen  Nr.  V,  aus  derselben  Quelle, 
doch  ebenfalls  verändert:  „wenn  er  dem  Erblasser  oder  seinem 
Verwandten  auf-  oder  absteigender  Linie,  seinem  Geschwister 
oder  Ehegatten  nach  dem  Leben  getrachtet,  oder  dergleichen 
Nachstellungen  anderer  gefördert,  erleichtert,  oder,  soweit  es 
ihm  möglich  gewesen,  nicht  gehindert  hat“,  und  wegen  Nr.  XII 
— wie  es  scheint,  einer  Mischung  aus  dem  österreichischen 
Gesetzbuch  und  dem  hessischen  Entwürfe  — : den  Erblasserin 
hilfsbedürftiger  Lage  böslich  hilflos  lassen,  obgleich  dessen 
Unterstützung  in  seinen  Kräften  gestanden  hätte.  Dazu  tritt, 
wie  in  Österreich,  die  Verurteilung  wegen  eines  Verbrechens 
zum  Tode8)  oder  zu  einer  lebenslänglichen  oder  einer  fünfzehn- 
jährigen Zuchthausstrafe  (Österreich  normierte  zwanzigjährige 
Kerkerstrafe). 

Die  Enterbungsgründe,  welche  sonach  hier  den  Abkömm- 
lingen gegenüber  ihren  Eltern,  übrigens  auch  den  Ehegatten 
untereinander,  eiugeräumt  werden,  sind,  abgesehen  von  dem 
letzten,  die  gleichen  wie  im  deutschen  Entwürfe  erster  Lesung, 
nur  dass  hier  noch  der  3.  der  Justinianischen  Fälle,  Inzest, 
hinzukam. 

Den  Eltern  allein  ist,  wie  im  Mommsenschen  Entwürfe,  die 
Enterbung  der  Abkömmlinge  gestattet,  aus  dem  Grunde  Nr.  I : 
sich  an  dem  Erblasser  gewalttätig  vergreifen  oder  ihn  sonst- 


■)  Verfasst  von  Stefan  Teleszky,  übersetzt  von  Kern:  §§  86,  94  n.  97. 
*)  S.  oben  S.  135  N.  2. 


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147 


wie  tätlich  beleidigen,  und  Nr.  X,  dessen  Fassung  wörtlich  mit 
dem  ABGB.  übereinstimmt1). 

Der  zweite  der  noch  zu  besprechenden  Entwürfe  ist  der 
Schweizerische  von  19008).  Er  folgt  offensichtlich  dem  Züricher 
Gesetzbuch3)  sowohl  in  Hinsicht  auf  die  rezipierten  Fälle,  als 
in  bezug  auf  die  Form  und  die  Kürze  des  Ausdruckes.  Die  Aus- 
drucksweise ist  namentlich  genauer  zu  bestimmen  versucht  worden. 
„Einen  liederlichen  oder  unsittlichen  Lebenswandel  führen“: 
kommt  allerdings  jenem  ziemlich  gleich,  aber  die  Fassung  von 
Nr.  XII:  gegenüber  dem  Erblasser  die  ihm  obliegenden  familien- 
rechtlichen Pflichten  schwer  verletzen:  ist  durch  die  Bezug- 
nahme auf  das  Familienrecht  spezialisiert,  ähnlich , wie  in 
unserem  BGB.  § 2333  Nr.  4.  Sodann  wird  die  Enterbung 
wegen  Begehens  eines  schweren  Verbrechens  nur  dann  gestattet, 
wenn  das  Verbrechen  sich  gegen  den  Erblasser  selbst  „oder 
gegen  eine  diesem  nahe  verbundene  Person“  richtet.  Darin 
aber  gleicht  der  neue  Entwurf  seinem  Vorbilde  wieder  voll- 
kommen, dass  er  die  Enterbungsursacheu  jedem  Erblasser  gegen- 
über jedem  pflichtteilsberechtigten  Erben  verleiht  und  einen 
Unterschied  besonderer  Gründe  für  Deszendenten  und  Aszeu- 
denten  nicht  mehr  anerkennt. 

