1578
,922
llriur^tom llmiw&itg,*
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Die altjrermanischf* Hundertschaft
von
l)r. jur. Claudius Frlir. von Schwerin
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Untersuchungen
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
90. Heft
Die
altgermanische Hundertschaft
Dr. jur. Claudius Frhr. von Schwerin
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1 1)07
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Oie
altgermanisclie Hundertschaft
Dr. jur. Claudius Frhr. von Schwerin
Hreslan
Verlag von M. & H. Marcus
1007
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(RlCAf)
*\V“
Printed in GarmAajT
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist hervorgegangen aus der gelegent-
lich angelsächsischer Studien sich ergebenden Notwendigkeit, das
Wesen des angelsächsischen hundred zu untersuchen. Schon aus
methodischen Gründen konnte diese Untersuchung nur im Rahmen
einer Erörterung des Hundertschaftsbegriffes überhaupt erfolgen.
Andererseits aber sollte die Arbeit lediglich Vorarbeit sein und dieser
Umstand wurde bestimmend für die Auswahl des zu verwendenden
Materials. Ich bin mir vollkommen dessen bewußt, daß sich in
dem großen Quellengebiete der germanischen Rechtgeschichte noch
manche Stellen finden, die da und dort die Beweisgründe häufen
könnten. Das Gesamtergebnis würde durch ihre Heranziehung
nicht verschoben werden, wohl aber in Mißverhältnis zu dem
aufgewandten Apparat geraten. Aus gleichen Gründen habe ich
mich da, wo brauchbare ausreichende Vorarbeiten fehlten, wie bei
Besprechung der friesischen und skandinavischen Gerichtsverfassung,
auf die Hervorhebung des für die Hauptfrage Wesentlichen be-
schränkt, an anderen Stellen dagegen, wie bei der Erwähnung
der sächsischen Goverfassung, wo die hier wesentlichen Punkte
längst unbestritten feststehen, auf eine Verweisung auf die
Ergebnisse früherer Arbeiten.
Herrn Prof. Dr. Karl v. A m i r a möchte ich auch an dieser
Stelle meinen herzlichsten Dank aussprechen für die rege Anteil-
nahme, mit der er den Fortgang dieser Arbeit verfolgt, und die
wertvollen Ratschläge, durch die er sie gefördert hat.
München, Juli 1907
Der Verfasser
5047S0
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Berichtigungen
Seite 7
Zeile
21
lies
l’unkt statt Punkt.
- 18
-
18,
28 und 31 lies porrectu statt prorrecto.
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-
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aut statt ant.
- 82
-
10
-
zerfielen statt zutiulen.
- 102
-
18
-
einzelnen statt einzelne.
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22
-
Bestohlene statt ßestohlcuc.
- 118
-
14
-
letztgenannte statt letzgenannte.
- 124
-
9
-
Einwohner statt Kinwvhncr.
- 125
-
19
-
branstuß statt bransta|).
- 130
-
32
-
alemannischer statt alamanischer.
- 14(5
-
9
-
Ausführlichkeit statt Ausführlickeit.
- 147
-
14
-
vor statt von.
- 159
-
27
-
Feder w ert heradel statt Federwerthadel.
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Inhalt
Seite
Vorhfwiorkuiuf . . 1
1. l>f Heerosthcorie . , . 3
11 I *ii Ilufentlicorie lind verwandte Theorien
0*1
111. Worterklärung ... ...
53
IV. J’asrus
C4
V. Fortsetzung (Pagus) ...
*J5
VI. f.Vnti>na
10!)
VII. Fortsetzung: Jiiintari. del, go
13»
rill, llynden und Hundred . . .
ITC
l.V. Hundari, liu-ra Jr und luera-th , .
. 192
\ Ergebnisse
. 212
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Verzeichnis abgekürzter Büchertitel
v. Atnira, Grundriß“ — Grundriß da» germanischen Rechts in Pauls
Grundriß der germanischen Philologie, 2. Aull,
v. Amira, Obl.-R. = Nordgermanisches Obligationenrecht I 1882, II 1 805.
Brunner, Grundlüge — Grundxügc der deutschen Rechtsgeschichte
2. Aull. (1903).
Brunner, R.-G. — Deutsche Rechtsgeschichte I 2. Aufl.(190G) II J. Aull. (1892)
Gramer, Alamannen — I>ie Geschichte der Alamannen als Gaugeschiclite.
Untersuchungen ?.ur Deutschen Staats- und Rechtsgeschiehte,
hrsg. von Otto Gicrke. 57. lieft.
Gramer, VG. — Die Verfassungsgeschichte der Germanen und Kelten (I90(j)
Dahn, Könige = Die Könige der Germanen I — X.
GGA. = Göttingische gelehrte Anzeigen.
Maurer, Vorlesungen = Vorlesungen über altnordische Rechtsgeschiehte I.
1 und 2 (1907).
Mayer, VG. = Deutsche und französische Verfassungsgeschichte I. II.
Meitzen, Siedlung «= Siedelung und Agrarwesen der West- lind Ostgermanen.
der Kelten, Römer, Kinnen und Slawen I, II, III und Atlas.
M J i > G. — Mitteilungen des Instituts für österreichische t ieschiehtsforschung.
(E-B. — Krgänzungsband.)
MDUenhoff, D.A. = Deutsche Altertumskunde.
PBB. «= Beitrüge zur Geschichte der dentachen Sprache und Literatur.
Ilrsg. von Paul und Braune.
Richthofen, Untersuchungen = Untersuchungen über friesische Rechts-
geschichte I — III, 1.
Schroeder, RG. — Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. (Soweit
dies möglich war, ist die im Erscheinen begriffene 5. And. zitiert.)
Soli m, RuGV. = Deutsche Reichs- und Gerichtsverfassung.
Waitz, VG. = Deutsche Verfassungsgeschichte I. II, 1, 2. (3. Anflage),
III. IV. (2. Auflage).
/, RG. = Zeitschrift für Rechtsgeschiehte.
ZUG*. — Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte.
Die sonstigen Abkürzungen, besonders die der Quellen, sind die üblichen.
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Vorbemerkung
Nach der insbesondere von H. Brunner begründeten und zur-
zeit herrschenden Lehre gab es im germanischen Staate neben
der räumlichen Gliederung des Staatsgebietes (civitas) in Gaue
(pagi) eine Gliederung des Volkes in kleinere, innerhalb der Gau-
Gemeinden stehende, persönliche Verbände, denen die Wissenschaft
ilen Namen „Hundertschaften“ Gegeben hat. Auf der Grund-
lage dieser persönlichen Hundertschaftsverbände sollen sich dann
in der folgenden Periode bei einzelnen, aber keineswegs allen,
germanischen Stämmen territoriale Hundertschaften, Hundert-
schaftsbezirke, als Unterbezirke des Gaus ausgebildet haben.
Dagegen wird durch v. Amira wie schon durch Frühere die
Ansicht vertreten, daß der germanische Staat räumlich in Hun-
dertschaftsbezirke und nicht in über diesen stehende Gau-
bezirke zerfallen ist. sodaß die Verfassung der folgenden Periode
sich von der der germanischen nicht durch die Entstehung der
Hundertschaftsbezirke, sondern vielmehr die der Gaube-
zirke unterscheidet.
Diese Streitfrage zu lösen ist der Zweck der folgenden Unter-
suchung, für die sich hieraus die Begrenzung der Aufgabe ergibt.
Da, wie im Folgenden noch näher auszuführen sein wird,
der Begriff der Hundertschaft bislang entwickelt wurde an Be-
zirken der fränkischen Periode und wir einen Bezirk gleichen
Namens in der germanischen Periode nicht naclnveisen können,
so muß der grundlegende Plan der folgenden Untersuchung sein,
zunächst festzustellen, ob der germanische Staat Mittelbezirke und
Unterbezirke oder nur eine Gattung von Bezirken kannte. Sodann
ist zu prüfen, ob die Bezirke der fränkischen Periode, welche
r. Schwerin, altgernt. Hundertschaft t
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2
man in der Wissenschaft ihres Namens wegen als Hundert-
schaften angesprochen hat, der Sache nach einem Bezirk der
germanischen Periode entsprechen. Zeigt sich hierbei sach-
liche Übereinstimmung, so ist bewiesen, daß auch die germanische
Periode „Hundertschaften“ gekannt hat. Gleicherweise ist zu
untersuchen, ob nicht auch bei den Stammen, deren Verfassung
dem Namen nach auch in der fränkischen Zeit keine Hundert-
schaften aufweist, gleichwohl der Sache nach solche vorhanden
waren. Umgekehrt ist zu prüfen, ob alle die Bezirke, die. wegen
gleichen Namens, als Hundertschaften angesprochen worden
sind, in der Tat auch der Sache nach einander gleichgestellt
werden können.
Von hier aus ergibt sich, dall die Bezirke, die sich in der
dritten Periode bei germanischen Völkern finden, in der Regel
nicht in den Kreis der Betrachtung zu ziehen sind. Zeigen sich
bei einem Volke schon in der zweiten Periode Bezirke, die den
germanischen Unterbezirken sachlich gleichen, so ist es für unsere
Frage ohne Belang, wie und ob sie sich in der dritten Periode
weiter entwickelt haben; damit scheiden aus vor allem die mittel-
alterlichen Centen und Gentgerichte1). Andererseits sind hundert-
schaftgleiche Bezirke der dritten Periode dann nicht von Interesse,
wenn die Bezirksverfassung der zweiten Periode den Zusammen-
hang mit altgermanischen Bezirken unterbrochen hat; denn nach
Ansicht aller Autoren hängen die „ Hundertschaften“ mit Hin-
richtungen der germanischen Zeit zusammen.
Der Zweck der Untersuchung bestimmt endlich, inwieweit im
einzelnen Fall auf die politischen, wirtschaftlichen und gericht-
lichen Funktionen der in Frage stehenden Bezirke einzugehen ist.
Hs kann insbesondere nicht Aufgabe des Folgenden sein, die Ge-
richtsverfassung bei den einzelnen Völkern weiter zu verfolgen,
als dies unmittelbar geboten ist.
‘) Damit setze ich mich in der Methode in Gegensatz zu E. Mayer,
der in seiner Verfassungsgeschichte I S. 434 davon ausgeht, „daß gerade die
naclifränkischcn Quellen ganz überraschende blicke in die Struktur der
Hundertschaft tun lassen“. Es ist meines Erachtens methodisch ungerecht-
fertigt, in Kragen der deutschen Verfassungsgeschichte die Zustände der
nachfrtnkischen Zeit zur Erklärung der germanischen Periode heranzuziehen,
solange frühere Quellen ausreichen und nicht völlige Gewißheit besteht, daß
die dritte Periode ein unverändertes Bild der germanischen Zeit darbietet.
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3
I. Die Heerestheorie
Dieser und der folgende Abschnitt sollen als Einleitung und
als Grundlage für die späteren Ausführungen eine Übersicht über
die verschiedenen Meinungen und eine Prüfung ihrer Richtigkeit
bringen. Dabei sehe ich aber von vornherein vollkommen davon
ab. eine Dogmengeschichte zu geben und beschränke mich darauf,
soviel über die bisherigen und die noch vertretenen Ansichten zu
berichten, als dem Zwecke der Darstellung, der Klarlegung des
Problems und dem Verständnis der folgenden Ausführungen nützlich
ist. Insbesondere muH ich darauf verzichten, auch nur annähernd
die Autoren zu nennen, die seit dem I Jahrhundert1) die Hun-
dertschatt oder eentena für eine Vereinigung von hundert Personen
«der hundert Höfen oder hundert Familien mit großer Einhellig-
keit und mangelnder Begründung erklärt haben*).
Schon in der ersten 1 808 erschienenen Auflage seiner „Deut-
schen Staats- und Rechtsgeschichte“ hat K. F. Eichhorn die Frage
aufgeworfen, wie die „Hundertschaften“ entstanden sein mögen
und wie sie zu diesem Namen gekommen sind. Nacii seiner An-
schauung teilten sich in der genannten Zeit die Provinzen d. h.
die Gebiete der einzelnen Volksstämme zunächst in Gaue. „Jeder
Gau war in mehrere Centen, Hundreden oder Centgrafschatten
centenae) geteilt, welche vielleicht von Markgenossenschaften ur-
•) Die älteste Vermutung über das Wesen des angelsächs. liundrcd ent-
hält der Dialogus de scaccario I, 17: l^uid Hida, quid Centuriata, quid co-
mitatus, secundmn vulgarem opinioneni. M. Kuricolac melius hoc norunt:
verum sicut ab ipsis accepimus. hida a primitiv» institutione ex centum
acris constat: hundredus vero ex hidarum aliquot centcnariis, sed non de-
terminatis: quidam enim ex pluribus, quidam ex paueioribns hidis eonstat.
bei W. Stubbs Selcet charter« and othor Illustration» of English constitu-
tional historv B. (1905) S. 209.)
*) Gleich an dieser Stelle bemerke ich, daß ich zwar möglichste Voll-
ständigkeit der Literaturangaben angestrebt habe, dnll es aber ausgeschlossen
ist. jede Stelle anzufnbren oder auch nur aufzufinden, an der der Begriff
.Hundertschaft* erwähnt wird. Auch ist mancher Schriftsteller, der nur von
skandinavischen oder angelsächsischen Verhältnissen handelt, nicht schon in
diesem allgemeinen, sondern erst in dem einschlägigen speziellen Abschnitt
tu finden. Außerdem habe ich die an angeführter Stelle gegebene Litera-
tur in der Hegel nicht wiederholt zitiert.
1*
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4
sprünglich herrühren mochten1), deren Genossen sich daher auch
nur in Sachen, welche nicht den Frieden betrafen, vor einem
Centgrafen zu Recht standen, und deren Namen (Hundrede) ur-
sprünglich deutsch und von der Kriegsverfassung hergenommen ist“*).
St) unentschieden sich auch Eichhorn in dieser Stelle über
die Entstehung der Hundertschaft, den Kernpunkt der Fragt*,
äußert, so entschieden ist eine Beziehung der Hundertschaft zur
Heeresverfassung angenommen. Und das ist gerade der für die
Weiterentwicklung der Theorie wesentlichste Punkt. Auf der
Verknüpfung von politischer Verfassung und taktischer Gliederung
beruht, wie wir unten noch sehen werden die heute herrschende
Lehre über die Hundertschaft. Allerdings wird sich auch zeigen,
daß jetzt nur mehr dieser eine Grundgedanke einer Verknüpfung
überhaupt vorhanden, sie selbst aber ganz anders gedacht ist.
Bei Eichhorn hat. wie besonders zu betonen ist, die Hundertschaft
nur den Namen von einer so benannten militärischen Abteilung;
sie ist nicht etwa das Niederlassungsgebiet einer solchen. Mit
der Heranziehung der Markgenossenschaft hat Eichhorn ein neues
Problem gestellt, das auf spätere Autoren nicht ohne Einfluß ge-
wesen ist.
Gleich der zeitlich nächste Schriftsteller J. Weiske hat sich
seiner bemächtigt und Eichhom’s Vermutung durch die bestimmte
Behauptung ersetzt, daß die Hundertschaft mit der Markgenossen-
schaft identisch sei und zwar insofern, .als Mark der Distrikt
war. den ursprünglich 100 freie Männer in Besitz genommen
hatten, und Uentene. die durch sie für diese Mark gebildete
Gemeinde“.*) Zu dieser Präzision war Eichhorn auch damals
') Hier kann die Darstellung von Möser, Osnabrfiekische Geschichte
(1780) I. S. 13 L 38 f. von Einfluß gewesen sein, wie dies v. Sy bei, Ent-
stehung des deutschen Königtums (1844) S. 2. annimuit.
3 ) K. F. Eichhorn, Deutsche Staats- und Kcchtsgeschichte (1808),
S. 203. Die Darstellung in der 2. Auf!., S. 229. ist wenig verändert.
3) J. Weiske, Die Grundlagen der früheren Verfassung TeuU clilands
(1838). S. 34. Ob Weiske der Ansicht Eichhom's auch darin beitrat,
dall er die Markgenossenschaft für das ursprüngliche hielt, tritt in seiner
Darstellung nicht klar hervor, ist aber aus dem Zusammenhalt der Autlerungen
S. 4 und 5 zu schließen: vgl. hierzu Wild», Strafrecht der Germanen,
S. 124 f. Von den vor Weiske's Grundlagen erschienenen Werken ist H.
Züpfl, deutsche Staats- und Hechtsgeschichte 1 (183b, auf die Hundert-
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5
noch nit-lit gekommen. Kr hatte im Gegenteil seine Ansicht sehr
wesentlich modifiziert, indem er die Mark mit der Zehntschaft in
Verbindung brachte und das Markgericht für eine Nachbildung
lies Centgerichts ansah1). Nicht übergegangen ist dagegen in
Weiske's Darstellung, was Eichhorn über den militärischen Ur-
sprung der Centene wenigstens andeutet. Nur dies bemerkt
Weiske. „daß, wenn der pagus wenigstens ursprünglich aus
hundert Familienoberhäuptern bestand, auch diese vor Allen der
Kriegspflicht unterworfen waren“. Darin liegt geradezu eine Um-
kehrung des von Eichhorn angenommenen Kausalverhältnisses.
Sowohl Eichhorn wie Weiske geben mehr Andeutungen als
begründete Resultate. Um so interessanter ist es , daß gleich-
zeitig. aber offensichtlich ganz unabhängig, ein schwedischer Ge-
lehrter. Strinnholm. das gleiche Problem in einer durchaus klaren
Darstellung behandelt hat. Ist auch seine Arbeit ohne erkenn-
baren Einfluß auf die deutschen Gelehrten gehlieben, so ist er
doch der erste, der der ganzen Frage in Erkenntnis des Problems,
das mir von Eichhorn und Weiske doch nicht so ganz erfaßt
scheint, näher getreten ist. Und eben deshalb ist es angebracht,
seine Ausführung in extenso hier mitzuteilen. Strinnholm sagt
Folgendes*):
Romerska skriftställare hafva antecknat om de gamla Ger-
maniska stammarna, att deras krigsskaror voro ordnade etter
slägtskapema, och att hvarje liärhop utgjordes af etthundrade strids-
män. emedan ordningen i krig altid fordrar nägon viss indeling af
hären. I)et var naturligt, att de i sarama härhop fiirenade, genom
frändskap forhnndna krigare, som under de langa kringvandringarna
schäften nicht näher eingegangen; sie sind S. 132 lediglich erwähnt.
J. ürimin, deutsche Rcchtsaltertnmer 1 (1828), S. 532 handelt wohl von der
Hundertschaft, stellt aber eine von der Eichhorn ‘sehen gänzlich verschiedene
Ansicht auf, die unten zur Darstellung gelangen w ird. Verworren sind die Ideen,
die C. R. Sachsse in seinem Juris publici vetcrum gerinanoruni spocimen
1334), S. 3 ff. unter dilettantischer Heranziehung verschiedener germanischer
und sogar außerdeutscher Rechte kurz skizziert und in einem späteren
Werk (Historische Grundlagen des deutschen Staats- und Rcehtslebcns)
ausgeführt bat.
*) Zeitschrift für geschichtliche Rcchtswissensch. I (1815), S. 149, 1 70.
*) Strinnholm, Svenska folkets Historia frän äldsta tili närvarandc
tider. (Stockholm 1834 ff.) I, S. 509 f.
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fi
närmast med livarandra delat alla mödor och faror hol Io sig
tillhopa och slöto sig tili livarandra iifven da, när vid öfvergängen
fritn det kringvandrande, osäkra lefnadssättet man valde sig
stadigvarande, fasta bostäder i det land, hvari man satte sig ned.
Samma ordningar eller indelningar, som under folkstammens
liinga vandringstäg blifvit iakttagna, öfverflyttades da pä det i
besittning tagna landet, oeh hvad som törut i faror och nöd under
de longa vandringama varit ett krigsförbund, blef nn i det varakti-
ga hemmet under fredliga sysselsättningar ett förbund tili upprött-
h;il lande af enighet och tili lorsvar af land, egendnm och rätl.
Harifran kommer vart lands ursprungliga indelning i Hundaris
eller Härader. Sa kallade man nemligen de landomr.iden, som
vid folkstammens invandring de sig bosättande härhoparne hvar
för sig intogo. ty säsom dessa fron början omfattat ett hundrade
eller en viss myckenhet, genom slägt-oeh krigskamratskap tbre-
nade familjfader, och hvarje siidan hop sjelf äfven ka Hades en
här, sa fick tili följd deraf äfven den af ett sädant krigare-oeh
slägtsamfund upprödjade, bebyggda och befolkade landsträcka
namn af Härad eller Hundari.“
Was hier Strinnholm so außerordentlich deutlich ausspricht,
ist der Zusammenhang von Hundertschaft als politischer Gemeinde
und als politischer Bezirk mit einer der Zeit der Wanderung an-
gehörenden Einteilung des Heeres in Gruppe» von hundert
Familienvätern. Daß er von einer Besiedlung durch hundert oder
eine „gewisse Menge“ von Familienvätern spricht, beeinflußt nicht
die Klarheit seiner Darstellung. Hier schwebte ihm wohl der
sehr nahe liegende und später von fast allen Autoren gebrachte
Gedanke vor, daß die Hundertzahl der Natur der Sache nach
Veränderungen erleiden konnte und mußte. Der Grundgedanke
ist gleichwohl der, daß eine Heeresabteilung von etwa hundert
Mann gemeinsam ein Gebiet in Besitz und Bebauung nahm und
dadurch sich zu einer politischen Hundertschaftsgemeinde, das
eingenommene Land zu einem Hundertschaftsgebiet machte.
Betritt! die Darstellung Strinnholm’s nur nordische, insbeson-
dere schwedische Verhältnisse, so stellt sich Wilda1) von skandi-
navischen Verhältnissen ausgehend auf gemeingermanischen Boden.
*' Wilda, Strafrecht der Ucrmanen (1S42), S. 125, 127.
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Vielleicht trägt gerade dies die Schuld daran, daß seine Aus-
führungen zu wenig klaren und harmonischen Verhältnissen führen.
Ohne die Nachricht des Tacitus. daß die Familiengenossen die
Heerhaufen bildeten, zu bemängeln, behauptet Wilda, es habe eine
Einteilung des Heeres stattgefunden, bei der „die Zahl hundert
(120) die Einheit bildete“. Durch diese regelmäßige Einteilung
»ei der Familienzusammenhang, das familienweise Wohnen keines-
wegs aufgehoben worden; die Heeresgliederung habe lediglich
versucht, „der Familien- und Stammeseinteilung eine gewisse
Gleichmäßigkeit zu geben“. Mit der Zeit habe sie sich .mit dem
Boden vertestet“, dann aber habe Hundertschaft nur einen Landes-
bezirk bedeutet, wie auch Gau oder Mark, „indem die Zahl-
bexeichnung darin verloren gegangen ist“. Solche Hundertschaften
nimmt Wilda für alle germanischen Stämme an.
Die Heranziehung der taciteischen Nachricht über die Bildung
der turmae und cunei aus den familiae et propinquitates bedeutet
gegenüber Eichhorn ebenso einen Fortschritt in der Behandlung
des Hundertschaftsproblems wie an sich der Versuch, sie mit der
bisher angenommenen Einteilung nach Hunderten in Verbindung
zu bringen. Leider aber läßt Wilda über den sehr wesentlichen
Pnnkt im Unklaren, wie die Vereinigung der zahlenmäßigen Ein-
teilung und der genokratischen, wie man die nach Verwand-
schaften durchgeführte nennen kann, zu denken ist. Wie konnte
die Zahleneinteilung der familienweisen Gliederung eine „gewisse
Gleichmäßigkeit“ geben, ohne sie gleichzeitig aufzuheben oder
doch stark zu beeinträchtigen? Welches Teilungsprinzip war im
Kontliktsfal! das stärkere? Das sind Fragen, die auf der Hand
liegen, und Wilda hätte wenigstens den Versuch machen müssen,
sie auch zu lösen. Immerhin bleibt es sein Verdienst, die zwei
verschiedenen Prinzipien für die Einteilung von Volk, Heer und
Lind hervorgehoben zu haben. Was Wilda weiter von Eichhorn
scheidet, ist seine Stellungnahme gegenüber dessen Auffassung von
der Ursprünglichkeit der Markgenossenschaften. Diese lehnt er
rundweg ab. mit der soziologischen Motivierung, daß „die auf
Örtlichkeit begründete Gemeinschaft in der Geschichte überhaupt
als das Jüngere angesehen werden muß“;1) ein Gesetz, das, wenn
man von kolonisatorischen Ereignissen absieht, auch zutrifft.
‘ ) a. a. 0, S. 124 ff.
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Anscheinend unabhängig von Wilda ist Eichhorn in der fast
gleichzeitig erschienenen 5. Auflage seines Werkes. Wir finden
da die wesentlichsten Züge der 1. Auflage wieder, aber immer
noch nicht geklärt. „Als die Grundlage der ältesten Verfassungen,
erscheint in den frühesten Nachrichten wie in den späteren
Rechtsverhältnissen, die Vereinigung von Markgenossenschaften,
d. i. von einzelnen Gemeinden, welche durch den Anbau und
die gemeine Nutzung des Bodens verbunden waren, in größere
Volksgemeinden. Ein einzelnes Volk war eine solche größere
Gemeinde oder eine Vereinigung mehrerer solcher Gemeinden ; den
Landstrich der von einer solchen bewohnt wurde, nennt man am
passendsten einen Gau (pagus)')“. So erklärt Eichhorn die Land -
eintoilung in Gebieten, die vor der Besiedlung durch germanische
Stämme nicht in römischem Besitz waren. Daß Eichhorn hiermit
zwischen Stammesland und Eroberungsland unterscheidet ist sehr
bemerkenswert. Hierin liegt ein eminent fortschrittliches Moment,
das vielleicht von Eichhorn selbst nicht voll gewürdigt
worden ist. Jedenfalls haben ihm spätere Schriftsteller nicht die
Beachtung zukommen lassen, die es verdient. Wir werden im
Laufe der Darstellung sehen, daß gerade die Berücksichtigung
der vollkommen verschiedenen Verhältnisse im Stammesland und
im Eroberungsland für die Hundertschaftsfrage von großer Be-
deutung und eine wesentliche Voraussetzung für ihre Lösung ist.
Wo dann Eichhorn die Ansiedlung germanischer Volksstämme in
bis dahin römischen Provinzen, also im Erobemngsland behandelt,
meint er. daß die Bestimmung der den Einzelnen zugeteilten
Gegenden, .nach den militärischen Abteilungen“ erfolgte .in welche
das Volk als Heer geordnet war“ und davon scheint ihm .nament-
lich bei den Franken die Einteilung des Landes in Centenen und
Dekanien herzurühren, die in der späteren Zeit vorkommt s).u Bei
den Franken. Baiern und Alamannen sollen centenarius und decanus
.Beamte eines Distrikts“ sein .dessen Umfang, wenn man jenen
Ursprung der Benennungen für wahr hält (! !), zuerst durch eine
militärische Abteilung bestimmt worden wäre, welcher er bei der
Landesteilung angewiesen wurde.“ Doch scheint dieses Ergebnis
Eichhorn selbst nicht voll befriedigt zu haben. Denn er bemerkt
■) 5. Aull. I S. 56. a. a. 0. S. 151 f.
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0
sofort, daß (’entenen und Dekanien auch in Gegenden Vorkommen
.wo man sie schwerlich von einer Landesteilung nach militärischen
Volksaht ei lungen ableiten kann“ und kommt Aber diese Tatsache
mit der Annahme hinweg, daß die Ausdrücke Centenarien und
Itecane. nachdem sie einmal Bezeichnung für eine bestimmte Art
von Obrigkeit geworden waren, übertragen wurden auf „Beamte
von gleicher oder ähnlicher Bedeutung auch in Distrikten ....
deren l’mfang sich auf andere Veranlassungen gründete1).“ Trotz
einer gegenüber der ersten Auflage ziemlich erheblichen Weiter-
bildung durchzieht die Darstellung Eichhorns doch eine gewisse
Unsicherheit, hervorgerufen durch die für die folgende Forschung
bedeutsame Stellung von Fragen ohne Beifügung der Lösung. Zu
allem Überfluß bringt Eichhorn auch noch das Institut der
Gesamtbürgsehaften mit der politischen Gliederung des Volkes in
Verbindung*). Wie sich Eichhorn nunmehr zu der gerade von
ihm angeschnittenen Frage der Beziehungen zwischen Hundertschaft
und Markgenossenschaft verhält, tritt nicht deutlich hervor. Eint“
gelegentliche Bemerkung, daß „ganze Hunderten, ja wohl die
Gemeinden ganzer Gaue zur gleichen Markgenossenschaft gehören
konnten“, läßt schließen, daß er seine Ansicht in diesem Punkte
geändert hat3).
In Waitz4) ist Eichhorn ein entschiedener Gegner entstanden.
Ihm ist es unwahrscheinlich „daß bei den Eroberungen der
Deutschen, da das Land ausgeteilt wurde, einzelnen Abteilungen
des Heeres einzelne Distrikte angewiesen wurden und daher diese
den Namen empfingen, den jene führten.“ Er behauptet, die
Einteilung nach Hundertschaften und Tausendschaften sei eine
Einteilung des Volkes, nicht eine solche des Heeres gewesen. Die
Einteilung des Heeres in numerisch bestimmte Abteilungen setze
„eine gleiche des Volkes voraus, die des Volks muß mit der des Landes
identisch sein.“ Dieser Standpunkt ist von dem Eichhorns insofern
verschieden, als es in der Tat nicht gleichgültig ist. ob das Volk
*) cbd. S. 152 Anm. c.
*) cbd. S. 83 IT. Als reine Bürgsehaftsvcrbände scheint Sa vigny, (Sc-
x-hiebte des röm. Hechts 1 I, S. 227 uml S. 277 die angelsächsischen, viel-
leicht auch die kontinentalen Hundertschaftsverbändc aufzulassen.
*) ebd. S. 429.
*) G. Waitz, deutsche Verfassnngsgcschichto (1844), 8. 32 ff. insbes. 35 ff.
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10
pingeteilt wird und hierauf die Gliederung des Heeres beruht,
oder ob diese unabhängig von einer etwaigen Volksteilung durch-
gefflhrt ist. Waitz stellt aber gleichzeitig die Behauptung auf.
daß Volk und Heer in der Zeit der Wanderung vollständig
dasselbe sind und gibt zu. daß die Volkseinteilung wenigstens
„unmittelbar mit der des Heeres gegeben war.“ Damit begibt
er sich der Möglichkeit, aus seiner Theorie irgend welche von
früheren abweichende Konsequenzen zu ziehen, und seine Kontroverse
mit Eichhorn läuft auf einen bloßen Worstreit hinaus. Beim
Lichte betrachtet ist das. was Waitz vorträgt, nichts Anderes als
die Ansicht Eichhorns, nur in einem anderen Gewand. Wohl in
Erkenntnis dieses Umstandes hat auch die spätere Literatur seiner
Unterscheidung im allgemeinen keine besondere Beachtung ange-
deihen lassen ').
Keine Förderung der Lehre war von Sachsse zu erwarten und
er hat sie auch nicht gebracht. Eine ganz „mythisch“ anmutende
Einteilung des Landes in vier Teile nach den vier Himmels-
richtungen hatte er schon in einer kurzen Vorarbeit vertreten*).
In seinen Grundlagen*) wiederholte er sie und darauf gestützt hat
er dann, vielleicht angeregt durch Velsehow*). die Hundertschaft
als ein Gebiet bezeichnet, das hundert Krieger stellte, zugleich
als einen Komplex von hundert Teilen Landes, deren jeder einer
Familie (!) zugewiesen war*). Ob es aber denkbar ist. daß in
germanischer Zeit jede Familie nur einen Krieger stellte, diese
unabweisbare Konsequenz dieser Ansicht kümmert Sachsse nicht.
Überhaupt ist seine Darstellung ein Zerrbild der Eiehhorn’schcn
und Wilda'schen Theorien, das durch die unverstandene Heran-
ziehung skandinavischen Rechts noch verschlechtert ist.
■) In „«las alte Recht der sali sehen Franken“ (1846) bringt Waitz
nichts Neues. Bemerkenswert ist nur. daß er S. 137 Anin. I und Text ganz
entschieden die Entstehung der Hundertschaften aus Dorf- oder Markgenossen-
schaften ablehnt.
*) Oben S. 4 Note *) erwähnt. Man vgl. insbesondere S. 8 f. mit den
Anmerkungen.
*) C. R. Sachsse, Historische Grundlagen des deutschen Staats- und
Rechts-Lehens CI 844) S. 148 ff.
*) J. M. Velsehow, Commentatiu do institutis militaribus Danorum
{Hafniae 1831).
*) Vgl. die Note 2 erwähnte Schrift 8. 10.
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11
Soweit war «las Hundertschaftsproblem in beinahe fünfzig-
jähriger Forschung ausgebildet. als IC. Maurer die bestehenden
Ansichten zusammenstellte und einer kritischen Würdigung unter-
zog '). Das Resultat war. wenn wir es mit dem Eichhorns ver-
gleichen, teils zustimmend. teils ablehnend. Mit einer Entschiedenheit,
die bis dahin nur Strinnholm erreicht hatte, stellt Maurer den
Zusamenhang mit militärischen Einrichtungen fest. Er sieht
in der Hundertschaft den Bezirk, den die hundert im Heere
zusammenstehenden Miinner gemeinsam in Besitz nahmen. Dagegen
tritt Maurer als (legner Eichhorns auf in der Frage nach dem
Zusammenhang zwischen Markgenossenschaft und Hundertschaft’).
Die schon von Strinnholm und Wilda behandelte Frage, wie man
sich die Umwandlung des ursprünglich persönlichen Heeresverbandes
in einen politischen und territorialen Bezirk zu denken habe, hat
Maurer deutlich und anschaulich folgendermallen erörtert: „Beim
Übergang nun zu festen Wohnsitzen mußten die bisherigen
persönlichen Abteilungen des Volkes der territorialen Einteilung
des Landes zu Grunde gelegt werden . . . Ist aber einmal die
persönliche Abteilung zur territorialen geworden, so muH
sehr bald das Bestreben, für die Organisation des Staates
eine festere und minder Wechsel volle Grundlage zu gewinnen, als
welche bei deren Begründung auf die fortwährendem Schwanken
unterworfene Personenzahl erreicht werden kann, zu völligem
Verschwinden der alten persönlichen Bedeutung der Hundertschaft
führen; wie in Sachsen und Friesland der territoriale Ausdruck
Gau die persönliche Bezeichnung der Hundertschaft verdrängte, so
wird im Norden umgekehrt das Wort heradh allmählich zur völlig
untechnischen Bezeichnung eines jeden größeren oder kleineren
Landesteils“.
Die Ausführungen Maurers bedeuten in der Entwicklungs-
geschichte des Hundertschaftsproblems einen Markstein. Maurers
Stellungnahme zu den beiden Eichhom'schen Postulaten, der
Verbindung von Hundertschaft und Heeresverfassung einerseits.
*) Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissen-
schaft I (1853), 8. 73 ff. bes. 77 ff. In diesem Aufsatz ist eine reiche ältere
Literatur zitiert, auf die hiermit verwiesen sei.
*) a. a. O. S. t>3.
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12
Hundertschaft und Markgenossenschaft andererseits ist für die
folgenden Forscher, soweit sie nicht überhaupt gänzlich verschiedene
Wege eingeschlagen haben, vorbildlich geworden, die Kichhom-
Maurer'sche Theorie gewann die Oberhand und wurde von Neueren
zum Teil ohne jede Kritik und ohne richtiges Verständnis über-
nommen; das mangelnde Verständnis zeigt sich vor allem in der
Verquickung mit anderen, heterogenen Anschauungen. Neue Ge-
danken wurden dabei kaum je ausgesprochen und dies rechtfertigt
es, die Literatur der nächsten Jahrzehnte nur kurz zu berühren.
Eine etwas ausführlichere Darstellung verdanken wir Landau1),
der insbesondere dem Grunde für die Einteilung des Heeres nach
dem Dezimalsystem nachforscht. Auch Gemeiner* **)) geht auf die
dem Problem anhaftenden Fragen wenigstens teilweise ein und
beschäftigt sich eingehender mit der Überleitung der persönlichen
Verbände in Bezirke. Vorzüglich ist die Darstellung von Munch *).
Unter den autlerordentlich zahlreichen Anhängern, die Maurer
außerdem gefunden hat. nenne ich ferner Thudiohum4). Larsen5).
Kiipke6), Bethmann-Hollweg7), Stemann8), Steenstrup9). Arnold1“).
Stubbs11), Walter1*), G. I,. Maurer1*) in deren Werken noch viele
Andere angeführt sind. Geklärt haben diese Schriftsteller Maurers
*) ß. Landau, die Territorien in Bezug auf ihre Bildung und ihre
Entwicklung (1854) 8. 191 ft. pass. S. 223 f.
*) A. Gemeiner, die Verfassung der Ccntenen und des fränkischen
Königthums (1855), 8. 52 f., 96 ff., S. lOf.
’) P. A. Munch, Dot norske Folks Historie I (1852), 8. 93 ff.
4) F. Thudirhum, die Gau- und Markverfassung. (18GO). 8. 32 f.
s) T. Larsen, Samlede Skrifter I, S. 256. Auch unter dem Titel Fore-
lirsninger over den danske Retshistorie, S. 19.
“) R. Köpke, Die Anfänge des Königtums bei den Gothen (1859), S. 35.
7) Bethmann-Hollweg, Germanisch -romanischer CivilprozeB (1868)
1, S. 76 f. : ders. Über die Germanen vor der Völkerwanderung (1850),
8. 25, 30 f.
8) Stemann, Den danske Retshistorie (1871), S. 65 ff.
*) Steenstrup, Studier over kong Valdemars Jordbng (1873), S. 18
,0) Arnold, deutsche Geschichte I (1879), S. 312 —326; II, 8. 186.
“) Stubbs, The constitutional History of 'England (1875) 1, S. 96;
eine neuere Auflage dieses Werkes war mir nicht zugänglich.
**) F. Walter, deutsche Reehtsgeschiclitc 9 (1857), S. 16.
IS) G. L. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark . Hof-, Dorf-
uud Stadt-Verfassung (1854), 8.59.
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13
Ansicht nicht; vielmehr ist allmählich wieder ein buntes Durch-
einander verschiedenartigster Variationen einer und derselben
Grundmeinung entstanden. Die Ansichten waren ziemlich ver-
schwommen. als H. Brunner im ersten Bande seiner Rechtsgeschichte
die Lösung des Problems wiederum in die Hand nahm und, wenn
auch kein einwandfreies Resultat, so doch ein klares Bild schuf.
Ihm verdankt, wie schon R. Schröder hervorgehoben hat1) ilie
Wissenschaft die endgiltige Festlegung der Erkenntnis, da LI jeden-
falls die Hundertschaft ursprünglich ein persönlicher Verband
war und erst nach der germanischen Zeit landschaftliche Bedeutung
erlangte. Aber der Boden auf dem Brunner steht, ist kein anderer
als der. den Eichhorn und Maurer geebnet haben, es ist die
Heeresverfassung. „Die Hundertschaft,“ sagt Brunner, „ist ursprüng-
lich als eine Abteilung von hundert Heermännern zu denken.
Solange sie ihre praktische Bedeutung behielt, konnte eine Lokali-
sierung, ein Verwachsen der Hundertschaft mit Grund und Boden
nicht eintreten, weil die Einteilung mit Rücksicht auf ihre
militärischen Zwecke von Zeit zu Zeit erneuert werden mulite.
Man wird dabei nicht genau hundert oder hundertzwanzig Mann
(ein Grollhundert) abgezahlt haben, weil es bei der Bildung
der Heeresabteilungen darauf ankam, die Geschlechtsverbände
nicht zu zerreißen. Da Heer und Volk im germanischen Staat
begrifflich zusammenfielen, wurde die Gliederung in Hundert-
schaften auch während des Friedens beibehalten und als Grundlage
für die Regelung des Gerichtsdienstes verwertet . . . die Hundert-
schaft ist nach alledem für die Zeit des Tacitus als Heer- und
Dingverband aufzufassen, dessen Vorsteher vielleicht damals schon
bei einigen Stämmen Huuno hieß. Als Dingverband bildete die
Hundertschaft nicht einen räumlich abgeschlossenen Gerichtsbezirk,
sondern nur einen persönlichen Verband“*).
Erst in der fränkischen Zeit nimmt Brunner eine Umwandlung
der bis dahin rein persönlichen Verbände in Verwaltungsbezirke,
also landschaftliche Abteilungen, an und findet solche bei den
Franken und Alamannen. Dagegen leugnet er sie. wie gleich hier
*) fi. Schroedcr, R.-0. 5, S. 19 Anni. 13.
*) K.-U. I>, S. 1 16 IT., bes. 1 18.
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14
hervorgehoben sein mag, für die übrigen Stämme, die Langobarden.
Sachsen, Friesen und Baiern ').
Brunner ist mit seiner Ansicht so wenig allein geblieben,
wie Eichhorn und Maurer. Sofort ist seiner Anschauung K. Schröder
ausdrücklich beigetreten*), nachdem er sie schon unabhängig
von Brunner in seiner mit dessen Werk gleichzeitig erschienenen
Rechtsgeschichte ausgesprochen hatte. Brunner hat seine Auflassung
auch in der neuen Auflage seiner Rechtsgeschichte beibehalten*).
Von den Forschern die sich ihm im Prinzip wenigstens ange-
schlossen haben, hebe ich hervor Heuslcr*), Schmier4), Cramer11),
Taranger '). Bugge*). Maurer9).
Obwohl auch zurzeit noch andere Theorien vertreten werden,
auf die ich im Folgenden noch eingchen werde, so ist doch die
bisher behandelte die herrschende geworden. Sie ist dies ungeachtet
einiger Abweichungen, die sich bei diesem oder jenem ihrer Vertreter
finden, so sehr, daß sie seit langem nicht mehr kritisch beleuchtet
worden ist. Eine solche kritische Würdigung soll nunmehr ver-
sucht werden.
Wie aus dem Gesagten genügend ersichtlich ist und nur
einer geschlossenen Darstellung zuliebe hier noch einmal hervor-
gehoben wird, geht die herrschende Theorie von der als feststehend
betrachteten Tatsache aus, daß das germanische Volk auf der
Wanderung in der vortaciteischen Zeit in Hundertschaften d. h.
') vgl. auch II, S. 140.
J) ln »einer Besprechung den llruniierschcn Werkes in der Historischen
Zeitschrift (io, S. 305.
3) R.-G. I J, S. 59 IT. Vgl. auch firundziige, S. 13 u. IU.
4) Deutsche Verfassungsgeschichte (1905), S. 12 f.
4) Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der böhmischen Sagen-
zeit (1902), S. 54, G9 f.
°) Die Geschichte der Alamannen als Gaugcschiclite (in Ginrke’s Unter-
suchungen ltd. 57). S. 34. fit* fT. Vgl. dazu WcrmingholT in Z. R.H.* XX,
S. 283 f. und dagegen Urinier cbd. XXI, S. 233. Kerner Cramer, die Yer-
fiissungsgeschichto der Germanen und Kelten (1901!) S. 52.
’) Udsigt nver den norske ltets Historie II (1004) S. 42.
") Vesterlandenens Indtlydelse paa Nordboernes og sierlig Nnrdmsen-
ilencs ydre Kultur, I.evesiet og Samfuudsfnrhold i Vikingetiden 1905, S. 15 I.
*) Vorlesungen I, 1. S. 40.
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15
in Abteilungen von ungefähr hundert Mann gegliedert war'). Sie
nimmt also ihren Ausgangspunkt von der Heeresverfassung und
man kann sie daher passend als „Heerestheorie“ bezeichnen.
Aus eben diesem kausalen Verhältnis zwischen politischer
und militärischer Hundertschaft folgt aber mit zwingender Not-
wendigkeit, daß die Heerestheorie nur dann Anspruch auf Richtigkeit
machen kann, wenn in der Tat die germanischen Wanderungs-
völker in die vorausgesetzten numerischen Abteilungen gegliedert
waren. Daß sich dies so verhält, ist, soviel ich sehe, unbestritten*)
und wird von den Vertretern der Heerestheorie durchweg ange-
genominen, sodaß ein Zweifel daran zunächst wenig berechtigt
erscheint. Er ist es aber doch sehr, wenn inan bedenkt, daß
gerade diese wichtigste Frage noch nie einer eingehenden und
sachentspreehenden Prüfung unterzogen, sondern von jedem Autor
nur von seinen Vorgängern übernommen wurde.
Fragen wir Brunner, der in seiner Rechtsgeschichte auch die
Heeresverfassung der Germanen behandelt, über deren Gestaltung,
so finden wir den einen Satz: „Uralt, vermutlich auf arischer
Sitte erwachsen ist die Einteilung des Heeres in Tausendschaften
und Hundertschaften“*). Das ist alles, was er zu dieser Frage
Itemerkt, unvordenkliche Zeit und arisches Erbteil*). Andere
Schriftsteller, wie Schröder4) und Lamprecht®), begnügen sich da-
■) Ob nur für die Zeit vor der Seßhaftmachung oder auch die Zeit,
«ährend deren größere Wanderungen nicht erfolgten, von den einzelnen
Autoren ein in Hundertschaften gegliedertes Heer angenommen wird, kommt
nur selten deutlich zum Ausdruck. Infolgedessen müssen auch bei dieser
Darstellung die beiden Perioden im wesentlichen als eine behandelt werden.
*) Sickel, Freistaat, 8. 87 hat sich ohne Krfolg gegen diese Auffassung
gewendet. Das mag daher rühren, daß seine eigene Meinung, cs sei eine
Teilung der Bürgerschaft, nicht des Heeres, vorgenommen werden, nicht
wesentlich Bessere« bietet.
s) H.-fi. I s, S. 181. Vgl. K. Müllonhoff, Deutsche Altcrkumskundc
IV. S. 177,
*) Auf eine vor der Seßhaftmachung vorgenommene Heeresgliedcrung
führt auch I, and au a. a. 0., 8.225 die Hundertschaften zurück. Fr ver-
mutet aber nicht arische Kintlüsse, sondern führt das Dccimalsvatem darauf
zurück, daß Zehn die Zahl ist. die von der Natur dem Menschen selbst an die
Hand gegeben ist.
») K.-G.4 S. 38.
•) Deutsche Geschichte I, 8. 133. Ferner Holtzmaun, Germanische
Altertümer, S. 1,86.
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IG
mit, die Existenz von Hundertschaften festzustellen, ohne nach
ihrer Herkunft zu fragen. Bei wieder anderen, wie z. B. Waitz1),
kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß die Hundertschaften eine
Einrichtung der germanischen Zeit seien und gerade in der ger-
manischen Zeit bestanden hätten. Wir haben es somit mit zwei
verschiedenen Annahmen über die Herkunft der zahlenmäßigen
Heeresgliederung zu tun, und hieraus ergibt sich der Plan für
die folgende Untersuchung. Es ist zunächst festzustellen, ob die
Quellen der germanischen Zeit Anhaltspunkte für eine Cente-
simalgliederung oder überhaupt eine zahlenmäßige Gliederung des
Heeres geben. Ist dies nicht der Fall, so muß weiter untersucht
werden, ob bei den Indogermanen eine solche Gliederung so
verbreitet war, daß ihr Vorhandensein auch bei den Germanen,
wenigstens der vortaeiteischen Zeit, anzunehmen ist oder doch an-
genommen werden kann.
Die Ansicht, daß die Germanen ihre Heere in Hundertschaften
(Tausendschaften, Zehntsehaften) teilten, wird nicht nur von Hechts-
historikern, sondern auch mit ziemlicher Übereinstimmung von
den Militärhistorikern vertreten. Unter diesen steht obenan
v. Peueker. Nach seiner Meinung sind die Gaue politisch und
militärisch in besondere Kreise geteilt, welche nicht an die zu-
fällige Ausdehnung gemeinschaftlicher Ansiedlungen in Gemeinden
und Markgenossenschafren gebunden waren, sondern regelmäßig
soviel Höfe umfaßten, daß hundert Krieger davon ins Feld ge-
stellt werden konnten, und welche daher .Hundertschaften“ (....;
genannt wurden*)“. An anderer Stelle fügt er dann hinzu: „Es
ging aus dieser ganz im Kriegsinteresse getroffenen Einrichtung,
welche eine leichte Übersicht des waffenfähigen Teiles der Be-
völkerung gewährte, zugleich von selbst eine regelmäßige Gliederung
des Heeres in Haufen von hundert Kriegern hervor“*). Die
zahlenmäßige Heeresgliederung wäre demnach eine Einrichtung
der germanischen Zeit, der Zeit nach der Ansiedlung und würde
auf einer gerade in militärischem Interesse vorgenommenen Ein-
teilung des Landes beruhen. Ohne zunächst auf eine Prüfung
dieser Ansicht einzugehen, bemerke ich, daß v. Peueker damit ein
‘) V.-O. 1 3. 8. 407 mit 21 ff.
*) v. Peueker, das deutsche Kriegswesen der Urzeiten (18(10)1.8.39
3) cbd. II, 8. 32.
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neues Rätsel aufgibt. Man wird mit Recht fragen, woher denn
der Gedanke gekommen sei, das Heer in Hundertschaften zu
teilen und danach das Land einzurichten. Für entwickelter
denkende Völker mag das nahe liegen, aber bei der den Germanen
der taciteischen Zeit eigenen Kulturstufe ist das unwahrscheinlich.
Man darf nicht übersehen, daß es sich bei v. Peucker nicht nur
um eine zahlenmäßige Gliederung bestehender Truppen, sondern
um ein Aushebungssystem handelt, also ein ziemlich weit fortge-
schrittenes Institut1). Übrigens hatte schon Barthold ähnliche
Ansichten ausgesprochen*).
v. Peucker’s Anschauung ist auch in die spätere kriegs-
wissenschaftliche Literatur ohne Kritik übernommen worden, offen-
bar in Verkennung des darin enthaltenen Problems. So sagt z. B.
Jahns, daß sich innerhalb des Keiles „die Mannschaft nach
Familien und Geschlechtern ordnete und diese zu Hundertschaften
zusammengefaßt worden seien’).“ Delbrück geht sogar so weit zu
sagen, die Geschlechter würden Hundertschaften genannt, weil
man etwa hundert Familien oder (!) Krieger in ihnen zählte4).
Fragt man aber nach der Begründung für diese verschiedenen
Ansichten, so zeigt sich da eine ebensogroße, wie auffallende
Lücke. Barthold beruft sich ganz allgemein auf Tacitus, v. Peucker
zieht auch Caesar noch mit heran; gelegentlich wird Maurikios
benutzt. Das sind nun allerdings die Hauptquellen für die Er-
kenntnis germanischer Kriegsverfassung. Aber es fragt sich, ob
bei ihnen Anhaltspunkte für die Richtigkeit dessen zu finden sind,
was sie uns nach Meinung der genannten Schriftsteller beweisen
sollen.
Caesar berichtet de bell. Gail. I, 51 vom Heere des Ariovist:
„Tum demum necessario Germuni suas copias castris eduxerunt
■) Man beachte den wesentlichen Unterschied zwischen dieser und der
Ansicht Brunner's. Dort eine künstliche Einteilung, nach der Seßhaft-
machung durch Gemeinden und Markgenossenschaften hindurch entstanden,
hier Reste altarisrher Einrichtungen.
*) F. W. II arthold, Geschichte der Kriegsverfassung und des Kriegs-
wesens der Deutschen (1855) I, S. 36.
*) M. Jähns, Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens (1880) I,
S 439 ff.
*) H. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst II, S. 26.
f Scb w e r i n. allgerm. Hundertschaft -
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generatimque constitnerunt paribus intervallis Harudes Marco-
mannos, Triboccos, Vangiones, Nemetes, Sedusios, Suevos . . . .*')
Diese Stelle besagt mit Deutliekeit nur, daß zwischen den einzelnen
Völkern gleiche Zwischenräume waren und daß die Völker selbst
sich zusammen aufstellten, sodaß kein Teil der Schlachtordnung
aus Angehörigen verschiedener Völker bestanden hat. Es ist. wie
Brunner J) zutreffend bemerkt, eine „Gruppierung des Heeres nach
Völkerschaften“ dnrchgeführt. Nur eine Hypothese ist es, wenn
v. Sybel3) und nach ihm Holtzmann4) annehmen, daß nun auch
innerhalb der Völkerschaften gleich große Abteilungen gebildet
und diese in gleichen Abständen aufgestellt worden seien, „weil
sonst bei gleichem Zwischenraum die Heerhaufen selbst zu un-
gleich geworden wären, da nicht alle Völker in gleich großer
Zahl vertreten waren*. Diese Begründung mag dann am Platze
sein, wenn zunächst einmal feststeht, daß die germanische Schlacht-
ordnung ähnlich der römischen aufgestellt war, sodaß gleich
große Kolonnen neben einander standen, wenn, mit anderen
Worten, eine Aufstellung prorrecto agmine als germanische Übung
feststeht. In diesem Falle würde es allerdings überraschen, wenn
Kolonnen verschiedener Größe in einer Linie gestanden hätten, da
nicht nur die Durchschlagskraft sondern auch die Widerstands-
fähigkeit an den einzelnen Punkten der acies eine verschiedene
gewesen wäre. Da es sich aber überhaupt erst darum handelt,
wie die Germanen ihre Heere aufstellten, muß ein Argument,
das von einer bestimmten Art der Aufstellung ausgeht, eine
petitio principii in sich schließen und schon aus diesem Grunde
abgelehnt werden. Abgesehen hiervon aber dürfen wir schon des-
halb nicht von einer acies prorrecto agmine ausgehen, weil die
Aufstellung bei den Germanen in aller Regel gerade nicht
prorrecto agmine erfolgte. Ausdrücklich sagt uns Tacitus,
Hist. V, l(i: „Civilis haud prorrecto agmine, sed cnneis adstitit“ *).
') Hrsg, von B. Kubier (Tcubner) S. 35.
») It.-G. I’, S. 182, Amn. 12.
3) Entstehung des deutschen Kilnigstums ', S. IG.
4) A. Holtzmann, Gennanische Altertümer, hrsg. v. A. Holder, S. 165.
Vgl. auch A. Baumstark, l'rdcntscho Staatsaltert inner zur schützenden
Erläuterung der Germania des Tacitus (1873), S. 275 f.
s) Hrsg. r. C. Hahn (Teubner) II, S. 212.
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1!)
Bei einer solchen Keilaufstellung nun läßt sich „gen erat im“ mit
.paria intervalla" ganz gut vereinigen. Datl sich die Truppen
ireneratim aufstellten, heiLlt nichts anderes, als daß die Geschlechter
sich zusammenstellten. Dies allein mußte dazu führen, daß die
Völkerschaften als solche sich mit einander aufstellten, und nach-
dem dies geschehen war, wurden diese Völkerschaften mit gleichen
Zwischenräumen 'angeordnet. Sucht man dies mit der Keilauf-
stellung in Einklang zu bringen, so kann man sich die Sache
nur so denken, daß in unserem Falle die Harudes die Spitze
bildeten, dann kam ein intervallum, dann folgten die Marco-
manni u. s. f. unter ständiger Verbreiterung der Linie; die Suevi
würden dann die Basis des Keils bilden. Die praktische Kon-
sequenz beim Angriff wäre dann die, daß die Völker sich auf-
schließen müßten. Das ließe sich denken. Nicht aber kann man
sich die intervalla als Gassen in der Längsrichtung des Keils vor-
stellen. Denn diese Fonnation hätte beim Angriff eine sofortige
Zersplitterung des Keils und das Eindringen des Feindes in diese
Gassen zur Folge. Mit Baumstark anzunehmen, daß jede Völker-
schaft je nach ihrer Größe mehrere Keile gebildet habe und dann
noch zwischen den einzelnen Völkerschaften paria intervalla ein-
gehalten worden seien, halte ich für unmöglich. Eine so zer-
rissene Schlachtordnung hätten die Germanen, deren Hauptkraft,
in einem wuchtigen Angriff lag, nicht brauchen können. Auch
ist eine so geteilte Aufstellung viel zu künstlich. Und man darf
nie übersehen, daß das Heersystem der germanischen Zeit von
einem modernen, aber auch vom römischen aus allgemein kulturellen
Gründen weit entfernt sein mußte und weder mit modernem Maß-
stab gemessen, noch in eine ihm nicht passende Schablone ge-
zwängt werden darf. Es ist der Grundfehler aller derer, die sich
über germanisches Kriegswesen verbreitet haben, daß sie in Ver-
kennung der Kulturstufen immer nur künstliche und nie natür-
liche Verhältnisse ansetzen *).
Mag aber auch die Aufstellung des Heeres des Ariovist im
Einzelnen so oder so gewesen sein, so läßt sich doch mit aller
Bestimmtheit behaupten, daß wir an dieser Stelle nicht die Spur
von Hundertschaften oder überhaupt einer zahlenmäßigen Gliederung
') Eine seltene Ausnahme ist Baumstark a. a. O., S. 243 ff.
2*
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20
des germanischen Heeres erkennen können. Auch bei Taeitns
finden wir immer nur den Keil und das genokratische Prinzip
erwähnt. So z. Bsp. in folgenden Stellen: Germ. eap. 6: acies
per cuneos eomponitur; cap. 7 : . . . non casus nec fortuita conglo-
batio turmam aut cuneum facit, sed familiae et propinquitates ') ,
Hist. IV, 16: ( ’anninefates, Frisios, Batavos propriis cuneis componit
und Hist. IV, 23: Batavi Transrhenanique, quo discreta virtus
manifestius spectaretur, sibi quaeque gens consistunt. Äußerst
interessant ist endlich eine Stelle bei dem bekannten Militär-
schrift.steiler Maurikios •) XI, 4: „Tduovrat 5s iv tat« payz t; — . oö
|XETp<u Tivi tu p - jx s v co xal tdEst j) iv jxotpai; rt iv (xspeotv i\\v.
xxtä xsl rj xp 5; dXXrjXouc aoTjtvsia te xjX.“ Hier ersehen wir
es aus den hervorgehobenen Worten, die Möllenhoff bei seinem
Citat *) bezeichnenderweise ausgelassen hat, ausdrücklich, daß
den Germanen eine Aufstellung in bestimmt abgezählten Gruppen
vollkommen fremd war.
Dem entspricht es sehr genau, daß nirgends von den Ger-
manen berichtet wird, sie hätten eine zahlenmäßige Heeresgliedernng
gehabt. Anzunehmen, daß sie trotzdem bestanden hat, ist aus-
geschlossen. Gerade Cäsar, der nicht nur von seinem Heere eine
fein differenzierte taktische Gliederung gewohnt war, sondern auch
als Feldherr alles Interesse daran hatte, die Heeresverfassung der
Germanen auf das Genaueste kennen zu lernen, hätte davon
sicher erfahren und dann auch berichtet. Diese Erwägung ver-
möchte sogar ein reines arg. e. silentio zu stützen. In der Tat
aber haben wir es nicht einmal mit einem solchen zu tun;
sondern die Quellen berichten uns, wie die oben angeführten
Stellen zeigen, ausdrücklich, daß die Germanen sich nach Ge-
schlechtern ordneten4). Diesen positiven Aufstellungen gegenüber
immer wieder zu behaupten, daß sie sich nach einem numerischen
Prinzip ordneten, ist ein unverständliches Beginnen.
') Im ersten Band der angeführten Ausgabe.
*) Mttjptxfou aTpoTTjTixiv hrsg. von J. Scheileriis. Upsala KiG4, S. 269.
Vgl. K . Krnnibachcr, Geschichte der byzantinischen Literatur s (1897), S. 635 f.
3) 1). A. IV, 8. 202.
*) Dafür, dal! es sowohl germanische als gallische Übung war, die
Vollcsstfiimnc bei der Aufstellung der Schlachtreihe nicht zu zerreißen, finden
wir zahlreiche Quellenbelege. I*ie Stellen sind bei Boltzmann a. a. ()., S. 165
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21
Dies mag wohl auch Anderen so geschienen haben und daher
rühren die Versuche genokratisches und numerisches Einteilungs-
prinzip zu verbinden. Aber bei genauerer Betrachtung kann man
sich nicht damit helfen, daß man wie z. B. Brunner1) „die Ord-
nung durch die Bande der Sippe“ erst innerhalb der einzelnen
numerisch bestimmten) Heeresabteilungen anniinrat. Damit wären
allerdings beide Prinzipien untergebracht. Aber es entsteht oder
bleibt erst recht die Frage, ob auch nur in dieser Weise die
beiden Prinzipien neben einander bestehen können. Sie ist schon
früher wiederholt gestellt, aber in neuerer Zeit, so auch von
Brunner, wieder übergangen worden. Auch sie bedarf deshalb
einer näheren Beleuchtung.
Wenn die Annahme einer Centesimalgliederung überhaupt
einen Boden haben soll, dann muß man daran festhalten, daß
irgend einmal das gesamte waffenfähige Volk in Abteilungen von
hundert gegliedert wurde. Da nun nach einem allgemeinen Ge-
setz alle Völker von Haus aus bis zu einer gewaltsamen Änderung
nach gleichviel wie gestalteten Verwandtschaften und Sippen ge-
gliedert sind, so muß es einmal einen Zeitpunkt gegeben haben,
in dem eine künstliche numerische Gliederung die natürliche nach
Familien und Stämmen durchschnitt. Wie mußte oder konnte
sich nun das althergebrachte Prinzip gegenüber der Neuerung
verhalten? Diese Frage liegt auf der Hand. Ihrer Natur nach
mußten sich die beiden Prinzipien widersprechen, da, wie schon
wiederholt hervorgehoben, nicht jede, vielleicht keine Sippe, genau
hundert oder auch nur ungefähr hundert Waffenfähige enthielt.
Daß nun etwa das genokratische Prinzip dem numerischen das
Feld räumte, wäre möglich gewesen, ist aber schon um deswillen
angeführt. Das Prinzip ist ein indogermanisches und findet sich bezeich-
nenderweise mit der gleichen Begründung, die Tacitus Germ. c. 6 angibt
schon Ilias II, 362
xptv dr/Spa; xrrd xsrri 'ppf( rpxc, 'Ayajuprrov,
«>; 5ppf(Tpr( «ppfjTprflpiv tpök» ^pdXotc.
Vgl. dazu noch Leist, Altarisches Jus civile II, S. 194. Schräder, Keal-
leiicon der indogermanischen Altertumskunde (1901) s. v. Heer, wo aber
rine Kombination von gcnokrutischcr und zahlcnmälliger Gliederung ange-
nommen ist.
') R.-G. 1 1 S. 183.
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nicht anzunehmen, weil wir es zu aller Zeit in Anwendung ge-
bracht sehen, und es ist auch noch kein Schriftsteller darauf ver-
fallen, eine solche Kapitulation des natürlichen Prinzips zu be-
haupten. Somit bleibt nur die einzige Möglichkeit, daß die
beiden Prinzipien ein Kompromiß abgeschlossen haben '). Nur
zeigt sich sofort, daß diese theorethisch anscheinend vorhandene
Möglichkeit nicht auch praktisch durchgeführt wurde. Einige
Schriftsteller haben sich die Sache so gedacht, daß „so lange als
möglich“ die Verwandtschaften zusammengenommen wurden. Man
hätte also einerseits nicht so sehr darauf gesehen, daß gerade
hundert Krieger sich in jeder Abteilung befanden, es mochten
bald etwas mehr, bald etwas weniger sein: man hätte andererseits
Geschlechter auseinandergerissen, wenn sie die Hundertzahl zu
sehr überschritten, solche zusammengefügt, deren Bestand weit
unter hundert war2).
Auf diese Weise würden nicht genau gleich große Abteilungen
erzielt worden sein, aber es wäre immerhin ein gewisser Ausgleich
zustande gekommen. Die Teilung war aber, wenn man die da-
maligen Verhältnisse ins Auge faßt, durchaus nicht so leicht
durchzuführen. Es konnte sich in dieser Zeit nicht um Ein-
teilungen handeln, die nur in der Schlacht bestanden. Wenn
einmal geteilt wurde, dann galt diese Teilung für alle Zeit und
für alle Lebensbedürfnisse. Das Heer war das Volk, und die
Heeresabteilung war die Volksabteilung. Davon müssen wir in
dieser Zeit ausgehen. Eine solche durchgreifende Teilung aber
stellt einen bedeutenden Eingrift- in die Rechte der Sippe dar,
den nur der vornehmen konnte, der über alle Macht hatte. Oh
in urgermanischer Zeit ein solcher Machthaber vorhanden war,
erscheint mir sehr zweifelhaft. Und selbst angenommen es gab
einen Führer, der eine solche Teilung hätte durchsetzen können,
so ist damit noch lange nicht gesagt, wie er sie durchführen
sollte. Es ist eine notwendige Voraussetzung für die Richtigkeit
der von Waitz vertretenen Anschauung, daß sich die Teilung auch
') So sagt i, B. Waitz, (V.-G. I , S. 407): „Die Familien und Ver-
wandten standen im Heere verbunden. Auch die Einteilung nach Hunderten
bat eilte wesentliche llcdcutung für dasselbe“. Ähnlich äuilert sich Lam-
p recht, Deutsche Geschichte I, S. 133.
’) So meint Heusler, Verfassungsgcschichtc, S. 12.
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23
in einer nach damaligen Verhältnissen wahrscheinlichen Form
durchführen ließ. Und an dieser Form scheint es mir zu fehlen.
Auch vor der Einführung der numerischen Gliederung mußte
eine < »rdnung bestehen '). Wir wissen, daß sie auf verwandt-
schaftlichen Prinzipien beruhte. Alle Mitglieder einer Truppe
waren durch das nämliche Band der Verwandtschaft verbunden
und da entsteht die Frage, wo dieses Band hätte durchschnitten
werden sollen. Man konnte nicht etwa eine Abschichtung der
entfernteren Sippenglieder vornehmen, denn für diesen relativen
Begriff fehlte es an der Ausgangsperson. Man durfte aber auch
nicht dazu gelangen, daß man einen Stamm von dem des
Bruders des Stammvaters trennte; ein Ergebnis, das bei einem
objektiven Teilungsprinzip sehr leicht hätte eintreten können.
Es würde zu weit führen, die Konsequenzen einer solchen
Teilung an hypothetischen Beispielen aufzuzeigen. Die kurz an-
gedeuteten Bedenken lassen sich leicht zu solchen ausbilden und
es wird dann sehr klar, daß ein Kompromiß zwischen «lern
numerischen und dem genokratischen Teilungsprinzip nur theoretisch
angenommen werden kann. In der praktischen Durchführung
muß es scheitern.
Damit ist aber noch nicht gesagt, daß nicht von Fall zu
Fall zwischen einzelnen Abteilungen ein Ausgleich stattfand.
Wenn einmal in einer Schlacht eine kleine Sippe stark bedrängt
war und die nebenstehende, größere, Luft hatte, dann ist natürlich
diese jener zu Hilfe gekommen, und sind vielleicht auch Teile
der einen zur anderen übergetreten. Aber solche Teilungen und
Formationen gab dann der Augenblick, die Erkenntnis des im
gegenwärtigen Zeitpunkt Notwendigen oder Nützlichen. Für die
heutigen Anschauungen entsprechen solche momentane Anpassungen
weniger, als die vorbedachte, künstliche Einrichtung, der damaligen
Zeit aber mehr als diese.
Einen eigenartigen Versuch die Verbindung von numerischem
und genokratischem Prinzip auch praktisch verständlich zu
machen hat Gramer unternommen*). Er nimmt in der Organi-
') Vgl. Arnold, Deutsche Geschichte I, R. 312: aber auch 315 (!).
*) J. Gramer, Die Verfassungsgeschichte der Germanen und Kelten
(1906) S. 28 ff.
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satiun dos germanischen Heeres zwei „Phasen“ an, „die der
Nommlzahl und die der angesiedelten Geschlechter“. Vor der
Ansiedlung soll eine auf die Urzeit zurückgehende Einteilung
nach einem Zahlensystem bestanden haben. Nach der Ansiedlung
liege der taktischen Gliederung nicht mehr „die starre Zahl,
sondern die Entwicklung der angesiedelten Geschlechter im „Heer-
gau“ zugrunde“. Bei dieser Argumentation übersieht aber Cramer,
da LS das Zahlensystem die weitaus entwickeltere, die verwandt-
schaftliche Gliederung die natürliche ist. Wir müßten annehmen,
daß vor dem Zahlensystem eine genokratische Einteilung Geltung
gehabt hat. Unverständlich bleibt aber für alle Fälle, warum die
Germanen, nachdem sie einmal an eine numerische Heeresgliederung
gewohnt waren, diese plötzlich beseitigten und zu dem weniger
entwickelten Stadium zurückkehrten. Cramer scheint dies mit der
Ansiedlung in Verbindung bringen zu wollen. Aber wenn schon
auf der Wanderung eine numerische Gliederung möglich war,
dann mußte sie ja nach der Seßhaftmaclmng um so leichter sein.
Und daß die „Entwicklung der angesiedelten Geschlechter“ einen
Einfluß ausübte, kann ich mir deshalb nicht vorstellen, weil ja
doch die Geschlechter sich auch vor der Ansiedlung entwickelten.
Oder meint etwa Cramer, daß nur die Entwicklung nach der An-
siedlung imstande war, das Zahlenverhältnis zu zerstören?
Unverständlich in der Einrichtung ist die Hundertschafts-
gliederung unhaltbar im Laufe der "Zeit, Jedes Jahr, jeder Monat,
jeder Tag mußte Veränderungen im Bestand der Sippe bringen.
Jeder Kampf brachte sie in großem Maßstab. Damit aber wäre
zugleich die militärische Gliederung ins Wanken gekommen, die
heute künstlich geschaffene Ordnung wäre vielleicht schon am
folgenden Tag eine Unordnung gewesen. Das ist so selbstver-
ständlich, daß fast alle Schriftsteller zugeben, es habe sich die
ursprüngliche Ordnung bald wieder verschoben. Auch Tacitus
sage ja: quod printo numerus fuit, iam nomen et honor est').
Aber dabei ist es ganz unverständlich, warum die Germanen
überhaupt ihre Heere in zahlenmäßige Gruppen gegliedert haben,
wenn sie doch die ganze Einteilung wieder untergehen ließen.
Doch nicht nur um nach Vertluß einer verhältnismäßig kurzen
*) Genu. c. 6.
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25
Z»*it wieder heim status quo ante, der Gliederung naeh Geschlechtern,
angelangt zu sein. Und wenn man annehmen wollte, die Ger-
manen hätten die numerische Gliederung: von Zeit zu Zeit wieder-
holt, was ja an sich möglich wäre, dann hätten sie diese Übung
hei der Seßhafhnachung nicht aufgegeben, sondern auf alle Fälle
lur die Kriegspraxis weiter verwendet. Auch hier wäre zu über-
legen, daß ein Rückschritt, wie er in dem plötzlichen Aufgeben
einer bisher geübten zeitweisen Neuorganisation läge, nur bei
zwingenden Gründen angenommen werden kann.
Es ergibt sich somit aus den Quellen kein An-
haltspunkt dafür, daß die Germanen eine numerische
Heeresgliederung gekannt haben, dagegen deutlich der
Nachweis, daß für die. Formation der Heereskörper ver-
wandtschaftliche Gesichtspunkte maßgebend waren.
Gerade die Nachrichten nun, die Taeitus über die Geschlechts-
verfassung bringt, haben Baumstark viel zu schaffen gemacht, und
weil er sie nicht durch den Beweis des Gegenteils widerlegen
kann, greift er zu der Behauptung, daß der Bericht des Taeitus
in Germania c. 7. „unmöglich vollständig wahr seyn“ kann'). Dies
zu beweisen, führt er sodann drei Gründe an:
a) „die Nachricht verträgt sich nicht mit dem Umstande, daß
die germanischen Heere sowohl aus Reiterei als aus Fußvolk be-
standen ;
b) sie widerspricht auch den Worten cap. 6; quos ex omni
juventute delectos ante aciem locant.
c) Das Staatsleben der Germanen zu Taeitus Zeit, obgleich
immerhin recht unvollkommen, zeigt doch nicht mehr ein bloßes
Conglomerat von Familien und Geschlechtern, und auch in der
Volksversammlung erscheinen die Dingmänner nach keiner
Nachricht in familiis et propinquitatibus*).“
Auf den ersten Blick ist zu ersehen, wie es um diese Begrün-
dung bestellt ist und nur weil sie eine eingehendere Würdigung
noch nicht gefunden hat möchte ich näher darauf eingehen. Der
') A. Ba uni stark , a. a. 0., S. 270 ff.
’) Baumstark, Ausführliche [Erläuterung des Allgcni. Thciles der
Oermania des Taeitus (1875), S. 306 f. Das im Text in Parantbcsc Ange-
führte ist der hier von B. selbst gegebene Austug seiner Ausführungen in
dem Anui. 1 genannten Buch.
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Grund unter a) beruht auf einein Mißverständnis der Worte bei
Tacitns. Dort heißt es wörtlich: . . . non casus nec fortuita
conglobatio turmam ant cuneum facit sed familiae et propinquitates.
Diese Stelle darf eben nicht, wie Baumstark stillschweigend unter-
schiebt, so ausgelegt werden, daß jede turma oder jeder cuneus
gerade eine familia oder propinquitas ausgemacht habe, daß eine
turma oder ein cuneus nur aus den Gliedern einer und derselben
familia oder propinquitas bestanden habe, daß umgekehrt sämtliche
Glieder einer familia oder propinquitas in einer turma oder in
einem cuneus vereinigt gewesen seien. Das wäre unverständlich.
Denn nicht Jeder ist zum Reiterdienst gleich tauglich und nicht
Jeder hatte, was damals noch besonders in Betracht kam. die
hierzu nötige Ausrüstung. Eine abgeschlossene Reiterkaste hat
es bei den Germanen nie gegeben und sie paßt auch nicht in
germanische Verhältnisse. Ihr Fehlen muß aber das genokratische
Prinzip nicht unterdrücken. Wenn, wie es meistens der Fall war,
von einer einzelnen Sippe Mehrere Reiterdienste taten, so konnten
sehr wohl die Glieder derselben Sippe sich in der turma neben-
einander aufstellen : ja es konnte sogar dahin kommen, daß eine
turma nur aus Angehörigen einer und derselben Sippe bestand.
Damit verträgt sich die Nachricht des Tacitus recht gut. die
nichts anderes sagen will, als daß das verwandtschaftliche Band
für die Ordnung in den turmae und cunei maßgebend war1).
Die Verbindung der delecti zu einer besonderen Elitetruppe
hatte allerdings den Erfolg, daß in den cunei der aries nicht
mehr alle Verwandten beisammen standen und andererseits eine
Abteilung, eben die der delecti, nicht nur aus mit einander ver-
wandten Personen bestand. Aber auch dies steht nicht im Wider-
spruch mit Tacitus, wenn man seine Worte in dem angegebenen
Sinn auft'aßt. Daß aus den cunei Einzelne herausgenommen
wurden, hindert ja nicht, daß sich die übrigen nach Geschlechtern
aufstellten.
Damit komme ich zu Baumstarks dritten Grund. Was er
hier über die Dingversammlungen sagt, ruht lediglich auf einem
arg. e. silentio, das ja als solches gewiß noch nicht jeder Bewcis-
') Zweideutig ist die Übersetzung von Holtzmann-Holder a. a. t)., S. 35:
.. . . nicht das Ungefähr, noch zufällige Rotten bilden (!) die Geschwader
und Schlachthaufcu, sondern Familien und Sippschaften.“
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27
kraft entbehrt, aber doch dann, wenn das, was bewiesen werden
soll, überhaupt unwahrscheinlich ist. Wir erfahren allerdings
nicht bestimmt, daß sieh die < iermanen im Ding geschlechterweise
aufstellten. Aber der ganze Gang des germanischen Prozesses,
der da und dort auch ein räumliches Beisammenstehen der Ver-
wandten erforderte, läßt annehmen, daß eine dementsprechende
Anordnung im Großen und Ganzen stattfand. Ohne isländische
Verhältnisse als gemeingermanischen Typus aufstellen zu wollen,
weise ich darauf hin. daß dort wohl schon durch' die Anlage der
Dingbuden ein Zusammenhalten der Verwandten nahegelegt war.
Überhaupt dürfte nicht zu übersehen sein, daß, zumal bei mehr-
tägigen Dingen die ganze Konstituierung der Dingversammlung
von dem durch die zusammen wohnenden Verwandten gemeinsam
begonnen »Dingritt- angelängen, auf eine Gruppierung nach
Geschlechtern hinarbeitete. Doch mag dem sein wie immer, ist
Kaumstarks Argument nicht kräftig. Selbst wenn in den Ding-
versammlungen die Verwandten sich trennten, so läßt sich daraus
twrh nicht schließen, daß das auch im Heere der Fall war, zumal
wir denn auch nicht wissen, ob in den Dingversammlungen jemals
eine solche nunmehr untergegangene Ordnung bestanden hat1).
Im Übrigen ist allerdings richtig, daß von der Seßhafft-
machung an der Familienverband das üftentliche Leben nicht
mehr „beherrscht-, wie Waitz sich ausdrückt. Es konnte die
Ansiedlung zu einer Verwischung der ursprünglich gentilicischon
Verhältnisse in der Agrargenossenschaft führen. Aber diese Ver-
änderung braucht« Zeit; erst im Laufe einer langen Entwicklung
konnte das Herrschaftsmonopol der Familie gebrochen werden.
Anzunehmen, daß das schon in der taeiteischen Zeit der Fall
war, sind wir nicht veranlaßt. Im Gegenteil! Noch in merowin-
gisclier Zeit standen der Änderung der gentilicischen Dorfver-
fassung noch erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Die Lex Salica
gibt in fit. XLV de migrantibus ein sehr anschauliches Bild von
•) Schröder R.-G.5 S. 23 nimmt, gestützt auf I’act. Alatn 11,43 (in lieris
guuerationis) lind mit Rücksicht darauf, daß die Landsvcrsammlung zugleich
Hcerrcrsamudung war, au, daß die Aufstellung im Landsding nach (tauen,
Hundertschaften und Geschlechtern erfolgte. Da auch nach der hier
vertretenen Auffassung die Geschlechter Heercsabtoilungen bildeten, kann
ich dem insoweit zustimmen.
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einem Zuzug eines Ausmärkers und der Leichtigkeit, mit der jeder
einzelne vicinus ihn verhindern konnte. Wenn auch in der Zeit
der Lex Salica der Grund des ganzen Verfahrens nicht mehr der
ist, eine Störung des gentilicischen Verbandes zu verhindern, su
wirkt es doch sozusagen als Konservierungsmittel der ursprüng-
lichen Verwandtschaftsansiedlung. Und wenn andererseits auch
Abschichtungen von Haussöhnen vorgekommen sind, so haben wir
doch keinen Grund zu der Annahme, da LI sich diese abgeschichteten
Haussöhne nicht in der Nähe ihrer Verwandten angesiedelt haben.
Auch in anderen Fällen zeigt sich der starke Einfluß der Familie,
so z. B. in dem Strafrecht der Sippe gegen ihre Mitglieder, in
dem Fehderecht der Sippe bei Verletzung eines Sippenangehörigen,
vor allem auch bei der Vormundschaft und der Armenpflege1).
So wenig sich im Allgemeinen gerade über diese Verhältnisse
an Einzelheiten bestimmt behaupten und quellenmäßig beweisen
läßt. so können wir doch aus dem Gesamtbild schließen, daß die
Einflüsse der Sippen immer noch stark genug waren, um eine
Heeresaufstellung nach Geschlechtern nicht nur wahrscheinlich zu
machen, sondern geradezu zu fordern.
Damit erledigen sich die Angriffe, die Baumstark gegen
Taeitus geführt hat und wir können auf die obige Zusammen-
fassung der bisherigen Ergebnisse zurückverweisen. Wie im
Einzelnen die Aufstellung der Geschlechter im Keil erfolgte, ob
einer oder mehrere Keile gebildet wurden, wie groß die sich etwa
ergebenden Abstände waren, das alles sind Fragen rein kriegs-
wissenschaftlichen Interesses, deren Erörterung nur die für uns
wesentlichen Ergebnisse in den Schatten stellen könnte. Für uns
kommt es nur darauf an, festzustellen, daß in germanischer Zeit
keine Spur einer numerischen Heeresgliederung zu finden ist.
Geradezu ein Zerrbild einer solchen gibt, wie zum Schlüsse
bemerkt sei, die Heeresschilderung in der Hervararsaga c. 26.
„VanV nü svä mikill fjqldi manna peirra. at ptisundum
mätti telja , en ei snuerri enn püsundir i fylkingar. En
hqfdingi var settr yfir ptisund hverja, en merki ylir hverja
fylking, en timm püsundir i hverja fylking, peirra en prettän
') Vgl. Brunner, K.-Q. I *, S. 1 1 7 ff. v. Amira, tirundriU, S. IOC f.
v. Sybcl, Entstehung des deutschen Königtums1, S. 41 ff.
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•29
hundrut väru i hverri, en i hvert hundrut fernir fjqrutiu,
en pessar fvlkingar varu prjär ok prjätigi.“
Weder können diese pusundir mit ihren 13 Hnnderten.
Tausendschaften sein, noch die hnndrut mit je 160 Mann. Hundert-
schaften. Hatten die Nordgermanen zahlenmäßige Heeresabtei-
lungen gekannt, dann wäre es dem Schreiber der Sage nicht in
den Sinn gekommen, so unglückliche Zahlenverhältnisse aufzu-
stellen. Das ist nur so zu erklären, daß die Nordgermanen
Heeresabteilungen als hundrut, vielleicht auch als pusundir bezeich-
neten. die nicht gerade hundert oder tausend Krieger zählten.
Das ist durchaus nicht ansgeschlossen und an Hand der im
Abschnitt III folgenden „Worterklärung“ leicht verständlich.
Bei richtiger Auffassung spricht gerade diese Stelle gegen,
nicht für eine zahlenmäßige Heeresgliederung, und man braucht
sie nicht wie Rietschel'i durch die Bemerkung, daß es sich
da um das Heer der Hunnen handle, außer Diskussion zu stellen.
Damit ist es m. E. ausgeschlossen, daß in noch früherer Zeit
die Germanen Centesiinalgliederung gekannt haben. Denn der
f bergan g vom numerischen zum gentilicischen System erscheint
nicht annehmbar. Gleichwohl will ich gerade deshalb, weil von
anderer Seite auf den arischen Ursprung der numerischen
Heeresverfassung Gewicht gelegt wird, nicht an der Frage vorüber-
gehen, ob wir Anhaltspunkte dafür haben, daß die Centesimal-
gliederung bei den Indogermanen eingebürgert war und etwa in
germanischer Zeit sich zurückgebildet hat.
Leist*) hält „die Znsanunenschließung der Truppenkörper nach
dem Dezimalsystem in (Zehntschaften) Hundertschaften undTausend-
schaften“ für eine „arische Eigenart.“ Gegen ihn hat sich
neuerdings Schräder’) gewendet, der da, wo überhaupt eine Zahl-
einteilung sich findet, eine Bildung aus nachindogermanischer Zeit
annimmt. Wir haben es also mit zwei sich diametral gegenüber-
stehenden Ansichten zu tun.
') Z.-Rg. * XXVII, S. 240.
*} B. W. Leist, Altarisches Jus oivilc II (I89C; S. 224, Ebenso Möllen-
hoff I). A. IV, S. 177.
*) 0. Schräder, Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde
(1901), S. 350. Vgl. auch Sickel, Zur germanischen Verfassungsgeschichte
'MJÖG. Krginzungsbd. I) S. 18.
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so
Fragen wir nach den Gründen, die Leist für seine Ansicht
beibringen kann, so ergibt sich die indogermanische dezimale
Heeresgliedernng durch Rückschlüsse aas späteren Zuständen.
Solche Rückschlüsse lassen sich ziehen aus den Verhältnissen der
Völker, die noch in späterer Zeit die Hundertschaftsorganisation
kennen und das sind nach Leist die Inder, Römer, Germanen und
Russen, nicht auch die Griechen *) und Südslaven. Für uns hier
müssen die germanischen Zustände als Beweismittel entfallen,
weil gerade sie erst bewiesen werden sollen. Charakteristisch ist
übrigens, daß sich Leist auf Brunner stützt, um mit dessen
Worten die Dezi mal Verfassung in der germanischen Zeit zu beweisen,
die Brunner wiederum auf arische Hinrichtungen basiert.
Bei den Indern ist die Dezimalverfassung „nur mehr“ als
Administrativorganisation nachzuweisen ; einen Anhaltspunkt dafür,
daß sie jemals Heeresverfassung war, können wir nicht auftinden.
Ul* etwa die Administrativorganisation das Überbleibsel einer
früheren numerischen Heeresgliederung war. ist fraglich und durch
nichts gestützt. Mir erscheint aber die Frage zu verneinen. Denn
gerade nach dem, was Leist selbst anführt, ist die numerische
Dorfverfassung in einer Zeit entstanden, die wir noch quellen-
mäßig erkennen können 3). Und das läßt doch nicht darauf
schließen, daß sie schon einmal, wenn auch zu anderen Zwecken,
bestanden hat. Man ist eher versucht das Gegenteil anzunehmen.
Über die russischen Verhältnisse kann ich mir aus den
Quellen selbst kein Bild verschaffen. Leist stützt sich hier auf
Kwers. Und aus dessen Bericht läßt sich eine numerische Heeres-
gliederung nur für eine verhältnismäßig späte Zeit entnehmen,
für die Zeit der Regierung Wladimirs (988— 101.' ’>). üb in
früherer Zeit die Verhältnisse die gleichen waren, erscheint umso-
mehr fraglich, als nach den allerdings ziemlich dürftigen Nach-
richten, die uns zu Gebote stehen, auch in Rußland in früherer
Zeit die Geschlechts Verfassung in Blüte war.
Was endlich die römischen Zustände betrifft, so ist hier eine
decimale Heeresgliederung nicht zu leugnen. Aber man muß
■) Znstiimnend Möller, Handbuch der klassischen Altertumswissen-
schaft IV 1, 2. S. 303, 30G, 340 f.
ä) So auch Sicke] a. a. O.
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31
wohl beachten, unter welchen Verhältnissen sie bestand. Hei den
Kötnern wurden naeli der Vereinigung der drei Stämme Raumes,
Titie- und Luceres ein Heer gebildet, das aus legiones zu je
tausend Mann bestand, die in curiae zu hundert uml decuriae zu
zehn Mann zerfielen. Das geschah zu einer Zeit als die Römer
langst seilhaft waren und gerade darin liegt das entscheidende
Moment1). Mit der Sellhnftmachung ist die Grundbedingung ge-
geben für eine künstliche Heeresgliederung und die Aushebung,
l'nd eine künstliche Gliederung, ein Aushebungssystem haben wir
in den römischen legiones, curiae und decuriae vor uns. Sit“
folgte vielleicht unmittelbar auf eine bis dahin bestehende genti-
licische Verfassung. Denn die Stämme sind es, die eine legio
stellen, aus den gentes werden die curiae und decuriae ausgehoben. Im
Hintergründe des ganzen Zahlensystems steckt noch immer der
gentilieische Grundgedanke und gerade dieser Umstand lüllt darauf
schlieilen, dall auch das altrömische Heer nach Geschlechtern
gegliedert und aufgestellt war und nicht nach starren Zahlen.
Überblicken wir von hier aus noch einmal das Material, auf
Grund dessen Leist rückschliellend die indogermanischen Völker
ihre Heere nach einem Dezimalsystem gliedern lälit, so zeigt sich,
dall dieses Material lür diesen Schluß keineswegs ausreichend ist.
Wir können nicht umhin, mit Schräder alle sich findenden zahlen-
mäßigen Gliederungen als spätere Einrichtungen anzusehen und
darin kann uns nur bestärken, was gerade Leist über die Ent-
wicklung der Völker auf der gentilieischen Grundlage sagt®).
Erscheint aber die Hundertschaftseinteilung nicht als eine
indogermanische Institution, so kann auch davon keine Rede sein,
daß sie bei den Germanen auf arischer Grundlage entstanden ist, und
als zusammenfassendes Ergebnis der bisherigen Untersuchung
können wir den Satz aufstellen, daß die Gliederung des germanischen
Heeres auf gentilicischer, nicht auf numerischer Grundlage erfolgte.
Ist dem so, dann ist aber der weitere Schluß unaus-
bleiblich, daß die germanischen Hundertschaften nicht
auf der Heeresorganisation beruhen können und daß
demnach die „Heerestheorie“ verfehlt ist.
') Vgl. M arquardt. Kölnische Staatsverwaltung II S. 321.
*) Vgl. hierzu auch das Material bei v. Sjbel,. Entstehung des deut-
schen Königtums2 S. 50 ff.
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II. Die Hufentheorie und verwandte Theorien.
Wie schon oben erwähnt, hat bereits J. Grimm eine von
der Heerestheorie abweichende Ansicht vertreten. In der ersten
Auflage seiner „Rechtsaltcrtüiner“ hat er, gestützt auf Verelius1)
und Ihre*), das schwedische hundari und überhaupt die Hundert-
schaft als ein Gebiet aufgefaUt, auf dem hundert villae oder
praedia sich befanden, also als ein Gebiet, das aus hundert
Einzelansiedlungen bestand5). Dabei ist er aber nicht auch der
Frage näher getreten, wie diese Gebietseinteilung entstanden ist.
Diese Lücke sucht Waitz auszufüllen: „So viele selbständige
Volksgenossen in einer Abteilung des Volkes oder Heeres zu-
sammenstanden, so viel sind Hufen eingenommen worden“4). Der
Vorgang wäre also der gewesen, daU bei der Ansiedlung jeder
Familienvater eine Hufe in Besitz nahm und da Waitz Hufen
von 100 Familienvätern annimmt, so ergeben sich auf diese Weise
auch Gebietsteile von je hundert Hufen. Nimmt man an, daU
jede Familie ein praedium inne hatte, so kommt man zurück auf
die 100 praedia bei Grimm.
Mit dieser Erklärung des Entstehens der territorialen Hundert-
schaft kann sich die „Hufentheorie“, wie ich sie nennen möchte,
') Verelius, Indez linguac veteri* scytho-scandieac. (Upsala 1091),
S. 128a. Das Zitat entnehme ich Grimm selbst, da mir das Werk nicht
zugänglich war.
*) Ihre, Glossarium Suigothicum (Upsala 1709) vertritt s. v. hundari
die gleiche Ansicht wie Grimm. Kr stellt aber zur Wahl, daU das hundari
auch deshalb so heißen könne, quia centum milites tempore belli in aciem
mittebat und führt s. v. h:erad nur diese Krkläruug an.
*) J. Grimm, Deutsche Rechtsaltertniner 1. (1828) S. 534. dass. 4. Aufl.
(1899; II S. 58. Auch Stiernhüök, Do jure Sreonum et Gothorum vetusto
(Holmiae 1G82) schreibt S. 30: „Centum autem ut plurimum villas vel potius
colonos continuisse videtur, unde l'plandis & Svedis Cissylvanis Hundari
non obscura ratione dicta fuit“. Ähnlich Hcineccius, Klcmenta Juris
Germanici II1 (1743) 3. 374 .... Sed probabilius est non tarn praedia
numerasse Francos aliasque gentes, quam ipsum paguin in certos tractus vel
ditiones . . . divisisse*. Vgl. ferner Olaf Kudbeck, atland eller Manheim
(Upsala 1G75) S. 265 ff.
*) Vgl. V-G. I1 S. 226.
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33
nicht die Stellung einer selbstständigen Theorie anmaßen. Sie
fußt vollkommen auf der Heerestheorie, oder hat docli mit ihr
eine gemeinsame Grundlage, da sie auch von einer Teilung des
Heeres in Gruppen von Hundert ausgeht; daß Waitz gerade
hundert Familienväter als in einer Abteilung vereinigt annimmt,
und nicht hundert Waffenfähige ändert daran nichts1).
Damit ist aber auch nach dem im vorausgehenden Abschnitt
Ausgeführten über die „Hufentheorie“ das Urteil gesprochen. Wir
wissen jetzt, daß es keine Heeresabteilungen von hundert oder
etwa hundert Mann gab und damit sind alle Erklärungen der
Hundertschaft hinfällig geworden, die mittelbar oder unmittelbar
auf deren Vorhandensein beruhen. Gleichwold möchte ich mich
nicht damit begnügen, die Hufentheorie mit diesem Argumente
allein zu bekämpfen, sondern vielmehr versuchen, auch mit anderen
Gründen ihre Unhaltbarkeit darzutun.
Audi wenn sich die Hufentheorie überhaupt nicht auf die
bekannte Heereseinteilung stützte, müßte sie Hedenken erregen.
Kenn auch sie trägt, wenn auch nicht in gleichem Maße wie
diese, sozusagen den Keim des Untergangs in sich. Sobald sich
ein bisher in einem der hundert Haushalte befindlicher Sohn
selbständig machte, einen eigenen Haushalt gründete, war es
mit den hundert Hufen der „Hundertschaft“ aus. Die Neuordnung
durchbrach die alte Ordnung und daß, solange Land in Überfluß
vorhanden war, nicht das alte Land weiter geteilt, sondern neues
in Anbau genommen wurde, bedarf keiner weiteren Begründung.
Selbst wenn wir annehmen, daß man es von Anfang au mit der
Zahl hundert nicht genau genommen hat, sodaß dann auch ge-
ringere Vennehrungen der ursprünglich vorhandenen praedia das
anfängliche Gesamtbild nicht erheblich veränderten, so war gleich-
wohl keine sehr große Spanne Zeit nötig, um die ganze Ordnung
über den Haufen zu werfen. Das ist so einfach und selbstver-
') Zu weiteren Vertretern dieser Theorie gehören Zimmerle, Has
deutsche Stammgutssystem (1837) S. IQ f, Kaufmann, Philologie) XXXI
S. 496. Vgl. auch Waitz, I>as alte Hecht der salischen Kranken S. 1 2t».
Etwas abweichend trftgt Th ud ich um, Gau- und Markenverfassung (1860)
S. 32 vor, daß die Hundertschaft das einer Abteilung von 100 ange-
wiesene (nicht von ihr eingenommene) Gebiet, aber nicht = 100 Hufen
oder tillae sei.
v. Schwerin, altgerm. UuoderUchaft 3
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34
stündlich, (laß ps unsere Vorfahren vor zweitausend Jahren nicht
minder bemerken mußten. Auch Waitz erkennt dies an: „Aber
allerdings werden bald die ursprünglichen Hunderten an Umfang
weit über die Zahl, welche den Namen gab, hinausgewachsen sein.
Die Bevölkerung mehrte sich, neue Hufen wurden ausgemessen,
neue Dörfer angelegt. Tn nicht geringem Maße mußte schon dies
zu Veränderungen führen“. Man muß überhaupt bei der Frage
der möglichen Beständigkeit zwischen einer Landeseinteilung nach
Hunderten von Hufen und einer Gliederung des Heeres nach
Hunderten einen großen Unterschied machen. Bei dieser wären
spätere Ausgleiche zur Beseitigung der im Laufe der Zeit ent-
standenen Unregelmäßigkeiten viel leichter möglich gewesen, als
bei jener. Denn Menschen hätten sich, abgesehen davon, daß es
ganz ungennaniseh gewesen wäre, leichter verschieben und so neu
ordnen lassen können als festliegende Hufen1).
Auch in der ersten Einführung bereitet eine Landteilung
nach Hufen, wenn man sie nicht auf eine schon gegebene Heeres-
gliedernng stützt, viel mehr Schwierigkeiten. Angenommen die
Germanen hätten nach der Ansiedlung ihr Land in Abteilungen
von je hundert oder etwa hundert Hufen teilen wollen, so hätte
sich gezeigt, daß das ein undurchführbarer Gedanke ist. Damals,
in der Zeit vor der zweiten Völkerwanderung, waren die Länder,
in denen überhaupt Germanen sich niedergelassen hatten, keines-
wegs dicht besiedelt. Es gab Weite Strecken öden Landes und
') Die Unbeständigkeit einer „Gliederung des Grundbesitzes nach
Zahlen" bat schon Landen a. a. 0. S. 223 horvorgehoben und diese
Gliederung geradezu als „widernatürlich“ bezeichnet. Sachsso bat sich
dagegen (Grundlagen S. 240) über diesen funkt hinwegzuhelfen gewußt:
„Ursprünglich batte jede sulche ('eilten aus hundert freien Familiengütern
. . . . bestanden, und durch die unveränderliche Zahl dieser Liegenschaften
war es möglich gewesen, die ganze < 'enteil selbst und ihre Verfassung in
unveränderter Form zu erhalten. Denn wenn auch bald neue Guter durch
Verbreitung der Kultur entstanden, so räumte mau doch ihren Besitzern
nicht die Vorrechte der hundert freien Grundbesitzer in der Gemeinde ein.
Vielmehr mußten sie durch einen von diesen in der Gemeinde vertreten
werden, wie die, welche gar keinen Grundbesitz hatten, nnd so erhielt sich
die Grundzahl der freien Familien". Ähnlich scheint Rietschcl seine
Hufentheorie halten zu wollen. Vgl. Bericht über die 9. Versammlung
deutscher Historiker (1907) ,S. 9. Aber auf Grund welcher (juellen?
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die besiedelten Stellen waren im größten Teil Deutschlands als
Oasen über das Land verstreut. Wenn eine solche Oase gerade
hundert Höfe oder Hufen enthielt, oder ein Vielfaches von Hundert,
'•> ließ sich die Teilung sehr wohl durchführen. Wenn aber die
Ansiedlung kleinere Groppen ergeben hatte oder wenn die Teilung
größerer zu Überschüssen führte, die zu klein waren selbst eine
„Hundertschaft“ zu bilden, zu groß um nicht einer anderen
Hundertschaft zugeführt das Gleichmaß zu sehr zu stören, wie
»Ute dann verfahren werden? Es ist dies eine schwer zu beant-
wortende Frage, namentlich dann, wenn man bedenkt, daß die
Zuteilung solcher kleineren Gebiete an benachbarte aber große um
deswillen nicht anging, weil wohl immer eine bedeutende Grenze
<lazwischen lag.
Ganz allgemein hißt sich sagen, daß eine nicht durch Volks-
einteilungen bestimmte Teilung eines Landes in abgegrenzte Areale
oder nach zahlenmäßig abgegrenzten Gruppen von Höfen nur in
einem im wesentlichen geordneten und angebauten und, soweit es
-ich um Wald handelt, doch in Besitz genommenen Land sich
durchführen liißt. Nnr unter dieser Voraussetzung kann man sich
V'irstellen. daß eine solche Einteilung Bestand hat, der ihr da
versagt sein muß. wo infolge des Vorhandenseins von. noch unbe-
rührtem Land, eine ständige Vermehrung des zu teilenden Bodens
noch möglich ist. Damit hängt es zusammen, daß wir solche
Kinteilungen auch nur da sicher nachweisen können, wo diese
Vorausetzung gegeben ist. und sie wiederum findet sich aus leicht
verständlichen Gründen nicht bei Völkern, die auf einer den
taeiteisclien Germanen gleichen Kulturstufe stehen. Man kann daher
»•ine solche Einteilung, wie ich schließlich noch bemerken möchte,
unabhängig von einer eentesimalen Heeresgliederung überhaupt
nicht verstehen, wenn man die germanischen Verhältnisse ver-
banden hat.
Hält man aber an einem Zusammenhang zwischen militärischer
und territorialer Hundertschaft fest, dann hat man, selbst wenn
man militärische Hundertschaften annehmen wollte, immer noch mit
einer nicht zu überwindenden Schwierigkeit zu rechnen. Bei der
in der Natur der militärischen Hundertschaft liegenden und all-
gemein anerkannten Unbeständigkeit des Zahlenverhältnisses, darf
ui, in nie die Frage beiseitelassen, ob denn in dem entscheidenden
3*
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3ß
Moment das Zahlenverhältnis ein seinem Namen entsprechendes
gewesen ist. Und da wird auch der entschiedenste Vertreter der
Heerestheorie zugeben müssen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach
gerade bei der Ansiedlung die Zahlenverhältnisse infolge der
vorausgehenden Wanderungen und Kämpfe am wenigsten den ur-
sprünglich gegebenen entsprochen haben. Gerade in diesem Zeit-
punkt werden die „Hundertschaften“ am wenigsten „Hundert-
schaften“ gewesen sein. Und wenn das auch nicht verhindern
konnte, daß das von einer solchen deformierten Hundertschaft
eingenommene Gebiet von ihr den Namen entlehnte und demzufolge
auch Hundertschaft genannt wurde, so konnte doch diese territoriale
Hundertschaft nicht aus hundert Hufen oder Höfen bestehen, wo-
fern jedem Familienvater oder jedem Waffenfähigen eine villa
oder eine Hufe zugebilligt wurde.
Ks ist charakteristisch für die Vertreter der Hufentheorie,
daß nirgends der Augenblick scharf ins Auge gefaßt wird, in dem
sich die persönliche Heeresgliederung mit dem Hoden verhaftet
haben soll. Sobald man dies tut, zeigt sich ganz deutlich, daß
diese „Verliegenschaftung“ einer ohnedies nur gedachten Volks-
einteilung nicht minder wie diese selbst in das Gebiet der wissen-
schaftlichen Spekulation fällt, und ebenso unpraktisch ist. als sie
praktisch sein soll.
In den Quellen findet die Hufentheorie nicht den mindesten
Anhaltspunkt und damit hängt es wohl auch zusammen, daß sich
keiner ihrer Vertreter auf solche berufen hat.
Eine eingehendere Widerlegung der Hufentheorie verbietet
sich von selbst, da ihre Vertreter nicht nur von der Heranziehung
ausdrücklicher Quellenbelege, sondern überhaupt von einer ein-
gehenderen Begründung Abstand genommen haben. Damit ist
Angriffen der Angriffspunkt entzogen. Nur auf zwei Argumente
möchte ich hinweisen, die allenfalls zu Gunsten einer Hufentheorie
verwendet werden könnten.
Ohne Bedeutung für die Hundertschaftsfrage sind, wie unten
noch des näheren auszuführen sein wird, die Ergebnisse der
eingehenden Forschungen, die in neuerer Zeit insbesondere von
Maitland über das Domesday-Book angestellt wurden. Denn bei
dem Landbuche Wilhelm des Eroberers handelt es sich, wie
unten bei der Besprechung des angelsächsischen hundred noch
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37
auszuführen sein wird, überhaupt nicht um alte Hundertschaften,
sondern um Neubildungen.
Für nicht minder bedeutungslos erachte ich die in neuerer
Zeit vorgenommenen Ausmessungen von Hundertschaften auf dem
Kontinent wie in Skandinavien, deren allerdings interessante
Resultate teils in Tabellen, teils in Karten (Hundertschaftskarten,
liaukarten. Heradskarten) veröffentlicht werden. Denn soviel Mühe
auch auf die Feststellung der Grenzen dieser Bezirke und die
Berechnungen von Durchschnittsgrößen verwendet wurde, so besagen
doch die Ergebnisse um deswillen wenig für die Hundertschaftsfrage
und im besonderen die Hufentheorie, weil sie sich nie auf alte Hundert-
'chaften beziehen, sondern nur auf deren mehr oder weniger
veränderte Nachkommenschaft. Wir sind aus Mangel an aus-
reichendem Quellenmaterial nicht in der Lage eine fränkische
centena der Merowingerzeit, oder ein alamannisches huntari zu
lokalisieren, sondern müssen uns mit Centen und Gauen späterer
Zeit begnügen, deren Identität mit alten Hundertschaften zwar als
Ergebnis einer Untersuchung festgestellt werden könnte, aber nicht
ohne weiteres angenommen werden kann. Und selbst wenn eine
solche Identität in einem konkreten Falle einmal festgestellt werden
sollte, so ist damit nicht viel gewonnen. Denn ohne zu wissen,
wie groß das ungerodete und das gerodete Land war, können wir
keine Schlüsse auf die Bevölkerungsdichtigkeit dieser Hundert-
schaften ziehen. Dies insbesondere gegen Meitzen1).
Mit der „Heerestheorie“ und der „Hufentheorie“ in engem
Zusammenhang steht eine dritte Anschauung, die u. a. Sachsse
mit den Worten vorträgt, daß die Centenen Bezirke waren, „davon
jeder zu dem regelmäßig aufzubietenden Kriegshcere hundert Mann
zu Fuß stellen mußte“ *). allerdings ohne anzugeben, woraus dies
ersichtlich sei. Ähnlich meint Waitz*), der in seiner Darstellung
alle Theorien verbindet, daß in späterer Zeit wenigstens bei den
nordischen Völkern nach der Zahl der Grundstücke, nicht nach der
der waffenfähigen Männer Heerdienst geleistet wurde; „so viele Hufen
in einem Distrikt, so viele Krieger mußten zum Heer gestellt werden;
') Siedlung I und Atlas (vgl. bes. die dänische Heradskarto).
*) ijrundlagen S. 249.
*) a. a. O. Vgl. hierzu Waitz das alte Recht der salischen Franken
S. 138.
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38
waren es hundert, so mußten eben so viele Hufen da sein, und
eben aus diesen bestanden die hundari des Nordens.“ Hierbei beruft
sich Waitz auf Velsc ho w '). dessen Arbeit vennutlieh auch
Sachssc Vorgelegen hatte.
Während aber Waitz nach dem Angeführten sieh nicht klar
darüber ausspricht, ob nach seiner Ansicht jeder Bezirk oder
Distrikt hundert Hufen haben mußte, was allein von seinem Stand-
punkt aus die Bezeichnung hundari rechtfertigen würde, anderer-
seits aber doch nach der ganzen Fassung vermuten läßt, daß er
das Bestehen auch anderer aus mehr oder weniger Hüten beste-
henden Distrikte annimmt, spricht sich sein Gewährsmann
Vclschow gerade hierüber etwas deutlicher aus. Fr sagt aus-
drücklich, daß bei der ersten Landteilung jede centena hundert
Hufen oder hundert familias rusticas umfaßt habe und daß dieses
Verhältnis den Grund dafür abgah. daß jeder Distrikt hundert
Krieger stellen mußte2). Erst in der spateren Zeit in Dänemark
unter Waldemar 11.. also Anfang des 13. Jahrhunderts, nimmt
Vclschow eine Veränderung dieses ursprünglichen Zustandes an.
Wie sich hier bei Velsehow sehr deutlich zeigt und auch in
der eigenartigen Verquickung bei Waitz zum Vorschein kommt,
ist diese „Wehrpflichttheorie“ im Grunde nur eine „Hufentheorie“
und. wenn man noch weiter geht, eine Umbildung der ..Heeres-
theorie.“ Ganz anders zu beurteilen wäre diese Ansicht dann,
wenn sie nicht auch eine Landeseinteilung als primäre Erscheinung
ansehen würde. Aber die Wehrpflicht kann nicht maßgebend sein
für die Einteilung eines Landes, sie kann nicht das primäre sein.
Aushebungsbezirke etwa, deren Größe dadurch bestimmt wird,
daß aus ihnen hundert oder hundertzwanzig Krieger ausgehoben
werden, erweisen sich, sobald man die praktische Gestaltung
überdenkt, als unmöglich s).
Der letale Fehler der Wehrptlichttheoric besteht darin, daß
sie mit den Verhältnissen einer Zeit arbeitet, die für die Frage
') J. M. Vclschow, Cuminentatiu de institutis militaribus Danorum
(Hafniae 1831.)
s) a. a. 0. S. 54 f.
3) Auf die Spitze getrieben ist die VVchrpfliclitthcoric von Schräder,
lirallcxikon s. v. Heer, der in dein pagus eine Gemeinschaft von Dörfern
sieht „die 1000 (1200?) Krieger stellten.“ Bemerkenswert ist aber, daü er
die Auffassung des pagus als Niederlassung einer Tausendschuft ublchnt.
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39
der Entstehung der Hundertschaft als zu jung nicht mehr in
Betracht kommen können. Wir finden allerdings in der Zeit der
Merowinger schon Falle, in denen bestimmte Mengen von Be-
waffneten gestellt werden und dieses Aushebungssystem ist in der
Zeit der Karolinger noch mehr ausgebildet worden. Hier wie
vor allem in den skandinavischen Ländern kommt allmählich der
Bedanke zum Durchbruch, daß es für die Heerfolgepflicht nicht
gleichsriltig ist, ob ein Angriffskrieg oder ein Verteidigungskrieg
in Frage steht. So konnte nach der älteren Gulathingsbok 297
'/; der waffenfähigen Mannschaft zu einem Angriffskrieg aufgeboten
werden. Bei einem Verteidigungskrieg dagegen wurde durch die
alte Form des Herumsenden eines Pfeils die ganze waffenfähige
Mannschaft aufgeboten '). Und dieses allgemeine Aufgebot, dem
Jetier zu folgen hatte, ist das ältere und zugleich einzige in der
liier in Frage kommenden Zeit. Damals, als es alte Hundert-
schaften gab und als sie eingerichtet wurden, dachte man überhaupt
nicht daran, daß von einem bestimmten Bezirk oder von einer
bestimmten Volksabteilnng nur eine genau abgegrenzte Zahl ins
Feld gestellt werden sollte. Ein solcher Gedanke wäre nicht
zeitgemäß gewesen, weil es selbstverständlich erschien, daß mitzog,
wer Waffen tragen konnte. Hält man sich dies vor Augen, so
erscheint es ganz undenkbar, daß die Hundertschaft ein Bezirk
war, von dem hundert Krieger gestellt werden mußten. Die
, Wehrpflichttheorie“ steht im schärfsten Gegensatz zu der allge-
meinen Wehrpflicht,
Ganz in Verkennung des Problems spricht Velschow an
anderer Stelle davon, daß eine Hundertschaft aus hundert Familien
bestehe: .centum patres familias, quod bene observandum est, non
centum liberi tantum homines 3).“ Und auch Weiske spricht ein-
mal davon, daß hundert „Familienhäupter“ zu einer Hundertschaft
gehörten 3).