Der  IX.  der  Justinianischen  Fälle,  die  Verhinderung  an 
der  Errichtung  einer  letztwilligen  Verfügung,  welchen  zuletzt 
die  Thüringischen  Erbgesetze  unter  den  Enterbungsgründen  ge- 
bracht hatten,  steht  in  beiden  Entwürfen,  wie  in  allen  neueren 
Gesetzgebungen,  bei  den  Gründen  der  Erbunwürdigkeit4). 

Als  der  wissenschaftliche  Ertrag  der  vorstehenden  Unter- 
suchungen möchte  nicht  allein  die  Ausführung  des  Eingangs 
aufgestellten  Satzes  von  der  weiten  Verbreitung  der  Justi- 
nianischen Enterbungsgründe,  welche  von  Armenien  bis  nach 
Portugal  und  sogar  über  den  atlantischen  Ozean  in  die  „neue 
Welt“  hineinreicht3),  und  der  Nachweis  ihrer  Entwicklung  bis 

*)  Oben  S.  134. 

*)  Schweizerisches  Zivilgesetzbuch,  Vorentwurf,  1900,  § 497. 

•)  Oben  S.  136. 

4)  Ungarn  § 6 Nr.  2;  Schweiz  § 667,  4. 

*)  Vgl.  oben  S.  16  N.  1,  S.  44  N.  4 uud  S.  44  ff.  Auch  in  das  Recht  der 

10* 


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148 


zum  heutigen  Rechte  angesehen  werden,  sondern  auch  die  sich 
aus  den  gefundenen  Übereinstimmungen  — natürlich  zunächst 
nur  für  die  vorliegende  Materie!  — ergebende  Gruppierung 
und  Verwandtschaft  der  einzelnen  benutzten  Rechtsquellen  unter- 
einander. Um  die  Übersicht  hierüber  zu  erleichtern,  diene  da- 
her noch  die  folgende  Zusammenstellung. 

Zu  § 2:  Byzantiner:  seit« 

I.  Athanasius  (665 — 578)  und  Theodorus  (582 — 602)  . 15 


II.  Ekloga  (um  740) 16 

ad  Prochiron  mutata  (11.  Jahrh.) 16 

privata  aucta  (12.  Jahrh.) 17 

III.  Prochiros  Basilii  etc.  (870—879) 18 

‘E.iaray tov  nuov  (879 — 888) 18 

'Enavaywyrj  aucta  (10.  Jahrh.) 19 

Prochiron  auctum  (um  1300) 19 


russischen  Ostseeprovinzen  sind  die  Justinianischen  Fälle  eingedrungen,  und 
zwar  bereits  im  17.  Jahrhundert  teilweise.  Die  Gesetze  und  Statuten  des 
ehemaligen  Piltenscben  Kreises  von  1611  (Pars  III,  Tit  1,  § 2;  s.C.  v.Rummel, 
Die  Quellen  des  Kurland.  Landr.,  Bd.  I,  Lief.  4,  1850,  S.  66)  enthalten  nur 
die  Fälle  I (die  Eltern  schlagen),  II  (schmähen),  III  (peinlich  verklagen), 
V (nach  ihrem  Leben  trachten),  VIII,  XII  und  XIII  (sie  in  Nöten,  Gefäng- 
nissen, Krankheiten  uud  dergleichen  Trilbsalen  verlassen).  Die  Kurläudischen 
Statuten  von  1617  verzichten  auf  alles  Detail,  mit  einer  Ausnahme,  dem 
Falle  Nr.  XI  (Ehe  gegeu  den  Willen  der  Eltern),  ausgedehnt  auf  Kinder,  und 
lassen  im  Übrigen  rechtmässige,  genügende  Ursachen  nach  richterlichem  Er- 
messen zu  (vgl.  F.Seraphim,  Das  Kurläudische  Noterbenrecht,  1850,  S.  102  ff. 
und  S.  107),  welchen  letzteren  Weg  auch  andere  dortige  Statuten  des  17.  Jahr- 
hunderts eingeschlagen  haben  (vgl.  daselbst  S.  10S).  Dagegen  das  um  1650 
verfasste  Esthländische  Kitter-  und  Landrecht  greift  wieder  auf  die  Fälle  der 
Piltenscheu  Statuten  zurück  und  vermehrt  sie  um  Nr.  VI  (Inzest),  XI  (unter 
Beschränkung  auf  Töchter)  und  XIV  (einen  ketzerischen  Glauben  annebmen), 
wobei  in  Nr.  VI  auch  der  Inzest  zwischen  Tochter  und  Stiefvater,  welchen  Fall 
andere  deutsche  Statuten  ebenfalls  aufnabmen  (S.  110  obcu),  Berücksichtigung 
findet.  Dieselben  Enterbungsgründe  werden  sodann  hier  den  Kindern  gegen- 
über den  Eltern  verliehen,  während  sonst  in  jenen  Kechtsquellen  von  dieser 
Gruppe  der  Enterbuugsgriinde  nicht  die  Kede  ist  (vgl. Christian  Heiur.  Nielsen, 
Versuch  einer  Darstellung  des  Erbfolgercchts  in  Lievland,  2.  Teil,  1824,  S.256, 
§ 291).  Das  Provinzialrecht  des  Ostdepartemeuts  von  1864  (III.  Teil,  Privat- 
recht,  Art.  2015/6)  hat  dann  aber  die  lömischen  Fälle  vollständig  rezipiert, 
so  wie  man  sie  zu  dieser  Zeit  in  allen  Pundektenlehrbüchern  finden  konnte 
(vgl.  C.Erdmaun,  System  dcsPrivatr.  der  Ostseeprovinzen,  111,1892,  S.  108  ff.). 