Weiske und Velschow scheinen nicht zu bemerken, wie
sehr sie sich damit von den „Hundert" der Heerestheorie entfernen.
In der Tat aber sind hundert Welirpflichtige und hundert Familien-
9 Vgl. Taranger Udsigt. II 8. 3(4.
*) a. a. 0. S. 54 Anm. 1.
*) Grundlagen S. 9.
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väter etwas sehr Verschiedenes. Wehrpflichtig war hei den
Germanen so ziemlich jeder, der Oberhaupt Waffen tragen konnte.
Aber keineswegs war jeder, der Waffen trug, auch Vorstand eines
Haushalts. Gerade in der frflhgermanischen Zeit werden die
Abschichtungen der Haussöhne seltener gewesen sein, umsomehr
als die Zustände auf der Wanderung hierzu wenig Veranlassung
boten. Im Gegenteil werden die Söhne möglichst lang, in äen
meisten Fällen bis zum Tode ihres Vaters mit ihm gemeinschaft-
lichen Haushalt geführt haben, was sogar später noch nachzu-
weisen ist')- Hundert Familienväter mit ihren waffenfähigen
Hausuntertanen, den ihrer Gewalt unterworfenen freien Männern,
haben daher jedenfalls die Zahl hundert weit überschritten ; das
können zweihundert, dreihundert und noch viel mehr gewesen sein.
Wie viele es waren, das läßt sich, wie ja leicht verständlich, ein
für allemal nicht schätzen oder erschließen. Die sieh ergebende
Zahl war reines Zufallsprodukt und von dem Willen der beteiligten
Personen unabhängig. Schon wegen dieser Unbestimmbarkeit konnten
Gruppen von hundert Familienvätern oder hundert Familien nicht
die Grundlage einer Heeresorganisation sein. Sie konnten es noch
weniger, weil sie durch ihre Haussöhne oder Farailienglieder ganz
verschieden vennehrt wurden, so daß sich ganz verschieden große
Gruppen gebildet hätten. Bei dieser Gliederung nach Hunderten
von Familienvätern würde nicht nur wie bei den Gliederungen
nach Hunderten überhaupt bald eine Unordnung entstanden sein,
sondern sie wäre schon von Anfang an vorhanden gewesen.
Dies bemerke ich insbesondere gegen Rietschel, der in
allerjüngster Zeit die „Haushaitheorie“ wieder in den Vordergrund
gestellt hat5), zugleich aber auch zugeben muß. daß die Zahl
„hundert“ nicht festgehaltcn wurde. Da mir die Begründung, die
Rietschel gibt, nicht bekannt geworden ist. kann ich ihm nicht
weiter entgegentreten. Nur möchte ich ihm, wie Allen Anderen
die Frage vorlegen: wozu wurde eine Einteilung in „Hundert“
vorgenommen, wenn an der Zahl dann doch nicht festgehalten
wurde ?
') Vgl. llcusler Institutionen I S. 229.
Verhandlungen des 9. deutschen llistorikcrtags. S. 8 f.
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Ganz ins Ungeheuerliche entwickelt wurrle eine scheinbare
.Heerestheorie“ durch eine von Siegel vertretene Gestaltung1).
Nach ihm gehören nicht nur hundert freie Männer, nicht hundert
Familienväter, sondern hundert Geschlechter zusammen. „Die
ehemaligen Scharen von je hundert Sippen, in welche sicli die
germanischen Völker zur Zeit ihrer Wanderung geteilt hatten,
waren mit der Niederlassung zu Bezirksverbänden geworden.“
Man mag hier Sippe als den agnatischen Geschlechtsverband
oder als den Kreis der Blutsverwandten nehmen; in beiden Fällen
ist die Siegel'sche Ansicht unmöglich. Man könnte wohl theo-
retisch ein Volk in die (truppen derer teilen, die in männlicher Linie
n>n demselben Stammvater abstammen. Bei reicher Tradition
würde so das ganze Volk unter Umständen in sehr wenige, dafür
aber auch sehr grolle Teile zerfallen. Und eine Reihe von ger-
manischen Völkern würde es nie auf hundert solche Teile, also
nie auf eine Hundertschaft gebracht haben. Fine Teilung nach
Muts Verwandtschaften ist überhaupt unmöglich; denn die Kreise
der Blutsverwandten sind nicht neben einander stehende, sondern
ineinander übergreifende Kreise, die eben deshalb auch nicht
künstlich getrennt und neben einander gestellt werden können.
In der Tat hat auch Siegel offensichtlich an begrenzte Teile
von Sippen gedacht3). Aber selbst dann, wenn wir die engste
Begrenzung annehmen. den engeren Verwandtschaftskreis, sodalf
eine Hundertschaft etwa aus hundert engeren Verwandtschaftskreisen
bestehen würde, lassen sich gegen Siegels Anschauung doch alle
die Gründe geltend machen, die ich gegen die Haushaitheorie an-
geführt habe. Denn der engere Verwandtschaftskreis wird sieb in
der Mehrzahl der Fälle mit einer Hausgemeinschaft decken. Und
da. wo er sich infolge von Abschichtungen nicht mit ihr deckt,
da ist er in seiner Grolle ebenso unbestimmt wie sie und als
Finteilungsfull ebenso ungeeignet. Dazu kommt noch ein Weiteres.
Her engere Verwandtschaftskreis ist so wenig, wie irgend eine
Begrenzung der Sippe etwas absolutes, sondern im Gegenteil
etwas relatives. Man kann ein Volk oder einen Stamm so wenig
■) Deutsche Rechtsgeschichto 3 S. HS8. Ebenso schon früher v. Sybol
Entstehung des deutschen Königtums3 S. 78. Dagegen Sickcl Freistaat
S. 88 Anm. 5.
’) ebda. S. 385 f.
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in engere Verwandtschaftskreise teilen, wie in Blutsverwandtschaften,
weil auch die engeren Kreise fibergreifen. Der engere Kreis ist
so wenig etwas absolutes wie etwa die im siebenten Gliede en-
dende Sippe. Nur einer bestimmten Person können sechs andere
die gesibbtesten Hönde sein, nur von einer bestimmten Person
aus kann die Sippe im siebenten Gliede enden, das bedarf wohl
keiner näheren Erläuterung. Es spielt hier herein der Begriff der
„wechselnden Sippe1).“
Von hier aus ergibt sieh die Unhaltbarkeit der SiegePschen
Ansicht.
Damit erledigen sich die mit der „Haushalttheorie“ zusammen-
hängenden, mittelbar oder unmittelbar auf sie zurückgehenden und
von ihr getragenen Anschauungen.
Fast mehr ein Kuriosum ist eine Theorie, die R. Bethge*)
aufgestellt hat: mit Recht wurde sie von Brunner als unhaltbar
bezeichnet’). Was mich veranlaßt, trotzdem näher darauf einzu-
gehen, ist der Umstand, daß, soviel ich sehe, bis jetzt Niemand
Bethge ausführlich entgegnet hat, und seine Ansicht, wenn auch
dem Germanisten auf den ersten Blick als falsch erkennbar, doch
infolge einer anscheinenden Glätte bei der germanischen Zustände
Unkundigen Anklang finden und Verwirrung anrichten könnte.
Ohne auf die Frage des Verhältnisses zwischen principes und
pagi bei Tacitus näher einzugehen, schließt Bethge aus der be-
kannten Stelle Germ, eap l’J: centeni singulis ex plebe comitcs
consilium simul et auctoritas adsunt ohne weiteres, daß die Hundert-
schaft (centeni) ein dem Gaurichter (princeps) beigegebener Ge-
richtsrat von hundert Mann sei. Die ihm wohl bekannte Behauptung
der Recht.shistoriker von der „Unvereinbarkeit der taeiteischen
Hundertschaft mit der germanischen Gerichtsverfassung“ läßt ihn
„völlig kalt“. Er sieht in seinem Gerichtsrat ein Überbleibsel
früherer Verfassungszustände und meint, diese Institution müsse
‘) J. Ficker. Untersuchungen zur Erbenfolge der ostgeruianiscbcn
Stämme I S. 237 f. Vgl. auch v. Sybel. Entstehung des deutschen König-
tums* S. 37.
*) R. Bethge die altgormanischc Hundertschaft in der Festgabe für
K. Weinhold dargebr. v. d. Gesellschaft f. d. Philologie in Berlin 1896.
’) Ug. I» S. IGO Anm. 13.
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.aus den Bedürfnissen einer früheren Entwicklungsperiode ver-
standen werden ').“
Bei der Durchforschung dieser früheren Periode kommt er
nun auf die Nachricht bei Caesar de bell gall. VI, 'l'l:
„neque quisquam agri modum certum aut fines habet
proprios, sed magistratus ac prineipes in annos singulos
gentibus cognationibusque hoininum, qui una coierunt,
quantum et quo loco visum est agri, attribuunt atque anno
post alio transire eogunt.“
Dies gibt nun Anlaß zu folgenden Schlüssen: „Diese Be-
hörde — magistrat us ac prineipes — muß, da die \ekerverteilung
und der allgemeine Umzug natürlich zahlreiche Streitigkeiten mit
sich brachte, die nicht erst vor dem nächsten ungebotenen oder
gebotenen Ding verhandelt werden konnten, sondern eine sofortige
wenigstens vorläufige — Erledigung erheischten, notwendiger-
weise gewisse polizeiliche und richterliche Befugnisse gehabt
haben. Es scheint uns ganz selbstverständlich, daß sie dem
prineeps, wenn er als (jaurichter Gerichtstage abhielt und Streitig-
keiten beilegte .... in genau derselben Weise als consilium
-imu! et auetoritas beistand, wie die centeni des Taeitus. Kurz
und gut, die richterliche Hundertschaft des Taeitus ist niclds
anderes als die den jährlichen Flurwechsel leitende „Behörde“
magistratus) Cäsars1) . . .“. Aber nicht zufrieden damit, auf
diese Weise Gerichtsrat und Ackerverteilungsbehörde identifiziert
zu haben, kombiniert Bethge noch weiter: „Dem mit polizeilich-
richterlichen Befugnissen ausgestellten Hundertaussehuß muß, das
erfordert die Logik der Tatsachen unabweislich, ein hervorragend
militärischer Charakter beigewohnt haben, auf dem ihre (!) in
friedliche Verhältnisse mitübernommene polizeilich-richterliche Ge-
walt beruhte und aus dem die Sonderstellung der richterlichen
Hundertschaft gegenüber der Gerichtsverfassung verständlich wird,
'on diesem Gesichtspunkt aus erscheint die Identität der richter-
lichen Hundertschaft mit der militärischen Hundertschaft der ge-
mischten Elitetruppe (Tac. Germ. c. t> Gaes. B. G: I, 4«) unab-
weisbar“.
‘) Hethgc, a. a. O. S. 4f.
»; a. a. O. S. 5f.
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Für 4 io taciteische Zoit nimmt dann Bethge allerdings an.
daß „die ehedem in der einen Hundertschaft vereinigten mili-
tärischen und richterlichen Funktionen nunmehr unter zwei ver-
schiedene Körperschaften verteilt waren“.
Was zunächst den , Gerichtsrat“ anlangt, so ist er eine voll-
kommen unmögliche Sache. Als solche muß er jedem erscheinen,
der die permanischen Verhältnisse kennt. Ihn aus noch früheren
Zeiten erklären, hieße vollends die Dinpe auf den Kopf stellen.
Die lledenken, die der Rechtshistoriker gegen den „Gerichts rat“
aus dem Wesen des pennanischen Gerichtsverfahrens heraus peltend
machen muß, sind nicht, wie Bethpe meint, damit beseitipt, daß
die urteilende Tätipkeit des Umstands anerkannt wird.
Der Hundertschaftsausschuß ist auch dann noch vollkommen
unverständlich, wenn er auch nur den Urteilsvorschlap pemacht
haben soll. Gewiß mußte der Urteilsvorschlap nicht immer von
einem an der Sache Unbeteiligten, a quovis ex plebe, oder um-
gekehrt perade vom Kläper oder Beklagten ausgehen. So sicher
einerseits bis in das Mittelalter herein jedem beliebigen Mitglied
der Gerichtsgemeinde das Recht zustand, ein Urteil vorzuschlagen,
ebenso sicher haben wir in den fränkischen raehineburgii, dem
bairischen esago, dem friesischen asega Personen vor uns, deren
Pflicht es war, auf Ersuchen der Parteien ein Urteil vorzu-
schlagen. Es gab also im Entwicklungsgang des germanischen
Prozesses. immerhin „Ausschüsse“, die Urteilsvorschläge machten.
Aber man darf auch dabei nicht übersehen, daß diese pflicht-
mäßigen Urteilsleute erst einer späteren Entwicklungsperiode an-
gehören. In germanischer oder, wie Bethpe haben will, in ur-
gennanischer Zeit kann davon keine Rede sein; da sind solche
Vorschlaper ausgeschlossen. Daß ein Kollegium von hundert Ur-
teilern eine unbewegliche Masse und schon deshalb unbrauchbar
ist, erwähne ich nur nebenbei1).
Leider verschweigt uns Bethpe, wie dieser Gerichtsrat zu-
stande gekommen sein soll; er meint nun daß man ihn „irgend-
wie (!) kreirte“. Daß er aber der Frage dieser Kreation nicht
weiter nachgegangen ist, muß entschieden als Fehler erachtet
’) AuiTallenderwcise findet sich diese „Katconturic“ auch bei Möllen-
hoff (I>. A. IV. -252).
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werden. Denn falls sich Bethge den Geburtsakt seines Geriehts-
rats etwas lebhafter vorgestellt hätte, wären ihm vielleicht auch
Zweifel an seiner Existenz gekommen. Wenn tausend Leute aus
ihrer Mitte hundert auswählen sollen, so ist das noch heutzutage
eine ziemlich umständliche Sache. Wenn es sich aber um ger-
manische Zeit handelt, dann wird Jeder, der sich in die Einfach-
heit germanischer Verhältnisse hineindenken kann und nicht
immer moderne Begriffe darin suchen und linden will, einen solchen
Wahlakt als etwas unharmonisches und geradezu unmögliches
empfinden.
Auch sonst spricht der praktische und nüchterne Sinn der
Germanen gegen einen solchen Gerichtsrat. Die Germanen haben
doch sicher nicht auf einem zum mindesten für die damalige Zeit
äußerst umständlichen Wege ein Organ geschaffen, dessen Tätig-
keit darin bestanden hätte, eine Funktion auszuüben, die Jeder
der Wählenden ebensogut selbst erledigen konnte. Es wäre
dieser Gerichtsrat ein durchaus unnötiges Organ gewesen, was ja
schon daraus horvorgeht, daß er sich nicht einmal in der ger-
manischen Gerichtsverfassung findet. Und selbst wenn man, um
auch diese Möglichkeit nicht außer Acht zu lassen, annehmen
wollte, daß dieses Organ schon zu anderen Zwecken vorhanden
war und nur für den Urteilsvorschlag adaptiert wurde, so wird
man auch da noch vergebens nach dem vernünftigen Grund, in
diesem Falle der Adaption, fragen.
Aus ähnlichen Gründen läßt sich behaupten, daß die Ger-
manen auch zur Ackerverteilung eines Hundertausschusses nicht
bedurften. In der Wanderungszeit war ein Ackerverteilungsorgan
deshalb unnötig, weil nur bei Ansiedlungen Äcker zu verteilen
sind. Und wenn einmal in der Wanderung ein so lange dauernder
Stillstand eintrat, daß an eine Feldenvirtschaft gedacht werden
konnte, dann war sicher mit der Behörde, die sich Bethge vor-
stellt, nichts gedient; sie hätte überhaupt nicht als Hundertaus-
schuß in Tätigkeit treten können. Das Niederlassungsgebiet einer
Tausendschaft, die wir, um überhaupt diskutieren zu können, zu-
nächst als vorhanden annehmen müssen, war für alle Fälle viel
zu groß, als daß der Hundertausschuß hätte herumreisen und
jedem Familienvater Land zuteilen können. Solche Ackerzuteilungen
sind praktisch nur dann denkbar, wenn sie in kleinerem Mußstuh
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d. h. für kleinere Gebiete, für einzelne Teile des Tausendschafts-
gaues, durch verschiedene Personen gleichzeitig stattgefunden haben.
Dazu hätte sich aber der Hunderterausschuß teilen müssen und
die Germanen wären ebensoweit gewesen, wie wen n sie ohne den
Ausschuß die Ackerverteilung durch Altermänner oder Dorf-
vorsteher oder Häuptlinge vornehmen ließen. Solche Personen
konnte dann auch Caesar ohne der Sprache Gewalt anzutun
magistratus heißen. Wenn Bethge sich umgesehen hätte, was
bei den Römern magistratus hieß, dann hätte ihm nicht erst
Brunner sagen müssen, daß Caesar nie und nimmer einem
solchen Ausschuß für Urteilfindung und Ackerverteilnng die Be-
nennung magistratus hätte geben können.
Ist somit in der Hundertschaft weder ein Urteilerkollegium
noch eine Ackerverteilungsbehörde zu sehen, so erübrigt es sich
wohl, auch auf die dritte Gleichung Bethge's, die Gleichsetznng
der Hundertschaft mit der Elitetruppe näher einzugehen. Denn
es könnte ohnedies nur noch die Frage zur Erörterung kommen,
in welchem Verhältnis die Hundertschaft zu der Elitetruppe
stand, und diese Frage muß im Folgenden noch in anderem Zu-
sammenhang erledigt werden. Nur darauf möchte ich im Vor-
beigehen hinweisen, daß schon von Anfang an, nicht erst in der
Zeit, die Bethge passend erscheint, für die Auswahl von Urteil-
lindern und Ackerverteilem einerseits und Elitekämpfern anderer-
seits so völlig verschiedene Gesichtspunkte hätten maßgebend sein
müssen, daß die Wahl schwerlich auf die nämlichen Personen
hätte fallen können.
Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Anschauungen, die
E. Mayer in seiner deutsch-französischen Verfassungsgeschichte
ausgesprochen hat1). Mayer nimmt an, „daß es ursprünglich in
der Hundertschaft hundert an der Waldmark berechtigte Leute
man darf sagen Familienhäupter — gab und daß diese Be-
rechtigungen mit der steigenden Bevölkerung sich nicht vermehrt
haben, sondern begrenzt geblieben sind.“
Aber man wird vergebens nach einer Antwort auf die Frage
suchen, woher denn bei der Waldverteilung diese Hundertzahl
kommen soll. Angenommen selbst, daß cs Heeresabteilungen von
') E. Mayer, Deutsche und französische Vcrfassuiigsgesrhichte I. 8. 434 ff.
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hundert Mann je gegeben hat, sind die hundert Waldberechtigungen
nicht zu erklären. Erstens sind, wie wiederholt hervorgehoben
werden muß, hundert Wehrpflichtige und hundert „Familien-
lwupter“ nicht dasselbe. Wenn sieh bei der Niederlassung eine
Abteilung von hundert Wehrpflichtigen in einer sogenannten
„Hundertschaft1- niedergelassen hätte, so würde das immer noch
nicht eine Ansiedlung von hundert Familienhäuptern oder hundert
Gehöften gegeben haben. Sodann wurde bei den germanischen
Ansiedlnngen der Wald überhaupt nicht aufgeteilt. Er war und
blieb noch lange Gesamteigentum mit ungemessenem Nutzungs-
recht der (ienossen. Zu einer Zeit aber, in der eine Teilung des
Waldes erfolgte, sei es auch nur eine Nutzungsteilung, kann nach
May er 's eigener, richtiger Anschauung gar nicht mehr an gerade
hundert zu berücksichtigende Genossen gedacht werden. Mayer
sagt ja selbst, daß die ursprüngliche Einteilung des Heeres in
Abteilungen von Hundert „für ein seßhaftes Volk sehr bald den
Sinn verlieren muß“. Noch in der fränkischen Zeit ist Gesamt-
eigentum am Walde die Regel, Zuweisung von Wald an Einzelne
zur Sondernutzung und Beschränkung des Rodungsrechts die Aus-
nahme. Und für diese Periode geben auch die entschiedensten
Vertreter zahlenmäßiger Volkseinteilungen und Heereseinteilungen
zu, daß von den Zahlenverhältnissen außer dem Namen nichts
mehr vorhanden ist. Wie sollte man in noch späterer Zeit bei
der endlichen Aufteilung der gemeinen Mark auf den Gedanken
verfallen, ein längst obsolet gewordenes Organisationsprinzip her-
vorzuholen und nun gerade hundert Waldberechtigungen zu
schaffen, weil Jahrhunderte vorher hundert selbständige Familien-
häupter oder hundert Wehrpflichtige allenfalls im Besitz dieser
Almende waren. Und wie hätte man denn mit hundert Anteilen
die damals schon weit zahlreicheren, gleich starken Ansprüche
befriedigen sollen? In den vielen Jahrhunderten seit der An-
siedlung war eine Reihe neuer Gehöfte von Gliedern altansässiger
Familien sowohl, wie von Ausmärkern gegründet worden. Diese
alle hatten Nutzungsrecht an der gemeinen Mark. Sollten sie
nun bei der Aufteilung leer ausgehen?
Das sind Konsequenzen, die man nur anzudeuten braucht,
um zu zeigen, daß Organisationen, die sie im Gefolge haben,
nicht möglich sind. Davon hätte sieh auch Mayer überzeugt,
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wenn er nicht, wie die Vertreter aller dieser Theorien durch das
Wort „Hundertschaft“ auf einen Zahlbegriff hingewiesen worden
wiire und wenn ihn nicht eine overysselsche Urkunde anscheinend
dabei unterstfitzt hätte1). Deren hier einschlägige Sätze sind
folgende:
„noverit. tarn successio posterorum ic. :c. quod ego Rodul-
fus de Steinvorth pro remissione peccatomm meorum et
animae meae salute quicquid haereditatis liberae liabui in
Fullenho videlicet XXII portiones quns Warscaph vocant, et
quicquid deinceps ibidem adquisiero in tirmam et stabilem
possessionen donaverim ad servicium Dei k. je. Portionum
autem supradictarum (nicht orum wie Mayer druckt) X jacent
inter C portiones illorum de Ostergo III1 vero sunt de
allodio de Metlire. Item IIII inter C illorum de Wye item
II inter C illorum de Suthegoe I de Lenethe et I de Jsle-
muthen*).“
Betrachtet man diese Stelle vorurteilsfrei, so zeigt sich, daß
die von Mayer gegebene Auslegung nicht auf unbedingte Richtig-
keit Anspruch machen kann. Mayer nimmt an, daß die Graf-
schaft Fullenho, in der er den alten pagus forestensis oder
eomitatus Agridiocensis sive Cmbalaha wiedersieht, in Goe zu je
100 warshap zerfallen sei, die in dieser Stelle auftreten. Vollen-
hove, Ysselmuden und Wyhe seien später noch Schnlzenämter,
Ostergo und Suthego seien spurlos verschwunden, Lenethe eine zum
Schulzenamt Dalfßen gehörige Mark; über Metlire äußert sich
Mayer nicht weiter. Wenn man nun damit Karten vergleicht,
so zeigt sich, daß der Bezirk Fulnaho im it. Jahrhundert1), wie
um das Jahr 1000*), begrenzt ist, nördlich vom Waldago oder
Stell ingawerf, östlich von Trenthe, südlich vom Islego, westlich
von der Znidersee. Bei dieser Abgrenzung fällt kein Teil des
Laufes der Yssel in den Bezirk Fullenho, und die in deren
nächster Nähe oder an ihr gelegenen Orte Lenthe, Wyhe und
Islemuthe liegen außerhalb seiner. Ganz gleich nun, ob und wie
sich Fulnaho in späterer Zeit erweitert hat, auch wenn es im
') Vgl. hierzu Mayer a. a. 0. I. S. 412.
s) J. W. Kacer, Overysselsche Godonkstukken II. (1782) S. 200f.
s) v. Richthofen, Untersuchungen II., 1 S. 125 und Karte in II. 2.
*) Karte bei Droysen: Deutschland uui das Jahr 1000.
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4!»
12. Jahrhundert diese Orte enthalten hatte, so steht doch damit
fest, daß in einer Zeit, in der die Hundertsehaftsverfassung langst
durchgefuhrt sein mußte, die (Joe, die zur Grafschaft Fnlnalio
gehören sollen, in einem anderen Bezirk, nämlich im Islego,
liegen. Es fehlt also an dem Konnex der späteren Einteilung
mit der früheren.
Da es außerdem ganz unzulässig ist, den in der Urkunde
genannten Ostergn und Suthergo nicht auf die naheliegenden
friesischen Teile dieses Namens zu beziehen und ohne weiteres
anzunehmen, daß es später „verschwundene Gaue“ sind, so stößt
die Auslegung, die Mayer dieser Urkunde gegeben hat, auf er-
hebliche topographische Schwierigkeiten. Diese hat Mayer aller-
dings nicht bemerkt. Sie hätten ihn sonst wohl veranlaßt, die
Erkunde anders zu interpretieren.
Rudolf von Steinfurth schenkt der Kirche in Lctthe 22 wars-
eaph. die er „in Fullenho“ besitzt, wobei schon auffallend ist,
daß es nicht heißt „in comitatu Fullenho“. Von diesen
22 warseaph sollen 10 liegen „inter C portiones i Horum de
Ostergo.“ Hier fällt auf. daß es nicht heißt entweder „in
Ostergn“ oder „X haben in Ostergo“. Das wäre doch die natür-
lichste Fassung, wenn, wie Mayer annimmt, ausgedrückt werden
-dl. daß diese Teile im Ostergo liegen. Es ist aber in Wahr-
heit nicht die Fassung auffallend, sondern die Erklärung von
Mayer paßt nicht zum Inhalt der Urkunde und infolgedessen
auch nicht zu ihrer Fassung.
Mayer geht davon aus, daß Fullenho „zweifellos identisch“
ist „mit dem pagus forestensis oder comitatus Agridiocensis sive
Finbalaha in den Urkunden des 10. und 1 1. Jahrhunderts“. Aus
den von ihm erwähnten Belegstellen') geht aber nicht sicher her-
vor. daß der pagus forestensis sich mit dem comitatus Agridio-
censis sive Umbalaha deckt, wohl aber daß der pagus forestensis
in einem comitatus liegt. Ebensowenig ist dort davon die
Rede, daß Fullenho, wie Mayer annimmt, eine Grafschaft ist.
Dagegen ist deutlich zu ersehen, aber Maver anscheinend ent-
') Hei S. J. Fnkcuia- Andrcao, De stail VullunhoTc en haar recht I.
S. 2f.
t. Schwerin, allgerui Hundt-rUtbafl t
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gangen, daß Fullenho ein Wald ist. Denn in einer Urkunde von
943 heißt es „in Sylva, quae nuncupatur Fulnaho“1).
Hieraus ergibt sich Folgendes. Der Wald Fulnaho war in
warscaph*) geteilt. Wieviele Teile es gab, wissen wir nicht und
ist auch ohne Belang. Von diesen Teilen hatte Rudolf von Stein-
furth •J'J; deshalb sagt er „quicquid liberae haeredidatis habui
in Fullenho“. Hundert Teile gehörten den Leuten vom Ostergo
(„illi de Ostergo“), hundert denen von Wye („illi de Wyc“)
u. s. f. ; so erklärt sich auch diese Fassung.
Diese Auslegung entspricht Fassung und Inhalt der Urkunde,
sowie dem, was wir sonst über Fulnaho5) wissen. Sie zeigt aber
auch, mit wie wenig Orund diese Quelle von Mayer zum Beweise
seiner Hundertschaftstheorie herangezogen wurde. Ks ist voll-
kommen ausgeschlossen, daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen
über das Bestehen oder Xichtbestehen von Hundertschaften oder
ihr Wesen. Warum der Wald Fulnaho geteilt wurde, warum
gerade die Genannten Anteile hatten, warum Kinzelne gerade
hundert, das sind Fragen für sich, die hier nicht zu erledigen
sind, deren Lösung auf das Gesagte ohne Einfluß bleibt').
Ähnlich gestaltet ist die Theorie von Meitzen1), der unter
ausdrücklicher Verwerfung der Heerestheorie und der Hufentheorie
den Grund der nach seiner Ansicht feststehenden Zusammen-
fassung der freien Volksgenossen in Gruppen von Hundert in den
Verhältnissen der Nomadenzeit sucht. Es kommt Meitzen, wie
ich zur Vermeidung von Mißverständnis besonders betone, nicht
■) l'rkundc von 043, im Auszug« ebenda: Koke in a bemerkt ganz
richtig: „De nnatn Eulnahn wordt hier dus gegeven aan oen bosch“.
*) llozüglich warschap vgl, Maurer, Geschichte der Markenverfassung
in Deutschland S. Ö0 fl. Dali es mit waterscapium identisch ist, bezweifle
ich. Auch verzeichnet Ducangc sowohl waterscapium wie warescapium.
3) Vgl. Kokcma- And reac a. a. O., wo ersichtlich ist, daß Fullenho
auch Name einer am Ostufer der Zuidersee und westlich des Wahles ge-
legenen befestigten Stadt ist.
4) Von hier ans entfallt auch die Bedeutung anderer Argumente, die
Mayer zur l'nterstntzung seiner Theorie herangezogen hat, wie i. ß. die
ßehauptung. daß der sächsische gogreve von den Krfezen gewählt wird.
Jedorh werde ich bei Besprechung der einzelnen Gebiete im Krankenreich
auf solche Argumente zuriiekkommen.
s) A. Meitzen Siedlung I. 140 ff.
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:>i
darauf an, zu beweisen, daß eine solche Einteilung: bestand, son-
dern darauf, zu zeigen, wie sie entstand. Er geht davon aus,
daß es Gruppen von 120 Familien gab und stellt dann die Frage,
wie sich in der Nomadenzeit diese Gruppen gebildet haben können.
Bei der Beantwortung berechnet er den „Verbrauch einer deutschen
Hirtenfamilie an Nahrungsstoffen“ „auf den Kopf jährlich etwa
zu 200 kg. Fleisch 2400 Liter Milch und 50 kg. Getreide.“ „Die
Familie, mit ihren Angehörigen zu acht Köpfen, jung und alt.
gerechnet, vermag deshalb mit dem Ertrage von HO hinreichend
gut ernährten Kühen auskömmlich zu leben. 120 Familien werden
also einen Viehstand besitzen müssen, welcher 3600 Kühen gleich
käme“. Sodann berechnet er die Nahrungsbedürfnisse der 3600
Kühe und kommt zu dem Schluß, daß zu ihrer Befriedigung ein
Weiderevier von durchschnittlich 3 Quadratmeilen erforderlich
sei. Ferner stellt dann Meitzen fest, daß die dänischen Hemd
durchschnittlich eine Größe von 5,3 Quadratmeilen haben und er
endet dann seine Untersuchung mit folgenden Ausführungen :
„Die Verhältniszahlen zeigen, daß auf den Gebieten der alten
Harden je 120 Hirtenfamilien durchaus nicht überreichlich, sondern
auf den kleineren nur knapp, den Unterhalt für ihre nötigen
Herden, und damit ihren eigenen zu linden vermochten. Es ist
deshalb auch keine Veranlassung, nach irgend einem besonderen
Grunde der Hardenabgrenzung zu suchen. Ungefähr 120 Familien
sind ganz angemessen als die zweckmäßige und übliche Personen-
zahl zu betrachten, durch welche diese notwendig gemeinsame
Hirten Wirtschaft von den nach dem Weidegang und der Jahres-
zeit wechselnden Lagerplätzen aus betrieben wurde.“
Es ist klar, daß dieses Gebäude von Hypothesen nicht auf-
geführt worden wäre, wenn nicht die Rechtshistoriker das Bestehen
zahlenmäßig abgegrenzter Gruppen von je hundert bestimmt be-
hauptet und dabei durch Aufstellung von, wie Meitzen richtig
erkannte, haltlosen Entstehungsgründen für diese Gnippen, zum
Aufsuchen anderer Gründe veranlaßt hätten. Aber auch, wenn
man davon ausgeht, daß es solche Hunderte gegeben hat, muß
man die Erklärung, die Meitzen gibt, ablehnen. Denn mit
ebensoviel Wahrscheinlichkeit, lassen sich 110 oder 115 oderauch
125 Hirtenfamilien als die Bewohner eines Herad berechnen.
Es ist jedenfalls ausgeschlossen mit Hilfe der Meitzen 'sehen
4'
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Hypothesen die Existenz zahlenmäßiger Volksabteilungen zu
beweisen, mehr noch, als sie zu stützen. In der Tat ist das auch
noch nicht versucht worden und jeden spätereu Versuch wird die
Überfülle von Hypothesen an einem Erfolg hindern.
Zum Schlüsse sei bemerkt, daß sich die Ausführungen von
Meitzen nur auf die Hundertschaft als Landeinteilungsprinzip
beziehen. Bei den Hundertschaften in der Gerichtsverfassung und
im Heere handelt es sich nach seiner Meinung zweifellos „um
120 waffenfähige Freie, im Wesentlichen also um 120 Familien-
väter.“ Für eine solche Scheidung besteht jedoch nicht der
geringste quellenmäßige Grund. Sie ist offensichtlich nur eine Hilfs-
hypothese, um die „Weidetheorie“ mit den Quellen in Einklang
bringen zu können.
Überblicken wir alles bisher Gesagte, so zeigt sich, daß zwar
über die Entstehung der Hundertschaften sehr verschiedene An-
sichten vertreten werden, daß aber auch keine dieser Theorien
befriedigen kann.
Hierbei habe ich, wie hier hervorgehoben werden muß, die
Differenzierungen beiseite gelassen, die sich ergaben durch ab-
weichende Ansichten über die Stellung der Hundertschaft im
Gesamtbild der germanischen Verfassung, ihr Verhältnis zum pagns
und ihre Funktionen. Die Hereinziehung aller dieser weiteren
l'ntcrschiede hätte nicht nur die Sonderung der Theorien über die
Entstehung der Hundertschaft und ihr Wesen unmöglich gemacht,
da die Stellungnahme in diesen Einzelfragen die Vertreter der
verschiedenen Theorien nicht selten wieder verbindet, sondern sie
hätte auch die folgende Darstellung sehr erheblich gestört und
zahlreiche Wiederholungen zur Folge gehabt. Es hätten hier
Quelleninterpretationen erfolgen müssen, die notwendig in den
späteren Zusammenhang gehören.
Das Ergebnis der bisherigen Ausführungen soll aber kein
negatives sein, indem es uns zwingt, die bisherigen Anschauungen
ohne genügenden Ersatz fallen zu lassen, sondern wir können
gerade aus der Kritik der vertretenen Anschauungen den Weg
entnehmen, auf dem die Entwicklung einer neuen Ansicht möglich
sein wird.
Die erwähnten Theorien scheitern, wenn man die Sache genau
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betrachtet, alle an der .Zahl Sei es nun, dal! die zahlenmäßige
Gliederung von Anfang an unmöglich, sei es daß die Beständigkeit
der einmal vorgenommenen Gliederung ausgeschlossen erscheint.
Wir werden daher mit Recht fragen, oh die Hereinziehung des
ZahlbegrifTes in die ganze Frage überhaupt berechtigt erscheint
und da er offensichtlich durch das Wort Hundertschaft herein-
gekommen ist, erscheint es angezeigt, zunächst den Begriff
.Hundertschaft“ vom sprachlichen Gesichtspunkt aus zu erläutern.
III. Worterklärung.
Die Rprachform „Hundertschaft“ ist sehr jung und an-
scheinend von den historischen Wissenschaften geprägt als eine
Ibersetzung des lateinischen „centena“. Als Zusammensetzung der
Zahl .hundert“ mit der Ableitungssilbe „-Schaft“ bedeutet .Hundert-
schaft“ ein Verhältnis von hundert Einheiten; es ist ein Kollektivum
von hundert1;. Dies genügt es, festgestellt zu haben; denn für
die weitere Untersuchung können wir nicht von einer Rprachform
ausgehen, die sich Jahrhunderte später gebildet hat, als die letzten
Spuren germanischer Hundertschaften verschwunden waren. Xur
darauf möchte ich hinweisen, daß von dieser modernen Form
ausgehend die in den vorhergehenden Abschnitten behandelten
Theorien sprachlich wenigstens gerechtfertigt wären; denn sie
operieren ja mit hundert Einheiten.
Man könnte dann an Ausdrücke denken, die sich im Spät-
mittelalter und am Beginn der Neuzeit finden und sowohl sprach-
lich wie inhaltlich mit Hundertschaft in enger Beziehung stehen.
Ich meine nämlich huntschaf5), hontschaft *), hundsehaft5) hont-
') Recht deutlich wird dies bei Weisko, die Grundlagen der früheren
Vcrfassnng Deutschlands. S. 4. „Betrachten wir unsere eigenen Quellen und
gehen wir namentlich auf Tacitus zurück, so ist es nicht zu leugnen, daß
er eine durchgreifende Einrichtung, bei der hundert Personen in irgend
(!) einem Betracht Vorkommen, vor Augen hatte.“
s) Vgl. Wilmanna deutsche Grammatik 1 11 S. 300.
3) Grimm Weistümer II 7.79.
•) ebda. II 764. II 692.
*) ebda. II 677.
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schap '). Aber auch da haben wir es mit Formen zu tun, die
weit jünger sind, als die letzten Reste germanischer Verfassung
und überdies ist es sehr zweifelhaft, ob gerade diese Ausdrücke
Begriffe wiedergeben, die den germanischen Hundertschaften sachlich
entsprechen.
Damit ist die Reihe der Bildungen, die etymologisch nach
gleichem Prinzip gebildet sind wie unser „ Hundertschaft“, erschöpft,
und wenn wir uns «lern Hundertschaftsproblem auf sprachlichem
Wege nähern wollen, so müssen wir gleich auf die Worte zurück-
gehen, die in germanischer und fränkischer Zeit der Wiedergabe
des Begriffes dienten, den wir jetzt mit Hundertschaft bezeichnen.
Dieser Worte sind nicht viele. Die Franken sprachen bekannt-
lich von einer centena. Aber dieses Wort scheidet aus. weil es
lateinisch, möglicherweise die Wiedergabe eines mißverstandenen
deutschen Wortes, nach früheren Ansichten allerdings sogar ein
latinisiertes deutsches Wort, dann aber sehr zweifelhafter Natur ist.
So bleiben zunächst das altschwedische hundari, das im ala-
mannischen, also oberdeutsch, lautgesetzlich entsprechend als
huntari erscheint, und das angelsächsische hundred. Von ihnen
möchte ich das letztgenannte Wort aus doppeltem Grunde nicht
zur Grundlage einer Untersuchung nehmen. Erstens ist es gerade
beim angelsächsischen hundred sehr bestritten, ob es überhaupt
eine germanische Hundertschaft und nicht vielmehr eine Neu-
bildung ist, und zweitens ist hundred ursprünglich nichts anderes
als ein Kardinalzahlwort, woraus den selbstständigen Bildungen
hundari und huntari ein bedeutender Vorzug erwächst.
Das Wort hundari. und was von diesem, gilt auch von huntari,
ist eine Bildung aus dem Simplex hund und dem ja-Suffix -ari *).
Welche Funktion gerade bei diesem Worte dem Suffix -ari zukommt
ist dunkel: jedenfalls bildet es ein sächliches Konkretum und stellt
fast vereinzelt einer großen Anzahl von Fällen männlichen
Geschlechts gegenüber. Inhaltlich vertritt hier -ari m. E. das
spätere -seaft. Dies legt insbesondere die Form hunaria nahe:
denn hunaria ist gleich hontschaft und überhaupt entspricht dem gcr-
') ebda. II 694
*) Vgl. Wilinanns a. a. 0. II S. 292. F. Kluge Nominale Stainm-
bildungslehrc der sdtgcrmamsclien Dialekte* § § 9. 11.77.
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manischen -ari (-arja) das lateinische -arius -a, um'). Die Lücke
in der Erklärung der sprachlichen Bedeutung kann jedoch ohne
Bedenken offengelassen und aus der sachlichen Bedeutung ergänzt
werden. Daß hundari ein räumliches Gebiet bezeichnet, steht
außer Zweifel und das, was wir zu untersuchen hatten, ist über-
haupt nicht das Suffix, sondern die erste Hälfte des Wortes, das
Simplex liund.
Dieses Simplex ist bekannt im Gotischen und Althochdeutschen,
nicht aber in den übrigen germanischen Sprachen, die nur Zu-
sammensetzungen mit liund kennen. Sowohl hier wie dort hat
es in der Regel die Bedeutung unseres heutigen hundert.
Hund ist nach der neuesten Forschung zurückzuführen auf
*kmto-m, das schon indogermanisch ein Wort zur Bezeichnung
von hundert Einheiten gewesen sein soll; es wäre demnach urver-
wandt mit lat. centum, griech. ixativ, altind. satä-m, litauisch
-zimtas *). Das idg. kmto-m ist seinerseits nach der jetzt herr-
schenden Ansicht von Bugge abgeleitet aus idg. dt'km - zehn
durch das betonte Abstraktsuffix -to. Die Grundbedeutung von
kmto-m sollte dann „Zehnheit- von Dekaden sein5).“
An dieser Etymologie fällt, wenn man von der lautgesetzlichen
Seite, die nicht zu beanstanden ist. absieht, zweierlei auf, worauf
bis jetzt, soviel ich sehe, noch nicht hingewiesen worden ist.
Es erscheint mir vor allem fraglich, ob die Indogermanen
bereits bis hundert gezählt haben. Daß dem so war, ist bis jetzt
allgemein angenommen worden. Und in der Tat haben wir, anders
als bei tausend, in fast allen indogermanischen Sprachen für den
Begriff -Hundert“ Bezeichnungen, die sich auf eine gemeinsame
indogermanische Wurzel, eben das vorgenannte kmto-m zurück-
führen lassen. Damit ist aber gleichwohl nicht bewiesen, daß die
Indogermanen bis hundert zählten, sondern im günstigsten Fall
nur, daß ihre Sprache diese Wurzel enthielt.
•) Vgl. hierzu J. Grimm, Grammatik d. deutschen Sprache II (1893)
S. 120 f. 127. 128. Kluge a. a. 0. § 35. Braune Althochdeutsche Grammatik
$ 200. Streitberg Urgcrmanische Grammatik1. S. 235.
*) Vgl. Brugmann. Vergleichende Grammatik der indogerm. Sprachen
1**4) 8. 367 ; GrundrilPder Grammatik der indogerm. Sprachen Hd. II. S. 501
*) S. Bugge Etymologische Beiträge in den Beitr. z. Kunde der indo-
genn. Sprachen XIV. S. 72. F. Kluge in Pauls Grundritl I’S. 490.
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Forscht man in der Reihe der indogermanischen Sprachen
weiter nach den verschiedenen Zahlwörtern und ihren Bildungen,
so zeigt sieh als auffallende Erscheinung, daß im Germanischen
und im Baltisch-Slavischen die Bildung der Zehner von 20 — ISO
hezw. von 20 — 00 ganz verschieden ist von der Bildung dieser
Zahlen in den übrigen indogermanischen Sprachen1). Wahrend
in diesen nach der herrschenden Anschauung die Zahlen gebildet
werden durch „Komposita mit* -[d] kmt- *[d] kom-t-,“ erfolgt in
jenen beiden Sprachen die Bildung „mit dem Abstraktum *dekmt-. “
Zu dieser eigenartigen Erscheinung bemerkt Brugmann lediglich:
„Im Germ, treten an die Stelle der altüberkommenen Ausdrücke
für 20 — GO solche mit dem Abstraktum *dekmt-“ und „Im Halt-
o
Slav. die gleichartige Neuerung für 20 — 00.“ Daß hier Neu-
erungen vorliegen und die jetzt in den beiden Sprachen üblichen
Formen an die Stelle solcher getreten sind, welche den Bildungen
in den übrigen germanischen Sprachen entsprechen, ist aber eine
vollkommen willkürliche Hypothese. Wir haben für die Tatsache
einer solchen Neuerung nicht den mindesten Anhaltspunkt. Was
soll die germanischen und die baltisch-slavischen Völker zu einer
plötzlichen Änderung veranlaßt haben? Es handelt sich ja nicht
etwa um eine Entlehnung; denn diese Neuerungsformen sind mit
indogermanischer Wurzel gebildet und die anderen Spraehstämme,
die für eine Entlehnung in Betracht kommen könnten, bilden ihre
Zehner gerade nicht so.
Sehr auffallend wird diese abweichende Zehnerbildung noch
dadurch, daß die germanischen und slavisch-haltischen Sprachen
zusammen den nordeuropiiischen Zweig des indogermanischen
Sprachstammes ausmachen. Es bildet also der nordeuropäische
Zweig seine Zehner anders als der sQdeuropäisclie und dieser
Umstand spricht dafür, daß die Zehnerbildung vor der Trennung
der beiden Hauptgruppen der indogermanischen Sprachen überhaupt
noch nicht erfolgt war. Jedenfalls scheint mir diese Annahme die
verschiedene Zehnerbildung besser zu erklären als die einer plötz-
lichen, durch nichts veranlaßten „Neuerung.“
Der andere Punkt, der mir die angeführte Etymologie
zweifelhaft erscheinen laßt, ist die Erklärung von Hundert als
’) Vgl. Iirugman» a. a. 0. S. Öfifi f.
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.Zehnheit von Dekaden.“ Denn diese Erklärung enthält zwei
Ratsei.
Zunäc hst ein psychologisches. Wie alle abstrakten Begriffe
ist auch der der Zeh nheit oder Dekade kein sehr leicht falllicher und
hei primitiven Völkern inutl er immerhin überraschen. Doch
scheint er nach dem schon Gesagten bestanden zu haben; die
Bildung von dekm-to-m deutet darauf hin und ich möchte dem
nicht mit allgemeinen Gründen entgegentreten. Dagegen ist auf
der den Indogermanen eigenen Kulturstufe eine so abstrakte
Bildung wie eine Dekade von Dekaden doch etwas ungeheuerlich.
Ich halte es für vollkommen ausgeschlossen, daß die Indogermanen
die zweifellos vorhanden gewesene Wurzel mit dieser Bedeutung
gebraucht haben.
Dazu kommt aber noch etwas Anderes. Kluge1) sagt über
die Etymologie von Hundert: „Das indogermanische Zahlwort
skmt« „hundert“ ist augenscheinlich d(e)kmto „Zehnheit“, wobei
.von Dekaden“ zu ergänzen ist.“ Nun soll die Existenz des Ab-
straktums „Zehnheit“, wie oben schon hervorgehoben, durchaus
nicht bestritten werden. Aber vollkommen unverständlich ist mir
die Art, auf die dieses Wort, das doch ursprünglich nach der
herrschenden Ansicht einzig und allein „Zehnheit“ bedeutete, zu
der Bedeutung Hundert gelangt. Woher soll denn diese Ergän-
zung „von Dekaden“ kommen, für die wir nicht den mindesten
Anhaltspunkt besitzen? Es ist ganz unmöglich, daß in einer
Sprache ein und dasselbe Lautbild Zehnheit und Hundertheit
bedeutet. Das läßt sich nur dann denken, wenn das betreffende
Volk überhaupt noch nicht zwischen Zehn und Hundert zu unter-
scheiden vermag, also erst bis Zebu zu zählen versteht oder etwa
Mikzessiv in der Weise, daß ein Wort zunächst zur Bezeichnung
v»n zehn Einheiten verwendet wird, später unter Aufgabe dieser
Bedeutung zur Bezeichnung von hundert Einheiten •). Endlich
') in Pauls Grundriß I S. 489.
r; So scheint cs bei dein nltind. dasati-s zu sein: daneben gab es ein
bc* »idercs Wort für hundert nümlich satä-m. Ob, wie Krugniann Gmndr.
a. a. O. 8. 501 meint, got. tai huntc-hund einem gricch. entspricht,
scheint mir sehr fraglich.
I'affir daß in frühester Zeit hund soviel wie zehn bedeutete vgl.
Wiliuanns a. a. 0 II S. 597.
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fehlt jede Erklärung, wie das Großhundert, das doch keine Dekade
von Dekaden war, die Bezeichnung hund haben konnte.
Diese Erwägungen müssen dazu führen, die bisherige ety-
mologische Erklärung von hund aufzugeben und es fragt sich
nun. was an ihre 8telle gesetzt werden soll.
Im Anschluß daran, daß Brugmann griecli. nie mit
altindisch yä-yvant vollständig, ganz, jeder, in Verbindung bringt,
hat Falk zu dieser Gruppe noch das im Altnordischen als
erstes Kompositionsglied verkommende -hund- gestellt1). Noree n
ist ihm hierin beigetreten*). Als indogermanische Grundtonn hatte
Brugmann eine Form ku-nt angenommen, also eine Form mit
labiovelarem Anlaut. Dieser konnte sich ganz gesetzmäßig im
Griechischen zu ir, im Lateinischen zu <ju iquantus) verwandeln.
Im Germanischen tritt an seine Stelle in der Regel hw. Vor a
aber mußte dieses w nach einem urgermanischen Gesetze schwinden,
und so erscheint die von Falk angenommene Zusammenstellung
lautgesetzlich zulässig.
Die ses hund nun als erste Kompositionshälfte entspricht dem
griech. ri; nicht nur lautgesetzlich, sondern, wie Falk an Beispielen
gezeigt hat, haben beide in der Wortbildung die gleiche Funktion
übernommen. Hund hat, wie Fritzner3) ausfuhrt, in Zusammen-
setzungen mit einem folgenden Adjektiv eine verstärkende Bedeu-
tung oder drückt aus, daß eine Eigenschaft in einem besonders
hohen Grade verbanden ist. Demzufolge entsprechen sich nord.
hunddjarfr, und gr. ravraXfior, nord. hund-fom und griech. itiii-roiXato,-.
hund-margr und griech. saV-jroXot, nord. hund-viss und griech.
noiv-jo In diesen Wörtern bedeutet hund soviel wie „sehr“.
Ob dies auch bei hund-heiffinn der Fall ist, erscheint fraglich
und ich möchte mich mit Falk auf den verneinenden Standpunkt
stellen; angesichts des Umstands, daß nicht nur altnord, zu lesen
ist heiiVinn sem hundr sondern auch angels. tVone hceö'enan hund,
scheint mir hier die Zusammensetzung mit hundr = canis wahr-
scheinlicher.
') Falk in Akadcmisku Afhaudlingur til l’rof. l)r. S. Iingge (Kristiania
188!)) S. lö.
*) Norcen, l'rgertnanischc Lautlehre S. lfifi.
3) Fritzner, Ordbug ovor det gainlc norske Sjirog.1 s. v. hund.
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5«
Geht man von dieser Gleichung aus, so liegt es nahe, auch in
dem Simplex liund nichts anderes zu sehen als den Ausdruck für
eine „ Vielheit“, eine „Menge“. Es ist mit anderen Worten eine
Hundzahl, die neben einer bestimmten numerischen Funktion noch
die weitere hat, Mengen zu bezeichnen, die man nicht zählen
will, oder nicht zählen kann.
Bei dieser Annahme läßt es sich dann leicht erklären, wie
ein Wort, das ursprünglich nur „zehn“ oder „Dekade“ bedeutete
im Laufe der Zeit zu der Bedeutung „hundert“ kam. Der Vor-
gang war folgender. Die Indogermanen werden, wie alle Völker
auf der untersten Stufe der Entwicklung, anfangs nicht weit gezählt
haben. Sie blieben bei der natürlichen Zahl „zehn“ stehen.
Dieses „zehn“ nun konnte namentlich in der abstrakten Form zu
einem Mengenbegritf werden, da gerade die Schlußzahlen der
Reihe, die gezählt wird, dazu hinneigen, Rundzahlen zu bilden.
Sehr deutlich zeigt sich dies an Schock und sescenti die unter dem
Einfluß des Sexagesimalsystems zu solchen Hundzahlen sich aus-
gebildet haben, ohne dabei ihre Bedeutung als Bezeichnungen für
eine bestimmte Zahl von Einheiten zu verlieren. Bei „zehn“
(liund) muß die Entwicklung eine etwas verschiedene gewesen sein.
Als man begann, über zehn hinaus zu zählen, konnte zehn nicht
mehr zur Bezeichnung von allen höheren Zahlen verwendet werden;
es schieden die aus, welche man zählte. Dagegen war kein Hin-
dernis vorhanden, daß nicht dieses zehn seine Funktion als Men-
genwort beibehielt. Und in dieser Funktion mußte es sehr geeignet
erscheinen zur Bezeichnung der sich nun ergebenden Endstufe für
das Zählen von Einheiten, zur Bezeichnung von hundert Einheiten,
zugleich aber auch aller Summen, die größer waren als hundert.
Dafür nun, daß Hundert als Mengenbezeichnung in den
indogermanischen und insbesondere in den germanischen Sprachen
verwendet wurde, ergibt sich eine Reihe von Anhaltspunkten.
Von den antiken Völkern waren es besonders die Griechen
und Römer, die ix«iv und centum dazu benützten, eine Menge
von Einheiten auszudrücken, die man nicht weiter zählen wollte,
von der man sich aber auch bewußt war, daß sie nicht gerade
aus hundert Einheiten hestand. Aus dem Griechischen ist wohl
am bekanntesten die die keineswegs immer ein Opfer
von hundert Tieren, sondern nur ein sehr großes Opfer bezeich-
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r,o
net**, die «»tojisoX« xpjjti), Kreta mit den „vielen“ Städten, die
£X7TÖ|irufc7t Gr; Sn, das Theben mit den „zahlreichen“ Thoren; dazu
wären dann noch Wörter wie ixaTovrafuXto», ixzTovrdp'/ou;, £x»ro--
ixiTÄf/etp, £X7töv$o,o; zu stellen '). Im Lateinischen finden
sich centiceps, centifolius, centigranius, centimannns, centoculus.
Auch in modernen Sprachen können wir diese Verwendung
von hundert finden. So nennt Tommaseo das ital. cento ein
nuinero determinato per l'indetenninato unter Anführung von Bei-
spielen wie disse cento propositi oder ei son ritornato le cento
volte2). Ebenso finden wir hundred im Englischen gebraucht
„indefinitelv or hyperbolically for a large ntimber“’).
Was sodann die historischen germanischen Sprachen betrifft,
so möchte ich auch hier einige Beispiele antuhren, deren uns
sehr schöne die Edda4) bietet. So heißt es z. B.
Vafprüpnismql 1 s ;
Vigripr heitir vqllr es finnask vigi at
Surtr ok en srqsu gop;
h undrap rasta liann's ä hverjan veg,
sä’s peim vpllr vitapr.
tSrimnismöl 23:
Kimm hundrup dura ok of fjönim tegum
hykk ä Val hol lu vesa;
ätta hundrup einherja ganga ör einum dumm,
päs peir lära vip vitni at vega.
24. Kimm hundrup golfa ok of fjörum tegum
hykk Bilskirni mep bugum5).
’) Thcsauraus Graecae Linguae (H. Stephanus, Paris 18351 s. v. ixKov.
*) N. Tominaseo, Dizionario della Lingua italiana (Torino 1865)
s. v. cento.
3) Murray, A new cnglisb dictionary on historical principles (1901)
s. t. Immired.
*) Pie Zitate sind nach der Ausgabe von H. Gering (1904).
5) Daß hier zu den fünfhundert noch viermal zehn hinzugenonunen
sind, macht die Summe nicht zu einer bestimmten Zahl 540. Vermutlich
ist auch 40 eine Itundzahl : vgl. hierüber Hi rzel Über ltundzahlen (Bcrichtei
über die Verhandlg. d. lt. stchs. Gesellschaft d. Wissenschaften z. Leipzig.
Philos. -hist. Kl. 1885, S. 1 ff, S. 6 Cf.)
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<;i
Gylfaginning XXVII.')
„Hann pirf ininna svefn c*u fugl, hann »er jafn nütt sein
dag humlrat rasta l'rä ser, liaiui heyrir ok pat er irras
vex a jonVu ....**
und ebda. XXI.
„. . eil hüll hans lieitir Bilskirnir, i peini eru fimin
hundrinV gölfa ok fjdrir tigir“*).
In allen diesen Fallen ist liundrap nicht zur Bezeichnung
von genau abgezählten hundert Einheiten, sondern vielmehr zur
Bezeichnung einer ganz besonders grollen Menge gebraucht. Es
gehört hierher auch die bekannte Stelle aus den Kenningur: lierr
er hundraiV, die uns in anderem Zusammenhang noch weiter be-
schäftigen wird.
Aus der angelsächsischen Literatur erwähne ich einige Stellen
im Beovulf1).
14!hi. Söna pa*t onfunde se-O'e flöda begong
heoro-glfre beheold hu ml missera,
grim ond grsedig , pset pa*r giunena sinn
:el-wihta eard ufon cunnode.
17(19. Swä ic Hring-I)ena hund missera
weold under wolcnum . . .
227 N. Swä se fffeod-seeaiVa preo-hund wintra
lieold on hrüsan.
Zahlreiche Beispiele Hellen sich aus der mittelhochdeutschen
Literatur anführen; ich muLt mich hier auf wenige beschränken.
Parzival 237,1 4 1
der taveln hundert muosten sin,
die man dö truoc zer für dar in;
trojanische Krieg 10ti7l>5)
von ir gewunnren was ein krä
diu wol hundert,] aric schein;
') Citicrt nach der Ausgabe von F. Wilkcn (•iermanistisclic Hand-
bibliothek, Paderborn.)
*) Vgl. zu fjiirir tigir S. 00 Amu. 5 und als fernere lleispiele Hvmis-
kvida 8. Vülumlarkvipa Huudingsbaua II. 2li.
3) Ausgabe von Holder.
*) Hrsg. v. Leilzmann in der l’aul'seben Teitbibliothek.
'■’) llrsg. v. A. v. Keller (1838).
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i ;-2
Kudrun 138')
Dö er begunde nahen in sines vater laut
- die vil wlten bürge het er e bekant — ,
einen palas höhen kos er bi dem vluote;
drin hundert türm* such er da vil veste unde guotv.
In diesen Beispielen*) sehen wir nicht nur das Simplex
hund, sondern auch die Ableitungen hundrap und hundert als
Kundzahl verwendet. Dieses hundrap oder hundert gibt für sich
allein noch Veranlassung, sich näher mit ihm zu beschäftigen.
Hundert ist nämlich aus hunda-rap entstanden und dieses
zusammengesetzt aus dem wohlbekannten Simplex hund und einem
Substantiv, das zu dem Verbum rap.jan „zählen“ gehört. Hundert
heißt demnach wörtlich die „Hundertzahl“3). Darin, daß die
Germanen diese Form gebildet haben, sehe ich einen weiteren
Beweis dafür, daß das Simplex hund ursprünglich Menge bedeutete.
Diese Bildung entspringt dem Bedürfnis, der Zweideutigkeit, die
sich bei Verwendung von hund in einer doppelten Funktion
ergab, ein Ende zu bereiten. Man stellte neben das bisherige all-
zu unbestimmte Hundert nunmehr ein gezähltes Hundert.
Damit begann aber auch für das Simplex hund der Ver-
schwindungsprozeß. Wir können noch verfolgen, wie allmählich
hund durch hundert verdrängt wurde. Im Gotischen linden wir
nnr das Simplex hund; die Bildung mit rapjan ist unbekannt.
Ebenso ist es im Althochdeutschen und erst im Mittelhochdeutschen
') Hrsg. v. II. Sy ui uns in der Paid'achcn Toxtbibliothek.
’) Weitere Beispiele bei Grimm, Deutsches Wörterbuch s. v. Hundert 7.
Auch die hundert Götzenbilder im Tempel des Thor in Gudhun mögen
hierher gehören (Schlyter, Samlode afhaudlingur II S. 40).
s) Wilmanns a. a. 0. II. 507. Eine andere Erklärung gibt Heyne
im Grimm Vclien Wörterbuch s. v. Hundert. Kr geht aus von alt»,
hunderöd und führt dieses Wort auf ein Verbum hnnderün zurück, das in
Hundert gliedern bedeuten soll. Dagegen ist erstens cinzuwcnden, daß die
Form hunderöd gegenüber sowohl engl, hundred wie aschw. hundrap und
an. hundratV isoliert steht. Ks ist kein Grund, von der selteneren Form
auszugehen. F'erner kennt kein germanischer Dialekt, auch das sächsische
selbst nicht, ein Verbum hunderön oder eine entsprechende Form. Endlich
würde das Verbum, von hund abgeleitet wohl liundön nicht hunderön heißen.
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«3
ist hundert im Gebrauch. Im Angelsächsischen bestehen hnnd
und hundred neben einander: aber hund wird immer seltener bis
schließlich nur mehr hundred angewendet wird. Im Fränkischen
findet sich chunna, abgeleitet von chund.
Mit dieser Verdrängung von hund ging aber Hand in Hand,
daß seine Funktion als Mengenbezeiehnung auf das „Hundert"
überging und so entstand der dem Wortsinn ganz widersprechende
Gebrauch von Hundert, den wir heute noch kennen. Allerdings
ist hundert zui Mengenbezeichnung in Zusammensetzungen sehr
selten. Grimm1) kennt nur zwei Beispiele: hundertmal ig und
hundertschön. Gerade das letztgenannte Wort ist besonders in-
teressant. Denn wir sind gewöhnt von tausendschön zn sprechen
und werden nun durch dieses hundertschön darauf hingewiesen,
daß allmählich, als hundert Einheiten für das allgemeine Empfinden
nicht mehr als eine besonders große Menge erschienen, die Funktion
des Mengenbegriffs an „Tausend“ übergegangen ist. Dieser Ent-
stand erklärt es, daß wir jetzt bei dem Worte „Hundert“ viel
eher an eine Vereinigung von hundert Einheiten als an eine un-
bestimmte Menge zu denken gewöhnt sind, wenn nicht der ganze
Zusammenhang uns anders beeinflußt.
Aus dem Gesagten sehen wir, daß die erste Hälfte des alt-
schwedischen hundari keineswegs als Bezeichnung von hundert
Einheiten aufgefaßt werden muß, sondern ebensogut eine ganz
und gar unbestimmte Menge bezeichnen kann. Das Suflix-ari kann
dann hier die Bedeutung einer Zusammenfassung haben, sodaß
hundari nichts anderes wäre als die Menge in ihrer Gesamtheit.
Damit gewinnen wir wenigstens sprachlich die Möglichkeit, in der
Hundertschaft etwas anderes zu sehen als einen Komplex von
irgendwelchen hundert Einheiten und kommen damit um den
Fehler herum, den ich oben als den Hauptfehler aller bisherigen
Hundertschaftstheorien bezeichnet habe. Wir brauchen weder an
der „Zahl“ zu scheitern noch mit der Behauptung zu operieren,
daß sich dies ursprüngliche Zahlenverhältnis bald verwischt habe.
Vielmehr können wir davon ausgehen, daß Hundertschalten von
Anfang an „Mengen“ waren.
') Deutsches Wörterbuch unter eben diesen Wörtern.
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Die sich hieraas ergebende, Mengentheorie“ oder „Haufentheorie“
wie man sie allenfalls heilien kann, ist schon vor längerer Zeit
wenigstens angedeutet worden durch Philipps'). Nach seiner
Meinung wurde von den Germanen bei der Seßhaltmachung das
Land „an die einzelnen größeren Scharen des Heeres, welche
Hund oder Her genannt wurden, und innerhalb dieser an deren
kleinere Bestandteile, die Sippen, nach germanischer Sitte verlost.“
Dabei bezeichne Hund keine bestimmte Zahl, sondern einen
Komplex „ungezählter Heerhaufen, der aus mehreren Familien
bestehend ein Ganzes bildet.“ Dieselbe Anschauung hat in ein-
gehenderer Darstellung Gierke vertreten®). Unabhängig von
Beiden hält v. Amira*) die Hundertschaft für eine „als Menge“
zu denkende Volksabteilung und in allerneuester Zeit hat sich
Heyck 4) dieser Anschauung bemächtigt. Jedoch hat sich die
„Haufentheorie“ bis jetzt keineswegs Anerkennung zu verschaffen
vermocht; soviel ich sehe, hat nur Schröder kurz von ihr Notiz
genommen 5).
Im Folgenden soll nun gerade diese Theorie an Hand der
Quellen untersucht werden.
IV. Pagus
Wie bei allen rechtsgeschichtlichen Fragen, so darf auch bei
dieser Erörterung die Trennung der Untersuchung nach Perioden
nicht umgangen werden. Es scheint mir die Darstellung der
germanischen Verfassungsverhältnisse im allgemeinen und ins-
') Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte4 (1859) S. 108.
*) Genossenschaftsrecht 1 S. 40IT. insbe.s. S. 41. Anin. 7.
J) Recht3 S. 72.
4) Deutsche Geschichte 1. S. 128.
5) Vgl. noch Garuis Bemerkungen zu Kaiser Karl des Großen t’ap. de
villis in German. Abhdnlg. f. Maurer S. 244. .Die Marschformat innen
die der landerobernde Zug aus den zahlreichen Gemeinfreien des Volkes,
aus den Einzelnen oder ihren Sippen gebildet hatte, nämlich die Hundert-
schaften oder ähnliche Sammelinasscn, waren entweder garnicht in den
Kriedcnsstand und die [.andrerteil ung übergeführt oder für diese unzu-
reichend,“ und ders. Enzyklopädie und Methodologie der Rechtswissenschaft
S. 34 ff.
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<55
besondere die Behandlung des Hundertschaftsproblems vielfach
darunter gelitten zu haben, daß man zwischen der germanischen
und der fränkischen Periode nicht gehörig geschieden hat und
infolgedessen Quellen, die nur über fränkische Zustände Aufschluß
-■eben können, als maßgebend für das Hundertschaftsproblem
überhaupt ansah. Es wurde übersehen, daß ein und dasselbe
Wort, in verschiedenen Perioden gebraucht, nicht in der einen
Periode dasselbe bedeuten muß, wie in der anderen. Des-
halb soll hier zunächst allein die germanische Zeit ins Auge ge-
faßt werden.
Wenn wir von der in der Wissenschaft nicht weiter ver-
tretenen Meinung Sickel’s absehen, der in der früheren Periode
nur Tausendschaften und ihnen entsprechend Gaue linden will *),
so begegnet nirgends auch nur das leiseste Bedenken darüber,
daß es schon in der germanischen Zeit „Hundertschaften“ gegeben
hat. Uber ihre Existenz sind sich alle maßgebenden Autoren
einig*). Die Zweifel, die sich an die germanische Hundertschaft
knüpfen, berühren nur die Frage, ob diese Hundertschaften rein
persönliche Verbände oder ob sie auch schon territoriale Ab-
teilungen, Hundertschaftsbezirke, waren3).
Die folgende Untersuchung hat sich dementsprechend zunächst
mit der Frage zu beschäftigen, ob cs in der germanischen Zeit
solche Hundertschaftsbezirke gegeben hat. Sodann, falls dies zu
bejahen ist, wird weiter die Bedeutung dieser Bezirke in der ger-
manischen Verfassung festzustellen sein.
Nach Brunner*) sind die Bewohner des Gaues „in eine An-
zahl kleinerer persönlicher Verbände, Hundertschaften, Hunderte,
eingeteilt, welche in erster Linie den Zwecken des Heerwesens, in
zweiter den Zwecken der Rechtspflege zu dienen bestimmt waren.“
Im weiteren Verlauf seiner Darstellung lehnt dann Brunner noch
ausdrücklich die Auffassungen ab, daß diese Hundertschaften schon
in der germanischen Periode territoriale Bezirke waren und
') W. Sickcl, Der Freistaat S. 86 ff. bcs. 90 und Anm. 7 ebda.
Brunner, Hg.’ I. S. 139. Schröder, Kg.6 S. 19. v. Ainira, (irundr.--'
S. 72. ltrunner, (Inindriß3 S. 13. Siegel, Kg.3 S. IC8. Waitz, Vg.3 1.
S. 262.
3) Vergl. Brunner, a. a. 0.
V a. a. <).
t. Schwerin, altgerm. Hundertschaft 9
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Gl»
daß sie identisch waren mit den Bezirken, die Caesar und Taci-
tus „pagi" nennen. Ganz ebenso haben sich Schroeder') Stutz-')
und Vanderki ndere3) ausgesprochen, v. Amira ist der Ansicht
Brunners nicht beigetreten; er sieht schon in der germanischen
Periode, zur Zeit des germanischen „Kleinstaats“, in der Hundert-
schaft einen räumlichen Begriff1)4).
Wie schon die Definition Brunner's zeigt, laßt sich die
Hundertschaftsfrage nicht trennen von der Frage, wie überhaupt
die Verfassung des germanischen Staates ausgesehen hat. Und
deshalb ist es notwendig, daß wir auch hier ein Gesamtbild
vom Bau des germanischen Staates zu gewinnen versuchen.
Gehen wir hierbei wieder von der Darstellung Brunner's aus.
Nach Brunner11) ist die civitas, „eine einzelne politisch selbst-
ständige und abgeschlossene Volksgemeinde,“ eingeteilt in Gaue,
das sind abgeschlossene, landschaftliche nicht bloß persönliche Ver-
bände. Diese Gaue sollen sodann, wie schon erwähnt, in die rein
persönlichen Verbände der Hundertschaften zerfallen, und als unterste
Stufe erscheint der vieus, der wiederum ein räumlich abgegrenztes
Gebiet umfaßt7). Sehen wir von dem vicus ganz ab, zumal auch
Brunner auf seine Bedeutung nicht weiter eingeht, so ergeben
sich nach der Anschauung von Brunner Staat, Gau und Hundert-
schaft als größter, mittlerer und kleinster persönlicher Verband.
Mit der Prüfung dieser Zweiteilung des Volkes soll sich das un-
•) Itg.3 S. 19, A um. 13.
*) ZeiUchr. f. Schweiz. Recht. N. K. XIV. S. 178 IT.
3) liitrudiiction ile l'histnire des Institutiiiiis de la Helgiqnc (1890.)
S. 98.
4) Grundr.* S. 72. Irrig daher das Referat über seine Ansicht bei
Schröder Rg.1 S. 19 A um. 13 lind bei Brunner Rg. I.* S. 159, Anin. 12.
s) Auf die Ausführungen von H. Delbrück, der urgennaniscbc (lau
und Staat. (preuB. Jahrbücher 87), und Geschichte der Kriegskunst 11,2
sei hiermit ein für alle Mal verwiesen. Ihre Unwissensrhaftlichkeit ver-
bietet eine eingehendere Beschäftigung mit ihnen. Vorgl. darüber 1,.
Schmidt in Hist. Vierteljahrsschrift 1904. S. GG ff. inbes. S. 67. Brunner
Rg. I2 S. IGO Ami). 13.
8 ) a. a. O. S. 157. Gaue als germanische Einrichtung nimmt auch an
Arnold Deutsche Geschichte II, S. 18G.
7) Vergl. \V h i 1 1 Vg. 3I, S. 115, Anm. 3 und S. 115 IT. Schröder Rg.s
S. 17 f. und unten S. 101 Anm. 2.
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67
mittelbar Folgende beschäftigen. Dabei gehe ich aus von der
Untersuchung der persönlichen Gliederung des Volkes.
Die Ansicht von Brunner hat den großen Vorzug, daß sie
mit den Quellen am besten auszukomincn scheint und sich weder
zur Nichtberücksichtigung noch zur Korrektur von Quellenstellen
veranlaßt sieht. Vom Standpunkt einer konservativen Quellenkritik
aus, ist das auch keineswegs zu unterschätzen. Hierdurch ist
Brunner wohl auch veranlaßt worden, seine Anschauung trotz der
Angriffe Rachfahl’s1), die allerdings etwas eingehender hätten be-
gründet werden sollen, auch in der zweiten Auflage festzuhalten.
Gleichwohl darf uns auch diese Glätte nicht hindern, Brunner ’s
Ansicht einmal mit andern Mitteln zu prüfen, als gerade mit den
Quellen, denen sie zu entsprechen scheint.
Bei der verschiedenen Größe der germanischen civitates hat
es gewiß manche civitates gegeben, die zu klein waren, um in
Mittelbezirke oder Unterbezirke geteilt zu werden, wo das Volk
nicht in mittlere oder kleinere Verbände zerfallen konnte*). Solche
konnten sich mit einer einmaligen Gliederung begnügen und
kommen hier nicht weiter in Betracht. Erst recht gilt das für
civitates, die einer weiteren Teilung überhaupt entraten konnten.
Für die folgende Untersuchung handelt es sich lediglich um
solche Völker, die groß genug waren, um die von Brunner an-
genommene Zweiteilung in sich aufzunchmen.
In einem solchen Staate treten nun, wie Brunner annimmt,
ilie Mitglieder der civitas, die sämtlichen wehrfähigen Freien des
Staates, im concilium desTacitus, in der Landsgemeinde, zusammen,
die Mitglieder des Gaues (pagus) bilden die Gauversammlung3),
die der Hundertschaft das Hundertschaftsding. Wir haben also
drei verschiedene Versammlungen vor uns, und es wird sich fragen,
welche Functionen jeder von ihnen oblagen.
Die Landsgemeinde und die Hundertschaftsversammlung sind
nach der herrschenden, und wie ich annehme, richtigen Ansicht
') Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik Itd. 7t (1900)
S. 197 ff.
*) Ycrgl. Waitz Yg.3 I, S. 10g v. Amira Grundr.3 S. 72.
3) Brunner Kg.3 I, S. 175 sagt: .Neben dein concilium civitatis dürfen
auch Versammlungen der Gaue vorausgesetzt werden.“ Schröder Kg.5 S. 21,
Amu. 24.
5*
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Gerichtsversammlungen *). Über die Tätigkeit der Gauversammlung
äußert sich Brunner selbst nur dahin, daß sie „vielleicht“ ge-
richtliche Funktionen ausübte. In der Tat scheint mir diese vor-
sichtige Ausdrucksweise sehr angebracht zu sein. Ich halte es für
ausgeschlossen, daß im germanischen Staat außer dem
concilium und dem Hundertschaftsgericht eine dritte
Uerichtsversammlung bestanden hat
Auf einer beschränkten Anzahl von Verbrechen stand nach
germanischem Recht die Todesstrafe *). Diese Verbrechen mußten
eben wegen dieser Strafe, da sie ja „Staatsopfer“ war, in der
Staatsversammlung, im concilium civitatis, abgeurteilt werden *).
Bei allen anderen Verbrechen gab es keinen zwingenden Grund,
sie gerade dort zu richten, und es wäre unpraktisch gewesen, bis
zur Abhaltung eines Landsdings zu warten, da dies nicht allzu
häutig, vielleicht nur wenige Male im Jahre stattgefunden hat4).
Wir können also mit Recht schließen, daß für nicht todeswürdige
Verbrechen ein anderes Gericht, nach richtiger, herrschender An-
sicht das Hundertschaftsding zuständig war5). Wenn nun auch
die Gauversammlung Gericht gewesen wäre, so müßten wir in
ihr für alle Fälle eine überflüssige Einrichtung sehen und dies
schon spricht dagegen, daß sie bei den Germanen vorhanden war.
Es hätte zwei Gerichte mit konkurrierender Zuständigkeit gegeben
und zwar, wie wohl zu beachten, mit sich deckender Zuständigkeit;
konkurrierend war vielleicht auch die Zuständigkeit des Landsdings
•) Kine abweichende Ansicht wird nur von Sickcl ». a. 0. vertreten.
Vergl. statt Aller ltruiiner Kg. IJ S. 159 f. 177.
J) Vergl. VVilda, Strafrecht der Germanen S. 495: Hrunner, Rg.s I
S. 243 f.: sodann raun Folgenden ltrunner ebda S. 245 f. v. Amira Grundr.*
S. 147, 153. Hers. Uber /weck und Mittel der germanischen ltechts-
geschichte S. 57 f.
s) Unverständlich ist mir, warum Snhm ltuGV. S. 7 f. dies leugnet und
in dem concilium trotz Tacitus Germ. c. 12 nur eine politische Versammlung
sehen will. Dagegen Waitz, VG. I.J S. 340. Schröder, Kg.5 S. tli
Amn. 30.
4) Schröder, Ug.5 S. 23 nimmt nur eine echte (ungebotene) Volksver-
sammlung im Frühjahr an. Waitz VG. 1.* S. 341 nimmt eine große Zahl
an, aber m. K. unter falscher Auslegung der Quellen. Tacitus sagt nicht,
daß bei jedem Neumond oder Vollmond concilium gehalten wurde.
5) Hrunner, Hg.* I. 8.202; Schröder, ltg.5 S. 25.
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fi9
mit der des Hundertschaftsdings '), insofern ajs jenes auch nicht
todeswürdige Verbrechen aburteilen konnte, — aber nicht auch um-
gekehrt! I)a entsteht denn die Frage, was in dieser Konkurrenz
den Ausschlag gab. Wenn z B. A den B vor das Gauding lud,
und B erklärte, er wolle im Hundertschaftsding erscheinen, etwa
weil ihm dessen Malstätte gelegener war oder die Zeit bequemer,
lag dann in dieser Antwort eine Rechts Verweigerung? Soll etwa
der Kläger in der Lage gewesen sein, den Beklagten, den er im
Hundertschaftsding antraf, vor das nächste Gauding zu laden,
auch wenn der Beklagte sofort zur Antwort bereit war? Diese
und ähnliche Fragen lassen sich, abstrakt gesehen, ganz gut lösen;
wenn der Beklagte willens war dem Kläger zu antworten, wo und
wann dieser wollte, entstanden sie überhaupt nicht. Aber die im
Weigerungsfälle des Beklagten nötigen Bestimmungen wären sicher
nicht spurlos verschwunden, und so genau wir auch den germanischen
Prozeß kennen, Zuständigkeitsstreite zwischen mittlerem und un-
terstem Gericht, und ihre Lösung sind ihm unbekannt. Das
spricht dafür, daß die Germanen vom Landsding abgesehen, nur
ein Gericht gekannt haben und das war eben das Hundert-
schaftsgericht*).
Doch will ich mich mit diesem argumentum e silentio nicht
zufrieden geben und trete der Frage näher, ob etwa aus anderen
Gr rinden ein Bedürfnis für ein Gaugericht gegeben war.
In späterer Zeit tritt im germanischen Prozeß ein mit dem
Namen Afterding oder Nachding bezeichnetes Gericht auf’). Es
ist dazu bestimmt, für Prozesse, die in einem Gericht nicht er-
ledigt werden konnten. Platz zur Fortführung und Erledigung zu
schatfen und hilft einem Bedürfnis ab, das bei einem Mißverhältnis
zwischen der Dauer der Dinge und der Zahl oder der Dauer der
zu erledigenden Rechtsstreite entstehen konnte. Wir sehen aber
zugleich, wie einem solchen Bedürfnis abgeholfen wurde. Der
Graf des Sachsenspiegels legt ein Ding aus am gleichen Ort, mit
derselben Zuständigkeit, in der Regel wohl unter seinem Vorsitz4).
') Vgl. Rohm, BuGV. 8.5.
*) Schröder erwähnt eine Ganvcrsammlung als Gericht überhaupt
nicht.
*) Brunner, Kg. J I S. 202.
*) Vgl. Planck, das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter I, S. 49 f.
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70
Das konnte der Hundertschaftsrichter aucli tun. wenn sich das
gleiche Bedürfnis einmal einstellte. Es war nicht der mindeste
Grund gegeben, für Prozesse, die im Hundertschaftsgericht nicht
erledigt wurden, ein Gauding einzurichten, zumal jene Regelung
durch das Nachding die natürliche war; denn es ist das nahe-
liegendste das, was man heute nicht erledigt, morgen zu erledigen,
und wenn dem morgen Formalien entgegenstehen, dann möglichst
bald, nicht aber solche unerledigte Sachen abzuschieben an eine
andere Instanz. Es ist mir sogar unwahrscheinlich. daß die Ger-
manen das Gauding als Nachding benützt hätten, wenn aus anderen
Gründen Gauversaramlnngen stattgefunden hätten. Übrigens war
im germanischen Prozeß dafür gesorgt, daß der einzelne Rechts-
streit nicht zu lange dauerte, sondern, soweit das Gericht mitzu-
wirken hatte, in dem Ding zu Ende geführt werden konnte, in
dem er begonnen war. Auch die Zahl der Prozesse ist nicht so
groß gewesen, daß sie nicht in einem dreitägigen echten Ding er-
ledigt werden konnte. Und wenn einmal ein Prozeß länger dauerte
oder der Prozesse zu viele waren, so gab es ja für besonders eilige
Fälle das Mittel des gebotenen Dings. Daß etwa ein in einem
Hundertschaftsgericht begonnener Prozeß in dem Gericht einer
anderen Hundertschaft fortgesetzt werden konnte, möchte ich da-
gegen nicht behaupten. Denn dies setzt voraus, daß die Dinge
in den einzelnen Hundertschaften zu verschiedenen Zeiten abge-
halten wurden und so gewiß die Dingzeiten sich in der Zeit er-
gänzten. als ein Richter in verschiedenen Gerichten zu Gericht
saß. so wenig können wir annehmen, daß das auch in germanischer
Zeit schon der Fall war. Denn die Dingzeiten waren nicht will-
kürlich. sondern nach festen Regeln bestimmt, die unter den ein-
zelnen Völkern verschieden, für die Hundertschaften desselben
Volkes aber vermutlich gleich waren. Auch wäre wohl zu be-
achten die Frage, ob überhaupt in germanischer Zeit ein Prozeß
vor einem anderen Umstand fortgesetzt werden konnte, als vor
dem. vor dem er begonnen wurde.
Ausgeschlossen ist endlich, daß das Gaugericht als höhere
Instanz, als Zuggericht hätte fungieren können. Denn das Urteil
des germanischen Hundertschaftsgerichts war eben wegen seiner
Eigenschaft als Volksurteil einer Verbesserung durch das Volk
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71
überhaupt nicht fähig. Es konnte in dieser Periode keine höhere
Instanz geben •).
Das entscheidende Argument sind aber nicht diese Erwägungen,
sondern ergibt sich aus der Betrachtung der folgenden Perioden.
Wenn schon in der germanischen Zeit eine richtende (lau Ver-
sammlung, ein Gaugericht, Bedürfnis war und nur als eine not-
wendige Institution läßt es sich in dieser Periode überhaupt be-
greifen, dann müßte umsomehr im Mittelalter dies der Fall sein.
Aber weder in merowingisclier noch in karolingischer Zeit gibt es
ein regelmäßiges Grafschaftsgericht. Wohl ist der Graf der
ordentliche Richter in der karolingischen Gerichtsverfassung, aber
er ist nur insofern Grafschaftsrichter, als er alle echten Dinge in
der Grafschaft abzuhalten hat; er hält nicht das echte Ding der
Grafschaft, sondern das der Hundertschaft und deshalb ist er
Hundertschaftsrichter. Es gibt in der Grafschaft, die ja dem
germanischen Gau entsprechen soll, nur ein Hundertschaftsgericht
als einziges Gericht*).
Angesichts der somit nicht zu bestreitenden Tatsache, daß
es in der germanischen Periode nur ein Gericht außer der
Landesversammlung gegeben hat, läßt sich auch nicht, gestützt
etwa auf spätere friesische Verhältnisse, behaupten, daß dieses
eine Gericht ein Gaugericht gewesen sei. Denn das Hundert-
schaftsgericht steht auch für die germanische Zeit zu fest, als
daß man es ausscheiden könnte. Es ist daher irrtümlich, wenn
Sicke 1 behauptet, der Gau sei „der erste deutsche Gerichts-
bezirk“ gewesen5); allerdings ist dies die konsequente Folge
seiner Anschauung, daß es ursprünglich nur Tausendschaften ge-
0 Vgl. v. Amira, Grundriß* S. 158.
*) Das Entscheidende in dem Wesen des fränkischen comitatus
hat, soviel ich sehe, nur v. Amira, Grundr.* S. 73, erkannt. Was Brunner
ltg. II1 S. 222 und Waitz, VG. IV* S. 375, 52G ff für die Existenz von
Gauvcrsammlungcn an Quellen beibringen, vermag nicht zu beweisen, daß
solche Versammlungen Regel waren. Daß sie vereinzelt vorkamen und mit
der Zeit häufiger wurden, liogt in der Natur der Dingo, und wird um so
verständlicher, je mehr die Selbständigkeit, der Grafen wächst. Aber als
eine aus germanischer Zeit überkommene Einrichtung erweison sich diese
Versammlungen nicht. Das Gegenteil ist aus ihrem allmählichen Umsich-
greifen zu schließen. Vgl. noch Schröder, Rg.5 S. 175.
*) Sickel, Der Freistaat, S. 175.
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72
gehen habe. Dabei möchte ich noch darauf hinweisen, daß die
Stelle aus Tacitus (ierm. e. 12 : iura per pagos vicosque reddunt
auch dann für das Hundertschaftsgerieht spricht, wenn man den
pagus als Gau auffaßt; denn um ein Gaugericht, eine Gauver-
sammlung, abzuhalten, hätte der princeps nicht erst herumreisen
müssen. Wenn an den einzelnen Malstätten nicht alle Gau-
genossen erschienen, sondern nur die in der Nähe wohnenden, dann
war das Gericht des princeps so wenig Gangericht, wie das Ge-
richt des fränkischen Grafen; denn nicht das ist wesentlich, wer
Gericht hält, sondern wer zum Gericht erscheint oder zu er-
scheinen verpflichtet ist. Nimmt man aber an, daß an
den einzelnen Dingstätten jeweils alle Gaugenossen sich einfanden,
sodaß in der Tat Gau Versammlung stattfand, so läßt sich nicht
verstehen, warum der Gaurichter herumreiste und nicht vielmehr
das Gericht immer an demselben Platz, an einer Gaudingstätte,
abgehalten wurde. Es war ja allerdings gegenüber den weiter
von der Gaudingstätte entfernt Wohnenden, modern gedacht, un-
gerecht, ihnen immer den weiten Weg zuzumuten; aber wie
wenig die germanische Zeit für solche Erwägungen zu haben war,
ergibt sich daraus, daß nicht einmal auf Island, das für die
Dingfahrt die ungünstigsten Verhältnisse darbot, im Anfänge
wenigstens das Frühlingsding und das Herbstding an verschiedenen
Orten gehalten wurden').
Ich wiederhole, daß in germanischer Zeit ein Gau-
gericht nicht bestanden hat, und stelle der Vermutung
Brunner's, daß die Gauversammlung „vielleicht“ richtende
Tätigkeit ausübte, die Behauptung gegenüber, daß sie keine
richterlichen Funktionen hatte.
Damit ist aber noch nicht bewiesen, daß es eine Gauver-
sammlung überhaupt nicht gab: denn theoretisch wenigstens wäre
es immerhin möglich, daß sie zu anderen Zwecken als zu dem
der Rechtsprechung vorhanden war, wenngleich es den germanischen
’) Damit soll aber auch nicht im entferntesten die Meinung vertreten
werden, daß die isländischen Zustande ungermanische sind, wie lioden die
isländische Kegierungsgewalt in der freistaatlichen Zeit. S. 2f, behauptet.
Gegen diesen Dilettantismus mit ltecht v. Amira. Historische Vicrteljahrs-
schrift 190ß, S. 5‘28f. Kbensn falsch wie Boden auch Philippi GGA. 1907
(Juliheft).
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73
Verhältnissen nicht gemäß wäre, wenn eine Versammlung, die als
solche schon materiell ein (jericht war, formell der Befugnis zu
richten, entbehrt hätte.
In der Tat nimmt Schröder an, daß sich die Gauvcrsamm-
lungen mit agrarischen Angelegenheiten zu beschäftigen hatten
und daß ihnen auch die Wahl der Hundertschailsvorsteher abge-
legen haben mag1).
Was zunächst diese Wahl betrifft, so muß ich hierin Schröder
widersprechen. Es wurden die Häuptlinge oder Hundertschafts-
vorsteher allerdings gewählt. Aber wenn man Oberhaupt annimmt,
daß sie ihre Stellung der Wahl durch einen größeren Personen-
kreis zu verdanken hatten, als dem, für den sie gewählt wurden,
also anderen Personen als den Dingpllichtigen ihrer Hundertschaft,
dann muß man der Nachricht des Tacitus auch darin Glauben
schenken, daß sie die Wahl der principe» dem Landsding zu-
schreibt*). Das ist allerdings, wie ich wohl sehe, eine Interpre-
tation, zu der Schröder um deswillen nicht gelangen konnte,
weil er im princeps den Gaufürsten sieht5), nicht, wie ich, den
Hundertschaftsvorsteher. Von seinem Standpunkt aus ist die Be-
hauptung, es habe die Gauversammlung die Hundertschaftsvor-
steher gewählt, nicht quellenwidrig; denn von dort aus berichtet
weder Tacitus noch Caesar über diese Wahl, und damit ist für
die Hypothese freie Bahn geschaffen. Immerhin läßt sich be-
haupten, daß nur der Wahl der Hundertschaftsvorsteher zuliebe
eine Gauversammlung nicht zusammengetreten ist, und so kann
diese Hypothese allein auch die Existenz einer Gauversammlung
nicht wahrscheinlich machen.
In welche n agrarischen Angelegenheiten die Gauversammlungen
„mitzusprechen“ hatten, gibt Schroeder nicht an. Auch seiner
Darstellung der germanischen Agrarverhältnisse ist hierüber nichts
zu entnehmen. Jedoch ist dieses Schweigen nicht überraschend.
Es gibt in der Tat keine agrarischen Angelegenheiten, deren Ent-
scheidung der damaligen Zeit entsprechend einer Gauversammlung
als solcher hätte obliegen können. Man mag sich unter einem
■) Schröder, Kg.4 S. 21 Anni. 24.
*) Vgl. darüber unten S. 93 f. inabea. S. 94 Anm. 1.
*) Itg 5 S. 29. Ebenso Brnnnor I* S. 170. nichtig, v. Anlira,
Grundriß J S. 73. Vgl. unten S. 78 Amu. 2.
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Gau die Niederlassung einer Tauscndschaff verstellen oder sonst
einer größeren Menge von Personen, für alle Fälle enthält der
Gau mehrere Hundertschaften und daraus ergibt sieh in den
meisten Fällen ein so großes Gebiet, daß es ein Gesamteigentum
des Gaus an Grund und Hoden nur selten wird gegeben haben.
Ausgeschlossen sind natürlich auch sehr große Marken nicht;
aber sie werden immerhin so selten mit dem Gebiet überein-
gestimmt haben, das sich die herrschende Meinung unter einem
Gau vorstellt, daß eine Gauversammlung als agrarische Versammlung
jedenfalls nicht Regel war. Innerhalb eines Gaus fand sich eine
ganze Reihe von selbständigen agrarischen Gemeinschaften, und
damit entfällt die Möglichkeit der Erledigung agrarischer Ange-
legenheiten durch die Gauversammlung. Alle agrarischen Ange-
legenheiten, die es überhaupt geben konnte, waren Angelegen-
heiten zwischen den Gesamteigentümern der Ackerflur. Diese
Gesamteigentümer aber waren die gentes und cognationes, nicht
die Einwohner des Gaug5 und es konnte den Genossen der Mark A
ganz gleich sein, wie die Genossen der Mark B, auch wenn diese
benachbart und im gleichen Gau lag, ihre agrarischen Angelegen-
heiten regelten. Für diese hat es wohl schon in germanischer
Zeit Märkerdinge gegeben. Wenn einmal eine Markgenossenschaft
so groß war, daß sie das Gebiet eines Gaus im Sinne der
herrschenden Ansicht einnahm, dann wäre allerdings eine Märker-
versammlung eine Versammlung aller Gauleute gewesen, wenn es
Gaue gegeben hätte1). Aber für alle Fälle, auch, wenn es Gaue
gegeben hat. handelt die Gauversammlung nicht als solche,
sondern als Märkerversammlung von agrarischen Angelegenheiten.
Es ist ein Zufall, wenn Gau und Mark räumlich zusammenfallen *)
und ihrem innersten Wesen nach bleiben sie doch grundverschieden.
Allerdings sagt Schröder5): „Caesar’s Berichte lassen da-
rüber keinen Zweifel, daß zu seiner Zeit die Gaugemeinde das
') Wobei aber immer noch zu bedenken wäre, dall in der Gauver-
sammlung alle politisch Handlungsfähigen zusammenkämen, diese aber nicht
auch alle markberechtigt sind. Sühne galten als Markgcnogsen erst, wenn
sie einen eigenen Hof besaßen: sie konnten aber schon längst politisch
selbständig sein. Vgl. Schrfider. Hg.* S. 59.
*) Vgl. unten S. 102 Text und Anm. 1.
*) KG.» S. 58.
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Subjekt des Wirtschaftsbetriebs, die von ihrem Fürsten als Ober-
marker geleitete Markgenossenschaft war“. Jedoch bei Caesar
de bell. gall. heißt es nur
VI, '2- „ . . . magistratus ac principes in annos singulos
gentibus cognationibusque hominum, qui una coienint,
quantum et quo loco visum est agri, attribuunt atquc anno
post alio transire cogunt“.
Daraus folgt keineswegs das, was Schröder und auch
Hrunner1) folgern. Denn der princeps ist kein Oaufürst, sondern
ein Hundertschaftsvorsteher, wie wir unten noch sehen werden.
Und in den magistratus sehe ich die Markvorsteher4), sodaß die
Ackerverteilung durch Markvorsteher und Hundertschaftsvorsteher
vorgenonnnen wurde. Wie sollte auch der Führer einer Tausend-
schaft die Möglichkeit gehabt haben, die Ackerverteilung in dem
zweifellos nicht kleinen Niederlassungsgebiet seiner Truppe zu
regeln ?
Auch die sonstigen Zwecke, zu denen Versammlungen damals
dienen konnten, waren durch die Hundertschaftsdinge und das
Landsding genügend erfüllt. So reichten insbesondere diese
beiden Dinge aus, um dem Kult zu dienen, soweit sich seine
l’bung überhaupt außerhalb des Hauses und der Familie vollzog4).
•) RU. I1 S. 84. Verworrene Ausführungen bei Rachfahl a. a. 0.
S. 170 Amu. 1. l'ber die Glaubwürdigkeit der Stelle im Allgemeinen und
ihre Anwendbarkeit auf alle Germanen vgl. Waitz VG. I 3 S. 1001T.
*) Mit der Wiedergabe von magistratus durch das farblose „Obrigkeit“
bei Waitz VG. I1 S. 99 und bei Brunner a. a. O. ist nicht geholfen.
Bei Caesar bat magistratus die allgemeine Bedeutung von Beamten: man
vgl. hierzu die in bell. gall. VL cap. 22 und 23 stellenden Sätze, in denen
das Wort vorkommt. Die magistratus die, nach c. 22 mit der Ackerver-
tcilung betraut sind, müssen doch andere sein, als diejenigen, die es nach
e. 23 während des Friedens nicht gibt. Näher kommt dem Richtigen
i’ramcr, VG. 51, der in magistratus „den Vertreter der aus mehreren
Xaehbargeschlechtern bestehenden Sicdlungsgemcinscliaft“ sehen möchte.
Ohne jeden Schein eines Grundes sieht Ifildehrand Recht und Sitte I.
S. 77 iu magistratus die duces.
*) Bethmann-Hollweg, Gcrman.-roman.-Civilprozeli 1 S. 7fi f sieht in
der „Gaugemeinde'' einen Kultverband, identifiziert aber den pagus mit dom
nordischen heraiV und hält Beide für verwandt mit der fränkischen centcna.
Der Gan ist für ihn Mitglied zwischen pagus und vicus nnd gleich der
Hundertschaft." (cbd. S. 102 f.)
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Aus All dem ergibt sich, daß eine Versammlung,
die ihrem Umfang nach zwischen der der Hundertschaft
und der des ganzen Volkes lag, überflüssig war und
eben deshalb nicht bestanden haben kann, weil es keine
öffentlichen Funktionen gab, die ihr überlassen ge-
blieben wären. Darin liegt aber nur ein Symptom der Tat-
sache, daß in der germanischen Zeit in der Regel überhaupt kein
Hediirfnis dafür bestand, daß sich zwischen das Volk und die
Hundertschaft persönliche Verbände einschoben, die einer-
seits mehrere Hundertschaften umfaßten, deren andererseits mehrere
das Volk ausmachten. Mangels eines Bedürfnisses aber, sind
solche Verbände auch nicht entstanden; denn nur das Bedürfnis
hätte den Gedanken, sie einzurichten, erzeugt. Umgekehrt läßt
sich aus dem Fehlen einer Gauversamralung direkt auf das
Fehlen eines Gauverbandes schließen. Denn politischer Verband
ohne entsprechende Versammlung war in der germanischen Zeit
undenkbar. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß sich unter dem
Einflüsse veränderter Verhältnisse, etwa an den Grenzen mit
Rücksicht auf römische oder slavische Einfälle, da und dort ein
solches Bedürfnis einstellte und daß dann mehrere Hundertschaften
zu einem Verband zusammengetreten sind. Das entscheidende
bleibt auch dann, daß solche Verbände eine zufällige, vielleicht
auch vorübergehende Erscheinung und der Verfassung des ger-
manischen Kleinstaates nicht wesentlich sind.
Hand in Hand damit geht, daß es auch territoriale Be-
zirke, die einem solchen größeren persönlichen Verband ent-
sprächen, nicht gegeben hat. Denn, ohne wenigstens in einzelnen
Angelegenheiten auch Selbstverwaltungskörper zu sein, wären sie
rein geographische Einteilungen gewesen, und das Vorhandensein
solcher ist in der germanischen Zeit so wenig anzunehmen,
wie jetzt.
Das Ergebnis ist also dies, daß der germanische Staat
keine Gaue im üblichen Sinn gekannt hat, d. h. keine
Bezirke, die das Gebiet mehrerer Hundertschaftsverbände umfaßten.
Bestätigt wird dieses Resultat, wenn wir die Bezirke ansehen,
die in fränkischer Zeit zwischen Hundertschaft und Staat ein-
geschoben sind. Die fränkische Grafschaft, der comitatus, der ja
dem germanischen Gau entsprechen soll, ist ein reiner Amtsbezirk,
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77
der allein gerechtfertigt ist durch den Kau des fränkischen Staates ').
Der merowingisehe Großkönig fand als unterste politische Abteilung
die Hundertschaft mit einem Häuptling an der Spitze. Solcher
Häuptlinge gab es bei der Größe des Reichs eine erhebliche
Anzahl und dem Merowinger konnte es so wenig wie dem Karolinger
genügen, so und so vielen Hundertschaftsvorstehern zu befehlen.
Wenn diese Könige über ihr Land in der Tat nicht bloß dem
Namen nach herrschen und vor allem, wenn sie eine straffe Herr-
schaft ausüben wollten, dann mußte die äußere Verwaltung all-
mählich centralisiert, mußte die oberste Gewalt allmählich
decentralisiert werden. In dem allmählichen Aufbau des Re-
amtensystems zeigte sich die entwickelte staatliche Organisation
der fränkischen Zeit. Der germanische König, der seinen Zweck
im Frieden wenigstens schon dann erfüllte, wenn er nur überhaupt
da war, hatte keine Herrschergewalt, die sich hätte dezentralisieren
lassen. In der Zeit gab es keine Herrscherinteressen, sondern
nur Volksinteressen. Herrscher war das Volk in der souveränen
Landsgemeinde und alle staatlichen Funktionen, die das Volk
überhaupt ausüben wollte, übte es in der Landsgemeinde aus.
Was das Hundertschaftsding tat, geschah zufolge seiner auto-
nomen Gewalt nicht kraft Delegation. Die politischen Moment»1,
die in fränkischer Zeit den Gau rechtfertigen, allerdings auch zu
einem Amtsbezirk machen, fehlen in der germanischen Periode.
Die germanischen Gaue wären auch wohl von den deutschen
Reehtshistorikern nicht so beharrlich festgehalten worden, wenn
man sie nicht einer anderen Hypothese halber nötig gehabt hätte.
Der Gau ist nämlich, wie Itrun ner sagt, „nicht unwahrscheinlich“
das Niederlassungsgebiet einer Tausendschaft*). Folglich hängt
ilie Annahme von Gauen eng zusammen mit der Annahme von
Tausendsehaften. Und in der Tat wäre nicht unwahrscheinlich,
daß sich die Tausendsehaften zusammen niedergelassen haben,
wenn es solche gegeben hätte. Die Frage ist nur die, ob
Tausendsehaften bei den Germanen je vorkamen.
In eingehender Darstellung hat diese Frage Rietschel ver-
neint und damit, wie zu hoffen, das Phantom der Tausendschaft
') Schröder Hg. 5 S. 124 f. v. Amim Grundrill3 S. 73.
*) Rg. I’ S. 158, Grundlage3 S. 13. Auch Schröder H. (}.s S. 20 f.
nimmt diesen Zusammenhang zwischen Gau und Tausendschaft an.
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für immer aus der deutschen Rechtsgcschichte verbannt1). Seinen
Ausführungen ist nur mehr wenig hinzuzufttgen.
Abgesehen davon, daß sicli in den Quellen bei richtiger
Auslegung keine Anhaltspunkte für germanische Tausendschaften
finden, wofür ich auf Itietschel verweisen kann, ist auch aus
allgemeinen Gründen die Tausendschaft unwahrscheinlich. Will
man in ihr eine zahlenmäßige Abteilung sehen, so laßt sich da-
gegen All das anführen, was oben gegen die zahlenmäßige Hundert-
schaft ausgeführt ist. Die sprachlichen Argumente treten sogar
bedeutend verstärkt hervor. Denn Tausend (das „Krafthundert“)
ist naturgemäß viel später zu der Bedeutung einer Summe von
tausend Einheiten gekommen; es war viel länger Rundzahl und
hat diese Funktion heute noch in viel stärkerem Maße bewahrt
als hundert. Wollte man aber etwa gar unter Tausendschaften
wie unter Hundertschaften schlechthin Mengen verstehen, nur
natürlich weit größer als diese, so würden auch solchen Tausend-
schaften immerhin noch sehr schwerwiegende Argumente entgegen-
zustellen sein. Während sich kleinere Gruppen, die man allenfalls
Hundertschaften nennen kann, ganz von selbst bilden, wäre eine
Zusammenfassung mehrerer solcher Hundertschaften zu einer
Tausendschaft ein künstliches Produkt5) und zwar, was das wesent-
liche ist, ohne jeden ersichtlichen Zweck. Man kann sogar
behaupten, daß schon aus natürlichen Gründen (Nahrungsrück-
sichten) Gruppen, die man nicht mehr mit dem Mengenwort „Hundert“
sondern mit „Tausend“ bezeichnet hätte, zu groß gewesen wären,
') Z. li. G.» XXVII S. 234 ff.
*) Ks ist ganz ausgeschlossen, in der Tausendschaft der herrschenden
Meinung einen verwandtschaftlichen Verband zu sehen. Kinc Menge, die
allein tausend Waffenfähige, also doch viele tausende von Personen im Ganzen
enthält, ist zu groß, als daß sich die Einzelnen noch verwandt fühlen könnten:
und auf das Bcwußtioin der Einzelnen kommt es an. Verwandtschaftliche
Verbände im weitesten Sinn sind vielleicht auch die großen germanischen
Kultvcrbände: aber der gemeinsame Stammvater ist nur noch ticgenstand
des gemeinsamen Kults. Von hier ans muß ich auch die Richtigkeit
der Sehröderschen Ausführungen über die principes bestreiten. Schröder sagt
Itg* S 29. „In vorgeschichtlicher Zeit mag der Begriff des Gaufürsten mit
dem der tieschlechtsältesten zusammcngcfallcn sein: an die Stelle des gebo-
renen Vorstehers trat dann wohl zunächst ein gekorener Tausendführer und
mit der Umwandlung der Tausendschaft zum Gau ein von der Landes-
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um zusammen zu wandern'). Umgekehrt ist es unwahrscheinlich,
<laU die ganze wandernde Truppe zuerst in Tausendschal'ten geteilt
werden sein sollte und diese dann in Hundertschaften, wie dies
Sickel annimint*).
Wenn nun der germanische Staat Gaue nicht gekannt hat, so
ergeben sich hieraus sehr schwerwiegende Folgerungen, sobald wir
dieses Resultat mit den Nachrichten in Verbindung setzen, die
uns die Quellen über die germanische Verfassung liefern.
Wie allgemein anerkannt ist, auch von Brunner keineswegs
bestritten wird, kennt Tacitus nur civitates und pagi. Die civitas
ist das Gebiet eines ganzen Volkes; der pagus mutl die
Hundertschaft sein, weun das Wort überhaupt Bezeichnung
für ein bestimmtes Gebiet und nicht vielmehr ein Ausdruck all-
gemeinen Sinnes ist’). Dies ist ilie notwendige Folge, die sich
aus der Ablehnung der Gaue ergibt. Sie ist nicht neu, vielmehr
von früheren Schriftstellern wiederholt gezogen*); erst Brunner
ist dazu gelangt, die Gleichstellung von pagus und Hundert-
schaft zu bekämpfen und seinen Argumenten ist es gelungen,
namhafte Anhänger zu gewinnen. So ist es denn auch jetzt
gemeinde gewählter ( ianfürat.“ Für richtig halte ich, daß der princeps urr
spriinglich ein Gcschleehtsältcster ist. Aber ein (icschlechtsältestcr ist nur
da als Führer denkbar, wo ein Gcschlcchteninn noch möglich ist, und diese
Möglichkeit bestreite ich eben bei Gruppen, wie sie eine Tauscndsrhafl
darstellt ; den kleinen Anfängen einer solchen Tnusetidsehaft mag allerdings
ein solcher Geschlechtsältestcr vorgestanden haben. Aber diese Anfänge
waren noch keine Tausendschaft, sondern etwa, um bei der herrschenden
Terminologie zu bleiben, eine Hundertschaft. Diese kann einen Geschlechts-
ältesten als Führer haben, wobei allerdings in vielen Fällen schon der Name
nicht mehr ganz zutreffen mag. Daß die principcs in der Kegel aus den
Adclsgcschlechtoru genommen wurden ist eine Sache für sich. Vgl. hierüber
Müllcuhoff D. A. IV 192 ff. Irrig Gramer, V. G. S. 13.
') Vgl. hierzu Mcitzen, Siedelung I 140 ff.
*) Freistaat. S. 90 f.
5) Über diese Frage soll erst im nächsten Abschnitt entschieden werden.
*) So z. II. Weisko, Grundlagen S. 6. Glasgon, Histoire du droit et
des institutions de la France. II S. IG. der aber dabei den vicus falsch versteht,
ihn als Gruppe von 10 Familien auffaßt und dem angelsächsischen teoö'ung
an die Seite stellt. Auch Sohm K. u. 0. V. S. i ff. kennt neben der Völker-
schaft nur die Hundertschaft, die er — pagus setzt. F.benso \ ander k in dere(
Notice sur l'originc des magistrats eommunaux et sur l’organisation de la
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SO
noch Brunner, mit dessen Ansicht die eben geäußerte Meinung
über pagus und Hundertschaft in Widerspruch stellt'). Kr stellt
die Sätze auf: „Wer dagegen, um den Hundertschaftsbezirk zu
retten, diesen für den pagus erklärt, muß die Angaben Casars,
die auf einen größeren Umfang der germanischen pagi hindeuten,
als unglaubwürdig verwerfen *), die Nachrichten des Tacitus über
die Hundertschaft für Mißverständnisse ausgeben und die aus dem
keltischen pagus gezogene Schlußfolgerung fallen lassen5). Drei
Argumente sind es also, die beseitigt werden mttsssen, wenn sich
die Gleichstellung von pagus und Hundertschaft soll halten lassen.
Der Versuch, dies zu tun, wird hier nicht zum erstenmal
unternommen. Schon früher hat Rachfahl ') sich gegen Brunner
erklärt und ist dabei, wie Brunner sagt, genau nach dem an-
gegebenen „Rezept“ verfahren. Der Erfolg seiner Ausführungen
war auch nicht der, daß Brunn er seine Meinung aufgegeben hat.
Was zunächst die Argumentation mit dem keltischen pagus
anlangt, so stellt Brunner darauf ab, daß die Römer ihre Begriffe
„an den keltischen Verfassungszuständen entwickelt und in der
hier gewonnenen technischen Ausbildung auf die Germanen über-
tragen haben.“ Es muß also, so ist die Argumentation wohl
fortzuführeu, der Bezirk, den die Römer bei den Germanen pagus
hießen, derselben Art gewesen sein, wie der keltische Bezirk, dem
die Römer diesen Namen gegeben hatten. Dieser Schlußforderung
gegenüber durfte sich Rachfahl nicht mit der Bemerkung be-
gnügen, daß sie „falls die anderen Einwendungen Brunners sich
als unberechtigt erweisen, der durchschlagenden Beweiskraft“
entbehre. Aber man kann ihr auch nicht beitreten.
Marke dans lins contröes au mnyen agc. (in Bulletins de rAcadeinie Koyale
des Sciences etc., de Belgiipie 2. Serie Tome XXXVI11 1874 S. -'ISO IT.) S. 243.
Vgl. auch v. Sybel, Kntstclumg des deutschen Königtums 3 S. 73. f.
In neuester Zeit ist dafür Heu sie r Verfassungsgesell. S. 13 eingetreten.
') Vgl. hierin Schröder Kg5 1!) Anin. 13. Dahn l'rgcschichtc I' S. 88
nimmt sogar an, dall nicht die civitas, sondern der Bau (pagus) der Kinheits-
staat sei. Ders. Könige I S. !) IT.
’) Sickcl Freistaat 8.91. Anin. bat dieses Argument ebenfalls ver-
wertet: bei ihm ist auch die frühere Literatur angeführt.
3) Ug.» I S. 159.
4) Vgl- S. (!7 Anm. 1.
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Bei den Galliern gab es, soviel uns bekannt ist, keine Hundert-
schaften1). Das Land, die civitas, hatte als einzigen Unterbezirk
den pagus. Diese gallischen pagi sind sehr selbständige Körper,
die auf eigene Faust Krieg führen und nur in einem sehr losen
Zusammenhang stehen. Dies schon scheidet sie m. E. von den
hypothetischen germanischen Gauen. Es wird ja allerdings von
verschiedenen Seiten eine autonome Stellung auch für die germa-
nischen Gaue angenommen und dabei immer wieder auf die
Zustande bei den Cheruskern zur Zeit von Armin. Segestes und
Inguiomer hingewiesen *). Aber beim Lichte betrachtet ist gerade
dieser Fall der Cherusker sehr wenig beweiskräftig, was wohl
aneh Brunner nicht entgangen wäre, wenn er sich nicht auf
Bahn verlassen hätte. Quellenmäßig läßt sich allein feststelleu,
<iaü dem Germanikus gegenüber einzelne hervorragende Cherusker
einen verschiedenen Standpunkt einnahmen, die einen erwiesen sich
den Körnern feindlich, die andern wohlgesinnt; jeder dieser Männer
Ulte auch ersichtlich eine Menge von Anhängern*). Es ist aber
M'hdii ganz willkürlich, wenn Brunner stillschweigend, Gramer’)
sogar ausdrücklich annimmt, daß diese einzelnen Cherusker, Segestes,
Inguiomer, Hegimer und Armin Gaufürsten waren; dafür haben
wir nicht den geringsten Anhaltspunkt. Und selbst wenn sie
Gaufiirsten waren, und wenn die verschiedenen Gaue der
Cherusker gegenüber den Römern nicht einheitlich vergingen, so
ist noch nicht gesagt, daß das auch den allgemein herrschenden
') Vgl. Mo in in sc n Römische Geschichte V. S. 81 ff.
’) So auch von Ilrunncr Kg. 1 1 S. 158: Hahn Urgeschichte der (1er-
amen 1 S. 8ü.
J) Vgl. hierzu Tacitus, Annales I 55. 58. 60.
*) .1. Gramer, Die Verfassungsgeachichte der Germanen und Kelten
S. 63. Tacitus nennt allerdings Ann. I 55 Anninius, Segestes und ccteri,
in denen vielleicht Inguiomer und Segiiner gehören, principes. Aber abge-
geben davon, da II wir, wie schon oben S. 78 Anni. 2 betont, keine Anhalts-
punkte dafür haben, in den principes Gaufiirsten zu sehen, wird gerade an
dieser Stelle durch den Wechsel von proceres und principes in der Bezeich-
nung derselben Personen der Zweifel wachgernfen, ob Tacitus hier überhaupt
mit bestimmten Terminologien rechnet: denn keinesfalls waren die principes
und proceres die Nämlichen, wenn auch viele principes zugleich proceres
»ami und umgekehrt. Im übrigen tritt Segestes mit seinen propinipii
auf, Arminius Ann. I 58 sogar mit seiner factio, woraus doch deutlich hcr-
Mrgeht, ilall sich hier nicht Gaue, sondern Parteien gegonüberstehen.
r. Schwerin, allserm Hundertschaft 6
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Anschauungen entsprach. Es wäre nicht der erste Fall gewesen,
wenn ein cheruskischer Gau sich von den andern losgesagt hätte
und seine eigenen Wege gegangen wäre. Wir brauchen aber
nicht zu solchen Hypothesen unsere Zuflucht zu nehmen. Der
Hergang war keineswegs der, daß etwa Arminias mit seinem Gau
gegen die Römer kämpfte, Segestes mit seinem Gau sich ihnen
zugesellte. Wir wissen im Gegenteil durch Taeitus, daU es
sich für die Römer darum handelte die sämtlichen Cherusker
(„hostem“), die damals offensichtlich nicht in den Römern erkenn-
bare Abteilungen zufielen, in zwei feindliche Parteien zu spalten.
Segestes wurde durch den Beschluß des Volkes (consensu gentis)
in den Krieg hineingerissen und stand ganz allein, noch dazu
heimlich, aut römischer Seite. Nicht lange darauf ist Segestes
gezwungen, zu den Römern um Hilfe zu schicken, weil bei seinem
Volke (apud eos) Arminias an Macht gewann. Die ganzen Ereig-
nisse sind nichts anderes als ein Kampf zweier Richtungen inner-
halb eines und desselben Kreises. Und auch Arminius eilt, als
er zum Aufstand gegen die Römer aufruft nicht etwa durch seinen
pagus, sondern per Choruseos. Dies vertragt sich so wenig wie
überhaupt die ganze Schilderung des Aufstandes in den Annalen
mit der Annahme, es handle sich da um das politisch selbständige
Vorgehen von Gauen1).
In dem weiteren von Gramer angeführten Fall politischer
Selbständigkeit eines Gaues muß ich schon der Übersetzung wider-
sprechen8). Wenn bei Taeitus Hist. IV. 26 steht: utque praeda
ad virtutem aeeenderetur. in proximos t'ugernoruni pagos, qui
societatem Civilis acceperant, ductus a Voeula exercitus, so muß
das doch nicht heißen, daß das Heer in die Zunächstgelegenen
der Gaue der Kugemer geführt wurde, und nur bei dieser Über-
setzung erscheint ein Teil der kugemischen Gaue selbständig.
’) In ganz ähnlicher Weise hat schon Schröder Kg.5 S. 21 Anni. 24
gegen Brunners Auflassung der einschlägigen Tacitnsstellen Einspruch
erhoben, aber ohne jeden Erfolg, lin übrigen kann ich Schröder nicht zu-
stimmen, wenn er ebda, militärische Selbständigkeit der traue aus dem Eehde-
recht der Sippen folgert. Denn der Gau ist mit einer Sippe nie zu ver-
gleichen. Vgl. oben S. 78. Anni. 2).
-) Dies zugleich gegen Schröder a a. 0., der ebeuso übersetzt wie
t'ramer.
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SH
Vielmehr sagt die Stelle lediglich, daß Vocula sein Heer in die
(iebiete der Kngerner führte, die seinem damaligen Standquartiere
von allen feindlichen Gebieten zunächst lagen. Das waren nicht
rerti Cugemorum pagi. sondern omnes Cugemorum pagi, die zu
Civilis übergetreten waren ; womit es übereinstimmt, daß wir im
späteren Verlauf des Aufstandes die Cugerni ohne Ausnahme
auf Seite des Bataver finden. Man kann aber auch davon absehen,
_«|ui“ auf pagi zu beziehen und es zu Cugerni stellen. Nichts
spricht dagegen und die Folge ist wiederum, daß eine Selbstän-
digkeit einzelner oder einiger kugernischer Gaue aus der Stelle
nicht zu folgern ist.
Wir kommen zu dem Schlüsse, daß für eine politische Selbst-
ständigkeit der germanischen Gaue keinerlei Beweis zu erbringen
ist. und da andererseits der keltische Gau solche Selbständigkeit
besitzt, liegt es nahe, diese Gaue nicht für gleichartige, sondern
für verschiedenartige Hinrichtungen zu halten.
Aber auch abgesehen von diesem für sich allein vielleicht
nicht ausreichenden Argument, kann ich Brunners Schlußfol-
gerung aus anderen Gründen nicht beitreten. Sie setzt nämlich
voraus, daß pagus bei den Römern — von den späteren lateinischen
(Quellen sehe ich ganz ab — ein fester, eindeutiger Terminus war.
Denn nur unter dieser Voraussetzung läßt sich sagen, daß alle
Bezirke, die die Römer pagus nannten, einander gleich waren.
Aber gerade an dieser Voraussetzung fehlt es, wie Brunner
selbst zugibt. Pagus kann „an sich jeden Landbezirk bezeichnen“
und damit fallt die Geschlossenheit in Brunners Argumentation1).
Jedoch braucht man deshalb nicht anzunehmen, daß Caesar
bewußt zwei völlig verschiedenen verfassungsrechtlichen Einrich-
tungen den gleichen Namen pagus gegeben hat. Denn bei aller
Verschiedenheit in der Größe und im Grad der politischen Selbstän-
digkeit haben der germanische und der keltische pagus doch das
') Hie verschiedenem Meinungen über „pagus“ sind erschöpfend zu-
suumengeatcllt und behandelt bei llaumstark l'rdeutsclio Stnatsaltcrtüiner
S. 330 fT. tScrber Leiicon Tacitcum S. 1<*4!> s. v. pagus führt sogar
onen Fall au, in dem pagus bei Tacitus soviel wie Dorf bedeutet. Übrigens
et in beachten, daß einen Anhaltspunkt für die tiröße eines pagus überhaupt
nur Caesar de bell. galt. IV, 1 gibt: au allen anderen Stellen können ilie pagi
von beliebiger (Jrölle sein.
e*
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miteinander gemeinsam, daß sie der unter der eivitas stehende
Bezirk sind. Dem helvetischen Unterbezirk hat Caesar den Namen
pagus gegeben, und als ihm bei den Germanen ein Unterbezirk
entgegentrat, bezeichnete er diesen ebenfalls als pagus. Insofern
gebe ich Brunner sogar zu, daß Caesar seine Terminologie an
keltischen Verhältnissen entwickelt hat1). Aber ein tertium com-
parationis führt noch nicht zur Kongruenz.
Brunner mußte doch auch erwägen, daß Tacitus den BegrilV
pagus nicht für die Kelten geschaffen, sondern der römischen Ver-
fassungsterminologie entnommen hat. Und doch ist der pagus der
Kelten etwas anderes als der des römischen Weltreichs.
Übrigens laßt sich zu allem Überfluß aus Caesar selbst
beweisen, daß der Bezirk, den er bei den Kelten pagus hieß,
größer war, wie der germanische, dem er diesen Namen gab.
Nach Caesar de bell. g. I, 1*2 war das ganze Gebiet der
Helvetier in vier pagi geteilt. Da nach I, 2!) das Uesamtvolk der
Helvetier eine Zahl von 26 300 erreichte und mindestens ein
Viertel waffenfähig war, so entfielen auf jeden pagus 6 500 Waffen-
fähige. Damit stimmt ungefähr fiberein I, 27:
„Dum ea conquiruntur et eonferuntur, nocte intennissa
circiter hominum milia sex eius pagi, qui Verbigenus ajipel-
latur . . . e castris Helvetiorum egressi ad Rhenum finesque
Gormanorum contenderunt.“
Selbst wenn wir annehmen, daß alle Leute dieses pagus Ver-
bigenus wegzogen, was durch den Wortlaut nicht einmal verlangt
ist, so haben wir auch hier eine sehr erhebliche Menge von
Kriegern als in einem Gau befindlich anzunehmen.
Von den germanischen Gauen der Sueben dagegen berichtet
uns Caesar, daß jeder nur zweitausend Krieger enthielt. Mögen
nun diese sämtlichen Angaben falsch oder den Tatsachen ent-
sprechend sein, jedenfalls war für Caesar der keltische Gau der
Größe nach etwas anderes als der germanische. Auf Caesars
Meinung aber müßte es nach Brunner allein ankommen.
*) Im Prinzip jedoch muli ich Sickel zustiuimen, der Inst. f. öst. Go-
schichtsf. Krg. Bd. I S. 15 Amn. 1 sagt, cs sei ein unrichtiger Schluß, .daß
wir den Gcnnanenstaat aus dein Keltenstaat erläutern könnten, weil für beide
eivitas und pagus gebraucht sind. Ist doch auch der keltische pagus
nicht gleich dem italischen!"
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Überhaupt ist für die ganze Frage der Sprachgebrauch be-
züglich des Wortes pagus entscheidend, Geht man davon aus,
daß pagus überall den nämlichen Sinn hat, in allen Quellenstellen
denselben llezirk bezeichnet, so läßt sich die Identifizierung von
jkutus und Hundertschaft im üblichen Sinn nur unter Verwerfung
von Quellenstellen durchführen. Geht man umgekehrt davon aus,
daß pagus an verschiedenen Stellen verschiedene Bedeutung hat,
so folgt daraus, daß man in dem pagus ohne weiteres weder eine
Hundertschaft noch einen Gau sehen, sondern höchstens aus dem
ganzen Zusammenhang entnehmen kann, welcher Bezirk gemeint ist ■).
Das gilt auch für Brunner’s zweites Argument, die viel
umstrittene Stelle bei Caesar. De b. gall. IV, 1:
„Hi centum pagos habere dicuntur. ex quibus quotannis
singula milia armatorum bellandi causa suis ex finibus
educunt. Reliqui, qui domi remanserunt, sc atque illos
alunt; hi rursus in vicem anno post in armis sunt, illi
domi remanent.“
Auf die viel angegriffenen „centum pagi“ habe ich hier
nicht einzugehen. Wenn Caesar in dieser Stelle den Suehi
100 Gaue zuschreibt, an anderer Stelle nur einem Teil dieses
Volkes ebensoviele, wenn Tucitus berichtet, die Semnones hätten
100 Gaue bewohnt, Plinius den Hilleviones ein Gebiet von
jOO pagi anweist, so folgt aus allen diesen Angaben nicht das
mindeste für die Größe dieser pagi. Vielmehr haben wir es bei
diesen Zahlen, wie M ü 1 1 e n h o f f s) Helfend bemerkt, mit einem
.sagenhaften Anschlag“ zu tun. Diese Angaben sind eine Be-
tätigung der Ausführungen über den Gebrauch des Wortes
.hundert“ oder „centum“ oder sie gehen möglicherweise sogar
darauf zurück, daß die Gewährsmänner der Römer von „huntari“
sprachen Jj.
*) Vgl. Hirschfeld Haitische Studien in den Sitzungsber. d. Wiener
Akademie. phil.-hist. Klasse 103 S. 304.
*) D-A. IV S. 461. Ebenso schon iinckert, Historisches Taschcn-
boch 1861 S. 359.
*) Ebenso unbestimmt wie pagus sind die llegriffe bant (Tubantes,
Brabant, Testerbant), eiba (Wetereiba, Wingarteiba) und bar, para (Albu-
tnpara). Sic sind deshalb für die Erforschung der germanischen Yer-
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Im übrigen berichtet liier Caesar dem Worte nach
von pagi, die 2000 Krieger enthalten und, wenn eine Hundert-
schaft eine Vereinigung von etwa hundert Männern oder ein
Komplex von etwa 100 Hufen ist, so können diese pagi keine
Hundertschaften sein 1 j. Diese Schlußfolgerung ist zwingend.
Denn ich möchte mich nicht der Gegenargumentation bedienen,
daß sich die ursprünglich hundert Krieger seit der Niederlassung
so sehr vermehrt haben könnten. Nicht nur ist ein so rasches
Anwachsen der Bevölkerungsziffer sehr unwahrscheinlich, sondern
es würde auch, wenn sich die Bevölkerung so sehr vermehrt
hätte, eine Verschiebung der ursprünglichen Wohnsitze haben
stattfinden müssen; das ursprünglich von hundert Kriegern in
Besitz genommene Land hätte niemals von 2000 bewohnt sein
können. Aber auf der anderen Seite ist wohl zu beachten, daß
eine Einwohnerschaft von 2000 Kriegern auch nicht in einem
pagus sich aufhalten kann, der das Niederlassungsgebiet einer
Tausend schaff ist. Denn auch eine Verdopplung der Bevölkerungs-
ziffer ist bei den damaligen Verhältnissen, den fortwährenden
Verlusten an Menschen im Kampf, innerhalb der Zeit seit der
Ansässigmachung und den Kriegen mit Caesar nicht anzunehmen.
Konsequent mußte Brunner annehmen, daß diese pagi der
fassung nicht weiter zu verwerten. Ob etwa die Tubantcs das Oebiet
zweier Hundertschaften bewohnt haben, das ist eine Krage, die nicht gelöst
werden kann, und es ist infissig, sie hypothetisch zu bejahen oder zu ver-
neinen. Vgl. Schröder R. G.1 S. 21. Waiti V. G. I3 S. 207 Grimm
Kechtsaltertümer ‘ II S. 8 f.
Dahn, Könige VII, 1 S. 3 hält die 100 Gaue der Sueben aufrecht,
weil nach seiner Ansicht jede Völkerschaft im Durchschnitt 4 — 6 Gaue
zählte und die Sueben etwa 13 — 20 Völkerschaften hatten. Vgl. die
treffenden Bemerkungen v. A. Bugge a. a. 0. S. 16 .Rimeligvis har hau
(l’linius) liprt at Hillevionerne bodde i fern „hundreder“ og misforstaaet
dettc som -fein hundrede landsbyer“.
') Thudichuui, der altdeutsche Staat S. 34 will diese Schwierigkeit
dadurch lösen, dall er hundert Rotten zu je 10 Mann annimmt. Dafür gibt
es aber keinen Anhaltspunkt: die ungezogene Stelle aus den Loges Kdw.
t'onf. ist bei dem geringen Wert dieser Quelle ohne Beweiskraft. Vgl. F.
Lieberinann. Uber die Legcs Kdwardi Confessoria S. 74. Auch Sickcl
Freistaat S. 19 meint, dal! die pagi Gaue sein müssen, weil ihre Grölie
die der Hundertschaften weit ubcrlraf.
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Sueben weder Hundertschaften noch Gaue sind. Und das erscheint
mir auch richtig. Es sind Gebiete von unbestimmter Größe, aus
«lenen jährlich eine große Menge (natürlich nicht gerade tausend)
von Bewaffneten ins Feld zieht.
Wenn aber auch, wie zugegeben, diese pagi der Suebi keine
Hundertschaften gewesen sein können, folgt dann daraus, daß
pagus an keiner Stelle Hundertschaft bezeichnen kann, oder etwa
daß es einen bestimmten anderen Bezirk bezeichnen muß? Diese
beiden Fragen sind zu verneinen.
Zur Rechtfertigung verweise ich auf die schon oben erwähnte,
unbestrittene. Tatsache, daß pagus einen Landbezirk schlechthin
bedeutet, ohne daß man mit diesem Wort, die Vorstellung irgend
einer Größe zu verbinden hätte. Eben deshalb kann pagus an
der einen Stelle zur Bezeichnung eines Gebietes verwendet werden,
von dem der Schreiber nicht einmal eine bestimmte Vorstellung
hat, an der anderen zur Bezeichnung eines ganzen Volksgebietes,
an einer dritten zur Bezeichnung eines genau abgegrenzten Ge-
bietsteiles. Das erkennt Brunner an, verwertet es aber nicht.
Hätte er es verwertet, so wäre er zu dem Schlüsse gekommen,
«laß die Stelle aus Caesar weder in der einen noch in der
anderen Richtung beweiskräftig ist. Sie kann uns wegen eben
der Vieldeutigkeit des Wortes pagus nicht beweisen, daß nicht
doch an anderer Stelle pagus einen Hundertschaftsbezirk bedeuten
kann. Sie ist aber, wie schon bemerkt, auch nicht im Stande,
die Existenz von Gauen zu beweisen. Denn auch die (taue
können, so wie sie von Brunner und seinen Anhängern gedacht
sind, nicht 2000 wehrfähige Männer enthalten; das würde ja, da
sie Tausendschaftsniederlassungen sein sollen, eine Verdoppelung
der Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit voraussetzen. Ich trage
übrigens kein Bedenken, gerade bei dieser «Stelle nach dem
„Rezept“ Brunner’s zu verfahren und diese Stelle, wenn auch
nicht völlig als unglaubwürdig zu verwerfen, so doch als ein Miß-
verständnis anzusehen. So gut man in den „centum pagi“ ein
Mißverständnis erblickt, so gut kann man die anderen Zahlen-
angaben dieser Stelle als ein solches auffassen angesichts der
eben ausgeführten Tatsache, daß sie weder zu Gauen noch zu
Hundertschaften passen. Es wäre sogar möglich, daß auch kein
Mißverständnis vorliegt, sondern daß Caesar falsch unterrichtet
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war. Konnte denn nicht ein Interesse daran bestehen, ihm eine
übertriebene, wenn auch falsche Vorstellung von der Grolle des
Suebenvolkes beizubringen ?’) Doch mag all dem sein, wie
immer, fest steht, da LI diese pagi weder Hundertschaften noch
Tausendschaften enthalten können.
Als letztes Argument fuhrt Brunner die Nachrichten des
Tacitus über die Hundertschaften ins Feld. Hierher gehört zu-
nächst Germ. c. ti:
„in Universum aestimanti plus penes peditem roboris;
eoque mixti proeliantur, apta et congruente ad equestrem
pugnam velocitate peditum, quos ex omni juventute delectos
ante aciem loeant. definitur et numerus: centeni ex singulis
pagis sunt, idque ipsum inter suos vocantur, et quod primo
numerus fuit, iam nomen et honor est.“
Hierzu bemerkt Brunner: „Da nach Germ. c. H jeder ein-
zelne Gau je hundert Mann zu der aus Reitern und Fußgängern
gemischten Sondertruppe stellte, so muß die Zahl der sonstigen
Heermänner des Gaues so erheblich gewesen sein, daß die Be-
zeichnung Hundertschaft für den Gau schon damals schlechter-
dings nicht mehr gepaßt hätte.“*).
An diese Tacitusstelle knüpft sich eine langwierige Kontro-
verse, die Iris heute noch keine anerkannte Lösung gefunden hat 3).
Auch die folgenden Ausführungen beanspruchen nicht, eine er-
schöpfende Lösung zu bringen: denn es können überhaupt nur die
in ihr enthaltenen einzelnen Fragen zur Erörterung kommen, die
für unsere Hauptfrage von Bedeutung sind.
Außer Zweifel ist, daß die Germanen, wie auch andere indo-
') In den übertriebenen Zahlenangaben erinnert die Stelle an die oben
citierte aus der Hervararsaga, wo cs der Verfasser auch darauf anlegt, beim
Leser die Vorstellung eines gewaltigen Heeres zu erwecken. Her Polemik
von Hach fahl a. a. 0. S. 1GI> vermag ich mich nicht anznschlieBcn. Die
Grundlage seiner Ausführungen, die Ilcvölkerungsbcrechnungen Dclbrnck's,
sind reine Fantasie.
s) Was Hach fahl a. a. 0. S. 11(8 gegen Hrunncr ausfnhrt, scheint
mir haltlos. Warum soll die Bemerkung, daU die Bezeichnung hundari
(centum) ihren Ursprung einem Zahlenverhältnis verdanke „Vermutung“
sein? Im Gegenteil sehe ich die einzig mögliche Erklärung dieses Namens
in dem Zusammenhang mit dem Zahlwort und Mengenwort hundari.
*) Möllenhoff, 1). A. IV 173 f.
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germanische Völker, eine gemischte, aus Reitern und Fußkämpfem
bestehende Truppe gekannt haben, die sie vor dem übrigen Heere,
der at ies, aufstellten '). ln Frage steht dann nur noch, wie groß
diese Truppe war, ob sie überhaupt in einem bestimmten Zahlen-
verhältnis zu der Zahl der Haupttruppe stand, und wie sie zu-
stande kam. Mit diesen Fragen sollen sich die folgenden Aus-
führungen des näheren beschäftigen.
Was die Erörterung und die Auslegung des c. (! der Ger-
mania besonders erschwert, ist der Umstand, daß wir aus anderen
Quellen nur sehr wenig Nachrichten über diese sogenannte Elite-
truppe haben, mit denen wir den Bericht des Tacitus ergänzen
und erläutern könnten. Nur Caesar äußert sich darüber d. b. g.
I. c. 48:
.Genus hoc erat pugnae, quo se Germani exercuerant.
Equitum milia erant VI, totidetn numero pedites velocissimi ac
fortissimi. quos ex omni copia singuli singulos suae salutus
causa delegerant . . . .“
Hier erfahren wir also, daß das Heer des Ariovist eine Elite-
truppe von 12000 Mann. 6000 Reitern und 6000 Fußgängern
hatte. Damit operiert nun Möllenhoff folgendermaßen*). Er
geht von der oben erwähnten Nachricht des Caesar aus, daß
die Sueben hundert Gaue bewohnten, nimmt diese Hundert als ein
Großhundert, läßt jeden Gaue tausend Mann stellen und erhält
mit dieser Rechnung ein Suebenheer von 120000 Mann, was
Caesar d. b. g. I c. 61 entspräche. Nun fährt er fort: „Das
war aber nur die Stärke des Fußvolks. Die Reiterei zählte nach
BG. I, 48 6000 Mann zu Pferde und ebensoviele Fußgänger,
Parabaten, also im ganzen 12000 Mann. Dividiert man diese Zahl
durch die Zahl der 120 pagi, so ergibt sich, daß jeder pagus
UHi Mann dazu stellte, 50 Reiter und 50 Fußgänger. Das stimmt
vollkommen zu Tacitus: centeni ex singulis pagis.
Diese Rechnung scheitert schon daran, daß sie nur infolge
einer ganz willkürlichen Auslegung zustande gekommen ist. Was
gibt Müllen hoff die Berechtigung, in den centum pagi, 120
zu sehen, dieses centum als Großhundert aufzufassen? Mit dem-
■) Vgl. Brunner, 140. I* S. 183.
*) Möllenhoff, D. A. IV S. 178.
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8t1 Iben Recht kann mau die centeni bei Tacitus als Großhundert
anselien, und dann stimmt Müllenhoff’s Rechnung keineswegs.
Sie hat außerdem noch einen Fehler. Müllenhoff übersieht
nämlich, daß, um dieses Heer aufzubringen, nicht, wie er sagt,
jeder pagus 1000 Mann stellen mußte, auch nicht tausend Fuß-
gänger. sondern 1100 Mann oder 1050 Fußgänger und 50 Reiter.
Für eine solche Zahl haben wir, auch wenn wir eine Aushebung«-
ziffer annehmen wollten, absolut keine Anhaltspunkte. Nur
nebenbei bemerkt sei, daß es sonderbar anmutet, gerade bei
Müllenhoff diese Rechnung zu lesen, der doch die centum
pagi „einen sagenhaften Anschlag“ nennt.
Ist somit die Berechnung Müllenhoffs an sich schon falsch,
so genügt ein Hinweis darauf, daß sie auch ohne die genannten
besonderen Fehler keine durchschlagende Beweiskraft hätte, weil
sie auf zu unsicherer Grundlage steht. Die Zahlenangaben Caesar’s
über ilie Stärke feindlicher Truppen können nie als Grundlage für
Beweisführungen dienen.
Aus Caesar ist also zweifellos nicht zu entnehmen, daß jeder
Gau zur Elitetruppe gerade 100 Mann stellte. Infolgedessen
kann man auch nicht schließen, daß die pagi, die nach Tacitus
centeni stellten, solche Gaue waren.
Um nun auf Germ. c. 0 zurückzukommen, so mache ich hier
aufmerksam auf den Schluß; „ . . . quod primus numerus fuit,
iam nomen et honor est.“ Daraus folgt, daß zwar die Elitetruppe
zur Zeit des Tacitus nicht mehr hundert Mann enthielt, wohl aber
früher; daß sie einmal diese Größe hatte, soll ja gerade ihren
Namen, den wir allerdings nicht erfahren, aber vielleicht in
huntari vermuten können, rechtfertigen. Da erhebt sich nun die
Frage, ob diese Vorstellung überhaupt möglich ist. Kann die
Elitetruppe einmal so ein Hundertverband gewesen sein? Die
herrschende Meinung wird die Frage bejahen, indem sie annimmt,
daß der Gau hundert zur Elitetruppe stellte. Dies mit angenommen,
kann ich es berechtigt finden, wenn die übrigen, in der acies
stehenden Männer die Elitetruppe des Gaus ein huntari hießen.
Nun denke man sich aber, daß mehrere, etwa 5 Gaue eine Schlacht
geliefert haben, sollte dann diese Elitetruppe auch wieder ein
Hunderterverband geheißen haben. Gewiß nicht! Eine Truppe,
die immer in ihrer Größe variierte, je nach dem Bestand der
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Haupttruppe, erhielt bei den Germanen so wenig einen Namen, der
nur eine Zahl war, wie sie ihn bei uns erhalten würde.
Damit will ich keineswegs behaupten, «lall Tacitus uns falsch
berichtet habe. Er hat mit gutem Grund von den centeni ex
singulis pagis gesprochen. Denn ihm oder seinem Gewährsmann
gegenüber sprach der um die Sache befragte Germane von huntari.
Übersehen wurde dabei nur, «lall huntari nicht eben hundert be-
zeichnen muH. Der Germane wollte nur sagen, «lall jeder pagus
eine gewisse Menge von Leuten zur Elitetruppe stellte. Aller-
dings darf man auch diese Fassung nicht pressen, sondern in der
Wirklichkeit verhielt sich die Sache wohl so, «lall von jedem pagus
eine nicht gerade abgezahlte, aber schon durch die Verhältnisse
beschränkte Anzahl von Reitern kam, und jeder von diesen hat
sich dann, wie ja Caesar erzählt, seinen Begleiter ausgesucht.
Bei dieser Erklärung kann die Elitetruppe immer huntari
heiilen, ob nun die Hauptruppe und damit sie selbst grillier oder
kleiner war. Wir können aber andererseits aus dem „centeni“
keine Schlüsse auf die Grolle des pagus ziehen; dieser kann eben-
sogut als Hundertschaft, wie als Gau huntari zur Elitetruppe ge-
stellt haben ').
Ich gehe nun über zu der zweiten einschlägigen Stelle bei
Tacitus, nämlich Germ. c. 12.
„Eliguntur in isdem conciliis et principes, qui jura per
pagos vicosque reddunt; centeni singulis ex plebe comites
concilium simul et auctoritas adsunt.“
Auch diese Stelle ist nicht wenig umstritten. Sie sagt uns
in ihrem ersten Satz, daLS in Versammlungen (concilia) principes
gewählt werden, qui iura per pagos vicosque reddunt. Fraglich
ist, wer diese principes sind, und dies hängt ab von der Aus-
legung des Relativsatzes.
Nach der herrschenden Meinung siml die principes (Gau-
fürsten) im Gau (pagus) herumgereist und haben an der Hundert-
schaftsdingstätte, die inmitten des vicus lag. Gericht gehalten*). Wie
') Die Annahme eines Zusammenhangs dieser „centeni“ mit Hundert-
schaften hat Schröder Kg.* S. 39 Anm. i mit Hecht zurnrkgewiesen. Warum
nimmt übrigens Schröder gerade bei diesen „centeni“ mit v. Anlira an,
dall man an eine „Menge“, nicht au eine Zahl, zu denken habe?
■*) Schnöder, Rg.s S. 41 f. Brunner, Kg.3 I S. 202,
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02
man zu diesen Annahmen gekommen ist, erklärt sieh leicht. In
der Tat ist der fränkische comes in seiner Grafschaft herumgereist
und hat in den einzelnen Hundertschaften Gericht gehalten; auch
der alamannische comes hat dies getan, auch der bairische comes
kann nur so zur Abhaltung eines Gerichts gekommen sein.
Es frägt sich nun, ob wir auch in der germanischen Zeit
solche reisende Richter annehmen müssen oder auch nur annehmen
können. War die ratio, die in fränkischer Zeit das Herumreisen
des Grafen rechtfertigte, auch schon in germanischer Zeit vor-
handen? Die Antwort ergibt sich, wenn wir zunächst die Frage
beantworten, warum der fränkische Graf reiste. Sie ist in den
Grundzügen schon in den Ausführungen dieses Abschnittes über die
Bedeutung der fränkischen Grafschaft überhaupt beantwortet. Der
fränkische comes reiste nicht etwa deshalb von einer Hundertschaft
zur andern, weil da. wo er Gericht halten wollte, kein anderer
Richter vorhanden war; er mußte im Gegenteil den ursprünglichen
Hundertschaftsrichter verdrängen, um überhaupt Platz zu linden.
Sein Herumreisen war vielmehr dadurch veranlaßt, daß ein be-
sonderes Gericht gehalten werden sollte; die königliche Ge-
richtshoheit sollte ausgeübt werden und dazu bedurfte man des
königlichen Beamten, des Grafen, der auch sonst die gesamten
Rechte des Königs in der Grafschaft wahrzunehmen hatte. In der
germanischen Zeit konnte dieser Zweck des Herumreisens nicht be-
stehen; denn es gab keine Gerichtshoheit, die auch im Unterge-
richt hätte repräsentiert werden müssen, die Gerichtshoheit der
Hundertschaft war eine unabhängige. Ein anderer Zweck aber ist
schwerlich aufzufinden ').
Es ist also mindestens sehr unwahrscheinlich, daß die. ger-
manischen principes so wie die fränkischen comites herumreisten,
um Recht zu sprechen. Dann erhebt sich aber sofort die Frage
wie das ius reddere per pagos vicosque sonst zu erklären ist.
Zwanglos erklärt es sich, wenn man sich in den Gedanken-
gang des Tacitus hineindenkt. Tacitus hatte offensichtlich die Auf-
fassung, daß die sämtlichen principes auf dem Landsding gewählt
wurden. Von da aus verteilten sie sich nun und zogen hinaus
') Unverständlich ist mir, wie Möllenhoff D. A. IV. 252 f. das „Ein-
reiten" der Herrschaft heranziehen kann. I>a handelt cs sich doch überhaupt
■lieht um einen Umzug, sondern um einen Einzug.
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in ihre Bezirke. in die pagi, um dort Recht zu sprechen. Dieses
Hinausgehen in die Bezirke und das Rechtsprechen dort konnte
Taeitus sehr wohl mit jus reddere per pagos ausdrüeken.
Der Beisatz vicosque kann lediglich eine nähere Erläuterung
eine genauere Ortsbestimmung sein. Er kann heißen, daU der
princeps nicht an einer beliebigen Stelle des pagus, sondeni an der
bei dem vieus oder in seiner Mitte gelegenen Dingstätte Gericht
hielt: dann erscheint der Plural schon gerechtfertigt, wenn in
jedem pagus auch nur eine solche Dingstätte lag. Man kann
aber auch daran denken, daß es keineswegs immer diese Ding-
stätte war, an der Gericht gehalten wurde ; denn nur das echte
Ding war an sie gebunden. Das gebotene Ding aber konnte auch
an anderem Ort statttinden, sodaL! in jedem vieus des pagus der
princeps Gericht halten konnte '). Ja selbst Dingstätten für unge-
betenes Ding konnte es in einem pagus mehrere geben, da ein
Wechsel zwischen einzelnen Dörfern nicht ausgeschlossen ist.
Endlich braucht man überhaupt nicht von festen Dingstätten aus-
zucehen. sondern kann davon ausgehen, daß es in germanischer
Zeit wie später in Bayern feste Dingstätten überhaupt nicht gab8).
Sind wir demnach nicht gezwungen in den prineipes reisende
Richter zu sehen, so entfällt damit ein Grund, die pagi für Be-
zirke zu halten, die mehrere Hundertschaftssprengel umfassen.
Daraus folgt dann aber, daß diese Stelle kein Argument für das
Bestehen solcher Bezirke, also der Gaue, ist.
Ferner folgt hieraus, daß unter dem princeps nicht ein Gau-
fürst oder Gaurichter zu verstellen ist, sondern wie v. Amira5) und
Siegel4) schon immer angenommen haben, ein Hundertschafts-
hiuptling verstanden werden kann und, da es Gaufürsten nicht
gab, verstanden werden muß.
Eine Frage für sich ist es, wie wir uns die Wahl dieser
prineipes vorzustellen haben. Taeitus denkt sie sich, wie schon
oben bemerkt, im Landsding gewählt; denn dieses ist das concili-
•) Daß vieus der Ausdruck für die .Mahlstätte-1 war, wie Cr am er,
Alamannen S. 04 behauptet, braucht man deshalb noch nicht anzunehmen.
*) Das übersieht Sohm RuGV. S. 6 Anm. 17, der im übrigen annimmt.
•Uli durch per vicos das per pagos nur .wiederholt und illustriert wird.*
*) Orundr.3 S. 78 Anm. 2. Vgl. oben S. fiö Anm. 1.
*) Keehtstfesohichte3 S. ICH. Kbenso Waitz, Vti, I3 S. gtil.
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um, von dem er oben spricht. Aber es erscheint mir sehr frag-
lich, ob sein Bericht in dieser Richtung zuverlässig ist. Dali die
Hundertschaftsvorsteher überhaupt gewählt wurden, erscheint mir
sicher; Erblichkeit anzunehmen liegt kein Anlaß vor. Auch
das ist schwerlich zu bestreiten, daß sie in Volksversammlungen
gewählt wurden ; eine andere Form, etwa Wahl durch bestimmte,
ihrerseits wieder ausgewählte, Personen halte ich für ausgeschlossen.
Nur das erscheint mir unwahrscheinlich, daß das Lands ding es
gewesen sein soll, das sie wählte. Mir scheint es den damaligen
Zuständen nicht zu entsprechen, daß die Gesamtheit des Volkes
die sämtlichen Hundertschaftsvorsteher sollte gewählt und da-
mit in Angelegenheiten eingegrift'en haben, die doch mehr An-
gelegenheiten der unmittelbar Beteiligten, der Inwohner der be-
treuenden Hundertschaft waren, als solche der Gesamtheit. Man
darf dabei nicht übersehen, daß die germanische Landesversamm-
lung, wenn wir von der ihr aus praktischen Rücksichten zustehen-
den Entscheidung über Krieg und Frieden absehen, regelmäßig nur
mit Angelegenheiten befaßt war. die ihr als einer Kultversammlung
mittelbar oder unmittelbar oblagen. Doch gebe ich zu, «laß sich
über diesen Punkt streiten läßt und «laß es nicht absolut aus-
geschlossen ist, daß die Landesgemeinde zur Zeit des Taeitus
eine souveräne Stellung in einzelnen Angelegenheiten sich erworben
hatte
Überblicken wir das Gesagte, so ergibt sich, daß die Ar-
gumente. die uns nach Brunner's Ansicht, hindern sollen, in dem
pagus einen Hundertschaftsbezirk zu sehen, hinfällig sind. Denn
') Die Wahl sämtlicher Häuptlinge auf dem I.andsding ist auch Mfillen-
hoff I). A. IV. 252 zweifelhaft erschienen: allerdings kann ich seiner Be-
gründung, datl diese Wahl „schwerfällig1- oder gar „unsinnig“ gewesen wäre,
nicht beitreten. Ob, wie Th ud ichu in, der altdeutsche Staat S. 7 annimmt,
die Wahl so vor sich ging, „daü jede Hundertschaft über Seite trat und
ihre Hau- und Dorfvorstehcr für sich ernannte,“ ist schwer zu entscheiden.
Dali noch später auf der Appenzeller Landesversammlung in dieser Weise
die 7 Nachbarschaften ihre Hanptleutc und Abgeordneten wählten und die
Dfirfer des Berichts Kaichen ebenso ihre dorfgreven im Ding zu Kaichen.
zeigt zum mindesten, dall dieser Modus auf germanischem Boden vorkain.
Sohin, ItuGV. S. C spricht die Wahl dem concilimn zu, weil nach ihm nur
dieses, nicht auch die Hundertschaftsversammlung Hnheitsrcchto hatte.
Vgl. auch oben S. 7S Anm. 2.
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es hat sich gezeigt, daß die Schlüsse aus dem keltischen pagus
unberechtigt sind, dali der größere Umfans des pagus nach Caesar
deshalb nicht im Wege steht, weil pagus nicht immer die Hundert-
schaft bezeichnen müßte, sondern auch andere Bezirke bezeichnen
könnte, ja überhaupt nicht immer einen umgrenzten Raum be-
zeichnen muß, daß endlich die Nachrichten des Tacitus mit der Auf-
fassung des pagus als Hundertschaftsbezirkes wohl vereinbar sind ').
Durch die Möglichkeit, in dem pagus einen Hundertschafts-
bezirk zu sehen, wird das für die Gaueinteilung in germanischer
Zeit vorgebrachte Argument widerlegt, daß es deshalb Gaue ge-
geben halien müsse, weil Tacitus pagi erwähne, und diese nicht
Hundertschaftsbezirke sein können.
Die Notwendigkeit, indem pagus einen Hundertschafts be-
zirk zu sehen, ist andererseits nicht gegeben. Allerdings haben
wir dann die Frage zu beantworten, was unter dem pagus zu ver-
>tehen ist, wenn er weder einen Gau noch einen Hundertschafts-
bezirk bedeuten soll. Aber diese Aussicht darf uns gerade des-
halb nicht abhalten, die Existenz von Hundertschaftsbezirken in
der germanischen Periode zu prüfen, weil die herrschende Meinung
solche Bezirke verwirft.
V. Fortsetzung (Pagus)
Bei den Ausführungen des vorausgehenden Kapitels bin ich
davon ansgegangen, daß es in germanischer Zeit innerhalb der
eivitas. eine Anzahl kleinerer persönlicher Verbände gibt, eben
die. die man Hundertschaften zu nennen pflegt, unter ausdrück-
licher Beiseitelassung der Frage, ob diesen Verbänden auch Be-
zirke entsprechen. Ich konnte dies tun, weil diese Hundert-
schaften von der herrschenden Lehre und auch von denen uner-
’) Zu diesem Ergebnis bemerke ich in methodischer Beziehung, iluli
die Behandlung der Quellen, die zu ihm geführt lmt, allerdings nicht so
konservativ war, wie die Brunners. Aber wenn es auch oberster Grundsatz
aller Qnelleniuterprctation ist, Texte solange als möglich weder zu ver-
ändern noch fnr Mißverständnisse zu erklären, so halte ich doch im vor-
liegenden Falle das teilweise Abgehen von diesem Grundsatz für gerecht-
fertigt durch die vorherigen Ausführungen, die das Vorhandensein von
(iauverhänden und Gatibczirken als unwahrscheinlich dargetan haben.
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kannt sind, die gleichzeitig entsprechende Bezirke annehmen und
aus eben diesem Grunde kann ich wohl auch jetzt eines nach-
träglichen Beweises ihrer Existenz entraten.
Dagegen erhebt sich die Frage nach der Entstehung dieser
Hundertschaften um so lauter, als schon im ersten Abschnitt die
übliche Erklärung der Hundertschaft als einer hundert oder hundert-
zwanzig Mann zählenden Heeresabteilung zurückgewiesen wurde.
Bei ihrer Beantwortung können wir auf Grund unserer sprach-
lichen Untersuchungen davon ausgehen, daLi huntari ein seiner
Größe nach nicht näher bestimmter Haufen von Menschen war.
Und wir können, wie dies auch die Vertreter der Heerestheorie
schon getan haben, weiterhin annehmen, daß es ein Haufen von
Menschen war, der gemeinschaftlich gewandert ist und sich nun
gemeinschaftlich niedergelassen hat.
Wie aber kam dieser Haufe zusammen? War es eine Gruppe
unter sich verwandter und so durch das natürliche Band, sei es
agnatischer, sei es kognatiseher Verwandtschaft zusammen gehaltener
Personen oder war es ein künstliches Gebilde, eine künstliche Zu-
sammenfassung von Personen, die nicht schon in näheren Beziehungen
zu einander standen. Die Vertreter der „Heerestheorie“ mußten
eine künstliche Organisation annehmen. So sagt Sehroeder')
daß sich der gentilicische Charakter der germanischen Verfassung
nicht über die Ortsgemeinde hinaus erstrecken konnte und da
er annimmt, daß die Hundertschaft mehrere Ortsgemeinden ent-
hielt, so folgt hieraus, daß er in der Hundertschaft keinen genti-
licischen Verband sah. Das ist auch die notwendige Konsequenz
davon, daß die Heerestheorie mit der Zerreißung von Verwandt-
schaften rechnen muß.
Für uns dagegen steht nichts im Wege auch in der Hundert-
schaft einen verwandtschaftlichen Verband zu sehen.
Wie oben schon ausgeführt wurde, erfreute sich das ver-
wandtschaftliche Band bei den Germanen noch in verhältnismäßig
später Zeit einer bedeutenden Kraft. Umsomehr hatte es Einfluß
in der frühen, vortaciteischen Zeit. In dieser Periode wird es
wohl die Regel gewesen sein, daß die Verwandten beisammen
>) Kg.1 S. 59 Anm. 15.
3) Vgl. hierzu W n i 1 7. , Yg. I3 S. 54 f.
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blieben, solange es die Umstünde erlaubten. Solange also die Sippe
nicht zu groß war. um im Zusammenhang wandern zu können,
solange sie. was wohl das wesentlichste war, auch bei gemein-
samem Hemm ziehen noch ernährt werden konnte, solange, dürfen
wir annehmen, blieb sie beisammen. Und in ihrer Gesamtheit
bildete sie einen durch das Band der Verwandtschaft zusammen-
cehaltenen Haufen. Wuchs dieser Haufen zu sehr an, sodaß eine
Teilung notwendig wurde, so haben wir uns bei dieser Teilung
ein Rinwirken des Geschlechtersinnes vorzustellen. Die sich vom
.Haufen' absondernden Personen werden nicht einzelne beliebige
gewesen sein, sondern es werden verwandte Gruppen sich abge-
schichtet haben. Dies hatte zur Folge, daß auch der neugebildete
.Haufe* eine gentil irische Vereinigung war. Dieser Vorgang
kannte sich beliebig oft wiederholen, die „Haufen“, die zusammen
»änderten, waren Gruppen von Verwandten. Um hier Mißver-
ständnissen vorzubeugen und einen scheinbaren Widerspruch mit dem
eben Gesagten zu erklären, weise ich ausdrücklich darauf hin, daß es
•ich hier mn eine Teilung handelt, die auf Zahlenverhältnisse keine
Rücksicht zu nehmen hat und daher die Verwandtschaftsbeziehungen
schonen kann. Es fallen hier die Schwierigkeiten weg, die o.
S. „M f. gegen eine Teilung nach Zahlen geltend gemacht sind.
In diesen Haufen nun sehe ich das, was uns in der ge-
schichtlichen Zeit nach der Niederlassung als der persönliche
Hundertschaftsverband entgegentritt, sodaß die persönliche Hundcrt-
•cliaft zu definieren wäre als ein durch Verwandtschaft verbundener
unbestimmt großer Verband von Personen, die selbst oder deren
Vorfahren in der Zeit der Wanderung als Haufen zusammen-
zogen.
Einen sehr schönen Beleg dafür, daß es Verwandte waren,
die auf (1er Wanderung sich zusammenhielten, haben wir in der
ara. der Fahrtgenossenschaft, und den faramanni der Langobarden;
dort war der Gedanke, daß die Verwandten gemeinsam vom bis-
herigen Wohnsitz aufbrachen und gemeinsam einen neuen Wohn-
sitz suchten, so sehr gefestigt, daß er noch lange nach der An-
dedlung die Grundlage bilden konnte für Ed. Roth. cap. 177 „Si
t|«is über liomo potestatem habeat intra dominium regni uostri
nim fara sua megrare ubi voluerit.“ Auch die gentes cognationes-
v. Schwerin, jütgerm. Hundertschaft <
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que, qui una coienint. wie Caesar berichtet, lassen deutlich er-
kennen, wer zusammen wanderte ').
Daß dabei die Haufen nicht gleich groß sein konnten, ergibt
sich aus der Natur der Sache. Wie sehr dies aber auch den
Germanen der damaligen Zeit selbst zum Bewußtsein kam, ent-
nehmen wir der Tatsache, daß in den verschiedenen germanischen
Sprachen verschieden große Mengen von Leuten als ein .Heer.“
d. h. ganz allgemein eine bewaffnet heranziehende Schar, wie es
ja die Wanderhaufen waren, bezeichnet werden. Am interessan-
testen ist die schon einmal erwähnte Stelle der kenningar: herr er
luindrap. Bei den Angelsachsen heißt es Ine 13.1:
Deofas we hataff off VII men; froin VII liloff off XXXV;
siffffan biff here.
Über 35 Mann bis zu unbestimmter Menge bildeten also ein
Heer. Bei den Bayern ist ein Heer nach Lex Baj. III H § 1 ein
Haufe von zweiundvierzig Bewaffneten. In der auch oft angeführten
Stelle aus dem Kd. Roth. c. 1!) möchte ich dagegen ein Mißver-
ständnis des Wortes Heer annehmen, da die Zahl doch zu niedrig
gegriffen ist; ein exercitus usque ad quattuor homines kann mit
dem nordischen her nicht mehr auf eine Stufe gestellt werden :).
Die vertretene Auffassung der Hundertschaft als der zunächst
wandernden, dann sich gemeinsam niederlassenden Haufen zieht nicht
unwichtige Konsequenzen nach sich.
Sie erklärt cs vollkommen zwanglos, daß die Hundertschaften,
deren Grenzen wir in der späteren Zeit feststellen können, ver-
schiedene Größe haben. Das mußte schon in germanischer Zeit
der Fall sein. Denn da die sich ansiedelnden Haufen verschieden
Vgl. ferner noch l’aulus Diaconus, Historia Langob. 11,9: qnas
ipso eligere voluiaset faras h. e. generatinnos vel lineas, wobei fara für
Heercsnbtcilung steht: auch I’actus Alain. II, c. 45: „Si litus ... in hcris
generationis dimissus fucrit. (M. G. Quart. L. S. I, Toni V, Pars I, S. 23).
Marius Avcntiaccnsia cd. Mominacn a. 509. Vgl. noch Schröder KG.4
S. 17. Amn. 4. v. Amira Grundrill'* S. 107. Vgl. auch unten S. 101 Anni. 1.)
1) v. Maurer Kntstclmng des isländ. Staate« S. 1 Amn. 1 führt Kd.
Uoth. nicht an. Dagegen tut dies Waitr Vg.-1 1 S. 213 Amn. 2 und Maurer
Vorlesungen I, 1 S. 39 ff. unter Hinweis auf arischild in Kd. Liutpr. 134,
141. Da aber hei arischild eine Zahl nicht angegeben ist, die Vmstftudc
sogar eine größere Zahl als vier annehuien lassen, so Rudert dies nichts
an dem obigen l'rtoil über Kd. Ruth. 19.
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groß waren, mußten auch die (Gebiete, die sie in Besitz nahmen,
verschieden groß sein ').
Ferner aber gibt sie uns auch einen wertvollen Fingerzeig für
die Lösung der Frage, wo es Hundertschaften gegeben hat. Wir
sind bezüglich dieser Frage nicht allein angewiesen auf die Quellen,
die nns in der folgenden Periode da und dort von Unterbezirken,
ähnlich der germanischen Hundertschaft, berichten. Vielmehr
können wir die Behauptung aufstellen, daU sich Hundertschaften
in dem bezeichneten .Sinn da gefunden haben müssen, wo sich
solche Wanderungshaufen niederließen, ln diesen Gebieten mußten
sie sich materiell finden, gleichgiltig, ob man sie nun auch mit
einem entsprechenden Namen belegte oder nicht, eine Frage, die
wir für die germanische Zeit überhaupt nicht entscheiden können.
Andererseits können sie sich nur als eine künstliche Institution
da finden, wo sich die Germanen auf dem Wege der kolonisierenden
Eroberung festgesetzt haben. Und diese künstliche Institution
kann, muß aber nicht die Merkmale einer „echten“ Hundertschaft,
wie ich die natürlich entstandene heißen möchte, haben. Wahrend
z. B. dort bei der echten Hundertschaft verwandtschaftliche Bande
die einzelnen Glieder verknüpfen, können solche bei der künst-
lichen dann fehlen, wenn nur die Gefolgschaft eines Heerführers
sich an dieser Stelle niedergelassen hat. Während dort die Be-
siedelung zurückgehen wird auf einen einzigen Akt, kann sie hier
sehr wohl allmählich in einer langen Reihe von Jahren erfolgt sein:
dann haben erst später die Ansiedler sich zu einem persönlichen
Verband vereinigt, der die Funktion der echten Hundertschaft
versieht.
Eine andere Frage, die wir noch zu erörtern haben, ist die,
ob diesen persönlichen Hundertschaftsverbänden auch Hundert-
schaftsbezirke entsprechen. Sie wird von Brunner verneint,
weil die römischen Schriftsteller nur zwei Bezirke kennen, die
civitas und den pagns, und Brunner den pagus für einen Zwischen-
bezirk zwischen Hundertschaft und civitas ansieht*). I>as ist
zweifellos konsequent. Es wäre in der Tat nicht verständlich,
’) Hin weiterer Grund für diese verschiedene Größe wird unten S. IOS
erwähnt werden.
*) Kg. I.5 S. 1511 und Anm. 12 wo nur, wie schon oben erwähnt, die
Ansicht v. Amira’s unrichtig wiedergegeben ist.
7*
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100
warum Caesar und Tacitus den Hundertschaftsbezirk nicht er-
wähnt haben sollten, wenn sie ihn bei den Germanen innerhalb
des pagus fanden.
Während so Brunner den Begriff pagus sozusagen verbraucht
hat zur Bezeichnung eines Gebietes, das von einem persönlichen
Verbände eingenommen wurde, der gröüer ist als die Hundert-
schaft, ergibt sich für uns keine Schwierigkeit unter pagus den
Bezirk zu verstehen, der von einem Hundertsehaftsverbande ein-
genommen wurde; womit aber andererseits nicht gesagt ist. dali
der pagus = Hundertschaftsbezirk sein muH
Khe wir aber näher auf diese Frage eingehen, empfiehlt es
sich wohl, einer anderen Frage nachzuforschen, die schon Grimm
gestellt hat: Wie verhalten sich huntari und marcha?1)
Wenn man unter Mark das Gebiet versteht, das von einer
Gruppe von Personen oder Familien gemeinschaftlich in Besitz
genommen wurde und in der Folge gemeinschaftlich genutzt
wird, so kann das Verhältnis, wie leicht ersichtlich, ein sehr ver-
schiedenes werden s).
Da die persönliche Hundertschaft ein nicht nur durch die
gemeinsame Wanderung und die gemeinsamen Schicksale auf
diesem Zuge, sondern auch durch verwandschaftliche Bande eng
zusammengeschlossener Körper war, der sich ohne zwingenden
Grund nicht teilte, so sind wohl auch bei der Ansiedelung Tei-
lungen möglichst vermieden worden. War in einem einzelnen
Fall die Hundertschaft sehr klein, bestand sie etwa aus .'><) oder
(>(» Familien, und fand diese Hundertschaft eine zusammenhängende
Bodenfläche, die zur Niederlassung für eine solche Anzahl von
Familien groll genug war, etwa ein langes Flulltal5), so wird sie
sich überhaupt nicht getrennt haben. So mögen die Rheingau-
mark und die Mark .Zur Dreieichen“ entstanden sein.
*) Grimm, Rechtsaltertümer II, S. 57. Von älterer Literatur vgl.
noch Wciske Grundlagen S. 5 f. Heilster Institutionen des deutschen
l’rivatrechts I, S. 2(12 IV. Wa i t x Vgl. PS. 13!) II. I5 S. 298 G. L. v. Maurer.
Kinleitung zur Geschichte der Markenverfassting, S. fiO.
*) Vgl. über den Begriff der Mark Brunner HG. I1 S. 811. v. Ainira,
Grundr.2 S. 11!). Schröder, ltg.1 S. 58.
3) Vgl. hierin Maurer Kinleitung S. 54. v. Auiira Grundriß2 S. 72.
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101
In der weitaus größeren Zahl von Fällen wird die Hundert-
schaft zu groß und die zur Verfügung stehende Ilodentläehe zu
klein gewesen sein, um eine solche Ansiedlung zu ermöglichen.
Dann hat sich eben die Hundertschaft, wiederum nach gentilicischen
Gesichtspunkten, geteilt und die einzelnen Teile haben sich ge-
trennt, aber doch möglichst eng benachbart, angesiedelt l). Jeder
Teil bildete dann eine ebensolche Nutzungsgemeinschaft, wie im
anderen Fall die ganze Hundertschaft’). Daß die Hundertschaft
aber auch bei dieser Teilung nicht vollständig auseinanderfiel,
dafür sorgte nicht nur das persönliche Band, sondern auch räum-
lich wird die Zusammengehörigkeit darin zum Ausdruck gekommen
sein, daß die Zwischenräume zwischen den einzelnen Ansiedlungeu
einer Hundertschaft in der Hegel nicht so groß waren, wie die
Grenzen, die die Ansiedelungen einer Hundertschaft von denen
einer andern trennten.
Bei vollkommener Differenzierung war demnach die Sachlage
die, daß jede Hundertschaft ein großes Gebiet in Besitz nahm,
innerhalb dessen dann zunächst die Besitzergreifung einzelner
Strecken durch Markgenossenschaften erfolgte, die wieder mehrere
vici in sich schlossen. Abweichend hiervon konnten aber auch
') Vgl. hierzu Forinnlae l'atav. 5, in vicn et gcnealogia: Lex Alaui.
81.: Si quis contentin orta fuerit inter <luo gcncalngias de tcrmino
terrae eorum. Zur Bedeutung von genealogin vgl. Lex Baj. III. Schröder
Hg.'’ S. 17 mit Amn. 3. v. Sybel, Entstehung de« deutschen Königtums’
8. 42 fl’.
*) Die einzelnen sich ansicdclndeu Haufen gründeten .Dörfer". Vergl.
Meitze n. Siedelung und Agrarwcsen I. 1 S. 46 f. Hirt Indogeruianen II,
8. 6!I3. v. Sybel Entstehung des deutscheu Königtums* S. 42 ff. a. a. <>.,
S. 44 ff. Walde, Lateinisches ctymolog. Wörterb. s. v. vicus. Hier ist
auch der Ort vor einer Überschätzung der Bildung von Ortsnamen mit
den patronymischen Suffixen -ing und -ingen zu warnen. Wohl sind z. B.
die Scyldingas im Beovulf Nachkommen des Scyld, die Karulingi die Nach-
kommen des Karl. Aber es sind auch auch die HreiVlingas dio Untertanen
des HreiVel. Die beiden Suffixe können ebensogut eine andere als gerade
verwandtschaftliche Zugehörigkeit bezeichnen, ln Freising haben sich die
Leute eines Frigiso niedergelassen. Ob das aber nun die Leute unter dem
Befehl dieses Mannes waren, oder ob cs die Sippe eines Stammvaters
Frigiso war, muß dahingestellt bleiben. Vgl. Kluge Stammbildungslehre’
§§ 25—27. Jedoch soll damit keineswegs geleugnet werden , daß viele
Oörfer (Jeschlechtsansicdelungen gewesen sind. Vgl. Schröder, Kg.s S. 17 f.
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10-2
Hundertschaft und Markgenossenschaft ebenso zusammenfallen,
wie Markgenossenschaft und Dorf, sodaß wohl auch die Möglich-
keit bestand, daß eine Dorfmark eine Hundertschaft bildete, oder
daß, mit anderen Worten, ein ganzer persönlicher Hundertschafts-
verband eine einzige Mark in Besitz nahm und sich gemeinschaft-
lich ansiedelte. Man darf hei dieser Frage nie übersehen, daß
Mark und Hundertschaft begriffliche Gegensätze sind. „Denn
der Staatsorganismus schließt mit der Hundertschaft ab, und wenn
es auch möglich ist. daß hier und da Hundertschaft und Mark-
gemeinde zusammengefallen sind, so ist das für das Hecht gleieh-
giltig, weil zufällig; die Markgemeinde hatte alsdann politische
Bedeutung, nicht weil sie Markgenossenschaft war, sondern weil
sie zugleich Hundertschaft war“ ').
Haben wir bisher immer nur von einer gemeinschaftlichen
Nutzung gesprochen, so kann man doch auch die Frage aufwerfen,
wer Eigcnt iimerderin Betracht kommenden Gebiete war. Br unn er
hat sie zuletzt behandelt und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt,
daß die einzelne „Gaue“ als die Eigentümer des Gebietes be-
trachtet werden“ dürfen „über das der Gau sich erstreckt“*).
Dem müssen wir schon deshalb widersprechen, weil wir einen Gau
überhaupt nicht anzuerkennen vermögen. Aber auch dagegen
möchte ich mich wenden, daß etwa in aller Regel die Hundert-
schaft Eigentümerin des von ihr eingenommenen Gebietes gewesen
sein soll. Und zwar schon deshalb, weil für die Hundertschaft
das Interesse an einem gemeinsamen Eigentum da fehlte, wo
nicht auch gemeinsame Nutzung beabsichtigt war. Und die ge-
meinsame Nutzung war nur da beabsichtigt, wo die ganze Hun-
dertschaft aus einer Markgenossenschaft bestand3).
■) Hcuslcr a. a. O. Ähnlich schon Landau Territorien S. 100. Das
umgekehrte Verhältnis liegt vor. wenn die Hundertschaftsvcrsammlung, über-
haupt eine politische Versammlung, sich mit Markaugelegcnheiten betagte.
Vgl. oben S. 74 f. Sehr treffend auch Sohin KuGV. S. 7 Anm. 1!), dem ich
aber bei der Gleichung Hundertschaft — Markverband nicht folge. Zn eng
faßt die Markgenossenschaft Waitz Vg. I3 S. 125, wo er immer nur an
Dorfschaftim denkt: richtig aber ebda. S. 1 30 ö'.
s) Hg. P S. 84.
3) Schröder, Ilg.s S. 58 Anm. 12 sagt: „Ob dabei Staats- oder Gau-
eigentum am Volklaud anzunehmen, kann dahingestellt bleiben, da man an
derartige Probleme nicht dachte." Hier scheint mir diu Psychologie der
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103
Man darf bei dieser Fräse nicht flberselien, daß es zwischen
den einzelnen Markgenossenschaften sowohl, wie noch mehr zwischen
den einzelnen Hundertschaften, erheblich große Flächen unge-
rodeten Gebietes gegeben hat. Diese Flächen standen wohl über-
haupt nicht im Eigentum. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der
sieh niederlassende Haufen auch nur daran gedacht hat, noch
anderes Land in Eigentum zu nehmen, als das, das er gerade
ackerbauend nutzte. Unwirtlicher Wald, ungerodetes Land, sind
für den Germanen dieser Zeit kein Eigentumsobjekt. Es erscheint
mir unwahrscheinlich, daß der Germane an dem Wald, in dem er
jagte, an dem Wasser in dem er fischte, Eigentum in Anspruch
nahm. Es genügte ihm die Nutzung, und die hat er auch gegen
Kindringlinge verteidigt. Aber an das Bewußtsein eines Eigen-
tumsrechtes vermag ich nicht zu denken1). Allerdings nahm man
im Laufe der Jahre noch weit mehr Land in Nutzung, als man
anfänglich besetzte und ausrodete. Aber der Gedanke, mit Rück-
sicht auf diesen späteren Bedarf Gebiete in Eigentum zu nehmen,
die man überhaupt nicht kannte, ist in dieser Zeit schwerlich
aafgetaucht. Umsoweniger, als für ein solches Eigentumsrecht
kein Bedürfnis vorhanden war. Dem Stammgenossen wollte man
nie verwehren, «laß er sich rodete und eine Ansiedlung gründete.
Und dem Stammesfremden gegenüber, hatte das Eigentumsrecht
erst recht keine Bedeutung. Da galt Kriegsrecht, nicht Privatrecht.
Dem Bedürfnis war genügt wenn die Markgenossenschaft
Eigentum an ihrem (»rund und Boden hatte. Waren in der Hundertschaft
mehrere Markgenossenschaften, dann hatte aber doch die Genossen-
schaft A kein Interesse am Grund der Genossenschaft B. Es
konnte jeder Genossenschaft vollständig gleichgiltig sein, was die
anderen mit ihren Bezirken taten, ob und wie sie sie bewirt-
schafteten. Infolgedessen bestand aber auch tür die Hundertschaft
damaligen Zeit richtig getroffen und mutatis mutandis mag das auch gegen-
über dem im Text Gesagten gelten.
*) Vgl. v. Amira Grundriß* S. 119. .Aber nicht alles band im Gebiet
■ler altgenn. Staaten war eigen. Was an Grund und Hoden nicht von
Trivatgrenzen umgeben war . . . unterstand dem Gebrauch Jedermanns und
der gemeinschaftlichen und ungeregelten Nutzung mindestens der Mark-
genossen . . . , in deren Machtbereich es lag.“ Ferner ebd. S. 120 „ Allmende
and Eigen sind quellenmäßig Gegensätze.“
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104
als Ganzes selbst dann kein Interesse, Eigentümerin der verschie-
denen Marken zu sein, wenn sie es sein konnte, wenn sie als
Ganzes eigentumsfällig, wenn sie juristische Person war. Dafür
aber, daß sie das war. haben wir keine Anhaltspunkte. Wir
können im Gegenteil aus der Gesamtheit der Zustände schließen,
daß sie es nicht war.
Erst später, als an die Stelle der souveränen Gewalt der
Landsgemeinde die Herrschergewalt eines Einzelnen trat, begann
man auch das Gebiet zu beachten, das Niemand in Nutzung hatte
und das bis dahin freiem Zugriff offen stand1). Der Einzelherr-
scher hatte ein Interesse daran, Land in seiner Herrschaft zu
haben, das, zu Eigen zu besitzen, für die Hundertschaft wertlos
war. Eben deshalb konnte aber auch der Einzelherrscher Eigen-
tümer alles ungerodeten Landes werden. Das wurde er, weil dieses
Land noch nicht im Eigentum stand und weil man das Recht,
das ihm hätte zukommen sollen, die Herrschergewalt, höchstens
ahnte, aber nicht verstand und auch nicht zu bezeichnen wußte.
Daher diese Vereinigung von Krongut und Staatsgut im Fiskus
des fränkischen Großkönigs.
Es hat also ein Eigentum der politischen Hundertschaft an
Grund und Boden, den die Hundertschaftsleute besetzt haben, nicht-
gegeben. Ganz dieselben Gründe wie gegen das Eigentum der
Hundertschaft sprächen sodann auch, nur noch verstärkt, gegen
das Eigentum des Gaues. Eigentümer waren die Markgenossen-
schaften bezüglich des jeweils von ihnen genutzten Landes, und
nur, wo politische und agrarische Bezirke zufällig Zusammentreffen,
hat scheinbar die Hundertschaft Eigentum und gibt es in der Tat
Hundertschaftsalmenden.
Wir kehren nun zurück zu der Frage, ob es einen Hundert-
schaftsbezirk gab, und wir werden sie bejahen müssen2).
*) Vgl. zum Folgenden W » i t z V. G. I3 S. 210. IV2 S. 136.
2) Diese Frage kann nicht etwa entfallen durch die Erwägung, dall die
Germanen zur Zeit des Tacitus noch keine .Landesverfassung“ hatten.
(Schröder H. U.s S. 16.) Die Germanen dieser Zeit waren seßhaft und Acker-
bauer. Es ist keineswegs an dem, dall die Germanen damals auf einer .Stufe
des Halbnouiadentums standen. (So Hildebrand Recht und Sitte auf den
verschiedenen wirtschaftlichen Kulturstufen I S. 57.) Aus den Namen der
Völker ist in dieser Beziehung um deswillen nichts zu erschließen, weil die
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10.5
Allerdings darf man sich unter einem Hundertschaftsbezirk
nicht etwa eine trigonometrisch vermessene Bodenfläche mit genau
bestimmten Grenzen vorstellen. Es erscheint mir unwahrscheinlich,
daß damals ein Abstecken der Grenze der Hundertschaft durch
Umreiten oder Umfahren mit Feuer sollte stattgefunden haben.
Die Grenze der einzelnen Markgenossenschaft wurde allenfalls
auf diese Weise festgestellt oder vielleicht, wenn man tiefer gehen
will, geheiligt1), schwerlich aber die der Hundertschaft.
Doch mag dem sein wie immer, so scheint mir doch aus an-
deren Gründen die Annahme eines Hundertschaftsbezirkes unab-
weislich.
Schon in germanischer Zeit mußten Fälle sich ereignen, in
denen es von Bedeutung war, ob irgend ein Ort zu dieser oder zu
jener Hundertschaft gehörte. Nehmen wir z. B. an, ein Bauer aus
dem Hundertschaft. s verband a findet in dem herrenlosen Wald, in
dem Grenzbezirk zwischen seiner Ansiedlung und der nächstge-
legenen der Hundertschaft b einen Stock wilder Bienen. Er zeichnet
den Baum mit seiner Marke und der Stock gehört ihm, solange
er in diesem Baum sitzt. Nun kommt ein Bauer aus der Ansied-
luug b und nimmt den Stock aus. Ist nun für diesen Rechtsstreit
das Ding der Hundertschaft a oder das der Hundertschaft b zu-
ständig? Das wird sich danach richten, ob der Baum in a oder in b
liegt. Oder falls man etwa einen persönlichen Gerichtsstand des
Beklagten annehmen wollte, dann kann man sich statt des Baumes
eine Rodung denken, über die sicher im dinglichen Gerichtsstand
verhandelt wurde. Vielleicht mußte sogar auf der Rodung selbst
der Prozeß stattfinden; dann wäre man ohne Grenze erst recht
in Verlegenheit, welche Hundertschaft zu urteilen hat.
Oder um auf einen Fall zu kommen, den später das schwe-
dische Recht weitläufig behandelt, man fand im Wald einen Toten
Völker schon vur ihrer Seilhaftmachung Namen hatten und garnicht zu er-
warten ist, dal! sie diese nach der Ansiedlung änderten. Ks ist also ganz
belanglos, ob und wie viele Völkerschaften .einen ihrer geographischen Lage
entlehnten Namen“ trugen. Dali sieh trotzdem die staatliche Gliederung an
die des Volkes anschloQ, ist eine Sache für sich und derart zu erklären. daLI
bei einer Ansiedlung, die ihrerseits mit der Volksgliederung in Verbindung
stebt. durch eben diese zunächst das Land gegliedert wird.
•) Vgl. Schröder It. G.» S. 58 Amu. 11. Stutz Z. R. G.“ 20 S. 327.
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IOC
liegen1). Weicht* Hundertschaft wurde dafür in Anspruch ge-
nommen? Oder es siedelte sich ein einzelner oder eine Gruppe
von Familien in noch unbebautem Lande an, Leute die bis dahin
nicht einem der benachbarten Hundertschaftsverbände angehört
hatten. Wer konnte dies verhindern, wer allenfalls gestatten?
Gehörten diese Neuansiedler, die ja kein persönliches Band an ihre
Nachbarn knüpfte, zu dieser oder zu jener Hundertschaft?
Oder man bedurfte, was sicher sich ereignete, mitten in der
Ode eines Notgerichts. Welcher Hundertschaftsvorsteher sollte
gerufen werden ?
Nicht zu übersehen ist endlich, daß sich die Zuständigkeit
im Prozeß nach dem Wohnort richtet. Hierher gehört z. B. Lex
Sal. L, 3: ambulet ad grafionem loci illius, in cujus pago manet.
Alle diese Fragen lassen sich nur lösen, wenn man einen
Hundertschaftsbezirk annimmt, ein Gebiet innerhalb dessen der
zuständige persönliche Hundertschaftsverband öflentliehrechtliche
Funktionen ausübte. Und deshalb nehme ich das Bestehen solcher
Bezirke an.
Man wird mir vielleicht entgegenhalten, daß es widerspruchs-
voll sei, einerseits einen Hundertschaftsbezirk anzunehmen, anderer-
seits eine Abgrenzung der Hundertschaft zu leugnen. Der allerdings
vorhandene scheinbare Widerspruch löst sich aber leicht, wenn man
sich in die damaligen Verhältnisse hineindenkt.
Es gab keine Abgrenzung, aber es konnte doch Grenzen
geben, eben die, die ohne Abgrenzung da waren: natürliche Grenzen,
wie sie ja auch später noch überwiegen s). Ein Fluß, ein Berg-
rücken, eine niedere Hügelreihe, das waren Grenzen, die der auf
der einen Seite liegenden Hundertschaft das Interesse an der an-
deren Seite benahmen. Was diesseits lag, war für sie von Interesse
') Vgl. Upl. Mannh. VIII.: Warpier man w;cghin ok slapghin j gatuin
ok j hiürplötum oknum tellr alimeningium kirkiu tltiellum :ellr kiöpung:c
han a>r gild:er at tiughum fiurum. fhet hetir dulgha* drap. pa>t a hun-
dteri giadda> e liwar [ta t liggier uta-n tompta» ra.
5) Vgl. hierzu J. Grimm. Deutsche Urcnzaltcrtnmer (Abhand I. dc.r
Bert. Akad. 1843 S. 109 ff.) Hers. Kechtsaltertnmcr4 II S. 9. v. Amira
Grundriß3 S. 77. „Staaten, ja auch Bezirke innerhalb derselben waren durch
natürliche Verkehrshindernisse, die meist neutrale Zonen bildeten, von ein-
ander entfernt gehalten.“
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107
unil deshalb wurde sie diesseits tätig; was jenseits lag war ihr
gleichgiltig. So lange sich auf dem andern Flußufer Wander-
haufen zeigten, sah man auf diesem ruhig zu. Sobald sie aber
den Fluß überschritten, sah man sich veranlaßt, sich mit ihnen
zu beschäftigen. So hat man sich die Grenzen der germanischen
Hundertschaften vorzustellen. Die Grenze war da, wo das Interesse
endete; die Gebiete waren Interessensphären. Daß dabei die
Grenzen nicht immer feststanden, ist klar. Aber da sie die
natürlichen waren, und .Jeder sehen konnte, was natürlich war,
standen sie nur selten im Zweifel.
Mit dem Worte „Interesse“ komme ich nun auf den zweiten
möglichen Kinwand. Es gab kein Eigentum an nicht in argrarisehe
Nutzung genommenem Gebiet. Aber ohne jeden Rechtstitel betrach-
tete zunächst die Markgenossenschaft ein Gebiet insofern als ihr
'•igenes, als sie das Eindringen Fremder in dieses Gebiet mißbilligte
und eventuell mit Gewalt verhinderte. Das ist ihr Interessenkreis,
bezüglich dessen ihr aber nicht privatrechtliches Eigentum, sondern,
wenn man gerade klassifizieren muß, allenfalls öffentlichrechtliche
Herrschaft zusteht. Ich sehe hier auch diese nicht1).
Die ganzen Verhältnisse sind m. E. genau die gleichen, wie
wir sie noch heute bei den Völkern Innerafrikas und Australiens
antreffen, wie sie bis vor nicht langer Zeit noch hei indianischen
.Stämmen“ bestanden haben. Gerade diese Terminologie, die uns
nicht mit dem Land, sondern mit dem „Stamm“ Krieg führen
läßt, ist sehr treffend. Das Schwergewicht ruht hier, wie es bei
den Germanen der Fall war. auf den Menschen. Nebensache ist.
daß diese Menschen ein Land in Anbau genommen haben.
In dem Verhalten der wilden Völker gegenüber dem Eindringen
in ihr „Gebiet“, dessen Grenzen nie abgesteckt wurden, sehen
wir ferner eine Bestätigung dessen, was oben über den Charakter
dieser Gebiete als Interessengebiete gesagt ist.
Wir kommen also zu dem Schlüsse, daß es Hundertschafts-
bezirke gibt, deren Grenzen aber lediglich bestimmt sind durch
das Allen bekannte und verständliche Interesse der Hundertschaften.
') Zu gering eingeschätzt wird das Interesse des Volkes am Land Ton
Schröder H. G.* S. Itt.
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108
Weil nun in dieser Grenzbestimmung etwas Unsicheres lag,
und weil sie zu sehr verschieden großen Gebieten auch dann führen
mußte, wenn die Einwohnerzahl wenig verschieden war, muß
pagus als das richtige Wort zur Bezeichnung einer germanischen
Hundertschaft erscheinen. Und ich nehme vor allem an, daß es
in den beiden Stellen bei Taeitus diesen Sinn hat. Wie dann
diese Stellen aufzufassen sind, ergibt sich schon aus den Aus-
führungen des vorhergehenden Abschnitts und ich habe nur noch
Weniges hinzuzufügen. Die centeni in cap. 12 der Germania
sind dann selbstverständlich der Umstand im echten Ding der
Hundertschaft, der princeps ist der Vorsteher der Hundertschaft.
Das Wort comites halte ich für die wörtliche Übertragung eines
mißverstandenen deutschen Wortes, das etwa soviel wie die „Folger“
(sc. des Urteils) bedeutet hat. Consilium und auetoritas sind Urteils-
vorschlag und Folge. Bei dieser Auslegung ist man somit nicht
genötigt, irgend welche Korrektur dieser Stelle vorzunehmen.
Ebenso läßt sich Genu. e. G ohne Korrektur in der im
vorigen Abschnitte angegebenen Weise erklären, sodaß unsere
Auffassung der Hundertschaft nur mit den 2000 Kriegern der
suebischen Gaue bei Taeitus schwer zu vereinen ist. worauf bei
dem legendarischen Wert dieser Stelle kein Gewicht gelegt werden
kann. Übrigens halte ich auch hier einen Teil aufrecht und sehe
in den prineipes und magistratus Hundertschaftsvorsteher und
Markvorsteher.
Zusammenfassend ist zu sagen, daß die germanische Hundert-
schaft ein vorwiegend persönlicher Verband innerhalb eines durch
natürliche Grenzen bestimmten Gebietes war. Die hauptsächlichste
Funktion der Hundertschaft war die Rechtsprechung in Angelegen-
heiten, die nicht ihrer Natur nach vor der Bundesversammlung
abgeurteilt werden mußten. Daneben war sie wohl auch Kult-
verband, jedenfalls insoweit die Gerichtshaltung dies erforderte.
Agrarische Angelegenheiten hatte die Hundertschaft nicht zu be-
sorgen. Fiel sie mit der Mark zusammen, dann oblagen sie ihr
nicht als Hundertschaft, sondern als Markgenossenschaft. Die Be-
hauptung Brunner’s, daß die Hundertschaft in erster Linie den
Zwecken des Heerwesens zu dienen bestimmt war, geht wohl auf
die „Heerestheorie“ zurück. Nach den früheren Feststellungen
über die Heeresverfassung kann ich ihr nicht beitreten. Ich er-
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achte im Gegenteil die militärische Bedeutung für sehr zurück-
tretend. Politisch war die Hundertschaft vermutlich insoweit
unselbständig, als sie, wie der Ssp. sagen würde, nichts weder deme
rike tun darf. An der Spitze stand ein Häuptling, den die Römer
princeps nannten. Sein deutscher Name kann luinno ')*), aber
auch aldinnon3) geheilten haben, vielleicht auch rihtari.
Innerhalb der gesamten Verfassung der germanischen Zeit
nimmt diese Hundertschaft die Stelle des einzigen Bezirks inner-
halb der eivitas ein. Mittelbezirke, Gaue im üblichen technischen
Sinn, sind dem germanischen Staate unbekannt4).
Ebensowenig kennt der germanische Staat innerhalb der
Hundertschaften eine weitere Teilung in Zehntschaften, wie zwar
von der herrschenden Meinung anerkannt aber doch immer wieder
von Einzelnen bestritten wird *).
VI. Centena6).
Wenn wir nunmehr zu der Frage übergehen, ob sich die
germanische Hundertschaft auch in der fränkischen Periode er-
halten und wie sie sich dort allenfalls weiter entwickelt hat, so
') Vgl. Schroeder, Hg. 5 S. 20 Anm. 16. Es kann aber keine Rede
davon sein dall diese Hundertschaftsvorsteher, wie Schroeder ebd. S. 31
meint, .bloße Gaubcainte waren.“
3) Vgl. Glossae Elorcntinae bei J. G. Eckhart Commentarii de rebus
Franciae orientalis (1729) II S. 982. centurio vel tribunns, hunno.
3) Zur ealdormann = princeps vgl. Waitz, Zur deutschen Verfassungs-
geschichte in der Zeitschr. f. Geschichtswissenschaft III, S. 27.
4) Völlig verfehlt ist, wie Hach fahl a. a. O. dies tut, davon zu sprechen,
daß Gau und Hundertschaft identisch seien. Das kann nur verwirren.
s) Das Gespenst der Zehntschaft spukt wieder bei Gramer Alamannen
S. 35: ders. die Verfassungsgeschichte der Germanen und Kelten S. 1. Da-
gegen mit Hecht Wcrmingboff Z. R. G.- XX S. 283. Vgl. noch Waitz
Tg. I3 S. 138 f. 232 f.
c) Bezüglich der Hunderl schäften im fränkischen Gebiete ist nurli
heranzuziehen K. Rubel, die Franken, ihr Eroberung«- und Siedelungssystem
im deutschen Volkslande. Die Kette von Irrtfimcrn und l'nrichtigkeiten des
Kübcl’schen Huchs, verbietet es, hier auf Einzelheiten einzugehen. Vgl.
darüber Stutz Z. KG.3 XXII S. 349 IT. der S. 357 sehr treffend bemerkt:
.das Hild, das sich Hübel von Zentene und Dekanin, von Antrustionat und
Vassallität etc macht, niederlegt sieh von selbst: es ist teils das Ergebnis
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wenden wir uns zunächst zum fränkischen Grottreiehe und inner-
halb seiner zu dem Gebiete der Franken.
Hier sind am Besinne der zweiten Periode, wenn auch nicht
mit einem Schlage, so doch allmählich, die Änderungen in der
Verfassung vor sich gegangen, die, wie schon oben ausgeführt,
eine notwendige Folge der Anfrichtung des merowingischen König-
tums waren. Die erforderliche Dezentralisation der Herrscher-
gewalt machte die Einführung neuer Bezirke notwendig. Wir
linden den eomes an der Spitze des comitatus, unter ihm den
centenarius oder den vicarius. Das sind unbestrittene Dinge, auf
die hier nur zu verweisen ist1). Den Gegenstand unserer Unter-
suchung bilden die Fragen nach dem centenarius und seinem
Bezirk, der centena; denn in ihm sieht die herrschende Meinung
den Hundertschaftsvorsteher, in der centena die Hundertschatt.
Was war die centena?
Der Begriff centena kommt nicht im fränkischen Gebiete
zum erstenmal vor. Wir finden dieses Wort schon vorher im
Codex Theodosianus J). Auf fränkischem Boden erscheint es, wie
schon wiederholt festgestellt, zuerst im Pactus pro tenore pacis3),
dem Landfriedensgesetz Childebert I und Chlothar I, dessen Ab-
fassung in die Zeit nach dem Urtexte der Lex Sali ca fallt4).
Das hier einschlägige cap. 9 ist bereits wiederholt Gegenstand
durchaus willkürlicher Qucllcnbehaudlung . . . teils stellt cs sieh als halt-
lose Hypothese heraus, für «lic die greifbare Unterlage fehlt.“
') Vgl. Brnnncr HG. II1 S. 161 ff. 174 (T. Waitz VG. II, 23 S. 21 IT.
Schröder HG.* S. 123 ff. Heth inan n- Hol 1 weg. Germ. röm. Civilprozeß
V. S 5 ff.
s) cd. J. Gothofrcdns. (Leipzig 1741). ad. lib. XIV. tit. VIII: ad
lib. XI. tit. I, 10: ad. lib. XII tit. XV: ad. lib. XII. tit. X. 20, und ed.
Böcking (1841) lib. VIII tit. IV, 3: lib. II tit. XXIII, 7: lib. II tit. XXX,
7. lib. XII. tit. X. 20 § 4.
3 ) Ob da, wo die lex Salica zur Bezeichnung eines Gebietes das Wort
„pagus“ verwendet, eine Fortsetzung allen römischen Sprachgebrauchs an-
zunohmen ist, lasse ich dahingestellt. (Lex Sal. I, 3 LXI., G (nur Herold
und Kmend.) LI, 3 LV, 2 (nur Kniend.). Sofern damit überhaupt ein be-
stimmtes Gebiet gemeint ist, liegt es nahe darin den Hnndertschaftsbezirk
zu sehen, da ein über ihm stehender Bezirk noch nicht vorhanden gewesen
sein dürfte. Vgl. unten S. 127 f.
4) Vgl. Brunner HG. Ia S. 430 ff.
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111
eingehender Untersuchungen gewesen, deren unbefriedigendes Er-
gebnis zu einem neuerlichen Erklärungsversuch veranlaßt1 *).
Äußerst erschwert ist die Interpretation dieser Stelle durch
die mangelhafte Überlieferung des Textes. Abgesehen von den
ohne festes System kompilierten Texten bei Rehrend a) und
beffken3) ist auch der Text, den Boretius gibt, noch zu will-
kürlich zusammengestellt. Dies veranlaßt mich, bei der folgenden
Cntersuchung der von Boretius gewählten Fassung den Text des
Wulfenbüttler Codex an die Seite zu stellen und ich gebe deshalb
zunächst unter I jenen (B), denn unter II diesen, den ich nach
dem Vorgänge von Behrend mit g bezeichne4).
I. Decretum est, ut qui ad vigilias constitutas noeturnas fures
non caperent. eo quod per diversa intereedente conludio
seelera sua praetenuissas custodias exercerent, centenas
fierent. In cuius centena aliquid deperierit, capitale qui
perdiderit recipiat, et latro, vel si in alterius centenam
appareat deduxisse et ad hoc admonitus si neglexerit,
quinos solidos condempnetur; capitale tarnen qui perdi-
derat, ad centena illa accipiat absque dubio, hoc est de
secunda vel tertia. Si vestigius conprobatur latronis
tarnen presencia aut longe multandus; et si persequens
latro nein suum conprehenderit, integram sibi conposicionem
accipiat; et si per tnistem invenitur, mediam eonpositionem
trustis adqnirat et capitalem exegat ad latronem.
II. Deinde Chlotharins rex posuit decreta ut qui ad vigilias
hoc est ad qua et constitutas noeturnas diversi furis non
capire et quod diversa interrudentem conludio seelera sua
praetermittat custodias exercerent, centenas fierent. In
cujus centena aliquid deperiet caput trustis restituat vel
in alterius centenam vestigium proponat aut deduxerent
et ad hoc admoniti sine cleaerent, quinus solidus componat;
capitale tarnen qui prodederat a centena illa accipiat; absque
l) l)ic Literatur ist verzeichnet bei H. (ieffken Lex Habe» S. 2<!2 f.
*) J. Kr. Bohrend Lex Salica - S. 147.
*) a. a. 0. S. 80.
*) Der Text von Boretius findet sich in dessen Ausgabe der t'apitn-
Urien. M. O. H. 4° LL. S. II T. I S. 5 ff. : der Wolfenbiittler Text ist ent-
«ommen aus l’ardessus. La loi Saliqne.
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dubio de secunda vel tercia: si vestigius eonprnbatur
latronis tarnen per preseneia aut longe multandus, et si
persequens latronem suum comprehenderit integrain sibi
conposicionem accipiat, et si |H*r trustem invenitnr mediae
conposicionem trustes ad se recipiat. et capitalem exeat
ad latronem.
In diesem Wolfenbfittler Text hat schon Pertz die Worte
hoc est ad qua emendiert in hoc est ad wactas '). Diese Emen-
dation ist inhaltlich jedenfalls insoweit richtig, als sie eine zu-
treffende Glosse zu vigilias gibt. Auch sprachlich steht ihr nichts
im Wege. Ein Wort wacta hat das Frankolateinische gekannt,
wie Cap. de villis (Boretius I S. 83 f.) c. lt> und 2 7 zeigt. Auch
afr. gaite ist von einer solchen Form abzuleiten *).
Was nun den Inhalt dieser Bestimmungen anlangt5), so ist
aus dem ersten Satz beider Texte ersichtlich, daß, sagen wir zu-
nächst, die Errichtung von centenae angeordnet wird, weil die
bisher aufgestellten nächtlichen Wachen die Diebe nicht gefangen
haben. Der Grund des nachlässigen Wachehaltens war. daß die
Wachen mit den Dieben unter einer Decke steckten.
Daraus ergibt sich nun mit Notwendigkeit zweierlei. Erstens
daß die zu schaffenden centenae zu Zeit des Erlasses der Decretio
Chlotharii noch nicht vorhanden waren4). Zweitens, daß diese
*) In seiner Ausgabe in den M. G. H. (Folio). LL. I S. 11.
*) Bei Gröber, Grundriss der romanischen Philologie P S. 507 findet
sich die Bemerkung: „In den Occret. Chloth. begegnet wacta = afrz. gaite,
Wache“: bei Gndefroy Pictionnaire de l’ancienne langne fram.aise ist aus
den Gloss. de Douai angeführt: exenbio — waites. Vgl. noch I> i e z Ety-
mologisches Wörtorbueh der romanischen Sprachen S. 179 s. r. guatare:
Heyne deutsches etym. Wörterbuch s. v. Wache und besonders Schwan-
Behrens, Grammatik des Altfranzösischen6, S. 31, wonacli richtiger guar-
tas zu enicndicrcn ist.
3) Zum Folgenden ist zu vgl. Sohin , RuGV. S. 181 IT., Waitr.,
VG. I3 493 IT. 11 l3 S. 399, 405, Lamprccht, Deutsches Wirtschaftsleben
I S. 224 ff., Geffkcn, a. a. 0 S. 262 ff: die ältere übrige Literatur findet
sich bei Sohm, die neuere bei Geffkon.
*) Insofern stimme ich mit Sohm a. a. (>. S. 183 überein, lasse aber
dabei die Frage nach dem Wesen dieser centenae ollen. Jedenfalls darf
man nicht ohne weiteres auf das Vorhandensein der llundertschafls-
verfassuiig oder ihr Kehlen Schlüsse ziehen, wie dies Brunner II1 S. 147
getan hat. Vgl. auch Thonissen, L’organisation judiciaire sous le regiine
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113
centenae etwas gewesen sein müssen, was entweder der Nachlässig-
keit beim Wachehalten oder den Diebstählen selbst oder ihren
Folgen abhelfen konnte. Denn schon Bestehendes kann man nicht
schaffen und die zweite Folgerung ergibt sich ohne weiteres aus
der expositio, der Begründung des Landfriedensgesetzes selbst.
Im Folgenden sind sieh beide Texte darüber einig, daß der
Bestohlene für alle Fälle sein capitale erhalten und so schadlos
gestellt werden soll, gleichviel ob man den latro aufgefunden hat
oder nicht. Nach dem Wolfenbüttler Text hat die trustis, an die
der Bestohlene sich wendet, die Pflicht, das capitale sofort zu er-
setzen oder ') die Spur in eine andere centena hinüberzuleiten,
oder, wie es wörtlich heißt, in die centena „eines Anderen“.
Durch die Fortleitung der Spur entgeht die trustis ihrer
Zahlungspflieht. Hier ist der Zusammenhang des Textes durch
die unten noch zu besprechende Strafbestimmung unterbrochen,
wird aber dann fortsgesetzt mit dem ganz klaren Sinn, daß für
alle Fälle (absque dubio) d. h. auch dann, wenn die zuerst in
Anspruch genommene centena vestigium proponat und sich so der
Zahlung entzieht, das capitale doch zu zahlen sei und zwar de
secunda vel tercia. Dies dürfen wir so auffassen, daß in zweiter
Linie d i e centena zahlungspilichtig wird, in die von der ersten
die Spur hinübergeleitet wurde. Ihr steht es aber wiederum frei,
die Zahlung ebenfalls abzuwenden durch Weiterleitung der Spur
in eine andere centena, die tercia, die allerdings mit der prima
identisch sein kann3). Ob die tercia unbedingt leisten muß, oder
nochmals eine Spurleitung vornehmen kann, etwa in die quarta,
das wird uns nicht ausdrücklich gesagt. Wir werden aber an-
de la loi snliiptf (Nonvclle rcvue historique de droit franeais et etranger 1879)
S. 31 ff., S. 34 ff.
') Vel muß hier disjunktiv genommen werden; konjunktives vel gäbe
keinen Sinn. Der Meinung von Gcffkeu a. a. 0. S. 2fi3, daß die centena
liierst den Schaden zu ersetzen hat und erst dann die Verfolgung nufniuunt,
vermag ich mich nicht anzuscliließen. Kür die von Geffkon vorgeschlagene,
seine Meinung stützende Lesart (Capitale tarnen hac centena illa aceipiat
»bsque dubio) sehe ich keinen genügenden Grund. Geffkon scheint zu
übersehen, daß auch die Verfolgung von der zweiten bzw. dritten centena
übernommen wird, ltichtig Sohm, a. a. O. S. 184.
*) Nämlich dann, wenn die Spur durch die secunda nur hindurchgeht
und in die prima zurückführt.
r. Schwerin, sltgerm. Uu udertsetuft 3
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114
nehmen dürfen, daß dies nicht mehr möglich war. Die Spurfolge
wird ebenso ein Ende gehabt haben, wie es nach germanischem
Recht der Gewährenzug hatte. Materiell sind ja Spurleitung und
Gewährenzug mit einander zu vergleichen *).
Soweit dürfte die Sachlage klar sein. Wir haben aber bei
dieser Auslegung noch nicht Rücksicht genommen auf die ver-
schiedenen Lesarten. Nach lg muß, wenn die Spur nicht weiter-
geleitet wird, wie ausdrücklich gesagt ist, die t r u s t i s das capi-
tale zahlen. Im Text B, der hierin mit allen anderen Hand-
schriften außer lg übereinstimmt, fehlt diese Nennung der trugt is.
Es ist überhaupt nicht gesagt, wer zu zahlen hat, aber zu
schließen, daß die c e n t e n a zahlungspflichtig ist, weil dann die
secunda vel tercia (eentena) in Anspruch genommen wird. Ge-
rade diese Heranziehung der secunda vel tercia findet sich aber
auch wieder in lg und so entsteht in diesem Text eine Diskordanz.
Denn es ist. nicht ersichtlich, warum das eine Mal die tmstis
zahlen soll, das andere Mal die eentena.
S o h m , der seinen Ausführungen die im wesentlichen auf
dem Wolfenbüttler Codex beruhende Lesart von Pert-z zu Grunde
legte, hat sich dadurch verleiten lassen, die trustis mit der
eentena gleichzustellen *). Das liegt in der Tat sehr nahe und
gibt den Texten verständlichen Sinn, ohne sie zu ändern. Immer-
hin haben wir für eine Gleichstellung von trustis und eentena
keine andere Veranlassung, als eben das Bedürfnis, diesen Text zu
klären, und da erscheint es angebracht, auch von anderen Ge-
sichtspunkten aus dem Verhältnis von trustis und eentena nach-
zugehen.
Ich beginne mit der Erörterung des Begriffes „eentena“.
Wenn, wie dies die Decretio voraussetzt, die Spur (vestigium),
und das ist immer eines Lebewesens Fußspur3), von einer eentena
in die andere geleitet werden kann, so muß die eentena örtliche
Grenzen haben und infolgedessen ein räumlich abgeschlossenes
•) a. M. wohl Goffken, a. a. 0. S. 263. „Ebenso die dritte der
zweiten und so fort.“
*) Sohin, RuGV. 8. 185.
*) Deutlich ist dies bei dem angelsächsischen trod vom Verbum tredan
«= treten, das der Qnadripartitns mit vestigium wiedergibt. (Liebermann,
Gesetze der Angelsachsen 1, 179.)
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115
Gebiet sein. Das ist schon von Sohm zutreffend festgestellt
worden
Sohin geht aber noch weiter und erklärt die centena, die
zur Spurfolge aufgefordert wird, die der Spur folgt, die an den
Bestohlenen Krsutz leistet, für eine „persönliche Vereinigung“, für
eine „Centschar“, weil eben hier von einem handelnden Subjekt
die Rede sei. Dem gegenüber gebe ich sofort zu, daU es, nach
B wenigstens, die Bewohner des Centgebietes, der örtlichen
centena sind, die das capitale zu zahlen haben; die Ausdrucks-
weise ist eine ähnliche, wie wenn wir heutzutage davon sprechen,
daß eine Gemeinde etwas zu leisten habe.
Ganz anders aber liegt die Sache da, wo davon die Rede ist,
daß die centena aufgefordert wird zur Spurfolge, daß sie der
Spur folgt. Hier weichen auch die beiden Texte wieder von ein-
ander ab. Während B von einer Person spricht, die aufgefurdert
wird und der Aufforderung nicht nachkommt (admonitus si
neglexerit), spricht lg von mehreren Personen (admouiti sine
cleaerent) *). Doch ist ohne weiteres ersichtlich, daß liier B fehler-
haft ist. Denn der Singular stimmt nicht zu der Distributivzahl
quinos, die in allen Texten erscheint, die nicht Zahlzeichen ein-
setzen. Wir haben also davon auszugehen, daß es eine größere
Anzahl von Personen ist, an die der Bestohleue oder etwa ein
Vorsteher die Aufforderung zur Spurfolge richtet und die im
') a. a. 0. S. 183. LSeauchet, Histoire de l’organisation judiciaire cn
France 8. 1 1 nimmt irrig Errichtung der örtlichen Centena durch diu
llecretio an. Behrend, a. a. 0. S. 147 Amu. 9 nimmt an, das Gesetz
welle „die Hundertschaften teils neu einfnhren, teils neu organisieren.
Schröder, RU.4 120, sagt: „Da bei diesen Einrichtungen nicht bluil die
altfränkischen Reiche Clothars I und Childeberts 11, sondern auch die rein
romanischen Oebiete Childeberts I beteiligt waren, so muß es sich dabei um
einen Versuch gehandelt haben, die fränkischen Zentencn zu polizeilichen
Zwecken auch in dein romanischen Neustrien heimisch zu machen. “ Man
darf aber nicht übersehen, daß von einer centena nur in der Dccretio
Chlotharii die Redu ist. In den gemeinschaftlichen Bestimmungen der cap.
10 — 18 wird sogar das Wort auffällig vermieden. Es beißt z. B. fretus
tarnen iudici in cuius provincia (1). Warum sollte, wenn überhaupt in Neu-
strien die gleiche Einrichtung getroffen wurde wie im altfränkischen Uebietc
durch die Decretio Cblotarii, ihr Anschluß nicht an die Gebiete erfolgt sein(
die durt später ricariae hießen. Vgl. auch Dahn, Könige VIII, l S. 8411'.
*) Dieses sine cleaereut ist zu bessern iu Si ueglegereut.
8*
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lir,
Weigerungsfall pro Kopf fünf Schillinge zu zahlen hat. Die
Meinung ist nicht etwa die, daß der centenarius, der nach der
Decretio Childeberti Ii v. 596 die Sache mit der eentena zu
führen hat1) (causa cum eentena requirat) wenn er aufgefordert
wird, die Spurfolge ins Werk zu setzen, und dies nun nicht tut,
allein fünf solidi zahlen muß. Noch weniger ist daran zu
denken, daß die gesamte trustis im Weigerungsfall 5 solidi
büßen muß*).
Daß es eine größere Anzahl von Menschen ist, die der Spur
folgt, ergibt sich nicht nur aus unserem Texte selbst, sondern
auch aus dem, was wir sonst von der Diebstahlsverfolgung wissen.
Schon nach dem Hecht** der Lex Salica mußte der Bestohlene
den Nachbarn den Diebstahl kundtun und sie zur Spurfolge auf-
fordem3)4). Kr bedurfte einer Spurfolgeschar und das hat sich
durch die Decretio Chloth. nicht geändert. Die einzige Änderung,
an die man denken könnte, wäre die, daß sich nunmehr der Be-
stohlene nicht mehr schlechthin an die Nächstbesten wandte,
sondern daß er den Diebstahl dem centenarius meldete, und
dieser dann die Spurfolger aufzubieten und für die Verfolgung
Sorge zu tragen hatte. Waltete er nicht seines Amtes, so mußte
er 5 solidi zahlen, wie Jeder, der seiner Aufforderung nicht Folge
leistete. Aber es ist auch sehr gut denkbar, daß der Bestohlene
der ja den centenarius nicht immer gleich zur Hand hatte, sich
selbst an die Spitze der Spurfolgeschar stellte und die Verfolgung
durchführte, bis der centenarius zur Stelle war. Dies ist z. B.
unter Umständen der Fall nach dem angelsächsischen Hecht, wo
es in den Judicia civitatis Lundonie König Athelstans cap. 8,4
heißt:
') Bei Boretius, I S. 15 ff.
J) Das behauptet Deloche, I.a trustis et läntruatiou royal (1873)8. lOf.
3) Vgl. Brunner, KO. 11 1 S. 406.
*) Vgl Sohin, Der Prozeß der Lei Salica S. G5. Warum Betlininnn-
Hollweg, Germanisch-romanischer Zivilprozeß I S. 480 Anm. 8 das be-
streitet, verstehe ich nicht. Zunächst steht nach dem Cap. 1,1 (Geffken,
Lex Salica S. 63) fest, daß ca schon vor der Decrct. Chloth. eine trustia
gab. 1 nd daun bedurfte doch der Spurfolger einer Begleitung zur Haus-
suchung und als Zeugen dafür, daß die Spur zu dem Hause führte.
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117
„and gif mon sf>6r gespirige of scyre on off re, fon pa
menn tö pe par nycst syndon and drifan pcrt spör, off hit
man pam gerefan gecyffe“1).
Wenn also auch .an eine größere Zahl von Spurfolgern zu
denken ist, so ist. damit aber immer noch nicht gesagt, daß im
einzelnen Fall die centena, d. h. alle Einwohner des Centgebietes
der Spur folgten. Ohne den späteren Ausführungen vorgreifen zu
wollen, kann ich schon jetzt darauf hinweisen, daß diese centenae
jedenfalls keine sehr kleinen Bezirke waren, und die Zahl der
Einwohner infolgedessen die Zahl weit überschritt, die man zu
einer Spurfolge gebrauchen konnte. Von dem Bedarf aber müssen
wir ausgehen. Es ist nicht anzunehmen, daß die Franken mit
einer Schar von vierzig oder fünfzig Männern auf die Spurfolge
zogen, wenn zehn oder zwanzig vollauf genügten. Und daß diese
geringere Anzahl genügte, das dürfen wir nach unserer Kenntnis
des ganzen Verfahrens annehmen. Mehr als zwanzig Männer ent-
hielt aber eine centena gewiß. Auch dann, wenn man den Ge-
danken an eine Hundertschaft völlig aus dem Spiele läßt, ist es
unwahrscheinlich, daß man Bezirke sollte gebildet haben, die
nicht mehr als zwanzig freie Männer enthielten; in diesem Um-
fang lassen sich nur persönliche Verbände denken.2)
Es ergibt sich also, daß nicht die gesamte centena an der
Spurfolge sich beteiligte und wir kommen nun zu dem Begriffe
„trustis.“
Trustis, eine Latinisierung von altfränkischem trust = Schutz *),
protectio, bedeutet inhaltlich soviel wie Gefolge oder Gefolgschaft
und zwar Gefolgschaft jeder Art, wie wir dies z. B. an der trustis
dominica und trustis regalis der Lex Salica sehen. In unserem
*) Bei Liebermann, Gesetze der Angelsachsen I S. 179.
*) Über diese Bedenken kommt Sohm dadurch hinweg, daß er in seiner
„Centschar“ eine Vereinigung von zehn Männern erblickt. Diese Anzahl
würde sich zu einer Spurfolgeschar allerdings eignen, aber wir haben keinen
Anhaltspunkt dafür, daß hier centena eine Schar von zehn Männern sein
könnte. Dies auch dann nicht, wenn man die electi centenarii so aullassen
wollte wie Sohm. Denn die Heranziehung des contubernium hängt voll-
kommen in der Lnft.
*) Vgl. Grimm, Itechtsaltertüuier4, I 383 Geffken a. a. 0. S. 162.
v. Amira Grundr.3 S. 117.
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118
Falle, bei der Verfolgung eines Diebes, bedeutete trustis vor der
Decret. Chloth. jedenfalls die Spurfolgeschar oder, wie Schröder
sagt, die Schar der auf das Geriift herbeigeeilten Schreimannen l).
Genau so haben wir nun m. E. die trustis in der Decretio
Chloth. aufzufassen. Damit stelle ich mich in Widerspruch mit
der herrschenden Meinung,
Schon Sohm sieht in der trustis durch eben diese Decretio
organisierte „Scharen freier Männer*).“ Thonissen sagt . . .
Clotaire II ordonne qu’ on choisisse dans chaque Centaine terri-
toriale une troupe d'hommes libres, une trustis chargee de veilles
ä la Conservation des propriötes . . .“. Deloche4) lullt die trustis
ffir „une categorie des personnes repandues sur toute la surfaee du
royaume, et lices au souverain par le serment de Fantrustion.“
Daß diese letzgenannte Ansicht unzutreffend ist, ergibt sich ohne
weiteres aus dem Wesen der trustis, deren Mitglieder tatsächlich
in einein persönlichen Verhältnisse zum König stehen. Von ihr
ist unsere trustis jedenfalls weit, verschieden, wie schon Dahn
gegen Deloche festgestellt hat. Aber auch neuere Schriftsteller
sehen in der trustis der Decretio eine besondere Einrichtung. So
ist Brunner5) der Meinung, daß diese trustis eine besonders
organisierte Schar för Ausübung von polizeilichen Funktionen
gewesen ist.
Die Hauptstütze für Sohms Ansicht findet sich in eben der
Decret. Chloth. c. 1<>:
De fiscalibus et omniuin domibus censuimus, pro tenore
pacis iubemus, ut in truste electi centenarii ponantur, per
quorum fide atque sollicitudine pax praedicta servetur. Et
qui propitiante Deo inter nos germanitas caritatis indisruptum
vinculum custoditur, centenarii inter communes provintias
licentiam habeant latrones sequi vel vestigia adsignata
minare et in truste qua defecerit, sicut dictum est, causa
remaneat, ita ut continuu capitalem ei qui perdiderat
reformare festinet et latronein perquirat. Quem si in truste
>) B. G.5 S. 386.
*) RuGV. S. 18.5.
*) L’organisation judiciairc. 8. 36. (8. oben 8. 112 Anm. 4.)
*) a. a. 0. 8. 48.
5) K. G. II1 8. 147 Anm. 35 uiit S. 496 Anm. 4.
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1 19
invenerit, medictate sibi vindicet vel dilatura, si fuerit, de
facultate latronis ei qui damno pertulerit satiatur. Nam qui
per se latronem coeperit, integra sibi conpositione simul et
solutione vel quicquid dispendii fuit, revocavit, fretus tarnen
iudiei in cuius provintia latro est reservetur.
Hei der Heranziehung dieser Stelle geht Sohm auf Grund
der Ausgabe von Pertz darin fehl, daß er dieses cap. 16 als
einen Teil des Gesetzes ansieht, dem auch cap. 9 angehört. In-
zwischen hat Boretius unter Beibringung von m. E. zutreffenden
Gründen auseinandergesetzt, daß cap. 9 — 15 ein selbständiges
Gesetz Chlothar I bilden und nur cap. 16 — 18 die von Childebert I
und Chlothar I getroffene Vereinbarung darstellen *).
Sohm legt die Stelle dahin aus, daß die trustis aus den
eentenarii gebildet werden solle. „Unsere Stelle handelt, nach
ihrem Wortlaut, nicht von der Führerschaft, sondern von der
Bildung der trustis.“ „Das c. 8 (=c. 16) ist die Ausführungs-
verordnung zu c. 1 (= c. 9). Es ergibt sich (dem centenas fierent
entsprechend), daß nicht für jeden einzelnen Fall eine neue, sondern
von vorneherein für alle Fälle eine stehende Centschar in jeder
Cent gebildet werden solle. In die trustis sollen auserlesene
Centscharleute gebracht werden.“ Diese Auffassung der electi
eentenarii ist schon von Waitz*) und Brunner3) mit Recht zu-
rückgewiesen worden. Der Grund, den Waitz angeführt hat, ist
durchschlagend und es ist ihm weiter nichts hinzuzufügen.
Brunners Bemerkung aber, daß, wenn man Sohms Ansicht
folge, cap. 16 dasselbe sagen würde wie cap. 9 erledigt sich durch
die erwähnte Feststellung von Boretius; wenn beide Kapitel nicht
demselben Gesetz angehören, ist gegen einen gleichen Inhalt
nichts einzuwenden.
Mit Sohm ist auch Thonissen wenigstens insoweit zurück-
gewiesen, als er auf eine Wahl der Mitglieder der trustis abstellt.