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149 


Seite 

Prochiron  legum  (12.  Jahrh.)  19 

Harmenopoulos  (um  1345) 20 

IV.  Blastares  (1335) 20 

V.  Basilica  (900)  und  Synopsis  Basilicorum  (10.  Jahrh.)  . 20 

ai  (tortai  (7.  Jahrh.),  Anonymus,  Nomocanon  (883), 
Tipucitus 21  N.  1 

Zu  § 3:  Romanische  Versionen: 

I.  Julian  22 

Lex  Romana  canonice  compta  (9.  Jahrh.),  Turiner 
Institutionen-Glosse,  Gratian,  Brachylogus  (12. 

Jahrh.) 24 

II.  Lex  Wisigothorum  (641  - 653) 26 

Edictns  Rothari  (643) 27 

Edictum  Liutprandi  (713—735) 27 

Usatici  Barchinoniae  (um  1068) 28 

Grazer  und  Tübinger  Rechtsbuch  und  Petri  ex- 
ceptiones 28 

III.  Authentikum 30 

Libri  Feudorum 30 

Authentika  zu  J.  2,  18 31 

Summa  notariae  von  Arezzo  (1240—1243)  ...  32 

Merkverse  der  Glosse  zu  J.  2,  18 33 

IV.  Merkverse  aus  der  „Summula  pauperum“  ....  34 

V.  Kanonische  Glosse 35 

Vocabularius  iuris 35 

VI.  Lo  Codi  (um  1160) 36 

Coutumes  de  l’Anjou  et  du  Maine  (1437)  ...  39 

Lois  de  l’Empereur  (Fors  de  Bearn) 40 

VII.  Assises  de  Jerusalem 40 

VIII.  El  Fuero  Real  (1254/5)  und  Codigo  de  las  siete 

Partidas  (1263/5) 42 

IX.  Civil  Code  of  the  state  of  Louisiana  (1824)  ...  44 

Zu  § 4:  Die  deutschen  Rezeptionsformen  bis  zum 
18.  Jahrhundert: 

I.  Analoge  Fälle  von  Erbunfähigkeit 46 

II.  Der  Deutschenspiegel 49 

III.  Das  Kleine  Kaiserrecht  (13./14.  Jahrh.) 52 


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150 

Seite 

IV.  Der  Sch wabenspiegel,  das  Wiener  Stadtreclit  (1278,96), 
das  Landrechtsbuch  des  Ruprecht  von  Freising  (1328), 
eine  Brünner  Schöffensatzung  und  das  alte  Kulmische 