Gegen Deloche endlich möchte ich hier noch bemerken, daß seine
Meinung, die trustis bestehe aus den vom Hofe in die Provinz
') Boretius Kapitularien I S. 3 f. Gcffken und Behrend haben
dies in ihren Ausgaben leider nicht berücksichtigt.
*) V. G. II, 23 S. 134: Waitz weist darauf hin. daß centenarius in dem doch
lusanuncnhängenden Gesetzo nicht zwei verschiedene Bedeutungen haben kann.
*) K. G. II1 S. 147 N. 36. Weitere Citate bei Gcffken a. a. 0. S. 267.
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120
zurilckgpkehrten antrustiones schon daran scheitert, daß zur Zeit
der Merowinger der antrustio aufhörte, antrustin zu sein,- wenn er
vom Hofe des Königs zog und einen eigenen Haushalt gründete’).
Kann somit aus dem cap. 16 der Deeretio Chloth. die Eigen-
schaft der trustis als eines ständig aus denselben Personen beste-
henden Polizeikorps nicht gefolgert werden, so fehlt es an jedem
Quellenbeleg für diese Annahme. In der Tat verzichtet auch
Brunner darauf, einen solchen anzugeben.
Aber auch aus den Verhältnissen kann die Richtigkeit dieser
Hypothese nicht entnommen werden. Wir haben nicht den gering-
sten quellenmäßigen Anhaltspunkt dafür, daß überhaupt je einmal
im fränkischen Reiche solche Polizeikorps existiert haben. Wenn
die Deeretio. Chloth. sie eingerichtet hätte, wären sie sicher nicht
wieder untergegangen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und dann
hätte wohl auch ein solches Korps den Bedürfnissen einer centena
nicht genügt. Wie schon einmal hervorgehoben, waren diese
centenae, mag man sie nun mit alten germanischen Hundertschaften
in Verbindung setzen oder nicht, jedenfalls keine kleinen Gebiete,
und da es bei dem Spurfolgeverfahren darauf ankam, sofort die
nötige Folgeschar zur Stelle zu haben, um die Verfolgung beginnen
zu können, ehe die Spur verwischt war, konnte man nicht mit
Personen rechnen, die erst von irgend woher geholt werden mußten.
Dabei übersehe ich nicht, daß das gleiche Argument auch dem
entgegengesetzt werden kann, daß der centenarius an der Spitze
der Folgeschar stand und daß dessen Führerschaft gleichwohl
quellenmäßig feststeht. Aber hier liegen die Verhältnisse anders.
Fehlte der centenarius, so lag es nahe, daß ihn der Bestohlene
selbst in der angegebenen Weise ersetzte; kam dann der cente-
narius, so war der Wechsel in der Führung rasch vollzogen.
Wenn aber einmal eine ganze Schar aufgebrochen und der Spur
nachgeeilt war, dann hätte es doch aller Zweckmäßigkeit wider-
sprochen, diese Schar mitten während des Verfahrens durch eine
andere zu ersetzen, wenn doch die erste überhaupt zur Spurfolge
geeignet war.
Auch war es sehr wohl möglich, daß das „Polizeikorps“ auf
Spurfolge begriffen war und nun ein neuer Diebstahl begangen
') Vgl. Schröder R. G.» S. 144.
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121
wurde. Sollte nun der Bestohlene tagelang auf die Rückunft der
Spurfolger warten und eventuell Gefahr laufen, das ein Regen die
ganze Spur vernichtete? Das ist doch nicht anzunehmen. Um
aber das Dilemna zu lösen, müßte man in jeder Hundertschaft
mehrere solche „Polizeikorps“ annehmen, und dafür fehlen uns
erst recht alle Anhaltspunkte. Umsomehr als die Decretio selbst
immer nur von einer trustis spricht.
Endlich erscheint mir die Einrichtung eines Polizeikorps als
solche nicht in die damalige Zeit zu passen. Die Beteiligung an
der Spurfolge auf das Gerflft des Bestohlenen hin war eine im
ältesten Recht begründete Pflicht. Wir finden schon keinen An-
haltspunkt dafür, daß dieser Pflicht nicht genügt worden wäre, noch
weniger dafür, daß die vom Bestohlenen aufgebotenen Spurfolge-
leute die Diebe nicht gefunden haben. Infolgedessen mußte auch
der Gedanke, nun plötzlich diese alte Institution, die übrigens
auch später noch auftritt, abzuschaffen und durch ein organisiertes
Polizeikorps zu ersetzen, damals sonderbar erscheinen. Es wäre da
eine Einrichtung getroffen worden, • deren Bedürfnis nicht einge-
sehen worden wäre. Und da die Spurfolge immerhin eine lästige
Pflicht war, so ist schwerlich anzunehmen, daß so ohne weiteres
eine Anzahl bereit war, ein für allemal diese Pflicht auf sich zu
nehmen und die übrigen zu entlasten. Mir erscheint der Gedanke
an ein Polizeikorps zu modern. Es ist zu sehr, wenigstens unbe-
wußt, mit einem Begriff operiert, der in dieser Zeit nicht unter-
zubringen ist, mit dem Begriff des „angesteilten“ Wachorgans.
Entbehren nun diese Erwägungen gegen Sohms Ansicht der
durchschlagenden Beweiskraft, wie ich selbst sehr wohl sehe, so
reichen sie doch andererseits hin. um Sohms Auffassung der
trustis unwahrscheinlich, die hier vertretene wahrscheinlich zu
machen. Wie alle nicht streng zu beweisenden Behauptungen
muß auch diese ihre Kraft aus dem Zusammenhang entnehmen
und im Folgenden wird sie sich als richtig zu erweisen haben an
den Konsequenzen, zu denen sie führt.
Ich gehe demnach für die folgenden Ausführungen davon .aus,
daß die trustis in Deeret. Chloth. c. 1) die Schar der auf das
Gerüft des Bestohlenen oder zufolge des Aufgebots des centenarius
zusammengekommenen Männer ist, keinesfalls eine Vereinigung
sämtlicher in der centena ansässigen freien Männer.
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122
War nun diese trustis verpflichtet, dem Bestohlenen Ersatz
zu leisten? Nach dem Text lg ja. Aber ist diese Restitutions-
ptlicht. wie sie lg annimmt, auch wahrscheinlich? Zur Beant-
wortung dieser Frage müssen wir uns vor allem darüber klar
werden, ob ein Grund für eine solche Leistungspflicht der trustis
gefunden werden kann, und das geht wiederum darauf hinaus, ob
man der trustis zumuten kann, einen Schaden zu tragen; denn da
die Wiedererlangung des capitale vom latro nicht unter allen Um-
stünden sicher, die Restitutionspflicht aber keinesfalls von der
Ergreifung des latro und der Abnahme der gestohlenen Sache
abhängig war, mußte man mit einem Verlust rechnen.
Man könnte nun daran denken, daß dieses Risiko der trustis
zugemutet wurde, weil es ihre Schuld sei, wenn der Räuber nicht
gefangen wurde. Das ließe sich hören, wenn es tatsächlich immer
Schuld der trustis gewesen sein müßte; in Wirklichkeit aber war
es möglich, daß der latro bei aller Anstrengung der trustis nicht
gefunden wurde. So kann also der Gedankengang nicht ge-
wesen sein. Nahe läge ferner der Gedanke, die Leistungs-
pflicht der trustis darauf zurückzuführen, daß sie schon an der
Begehung des Diebstahls schuldig war, weil sie es etwa an
der nötigen Aufsicht hat fehlen lassen. Dies ginge zurück
auf die oben angeführte Meinung von Thonissen, der in der
trustis eine Wache sieht. Wenn man aber die Decretio näher
betrachtet, so ergibt sich schon aus ihr selbst, daß an Wachen nicht zu
denken ist. Mag man nun die vigiliae für Scharen unfreier Männer
ansehen, wie Sohin es tut. oder für Freie, jedenfalls haben sie
ihren Zweck nicht erfüllt und, was das wesentliche ist, sie haben
sich selbst an den Diebstählen beteiligt und sich so als unzuver-
lässig erwiesen. Dadurch wird es an sich schon unwahrscheinlich,
daß man diese Leute, selbst wenn sie Freie gewesen sein sollten und
nur in diesem Falle wäre das überhaupt möglich, nun als Spur-
folgeschar benützt haben sollte. Es wäre sehr einleuchtend, wenn
man die Wachen, die einen Diebstahl nicht verhütet sondern be-
günstigt haben, zur Strafe zum gemeinsamen Ersatz des capitale
heranziehen wollte. Aber daß man diese verdächtigen Leute dann
noch, sei es auch unter Anführung des centenarius zum Einfangen
des Verbrechers heranzog, den sie vorher unterstützt haben, das
ist doch schwerlich glaubhaft. Dazu fehlt es auch in dem Text der
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123
Decretin an jeder Andeutung, daß auch fernerhin noch Wachen in
Tätigkeit treten sollen, erst recht dafür, daß die trustis diese
Wache sein soll. Das hatte doch unbedingt gesagt werden müssen
Fehlt es somit an einem Grunde für eine Haftungspflicht der
trustis. so wird man zu dem Schlüsse kommen müssen, daß an
dieser Stelle lg einen Fehler enthält und daß B, wonach die
centena das capitale zu leisten hat, die richtigere Lesart gibt;
man wird dies umso leichter tun können, als auch andere Texte
der Handschriftenklas.se I eine Leistungspflicht der trustis nicht
kennen.
Ist demnach die Zahlungspflichtige centena nicht identisch
mit der trustis, so muß sie auch verschieden sein von der
centena, die nach der Decretio Childeberti v. 596 cap. 11 und 12
mit dein eentenarius auf die Spurfolge geht; denn diese centena
ist natürlich identisch mit der trustis. ')
Die Zahlungspflichtige centena nun fasse ich auf als eine
Personengruppe und zwar als eine Vereinigung aller in der cen-
tena ansässigen freien Männer. Hierbei ist es völlig gleichgiltig,
wa> man unter centena versteht und ich lege an sich auch keinen
Wert darauf, ob es gerade alle freien Männer oder nur die wirt-
schaftlich selbständigen Männer, oder etwa alle ansässigen Per-
sonen sind, die sich zu diesem Verband vereinigen.
Die Zahlungspflicht dieser centena aber erkläre ich, modern
gesprochen, aus dem Gesichtspunkt einer Versicherung auf Gegen-
seitigkeit *).
Wird einem Angehörigen der centena etwas gestohlen, so ist
er gegen den Schaden dadurch versichert, daß ihm die Anderen,
vermutlich aus einer vom eentenarius verwalteten Kasse seinen
Schaden sofort ersetzen. Dafür gibt er ihnen den Anspruch auf
das capitale gegenüber dem Dieb, den er auch dann nicht wieder
erhält, wenn er allein ohne Hilfe der trustis den Dieb gefangen
hat, was ihm an sich auch ohne Spurfolgeschar, wenn auch
mit anderen rechtlichen Folgen, erlaubt war; in diesem Falle
wird ihm nur die compositio überlassen, die andernfalls zur
Hälfte an die trustis fallt.
') Das hat auch Sohin RuUV. S. 185 richtig erkannt.
*) Von einer Versicherung spricht auch Sickcl, Beiträge MJOG.
E.-B. III. S. 529: ebenso Brunner, Z Rti.5 XI S. t>(>.
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1-24
In der Schaffung dieser Diebstahlsversicherung sehe ich auch
den Hauptzweck der Decretio Chloth.1). Die Errichtung der
trustis kann dieser Zweck nicht gewesen sein*), da sie nach den
obigen Ausführungen Polizeikorps überhaupt nie war und als
Spurfolgeschar schon früher vorn Bestohlenen aufgeboten werden
konnte. Durch die Versicherung wurde aber nicht nur der wirt-
schaftliche Schaden auf die Gesamtheit verteilt, sondern mittelbar
auch eine genauere Beobachtung der Diebe erzielt. Denn von da
an war jeder Einwvlmer der centena. der zahlen mußte, daran
interessiert, die Zahl der Diebstähle nach Möglichkeit zu ver-
ringern; er erhielt ein Interesse daran, nicht nur sein Eigentum
zu schützen, sondern auch Verletzung fremden Eigentums zu
hindern.
Daß eine solche Versicherungsgesellschaft, so modern sie
auch anmutet, auch in der damaligen Zeit nichts Unerhörtes war.
beweisen die Judicia ciuitatis Lundonie1). Sie sind allerdings
erheblich jünger als die Decretio Cloth. Dafür sind aber auch
die einzelnen Bestimmungen viel feiner ausgeführt und die ganze
Institution ist ausgebildeter, als in der Decretio, die z. B. nichts
davon weiß, daß auch Versicherungsbeiträge zu leisten sind, wie
nach angelsächsischem Hecht Jeder, der ein bestimmtes Vermögen
besaß, vier Pfennige jährlich in die gemeinsame Kasse einzahlen
mußte. Daß trotzdem in Folge der Decretio auch bei den
fränkischen centenae solche Beiträge eingeführt wurden, wäre an
sich nicht ausgeschlossen, ist aber unwahrscheinlich. Die von
Brunner ferner noch erwähnten Haftungsverhältnisse des
schwedischen Hechts rechne ich dagegen nicht hierher. Wenn die
Einwohner eines Bezirkes für einen im Bezirk verübten Mord
') Sic setzt also nach dem Gesagten örtliche centenae voraus. Wenn
Brunner, Rfl. II1 S. 148, sagt: ..Soweit das Kricdensgcsotz Ohiothars 1
und Childeberts I die Bildung neuer Centenen veranlagte, hatten diese nur
den Charakter von I’olizeibezirken, nicht auch die übrigen Funktionen der
Hundertschaft“, so könnte ich dem nur für Gebiete betreten, die keine Be-
zirke mit Hundertschaftsfunktion hatten, also auch keine Bezirke, die später
als vicariae oder conditae erscheinen. Ob das aber überhaupt vorkam, erscheint
mir zweifelhaft. Dies auch gegen Sickel, Beiträge MJÖU. E-B. III S. 529.
*) A. M. Sohm, RuGY. S. 185.
’) Bei Liebermann, a. a. 0. S. 173 IT.
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125
Buße zahlen müssen, so geschieht dies aus dem Gedanken eines
möglichen Verschuldens heraus, das ich in der Decretio Chloth.
gerade nicht annehme. Dagegen kennt das skandinavische Recht
an anderen Stellen den Gedanken der Versicherung auf Gegen-
seitigkeit. Im westnordischen Recht bestellt eine gegenseitige
Versicherung unter Gildegenossen, die sieh auf Gebäude-, Korn-,
Heu-, Vieh- und Warenschäden erstreckt. Die Bauern des
isländischen hreppr sind unter sich gegen Brand und Viehsterben
versichert. Wer einen Verlust erleidet, kann von jedem Andern
eine skaöaböt verlangen. Die Leistungspllicht aber gegenüber
dem Geschädigten wird nach beiden Rechten darauf zurück-
geführt. daß die Genossen die Gefahr gemeinschaftlich zu tragen
haben. Dabei hängt es aber gerade bei der isländischen Ver-
sicherung von dem Willen der zusammen wohnenden Genossen ab,
ob ein N’euansiedler mit in den Versicherungsverband aufgenommen
wird und darin zeigt sich so recht, daß die Verpflichtung zur
Zahlung der skaiVabot nicht eine rein nachbarrechtliche ist,
sondern auf dem Versicherungsgedanken beruht. ') Parallel der
isländischen skaiVabot steht die schwedische branstap, der Beitrag
den nach Ostgötalagh und Westennannalagh die gegenseitig gegen
Brandschaden versicherten Genossen der Hundertschaft zu zahlen
haben. *) Gerade aus diesen schwedischen Verhältnissen und
denen im isländischen hreppr ersehen wir, daß nicht nur der
Gedanke einer Versicherung auf Gegenseitigkeit überhaupt dem
germanischen Rechte eigen war, sondern auch die spezielle
Form der Zusammenfassung der Einwohner eines Bezirks zu
einem Versicherungsverband.
Ist nach all dem anzunehmen, daß die Decretio nur den
Zweck hatte, diese Versicherungsgesellschaften einzurichten, so
ergibt sich hieraus wiederum, daß sie nicht der Akt sein kann,
durch den im fränkischen Reiche persönliche oder territoriale
centenae eingeführt wurden. Darin ist Sohin im Ergebnis, wenn
auch ans anderen Gründen beizustimmen. Jedenfalls örtliche
centenae müssen vor der Decretio vorhanden gewesen sein; daß
auch Centenenver bände, das läßt sich um deswillen nur ver-
') Vgl. iurn (ianzen v. Amira, Obl-K. II S. 927 ff, zu den isländischen
Verhältnissen auch Maurer, Island S. 294 ff.
•) t. Amira, Obl-R. I S. 761 f, 689 f.
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muten, nicht fest behaupten, weil die Durchführung der Deeretio
solche nicht voraussetzt.
Wir können somit den Ursprung der fränkischen centena in
eitle frühere Zeit als die der Deeretio verlegen, und auf dieser
Grundlage führen sprachliche Erwägungen zu der Frage, ob und
in welchen Beziehungen die centena zum centenarius der Lex
Salica steht. Schon früher wurde gemutmaßt, daß dieser cente-
narius der Vorsteher einer centena sei und demgemäß die centena
schon für die Zeit der Lex Salica angenommen In der Tat ist
gegen diese Schlußfolgerung nichts einzuwenden. Eine ganz
andere Frage aber ist es, ob die centena der Lex Salica dasselbe
ist, wie eine germanische Hundertschaft, der centenarius der
Nachfolger des Hundertschaftsvorstehers. Sie kann, da wir von
der centena in dieser Zeit überhaupt nichts erfahren, nur gelöst
werden durch eine Untersuchung der Tätigkeit des centenarius
der Lex Salica.
Nach der herrschenden Ansicht*) ist der centenarius der Lex
Salica der ordentliche Richter im gebotenen Ding3). Der Richter
im echten Ding soll denn der thunginus sein. Diese Unter-
scheidung ist getroffen auf (Hund des Umstandes, daß die Lex
Salica bei Akten, die im echten Ding vorgenommen werden
müssen, nur den thunginus, nicht auch den centenarius als Vor-
sitzenden erwähnt, sodann deshalb, weil bei Gleichstellung von
thunginus und centenarius im ganzen Reiche nur Hundertschafts-
richter, aber keine Richter zwischen diesen und dem König ge-
wesen wären 4). Von diesen beiden Argumenten erscheint mir
dieses auf der durch nichts bewiesenen Voraussetzung aufgebaut,
daß es zu Zeiten Chlodwigs schon Gerichtsbezirke zwischen der
Hundertschaft und dem König gegeben hat. Wie schon einmal
') Die Entstehung der örtlichen centena erst im 6. Jahrhundert, über-
haupt in der frünkischcn Zeit, wird noch heute von französischen Schrift-
stellern vertreten. Vgl. (Jlasson, Histoire du droit ct des institutions de
la France, 11 S. 333, Fustel de Coulangcs, Institutions politiques de la
France, II S. 101 ff. Vgl. S. 115 Anm. 1.
*) Itie herrschende Ansicht beruht auf llrunucr, ltG. II1 S. löüf, 219.
Zustiniuieml Schröder, K(J.S S. 129, 171 f.
J) ltie l.iteratur über den centenarius gibt Uoffken, a. a. O. S. IGSf.
4) liruuner, UH. II1 S. 149 ff.
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127
angeführt, haben solclie Bezirke überhaupt nicht existiert. Es
sab auch in der karolingischen Zeit keine Gaurichter und keine
Gaugerichte. Umsoweniger kann es überraschen, wenn wir in der
Zeit der Lex Salica auch keinen Gaubeamten finden, der an der
Dingstätte der Hundertschaften echtes Ding hielt. Es konnte
sehr wohl die Gauverfassung durchgeführt sein, aber keineswegs
mußte die Monarchisierung bereits soweit ausgebildet sein, daß
der an der Spitze des Gaues stehende, zunächst doch verwaltende
Beamte auch schon Richterfunktionen übernommen hatte. Von
Brunner's Standpunkt aus, der schon in germanischer Zeit Gaue
und Gaurichter annimmt, würde das allerdings nicht verständlich
sein: für uns aber, die wir einen Gaurichter nicht vermissen, er-
wächst aus diesem Grunde auch keine Schwierigkeit, in thunginus
und centenarius dieselbe Person zu sehen. Im Gegenteil ist es
sehr verständlich, daß zur Zeit der Lex Salica die germanische
Verfassung noch nicht ganz beseitigt, die fränkische noch nicht
ganz durchgeführt war. Wir haben ein Übergangsstadium vor
ans. wie gerade an der allmählichen Entwicklung des Amtes des
comes zu sehen ist. Daraus erklärt es sich auch, daß. wie
Brunner bemerkt, der bei Identität von thunginus und cente-
narius entstehende Rechtszustand sich sehr unterscheidet „von der
Art, wie später die Grafen die Rechtspflege ausübten“. Aber er
unterscheidet sich natürlich nicht „von der wandernden Rechts-
pflege der germanischen Gaufürsten“, da es diese nicht gab1).
') Das Voransgchonde hat m. E. die Unrichtigkeit der Hypothesen
aufgezeigt, die, wie y. Amira, Qött. gel. Anz. 1896 S. 200, mit Kocht be-
t»nt. nötig wären, um den Unterschied zwischen ccntcnarins und thunginus
zu halten, nämlich die Hypothesen der Existenz von Gauen und Gauvcr-
sammlungen. Was sodann Brunner’s Hinweis auf den Plural indicant
(indiiernnt) anlangt, so ist zu beachten, daß ein Codex auch den Singular
hat, und daß es überhaupt die Handschriften mit Singular und Plural
.nicht so genau nehmen“ (vgl. Sickel, Beiträge S. 483 Anm. 1). Auf die
Lesart des Cod. 10: in mallum aut in Tuncbinium ist bei der kompila-
turischen Natur der Herold’schen Texte kein Wert zu legen. Sic würde
such nur beweisen, daß der thunginus an der Malstätte der Hundertschaft,
dem mallus schlechthin, zu Gericht saß. aber nicht, daß nur er (nicht auch
ein Anderer — centenarius!) dies tut. Die Stelle spräche also weder für
die hier vertretene noch für die herrschende Ansicht. Vgl. auch Dahn,
Könige VII, 2 S. 1 3ö f.
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128
Brunner’s erstes Argument ist nicht schlechthin zu ver-
werfen. Immerhin ließe sich sagen, «laß die Erwähnung des een-
tenarius an der einen Stelle, die Nichterwähnung an der anderen
Stelle, auch rein zufällig sein kann. Doch will ich hierauf weniger
Wert legen, als darauf, daß es nach dem Sprachgebrauch der Lex
Salica nicht notwendig ist, das „aut“ in thunginus aut centenarius
wie Brunner will, disjunktiv zu nehmen. Es heißt z. B.:
Cap. 11,3 „. . . . in mallo iudici, h. e. comite aut grafhme“ in
Lex Salica LIV,2 „. . Si quis sacebarone autobgrafionem occiderit“
und man ist sich vollständig darüber einig, daß comes und grailo
an dieser Stelle dieselbe Person sind, und auch bei sacebaro aut
obgrafio hat noch niemand daran gedacht, das aut disjunktiv zu
nehmen '). Das wäre nicht unbedingt ausgeschlossen, ist aber durch
nichts veranlaßt, wenn nicht andere Momente unterstützend hin-
zutreten.
Wenn wir aber thunginus und centenarius die gleiche Zu-
ständigkeit beilegen2), so ist der centenarius nicht nur der Richter
im gebotenen Ding, sondern der Richter des untersten Gerichts-
bezirkes schlechthin. Er ist der Richter xz8’ an der Ding-
stätte der centena3) und, da es außer dem Gericht des thunginus
aut centenarius ein ordentliches Gericht nicht gibt, der Richter
im ordentlichen Gericht. Er ist ferner Volksbeamter *). Das
stellt den centenarius auf die gleiche Stufe mit dem Hundert-
sehaftshäuptling der germanischen Periode und berechtigt uns zu
der Annahme, daß er dessen Nachfolger, die centena eine ger-
manische Huudertschaft ist.
') Vgl. Kügel in Haupt's Zeitschrift XXXIII S. 23, wo „aut obgrationcm“
geradezu als Erklärung von „sacebarone“ aufgefallt ist. Auch in Cap 11.
3 ad. Leg. Salicam nehme ich das „aut“ erklärend: der comes, der franko-
lateinisch grafio heißt. Wenn man mit llrunner II1 S. 103 die Stelle so ver-
steht, „daß ein Beamter gemeint sei, der entweder comes oder aber gralio
heißt,“ dann müßte man ja um diese Zeit drei ltichterbeamte annchuien:
comes, grafio und centenarius. Vgl. Geffken S. 265 und die dort angebene
Literatur. Thonissen, a. a. <)., S. 48 f. Der Annahme Brunncr’s Kg. II1
S. 169 Anm. 59, daß hier aut für deutsches ob, oba — si stellt, vermag ich
mich nicht anzuschließcn.
a) So auch v. Amira («rundr. S. 73. Waitz das alte liecht der salischeu
Franken, S. 135. Sohin ltutiV. 71 IT.
3) Vgl. Waitz, II, 23 S. 159 f.
*) Brunner, Hg. II1 149.
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12!)
Bevor ich fortfahre, stelle ich als das Ergebnis der bisherigen
l'ntersuchung noch einmal fest, daß die fränkische centena die
Fortsetzung der germanischen Hundertschaft ist1).
Die nach st liegen de Frage ist wohl die nach dem sonstigen
Vorkommen des Begriffes centena in den Quellen der merowin-
gi sehen Zeit. Sie ist dahin zu beantworten, daß dieses Wort
außer in der schon genannten Decretio Chloth. und der Decretio
l'hildeberti nirgends zu finden ist. Keine der merowingischcn
Frkunden nennt eine centena; die Formelsammlungen der mero-
wingischen Zeit, die Fonnulae Andecavenses und die Fonnulae
Uareulfi sprechen da, wo es sich um Ortsbestimmungen handelt,
immer nnr vom pagus, nie von der centena.
Dies erscheint auffällig, weil man doch mindestens da, wo
die alten fränkischen Stammlande liegen, Hundertschaften ver-
muten muß. Doch ist das Schweigen der Quellen schwer zu er-
klären. Wenn ich hier eine Vermutung äußern soll, so möchte
ich annehmen, daß es damals, modern gesprochen, „offiziell“ noch
keine Hundertschaften gab. An der Spitze der Hundertschaften
stand noch ein vom Volke gewählter Vorsteher, der allenfalls den
Berichts Vorsitz im echten Ding an einen königlichen Beamten ab-
gegeben hatte. Die königlichen Beamten hatten noch keine
Hundertschaften als Amtsbezirke, sondern erst größere, die pagi,
die wir auch überall erwähnt finden. Die Hundertschaften waren
wohl da, wie in der ältesten Zeit; aber sie waren eben Bezirke
des Volkes und noch nicht Verwaltungsbezirke des Staates, der
sie infolgedessen nicht so berücksichtigte*). Doch dies nur als
Vermutung.
‘) Das Wort „centena“ halte ich für die l'bertragung eines mißver-
standenen huntari oder chundari; au auch Schroeder Zli<i.'J IV.
S. 31. Wir haben keine Veranlassung, iu centena eine Taitinisicrung von
drotschcm „lehn“ zu suchen. Vgl. auch Waitz, Y<i. I3 S. 216 f. II3, 1
S. -D)2. Den naheliegenden Gedanken, eine Ansgangsform hundina oder
chundina anzusetzen, entsprechend dem angelsächsischen hynden, möchte
ich deshalb zurnckweiscn, weil hynden gerade das abgezähltc Hundert die
.Hnndertzahl“ ist.
*) Vgl. hierzu Hrunncr II1 S. 153 „Ks muß eine Zeit gegeben haben,
la die ordentlichen Beamten der Dan- und HnndcrtschafUverwnllung noch
»amtlich vom König unabhängig waren . . Dieses Stadium der Entwicklung
v. Schwerin, altfenn. Hundertschaft 3
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130
Anders als mit der centena steht es mit dem centenarius.
der, wenn auch selten, doch einigemale in dieser Zeit erwähnt
wird.
In ähnlichem Zusammenhang wie die Decretio Chloth. bringt
ihn die Decretio Childeb. v. .'>!)(! an zwei Stellen ’j.
a) cap. 9. Si quis centenario aut cuilibet iudice voluerit
ad malelactorem adiuvare, sexaginta solides omnis modis
condempnetur.
b) cap. 11. Similiter convenit, ut si für faetus fuerit,
capitale de praesente centena restituat, et causa cen-
tenarius cum centena requirat.
Die zweite Stelle schließt sich vollkommen an die Diebstahls-
bestimmungen der Decretio Chloth. an; centena erscheint hier
wiederum zur Bezeichnung des Versicherungsverbandes, wo von
ihrer Restitutionspflicht die Rede ist, zur Bezeichnung der Spur-
folgeschar im letzten Halbsatz.
Die andere Stelle zeigt uns den centenarius als Richter*)
durch den Zusatz aut cuilibet iudice, im besonderen wohl als
Vollstreckungsbeamten. Da hier in cap. 9 der centenarius nicht
wohl etwas anderes sein kann als in cap. 11, seine Befugnisse
aber doch über die des centenarius in c. 1 1 und in der Decret.
Chloth. hinausgehen, sich sogar denen des centenarius in der Lex
Salica vergleichen lassen, so erscheint der Schluß berechtigt, daß
der centenarius in allen diesen Stellen eine und dieselbe Person
ist. Was den Zusatz aut cuilibet iudice weiter noch betrifft, so
nötigt er nicht unbedingt zu der Annahme, daß es außer dem
centenarius noch andere Richter gegeben hat; es kann damit sehr
wohl der vicarius gemeint sein, der in den romanischen Gebieten
die Stellung des centenarius einnahm. Man kann aber auch an
den comes denken, der wie Cap. II, 3 ad leg. Sal. zeigt, damals
schon richterliche Funktionen ausübte*).
Außer in diesen Stellen und einigen Urkunden aus alamanischer
Gegend finden wir den centenarius noch in einigen wenigen Ur-
vermuto ich im Text, mit der Maßnahme allerdings, daß ich Qaubeanite
überhaupt ablelme.
9 Hei Boretius, Kapitularien 8. 17.
*) Brunner HG. II ‘ 8. 174.
9 Vgl. Brunner IX1 8. 163.
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131
landen der Merowingerzeit in der Zeugenliste '). Charakteristisch
ist. daß diese Urkunden alle in salfrilnkischer Gegend aufgenommen
sind, und da wir daraus den Schluß ziehen können, daß die cente-
narii nur da vorkamen, so können wir weiter noch schließen, daß
sie sich ursprünglich nur im fränkischen Stammesland fanden und
unter den Merowingern in anderen Teilen des Reiches centenae
auch nicht eingerichtet wurden.
Daß der centenarius häutiger erwähnt wird als die centena
ist auffallend, aber gut zu erklären. Es ist sehr wohl möglich,
daß zwar, wie oben gesagt, die centena noch nicht als staatlicher
Bezirk angesehen wurde, daß aber gleichwohl der centenarius schon
vom König zur Ausübung staatlicher Funktionen herangezogen
wurde. Dies würde weiter erklären, daß, wenn man seinem Gebot
nicht folgte, nach der Decretio Childeb. c. ü ti(> Schillinge, also der
Königsbann, zu zahlen waren.
Zorn Schlüsse dieser Erörterung über den centenarius der
merowingischen Zeit einige Worte über die electi centenarii des
csp. 16 der Decret. Chloth.*).
Da centenarius an dieser Stelle nicht etwas anderes bedeuten
kann, als an allen übrigen, so können wir nur annehmen, daß es
>i«h hier um ausgewählte Hundertschaftsvorsteher handelt, und
ich milchte folgende Erklärung der Stelle Vorschlägen. Wenn der
Spurfaden die Grenze zwischen den beiden Reichen überschritt,
'lann bedurfte es einer besonderen Übereinkunft, um die Verfolgung
des Diebes in das andere Reich zu ermöglichen. Diese Überein-
kunft ist in der Decretio Chloth. getroffen. Es begreift sich aber
auch, daß inan in einem solchen Falle ganz besondere Cautelen
vorsah; denn es war für die damalige Zeit sicher ein besonderes
Ereignis, wenn eine ganze Schar von Männern aus dem Reiche
Chlothars in der provintia Childeberti umherzog und einen Ver-
brecher suchte. Das konnte Mißtrauen erregen und man hatte
allen Anlaß dafür zu sorgen, daß nur ganz besonders verlässige
') Die Urkunden sind angeführt bei Sohm KuliV. S. '■! 1 3.
*) Die Literatur verzeichnet ticffkcn a. a. 0. 8. 267. Wenn Brunner
U1 S. H7 ineint, daß die Decretio die „Wahl von Centenaren" anordnet,
«> kann ich ihm darin nicht beitreten. Im Gegenteil nehme ich an, daß
die centenarii des c. 16 die schon immer vorhandenen Hundertschafts vor-
»teber sind. Schröder Kg.* 8. 130 Anui. 6.
9*
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132
Männer eine solche Schar über die Grenzen führten. Das suchte
man vielleicht zu erreichen indem man entweder, was allerdings
nicht sehr praktisch gewesen wäre, einige centenarii dazu bestimmte,
solche Scharen zu führen, oder ganz allgemein dafür Sorge trug,
daß in den Grenzdistrikten besonders tüchtige centenarii aufge-
stellt waren. So läßt sieh dieses cap. 1(> vielleicht erklären.
Das Ergebnis unserer Erörterung über die merowingische
Zeit ist demnach, daß es in dieser Periode im Gebiete des
fränkischen Stammeslandes Hundertschaften gegeben hat, die sich
als Fortsetzung germanischer Hundertschaften erweisen. Dagegen
haben wir keine Anhaltspunkte dafür, daß auch im Eroberungs-
lande die Hundertschaftsverfassung eingeführt wurde.
In der karolingischen Periode haben die Verhältnisse sich
verändert. Von den Formelsammlungen ist eine Gruppe, die
Formnlae Salicae Bignonianae und Merkelianae und die Formulae
Imperiales, dazu gelangt wenigstens einigemale, wenn auch keines-
wegs durchgehend, zu Ortsbestimmungen auch die centena zu
verwenden ').
Sodann kennen Erkunden aus fast sämtlichen Gebieten des
fränkisch-karolingischen Reiches die centena und nicht minder die
Kapitularien der Karolinger diese und den centenarius *).
Man hat diese Ausbreitung dieser Begriffe gegenüber der
merowingischen Zeit verschieden zu erklären versucht. Deloche*)
und Guerard4) nahmen an, daß die centena als örtliches Gebiet
erst unter Karolingern eingeführt wurde. Dem widersprechen die
Ausführungen, mit denen oben das Vorkommen der centena schon
unter den Merowingern nachgewiesen ist. Richtig dagegen scheint
') Die Formulae Imperiales verwenden centena zur Ortsbestimmung in
einer Urkunde, die auf sächsischem liebict errichtet ist (bei Zeumer,
Formulae S. 31g) vgl. die Anin. des Herausgebers ebd. No. 4. l>ie Formulae
Salicae ilignoniac verwenden centena nur dann und wann, meist pagus allein.
Vgl. auch Schräder in ZRQ.3 IV. S. 86 ff., wo namentlich auch die Termi-
nologie der niehtfränkischen Oebiete behandelt ist. Dazu Vand erk indere
Introdnction ä I'historie des institutions de ln llelgique S. 166 ff.
*) Beispiele bei Waitz V(i. II, I3 S. 39!l Anm. 3. Über den cente-
narius in karolingischer Zeit vgl. A. Weber der Centenar nach den karo-
lingischen Kapitularien
3) a. a. O. S. IX.
4) Uuerard Kssai snr les divisons territoriales en (iaule. S. Ö4.
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133
mir die Ansicht von Waitz, daß beide Namen, sowohl centena
wie centenarius auf ähnliche Einrichtungen in den von den Franken
eroberten romanischen Gebieten übertragen wurden ').
Dies ist umso wahrscheinlicher, als es im karolingischen Reiche,
wie Sohm nachgewiesen hat. tatsächlich eine Reihe von Gebieten
gab, die nur dann und wann als centenae. sonst aber als vicariae
oder conditae bezeichnet werden2) 3).
Dagegen ist nicht daran zu denken, daß etwa die Centenen-
verfassung durch einen Staatsakt in ganz Gallien eingeführt worden
wäre. Denn so ließe es sich nicht verstehen, daß in einigen
Gebieten des Reiches centenae nie erwähnt werden4).
Zugleich aber erscheint die Grafschaftsverfassung vollständig
dtuvhgetuhrt. „Die einzige durchgreifende politische Gliederung
des fränkischen Reichs war die in Grafschaften oder (taue „ge-
nauer Grafschaftsgaue5).“ Der Graf") ist Richter im Gau, aber
nicht Gaurichter, nicht Richter des Gaus. Er hält an der Ding-
>) V. «. II», 1 S. 400. Dahn Könige VIII, 1 8. 89.
*) 8ohm R. u. <i. V. S. 192. Brunner R. G. II1 8. 14(i. Beauchet
a. a. O. S. 217 f. A. Weber, a. a. 0. S. 13 ff.
*) Bezüglich der vicariae und conditae, die schon dem Namen nach
nicht als germanische Hundertschaften anzusprechen sind, wohl aber in der
Organisation des fränkischen Reiches dieselbe Stellung einneluncn, wie diese,
verweise ich auf Sohm R. u. G. V. S. 191 ff Brunner li. G. II1 140 ff.
11 alb an Das römische Recht in den gern). Reichen. II 263. Dahn a. a. 0. 8. 91.
Ob condita auch sprachlich mit ccntena iibercinstimmt, erscheint mir
fraglich. F.s gab allerdings «in keltisches Wort candetum, auch canditum,
das ein Flächenmaß von 100 Einheiten bezeichnete. Aber ich sehe nicht,
«ie ans canditum condita geworden sein sollte und überdies sind die frän-
kischen conditae keineswegs gleich große Gebiete, deren jedes aus 100 Ein-
heiten bestehen könnte: vgl. noch Holder, Alt-keltischer Sprachschatz, s.
v. candetum.
*) Ein solches Gebiet ist z. B. die Auvergne; vgl. Sohm a. a. 0. S. 198.
Schroeder a. a. 0. S. 90.
*) Brunner R. G. II1 8. 144.
") Nebenbei sei bemerkt, daß nach den im Vorausgehendcn gebil-
ligten Ausführungen Rietschcls über das Fehlen der Tausendschaftcn
such die von Brunner II1 8. 161 angenommene Erklärung des Wortes
•Graf* aus rövs, Zahl, wankend wird, wonach der Graf seinen Namen haben
feil .von der Schar, die er führte, Hunno, oder Centenar von der unter seiner
Kähning stehenden Hundertschaft.“ Vgl. über die verseb. Erklärungen
Schröder R. G.4 8. 130 Anin. 10.
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134
statt** der Hundertschaft Hundertschaftsgericht. Dort hält er das
echte Ding1). Jetzt wird zwischen ihm und dem centenarius die
Gerichtsbarkeit sachlich abgegrenzt *). Aber diese Abgrenzungen,
auf das neufränkische Gebiet sich beziehend, sind nur das Spiegel-
bild der im altfränkischen Gebiet schon bestehenden a).
Indem man aber in dieser Weise Hegriffe, die ursprünglich
der Bezeichnung einer fränkischen, germanischen, Einrichtung
dienten, auf romanische und gallische Einrichtungen anwandte, die
mit jenen nur die Eigenschaft des richterlichen Unterbezirks teilten,
verlor sich allmählich auch das Verständnis für diese Begrübe
und sie wurden auf Einrichtungen angewandt, die mit den alten
germanischen Hundertschaften nichts oder nur wenig zu tun hatten.
So finden wir im Güterbuch des Klosters Prüm. v. 8!>3 fol-
gende Stellen.
1. Cap. 2.r>. centena de Sueghe solvit de vino modios 30.
2. Cap. 24. ad vineas Ugandas centenam I ad fodiendam
alteram, ad colligendam terciam ad messem colligendam
quartam 4).
Wenn hier in dem zweiten Beispiel das Dorf (!) Merrengke
eine Centena zum Aufbinden der Weinreben stellt, eine zum
Graben des Weinbergs u. s. f. so ist auf den ersten Blick ersicht-
lich, daß wir es da mit einer anderen Einrichtung zu tun haben,
als mit germanischen Hundertschaften. Mag immerhin dann und
wann Dorf und Hundertschaft zusammengefallen sein, so ist es doch
nach Allem, was wir über die germanische Hundertschaft festge-
stellt haben, nicht denkbar, daß ein Dorf aus vier Hundertschaften
besteht.
Sohin '’) sieht in diesen centenae „ Centscharen, ebenso wie die
centenae des Chlotharisehen Gesetzes, nur jene Centscharen des
Hofrechtes, diese Centscharen des öffentlichen Beeiltes, jene zu
') Sehr eingehend behandelt diese Fragen Sohin K. u. G. V. § 10 und
11. Besuchet a. a. 0. S. 13. Ganz irrig Weber a. a. 0. S. 46: „Das
Gericht ist ein Grafengericht.“
J) Vgl. Gap. inissurum Aquisgran. prim. e. 3. (lioretius 1. 153.)
3) Ilrunner B. G. 11 1 S. 178 f.
*) Bei H. Beyer, Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischen
Territorien (1860) I S. 142 IT.
*) K. u. G. V. S. 186.
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135
Frohndienst diese zu Reichsdienst verpflichtet.“ Das ginge nur
an von dem falschen Ausgangspunkt aus. da LI die Centscharen der
Deoretiu Chlotli. Vereinigungen von je zehn Männern seien. Hatte
Sohm erkannt, daß es sich um Hundertschaften, und da, wo nicht
centena für trustis steht, um alle Einwohner der Hundertschaft
handelt, dann hätte er diesen Schluß nicht ziehen können.
Das tertium comparationis zwischen den centenae des fränki-
schen Reiches und denen des Prttmer Güterbuchs scheint mir zu
sein, daß beide Einteilungen sind, jene des Reiches, diese der
Frohnpflichtigen. Man sah, daß eine centena ein Gebiet war und
gleichzeitig ein Haufe von Menschen, und in Mißverständnis des
Begriffes centena wandt** man ihn an auf die Haufen, in die man
die Frohnpflichtigen eingeteilt hatte, die vielleicht auch in ab-
gegrenzten Vierteln des Dorfes wohnten.
Ebenso haben wir die centena de Sueghe zu erklären und die
gleiche Bewandtnis hat es wohl mit den centenae, qui partibus
fisci nostri deserviunt in cap. f>2 des Capit. de villis. Daß diese
centenae mit germanischen Hundertschaften nur dem Namen nach
zu tun haben, hat bereits Gareis1) gegen Brunner festgestellt ’).
') K. Carcis. Die Landgüterordnung Kaiser Karl des Grollen.
S. 57 Anm.
ä) Außerhalb des Kalnnens dieser Arbeit fallen nach dem in der Vor-
bemerkung festgesetzten Plan die späteren Kundschaften des Niederrheins.
(Vgl. hierüber Lacouiblet Archiv für Geschichte des Niederrheins I S. 210 f.
I.amprecht Deutsches Wirtschaftsleben I S. 197 lf. Maurer Einleitung
S. 59 ff). Schröder K. G.4 S. 603. Brunner K. G. II1 S. 175. Waitz V-G.
I3 S. 227. Doch möchte ich die Vermutung äußern, daß sic vielleicht mit
solchen hofrechtlichen centenae Zusammenhängen. Darauf würde auch hin-
weisen das Vorkommen dieser centenae im Capit. de villis und gerade in
Prüm, das königliche Eigenkirche war. Möglicherweise gehen sic auch zurück
auf centenae, die durch Teilung alter Hundertschaften sonstwie entstanden sind
(Brunner II1 S. 148.) Jedenfalls sind sie ihrer ganzen Verfassung nach keine
altgermanischen Hundertschaften oder fränkischen centenae. A. M. Gramer
Alamannen. S. 64, wo ohne jeden historischen Sinn centena, huntari, bundari,
hcrad, hunaria, Honschaft, Mark, marca als gleichbedeutend neben einander
gestellt sind. Eingchund behandelt spätere sogenannte Hundertschaften und
Centen Mayer V. G. I S. 436 ff, der aber aus dem S. 2 Anm. 1) angege-
benen < «runde von irrtümlichen Voraussetzungen ausgeht und zu unharmo-
nischen Uesultaten gelangt. Eine gute Übersicht hierüber bei Stutz
ZRG.* XXI S. 158 f.
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136
Wir kommen zu dem Schlüsse, daß sieh in fränkischem
Stammesland in merowingischer und karolingischer Zeit Hundert-
schaften gefunden haben, daß aber die Hundertschaftsverfassung
in den übrigen westrheinischen Gebieten des fränki-
schen Reiches nicht eingeführt wurde1).
ln den Bestimmungen der Lex Chamavorum tritt uns der
Entstehungszeit dieses Denkmals entsprechend die Verfassung der
karolingischen Periode entgegen. Am deutlichsten sehen wir
dies in
cap. 44. Si quis de lido suo pro aliqua causa in ratione fuerit
inventus, super noctes 14 ipsum lidum ad placitum adducat, si
senior suus in ipso comitatu est. Si in alio eomitatu est, ipso
lidus suum seniorem ad placitum adducat super noctes 25.
Sie in tercio eomitatu est super noctes 42. Si in alio
ducatu est, super noctes K4 cum suo seniore veniat ad ipsum
placitum.
Das ganze Chamavenland bildete einen ducatus, der in drei
comitatus zerfiel. Dem comitatus war ein comes vorgesetzt. Unter
diesem aber stand ein centenarius.
cap. 30. Si quis infra pagum latronem comprehenderit,
et ante illum comitem eum non adduxerit aut ante suum
centenarium, solides 60 componere faciat.
Daß dieser centenarius der Vorsteher einer centena war,
dürfen wir nach dem im Vorausgehenden Gesagten annehmen,
wie wir aus
Lex Rib. 50, 1 Si quis testis ad mallo ante centenario vel
comite, seu ante duce, patricio vel regi necesse habuerit, ut
donent testimonium . . .
schließen können, daß auch bei den ribuarisohen Franken centenae
vorkamen *).
’) Mayer spricht V. G. I 435 Anni. 2 von einer „willkürlichen Hin-
richtung von Hundertschaften durch die Franken,“ die aber „nicht zur Be-
gründung großer Verbände, sondern zur Übertragung der Hundertschaft*’
tunktiou auf die Gemeinde (!) geführt“ haben soll. Wie Ut das zu denken 'i
*) Vgl. Waitz V. G. II, l3 S. 402 II, 23 S. 131. „Jene Anführung (in
der oben citierten Stelle) scheint daher nur als eine Erinnerung an frühere
Zustände oder eine Hinweisung auf außerordentliche Umstände betrachtet
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137
Daß bei den Chamaven die Hundertschaft nicht, wie E. Mayer')
meint, aus der mannmissio per hantradam zu erschließen ist, lierjt
auf der Hand. Wir haben nicht die mindeste Veranlassung in
luntrada eine Verschreibung für huntrada zu sehen, da die beiden
Handschriften an den beiden Stellen, an denen das Wort verkommt,
ohne Unterschied hantrada oder handrada schreiben. Und selbst
wenn die Conjektur Mayers anzunehmen wäre, dann würde daraus
noch nichts für Hundertschaften folgen. Huntrada, sprachlich
parallel hundred und liunderöd. wäre, das gezählte Hundert aus-
drückend, die denkbar schlechteste Hezeiclmung für eine germanische
Hundertschaft. Daß Freilassungen in mallo publico vorkamen, ist
an sich richtig. Aber was soll eine isoliert stehende Züricher
Urkunde für die Gebräuche der Ohamaven bezeugen?
Zum Schlüsse dieses Abschnitts möchte ich noch auf die
Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen den fränkischen Graf-
schaften und den Gebieten der salischen Gaukönige himveisen,
wobei ich allerdings auf eine eingehendere Erörterung dieser
außerhalb des Rahmens der Arbeit fallenden Frage verzichten muß.
Soweit sich ein solcher Zusammenhang festhalten oder annehmen
läßt wäre hierin ein neues Argument für die Ursprünglichkeit
der Hundertschaftsverfassung zu sehen. Denn als civitates im
Sinne von Caesar und Tacitus sind eben diese Kleinkönigreiche
anzusehen, die dann als solche ebenso nur in Hundertschaften
(pagi) zerfielen wie späterhin als Grafschaften. Man darf eben
nicht übersehen, daß das fränkische Großreich eine Anzahl von
Gebieten umfaßt, die in germanischer Zeit selbständige Klein-
staaten waren2)
»erden in können: es mochte Vorkommen, daß der Cuntenar den Grafen
vertrat, aber sein eignes Hecht erstreckte sich nicht mehr auf dieses Gebiet.“
') V. U. I S. 414 Anm. 1«.
s) Zu dieser Frage wäre zu vergleichen die eingehende Arbeit von
l'h. I'iot, Los pagi de la Belgique et leurs subdivisions pendant le mojen
age in Memoires coumnnes publies pur l'academic royale de Hetgiipie.
XXXIX. (187 ff.). Über die salischen Gaukönige vgl. Schröder K. G.5 S. 107.
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138
VII. Fortsetzung; huntarl, del, go.
Ffir die östlich des Rheins gelegenen Gebiete fließen die
Quellen noch spärlicher. Am ergiebigsten sind die des ala-
mannischen Landes, über dessen eentenae zuletzt Dahn1) unter
Zurückweisung der völlig unhaltbaren Ansichten von Cramer2)
gehandelt hat. Leider ist aber die wesentliche Frage, ob die
alemannischen eentenae von den Franken eingeführt5), oder ur-
sprüngliche Einrichtungen sind, nicht entschieden, sondern nur
mit Recht hervorgehoben . daß das häufige Vorkommen der Bc-
zeichung huntari statt centena für alamannischen Ursprung geltend
zu machen ist.
Da das alamannische huntari4) jedenfalls ein Gebiet, ein
Bezirk, ist, was z. B. die Wendung villa sita in centena kreigow
nuncupata*) erkennen läßt, so ergibt sich für uns ein schwer-
wiegendes Argument für seine Ursprünglichkeit aus der Erwägung,
daß die Hundertschaft eine urgermanische Einrichtung ist und
in den alamannischen Gebieten um so sicherer einmal vorhanden
gewesen sein muß, als hier zum Teil jedenfalls eine haufenweise
Einwanderung, nicht eine kolonisierende Eroberung stattgefunden
hat®). Sodann spricht gegen die Einführung durch die Franken
der Umstand, daß die Franken die Hundertschaft nicht einmal
in den Gebieten eingeführt haben, die von ihnen kolonisiert wurden
') Könige, IX, 1. S. 98 ff. Außer der dort angegebenen Literatur wäre
zu vgl. Brunner, RG. Iä S. 161.
*) J. Gramer, Die Geschichte der Alamannen als Gaugcschichte. Da-
zu VVerminghoff in ZUG.'-' XX S. ‘.'82 f, I,. Schmidt in Hist. Viertel-
jahrssch. 1901 S. 91 ff.
5) Das nimmt z. B. an Schröder, KG.® S. 19 Anin. 15. Auch
Brunner, RG. Ia S. 161, spricht von verhältnismäßig jungem Ursprung.
A. M. E. Mayer, VG. I S. 435 Anm. 2.
4) Vgl. Grimm, RA. 11‘ S. 56. E. Mayer, Deutsche u. französische
Verfassungsgeschichte 1 S. 413 f., bes. 414 Anm. 19.
*) Das Gitat ist entnommen aus Dahn a. a. O. 8. 101 Anm. 8. Vgl.
noch Wirtemb.-Urk. B. I 42 hoc est infra marcha illa. qui vocatur Muntarihcs-
huntari.
#) Vgl. hierzu Schröder, RG.® S. 95, Brunner, RG. I3 S. 42,
K. Weller, Die Besiedlung des Alamannenlandes S. 33.
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139
und die unmittelbar unter der Herrschaft des fränkischen Königs,
nicht unter der eines Stammesfürsten, standen').
Zudem reichen auch liier die Quellenbelege bis in die mern-
wingisehe Zeit zurück. Die ältesten Urkunden, die den eentenarius
nennen, finden sich, wie schon wiederholt festgestellt, in den
Traditiones Wizeburgenses *). Und daLi aucli liier zu dem cente-
narius eine centena gehörte, dieser Schluß dürfte so wenig gewagt
erscheinen, wie bei dem eentenarius der Lex Salica und der Lex
Ribuaria3). Das Argument Brunner’s, es verrate die alaraan-
nische centena „insofern einen verhältnismäßig jungen, auf Radi-
ziening eines persönlichen Verbandes hinweisenden Ursprung, als
die meisten Hundertschaftsnamen aus einem Personennamen ge-
bildet sind, augenscheinlich aus dem Namen des Hundertschafts-
vorstehers, unter dem die Benennung zu dauernder Geltung ge-
langte“, steht dem nicht entgegen.
Allerdings sind gerade die alamannischen Huntaren nach
Personen benannt, und weisen nur selten lokale Namensbildung
auf4). Wir haben auch keinen Nachweis dafür, daß diese Namen
auf die Ansiedlung zurückgehen. Es läßt sich nicht behaupten,
daß etwa das Munigisingerhuntare das Ansiedlungsgebiet der Leute
eines Munigis war, das Munterieheshuntare das der Leute eines
Munterich u. s. 1. Die Namen können sehr wohl, wie Brunner
meint, die der Hundertschattsvorsteher sein, unter denen die
Huntare zu dauernder Geltung gelangte. Ich vermute, daß diese
alamannischen Huntaren in frühester Zeit entweder überhaupt
keine Namen hatten oder nach dem jeweiligen Hundertschafts-
vorsteher benannt wurden. Was dann der Grund war, aus dem
der Name eines solchen Vorstehers dauernd beibehalten wurde,
laßt sich nicht feststellen4). Andererseits aber müssen wir nicht
>} Vgl. oben S. 136.
*) Bei Waitz, VU. 11,2* S. 13 Anm. 2.
*) Für alamannischen Ursprung auch Kietschci, a. a. 0. (S. 34
Anm 1), S. 8.
4) Vgl. Dahn, a. a. 0. S. 99 Text und Anm. 4.
4) Zu weit geht in der Ausnützung der Hundcrtschaftsnamen K. Weiler,
i. a. O. S. 10 ff. der auch die Bedeutung der Endungen — ing und — ingen
überschätzt. Immerhin darf mau Tatsachen wie die. dal! eine villa Munigi-
singa der Mittelpunkt und die Dingst&tte eines .Munigiscshuntarc ist, auch
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140
an nehmen, daß die „Radizierung“ des persönlichen Verbandes
nicht frülier als die Namengebung erfolgte.
Keinenfalls ist daran zu denken, daß das, wie Mayer meint,
Hundertschaften von „Erbherrn“ waren. Soweit überhaupt das Amt
eines Hundertsohaftsvorstehers im Mittelalter erblich werden konnte
— eine Frage, die hier nicht zu entscheiden ist — ist dies in
Perioden erfolgt, die hier nicht in Betracht kommen, da selbst
Brunner annimmt, daß die alamannischen Hundertschaften in die
Zeit vor der fränkischen Eroberung zurückreichen.
Daß, wie Dahn ausführt, „sogar in dem, dem alamannischen
so nah verwandten Baiernreeht fast alle Spuren von Hundert-
schaften“ fehlen, ist nicht entscheidend, denn auch bei nächst
verwandten Völkern, ja sogar innerhalb desselben Volkes, kann
ein verschiedener Resiedlungsprozeß da Hundertschaften haben
entstehen lassen, dort nicht, oder können spätere Ereignisse sie
da haben untergehen lassen, dort nicht1).
Wir haben also keinen Grund, in dem alamannischen huntari
eine Neubildung der fränkischen Zeit zu sehen.
Werfen wir sodann einen Blick auf die Verfassung, ins-
besondere die Gerichtsverfassung, so ergibt sich Folgendes.
An der Spitze stand zu Beginn der Merowingerherrschaft der
Volksherzog (du.x), zugleich Beamter des fränkischen Königs.
Er ist der oberste Richter. Aber weder hält er ordentliches
Gericht, noch ist er ordentlicher Richter. Ob er am ordentlichen
Gericht, im puhlicus mallus, erscheinen und den Vorsitz über-
nehmen kann, wie Dahn meint, ist mir fraglich. Aus der von
Dahn hierfür angeführten Stelle geht das nicht hervor. Für die
Entscheidung käme sehr in Betracht, ob der Richter des ordentlichen
Gerichts seinen Bann vom Herzog oder, sei es mittelbar, sei es
unmittelbar, vom König hat. Verleiht ihm der Herzog den Bann,
dann ist es verständlich, wenn dem Herzog bei seinem Erscheinen
im mallus puhlicus das Gericht ledig wird. Für uns ist diese
nicht unterschättcii. Mag diese villa die Aiisicdlung einer Sippe oder einer
Schar unter Anrührung eines Munigis oder nach einem Vorsteher benannt
sein, in allen Fällen bleibt die Wahrscheinlichkeit, daU sie die erste An-
siedlung in diesem huntari ist und daU von dort aus die weitere Besiedlung
unter Kesthaltung des ursprünglichen Mittelpunkts erfolgte.
') Wie Dahn auch Brunner, EG. 1’ S. lfil Anm. 19.
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141
Frage nicht von Bedeutung und es penQtrt daher, auf sie hinge-
wiesen zu haben ').
Unter dem Herzog stand, wie in Franken unter dem König,
der comes. Wie der fränkische comes kein Urafengericht, kein
Hangericht hat. so ist es auch für den alamannischen comes
charakteristisch, daß er kein Grafending halt, sondern, wenn
überhaupt, dann eben dem Gericht vorsitzt, dessen Leitung auch
dem centenarius zusteht, dem Gericht der centena.*)
Lex Alam. XXXVI, l.1)
Ut conventus secundum consuetndinem antiquam fiat in
omni centena coram comite aut suo misso et coram centenario.
Wenn somit in jeder centena Gericht stattfindet, so sind die
Dingpflichtigen deren Einwohner und das Gericht ist ein Centenen-
gericht. Fraglich ist aber das Verhältnis des comes zum cente-
narins.
Da nach Lex Alam. XXXVI. 1. alle sieben Nächte in jeder cen-
tena ein Ding stattfinden kann, alle vierzehn Nächte mindestens
stattfindet, so ergibt sich bei mehreren Hundertschaften zumal,
wie sie ja in einem Grafenbezirk vereinigt waren, eine so grolle
Anzahl von Dingen innerhalb eines Jahres, daß schon diese Zahl
dagegen spricht, daß der ordentliche Richter an diesen Dingen
der comes sein sollte. Allerdings ist, wie man einwenden könnte,
dieser Mangel durch die Einführung des missus comitis wenigstens
zum Teil ausgeglichen. Aber m. E. spricht gerade das Dasein
des missus comitis für die hier vertretene Auffassung. Es ist
unverständlich, daß man einen ordentlichen Richter sollte ein-
gesetzt haben, der der bestehenden Organisation nach von vorn-
herein nicht in der Lage war, sein Richteramt auszuüben, dem
man infolgedessen schon von Anfang an einen Ersatzmann stellen
mußte. Dagegen steht nichts im Wege, den centenarius als den
ordentlichen Richter der centena anzusehen. Dies ist auch das
*) Vgl. Dahn, a. a. 0. 238, 2791T, Brunner, R(i. II' S. 1Ö7 f.
*) Über die Frage eines Zusammenhangs zwischen den Gaugrafsehafton
der fränkischen Zeit init den alten, selbständigen, für sich unter einem
Herrscher stehenden alamannischen (ianen vgl. K. Weller, a. n. 0. S. 4ü f,
«o m. E. zutreffend ein Zusammenhang ahgelehnt ist. Seilte er bestehen,
so gilt auch hier das oben S. 137 Gesagte.
*) Nach der Ausgabe von K. Lehmann in der ^uartscrie der MGI Li.
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142
Ergebnis der in sich nicht klaren Ausführungen Dahn ’s, dem ich
insoweit zustimme.
Dagegen muß ich Dahn widersprechen, wenn er sagt: »Als
das Regelmäßige setzen die Quellen zwei Beamte in dem Hundert-
schaftsding voraus: den Grafen (oder dessen außerordentlichen
Vertreter, seinen missus) und den Centenar“ oder »Regelmäßig
handeln Graf und Centenar zusammen“; und wenn er dann dieses
Zusammenwirken von Graf und centenarius am Ding damit
erklären will, »daß der Graf, der in verschiedenen Hundert-
schalten seines Gaus Gericht hielt, deren Beamten zur Seite
haben mußte Mit dieser allgemeinen Wendung kann
man nicht der Frage entgehen, welche Funktionen der centenarius
neben dem comes bekleidet haben soll. Und diese Frage ist doch
sehr berechtigt gegenüber der Behauptung, daß zwei »Richter“,
von denen noch dazu einer dem anderen übergeordnet ist,
nebeneinander Gericht gehalten haben sollen.*)
Man wird unwillkürlich erinnert an den sächsischen Grafen
und den Burggrafen des Magdeburger Rechts mit ihren Schult-
heißen. Dies umsomehr, als ja auch der Schultheiß des Sachsen-
spiegels eine, wenn auch beschränkte, Gerichtsbarkeit hat*), und
der Schultheiß zu Magdeburg im Laufe der Zeit sogar den Burg-
grafen aus der Stellung des ordentlichen Richters verdrängt hat.3)
In diesen Rechtsgebieten ist in der Regel der Schultheiß not-
wendiges Mitglied des Grafengerichts und der Führer der urteil-
findenden Schöffen, und es fragt sich, ob etwa auch der alaman-
nisehe centenarius eine ähnliche Stellung hatte.
Doch ist zuvor noch auf die von Dahn für seine Meinung
gebrachten Quellenhelege einzugehen. In der Tat sagt Lex
Alam. XXXVI. 1 :
Ut conventus secundum consuetudinem antiquain fiat in
omni centena coram comite aut suo misso et coram eentenario.
Dahn legt hier Gewicht auf das „et“ und schließt daraus,
daß der Regel nach comes und centenarius zusammen am Ding
wirken müssen. Dieses „et“ wird aber vollständig aufgewogen
durch die in demselben Kapitel folgenden disjunktiven „aut“.
■) Auch Waitz hatte, V(I. II,1 S. 146, diene Ansicht vertreten.
*) Planck, Gerichtsverfahren I S. f).
3) ebda. S. "24 f.
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143
Wenn, wie Dahn voraussetzt, der Gesetzgeber den Vorsitz des
eentenarius als die seltene Ausnahme hätte behandeln wollen,
dann hätte er nicht im Folgenden geschrieben
„Si quis antem über ad ipsum plncitum neglexerit venire
vel semetipsum non praesentaverit aut comite aut centenario
aut ad missum comiti in placito . . . .“ oder et vadium
suum donet ad misso conmiti vel ad illo centenario, qui
praeest . oder „Et si est talis persona, quod comis ad
plaeitum vel eentenarius vel missns comitis distringore non
potest“.
Eine Sache für sich ist es, (lall der eentenarius. wenn der
Graf Gericht hielt, in der Regel anwesend gewesen sein wird.
Vielleicht auch hat er neben dem Grafen Platz genommen, sodaß
die obige Fassung mit „et“ ganz gerechtfertigt ist. Aber daraus
folgt eben nicht, daß er zur Besetzung des Gerichts gehörte und
daß er dort bestimmte Funktionen hatte. Andererseits erklärt es,
daß er in den von Waitz') und Dahn angeführten Urkunden
ans den Trad. Sang, mit unterzeichnet und aufgeführt wird. Will-
kürlich aber bleibt es für alle Fälle, wenn Dahn in der von ihm
eitierten Rheinauer Formel „in publieo mallo . . in praesentia
comitis . . . vel centurionis . . . ceterique populi“ das „vel“
ohne weiteres durch „et“ ersetzt, um einen Beweis für seine
Thesis zu erhalten.
Was sodann den angezogenen Vergleich mit der sächsischen
Gerichtsverfassung anlangt, so kommt hierfür in Betracht die
Lex Alain. XLI 1 : Ut causas nullus audire praesumat, nisi qui a
duce per conventiouem populi iudex constitutus sit, ut
causas iudicet
2. Si autein ille, qui ad illum iudicium audire (lebet, in
hoc constitutus est, iudicium suum contemnit, dum ille iuste
indicaverit et dedignat euin audire et spernit eum et
arguit coram aliis et dicit: „Non rectum iudicas’ dum ille
rectum iudicat, et si hoc ab aliis iudieibus inquisitum
fuerit, quod ille iuste iudicavit, ille contemptor, qui iudici
iniuriam fecit, solvat 12 solides ad iudicem illum ....
‘) V(i. II3 S. 146. Amu. ö.
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H4
Zu dieser Stelle bemerkt nun Dahn: „Die Urteil schelte
gegen den Centenar („non recte judicas“) zieht die Sache an
andere Centenare (aliis judicibus) des Gaus: [aber an welche?]
diese scheinen dann zusammen den l'rteilsvorschlag gemacht zu
haben . . .“. *) Er setzt damit den centenarius in die Stellung
eines amtlichen Urteilfinders.
Diese Auslegung, selbst Hypothese, beruht auf der weiteren
Hypothese, daß iudex = centenarius. Bei der schwankenden Ter-
minologie des alamannischen Volksrechts wie des bairischen kann
diese Gleichung nicht schlechthin verworfen werden. Es ist an
sich sehr gut möglich, daß iudex den centenarius bedeutet, wie
es andererseits auch möglich ist, daß centenarius für comes
steht.8) Aber willkürlich ist es, ohne weiteres anzunehmen, daß
der iudex einer bestimmten Stelle der Centenar sein soll. Dies
umsomehr, wenn damit eine Interpretation erreicht wird, die
durch keine anderen Gründe unterstützt wird. Hier haben wir
für die Annahme, daß ein Obergericht aus Centenaren bestanden
habe, einen Gl und weder in den früheren noch in den späteren Zu-
ständen. Und wenn sich dies auch aus den Umwälzungen im ala-
mannischen Recht zu Beginn der fränkischen Zeit und aus der späteren
Einführung der fränkischen Schöffenverfassung erklären läßf, so darf
man doch an der Tatsache, daß die I) a h n ’sche Auslegung nur
auf Hypothese ruht, nicht achtlos vorübergehen. Wer die iudices
der angeführten Stelle sind, läßt sich eben nicht von vornherein
sagen, sondern nur aus dieser Stelle erschließen. Dies veranlaßt
zu einer neuerlichen Interpretation3).
Bei genauer Betrachtung von Lex Alam. XLI und Vergleichung
mit den übrigen Bestimmungen fällt auf der Schluß „quin sic
convenit duei et omni populo in publico eoneil io“. Die ausdrück -
■) Könige IX, 1 S. 306: diese Ansicht geht wohl zurück nuf Waitx,
VO. II, 23 S. 174 f.
a) Über diese Krage vgl. Waitx, VG. II, 23 S. 148 fT. dom gegenüber
ich betonen timll, daß cs nicht darauf ankommt, ob au dieser und jener
Stelle comes oder centenarius = judex, sondern darauf, ob es immer so ist.
3) Verständlicher als die liahu's ist die Meinung von Schröder,
der Mi.3 S. 379 einen Hrchtszug an das herzogliche Hofgericht annimmt.
Aber auch dies ist reine Hypothese, da wir nichts davon wissen, da L> sieh
am Hofgericht ein Kollegium von iudices befand.
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145
liebe Hervorhebung der Zustimmung von dux und popnlus, die
sich außerdem nur am Beginn des Pactus und der Lex, aber nie
bei einer einzelnen Bestimmung findet, weist schon darauf hin.
daß hier eine Änderung des bisherigen Rechts und zwar von be-
sonderer Bedeutung erfolgte.
tieregelt wird das Verfahren bei der llrteilssehelte, und wenn
vir beachten, daß nach germanischem Recht die Urteilsschelte
zum Zweikampf führte, so ergibt sich als wahrscheinlich, daß in
unserer Stelle gerade der Zweikampf ausgeschlossen werden soll.
Aber diese Annahme erschöpft noch nicht die Fragen, die die
Stelle gibt. Es ist weiter auffällig, daß der Urteilsscheiter kein
besseres Urteil finden muß. Er behauptet lediglich, daß der
iudex falsch urteilt (non rectum iudicas; ohne zu sagen, wie das
Urteil lauten sollte, obgleich Lex Alam. XLIV das Finden des Ge-
genurteils kennt.
Daraus, wie aus dem ganzen sonstigen Verfahren, ist zu
schließen, daß es sich hier überhaupt nicht um eine Urteilsschelte
im technischen Sinn handelt. Aber dann entsteht die Frage, was
sonst hier gemeint sei. Gibt es überhaupt ein Mittel zwischen
Urteilsschelte und Unterwerfung unter das Urteil?
ln der Tat kennt einen solchen Mittelweg der Sachsenspiegel.
Nachdem der Spiegler in II 12 §§ 4 — 9 die Urteilsschelte be-
handelt hat, die zum Zweikampf führt, folgt
§ 11. Wedersprict en die vulbort unde vint he en ander
ordel, svelker die merren volge hevet, die behalt sin ordel,
unde blivet es beide sunder gewedde, wende ir neu des
anderen ordel besculden ne hevet.
Es wird hier ausdrücklich unterschieden zwischen dem
Schelten des Urteils und dem Widersprechen. Noch deutlicher
ist dies im Schwabenspiegel, der zwar die Stelle des Sachsen-
spiegels nicht gut verstanden hat, aber doch den Schluß bringt
116(L.) . . . wände si nieiuan ein vrteil beseholten hant
und dann zur Erklärung fortfahrt
wir heizzen daz beseholten vrteil. Swer also spriehet
Ich wider wirfe die vrteil wan si ist vnreht vnde ich zivhe
si da hin dar ich si zerehtc ziehen sol. . . .
Die mit dem Urteil unzufriedene Partei schilt nicht das Ur-
teil, sie erhebt nicht gegen den Urtciltiuder den Vorwurf der
v. Schwerin, altserw. UumlcrUchaft 10
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14fi
Rechtsbeugung, sondern sie hindert nur durch ihre Widerspräche
die Vollbort; es kommt nicht zum Kampfe, sondern die Ent-
scheidung hängt davon ab, welchem Urteil die größere Menge
folgt. Weil das Urteil nicht gescholten ist, muß kein Gewedde
gezahlt werden. Vermutlich erhält auch der Gegner keine Rußt*.
Ein ähnliches Verfahren scheint mir Lex Alam. XL1, 2 zu
behandeln. Allerdings erfahren wir nichts davon, daß der Wider-
sprecher des Urteils ein besseres Urteil finden mußte. Aber volle Aus-
führlickeit dürfen wir auch von einer Quelle dieser Zeit nicht
verlangen. Auch das ist verschieden, daß in der Lex in jedem
Falle 12 sol. zu zahlen sind, entweder vom Richter oder vom
Widersprecher, während davon in den Spiegeln keine Rede ist.
Das erklärt sich daraus, daß die Lex voraussetzt, daß dem iudex
eine iniuria widerfuhr. Die Fälle decken sich eben nicht, sondern
sind nur ähnlich1).
Der für uns bedeutungsvolle Unterschied endlich ist der,
daß nach dem Sachsenspiegel ausweislich des Richtsteigs Land-
rechts c. 48 § 3 die Mehrzahl der „Dingpflichtigen“ den Aus-
schlag gibt, während hier alii iudices zu urteilen haben. Und
es ist auch nach dem Sprachgebrauch dieser Quellen ausgeschlossen,
daß alii iudices die Dingpflichtigen, den Umstand, bezeichnen soll.
Wir kommen zurück zu der Frage nach der Bedeutung von iudex
an unserer Stelle und haben sie nun zu entscheiden unter Berück-
sichtigung der bisherigen Ausführungen.
Dabei weise ich zunächst hin darauf, daß der Scheiter seine
Schelte vorzubringen hat coram aliis. Wer sind nun die alii?
Diese Frage hat, wie ich sehe, noch niemand zu beantworten ver-
sucht. M. E. ist, wenn man die Fassung arguet eum coram aliis
vorurteilslos betrachtet, klar, daß die alii dem is koordinirt sind.
Es stehen im Gegensatz is und alii. Dabei kann man aber unter
alii nicht etwa die versammelte Gerichtsgemeinde verstehen. Zu-
nächst ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, wenn er den
Umstand hätte nennen wollen, sich so ausgedrückt haben würde.
Sodann ist nicht ersichtlich, was der Zusatz „coram aliis“ be-
') Vielleicht beruht die Zahlungspflicht auf einer zwischen Urteiler und
Partei abgeschlossenen Wette; inan beachte das schwedische vtepia undir
laghmnn. Vgl. v. Anlira, Obl-R. I S. 198.
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147
deuten soll, wenn man alii als die Gerichtsversammlung ansieht
und so in der Stelle eine Gegenfiberstellung von Richter und
Volk annimmt. Daß die Schelte unverwandten Fußes erfolgen
soll, kann damit nicht gesagt werden wollen. Wenn aber die
alii dieselbe Funktion haben wie der is, oder, wie oben gesagt,
dem is koordiniert erscheinen, dann sind sie auch iudices und
es ist der Schluß gestattet, daß sie die alii iudices sind, die über
das gescholtene Urteil befinden1).
Wenn aber nun die alii mit den alii iudices identisch sind,
so folgt daraus, daß sich an der Gerichtsstelle mehrere iudices
befinden. Denn das ist nach allem, was wir Ober die germanische
Urteilsschelte wissen, klar, daß sie in dem Gericht erfolgen muß,
in dem das gescholtene Urteil gefunden wurde. Und überdies
spricht dafür der Wortlaut, von den alii iudices sagt der Wider-
sprechende nicht etwa non rectum iudicavis, sondern non rectum
iudieas. Das arguere coram aliis ist demnach aufzufassen als ein
Beschuldigen des iudex vor den anderen iudices. Andererseits
aber folgt daraus, daß die über die Schelte befindenden iudices
nicht eine Versammlung der Centenare das Gaus sein können,
und daß die Schelte nicht an das Herzogsgericht gehen kann,
für das alii iudices ohnedies eine sehr eigenartige Bezeichnung
wäre.
Wrenn aber, wie demnach anzunehmen ist, in einem Gericht
mehrere iudices vorhanden waren, dann wird dieser alamannische
iudex auch nicht, wie v. Amira1) annimmt, der Gerichtshalter
sein ; denn nur eine Person ist als Gerichtshalter denkbar. Besser
schon verträgt sich damit die Ansicht von Brunner3), daß der
alamannische iudex „ nicht ein Richter, sondern ein dem bairischen
Iudex verwandter Rechtsprecher gewesen sein dürfte.“ Auch m. E.
geht gerade aus der bisher erörterten Stelle hervor, daß der dort
genannte iudex den Urteilsvorschlag einzubringen hatte. Die
übrigen iudices, die alii unserer Stelle, sind dann auch zu erklären
als Urteilfinder. Im einzelnen Fall aber hat nur einer das Urteil
') UaU Schöffen über die Richtigkeit des Urteils eines Mitschöffen
za entscheiden haben, kommt vor. Vgl. Warnkönig, Flandrische Staats-
und Rechtsgeschichte III, S. 327.
*) Grundriß1 S. 155.
*) Rg. I» S. 205.
10*
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N8
zu finden, die andern haben zu folgen oder die Folge zu ver-
weigern. Damit vereint es sich dann gut, daß nur eine Buße von
12 solidi zu zahlen ist1).
Damit ist die Möglichkeit noch nicht ausgeschlossen, daß
nicht doch der iudex, der den Urteilsvorschlag einzubringen hat.
in dem vom Grafen gehaltenen Gericht der centenarius ist. Ks
widerspricht dies aber aller Wahrscheinlichkeit. Man darf nicht
übersehen, daß das vom Grafen geleitete Gericht auch vom cen-
tenarius geleitet werden kann. Das Gericht des Centenars ist
nicht von dem des Grafen verschieden, wie in Sachsen das des
Schultheißen von dem des Grafen. Bei dieser Sachlage ist es
das natürlichste, daß, wenn der Graf in das Gericht kommt, der
Centenar ihm seinen Platz räumt und damit überhaupt ausscheidet.
Rs ist nicht anzunehmen, daß er dann an die Spitze der iudices
sich stellt und dem Grafen Urteil findet. Auch im salisclien
Recht nimmt der Graf an der Dingstätte den Platz des Centenars
ein und dieser scheidet aus. Im friesischen Recht wird nicht,
wenn der grcwa sein bodthing hält, der scelta zum asegha, der
sächsische Graf nicht, wenn der König kommt, zum Schultheißen.
Umgekehrt ergibt sich aus der Möglichkeit, daß der Graf den
centenarius vertritt, die Notwendigkeit eines besonderen Urteil-
finders. Denn der Graf kann nicht Urteil finden. Und die Folge
ist dann, daß auch im Gericht der Centenars der Urteilfinder er-
scheint.
Fassen wir die bisherigen Ausführungen zusammen so ergibt
sich, daß der iudex in Lex Alam. XLI. Urteilfinder ist und daß
der Centenar mit diesem iudex nicht identisch ist, dessen Funk-
tionen nicht zu versehen hat*). Von hier aus aber ist nicht zu er-
sehen, welche Funktion überhaupt der centenarius neben dem
Grafen im plaeitum gehabt haben sollte und deshalb komme ich
*) Vgl. andererseits Lex Sal. LVIL Zusatz I. Si veru rachinburgii legem
dixerint et ille contra quem legem dieunt eos contradixerit, quod legem
non iudicant, simili modo contra unumqnemquc aolidos XV culpabilis
iudicetur. Die rachinburgi urteilen gemeinschaftlich: Ego tos tangano.
*) Keineswegs bestreite ich, dali au anderen Stellen der Lex Alam.
auch iudex = centenarius oder comes stehen kann: iudex kann sehr wohl
technische Bezeichnung für eine bestimmte Gerichtsperson sein, und danebeu
Beamter schlechthin bedeuten.
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149
in Widerspruch zu I)ahn zu dem Ergebnis, daß nicht der Graf
neben dem centenarius dem Gericht vorsaß, sondern entweder
der comes oder der centenarius.
Hält man nun zusammen, daß der Graf nicht Grafschafts-
ding sondern Hundertschaftsding hält, daß er am Hundert-
srhaftsding den centenarius verdrängt, so ergibt sich nicht nur,
daß das Hundertschaftsding das ordentliche Gericht der Alamannen
ist, sondern es ist auch zu erschließen, daß es vor Einführung
der Grafschaftsverfassung vorhanden war. Daß es das ordentliche
Gericht war, bedarf keiner weiteren Begründung, da es außer dem
des Herzogs das einzige war. Als ursprünglich und vor der
Grafschaft vorhanden muß es eben deswegen angesehen werden,
weil der centenarius dort als der ordentliche Richter erscheint
und als vom Grafen beiseite geschoben. Dieses Verhältnis kann
nur so entstanden sein, daß der Graf den centenarius als ordent-
lichen Richter der centena vorfand. Wäre nicht das Ding der
eentena mit dem centenarius vorhanden gewesen, dann hätte der
Graf vielleicht auch an Stelle eines Grafschaftsdings Hundert-
schaftsdinge eingerichtet, aber er wäre zum ordentlichen Leiter
bestellt worden und er hätte dann für seinen Verhinderungsfall
den missus geschickt. Daß aber an Stelle des Grafen zwei Per-
sonen am placitum der centena den Vorsitz haben können, der
missus oder der centenarius, zeigt recht deutlich die Ursprünglich-
keit des Amtes des centenarius.
Aus den Namen centena und centenarius, aus der Stellung
des placitum in der centena und des centenarius ergeben sich An-
haltspunkte, die den Schluß rechtfertigen, daß die centena, für
die wir überdies auch ihre einheimische Bezeichnung huntari
überliefert haben, eine altgennanische Hundertschaft ist ').
Diese huntari haben sich nicht nur gegenüber der Grafschafts-
verfassung als sehr lebenskräftig erwiesen, sondern haben auch in der
') Eine Frage für sich ist es, ob sich die Hundertschaftsverfassung
im ganten alamannischen Gebiete der fränkischen Periode gefunden hat.
Vgl. hierüber K. Weller a. a. 0., S. 32, dem ich aber bezüglich der Schweiz
mit Rücksicht auf die Art der Siedlung dortselbst nicht zustimmen kann:
auch im Elsaß wird man sich vor Verallgemeinerung aus diesem Grunde
hüten müssen! Die Unterschiede in der Siedlungsweise hat Weller selbst
a. a. U. S. 33 f. erörtert.
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150
Folgezeit sehr deutliche Spuren hinterlassen '). Bezeichnungen
von Bezirken wie Glehuntra, Munigiseshuntare, Ruadolfeshun-
tare, Swerzenhuntare, Muntharishuntare, finden wir bis zum Ende
der Karolingerzeit. Auch die Grenzen dieser Bezirke sind fest-
gestellt worden*). Jedoch lassen sich aus der Größe dieser Hun-
taren, obgleich sie alle in frühere Zeiten zurückreichen und auf
alte alemannische Hundertschaften zurückzufflhren sind, keine
Schlüsse auf eben diese Hundertschaften ziehen. Nicht nur
haben die angestellten Untersuchungen ergeben, daß in der vor
uns offen daliegenden Zeit im Bestand dieser Hundertschaften
eingreifende Veränderungen vor sich gegangen sind, sondern wir
haben auch keinen Einblick, inwieweit vor dieser Zeit solche Ver-
änderungen stattgefunden haben. Es wird von manchen Schrift-
stellern, namentlich Nationalökonomen, immer wieder übersehen,
daß es wegen eben dieser Veränderungen, wie sie im Laufe der
Zeit vor allem durch Neurodung entstehen, ganz müßig ist, Be-
rechnungen über Größe und Umfang solcher Huntaren anzustellen.
Man darf nicht außer Acht lassen, daß das Ziehen von Grenzen
zwischen zwei Hundertschaften in anbetracht der damaligen Zu-
stände erst dann verständlich wird, wenn durch Neurodung die
Ansiedlungen näher aufeinandergerückt sind. Das ist aber in
vielen Fällen erst lange nach der Ansiedlung der Fall. Und
selbst, wenn da und dort ursprüngliche Hundertschaftsgrenzen sich
finden sollten, dann sind diese Berechnungen schon um deswillen
ohne Bedeutung, weil an einer altgerraanischen Hundertschaft
Zahlenbeziehungen überhaupt nicht zu entdecken sind. Dies vor
allem gegen Meitzen3).
Im übrigen verweise ich bezüglich der Weiterentwicklung der
alamannischen Hundertschaften auf die gründlichen Untersuchungen
von Stalin4), Baumann5), und W. Schultze8), deren Re-
*) Aber nicht erscheinen sic, wie Mayer V.-U. I. 435 behanptet, im
11. Jahrhundert als „wehrhafte Kidverbände*.
*) Vgl. die Karte bei Cramer Alamannen.
3) Siedlungen I S. 141 und besonders 467. Gegen ihn auch Dahn,
a. a. 0. 8. 99 Anm. 5.
4) Würtembergische Geschichte I S. 272 ff.
5) Gaugrafscbaften, S. 126 (Hattenhuntare), 71 (Swerzenhuntare), 8fi
(Goldineshnntare), 81 (Munigiseshuntare), 114 (Glehuntare).
*) W. Schultze, die Abgrenzung der Gaugrafschaftcn des alamannischen
Bodens (1905).
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151
sultate von Cr am er ') wiederum zusammengestellt worden
sind *).
Bei dem zweiten oberdeutsehen Stamme, dem der Baiern,
sind die Anhaltspunkte für eine Hundertschaftsverfassung noch
geringer als bei den Alamannen. Während wir dort wenigstens
die Ausdrücke centena und huntari finden, sind diese den
bairischen Quellen vollkommen fremd. Nur das Amt des cen-
tenarius findet sich.
Dieses Schweigen der Quellen hat zu einer noch schwebenden
Kontroverse über die Hundertschaften in Baiern geführt. Die
Kechtshistoriker stehen überwiegend auf einem ablehnenden Stand-
punkt5). Erst jüngst hat Hietschel '), zunächst ohne Quellen-
nachweis, behauptet, auch in Baiern die Hundertschaftsverfassung
nachweisen zu können. Er stellt sich damit auf die Seite von
Riezler5), Waitz‘), Merkel7) und Doeberl*). Da es m. E.
doch nicht „der Liehe Müh umsonst“ ist, in Baiern Hundert-
schaften zu suchen, wie Dahn meint5), so soll nun hier diese
Streitfrage neu behandelt werden.
Wie bei den Alamannen, so treffen wir auch hier auf einen
Beamten der den Titel iudex führt und constitutus est iudicare.
Bezüglich dieses iudex steht fest, daü er nicht Gerichtshalter ist,
sondern Urteilfinder w). Als Gerichtshalter aber kennt die Lex
Baiuv. nur den comes, dessen Amtsbezirke der comitatus ist. Alle
14 Tage oder am ersten jeden Monats findet ein placitum statt,
an dem jeder Inwohner des comitatus zu erscheinen hat;
') Alamannen SS. 418, 430, 435, 437, 462, 482, 485, 488.
*) Vgl. hierzu Dahn a. a. 0., 8. 99: auch Wnrdtwein Dioecesis
Moguntina, wo ebenfalls die einzelnen alamannischen Huntaren behandelt
werden.
*) Vgl. Brunner Rg. I* S. 161 II1 S. 146. Voltclin i, die Entstehung
der Landgerichte im bairisch-österreichischen Hechtsgebiete. S. 4 ff.
*) Verhandlungen des deutschen Histurikertags 1906 S. 9.
5) Geschichte Baiems I S. 126, 136.
*) Waitz, VG. 11,1 S. 404.
0 Zeitschr. f. d. Hecht, XII, S. 284.
t) Entwicklungsgeschichte Bayerns I S. 52.
») Könige IX, S. 71 ff.
'*) Vgl. v. Amira Grundriß5 S. 155. Brunner RG. 1J S. 204.
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152
Lex Rai. II, 14.
„Ut placita fiant per kalendas aut post 15 dies, si necessc
est ad causas inqnirendas, ut sit pax in provincia. Et
omnes liberi conveniant constitutis diebus, ubi iudex ordina-
verit; et nemo sit ausus contempnere venire ad placitum
qui infra illum comitatum manent . . .“
Dazu bemerkt Dahn einerseits „da cs nun bei den Bayern
keine Hundertschaften gab, weder eigentliche hoch uneigentliche,
ist nur an Versammlungen für die ganze Grafschaft zu denken;"
andererseits aber „placita für den ganzen Gau gab es so wenig,
wie bei Alamannen und Franken.“ Richtig ist nun jedenfalls,
daß die bairischen Gaue vermutlich zum Teil, und zwar in ihrer
überwiegenden Mehrheit, zu groß waren, als daß sich alle Gau-
genossen auch nur am ersten jeden Monats zum Gericht hätten
versammeln können '). Die Frage ist aber, wie diese unbestreit-
bare Tatsache mit dem Text des Gesetzes in Einklang zu bringen
ist. Man kann annehmen, daß unsere Stelle nur sagen will, daß
jeder Freie dingptlichtig ist, ohne zu sagen, daß alle Freien zu
allen Gerichten im comitatus erscheinen müssen. Man müßte dann
weiter annehmen, daß der Graf richtend in seinem Bezirke umher-
zog, bald da bald dort Gericht haltend, und daß die Dingpflichtigen
zu den einzelnen Gerichten aufgeboten wurden, etwa in der Weise,
daß immer die der Dingstatte zunächst Wohnenden erscheinen
mußten. Das stimmt sehr gut damit überein, daß nach dem
mitgeteilten Wortlaut das Ding da stattfindet, ubi iudex ordina-
verit. Mit Unrecht ist hieraus der Schluß gezogen worden, daß
es in Baiern keine echten Dingstätten gab; ordinäre kann
heißen, daß aus den vorhandenen Dingstätten eine ausgewählt
wurde.
') Über die bairischen (!aue und Grafschaften vgl. Gengier, Beiträge
zur Geschichte Baierns I S 38 ff., 69 ff., 14") IT. A. Chabert, Staats* und
Rerhtsgcschichte dar deutsch-österreichischen Länder S. 112 ff., 125, 134 f.
Die Bemerkung von Voltelini a. a. 0., S. 6 Anm. 3, daß wir über die
Größe der Grafschaften nicht genau unterrichtet sind, darf nicht übersehen
werden. Daß sich aber der aus der Größe der Grafschaft gezogene Ein-
wand gegen die allgemeine Dingpflicht durch die Bemerkungen von
E. Mayer in GGA. 1891 S. 349 erledigt, kann ich nicht finden..
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153
Eine andere Meinung1) geht dahin, daß der bairische comi-
tatus nichts anderes ist als eine frühere Cent oder Hundertschaft,
also ein Gerichtsbezirk, dessen Größe den Besuch aller Dinge
durch alle Freien nicht ausschließen würde wobei in einem Gau
mehrere Grafen sollen tätig gewesen sein. Auch Gengier hat
diese Anschauung nicht zurüekgewiesen, sie sogar als «scharf-
sinnig“ bezeichnet, und nur hervorgehoben, daß sie sich bei
der Dürftigkeit der Quellen „zu apodiktischer Gewißheit nicht
erheben läßt“*).
Diese letztgenannte Meinung, die sich auf die Zeit nach der
Auflösung der alten Gauverfassung bezieht, hat für diese Zeit inso-
fern ihre Berechtigung, als der comitatus des späten 10. und der fol-
genden Jahrhunderte in der Tat ein nicht sehr großer Gerichts-
bezirk war. Wie Richter festgestellt hat, gibt es zu dieser Zeit
bei weitem mehr comitatus in Baiern als Gaue, und diese comi-
tatus erscheinen als Unterabteilungen von Gauen. Eine andere
Frage aber ist cs, ob diese nachkarolingischen comitatus mit
denen unserer lex identisch sind, was Richter als selbstver-
ständlich annimmt.
Sie zu entscheiden, erscheint mir mit dem zurzeit zu Gebote
stehenden Quellenmaterial nicht möglich. Dagegen möchte ich
mit all dem Vorbehalt, der angesichts dieses Quellenmaterials nötig
ist, bemerken, daß mir die Bejahung nicht ausgeschlossen erscheint.
Wenn man nämlich annimmt, daß der in der Lex Bai. genannte
comitatus derselbe Bezirk ist, wie die nach Auflösung der Graf-
schaftsverfassung vorkommenden Comitate, dann gelangt man in
Einklang mit der in Lex Bai. II, 14 festgelegten, allgemeinen,
Dingpflicht. Ferner ist dann die Auflösung der Ganverfassung
selbst weit verständlicher, wenn man annimmt, daß die Gaue in
schon bestehende Bezirke zerfallen sind, als wenn man annehmen
muß, daß die sich später findenden comitatus Produkte einer
Neuteilung des Landes sind, von der wir zudem nichts erfahren.
Die Bezeichnung als comitatus allein5), sowie die Tatsache,
daß der comitatus Amtsbezirk eines comes ist, reichen m. E. nicht
*) Richter, Untersuchungen zur hist. Geographie des cliem. Hnchstifts
Salzburg (MJOt!. Ergftnznngsbd. I) S. 603.
1i a. a. 0., S. 145.
3) Aus den Bezeichnungen sind Schlüsse auf die Sache nicht sicher zu
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l.H
aus, den comitatus der Lex Bai. als den ordentlichen Gerichts-
bezirk anzusehen, was der comitatus der späteren Zeit in der
Tat ist.
Doch kann hier immer nur von Vermutungen und Möglich-
keiten die Rede sein. Eine Gewißheit läßt sich bei dem gegen-
wärtigen Stande unserer Quellenkenntnis nicht erlangen. Nur das
ist positiv fcstzustcllen, daß die Quellen eine Hundertschafts-
verfasgung in Baiern in der vor ihnen liegenden Zeit
nicht ausschli eßen. Das Bild, das wir aus ihnen gewinnen
ist kein derartiges, daß es eine solche Verfassung in früherer Zeit
unwahrscheinlich macht. Und es kommt nicht so sehr darauf an,
daß wir in der Zeit des Lex Bai. die Hundertschaftsverfassung
noch lebendig sehen, als darauf, daß sie überhaupt einmal vor-
handen war.
ln dieser Richtung wäre auch noch einer schon früher zum
Ausdruck gebrachten Meinung zu gedenken, die neuerdings von
Dahn angegriffen wurde. Schon Merkel begründet seine Ansicht,
daß der bairische comes in Baiern durch die Franken eingeführt
wurde, so: Nec proprium aut vetustiorem apud Baiuwarios, sed
Francorum imperio constitutum magistratum esse putaverim, quum
iudices, quos dicebant, secundum leges quaedam imperii iura
retinuissent, quibus omnino carerent, si comes ab initio iudex Ordi-
narius exititisset'). Und in der Tat weist die Tätigkeit, die dem
bairischen iudex nach dem Gesetz znkommt, Züge auf, die sich am
besten so erklären, daß seine ganze Tätigkeit nur der Rest einer
früher ausgedehnteren ist. Dies gilt vor allem von der ihm zukom-
menden Banngewalt, dem Recht der districtio und coactio, von seiner
Befugnis, die Dingstätte zu bestimmen. Man kann hier annehmen,
daß der iudex in frühester Zeit ein Hundertschaftsrichter war,
dann vom Grafen aus seiner Stellung als ordentlicher Richter
verdrängt wurde und zum Urteilfinder geworden ist, dabei aber
doch Befugnisse, die ihm als Centenar zustanden, in seine neue
Stellung mit hinübergenommen hat.
ziehen. In dieser Hinsicht geht Voltelini a, a. 0. S. 5 Anui. 2 zu weit,
wenn er so viel Gewicht auf das Nichtvorkoinmon des Ausdrucks cend im
bairischen Gebiet legt
') Merkel, Lei Baiuworiorum ( M. G. H. LL. III) S. 284 n. 12.
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Doch auch diese Annahme kann nur den Wert einer Ver-
mutung haben. Insbesondere ist zu beachten, daß nicht mit
Gewißheit festgestellt werden kann, ob der iudex cogens und dis-
tringens der nämliche Beamte ist, wie der iudex iudicans. Aller-
dings zählt Merkel *) die hier einschlägigen Stellen zu den „ relevan-
ten“ und benützt sie mit zur Konstruktion des vom bairischen iudex
bekleideten Amtes, aber man kann Dahn doch nicht so Unrecht
geben, wenn er darauf hinweist, daß an diesen Stellen iudex auch
in weiterem Sinn den Beamten überhaupt, also auch den comes
bedeuten könne. Sodann ist es, wenn man in dem iudex die
Fortsetzung des centenarius sieht, auffallend, daß wir nie von
mehreren iudices in einer Grafschaft hören. Allerdings kommen
in einer Urkunde von 82!)*) neben einem comes ffinfundreißig
„iudices“ vor. Aber schon die große Zahl spricht dagegen, daß
das iudices in dem technischen, spezifisch bairischen Sinn gewesen
sind, wie dies Brunner*) anzunehmen scheint. Denn auch an-
genommen, der iudex sei ein früherer centenarius, also schlechthin
ein Hundertschaftsorgan, so müßten w'ir hier fünfundreißig Hundert-
schaften in einer Grafschaft annehmen, was ganz ausgeschlossen
ist. Diese Zahl widerspräche allen unseren sonstigen Kenntnissen
über das Verhältnis von Hundertschaft und Grafschaft. Auch
müßten wir annehmen, daß der in der Urkunde genannte comes
Liutpold ein Grafschaftsgericht gehalten hat, was wiederum nicht
glaublich wäre.
Dagegen möchte ich immerhin auf einen schwachen Anhalts-
punkt aufmerksam machen, den uns die Lex Bai. selbst für das
Vorkommen mehrer iudices in einer Grafschaft gibt. Ks ist dies
die Fassung von II 14,2
Comis vero secum habeat iudicem, qui ibi constitutus est
iudicare, et librum legis nt semper rectum iudicium iudicent.
In dieser Stelle ist das „ibi“ dann verständlicher, wenn man
annimmt, daß der Graf nicht mit dem einen für den ganzen Gau
zuständigen iudex Gericht hält, sondern mit dem iudex, der gerade
■) In seiner Abhandlung über den bairischen indox in Z. K. G. I S. 135 ff.
Vgl. auch Beseler ebenda IX 8. 244 f.
’) Bei Bitterauf, die Traditionen des Hochstifts Freising I 8.501.
*) K. O. I* 8. 204 Anm. 10 mit Toit.
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dort der iudex constitutus ist, wo das Gericht stattfindet. Erklären
ließe sich dann auch sphr gut, warum gerade der iudex bestimmt,
wo das Ding abgehalten wird. Die Sache wäre so zu denken, daß
zunächst allerdings der Graf die Malstätte testsetzt; das ist wohl
auch allein möglich, da nicht gut der auf alle Falle untergeordnete
iudex dem Grafen die Dingstätte vorschreiben kann. Aber der
Graf teilt dem für die Dingstätte zuständigen iudex den festge-
setzten Dingplatz mit und der iudex tut nun, was das Gesetz
„ordinäre“ nennt: er ladt die Dingpflichtigen an diesen Ort.
Vorausgesetzt sind dabei innerhalb des comitatus abgegrenzte
Dingbezirke, da nur durch Grenzen die Zuständigkeit des iudex
für eine vom Grafen gewählte Dingstätte könnte bestimmt werden.
Und diese Dingbezirke könnten dann als alte Hundertschaften
angesehen werden. Hei dieser Auffassung müßte sodann die Ding-
pflichtsatzung in Lex Bai. 11,14, wie schon angedeutet, dahin
interpretiert werden, daß sie nur die absolute Dingpflicht aller
Inwohner des comitatus festsetzen will. Die Tatsache aber, daß die
nach Auflösung der Gauverfassung sich findenden comitatus kleine
Bezirke sind, ließe sich damit erklären, daß mit der steigenden
Bevölkerung und unter dem Einfluß des Umstandes, daß ja doch
der comes in diesen Dingbezirken Gericht hielt, eben diese Ding-
bezirke allmählich selbst zu Comitaten wurden. Derartige Über-
gänge von Hundertschaften in Grafschaften bietet uns ja auch die
Geschichte der alamannischen Verfassung.
Unter wiederholter Betonung des hypothetischen Charakters
aller dieser Ausführungen bemerke ich, daß m. E. die zuletzt
erwähnten Anhaltspunkte für frühere Hundertschaften immerhin
einen großen Grad von Wahrscheinlichkeit in sich schließen. Dies
umsomehr, als ja der so nah verwandte und benachbarte Stamm
der Alamannen die Hundertschaftsverfassung noch deutlich zeigt.
Es ist — und darauf mache ich besonders aufmerksam — bei
dem nicht allein durch die gemeinsame westgotische Vorlage ver-
ursachten Parallelismus der Bestimmungen der Lex Alam. und der
Lex Bai. und der hierin zum Ausdruck kommenden engen Ver-
wandtschaft beider Rechte im Zusammenhalt mit der Gleichheit
der Besiedlungsvorgänge nicht anzunehmen, daß die Baiern Hundert-
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157
schäften überhaupt nie gekannt haben '). Wenn aber überhaupt
einmal, dann ist wahrscheinlich, daß Erscheinungen im Haiem-
recht, die sich als letzte Spuren einer Hundert Schaftsverfassung
deuten lassen, in der Tat auch solche sind.
Zum Schlüsse ist noch hervorzuheben, dal! der in bairischen
Quellen sich findende centurio mit Hundertschaften so wenig in
Verbindung zu bringen ist, wie die centuriae, in die Grundstücke
geteilt wurden. Die centuriones der Lex. Hai. sind ersichtlich
militärische ßeainte ohne jede außermilitarische Funktion*). Ob
wie Dahn meint „lediglich gedankenloses Abschreiben des West-
gotenrechts zu Grunde liegt", ist eine Frage für sich.
Daß die centenarii, die allerdings erst seit Tassilo in Haiem
auftreten. mit den centuriones so schlechthin auf eine Stufe zu
stellen sind, scheint mir zum mindesten nicht bewiesen. Wenn
man in dem iudex einen Hundertschaftsbeamten sieht, dann muß
man auch damit rechnen, daß bei Unkenntnis der Unterschiede dem
iudex da und dort unter alemannischem oder fränkischem Einfluß
der Titel eentenarius zuerteilt wurde. So wenig ich das behaupten
kann, so wenig möchte ich bestreiten, daß nicht auch eentenarius
und centurio dasselbe Amt bezeichnen3). Die geringe Zahl von
Stellen, die den centurio überhaupt kennen, beweist nicht mehr,
als wie die einzige Urkunde, in der im bairischen Gebiet ein
hunuo erwähnt wird, nicht mehr als die Glosse hunnilih =
tribunalis4).
Der dritte oberdeutsche Stamm, der der Langobarden, fällt
gänzlich außer den Rahmen dieser Arbeit. Die uns bekannte
Gerichtsverfassung der Langobarden, wie wir sie aus dem Corpus
Edicti und den Urkunden ersehen können, zeigt nicht die geringste
Spur einer Hundertschaftsverfassung s). Das langobardische Recht
bietet nicht einmal so schwache Anhaltspunkte, wie wir sie im
') Frühere Hundertschaften nimmt auch Voltelini a. a, 0. S. 4 an.
Ob aber die Zeit vor der Ansiedlung in Baiem die letzte Periode ist, die
Hundertschaften kannte, lasse ich dahingestellt.
*) Biehtig Voltelini a. a. 0. S. 5.
*) Vgl. zu beiden Merkel, a. a. 0. S. 284 n. 14.
4) Graff, Althochdeutscher Sprachschatz IV S. 976.
*) Vgl. Bethmann -Holl weg. Germanisch - roman. Zivilprozeli 1
S. 340 f., wo aber zu sehr auf germanischen Ursprung abgestellt ist. Brun-
ner, K. G. I* S. 161 uud Aino.
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hairischen Recht gefunden haben. Wie die gesamte langobardische
Vertassung hat auch die Gerichtsverfassung eine vollständig unter
dem Einfluß militärischer Gesichtspunkte stehende Umgestaltung
und Ausgestaltung erfahren. Abgesehen hiervon ist aber auch
die Ansiedlung der Langobarden in Italien der Entstehung von
Hundertschaften hinderlich gewesen und die planmäßige Verteilung
des lindes unter die natio gentilis und die natio romana ließ die
«ler Entstehung einer Hundertschaftsverfassung günstigen Momente,
wie sie namentlich in dem starken Einfluß verwandtschaftlicher
Beziehungen gegeben waren, nicht zur Entwicklung kommen.
Bei den Goten endlich hat man zwar früher Beweise für die
germanische Hundertschaft gesucht und angeblich auch gefunden;
aber jetzt hat man erkannt, daß die Einrichtungen, die man mit
Hundertschaften in Verbindung bringen wollte, in Wirklichkeit
nichts mit ihnen zu tun haben.
Weder ist der westgotische hundafaps ') ein Hundertschafts-
vorsteher, noch der pusundifaps*) ein Gaufürst oder Tausend-
schaftsvorsteher, noch der tiufaps ein Zehntschafts - oder Dorfvor-
steher. Diese Ämter sind keine ursprünglichen Einrichtungen,
sondern entstanden durch die Organisation des gotischen Heeres,
das wesentlich andere Schicksale durchgemacht hat, als die der
übrigen Völker und in weit höherem Maße durch das römische
Militärsystem beeinflußt worden ist *). Von den Römern wohl
haben die Westgoten die Einteilung des Heeres in starre, nume-
rische, Abteilungen übernommen, die gerade durch ihre zahlen-
mäßige Bestimmtheit den entschiedensten Gegensatz zu der germa-
nischen Hundertschaft bilden mußten4).
') Vgl. Ulfilas, Matth. VIII, 5: 13. Luc. VII, 2: 0. Marc. XV, 39:
44: 45. wo hundafaps — txa-rov?ap/o;. Kür fraglich hält dies v. Amira Grund-
riß» S. 73.
*) Vgl. Ulfilas, Marc. VI, 21. Joh. XVIII, 12 wo pusundifaps für
yiXmpyxoi steht.
s) Vgl. Dahn Könige VIS. 344 f. Zum Sprachlichen vgl. Diefenbach,
Vergleichendes Wörterbuch der gothischen Sprache II, 685.
*) Bezüglich der Vandalen vgl. L. Schmidt, Geschichte der Wanda-
len (1901.) S. 40 f. Daß der burgundische hendinos kein Hundertschafts-
vorsteher ist, hat schon Kögel P. B. B. XII. S. 415 überzeugend nachgowiesen.
Deshalb hätte Gramer Alamannen S. 62 nicht wieder das Gegenteil behaup-
ten sollen.
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159
Wir wenden uns nun zu den niederdeutschen Völkern, zu-
nächst zu dem der Friesen.
Für diesen Stamm hat der genaueste Kenner friesischer Ver-
hältnisse, nämlich Rieht hofen'), das Vorkommen von Hundert-
schaften geleugnet, und es sind ihm dann Brunner*) und
Schröder’) beigetreten. Andererseits hat Heck') das Bestehen
friesischer Hundertschaften angenommen, und neuesten» auch
Jäckel5).
Wenn wir uns dieser Kontroverse gegenüber nach den
Quellen umsehen, so finden wir zwei Namen, die anscheinend mit
Hundertschaften Zusammenhängen, nämlich den der villa Cannninga-
hunderi und den des pagus Kilingo-huntari.
Was die Identifizierung des letztgenannten Bezirks betrifl't,
so hat Riehthofen auf Grund der fraglichen Urkundenstelle,
in den Trad. Fuld. VII, 80
Ego Marcuart et Uppo tradimus ad Sem. Bonifaciurn
bona nostra, que habemus in pago Kilingo-Huntari in villa
Merheim terram septem boum et dimidiam partem terre
unius. Similiter tradimus in pago Tokingen in villa Orling-
werba duorurn boum terram . . .“
festgestellt, daß unter der villa Merheim das im Ferwerderadel
des Ostergo liegende Marrnm gemeint ist.6) Heck hat diese
Feststellung ohne Grundangabe als unsicher bezeichnet und zwar
m. E. zu Unrecht. 7) Tatsache ist, daß Fulda, das überhaupt in ganz
Friesland begütert war"), auch in einer villa Mereheim im Ostergo
Grund besaß. Außerdem liegt Dokkum. der andere Ort, an dem
Grund an Fulda abgetreten wird in dem dem Federwerthadel be-
nachbarten Dongeradel. Eine Sache für sich ist es, daß die Ur-
kunde, so wie sie uns vorliegt, nicht von einem friesischen
Schreiber und nicht in Friesland geschrieben wurde. Das zeigt
') MGG. LL. V. S. 88 Anm. 20.
*) RG. I» S. 181 ; II» S. 146.
>) RG.3 S. 18 Amn. 17.
4) Altfriesischc Gerichtsverf. S. 24.
5) Abba, Asega und Redjeva in ZRG.3 XXVII S. 114 ff bes. S. 125.
‘) Untersuchungen II S. 123 Anm. 1.
*) a. a. O.
6) Vgl. z. B. Jäckel, die Grafen von Mittelfriesland S. 52f.
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vor allem die oberdeutsche Form Huntari an Stelle des nieder-
deutschen (friesischen) Hunderi.
Die villa Cammingahunderi liegt nach der ältesten Urkunde,
die diesen Namen aufweist, einer Schenkungsurkunde Ludwig des
Frommen von 839 „in pago Uestracha“. I)a sich aber, wie
Jäckel festgestellt hat1), die Grenzen zwischen dem Ostergo und
dem Westergo späterhin verschoben haben, so ergibt sieh hieraus
kein Grund, den aus sonstigen Gründen wahrscheinlichen Zu-
sammenhang der villa Cammingahunderi mit dem als Hauptort
des Leuwarderadel im Ostergo gelegenen Leuwarden abzulehnen.
Mit Leuwarden ist nämlich das Geschlecht der (Jamminga
aufs engste verknüpft. Lek hoff, der Geschichtsschreiber von
Leuwarden, sagt: „Reeds vroeg was het (het adelivk geslacht van
(Jamminga) te Leeuwarden gezetcn; en wegens deszelfs eigen-
dommen, aauzien en invloed hangt zijne geschiedenis naauw
zamen inet die dezer stad. Inzonderheid is dit het geval met
de verschillende huizen, stinzen of kasteelen, welke de onder-
scheide leden van dit geslacht in en bij Leeuwarden bezaten
. . . .“.*) Dieser Zusammenhang ist von größter Bedeutung;
denn vermutlich hat das Geschlecht, das an dem Orte eine so
hervorragende Stellung hatte, ihm auch seinen ersten Namen ge-
geben.
An dem Ort aber, wo Leeuwarden jetzt stellt, war vor der
Einführung des Christentums ein heidnischer Kultplatz und wurde
bei Einführung des Christentums eine christliche Kirche errichtet.
Dies macht es wahrscheinlich, daß sich dortselbst auch eine
Dingstätte befand3). Und ebenso ist es verständlich, daß sich
diese älteste Ansiedluug zum Mittelpunkt und Hauptort eines
größeren Bezirks eignete, wie ja auch das spätere Leeuwarden
Mittelpunkt des Leeuwarderadel geworden ist.
Von hieraus liegt, insbesondere bei Berücksichtigung der großen
Bedeutung der Camminga für Leeuwarden, der Schluß nahe,
daß die villa Camminga-Hunderi das alte Leeuwarden, die Haupt-
') Die Grafen von Mittelfricsland S. 37 f, 113.
J) W. Eekhoff, Geschiedkundige Beschrijving van Leeuwarden (1846)
II S. 384 f: 384 408 werden dio Beziehungen der Camminga in und um
Leeuwarden im einzelnen verfolgt.
3) elwk. I 8. 19f. -.'t8 f.
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Hi]
ansiedlung der Camminga ist. Denn die dominierende Stellung
iles späteren Leeuwarden erklärt sich dann sehr gut, wenn dieser
Ort schon immer der Mittelpunkt eines Gebietes gewesen ist.
lad daß das Cammingahunderi als solches eine Hundertschaft
war, also ein Gebiet, das ist angesichts eines pagus Kilingo-
hnntari nicht zu bestreiten. Allerdings heißt es in der Urkunde
in villa Camminga-Hunderi und man könnte daran denken, daß
das Cammingahunderi nicht eine Hundertschaft, sondern nur ein
Ort war. Aber nirgends findet sich hunderi oder huntari zur
Bezeichnung eines Ortes und Heck hat ganz richtig darauf hin-
eewiesen, daß in unserem Falle der Name des Bezirks für den
Hauptort genommen sein kann1).
Wenn man aber in der villa Cammingahunderi das spätere
Leeuwarden und den Hauptort eines gleichnamigen Bezirkes sieht,
dann rechtfertigt sich die Vermutung, daß das Camminga-
hunderi identisch ist mit dem späteren Leeuwarderadeel.
Def topographische Beweis muß um deswillen entfallen, weil
wir den Umfang des Cammingahunderi nicht kennen, er auch
durch eine Erörterung der Verbreitung der Camminga nicht
ersetzt werden kann, da neben den Camminga auch noch andere
Geschlechter so z. B. die Mamminga*) in diesen Gegenden ansässig
waren. Dagegen vermag vielleicht eine Untersuchung der Gerichts-
verfassung des del einige Aufklärung zu verschaffen.
Das friesische Wort del, ursprünglich nur „Teil“ schlechthin
bedeutend, dient bekanntlich auch zur Bezeichnung eines in sich
geschlossenen Gerichtssprengels und kommt in dieser Bedeutung
als zweites Compositionsglied in den Namen der friesischen dele
vor1). Über seine Einrichtungen dagegen erfahren wir aus den
friesischen Quellen verhältnismäßig wenig.
Es ist die Rede von den fünf delen, an anderer Stelle von
den sechs delen, wobei jedenfalls „die fünf dele“ als ein von den
übrigen delen des Ostergo sich absondernder Komplex erscheinen ’).
*) a. a. 0. Anm.
*) Vgl. die bei Kichthofen, Untors. 11,2 S. 610f, angeführten Ur-
kunden aus dem Leuwarderadcl.
*) Vgl. Kichthofen, Wörterbuch s. v. del.
V; Vgl. hierzu noch R. R., S. 442, 4: 560, 13.
, Schwerin, iltgerm. Hundertschaft 1 ■
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16-2
Dies ist der Fall in der westerlanwerschen Münzordnung') Was
dort über die dele bestimmt ist, zeigt ihre Selbständigkeit in
Sachen des Münzwesens. So ist z. B. die Mark in den fünf delen,
im Woldenseradel und im Waghenbrenstzeradel = 10 Schilling,
in sechs delen des Ostergo aber = vier Schilling zu je sechs grata
oder = 10 kleinen Schillingen zu je zwei grata und zwei Leu-
wardener Pfennigen. Das Fronekeradel hat ein deelisriocht und
ein delis sighele. Auch hier macht sich die Selbständigkeit des del
geltend.
Dagegen finden sich auch Bestimmungnn ohne jede Bedeutung
für die Untersuchung des del. So heiüt es z. B. im Schulzenrecht
vom Grafen.
§ 1 ... hi schil to Sudermuda in comma, ende comma to
Fraenker in dat del . . . Wenn hier mit del nicht etwa der ganze
Bezirk des Grafen gemeint ist, das ganze westerlauwersche Friesland,
wo es dann überhaupt nicht die uns hier interessierende engere
Bedeutung hatte, dann erfahren wir nur, daß Fronecker in einem
de) lag. Ähnlich steht es noch mit anderen Stellen *). Ergiebiger
scheinen die Uppstalbomer Gesetze, die den del zweimal erwähnen.
Dio VIII seec. Huaso da riuchteren in siin dele wrherich
wirt, end ma da oder zeland ti helpe ladet, also man ich so
deer kompt, dat aeg hondert mereka fan da wrheriga ti urbrinseu
Dio XVII seec is, dat alle ferdban stände fest, deer
da grietman duaet, sonder waudel ; hit ne se, dat da efter
kommende riuchteren, bi rede IV dera wisena papena ende
enis prelatis in da dele, dat een dwe om epenbere netreft
ende netticheid, endese hit dan veer riuehte due.“
Die erste Stelle gibt die lateinische Version wieder mit :
„Si quis iudicibus communitatis alicuius terrae rebellis
exstiterit, et aliae insulae in adintorium fuerint euocatae.
cuilibet insulae uenienti, in poenam suae rebellionis, centum
marcas soluere teneatur.
Nach dieser Version wäre anzunehmen, daß in jedem del
(terra) mehrere riuchter vorhanden waren. Dagegen spricht die
friesische Fassung für einen riuchter im del, da es bei einer
*) Kichthofen. Kechtsqu. S. 385 fl' inabes. §5 5, ti.
*) So 2. B. i-bda. S. 442,2: 500, 13; 488, 22.
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1K3
Mehrzahl heißen müßte: da nüchteren in hiara dele. Die Fassung
in siin dele ist, wenn man nicht ein Versehen annehmen will,
nur zu erklären durch die Vorstellung des Verfassers der Gesetze,
ilaü jeder Richter „seinen“ del hatte. Dein einzelnen Richter
widerspricht aber die siebzehnte seek, die offensichtlich ein Kol le-
gitim von Richtern voraussetzt. Nur trägt es sich, ob diese
mehreren Richter in der Tat alle in einem del sich befanden.
Der Art. 17 behandelt die Abänderung von gerichtlichen Er-
kenntnissen, denen der grietman Friede gewirkt hat. Richthofen
<agt, dali die Abänderung erfolge „durch die nachfolgenden Richter
des Landdistrikts unter Beteiligung von vier clerici und einem
Prälaten aus dem Distrikt“ und fügt bei: „der Upstalbomer Ver-
sammlung wird in dem Artikel nicht gedacht, seine Worte zeigen,
dsß sie nicht als ein höheres Gericht über den Distriktsgerichten
stand ').“
Wer aber sind „die nachfolgenden Richter“, da efterkotnmende
nüchteren? Die Antwort wird sich am leichtesten finden, wenn
wir von dem ferdban ausgehen, der ihrer Prüfung unterliegen soll.
Er wird ausgesprochen vom grietman. Und dieser grietman ist
eine Gerichtsperson des del. In jedem del finden wir einen
grietman und bezeichnenderweise schließt das Vorkommen des
grietman mit der Lawers ab, ebenso wie tlas der Del Verfassung8).
Jeder westerlauwersehe Friese hat, „syn greetman,“ der greetman
tut dem Friesen Recht „in da lyuedwarue8)“, er schwört dem
del günstig zu sein*). Alle diese Stellen übersieht Richthofen,
wenn er den gretman einen Führer der consules nennt5). Sie
sprechen dafür, daß, wie Heck annimmt, der greetman der or-
dentliche Richter im del ist6). Er tut den ferdban im Delgericht.
*) Iiichthofen, Unters. I S. 504.
*) Vgl. die bei Heck, Gerichtsrerf. S. 181 Anm. 6, angeführte Urkunde,
wo genannt sind: Dowa Sjucksma, greetman in Dongheradele, . . . Sydze
Thiarda upper Gast, greetman in liomptuimnadeel . . . ., Lyka Lexma,
greetman in Ferwerdradocl und Iiichthofen, Wb. 784 s. v. gretman.
3; Rudolphsbuch § 6 Rqu. S. 426, 22.
*) Eidesformeln aus Wimbritzcradecl Rqu. 488, 13.
5) Unters. I S. 170.
6) Gcrichtsverf. 8. 1801T, wo noch weitere Quellenbelege angeführt
sind und insbesondere die Gleichheit des Amtes des gretman mit dem des
Schulzen nachgewiesen wird.
II*
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1«4
Von hier aus aber können „da efterkommende nüchteren“ nicht
etwa Richter im del sein. Denn der del als unterer Gerichts-
bezirk hat eben nur das Delgericht und nach allgemeinen Grund-
sätzen über Urteilsänderung kann nicht das gleichstehende Gericht
das in einem Gericht rechtskräftig gewordene Urteil aufheben ').
Wir haben uns in dem den ferdban aufhebenden Gericht das eines
größeren Bezirkes zu denken und zwar, wie auch Rieht hofen
annimmt, das eines Landdistrikts. In diesem Distriktsgerieht
linden wir eine Mehrzahl von Richtern im Verein mit vier Pfaffen
und einem Prälaten. Schon diese Zusammensetzung zeigt, daß
wir es nicht mit dem Gericht eines Unterbezirks zu tun haben.
An das Distriktsgericht nun richtet sich nach meiner Ansicht
die Schelte des Urteils, das im Delgericht gefunden wird. Die
Richter des Distriktsgerichts sind „da efterkommende riuehteren“
als die Richter des Obergerichts, an die das Urteil aus dem
Untergericht gebracht wird, die nach dem Unterrichter über die
gleiche Sache urteilen. Ist dem so, dann muß aber auch die
lateinische Version „successores“ als mißverständlich bezeichnet
werden; es handelt sich nicht etwa um die Amtsnachfolger des
gretman.
Diese Ergebnisse haben nun wichtige Folgen für die Aus-
legung von del in den angeführten Stellen.
Ist das in der 17. seek genannte Gericht nicht ein Delgericht,
sondern das eines übergeordneten Bezirks, so erscheint es mit
Rücksicht auf die Fassung „enis prelatis in da dele“ fraglich,
ob hier del den Untergerichtsbezirk bedeuten kann. Die Wahr-
scheinlichkeit spricht dagegen, wenngleich es nicht gänzlich aus-
geschlossen, obzwar immerhin sehr unwahrscheinlich, ist, daß ein
Prelat aus dem del zugezogen wurde, dessen Urteil angelochten
war. Es ist anzunehmen, daß del hier den Distrikt bezeichnet,
von dessen Gericht die Rede ist. Erheblich gestützt wird sodann
diese Annahme durch die Fassung der 8. seek; denn, wenn es
dort heißt, daß man bei Unruhe in einem del „da oder ze-
land“ zu Hilfe ruft, dann ist zu schließen, daß der del auch ein
') Es ist eine Ausnahme, wenn im Mittelalter der Herrscher einen
gegenseitigen Keehtszug zwischen gleichstehenden Gerichten bestimmt. Aber
auch da keine Urteils&nderung durch den Nachfeiger!
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165
zeland ist und dies würde dazu führen, in dem del eines der
-ieben Seelande, also einen der in Upstalbom vertretenen Distrikte
zu sehen. Dieser Distrikt wäre westlich der Lauwers, also im
Gebiete der Delverfassung, nach den Eingangsworten der Upstals-
bnmer Gesetze der Ostergo oder der Westergo. Hierbei erinnere
ich an die oben behandelte Eingangsstelle des Schulzen rechts, wo
es schon als möglich hingestellt wurde, daß del den ganzen Be-
zirk des Grafen bezeichnen soll l).
Für unsere Hauptfrage, die Verfassung des del, ergibt sich
hieraus, daß die Stellen der willkeren fan Oppstallisbamc hierfür
nicht zu verwenden sind.
Dagegen finden wir genügend Anhaltspunkte, um die in West-
friesland zwischen Eli und Laveke bestehende Gerichtsverfassung
und die Befugnisse der dort vorkommenden Gerichtspersonen fest-
znstellen, dann, wie wir dies auch bei Baiem und Alamannen getan
haben. Rückschlüsse auf das Vorkommen der Hundertschaft zu
ziehen *).
Die meisten Nachrichten gibt uns von den älteren Quellen
für das vor Allem in Betracht kommende Gebiet des Ostergo und
Westergo das westerlauwersche Schulzenrecht in folgenden Be-
stimmungen.
Van des grewa rincht.
§ 2'2. Dit is riucht, di grewa deer hyr da bau lath, dat
hi des fiarda ieris bodtingh halda moet also fyr so hi wil.
Dat is riucht, als hise halda wil, dat masc keda schil, ith
aller kerkane lyck di prester efter Cristes morne eer ieris
dey, dat.se di grewa halda wil efter sumeris nacht eer let-
tera ewennacht; ende als di grewa bodtingh halda wil, dat
hi schil da bau op ia saun wiken da schelten eer mase halde;
ende neen doem to delen bihalua om needsecken, hit ne se
■) Hierbei ist aber die oben S. Hi'2 f. angegebene Korrektur in hiaru del
uzusetxen.
,j Was im Folgenden über westerlauwersche Gerichtsverfassung gesagt
wird. kann im Rahmen dieser Arbeit bei dem reichen Stoff, den die
toellen bei gründlicher Benützung enthalten, nur Bruchstück sein. Nur
in einer Gesamtdarstellung wäre cs möglich, über die Gründe dieser und
jener im Folgenden vertretenen Abweichung von der herrschenden hehre
Hecbenschaft zu geben und ich muß dies daher einer späteren Arbeit Vorbehalten.
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Ififi
datier een heia ocn dit land coemme, iefta dat ma een wyf
an nede nym, iefta dat ma een man in sine lmse slee, so
moet hi deer rida ende ban leda.
Van schelta ladingha.
§ 23. Dit is riucht. dat da schelten keda srliellet aller
lyck binna sine banne des monnendeys toe aller doerna Ivck
sex wiken eer mase balde, ende aldus keda: Rodtingh
keda ick ioe wr sex wikem aen dis selua dei. dis monnendeys
to haldene, ende dis tysdeys, dis wernsdeys, dis tongersdevs.
dis fredis, dis saterdeys ende dis monendeys. Alle dagen
aegen hyase toe bannen bi des koninges banne, ende also
to haldane ende to lastan; soe hwa soe naet ne seeckt, di
schel toienst dyn schelta mit tuani pondem beta.
§ 24. Dit is riucht, dat da schelten des monnendeys deer
komma, ende dis tysdeys; ende dis koninges ban op ia
da grewa al deer hya et ontfinghen.
§ 25. Dit is riucht, dat di grewa dine tysdei ende den
wernsdey ende den tonghersdey, da tre dagen, also riuehta
schil da lyoden als ma oen dae bannende bodtingh deed.
deer ma deer naet to eynd riuehta macht ; so betet da tre
daghen fimeltingh.
Zu diesen Stellen bemerkt Heck1) Folgendes: „Nach §22
des sog. Schulzenrechts hat der Graf das Recht alle vier Jahre
bodtingh zu halten. Er muh aber 7 Wochen vor dem Tennine
seinen ban an die Schulzen abgeben und ist dadurch der Richter-
befugnis, abgesehen von Notfällen, beraubt. Die Schulzen beraumen
gemätl § 23 in ihren Hezirken ein 6 tägiges bodthing nach <i Wochen,
also eine Woche vor dem Termin des Grafenbodthings, an. Sie
sind es auch und nicht der Graf, die dieses <> tägige bodthing
abhalten .... Nach Abhaltung der ti Dingtage wird der Hann
dem Grafen zurückgegeben (§ 24). Nachdem dieser nunmehr die
Richterbetugnis hat und andererseits der Termin für sein bodthing
herangekommen ist, dürfen wir eine Schilderung desselben er-
warten. ‘ ln der Tat tritt in § 25 der Graf in Tätigkeit. Er soll
an drei Tagen nach Rodthingsart diejenigen Leute richten, welche
*) ln Zeitsclir. 1. deutsche Philolugic XXIV S. 436.
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167
man auf dem rechten bodthing nicht zu Ende richten konnte.
Diese drei Tage - die einzigen, an denen der Graf seihst richtet
— bilden das fimelthing, sind aber zugleich das angekündigte
bodthing.“ Diese Ausführungen erscheinen auf den ersten ltlick
sehr einleuchtend. Bei näherem Zusehen erweisen sie sich als
falsch ').
Man kann allenfalls darüber hinwegsehen, daß schon die Über-
schritten den § 22 von den §§ 23 — 25 trennen und die letztge-
nannten Bestimmungen zu einem Ganzen zusammenfassen. Aber
man kann nicht, wie Heck es getan hat, darüber hinwegsehen,
daß das in § 22 erwähnte Grafending dem Inhalt nach ein anderes
Gericht ist, als das in § 25 behandelte fimeltingh. Daß dem so
ist, soll das Folgende zeigen.
Das nach §23 abgehaltene siebentägige Bodthing — Heck
spricht immer von einem 6 tägigen Bodthing — wird abgehalten
v.»m Schulzen unter Königsbann. Und zwar hält dies jeder
Schulze innerhalb seines Bannes, an der Dingstätte des Unter-
geriehts. An dieses Ding soll sich nun nach Heck das alle
vier Jahre stattfindende bodtingh (fimeltingh) anschließen. Aber
an welches ? Es gab doch soviele solche Bodthinge als es Schulzen-
sprengel gab. während nach Heck ’s Annahme das alle vier Jahre
stattfindende Grafenbodthing doch nur eines an einer Gerichts-
stätte war; es ist ja ein „ Vollgericht des Gaues.“ Oder sollte
der Graf alle vier Jahre an einer anderen Dingstätte gerichtet
und so zwischen den einzelnen Schulzengerichten gewechselt haben ?
Und sollen dann alle bisher in den verschiedenen Schulzengerichten
anwesend Gewesenen an diesem einen Gericht zusammengeströmt
sein? Mit dem geringsten Maße rechtsgeschichtlicher Intuition
lassen sich diese Fragen ohne weiteres verneinen. Oder sollten
etwa die Schulzen nicht jeder in seinem Banne, sondern Alle zu-
sammen da Gericht gehalten haben, wo sich das fimeltingh dann
anschließen konnte? Nein; denn in diesem Falle würde § 23
nicht sagen „beta toienst dyn schelta,“ sondern „beta toienst da
schelten.“ Es ergibt sich schon hieraus, daß das Vierjahrsding
nicht mit dem Schulzending zusammen hängt.
Hingen die beiden Dinge so eng zusammen, so wäre auch
') Zugestiniint hat ihnen His ZltG.3 XVI S. 220.
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Ifi8
nicht verständlich, warum das Grafending zwischen Weihnachten
und Neujahr vom Priester in der Kirche geboten wird, das
Schulzending sechs Wochen vor Beginn durch den Schulzen „au
allen Thüren“ '). Endlich ist es Heck entgangen, daß die Friesen
im Jahre mehrere Bodthinge und mehrere fimeltingh besuchen
müssen. Es heißt nämlich im Schulzenrecht
§ ‘29. Dit is riucht, dat da lyoed deer dae bodtingh
ende dae fimeltingh halden habbet, ne thoeren öfter dam dis
koninges ban tyelda in dat ieer.
Fnd die Form „dae“ ist der Nominativ Plural des sächlichen
Artikels. Der Nominativ Singular heißt westerlauwerisch „dat“.
Ist also das Grafending des § 22 nicht identisch mit dem
fimeltingh der 25 und 29, so fällt auch sein Zusammenhang
mit dem bodtingh des § 23 und es ergibt sich im Gegensatz
zu Heck folgendes Bild der friesischen Gerichtsverfassung.
Der Graf kann, muß aber nicht, alle vier Jahre bodtingh
halten, dessen nähere Einrichtung und Zuständigkeit hier umso-
weniger in Betracht kommt, als es offensichtlich ein Ausnahme-
gericht und der ordentlichen Gerichtsverfassung überhaupt nicht
eingefügt ist. Die Schulzen halten innerhalb ihres Bezirkes ein
siebentägiges Bodthing; dieses Gericht findet unter Königsbann
statt. Die Zahl dieser Bodthinge in einem Jahr dürfte drei sein:
denn dreimal zwischen Johannisnacht und Herbstäquinoctium thoer
di fria Fresa dis koninges ban tyelda2). An jedes solche
Bodthing schließt sich sodann das fimeltingh des grewa an, das
von Dienstag bis Donnerstag währt. Am Dienstag erscheint der
Schulze noch und gibt den Bann dem Grafen, vielleicht in feier-
licher Form4)').
') Es heißt in den beiden Fällen: keda.
*) Westerl. -Schulzcnr. § 15.
3) Hier fügt dus Gesetz hinzu al deer hya et onttinghen. IHes bat
Heck mit verleitet, den §24 in Verbindung mit §22 zu bringen; denn
dort heißt es ja „dat hi schil da ban op ia saun wiken da schelten cer
mase balde.“ Aber gerade diese Stelle bedarf einer näheren Erläute-
rung, und darf nicht so schlechthin benützt werden. Es heißt hier,
wenn man am Wortlaut festhält: End wenn der Graf Bodthing (Bodthinge
Nom. Plural und Singular ist gleich, wie § 29 zeigt) halten will, daß er soll
den Hann aufgeben sieben Wochen den .Schulzen bevor man sie hält. Nun
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189
Was sodann das vom Grafen dreimal im Jahre, jedesmal
nach dem bodtingh des Schulzen abgehaltene firneltingh betrifft,
so haben Heck1) und Siebs*) eine Erklärung vom etymologischen
Standpunkt aus angestrebt, die sprachlich wohl keinem Zweifel
begegnen dürfte. Dagegen scheint mir sachlich die Bedeutung
durch die Ausführungen von Heck noch nicht außer Zweifel ge-
stellt. Ohne auf die hier nicht belangreiche Frage näher einzu-
gehen. weise ich nur darauf hin, daß nach $ 55 der grewa nicht
erst hei Beginn des „Ungehorsamsverfahrens“ beteiligt ist, sondern
schon viel früher.
Für uns ist das wesentliche die sich auch in der Einrichtung
des firneltingh zeigende Beschränkung des Grafen, die ja auch in
dem nur alle vier Jahre stattfindenden Grafending einen so scharfen
Ausdruck gefunden hat, wie sonst nirgends im fränkischen Reich.
fragt cs sich aber, was mit diesen Werten gesagt sein seit. Nach Heck
(a. a. (). S. 436) muß der (traf „7 Wochen vor dem Termine seinen ban an
die Schulzen abgeben und ist dadurch der Kichtcrbcfugnis, abgesehen von
Notfällen, beraubt.“ Pas setzt aber doch voraus, daß die Schulzen den
Hann, den ihnen der tiraf gibt, nicht haben und an dieser Voraussetzung
fehlt es. Penn der Schulze hat nach friesischem Hecht den Grafenbann
und richtet wie der tiraf unter dem Königsbann von 2 I’l'und. Eben des-
halb, weil der friesische Graf nicht der ordentliche Kichter ist, muß der
Schulze aus allgemeinen Gründen der Rechtspflege schon den Grafenbann
haben. Pas „al deer hva et ontlinghcn“ erleidet dadurch keine Einbuße:
denn schon bei ihrem Amtsantritt müssen die Schulzen den Hann vom
Grafen erhalten haben. Von hier aus zeigt sich, daß der Text, des § 22 fehler-
haft ist. Es handelt sich nicht darum, daß der Graf dom Schulzen den Hann
gibt, sondern umgekehrt daruui, daß die Schulzen ihn dem Grafen geben.
Deshalb möchte ich Vorschlägen, in dem friesischen Toxt nach schil ein
Verbum des Hcfchlens, etwa banna oder bieda einzufügen, sodaß es hieße:
ende als di grewa bodtingh halda wil, dat hi schil bieda da ban op ia
saun wiken da schelten, ecr mase halde. Dann wird auch das Folgende ver-
ständlicher: der Graf befiehlt den Schulzen, kein Urteil zu erteilen außer
in Notsachen. Im Einzelnen muß ich die Hcgründung einer späteren Arbeit
Vorbehalten. Bemerkt sei nur noch, daß der Text bei Hettoma, Oude Friesclie
wetten keinen Aufschluß gibt, überdies der Sprachfurm nach erheblich
jünger ist.
4) Ich übersehe nicht, daß sich bei mehren Fimeltbingen weitere
Schwierigkeiten in der praktischen Durchführung ergeben.
') a. a. (). u. Gerichtsverf. S. 31.
*) Zeitschr. f. deutsche l’hilol. XXIV. S. 437. IT.
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170
Der Schulze, also iler Richter des Untergericht«, erscheint als
der ordentliche Richter, neben dem der Graf fast nur geduldet
wird und der dem Grafen gewissermaßen Gerichtstalle fiberlaßt,
damit dieser überhaupt Gericht halten kann. Dies läßt sich in
doppelter Weise erklären. Entweder ist in Friesland die fränkische
Grafschaftsverfassung überhaupt nie durchgeführt worden, sodaß
der Graf überhaupt nie eine andere Stellung einnahm als die, in der
er uns im Schulzenrecht entgegentritt. Oder wir sehen in dieser
Quelle wie der Graf verdrängt und die ursprüngliche Verfassung
mit dem Schulzen als ordentlichem Richter wieder hergestellt wird,
und es liegt nahe in dem Schulzen den ursprünglichen Hundert-
schaftsrichter zu sehen. Jedoch zeigt auch dieser Schulze, daß
er nicht aus der germanischen Zeit stammt. Kr selbst ist jung,
nur sein Gericht kann alt sein.
l'mi dieses Gericht weist in der Tat eine Person auf, die
nicht neu eingeführt, sondern nur aus früheren Zeiten überkommen
sein kann, den äsega.
Heck hat mittelst falscher Übersetzung zweier Stellen, einer
Rüstringer und einer mittelfriesischen, sowie ganz belanglosen
Stellen, zu beweisen versucht, daß in jedem Schulzensprengel
mehrere äsega sich befanden1). Jäckel*) hat ihn inzwischen so
gründlich widerlegt, daß wir uns mit dieser Ansicht nicht weiter
zu befassen haben, sondern von der vor Heck allgemein geltenden
und richtigen Ansicht ausgehen können, daß jeder Schulzensprengel
einen äsega hatte.
Die Haupttätigkeit des äsega, von Richthofen irrtümlich in
einem abstrakten Rechtsvort rag gesehen, bestellt in der Urteilfindung ').
Insoweit steht der friesische äsega parallel dem bairischen iudex.
Aber nicht nur insoweit. Er gleicht ihm ferner darin, daß er
außer der Urteilfindung eine Anzahl anderer Obliegenheiten hat.
die mit der Urteilfindung innerlich nicht Zusammenhängen. So
hat der äsega nach westerlauwerschem Recht den Eid zu staben,
ist beim Kesseltang und beim Zweikampf beteiligt, ist Mitglied
der Sielpolizei, nimmt Teil an der Verfolgung das Frauenräubers4).
') Gericlitavorf. S. 58: Vgl. auch Schröder Kt».3 8. 172 Audi. 46.
*) ZUG.» XXVII a. a. ().
3) Hierüber Brunner Itti. I* S. 205. v. Amira Grundr.* S. 155.
*) Heck Gerichtsverf. S. 69 f. zählt noch weitere Fälle auf, in denen der
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171
Erklären läßt sich die Tätigkeit des friesischen äsega wie die
des bairischen iudex nur dann, wenn man das Amt des äsega als
eine alte Einrichtung betrachtet, die vor < Irafenarnt und Schulzen-
amt vorhanden war. Der äsega wird ja auch, anders als der
Schulze, vom Volke gewählt. Er tritt uns noch in der sputen
Zeit der gemeinfriesischen Küren als ein Volksbeamter gegenüber
und das zeugt für sein hohes Alter, wie die Sage von den drei-
zehn Asegen.
Ob es gerechtfertigt ist, auch im friesischen äsega, wie iin
iudex, einen ursprünglichen Hundertschaftsrichter zu sehen, das
muß ich wie dort dahingestellt sein lassen. Ausgeschlossen ist
dieser Zusammenhang vielleicht nicht. Aber zu beachten ist, daß
neben dem äsega Volksbeamte auftreten, die weit mehr den An-
schein früherer Hundertschaftsrichter haben ').
Für unsere Frage ist zunächst nur die Feststellung wesent-
lich, daß der äsega als ein alter, nicht erst von den Franken ein-
geführter Volksbeamter anzusehen ist. Ob gerade in dieser Stellung
oder in der eines Hundertschaftsrichters, das bleibt ohne Belang.
Denn so wie so stellt er die Verbindung her zwischen dem
Schulzensprengel des westerlauwersehen Schulzenrechts, dem wester-
lau werschen del und dem altgermanischen Untergerichts bezirk, der
Hundertschaft.
Von hier aus ergibt sich eine Lösung der oben ausgesprochenen
Vermutung, daß das Camminga-hunderi identisch ist mit
dum Leeuwarderadel: denn es ist ja ganz allgemein der del
dem hunderi gleichzusetzen. Bei dieser Sachlage ist es dann
auch wahrscheinlich, daß das Kilingo-Huntari identisch ist
mit dem Ferwerderadel*).
äsega in anderer Eigenschaft, denn als Urteillinder tätig wird. Doch kann
ich ihm dabei nicht folgen. So insbesondere, wenn er aus der 4. Knre und
dem 12. Landrecht die Beteiligung des äsega bei der Urteilsvollstreckung
folgert.
l) Vgl. hierüber Jäckel a. a. 0. S. 126 IT.
a) a. a. 0. S. 125 Anm. 1 : ebda. 124 Anm. I. stellt Jäckel in. E. eben-
falls richtig den pagus Tübingen mit dem Dongeradel gleich. II is YA{(i.,
XVI R. 218 f. Dafür daß, wie Heck < Icrichtsver f. S. 24 meint, jeder Gau in
der Kegel vier Scholzensprengel enthält, fehlt es an jedem Beweis. Wenn
alle für das 13. Jahrhundert von Uichthofou festgestellten dele in die
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1 li
Alle diese Ausführungen haben sieh nur mit dem westerlauwer-
sclien Friesland beschäftigt, weil sich in diesem Gebiete die haupt-
sächlichen Anhaltspunkte für eine Hundertschaftsverfassung dar-
boten. Das Ergebnis aber legt den Schluß nahe, daß es, so wie
liier, auch bei den anderen friesischen Stämmen Hundertschaften
gegeben hat. Dies näher zu verfolgen, ist an dieser Stelle deshalb
nicht erforderlich, weil es sich hier nur um den Nachweis handelt,
daß sich überhaupt bei den Friesen Hundertschaften finden. Doch
mögen einige kurze Bemerkungen am Platze sein.
Jäckel setzt den alt friesischen Abbcnsprengel, dem bei an-
deren Stämmen „Hundertschaft“ genannten Bezirke“ an die Seite.
Die von ihm angeführten Gründe sind auch anzuerkennen. Daraus
folgt aber dann, da der abba ein Volksbeamter ist und gerade
das Gebiet, in dem er nachzuweisen ist, nämlich der Ostergo, auch
den äsega kennt, daß der äsega als Volksbeamter neben einem
völkischen Sprengelvorsteher stand und das spricht, wie schon
oben angedeutet, dagegen, daß er früher Hundertschaftsvorsteher war.
Da ferner Jäckel mit treffenden Gründen nachgewiesen hat.
daß dem mittelfriesischen abba im Brokmerland und in Nordera-
land der kok, in Rüstringen der luidere entspricht und auch
diese beide Volksbeamte waren, so ist der weitere Schluß ge-
rechtfertigt, daß auch in den diesen Beamten unterstehenden Be-
zirken Hundertschaften zu sehen sind- Damit wäre die Hundert-
schaft auch für Ostfriesland festgestellt.
Nicht näher einzugehen habe ich hier auf allenfallsige Be-
ziehungen zwischen Hundertschaft und redjeva. Der friesische red-
jeva ist, wie schon früher und neuerdings auch wieder von Jäckel
gegen Heck festgestellt wurde, nicht identisch mit dem äsega. Er
istwederanStelleeines alten Hundertschaftsvorstehers, noch überhaupt
eines Hundertschaftsbeamten getreten, wie ja sein Verhältnis zum
kok, dem wahren Hundertschaftsbeamten im Brokmcrlande zeigt.
Bezüglich dieser Fragen kann ich auf die Arbeiten von Jäckel
verweisen.
frühere Zeit zurück reichen und auf Hundertschaften zurückzuführen sind,
wenn also keine Teilungen stattgefunden haben, ist daran überhaupt nirht
zu denken. Sowohl der Ostergo ivie der Westergo weist eine weit größere
Anzahl von delen auf.
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1 7:t
Den Friesen nah verwandt und benachbart ist der letzte
der uns hier beschäftigenden deutschen Stämme, der der Sachsen.
Auch für ihn verneint die herrschende Lehre das Vorkommen
von Hundertschaften '). Allerdings wird zugegeben, daß die
Sachsen in dem lmnno, den der Heliand*) erwähnt, und in dem
hunteri desTatian3) einen Hundertschaftsvorsteher kannten. Dies
schon macht es wahrscheinlich, daß auch territoriale Hundert-
schaften bestanden.
Die Lex Saxonum hüllt sich über die damals geltende Ge-
richtsverfassung in tiefes Schweigen. Dagegen ist es immerhin
auflallend, daß die einzige unter den Formulae imperiales, die
zur Ortsbestimmung den Begriff der centena verwendet, sich ge-
rade auf sächsische Verhältnisse bezieht4). Und von besonderer
Bedeutung ist sodann folgende Stelle der Vita S. Lebuini:
„Pro suo vero libitu, consilio quoque, ut sibi videbatur,
prudenti, singt) lis pagis principes praeerant singuli. Statute
quoque tempore anni semel ex singulis pagis, atque ex iis-
dem ordinibus tripartitis, singillatim viri duodecim electi
et in unum collecti, in media Saxonia secus Humen Wiseram,
et locum Marklo nuncupatum, exercebant generale consilium,
tractantes, sancientes et propalantes communis eommoda
utilitatis, iuxta placitum a se statutae legis“4).
Die hiernach zu Marklo stattfindende Versammlung erweist
sich, mag im Einzelnen die Nachricht über die Vertretung durch
je zwölf Männer richtig sein oder nicht, als eine Landesversammlung
des sächsischen Volkes. Sie findet statt „in media Saxonia“, also
■) Brunner, RG. 1* S. 1GI und Anin., 1P S. Uli.
*) Vers 2093.
3) Tatian hrsg. v. Sievera
210,1. Ther hunteri inti thie init
imo intirum bihaltenti
thcin heilant, gisehenemo
erdgiruurncssi inti thän dar
uuüruni, fnrhktun in thräto.
4) Bei Bnrctius, S. 312*'. Angesichts der etwas unsicheren Textüber-
lieferung wird man allerdings nicht zu viel Gewicht auf diese Stelle legen
dürfen.
4) Vgl. hierzu Sicke). Zur gern). Verfassungsgesch. (üben S. 81 Anm. 1)
S. 14 f.
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174
nicht etwa in einem seitabwärts gelegenen Sprengel von Sachsen;
ilie dort Versammelten üben, wie dies dem germanischen Lands-
thing zukommt, legislative Tätigkeit aus. Die Mitglieder der Ver-
sammlung aber kommen zusammen „ex singul is pagis“, d. li. also
aus einzelnen Distrikten des sächsischen Gebietes. Diese Distrikte
sind mit höchster Wahrscheinlichkeit als Hundertschaften anzu-
sprechen, da es nach dem in Abschnitt IV und V Ausgeführten
in germanischer Zeit Gaue nicht gegeben hat und wir von der
späteren Einrichtung der Gauverfassung keine Kunde haben. Die
principes, qui singulis pagis praeerant, waren die Hundertschafts-
vorsteher. Wie bei Tacitus heißen diese Volksbeamten auch hier
principes, ihr Hezirk pagus.
Gerade diese Terminologie nimmt uns nicht Wunder, wenn
wir bedenken, daß nach den eben für das friesische Gebiet ge-
machten Feststellungen auch dort der Bezirk, der der Hundert-
schaft entspricht, den Namen pagus führte. Umgekehrt möchte
ich die Vermutung aussprechen, daß auch die friesische Bezeichnung
del den Sachsen nicht fremd war und daß wir in den Capitnla
de partibus Saxonia e ein für die sächsischen „dele“ erlassenes
Capitular vor uns haben. Audi die allerdings von beachtens-
werter Seite zurückgewiesene Ansicht, daß die centum viginti
liomines dieses Capitular mit Hundertschaften Zusammenhängen,
halte ich nicht schlechthin für verfehlt'). Wohl handelt es sich
in dieser Bestimmung um die Parroehianen. Aber warum sollten
in Sachsen die Kirchspiele nicht ebenso mit den Hundertschaften
zusammenfallen, wie in Schweden und zum Teil in Norwegen?
Doch ist das eine Frage, die sich bei der Unklarheit der frag-
lichen Stelle kaum mit Bestimmtheit entscheiden läßt. Es wäre
anzunehmen, daß die Sachsen nach Großhunderten gerechnet haben.
Jedenfalls weist Sachsen deutlich eine Hundertschaftsverfassung
auf, nicht persönliche Hundertschafts verbände, sondern auch
te rri tori a 1 e Hundertschafts bezirke *).
') ltichthofen. MGH. LL. V S. 88 Anm. 20: Ders. zur Lex Saxonuin
S. 170 Anm. I: Schröder Hg. 3 S. 18 Anm. 17.
a) In der Frage, ob die Vorsteher dieser Hundertschaften in den satrapae
des Ilcda (Hist. eccl. V, 10; zu sehen sind, schließe ich mich der bejahenden
Meinung an (v. Amira Grundrill * S. 73). Ich kanu in ihnen nicht wie
Schröder Hg. 4 S. 108 Anm. 7 .Ganfnrsten. verstehen, da ich Gaue über-
haupt ablehne: wohl aber setze ich sie den principes des Tacitus au die Seite.
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175
In der weiteren Entwicklung der sächsischen Gerichtsver-
fassung nimmt die Stelle der alten Hundertschaft der go ein ‘j.
An die Stelle des Hundertschaftsvorstehers, des hunteri, ist der
gogreve getreten*).
Dabei ist aber der gogreve aus seiner ursprünglichen Stellung
als ordentlicher Richter geschoben an die Stelle eines außerordent-
lichen Richters. Das ordentliche echte Ding hält nach dem
Sachsenspiegel nicht er, sondern der Graf ab. Trotzdem ist das
vom Grafen abgehaltene Gericht sowenig Grafschaftsgericht, wie
das des fränkischen Grafen; es ist das alte Hundertschaftsgericht,
Das ergibt sich, wie schon Sch roeder3) festgestellt hat, aus
der Zusammensetzung des am einzelnen Ding sich einfindenden
Umstands und dieser ist entnommen dem go, nicht der Grafschaft.
Lebt so im Ding des Grafen das Hundertschaftsding fort, so hat
sich in der persönlich beschränkten Gerichtsbarkeit des gogreve in
der goscap, der alten Hundertschaft, ein Rest der Gerichtsgewalt
des Hundertschaftsrichters erhalten.
Das Gericht des Schultheißen aber mag das Ergebnis einer
jüngeren Entwicklung sein*). Darauf deutet hin, daß der sculteit,
wie der ja auch nicht in die germanische Periode zurückreichende
Graf, für die ganze Grafschatt bestellt ist, als Richter über die
Biergelden dieses ganzen Bezirks.
*) Hietschel a. a. 0. (S. 34 Anm. I) S. 8: Schröder Hg. s S. 125;
Mayer Vg. I, 43G.
3) Vgl. (1 io Abhandlungen von Stubbe, die Gerichtsverfassung des
Sachsenspiegels in Zeitschr. f. deutsches Hecht. XV S. 82 11': Schröder, die
Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels Z K G. 3 V 1 IT, 4l> ff: Hrunner
Hg. II S. 176: Schröder Hg. s S. 130.
J) In der Anm. 2 genannten Abhandlung.
*) Vgl hierzu Planck Gerichtsverfahren I S. 9. Gegen die Ausführungen
von Heck Beiträge zur Geschichte der Stände US. 178 f vgl. v. Amira in
ZUG.’ XXVII S. 384 ff.
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VIII. Hynden und Hundred.
Hei der Besprechung des angelsächsischen Hundred, das von
fast allen Schriftstellern mit der germanischen Hundertschaft auf
eine Stufe gestellt wird '), gehen wir zweckmäßig von einem anderen,
oben schon gelegentlich der Erörterungen über die fränkische
centena erwähnten, angelsächsischen Institut aus, nämlich der
hynden.
Die hynden kommt in den Gesetzen der Angelsachsen*) an
nur zwei Stellen vor, bei Ine und in den Judicia civitatis Lun-
donie. Behandeln wir zuerst die ältere Stelle
Ine 54 pr.:
Se (je hiö werfshfle betogen and he onsacau wille pa-s sleges
mid ade, ponne sceal bion on psere hvndenne an kyninga-de
be XXX hida, swa be gesidcundum men swa be cierliscum
swa hwseper swa hit sie.
und das dazugehörende
Ine 54 § 1 :
Gif hine mon gilt, ponne mot he gesellan on para hyu-
denna gehwelcere monnan and bvrnnn and sweord on patt
wergild, gif he dyrfe.
Bezüglich der ersten Stelle hat R. Sch in id 5) angenommen,
„daß unter Hynden eine Genossenschaft oder Gemeinde verstanden
wird, aus welcher die Gideshelfer entnommen und an welche
Bußen entrichtet wurden.“ Kemble4) hatte übersetzt: „so soll
in der Hundertschaft (hynden) ein Königseid von dreißig Hufen
') Vgl. statt Aller Brunner Itg. I® S. I G 1. Waitz Vg. 1 3 S. 216
Aus der älteren Literatur wäre besonders hervorzulieben Kemble, die
Sachsen in England I S. 1 94 ff, woselbst die .Heerestheorie“ vertreten wird:
Maurer. Kritische Überschau 1 S. 73 IT. Dagegen, soviel ich sehe, nur v.
Amirn Grnndr. * s. 72.
*) Die Citate nach Lieber mann Gesetze des Angelsachsen I (Text).
*) It. Schm id Gesetze des Angelsachsen S. Clö g. v. Hynden, woselbst
auch ältere Literatur.
*) a. a. 0. I S. 199 f.
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177
stattfinden.“ Liebermann ') erklärt die hynden in 54 pr. für
die Hundertzahl von Eideshiden, in der dann je ein Königseid-
helfer in» Eideswert von 30 Hiden sein soll. Die hynden in
.V4 § 1 sodann hält er für die Hundertzahlen der Schillingssumme
des Wergeids. Brunner®) dagegen sagt: „Die hynden stellt sich
in Ine 54 § 1 als eine Gruppe der beleidigten Magschaft dar.
Der Todschläger darf an jede der Hynden des Erschlagenen einen
Manu, eine Hrünne und ein Schwert auf das Wergeid geben.
Eine Gruppe der Sippe des Beklagten ist die hynden in Ine 54 pr.,
wo es heißt, daß, wenn der Beklagte sich eidlich reinigen will,
in jeder Hynden ein kyning-aede sein müsse.“
Es bestehen somit sehr verschiedene Meinungen über unsere
Stelle, und dies rechtfertigt wohl einen neuerlichen Erklärungs-
versuch. bei dem ich mit Ine 54 § 1 beginne.
tianz richtig haben Schmid, Brunner und Liebermann
festgestellt, daß hier dem Wergeidschuldner das Recht eingeräumt
wird, bei der Wergeldzahlung einen Teil der Summe durch
Leistung eines Mannes, einer Brünne und eines Schwertes zu
tilgen. Der Totschläger muß nicht das ganze Wergeid in Geld,
sondern er darf einen bestimmten Teil in Geldeswert zahlen.
Streitig ist nur, wie groß der Teil ist; denn je nachdem man
Brunner oder Liebermann folgt, ergibt sich ein verschiedener
Teil. Nach Brunner soll jeweils bei der Summe, die an eine der
hynden heißenden Abteilungen der Sippe des Erschlagenen zu
zahlen ist, eine solche Ersatzleistung stattfinden können; soviele
Abteilungen also, so viele Ersatzleistungen. Bei Liebermanns
Auslegung aber sind so viele Ersatzleistungen möglich als Hunderte
von Schillingen gezahlt werden müssen.
Mir erscheint nun die Auslegung von Brunner unwahr-
scheinlich. Denn erstens haben wir keinen Anhaltspunkt dafür,
daß bei der Wergeidleistung die empfangsberechtigten Magen in
verschiedene Gruppen geteilt waren, an die der Schuldner je einen
bestimmten Teil des Wergeids zu leisten hatte. Oder sollte viel-
leicht daran gedacht sein, daß gerade nach angelsächsischem Recht
*) In seiner Übersetzung des Textes (Gesetze I S. 1 1 3 f ) : zustiinmend
Chadwick Studie« on Anglosaxon institutions S. 13G Amn.
*) ltg. II S. 380.
v. Schwerin, altgerm. Hundertschaft * 2
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178
die Zahlung des Wergeids in einer großen Zahl von Quoten, je
an bestimmten Tenninen, erfolgte? Dann aber wäre die Annahme
naheliegender, daß die hynden nicht eine Abteilung von Wergeid-
empfängern sondern eine solche Quote ist. Denn abgesehen von
den ersten Quoten, dem healsfang, der inanbot und des fyht-wlte,
die ja allerdings an bestimmte Personen fielen, aber auch nicht
alle Teile des Wergeides waren, erfahren wir nichts davon, daß
diese Quoten an bestimmte Gruppen zu zahlen waren. Der Haupt-
grund aber, der mich abhält in der hynden eine Gruppe von
Magen zu sehen, ist, daß es an sich ganz unerfindlich ist, wie eine
solche Gruppe, wenn sie überhaupt bestand, zu der Bezeichnung
hynden gekommen sein soll. Wir dürfen ohne zwingenden Grund
nicht davon abgehen, daß hynden die Hundertzahl bedeutet. Dazu
aber würde die Ansicht von Brunner führen.
Andererseits kommt man gerade bei Berücksichtigung der
Wortbedeutung von hynden zur Anerkennung der Liebermannschen
Ansicht. Diese ist auch möglich, da ja schon das Wergeid des
ceorl, also des cierlisc man unserer Stelle, ‘200sc. betrug, also zwei
Hundertzahlen der Schillingssumme gegeben waren. Sie wird
bedeutend gestützt durch die Tatsache, daß das Wergeid nach
solchen Hundertzahlen gerechnet wurde, woher ja die Bezeichnungen
twyhyndeman, sixhyndemann und twelfhyndeman stammen.
Diese Bedeutung kann hynden aber nur in Ine 54 § 1 haben;
es ist auf den ersten Blick ersichtlich, daß in Ine 54 pr. nicht
von einer Hundertzahl der Schillingssumme die Rede ist. Immer-
hin aber erscheint es geboten, in der Deutung von hynden in dieser
Stelle von dessen Bedeutung in jener nicht zu weit abzugehen;
das fordern schon allgemeine Interpretationsgrundsätze. Und deshalb
ist auch hier die Ansicht Liebermanns sehr ansprechend, der
hynden wieder mit Hundertzahl übersetzt und nur hier „der Eides-
hiden“ ergänzt, während er dort „der Schillingssumme des Wer-
geids“ ergänzt. Brunners Meinung dagegen ist hier noch un-
wahrscheinlicher. Es ist uns nichts darüber bekannt, daß bei
einem Helfereid die Helfer in Gruppen eingeteilt waren; es ist
nicht einmal ein Gesichtspunkt zu finden, nach dem eine solche
Einteilung hätte stattfinden sollen. Sodann fehlt auch hier wieder
jeder Grund, solche Eidhelfergruppen gerade hynden zu heißen.
*
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179
Andererseits ist noch zu prüfen, ob die Ansicht Liebermanns
nach der Sachlage auch möglich ist.
Dafür, da LI die Höhe eines Eides bei den Angelsachsen nach
Hiden bemessen wurde, bieten uns die Gesetze auch sonst Beispiele.
So heißt es z. B. Ine 5 2 . . . geswicnc hine he CXX hida . . .
Ine 46 . . ., ponne sceal he be LX hida onsacan pa-re piefiVe.
Wenn aber Liebermann Recht hat, dann müssen bei Totschlägen
Eide von mehreren Hundert Hiden erforderlich gewesen sein. Da
jedoch nirgends der Eid zur Reinigung von der Totschlagsklage
in Hiden umgesetzt ist, so müssen wir aus den Fällen, in denen
sowohl die Hidenzahl wie die bei Nichtleistung des Eides zu erle-
gende Strafe feststeht, feststellen, ob und welche Beziehungen
zwischen Bußsumme und Hidenzahl bestehen1).
Nach Alfr. 11,2 muß, wer eine gemeinfreie Jungfrau besehläft,
dieser 60 sc. zahlen. Er kann aber behaupten, daß die Vergewaltigte
vorher schon bei einem anderen Manne gelegen hat, und wenn
diese Behauptung nicht widerlegt wird, braucht er mir 30 sc. zu
zahlen. Um nun die Behauptung des Beklagten zu entkräften,
praktisch gesehen, um sich die 60 sc. Buße zu erwerben, muß die
Frau durch Eid von 60 Hiden beschwören, daß sie zu Unrecht
früheren Beischlafs geziehen wird. Einen Eid von 60 Hiden muß
nach Ine 46 und 53 leisten, wer sich von der Anklage des Diebstahls
oder der Hehlerei reinschwören will; aus Ine 7 aber wissen wir,
daß die regelmäßige Diebstahlstrafe 60 sc. war. Nach Ine 52
sodann muß, wer heimlicher Abfindungen beschuldigt wird, ent-
weder 120 sc. Strafe zahlen, oder sich durch einen Eid von 120
Hiden reinschwören.
An diesen Beispielen sehen wir, daß jeweils die Zahl der
Eideshiden der Zahl der zu leistenden Schillinge entspricht.
Wenden wir dies auf unseren Fall an. so ergibt sich, daß schon
bei der Tötung eines ceorl(twyhyndeinan) ein Eid von 200 Hiden
erforderlich war, wenn der Totschläger sich reinigen wollte. Ent-
sprechend bedurfte es dann beim sixhyndeman eines Eides von 600
Hiden, beim twelfhyndeman eines solchen von 1200 Hiden. In
dieser Richtung ist also die Ansicht Liebermanns möglich.
Es ist aber ferner noch fcstzustellen, wer der eine kyning;ede ist,
') Vgl. über diese lier.iehung R. Schmid a. a. 0. S. 8C5.
12'
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180
oder wer, anders gesprochen, nach angelsächsischem Recht für 30
Hiden schwüren kann. Schund hat sich einer Entscheidung
ausdrücklich enthalten und auch sonst finde ich keine Erklärung
dieses kyninga*de ').
M. E. ist auszugehen von Ine 19:
Cyninges geneat, gif his wer bi<V twelfhund scill: he mot
swerian for syxtig hida, gif he bi<V huslgengea.
Daraus folgt, daß der cyninges geneat, wenn er nicht husl-
gengea ist, für dreißig Hiden schwören kann, und es ist daher an-
zunehmen, daß er der in Ine 54 pr. genannte kyningsede ist.
Sehmid allerdings nimmt an, daß der cyninges geneat. der
nicht Abendmahlsgänger ist, für 120 Hiden schwören kann’). Wir
wissen auch, wie er richtig bemerkt, „daß der Eid bei dem Abend-
mahlsgänger auf die Hälfte herabgesetzt ist.“ Aber gerade des-
wegen ist Schmids Annahme bei dem cyninges geneat falsch.
Der Eid wird auf die Hälfte herabgesetzt, wenn der Abendmahls-
gänger etwas zu beschwören hat, weil sein Eid doppelt so kräftig
ist, wie der dessen, der nicht zum Abendmahl geht. Aus diesem
Grunde bestimmt schon Wi. 23
Gif man Gedes peuwne esne in heora gemange tihtc, his
dryhten liine his ane ape gecl.-ensie, gif he huslgenga sie;
gif he huslgenga nis, luebbe hiin in ape offirne a*wdan godne
oppe gelde oppe seile to swinganne.
Eineid des Herrn genügt, wenn er Abendmahlsgänger ist; ist.
er es nicht, so bedarf er eines Eideshelfers, es muß also ein
Zweiereid geschworen werden. Umgekehrt aber stellt sich das
Verhältnis zwischen dem Abendmahlsgang und dem Eideswert so
dar. daß der Mann, der ohne Rücksicht auf den Abendmahlsgang
für x Hiden schwört, als huslgenga für 2 x Hiden schwören kann.
Und wenn nun bestimmt ist, daß der cyninges geneat, der zum
Abendmahl geht, für 00 Hiden schwört, so folgt daraus, daß der
Eid eines cyninges geneat schlechthin 30 Hiden wert ist. Da der
cyninges geneat in diesem Fall ein Wergeid von 1200 sc. hat, also
das sechsfache des Gemeinfreienwergeides, so würde daraus der
Schlnß zu ziehen sein, daß der twyhyndeman für 5 Hiden schwört.
*) Unsicher Chadwick a. a. 0. S. 136 IT.
s) a. a. 0. 565.
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Dieses Ergebnis gibt aber sofort zu Bedenken Anlaß, da wir
aus anderer Quelle wissen, daß des Gemeinfreien Eid ein solcher
von 10 Hiden ist. Denn es übersetzen die Instituta Cnnti Ine 14.
Se ö'e hIoj>e betygen sie, geswicne se liine be CXX hida
offffe swa bete mit: Qui calumniatur de hloth, si negauerit,
ita se purget: acceptis XI hominibus et ipse sit XII.
und der Quadripartitus erläutert iurare pro LX liidis durch id est
pro sex hominibus.
Eine Lösung bietet uns vielleicht der Text des Quadripartitus
bei Ine 14.
Regis geneat (id est uillanus [colonus fiscalinus]) si wera
eius sit twelfhund scill. (id est duodecies C sol), potest
iurare pro LX liidis (id est pro sex hominibus) si sit husl-
genga (id est duodecimhindus uel husbonda).
An dieser Übersetzung ist, wie schon Liebermann festge-
stellt hat, manches irrig. So die Glossierung von regis geneat
durch uillanus oder colonus fiscalinus; denn gerade dieser geneat
ist kein uillanus und kein colonus fiscalinus '). Auch die Glosse
husbonda ist völlig verfehlt; denn der huslgenga und der husbonda
haben nichts mit einander zu tun. Aber ein richtiger Kern scheint
mir darin zu stecken, daß der Quadripartitus zu huslgenga bemerkt:
id est duodecimhindus. Ich vermute, daß der cyninges geneat nur
dann ein twelfhyndeman ist. wenn er Abendmahlsgänger ist, sonst
aber, ohne Rücksicht auf den Abendmahlsgang ein sixhyndeman.
Dann würde sein Wergeid von 600 sc. zu seinem Eideswert in
demselben Verhältnis stehen, wie das des ceorl zu dessen Eideswert.
Doch mag dem sein wie immer, jedenfalls ist die Erklärung
der hynden, in Ine 54 pr. und § 1, die Liebermann gegeben
hat, ohne Bedenken, und wir können feststellen, daß diese hynden
zur Hundertschaft in keiner Beziehung steht.
Ein wesentlich anderes Bild ergibt die Untersuchung der
zweiten Stelle, an der hynden vorkommt, nämlich Judicia ciuitatis
Lundonie 3.
„Bridde: p:et we tellan ä X menn togaedere . . . and
syö'ö'an pa hyndena heora togaedore and *nne hyndenmann,
') Vgl. F. Licberuiann, Quadripartitus S. 21.
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pe jia X men mynige to ure ealrc gern«* ne pearfe; and hig
XI heahlan pasre hyndene feoh . . . “
Hier übersetzt Liebermann hynden zutreffend mit „Hundert-
verband“, wahrend Schmid auf eine Übersetzung verzichtet hatte.
Wie schon aus dem Wortlaut hervorgeht, ist diese hynden in
der Tat ein Verband von hundert Männern. Dieser Verband hat
nach den sonstigen Bestimmungen des Gesetzes wie schon oben
kurz erwähnt ist, ähnliche Funktionen wie die merowingische centena.
Durch die Judicia ciuit. Lund wird ebenfalls eine Versicherungs-
gesellschaft auf Gegenseitigkeit gegen Diebstähle gegründet. Dabei
ist angeordnet, daß ure ade 4 Pfennige in eine gemeinschaftliche
Kasse zahlen soll, aus der dann die Diebstahlsschäden ersetzt
werden. Da von der Einzahlungspflicht ausdrücklich die arme
Witwe ausgenommen ist, J>e naenne forwyhrtan naefde ne nän lönd,
so ersehen wir, daß alle Einwohner von London, auch Frauen,
beitragspflichtig waren. Da andererseits zu der hynden nur Männer
sich vereinigten, so ergibt sich, daß die hynden nicht identisch
ist mit dem Versicherungsverband. Sie ist nur ein Teil der Ver-
sicherten, sozusagen Aufsichtsbehörde und Exekutionsorgan. In
dieser Funktion haben die Mitglieder der hynden dafür zu sorgen,
daß die Einzahlungen und Auszahlungen richtig erfolgen und haben
die Verfolgung des Diebes zu übernehmen.
Wenn wir nun die auf die Spurfolge bezüglichen Bestimmungen
mit den allerdings weit primitiveren in den merowingischen Gesetzen
vergleichen, so ergibt sich für die Nebeneinanderstellung von hynden
und centena Etwas sehr Interessantes. Während in der Deeretio
Chlotar» immer davon die Rede ist, daß die Spur von einer centena
in die andere führt, finden wir nicht auch hier den Fall erwähnt,
daß die in einer hynden gefundene Spur in eine benachbarte
hynden hinüberleitet. Es heißt lediglich in cap. 8,4
and gif man spör gespirige of scyre on off re ;
es wird also nur eine Spurleitung von einer scire in eine andere
angenommen.
Dies unterstützt die sich schon aus der Entstehung der
hynden ergebende Annahme, daß diese hynden lediglich ein
rein persönlicher Verband von hundert Mann war, ohne jede Be-
ziehung auf territoriale Verhältnisse, abgesehen davon, daß diese
hundert Männer Einwohner der civitas Lundoniae waren. Diese
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hynden, gewissermaßen ein Ausschuß der Einwohner Londons,
konnte auch jeweils den gleichen Bestand von hundert Mann haben.
Denn Nichts hinderte einerseits die Ergänzung, wenn ursprüngliche
Mitglieder wegfielen, nichts zwang andererseits dazu, die Zahl von
Hundert zu überschreiten.
Wenngleich nun diese hynden einen wesentlich anderen Ein-
druck macht als die hynden in den Gesetzen Ines, so ist im
Grunde doch kein Unterschied. Hynden ist hier wie dort nichts
anderes als die Hundertzahl. Eine Sache für sich ist es, daß wir
es dort mit Hunderten von Hiden und Schillingen, hier mit Hun-
derten von Männern zu tun haben.
Eine andere Frage, die zwar auf diese Auffassung des hynden
ohne Einfluß bleibt, aber doch hier nicht ganz übergangen werden
darf, ist es, ob innerhalb der civitas Lundonie nur eine oder
mehrere hynden vorhanden waren. Da sowohl cap. 3 von
mehreren hynden spricht, als auch cap. 8,1 von mehreren
hyndenman, so ist hieraus auf eine Mehrzahl von hynden zu
schließen. Man darf aber nicht übersehen, daß die Annahme
mehrerer hynden in einem Bezirk zu Schwierigkeiten führt, die
ich hier allerdings nur andeuten kann. Da nämlich, wie oben
festgestellt, dem Versicherungsverbande auch Leute angehören, die
nicht in der hynden sind, so müssen wir fragen, nach welchem
Gesichtspunkte festgestellt wurde, zu welcher hynden diese Per-
sonen finanziell zu rechnen seien. Denkbar wäre z. B., daß in jedem
Vogteibezirk eine hynden gebildet wurde, sodaß der Wohnsitz in
einem solchen Bezirk maßgebend war. Doch dies nur nebenbei.
Für uns ist wesentlich, daß nach All dem, was wir über die
hynden in den Jud. civ. Lund, wissen und was hier ausgeführt
ist, die hynden keine altgermanische Hundertschaft ist. Nicht nur,
daß sie jedes territorialen Charakters entbehrt, ist sie auch schon
durch ihr starres Zahlensystem von der Hundertschaft weit ver-
schieden. Und endlich spricht auch der Wortlaut des angeführten
cap. 3 dafür, daß diese Hundertverbände erst durch die lud. civ.
Lund, eingeführt wurden. Hierbei ist auch noch darauf aufmerk-
sam zu machen, daß der Wortlaut keineswegs zwingt, hynden
für die technische Bezeichnung dieser Verbände anzusehen, wenn-
gleich es wahrscheinlich ist, daß hynden im allgemeinen „Hun-
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dertzahl“, im besonderen aber gerade die „Hundertzahl der zur
Diebstalilsverfolgung zusammengetretenen Männer“ bedeutete.
Es kann also nicht davon die Rede sein, daß, wie Kemble
meint, die livnden „dem entsprach, was wir gewöhnlich eine
Hundertschaft nennen“, auch nicht davon, daß sie auch nur „ur-
sprflnglich eines und dasselbe waren“. Wenn Kemble dies aus
Ine 54 pr. zu beweisen sucht, so greift er dabei, wie die obigen
Ausführungen zeigen, vollkommen fehl1).
Alles bisher Gesagte ist dahin zusammenzufassen, daß die in
angelsächsischen Gesetzen erwähnte hynden keinen Anhaltspunkt
gibt für das Vorkommen von Hundertschaften auf angelsächsischem
Gebiet.
Wir wenden uns nunmehr zu dem hnndred, das, wie schon
Eingangs erwähnt, zumeist als die Hundertschaft der Angelsachsen
angesprochen wird. Hat die herrschende Meinung Recht, so
müssen nicht nur die angelsächsischen hnndred den kontinentalen
in der Struktur gleichen, sondern man muß sie auch von Anfang
an, d. h. von der angelsächsischen Einwanderung an in England
annehmen; denn die germanische Hundertschaft ist, wie wir gesehen
haben, eine mit der Jlesiedlung zusammenhängende und mit ihr
gegebene Einrichtung, die künstlich nicht ins Lehen gerufen
werden kann.
Gehen wir nun bei der Untersuchung des Alters des angel-
sächsischen hundred vom Wort aus, so zeigt sich, daß es ver-
hältnismäßig jung ist. Wie schon wiederholt festgestellt, findet
es sich zuerst in Gesetzen des Königs Eadgar*), oder, wenn wir
den Quadripartitus heranziehen, schon in einer institutio des Königs
Eadmund3); also entweder erst nach 94f> oder schon zwischen 940
und 94(>, jedenfalls nicht früher als im 10. Jahrhundert. An
diesem Ergebnis der Quellenforschung haben auch die neueren
Quellenveröffentlichungen nichts zu ändern vermocht. Insbesondere
sei darauf hingewiesen, daß eine von de Gray-Hirch ohne kritischen
Vermerk mit der Jahreszahl <104 aufgenommene Urkunde, in der
allerdings von Hundreda die Sprache ist, längst als eine spätere
') Kemble, Die Sachsen in England I S. 199 g.
*) Liebermann, Gesetze S. 192.
3) ebda. S. 190.
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Fälschung der Mönche von Peterborough erkannt wurde'). Doch
dürfen wir, wie uns das Beispiel der fränkischen centena zeigt,
aus diesem späten Vorkommen des Wortes hundred keineswegs
schließen, dal! das hundred auch der Sache nach nicht älter ist.
Frühere Schriftsteller, wie Lappenberg, Turner, Lingard,
Palgrave sind bei der Erwähnung des Itundred an der Alters-
frage stillschweigend vorübergegangen und haben sich mit der
Feststellung begnügt, da LI es in England Hundert schäften gegeben
hat. Erst K. Maurer*) ist der Frage nähergetreten, ob das
hundred eine Einrichtung der späteren Zeit, etwa des Großkönig-
tums unter Alfred ist, oder ein schon am Anfang der angel-
sächsischen Staaten vorhandener Bezirk. Seine Ausführungen
endigen mit dem Ergebnis, daß das hundred keine neuere
Bildung ist3).
Von den auf Maurer folgenden Schriftstellern ist ihm
R. Schmid*) entgegengetreten, hat sich Adams4) seiner An-
schauung angeschlossen. Unabhängig von Maurer vertritt die
gleiche Ansicht Kemble") und nach ihm Stubhs 7). ln neuester
Zeit ist sodann die Frage von Chadwick") behandelt worden, der
zu folgendem Schlüsse kommt: „On the whole therefore J am
inelined te believe timt, though the nation or shire was from
early times reckoned in hundreds of hides. these hundreds were
not used as units for administrative purposes before the time of
Edmund, aud that the Organisation then adopted was borrowed
from Danish custom“.
Dem gegenüber erscheint eine Untersuchung der Quellen
nicht überflüssig.
*) IV. de Graj-Bircb, Cartulariuin Saxonicum I S. 22 Nr. 38.
*) In der .Kritischen Überschau für Gesetzgebung und Rechtswissen-
schaft* 1 S. 73 fT. woselbst die ältere Literatur.
J) Vgl. über das Verkommen von „hundred“ auch die Untersuchungen
von Stecnstrup, Danclag S. 77 ff.
*) a. a. 0. s. t. hundred.
ij The Auglo-Saxon Courts of Law in Essays in Anglo-Saxon Law.
«) a. a. O. S. 200 ff.
*) Constitutional history of England I S. 9t> ff. Vgl. auch A. ßugge a. a.
0. (ob. S. 14 Anm. 8) 8. 42*
8) Chadw ick, a. a. 0. S. 239ff, 248.
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IS«
Die Verordnung über das Hundredgemot enthält in cap. 5
folgende Bestimmung:
„Eac we cwaedon, gyf him hundred bedrife tröd on oder
hundred, p*t mon cyffe ffam hundredesman and he ffonne
ff;er midfare“.
Daraus ergibt sich, daß dieses hundred, anders als die vor-
behandelte hynden, Grenzen hatte. Dagegen zeigen die übrigen
Bestimmungen der Verordnung eine nahe Verwandtschaft zwischen
hynden und hundred. Wie die hynden ist auch das hundred in
Zehntschaften geteilt, auch bei ihm steht die Verfolgung von
Dieben im Vordergrund und alle vier Wochen findet eine Ver-
sammlung statt. Die Grenzen aber stellen das hundred zur
fränkischen centena und von hier aus rechtfertigt sich die Frage,
ob das hundred eine germanische Hundertschaft ist.1)
Ich stehe nicht an, sie aus verschiedenen Gründen zu ver-
neinen.
Auffallend ist in erster Linie, daß die hundred als kleine
Gebiete behandelt werden, kleiner als eine byrig, ausdrücklich
einer smalu byrig gleichgestellt.
IV Eg. 4. To adeere byrig XXXIII syn geeorene to gewytnesse
5. to smalum burgum and to jelcum hundrede XII,
buton ge mä willan.
Auch in anderer Bestimmung tritt das hundred als kleines
Gebiet hervor. So z. B.
I Atr. 1,3. Gif se äff ponne forffcume, ceose pe man
ponne, pe pa*r betyhtlet sy, swa hweffer he wylle swa anfeald
ordal swa pundes wurpne aff innan pam prim hundredan,
ofer prittig peninga.
Da ferner die Eidhilfe, wie überhaupt im germanischen Recht,
so gerade nach der einschlägigen angelsächsischen Eidformel
Swer. 6. On ffone Drihten, se aff is claene and unmsene,
ffe N. swor.
Kenntnis der Person des Hauptschwörers voraussetzt, so können
die Eidhelfer nur dann aus den benachbarten Hundertschaften ge-
') Zu dein hundred der Verordnung über das bundredgomot ist auch
das hnndretum in III Km. 2 zu stellen. Man beachte die Buße von 30 sc.
in Hu. 7,1 und III Eni. 2; die 30 Pfennig-Fälle in Hu. entsprechen sachlich
nicht III Ern. 2.
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1*7
nommen werden, wenn diese so klein sind, daß die Einwohner
der einen die der benachbarten kennen können.
Audi das hundredgemot macht keineswegs den Eindruck
eines Hundertschaftsgerichts. Wenn bestimmt wird in
Hu. 7. On hundrede swa on oder gemote we wyllaö. {net
mon folcriht gefceee a-t adeere spa-ce, and andagie, hwa*nne
man fiad gela*ste.
so ist daraus nicht nur zu schließen, daß das hundredgemot noch
jung und der Rechtsgang dortselbst noch nicht durch alte Tradi-
tion geregelt ist, sondern auch, daß es außer ihm ein Gericht
gibt, das nach der Anschauung des Gesetzgebers dem Recht ge-
mäß abgehalten wird und dem Recht gemäß urteilt; dieses andere
Gericht erscheint als das typische, ordentliche').
Dazu kommen noch andere Gründe.
Die Bezeichnung hundred erscheint an sich schon ungeeignet
für eine germanische Hundertschaft. Wenn wir auch nicht wüßten,
daß es in England Gebiete von je hundert oder hundertundzwanzig
Hiden Flächeninhalt gegeben hat, würden wir annehmen können,
daß hundred, sofern nicht eine Gruppe von hundert Personen,
dann doch ein solches Gebiet von bestimmter Hidenzahl be-
zeichnen soll. Während z. B. das schwed. hundari sehr wohl
geeignet ist, das Siedlungsgebiet eines Wanderhaufens zu be-
zeichnen, eben wegen seiner Bildung aus hund. ist es hundred
so wenig als nur möglich. Denn hundred bezeichnet nicht eine
Menge, sondern ist ja gerade das gezählte Hundert, wie schon
oben ausgeführt *).
Sodann widerspricht die angelsächsische Besiedlungsgeschichte
ganz allgemein der Annahme angelsächsischer Hundertschaften.
Aus Beda3) und dem Chron. Anglosax.4; selbst ersehen wir
') Von diesem ordentlichen Gericht scheint mir zu reden
II Edw. 8 Je wille p;et tele gorefa luebbe gemot ä yuibe feower
wucan; and gedon, Ü'set aclc spra>c hirbbe ende and andagan, hwsenne
hit ford'cume.
Einen Unterschied zwischen diesem gemot und dem hundredgemot nimmt
auch an Chadwick, a. a. 0. S. 240.
*) S. oben S. 62.
3) Beda, Historia ccclcsiastica ed. Plummer Buch I.
4) Chronicon anglosaxunicum cd. Plummer: zu vgl. die Nachrichten bis
etwa a. 500.
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1 88
deutlich, daß die Nachricht der letztgenannten Quelle iiher die
Einwanderung der Sachsen, Jftten und Angeln im Jahre 449 nicht
so aufgefaßt werden darf, als seien in diesem Jahre alle die
Germanen eingewandert, die wir etwa im Jahre (>00 in England
finden. Die Ansiedlung war, wie Freemann ’) sagt „the result of
a series of separate expeditions, long continued and perhaps in point
of time, continuous, hut unconnected, and independent of one another.“
Sie ist in ihrer Allmählichkeit zu vergleichen der Landnäma auf
Island.
Dazu kommt, daß sich schon vor der großen Einwanderung
Germanen, zurückgebliebene römische Soldtruppen, in England an-
gesiedelt hatten, die, wenn sie sich nicht in die Organisation der
Ureinwohner einfügten, auch nicht nach Abzug der römischen
Truppen Hundertschaftsverbände und Hundertschaftsbezirke er-
richteten. Die herüberkommenden Jiiten, Sachsen und Angeln,
denen wohl schon kleinere Züge vorausgegangen waren, werden
sich ebenso, wie dies ihre schon ansässigen Stammesbrüder einst
getan hatten, inmitten der einheimischen Bevölkerung niedergelassen
haben. Kleinere Abteilungen von nur wenigen Familien haben
sich wohl bestehenden Ansiedlungen angeschlossen. Kamen dann
und wann größere Haufen, dann werden sich diese neue An-
siedlungen geschaffen haben.
Bei diesen Ansiedlungen wurden dann auch Einrichtungen
administrativer und gerichtlicher Art nötig. Vermutlich stand in
der ersten Zeit, in der Einfälle und Angriffe der Ureinwohner den
Frieden nicht aufkommen ließen, auch die Leitung innerer An-
gelegenheiten dem heretoga zu. oder man wählte, was später wohl
Regel wurde, einen ealdonnan. Das mußte dann dazu führen,
daß sich allmählich Qerichtsbezirke bildeten, in denen regelmäßig
Gericht gehalten wurde. Es entstanden staatliche Gebilde, die in
ihren Funktionen genau einer germanischen Hundertschaft ent-
sprachen, insofern auch sie ordentliche Gerichtsbezirke waren.
Aber was sie von der Hundertschaft ebenso trennte, wie etwa die
langobardische sculdasia, das war ihre Entstehungsgeschichte, ihr
Hervorgehen aus dem Bedürfnis, das sich nach der kolonisatorischen,
allmählichen Inbesitznahme des Landes herausstellte und in einer
*) The nunnan Conquust 1 S. 15 ff.
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189
Weise befriedigt wurde, die auf den Einrichtungen der alten
Heimat fußte, aber sie nicht unmittelbar fortsetzte-.
Dabei waren die Umstände für die Entstehung echter Hundert-
schaften noch ungünstiger als bei den Langobarden. Wahrend
hier das Volk noch in verwandtschaftlicher Gliederung wanderte,
wie uns die schon erwähnte fara zeigt, waren die einzelnen Haufen,
die unter einem heretoga noch England segelten, Ansammlungen
von Kriegslustigen und Heutelustigen, die dem Ruf eines Führers
folgten, bunt zusammengewürfelt und nicht durch die Hände der
V erwandtschaft verbunden.
Das sich so darbietende Ergebnis, daß das angelsächsische
hundred keine germanische Hundertschaft ist, bestätigt sich, wenn
wir auch noch einige der Bestimmungen ins Auge fassen, in denen
das lmndred erwähnt wird.
In einer Reihe von Bestimmungen erscheint das hundred wie
die hynden der Jud. civ. Lond. als eine Vereinigung von 10 Zehnt-
schaften. So insbesondere in der Verordnung über das Hundert-
geniot, wo von dem teosVingmann die Rede ist. Aber auch in
II Cn. 20 „and we wyllad p;et :ele freoman beo on hundrede
and on teoflunge gebroht, . . . ofer p;et he by<V XII
wintre . . .“,
eine Bestimmung, die in einem Text überschrieben ist: pu*t ;elc
mon beo on teoffunge.
In diesen Fällen zeigt sie ihre enge Verwandtschaft mit der
hynden1) und ist, wie diese, als ein rein persönlicher Verband
aufzufassen, dem man ja auch nicht angehört, weil man in einem
bestimmten Gebiete wohnt, sondern nur weil und wenn man darin
aufgenommen ist und dem der Minderjährige nicht angehört.
Allerdings scheint dem die schon oben herangezogene Stelle zu
widersprechen.
Cn. 5.: Eac we cwaedon, gvf him hundred bedrife trod
on oder hundred ....
zumal im Zusammenhalt mit
II As. 8, 4 and gif mon spür gespirige of scyre on oiVre . . .
Aber man darf nicht übersehen, daß sich diese Stelle auch
erklären läßt ohne abgegrenzte Hundredbezirke. Die in einem
•) Vgl. Chadwick a. a. 0. S. 247 Amn. 1.
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100
hundred vereinigten Personen werden schon von Anfang an auch
beisammen d. h. benachbart gewohnt haben. Und aus diesem
Grunde haben Grenzen bestanden, ohne daß eine rechtliche Ab-
grenzung stattgefunden hatte, oder überhaupt Grenzen von recht-
licher Bedeutung waren. Wenn z. B. im Hause des dem hundred a
angehörenden A etwas gestohlen wurde und man die Spur in das
Haus des B leitete, der dem hundred b angehörte, so konnte man
sehr wohl sagen, daß die Spur aus dem hundred a in das hundred b
geleitet worden war.
Während aber das hundred anfangs nur als persönlicher Ver-
band der Verfolgung von Dieben diente, scheinen sich seine
Funktionen allmählich erweitert zu haben.
Aus der Verfolgung und dem Einfangen des Diebes mag sich
zunächst das Bestrafen des eingefangenen Missetäters und dabei
das hnndredgemot entwickelt haben. Das hundredgemot konnte
nicht nur Notgericht sein, weil auch Gewährenprozesse in Frage
kommen konnten und überhaupt Beweisaufnahmen. Von hier aus
scheint sich dann das hundredgemot, dem, wie schon hervor-
gehoben, zunächst ein oö'er gemot gegenüberstand, in dem wir
vielleicht das kentische ping wiederfinden, zu einem Untergericht
schlechthin entwickelt zu haben, womit eine territoriale Begrenzung
Hand in Hand gegangen sein mag. S<> erscheint das hundred in
den Gesetzen Knuts, z. B.
II Cn. 31a: and gif hine man ajniges pingces teo and-
swarie innan pam hundrede, par he on beclypod beo, swa hit
rihtlagu sig.
Diese Entwicklung des hundredgemot zum Untergericht war
vielleicht schon zu Zeiten Eadgar’s, also Mitte des 10. Jahr-
hunderts vollendet. Es ist nicht anzunehmen, daß das nur zweimal
im Jahre stattfindende scirgemot, das sich überdies durch die
Anwesenheit des Shirebischufs als ein höheres Gericht charakterisiert,
alle Rechtsfälle außer Diebstählen sollte erledigt haben.
Soviel über diese Seite der Frage. Was sodann den Zu-
sammenhang des hundred mit einem territorialen hundred von
100 oder 120 Hiden anlangt, so steht auf Grund der Unter-
suchungen englischer Schrittsteller fest, daß es in England Ge-
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191
biete von 100 oder 120 Hiden1) gab. Hierbei ist es ohne Belang,
daß und aus welchem Grund die einzelne Hide in den ver-
schiedenen Distrikten verschieden war. Dagegen ist ein Zusammen-
hang zwischen diesen hundred und den im Vorausgehenden be-
handelten aus den Quellen nicht ersichtlich. Auch die Stelle in den
Leis Wl. 28 De stretwarde. De chaseuns X hides del
hundred un hume dedenz la feste seint Michel e la seint
Martin
könnte nicht dafür angeführt werden. Daß dieses hundred in Hiden
geteilt werden konnte, ist nach dem über die allmähliche Ent-
stehung des territorialen hundred aus dem hundred-Verband Ge-
sagten nicht überraschend. Und mehr sagt die Bestimmung nicht,
insbesondere nichts davon, daß in jedem hundred hundert Hiden
waren. Das ist sogar unwahrscheinlich, da gleich die folgende
Bestimmung Leis Wl. 28,1 den Fall vorsieht, daß der guardireve
allein dreißig Hiden besitzt.
Auch die Entstehung des persönlichen hundred einerseits, des
territorialen andererseits weist m. E. darauf hin. daß zwischen
beiden zu unterscheiden ist. Wie sollte das ohne jede Rücksicht
auf Hidenzahl entstandene persönliche hundred mit dem Hiden-
hundred in Übereinstimmung gekommen sein?
Der gleiche „Name“ hundred kann dieses Ergebnis nicht
stören. Denn, ganz anders wie huntari oder auch centena, ist
hundred sowenig ein Name wie hynden. Es heißt „Hundertzahl“.
Welche Einheiten aber in der Hundertzahl vorhanden sind, das
ist eine Frage für sich *) 3).
Man kann somit der oben erwähnten Schlußfolgerung von
Chadwick nicht beitreten.
') Vgl. Maitland, Domesday boock and beyond S. 451 f. 455; „We
secm te see pretty plainly that Worccstershire has boon divided into twelve
diatricts known as hnndrcda, each of which haa containcd 100 hides.“
Andrews, The old engliah inanor 8. 78 Annt. 2 (bea. für das kentiache
hundred nach Maitland ) 85 f. Ko und, The feudal England. Chadwick,
a. a. O. 8. 240 ff. Vgl. ferner v. Ainira, Grundriß ’ 8. 72. Rhamm, die
Großhufen der Nordgcnnancn S. 219 ff.
*) Über wapengeta>c vgl. d. Schluß des folgenden Abschnitts.
*) Von hier aus entfällt die Notwendigkeit, das Verhältnis zwischen
acire und hundred an dieser Stelle zu beleuchten. Auch wenn die scire in
der Regel ein ursprünglich selbständiges Herrschaftsgebiet ist, so folgt
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192
IX. Hundari, herath and häräth.
Von den nordgermanischen Rechten kennt, wie schon oben
hervorgehoben, eines, nämlich das schwedische, den Hegriff hundari ').
Allerdings ist er auch dort nicht über das ganze Land verbreitet.
Nur Upland, Södermannaland, Västmannaland und das Stadrecht
des Königs Magnus Eriksson kennen ein hundari, nicht aber Ost-
götaland, Vestgötaland und Helsingeland. Da wir aus dem Ge-
biete der Tiuha*rap überhaupt keine Rechtsaulzeichnungen be-
sitzen, so können wir demnach sagen, daß das hundari im Ge-
biete der Svear vorhanden ist, in dem der Götar dagegen fehlt;
nur Helsingelagh hat von den Landern «ler Svear allein kein hundari
aus einem unten noch zu besprechenden Grunde*). Die Ansichten
der schwedischen Schriftsteller über das Wesen des hundari bauen
im Großen und Ganzen auf den Ausführungen von Strinnholm
oder von Verelius und Ihre auf. So sagt z. R. Schlvter, daß
daraus natürlich nicht, daß sic in Hundertschaften eingeteilt war, wie man
dies — einen entsprechenden Zusammenhang vorausgesetzt — bei den
salischen Gauen und Grafschaften anzunchmen hatte. Doch möchte ich
der Vermutung Ausdruck geben, daß der Name scirc keinesfalls ans der
Zeit solcher Selbständigkeit herrührt und nicht über diu Gründung des
angelsächsischen Großreiches hinaufreicht. Denn die scire (von scieran-
sehneiden) ist Teil eines größeren Ganzen, wie schon Stuunstrup, Danelag
8. 74 hervorgehoben hat. Vgl. über solche Zusammenhänge Chadwick,
a. u. 0. 8. 282 ff. Adams, a. a. 0. S. 19: „The facta above citcd authorize
the aasumption, as a general law, oft the principle that the State of the
seventh Century bccainc the Shirc of the tenth, while the Shire of the
seventh Century becarne the Hundred of the tenth.“
') Vgl. zu dem Folgenden Schljtcr, Juridisku Afhandlingar II S. 38 ff. •
Schlvter, Uplandslagh Glossar s. v. hundari, folkland, attungr, fiu-rpungr,
[ting und Index Noininum. Naumann, Svenska statsförfattningens
historiska utveckling Cap. 1. J. Nordstrom, liidrag tili den svenska
sainhälls - fiirfattningens Hiatoria, I, S. 1 1 ff., II, S. 506 ff. H. Hildo-
brandt, Svenska folket nttder hednatiden S. 202. TcngbcrgOiu de äldste
territoriale indclning i Sverige. H. Hildebrand, Sverigcs Medeltid. I.
Brunner, ItG. I3 S. 161 ff. Schroedcr, Hg.3 S. 17. v. Atnira, Grundr.3
S. 72 ff. E. Hildebrand, Svenska statsförfattningens historiska l'tvockling
S. 11 ff.
») s. u. S. 205.
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1H3
eine Hundertschaft ursprünglich ein Landgebiet war, das von 100
oder 120 Familien bebaut wurde1). Nordström*) schließt sich
an Strinnholm an; ebenso Naumann3), H. 0. Hildebrand4)
und E. Hildebrand5).
Das älteste, zuerst besiedelte Land der Svear ist bekanntlich
l'pland und aus diesem Grunde erscheint es angebracht, das
schwedische hundari an den uplündischen Verhältnissen zu unter-
suchen.
Aus Uplandslagh geht deutlich hervor, daß das dort genannte
hundari ein räumlicher Bezirk ist. Denn es wird davon ge-
sprochen. daß jemand innerhalb des hundari den Gewerenzug
vomimmt*), daß kein hensmann seine Pferde in das hundari
soll laufen lassen 7), daß in jedem hundari eine Dingstatt sein
soll*), daß jemand innerhalb des hundari einen Hengst ein-
tauscht 9).
Eine Beleuchtung erfahren diese Stellen durch eine andere,
nämlich
Upl. V. XX p.:
Nv six um almamingia*. ligga-r alnueninga-r byse madlum
»dir bolstapa-, a-r ra ok rör til. w;eri pad wa*rit hawa*r. a*r ;ei
ra ok rör til pa taki hwar by hallfwam almaming. Liggia* ok
vm en almaming flere bya-r ok a*r ad skiad bya* madlum, taki
slict by sum by liwat han ligg<er fore mene »dir minna*. ligg<er
alm;eningo‘r hunderte ma*llum ad Ir folklandte. ;er ad ra ok rör
til. hawi hallfwam almamninghwart. ligga'r almaminga-r humhene
madlum ;er ra ok rör til wseri pad want ser. ;er a*i ra ok rör
til skipti w»*wildrad pera* madlum j prv sunda-r twa löti wars-
koghier ok pripiung almamingter. Liggoer almeningier hundara*
nuellum »dir folklanda* hawi halffwam alnnening hwart. (Nun
■) Afliandlingar II S. 32.
*) a. a. 0. I 8. 14 f.
s) a. a. 0. S. 4 f.
*) a. a. O. I 8. 42.
5', a. a. 0. S. 11.
ö) Upl. M. XLV. „GripaT inan til homuls maus/, innam liunilinris.
1) Upl. Kp. X. § 2 „aingin lunrrai adlr latnsman ma sin») luvst»’ j
lmml»*ri lata) rinn»*.
“) Upl. p I pr. . . . en akal pinxstapurr waira^ i hnndaTi hwariu.
v) l'pl. Kp. V. „Skiptir man luestum innam hundarU.
». Schwerin, altgerm. Hunden schalt 13
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19-1
wird gesagt von dem Almänninger. Liegt ein A. zwischen Dörfern
oder Hofstätten und ist eine Grenze aus Steinen vorhanden, so
soll es sein wie es war. Ist keine Steingrenze vorhanden, dann
nimmt jedes Gehöft den Almänniger. Liegen um einen A. mehrere
Dörfer und ist keine Grenze zwischen den Dürfen, so nimmt
jedes Dorf gleich viel. Liegt ein A. zwischen Hundaren oder
Volkslündern und ist keine Steingrenze da. dann hat jedes die
Hälfte des A. Liegt der A. zwischen Hundaren und ist eine Stein-
grenze da, so soll es sein, wie es war (wie man es gewöhnt ist).
Ist keine Steingrenze da, so teilt man gradlinig zwischen ihnen
in drei Teile, zwei Teile werden Privatwald, einer wird A. Liegt
der A. zwischen Hundaren oder Volkslanden, so habe jedes den
halben A.)
Der Sinn dieser Bestimmung ist insofern etwas unklar, als
der letzte Satz nur früher Gesagtes zu wiederholen scheint. Immer-
hin läßt sich der wesentliche Inhalt mit Bestimmtheit feststellen.
Gehandelt wird von dem almenninga-r, was nach Schlyter silva
et pascuum commune ist, jedenfalls aber Land, das nicht im
Privateigentmn steht. Wenn nun eine solche Allmende zwischen
zwei Dörfern oder Gehöften liegt, dann soll sie jedem zur Hälfte
zufallen, d. h. die Einwohner jedes Dorfes und jede Hofstatt sollen
die Hälfte zur Rodung haben. Es wird also unterschieden zwischen
dem by und dem bolstaper einerseits, dem almenninga*r anderer-
seits, als zwischen verschiedenen räumlich abgegrenzten Teilen des
Bodens. Das Gesetz fährt nun fort und stellt den Fall so, daß
nicht ein by, sondern ein hundari oder ein folkland in Frage steht.
Daraus folgt, daß auch hundari und folkland vom almenningser ver-
schiedene Bodenflächen sind und infolgedessen nehmen die hundari
nicht die ganze Fläche von Upland ein, solidem nur einen Teil,
nämlich Upland abzüglich aller Allmenden.
Es ergibt sich aus demselben flokker, daß hundari auch eine
andere Bedeutung haben kann, als diese eingeschränkte des be-
nützten und bewohnten Landes. Denn „a-neti hundieri ;ellr bol-
stapa-r ma annaers allinaming t'ar;e a-llr fikia- hwarti j skoghum
aellr watnum ut;en hau hawi loff a-llr legliu fore sik“ ’). Die Allmende
gehört also zu einem hundari, sie ist. annars almseningier. Und
>) UpL V. XX. § 3.
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195
hieraus folgt nun wiederum die weitere Bedeutung von hundari,
zufolge deren die Summe der Hundari in Upland gleich ist ganz
Upland; denn da, wo eine Steingrenze die Allmende teilt, stößt
ebenso die Allmende des einen hundari an die des anderen, wie
da, wo man sie erst errichtet, oder jedem die Hälfte zufällt,
sodaß das Land aufgeteilt ist. Zu dieser weiteren Bedeutung von
hundari stimmt es auch, daß für einen in dem ahmeningoer Er-
schlagenen das hundari zu zahlen hat, in dem er liegt1).
Es ergibt sich also, daß die hundari einzelne Gebiete sind,
in die Upland zerfällt. Wie sie entstanden sind und welchem
Zwecke sie im Lande dienen, soll das Folgende zeigen.
Das hundari war wieder in mehrere Teile zerlegt. Für be-
sondere Zwecke, wie die Verproviantierung des Heeres und den
Brückenbau bestand eine Teilung in Hälften; sodann zerfiel jedes
hundari in Achtel (attungr) und in Viertel (fberpungr), jedes
Achtel in hampna J).
Andererseits war je eine Anzahl von Hundaren zu größeren
Bezirken zusammengefaßt, nämlich zu «len drei Volkslanden Tiun-
«laland, Attundaland und Fheprundaland.
Zu diesen Namen sind zunächst einige Bemerkungen zu
machen. Es ist in den drei Wörtern das h vor u geschwunden,
sodaß wir es bei der zweiten Kompositionshälfte ursprünglich mit
einem Worte hundaland zu tun haben *). Die ersten Kumpositions-
hälften sind die Zahlen tiu, atta und fiurir, das als Präfix die
Form fi;«-per — annimmt4). Erinnern wir uns, daß liund das alte
Wort für hundert und der allgemeine Mengebegritf ist, und fügen
hinzu, daß hund-a der Genetiv Plural eines neutralen a-Stammes
ist. so zeigt sich, daß hundaland nichts anderes ist, als das Land
der Hunderten h). Tiundaland ist das Land der zehn, Attundaland
das der acht, Fheprundaland das der vier Hunderte.
') Upl. M. VIII.: „Wmrpier inan wicghin ok ahcgbin j gatum . . .
adlr nlimeningiuin . . . han :er gildicr at tiughum tiuruni . . . p.et a hun-
tkeri giaeldat c hwar pa't liggier.
a) Vgl. statt aller Upl. Kg. X und V. XXIII.
3) Vgl. Noreon Altscbwcdiachc « Irammatik3 § 24li.
*) ebenda § 483 Amn. 2.
4) Bugge a. a. O. (oben S. 14 Anin. 8) S. 15. Hildebrand Svrriges
Aledeltid II S. 37.
13*
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Wenn wir nun andererseits beachten, daß in der Tat Tiunda-
land zehn, Attundaland acht, Fia-prundaland vier hundari enthielt,
so ist klar, daß hund das ursprüngliche Wort für den Begriff war,
den die Schweden späterhin hundari hießen, wir Hundertschaft
nennen. Darin liegt zugleich eine Bestätigung dafür, daß hundari
auf hund zurückzuführen ist.
Zu bemerken ist hierzu noch, daß in spaterer Zeit Fiseprunda-
land statt vierer fünf Hundaren enthalt, Tiundaland dreizehn statt
zehn1). Aber, wie schon Schlyter hervorgehoben hat*), ist dies
darauf zurückzuführen, daß in diesen beiden Volkslanden eine
Teilung alter Hundaren in mehrere jüngere vor sich gegangen ist.
Soviel über die räumlichen Verhältnisse des upländischen hundari.
Wie aber centena nicht nur ein Gebiet bezeichnete, sondern
auch eine Gruppe von Menschen, so können wir auch bei hundari
eine solche Doppelbedeutung feststellen. Am deutlichsten tritt ge-
rade die Parallele zu centena hervor in Upl.M. VIII pr.
„pa*r a hundari banae Anna* innaen nat ok iamlamgae adlr
botum uppi haldae“.
Das hundari, in dem der Erschlagene gefunden wird, zieht
aus, den Mörder zu suchen und, wenn es ihn nicht findet, muß
es die Buße an die Verwandten des Toten zahlen 3). Wir werden
aber auch hier annehmen dürfen, daß nicht das ganze hundari
auf die Suche ging, sondern nur ein eben nötiger und ausreichender
Teil, ähnlich wie bei der centena.
Dagegen sind die Inwohner des hundari in ihrer Gesamtheit
gemeint, wenn es in Upl.M. XVII pr. heißt:
„Nu will man witse drap sa*tt ok bött kiarir malseghande
septir botum ad Ir knnungar adlr hundari . .
Äußerst zahlreich sind die Fälle, in denen das hundari einen
Teil der zu zahlenden Buße erhält. So kommt ihm zu ein Drittel
der Buße, wenn ein bonde den in seinem Hause liegenden Leich-
nam früher als vor Ablauf von drei Nächten aus dem Hause
*) Die Entwicklung der einzelnen Gebiete bei Schlyter Afh. I S. GGff.
Styffo, Skandinavien under l'nionstiden S. 262 tf.
*) Corpus Iuris Svoo-Gothorum ant. Bd. III. Glossar s. v. FjjBprunda-
lund: Afh. 11 S. 71 ff.
3) Vgl. dazu 1'plM. IX. § 3 . . . hittis ad drapariu pa giaddi humberi
sum fyrr ser saght.
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197
bringt1), acht örtuge im Falle eines Totschlags“); es nimmt Teil
an der einen Hälfte des tveböte 3).
Hundari ist somit auch Bezeichnung für einen bestimmten
Kreis von Personen, der innerhalb eines Hundari wohnt. Daß
nicht alle Inwohner des Hundari in diesen Kreis gehören, sondern
nur die voll Rechtsfähigen, dürfen wir wohl aus den eben an-
geführten Stellen schließen.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen können wir zu der
Hauptfrage übergehen, dem Zusammenhang des upländisehen hundari
mit der altgermanischen Hundertschaft, wobei zunächst die Funk-
tionen des hundari ins Auge zu fassen sind.
Das hundari erscheint in Upland als Dingbezirk. In jedem
hundari soll eine Dingstatt sein, an der der hensman alle sieben
Tage Ding abhalten muß. Neben sich hat er zwei vom Volke
gewählte Gerichtspersonen, die domarar4). Auch der lajnsherr
kann ding halten 5).
( her dem hundarisping steht das folklandsping als Gerichts-
versammlung der drei Volklande von Uppland : Attundaland, Fheprun-
daland, Tiundaland (ping allra svia).
Zum Verständnis der Funktion dieser Gerichte muß auf ihre
frühere Geschichte zunickgegriffen werden. Nach der Errichtung
des schwedischen Königreichs unter Erik Emundsson erscheint
allerdings das hundarisping als das Gericht des untersten Gerichts-
bezirks und diese Stellung hatte es Zeit seines Bestehens. Das
folklandsping aber erscheint zu dieser Zeit als eingeschoben zwischen
der staatlichen Centrale, dem König, und dem hundarisping als
das Gericht eines Mittelbezirks. Dies entspricht nicht den histo-
rischen Verhältnissen.
Aus der Ynglingasaga®) wissen wir z. B. daß Fkeprundaland
und Attundaland unter eigenen höftjingjar standen, die bis zur
•) UplK. XII. § 1.
“) UplM. IX. § 1,2.
*) ebenda XI § 5, fi.
*) Vgl. über den douiarc Schiller Afli.I S.209f. II S. 104. v. Amiru
Obl-K. 1 S. 98. Nordström II S. 765ff.
s) Upl. p. I pr.
6) In der Ausgabe der Ileimakringla des Sainfiind til tidgiv. af gainniel
uurdisk Literatur. (1893.) Hrsg, durch F. Jungson! S. !)ff eap. 3411'.
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19«
Zeit Jngiald's keinem König unterworfen waren. Sodann berichtet
die Olafssaga h. h. '), nachdem sie die einzelnen Teile von SviftjöiV
aufgezählt hat, nämlich Södermannaland, Vestmannaland, Fja*I> runda-
land, Tiundaland, Attundaland und Sj ne 11 and in
cap 77 .... I hverri peiri deild landzins er sitt l<jg-
ping ok sin lpg um marga hluti; yfir hverjum lQgum er
lqgmatVr, ok r;HVr hann mestu viff birndr, pviat pat skolu
lqg vera, er hann rasiVr upp at kveö'a
Und in K. 7« und If. berichtet sie dann von porgnyr, dem Iqgmapr
von Tiundaland und seiner Tätigkeit am Upsalaping *).
War auch damals schon das Königreich Schweden errichtet
und das Übergewicht des lQgmapr von Tiundaland über die lQgmen
der übrigen Volkslande begründet, so ersehen wir doch daraus,
dal! jedes folkland sein lqgping hatte und eine eigene laghsagha
bildete, dal! die drei später in Uppland vereinigten Volklande ur-
sprünglich selbständige und unabhängige staatliche Gebilde waren3)
und daß ihre Stellung als Mittelbezirk einer größeren Organisation
erst im Laufe der Zeiten sich herausgebildet und den ursprüng-
lichen Zustand verwischt hat4).
Von hier aus ergibt sich, wenn wir die uppländische Gerichts-
verfassung mit der germanischen vergleichen, eine Parallele zwischen
den beiden Gerichten der germanischen Periode einerseits, folk-
landsping und hundarisping andererseits. Und es ist wohl der
Schluß gerechtfertigt, daß die noch nachweisbaren hundarisping-
Stätten noch in die gennanische Zeit zurückreichen.
Allerdings ist das historische hundarisping dem germanischen
gegenüber jedenfalls insoweit verändert, als es in dem hensmapr
einen Leiter hat, der schon seinem Namen nach, aber auch bei
seinem engen Zusammenhang mit der Königtumsverfassung nicht
in die germanische Zeit zurückreichen kann. Dagegen vermittelt
') Hierüber auch Schlytor Afh. II 105.
’) Vgl. hierzu auch die Urenzrcgulierung zwischen Dänemark und
Schweden Dipl. Succ. I S. 28, wo neben Vertretern von Vestmannaland und
Ogtgötaland solche von Tiundaland und Fiseprundaland auftreten.
3) Die historischen Verhältnisse werden vollkommen übersehen von
K. Hildebrand a. a. O. S. 12, weshalb dort die Annahme vertreten wird,
es könne zwischen hundari und Land ein Zwischenbezirk eingeschoben sein.
*) ebenda II.
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199
der domare den Zusammenhang mit der frflheren Periode, wenn-
gleich sich auch bei ihm schon in dem dom i luendrer sa*tti;e
durch den Kfinig eine Neuerung zeigt.
Der domare steht parallel dem friesischen äsega, insofern seine
Hauptaufgabe das döm;e, die Urteilfindung *), ist. Daneben obliegt
ihm die Schätzung des Gutes des Contumazierten *), mit ihm und
den Dingzeugen wird das Dingzeugnis erbracht5), er beteiligt
sich an der Haussuchung4).
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in Vestmannaland •). Das
hundari erscheint als Bezirk, aus dem Zeugen genommen werden
müssen6), und erhält Bußen1). Das hundari empfängt die Hälfte
der Bußen bei pinglama*), ferner, wenn jemand am Ding zu spät
seine Rede verbessert“), wenn ein anderer als die rechte Partei
wettet"). Gerade in diesen Fällen zeigt es sich deutlich, daß
das hundari der Dingverband ist und von hier aus ist besonders
bedeutungsvoll, daß in
Vestm. I [>. 1 : „pingaripi skulu prea wara oc i netum oc
gamblum f>ings stapum oc r;etum pings daghum“
Gewicht gelegt wird darauf, daß das Ding an der althergebrachten
echten Dingstätte stattfinden soll; denn daran sehen wir, daß
das hundari in Vestmannaland zur Zeit der Abfassung von Vest-
mannalagh derselbe Bezirk war, wie in früherer Zeit“). Im
') Upl. p. II § I: Nu rt donnrri a pingi ok will a?i döuiie: Vgl.
noch ebda. Kk. XIX. § 5 .K XXV § 1.
*) cbd. p. III pr. J p. Nu pryzk;cs lian sum lyrrse pa a donueri a
samu pingi inst i garp bans döm ;p.
3) cbd. M. 1 § 2 . . fylli pa p;en wip swar sitier nuep dumar.T sinum
ok pingwitnum prim, at ban hawier laghlika« bamenum fylght.
4) ebd. M. XLV1I Nu will man ranzakac reptir goz sinn piull' stolno.
pa skal lian j garp gangie map siex mannum tryggum ok bolfastum sio-lfw.-cr
w.xri lian siundi. attundi wwri Iamsman adlr domaeri.
s) Der ältere Name für dieses Land war nach Gcijer, Geschichte
von Schweden I S. 70 Tuhundra.
") Vestm. II p. XVIII. § 3.: ,\Vitne scal man iunan hundiercs taea . .,“
0 Z. B. Vestm. I. M. 1 pr; 2 pr: 19. B 4: 38. piufn, 1 6.
•) Vestm. I p. 1 pr.
*) cbd. I p. 9.
“) ebd. I p. II.
") Vgl. noch cbd. IL M. XXL
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•200
übrigen hat auch hier der bensman den Vorsitz im Ding er-
halten; neben ihm linden wir noch in Upland die domarar').
Über dem hundarisping stellt den inneren Verhältnissen ent-
sprechend das Folklandsping1).
Mehr an Uplandslagh klingen aber an die einschlägigen Be-
stimmungen von Södermanna lagli.
Hier linden wir wieder Vorschriften Ober die Beteiligung
des hundari hei Ermordung. Das hundari muß den banaman
finden oder Buße zahlen; das hundari wird durch bupkafla von
'dem Morde benachrichtigt. Es erscheint das hundari als die
Menge der in einem Bezirke wohnenden Personen, oder doch
eines Teils dieser Personen, der Dingpflichtigen; deshalb wechselt
auch hundare hup fa mit hundaris mannum hup fa3). Räumlicher
Bezirk ist das hundari in
Söderm.-L. piufn. VIII: han scal fanga man sin ;en han
innsen hundaris a-r i. III pinx dagha framcoma eller winga-
naman oe sie of handum lep:e. a*ru pe bape utan hundaris
ligge firi hanum nat oc manaper. .Eru pe bape utan lanz
oc lagh saghu liawi firi sic nat oe iamlanga *).
Zugleich sehen wir an dieser Bestimmung, wie auch in Söder-
mannaland das hundari die einzige territoriale Abteilung inner-
halb des „Landes“ ist, das sich durch die Bezeichnung als laglt-
saglia zugleich als ein ursprünglich selbständiges politisches Ganzes
erweist.
Ganz an Uplandslagh schließen sich an
Söderm.-L. Kp. XIII § 1. Hulikin luerra eller lamsman
luestie sina- i hundare sa*nder at fiipje oc fopra. Hawi
forgiort ha*stena? oc pem taki kunungin.
sowie die Bestimmungen über die Abhaltung des ping in p. 1 und II.
Halt man diese einzelnen Vorschriften zusammen sowohl mit
der Tatsache, daß das hundari in diesen Gebieten, Upland, Vest-
') Vgl. ebd. I p 4: p 1 pr. lind bezüglich der Funktion des dumuri
1 p 2.
T) ebd. 11 M. XXXIII.: <cro a-i po til pa lyso i by pem mestu, lysc
fore humberus pingc oc fore sokn sinne . . . . oc a han lysa Iure folklanz
pinge fynd pe hau hitt hafwrer.
*) Södorm.-L. XXII.
') Vgl. hiezu ebd. J. VII §•!
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201
mannaland und Södermannaland als der ordentliche Gerichtebezirk
erscheint und als der einzige unter dem Landsding, als auch mit
der Tatsache, daß es auch seiner Bezeichnung nach eine Hundert-
schaft ist, so ist der Schluß nicht von der Hand zu weisen, daß
diese hundari alte germanische Hundertschaften sind und in die
heidnische Zeit zurückreichen. Im Stadtrecht von K. Magnus Eriks-
son kommt das hundari nur an einer Stelle vor, nämlich
Thju. XIII § 1 : Mcedh ha-st, hors, oxa ma man yrkia
ok sina tharffwer göra, ok siin a*rende fara innan stadhen
ok ha-radhet tlier thet hit aer, sidhan thet laghlyst a*r ok
lagha witne til taken ;eru badhe i stadhen um ok hundarcno.
Ganz treffend stehen hier die Stadt und das hundari in einem
Gegensatz. Die Bedürfnisse der Stadt, die von denen des flachen
Landes, die ja auch zur Ausbildung von besonderen Stadtrechten
geführt haben, verschieden sind, veranlaßten eine unterschiedliche
Behandlung dieser Gebiete1).
Die Benennung hundari ist im Laufe der Zeit verdrängt
worden durch die Bezeichnung herafi. So heißt z. B. das upp-
ländische Simbohundari schon 1415 Simboherap s). Charakteristisch
hierfür ist, daß verschiedene spätere Handschriften von Upplands-
lagh das im Texte stehende hundari durch herap ersetzen3);
ja es findet sich sogar in einem Codex eine Marginalnote: hun-
dareno thet är heredeno4).
Dieser Wechsel der Bezeichnung, der in den sachlichen Be-
ziehungen des hundari nicht die geringste Veränderung zur Folge
hatte, legt die Vermutung nahe, daß das in den übrigen nicht
in hundari geteilten Teilen von Schweden vorkommende herap
der Sache nach dem hundari vollkommen entspricht
Die Etymologie von ha-rap oder hera<V, wie die altnorwegische
Form lautet, ist bestritten. K. Maurer hatte als Grundwort her
■) Übordas hundari auf Gotland vgl. Schly tur Glossar zu Gotlandslagh.
s. v. hundari: ders. Afh. II S. 64.
3) Styffc, a. a. O. S. 263. Daraus, da LS uns die Quellen in die
Übergangszeit führen, erklärt sich wohl das Nebeneinander von hundari
und hserap: vgl. E. Hildebrand, a. a. 0. S. 13.
*) Ebenso bei Vcstgntalagh : vgl. Schlyter. Corpus V S. 107. Anm.
43. S. 109 Anm. 4.
4) Schlyter. Corpus III S. 45. Anm. 37.
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•202
= Heer und dazu Hie Ableitungssilbe — ap angenommen').
Andere Forseher vertreten die Entwicklung aus einer ursprüng-
lichen Form* her-ratV. Dieses Wort soll zunächst „Herrschaft
(Leitung) über ein Heer“ bezeichnen, später dann den Distrikt
eines Hersir *). Endlich ist auch die Ansicht ausgesprochen
worden, daß herap (lnerap) eine altnordische Form des isl. liiriY
und aschw. liirj» ist, die Fortbildung eines german. Suhstantivums*
hiwa-rcfeöa = Hauswesen, Familienwesen. Dann wäre die Grund-
bedeutung von hnerap etwa Niederlassung einer Familie3).
Ich wage nicht, diese Kontroverse hier zu entscheiden. Ist die
letztgenannte Etymologie richtig, so können wir in der Bezeichnung
hierap einen Beweis für die verwandtschaftlichen Beziehungen des im
ha-rap angesiedelten Haufens sehen. Ist dagegen die Zusammen-
setzung mit her anzunehmen, so müssen wir uns erinnern an
den Gebrauch dieses Begriffes zur Bezeichnung einer beliebig
großen Menge, und an die Stelle der kenningar: herr er hundrat*).
Jedoch ist hierzu noch eine Bemerkung vonnöten. Hundrat ist.
wie oben erwähnt*), das gezahlte hundert. Man könnte dadurch
versucht sein, gerade diese Stelle für eine Zahlentheorie zu ver-
werten und auszuftthren, daß das herap ein Complex von hundert
(Hilfen. Menschen oder Familien) sein müsse. Aber dem wäre
entgegenzuhalten, daß in den Kenningar schon die oben als sinn-
widrig bezeichnete Verwendung von hundrap als Mengenwort auf-
tritt. Dies ergibt sich aus dem Zusammenhang. Wenn dort
tlokkr zur Umschreibung von fünf gebraucht wird, öld zur Um-
schreibung von achtzig, so ergibt sich hieraus, daß es dem Skalden
nicht auf sich mit den Zahlen deckende Begriffe, sondern auf
allgemeine Bezeichnungen ankam.
Die stärkste Stütze für die hier vertretene Theorie über das
Wesen der Hundertschaft läge in dem Worte Inerap, wenn in
*) Kritst. des isl. Staates S. 1 Anin. 1.
*) Kalk og Torp, Ktymolugisk Urdbug s. v. herred.