Recht 55 

Summa  legum  des  Raymund  von  Wiener-Neustadt  63 

V.  Sächsische  Glossenarbeiten:  von  Buch 67 

Stadtrecht  von  Cleve  (1417—48)  s.  Nachtrag  . . 152 
Glosse  zum  Lehenrecht  des  Sachsenspiegels  . . 69 

Wurmsche  Arbeiten 69 

Eisenacher  Rechtsbuch  (vor  1434) 73 

VI.  Stadtsatzung  von  Bern  (7.- März  1438) 74 

VII.  Nürnbergische  Reformation  von  1479  75 

1.  Tübinger  (1493),  Uracher,  Asperger  (1510)  Stadt- 
rechte   78 

2.  Wormser  Reformation  (1498)  und  Reformation 

des  Bayrischen  Landrechts  (1518) 79 

3.  Ulrich  Tenglers  Laienspiegel  (1509)  ....  79 

4.  Geldernsche  Reformation  (1554) 79 

VIII.  Gerichtsordnung  des  Landgrafen  von  Hessen  (1497)  80 

IX.  Jurisprudentia  Frisica 81 

X.  Stephan  von  Werbücz,  Tripartitum 83 

XI.  Freiburger  Stadtrecht  (1520)  — vgl.  Nachtrag  S.  152 — 85 
Baseler  Satzung  (1523,  1539),  Neue  Ordnung  des 
Stadtgerichts  zu  Basel  (1557),  Landesordnung 
von  Farnsburg  usw.  (1611,  1654,  1757),  Baseler 

Ratserlass  von  1611 87 

Württembergisches  Landrecht  (1554) 88 

Pfälzisches  Landrecht  (1582) 89 

Erneuertes  Württembergisches  Landrecht  (1610)  . 90 
Churpfälzisches  erneuertes  Landrecht  (1610,  1698)  90 
Preussisches  Landrecht  (1620,  1685,  1721)  ...  90 

Badisches  Landrecht  (1622) 91 

Baseler  Gerichtsordnung  (1719) 92 

XII.  Andere  Niederdeutsche  Versionen:  Braunschweiger 

Stadtrecht  (1532)  92 

Ostfriesisches  Landrecht  (1540/50) 93 

XIII.  Perneder,  Institutionen  (1544)  und  Gobler,  der  Rechten 

Spiegel  (1552) 94 


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151 


Seite 

XIV.  Nürnbergische  Reformation  (1564) 97 

Hamburgische  Gerichtsordnung  (1603)  ...  98 

Friedrichstädter  Stadtrecht  (1633)  ....  99 

Fränkische  Landgerichtsordnung  (1618)  . . 99 

XV.  Sammlung  einzeln  stehender  Landesrechte: 

1.  Lüneburgisches  Stadtrecht  (1580  ff.)  . . . 100 

2.  Bayrisches  Landrecht  (1616) 101 

3.  Nassau  - Catzenelnbogische  Gerichts-  und 

Landordnung  (1616) 101 

4.  Geldernsclies  Landrecht  (1620)  . . . . 102 

5.  Jus  Culmense  correctum  (1711)  . . . . 102 

6.  Hohenlohesches  Landrecht  (1737)  und 

Wimpfener  Stadtrecht  (1775) 103 

XVI.  Blosse  Verweisungen  auf  das  gemeine  Recht  104 

XVII.  Volle  Freiheit  des  richterlichen  Ermessens  . . 106 

Lübisclies  Gesetz  vom  10.  Februar  1862  . . 107 

XVIII.  Zusammenfassung  der  bis  zum  18.  Jahrhundert 

eingetretenen  Gestaltung 107 

Zu  § 5:  Die  neueren  Gesetzgebungen  und  Entwürfe. 