*) Tamm, Etymulogisk Ordbog. g. v. bärad. Nomen, Altschwed.
tirarnm. * § 99. Brate, Arkiv lör nord. tilulogiu N. F. V S, 130.
*) Skaldskaparmal 76.
s) S. 62»
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•203
ihm, wie Tamm als möglich hinstellt, beide Ableitungen ver-
einigt wären*).
Zur näheren Untersuchung diene das herap in Vestgötaland.
Dieses herap zerfällt wie das upländische hundari in fjaerpunger,
jeder fjaerpunger wie dort in attunger. Nach oben hin vereinigen
sich sämtliche herap von Vestgötaland zu diesem einen Land;
Vestgötaland bildet eine eigene laghsagha und steht insofern
Tiundaland, Attundaland und Fja-prundaland, Vestmannaland und
Södermannaland, nicht Uppland gleich.
Dementsprechend ist auch die Gerichtsverfassung geordnet.
Oberste Instanz ist das landsping, parallel dem upländischen
folklandsping, von dem das ra-fsingaping wohl eine Abart ist.
Im herap findet das herapsping statt. Dieses aber wird nicht
vom l;ensinan geleitet und berufen, der in Vestgötaland nur Kin-
treiber königlicher Gefälle und Steuern ist, sondern vom heraps-
höfd'ing, der schon seinem Namen nach ein weit älteres Gepräge
hat als der hensmapr; er ist der taciteische princeps5).
Aber nicht dieses ist das interessante, sondern das Fehlen des
domare. Vestgötalagh kennt keinen vom Gerichtsleiter verschiedenen
Urteiler. Und ob dann der herapshöfiVing in Vestgötaland die
Funktionen des domare hatte, erscheint fraglich. Von dem dom
eines heraphöfding erfahren wir erst aus Vg. II Add. 13 § 1 und
den excerpta Lydekini (III 74). Hieraus ist wohl zu schließen,
daß im 14. Jahrhundert die Tätigkeit des Urteilens auf den heraps-
höfding übergegangen war, andererseits aber macht das Schweigen
der älteren Quellen wahrscheinlich, daß zur Zeit von deren Ab-
fassung das Urteil noch nicht ihm oblag, sondern von jedem Ding-
pflichtigen erteilt werden konnte5). Im älteren Text von Vg. er-
scheint der heraphöfding nur als Vorsteher des herap und als
Leiter aber nicht als Urteiler im herazping. Vom heraphöfding
wird die Berufung eines Things verlangt:
Vcstg. I piu. 6 . . . Nu kuapoer han ne vip, pa skal sa
sighiie til sinum lneraeszhöfpinga*, han skal ping til namme.
*) a. a. 0.
*) v. Amira Gnindr.1 S. 73: Hers. Oblig.-K. I. S. 30. 100. 278. Vgl.
ferner Lehmann der Königsfriede der Nordgemianen 8. IO f.
*) Dies nimmt auch Lehmann a. a. 0. 8. 1 1 f. an. Unrichtig aber
ist diu Verallgemeinerung für ganz Schweden.
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•204
Mit dem Eid von 24 namidarmen und dem des heraphöWing
klagt der Ehemann gegen den von ihm erschlagenen Ehebrecher.
Vestg. I M. 11: . . . föri til pings, lati sea blöd ok
b.-etuV, giui döpum sak ok uittni mied tuanni tylftum n*m-
dar mans uittuin ok hierasshöfping* ').
Sieht man also auf die Stellung des heraphöfding, so ist beim
herazping der Zusammenhang mit der germanischen Hundert-
schaftsversammlung viel deutlicher als beim hundari, wo die ur-
teilende Funktion nicht mehr den versammelten hundarismen.
sondern dem domare zusteht. Übrigens ist, wie ich besonders
betonen möchte, schon hiernach der heraphöftTing keineswegs dem
domare gleichzustellen *).
Heachtet man aber, daß in Vestgötaland auch in späterer
Zeit, in der die Urteilfindung sicher nicht mehr dem jung als solchem
obliegt, kein domare erscheint, so ist man versucht anzunehmen,
daß die Einführung des Amtes des domare zusammenhängt mit
der Übernahme der Dingleitung durch den hensman. daß gerade
deshalb, weil ein königlicher Beamter die Dingleitung übernahm,
ein Volksbeamter als Urteiler aufgestellt wurde’). Dazu würde
auch stimmen, daß in Vestmannaland und Södermannaland der
domare neben dem lsensman erscheint') und daß in Östgötaland,
wo wie in Vestgötaland der heraphöfding Dingleiter ist, das Amt
eines domare nicht vorkommt: allerdings kennt Ostgötalagh einen
domare, aber er scheint verschieden von dem in Uppland 5).
') Vgl. noch Vestg. I M. 1 § 3.: . . . I.iggi.T vitV tolf ins reiner herab'»
liyfpinga-, a*n han sitier kua-r ok vierdhar Iran eigh ok fyuratighi imerk-
:rr luerapi :“ ferner II K. 83. Dr. IV.
*) A. M. Molbech, lndledning og l’dkust til cn Skildring af den
genuanisk-skandinaviske indvortes Forfatnig S. 488. Vgl. die oben S. 1117.
Anm. 4 Genannten.
*) Vgl. hierzu die Besprechung des Werkes von Nurdström in Tidskrift
för VetenBkap och konst, 1841 S. 183 ff. Schlyter Afli. II. 104.
«) Vgl. oben S. 200 ff.
s) Aus Ostg. Yap. XXXI.: Nu brytrnr man kunungx dom: p:et irr
iliepOTtiught. Nu brytar man laghmanzsdoni, pat a>r tolf marka sak. Nu
bryta-r man lueraps hiifpinga dom: böte siax markier ersehen wir, daß das
Urteil (dom) wie im lagping dem laghman, so (im hserapsping) dem hieraps-
höfping zutiel. Der domare setzt Termine an (Kr. 111, 1 : E. S. VIII: K. XXI,
1: B XXI, 1.) Bezeichnend ist die zweimal (E. S. XIV, 1: ft. XXI, 1)
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20')
Im Gegensatz zu Uppland gibt es in Vestgötaland auch in dem
unter dem herap stehenden Bezirk ein Gericht, das Fjaerpungs-
ping. Dieses ping ist für unsere Frage nicht weiter von Belang,
da auch die Einteilung des herap in Viertel, wie schon das Syste-
matische an ihr zeigt, keinenfalls aus der germanischen Zeit stammt.
Andererseits ist auch nicht daran zu denken, daß wir in ihm
etwa die Fortsetzung der germanischen Hundertschaftsversammlung
zu sehen haben. Dagegen spricht nicht nur der Name, sondern
auch der Umstand, daß das fjaerpungsping wie der tjacrpunger selbst
erst in der jüngeren Redaktion von Vestgötalagh vorkommt. Das
luerap aber kennt schon Vestgötalagh I und wenn das lnerapsping
auch erst in der 2. Redaktion erscheint und an Stelle des ping
schlechthin tritt, so sehen wir daraus, daß erst in dieser späteren
Zeit die besondere Hervorhebung der Art des Dinges notwendig
wurde. Jetzt mußte das harapsping von dem neu auftretenden
fherpungsping unterschieden werden, während vorher kein Zweifel
obwalten konnte, daß unter ping lnerapsping zu verstehen sei.
Eine Identität von luerap und fjierpunger, wie sie Schlyter1)
anzunehmen ‘scheint, halte ich nicht für gegeben; «lern widerspricht
m. E. daß noch
Vg. III 128: I hwarpu hferape scal en pingstaper w;er;e
a uti i hwarinm fiarpiung oc en per h;eraz ping seid w:era*
genau unterschieden wird zwischen den Dingstätten in den Vierteln
und der Dingstätte für das lnerapsping.
Ehe wir das schwedische Gebiet verlassen, sind noch einige
Worte über Helsingelagh zu sagen. Dort finden wir weder ein
liundari noch ein herap; vielmehr ist das ganze Gebiet in skip-
lagha geteilt, die aber in ihrer Funktion den liundari entsprechen *).
Daß diese Bezirke aber nicht den Namen liundari oder herap führen,
und daß das skiplagh nicht mit dem liundari auf eine Stufe zu
stellen ist, hat darin seinen Grund, daß es auf andere Weise
verkommende Ausdrucksweise: paen surn domarin a*n. Wechselten vielleicht
die Dingm&nncr in der Stellung als domare ?
•) Glossar z. Vestgötalagh s. v. Fjierpunger.
*) Vgl. über skiplagh Schlyter Corpus etc. II Glossar s. v. skiplagh
und Dora. Afhandlingar II 74 f. v. Ainira Grundr.’ S. 73. Uber die
Gleichung skiplagh — liundari vgl. besonders Schlyter in den Glossaren zu
Söderiuannalugh und Vestmaniialagh s. v. skiplagh.
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206
entstand. Helsingelagh wurde nicht auf dem Wege der Einwan-
derung eines ganzen Volkes bevölkert, sondern teils durch Kolo-
nisten aus Jämtaland, teils durch kleinere Abteilungen, die in der
Zeit König Haralds des Schönhaarigen, ähnlich wie nach Island so
hierher kamen. Das skiplagh ist eine nach der Besiedlung von
Helsingelagh künstlich hergestellte Einteilung.
Dies zeigt sich auch in dem Zweck des skiplagh, das den
Bedürfnissen der Seewehr dient und infolgedessen auch nur an
Küstenstrichen vorkommt. Bezeichnend ist, daß auch der am
Meere gelegene Teil von Upland nämlich Ropin eine solche Ein-
teilung in skiplagh aufweist *).
Hiermit verlassen wir Schweden und gehen über zur Betrach-
tung der Verhältnisse in dem Nachbarlande Norwegen*).
Hier treffen wir zu der Zeit, aus der uns Rechtsquellen
erhalten sind, die vier großen Verbände des Gulaping, Frostuping,
Borgarping und EiiVsiiäping. Das sind Dingverbände, die obgleich
zum Teil sehr alt, eine hierüber hinausgehende politische Bedeu-
tung nicht besitzen*). Vielmehr war in Norwegen seit frühester
Zeit der oberste politische Verband das fylki, entsprechend dem
schwedischen land, (z. B. Uppland) der Bezirk eines ursprünglich
selbständigen, in sich geschlossenen Volkes*). Soweit diese fylki
nicht in den erwähnten Dingverbänden zusammengefaßt waren,
erhielten sie sich noch bis über das Jahr 1250 hinaus in derselben
kleinstaatlichen Vereinzelung *).
Das fylkisping (allsherjarping), die Versammlung des ganzen
fylki ist oberstes Gericht und zugleich gesetzgebende Versammlung
') Über skiplagh in Yestmannaland und Södermannaland s. Scblyter
in den betreffenden (ilossaren s. v. skiplagh.
0 Hierzu Maurer Vorlesungen I, 1 §§ 2, 3: [, 2 3, 4. Brandt
Forcla'sninger IIS. 161 ff. Taranger l'dsigt over den norsko Hets Historie
II, 1 42 ff. 230 ff. Munch Det norske Folks Historie I S. 35 ff. 0. Mol-
bech a. a. 0. S. 464 ff. Taranger HeralT og heralfskirkja.
*) Vgl. hierüber Maurer Artikel (Iulaping in der Enzyklopädie von
F.rsch u. Gruber: ders. Vorlesungen I. 1 44 ff.
*) Über die Bedeutung von fylki vgl. Schlyter Afh.II 8. 66. Fritzner
Ordbog over det gamlo norske Sprog s. v. Fylki (Bd. I S. 508 f.)
5) v. Amira Obl.-K. 11 S. 25. Munch 1 S. 99 f. Taranger Odsigt
II, 1 S. 42 f. Lehmann der Königsfriede der Nordgermanen S. 167 insb.
Audi. 5.
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207
(die uppländische laghsagha); nur du wo sich mehrere fylki zu-
sammengeschlossen hatten, wie in prandhcimer bildeten sich auch
größere Gesetzgebungsbezirke (praendalgg).
Die Einwohner des heratf versammelten sich im heraffsping.
dem ordentlichen Bezirksgericht ') ; an der Spitze des heraiV steht der
hersir oder hcratVshöftVingi ?). Wir haben also auch hier, soweit
nicht schon Vereinigungen von fylki die ursprüngliche Ordnung
gestört haben, die zwei Instanzen der germanischen Verfassung,
die Versammlung (des Staates) und die Versammlungen der Unter-
bezirke1). Einen Mittelbezirk gab es nicht und erst später wurde
es Regel, die fylki nach oben hin zu einem größeren Ganzen zu-
sammenzufassen.
Doch wurde die Heradseinteilung in Norwegen bald durch
andere sich mit ihr kreuzende Einteilungen verwischt, so durch
die Einteilung der Küstenvölker in Schiffsbezirke, die Einteilung
in kirchliche Bezirke4), in Drittel, Viertel, Sechstel und Achtel. Dies
hat zur Folge, daß schon in den ältesten Gesetzbüchern Norwegens
die Übereinstimmung der Verfassung mit der altgermanischen
nicht mehr so zu erkennen ist wie in Schweden. Während in
Schweden das hundari noch Name für einen bestimmten Bezirk
ist, der mit dem germanischen Bezirk auf eine Stufe zu stellen
ist, ist heraiV in Norwegen bereits zu einem Wort geworden, mit
dem sich ein bestimmter Begriff nicht mehr auschließlich verbindet.
In Island, dem Kolonisationsland Norwegens, hat eine Ein-
teilung in heraiV nie stattgefunden. Wie im Kolonisationsgebiet
Helsingelagh, so waren auch hier die Voraussetzungen für die
’) v. Anlira Obl.-R. II, S. 153. Hortxborg, Den addste norsko Proces
S. 11! ff.
-) Vgl. Maurer in üurmania XVI, S. 432; Entstell, des Island. Staates.
S. 20 f. t. Ainira Grundr.1 S. 73. Brunner RG. I* S. 1G2 Text und
Anm. 26. Brandt Forcla*sninger II, S. 173. Taranger Udsigt. II, 1 S. 37.
Den inis erhaltenen norweg. ltechtabüeher fehlen beide Bezeichnungen.
3/ Vgl. Maurer Vorlesungen L, 2 8. 6 ff.
4) Vgl. über diese Verschiebungen Kcjser Kfterladto. Skrifter II
S. 153 ff. Brandt Porehesningcr II S. 163 f. Maurer Vorlosungon 1,1
S. 40 ff. Entstehung des isl. Staates .8. 118 ff. Bekehrung des norwegischen
Stammes zum Christentum II S. 444 Anm. 4. Ta rauger HeraiV ogHeraiVskirkja
t,in Hist. Tidskrifl. 3. Reihe VIj urd darüber Maurer K. V. Sehr.
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208
Entstehung von Hundertschaften nicht gegeben ’) und es zeugt nur
von dem damals offenbar noch vorhandenen Verständnis für den
Hegriff he raff, daß die . Isländer den Bezirken, die sie in ihrem
Lande künstlich herstellten, nicht diesen Namen gaben.
Etwas anders liegen die Verhältnisse in Dänemark*), wo
das hierreth trotz des Eindringens des königlichen Beamten, noch
mehr vom alten Charakter bewahrte. Insbesondere tritt uns liier
in dem Gegensatz von hseneththing und landsthing wieder der
Dualismus der germanischen Verfassung entgegen, wobei das
luera-ththing als das ordentliche Gericht erscheint.
Fenier zeigt sich noch die urteilende Tätigkeit der Thing-
männer, während allerdings der Vorsitz im Thing bereits an den
königlichen ombuthsman übergegangen ist’). Erst im 13. und
14. Jahrhundert kommt das Urteilen dem königlichen Beamten zu*).
Daß dieses dänische luerneth sprachlich dasselbe ist wie das
nonv. heraff und das schwed. herap bedarf keines besonderen Be-
weises. Dagegen ist es von Interesse zu sehen, daß auch
zwischen hundari und dem dän. ha-rr*th eine Beziehung nachzu-
weisen ist bei Saxo Gramm.
At ubi in regiam est ventum, concionem aduocari facit
in quam accersito Erico sub sponsalium fide sororem ac
centurionatum dedit 5).
Der hier erwähnte centurionatus ist. wie allgemein ange-
nommen. ein häerrceth; das Wort selbst ist wohl abgeleitet von
centurio, der Bezeichnung der Bezirksvorsteher. Wenn aber Saxo,
■) Vgl. Maurer Island S. 24 fl. 8. 3G ft.
*) Vgl. Kofod-Ancher, Samlcde juridiskc Skrifter II S. 753 fT.,
7791T., Laraen, Samlede Skrifter 1 S. 256, Stcrnan, IJen dansko Hcts
historie S. 65f, Matzen, Forclaesninger. OfTentlig Bet I S. 5 fT insb. 14f,
Lehmann, Per Königsfriede bei den Nordgennanen S. IOC, Steenstru|i,
Nagle llemacrkninger oni Tingdage (1873), Dahlmann, (ieschichtc von
Dänemark I S. 140 fT.
*) Vgl. z. B. K.H.L. III 50 (= 128) . . . tha mughae bgndaer vael
<lein;c bondeen hans ra-t oc koning Ihre marc. Sk. L. I 154 . . . Uil
bryti ey skyrae band af pein piufi ey skal upluengia*. pa dpuiae
pinguuen band of hanuin. Dazu Matzen, a. a. O. II S. 123 0*,
Steinnn, a. a. 0. S. 211 ff.
4) Vgl. Matzen, Forclaesninger I S. 149, II S. 1 1 3 ff.
5) Ausgabe von Holder, 8. 144.
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•209
viel leicht einem allgemeinen Gebrauche folgend, das harreth
centurionatus heißen konnte, so ergibt sich daraus entweder, daß
auch in Dänemark das harreth ursprünglich hundari hieß, und
später wohl die dänische aber nicht die lateinische Benennung
geändert wurde, oder daß doch im Bewußtsein des Schreibers die
beiden Begriffe li*rr*th und hundari und die beiden Bezirke sich
entsprachen.
Wenn wir im einzelnen die Verhältnisse in Schonen be-
trachten, so ergibt sich ein ähnliches Bild wie in Schweden, in
manchen Zügen aber noch ursprünglicher.
Deutlich treten sich lanzthing und h*r*zthing gegenüber.
Ist es auch in manchen Fällen gleich, ob sich der Rechtsuchende
an das eine oder an das andere wendet '), so zeigen andere Stellen
den Unterschied, z. B. I 134:
Tac scal man fa tone sic, hwar sum han ma haeldaer hem
til sins eghins hus *ll*r til pings. Ma han ey fa tak fore
sic, pa före bondam hau til h*razpings inu-p coste
sinuin ubundin oc po j tiatre j iarne. Ma bondaen ey fa
raet a haenezpingi, pa noefnoe hin ;er mcep cost*n takin
*r, köpae sin aellaer hembyghd sin* oc hin *r costa*u
a fare pit um han wil. aen wil han ey pit farae pa*n, :er
takit hauir hin mcep coste sinuin pa wisi han pighat andrae
men oc late lete um swa aer at hin takne hauir p*r hem
byghd *llr köp* sin. aer* p*r noghre pe m*n *r han
wili* röct* pa cummi pe oc lös* han. Far bond*n *ngin
p*s* stap* raet af p*n tackne, pa för* han til lanz-
pings oc gör* p*t af hanum *.r land* döm*.
Nur die Thingleute haben das Recht zu urteilen. „*r ping
men wili* oc pe döm* til“s) oder „sum ping men döm* til“3)
sind die Wendungen, mit denen das Gesetz das Urteilen am Thing
bezeichnet*). Die Thiugmüuner auch sind es, die den laghdagh
bestimmen z. B.
I. 41 . . . oc sithan l*gi* thinghmen laghdagh fore
all* am* oc fore hin *r flat föras wil.
') z. B. Sk. L. I 16, 18 vsitiu prin til lanzthing a*lhi*r luerrnzthing).
*) ebda. I 131.
3) Sk. L. I. 133.
*) vgl. mich ebda 1 145, 154, 161 u. A.
V. Schwer tu, allgerm. Uuudertuchafl 14
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•210
Allerdings ist es fraglich, ob in dieser Zeit noch die Urteil-
findung und das Urteilen dem gesamten Umstand zukam, oder ob
nicht auch am hsertezthing schon ein Ausschuß von thingnuen
sich gebildet hatte. Jedenfalls unterscheidet sich das ha-ra-zthing
noch in keinem wesentlichen Funkt von der Gerichtsversammlung
des germanischen Unterbezirks.
Eine andere Bewandtnis hat es mit den dänischen Harden im
Jordbog Valdemars II, die man so wenig wie die sächsischen
Gaue unter Zugrundelegung ihrer Bodenfläche bei Untersuchungen
über die germanische Hundertschaft heranziehen darf. Wir haben
keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Harden räumlich mit alten
lueneth übereinstimmen. Die Altertümlichkeit der Namen, auf
die Meitze n1) so großes Gewicht legt, beweist in dieser Richtung
nichts, da sie sehr wohl früher zur Bezeichnung von Herraden
dienen konnten, jetzt zur Bezeichnung von Harden dienen, ohne
daß der Umfang der Gebiete der gleiche sein müßte. Dies abge-
sehen davon, daß bei der ganzen Hundertschaftsfrage der Umfang
der Bodenfläche überhaupt nicht in Betracht kommt*).
Sehr bezeichnend ist es, daß auch im dänischen Kolonisations-
gebiet, in Nordengland, das ha- net h keinen Eingang gefunden
hat. Die dänischen Gebiete in England kennen als einen dem
angelsächsischen hundred entsprechenden Bezirk des wa-pengeta-e,
das sich schon durch den Namen vom haeneth genügend unter-
scheidet. um nicht als Hundertschaft angesprochen zu werden.*)
Zum Schlüsse dieser Erörterungen mache ich noch besonders
aufmerksam darauf, daß auch die Namen der skandinavischen
Unterbezirke über einschlägige Fragen Aufschluß geben.
In Upland und zwar in Tiundaland findet sich ein Ullerakers
hundare4). Dieses hat seinen Namen von der alten Dingstätte
Ulleraker4), dem aker des Ullr. Der Ullr aber ist ein Gott der
*) Meitzcn, Siedclung III, S. 81 (I. und Atlas Kart« 22.
*' (her die sicher jüngere Sysseleinteilung vgl. Larseu, Sainlede
Skrifter I, S. 250. Matzen e. a. 0. II, S. 10 f. Dahlmann a. a. O., S. 12t II.
Stein an a. a. O., S. 06 f.
*) Vgl. Steenstrup, Danelagh, S. 85 f. Chadwick a. a. O., S.245Auni.l
*) Styffc a. n. O., S. 270.
5) Vgl. Olafsaga hina helga, cc. 78, 9t. Brunner Hg. I 100 Anm. 15.
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•211
nordischen Mythologie1) und daraus folgt zweierlei. Erstens muß
das hundari, das von einer einem heidnischen Gott geweihten
Statte den Namen trägt, sehr alt sein. Sodann sehen wir einen
Fall, in dem Dingstatte und Kultstätte zusammenfallen. Jene
Feststellung können wir auch bezüglich des in Fia*prundaland
liegenden Thorsakers hundare*) treffen. Ob auf dem Thorsaker
auch eine Dingstätte lag, wissen wir nicht, können es aber ver-
muten. Beachtet man nun ferner, daß bei der Einführung des
Christentums die Kirchenverfassung möglichst an die heidnische
Tempelverfassung angegliedert wurde und daß man vielfach an
der Stätte alter Tempel christliche Kirchen errichtete5), so ge-
winnt es an Bedeutung, daß im Waxaldha hundare die Dingstättc
bei der Heradskirche war4).
Andere hundari oder herap, die durch ihren Namen auf ein
hohes Alter deuten, finden sich in Dänemark, z. B. Froes luerreth
Hoethers luerreth und Othens luereth. Auch hier wieder der Zu-
sammenhang mit Gottheiten')
Auffallend ist auch die Zusammensetzung einer Reihe von
Namen von hundari oder herap mit hund. So gibt es in Fia>pr-
undaland ein Laghundhundari mit der Stadt Lagundzbergh, in
Tiundaland ein Haghund-hnndari, in Dänemark ein Hundborg-
haerreth. Nimmt man hinzu, daß in Södermannaland ein Hundari
schlechthin Uphunde heißt, in Vestergötland ein Bezirk Borg-
liunda6), so läßt sich wohl vermuten, daß hundari eine spätere,
die älteste Bezeichnung aber hund ist. Namen wie Laghund-
hundari würden dann eine spätere Analogiebildung darstellen, zu
einer Zeit erfolgt, als man nicht mehr wußte, was das hund zu
bedeuten habe. Da aber nach dem im dritten Abschnitt Gesagten das
‘) G. H. Meyer, Gurmanisch« Mythologie, S. 185. Mogk, Germanische
Mythologie, S. 349 (in l’aul’s Grundriß IIP). Maurer, Bekehrung dos
norwegischen Stammes zum Christentum II, S. 7.
») Styffe S. 264.
3) Maurer, Bekehrung II, 448 f.
4) Styffe S. 271. Vgl. auch Dipl. Norv. IV 379: a pinghucllinom
viiVer Nerderhofskirkia a Kingariki (dazu ebd. IV, S. 327).
6) K. Weinhold fuhrt bei Mcitzcu, Siedlung I, 3, S. 81 ff. auch noch
andere Hcradsnamen auf mythologischen Ursprung zurück.
6 ) Bezüglich der angeführten Namen verweiso ich auf Styffe S. 267,
269, 13, 213, 125.
14*
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212
bloße hund eine Menge, einen Haufen bezeichnet, hundari dagegen
zur Bezeichnung des Gebietes dient, so müßten diese Namen in
die ersten Zeiten der Ansiedlung zuriickreichen, in denen die
Vorstellung des Gebiets gegenüber der des persönlichen Verbands
noch ganz im Hintergrund stand ').
I)a Kultstätte nicht nur der einem Gott geheiligte Platz sein
konnte, sondern allenfalls auch die Begräbnisstätte hervorragender
Männer, die nach ihrem Tode Mittelpunkt eines Kults geworden
sind, so möchte ich endlich noch die Vermutung aussprechen, daß
wir vielleicht da und dort in den Dinghügeln solche Begräbnis-
stätten zu erblicken haben.
Alles dies kann hier nur angedeutet werden. Nur eingehende
Spezial Untersuchungen könnten diese Andeutungen ausbauen und
prüfen *).
X. Ergebnisse.
Wenn wir die vorstehenden Untersuchungen und Ausführungen
zusammenfassen und mit dem in der Vorbemerkung entworfenen
Arbeitsplan vergleichen, so ergibt sich Folgendes.
Der germanische Staat, die civitas des Tacitus, zerfällt bei
hinreichender Größe seines Gebiets räumlich in kleinere, verschieden
große Bezirke, von den Römern pagi geheißen. Der civitas ent-
spricht das Volk (I>iuda), das sich in der Landsversammlung zu-
sammenfindet. Gleicherweise versammelten sich die Inwohner des
pagus in einem eigenen Ding. Als Versammlung bildet die Lands-
gemeinde das höhere Gericht mit Zuständigkeit für die Sachen,
die ihrer Bestrafung halber der in dem Landesding enthaltenen
obersten Kultversammlung zur Aburteilung unterliegen. Die Ver-
sammlung des pagus ist das niedere, ordentliche Gericht mit Zu-
ständigkeit für alle übrigen Rechtssachen, die nicht ihrer Natur
') Sollte hierher auch das norwegische Burgund (alter Kaufplatr., Ding-
stätte, Kirche) gehören? Vgl. Styffe, S. 347.
*) Auch aut' dem Contincnt lassun sich vielleicht alte Ding- und Kult-
stätten nachweisen. Ich mache besonders aufmerksam auf Maden am
(iudeusberg und Kirchditmold: über Heide vgl. Landau, Beschreibung dos
Hessengaus, S. 54 IT., 65 fT.
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213
nach von den Mitgliedern privatrcehllicher Genossenschaften
(Markgenossenschaften) entschieden werden.
Außer dem pagus kennt der germanische Staat keinen Bezirk,
aber andererseits gibt es auch unter der Versammlung des pagus
keine Versammlungen kleinerer Kreise von Volksgenossen als
solchen. Versammlungen dieser Art kommen nur vor als die
von Personen, die durch andere Umstände in eine Vereinigung
gebracht sind, als die Zugehörigkeit zum Volke. So kommt der
Germane zum Landesding, weil er Volksgenosse ist, zum Marker-
ding aber wenn und weil er Markgenosse ist.
In der folgenden, der sogenannten „fränkischen“ Periode ist
das Bild in den einzelnen germanischen Reichen und innerhalb
des fränkischen Reiches in den einzelnen Ländern verschieden.
Im Frankenlande selbst, bei den Alamannen, Baiern und
Friesen, vielleicht auch schon in dieser Periode nach der Unter-
werfung unter den Frankenkönig bei den Sachsen, hat die Landes-
versammlung an Bedeutung eingebüßt. Ihre politischen Funktionen
sind an den Herrscher (König, Unterkönig) übergegangen. Das
Land ist geteilt in Mittelbezirke, diese wiederum bei einigen
Völkern, den Franken, Alamannen, Friesen und Sachsen, nicht
aber bei den Baiern, in Unterbezirke.
Dabei stehen aber Mittelbezirk und Unterbezirk in verschie-
denem Verhältnis zum ganzen Land. Der Mittelbezirk ist nicht
Gerichtsbezirk, sondern nur Verwaltungsbezirk. Wohl ist der Be-
amte des Mittel bezirks. der Graf, Richter am Gericht des Unter-
bezirks. aher das Gericht ist Versammlung der Inwohner des
Unterbezirks. Und so zeigt auch diese Periode nur zwei Gerichts-
instanzen, das Gericht des Unterbezirks und das an die Stelle
der Landesversammlung getretene Königsgericht, oder Herzogs-
gericht. Am Gericht des Unterbezirks aber erscheint nach dem
Aufbau der Gerichtsverfassung das Richteramt des Grafen als eine
neuere Einrichtung, durch die der ursprüngliche Dingleiter teils
ganz verdrängt, teils auf bestimmte Befugnisse beschränkt wurde.
Diese Verschiebung zeigt sich am deutlichsten bei dem centenarius
der Lex Salica und der Lex Alamannorum, sowie dem skelta des
friesischen Rechts, weniger deutlich bei dem iudex der Lex
Baiuvariorum.
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214
Sie beweist uns, daß der in der fränkischen Periode vorhan-
dene Mittelbezirk, dessen Beamter eben der Graf ist, zwischen den
vorher bestehenden Unterbezirk und das Land eingeschoben ist.
Sofern also überhaupt eine Kontinuität zwischen der Verfassung in
der germanischen Periode und der in der fränkischen Periode an-
zunehmen ist — und daß dem so ist, zeigt die vergleichende
germanische Rechtsgeschichte — muß der Unterbezirk der frän-
kischen Periode dem pagus der germanischen entsprechen.
Auch in der zweiten Periode ohne Mittelbezirk geblieben sind
die schwedischen und dänischen Gebiete. Die dort erfolgten Zu-
sammenfügungen kleinerer Staaten zu größeren Ganzen haben die
Verfassung der einzelnen Teile im wesentlichen nicht berührt.
Dagegen sind in Norwegen einschneidendere Veränderungen vor sich
gegangen und bei den Angelsachsen sind die Verfassungseinrich-
tungen der kontinentalen Heimat nicht durchgeführt worden. Ebenso
haben die Goten und Langobarden aus uns offenen Gründen neue
Verfassungen entwickelt.
Immerhin sind für die Untersuchung des germanischen
Unterbezirks die Unterbezirke von sieben germanischen Völkern
heranzuziehen, nämlich die der Franken (centena) Alamannen (cen-
tena, huntari) Friesen (del) Sachsen (go), Schweden (hundari, herafi)
und Dänen (haeneth.) Diese Bezirke sind, wenn auch nicht dem
Namen, so doch der Sache nach unter sich und mit dem germa-
nischen pagus identisch.
Da nun vier von diesen Bezirken von der Wissenschaft mit
dem von ihr geprägten Namen „ Hundertschaft“ belegt werden,
nämlich centena, huntari, hundari und herap, so ergibt sich, daß
auch die übrigen nämlich del und go, aber auch der germanische
pagus, diese Bezeichnung verdienen und die in der Vorbemerkung
gestellte Frage ist dahin zu beantworten, daß auch der ger-
manische Staat Hundertschaftsbezirke gekannt hat und
in solche zerfallen ist, dagegen eine Einteilung in
größere Bezirke oder „Gaue“ nicht aufweist.
Bezüglich der Entstehung dieser „Hundertschaften“ hat die
Untersuchung gezeigt, daß sie nicht, wie die herrschende Lehre
annimmt, auf irgend welche Zahlenverhältnisse zurückzuführen
sind, insbesondere nicht auf eine numerische Gliederung des Heers
oder auf Gebiete von bestimmter Hufenzahl, sondern vielmehr an-
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215
Zusehen sind als Niederlassungsgebiet eines unbestimmt grollen,
wandernden Haufens. Sie stellen sich dar als Produkte germa-
nischer Ansiedlung auf dem Wege der Wanderung und fehlen da,
wo die Germanen auf dem Wege der Kolonisation sich ansässig
gemacht haben (Island, Helsingelagh, Danelag) oder in schon be-
völkertem Land zu einer Landesteilung mit den Einwohnern
geschritten sind (Langobardenreich, Gotenreiche, römische Provinzen
des fränkischen Reichs.)
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A. Favorkr. vorm. Eduard Trewendt’* Buchdruck erei, Brrnlau
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Über die Strafe des Steintragens
von
Dr. Eberhard Frh. v. KiinUberg
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
heransgegebun
von
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
91. Heft
Ober die Strafe des Steintragens
von
Dr. Eberhard Frh. v. Künßberg
Verlag von M. & H. Marcus
1907
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Uber die Strafe
des Steintragens
Dr. Eberhard Frh. v. Künßberg
Assistenten am deutschen Rechtswörterbuche
-m-
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1907
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Übersicht
I. Einleitung:
§ 1. Zweck, Aussehen und Aufbewahrung des Steines . . 1
§ 2. Kamen, a) Ungstein und dessen Varianten .... 5
b) Andere Bezeichnungen !)
§ 3. Verbreitung. Unterschied zwischen Bäg- und Lasterstein 12
II. Vom Ungstein Insbesondere
§ 4. Das Steintragen als Frauenstrafe 15
§ 5. Das Vergehen 17
§ 6. Das Verfahren 22
§ 7. Der Vollzug 24
§ 8. Neben- und Ersatzstrafen.
a) Geldstrafe, Gefängnis, Verweisung 29
b) Fiedel 32
§ 9. Wirkliches Vorkommen des Steintragens 33
III. Zur Entstehung der Strafe des Steintragens
§ 10. Erklärung aus der Hannschar.
a) Dio Hamischar überhaupt 35
b) das Steintragen 39
§ 11. a) Der „Mühlstein des Evangeliums“ 41
b) Schwere Steine überhaupt 43
c) Der Stein als Symbol der Buße ? 44
d) Das Steineführen 45
e) Der Kampfstein 45
f) Die Strafsteine in Schweden 46
g) Das Versteinern 46
h) Das Heben, Schützen, Lupfen 47
i) Kirchliche Einflüsso 47
IV. Anhang
Die wichtigsten Quellenstcllen für den Bagstoin 48
Bücherliste 62
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1
Einleitung
§ 1. Zweck, Aussehen und Aufbewahrung des Steines
Unter den Ehrenstrafen, die in den deutschen Rechtsquellen
des Mittelalters und der Neuzeit Vorkommen, gehört zu den
häufigsten das Steintragen. Für gewisse Verbrechen mußten
Frauen, seltener Männer, ein Strafwerkzeug aus Stein ein be-
stimmtes Stück Weges schleppen.
Dieses Instrument bestand aus einem oder zwei Steinen ')
und wurde der Übeltäterin an den Hals gehängt; zu dem Zwecke
war am Steine eine Kette oder ein Riemen2) befestigt, bezw. waren
die beiden Steine durch eine Kette oder durch Hügel verbunden3).
Der Stein wurde auch in einem Tuche über dem Rücken 4) oder
auf dem Kopfe 5) getragen.
') Von »vier großen Steinen“, die nach dein Gesotz einer »heidnischen
Itcgcntin in Pommern“ Frauen tragen mußten, berichtet Docplcr,: 7 heatrunt
poenarum 1693. Bd. 1, S. 747.
’) Itb. n. Distinkt. V. cap. 20. dist. 8: der steyn sal haben eynen tymen,
den man or wnb den hals garte.
3) In Köln und in Soest war ein besonderes Traggcstell gemacht. Ennen
u. Nordhoff in I’ick's Monntsschr. f. rbein. westfSl. Gescb. 3,355 f. [1877].
*) Knapp, Hutnor im Würzburger K., ZStW. 22 (1902) S. 6: Stadel-
schwarzach 1605: ein hamlztvell nemen und den stein . . auffassen , darnach auf den
rück — —
5) Stokar, Verbrechen u. Strafe i. Schaffhausen, ZschwcizStrlt. 5
(1902) 332: den grössten lasterstein ttf ir hopt heben . . a. 1481.
K&nBberg, D*a Stellungen 1
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2
Die Form der Strafsteine war verschieden: entweder waren
sie gewichtähnlich oder flaschenfärmig s); sie entlehnten ihre
Gestalt wohl auch den Scliandlarven *) und Schandtafeln4).
Das Gewicht der Steine schwankt zwischen den Grenzen
25 Pfund und 180 Pfund5). Häufig ist es vom Rechte vorge-
’) So in Dottendorf bei Bonn. Vgl. die Abbildung im Jahrb. d. Vcr.
v. Altertumsfrcundcn i. Itlieinlande Heft 57 (1876) Tafel 1, Figur 4. —
Heydinger, Descriptio Archidiaconalus in Iampuisso . Trier 1884. S. 252,
Anm. 20. — 0. Bieder, Bcitr. i. Kulturgeseh. d. Hochstifts Eichstädt. I,
65 (Neuburger Kollcktaneenblatt 54. [1890]).
J) Daher die Bezeichnung flascht. Grimm, RA4. 2,316. — Korschelt,
Strafen d. Vorzeit i. d. 0. -Lausitz, S. 314 ff. — Distel, Strafrechtagesch.
Findlinge, S. 338 f. — Katalog d. städt. Museums in Eger (1894) No. 1377. —
Manche Schaml flaschen waren aus Holz. Distel a. a. 0. — Bimförmig war
der Stein in Dclsberg. Stöber, der Klapperstein (Alsatia 1876) S. 95.
3) Der bekannteste dieser Art wurde in Mülhausen i. F.. getragen.
Kr ist abgebildet im Anzeiger f. K. d. d. Vorz. 1857, 8C und in der Al-
satia 1876.
In Müblberg war der Doppclstcin in Gebrauch. Dieser wird so be-
schrieben: „Der eine Stein, welcher die Brust bedeckte, ist sehr schön,
mit einem jugendlichen Kopf mit spitzigen Ohren, auf einem Horn blasend:
der Stein aber, welcher auf den Rücken zu hängen kam, mit einem Manns-
kopf durch Bildhauerarbeit verziert“. [Neue Mitteilungen a. d. Gebiet
histor. Forschungen hgg. v. thür. sächs. Ver. Bd. 10. 1. Hälfte (1863) S. 256.]
Im Germanischen Museum in Nürnberg findet sich ein Stein, der
wahrscheinlich hierher gehört. Er ist ungefähr 35 cm lang, 25 cm breit,
ebenso hoch; an einer Seite ist eine Kette. Das Stimgebildc zeigt eine
menschliche Fratze mit breiter Nase, spitze Tierohren. Der Körper und die
bloß angedeuteten Glieder haben Tierformen.
Doepler, 1,745 spricht von Steinen „teils als ein Mannskopf, teils
als ein Esels- oder Hasenkopf“.
4) Im Bayrischen Nationalmuseum ist eine Marmorplatte [32 cm X 25 X 4]
mit der Inschrift: « latterstein anno tyto «.
5) 25 I’fd. Mühlhausen i. E., Winterthur (Stöber 95); jo P/J. swer
silbergewichtcs, Rb. n. Dist. (Ortloff 1, 304); jo Pfd. oder mer , Deißlingen
(Kurier, Gesch. d. Grf. v. Helfonstein, Anhang S. 16). 33 Pfd. Bautzen
(Stöber 90). utagstain der da hat rin ha/hm smten , Straßhofen, ÜW. 7, 234.
1 /, Zentner Monum. Boica 24,239. Stöber a. a. 0. S. 94. Drei Steine, der
kleinste 60 Pfd., der größte 180 Pfd., Schaffhausen, Stöber 95. 1 Zentner
Dortmund (Fronsdorff, Dortm. Statuten 35), Grimm RA4. 2,315, 2 LPfd
2 Pfd. und 2 LPfd 8 Pfd. (Drcyer Anticju. Anmcrkg. 1792, 8. 117) rin jklich
strin soll einen getvegen stein bthalden (Grimm ItA4. 2, 315). Vgl. S. 8 f. tentner-
steine: tvagstrin.
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J}
schrieben, wie schwer das Strafwerkzeug sein soll. Daraus könnte
der Schluß gezogen werden, daß man gewöhnliche Steine ver-
wendete und sie bloß vorher wog, wie uns denn auch eine Stelle
erhalten ist, wo der Fronbote für das Steinwiegen eine Gebühr
bezieht1). Andrerseits ist eine Angabe der Schwere auch dort
am Platze, wo die Gewichte der Ortswagen dem Strafvollzüge
dienen oder wo Foltergewichte auch als Tragsteine genommen
werden und wo eben dann festgesetzt wird, welches Gewicht ver-
wendet werden soll.
Aus Österreich ist kein Exemplar eines derartigen Steines
bekannt Es lassen sich also höchstens Vermutungen über die
Form aufstellen. Da wohl nicht ohne weiteres anzunehmen ist,
daß alle Hagsteine verloren oder in Trümmer gegangen sind, so
liegt die Vermutung nahe, daß wir derartige Steine zwar auf die
Gegenwart überkommen haben , sie aber nicht als Bagsteiue,
sondern mit andern Namen bezeichnen. Dies ist besonders in
dem Falle möglich, wenn die Steine eine einfache Form hatten
und demnach auch zu andern Zwecken benutzt werden konnten,
als sie ihre Rolle als Strafwerkzeuge ausgespielt batten. Je weniger
charakteristisch ihre Gestalt war, um so rascher und gründlicher
konnte ihre einstige Bestimmung dem Gedächtnis und der Über-
lieferung entschwinden. Und wenn sie gar etwa schon von Anfang
an zu verschiedenen Zwecken gebraucht worden waren (z. B. auch
als Gewichte der Ortswage2), so ist es möglich, daß sie in einer
Zeit, wo sie im Strafsystem keine Bedeutung mehr hatten, aus-
schließlich nach ihrer sonstigen Verwendung bezeichnet wurden.
Die Vermutung, daß die Strafsteine auch in Österreich die ein-
fache Form von Gewichten3) hatten, ist bei diesen Erwägungen
wohl nicht zu gewagt und wird vielleicht eines Tages durch einen
glücklichen Fund ihre Bestätigung finden4).
l) 1402 Braunschweig: Item j d. Corde bodele vor den sten oft to weghenic .
Vater], Arch. d. hist. V. f. Niedersachsen, 1841 S. 110.
*) S. unten § 11 b.
3) Die gewichtähnliche Form ist auch die einfachste. Auch die Hand-
inühlsteinc (von denen unten § 10b ilic Strafsteine abgeleitet werden) hatten
ungefähr die einfache Form von Stcingewichteu.
4) Vgl. die Deutung, die Bormann (Gosch, d. Ardennen, Trier 1841.
lld. 2, S. 230) ltuUsteiuun gibt, weil sie au der Kirchtüre hiengen: „sollte die
1*
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4
Der Stein wurde allgemein sichtbar aufbewahrt. Er hing
am Pranger1) oder an einem öffentlichen Gebäude. Als solche
Verwahrungsstätten sind überliefert: das Gerichtshaus *), das Rat-
haus3), die Schranne4), die Arbeitermietstätte5), das Wohnhaus
des Richters6), das Wirtshaus’), der Weinkeller"), die Mühle9);
schließlich auch Kirche1“) und Kloster").
So konnte schon der tägliche Anblick '*) des gefürchteten
Strafwerkzeugs einen bessernden Einfluß auf zanksüchtige Frauen
Neuerburger an die Freiheit erinnern, die ihnen 1332 gegeben wurde“.
Später dienten dieselben Steine als Gewichte der Kirchenuhr. Heydinger
S. 232 Anmerkung 20, der sie richtig als Strafsteine erkannte.
*) Daher der Name kakstein. S. unten S. 11, an der st ule : Hcrzogcnburg
(Anhang 9), an der sekraiseule : Reichenau UW. G, 69, am pranger; Dorn-
bnrg a. S. (Neue Mitteil. a. d. Gebiet histor. Forsch, h. v. thnr. sächs. Vcr.
21, 137 Antnerkg); Osnabrück (Strodtm an n, Idiotikon Osnabr. 197): Sieding
UW. 7,250. cm stoek: GciUlingcn. (Kcrler, Gesch. d. Grf. v. Helfenstcin
Urk. Anh., S. IG.)
*) Saubersdorf Ö\V. 7, 12-1 (Anhang 15).
s) Mühlhausen (Stöber), SchalThauscn (Hochholz i. d. Argovia 18G2,
iS. 94), Ofen (Stadtrecht) u. s. w. — Unter den Rathaus fenstern: Eichstädt
■ (lticder 1,65).
4) Senftcnberg (Anhang 18).
5) Nufsdorf OW. 7, 919. «) Kalksburg OW. 7, G23.
*) Diepolts ÖW. 7, 230. Die Stelle läßt keinen sicheren Schluß zu.
Wohl aber folgende: dass sie die knecht zu dtr sehnider trinkstuhc fürrtt und ir
den grössten lastcrstein uf ir hopt h*htn sollen SchafThausen 1481, Zschw.
Strlt. 5 (1902) 332.
*) Gera (Schott, Sainuil. z. deutsch. St. u. LR. 1, 1G9); im Wein-
hause: Bautzen (Döpler, Theatrum poenarum, 1,745).
*) S. Döpler a. a. 0.
*") an der Kirchtörc: s. Heydingcr, S. 252 Anm. 20; im Torhaus der
Kirche: Burgebrach (Haas, Slavenland 2,49); im Kapitol d. Stiftskirche:
Köln (Pick, Monat sschr. f. rhein. westf. Gosch. 3, 355): ante sununum altare ,
Ottobeuern (Anz. f. K. d. d. Vorzeit 1858, 88. 18G7, 277). Vgl. Grimm,
HA*. 2, 316. — Brcmisch-nieders. Wörterb. 4, 102G f., karksleene. Vgl. unten
S. 11.
■■) Zwettl (Anhang 25). Ensdorf (Man. Boica 24, 239).
•*) Vgl. die Notiz aus Marienberg i. Sachs. (1532) in der Saxonia 5:
„Es muß aber in dieser Stadt keine bösen Weiber gegeben haben und der
Hinblick auf diese Schandstcine mächtig gewirkt haben, da die Strafe nie in
Marienberg exekutiert wurde.“ Diesen Beleg verdanke ich gleich einer Reihe
anderer dem Entgegenkommen von Dr. Heer wagen in Nürnberg.
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5
ausüben, oder sie doch, wenn sie z. B. auf offenem Markte in
Streit geraten waren, noch rechtzeitig vor dem Gebrauch „ver-
botener Worte“ bewahren.
§ 2. Namen.
Die ältesten Quellen, die uns vom Steintragen Kunde geben,
bezeichnen das Werkzeug schlechthin als lapidex ') oder nach der
verbindenden Kette als lapidex catenati s), lapidex per cathenam
cohaerentex 3) oder als lapidex ad hoc deputati*). Deutsche Rechts-
aufzeichnungen sprechen von „2 Steinen, die dazu dienen 5)“, vom
„Stein, der dazu gemacht ist“6) oder bloß vom „Stein“7). 1242
findet sich die technische Bezeichnung der stad xteene ") und seit
dem 14. Jahrhundert eine Reihe andrer. (Der nach 1353 in
Ottobeuorn gebrauchte Ausdruck lapis dedeeorix et ignominiae ■)
ist kaum technisch gewesen). Als Namen dieses Strafwerkzeuges
kommen vor: pagxtein (zuerst im 14. Jh. in Mühldorf), laxterstein
(zuerst 1396 in Memmingen), pulste in (nur im Ofner StR.),
klapperstein (zuerst 1517 in Ober-Ensisheim), krötenxtein (1625 in
Schleiz), xehandxtein (zuerst 1523 in Marienberg i. S.), kakxtein
(zuerst Anfang des 15. Jh. in der Apenrader Skra), ehebrecher-
xteine (1684 in Aachen), zentnerxtein (1497 in Burgebrach).
Ihre Erklärung finden diese Benennungen teils aus dem Ver-
gehen, wofür der Stein getragen wurde [pag-, laxter-, puk-, klapper-,
*) 1182 Beaumont (zitiert von Frensdorff in Hansische Gcach.-Qu.
3,35 Anmerkung 31). — 1269 Kipen St.-lt. § 14 (Kolderup-Roaonvingc
5, 226). — 1321 Bochum (Gengier, Cod. jur. mun. 1, 243). — 1399 Krakau
' likr. antUju. cm. Craceviemis II igS.
3) 1229 Brüssel (Du Cange 5,28. S. a. Frensdorff a. a. 0.)
*) Mitte d. 13. Jh. Dortmund (Frensdorff a. a. 0.)
4) 1335 Apenradc (Thorsen S. 166).
5) 1292 Hamburg (Grimm, RA4. 2, 315).
*) 1328 Speyer (Grimm, RA4. 2, 315).
’) 1329 Moontfort (Fruin, Kl. steden 314).
1362 Lebamündc (Anz. f. K. d. d. Vorz. 1857, 156).
1367 Geiillingen (Kerl er, Gesch. d. Grf. von Helfenstein Urk. Anh.
S. 16), 14. Jh. Berlin (Berl. Stadtbuch, Schöffenreclit § 26).
e) Neues Schleswig« St.-R. (Thorsen S. 38). Dieser Ausdruck ist
auf den Norden beschränkt geblieben. Grimm, RA4. 2, 317.
*) Anz. f. K. d. d. Vorz. 1858, 88; 1867, 277.
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6
kröten-, ehebrecher-, vielleicht auch scliandsUin] , aus dem Aufbe-
wahrungsort / kakstein ] oder aus dem Gewichte \zentner stein],
a) , Bagstein1 und dessen Varianten.
Die älteste Fundstelle für das Wort pagstein , das Mühldorfer
Stadtrecht1), gibt zugleich eine Erklärung desselben. Es heißt
dort nämlich: Wie man den pagstain tragen ml. Welleich leicht
weip pagent mit den warten , di s i cermeiden sotten, wider ain
purgerin oder wider ir genözzin, der sol der fronpot den pagstain
an irn hals hengen und sol si von gazzen ze gazzen traiben umb ir
unnützes pagen — — daz ist ir pitzz.
,Bagen‘s) bedeutete .zanken, streiten, hadern1, .Bagstein1 da-
her den Stein, der als Strafe für Zank und Hader auferlegt wird.
Als jedoch das Wort ,bagen* außer Gebrauch kam, wurde auch
.Bagstein1 nicht mehr verstanden. Die Verschiedenheit der Aus-
sprache, namentlich aber die volksctymologische Anlehnung an
ähnlich klingende Wärter wie Bach, pochen, Bock, Wage, Weg,
borgen, trugen das Ihrige dazu bei, eine nicht geringe Zahl von
abweichenden Formen hervorzurufen.
Bagstain kommt zu Anfang des 15. Jahrh noch im Ofner
Stadtrecht, Art. 155, vor. Pagstain 1495 in Reichenau, Ober-
Österreich3), zu Anfang des IG. Jh. in Penk, Nieder-Österr. 4) und
in Latzfons und Verdings im Vintschgau J). pagkstain, pakstain
1512 in Klosterneuburg6), in einer 1539 angefertigten Kopie eines
alten Gerichtsbuches in Lang-Enzersdorf1), zuletzt 1667 in Mauer8)
') Aus dem 14. Jh. — Chroniken d. deutsch. Städte 15, 400.
'J) Graff, Ahd. Sprachschatz 3, 22 f. bng zu skr. bhäj frangerei oder
zu skr. bhösh loqui. schwerlich zu fugna. — Schade, Ahd. WB. 36, bdg
as. stm. .lautes Rühmen1 bögr an stm. .Streit*, böe mhd. stm. , lautes Schreien,
Zanken, Streiten*. Daneben ahd. böga, pöga ahd. stf. 1. .Zank, Hader, Streit*,
ltas Zeitwort ahd. pigan, mhd. bögen. Lexer, Mhd. H.-W.-B. 1, 112.
Sch mell er, Bair. WB.J 1,214, bäg ,Zom, Verdruß*, bargen ,lant schreien*.
I.ezer, Kämt. WB. 14, pagg'n .schelten, zanken*. Grimm, DWB. 1,576.
bägeren 1. quäl eil, jmd. unehrenhafte Sachen Vorhalten 2. hadern, zanken.
S taub-Tobler, Schweiz. Id. 4, 1056, beigeren plagen.
3) Grimm, Weistümer 3, 684.
*) ÖW. 7, 286. ») ÖW. 5, 359.
«) ÖW. 7, 961. 7) ÖW. 8, 329.
8) ÖW. 7, 653; ferner ÖW. 8, 417.
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7
bei Wien, packstain zuerst 1412 in Solenau1), zuletzt 1727 in
Eggendorf, Nied.-Österr. *)
Diese Gruppe wollte man in der Literatur mit , bocken' zu-
sammenbringen und bezeichnete daher den Stein als , Backstein' 3),
eine Form, die in keiner Quelle belegt ist.
An Steine aus dem Bache zu denken, war recht naheliegend.
Das Engelmannsbrunner Weistum4) ist in dieser Hinsicht be-
merkenswert. Es spricht davon: wann f rauen oder man schluegen
oder verpotne wort . . . geben bei dem parh und gleich darauf:
wann die weiber an einander handln auf der gassen, so sein si
schuldig , das si den pachstain sollen tragen. Vielleicht haben
wir hier eine volkstümliche Worterklärung vor uns, doch muß man
sich hier, und ebenso bei den weiter noch anzuführenden Varianten
stets auch die mundartliche Aussprache und die Schwierigkeit,
dieselbe schriftlich festzuhalten, ins Gedächtnis rufen1). Pach-
stain wird sehr häufig gebraucht. Zuerst 1399 in München.6)
Im 15. Jh. in Mittersill (Pinzgau)7). In Niederösterreich treffen
wir diese Form von der Mitte des 15. Jahrhunderts (Heiligenkreuz) *)
bis 1666 (Atzgersdorf)9); verdorben in pachstuen im 15. Jh. in
Gastern. ,0).
Die Form bachstein ist bisher nur einmal belegt und zwar
im Teiding von Friedberg in Böhmen11) (1654 — 1697).
Pochen bedeutet nicht nur , klopfen und schlagen', sondern
auch , trotzen, prahlen, zürnen, fluchen, mißhandeln, verhöhnen,
■) ÖW. 7, 382.
*) ÖW. 8, 500: ferner ÖW. 7, 918: 938. 8, 510.
*) Michnaj u. Li ebner, Ofner StR., 8. 98 u. 271. Cliabcrt, Bruch-
stück e. Staats- u. HG. d. deutsrh-üsterr. L. 1848. Denkschr. d. kais. Akud.
ph. h. Kl. 4, 39 Anmerkung. — ÖW. 6, G83 (Register. Dagegen ist im
Glossar ebda S. G27 pachstein zu baqen gestellt).
*) 1500—1535. — ÖW. 8, 657 Zeile 8 f. und Zeile 18 ff.
s) Die Schreiber waren in ihrer Schreibweise auch keineswegs konse-
quent. ÖW. 8, 953 linden wir pogstain, packstain, pockstain!
s) Chroniken d. deutschen Städte 15, 490. Der ältere Abdruck des Katz-
mair’schen Gedenkbuches (Obcrbajr. Arch. 8, 108) hat irrtümlich bachstein.
T) ÖW. 1, 286. •) ÖW. 7, 464.
») ÖW. 7, 644. ®) ÖW. 8, 246.
M) Anhang 7. — Vgl. überdies Note 6.
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8
herausfordern11). Rochholz’) stützt darauf seine Erklärung von
pochslein. Stöber3) schließt sich ihm an und sagt weiter:
„bochxtein entweder eine andere Form von pochstcin , bngstein oder
auf die zänkische Natur des Rockes bezüglich“. Die Rochholz’sche
Erklärung kann nur durch zwei Belege gestützt werden: pochstain
16. Jh. in Erdprefs4) und bochstein 1603 in Weikertschlag a. Thaya*).
Es sind wohl höchstens Deutungsversuclie der betreffenden Schreiber,
noch eher bloß graphische Abweichungen. Die am häutigsten
vorkommende Form ist pockMain (pog-, pogk-, pogkh-, pokrh-,
pokxtain). Zuerst in der ersten Hälfte des 15. Jahrh. in Olrichs-
kirchen“) (Nieder-Österr.). 1512 Kahlenbergerdorf: «tot» gewinnt
pokstain ’). Zuletzt im 18. Jh. in Perchtolsdorf 8). Hierher ge-
hört noch bochtain (c. 1600 Hohenstein)’) und das einmal ge-
brauchte bok (1681 in Ober-Nondorf) 10). Insbesondere die letzt-
erwähnte Form macht es wahrscheinlich, daß man bei pockMcin
an einen Bock dachte, sei es an das Tier, oder an einen so be-
zeichneten Gegenstand.
Wagxtain finden wir in der Bedeutung , Bagstein1 ") seit dem
Ende des 15. Jh. (Gutenstein) ,s) einigcmale. Zuletzt 1748 in
Weikendorf13). Eine Anlehnung an ,Wage‘, ja eine Erklärung des
Begriffes14) scheint in der Wendung zu liegen wagxtain, der da
') Grimm, I)WB. 2,200; s. namentlich die Verbindungen pevhen und
sehenden, pochen und plagen. Vgl. poefooort Grimm, DWB. 7, 1064. Fischer,
Schwab. WB. 1, 1242. Kluge*, Etvuiol. WB. 6,301.
’) Argovia 1862—63, S. 94.
3) S. 89 f. Hie Variante bogitein wollen Rochholz und Stöber von
mittelniederdeutsch tagge = Kröte ableiten. Vgl. dagegen unten S. 10.
4) ÖW. 8, 86. *) ÖW. 8, 243.
®) ÖW. 8, 12 dort auch die Variante pockenstain.
') ÖW. 7, 944. *) ÖW. 7, 596. Außerdem noch 37mal.
*) ÖW. 8, 839. Ferner in Grösten, Archiv f. K. öst. Gesell. -yu. 25, 105.
I0) ÖW. 8,816.
**) uuacslein — ealevlus bereits althochdeutsch (8 1 ei nmey er - S ievers,
Ahd. Gl. 2, 13, 32). Mittelhochdeutsch bedeutet ; oae Gewicht, wage Wage,
Folter (Lexer).
'*) ÖW. 7, 352. I3) ÖW. 8, 59.
u) Haß Volksetymologie vorliegt, ist namentlich daraus zu schließen,
daß : vagstem in Texten gebraucht ist, die im übrigen den Wechsel von b und
;e im Anlaut nicht zeigen.
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9
hat ain halbm zerUen Straßhofen 1499 ’). Die Erläuterung, die
Rochholz9) gibt: „tc. von , bewegen', wie auch die auf ihrer
Spitze beweglichen Orakelsteine genannt wurden“ ist sehr be-
streitbar.
W egstain ist bisher nur einmal belegt und zwar 1558 in
Melk5). Es bleibt dahingestellt, ob diese Form ein selbständiger
Erklärungsversuch ist, oder nur eine Variante zu wagstain, das
in andern Melker Texten vorkommt.
An , borgen' erinnert die Hezeichnung ,borgsteiner'ky der wir
im 18. Jahrh. in Sierndorf4) begegnen. Schon aus dem Plural
ist ersichtlich, daß der Ausdruck eine Verstümmelung des unver-
standenen ,pogstein‘ oder einer ähnlichen Form ist. Der Schreiber
dieser Quelle hat anscheinend gar keine Vorstellung mehr vom
Hagstein.
b) Andere Bezeichnungen.
Lutter stein*) ist von .lästern* = schmähen abzuleiten.
Später mag sich die Vorstellung gebildet haben, daß der Laster-
stein seinen Namen deshalb trage, weil er als Strafe für gewisse
Laster (fluchen, Trunksucht u s. w.) verhängt wurde. Der Name
„Lasterstein“ war weit verbreitet und hat sich lange erhalten.
Zeugnisse seiner Verwendung finden sich: 1396 in Memmingen8),
1481 in Schaff hausen’), 1503 (lesterstein) in Fürstenberg "), 1520
in Überlingen9), seit 1576 im Elsaß10) und bis ins 18. Jahrh. in
Bayern"), wo seinerzeit Bagstein üblich gewesen war IS). Lasterstein
bedeutete jedoch auch den Pranger. 13).
Das Ofner Stadtrecht gebraucht' im Art. 155 das Wort bag-
stuin, im Art 180 dagegen pukstain. Auch dieser Name dürfte
■) ÖW. 7, 234. ») Argovia 1862—63 S. 94.
5) Kalte n baek 1, 120. ‘) ÖW. 8, 466.
») Leier, Mlid. HWB. 1, 1838. Schmeller, Bair. WB.1 1, 1522.
*) Freiberg 5,279. 7) ZscliweiiStrH. 5(1892)332.
B) Förstcnb. UrkB. 7, 376.
9) Ans. f. K. d. d. Vorzeit 1874, S. 10.
10) Stöber, S. 90. Martin und Lienhart, Elsaß. WB. 2,600.
U) 1751 CoJ. iur. Jlav. er im. 1, 4, 19.
’*) S. oben S. 6.
,s) ln Speyer seit dom 17. Jh. Barster, d. Strafr. v. Speyer S. 82 f.
Vgl. Osenbrfiggen, Alaui. Strafr. 110.
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10
vom Vergehen herzuleiten sein; ,puken‘ bedeutet nämlich ,sich
gegenseitig schlagen11), ,puck‘ Puff, Schlag*).
Klapperstein war im Elsaß üblich. Seit 1517 ist der
Ausdruck nachweisbar *). .Klappern1 heißt plaudern, schwätzen.
Das Wort krötenstein , das wir im Statut von Schleiz 1 625 4)
überliefert haben, möchte ich von ,kreten‘ zanken, streiten1) her-
leiten. Rochholz6) denkt an das Tier Kröte, „weil man (sagen-
haft) die Kröte einen geheimnisvollen Stein im Haupte tragen
läßt.“ Ebenso erklärt er bngstein durch mnd. Logge Kröte. Seiner
Deutung folgt Stöber7), der auch die Form bockstein darauf
zurückführen möchte. Was tür ein Zusammenhang zwischen dem
Strafstein und dem .Krötenstein* des Aberglaubens8) bestehen
könnte, ist mir unerfindlich. Eher könnte man noch die Votiv-
kröten heranziehen, die von kranken Frauen geopfert wurden5).
Doch auch dies liegt zu ferne.
Überdies ist daran zu erinnern, daß bogstein bisher nirgends
belegt ist. Ähnliche Formen kommen nur in Niederösterreich10)
vor, jedoch nie in niederdeutschem Sprachgebiete.
Bezeichnungen wie ehebrechersteine (1684 in Aachen)11) und
zentnerstein (1497 in Burgebrach)1*) erklären sich von selbst.
*) Schröer, WB. d. deutsch. Mundart d. ungar. lierglandcs 25, 251.
*) Lübben- Walther, Mittelniederd. HWB. 258.
3) Stöber, S. 104: S. 91 f. Martin u. Lienhart, Wörtcrb. d. clsäl).
Mundarten, 2, 599. — Sai (Bischöfe u. Reichsfürsten v. Eichstädt, S. 418,
Anmerkung) spricht vom Klapperstein in Eichstädt. Das entspricht nicht
den Tatsachen. Das Woistuin von Enkcring, das hier in Betracht kommt,
kennt nur „Stein“. Übrigens sollen nach Sax auf diesem Klapperstein die-
selben Verse gestanden haben wie auf dem Mühlhauscner!
4) Walch, Vermischte Beiträge z. Deutschen R. 8, 78.
6) Schiller- Lübben, Mittelniederd. WB. 2, 565 f. (Auch Zitate aus
Reell tsqucllen).
6) Der Stcinkultus in d. Schweiz, Argovia 1862—63, S. 94.
») S. 89 f.
8) s. Das Steinbuch. Ein altdeutsches liedicht von Voluiar, hgg. v.
Lambel. Heilbronn 1877. S. 16 Vers 457 ff.
9) Andrec, Votive u. Weihcgabon d. kath. Volkes in Süddcutschland
S. 129 ff. — Liebrecht, Zur Volkskunde S. 333.
10) S. oben S. 8.
*') Zeitschr. d. Aachener Gesch.-Ver. 6,44. — Im Jahre 1331 kannte
inan die ftna lapidum in Aachen noch für Scheltworte. Loersch, Achencr
Rdenkmäler S. 47, §11.
13) Haas, Slavenland 2,49.
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11 __
Schandstein bedeutet den Stein, den die Frau tragen muß,
welche eine andere geschändet, d. h. geschmäht hat'). Es ist
jedoch auch möglich, daß das Wort von .Schande4 abgeleitet werden
muß, demnach: , Stein, den man zur Schande trägt1. Das wäre
ein Gegenstück zu schandxtein .Pranger12) , Stein, auf oder an dem
man zur Schande steht'. In der Bedeutung „Stein zum Tragen"
rinden wir schundslein 1523 in Marienberg in Sachsen sj, 1532 im
Braunschweiger Sladtreehte 4), 1620 in Ploen5).
Die kakstene der Apenrader Skra6) heißen so, weil sie am
Kake (= Pranger) hingen. Im bremisch -uieders Wöiterbuche ’)
werden karksteene angeführt und dazu bemerkt: „weil sie etwa in
den Kirchen auf bewahrt wurden und diese Strafe von dem geist-
lichen Ehegerichte auferlegt wurde.“ Im Nachträge’) ist dieser
Gedanke aufgegeben, wohl aufgrund einer Bemerkung DreyerV),
daß man statt kack- kaksteene lesen müsse.
Zu der Reihe von quellenmäßigen Bezeichnungen des in
Rede stehenden Strafwerkzeuges tritt eine weitere Reihe von Namen,
die man dem Steine in der Literatur gegeben hat.
Lapis vituperii^), lapisfamotus}1), lapts scandali l!) sind Übcr-
') Vgl. , Schandmaul1.
J) Mell«, Gründliche Nachricht von Lübeck3 1787, S. -147. Dreyer,
De littophoria , S. lli will unterscheiden hsterstein = Stein rum Tragen und
sehnmUtein = Pranger. Das ist nicht möglich. Heide Worte kommen in
beiden Bedeutungen vor.
*) Saxonia 5.
*) Braunschw. Urklt. 1,313.
*) Kinder, l'rkB. z. Chronik d. Stadt Ploen, 1881 f., S. 34 f. Siehe
ferner Schäfer W., Deutsche Städtewahrieichen, 1, 53. — Schiller-
Lübben, Mittclnicdcrd. WB. 4, 45.
*)Thorsen, Schlesw. Stlt., S. 167. — S. a. Schiller-Lübben,
a. a. 0. 4,385. Verwijs en Verdaut, Middelncderl. Woordenb. 3,11.
7) Bremen 1767—71. Bd. 4, S. 1026 f.
«) 5, 460.
*) Antiquarische Anmerkungen. Lübeck 1792, S. 118.
K) ) Stielcr, d. deutschen Sprache Stammbaum u. Fortwachs, 8. 2139
Lop. vit. hieß auch der Stein, auf dem fallirto Schuldner saüou. Grimm,
BA.' 2, 162.
") Boccrus, de jurisdict. c. 5. n. 43 (1509). — Stielcr, a. a. 0. —
Krebs, Traetatus pol. pur. de ligno et lopüie. 1756. S. 208.
**) Dieselben.
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12
Setzungen von Laster- und Scliandstein. Mit Lapides publici sen
civitatis übersetzt Stiernhook1) dar stad stene. Andere Aus-
drücke dafür sind haderstein *), rätodvtUin1), zankstein *), backstein*),
straf stein ü) und bussstein 1).
Hier sei auch des Ausdrucks Litophorie gedacht, den Dreyer
in seinem Aufsatze De Htopharia*) aufgebracht hat, welches Wort
aber sonst nicht verwendet wird.
Grimm4; führt im Abschnitt über den Lasterstein auch rote
rüder an, jedoch irrtümlich; an der von ihm erwähnten Stelle
bandelt, es sich um Brandmarkung.
Hans Sachs6) gebraucht das bloch anscheinend in der Be-
deutung Schandstein.
Französisch heißt das Strafwerkzeug la pierre (a. 1247 bei
du Gange 5, 28) oder la pierre des maucaises langues , la pierre
de scandale s).
§ 3. Verbreitung. Unterschied zwischen bag- und lasterstein.
Die Rechtssitte de9 Steintragens ist allem Anschein nach auf
dem Boden des alten Frankenreichs entstanden, hat sich über
Frankreich, Deutschland und die Niederlande verbreitet, und ist
auch durchdeutschen Einfluß nach Norden10) und Osten ") gedrungen.
Besonders zahlreich sind die Zeugnisse für diese Strafe in
') Hie Stelle bei Du Gange 5,28.
*) Grimm, KA4. 2,316, führt das Wert aus Wnrdtwcin, Uiplom.
Magunt. 2, 567 an. Das Wort ist aber nicht quellenmäßig, sondern steht dort
in einer Ilodmann'schen Anmerkung. Die von ßodmann dort gebrachten
Stellen sprechen bloß von stenen. Ob diese Angaben von Bodmann gefälscht
sind, bleibt dahingestellt.
J) St öber (S. 104) spricht vom Lasterstein in Sulz im Ober-Klsaß -den
ich dort auch Rätschstein nennen hörten . Bei demselben, an der Kirchen-
wand steht die Jahreszahl 1489“. (Vgl. ebda, S. 91, Rätschen = schwätzen).
— Die Mitteilung Stöber’s bleibt zu prüfen. Im Wörterbuch d. elsäss.
Mundarten v. Martin u. Lienhart, 2. Bd. 1907, fehlt rätschstein.
4) Grimm, RA.4, 2,316. «) S. oben S. 7 Note 3.
6) Grimm, RA.4, 2,317. 7) Heydinger S. 252 Amu. 20.
8) Kiel 1752. ») Stöber S. 89.
10) Fritzner, Ordbog 3,538. — Grimm, RA4., 2,317.
**) Krakau 1399. Kaindl, Arch. f. Östcrr. Gesch. 95 (1906), S. 220. —
Siebenbürgen: Fron ius, Bilder aus dem s&chs. Bauernlebcn.* 1883. S. 129.
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13
den bäuerlichen1) Quellen Niederösterreichs *). Wenn wir diesen
Nachrichten noch die spärlichen Belege aus Oberösterreich, Süd-
böhmen, Steiermark, Salzburg, Tirol und Bayern angliedern, so
ergibt sich eine Gruppe von liechtsaufzeichnungen, die ein be-
stimmtes einheitliches Bild gewähren, das sich von der Entwicklung
der Steinstrafe in den andern Rechtskreisen in einigen Punkten
wesentlich unterscheidet3).
1. Nur im bayrischen Sprachgebiete heißt der Stein Bagstein,
er trägt aber auch mit ganz geringen Ausnahmen stets diesen Namen.
2. Der Bagstein wird von Frauen getragen. Anderwärts
tragen auch Männer Schandsteine.
3. Das Delikt, wofür die Strafe auferlegt wird, ist in dem
angeführten Rechtsgebiet fast ausschließlich Frauengezünke. In
vielen andern deutschen Rechten ist die Entwicklung dahin ge-
gangen, daß das Steintragen eine ganz allgemeine Strafe wurde.
Folgende Delikte wurden mit dem Sehand- oder Lastersteine be-
straft: Schmähbriefe, Spottlieder, freventliches Schwöron, Gottes-
lästerung, Verdacht der Hexerei, Kindesraord, Ehebruch, Kuppelei,
Hehlerei, Fundverheimlichung, Diebstahl, Betrug, Spiel. Nament-
lich Ehebruch wird häutig so gestraft. Im Norden Europas hatte
diese Strafe ihre besondere Entwicklung4).
4. Im Gebiete des Bagsteins ist nichts von einer besonderen
Tracht der Verurteilten gesagt. Anderwärts ist häutig das Büßer-
•) In den Städten war das Steintragen vermutlich auch üblich. Vgl.
das unten § 10a über die Wf Neustädter Harmschar Gesagte. Auch das
Münchner Stadtrecht spricht nicht über den Strafstein, und doch ist das
Vorkommen desselben dort bezeugt. Es gab ja auch Gewohnheitsrecht.
Am frim’/nfrei’el ist nit ftielu. vir! ,/amit %eh ilttn nie <Ur richter nach gestalt tler
snthtn erkhennt. 1575. Keyschor, Samml. altwürtemb. StatK. Tüb. 1824, S.208.
3) Es kommen in erster Linie die bisher erschienenen 2 Bände der Nieder-
österr. Weistümer (UW. 7. n. 8. hgg. v. Winter) in Betracht. Solange der
3. Band (Viertel ob dem Wiener Wald) nicht erschienen ist, sind auch die
Sammlungen von Kaltenbaek (Pan- u. Bcrgteidingbnchcr Nieder- Österr.
2 Bdc., Wien 1840 f. und Zahn (Archiv, f. Kunde österr. Geschichtsquellen
25 ( 1 860 J S. 1 ff.) heranzuziehen.
J) Die Nachweise zu den folgenden Behauptungen sind, soweit sie den
Bagstein betreffen, in der vorliegenden Arbeit gebracht; soweit es sich um
das außerösterr. Kechtsgebict handelt, wird sich in einer späteren Unter-
suchung Gelegenheit bieten, ins Detail einzugehen.
*) Vgl. Grimm, KA.4 2,317.
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14
hcmd vorgeschrieben. Auch das „Prekeln“ der Verbrecherin mit
einem Nagel durch die hinter ihr gehende verletzte Frau kommt
in Österreich-Bayern nicht vor1)-
Alle diese Umstände lassen es zweckdienlich erscheinen, die
Untersuchung über die Strafe des Steintragens vorerst auf die
österr.-bayrisebe Gruppe zu beschranken, um so ein abgerundeteres
Bild zu erhalten. Selbstverständlich müssen bei der Frage nach
der Entstehung der Strafe, bei Erwähnung der bisherigen Deutungs-
versuche und bei Aufstellung eines neuen auch alle andern Beleg-
stellen in gleicher Weise herangezogen werden.
Innerhalb der großen Zahl von Quellen, die uns über den
Bagslein Aufschluß geben [die älteste überhaupt ist aus dem
14. Jli. s), die älteste österreichische aus dem Jahre 1412 J), die
spateste von 1 748 4J, lassen sich eiue Reihe von unter sich mehr
oder minder gleichlautender Gruppen bilden, wodurch die Unter-
suchung wesentlich an Übersichtlichkeit gewinnt.5) Die Text-
verwandtschaft bestellt natürlich vor allem in den Reebtsauf-
zeichnungen von Orten, die unter einer Grundherrschaft standen
oder einander benachbart waren. Namentlich sind die Texte in
den Sammelhandschriften *) häutig identisch.
') Das Ofner StR. gehört dem Magdeburger Rechtskreise an. Die
Bestimmung fiber das Steintragen hat es anscheinend dem Rb. n. Distinkt.
entnommen. Nur der Name Bagstein ist dein Ofner Recht und den österr.
Weistnmcrn gemeinsam.
*) Chroniken d. deutsch. Städte 15,400 (Mühldorf;.
3) ÖW. 7, 382 Snlenau. *) ÖW. 8, 59 Weikendorf.
5; Die wichtigsten Texte sind am Schlüsse dieser Abhandlung in ihrer
ältesten Gestalt abgedruckt. Es ist beigefngt wo sic in Geltung waren.
Auseinandersetzungen über die Art und .Weise der Textentlehnung und Ver-
wandtschaft waren nicht am Platze, häutig ist sic jedoch bereits aus den
kurzen beigegebencu Notizen zu crsehliclien.
°) 8. Winter i. d. Einleitung zu ÖW. 7. S. XV11I.
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15
11
Der Bagstein
§ 4. Das Steintragen als Frauenstrafe
Das Steintragen war von jeher eine besondre Fraucustrafe ')
und ist es im Gebiete des Bagsteins auch geblieben.
Diese Strafe batte ihren Ursprung2) in der Verknechtung,
bezw. Strafarbeit zahlungsunfähiger Übeltäterinnen. Die Zahlungs-
unfähigkeit lag aber nicht nur dann vor, wenn die Krau arm war,
sondern auch dann, wenn ihr Geschlechtsvormund für sie nicht zahlen
wollte; der Hauptgrund für das Fortbestehen dieser Ehrenstrafe
war also die geminderte Vermögensfähigkeit der bevormundeten
Frau. Die Witwe, die auch sonst eine gewisse Selbständigkeit
genoß, wurde oft den Männern gleich geachtet3). Für Delikte,
deren Begehung die Männer mit einer Geldstrafe büßten, trugen
Frauen den Stein4)- Es lag dieser Rechtssatz im Interesse des
Hausherrn. Er sollte durch Vorgehen seiner Frau keine nam-
hafte Vermögensschädigung erleiden3). Ebenso wie ein Höuhst-
betrag festgesetzt war, bis zu welchem man der Ehefrau borgen
durfte, sodaß sie z. B. nur eine geringe Summe vertrinken®) konnte,
') I)cr [Handmnhl-jstein war eben ein Symbol weiblicher Arbeit, s. § 10b.
2) S. unten § 10a.
3) ÖW. 8, 605 Eggenburg: bei den . . tadingen sollen sein n tan , willen und
normen — — . ÖW. $, 100 Drösillg 1460: ain wittib . . wag so vitl verwandeln
alfs ain mann. — ÖW. 8, 147 Hörersdorf 1512: Wie ain wittib handelt , darnach
soll si puefsen. - ÖW. 8, 23 Wolfpassing c. 1 630 : Es ma$ auch ein fronte
fridsamc frau nit mehr vertrinken als ja f ein wittib die ihrer selbst ist alfs
vH alfs ein mann.
4) ÖW. 5, 359 Latzfons u, Vordings [Tirol] 1539. lugpan da ist ain
man . . ver vollen fünfzig fhrml und ain waib sol den pagstain tragen. Dies statt
vieler Beispiele. Vgl. Text Lan, Anhang 11.
i) S. a. Köstlin, Ehrverletzung nach deutschem Hecht ZDIi, 15,431.
I’fenninger, Strafr. d. Schweiz S. 63.
•) ÖW. 7,464. Heiligenkreuzer Generale 15. Jh.: Item, ob ain weih
hin: ainem leutgeben vertrank rok mantl slair ein ires marines willen una wissen,
tot ir der leutgeb nielitt wer darauf porgen etann !2 . — Das jüngere WeistUüi
von Wolfpassing (s. Note 3) setzte 32 ^ fest. — 72 sind die Grenze im
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18
ohne ihres Mannes Willen, grade so war auch begrenzt, was sie
durch Übeltaten verwirken1), verhandeln und verwandeln3') konnte.
Man nahm eben die Frauen nicht für vollberechtigt an und be-
urteilte ihr Gezänke nicht so ernst als den Streit der Männer 3).
Ob .... itich zwo /rawn vergangen mit red, so schulten sich di
mannen ntcht darund/ annemen sagt das Taiding zu Schatterlee 4).
Doch verfiel ein Weib, das sich gegen Männer übel benahm, mit-
unter in besondre Strafe; namentlich war das Herausfordernd
eines Maunes durch eine Frau als unweiblich mit hoher Buße
verpönt. Ebenso war es ihr verboten sich in Männerhändel zu
mengen.®)
Die meisten Weistümer machen keinen Unterschied, ob die
Frevlerin verheiratet war oder nicht, ob sie Bäuerin oder Magd
war, ob sie im Orte selbst oder außerhalb desselben wohnte, —
alle Weibspersonen , hausgetessen oder nicht1), Jrau, magd oder
tochter*), jung oder alt*), weiber oder andre ledige weibliche pilt l"), allen
Amt O. u. U.-Rohrbach, 16. Jh. (Ö\V. 8, 417). — I)or Wirt wurde sogar
bußfallig, wenn er mehr verabfolgto. ÖW. 8, 320. Kipeltau 1512.
') Zu den Stellen für 12. 32, 72 noch eine: ÖW. 8, 690 Falkenberg
1566: Hs mag aiuh kein frmu wem man seine guets niehi mer venourchen Jen 2
um! 6 ^ .
*) ÖW. 8, G80 Oetzdorf 1(1. Jh. — anderwärts versebwatsen n. versehhgen.
3) ln Bayrntani ezwen ritler guet wallten Jarnmi nieh' kriegen, Jas ire weiher
sieh zepiegen. Stelle aus Zeichner hei Schmetter, bair. WB.- 1, 214.
*) Vom Jahre 1489. Anhang Kl.
5) Die bezüglichen Stellen sind alle miteinander verwandt. (IW.
7, 5C5, (laden 1431 [vgl. UW. 7, 1065]: Item, Jas ein frmv nieht mer verwirkt
zu wanJt Jan 12 ^ , aufsgenommen ob si ainen man aufs seinem häufe vaJert unJ
manhait allso versehmähet, Jie toiir to tat. Jer Herrschaft (der Mann blos 5).
Vgl. Text Minkendorf, Anhang 14. — In Wülfleinsdorf a. I,. 17 Jh. betrug
die Buße blos 72 fl (ÖW. 7,448). — In I’faffstetten 17. Jh., wenn der
eigene Mann herausgefordert wurde, blos 12 (ÖW. 7,536).
*) Für Waflcnzutragen 32 Fl. Strafe. ÖW. 7, 1012, Lockenhang (West-
ungarn) 17. Jh.
7) ÖW. 8, 1095, Guntramsdorf 1640.
*) Grimm, Weist. 3,830 Knkcring (Bayern). — frau oJer Jirrn, Tran-
dorf, Anhang 22, Friedberg, Anhang 7. — weiber oJer Jiern, Zwettel, An
hang 25.
®) Liesing, Anhang 12, sy sey iung oJer alt, reich oJer arm . . . harne aufs-
genommen. Kloster F.nsdorf c. 1460 Anhang 6.
ln) Lilienfeld. Anhang 13.
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war der Bagstein angedroht. Andere Gruppen von Teidingen er-
wähnen nur die contceiber oder andre frume f rauen '), eeweiber *)t
gemessene*), hausysensene*), frume gelante f rauen*). Der Grund
dafür, datl hier bloß von haus- oder grundbesitzenden') Ehefrauen
die Rede ist, dürfte sein, daß die andern teils unter der häus-
lichen Zucht standen, wie die Bauerntöchter und Mägde, teils
aber einer strengen Bestrafung, der Ausweisung, unterlagen»),
wie die fahrenden „freien “ Weiber. Daher sind auch in einigen
Rechten die inländischen Frauen zusammengefaßt') und den
fremden, fahrenden gegenübergestellt. Die letzteren konnten über-
dies vom Beteiligten sofort nach der Missetat gezüchtigt werden9).
Die tatsächliche bessere Stellung des Vermögenden, die sich
durch das ganze ältere Recht verfolgen läßt, zeigt sich auch beim
Steintragen. Zwar bestand rechtlich kein Unterschied zwischen
der armen und reichen Frau, aber tatsächlich war er vorhanden.
In den meisten Fällen wurde die Bagsteinstrafe erst verhängt,
wenn die Buße nicht entrichtet wurde. Die verhängte Strafe
konnte durch Geldzahlung gewandelt werden. Wenn eine „Unge-
gessene“ beleidigt worden war, mußte sie sich mit einer Schein-
buße begnügen10).
§ 5. Das Vergehen.
Bagen, also Schelten und Streiten war das Vergehen, das
dem Bagstein den Namen gegeben. Die Fälle, in denen diese
') ÖW. 8, 939, Hohenstein e. ISO«.
*) Stratzdorf (Anhang 20).
*) ÖW. 7, 918, Nnßdorf u. Heiligenstadt 15. Jh.: die gesessen sein oder
halt ko/unfs geben. —
4) S. 16. Anmerkung 7. — ÖW. 8, 672 Grafenwerd 1433.
5) Senftenberg (Anhang 18).
®) gelant = gelandet. — Auch naehbarin u. frum hat vorzüglich diesen Sinn.
*) Herzogenburg (Anhang 9).
*) Bogcn-Neusiedel (Anhang 1). ÖW. 7, 518.
®) ÖW. 8, 925, Senftenberg 16. Jh.: ob am frei s föchtrl herkäm und ainen
fr unten man mit seheltworten übel handelt, und ob si dan derselb .... mit ainem
scheit sch/ueg, der ist darum b kainfs mandelfs schuldig. — Vgl. Archiv f. Kunde
österr. Gesch.-Qu. 25, 103. Mark Grösten § 34.
*°) ÖW. 7, 227, Kamplach 17. Jh.: Wann eine gesessene /rau mit einer
/ rauen oder dirn le stert oder schendt , soll man der ledigen dirn zur zehrung geben
3 und die andre soll den pachstain tragen.
K ünßberg, Dm Steintragen. -
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Strafe wegen anderer Übeltaten verhängt wurde, sind in den hier
in Betracht kommenden Quellen ') so selten, daß sie als Ausnahme
gelten können. Es sind da zu nennen : Gotteslästern *), Fluchen 3),
und Trunkenheit4), alles Delikte, die zu dem Bagen in Beziehung
stehen. Ganz vereinzelt ist die Bestimmung des Weistums von
Eis, welches bei Nichtzahlung der Geldbuße für verbotenes Ge-
treideschneiden den Bagstein androht *). Und die , Fassung dieser
Stelle ist wohl nur durch Anlehnung an den nächstfolgenden
Artikel zustande gekommen, der vom Frauengezänke und vorn
Bagstein spricht.
Der Unfriede zwischen Frauen ist vorzugsweise die Veran-
lassung der Steinstrafe. Gelegenheit zu Friedensstörungen durch
„Haud und Mund“, Wort und Werk6) bot sich mancherlei: beim
Zusammenkommen vieler Frauen auf Markt7) und Straßen6), bei
der Waschstätte9), am Bach10), im Weinberg11) u. s. f. Wie die
Frauen auf dem Markt und bei der Arbeit besonderen Schutz
■) Uber die anderen [nicht bayrisch - österreichischen] Quellen siehe
oben 8. 13.
*) Herzogcnburg (Anhang 9).
3) ÖW. 7, G63, Mauer 1730 (prechtl; vgl. aber unten S. 33). — ln
Khulb stand auf Fluchen Gefängnis, auf Scheltworte der Bagstein. Archiv
f. K, öst. Gcsch.-Qu. 25, 115 u. 117.
*) ÖW. 7, 518, Traiskirchen 1615: Wan die weibsbersohnen, si seint haus-
gesessen diernen dienstboten Inwohnerinnen , auf offener passen an einander schelten
oder sieh iberweinen und umichti g halten, die sollen an alles mi/l den pockstein
öffentlich tragen oder mit der fidl nach gestalt der saehen gestraft werden . —
Guntramsdorf 1640 (ÖW. 8, 1095) stimmt wörtlich, doch ist dort nur von
der Fiedel die Rede.
5) Eis. 1605. (Anhang 5).
«) ÖW. 8, 874 Ober-Bohrendorf 1434. — Eis (Anhang 5) 1605.
*) Archiv f. K. öst. GcschQu. 25, 105 Markt G rösten. — ebda 25. 132
Eis 1487. — ÖW. 8, 515. Groß-Weikersdorf, vor 1495: Oh two /rauen in der
freiuug mit einander wärtln, raufen oder schlagen, die »ein schuldig den pag-
stain tu tragen oder umb dad icandl fi ) 3 und 2 5). geschiecht e» aber nit in
der freiung, tu s int si umb 6 fl 2 ^ , Man ist versucht, statt , oder * ,unrf* zu
leseu, oder einen Fehler in den Zahlen anzunehmen. Wie ist es erklärlich,
daß für Frevel außerhalb der Freiuug dieselbe Bulle bestimmt ist, wie sie
als Ablösung des Bagsteins bei Freveln wahrend der Freiung eintritt?
«) ÖW. 8, 657: 315; 370. — ») ÖW. 8, 857 f.
10) ÖW. 8,657 Zeile 9; vgl. Zeile 18.
11) ÖW. 7, 961 Klosterneuburg 1512. — e« war wo es ir oft, :u feit oder
tu gatten ÖW. 7. 124. — Vgl. ÖW. 7, 919.
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19
genossen, so sollten auch sie andere Leute in Frieden lassen. Das
Bergteiding von Klosterneuburg drückt dies so aus: All junk-
frairen und /rauen sullen in dem perg frxdsam .sein, avrh den frid
in dem mund halten. Noch deutlicher war das Bannteiding der
Stadt Eggenburg '): Alle erbahre f rauen die «ein friedber also lang
kints da» »ie dem fried selber brüchet. Man konnte sie dann buß-
los beleidigen*). Aus den Weistümern hört man deutlich den
Ärger über das Frauengezänke’) heraus.
Meist wurden die Frauen durch Scheltworte oder durch üble
Nachrede4) straffällig. Dem typischen Formalismus des deutschen
Rechts entspricht es, wenn seit jeher in den verschiedenen Rechts-
quellen bestimmte Wörter (Vorwurf unehrlicher Abstammung, un-
ehrlicher Handlungen, Belegen mit Tiernamen u. dgl.) als verba
interdicta, verhorene wort u. ä. bezeichnet werden. Die Quellen-
stellen, die vom Bagstein reden, haben dafür den Rechtsausdruck
verbotene v-orte 6), führen aber keine bestimmten Worte an®). Es
wurden wohl auch besondre Verbote erlassen7). Insbesondre
darften die Schmähungen nicht treue und ehre*) angehen. also
nicht ehrenrührerisch 9) oder gar ehrtötend 10) sein.
Dem Wortstreite und den Gebärden“) folgten Tätlichkeiten **).
Da ist handeln'3) im Sinne von „mit der Hand etwas tun“ ge-
0 ÖW. 8, 609. (17. u. 18. Jb.)
’) ÖW. 8, 444 Stockerau vor 1465. — ÖW. 8, 609: 949.
®) ÖW'. 8, 731. 889. 7, 1013. Namentlich die Weistfimer von Eis und
Hartenstein (Anhang 5) im Hinblick auf einen konkreten Fall.
♦) lugpan ÖW. 5, 369. ») ÖW. 6, 58. 7, 105 u. 8. f.
®) Wirklich vorgekommene Fälle im Archiv f. K. öst. GeschQu. 25, 132 ff
— Statt „verbotene Worte“ heißt es auch untitmliche, unheecheidene , umcham-
bare , untichtiye irort n. ä.
*) irort die . . von der obrigkait oder richter verfallen teind. ÖW. 7, 432.
Zwölfaxing c. 1569.
*) ÖW. 7, 628: 953: 983. — Archiv f. K. öst. Gesch.Qu. 25, 105. Ver-
stümmelt in treu und vor ebda 25, 117. — eh re und glümpfen. ÖW. 8, 788. —
9) ÖW. 8, 59. ähnlich ÖW. 7, 993: 8, 259; 510 u. s. f.
10) Zwettl (Anhang 25). — **) ÖW. 8, 259 Windigsteig 17. Jh.
I5) mit unzüchtigen icorthen .... und vo/gtichen mit tchlägen. ÖW. 8, 816
Nondorf 1681.
'*) Gedersdorf (Text Stratzdorf, Anhang 20). — an einander handeln
ÖW. 8,658. ü beihandeln ÖW. 8,652: 1084. — freventlich handeln Grimm.
Weist. 3, 684. — verhandeln ÖW. 8, 680.
2*
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•20
braucht. Doch konnte übelhandeln auch mit Worten ') geschehen.
Häufig sprechen die Quellen von raufen und schlagen'1).
Mitunter tritt die Bagsteinstrafe nur bei tätlichen Beleidi-
gungen ein, während bloßer Wortkrieg eine Geldbuße einträgt3).
In Reichenau (Nieder-Österr.) war in der Bestrafung von Schelten
und Raufen der Unterschied, daß ersteres mit Bagstein oder
Buße, letzteres mit Bagstein und Buße geahndet wurde4).
Artete die Prügelei aus, und kam es zu Wunden oder
Lähmungen, so richtete sich die Strafe nach der Verletzung5).
Wenn das Raufen nicht in den Grenzen der Ehrverletzung blieb,
sondern eine Körperbeschädigung zur Folge hatte 6), so sollte auch
an Stelle der Ehrenstrafe eine Leibesstrafe treten ’). Doch es
kommt auch vor, daß nebeneinander Leibesstrafen oder der Bag-
stein angedroht sind8), oder aber, daß das Steintragen nur eine
Verschärfung der ordentlichen Strafe ist9).
Wenn sich die Frauen gegenseitig geschlagen und beschimpft
hatten, so wurde häufig nur diejenige straffällig, die den Streit
angefangen hatte ,0). Das Zurückschlagen war also nicht Unrecht.
>) Stadtrecht vuu Wr. Neustadt cap. 34. Arch. f. österr. Gesch. 60, 215.
— Solen au 1412. ÖW. 7, 382.
») Zwettl (Anhang 25). Trandorf (Anhang 22). Minkundorf (Anh. !4)u.a.m.
3) Zwettl, Minkendorf.
4) ÖW. 6, 69. In Spital a. S. (ÖW. 6, 58) stund auf Kaufen nur Geld-
strafe: die war aber für Frauen höher (72 ^ ) als für Männer (60 S^).
5) Minkendorf und Varianten (Anhang 14.) ÖW. 8, 672 Grafenwerd
1433. — Hierher gehört auch: verschuldt sie aber ain mehrere , so solle sie
auch höher gestrafft werdet i ÖW’. 7, 345 Hohr und Schwarzenau 17. Jh. —
nach iem verdienen Text Stratzdorf, zweite Stelle (Anhang 20).
*) Vgl. ÖW. 8, 949 : 953 Eis und Hartenstein.
7) Solche sind aufgezählt ÖW. 8,680 Ötzdorf 16. Jh.: auch mag si
verschuldn , das man si durch die gackn yrent, auch die om abschneiden und
unter den galing (= Galgen) te stussen. Vgl. OW. 8, 690.
•) ÖW. 8,259 Windigsteig 17. Jh.: Hürden weibspersohnen krieg-
bahr , so sollen sie ohne nachlass an leib oder guet gestrafft oder andern tur
Warnung [ihnen] der parhstein angehenkt werden.
Archiv f. K. österr. Gesch.yu. 25, 105 Markt Grösten : buckhstain oder
fidel an den hals henckhen und . . nicht destoweniger nach ihrer lat
gestrafft werden.
,0) Herzogenburg (Anhang 9): ursacherin. — OW. 7, 993 : 983. 8,243;
788. — Vgl. 11b. n. Distinkt. llueh V. cap. 20. dist. 7 (Ortloff 1, 304) und
Ofner StR. art. 155.
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Dieser Satz galt jedoch nicht allgemein. Wir finden auch die
Bestimmung, daß beide den Stein tragen müssen1). Bemerkens-
wert ist in dieser Hinsicht das Trandorfer* **)) Weistum; es setzt
fest, daß erst, nachdem beide den Stein getragen haben, darüber
befunden werden soll, welche Frau im Unrecht ist. Diese muß
dann noch den Wandel entrichten. Wenn sich die Verfeindeten
aussCbnten, so konnten sie auch straflos ausgehen 5).
Der Natur der Sache nach sind Bestimmungen über Streit
zwischen Frauen und Männern4) in den Weistümern seltener als
die über Frauenkrieg. Die Strafe ist oft für beide Fälle gleich 5).
Andre Quellen wiederum strafen Scheltworte zwischen Frauen mit
dem Bagstein, verbotene Worte einem Manne gegenüber mit
Geld6). Eine Mittelstellung scheint das Weistum von Ziersdorf7)
(ebenso das gleichlautende des Nachbardorfes Groß-MeiseldorP)
einzunehmen.
Für unziemliches Benehmen den obrigkeitlichen Personen
gegenüber finden wir gleichfalls die Bagsteinstrafe angedroht;
also wenn Frauen den virrn oder zteelfern ’), der Herrschaft, dem
richter , den gesworen 10) nachreden. Dazu war z. B. Gelegenheit im
Bannteiding, dem ja unter Umständen Frauen an wohnen konnten n),
oder sogar mußten 1J). Namentlich aber wird die Tätigkeit der
•) S. § 7 am Ende. Friedberg (Anhang 7). — s) (Anhang 22).
s) Laa (Anhang 11). — 4) Ygl. oben S. 16.
*) Eipcltau (Anhang 4.) Senftenberg (Anhang 18.) Uedersdorf (Text
Stratzdorf, Anhang 20). Liesing (Anhang 12.) ÖW. 7, 62 Haübach u. Kirchau
1566: ÖW. 7, 644 Atzgersdorf 1666: ÖW. 7. 424. Velm n. Gutenhof 1725.
•) ÖW. 8, 12: 17 Ulrichskirchen 1438—52. Drfising (Anh. 2). Praktische
Fülle aus El* 1487 im Arch. f. K. Bat. Geach.Qu. 25, 132: A'. Fleirschackerin
. . . umb 2 und 6 (i^ ... diu sy den H’. Schuster ain schering hat geheissen —
Kotbin i /.. den poclutnin tragen soll, vmb das, dass sy ain andreir in der
freyung geslagen hat.
7) ÖW. 8,525 (16. Jh.) so die frnuen in dem darf an einander smeheten
— die sollen den pokstetn tragen und ob ein frau ein man handlet, die sol
auch den pokstein tragen oder mit d^n yericht abkomen.
*) <>W. 8,530 (16. Jh.). — ®) Kranichberg (Anhang 10).
I#) Tattendorf (Anhang 21). Gehört wahrscheinlich hierher.
■*) ÖW. 7, 375 Picsting 1404 die i rauen die da sein an ihr männer statt.
**) ÖW. 7, 639 Atzgersdorf c. 1450 das ain iegleich man oder fraw . . . .
sein tüllen bei dem panlaiding. ÖW. 8, 605 (S. oben S. 15 Anmerkung 3).
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22
Marktbeschauer ') uud Feuerbeschauer1) den Frauen oft ungelegen
gekommen sein und ihnen darum unfreundliche Worte entlockt
haben.
§ 6. Das Verfahren.
Das Verfahren gegen zänkische Frauen war in der Regel
das gewöhnliche Verfahren in Beleidigungssachen. Der niedere
Richter des Tatortes3) verhält die Schuldige nach Rat seiner
Beisitzer4) zu Widerruf, Abbitte 5) und Versöhnung, sowie zur
Zahlung des Wandels, bezw. zum Tragen des Bagsteines. Das
Laa’er Weistum6) und seine Gruppe schildert das in anschau-
licher Weise.
Die wichtigste Besonderheit bei der Bestrafung der Frauen-
frevel war der Bagstein. Andre Besonderheiten ergaben sich von
selbst aus dem Institut der Geschlechtsvormundschaft.
Die Frau stand unter der Vormundschaft ihres Ehegatten
oder ihrer Anverwandten. Der Mann hatte demnach die Ver-
antwortung, wenn seine Frau sich nicht züchtig benahm; von ihm
wurde verlangt, daß er durch angemessene Vorhaltungen und
Strafen (bei den ländlich ursprünglichen Verhältnissen waren
Prügel etwas Gewöhnliches7) die Zanksucht der Frau heile6);
sie „stand in ihres Mannes Strafe9)“. Ob aber ein berechtigter
Grund zur Züchtigung vorlag hatte nicht immer der Mann allein
zu entscheiden. In Schatterlee 10) wurde die Schuld der Frau vor-
erst gerichtlich festgestellt und dann dem Manne die Bestrafung
*) Archiv f. K. Bst. Gesell. yu. 25, 102 Markt Grösten § 24.
*) ÖW. 8, 948 f. Hartenstein 1805.
3) ÖW. 8, G52 Dörfel 1835: Welche träte die ander iibel handlet , toll ein
richter oder ambtmann mit dem pnehstain straffen und Aüwen und tu et yetchäch
in andern ämbtern. toll der ambtman ainetn richter antworten.
*) derer , yetchuorne, biirger , rat, gerichttinannen.
*) ÖW. 7, 393 Grillenberg 1747. — ÖW. 8, 58 Weikendorf 1748. —
ÖW. 5, 359 Latzfons u. Vcrdings 1539.
8) Anhang 11.
T) Vgl. Grimm, RA.4 1,821.
®) Archiv f. K. Sst. Geschöu. 25, 97 Neumarkt, Kngspach 18. Jh. hellen
ry [die zerkriegten Frauen] mannen, toll man ihn dat anteigen. — t)W. 8,254
Ulrichschlag u. Matzles 16. Jh. to sollen ti di mannen straffen und di mannen
tollen da* wandt geben. —
*) Zwettl (Anhang 25). — lu) Anhang 16.
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•-'3
aufgetragen. Wenn sich jemand zu einem Eingriff in dieses ehe-
herrliche Recht hinreißen ließ, so wurde er bußfällig1). Bei
handhafter Tat kamen indes Ausnahmen vor2).
Gelang es dem Manne nicht, seiner Frau gute Sitten beizu-
bringen. oder wollte er sie nicht strafen3), so griff die richter-
liche Gewalt ein4), die sich auch bei handhafter Tat der Frevlerin
unterwand3). Der Gatte, der sich als nachgiebig und schwach
gezeigt, mußte selbst Strafe gewärtigen. *). Hierher gehören ins-
besondere die Bestimmungen, daß er beim Schandaufzug einen
Pauker beistellen oder selbst pauken muß7). In der Regel wird
der Mann alles darangesetzt haben, seiner Frau3) und sich*) die
Schmach zu ersparen und wird womöglich den Wandel gezahlt
haben. Widersetzlichkeiten, Verstecken der Missetäterin und ähn-
liche Hilfeleistungen sind da nur zu begreiflich; sie waren aber
mit einer hohen Buße bedroht10). Ebenso verfiel der in Strafe,
der darum jemand etwas nachtragen wollte11).
Mitunter werden unfriedliche Frauen das erstemal bloß ver-
warnt; und erst wenn sie dann nicht auf hören 1S), nicht davon lassen 1S),
oder solich List erwart imprauch “) haben, wird ihnen der Bagstein an
den Hals gehängt. Wenn auch das nicht half, so konnte die zuestüßung
auferlegt werden l3). Fahrende Weiber wurden gleich verwiesen. ’*)
*) Archiv f. K. öst. GeschQu. 25, 90 Herrschaft Topel: vor 1515: wenn
ainer »einem nachher »ein weit »chläyt oder schilt und klagt ierem mann zuvor
nit , ist zu wandt 6 ,1 2 -V — Vgl. Text Stratidorf (Anhang 20).
*) S. oben S. 19. f)W. 8, 444.
s) Ulrichskirchen und seine Gruppe (Anhang 24).
*) d. h. also in der Kegel: die Frau nmU den Stein tragen.
*) ÖW. 7, 961 Klosterneuburg 1512.
*) Tatteudorf (Anhang 21). Vgl. Anhang 24.
T) Darüber s. unten § 7.
e) GW. 8, 657 Kngclmannsbrunn 1500— 1534: so si uher dem man so Heb
wer, »o may er mit der obriyknit abprechen. — Vgl. l’auli’s Schimpf u. Ernst.
*) GW. 8,623 llippersdorf 15. Jh. ob aber ir man »ich des schämet oder
ireu freunt , »e may ir man sei dar neiuen umh 6 zlti H .
I0) l'lrichskircheu (Anhang 24): Zwettl (Anhang 25).
u) Scnftenberg (Anhang 18). n) UVV. 8,792 Wegscheid 1882.
*3) GW. 7, 1004 Höflein a. d. Donau 1540.
u) Herzogenburg (Anhang 9).
,3) ÖW. 7, 1049 Kaiser Steinbruch 1834 (Anhang 14). — Vgl. GW.
8, 536 Iiarclsbach 1543 : Oh etirar fraw odrr mann in dem jiurkfridt hie war
. . . und der marktmeniy mi füeyet , der setbiy soll zustiften
Herzugenburg (Anhang 9;.
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24
§ 7. Der Vollzug.
Am Vollzug der Steinstrafe beteiligte sich die ganze Ein-
wohnerschaft des Ortes1)- Wenn in den Weistümern davon nur
wenig Erwähnung getan wird*), so ist es wohl deshalb weil die
Teilnahme aller etwas Selbstverständliches war. Der in wenigen
Quellen ausgesprochene Zwang3) zur Mitwirkung war früher all-
gemein. —
Eine große Rolle spielte der Richter, bezw. sein Gehilfe und
Vertreter, der Büttel. Er hatte dem Weibe den Stein an den
Hals zu hängen4) und führte oder trieb5) die Verurteilte an einer
Fessel“) den vorgeschriebenen Weg7)- Für das Anhängen und
Abnehmen des Bagsteines bezog er Gebühren8). Das Ausrufen
der Schuld durch den Nachrichter war vermutlich auch dort
üblich, wo es nicht geschriebenes Recht war“).
Die Genugtuung und Schadenfreude der begleitenden Menge
äußerte sich in schmähenden Worten, spöttischen Neckereien und
tätlichen Beleidigungen. Während des Strafvollzugs war die Frau
ja nicht vom Frieden geschützt. Begreiflicherweise benützte die
übermütige Straßenjugend '") mit Vergnügen jede solche Gelegenheit
zu lärmen. Es wurde sogar auf die Mitwirkung der Buben ge-
rechnet. In Saubersdorf11) lieferte ihnen der Richter die Eier1*),
*) 11 rspriinglieh geschah dies während des Kirchnmgangs.
*) Diepolts 16. Jh. (UW. 7, 230) und i'r mann t oll knufn ain einer mein
den nachpern.
*) Penk 16. Jh. (ÖW. 7, 286) und sollen alle naehpam milgeen. Die
Lesart nachtperin klingt recht wahrscheinlich. — Ensdorf (Anhang 6) dopey
tollen all man und frawtn sein . , und t rer . . . nit dobey ist sol da~ wandelen
mit 12 . . den. — Vgl. auch die gemeinsame Arbeit an der Schandsteinkette
in Ploeu. (Kinder, l'rk.B. z. Chron. d. Stadt Ploen, S. 34 f.)
4) ÖW. 7, 961: 1004. 8, 138 : 510. u. a. m.
5) Das Treiben ist namentlich in den (hier außer Betracht bleibenden)
Stadtrechten oft erwähnt.
“) Eipeltau (Anhang 4). — 7) S. 27 f.
“) Zwettl (Anhang 25).
9) Senftonberg (Anhang 18). Hicmit in Zusammenhang steht die Ver-
wendung von Paukern und Pfeifern. Darüber gleich unten S. 25.
,#) Vgl. Grimm BA.4 2, 317. — **) Anhang 15.
1J) Wahrscheinlich faule Eier. Vielleicht liegt hierin zugleich die Strafe
für Nichtzahlung der Eierbuße, die anderwärts zum Steintragen hinzukaui.
F.haftbuch v. Enkering (Grimm Weist. 3, 360; Item welche trau der andern
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25
mit denen sie die Verurteilte bewerfen sollten1). Damit die Er-
innerung an die Strafe langer anhalte, bekamen die Burschen
Wein*), den die Frau zahlen mußte. Vielleicht war durch diese
Mitwirkung bezweckt, daß die Knaben seinerzeit als Ehemänner
ihre Frauen in Zucht halten und ihnen eine derartige Schmach
ersparen sollten. Der Wein war zugleich auch Vollstreckungs-
und Gerichtsgebühr, ebenso in dem Falle3), wo alle Nachbarn
am Trünke teilnahmen 4).
Um eine größere Zahl von Schaulustigen herbeizulocken und
die Übeltäterin noch mehr dem Spotte und dem Gelächter preis-
zugeben, bestand in Ulrichskirchen1) und in einigen anderen Be-
sitzungen des Stiftes Heiligenkreuz der Brauch, daß der Richter
einen Pfeifer und der Ehemann einen Pauker als Geleite bestellen
sollten. In einem Weistume6) ist vorgeschrieben, daß der Mann
selbst pauken soll und so zur Strafe für schlecht geübte Haus-
zucht Hohn und Schmach miterdulden7).
Verschärft wurde die Strafe der steintragenden Frau dadurch,
daß ihr das Rasten8) verboten wurde, beziehungsweise, daß sie
an ihr ehr freventlich redt . . . die toll geben hundert eier, dartu itrafhar sein mit
dm stein - — . 100 Eier gehören zum .Küchendienst“. Maurer Fronhöfe
3. 242 f. Eierstrafen sind als Strafen für Frauen, die über Geld keine Ver-
fügung hatten, sehr entsprechend und kommen auch allgemein vor. I.oerscli
Weist, der Rheinprov. I 1, 237.
*) Vgl. Grimm RA4 2, 319 (heim Eselritt) a parvulis cum ovis lapi-
dentur. — Verslagcn en Meded. d. Vereeniging tot uitg. d. bronnen 5,57.
Der zum Kakstehen Verurteilte muß faule Äpfel liefern, mit denen er dann
beworfen wird. 1521.
*) Eipeltau (.Anhang 4).
*) Diepolts (Kranichberger Texte. Anhang 20). Vgl. Grimm RA. 2,320
Anmerkung.
4) Vgl. das Weintrinken nach dem Hundetragen. OW. 7, 1045.
s) Anhang 24. Dort sind auch die andern Orte genannt. Dazu kommt
noch Minkendorf (Anhang 14) und Trumau.
®) Kaiser Steinbruch in Westungarn. (Text Minkendorf, Anhang 14.)
*) Das entspricht der Sitte, daß beim Eselritte der geprügelte Ehe-
mann das Tier führen muß. Grimm RA.4 2,318. Gierko Humor* 70
Wein hold Deutsche Frauen3 2. 7.
*) Vgl. das Kasten am Grenzkreuz beim Hundetragen. OW. 7, 1045.
Dort soll es jedoch eine Erleichterung der Rechtshandlung sein.
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für jedes Basten eine Buße *) zahlen mußte. Die Frau bemühte
sich natürlich möglichst wenig zu rasten, schon aus dem Grunde,
um dem Gespötte bald zu entgehen. Das Senftenberger Weistum !)
schreibt dreimaliges Basten vor, wohl damit der Nachrichter zu
seinen Gebühren3) komme.
Eine andre, anscheinend dem Folterbrauch entlehnte Ver-
schärfung ist die einmal4) begegnende Bestimmung: der richier
» oll Ir den Hain drei tntd in den rucken Julien lernen. Es ist
kaum anzunehmen, daß in dem dreimaligen Steinfallenlassen eine
letzte Erinnerung un die Steinigung *) zu erkennen ist; ebenso ist
höchst unwahrscheinlich, daß „in den rucken fallen lassen “ so viel
bedeutet als ,anA<inyen‘ und daß demnach hier nur von dreimali-
gem Basten die Bede ist
Der Tag des Strafvollzuges ist nur in zweien der österr.
Weistfimer festgesetzt6). Wir dürfen jedoch annehmen, daß der
schimpfliche Umzug in der Begel an den Gerichtstagen oder Markt-
tagen’), wenn eine große Menschenmenge beisammen war, statt-
gefundeu hat; und zwar entweder gleich nach Zuerkennung der
Strafe, am selben Tage6) oder am nächsten Gerichtstage ä). Letzteres
dann, wenn die Bagsteinstrafe erst bei Nichtzahlung der Geldbuße
*) /j ^ als oft sie rast Schönberg (Anhang 17): Wegscheid ÖT. 8,972.
El» (Anhang 5). Kierling ÖW. 7, 983. als oft si den von ihr legt Senften-
berg (Anhang 18.) - 24 Rosenburg a. Kamp ÖW. 8, 788 als oft man ir in
anhenkt ist si :u wandl is und abnimmt auch is \ ; demnach 24 3) bei
jeder Rast. 72 Zwettl (Anhang 25); Reichenau OÖ, lirimm Weist. 3,
684. Hohenstein ÖW. 8, 939. niederzulegen auf den hoi.ksiain. Reichenau u.
Hohenstein standen unter gleicher Herrschaft.
2 und o tiedersdorf ÖW. 8, 891.
ä) (Anhang 18) den stain drei * tunt niderlegen.
*) In Wegscheid fiel die Rastbutte an die Herrschaft, in Hohenstein an
den Richter.
4) Ebersdorf a. Zaya (Anhang 3). — 4) Vgl. unten § 10b.
*) Herzogenburg (Anhang 9) am negslen treiltay. Reichenau NÖ. (<>W.
6. 69) an sund Jacobstag oder ainrm andern tag nach anfsazung der gegentrichter.
’) Am Jakobitag war wohl Jahrmarkt in Reichenau. Einen andern Tag
werden die tiogendrichter bestimmt haben, wenn die Zeit bis Jakobi zu lang
war. Ähnliches ninssen wir annehmen, wenn wir Wendungen wie nach der
hurger hekandnuss l)W. 7, 9 u. ä. auch auf die Ansetzung des Tages beziehen.
H) ohn ai nichts auftiehen oder r erlenyerung. Lilienfelder Text (Anh. 13).
’) Osenbrüggen Wiener SB. 41, 222 mit Bezug auf die Stelle am
ingstsn frei'tag (oben Anmerkung 6).
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•27
eintrat. Das Wiener Neustädter Stadtrecht1) läßt vierzehn Tage
Zeit zur Zahlung.
Während in vielen Rechtsdeokmälern die Androhung sie a oll
den pagetein tragen ganz allgemein3) gehalten ist, ohne Hinzu-
fügung näherer Umstände, zeichnen dafür andere in mannigfaltigster
Weise den Weg vor, den der Strafumzug zu nehmen hat. Die
älteste der hieher gehörigen österreichischen Quellen, das Wiener
Neustädter Stadtrecht, befiehlt das Tragen eines Werkzeugs usque
ad metas terre noetre, an dag zil und gemerk unsere lande s. Es
erinnert also noch deutlich an die Landesverweisung. Die Dorf-
rechte als nichtherzogliche Satzungen gelten nur in engerem
Kreise. Hier sind Ziel und Gemerk der Markstein4), die Warte 5),
das Grenzkreuz6), die Grenzbrücke ’). Auch das in Kranichberger
Texten begegnende ,bimark‘ 8) bedeutet Grenze. Zu der in außer-
österreichischen Rechten öfters vorkommenden Prozession in eine
andere Pfarre finde ich bloß eine Entsprechung in den österr.
Weistümern9).
Häufig sind dagegen Wendungen wie ,von einem Falltor zum
zum andern110), ,von einem Ort11) zum andern1 und ähnliche13).
') Arch. f. öst. Gosch. GO, 215.
*) Solenau 1312 ÖW. 7, 382. Helmonsnd Grimm Weist. 3, 685 u. v. a.
— herumb tragen Lilienfelder Text (Anhang 13).
4) Engelmannsbrunn 1500 - 1534. ÖW. 8, 657.
s) Schönberg (Anhang 17).
*) Reichenau OÖ. Grimm Weist. 3,684. — Reichenau NÖ. ÖW. 6, 69.
Spital a. S. ÖW. 6,58. 7) Ensdorf (Anhang 6). Vgl. unten § 11a.
8) Anhang 10. An den angeführten Stellen wird das so häutig mill-
verstandene Wort pinn.erkf und , pimerk ‘ geschrieben.
9) Heiligenstadt, Ende 16. Jh. ÖW.7,913; von ainer kirche zu der andern.
Iü) Damit wird das ganze (Reihen =») Dorf bezeichnet. Vgl. Wer un-
rechte in an» gibt verwandelt ro» jeder hofztat von ainem valtar zu d-m andern
7 2$i. Heiligenkreuz 15. Jh. ÖW. 7,465. — Steintragen von ainem falltar
zum andern von ainem ort zum andern l'lrichskirchen (Anhang 24). durch
dai gantz darf auf und ab, von aim valtar zum andern Zwettl (Anhang 25).
im dorf auf und nider v. e. v. z a. Eipeltau (Anhang 4) u. s. f.
'*) ,Ort‘ bedeutet ,Ende‘. von iiem obern ort uns auf da» under. XuUdorf
u. Heiligenstadt 15. Jh. ÖW. 7, 919 von einem ort zum andern Senftenberg
(Anhang 18). Trandorf (Anhang 22) u. a. in.
“) alt weit der markt i»t Gfell ( )W. 8, 935 Anmerkung, zu ring umb und
umb in dem dorf. Gedersdorf (Text Stratzdorf Anhang 20). zu der einen zeit
auf zu der andern ab. Hohenstein ÖW. 8, 939.
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•2S
Sehr interessant ist die Ebersdorfer Bestimmung: zu ainem
rulUor atusz und umb da» darf und zu dem anderen valter wider
hinein. Diese Vorschrift ist, falls sie nicht einfach in örtlichen
Verhältnissen begründet war, vielleicht so zu erklären: Es wird
scheinbar die Verweisung vollzogen, die Frau muß aus dem Dorf
hinaus. Dann wird sie begnadigt am andern Ende des Dorfes
wieder hereingelassen.
Der vorgezeichnete Weg war meist lang1), und mußte wohl
auch wiederholt werden2). Der Sinn solcher Bestimmungen war:
die büßende Lästerzunge sollte von möglichst vielen Leuten im
Dorfe gesehen werden. Je öffentlicher3) ihre Schmach, umso
härter war ihre Strafe, und umso eher nahmen sich andre unge-
bärdige Weiber ein warnendes Beispiel daran. Wer öffentlich
gescholten, trug vor allermänig den Stein4).
Der durch die Scheltworte an ihrer Ehre gekränkten Frau
wird es zur besonderen Genugtuung gereicht haben, wenn das
Ziel des Strafumzugs ihr Haus war5). So war auch die Wieder-
herstellung ihres geschädigten Rufes am vollkommensten.
Wenn alle beiden streitenden Parteien zum Steintragen ver-
urteilt waren, so mußte die Urheberin des Gezänkes auch mit der
Strafe beginnen; am Ziele hatte die nichtnachgiebige andre den
Stein zu übernehmen und zurückzubringen4). In Spital am
Semmering7) war für jede ein besondrer Weg vorgezeichnet;
möglicherweise ist die Stelle so zu verstehen, daß die beiden
Strafumzüge gleichzeitig stattfanden und sich beim gemeinschaft-
lichen Ziele, dem Pranger trafen. So ist gleichsam die Ver-
söhnung, das „Wiederzusammenkommen“ symbolisch ausgedrückt.
*) dreimal I umb den pranyer . . darnach all gatten autt und wider zu dem
pranyer Grafenwerd 1433 Ü\V. 8. 672.
*) dreymal in dein aigen Hfitteldorf und W'atzendorf 1562. Kaltcn-
baek 2. 115.
*) offen lieh tu pursten mit dem paehtlain Ober Kohrendorf 1484 ÖW. 8,
874. öffentlich um die vteitchpenk Neunkirchen 1564 ÖW. 7, 213 (,um die Fleisch-
bänke1 etwa gleich ,um den Markt1; im vorangehenden Satz ist von Pleisch-
hackern die Rede). — 4) Friedberg (Anhang 7).
*) biß tu der beleidigten haut. Herzogenburg 1566 (Anhang 9).
•) Schönberg (Anhang 17). Reichenau No. ÖW. 6, 69.
») ÖW. 6, 58.
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29
Das Friedberger Teiding *) sagt einfach so sollen sie beide —
den bachstein — tragen.
§ 8. Neben- und Ersatzstrafen.
a) Geldstrafe. Gefängnis. Verweisung.
Von den Strafen a) die in den Weistflmern neben dem Stein-
tragen und an dessen Stelle genannt werden, ist die wichtigste
die Geldstrafe. Einmal ist als eigentliche Strafe der Bagstein
genannt, der jedoch durch Geld abgelöst werden kann; ein ander-
mal ist in erster Linie Geldstrafe angedroht und erst bei Nicht-
zahlung der schmähliche Umzug mit dem Steine. Wieder andre
Bechtsweisungen sprechen nur von Bußgeldern. Osenbrüggen3)
nimmt an, daß die Steinstrafe die ältere, ursprüngliche ist, die
nach und nach in Abnahme kam und durch Geldbußen ersetzt
wurde. Dagegen ist zu bedenken, daß von allem Anfang an4)
das Steintragen an zweiter Stelle genannt wird, oder doch
wenigstens in eine Geldstrafe umgewandelt werden konnte. Es
soll der Verlotzten statt der sühnenden Summe die Genugtuung
geboten werden, daß die Frevlerin sich öffentlich erniedrigen muß5).
*) Anhang 7.
*) Daß bei Augarten des Zankes und bei Körperverletzungen besondre
Strafen eintraten, wurde bereits erwähnt. S. 20.
s) Wiener SB. 41 (1863) 221.
4) 1182 Loi de Beaumont (Cuut. d duche de Lui. 1, 10): mutier gue
muiieri convitia dixerit 5 toi. soloet et si . . tolvere noluerit lapides
portabit. Dies ist die älteste Stelle, welche vom Steintragen handelt.
Vgl. Frensdorff in Hansische GeschQu. 3,35 Aum. 31. — Die harmtchar
des Wiener Neustädter StR. Kap. 34 ist ablösbar: das Steintragen im Markte
Solenau 1412 (ÖW. 7, 382) ebenfalls. Der Teit von Stratzdorf (Anhang 20)
kennt nur Geldstrafe.
*) Man vergleiche damit, wie gegen zahlungsunfähige Schuldner verfahren
wurde. ÖW. 8, 949 Hartenstein c. 1605; Item wer einem dem andern dat vollen!
übel geil in dem tont, to itt er der hemehaft ein frävehwandel 2 und 6 ß 3[ und
dem gotishaus .... ain pfunt wax. to er dat teax nicht hat , to toll ihn ain
phleger dar-.ue bringen und halten dat ihm der pfarrer umb die kirchen treib alt
ein tchuldinger. Ebenso ÖW. 8, 955 Eis. — Ähnlich ÖW. 8, 817 Ober Non-
dorf 1681 : tolle ihm ein pfarer alß einen unvennögentlicben Schuldner
öffentlich in der kirchen und umb die kirchen herumb treiben. — Anderwärts
das Sitzen auf dem „kalten Stein“. Grimm RA.4 2, 162. Liebrecht Zur
Volkskunde. S. 427 ff.
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30
Wenn der Hagstein richtigerweise als Handmtihlstein zu deuten
ist1), so konnte die Demütigung einstens vollkommenen Ersatz
für die uneinbringliche Buße bieten : die zanksüchtige Frau arbeitete
eben mit dem von ihr getragenen Stein als Mühlmagd ihre Straf-
schuld ab. Als von dieser Strafarbeit bloß mehr das Symbol
übrig geblieben war, konnte leicht der Gedanke entstehen,
daß die Erniedrigung, die öffentliche Schaustellung mit dem
lächerlichen Gepränge die eigentliche Strafe für Schandmäuler sei.
und da wurde es als eine Gnade2) oder Huld3) bezeichnet, wenn
der büßenden Frau gestattet wurde, sich durch Geldzahlung von
der Ehrenstrafe zu lösen. So konnte es auch dazu kommen, daß
das Steintragen unter Umstanden für unablösbar4) erklärt wurde.
Geldstrafe oderSteintragen setzen fest die Weistümergruppen:
Eis4), Laa4), Liesing4), Saubersdorf4), Grinzing'), Khulb7) u. a.
In erster Linie Steinstrafe und diese durch Geld ablöslich
bestimmen die Rechte von Ensdorf8), Hippersdorf9), Kahlenbergen-
dorfl#), Lilienfeld"), Nufsdort"), Ober Nonndorf13), Solenau“),
Wilhelmsdorf14) u. a.
Wandel und Bagstein kommen auch nebeneinander vor; so
in folgenden Texten: Gutenstein ’6). Kranichberg, LangEnzersdorf1*),
Ober Rußbach ’*), Schöuberg, Senftenberg, Stratzdorf, Trandorf,
Weikendorf1*), Zwettl, Crösten20) u. s. f.
Im Siedinger Weistum21) heißt es: und soll dem Richter darum
danb'n. Dieser Dank bestand in der Entrichtung des Wandels.
Die Einhebung der Geldbuße stand in gewisser Beziehung
zum Strafvollzug. So wurde z. B. das Geld auf den Bagstein ge-
•) S. unten § 10b.
*) i eil mon ti begnaden ÖW. 8, 13t Wilhelmsdorf 1512. ÖW. 8, 147;
417; 579: 872. Arch. f. K. Bst. GeschQu. 25, 90.
*) ÖW. 8, 953, Eis 1605.
*} ÖW. 8, 731 Schönberg 1430 (Anhang 17). ÖW. 8, 510 Ober Rufsbach
1561: ohn alle gnad. ebenso Friedberg i. Böhmen. ÖW. 7,518 Traiskirchen
1615: an alles mitl. 4) Anhang 5. 11. 12. 15.
•) ÖW. 7, 938. - ’) Archiv, f. K. Bst. GeschQu. 25, 117.
8) Anhang 6. — ») ÖW. 8, 623. — '») ÖW. 7, 944.
") Anhang 13. — **) ÖW. 7,919: 913. — ») ÖW. 8,816.
■*) ÖW. 7, 382. — 14) ÖW. 8, 131: 147: 417.
«j Anhang 8. — ,T) ÖW. 8, 329. — ">) ÖW. 8, 510.
>•) ÖW. 8, 48. — 5») Archiv f. K. Bst GeschQu. 25, 105.
«') ÖW. 7, 250.
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31
legt1); der Betrag steigerte sicli mit jeder Rast5;, wurde nach
der Wegstrecke berechnet5), für das Anhängen und Abnehmen*)
des Steines oder beim Aufnehmen nnd Niedersetzen5) desselben
gesondert entrichtet.
Der Geldbetrag, welcher von dem Bagstein befreite, war sehr
verschieden. Die Festsetzung des großen Wandels von 32 tat
zielte wohl auf Nichtablösung der Ehrenstrafe ‘) ab. Auch 10 tal.7)
konnten nur wenige aufbringen. In der Mehrzahl der Fälle be-
trug die Ablösungssumme 2 f$6.5|a), also den kleinen Wandel
Doch findet sich auch die altüberlieferte Scheltbuße von 5 Pfd.*)
und andere Beträge in).
Die'Summen, die neben dem Steintragen entrichtet werden
mußten, variieren in ähnlicher Weise zwischen 5 fl. ") und 12 j|IS).
Eine besondre Rolle spielten die Rastbußen15).
Statt in Geld wurde auch in Naturalien gezahlt: erwähnt
werden Getreide1*), Wachs’5), Wein1*) und Eier1T). Das Wachs
wurde an die Kirche entrichtet.
*) ÖW. 7, 993 Höflein a. Donau 1512: auf den pockstein :u trandl legen
72 3 ■ — ÖW. 8, 939 Hohenstein c. lfiOO. niederzulegen auf den pockstain 72 A .
>) S. oben S. 25 f.
3) OW. 7, 352 Gutenstein 15. Jh. ein gasten hinab . . , die ander n ieder
herauf ; hinab i» , herauf auch u ^ .
*) ÖW. 8, 788 ltoscnburg 1604. — Zwettl (Anhang 25.)
5) Gedersdorf (Teit Stratzdorf , Anhang 20). 6) Lilienfeld (Anhang 13).
7) Archiv f. K. österr. OcschQu. 25, 90. Topler Herrschaft 1515.
8) Also die Hälfte von 5 fl. — Dieser Bußsatz erlitt mit der Zeit die
merkwürdigsten Veränderungen. Folgende Ansätze gehen auf ihn zurück:
2 und S fl (1500 ÖW. 8, 658), die häufigste Form. 6 fl 2 3, (1495 ÖW. 8, 15).
taund6fl 3 (Archiv f. K. ö. G. 25, 99; 102). 62f 1 1727 (ÖW. 8, .500). 45 Kr.
2 $ = 2 und 6 fl i) (Archiv f. K. ö. G. 25, 132. ÖW. 8, .508).
9) .5 tal. (StR. v. Wiener Neustadt.) 5 Pfd. (Herzogenburg, Anhang 9).
5 Pfd. 72 (ÖW. 7, 919). 5 Pfd. 6o j) (ÖW. 7, 913). .5 Fl 6 fl (ÖW. 8, 857).
“) / tal. (ÖW. 7, 382). i Pfd. (ÖW. 7, 953). 2 Pfd. $ (ÖW. 7. 596).
7 2 3, (ÖW. 8, 131). 60 (ÖW. 8, 690). 22 fl (Archiv f. K. ö. G. 25, 117).
") ÖW. 8, 510. — >'J) ÖW. 8, 935 Note. — 1S) S. oben S. 26.
■*) ÖW. 8. 315 Kagran 17. Jh. alle weiber sn — — schelten oder raufen —
seint . . der herrschaft verfallen ain muth habern ohn alle gnadt oder tragen den
pockstain. Grimm RA.4 2, 238 f.
,s) Bogen Neusiedel, Anhang 1. - Arcli. f. K. öst. GcschQu. 25, 132. —
Wachs gehörte zur Gerade. Grimm IiA.4 1, 115. Scheltende Weiber bringen
Schreibpapier und Sicgclwachs aufs Rathaus. Grimm, RA.* 2. 239 Anmerkung.
’«) S. S. 25. - ") 8. 24 f.
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32
Vereinzelt ist statt des Bagsteins die Gefängnisstrafe ange-
droht1); auch Verweisung kommt vor’).
b) Fiedel.
Vielfach war an Stelle des Bagsteins die Fiedel als Straf-
werkzeug für scheltende Weiber in Gebrauch s). Dieses Instrument
(auch geige*), halsgeige *), prechel6) genannt) diente dazu Hals und
Hände einzuspannen. Es bestand aus Holz oder aus Eisenbändern.
Die Lästermäuler wurden damit an den Pranger gekettet oder im
Orte herumgeführt1).
Der Grund dafür, daß die Fiedel, die viel später in Gebrauch
kam als der Bagstein, denselben allmählig verdrängte, mag wohl
gewesen sein, daß die Fiedelstrafe dem Bedürfnis nach sinnlichem
Ausdruck der Strafe viel mehr entsprach. Die eigentliche Be-
deutung des Bagsteins war vergessen, sein Name ward nicht mehr
verstanden und da bot sich als willkommener Ersatz ein Werk-
zeug, das durch seine Gestalt und Bemaluug das Vergehen in
lächerlicher Weise widerspiegeln und so Spott und Hohn in
gesteigertem Maße hervorrufen konnte. Der Abschreckungszweck
wurde damit viel besser erreicht. Man denke an die drastische
Wirkung einer Doppelfiedel!
Die Verbreitung der Fiedel scheint von den Städten ausge-
gangen zu sein.. In Wien strafte bereits 1443 der Sterzermeister
mit der Prechel8). In den Dörfern ist der Ausdruck fiedel seit
') Schattcrlce (Anhang IC), keiche ÖW. 6, 193 Wein (17. Jh.)
J) S. oben S. 17. 27,
s) Nur soweit soll hier von ihr gehandelt werden. — liedel oder eiten
Schwanberg 1.598 ÖW. 6, 382. — Mel Kohr u. Schwarzau 17. Jh. ÖW. 7, 345.
— Ml Rauhenwart u. s. w. 1614 (Text Laa Anhang 11). Hartberg 1618
ÖW. 6, 124.
4) ÖW. 7, 432 Zwiilfaxing 1562. Tresdorf 1582 (Anhang 23). geige oder
lidl Tresdorf 1685. — Weiz 17. Jh. ÖW. 6, 193.
4) ÖW. 8,860. Groß Gerungs 1701; haltring ebda S. 856, 858.
6) ÖW. 7, 663. Mauer 1730.
7) ÖW. 6. 193 Weiz 17. Jh. öffentlich alle gatten in der Jidl oder geigt
aoßgefihrt. — ÖW. 7,673 Mauer 1730 die weiber, .. in der prechel im ort
auf und ab gefüliret, todann an die bei der kirchen itehende prechl gespannt werden.
8) v. Schwind und Dupsch Urk. z. Verf. Gescb. d. flsterr. Erblande
S. 357 ; 359.
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33
der zweiten Hälfte des 16. Jh. belegt1). Nicht viel davon ver-
schieden war wohl das eisen pant, das bereits 1512 genannt wird *).
Mit dem Aufkommen der Fiedel war bei den konservativen
ländlichen Verhältnissen der Bagstein nicht aus der Welt geschafft.
Die beiden Strafwerkzeuge wurden vorerst zusammen5) angewendet
oder auch alternativ*). Es wurde einfach in den althergebrachten
Wortlaut desTeidings die Fiedel aufgenommen, wobei der Wortlaut im
übrigen unverändert blieb 6). So erklärt sich auch der nicht ganz
passende Ausdruck „die Fiedel anhängen“. Denkbar ist ferner, daß in
einigen Fällen die Fiedel nicht nur die Funktion, sondern auch
den bereits unverständlich gewordenen Namen des Bagsteins
übernahm, daß also in den Teidingstexten der Bagstein fortge-
führt wurde, die Fiedel aber als Strafmittel verwendet wurde, ja
daß man die Fiedel auch Bagstein nannte6).
§ 9. Wirkliches Vorkommen des Steintragens.
Darüber, ob das Bagsteintragen in Wirklichkeit häufig oder
selten angewendet wurde, lassen sich nur Vermutungen anstellen.
Die Nachrichten, die auf uns gekommen sind, sind recht kärglich.
In Katzmair’s Gedenkbuch ’) steht eine Notiz zum Jahre 1399.
f) Also in einer Zeit, wo nach stärkerem ltückgang der Bovölkerungs-
zahl durch die Törkeneinfällc wieder zahlreiche neue Ansiedler, insbesondere
aus Franken und der Oberpfalz ins Land kamen. Sollte damit etwa das
Auftauchen der Fiedel in Zusammenhang stehen ?
*) in Eipeltau (Anhang 4). — fiedel oder eiten (S. 32, Anm. 3) glaube
ich ebenfalls heranziehen zu können.
*) Rohr u. Schwarzau 17. Jh. (Anhang 8, Gutenstein).
4) Bogen Neusiedel (Anhang 1) ÖW. 7,518 Traiskirchen 1G15. — Archiv
f. K. öst. GeschQu. 25, 105 Grnsten. ÖW. 8, 466 Sicrndorf 18. Jh. ÖW. 7,
393 (Vgl. 8, 59) Grillenberg 1747. — Vgl.: krotenttein, fitdel oder pfeife
Schleiz 1620. Grimm RA.4 2, 315.
4) Textgruppe I.aa (Anhang 11). Vgl. die bei Bogen-Neusiedel (An-
hang 1) gegebenen Varianten, welche auf einen Text schließen lassen, der
älter als der von Bog.-N. war und die Fiedel nicht enthielt. — Vgl. auch
die Texte Traiskirchen und Guntramsdorf (oben § 5, Anmerkung 4).
®) Die Stelle ÖW’. 8,466 Sierndorf 18 Jh.: borgtteiner oder füedel tragen
ist besonders geeignet, eine derartige Vermutung wachzurufen. Vgl. auch
die andern in Note 4 angeführten Stellen.
*) [ei] fiengen ain dient und Mengen der den baebtlain an. (München
1399) Chron. d. deutsch. Städte 15, 490.
K An fiberg, Du Strlntrageu 3
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34
Eine weitere findet sich in einer Aufzeichnung über das Bann-
teiding zu Eis1) in Nieder-Österreich vom Jahre 1487. Daraus
allein kann man keinen Schluß ziehen. Es darf nicht vergessen
werden, daß es sich um ländliche Verhältnisse handelt, wo die
Schreiblust nicht grade groß war, und daß die geringen Vergehen,
auf die der Bagstein stand, nicht aufzeichnenswert waren. Daß
die Strafe aber geläufig war, ist wohl aus den wiederholt ge-
brauchten Ausdrücken ; als recht ist, als gewonlich ist, als von alter
herkommen u. dgl. zu entnehmen. Unger’s*) Annahme, daß das
Bagsteintragen im 16. Jahrhundert aufgehört habe, dürfte im
allgemeinen richtig sein, denn damals verbreitete sich der Ge-
brauch der den Stein ersetzenden Fiedel 3). Inwieweit das spätere
Vorkommen des Bagsteins in den Quellen den wirklichen Ver-
hältnissen entsprach, beziehungsweise in wievielen Fällen der alt-
überkommene*) Teidingswortlaut unange wendet6) und unverstanden
weitergegeben wurde, läßt sich kaum entscheiden. Interessant ist
in dieser Hinsicht das Ebersbrunner Teiding vom Jahre 1586 s),
in dem der Satz vom Pfeifer und Pauker mit Bleistift gestrichen
ist. Es scheint also im übrigen das Steintragen noch vorge-
kommen zu sein.
In der Mehrzahl der Fälle wird wohl die Steinstrafe durch
Geldzahlung abgelöst worden sein.
*) Arch. f. Kunde Ssterr. GeachQu. 25, 132.
*) Steir. Wortschatz S. 45. — s) S. oben S. 32 f.
*) S. unten (Anhang 21) den Tattendorfcr Text, der nach 300 Jahren
noch fortgeführt wurde.
5) ln einer Handschrift des Neunkirchncr Marktleidings (1534) aus
dem 18. Jahrh. steht beim Steintragen die Bemerkung: Seind aber bithero
mit anderen »tragen belegt worden. ()\V. 7, 213 Anmerkung 10.
6) Anhang 24 (Ulrichskirchen). Doch wäre noch zu ermitteln, aus
welcher Zeit der Bleistiftstrich stammt.
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35
in.
Zur Entstehung der Strafe des Steintragens.
Die Lösung der Frage: Wie ist die Strafe des Steintragens
zu erklären? wird durch einige Umstände erschwert: Aus früher
Zeit besitzen wir Bur sehr spärliche Nachrichten. Später war
dann Gestalt, Bezeichnung und Gebrauch der Strafsteine ziemlich
mannigfaltig. Überdies fanden Steine die verschiedenste Ver-
wendung bei der Strafvollstreckung, im gewöhnlichen Leben und
in religiösen Bräuchen. Es ist also Raum zu zahlreichen Ver-
mutungen.
Mag auch die Steinstrafe nur aus einer Wurzel entsprungen
sein, so ist doch jedenfalls ihre weitere Entwicklung und Ver-
breitung verschiedentlich beeinflußt worden. Insbesondere auch
durch die Vorstellungen, die man sich jeweilig von dem Zwecke
dieser Strafe und von ihrem Ursprünge machte. Es genügt daher
nicht, die Keime aufzudecken, aus denen die Steinstrafe erwachsen
ist; man muß überdies eine Reihe andrer Erklärungsversuche
erwägen.
§ 10. Erklärung aus der Harmschar.
a) Die Harmschar überhaupt.
Die Erklärungen, welche J. Grimm und Waitz geben, sind
darauf gegründet, daß das Steintragen eine Form der Harmschar ')
war. Daher ist von dieser auszugehen.
Das ältere Recht kennt eine ganze Reihe von Fällen sym-
bolischer Prozession als Strafe. Dabei mußte der Missetäter einen
bestimmten Gegenstand zur Schau tragen. Der Edle trägt einen
Hund8), der Reiter einen Sattel’), der Bischof eine Handschrift4),
') Grimm RA.4 2, 255 f. Waitz VU. 4a, 523 Anmerkung; 6a, 607.
Brunner RG. 2,506. v. Amira Grundzngo3 147. Schröder RG.4 352
Anmerkung 18. Hinschius KR. 5, 109, 4. DuCange4, 169 f. Kluge Etym.
WB.“ 162. Körting Lat. rum. WB.a Nu. 4495. Diez Etym. WB.4 612.
Brinkmeier Gloss. 1, 961.
*) Grimm RA.4 2, 309 ff. Waitz, VG. 6*, 605 f. — Aber auch Nichtcdle:
ÖW. 7,1045. Gehört das Katzentragen hiehcr? Grimm DWB. 5,288.
») Grimm RA.4 2, 312 ff. Brunner RG. 2,596. Waitz VG. 6a, 606 f.
4) Waitz VG. 6», 606.
3*
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3ß
der Bauer ein Pflugrad1); auch Kerzen*), Ruten*), Besen4),
Stäbe*), bloße Schwerter*), abgebrochene Schwerter'), Slricke
um den Hals*), Ketten um den Leib*) werden bei solchen Buß-
nnd Strafumzügen getragen. Das Tragen von Ruten, Schwertern,
Stricken n. dgl. soll die eigentlich verwirkte und bloß gnaden-
weise erlassene Strafe des Auspeitschens, Köpfens und Hängens,
andeuten; dies ist in einigen Fällen ausdrücklich ausgesprochen10).
Grimm11) vermutet, daß es sich auch beim Hunde-, Sattel- und
Pflugradtragen in ähnlicher Weise um eine symbolische Andeutung
des Hängens, „Bereitens“ IS) und Räderns gehandelt habe.
Waitz1*) erblickt in den aufgezäblten Gegenständen Zeichen des
Berufes der von einer solchen Ehrenstrafe Getroffenen und weist
auf den Fall hin, daß ein Bischof, „der mindestens schriftkundig
sein sollte,“ eine Handschrift trägt14); den Hnnd erklärt er als
Jagdhund. Die Waitz’sche Ansicht scheint mir zutreffend zu
sein und ihren quellenmäßigen Beweis (abgesehen von allge-
meinen Wendungen in den Urkunden1*) namentlich in folgender,
•) Grimm RA.4 2, 315. Waitz a. a. 0.
a) Grimm RA.4 2,306. 1,237. Hinschius KR. 5, 115 Anmerkung.
Zcitschr. d. Aachener UeschV. 6, 32, 44, 58. 26, 384.
’) Grimm RA.4 2,308. Hinschius KR. 5, 114 Anm. 1 u. 3.
4) Grimm RA.4 2, 308.
*) Grimm RA.4 1, 185.
*) Grimm RA.4 2, 306 f.
T) Grimm RA.4 2,304. Osenbrnggon Alam.StrR. 107.
•) Grimm RA.4 2, 307.
*) namentlich bei ButSwallfahrtcn. Grimm RA.4 2, 300. Hinschius
KR. 5, 105.
I0) 8. die bei Grimm RA. zitierten Fälle.
") a. a. 0. S. 314 f.
**) Er meint Erniedrigung zum Reittier.
u) VG. 6*, 606.
14) epitcopu* codicem. Am. Gest. Mediol. I 19, S. 811 bei Waitz. VG.
6.* 605,5. Vgl. Stöber S. 82: Im Bistum St. Die mußte ein Priester,
welcher Gott gelästert, ein Kirchenbuch oinc Strecke weit zur Kirche hin-
austragen.
UJ ttcundum dignilatem vet conditionem , uvundum convenientiam , proui
tui tanguinia nobititaa hu generia conditio .... reguirit. Grimm RA.4 2, 310 f.
Wer die Grimm’sche Deutung vorzieht, wird diese Ausdrücke auf die Straf-
art beziehen.
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37
von Waitz nicht angeführter Stelle des Wiener Neustädter Stadt-
rechtes ') zu finden:
Sed si ipsum dt canibus aut \ Hat er in aver von den hunden
iumentis vituperaverit , iudici in oder von dem vich gescholten, so
j tat. teneaiur et offenso pro ho- beleibt er dem richter $ pfunt
nore de sue artis utensili usque pfenning und dem übelhandelten tu
ad metas terre nostre erecto de- einen ern sol er etleich zaichen s einet
portel brachio aliquod instrumen- geteuges oder seinez hantwerchez
tum; — — swaz daz ist mit aufgerakten arm
offenwar tragen an das zil und an
Et hec pena harmschar dici- das gemerk unser z landez. Die
tur vulgär Her. j selben pizzhaist man die harmschar.
Diese Bestimmung ist eine Analogie zur Strafe der Feiertags-
entheiligung, wie sie uns in einer von Du Canges) gebrachten
Urkunde überliefert ist: Si aliquem in aliquo praediclorum Jesto-
rum vel die Sabbati post vesjsercts oiderint vel sciverint relalu fide
dignorum opera ruralia facere ; si divites eint solvant quinque so-
lidos ad luminare suae Ecclesiae; si pauper quimpee dies Lbminicos
sequatur processionem in camisia et femoralibus, habens super collem
instrumentum cum quo operabatur
Hier ist die Harmschar typisch für eine spiegelnde*) Strafe.
Man könnte darin überhaupt den Ursprung der symbolischen
Prozession suchen. Dann wäre die Harmschar in der Anwendung
als Strafe für Ehrenkränkung bereits eine Weiterbildung.
Ein anderer Weg, die hier auftauchenden Fragen zu lösen,
ist der, daß man in den bei der Harmschar getragenen Oegen-
*) cap. 34 f. Archiv f. österr. Gesch. 60, 215 f. Vgl. dazu die Kritik
von Winter ebda 8. 150 f.
*) Glossarium 4, 70 liarmucara am Ende. Statuta eccl. Trccor. apud
Marten, tom. 4. col. 1109.
*) Von einer Sonntagsentheilignng durch Mahlen auf der Handmnhle
erzählt uns die Vita St. Bertini, die im 11. Jahrh. entstanden ist. [Acta
Sanctorum. Sept. II, 624 c. 2.] Zur Strafe für die Sonntagsarbeit und für
ihre Lästerrede: vQuot sunt, quotque numerantur anni solo, toi nostri pres-
byteri codex inscriptas habet testivitates * blieb der sündigen Frau die Hand an
der Mühle hängen, nnd sie wurde erst in der Kirche davon befreit. Sie
trng also den Mühlstein bis zur Kirche.
4) Brunuer HG. 2,589.
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38
ständen Symbole der Strafknechtschaft1) erblickt. Wer die ver-
wirkte Buße nicht zahlt, verfällt in Strafknechtschaft. Als Straf-
knecht wird der Übeltäter natürlich zu Arbeiten in seinem Berufe
verwendet oder zu den niedrigsten Arbeiten seines Lebenskreises.
Um die Standesveränderung, die mit den Schuldigen vorgegangen
ist, sichtbar zu machen, trägt er nun öffentlich Zeichen seines
Berufes: der Handwerker sein Werkzeug, der Bauer seinen Pflug,
der Reiter, der nun als Sattelknecht zu dienen hat, einen Sattel
n. s. w. Die Strenge des Rechts ließ nach, und die symbolische
Handlung, die nur das Herabsinken in die Unfreiheit zeigen sollte,
wurde die eigentliche Strafe. Die Strafe bestand nur mehr in
einer einmaligen Erniedrigung zu knechtischen Handlungen. Damit
war genügend angedeutet, daß der Verurteilte eigentlich die Straf-
knechtschaft verwirkt habe, und daß sie ihm bloß gnadenweise
erlassen sei3).
Die Strafknechte wurden in der Regel ins Ausland oder in
einen andern Gau verkauft. So wird bei der symbolischen Pro-
zession, namentlich beim Steiutragen, der Brauch erklärlich, daß
der Zug von einer Grafschaft, Herrschaft in die andre, von einem
') Fcicrtagsarboit hatte Strafknechtschaft zur Folge. (Brunner HU.
2, 593 f.). Durch die britischen Missionäre kam diese Strafe in die lex
Alant 38 und lex Bai. App. I, 1. (Brunner Forschungen 471). v. Schwind
macht (Neues Archiv 31, 435, 2) aufmerksam, daLS die angelsächsischen Buß-
bücher, die im übrigen bctreils der Sonntagsentheiligung die Vorlage der
beiden genannten Volksrechte sind (Brunner Berliner SB. 1885 S. 164 f.),
die Bestimmung über Strafkucchtschaft nicht cuthalten. Sie gebrauchen
den Ausdruck exterminabitur ab ecclaia. Dieser geistlichen Strafe des Aus-
schlusses aus der Kirche entspricht die weltliche des Ausschlusses aus der
staatlichen Kechtsgemeiuschaft, die Verknechtung. Die Strafknechtschaft
ist meist auch ein exterminan. Einen Fall von Verknechtung als Strafe
für Beleidigung zitiert Hinschius Kit. 5,204, 11.
s) Eine weitere Untersuchung der Harmschar fällt aus dem Haltmen
dieser Arbeit heraus. Doch mag darauf hingewiesen werden, daß zugleich
mit der Strafprozession auch wirkliche Strafarbeit auferlegt worden ist.
(Beispiel bei Hinschius KK. 5, 109,4.) Vielleicht ist harmtchar ursprüng-
lich gleichbedeutend gewesen mit , Strafknechtschaft, Strafarbeit1, und ist
erst später zur Bezeichnung der sich davon abspaltenden Strafe des schimpf-
lichen Zuges zur Strafarbeit (Variante z. Ssp. I 38 § 1 : die och harmtchar
gegangen haben cor ir mittetad) und die Strafft selbst geworden. Vgl.
Lex er Mhd. HWB. 1, 1184.
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39
Dorf ins andre geht. Später ist dies abgeschwächt, und der Umzug
findet blos bis zur Grenze des Herrschaftsgebietes statt und
wieder zurück, oder gar nur auf einer bestimmten Strecke inner-
halb des Ortes. Da ist dann der andere Gesichtspunkt maßgebend,
daß eine Ehrenstrafe desto empfindlicher wirkt, je mehr sie öffent-
lich bekannt wird. Der einstmalige Verkauf in die Fremde ist
ganz vergessen; als eine letzte Erinnerung daran mag die in
manchen Rechten mit der Strafe des Umzugs gleichzeitig verhängte
Verweisung gelten.
b) Das Steintragen.
Entsprechend ihren Erklärungen der symbolischen Prozession
fassen Grimm und Waitz auch das Steintragen verschieden anf.
Grimm1) sieht darin die Steinigung angedeutet, Waitz ver-
mutet ein Zeichen weiblicher Arbeit darin.
Für Grimm spricht die Analogie zum Schwert- und Seil-
tragen. Doch eher als an Steinigung wäre an das Lebendigbe-
graben zu denken. Das Lebendigbegraben war vorzugsweise
Frauenstrafe *) u. zw. für die gleichen Verbrechen angedroht, wie
später das Steintragen. Ja, es läßt sich in einem Falle eine un-
mittelbare Aufeinanderfolge beider Strafen nachweisen. In Braun-
schweig3) hieß es im Jahre 1401 von Kupplerinnen: de schall me
leaendich begraben. Das Braunschweiger Stadtrecht von 1535
Tit. 22, 2 droht ihnen mit dem Schandstein.
Waitz4) sagt: „Es ist vielleicht an den Mühlstein zu denken,
') RA.4 2,317. Ebenso Stöber i. d. Alsatia 1876 S. 83: 131 ff. —
S. 134, 2 weist Stöber darauf hin, wie die Steinigung des Märtyrers
Stephanus symbolisch dargcstcllt wurde: »er trägt einen Stein auf dem Buch,
einen andern Stein auf dem Kopfe“. Bas spricht gegen die Ansicht Qrimm’s.
s) „Der Mann an den Galgen, die Frau unter den Stein“. Grimm
RA.4 2, 266. Vgl. ebda 2, 274.
*) Braunschw. UB. 1,313. — Fronsdorff in ZSRG. (germ.) 26, 246, —
Wenn die Vermutung Sack’s (.Die Schandsteino tragen und sich aufs Maul
schlagen.“ Vaterl. Arch. d. hist. Ver. f. Niedersachsen 1841, 10) richtig ist,
daii es sich bei der Stelle der Braunschw. Ratsrechnung (a. 1402) 3 d Corde bodele
vor den t ten aß Io i reghende um den Schandstein bandelt, dann wäre das Stein-
tragen in Braunschw. schon für 1402 erwiesen; es bliebe noch die Frage,
wofür die Strafe eintrat.
4) VG. 6,* 606 Anmerkung.
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40
mit dem sie (die Frauen) das Korn mahlten“’) und will im Stein-
tragen wohl mit Recht ein Gegenstück zum Hunde- und Sattel-
tragen erblicken. Die Wartung der Jagdhunde*), die Sorge um
das Sattelzeug*) war ebenso knechtische Arbeit wie das Mahlen
Magdarbeit 3). Die Mühlmägde galten als die niedersten Mägde,
ihre Arbeit als die schwerste, es war daher eine sehr empfindliche
Strafe, in solche Knechtschaft versetzt zu werden4)8). Umsomehr
gewinnt die Waitz'sche Ansicht an Stichhaltigkeit.
Wenn auch in späterer Zeit — wohl mit der zunehmenden
Verbreitung der Wassermühlen und besonders in den Städten —
der Ursprung der Steinstrafe vergessen wurde, so weisen doch
einige Erinnerungen darauf zurück. Hieher rechne ich die Ab-
lösung der Strafe durch Liefern eines Sackes Getreide6), oder
durch Neubespannen der Windmühlflügel mit Leinwand’). Nach
DoeplerV) Bericht sollen Lastersteine in Mühlen aufbewahrt
*) Es kann nur eine Handln filile gemeint sein. (vgl. Heyne Deutsche
Hausaltertümcr 1, 44). Getragen wurde der obere Stein, der ja auch einen
King und ein Holz dazu hatte. S. auch oben S. 37 Anmerkung 3.
s) Grimm HA.4 1, 486. Vgl. H. Schräder Bilderschmuck d. deutschen
Sprache 161.
s) Grimm RA.4 1,485. Weinhold Deutsche Frauen1 2, 50ff. 0.
Schräder Rcallexikon d. indog. Altert. 512. Koehne D. Recht d. Mühlen
(Gierke Untersuchungen Heft 71) S. 20. — Steine fanden auch bei andern
weiblichen Beschäftigungen Verwendung: als Gewichte am Webstuhl: zum
Glätton des Tons u. s. f.
4) Derartige Fälle sind verzeichnet bei Grimm a. a. 0. 8. a. Leier Mhd.
WB. 1,2221 an mülen ziehtn. — Koehne a. a. 0. 15 Anmerkung 41. Vgl.
Grimm DWB. 6, 2643 „als Bild für etwas schwer drückendes: den mühlttein
der tchweren dienttbarkeit am halte. (Wieland)“. Beispiele andrer Mühlen-
fronden Grimm RA.4 1,615. Koehne a. a. 0. 40.
*) Schiller Lübben Mnd. WB. 3,404 bringt aus Falck’s Staats-
bürgerl. Magazin 9,696 folgende Stelle: a. 1103 do trat ein man, mechtich
van wunden de hatlde eine dochter , de vortpeelde ere eert mit einem knechte,
det wart er vader war unde hant er einen yuemiteen iho deine halte. Da mir
Fa Ick unzugänglich war, so konnte ich nicht nachprüfen, ob es sich hier
um Verknechten, Ersäufen oder Steintragen handelt.
*) Grimm RA.4 2, 238 f. Die Leinwandbuße ist auch eine Art Straf-
arbeit. denn die Leinwand wurde im Hause gewebt. Ein schönes Beispiel
für Scbeltbuße: Vrawen gescheit ein tag von dren eilen , und eyn kazee von dren
wanden , und eyn tpiln und eyn rocken. Groß-Bursla 14. Jh. Grimm Weist.
3, 825.
’) Doepler Theatrum poenarum 1, 747.
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41
worden sein, freilich dort zur Abschreckung der Mühldiebe. Bei
dem Pesthalten an solchen Erinnerungen hat auch die Sprache
viel mitgewirkt, indem sie im Vergleich zwischen dem Lärm in
der Mühle und dem Weibergezänke letzteres durch Ausdrücke wie
klappermühle, geploderwerk1) u. ä. bezeichnet hat*).
Das Ergebnis der bisherigen Untersuchungen ist demnach:
Die Strafe des Steintragens ist gleich den Strafen des
Hunde-, Sattel- und Pflugradtragens eine Abspaltung
und Abschwächung der Strafknechtschaft. Der Stein ist
ursprünglich ein Handmühlstein als Zeichen weiblicher
Arbeit.
§ 11.
a) Der Mühlstein des Evangeliums.
Gelegentlich einer Besprechung von Harsters Buch über
das Strafrecht von Speyor wirft Schreuer3) die Frage auf, ob
bei der Erklärung des Steintragens nicht eher an den „Mühlstein
des Evangeliums“ 4) zu denken sei. So wäre der Lasterstein kein
Symbol der Steinigung, wie Harster mit Grimm annimmt,
sondern der Strafe des Ertränkens. Oft wird uns berichtet5),
daß man Verbrechern, die ertränkt wurden, einen schweren Stein
an den Hals hing, damit sie sich nicht durch Schwimmen retten
könnten. Darum ist aber eine Nachahmung der biblischen Sitte
noch nicht erwiesen.6) Die Gleichheit beruht auf der Überein-
stimmung einfacher Kulturstufen7). Wohl aber können wir an-
nehmen, daß die biblische Stelle in einer Zeit, als die Erinnerung
•) öw. 7, 1013.
*) Vgl. mulcmaer, muleruchtig. Brinkmeier Gloss. 2,230.
5) ZaRG. (germ.) 21, 309.
*) Eyang. Matth. 18,6. „Wer aber ärgert dieser Geringsten
einen, — — *.
6) Grimm RA.42,278. Eine Reihe von Beispielen bei Do epl er Schau-
platz d. Leib- n. Lebenstr. 2, 294 ff. Vgl. oben S. 40 Amu. 5, S. 44 Anm. 1.
*) Ebensowenig wie beim 8teinigen u. a. m.
r) Man vergleiche z. B. 2. Sam. 11,21: „Wer schlug Abi Melech ?
warf nicht ein Weib ein Stück von einer Mühle anf ihn?“ [ahd. glossiert:
guinutein J und die Stelle aus der Edda: at hann *kal fara u pp glir dgrnar ,
er hon gengi ut, oc lata gvernstein fatla i höfut henni. (Bei Grimm RA.4 2, 277).
— Das Bedienen der Handmühlen war bei allen Völkern eine schwere und
niedrige Arbeit. Vgl. Klage!. Jerem. 5, 13: „Die Jünglingen haben Mühl-
steine müssen tragen“. Schräder Reallei. d. indog. Altert. § 12. 8. a. 8. 40.
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42
an den Ursprung der germanischen Steintragungsstrafe ver-
schwunden war, als Urbild aufgefaßt wurde. Die Geistlichkeit
erklärte eben alle Rechtsätze aus der Bibel.
Die angelsächsischen Bußordnungen ') und dasauf ihnen be-
ruhende Poenitentiale XXXV cap.2), bringen das Zitat aus dem
Matthäus-Evangelium bei den Bestimmungen über Feiertagsent-
heiligung und Fastenbuße : Si frequenter consuetudinem per hoc fecerit,
exterminabitur uh uecclesia Domino dieente: Q ui scandul tzaverit
unum de / nmllis istis qui in me credunt, expedit ei, ut appendatur
mola (minaria collo eins et cetera*). Wenn wir diese Stelle mit
den entsprechenden der Lex Alamanorum [38. — quin noluit Deo
cacare, in sempüernuin scrcus pei'inaneatj und der Lex Baiuvario-
rum [App. 1, l. eit servus, qui noluit in die sancto liher esse] Zu-
sammenhalten, so will mir scheinen, daß die Anführung der Bibel-
stelle im Poenitentiale zwar nicht ganz hinpaßt, daß sie aber lür
die Frage nach den Anfängen des Steintragens von größter
Wichtigkeit ist Das externiinari ab ecclena geschah nicht durch
Ersäufen, deshalb brauchte der Mühlstein nicht erwähnt zu werden.
Seine Erwähnung könnte aber eine Andeutung der Straf knecht-
sehaft als Mühlknecht oder Mühlmagd sein. Jedenfalls wäre in
der Weise das Bibelzitat in diesem Zusammenhänge am ehesten
verständlich. Und die bereits oben ausgesprochene Vermutung4),
daß die Volksrechte hier von ihrer Vorlage nur der Form nach,
nicht dem Inhalt nach abweichen, ist wohl am Platze. Die Be-
gründung der Strafe ist in den Volksrechten viel sinnentsprechender
als in den Bußbüchern. Möglicherweise ist diese Begründung
absichtlich geändert und gebessert worden. —
Wenn man die auf das Steintragen bezüglichen Quellen
daraufhin untersucht, ob sie Gebräuche enthalten, die auf ein
ehemaliges Ertränken5) hinweisen, so lassen sich keine festen
*) Wasserschlebcn Die BuQordnungcn d. abendländ. Kirche 168;
196: 489.
2) Das war auch in Österreich in liebrauch. (Wien und Heiligenkreuz).
Wasserchl eben a. a. 0. 505, Anmerkung.
3) Wasscrschleben a. a. 0. 524.
4) S. oben S. 38 Note 1.
5) Kl 5p per Französisches Keallcxikon führt (3. 128) das Steintragen
an und schlicüt die Beschreibung desselben so: „Darnach entkleidete man
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Anhaltspunkte dafür finden. Man müßte denn das Sacktragen ’)
als ein Symbol des Säckens und Ertränkens ansehen. Verschie-
dentlich kommt es vor, daß die steintragende Verbrecherin zu
einer Brücke8) geführt wird. Da es sich, wie aus einer Stelle
ersichtlich5), um Grenzbrücken1) handelt, wo die Verweisung vor-
genommen wird, so liegt kein besondrer Brauch vor. Nach dem
Statut von Dornburg von 1615 s) müssen die bösen Weiber den
Stein iitnb die pfitzen tragen. Die Pfütze war wohl dor Stadtteich
in der Mitte der Stadt. Das Führen um die Pfütze ist nichts
andres als ein Führen um den Markt6) und hat den Zweck, die
Ehrenstrafe allgemein bekannt zu machen.
b) Schwere Steine überhaupt.
Es entsteht nun die Frage, ob nicht etwa die Strafsteine, bloß als
schwere Steine, ohne symbolische Grundbedeutung, aufzufassen sind;
sei es als einfache Belastungsgewichte T) oder als Marktgewichte. Da-
für könnte angeführt jverdeu: stein kommt oft als Gewichtseinheit
vor*); das Gewicht der Lastersteine war häufig bestimmt vorge-
sie [d. h. die Übeltäterin] und tünchte sie ins Wasser. Du Gange s . lapii.“
Bei Du Cange steht nichts davon und auch sonst habe ich keine derartige
Qucllenstelle gefunden.
*) Grimm RA.* 2, 238 ; 317.
*) Kloster Ensdorf c. 14GO (Anhang 6). Überlingen 1520 (Anz. f. K. d.
d. Vorzeit 1874, 10): sie frieren tu den 4 thoren, nachgeends uf die itaine brugk
beym hochbild. —
*) den grölten lasterstein uf ir ho/it tragen allenthalbe in der stadt und
sie demnach f ihren uff die rinbrugg, aüda soll lie irreren von stund an hinweg
in gond und ain nacht nit sin , du sie die ander gewesen ist und nit wieder
harüber tu kommen. Schaffhauscn 1481. ZschweizStrR. 5 (1892) 332.
*) Gengier Stadtrechtsaltcrtümer 215 f.
J) Neue Mittoil. a. d. Gebiet hist. Forschungen h. v. thür. sächs. Vor.
21, 237 Anmerkung.
6) um den bronnen Wcikersbcim 1631 Z. f. wirtemb. Franken 7, 324 f. —
um ilie linde Burgebrach 1407 Haas Slavcnland 2,49. Vgl. S. 28.
•) Vgl. unten S. 45 Anm. 5. Derartige Gewichte kommen als Verschärfung
bei anderen Schandstrafen vor. Sie wurden z. B. an die Schandmäntel gehängt,
oder an die Füße des Eselreiters. (Bierdimpfl Straf- u. Kolterinstrumente d.
bayr. Nat.Mus. 1882. S.83f.). Ihre Verwendung bei der Folter warganz allgemein.
•) z. B. für Flachs, Wolle, Federn (Scliiller-Lnbben Mild. WB. 4,385),
Wachs (Andree Votive u. Weihegaben 77), Butter (Grimm Weist. 1, 159),
Getreide (Fontes rer. Austr. II. 39, 218).
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schrieben '); auch die äußere Gestalt war vielfach die von Ge-
wichten*). Ja es wäre nicht undenkbar, daß ursprünglich in
der Regel, und später noch in Orten, die keine eigens für Straf-
zwecke bestimmten Steine hatten, die öffentlichen Marktgewichte s)
beim Strafvollzug verwendet worden sind. So einfach und durch
ihre Einfachheit bestechend die Ableitung der Schandsteine von
Steingewichten auch ist, so bietet sie doch keine befriedigende
Lösung der Frage. Namentlich gibt sie darauf keine Antwort,
warum das Steintragen vorzüglich eine Frauenstrafe ist Man
müßte sich damit behelfen, daß man eine Ausdehnung einer
ursprünglichen bloßen Standesstrafe für Marktweiber (als deren
Berufszeichen die Gewichte gelten könnten) annimmt. In späterer
Zeit ist wohl in manchen Städten das Steintragen hauptsächlich
Strafe für Marktfrauen; für die frühesten Quellen wird es sich
jedoch nicht nachweisen lassen.
c) Der Stein als Symbol dey Buße?
Der Stein könnte auch als Ersatz der Buße aufgefaßt werden,
an deren Stelle er bei Nichtzahlung tritt. So wie eine Schenkung
erst dann gütig und unwiderruflich war, wenn eine, wenn auch
wertlose, Gegenschenkung erfolgt war, so gab es keine Versöhnung
ohne Buße. Dem an sich wertlosen Launegild würde in unsrem
Falle die Bußzahlung mit dem wertlosen Stein entsprechen. Als
Bußen kommen in Betracht: Geld, Wachs und Getreide. Die
Tatsache, daß im Geldverkehr Pfund und Stein übliche Bezeich-
nungen waren. Wachs nach Pfunden oder Steinen gemessen wurde,
Getreide ebenfalls nach Steinen, verlockt nun zu der Annahme,
daß die Unvermögenden, um doch eine Buße zu leisten, statt
Geld oder Geldeswert den Stein als Scheinersatz tragen mußten.
Besonders in den Fällen, wo der Stein zum Haus der Beleidigten1),
') 8. oben 8. 2. Kamen tlich ist zu beachten: ein icklich itein toll
einen getregeu itein behalden. (Grimm KA.4 2, 315). Des Vergleichs wegen
mag daran erinnert werden, daß bei den Priesen (Ricbthofcn Rqu. 367)
dem zu Ertränkenden so viel Steine an den Hals gebunden wurden, als sein
Körpergewicht ausmachte. Vgl. Grimm RA.4 2, 281.
*) 8. oben 8. 2.
*) 8. oben S. 8f. über den Namen iragitain.
4) Herzogenburg 1566 (Anhang 9). Vgl. S. 28.
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oder in die Kirche zum Altar — wohin ja auch das Wachs ge-
bracht wurde — geschleppt wurde, könnte sich diese Anschauung
gebildet haben. Der ganze Zusammenhang ist aber doch zu
äußerlich, als daß man hierauf eine stichhaltige Erklärung bauen
könnte..
d) Das Steineführen.
• Troz1), der das Steintragen der Weiber mit der Strafe des
Steineführens’) (Steinekarrens) zusammenbringt, scheint auch im
Steineliefern3) einen Ersatz für Bußgeldliefern zu sehen. Dreyer4)
wendet sich gegen Troz, wobei er sich begnügt, „beiläufig noch
zu berühren“, daß zwischen „dieser Lithophorie und jener Stein-
tragungsstrafe“ gar keine Verbindung sei. Da wir beide Strafen
auf den gleichen Ursprung, die Strafknechtschaft, zurückfuhren
können, so besteht doch wohl eine Verbindung. Freilich läßt
sich nicht die eine Strafart von der andern ableiten5).
e) Der Kampfstein.
In der Darstellung des gerichtlichen Zweikampfes zwischen
Mann und Frau5) ist uns als Waffe der Frau ein Stein genannt.
Die Frau kämpft mit einem in einen Schleier — ebenfalls weib-
liches Symbol — eingebundenen Stein. Ein besonderer Name für
diese Waffe ist nicht bezeugt Aber selbst wenn sich eine allge-
meinere Verwendung des Steines zum Streite7) nachweisen ließe,
') De jure agrario Belgii foederati. 2, 287.
*) z. B. Schletta tädter Stadtrecht (1294 — 1401) S. 287.
*) Er führt u. a. an: »teene »Meten t. e. eolvere triiutum paJatio.
*) Antiquar. Anmerkungen S. 121.
s) Wohl aber kommen beide Strafen in gleichzeitiger Anwendung vor.
J. 0. Heinritz, Versuch e. Gesch. der Stadt Bayreuth 1823 S. G7 erwähnt
einen Pall, wo eine Frau für Bruch des Kirchweihfriedens folgende Strafe
erhielt: 8 Tage lang den Stein am Fuße in ihrem Hause zu haben oder
15 Stück Steine zu führen zu der Stadt Notdurft. Die Verwendung des
Lastersteins als Fnßgewicht ist etwas Außergewöhnliches.
*) Augsburger StR. 1276 (Freybcrg S. 55) Ruprecht v. Freising 2, 51.
Hommel Jurispr. numism. illustr. Lpz. 1763 S. 75 ff. Schlichtegroll
Thalhofer 1817. Auf eine poetische Darstellung aus dem 13. Jh. (Heinrich
von Neustadt, Apollonius) macht Alwin Schultz, Höfisches Leben11 2, 147 f.
aufmerksam.
*) Vom Steinwerfen, Steinstoßen, Steinzücken dürfen wir hier ganz
abseheu.
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könnte man das Steintragen nicht davon ableiten, weder als
spiegelnde Strafe, noch sonst. Schon darum, weil der „Kampf-
stein“ bedeutend leichter ist als der Kagstein1).
f) Die Strafsteine in Schweden.
In Schweden*) war das Steintragen nicht in der ursprüng-
lichen Art gebräuchlich, daher läßt sich aus der dort üblichen
Form der Strafsteine kein Schluß ziehen. Den Ausdruck b>rra
stadzens mantol möchte ich fast als eine lächerliche Umschreibung
für „nackt laufen“ ansehen, ähnlich wie es anderwärts heißt
trinken aus des bütteis flasche für „</w Flasche tragen “.
g) Das Versteinern.
Stöber, der gleich Grimm im Lasterstein ein Symbol der
Steinigung sieht, bringt eine Reihe von Notizen über Steinigung
bei den Völkern des Altertums und führt schließlich 3) eine Stelle
aus dem Talmud an. „Welcher Übles redet und verleumdet,
dessen Seele fährt in einen stummen Stein,“ Wenn er auch
keine weiteren Folgerungen zieht, so scheint er doch hier die
erste Wurzel der Strafe des Steintragens, bezw. der Steinigung
zu sehen. Dazu hätte Stöber den Talmnd nicht heranziehen
müssen, denn die Sage von Verwandlungen in Stein ist auch den
arischen Völkern sehr geläufig4). Sie dürfte überhaupt allgemein
Vorkommen und in der Regel durch menschenähnliche Naturge-
bilde oder alte unverstandene Bildsäulen u. dergl. ihre Erklärung
finden. Das bekannteste deutsche Beispiel ist die Sage von der
Frau Hütt bei Innsbruck.
Auch die Gedankenverbindung von „stumm“ und „Stein“ ist
sehr naheliegend und allgemein.
Es müßten viel bessere Argumente ins Treffen geführt werden,
wenn man auch nur die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen
') Der Kampfstein soll sein fustgross (Augsbg), ain Pfd. mär der stat
wag (Rupr.), rteaere fl drirn ffunden (Hcinr.), 4 oder 5 Pfund (Thalhofer).
Vgl. oben S. 2.
s) Grimm, RA.4 2,317. Liebrecht Zur Volkskunde 429.
*) a. a. 0. S. 135.
4) Vgl. ZVolksk. 16 (1906) S. 177 ff. „Eine moderne Sage von einem
Gottesfrevlcr“.
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der dichterischen Vorstellung von der göttlichen Strafe der Ver-
steinerung und der ursprünglich - einfachen Todesstrafe durch
Steinigen und weiterhin der Strafe des Steintragens zugeben sollte.
h) Das Heben, Schutzen, Lupfen.
Es ist ein alter Volksbrauch1), der sich als Volksspiel bis
heute erhalten hat, im Heben gewisser schwerer Gegenstände
(eiserne Statuen, Leonhardsklotz, Leonhardsnagel u. s. f.) seine
Kraft zu erproben. Diese Sitte hatte religiösen Charakter. Die
Kraftprobe war eine Gewissensprobe. Wem sie gelang, der war
frei von Sünden. Das Heben*) war ein verdienstliches Werk, es
war eine Bußübung.
Denkbar, wenn auch recht unwahrscheinlich, ist ein Zu-
sammenhang dieser Sitte mit dem Steintragen. Etwa in der
Weise: Bei religiösen Umzügen werden Götter- bezw. dann
Heiligenstatuen umgetragen. Diese schwere Arbeit wird als ver-
dienstlich und reinigend von Sünden angesehen. Es werden dazu
Leute genommen, die ein Vergehen zu büßen haben. Schließlich
wird das Tragen als eine Strafe aufgefaßt. Aber warum ist das
Tragen grade Frauenstrafe?
i) Kirchliche Einflüsse.
Wenn auch die Steinstrafe als solche nicht kirchlichen Ur-
sprung hat5), so sind doch eine Reihe von Einzelheiten in der
Verhängung der Strafe und im Vollzug derselben zweifellos auf
kirchlichem Boden erwachsen. Dies ist aus verschiedenen Ursachen
zu erklären. Einmal schon aus dem sakralen Charakter der
') Vgl. Andrea Votive 102 ff. (Würdingcr nnd Leonhardsklötze). —
Hieher und nicht zur Strafe des Steintragens gebärt die mir von Prof.
Kahle in Heidelberg fronmllichst gemachte Mitteilung über drei Steine in
einer Kaserne in Oldenburg [mit den Namen: Pippin der Kleine, Karl der
Große, Nero der Grausame): das Tragen eines dieser Steine war als
Kameradschaftsstrafe in Übung.
*) , Heben1 bedeutet in Luthers Bibelübersetzung auch , opfern*. Grimm
DWB. 4, 2. S. 731.
*) J. Kreuser (Christliche Symbolik. Brixen 18G8. SA. aus „Wiederum
Kirchenban1*. S. 279) sieht im Stein eine Sünde symbolisiert. Diese Ansicht
ist ebensowenig für die Aufhellung der Steinstrafe verwertbar als der Hin-
weis auf die Sage vom steinrollenden oder steineführenden Teufel. (E. L.
Hochholz, Der Steinkultus in der Schweiz. Argovia 1862 — 63. S. 44).
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48
öffentlichen Strafen. Ferner war durch die Einkleidung in kirch-
liche Formen die Publizität der Strafvollstreckung am besten ge-
sichert, und schließlich stammen eben die meisten Nachrichten
Aber das Steintragen aus kirchlichen Gebieten.
Das öffentliche Znrschautragen der Buße geschah ursprüng-
lich beim kirchlichen Umgang. Die Sünderin nahm in Büßer-
tracht und mit dem Zeichen der Buße (Besen, Rute, Kerze) an
der gewöhnlichen Prozession teil. Es erscheint als ein Rest dieser
Einrichtung, wenn in späterer Zeit der vorgeschriebene Weg um
die Kirche, von einer Kirche zur andern führt, oder wenn der
Umzug in der Kirche vor dem Altar oder im Kloster sein Ende
findet, wo auch der Stein aufbewahrt wird. Auch der Tag und
die Stunde der Strafvollstreckung weisen auf die Kirche hin.
Die Wachsstrafe ist gleichfalls religiösen Ursprungs.
Namentlich ist daran zu erinnern, daß die Delikte, die mit
Steintragen gebüßt wurden, vielfach der kirchlichen Gerichtsbar-
keit und Kirchenzucht unterlagen, wie Ehrenkriinkung, Gottes-
lästerung, Ehebruch.
IV.
Anhang.
1. Bogen-Neusiedel.
So zwo nachbarin oder andere inländische weibspersohnen mit
einander kriegten und sich gotteslästerlicher') unschambarer Wort,
gebrauchten, darum soll sie der rieht er mit der ßdl‘‘) oder pockstain
neben ainem pfunt wa.r zu ihrer kirchen s) straffen.
ÖW. 8, 28, 4 ff. Bogen-Neusiedel bei Gaunersdorf, Ende des
16. Jahrhunderts. Nur in den angegebenen Varianten weichen
davon ab die Texte von Hagenbrunn und Klein-Engersdorf [bei
') verbothner und. — *) Mt fehlt.
*) tur St. Veittkirchen. Diese stand in Engersdorf. ÖW. 8, 851 Note *.
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49
Korneuburg, 1629 — 32.]*), Reinprechtspölla [bei Eggenburg, erste
Hälfte des 17. Jahrh.]*) und Stetten [bei Komeuburg c. 1 685] 3).
Alle diese Orte waren Klosterneuburger Besitz.
2. Drösing.
Item, wann ain mann und ain frau mit einander kriegten und
geh ainer dem andern rerbottene wort und redet der mann der f rauen
auf ihr ehr, so ist er umb daß wandel 32 « pfennig.
Item, und ob die frau dem mann auch redet auf sein ehr und
daß zu ihm nit bringen möeht, die ist umb daß wandt, die ain ehr-
lichen mann hat umb 32 j|. aber wehr daß die frau den mannkrieg
nit vertragen wolt und wolt den mann in solch groß tcandl und
schaden J Hehren, so ist die frau 32 H 5 j und der mann umb 32
Item, und ain wittib die mag so rill verwandln alß ain mann.
Item, ob sich zico frume trauen miteinander zerritteten und mit
ungezogenen Worten an einander kemben, die mag der richter nach
rath des raths püessen mit dem pockstain.
ÖW. 8, 100. Drösing 1469. Dem Frh. v. Althanu gehörig.
3. Ebersdorf a. Z.
Item richter und gemein rügen und melden auch: wenn ein
fraw mit der andern biegt und aine der andern böse wort zusetzt,
das aine unter ihnen verklagt wierdl, so soll ihr der lichter den
pachstein anhachen vor seinem hauß, den soll sie tragen zu ainem
valtor auß und umb das darf und zu dem andern calter wider hin-
ein und }ur deß lichtere hauß, und der richter soll ihr den stain
dreimal in den nicken fallen lassen.
ÖW. 8, 138, 36 ff. Ebersdorf a. d. Zaya 1514. Zur Herrschaft
Schauenstein.
4. Eipeltau.
Si melden weiter zu recht ob ain unbeschaidens weib ainem
mann oder andern fratcen zu nahet mit warten redet, so sol si der
richter in ain eisen pant nemen und sol ir den pachstain an den
hals hangen und sol si in den darf auf und nider furn von ainem
valthor zum andern; und dieweil mon sie purst so sol der richter
des pesten weins ainen enier nemen so mon in zu der zeit haben
mag, und sol darein drew oder vier assach legen, und all jung
>) ÖW. 8,354. — ») ÖW. 8, 598. — s) ÖW. 8, 361.
Küntlbtrg, Uw SUInbrtgen. 4
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50
knaben alz vil ir in dem aigen sein sollen den zu ainer gedärhtnus
austrinken, und den sol das pöss weit bezallen on alle widerred pei
dem großen wandl.
ÖW. 8, 322, 34 ff. Eipeltau am Marchfelde 1512. Zu Kloster-
neuburg gehörig.
5. Eis.
So') die beschauer die hert.itett besrhauent und ander notturft,
so man in dann nachredet, ist es ein mann so ist er zu wandl von
iedem umb 72 jj, ist es ein fraw, die auch den beschauem nach-
redet, das sich das in wahrhait befindt, die ist zue wandl umb 2
und 6 ß j| oder sie trag den pockstain.
Item ') wer ain fridtbare Jrauen schiegt ohne dag und ohne
rede zu sezen ihre manns, der hat. venoandlt b u und soll
der frauen hult gewinnen.
— — Ob ein p/arrer da zu Elß oder ein caplan ieder ein
sshaffrrin hette die unzüchtig were und wolt andere leut nil mit ge-
mach lassen, es were mit Worten oder mit werken, und wolt albeege
besser sein als andere leut und wolt fromme erbare nachbarn und
/raui'n übel handeln und nachreden, so soll man sie straffen mit
gueten schiegen das ihr an dem leben nichts soll schaden, darumb
ist man nit höher zue Wandel der herrschaft den umb 12 und
stehet dannoch in meines gnedigrn herrn besserung *).
ÖW. 8, 948 f. Hartenstein c. 1605 (weltlich). Eis5) 1605 bis
1623 (Herrschaft Hartenstein).
Item man soll auch nicht großen auf den reinen; nach s.
Johannestag aber ist es iedermann erlaubet. — sie sollen auch nicht
trait schneiden. hett sie aber trait geschnitten, so stunt sie in
meines herrn beßerung bei 6 $ 2 S\ oder trag den pogstain.
Item ob zwo Jrauen krigha/’t wurden mit unzüchtigen warten
oder werken, so sollen sie den jiogkstain tragen oder ersuch meines
gnedigen herren hüll bei 6 ß 2 ^ und so oft sie mit dem pockstain
rast 12 \ — ÖW. 8, 953. Eis.
') Diese zwei Absätze nur in Hartenstein.
*) Der letzte Satz nur in Eis.
3) ÖW. 8, 955. Das Steintragen war jedoch schon früher dort bekannt.
Archiv f. Kunde üsterr. UeschQu. 25, 132.
k
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51
6. Ensdorf.
Die acht ordenung ist dye, daz kai/n jrawenpild, sy sey iung
oder alt, reich oder arm, wye sy genannt sey kayne ausgenommen,
noch hyndan gesetzt, sol posc i cort sprechen, schelten, schweren, noch
fluchen, noch dye andern mit sehend ichen i corten dy do nit frumen
frawen zustent, an iren leymat, oder an ir er reden, noch ir er ab-
schneiden mit vergotten Worten heymlich oder offetdich in kaynerlay
weise. Welcher aber daz überfure daz man sy dez ubei'weisen
jnöcht, dieselb die daz gethon hat, dye soll und muess den sten
tragen, der ein halben zenten hat, denselben stein soll sy auff sye
nemen cor dem closter, und der geschworen amptmann soll ir vor-
gen untz zu der grucken und herwider zu dem closter, und sol an
ayn peck schlahen und dopey sollen all man und frawen sein on-
rerlich und wer aussen peleybt, und nit doltey ist, der oder die sol
daz wandeln mit 12 regenspuryer den.
Welch fraw aber den stain nit tragen, wen sy daz verdint hat
in moss, als oben geschriben ist, dy soll dafür zu puess und zu
wandel geben on alle genad 1 H regenspurger den. in heint und m
morgen.
Mon. Boica 24, 239. Kloster Ensdorf [Ober-Pfalz], Gerichts-
ordnung c. 1460.
7. Friedberg.
hem wann zwo frauen oder dimen öffentlich mit einander
schlüegen oder raufeten oder sich schändeten, so sollen sie beide
ohne alle gnad den bachslein vor allermänig tragen.
Mitteilungen d. Vereins f. Geschichte d. Deutschen in Böhmen
15, 194. Teiding von Friedberg1) §37.
8. Gutenstein.
Item so ain fraw die ander schilt, so ist das wandel 12 ^ 3J
aber man sol ir den wagstain anhahen
ÖW. 7, 352. Gutenstein, Ende des 15. Jahrh.
So ain fraw ain schilt, so ist das wandel 12
ÖW. 7,337. Rohr und Schwarzau 1597. Herrschaft Gutenstein.
') Friedberg liegt bei Hnhenfurt im südlichsten Böhmen.
’) So schon Anfang des 15. Jahrh.: ÖW. 7,369.
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52
So ain weib dass aniere häßlich sehildt — — ist da s icandl
32 auch soll der richter oder ambtmann derselben die fidel anhenken
und mit dein pachstain straffen, verschuld t sie aber ain mehrere so
solle sie auch höher gestrafft werden,
ÖW. 7, 345. Rohr und Schwarzau. 17. Jahrh.
9. Herzogenburg.
41. Wir ordnen und wölen auch, wo sich zwo frawen ent-
ziraien und aine die andere iren eren verletzet e, auch yottslester n
vnnd schmähen, so sy angesessen sein, soll die crsacherin verfallen
sein <5 h i); so sy aber solches am guel nit hat vnd solich läster-
wort im prauch hat vnnd sonst leichtfertig ist, so soll sy am negsten
freit tag den pockhstain von der seuln, daran er henckht, bis zu der
beleidigten haus tragen.
42. Ob aber unangesessene leichtfertige iceiber frumbc Jrawen
chulten, an ehm verletzten, die sollen den pockstain tragen und
sdamach zum Kremserthor hinauf die vier straff weisen und zaigen,
da mag sy gehen welliche sy idll rnd soll ir die Wyden verpoten sein.
Kaltenbaek 2, 121. Herzogenburg auf der Widen 1566.
10. Herrschaft Kranichberg.
Ob die weiber ainander schulten oder raupen, so sint. si ver-
fallen das frevelwandl z wen und. secliff Schilling und soll den pag-
stain das ganz pinmerkt austragen und sollen all nachparn mitgeen,
wie dan ir recht ist.
ÖW. 7, 286. Penk.
Welieher der war der den viem odtr zwelfem nachredet, der
selbs an dem pandüding gesessen ist, für ieden zwen und sechs
Schilling wann es aber ain frau tritt, so ist si umb zwen und
seehß Schilling und soll den pachstain tragen wie dan ir recht ist.
ÖW. 7, 296. Enzenreut (gleichlautend Landschach1).
Weliche frau unbeschaidne oder unziemliche wort trib, die sol
den bachstain tragen das ganz pimerk aus und leider haim zu dem
leitgeb, und ir mann soll kaufn ain emer wein den nachpam; und
si gibt nichts. — ÖW. 7, 230. Diepolts.
') ÖW. 7, 281.
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53
Alle diese Orte waren Kranichberger Herrschaft. Die Texte
stammen aus dem Anfänge des 16. Jahrh.
11. Laa.
Gibt ainer dem andern verjiotne wart und .schilt in unpillicher
weis an seinen eren der richtet solle in dar zu halten damit er dem
durch ainen widerruef oder zum wenigsten ain fruntlich abpittcn
alt rag zu ergetzlichkait seiner eern thue , also: hat ainer seinen nach-
parn oder ein andern offenlich gescholten und geschmückt, so bitte
er ime söllichs offenlich wider ab ime des umb gottes willen zu ver-
zeihen; ist es aber hai in lieh besehehen, so solle das abpitten
auch dergleich alain vor dem richtet besehehen ; und geb der dem
andern unrecht getan hat zu tcandl ain phunt und dein richter 72
ob aber zwen gleicher weis an eiander cerpotne wort gäben und
besehäch doch an grünt , alain aus zorn mit trunkenhait, oder der-
gleich Ursachen, so heb der richter und die vierer die . . . verpotnen
wort gegen einander auf und mach die partheien zu frunten oder
gebiet in bei einem peenfall fride und straff ieden tail umb ain
phunt, davon solle er haben 7 2 also solle es auch mit den frawen
die in dergleich vällen beclagt gehalten werden, oder aber so es von
nntten, sollen sie /ur die geldstraff den pockstain tragen.
ÖW. 7, 614 f. Laa1) 1528. (Vitzdomamt), Hennersdorf2) 1530
(früher landesfürstlich, seit 1527 im Besitze des Vitzdoms), Wein-
haus 1 585 3) und zweite Hälfte des 17. Jahrh.4) (Herrschaft: Pfarre
Hütteldorf), Siebenhirten8) 1617 (früher landesfürstlich, seit 1576
Privatbesitz), Erla bei Wien6) um 1688.
Nahverwandt sind die unter sich gleichen Texte vou Rauhen-
wart’) 1614, Ober Stockstall 9) 1614, Gersthof9) 17. Jahrh., Lie-
sing10) zweiter Text 17. Jahrh. (insgesamt zu St. Dorothea in Wien
gehörig) die jedoch so schließen: oder aber für die geldstraff
etliche tag lang in die jidl gespant werden.
•) ÖW. 7, 682. — *) ÖW. 7, 614 f. — *) ÖW. 7: 856.
4) ÖW. 8, 1073. — s) ÖW. 7, 604. — «) ÖW. 8, 1098.
») ÖW. 7, 437. — 8) ÖW. 8, 638. — 9) ÖW. 7. 856.
'«) ÖW. 7, 633. Vgl. aber den Text von 1541.
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54
12. Liesing.
Item, wer ainem anredt, es sei /rate oder man , heimlich oder
oßenlich, daß es gieng auf sein trete und eer und mag das nicht
erweisen, zu wandl fünf phunt phenning oder die zung werd im zu
dem nagg ausgezogen1), und leg ime seinen schaden ab.
ÖW. 7, 627, 30 ff. Liesing 1541 (Zu St. Dorothea in Wien.
Ein Teil war weltlich und kam 1657 an die Jesuiten in Wien),
Baumgarten an der Wien5) 16. Jahrh. (zu Kloster Formbach),
Eigen Atzgersdorf3) 1666 (früher weltlich, seit 1657 bei den
Jesuiten), Mauer4) 1667 (seit 1609 bei den Jesuiten).
Item, weliche fraw jung oder alt verpottne wort geit gegen
man oder f, rauen die geh zu wandl 72 oder trag den pachstain.
ÖW. 7, 628, 34 ff. Liesing. Ebenso Baumgarten5), Atzgers-
dorf6), Mauer7).
13. Lilienfeld.
Wann die treibe r oder andre ledige weibliche pilt übl einander
außschelten, die sollen zu straf ohne ainiches aufziehen oder ver-
lengerung den pockstain het'umb tragen oder dafür zu wandl 02 tal.
ÖW. 8, 589, 37 ff. Grafenberg bei Eggenburg. Radelbrunn 8J
nnd Stratzing 9) unweit von Grafenberg, Alle drei Orte gehörteu
dem Kloster Lilienfeld. Die Texte sind aus dem 16. Jahrhundert.
14. Minkendorf.
Fordert ein mann den andern auß seinen hauß in gef ehr, als
oft er das thuet zo ist er umb das wandl fi ft 2 fordert ein mann
ein weib auß einem hauß der ist. umb .5 h ^ zu wandl. fordert
aber ein weib einen mann auß einen hauß, die ist umb 10 H ^ zu
wandl 10).
') Baumgarton: in Hem nach heraufgezogen. Atzgersdorf: auß zu dem
näcken gezogen. Mauer: nur Geldstrafe.
3) ÖW. 7, 721. — 5) ÖW. 7, 643. — *) ÖW. 7, 652.
*) ÖW. 7, 723. — «) ÖW. 7, 644.
0 ÖW. 7, 653. Mauer 1730 ist der Text ganz verändert. Da kommt
auch der Bagstein nicht mehr vor, sondern die Prechel.
*) ÖW. 8, 528. — ») ÖW. 8, 907.
'•) halb zur kürehen und halb der herrschaft.
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5.5
Kriegen), aber zwei weiber oder mehr mit einander und geben
gegen einander cerbottene wort, so ist ihr iedes 12 ’). rauf ent oder
schlagent sie an einander , doch alß sie nit merklichen lembnus be-
gännen i), so sollen sie den pockstein in dem darf auf und nider
tragen und der richtet soll dazue dingen ein pjeifer und ihr mann
ein pauker3). theten sie aber an einander lembnüß oder verderb-
lichen schaden*), so soll man sie straffen als recht ist3),
ÖW. 7, 4 13,« 17 ff. 7,418. 7,1060. Minkendorf a. d.
Triesting 1452, 16. und 17. Jahrh. Gleichlautend Truraau6)
17. Jahrh. Beide Orte waren Heiligenkreuzer Besitz. Das
Teiding von Kaiser- Steinbruch7) am Leithagebirge [in Ungarn;
Heiligenkreuzisch] von 1634 ist um die Zusätze S. 54 Anm. 10
und S. 55 Anm. 5 erweitert.
15. Saubersdorf.
Item es vermag auch die gerechtigkaü hie zu Sauberßdorf :
wo die Weiber an einander außschulden oder aine der anderen
verpotne wort gäben und solches auf si weißlich wiert, es war wo
es icollt, zu feit oder zu gassen, und kämen für gerichl, so sein si
wändl schuldig ztcen und sechs Schilling der obrigkeit oder si soll
den pockstain tragen: so solt der Richter ain ztstl Jolle*) air kaufen
nnd solt die jungen knecht, alß eil er zu wegen kan pringen, zusam
/ ordern und das see es mit den airn werfen als lang si weren,
von krichtßhauß auß piß wieder ins Krichthaus im darf auf und
ab, so sollt si der zwen und sechs Schilling frei sein.
ÖW. 7, 124, 22 ff. Saubersdorf b. Wr.-Neustadt. 16. Jahrh.
Dem Geschleehte Puchheim gehörig.
16. Schatterlee.
Item ob sich gepurt das sich zwo frawn vergössen mit red, so
schullen sich die mannen nicht, darumb annemen, aber si schulln
das bringen an ein richter und das anklagn. und der richter scholl
Bemerkenswerte Änderungen des K.-Steinbrucher Textes sind: \) 2 « ^
der herrschaft. *) doch also daß keine der anderen sonderen schaden suege-
füegel helle. 3) ihr mann soll pauken. *) theten sie aber einander beschädigen.
5) trän sie aUeteil also zwiestreitig sein und keine besserung zu hoffen ist,
die sustüftung auferlegt tcerden.
*) ÖW. 7, 413. — ) ÖW. 7, 1048 f. — •) Variante voller.
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56
sentn nach den Jraien und sol die gesworen cm im nemen find schol
sew verhören nach irr baider Jnrlegung; und welchew di ist deir
die gement en kunnen erkennen das si ungerecht ist, die scholl da-
rumb gebessert tcerdn und gestrafft von irm mann untst als lang
das di ander der ungutlich ist geschehen , ein genuegn hat. war
aber das sei ir man nicht strajfn wollt umb di schuld , so scholl
sei der richter nemen und scholl di legn in ein kastn und scholl
für sei slahn zwai sloss, damit di fraw wol behüet sei ; auch
scholl der richter irm mann den ainn schlosst gehn und er scholl
den andern habm ; und scholl sein in dem kästen untzt als
lang das di gesworen kunnen erkennen das si und) die schuld ge-
pessert wert.
ÖW. 8, 182, 24 ff. Schatterlee, südwestlich von Laa. 1489.
Dem Kloster Waldhausen in Ober-Österreich gehörig.
17. Schönberg.
Weiber greinen straaf.
Jtem die frauen solden sein gezogen, wo das aber nicht ge-
schäche und daß aine mit der andern anhueb und gab aine der an-
deren rerpottew wort und die ander wollt nicht nachgeben, so
wehren sie heit bueßf eilig, uud die erst so angefangen hat solt den
pockstain h inaus tragen an die waahrt und die ander, die nicht hat nach-
geben soll den pockstain wider herein tragen, und als oft sie rast, es wehre
hierin oder draussen, so ist sie um 12 ^ zue wandl, und wan sie
herwieder in kombt so sein sw beede dem Richter zue geben 3 helbling
zum wandel. wolden sie aber miht dem gericht abkomen, daß
mögen sie duen ehe wan sie fier recht körnen; dan kamen sie fier
recht, so soll anderst nichts helfen, dan sie dragen den pockstain.
ausgenomben sie reden sich dan auß daß zue recht genuegsamb
seie, darbei man sie lassen soll.
ÖW. 8, 731, 5 ff. Schönberg a. Kamp. c. 1430 — c. 1625.
Weltlich.
18. Senftenberg.
Von der Scheltwort.
Darnach ist mehr unser gercchtigkait zu melden daß ain frume
gelante fraw aine die ander noch ainen frumen gelanten man, eß
sei ainer geseßner oder gast , mit bösen srhellworten nicht ubl handln
soll, und welche deß uberfahren mirde, die soll hie den pagstain
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57
tragen von ainem ort zu dem andern , und si soll denselben slain
drei s tunt niderlegen, und als oft ei den von ihr legt so ist si dem
nachrichter schuldig zu geben zweit pfennig; und es soll auch der
nachrichter ihr schult oj) entlieh beruefen. welche fraw hinfür solch
sach mit warten gegen trauen oder mann verschuldet , die muesset
auch also püessen und den pagstein tragen von einem ort zu dem
andern und den pagstein hinwider zu der schranen bringen, wolt,
aber desselben /rauen mann oder ander iemant von ihrenwegen den
richter, die geschworen oder andir iemant darumben anfeinten , den
soll und mag der richter darum!» zu »einen Landen nehmen und
den auch püessen noch rathß rathe.
ÖW. 8, 923 f. Scnftenberg bei Krems. 1524—54. Herr-
schaft Schaunberg.
19. Solenau.
Item, ob ain fraw die ander ubl handlet mit verpoten warten
ode r mit pösen Worten, sol tragen den paclcstain oder sol der her-
scha/t verfallen sein l tal. und dem richter 12
ÖW. 7,382, 30 fl. Markt Solenau 1412 (Herrschaft
Schönau).
20. Stratzdorf.
Item ob ain eeweib die ander ubelhandliet, dew ist zu wandel
6 3 2 macht si den man zamig daz er sich selber rech, das sol man
derkennen zu Prunn in der schrämt di zwo gemain was der ver-
wandelt hab.
ÖW. 8, 866. Stratzdorf c. 1400 Ebenso Brunn im Felde1),
Ende des 15. Jahrh., Gedersdorf*), Anfang des 16. Jahrh. ;
Nieder-Rohrendorf und Ober-Weidling s). Alle Orte liegen bei
Krems und standen unter der Gerichtsbarkeit von Grafeneck.
Brnnn und Gedersdorf haben noch eine zweite Stelle:
Item ain ide frume fraw soll haben ir beiplich zucht und
er. thuet si des nicht, so ist si schuldig den pachstain zu tragen
mit der straff nach iem verdienen */
Gedersdorf hat überdies folgende dritte Bestimmung:
') ÖW. 8, 885. — >) ÖW. 8, 883 Noto a. — *) ÖW. 8, 880.
4) ÖW'. 8, 889. erinnert an Schfinberg. (Anhang 17.)
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58
Item ob ain eeiveib ain handlt, wer weih oder man , daß trew
und er perurt, so snlt si den pokstain tragen, und iran si in auf-
hebt so ist, si umb 2 und 6 ? und den pokstain soll si tragen zu
ring umb und umb in dem dorf x).
21. Tattendorf.
All die mannen die irer weiber nit zu gwalt haben, der herr-
schaft, dem richter den gesworen nachreden mit verpoUen Worten,
soll der richter baide fraw und man in sein straf nemen so lang
unz si nach rat der eiern gestrafft werden.
ÖW. 7, 402, 39 ff. Tattendorf a. d. Triesting c. 1450,
Klosterneuburger Besitz. Gleichlautend im Nachbardorfe Ober-
Waltersdorf*) 1732—68. Heiligenkreuzer Besitz. Hirschstetten5)
bei Aspern 16. Jahrh., Hagenberg1 * * 4) bei Mistelbach c. 1554. Die
beiden letztgenannten Orte standen unter weltlicher Herrschaft.
22. Trandorf.
Ob /raten oder dienten rauften oder schluegen an einander oder
verpotne wort ausgaben aine der andern, so sein sie den pachstam
schuldig zu tragen von ainem ort zum andern, darnach soll sie der
richter oder amptman erfordern, und weliche unrecht 4) erfunden
wirt die ist zu wandl 7 2 ^<j).
ÖW. 8, 1010, 34 ff. Trandorf 1530. (Es gieng in diesem
Jahre vom Stift St. Andrä a. d. Traisen an das Stift Gottweih
über.) Gleichlautend: Rechte des Stiftes Göttweih, der Grafschaft
Nieder-Ranna und der Bürger zu Kottes und Mühldorf7) 1540.
Rechte und Freiheiten des Stiftes St Andrä a. d. Traisen*)
17. Jahrh.
1) ÖW. 8, 891. *) ÖW. 7. 408.
*) ÖW. 8, 306. An späterer Stelle (ÖW. 8, 307 Note 10): Item to die
trauen einander schelten mit verpotnen Worten, ist jede person dem herm tu
wandel 6 3 .
Item wan trauen und man einander verletzen jedes an seinen ehren und
solche Verleitung nit genugsam beweisen macht to ist jedes dem herrn zue wandl
5 ti
4) ÖW. 8, 152. *) Variante: mit anfang.
») Variante: \ tal. t) ÖW. 8, 982. *) ÖW. 8, 627.
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23. Tresdorf.
Item, ob ein treib auf der ganten öffentlich mit verbotnen irorten
schilt oder beleidigt, welche die ist, ist zu wandl verfallen 6 3 2
hat ei es an dem guet nit, so sols sie die geigen tragen.
ÖW. 7, 370 Tresdorf und Sebam 1582. (Herrschaft: Jesu-
iten in Wien.)
Gleichlautend bis auf die Schlußworte (dafür: so soll si den
jwtekstain tragen ) Grinzing1), 17. Jahrh. (Jesuiten, Wien).
soll sie die geige oder fidl tragen Tresdorf*) 1685.
24. Ulrichskirchen.
I. Ob sich die weib mit einander schendaten mit unzimblichen
warten, so sol mon in anhahen den pokstain, den siillen si tragen
von einem falltar zum andern, von ainem ort zu dem andern, und
sol in der richter dingen einen pheifer und ir aigner man einen
pauker 3_). ob aber ainer sein tceib wolt dem gericht Vorhalten,
so mon si vordret zu der peen, dem sol der richter schicken das
stäbl und ist der herschaft verfallen 32 tal. ^ als ainer der sich
des gerichts hat underwuntn.
Ob aber ein weib unzuchtig wer mit Worten und mit werchn
und würd irm man geklagt und*) er zug si nicht davon, die sind
baide wandl phlichtig und pessrung darnach und die unecht
gros ist
ÖW. 8,12 Zeile 11 ff. Ulrichskirchen 1438-52. Mit ge-
ringen Abweichungen haben denselben Text Thomasl s), Mitte des
15. Jahrh.; Bannersdorf'), Mitte des 15. Jahrh.; Nodendorf’)
1530; Baumgarten a, d. March*), IG. Jahrh.; Erdpreß*),
16. Jahrh.; Nieder-Sulz I#), 16. Jahrh.; Haslach9 * 11), 16. Jahrh.;
9 ÖW. 7, 938. *) ÖW. 7, 375.
*) Dieser Satz ist in Ebersbrunn mit Bleistift getilgt. ÖW. 8, 161
Anmerkung b.
*) i colt «' nicht davon ziehen und darumh straffen Thomasl.
») ÖW. 8, 161. «) ÖW. 8, 135. ») ÖW. 8, 170.
•) ÖW. 8, 38. ») ÖW. 8, 86.
'») ÖW. 8, 94. ■') ÖW. 8, 206.
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60
Ebersbrunn ') 1586; Kl.-Ebersdorf*), 17. Jalirh. — Pfaffstetten 3),
16. u. 17. Jahrh. bat Dur den zweiten Absatz.
//. Geit ein fraw einem mann verpotne wart umb unverdient
euch , die ist umb 12
ÖW. 8, 17 Zeile 30 f. ülrichskirchen 1438.
Item wann ain fraw ain mann ain eerpotenee wort geit umb
unverdient sack, die ist verfallen 1.2 ^ als oft si das thut *) uiul
demnach in der herrschajl straff.
ÖW. 7, 1037, 20 ff. Winden, Mitte des 15. Jahrh.; Neu-
Eigen oder Münichhof4) 16. Jahrh.; Podersdorf“) 16. Jahrh.;
Wülfleinsdorf a. Leitha7) 17. Jahrh. (im Texte steht die Jahres-
zahl 1240!); Sulz, Grub, Siegenfeld, Preinsfeld, Meierling8),
Sittendorf, Dornbach“), Alland10), Sparbach, Weißenbach, Brühl“),
1652—1735.
Mit Ausnahme von Nodendorf und Ebersbrunn waren alle
aufgezählten Orte Heiligenkreuzer Besitz. N. und E. waren weltlich.
25. Zwettl.
Ob sich weiber oder diernen mit einander zerlcricgten stiegen
oder raufeten oder mit umimlichen ertöttunden ’*) Worten aine di
ander schendet, die sol mon gen closter vorderen oder dahin furen.
daselbs sol mon in den pachstain anhengen, den sollen si dann tragen
hin gen Rudmars durch das ganz dorf auf und ab, von aim valtar
zum andern und hinwider gen closter, und als oft si rasten under-
wegen als oft. verwandlt 72 so mon in dann den stain im closter
widerumb ablegt, so ist aine zu wandl verfallen 2 ^ 6’ ß
Sein si aber fridper frawen und ob sie mit einander kriegen,
nit slahen , raufen, auch nit mit ertöttunden Worten an einander
schelten, die haben ir iede vertcandlt 12 ^ und stet in ires mannes
straff'*).
') ÖW. 8, 528 *) ÖW. 8, 18. s) ÖW. 7, 1063 und 7, 536.
*) nur bis dahur diu Woistüwer Sulz, Grub usw. bis Brühl.
5) ÖW. 7, 1042. — •) ÖW. 7, 1045.
’) ÖW. 7, 453. — •) ÖW. 7, 482.
») ÖW. 7, 484. — *0 ÖW. 7, 478. — ") ÖW. 7, 570.
'*) B verbessert ehr tödtunden. C eher t.
,s) In B gestrichen. Fehlt C D.
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61
hem ob ain man seinem ireih oder ainer andern helfen *) wolt,
dem gericht oder der herschaft des closters oorhalten so mon si zu
iler straff errordert , so hat er sich des gerhehtz und der herschaft
gerechtigkait underst-nnden, hat darum/) vertcandlt 32 tal. J(.
ÖW. 7, 464, 6 ff. Heiligenkreuzer Generale, Mitte des 15. Jahrh.;
Zwettl*) (Text A 1499, B erste Hälfte 16. Jahrh., C um 1550,
D um 1570). Höflein3) bei Bruck a. Leitha 16. Jahrh. und
17. Jahrh. Heiligenkreuzisch).
Obwohl die Heiligenkreuzer Überlieferung die älteste ist, so
ist doch sicher, daß das Zisterzienserstift Zwettl sein Mutterkloster
Heiligenkreuz mit seinem Bannteidingsrecht begabt hat*), denn
der im Text erwähnte Ort Rudmanns liegt bei Zwettl. 5).
Verwandt ist auch der Text von Hohenstein6) a. d. Krems
c. 1600 (Herrschaft Starhemberg).
*) Variante verkelfn wider ainen ricMer.
«) ÖW. 8, 828. — 3) ÖW. 7, 1063 und 7, 456.
*) G. Winter, ÖW. 8,821 Anmerkung.
s) G. Winter, ÖW. 7, 464 Anmerkung.
8) ÖW. 8, 939. Namentlich der letzte Absati.
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ZRG. — Zeitschrift für Rochtsgeschichte. Z*RG. — Zeitsehr. d.
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Zschweiz StrR. «= Zeitschrift für schweizerisches Strafrecht. (C. Stooß.)
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Zöpfl, Altertümer des deutschen Reichs und Rechts. 1860 f.
Zöpfl, Deutsche Staats- und Rochtsgeschichte. 4. Aufl. 1871 f.
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Verlag von M. & H. Marcus in Breslau, Kaiser-Wilhelmstr. 8
Festgabe für Fells Baba
zu seinem 50 jährigen Doktorjuöiläum
gewidmet von gegenwärtigen und früheren Angehörigen der
Breslauer juristischen Fakultät
I. Deutsche Rechtsgeschichte
10 Mark
Beyerle, Konrad: Ergebnisse einer alainannischen L'rbarforschung 2, — M.
Brie, Siegfried: Die Stollungjder deutschen Rechtsgelehrten der Rezeptiona-
zeit zum Gewohnheitsrecht . . . * 1,20 M.
Hedemann, Justus Wilhelm: Die Fürsorge des Gutsherrn für sein Gesinde
(Brandenburgisch-Prcussischc Geschichte) 1,60 M.
Naendrup, Hubert: Dogmengeschichte der Arten mittelalterlicher Ehren-
minderungen 5, — M.
Schnitze, Alfred: Gcrüfte und Marktkauf in Beziehung zur Fahrnis-
verfolgung 2, — M.
II. Römische Rechtsgeschichte
3 Mark
Kleineidam, Feodor: Beiträge zur Kenntnis der lex Poctclia 1, — M.
Klingmüller, Fritz: Über Klagenrerjfthrung und deren Wirkung 1, — M.
Leonhard, Rudolf: Die Replik des Prozessgewinns (replica rci sccundutn
me judicatae), ein Beitrag zur Lehre von den beiden Funktionen der
ezeeptio rei judicatae 1,20 M.
III. Recht der Gegenwart
9 Mark
Reling, Ernst: Die Beschimpfung von Religionsgesellschaften, religiösen
Einrichtungen und Gebräuchen, nnd die Reformbedürftigkeit des § 166
StGB 1,20 M.
Fischer, Otto: Vollstreckbarkeit 1,80 M.
Grctcncr, Xaver: Die Religionsverbrechon im Strafgesetzbuch fiir Russ-
land vom Jahre 1903 1, — M.
Heymann, Emst: Die dingliche Wirkung der handelsrechtlichen Traditions-
papicre (Konnossement, Ladeschein, Lagerschein) 3,20 M.
Jacobi, Emst: Die Pflicht zur Berufung der Generalversammlung einer
Aktiengesellschaft 0,80 M.
Meyer, Herbert: Die rechtliche Natur der nur scheinbaren Bestandteile
eines Grundstücks (§ 95 BGB.) 1, — M.
Schott, Richard: Über Veräusserungsverbote und Resolutivbedingungen im
bürgerlichen Recht 1,20 M.
A. Favorite, vorm. Eduard Trewendt’* Buchdruckern in Breslau
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Die Geschichte des englischen Pfandrechts
ron*
Pr. Harold D. Hazeltine
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Untersuchungen
rar
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
von
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
92. Heft
Die Geschichte
des englischen Pfandrechts
von
Dr. jur. Harold Dexter Hazeltlne
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1907
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Die Geschichte
des
englischen Pfandrechts
von
Dr. jur. Harold Dexter Hazeltine
B. A„ Universität Brown — L. L. B., Universität Harvard — Hon. M. A,, Universität Cambridge
Reader in Kngliah Law an der Universität Cambridge nnd Law Lecturer Im Emmanuel Coltege,
Cambridge
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1907
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Herrn Geheimen Justizrat Professor
Dr. Otto Gierke zu Berlin
in treuer und dankbarer Verehrung zugeeignet
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V orwort
Es ist auf die Tatsache, daß bis jetzt keine Geschichte des
englischen Pfandrechtes existierte, von Rechtsschriftsteilem oft
hingewiesen worden. Das Fehlen einer solchen Geschichte hat
sich in der Tat seit Langem fühlbar gemacht, und zwar nicht
nur bei jenen, die sich mit dem wissenschaftlichen Studium und
der praktischen Anwendung des englischen Rechtssystems in
England, seinen Kolonien und in Amerika befassen, sondern auch
bei solchen Rechtsgelehrten anderwärts, die an der Erforschung
der germanischen Rechtsentwickelung im Allgemeinen und
an der Vergleichung des germanischen Rechts mit dem
römischen Recht und anderen Kulturrechten ein Interesse haben;
denn das englische Recht, obgleich bis zu einem gewissen Grade
vom römischen Rechtssystem beeinflußt, hat vielleicht in mancher
Hinsicht seinen germanischen Charakter seit der Zeit der Angel-
sachen bis auf unsere Tage besser bewahrt, als das Recht irgend
eines anderen germanischen Volkes. Gerade aus diesem Grunde
verspricht das englische Recht demjenigen, der willens ist, sich
mit seiner Geschichte und seinen Prinzipien vertraut zu machen
und den der Form zu Grunde liegenden Geist zu erforschen, eine
reiche Ausbeute.
Der Zweck dieser Abhandlung ist, eine kurze Darstellung
der Geschichte des englischen Pfandrechts bis zum Ausgang des
Mittelalters zu geben. Die ökonomische, politische und rechtliche
Grundlage dieser Entwicklung haben wir in der Einleitung kurz zu
skizzieren versucht. Die beiden großen Zeitabschnitte der pfand-
rechtlichen Entwicklung umfassen 1. die angelsächsische Zeit und
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2. die Periode von der normannischen Eroberung bis zum Aus-
gang des Mittelalters. Aber auch die spätere Entwicklung wird
verfolgt und das Ergebnis, wie es sich im heutigen englischen
Recht darstellt, mit einigen Worten angedeutet, denn hauptsäch-
lich, weil sie dazu beiträgt, das geltende Recht zu erläutern und
zu befruchten, ist die Rechtsgeschichte von praktischer Bedeutung.
Die Entwicklung des Formal- oder Wettvertrages ist geschildert
worden; obgleich dies nicht direkt zu unserem Thema gehört,
wird die ältere Geschichte des Pfandbegriffes dadurch doch in ein
helleres Licht gerückt. Leider ist es wegen Mangel an Zeit
nicht möglich gewesen, eine Untersuchung anzustellen, ob und
inwieweit die fränkische fides facta auf die englische fides
facta in frühnormannischer Zeit eingewirkt hat. Die grundsätz-
lichen Unterschiede zwischen Mobiliar- und Immobiliarrecht im
englischen wie in anderen germanischen Rechten überhaupt haben
zu der gesonderten Behandlung von Mobiliarpfandrecht und Immo-
biliarpfandrecht in jeder Entwicklungsperiode geführt. Obgleich
die gerichtliche Pfändung für die angelsächsische Zeit in Betracht
gezogen wurde, ist es doch nicht möglich gewesen, die Entwick-
lung auch für den zweiten Abschnitt nach der normannischen
Eroberung zu verfolgen. Diese Phase des Themas muß späterer
Forschung Vorbehalten bleiben.
Wir fassen Pfandrecht als Sachhaftungsrecht auf, und so
weit wir ersehen können, wurde ursprünglich im englischen Recht
wie im älteren deutschen Recht durch Pfandsatzung stets eine
reine Sachhaftung begründet mit der Ausschließung jeder weiteren
Haftung für die Schuld. In der späteren Entwicklung wurde die
Verbindung einer weiteren Haftung — Haftung mit der Person oder
mit dem übrigen Vermögen — mit der Pfandhaftung als zulässig
angesehen '). Inwieweit die Pfandhaftung selbständig blieb, ist
eines der schwierigsten Probleme der englischen Rechtsgeschichte.
Der Geschichte des englischen Pfandrechts liegt das höchst
wichtige Prinzip zu Grunde, daß der Gläubiger bei Zahlungs-
versäumnis des Schuldners Befriedigung entweder aus den Er-
trägen oder aus der Substanz der Pfandsache erhalten kann; die
') Über das ältere deutsche Recht siehe Gicrkc, Deutsches Prirat-
rccht, Bd. II, S. 809- 811.
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EX
Realisation der Sicherheit geschieht im letzteren Falle durch Ver-
fall oder Verkauf. Dieses Prinzip ist es. das uns veranlaßt hat,
die verschiedenen Formen der Sicherheit als Nutzpfand oder als
Substanzpfand bezw. als Kombination dieser zwei Hauptformen
zu klassifizieren. Um den Gegensatz zu Nutzpfand zum Ausdruck
zu bringen, scheint es in der Tat besser zu sein, den Gattungs-
namen „Substanzpfand“ an Stelle der Bezeichnung „Proprietäts-
pfand“ oder „Eigentumspfand“ anzuwenden *) und die letzteren
Bezeichnungen für Verpfändungsformen, bei denen eine Über-
eignung erfolgt, vorzubehalten.
Vom Nutzpfand sowohl wie vom Substanzpfand zu unter-
scheiden ist diejenige Form der Sicherstellung, wo der Gläubiger
bloß ein Zurückbehaltungsrecht an der Sache hat, aber kein Recht,
sich aus den Erträgen resp. aus der Substanz der Pfandsache bei
Verfall oder Verkauf zu befriedigen. Dieser Form der Sicher-
stellung haben wir die Bezeichnung „Retentionsrecht'1 gegeben.
Obgleich dieses Retentionsrecht in der Tat Sachhaftung ist und
somit, im weiteren Sinne, unter den Pfandbegriff fällt, muß es
doch von anderen Sicherheitsformen, wo dem Gläubiger ein Be-
friedigungsrecht zusteht, gesondert gehalten werden.
Die Bearbeitung der Quellen der früheren Entwicklung des
Wettvertrages und des Mobiliarpfandrechts stützt sich zum größten
Teil auf Sclimids Ausgabe der angelsächsischen Gesetze. Das
Erscheinen der Liebermann’schen Ausgabe dieser Gesetze machte
einen Vergleich des Textes und der Übersetzungen der beiden
Ausgaben notwendig. Unterschiede von sachlicher Bedeutung in
Text und Übersetzung sind wenige vorhanden. Schmids Text
und Übersetzung sind in der gegenwärtigen Abhandlung bei-
behalten worden, doch hat der Verfasser in ein oder zwei Fällen
eine eigene Übersetzung verwendet, die von der Schmid’schen ab-
weicht. Wo Text ohne Bezeichnung der Ausgabe zitiert wird,
') In zwei früher erschienenen Schriften des Autors ist der Gegensatz
durch die Bezeichnung „Nutzpfand“ („usufruct-gage“) und „Proprietätspfand“
(„property-gage“) zum Ausdruck gebracht. Siehe The Gage of Land in
Medieval England (Harvard Law Review, Bd. XVII, No. 8, Bd. XVIII, No. 1);
Englisches Mobiliarpfandrecht im Mittelalter.
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X
handelt es sich in allen Fällen um denjenigen hei Schraid. Die
Fundstellen bei Liebermann sind jedoch überall nachgetragen und
auf Abweichungen in Text und Übersetzung von der Schmid’schen
Ausgabe, soweit sie von sachlicher Bedeutung sind, wird in jedem
einzelnen Falle hingewiesen.