I.  Cocceji’s  Projekt  eines  Corpus  juris  Fridericiani 

(1751) 123 

Codex  Theresianus 126 

II.  Codex  Maximilianeus  Bavaricus  (1756)  ....  128 

III.  Allgemeines  Preussisches  Landrecht  (1794)  . . 129 

Castellische  Landesverordnung  (1801)  . . . 131 

IV.  Das  19.  Jahrhundert  bis  zum  BGB.: 

— Bernisches  Zivilgesetzbuch  (1827),  Baseler 
Gerichtsordnung  (1849)  — 132 

1.  Code  Napoleon 133 

2.  Österreichisches  Allgemeines  BGB.  . . . 134 

3.  Grossh.  hessischer  Entwurf  (1845/53)  . . 135 

4.  Züricher  Gesetzbuch  (1856) 136 

5.  Thüringische  Erbgesetze  (1833 — 1844)  . . 136 

6.  Bürgerliches  Gesetzbuch  für  das  Königreich 

Sachsen  (1863)  139 

V.  Das  BGB.  für  das  Deutsche  Reich  und  seine  Vorarbeiten: 

Mommsenscher  Entwurf  (1876) 140 


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152 


Seite 


Entwurf  erster  Lesung  (1888) 141 

Kritik  und  Bälirsclier  Gegenentwurf  (1892)  . . 142 

Entwurf  zweiter  Lesung  (18941 142 

Überblick  über  das  Schicksal  der  Fälle  bis  heute  . . . 143 

Anhang:  Ungarischer  Erbrechtsentwurf  (1887)  ....  146 
Schweizerischer  Zivilgesetzbuch -Entwurf  (1900) 

— s.  unten  den  Nachtrag  — 147 


Recht  der  russ.  Ostseeprovinzen  (17.-19.  Jhd.)  147  N.  5 


Nachträge 

Zu  S.  69:  Die  Form  der  v.  Buchschen  Glosse  hat  sich  das 
Stadtrecht  von  Cleve  (1417 — 1448)  angeeignet  (vgl.  Steffenhagen 
in  den  Sitzungsberichten  der  kaiscrl.  Ak.  d.  W.  in  Wien,  Philos.- 
Iiist.  CI.,  Bd.  CXXIX,  1893,  S.  19).  Dasselbe  zeigt  aber  fol- 
gende Abweichungen:  beiin  VI.  Falle  (Inzest)  Weglassung  der 
„amie“  (vgl.  oben  S.  111);  bei  Nr.  IX:  wenn  der  Sohn  dem 
Vater  verbietet,  Almosen  zu  geben:  den  sonst  wohl  nirgends 
vorkommenden  Zusatz:  „omb  to  verbissen,  die  gevangen 

weren“;  bei  X:  Spielmann  „off  anders  eyn  ongerakt  man“; 
endlich  bei  XIII:  von  der  Gefangenschaft  nicht  lösen.  Ferner 
spricht  das  Stadtrecht  nur  von  enterben,  denn  es  handelt  von: 
„saiken,  in  dyen  die  bewyst  warden  van  den  erven  off  navolger, 
doir  wulke  die  vaider  syn  kyndt  onterven  mach“. 

Zu  S.  85:  Über  den  Verfasserder  sog.  Landerbfolgeordnung, 
d.  h.  der  Markgräflich-Badischen  Statuten  von  1511  vgl.  Rud. 
Carlebach,  Badische  Rechtsgeschichte,  I,  1906,  S.  51  ff.  Er  ver- 
mutet in  ihr  ein  Werk  der  Juristen  Dr.  Kirser  und  Dr.  Vehus. 

Zn  S.  147 : Das  Schweizerische  Zivilgesetzbuch  vom  10.  De- 
zember 1907  hat  im  § 477  den  X.  Enterbungsgrund  (lieder- 
lichen oder  unsittlichen  Lebenswandel)  wieder  fallen  lassen,  wie 
der  erste  deutsche  Entwurf  (oben  S.  141),  und  in  Nr.  XII  (die 
familienrechtlichen  Verpflichtungen  schwer  verletzen)  neben  dem 
Erblasser  eingeschoben:  „oder  (gegenüber)  einem  von  dessen 
Angehörigen“.  Die  Erbunwürdigkeitsgründe  (oben  S.  147  N.  4) 
stehen  jetzt  in  § 540  (s.  daselbst  Nr.  3). 

Bucht!  ruckerei  Maretzke  & Martin,  Trebnitz  i.  Schlei. 


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ANNEX 

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