Die vorliegende Abhandlung ist aus einer der Berliner
Juristenfakultät überreichten Dissertation, von der ein Teil unter
dem Titel: „Englisches Mobiliarpfandrecht im Mittelalter“ im
Februar 1905 als Promotionsschrift erschienen ist, hervorgegangen
und wurde im Juli 1905 druckfertig. Die seitdem erschienene
und sich mit dem Gegenstand der Arbeit befassende Literatur ist
nicht berücksichtigt worden.
Für ihre Mühe beim Kopieren der im Anhang erschienenen
Texte bin ich Miß Evelyn Fox, von London, für seine Arbeit bei
Durchsicht der Korrekturbogen des Anhanges bin ich Herrn Alfred
Rogers, von Cambridge, zu Dank verpflichtet.
Für den mir von vielen Seiten gewordenen ermutigenden
Zuspruch bei Abfassung der vorliegenden Arbeit drängt es mich,
meinen Freunden in Deutschland. Amerika und England an dieser
Stelle meinen Dank auszusprechen. Desgleichen bin ich den
Herren Professoren der juristischen Fakultät zu Berlin für ihr
Wohlwollen und persönliches Interesse verbunden, sowie auch
meinem Freunde Dr. Neubecker, Privatdozent an der Universität
Berlin, auf dessen seinerzeitige Anregung hin die Arbeit unter-
nommen wurde, und dessen Ratschläge mir stets willkommen
waren. Von besonderem Nutzen waren für mich die Schriften
über englische Rechtsgeschichte von Professor Arnes von der Law
School der Harvard University, Cambridge, Massachusetts, von
Mr. Justice Holmes vom Supreme Court of the United States,
Washington, D. C., von dem verewigten Professor Maitland von
der Universität Cambridge, England, von Sir Frederick Pollock,
London, und von Professor Brunner von der Universität Berlin;
ferner die Schriften über die Geschichte des älteren deutschen
Rechts von Professor Brunner und Professor Gierke. Den Herren
Professor Gierke und Professor Brunner bin ich des weiteren
für die bei Durchsicht des Manuskriptes gehabte Mühe und für
ihre freundlichen Anregungen und Ratschläge, vor allem Herrn
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XI
Professor Gierke für seine stete Bereitwilligkeit, mir mit Bat
und Tat zur Seite zu stehen und die Arbeit in den von ihm
herausgegebenen Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechts-
geschichte aufzunehmen, zu außerordentlichem Danke verpflichtet.
Es gereicht mir zur besonderen Freude, daß mir Herr Professor
Gierke auf meinen besonderen Wunsch freundliehst gestattet hat,
ihm diesen Versuch zur Erforschung einer wichtigen Phase der
germanischen Rechtsentwicklung zuzueignen.
Emmanuel College, Cambridge, England,
im Oktober 1907
Der Verfasser
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Inhalts-Ubersicht
Einleitung
Erster Teil
Die Re ch ta* und 3k onoml »ehe Ent Wickelung En gl and»
Die angelsächsischen Königreiche 4. Augustin und der
Einfluß des Christentums 4. Die Oberherrschaft Ecgberhts
und der Westsachsen 5. Einfä^e der Dänen und Norweger 5
König Alfred 5. König Eadrcd 5. Einfluß der Dünen und
die Herrschaft Cnnts 5. Einwirkungen des langen Kampfes
mit den nordischen Völkern auf die sozialen und politischen
Verh<nissc 6. Normannischer Einfluß unter Eduard dem
Bekenner 6. Wilhelm der Eroberer und die Herrschaft der
Normannen G. Die Regierung Heinrichs II. 7. Die Regierung
Heinrichs DT. 7. Entwickelung des Staatswesens 7. Be-
ziehungen Englands zu1- übrigen Christonwelt 8. Die Guts-
herrschaften (manors) und Städte als Mittelpunkte für Handel
und Industrie 8 — 9. Verfall des Systems der Gutsherrlichkeit
und Verschwinden der Leibeigenschaft 9. Festigung des ge-
samten nationalen Lebens und des St&dtewesens 9. Ent-
wickelung der Städte unter dem Schutze und der Direktion
der Zentralgewalt 9. Verfall der Städte zur Zeit der Tudors 10.
Verantwortlichkeit der Landesregierung für das Wohl und
.Wehe von Handel und Industrie 10. Einfluß des Königtums
auf die Entwickelung des nationalwirtschaftlichen Lebens 10.
Entwickelung einer Handelspolitik und Zuzug von Ausländern
nach England 10 — 11. Einfluß der Zentralgewalt auf Handel
und Industrie seit der Zeit Eduards I. 12. Die Politik
Eduards III. 13. Reaktion unter seinem Nachfolger 14. Das
„Mcrcantilc System“ 14. Die allmähliche Entwickelung von
Seite
1—66
4-15
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XIV
der Naturalwirtschaft zur Geld- und Kreditwirtschafl 14.
Gemeines Recht und Billigkeitsrecht 14. Die Geschichte des
Pfandrechts als eine der Phasen dieser allgemeinen wirt-
schaftlichen und Rechts-Entwickelung seit der Zeit der Angel-
sachsen bis auf den heutigen Tag 15.
Zweiter Teil
S«lt*
Das englische Privatrecht 15—54
Erstes Kapitel
Bestandteile de» englischen Priratrechts 15— 2G
I.: Germanisches Recht 15 — 17. Das rein angel-
sächsische Element 15 — 16. Das skandinavische Element 16.
Das fränkische Element 16.
1L: Römisches und Kanonisches Recht 17 — 26.
Indirekter Einfluß des römischen Rechtssystems auf das ger-
manische Recht in England durch die römische Kirche 19.
Einführung von Bestandteilen des römischen Rechts durch die
Beziehungen der englischen Könige zum fränkischen Hofe und
die normannische Eroberung 19 — 20. Wissenschaftlicher Ein-
fluß der beiden Rechte: I.anfranc, Vacarius, Longchamp.
Anglicus, William of Drogheda 20—21. Eine blühende Schule
für beide Rechte zu Oxford 20 — 21. Einfluß des römischen
Rechtssystems auf die Literatur des gemeinen Recht«: Glanvill,
Bracton, Fleta, Britton 20—21. Alberico Gentili 23. EinflnQ
des römischen Rechts auf die Gerichte: gemeinrechtliche Ge-
richte, geistliche Gerichte, Gericht des Lord High Admiral,
Gericht des Constable und Marsbai, Gerichte der zwei
Universitäten Oxford und Cambridge, Court of Chancery 24 — 25.
Befruchtung des englischen Systems durch römische Prinzipien,
aber keine „Rezeption" der fremden Rechte 22—25.
Zweites Kapitel
Das objektive Recht 26—32
I.: (a) Statute law (Gesetzesrecht) 26. (b) Common
law, gemeines Recht im Sinne des Gewohnheitsrechts 26 — 27.
(c) Conventionary law (lex contractu») 27— 28. II.: „Com-
mon law,“ gemeines Recht zum Unterschiede von „Equity“
(Billigkeitsrecht) 28 — 32.
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XV
Dritte» Kapitel
Rechtsschutz
L: Selbsthilfe 32. Pfändung 32. >
II.: Das Klagensystem 33 — 37. Mandate (writs
brevia) aus der Kanzlei des Königs; brevia originalia'und
brevia iudicialia 33. Individualisierung der Klage durch
brevia originalia 34. Brevia in consimili casu 34. Bill in
equity 34. Information bei Kronsachen 34. Dingliche Klagen
(real actions), persönliche Klagen (personal actions), gemischte
Klagen (mixed actions) 34—35. Die Grundlage dieser’Ein-
teilung der Klagen: der nach germanischer Anschauung vor-
handene Gegensatz zwischen Immobiliargut und Fahrbabe 34.
Unterschied zwischen real actions und personal actions 34. Reform
des Klagensystems im neunzehnten Jahrhundert 35. Ab-
schaffung der alten real und mixed actions 35. Klagen in
factum conceptac 36. Der ProieQ 36. Die Zwangsvoll-
streckung 37.
Vierte» Kapitel
Obligationenrecht
Der Realvertrag und der Formal- oder Wettvertrag der
angelsächsischen Zeit 87. Die drei Vertragsformen oder
-Arten des klassischen gemeinen Rechts : der sogenannte
„contract of record“, der „contract under seal“ und der
, simple contract“ 38.
Fünfte» Kapitel
Sachenrecht
Besitz und Eigentum in der angelsächsischen Zeit 39.
Die drei Formen von Landbesitz in der angelsächsischen
Periode : bdc-land, folk-land, lasn-land 40. Scheidung zwischen
Immobiliar- und Fahrnisrecht: real property, personal pro-
perty 40 — 41. Corporeal hereditaments und incorporeal here-
ditaments 40 — 41.
I.: Immobiliarrecht 42 — 50. Tenure 42 — 43. Die
estates: freehold estates und estates less tban freehold;
estates upon condition: incorporeal hereditaments; estates in
possession und estates in expectancy ; Einzelrechte (severalty)
Saite
82—37
37-38
37-38
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XVI
und Rechte mehrerer (wieder gespalten in joint tenancy,
coparcenary und tenancy in common) ; legal cstates nnd equitable
estates 43—48. Die Erwerbsarten der dinglichen Rechte
48 — 49. Die Immobiliarklagen 49 — 50.
II.: Mobiliarrecht 50. Besitz nnd Eigentum 50.
„Hand wahre Hand“ 50. Übertragung des Fahrniseigentums 50.
Die Mobiliarklagon 50.
Sechstel Kapitel
Quellen nnd Literatur
Quellen der angelsächsischen Zeit 51. Quellen der Zeit
nach der normannischen Eroberung bis zur Zeit Heinrichs II.
(1066—1154) 51. Quellen und Literatur der Zeit von
Heinrich II. bis gegen Anfang des Tierzehnten Jahrhunderts
51 — 52. Quellen und Literatur der Zeit Ton dem 14. Jahr-
hundert bis auf Blackstone (geb. 1723, gest. 1780) 53 — 54.
Dritter Teil
Terminologie der Quellen des englischen Pfand*
recht»
I.: Angelsächsische Periode 54—62. Formal- oder
Wettvertrag 54. Mobiliarpfand 54—60. Immobiliarpfand
61-62.
II.: Zeitabschnitt von der normannischen Er-
oberung bis zum Ausgang des Mittelalters 62 — 65.
Formal- oder Wettvertrag 62. Mobiliarpfand 62 — 63. Im-
mobiliarpfand 63—65.
Salta
51-54
54—65
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Erstes Buch
Die angelsächsische Periode
Erster Teil
Der Formal- oder Wettvertrag
Erstes Kapitel
Überblick der Entwickelung
Die germanische Entwickelung 69 — 70. Entwickelung
des Formal- oder Wettvertrags aus Sachhaftung und Personen-
haftung 69 — 71. Das wed (vadium) als Scheinpfand 70 — 71.
Der Bürge 70 — 71. Auslösung des Scheinpfandes 71. Haftung
des Wettgebers und des Bürgen 71. Emanzipierung des
Wettvertrages von der Bürgschaft 71. Der Wettvertrag iin
Iiechtsgang, bei der Beilegung der Fehde und bei der Ver-
lobung: als allgemeine Vertragsform 71. Hingabe der Wette:
Handschlag: Gott-Verbürgung: Eid; Treuversprechen: Wort
und Wette 71 — 75. Einseitige und zweiseitige Verträge 71.
Der Wettvertrag als allgemeine Vertragsform 74. Die Idee
der Selbstbürgschaft des Schuldners 74. Umwandlung des
alten Wettvertrages 75. Das eidliche Versprechen und das
„plcdge of faith“ des späteren Rechts 75 — 76. Überblick der
angelsächsischen Quellen 71 — 76.
/weites Kapitel
Der Formal- oder Wettvertrag in seinen einzelnen Aus-
gestaltungen • .
I.: Im Iiechtsgang 76 — 81. Verhandlungsversprechen
76 — 78. Beweisversprechen 78— 80. Befriedigungsversprechen
(Urteilscrfüllungsgelübnis) 77, 78, 80—81.
llazeltine, Kngllselies Pfandrecht II
Salt«
67—146
69—113
69—76
76—109
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XVTTI
II. : Bei der Beilegung der Fehde 81—87. Formal.
Vorverträge 85. 87. Der gewettete und verbürgte Vertrag be-
treffs des Wergeides 81 — 87. Gelöbnis, dal! der Schirm
(Friede) des Königs bestehen soll 83, 86, 87.
III. : Bei der Verlobung 87 — 93. Die angelsächsische
Verlobung als ein Wettvertrag durch wed und borh zwischen
dem Bräutigam und der Sippschaft oder den Fürsprechern
der Braut, d. h. ein Heiratsvertrag 87—91. Die Ansichten
der Rechtsgelehrten über die rechtliche Natur der alten ger-
manischen Ehe 91 — 93. Die Raubehe bei den Angelsachsen
91. Die Ehe durch Mundkauf bei den Angelsachsen 91. Die
Verlobung (beweddung) und die Trauung (gifta) als die beiden
wesentlichen Akte der Eheschließung nach angelsächsischem
Recht 93.
IV. : Als allgemeine Vertragsform 93 — 97. All-
gemeine Formen des Formal- oder Wettvertrages 93 — 95.
Obligatorische Natur dieser Formen 95. Gegenstand dieser
Verträge 95—96. Verträge, die gegen die guten Sitten'ver-
stoßen 96. Folgen der Nichterfüllung des Pormal-Joder Wctt-
vertrages 96 — 97.
V. : Im Kirchenrecht 97. Das Gelöbnis des Mönchs 97.
VI. : Im öffentlichen Recht 98—109. Der Wett-
vertrag (Gedinge, Gelöbnis) im öffentlichen Recht 98, 106 — 107.
Zweiseitige vertragsmäßige Verbindlichkeiten 107. Einseitige
vertragsmäßige Verbindlichkeiten 107 — 108. Folgen der Nicht-
erfüllung dieser Verträge 108.
Drittes Kapitel
Schuld und Haftung
Saite
109—113
Begründung eineB Schul d Verhältnisses durch den angel-
sächsischen Wettvertrag 109. Die weitere Frage hinsichtlich
der Natur dor Haftung, welche aus dem Formal- oder Wett-
vertrag erwächst 109. Ansichten der Rcchtsgelehrten be-
züglich des alten germanischen Rechts des Kontinentes
109—112. Ob der Wettvertrag in angelsächsischer Zeit
Person albaftung oder Vermögenshaftung oder beides be-
gründete 112. Der Wettvertrag als Grundlage für die eigen-
mächtige Pfändung 112 — 113. Die Ansicht, daß die Hingabe
eines Scheinpfandes beim Abschluß eines Wettvertrages die
Haltbarmachung der Fahrhabe des Schuldners bedeutete 113.
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XIX
Zweiter Teil
Dai Mobillarpfandrecht
Ente» Kapitel
Das genommene Pfand
Pfändung bei den germanischen Völkern 114—116. Pfändung
bei den Angelsachsen 114 — 116. Das Priratpfändungsrecht
als eigenmächtige Selbsthilfe 114 — 116. Gerichtliche Erlaub-
nis Mir Pfändung 114 — 116.
I. : Pfändung von Vieh wegen Schadenzufügung
an Grundstücken 116 — 118.
II. : Pfändung von beweglicher Habe überhaupt,
um die E rfnl 1 un g ei ner Verb in dlichkeit zu erzwingen
118 — 125. $ 1: Pfändung als Selbsthilfe wegen oiner Schuld-
forderung 118—121. Das angelsächsische Priratpfändungsrecht
bei Zivilansprüchcn als begrenzte Selbsthilfe 118 — 121. Die
gerichtliche Erlaubnis zur Pfandnahme 118—121. § 2: Ge-
richtliche Pfändung 122—125. Pfändung im Ungehorsanis-
prozeß 122 — 123. Pfändung im Strafprozeß 123 — 125.
Zweites Kapitel
Das gegebene Pfand
I. : Das freiwillig für eine Schuldforderung ge-
gebene Pfand 125 — 126.
II. : Das gegebene Pfand im Zivilprozeß und im
Strafprozeß 126—133.
Drittes Kapitel
Übersicht des Ergebnisses ... -
L: Das genommene Pfand 134 — 137. Arten der
Pfändung 134. Pfändung ohne gerichtliche Erlaubnis 134.
Pfändung mit gerichtlicher Erlaubnis 134. Wann der Gläubiger
eigenmächtig pfänden darf 134. Die Personen, die der eigen-
mächtigen Pfändung unterworfen werden 134. Eine Ausnahme
zur letzten Kechtsregel 134. Diu Personen, die zur gericht-
lichen Pfandnahme berechtigt sind 134 — 135. Die Personen,
die der gerichtlichen Pfändung unterworfen werden können 135.
II*
Seite
114—139
114-152
125—133
133-139
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XX
Gegenstand der Pfändung 135. Geldbuße. Bürgschaft, Haft
oder Tötung 135—136. Ort der Pfändung 136. Besitz der
gepfändeten Gegenstände 136. Zurücknahme des Pfandes
136 — 137. Das Recht der Realisierung des genommenen
Pfandes 137. Die Pfändung als Zwangs- und Sicherungs-
mittel 137. Das Retentionsrecht 137. Das Verkaufsrecht 137.
II.: Das gegebene Pfand 138 — 139. Das freiwillig
gegebene Pfand als Sicherstellung einer Schuldforderung 138.
Das gegebene Pfand im Prozeß als ein nicht ganz freiwilliges
Pfand 138. Bürgschaft, Buße, Haft 138. Die Personen, die
berechtigt und verpflichtet werden 138. Die Einlösung des
Pfandes 138. Die Realisierung des gegebenen Pfandes 139.
Der Verfall des Pfandes 139.
Dritter Teil
Das lmmoblllarpfandrecht
Erstes Kapitel
Notzpfand
I. : Todsatzung 140. Dio Theorie der Todsatzung 140.
II. : Zinssatzung 141. Die Theorie der Zinssatzung 141.
Zweites Kapitel
Proprietätspfand
Die bedingte Übereignung des Buchlandes zu l’famlzweckcn
141 — 144. Verkauf auf Wiederverkauf 142. Die Hyperocha
143-144.
Drittes Kapitel
Übersieht des Ergebnisses
Nutzpfand und Proprietätspfand 144. Pfand mit Besitz
des Gläubigers 144. Keine Hypothek 144. Dio zwei Arten
des Nutzpfandes: Todsatzung und Zinssatzung 144. Das
Proprietätspfand als eine resolutiv bedingte Eigentunis-
übertragung zur Sicherstellung einer Forderung 144. Das
Einlösungsrecht 144 — 145. Das Pfandrecht des Gläubigers
145. Kein persönliches Recht gegen den Schuldner 145.
Das Proprietätspfand als Verfallspfand 145. Die Idee der
Hyperocha 145.
Seite
139- 145
140- 141
141- 144
144—145
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Zweites Buch
Seite
Die Zeit von der normannischen Eroberung
bis zum Ausgang des Mittelalters . . . 147-305
Erster Teil
Der Formal- oder Wettrertrag 149— lfi4
Die zwei Arten von Verträgen, die zur Jurisdiktion der
geistlichen Gerichte gehören 149. Die drei Vertrags formen,
die vor das weltliche Goricht, das Gericht des gemeinen
Rechts gehören 149.
Ergteg Kapitel
Der alte Formal- oder Wettvertrag 150 — 156
Der Ursprung der tidei interpositio (fiiles facta) oder
pledge of faith als ein Fonnaivertrag in der Zeit der Angel-
sachsen 1150. Die Entwickelung der tidei interpositio durch
die Kirche in der Zeit, die der normannischen Eroberung
folgt 150. Die tidei interpositio oder pledge of faith im
öffentlichen Recht 150 — 152. Die lidei interpositio oder pledge
of faith im Privatrecht 152—153. Die Gerichte des gemeinen
Rechts und eine tidei laesio 153. Die Jurisdiktion der geist-
lichen Gerichte über Kontrakte 153. Die Verletzung der
durch Eid resp. lidei interpositio übernommenen Verpflichtung
153. Das Verbot (prohibition) der weltlichen Gerichte 153 — 154.
Der große Stroit zwischen der Gerichtsbarkeit der Kirche und
derjenigen des Staates 154. Der Formalvertrag nach Kirchen-
recht: 1. Eid und 2. tidei interpositio, die Verpfändung seines
christlichen Glaubens seitens des Versprechenden 155. Einzel-
heiten bezüglich der lidei interpositio oder pledge of faith
155—156.
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xxn
Zweites Kapitel
Der eene Foraalrertrag
Seite
157—164
Die fidei intcrpositio und der Formalvertrag des gemeinen
englischen Rechtes 157. Das klassische englische Vertrags-
recht 157.
L: Der nicht formelle Vertrag (simple contract)
157 — 161. Das klassische englische Vertragsrecht und die
Klagen, genannt: Dcbt, Covenant, Account und Assumpsit
157 — 160. Die Schuldklage (Debt) 157 — 161. Das Draufgeld
(eamest) 159. Die causae debendi 161. Das rein unent-
geltliche Versprechen 161. Die Doktrin des quid pro quo
(„consideration“) 161.
II.: Der Formalvertrag (contract under seal) 162 — 164.
Die Anfänge des Formalvertrages des englischen gemeinen
Rechts, des niedergeschriebenen und gesiegelten Vortrages 162.
Die Klage Writ of Covenant 162 — 163. Die Versiegelung nnd
Übergabe des Pergamentes als die vertragsbindende Handlung
163. Ursprung dieses Formalvertrags der englischen welt-
lichen Gerichte 163. Die ganz allmähliche Entwickelung und
Umbildung des englischen Formalvertrages 163—164. Über-
gang von der Naturwirtschaft der Angelsachsen zur Geld- nnd
Kreditwirtschaft einer späteren Zeit 164.
Zweiter Teil
Das Moblllarpfandrecht 164—201
Erstes Kapitel
Das genommene Pfand 165 — 191
I.: Retentionsrecht. § 1: Pfändung von Vieh
wegen Schaden zu fügung an Grundstücken (distress
for damage feasant) 165 — 167. Die Pfändung als eigen-
mächtige Selbsthilfe 165. Pfand und Bürgschaft (gagc and
pledge) 165 — 166. Vetitium namii (vee de nam) 166. Die
custodia legis 166. Das Retentionsrecht des Grundeigentümers
an den gepfändeten Sachen 166. Der Zwang auf den Eigen-
tümer des Viehes 167. Das heutige Recht 167. §2: Pfändung
wegen nicht geleisteter feudaler Dienste und rück-
ständiger Rente (distress for Services or rent in
arrear) 167 — 190. Die Natur dieser Dienste und Kenten
167—169. Das Recht des Lehnsherrn, das Mobiliar seines
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xxm
Lehnsmannes zu pfänden als das wichtigste Beispiel der
eigenmächtigen Pfändung im englischen Kccht des Mittel-
alters 169. Die gerichtliche Erlaubnis zur Pfandnahme 169
bis 170. Die außergerichtliche Pfändung 171. Die Ansichten
von Bcchtsgelehrten hinsichtlich des historischen Ursprungs
von Mobiliarpfändung für Dienste und Renten im Rückstände
171 — 174. Die Ansicht, daß Pfändung für rückständige Dienste
oder Renten, wie denn überhaupt alle Pfändungen, ihren
Ursprung in dem alten Wettvertrag hat 173. Die Pfändung
als Zwangsmittel 174, 185. Das Recht zu pfänden und das
Eigentumsrecht (proprietär)- right); das Recht zu pfänden
und der Besitz der Dienste und der Renten (seisin of the
Services or rent) 174. Das Recht, von einem Lehnsmann
Dienste zu verlangen oder ihn zu zwingen, seine Rente zu
bezahlen, als eine Sache und zwar als eine solche, welche der
Grundherr besitzen kann (be seised of) 174. Der Lehnsmann
und die widerrechtliche Entziehung dieses Besitzes dem Grund-
herrn (disseisin) 174. Seisin und dissoisin 174 ff. Der Akt der
Pfändung 175. Wann, wo, wie und was darf der Grundherr
pfänden ? 175 ff. Eine angemessene Pfändung (reasonablc
distress) 179. Eine zweifache Pfändung (double distress, rc-
caption) 179. Die Zurücknahme (rescous) des Pfandes 180 ff.
Das Retentionsrecht des Grundeigentümers an dem gepfändeten
Mobiliar und die custodia legis 175, 184 — 185. Die Ver-
weigerung, die Mobilien nach der Bereiterklärung, Pfand und
Bürgschaft (gage and pledge) zu stellen, zurückzugeben, als
ein sehr schweres Vergeben (vetitum namii, vee de naam) 186.
Die Klage auf Znrückgabe der Gegenstände gegen Pfand und
Bürgschaft (placitum de vetito namii, plec de vee, Replevin)
186 ff. Die Gegenpfändung (withernam) 189 — 190.
El: Verkaufspfand 199. Das Vorkaufsrecht als eine
Ausnahme zu Gunsten der Krone 191.
Seite
191—201
I: Einleitung 191—193. Das Mobiliarrecht des Mittel-
alters 191 ff. Die „bailments“ (Fr. baillcr) des englischen mittel-
alterlichen Rechts 191. Die mittelalterliche Verpfändung von
Mobilien (pledge, pawn) als eine Form von „bailment“ 191 ff.
Die Mobiliarverpfändung des Mittelalters als eine solche mit
Besitz des Gläubigers 193. Keine Hypothek 193.
/.weites Kapitel
Da» gegebene Pfand
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XXIV
II: Vcrfallspfand 193—201. Der Akt der Verpfändung
193. Die Verpflichtungen des Pfandgläubigers 194 — 196. Das
Prinzip .Hand wahre Hand' im englischen Mittelalter 196. '
Der Unterschied bezüglich der Besitzfrage zwischen Mobiliar-
verpfändung und Immobiliarrerpfändung zu Glanvills Zeiten
196. Realisierung des Pfandrecht« durch den Verfall des ver-
pfändeten Gegenstandes 197 — 199. Die Verfallsklausel 197
bis 198. Ein auf Billigkeitsprinzipicn beruhendes Verfahren
198 — 199. Verwandlung des mittelalterlichen Verfallspfandes
in ein Verkaufspfand im modernen Recht 199. Verfallspfand
und Verkaufspfand als Arten des Substanzpfandes 199. Die
moderne Mobiliarhypothek mit Verkaufsrecht 199 — 201.
Dritter Teil
Seit«
Das I m moblliarpfaDd recht 201—305
Erster Abschnitt
Pfand mit Besitz des Gläubigers 201—261
Erstes Kapitel
Das Nutzpfand 202—213
I: Verpachtung oder Nutzungsrecht auf Jahre
(sog. „benoflcial lease“) 203 — 204. Zwecke dieser Verpachtungs-
form 203. Unterschied zwischen dieser Verpachtungsform und
der Verpfändung auf Jahre 203 — 204. Wucher 203 —204.
II: Totsatzung (vivum vadium) und Zinssatzung
(mortuum vadium)204— 213. Die Hauptunterschiede zwischen
diesen beiden Formen des Nutzpfandes 204 ff. Die seisina des
verpfändeten Landes 205. Wucher 205 — 206. Erklärung der
Worte mortuum und vivum in ihrer Anwendung auf das Pfand
206 ff. Die Erhaltung der leitenden Grundsätze des reinen
Nutzungspfandes bis auf den heutigen Tag 208 ff. Die Formen
des späteren Nutzpfandes 208 ff. Ausschließung des Verfalles
bei gewissen Formen 211 — 212. Persönliche Haftung des
Schuldners 212. Diu Verpflichtung des Gläubigers zur Rech-
nungsablegung 212—213.
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XXV
Zweites Kapitel
Das ProprietXtspfand
Solto
218—261
I: Übereignung un ter S u spensivbedingung. §1:
Sog. „Glanvillian Gage“ 214 — 232. Das Durcheinander-
bringen von Mobilien und Immobilien in Glanvills Darstellung
des Pfandrechts 214—215. Die Anwendung der von Glanvill
niedergelegten Rechtsregeln 215—216. Die Formen der Glan-
villschen Immobiliarverpf&ndung 216 ff. Pfand mit Besitz des
Gl&nbigera 217 ff. Vivum vadium und mortuum vadium 218 ff.
Die Rechte und Pflichten des Pfandgliubigcrs 219 ff. Die
seisina ut de vadio des Pfandglliubigers 219 ff. Die Rechte
und Pflichten des Pfandschuldners 222 ff. Die Auflösung des
Pfandverhältnisses 223 ff. Die Rechte und Pflichten der Par-
teien bei der Auflösung des Pfandverhältnisses 223 ff. Der
Verfall des verpfändeten Landes 224 ff. Der Vertrag mit oder
ohne Verfallsklausel 225 ff. Ein auf Billigkeitsprinzipien be-
ruhendes Verfahren 225 — 228. Feodum vel vadium 229
Mehrere verschiedenartige Formen der Immobiliarverpfindung
und Kombinationen dieser Formen 231 ff. Das reine Nutzpfand
231. Das Substanzpfand 231. Hinzufügung des Substanz-
pfandes zum Nutzpfande 231. Das Anflergebrauchkommen de
Glanvillschen Pfandes 232. § 2: Sog. „Bractonian Gag
for Years“ 233— 238. Die Verpachtung auf Jahre mit Ver
fallsklausel 233 ff. Nutzpfand plus Substanzpfand 233. Der
Besitzschutz 233 ff. Die Recht« der Erben der Parteien 235 ff
Unterschiede zwischen der Verpachtung auf Jahre als Sicherheits-
leistung nnd dem Glanvillschen Pfände 237—238.
II: Übereignung unter Resolutivbedingung 239
bis 261. Die Übereignung unter Resolutivbedingung (condi-
tional feoffment) als das klassische englische „inortgage“ 239 ff.
Der Verfall des verpfändeten Landes 239 ff. Die Besitzfragc
243 ff., 258 ff. Das englische mittelalterliche mortgage durch
bedingte Belehnung als ein kombiniertes Geschäft 246. Nutz-
pfand plus Substanzpfand (Proprietätspfand, Vorfallspfand) 246.
Die persönliche Klage gegen den Schuldner 246, 247, 259. Das
mortgage eines auf eine gewisse Reihe von Jahren gepachteten
Grundstücks (mortgage for a term of years) 247 — 248. Dio
Hirte der gemeinrechtlichen Regel des absoluten Verfalls am
Stichtage 248 ff. Die vollstindige Umwandlung des klassischen
englischen mortgage durch dio Equity-Geriehte, besonders seit
der Zeit Karls I. 248 ff. „Equity of redemption“ und „decree
of foreclosnre“ 249 ff. Das spätere mortgage als ein Substanz-
pfand (Proprietitspfand, Verfallspfand) 254 ff. Verwandlung
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XXVI
des mortgagc von einem Verfallspfand in ein Verkaufspfand
254 ff. Der Unterschied zwischen dem bedingten Verkauf
(defeasiblc oder conditional sale) und der Übereignung im
Vertrauenswege (trust) 260. Das klassische englische mortgage I
als eine besondere Anwendungsform der gemeinrechtlichen
Doktrin der bedingten Besitzstände (estates upon condition)
261. Das englische mortgage und die römische fiducia 2G1.
Zweiter Abschnitt
Pfand mit Besitz des Schuldners
Seite
261—305
Erstes Kapitel
Belastungen 262—276
1: Lehnsdienste und Renten 262 — 268. Die Belastung
des Landes durch Lehnsdienstc und Renten 262. Ein ding-
liches Recht 262. Das Recht der Pfändung 262 ff. Pfändung
des Mobiliars und des Immobiliars 262 ff. Verfall des Lohns
bei Nichtleistung der Lehnsdienste seitens des Lehnsmannes
263. Das Retentionsrecht 264. Die Klage cessavit per biennium
und der Verfall des Landes 264. Pfändung durch ein Ver-
fahren, bekannt unter der Bezeichnung garelet und der Verfall
des gepfändeten Landes 265 — 267. Das bloße Retentionsrecht,
das Nutzungsrecht, und der Verfall 267. Das Außorgobrauch-
kommen der alten Formen der Jmmobiliarpfändung267. Spätere
Nachahmung gewisser Formen der Pfändung von Land für
rückständige Dienste und Rente 267—268.
II: Gewährleistung (Warranty) 268 — 274. Natur
und Bedeutung der Gewährleistung bei der Übertragung von
Land 268 ff. Gewährleistung als eine dingliche Belastung des
Immobiliars des Gewährleistenden 268 ff. Das writ of cove-
vant, das writ of warrantia cartae, das „vouching to warranty“
270, 271, 273. Belastung des linmobiliars durch ausdrückliche
Gewährleistung (express warranty) und durch stillschweigende
Gewährleistung (tacit warranty) 272 — 273. Warranty im mo-
dernen Recht 273 — 274.
III: Das W ittum (dos) der Frau 274 — 276. Belastung
des Immobiliars des Bräutigams durch eine dos ad ostium
ecclesiae 274 ff. Dos nominata und dos rationabilis 275 — 276.
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xxvn
Zweites Kapitel
Die Hypothek
Hypothek und Kreditwesen 277. Hypothek und Zwangs-
vollstreckungsvcrfahren 277.
1: Die Hypothek zur Sicherstellung von For-
derungen jüdischer Gläubiger (sog. „Jewish Gage")
277 — 284. Eintragung der jüdischen Darlehen und der zu
ihrer Sicherheit gegebenen Pfänder 278 ff. Die jüdische
Hypothek und der feudale Grundbesitz 280. Die Protokollierung
und die Öffentlichkeit 280 ff. Hypothek an gewissen Grund-
stücken 281. Erstreckung der Verpfandung den Worten der
Yerpfändungsurkunde nach auf das gesamte bewegliche und
unbewegliche Vermögen des Schuldners 281. Die Hypothek
am Immobiliar 281 — 282. Die Haftung der Mobilien, die sich
in den Händen des Schuldners befinden; keine Hypothek am
Mobiliar 281—882. Die Schuldklage 282. Die Zwangsvoll-
streckung 282 ff. Die seisina ut de vadio des Gläubigers 282
bis 284. Das Verkaufsrecht 283. Besitz des Landes als vivum
vadium seitens des Gläubigers 284.
II: Die Hypothek zur Sicherstellung von Forde-
rungen kaufmännischer und anderer Gläubiger (sog.
„Recognizances“ und „Statutes“) 284 — 299. Die persön-
liche Klage gegen den Schuldner 284 ff. Die dingliche
Belastung des Immobiliars 284 —285. Die Bedeutung einer
recognizance im Immobiliarrccht und besonders im Immobiliar-
pfandrecht 285 ff. Schuldanerkennungen nach gemeinem Recht
und nach Gesetzesrecht 287 ff. Die sog. „Statutes“ 287 ff.
Die Judikats-Hypothek und die Hypothek durch „recognizance“
oder „Statute“ 288 ff. Das gerichtliche Vollstreckungsver-
fahren 288 ff. Die Eintragung von Schuldanerkennnngen oder
„Statutes“ in die Gericbtsprotokolle 288 ff. Die Erstreckung
der hypothekarischen Belastung auf das Immobiliar, nicht aber
auf das Mobiliar 290 ff. Die Haftung des Mobiliars in den
Händen des Schuldners 294. Die Schuldklage 294. Die Reali-
sierung der Hypothek 295 ff. Übertragung des Besitzes auf
den Gläubiger 295 ff. Das Recht, das der Gläubiger am Lande
bat 295 ff. Das Recht des Gläubigers am Lande als ein
„chattel real“ 296 — 297. Die possessorischen Klagen 296—297.
Tilgung der Schuldforderung aus den Renten und Erträgen
des Landes 296 ff. Wiedererlangung des Besitzes seitens des
Schuldners 297. Summarische Übersicht über das mittelalter-
lichelmmobiliarpfand mit Besitz des Schuldners bis zur Zahlungs-
belte
277-305
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xxv rn
Seite
Versäumnis 297 — 298. Verpfändung bestimmter Grundstücke
oder aber des gesamten Landes des Schuldners 297. Tilgung
der Forderung aus den Renten und Erträgen allein (Nutzpfand);
der Anspruch des Gläubigers auf die Substanz der Pfandsache
(Substanzpfand) 298. Das mittelalterliche Prinzip bei Pfand
mit sofortigem Besitz des Gläubigers und bei Pfand mit Be-
sitz des Schuldners bis zur Zahlungsversäumuis — Nutzpfand
resp. Substanzpfand resp. eine Kombination der beiden 298.
III. : VcrmSgonshaftung und Hypothek 299 — 304. •
Vermögenshaftung und Hypothek nach älterem deutschen
Recht, dem französischen tres ancien droit, dem belgischen
und dem holländischen Recht 299 ff. Die Einsetzung des
ganzen Vermögens für eine Schuld 299 ff. Pfandrecht und
Haftungsrecht 299 ff. Obligatio generalis und obligatio
specialis 300 ff. Vermögenscinsetzung nach englischem mittel-
alterlichem Recht 303 — 304. Pfandrecht und Haftungsrecht
303. Hypothek am Immobiliar 303. Haftung der Mobilien
solange als sie in der Hand des Schuldners sind 308. Obli-
gatio generalis und obligatio specialis 303 — 304.
IV. : Die neuzeitliche Hypothek 304 — 305. Die ver-
schiedenen Formen der heutigen englischen Hypothek 304.
Umbildung des „mortgage*- in eine Hypothek 304 — 305. Das
heutige mortgage als ein solches mit Besitz des Schuldners,
oder als ein solches mit Besitz des Gläubigers 304 —305. Ein-
fluß des Equity-Rechts bei der Umbildung des alten mortgage
zur Hypothek 305.
Anhang
Quellen de» lnimobtllenpf andreehts 307—348
Verzeichnt» der hauptsächlich eftferten Quellen
und Literatur 349—358
Kamen- und Sachregister 359 — 372
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Einleitung
Ha zeit Ine, Englisches Pfandrecht 1
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Die Geschichte des englischen Rechts beginnt mit der Landung
germanischer Seeräuber auf britischem Boden im fünften Jahr-
hundert unserer Zeitrechnung. Es waren die Angeln, die Sachsen
und die Jüten, welche germanische Sitten und Gebräuche vom
Kontinente auf der Insel der Kelten und Römer einführten.
Die Römer hatten bereits die Insel vor der Niederlassung der
Germanen verlassen und das Ringen der eindringenden Germanen
mit den Kelten endigte mit dem Siege der ersteren und dem Ver-
drängen der Kelten in die westlichen und nördlichen Berge. Auf
den Sieg in der Schlacht folgte der Sieg germanischer Institutionen
und des germanischen Rechts. Obgleich im englischen Rechte und
in englischen Einrichtungen späterer Zeiten keltische und römische
Gebräuche und Spuren von Zivilisation aus der Zeit vor den
Römern und Kelten möglicherweise nachweisbar sind, ist es nichts-
destoweniger das vorherrschende germanische Element vom Fest-
lande, das auf die gesamte zukünftige Geschichte des Rechts in
England bestimmend einwirkte. Gestärkt durch weitere germanische
Zuzüge aus Dänemark und der Normandie, ist es dieser feste
Stamm germanischen Rechts, welcher mit der Zeit einen Teil der
Form und auch etwas von dem Geiste des römischen Systems in
sich aufnahm und welcher dessenungeachtet seinen germanischen
Charakter bis auf unsere Tage erhalten hat.
Der Zweck unserer Untersuchung betrifft die Geschichte eines
Zweiges des Privatrechts dieses englischen Rechtssystems, nämlich
des englischen Pfandrechts. Weil nun dieses Pfandrecht mit den
englischen Rechts- und ökonomischen Verhältnissen im Allgemeinen
bis ins Kleinste verwachsen ist, müssen wir vor dieser Besprechung
des Pfandrechts einen, wenn auch nur kurzen Blick auf diese
l*
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4
allgemeine Entwickelung werfen , ganz besonders aber auf das
System des Privatrechts. Wir werden uns zuerst mit der angel-
sächsischen Periode befassen, von dieser auf die Zeit des Mittel-
alters nach der normannischen Eroberung und schließlich zur
Neuzeit übergehen.
Erster Teil.
Die Rechts- und ökonomische Entwickelung
Englands.
Die angelsächsischen Königreiche, welche sich in der neuen
Heimat bildeten, weisen die frühen Rechts- und ökonomischen
Verhältnisse germanischer Völker auf, modifiziert jedoch durch
Zustände, wie solche eine kriegsmäßige Kolonisation des neuen
Landes mit sich brachte. Der König war der Mittelpunkt der
staatlichen Organisation. Die kleinste politische Einheit war die
Dorf- oder Stadtgemeinde (village oder township), eine größere die
Hundertschaft. Die Bevölkerschaft; zerfiel in die zwei Hauptklassen
der Herrschenden (eorls), deren Stand sich vererbte, und der ceorls,
die nur einfache Freie waren. Die Zahlung von Wergeid, der
Beweis durch Eideshilfe (compurgation) und das Gottesurteil
(ordeal)1) waren die hervorragendsten Grundlagen des Rechts-
systems. Die ökonomische Entwickelung wurde wesentlich dadurch
beeinflußt, daß die Angelsachsen ein Ackerbau treibendes Volk
waren, das nicht gewohnt war, in Städten zu leben und sich mit
Handel und Industrie zu befassen. Kreditgeschäfte waren den
Angelsachsen so gut wie unbekannt’).
Das Erscheinen Augustins im Jahre 597 und die Einführung
des Christentums übten einen weitgehenden Einfluß auf die
heidnischen germanischen Stämme aus und dies zeigt klar uud
') Das Nähere über Gottesurteile bei den Angelsachsen siche unten im
ersten Buch.
*) Siehe Gardiner, Hist, of Eng., I, S. 26 — 33; Cunningham and
Mc Arthur, Eng. Industrial History , S. 8— 11, -46 — 49 ; Heymann, Eng-
lisches Privatrecht, Holtzendorffs Encyclopädie (hrsg. von Köhler), I. S. 79G;
Pollock and Maitland, Hist. Eng. Law, II, S. 184; Chadwick, Studies
on Anglo Salon Institutions, S. 76 ff.; Pollock, Expansion of tlie Common
Law, S. 139—158.
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deutlich, wie die Entwickelungen religiöser, ökonomischer und
rechtlicher Verhältnisse unter einander verbunden sind. Die neuen
Beziehungen zum Festlande waren für die Anfänge des Handels
von größter Bedeutung, denn England war nun nicht länger isoliert.
Auch römische Rechtsanschauungen verbreiteten sich und beein-
flußten den Grundbesitz und das Nachlaßrecht1)- Durch den
Einfluß der Kirche entwickelte sich der alte germanische Wett-
vertrag in die fidei interpositio, das Verpfänden des christlichen
Glaubens’).
Die erste Hälfte des neunten Jahrhunderts sah die Ober-
herrschaft Ecgberhts und der Westsachsen über alle anderen
Königreiche. Gleichzeitig machten die Dänen und Norweger
wiederholt Einfälle. Besonders unter Alfred (871 — 901) schlossen
sich die Angelsachsen gegen die ihnen verwandten nordischen
Stämme zusammen; aber nachdem der Friede wieder hergestellt
war, befand sich fast die Hälfte des Landes in den Händen der
Dänen, und da es eher nach dänischem .als nach englischem
Rechte regiert wurde, nannte man es Danelag (Danelaw)5). Ein
fast vollständiges Aufgehen der beiden Völker ineinander erfolgte
jedoch bald4) und unter Eadred (946 — 955) war England unter
einem Herrscher*).
Die Dänen waren bedeutende Seefahrer und tüchtige Kauf-
leute und weckten bei den Angelsachsen, die sich in der Haupt-
sache noch immer mit Landwirtschaft beschäftigten, das Interesse
für Industrie und Handel. Cnuts Herrschaft (1016 — 1035) war
es besonders, die dazu führte, Englands Handelsverbindungen mit
Island, Dänemark und Norwegen zu enveitem. Die ersten eng-
•) Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., I, S. 9, 10, 4G — 49. Siehe
auch Fortescue, De Laudibus Legum Angliae, S. 71.
*) Siehe die späteren Ausführungen.
*) Gardiner, a. a. 0., I, S. 54 — 60: Cunningham and Mc Arthur,
a. a. 0., S. 10, 11; Spence, Origin of the I.aws and Political Institutions of
Modem Europe, S. 234, 235. Siehe auch Glasson, Histoire du droit et des
institutions de rAngleterre, I, S. 18; Holdsworth, History of English
Law, I, S. 3. Über die Danelag siehe aber insbes. Stecnstrup, Norman-
nerac IV: Danelag; Chadwick, Studios on Anglo-Saxan Institutions,
S. 198—201.
4) Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 11.
*) Gardiner, a. a. 0., S. 64.
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6
lischen Städte, in denen diese ökonomische Entwickelung Fort-
schritte aufwies, waren dänische Niederlassungen ').
Der lange Kampf mit den nordischen Völkern hatte in der
Tat tiefgehende Einwirkungen auf die sozialen und politischen
Verhältnisse mit sich gebracht. Besonders war es die Gewalt des
Königs, welche hierdurch ganz bedeutend wuchs, und auch die
Entwickelung der sozialen Stellung des ceorl oder einfachen Freien
zu dem Verhältnis der Leibeigenschaft wurde hierdurch beschleunigt.
Nachdem die Bedeutung der Städte gewachsen war, kam auch die
Einteilung in Grafschaften, d. h. Bezirke größer als die Hundert-
schaften und kleiner als die größeren Königreiche in Gebrauch.
Das witenagemot, eine Versammlung der Weisen des Landes, spielte
um diese Zeit eine wichtige Rolle und übte auch zeitweise ein
Gegengewicht gegen die königliche Macht aus*).
Unter Eduard dem Bekenner trat der normannische Einfluß
besonders hervor und mit der Ankunft Wilhelms des Eroberers
und der Schlacht bei Senlac (1066) begann die Herrschaft der
Normannen in England3).
Obgleich während der späteren angelsächsischen Periode die
englischen Institutionen sich dem Feudalismus zuneigten, war es
Wilhelm der Eroberer, der in England das feudale Prinzip ein-
ftlhrte, daß alles Land der Krone gehöre und von dieser als Lehen
vergeben werde. Im Jahre 1086 mußten ihm alle seine Unter-
tanen, wessen Leute sie auch waren, bei Salisbury den Treueid
schwören und ihn als ihren obersten Herrn anerkennen '), Die
Kronvasallen (tenentes in capite) und die Untervasallen (sub-
tenentes) waren nun in der normannischen Zeit die Großen des
Reichs. An die Stelle des alten witenagemot traten die Hoftage
der Vasallen. Die Regierungsgeschäfte lagen jetzt in den
Händen der vicecomites des Königs, der absetzbaren Vorsteher
der Grafschaften, und in den Händen der Zentralbehörde, zu
der der Exchequer als Finanzbehörde und das zentrale Königs-
') Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., 8. 11, 46 — 49.
*) Sieho Gardine r, a. a. 0., I, 8. G9 — 75. Über die Geschichte der
Grafschaften sieho ferner Chadwick, a. a. 0., S. 202 ff.
*) Siche Gardiner, a. a. 0., S. 86 — 100.
') Williams, Real Property, S. 13, Anm. (r). Siehe auch die woitcr
unten citierte Literatur.
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7
gericht gehörten. Diese Einrichtungen waren normannischer Her-
kunft ').
Die Regierung Heinrichs II. (1154 — 1189) war von großer
Bedeutung für die Entwickelung des englischen Rechts infolge der
Reformen, welche der König angeordnet hatte, denn unter seiner
Regierung wurde das englische Recht von dem ständigen Gerichts-
höfe, den wir eben kennen gelernt haben, einheitlich zusammen-
gefasst und zentralisiert. Fenier wurde unter seiner Regierung
die Einrichtung der wandernden Richter geschaffen, welche das
ganze Land zu bereisen hatten. Weiterhin wurden die Geschworenen-
Gerichte (inquest oder recognition) und das „original writ“ als
üblicher und notwendiger Bestandteil des englischen Rechts-
systems eingeführt*).
Unter der Regierung Heinrichs III. (1216 — 1272) entwickelte
sich das Recht schnell und andauernd; und am Ende seiner Re-
gierung „most of the main outlines of our medieval law have bcen
drawn for good and all; the subsequent ccnturies will be able to
do little more than to fill in the details of a scheme which is set
before tliem as unalterable“ 3).
Mit dem Beginne des dreizehnten Jahrhunderts fing auch die
Entwickelung des „mächtigen englischen Ständestaats“ an. Die
Grundlage hierzu lieferte das angelsächsische Staatswesen und der
normannische Lehnsstaat. Die „ Magna Charta“ ( 1 2 1 5) König J o h a n n s
war der entscheidende Beginn einer Entwickelung , ' die in ihren
Grundzügen unter der Regierung Eduards I. (1272 — 1307) ab-
geschlossen wurde. Das Parlament, bestehend aus einem Oberhaus
und einem Unterhaus, stand neben dem König. Zu den Obliegen-
heiten des Oberhauses gehörte seine Mitwirkung bei der Gesetz-
gebung; außerdem war das Oberhaus der oberste Gerichtshof und
das höchste Beratungsorgan der Verwaltung. Seit Richard I.
war die Mitwirkung des Unterhauses bei Erlaß eines Gesetzes
notwendig. Das Reichsgericht, das Gericht des gemeinen Rechts,
setzte sich zusammen aus dem „Court of King’s Bench“, dem
*) Heymann, a. a. 0., S. 797.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 136, 138. Bctr. weiterer
Einzelheiten s. Brunner, Entstehung der Schwurgerichte: Holdsworth,
History of English Law, 1, S. 112—169.
3) Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 174.
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8
„Court of Common Pleas“ und dem „Court of Excliequer“
Neben dem Reichsgericht stand das Kanzleigericht (Chancery), das
seine Jurisdiktion nach Billigkeitsgrundsätzen (equity) mehr und
mehr auszuüben begann. Die Kirche strebte nach immer größerer
Unabhängigkeit vom Staate; aber die Folge der Reformation war
ihre vollständige Unterwerfung unter den Staat1).
Die ersten zwei Jahrhunderte unter den Normannen und der
Regierung der Plantagenets waren in der Tat Perioden von großer
Bedeutung, besonders wegen der neuen und höchst wichtigen Be-
ziehungen zur übrigen Christenwelt. Selbst der Verlust von Anjou
und der Normandie konnte nicht zur Lösung dieser Beziehungen
führen. Geistige und religiöse Bewegungen Europas machten sich
nunmehr in England fühlbar. Die ökonomische Entwickelung war
jetzt eine ähnliche wie in den anderen europäischen Staaten.
Cunningham und Mc Arthur äußern sich hierüber wie folgt:
„The rise of the religious Orders, the influence of the Crusades,
the growth of municipal life, the devastation of pestilence, the
revival of leaming, the discovery of the New World, the growth
of nationalities, were events which affected the whole of Christen-
dom, and prodneed similar economic results in many lands. And
it was witli the Norman Conquest that England entered for the
first time into the common life of Christian Europe“ s).
Es muß fernerhin berücksichtigt werden, daß die Guts-
herrschaften (manor»), im zwölften Jahrhundert die am meisten
vorkommende Form sozialer Gemeinschaft, mehr und mehr den
Städten als den Mittelpunkten für Handel und Industrie Platz machten.
Dieser Niedergang des gutsherrlichen Systems wurde beschleunigt
durch den „schwarzen Tod“, die große Pestplage des Jahres 1349
und durch den Aufstand der Bauern von 1381, was einen großen
Mangel an Arbeitskräften zur Folge hatte und wodurch es schwer
wurde, das Land nach dem alten Gutsverwalter - System bewirt-
schaften zu lassen. Die Gutsherren begannen ihr Land in kleinere
Güter aufzuteilen und diese gegen bar zu verpachten; hierdurch
') Heymann, a. a. 0., S. 797. Siche auch Gardiner, a. a. 0., I.
S. 173 — 265. Hinsichtlich der verschiedenen Gerichte siche besonders Pollock
and Maitland, a. a. 0., I, S. 153— 156, 189 — 206; Holdsworth, History
of English Law, I, S. 1 — 401.
•) Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 12, 13.
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9
entstand das System der Bewirtschaftung durch Gutspachter, welches
bald seine heutige Form annahm. Auch die Schafzucht war da-
mals sehr lohnend und nahm ständig zu. Noch vor der Refor-
mation hatte das System der Üutsherrlichkeit seine Bedeutung
verloren. Hand in Hand mit seinem Verfall ging das Ver-
schwinden der Leibeigenschaft, obgleich einige der Unznträglich-
keiten der letzteren sich noch bis in die Zeit Elisabeths schwer
fühlbar machten ').
Die Eroberung hatte einen großen Zuzug von Angehörigen
fremder Nationen mit sich gebracht, aber noch vor der Zeit
Eduards I. war dieses neue Element der Bevölkerung in den
angelsächsischen und dänischen Elementen aufgegangen und bildete
mit diesen ein einheitliches Volk mit gemeinsamen Institutionen.
Für das ganze Land war nur ein Parlament vorhanden und im
allgemeinen machte sich eine Festigung des gesamten nationalen
Lebens bemerkbar*).
Hand in Hand mit der nationalen Entwickelung ging auch
eine Festigung des Städtewesens. Wie in der Nation als Ganzem,
so entwickelten sich auch in den Städten freie Institutionen und
ein eigenes organisches Leben. Die Entwickelung der Städte
vollzog sich jedoch unter dem Schutze und der Direktion der Zentral-
gewalt und sie waren daher nicht wie die Städte Deutschlands
und Frankreichs sozusagen unabhängige Staaten. Dieses einige
Zusammengehen und harmonische Anwachsen des nationalen und
Städtelebens, welches unter Eduard I. einen gewissen Abschluß
fand, kam einer weitblickenden fiskalischen und kommerziellen
Politik sehr zu Statten3).
Die Städte waren ins Leben gerufen worden als Mittelpunkte
für den Handel; aber bis zum vierzehnten Jahrhundert waren sie
soweit vorgeschritten, daß sie auch als Mittelpunkte für die In-
') Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 29, 30, 33, 41, 43— 46.
Über den manor 8. ferner Vinogradoff, Villainago in Eng., S. 223 ff.,
und Growth of Manor (8. L. Q. K. Bd. XXI, S. 294).
*) Siehe Stubbe, Medieval and Modern History, S. 149; Cunning-
ham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 13, 24.
s; Cunningham and Mc Arthur, a. a. O., S. 13, 24. Über die Be-
deutung und Stellung des deutschen Städtewesens siehe besonders Gierke,
Das deutsche Genossenschaftsrecht, I, S. 300 — 310.
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10
dustrie gelten konnten; demzufolge setzte sieh die Gilde der
Handelstreibenden aus mehreren Handwerkergilden zusammen. Die
Städte standen zu einander in enger Beziehung. Eine gemeinsame
lex mercatoria war zur Regelung merkantiler Angelegenheiten von
allen Städten anerkannt worden. Oft führte eine Stadt die Ge-
bräuche einer anderen bei sicli ein, auch trieben die Städte Handel
untereinander. Die Art und Weise der Sicherstellung und Ein-
treibung von Fordeningen war in allen Städten so ziemlich dieselbe.
Zur Zeit der Regierung Richards I. waren die Städte die Haupt-
faktoren, welche der Handelspolitik die Richtung vorschrieben ').
Zur Zeit der Tudors (1485 — 1003) waren die Städte jedoch
in Verfall gekommen und in den Hintergrund getreten. Wie die
Guteherrlichkeit (manor) den Städten gewichen war, so wichen jetzt
die Städte der Zentralgewalt. Mit dem fünfzehnten Jahrhundert
begann die Übertragung der Verantwortlichkeit für das Wohl und
Wehe von Handel und Industrie in England auf die Landesregierung 5).
Die Anfänge des nationalwirtschaftlichen Lebens scheinen sich
zum großen Teil auf die Stellung und den Einfluß des Königs zurück-
führen zu lassen. Seit früher Zeit war der König der Mittelpunkt der
Nation und zur Zeit der Normannen war der König und seiu Exche-
quer der Mittelpunkt des gesamten sozialen Lebens. Der König war
der größte Grundbesitzer und auf seine Autorität ist das gesamte
Rechtssystem zurückzuführen. In all den verschiedenen Verhältnissen
des Lebens machte sich der persönliche Charakter und die per-
sönliche Politik des Königs fühlbar. Seine Stellung im Staate war
die einigende Macht, welche „die getrennten, isolierten und unab-
hängigen Elemente in ein Ganzes“ zusammenfaßte *).
Die Krone übte einen direkten Einfluß auf die Industrie des
Landes aus, und besonders die ausländische Politik lag in der
Hand des Königs. Der König war seit Jahrhunderten derjenige,
welcher die wirtschaftlichen Beziehungen zum Festlande leitete.
') Cunningham and Mc Arthur, a. a. O., S. 50 — 52, 54 — fiO. Siehe
ferner Holdsworth, History of English I.aw, I, S. 307 - 313. Siche auch
unsere späteren Ausführungen im zweiten Buch. Giorke, a. a. 0., II, S. 383,
weist darauf hin, daß iin Mittelalter die Rechtsverhältnisse zwischen den
einzelnen .Städten „einen halb völkerrechtlichen Charakter“ haben.
*) Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 29, 59, 60.
3) Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 69.
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11
Offa hatte einen Handelsvertrag mit Karl dem Großen geschlossen.
Die Regierung Cnuts, des Dänen, hatte, wie wir oben gesehen
haben, eine Erweiterung der Handelsbeziehungen zu Island, Däne-
mark und Norwegen zur Folge. Normannische Herrscher und die
Plantagenets erweiterten die politischen und wirtschaftlichen Be-
ziehungen zwischen England und dem Kontinente einerseits und
dem Osten andererseits. Hand in Hand mit diesen Handelsbe-
ziehungen ging die Entwickelung einer bestimmten Handelspolitik.
Diese Politik äußerte sich hauptsächlich in dem Anspomen aus-
ländischer Kaufleute, ihre Produkte einzuführen, um Bedürfnisse,
welchen England selbst noch nicht gerecht werden konnte, zu be-
friedigen. Auf der anderen Seite wurde der Ausfuhrhandel nur insoweit
begünstigt, als dies mit den Interessen Englands im Einklang stand ').
Zusammen mit der Entwickelung dieser Handelspolitik ist
ein Zuzug von Ausländern nach England zu beobachten. Nach
der Eroberung wurden auch die Juden nach England gerufen; sie
lebten in den Urnen angewiesenen Städten und ihre Hauptbe-
schäftigung bestand im Verleihen von Geld gegen Zinsen an den
König und andere. Ein System der Protokollierung beurkundeter
Schuldforderungen (bonds) der Juden und der Verpfändung zur
Sicherstellung solcher Forderungen wurde eingeführt. Die Folge
hiervon war ein schneller Vollstreckungsprozeß bei Zahlungsver-
säumnis des Schuldners und ein freier Kauf und Verkauf von
jüdischen Schuldforderungen. Fremde Kaufleute, besonders solche
aus Italien, kamen herein und die privilegierten Städte (charternd
towns) wurden die Hauptstätten ihrer Handelstätigkeit*). Ein
System ähnlich dem für die Juden eingeführten wurde zur Sicher-
stellung und Eintreibung von Schuldforderungen zu Gunsten dieser
Kaufleute und im Interesse des Handelskredits im allgemeinen
geschaffen. Schulden an Kaufleute sowie an Juden konnten durch
hypothekarische Belastung des Landes sicher gestellt werden’).
Eine große Anzahl Cistercienser Klöster wurde im zwölften Jahr-
hundert gegründet und die Geistlichen pflegten ihre Lieblings-
beschäftigung, die Schafzucht; von Kaufleuten aus Lucca und
') Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 70 — 73.
*) Siche die späteren Ausführungen im zweiton Buch; Pollock and
Maitland, a. a. 0., I, S. 464.
3) Siehe Näheres im zweiten Buch; Glasson, a. a. 0., III, S. 242.
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12
anderen italienischen Städten, sowie aus den Niederlanden wurde
die Wolle aufgekauft '). Auf die Einladung Eduards siedelten
sich flämische Handwerker in England an. Unter Eduard VI.
und Elisabeth kamen Protestanten herein, was dem Handel sehr
von Nutzen war. Die Aufhebung des Edikts von Nancy im
Jahre 1685 hatte eine bedeutende Einwanderung besonders von
Seiden- und Leinewebern aus Frankreich zur Folge*).
Die Aufnahme dieser ausländischen Elemente ftbte einen be-
deutenden Einfluß auf das industrielle und kommerzielle Leben
in England aus. Die Geschicklichkeit der Handwerker nahm zu
und jeder Zuzug vom Auslande war zum Vorteil für das Gewerbe.
Handwerkergilden gab es ohne Zweifel schon kurz nach der nor-
mannischen Eroberung und die Anfänge des Banken- und Ver-
sicherungswesens sind, wie es scheint, auf die italienischen Kauf leute
zurückzufflhren, welche sich in England niedergelassen hatten. Es ist
zum größten Teil dem Einfluß der Juden und Italiener zuzuschreiben,
daß sich mit der Zeit in England ein Übergang von der Natural-
wirtschaft zur Geld- und Kreditwirtschaft vollzog. In der Tat waren
es diese Ausländer, welche wesentlich dazu beitrugen, den Grund-
stein zu Englands industrieller und kommerzieller Größe zu legen3).
Der Einfluß der Zentralgewalt auf Industrie und Handel war
besonders stark seit der Zeit Eduards I.; denn unter Eduards
Regierung wurde das nationale Leben sorgfältig gefestigt. Eduard
strebte nach nationaler Einheit und Macht und nach der Ver-
besserung der nationalen Institutionen; gleichzeitig sah er aber
von Eroberungskriegen ab. Sowohl dem inländischen wie dem
ausländischen Handel wurden die größtmöglichen Erleichterungen
gewährt. Ein neues fiskalisches System wurde eingeführt. Gewisse
Häfen wurden vorgeschrieben, durch welche sich der Handel des
Landes zu bewegen hatte, und die Gesetzgebung sorgte für poli-
zeilichen Schutz der Handelstreibenden. Den Einrichtungen bei
der Sicherstellung und Eintreibung von Schuldforderungen der
Kaufleute, welche sich bisher nach den lokalen Gepflogenheiten der
einzelnen Städte richteten, wurde durch das Statute of Acton
') Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 20.
*) Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0., S. 14, 15.
*) Cunningham and Mc Arthur, a, a. 0., S. 20; und siehe auch
unsere Ausführungen im zweiten Buch.
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13
Burael (1283) ein neuer, einheitlicher und nationaler Charakter
verliehen; diesem Gesetze folgte im Jahre 1285 das noch weiter
gehende Statute of Merchants *)•
Daß die Festigung des Landes und der innem Angelegen-
heiten des nationalen Lebens der Handelspolitik Gelegenheit gab,
sich zu entwickeln, ist fernerhin deutlich zu beobachten unter
der Regierung Eduards III (1327 — 1377). Eduard HI. trieb
eine kraftvolle Auslandspolitik; er scheint von kontinentalen Er-
oberungen und einem großen Handelsreiche geträumt zu haben.
Fremde Kaufleute, immer willkommen in England, solange sie
nützliche Produkte von auswärts einführten und sich auf den
Großhandel beschränkten, waren besonders willkommen unter
Eduard IH. Wolle war der Hauptartikel des englischen Export-
handels im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, und indem
England das Rohmaterial für die flämischen Erzeugnisse lieferte,
trat es früh in Beziehungen zu den Niederlanden. Eduard scheint
sich mit der Absicht getragen zu haben, auch die Fabrikation in
England einzuführen, und ein großer Teil der englischen Wollemte
wurde in England verarbeitet; zu welchem Zwecke Eduard flämische
Handwerker hereinkommen ließ. So kam es, daß die Schifffahrt und
ein großer Teil des inländischen Geschäftes in den Händen von Aus-
ländem war. Stapelplätze, zu welchen alle englischen Produkte be-
fördert werden mußten und in welchen die englischen Kaufleute dem
Handel mit dem Kontinente obzuliegen hatten, wurden von Eduard
wieder ins Leben geraten und organisiert. Diese Konzentration des
Handels in den Stapelplätzen brachte zu jener Zeit fiskalische und
kommerzielle Vorteile mit sich. Unter anderem war es möglich,
dem Kaufmanne Rechte und Privilegien zu verleihen, so z. B. die
Schaffung der Möglichkeit mit Hilfe eines einfachen Rechtsmittels
seine Forderungen sicher zu stellen und einzutreiben. Von ganz
besonderer Bedeutung war in der Tat die Schaffung einer speziellen
Form der Hypothek auf Grundbesitz, um Ansprüche von Kaufleuten
in den Stapelplätzen gegen ihre Schuldner sicher zu stellen*).
') Siche Näheres unten im zweiten Buch; Cunningham and Mc Arthur,
a. a. 0., S. 74.
*) Siehe Näheres im zweiten Buch; Brodhurst, The Merchants of
the Staple, L. Q. B., XVII, S. G7; Cunningham and Mc Arthur, a. a. 0.,
S. 14, 25, 2f>, 74—77.
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14
Dieser so kraftvoll durchgeführten Politik zur Befriedigung der
wirtschaftlichen Bedürfnisse des englischen Volkes unter Eduard III.
folgte eine Reaktion unter seinem Nachfolger. Diese Reaktion
fand die Unterstützung des Parlamentes und die Billigung der
Krone; immerhin war der Einfluß der Politik Eduards mit Bezug
auf die Städte, welche Stapelplätze waren, ein dauernder. Die
lokalen Verwaltungen waren nunmehr durch die Landesregierung
so ziemlich ersetzt worden. Das Streben ging jetzt dahin, den
Handel des Landes von den Märkten (fairs) und aus den Händen
der Ausländer in diejenigen der englischen Kaufleute und auf
deren Wohnplätze zu übertragen. Unter der Regierung Richards H.
sehen wir in der Tat die Anfänge des „Mercantile System“.
Dieses politische und ökonomische System wurde jedoch erst unter
den Tudors (1485 — 1603) mit Bedacht ausgebaut und durchge-
führt1).
Wir ersehen also die allmähliche Entwickelung von der
Naturalwirtschaft zur Geld- und Kreditwirtschaft, den Fortschritt
vom landwirtschaftlichen Leben der Angelsachsen zum National-
und Städteleben mit seiner Industrie und seinem Handel, wie uns
solches in den Jahrhunderten, welche der Hereinkunft der Dänen
und Normannen folgten, entgegentritt. Die zeitige Entwickelung
eines starken Königtums, einer starken Zentralgewalt, übte einen
hervorragenden Einfluß auf die gesamte spätere Geschichte des
Rechts und der Nationalökonomie. Diese Zentralgewalt schob dem
Überhandnehmen lokaler Gebräuche und feudalen Rechtswesens
einen Riegel vor, sie sorgte dafür, daß die Städte zur Verfolgung
der nationalwirtschaftlichen Zwecke beisteuerten. Ihre Politik be-
zweckte eine Förderung der Industrie und des Handels; sie hatte
das gemeine Recht und Billigkeitsrecht und ihr stand hinreichend
Macht zur Verfügung, die Urteile der Gerichte vollstrecken zu
können. Es war das gemeine Recht, welches im Mittelalter vor-
herrschte, während in der Neuzeit das Billigkeitsrecht prädominierte.
Dieser Sieg des Billigkeitsrechts über das gemeine Recht hat einen
fast vollständigen Umschwung in der Rechtstheorie und Rechts-
l) Cuuningham awl Mc Arthur, a. a. 0., 76— 81.
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15
praxis zur Folge gehabt. Mit einer der Phasen dieser allgemeinen
wirtschaftlichen und Rechtsentwickelung seit der Zeit der Angel-
sachsen bis auf den heutigen Tag haben wir uns in der gegen-
wärtigen Abhandlung zu befassen. Es ist dies die Geschichte des
Pfandrechts. Ein vorheriger kurzer Überblick über das System
des englischen Privatrechts wird uns dies leichter verständlich
machen.
Zweiter Teil.
Das englische Privatrecht.
Erstes Kapitel.
Bestandteile des englischen Privatrechts.
Von gewissen Rechtsgelehrten ist behauptet worden, daß
keltisches Recht und keltische Institutionen die germanischen Er-
oberungen überdauert hätten und ein wesentlicher Teil des eng-
lischen Rechtssystems geworden seien. Wir beabsichtigen nicht
anf eine Besprechung dieser Behauptung der keltischen Schule
einzugehen, sondern möchten nur in kurzen Worten so genau wie
möglich feststellen, welche Bestandteile des englischen Rechts
germanischen Ursprungs sind und welche dieser Bestandteile auf
das römische und kanonische Recht zurücbgeführt werden können.
I. Germanisches Recht1).
Nach der Ansicht von Pollock und Maitland*), die auch
heute bei den Rechtsgelehrten die vorherrschende ist, „the English
laws have bcen formed in the main from a stock of Teutonic
customs, with some additions of matter, and considerable additions
or modifications of form received directly or indirectly from the
Roman system. Both the Germanic and the Romanic elements
have been constituted or re-inforced at different tiines and from
different sources ..."
Germanische Gebräuche und Einrichtungen kamen zuerst nach
England durch die verschiedenen Eroberungen Britanniens durch
*) Näheres betr. der germanischen Qnellcn des englischen Rechts siehe
weiter unten.
>) Hist. Eng. Law, I, S. XXX.
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16
germanische Völker, wie Angeln und Sachsen, die sich dort nieder-
ließen, was dann später die Errichtung des englischen Königreichs
zur Folge hatte. Ein zweites germanisches Element kam durch
die dänischen Einfälle herein. Es ist möglich, daß das von
Wilhelm dem Eroberer eingefuhrte normannische Recht auch
skandinavische Rechtsbestandteile enthielt, wennschon natürlich
das normannische Recht jener Zeit in der Hauptsache fränkisch
war1). Ein drittes germanisches Element, das fränkische, begann
ungefähr zur Zeit Karls des Großen Eingang in England zu finden,
jla die Könige von Mercia und Wessex von der Zeit Karls des
Großen bis zur Zeit der normannischen Eroberung freundschaft-
liche Beziehungen zu den fränkischen Königen unterhielten’),
und Institutionen wie die Ordalien-Liturgie aus dem Rechtsleben
der Franken übernahmen. Unter Wilhelm dem Eroberer und
anderen normannischen Königen übte das normannische und da-
mit auch das fränkische Recht einen sehr wesentlichen Einfluß
auf das englische Recht aus; das anglo-normannische Recht ist
im wahren Sinne des Wortes die „Tochter des fränkischen Rechts“
und die Originalität der Gesetzgebung Heinrichs n. darf daher
nicht überschätzt werden 3). Somit sehen wir, daß drei große
■) Brunner, Geschichte der Französischen, Normannischen und Eng-
lischen Hechtsquellen, Holtzcndorffs Encyklop&die der Rechtswissenschaft
(1890), 8. 324, 330; Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. XXX.
*) Brunner, a. a. 0., S. 330; Pollock and Maitland, a. a. 0., I,
8. XXX, XXXI.
*) Siehe Brunners Itezcnsiun der ersten Auflage von Pollock and
Maitland’s History of English I.aw, Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Band
XVII, Germ. Abt., S. 125, 126; Brunner, Entstehung der Schwurgerichte,
8.38 — 41, 76 ff., 99 ff., 129 ff. und 144: Brunner, Gosch, der Franz., Norm,
und Engl. Rechtsquellen, Holtzcndorffs Encyklop&die (1890), 8. 324, 325,
333— 347; Stubbs, Eng. Const. Hist., I, S. 6, 11; Pollock and Maitland,
a. a. 0., I, S. XXX, XXXI, 94, Anm. 2; Thayer, Evidence at the Common
Law, S. 48, 55. Thayer, a. a. 0., S. 55: „Up to Glanvill the English law
was constantly fructiiied from the Norman“. Brunner am zuletzt citierten
Orte 8. 329: „Die Satzungen der Angelsachsen nehmen in der Geschichte
des englischen Rechts dieselbe Stellung ein, wie die Volksrechte in der
der übrigen deutschen Stimme. Wenn zwar dio selbständige Entwickelung
des angelsächsischen Rechts durch die normannische Eroberung abgebrochen
wurde, so hat es sich doch zum Teil neben den normannischen Neuerungon
erhalten und mit ihnen in die geschichtlichen Grundlagen der heutigen
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17
germanische Elemente zur Bildung des englischen Rechts bei-
getragen haben, nämlich das rein angelsächsische, das skandi-
navische und das fränkische.
In England und Amerika herrscht erfreulicherweise heutzu-
tage in Bezug auf die Rechtsgeschichte und die vergleichende
Rechtswissenschaft das wachsende Bestreben, die alte Methode,
das englische Recht als eine abgeschlossene Welt für sich zu be-
trachten, aufzugeben und seine Verwandtschaft mit dem deutschen
Mutterrechte zu studieren. Man macht sich die germanistische
Forschung der letzten drei Jahrhunderte zu Nutze, um das englische
Recht zu erklären und es in seinem wahren historischen Lichte
zu zeigen. Selbst deutsche Rechtsausdrücke werden in die englische
Rechtssprache eingeführt '). Das germanische Recht übt daher in
unseren Tagen einen Einfluß auf das englische Recht und das
Rechtsstudium aus, welcher mit den Jahren noch mehr zuzunehmen
verspricht. Es ist zu hoffen, daß die englischen und amerikani-
schen Juristen die deutsche Systematik sorgfältig studieren werden.
II. Römisches und Kanonisches Recht.
Die Frage, bis zu welchem Grade das römische System, d. h.
das römische und das kanonische Recht, das englische Recht be-
einflußt hat, ist eins der kompliziertesten und schwierigsten Pro-
bleme der englischen Rechtsgeschichte; für den vorliegenden Zweck
onglischcn Staats- und Rechtsverfassung geteilt Zu diesem praktischen
Gesichtspunkte kommt noch ein theoretischer. Der Reichtum der angel-
sächsischen Gesetzgebung in dem halben Jahrtausend vor AEthelberht bis
auf Wilhelm den Eroberer, der rein deutsche Charakter des Rechts, das
vom römischen Rechte gar nicht, vom kanonischen nur in sehr geringem
Maße beeinflußt wurde, die deutsche Gesetzes- und Urkundensprache, welche
in Deutschland selbst orst im dreizehnten Jahrhundert die lateinische zu
verdrängen begann, und endlich die ununterbrochene Reihe der Rechts-
quellen, welche anderwärts zwischen dem neunten und dreizehnten Jahr-
hundert eine schwer auszufiillende Kluft aufweisen, — all diese Umstände
stellen die angelsächsische Gesetzgebung in die erste Reihe der Erkenntnis-
quellen des germanischen Rechts“.
') Siehe Brunner, Zeitschrift der Sav. Stift., Band XVII, Germ. Abt.,
S. 125; Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. XXXVI: „Wbat is more, in the
Works of Kreuch and German medievalists tboy [Knglishmeu] will nowadays
lind many an invaluable hint for the solutiun of specifically Emrlish problcms*.
llazeltlne, Englisches Pfandrecht -
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müssen wir uns mit einer kurzen Betrachtung dieses Einflusses
begnügen.
Römisches Recht war in Britannien wahrend der Zeit der
römischen Okkupation in Kraft. Papinian, der größte aller
römischen Juristen, sprach Recht nach römischen Prinzipien am
priitorischen Gericht zu York unter der Regierung von Septimius
Severus1). Es ist jedoch von verschiedenen Rechtsgelehrten die
Behauptung aufgestellt worden, daß das römische Recht und römische
Institutionen nicht nur nach dem Abzüge der Römer aus Britannien
im Anfänge des fünften Jahrhunderts weiter existiert haben, sondern
daß sie auch die germanische Eroberung Britanniens durch die
Angeln und Sachsen überdauert und in beträchtlichem Grade zur
Schaffung des englischen Rechtssystems beigetragen haben8). Es
mag zugegeben werden, daß einige Wahrscheinlichkeit dafür vor-
handen ist, daß im siebenten und neunten Jahrhundert römisches
Recht in englischen Klöstern studiert wurde, und daß gewisse
Stellen in den Gesetzen der Angelsachsen eine Bekanntschaft mit dem
römischen Rechte aufweisen8); immerhin scheint dies eher eine Be-
kanntschaft mit dem kanonischen als mit dem römischen Rechte zu
sein4); wenn man fernerhin berücksichtigt, daß die Behauptungen
wenigstens einiger Juristen der englischen Schule, welche diese Ansicht
des Überdauerns des römischen Rechts nach der germanischen Erobe-
rung vertreten, der Beachtung wert erscheinen, so scheint diese Schule
doch einen wirklichen Beweis zur Unterstützung ihrer Behauptung
nicht beigebracht zu haben. Was immer im englischen Rechte
•) Holland, Civil Law, Rcnton's Encyclopacdia, III, S. 3G, 38; Ainos,
Civil Law of Home, S. 443.
8) Bericht über dio Ansichten dieser Schule, nebst Kritik derselben bei
Scrutton, Influcncc of the Roman Law on the Law of England, S. 1 — GG.
8) Savigny, Geschichte, II, S. 167 — 170; Holland, a. a. O., III,
S. 38, 39. Siehe auch Spence, Equitablc Jurisdiction, I, S. 17 — 80.
*) Siehe oben S. IG, 17, Amn. 3, Citat Brunner. Pollock and Mait-
land, a. a. 0., I, S. XXXII: „And, in point of fact, tlierc is no trace of the
laws and jurisprudencc of imperial Rome, as distinct from the precepts and
traditions of the Roman Church, in the carliest Anglo-Saxon documents.
Whatover is Roman in them is ecclesiastical. The danger of arguing in
these matters from a merc enumeration of cuincidences ha» alrcady been
pointed ont. with rcfercnce to the attempt, in our opinion, a substantially
similar one, to attribute Knglish law to a Celtic origin“.
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römischen Ursprungs ist, läßt sich durch die Einführung vom
Kontinente nach der Ankunft der Germanen erklären1).
Der erste indirekte Einfluß des römischen Rechtssystems auf
das germanische Recht in England wurde durch die römische Kirche
in den Tagen Sankt Augustins und seiner Nachfolger ausgeübt5).
Etwas später dagegen, von der Zeit Karls des Großen an,
begannen die englischen Könige, wie wir bereits gesehen haben3),
freundschaftliche Beziehungen zum fränkischen Hofe zu unter-
halten; auf diese Weise wurden dann Bestandteile des römischen
Rechts, welche bereits in dem Rechte und der Praxis der Franken
verkörpert waren, nach England gebracht. Hierhin gehören die
lateinischen Charters oder Landbücher des Codex Dip'lomaticus,
welche bei den Angelsachsen bei Übertragung von Land und bei
der Schaffung sowohl von Proprietiitspfand wie Nutzpfand an
Immobilien in Gebrauch waren4).
■) Savigny, Geschichte, II, S. 170, 171: Holland, a. a. O., III, S. 38,
39; Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. XXXI, XXXII. Vergl. die An-
sicht von Ainos, a. a. ()., S. 443, 444: „Nevcrtheless, it is rcinarkable timt,
from the time of the withdrawal of the Romans tu thc complcte scttlemcnt
of thc Normans, a periud of some seren hundred ycars . theru is scarcely
to be found any token of the influcncc or of the knowledge of Koinan law.
The Roman influcncc seems to have expired suddenly in Britain, in a way
uh ich is not witncssed in those countries where the Roman govcmment
was mercly displaced by the governments of the barbarians. Thcrc was
no secondary influence of the Theodosian Code and of the great jurists of
the Antonine age through Iiarbarian Codes; and thc diffusion of thc Justininn
Compilation could not cxtend to Britain. Tlius, though it is probable that
Roman ideas and institutions really surrived in one form or anothcr to an
extcnt which has not yct bcen traced, yct distinct allusions to Roman law
are, throughout the whole period, as rare as possible, . . .“
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. XXXII. Maitland, Traill’s
Social England, 2. Aull., I, S. 173: „From the days of AKthelbert onwards
Englieh law was under the influence of so much of Roman law ns had work-
ed itself into thc tradition of the Catholic Church“. Siehe ferner unsere
Bemerkungen über die Entwickelung des angelsächsischen Wettvertrages,
unten im ersten Buch.
*) Sieho oben S. 4 ff.
4) Siehe unsere Ausführungen im ersten Buch; Brunner, Zur liochts-
gesch. der röm. und gcrm. Urkunde, S. 194 — 198; Scrutton, a. a 0., S. G5;
Pollock and Maitland, a. a. 0., 1, XXXII, XXXIII. Maitland, a. a. 0.,
I, S. 173: „The written conveyancc was introduccd along with Ohristianity:
Jr
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Die normannische Eroberung brachte noch weitere römische
Elemente; denn die Rechte und Institutionen der Normannen waren
in der Hauptsache fränkisch und schlossen an römischen Rechts-
bestandteilen alles das in sich, was die Franken bereits sich zu
eigen gemacht hatten').
Eine andersartige Übernahme erfolgte mit der Wiederauf-
nahme des Studiums des römischen Rechts in Italien, wie solches
in den Justinianischen Büchern vorgefunden wurde. Dieser neue
Einfluß des römischen Rechts auf das englische Recht begann mit
der Zeit, als der Rechtsgelehrte Lanfranc*) von Pavia von
Wilhelm dem Eroberer als „Vertrauter Berater“ nach England
gerufen wurde. Ungefähr im Jahre 1144 ließ Theobald, Erz-
bischof von Canterbury, den römischen Juristen Vacarius, sowie
einige Rechtsbücher, letztere wahrscheinlich aus Bologna, nach
England kommen. Vacarius lehrte römisches Recht, und es wird
angenommen zu Oxford. Er schrieb auch ein Buch, wahrscheinlich
um 1149, zum Gebrauch für arme Studenten, welche nicht in der
Lage waren, sich den römischen Text zu beschaffen. Ein Abriß
des Codex Justinians, erläutert durch Auszüge aus den Digesten,
war lange Zeit unter dem Titel „Liber Pauperum“ rühmlichst
bekannt; ferner schrieb er Abhandlungen über Theologie und
kanonisches Recht5). Nach nicht allzu langer Zeit wurde Vacarius
to all seeming AEthelbert himself began thc practice of ,booking‘ land.t to
the churchcs . . . For thc more part they [land books] are written in Latin ,
and they wcre fashionod after Italian modelt: but at the samc time wo can
sec that thosc modelt havc bccn barbarisud and misunderstood ; thc English
scribcs pervert thc ncat dcviccs of Ruinan lawyers“.
') Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. XXXIII.
*) Über Lanfranc's juristische Oarrierc siehe einen Artikel von
William Hunt in Dictionary of National Biography, XXXII, S. 83 — 83
und die dort citiertcn Quellen.
3) Liebermann, Magister Vacarius, Eng. Hist. Review, XI., S, 305 bis
314, 514, 515 (siehe Liebermann, Vacarius: A Correction, E. H. K., XIII,
297); Holland, a. a. 0., III, 8. 39; Pollock and Maitland, a. a. 0., I,
S. XXXIII, XXXIV, 118, 119. Maitland, Magistri Vacarii Summa de
Matrimonio, S. 3, sagt daselbst, daß „in all probability he camc to England
as early as 1148, and was living here as lato as 1198“. Größere Teile des
„Liber Pauperum“ sind veröffentlicht von Wenck in seinem Magister Va-
carins (Leipzig, 1820). Eine Besprechung des Liber Pauperum ist zu linden
bei Savignv, Geschichte, III, S. 47C, 477, 488: IV, 422—430. Pollock
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•21
das Lehren von Stephen untersagt und der Besitz römischer Rechts-
bücher wurde als strafbar angesehen. Nichtsdestoweniger wurden
aber bald das römische und das kanonische Recht in England
mehr und mehr studiert und in Oxford erstand eine blühende
Schule für beide Rechte. Auch kamen einige wissenschaftliche
Originalarbeiten in England zustande. Z. B. sind die Erläute-
rungen des Vacarius wiederum durch seine Schüler glossiert worden.
Ein Handbuch über den Gerichts prozeß wird dein William
Longchamp zugeschriebon ’). Der Kanoniker Richardus Angli-
cus, der mehrere Bücher schrieb, darunter Ordo judiciarius
und Distinctiones super Decretis*), war ein Engländer.
William of Drogheda lehrte römisches Recht zu Oxford und
schrieb Libellus de judiciorum ordine5). Englische Könige
folgten dem Beispiele des Eroberers und hielten sich Juristen,
welche in den beiden Rechten bewandert waren, als Ratgeber*).
Der Einfluß des römischen Rechts tritt in der Literatur des ge-
meinen Rechts zu Tage, so bei Glanvill, Bracton, Flcta,
and Maitland. a. a. 0., I, S. 119, Anm. 2, sagen, daß ein ausführlicher
Bericht über ein zu Worcester befindliches Manuskript desselben bis jetzt
noch nicht gegeben wurde. Hierüber und über andere unveröffentlichte
Manuseriptc des Vacarius s. Liebermann, Magister Vacarius, Eng. Hist.
Kev., XI, S. 314. Betreffs Vacarius’ Traktat über das Eherccht, siehe Mait-
land, Magistri Yacarii Summa de Matrimonio, L. Q. 14., (1897). Über Va-
carius und seine Zeitgenossen in England und Frankreich siche Savigny,
Geschichte, IV, S. 411 - 443. Die wichtigste der neueren Forschungen über
Vacarius ist die oben citiortc von Liebcrmann. Siehe auch Stubbs, Eng.
Const. Hist., (1897), I, S. 532: Stubbs, Lcctures, (1900), S. 138, 157-161,
348 —353: Holland, The Origin of the University of Oxford, E. H. II., VI,
S. 243, 244.
') Liebermann, E. H. K., XI, S. 310, 31 1 ; Hollan d, a. a. 0., III,
S. 39; Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 118—122: t'aillomer, Lc
Droit Civil dans les Provinees Anglo-Normandes au XIle Siede, S. 15 bis 50.
„Practica legum et Decretorum, edita a Magistro W. de Longo Campo“, wird
herausgegeben von Caillemer, a. a. 0., S. 50 — 72. Eine ausführliche Be-
schreibung von Longchamps Laufbahn ist zu finden in Stubbs’s Einleitung
zu Chronica Magistri liogeri de Houedene, Band III.
*) Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischcn
liechts, I, S. 183 — 185.
*) Schulte, a. a. 0., II, 8. 113.
*) Siehe Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S, 121, 122.
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Britton'). Von der Ankunft des Vacarius bis zur Mitte des
dreizehnten Jahrhunderts — etwas Aber ein Jahrhundert — wurde das
englische Recht von der neuen Strömung römischer Rechtsgelehrsam-
keit „geformt und modifiziert“. Das römische System, ganz besonders
aber das Recht Aber Zivilprozesse trug zur rationellen Entwicke-
lung des englischen Rechtes bei. „Z. B. wurde das ,assize of
novel disseisin1 durch die actio spolii angeregt, doch ist es
nicht die actio spolii selbst. Das englische Recht zeigte sich
stark genug, fremde Ideen sich zu eigen zu machen und dieselben
seinen eigenen Zwecken anzupassen. Eine Gefahr für eine
, Rezeption1 des römischen Rechts in großem Maßstabe war nicht
vorhanden. Seit den Tagen zu Clarendon ist es klar, daß wir
eine Menge consuetudines haben, welche gegen die leges und
canones aufrecht erhalten werden müssen. Bei den Richtern
des Königs, besonders bei solchen, die Geistliche waren, wurde
das Interesse fAr die Aufrechterhaltung eines Systems wach, das
sie ganz und gar ihr eigen nennen durften. Von Zeit zu Zeit
versuchten es die Gelehrtesten unter ihnen, sich eine ausländische,
d. h. italienische Akkuratesse und Eleganz zum Muster zu nehmen;
') Siche Güterbock, Henrieus de Bracton und sein Verhältnis zum
römischen Kecht: Maitland, Bracton and Azo (Seid. Soc.); Thaycr, a, a. 0.
S. 418, Anm. 3; Scrutton, a. a. 0., S. 74 — 124; Hollan d, a. a. O., III, S. 39.
Muitlanjd, a. a. O., S, XXIII, XXIV: „Nor is it for one moment suggested,
tliat Bracton and bis predecessor Glanvill derived no bonetit from the books
of the legists and canonists. On the contrary, the benefit that they derived
was inestimably great. They leamt how to write about, how to think about,
law, and besides this they acquired sowie fertile ideas, distinctions and
uiaxims, which they made their own and our own. In a very true sense
Bracton is most Bonian, not when he is copying from the Institutes or from
Azo’s Summa, but when he is studying his Note Bock, when he is weaving
a dnetrine out of tho plea rolls, when he is dealing with the jndgments
of Pateslmll and Haleigh as Azo had dealt with the opinions of lllpian and
Paulus, or the glosses of Martin and Placentin. It is then that wo sce
what tho revived jnrisprudcnce of Borne has done for Knglish law“. Siehe
ferner Maitland, a. a. 0., S. 250; Maitland, Bracton’s Note Book.
Scrutton a. a. 0., S. 194: „Bracton’s great treatise contains much Bonian
matter and tcrminology , but his knowledgo of the civil law was only that
of every clerical jtldge, (and they were many), of his Century*. Pollock
and Maitland, a. a. 0., I, S. 207, schließen, daß Bracton’s Buch zum größten
Teil „Komanesque in form, Knglish in substance“ ist.
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23
sie entliehen Ausdrücke und Definitionen und gelegentlich sogar
Rechtsregeln; doch durfte ein Zwang von aussen her nicht statt-
finden. Die Gesetze des römischen Reichs als solche waren in
England ausser Kraft; das kanonische Recht hatte seinen eigenen
Wirkungskreis und mußte sich auf diesen beschränken').“
In der Tat muß es eine der wichtigsten Fragen in der
englischen Geschichte sein, warum der schnellen und kraftvollen
Flut römischen Einflusses im frühen Mittelalter eine „ebenso
schnelle Ebbe“ folgte1). Trotz dieser Abnahme blieb aber ein
gewisser Einfluß des römischen Rechts auf das englische Recht
und die englische Rechtsliteratur bestehen und dieser Einfluß hat
sich mit einigen Unterbrechungen bis auf unsere Zeit erhalten3).
Unter Alberico Gentili (gegen Ende des sechzehnten Jahr-
hunderts) machte sich zu Oxford ein Aufleben des Interesses für
das Studium des römischen Rechts bemerkbar, doch gegen die
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte man, wie es schien, das
akademische Studium des römischen Rechts vollständig aufgegeben
und es wurde tatsächlich erst in unseren Tagen wieder auf-
') Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. XXXIV, 134, 135. Sieht)
Stubbs, Medieval and Modern Historv, S. 349. Eine interessante Streit-
frage hat sich vor Kurzem in England darüber erhoben, ob die englischen
geistlichen Gerichte vor der Reformation gezwungen waren, nach dem kano-
nischen Rechte zu urteilen. Die herrschende Ansicht ist, daß „the authorily
given to the Corpus Jnris Canonici in practice was rather of the nature of
scientific jurisprudence than of recognized acccpted and enacted law“.
Siehe Stubbs, Lectures, S. 335—383, über .The Historv of the Canon Law
in England“. Eine andore Ansicht, kürzlich von Prof. Maitland in seinen
Schriften „Roman Canon I.aw in the Church of England“ (1898) und „Canon Law
in England: A Reply to Dr. Mac Coli“, E. H. R., XVI, S. 35 — 45 (1901) aus-
gedrückt, geht dahin, dali das kanonische Recht — wenigstens Liber Extra,
Sextus und die Clcmentinen — nicht nur Beachtung gefunden hatte, sondern
von den geistlichen Gerichten in England als „absolutely binding statutory
law“ angesehen wurde. Siehe hierüber Stubbs, Lectures, (1900), S. 335,
336 und Mac Coli, The Reformation Settlement (1901). Siehe auch Mait-
lands Abhandlung über „Canon Law“, Renton’s Encyclopaedia, II, S. 354
bis 359: Holdsworth, History of English Law, I, S. 352 ff. Vcrgl. unten
S. 25, Anm. 2.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. XXXIV. Scrutton, a. a. 0.,
S. 194: „The Roman Law became not only a subjoct of distrust, owing to
the conflicts between King and Pope; it even dropped into oblivion“.
*) Siehe Scrutton, a. a. 0.
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24
genommen1). Das englische Recht war widerstandsfähig genng,
die Periode der Renaissance zu überdauern und von einer Rezeption
des römischen Rechts verschont zu bleiben, letzteres hauptsächlich
durch das Lehren des englischen Rechts in den Inns of Court*).
Bereichert durch das römische System, ist das englische Recht
trotzdem englisch geblieben und ist auch jetzt noch ein besonderes
System für sich.
Diese Befruchtung des englischen Systems durch römische
Prinzipien ist auf verschiedene Weise vor sich gegangen. Selbst
Richter an den Common Law Courts, den Gerichten, welche, wie
wir soeben gesehen haben, zuerst von dem direkten Einfluß des
römischen Rechts befreit wurden, haben sich bei ihren Entschei-
dungen von römischen Prinzipien beeinflussen lassen, ganz be-
') Holland, a. a. 0., III, 8. 40, 41. Holland, a. a. 0. weist hin auf
,tlie Stimulus given to the intelligent study of Roman law, and to its appli-
cation to the then rudimentary law of nations, by the teaching at Oxford
of Alberico (Jentili, who had brought thither the solid leaming and systematic
methods which he had himsclf acquired from a distinguished group of
Professors at Perugia“. Holland spricht von einem „marrcllous revival*
des Studiums des römischen Hechts an den englischen Universitäten und in
den Inns of Court während des letzten Viertels des neunzehnten Jahrhunderts.
*) Maitland, Knglish Law and the Renaissance, S. 35, sagt daselbst,
dali .Knglish law Schools saved, but isolated, Knglish law in the days of
the Keccption“. Und S. 26 — 28: . . . . no Knglish institutions arc morc
distinctivcly Knglish than the Inns of Court: of none is the origin morc
obscure . . . Unchartered, unprivileged, unendowed, without remembered
founders, these groups of lawyors fonned themsclvcs and in course of time
cvolved a scheine of legal education: an academic schcme of the medieval
sort, oral and disputatious. For good and ill that was a big achicvemcnt:
a big achievement in the history of some undiscovered continents. We may
well doubt whether aught eise could have saved Knglish law in tlie Age of
the Renaissance. VVhat is distinctivc of medieval England is not parliament,
for we may evcrywhere see assemblies of Estates, nor trial by jury, for this
was but slowly suppressed in France. But the Inns of Court and the Year
Books that wlicre read Hierein, we shall hardly lind their likc elsewherc. At all
ovents let us notice that where I.ittleton and Fortescue lectured, there Robert
Rede lecturcs, Thomas More lcctures, Edward Coke lectures, Francis Bacon
lecturcs, and highly tecbnical were the lecturcs that Francis Bacon gave.
Now it would, so I think, be difficult to conceive any scheuie better suited
to harden and toughen a traditional body of law than one which, whilo books
were still uncommon, compelled every lawyer to take part in legal edn-
cation and every distinguished lawyer to read public lcctures“.
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25
gonders vielleicht Holt und Mansfield1 * * *). Scrutton sagt be-
züglich der Schriften der gemeinrechtlichen Juristen, z. B. Coke,
Haie und Blackstone, „while there is knowledge of the Law
of Korne, there is also a clear definition of its position, as of no
force in England, unless as adopted by the English law, or in
particular courts where its authority was recognized by English
jurisprudence“ *). An jenen Gerichten aber, welche eine besondere
und streng abgegrenzte Jurisdiction hatten, wie die geistlichen
Gerichte, das Gericht des Lord High Admiral, das Gericht des
Constable and Marshai, die Gerichte der zwei Universitäten Oxford
und Cambridge, hatte das römische System „freies Spiel“, wenn-
schon sie von den beiden Gerichtshöfen zu Westminster an jedem
Versuche zu größerer Machtentfaltung verhindert wurden5). Der
bedeutendste Einfluß des römischen Rechts aber bei der Bereiche-
rung des Rechts in England seit den Tagen Bractons ist vielleicht
zu ersehen in der Entwickelung des Systems des Equity Law (im
Gegensatz zum Common Law) bei dem Court of Chancery, wo
von den reichen Quellen des römischen Rechts freier Gebrauch
gemacht wurde*).
Es liegt jenseits des Zwecks der gegenwärtigen Forschung,
einen Versuch zur Feststellung jener Regeln und Institute des
l) Siebe Holland, a. a. Ü., III, S. 39, 40; Scrutton, a.a.0., S. 152-195.
*) Scrutton, a. a. O., S. 194. Haie, History of the Common Law,
S. 24, 25: „Hut all the strength that oitber the papal or imperial laws have
obtained in this kingdom, is only because they have been receivod and ad-
mitted, cither by the consent of p&rliamcnt, and so aro part of the Statute
laws of the kingdom; or eise, by immemorial usago and custom in somc
particular cases and conrts, and no otherwise. And tbereforc, as far as
such laws are received and allowed of herc, so far they obtain and no
farther; and the authority and force they hare herc is not founded on, or
derived front themselves. For they bind no more with us than our laws
bind in Home or Italy. But their authority is founded merely on their
being admitted and received by us, which alone gives them their autorita-
tive essence, and qualiiies their Obligation“. Vergl. oben S. 23, Anm. 1.
*) Siche die oben Anm. 1 citierte Literatur. Vgl. auch Ho lds worth,
History of English Law, I, S. 313 ff.
*) Siehe Scrutton, a. a. 0., S. 152 — 1G2; Spenco, Equitablc Juris-
diction; Kerly, An Historical Sketch of the Kquitable Jurisdiction of the
Court of Chancery. Uber die Geschichte des Court of Chancery siehe auch
ferner Holdsworth, History of English Law, I, S. 194 — 2G3.
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englischen Reehtssysems zu machen, welche in ihrem Ursprünge
auf das römische oder kanonische Recht zurückzuführen sind.
Dies Gebiet der Rechtsgeschichte verlangt eine ausführliche Be-
handlung und eine solche würde uns zu weit führen1).
Zweites Kapitel.
Das objektive Recht.
Das objektive Recht zerfällt in folgende Hauptabteilungen:
I. „Statute law“ (Gesetzesrecht), „common law“ (Gewohnheitsrecht)
und „conventionary law“ (lex contractus) und H. „common
law“ (gemeines Recht) und „equity“ (Billigkeitsrecht)9).
I. a) Statute law (Gesetzesrecht). Dies ist derjenige Teil
des Rechts welcher durch Gesetze festgelegt ist. Einzelne Statutes
haben eine höchst wichtige Rolle in der englischen Rechtsgeschichte
gespielt (z. B. die zwei Statutes of Westminster, das Statute of
quia emptores, das Statute of Merchants und das Statute of
Uses), obgleich eine Koditizierung niemals vorgenommen wurde.
b) Common law, gemeines Recht im Sinne des Gewohnheits-
rechts *), hat zur wichtigsten Erkenntnisquelle die Praxis der Ge-
*) Außer der in diesem Kapitel citierten Literatur siehe ferner über
den Einfluß des römischen und kanonischen Hechts auf das englische Recht:
Gundermann, Englisches Privatrecht, S. 91 — 109: Duck, De Usu et
Authoritate Juris Civilis Romanorum in Dominiis Principum Christianorum,
Lib. 2, Cap. VIII — X: [Coote], Sketches of the Lives and Characters of
Eminent English Civilians; und die Literatur bei Scrutton in „Influcnce
of the Roman Law on the Law of England“. Es sollte nicht unterlassen
werden, die Behandlung dieses Gegenstandes bei Pollock and Maitland,
History of English Law, in Betracht zu ziehen.
’) Die Bezeichnung „Common Law“ ist auf dreierlei verschiedene Weise
zu verstehen: 1. im Gegensatz zu „Statute Law“, 2. im Gegensatz zu „Equity“
und 3. im Gegensatz zum römischen Rechtssystem : im letzteren Sinne schließt
das Common Law das Equityreclit in sich. Digby, Hist. Real Prop., S. 65,
Anm. 2. Cher den Gebrauch der Bezeichnung „common law“ (ins commune,
lex communis, commun droit, commune lei) im Gegensatz zu anderen
Rechtsausdrüeken in englischen mittelalterlichen Quellen siche besonders
Pollock and Maitland a. a. 0., I, S. 176—178. Über „written law“ und
„unwritten law“ s. Pollock, Jurisprudcnce, S. 233 — 240: über „common law“
(jus commune) und „special law“ (jus speciale) siehe Salmond,
Essays, S. 90—99.
3) Siche Pollock, Jurisprudcnce, S. 240 — 243, über „common law“ als
„custom of the realm“. Vgl.Pollock, Expansion of the Common Law, S.44Ü.
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richte (Entscheidungen, Präjudizien, — decisions, prccedents).
In der Tat sind die Entscheidungen der (Jerichte der Hauptfaktor
in der Entwickelung des Rechts gewesen, obgleich im neunzehnten
Jahrhundert die Bedeutung der Gesetzgebung in bemerkenswertem
Grade zugenommen hat. Die drei alten Gerichtshöfe des common
law (gemeinen Rechts) waren: King’s Bench, Common Pleas und
Exchequer. Zu dem gemeinen Gewohnheitsrecht (general customs,
common law) kommt noch das partikuläre Gewohnheitsrecht (par-
ticular customs); dies ist teils „local custom“, Observanz (z. B.
das „custom of gavelkind“ in Kent, wonach alle Söhne erben,
nicht nur der älteste), teils das von einzelnen Spezialgerichtshöfen
(z. B. den geistlichen Gerichten, der Admiralty) ausgebildete, für
einzelne Personenklassen oder Materien geltende Recht (z. B. die
lex mercatoria so lange und soweit sie einen besonderen Teil
desjenigen Rechts verkörperte, welches vom bürgerlichen Recht
verschieden war, ein Zustand, der nicht mehr existiert). Particu-
läre Gewohnheiten derogieren gemeinem Gewohnheitsrecht und sind
strikt auszulegen; dagegen dringen sie gegen ein general Statute
überhaupt nicht durch ').
c) Convention ary law (lex contractus) war im Mittel-
alter derjenige Teil des Rechts, der aus dem Abschluß von Ver-
trägen sich ergab. Gleich dem Gewohnheitsrecht derogierte nach
Ansicht der Juristen des Mittelalters ancli ein Vertrag dem ge-
meinen Recht, d. h. ist special law. Sahnond äußert sich hierzu
wie folgt: „In our early law an agreement was, in general, rc-
garded not as title conferring rights or creating obligations at
common law, but as itself the origin of a rule of special law
excluding the common law, just as a local custom did. Again
and again we find the expression specialis conventio contra
jus commune*). So: Modus tenendus est contra jus
commune et contra legem, quia modus et conventio vin-
cunt legem*). This idea is, indeed, the origin of the term
specialty, as applied to a deed. The term expresses the idea of
special law as opposed to common law; a deed, as evidence of
') Heymann, a. a. 0., S. 801, 805, 806. Vgl. ferner Pollock, Ex-
pansion of the Common Law, S. 47 IT., 117 ff.
*) Bracton , f. 48 b.
*) Bracton, f. 17b.
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28
such a nile of special law, came tn he calleil a special ty: Es-
pecialte qc defet comune droit“1). l)a das gemeine Recht
einem Fremden das Recht absprach, einen tenant zur Verrichtung
von Diensten zwingen zu können, so hatte ein Vertrag, der zu
Diensten an Fremde verpflichtete (z. B. die Schaffung eines rent-
charge) die Priorität vor dem gemeinen Recht, contra jus com-
mune. Jedoch wurde nicht jedem Vertrage die Qualifikation
einer neuen Rechtsregel des special law, durch welche das ge-
meine Recht ausser Kraft gesetzt wurde, zuerkannt. Da z. B.
das gemeine Recht anerkannte, daß mit dem Lehen auch Dienste
verbunden waren, die Bestimmung über die Art dieser Dienste
jedoch einem Vertrage zwischen dem Grundherrn und dem Lehns-
manne überließ, so wurde ein solches Abkommen über Lehnsdienste
(„rent-service“) als eine Ergänzung, nicht aber als eine Derogation
des gemeinen Rechts angesehen*).
II. „Common law“ bedeutet ebenfalls gemeines Recht zum
Unterschied von „Equity“ (Billigkeitsrecht). Das Common Law
im Sinne des gemeinen Rechts setzt sich in der Hauptsache aus
den Rechtsregeln und Prinzipien zusammen, welche sich bei dem
alten Königsgericht und seinen drei Unterabteilungen, dem Court
of King’s Bench, dem Common Pleas und dem Exchequer ent-
wickelt haben3). Equity dagegen bedeutet jene Gesamtheit von
Rechtsregeln und Prinzipien, die sich beim Kanzleigericht in der
Ausübung seiner billigkeitsrechtlichen Jurisprudenz entwickelt
haben. Jede Gesamtheit von Rechtsregeln ist ein Teil des eng-
lischen Rechts, jedoch ist der Ursprung der Regeln des Equity-
rechts viel späteren Datums als derjenige des gemeinen Rechts,
dessen Uranfänge in den alten Gebräuchen des Landes zu suchen
sind. Gleich dem römischen Billigkeitsrecht des Praetors diente
auch das englische zur Milderung der Härte eines alten und
strengen Rechtssystems; jedoch wurde in England die Gerichtsbarkeit
nach Billigkeitsrecht von einer besonderen Gattung von Gerichten,
deren oberster der Court of Chancery war, ausgeübt. Mit der
Zeit erwarb der Court of Chancery genügend Macht, um seine
') Y. B., 4 Ed. II, 102.
*) Salmond, a. a. 0„ S. 93, 94. Siehe auch Salmond, Jurisprudence,
(1902), S. 41, 42, 103, 105, 109, über „conventional law“.
*) Williams, Beai Property, S. 9, Anm. (c).
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Urteile vollstrecken zu können, selbst wenn sie im Widerspruch
mit dem gemeinen Recht waren ; und die Regeln des Equityrechts
wurden so bindend und genau so vollziehbar durch die Voll-
streckungsgewalt des Staates, wie die Regeln des gemeinen Rechts.
Wie sich vom König als der Urquelle aller Rechtssprechung
die Jurisdiction des gemeinen Rechts ableiten läßt, so läßt sich
von ihm auch diejenige des Court of Chancery herleiten '). Vor
der Entwickelung des Equityrechts des Königlichen Kanzlers
pflegte in der Tat das alte Königsgericht, das Gericht des gemeinen
Rechts, eine Art Equity-Gerichtsbarkeit auszuüben; als Beispiel
sei hier angeführt das billigkeitsrechtliche Verfahren, welches dem
Pfandgeber zu Glanvills Zeiten das Einlösungsrecht nach dem
Stichtage (vgl. „equity of redemption“) gewährt, dem Pfand-
gläubiger derselben Zeit aber das Recht, eine Verfallserklärung zu
erwirken (vgl. „decree of foreclosure“) zuspricht*). Ungefähr im
zweiundzwanzigsten Jahre der Regierung Eduards III. (1348)
wurden Gnadengesuche an den König dem Kanzler zur Erledigung
überwiesen; nach dieser Zeit scheinen Petitionen auf Abstellung
von Mißständen, gegen welche das gemeine Recht nicht einzu-
schreiten vermochte, statt an den König und seinen Rat, an den
Kanzler direkt gerichtet worden zu sein. Zur Zeit James I. wurde
vom König ein für alle mal bestimmt, daß das Equitygericht auch
nach ergangenem Urteil seitens des Common Law-Gerichts und
entgegen diesem Beistand gewähren konnte. Hierdurch wurde die
Gerichtsbarkeit nach Billigkeitsrecht für das Kanzleigericht end-
gültig eingeführt s). Das Verfahren des Equitygerichts wich von
demjenigen des Common Law ab; einige seiner wichtigsten grund-
legenden und auffallendsten characteristischen Merkmale leitete es
von dem Verfahren des kanonischen Rechts her4). Das Verfahren
*) Williams, a. a, 0., S. 9, Anrn. (o), 158, 159. Siehe ferner Brunner,
Entstehung der Schwurgerichte, S. 37, 7G, 104, 147, 151, 152; Gundermann,
a. a. 0., S. 376; Lord St. Leonarda, Property Law, S. 3—9; Stubbs, Eng.
Const. Hist., I, S. 421, 422, 472—476: Pollock, Expansion Com. Law, S. 67 ff.
*) Siche Näheres unten im zweiten Buch.
s) Williams, a. a. 0., S. 159, 160.
4) Ashburner, Principlcs of Equity, S. 28 (unter Citierang Lang-
dell’s Einleitung zu seiner „Summary of Equity Picading“); Williams,
a. a. 0., 8. 160, 161; Heymann, a. a. 0., 8.801. Vgl. Köhler, Beiträge
zum Civilprozeß, S. 584 ff.
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des Billigkeitsgerichts richtete sich gegen die Person, gegen
welche Klage geführt wurde. Der Beklagte wurde aufgefordert, vor
Gericht zu erscheinen und sich zu verantworten und es wurde ihm
befohlen, sofern es für nötig befunden wurde, davon abzustehen,
seine Rechte, die ihm nach dem gemeinen Rechte zustanden, aus-
zuüben, wenn solche Ausübung gegen die Prinzipien des Billig-
keitsrechts verstieß. Rechtsprechung nach Equity wurde nur vom
Kanzleigerichte und anderen Billigkeitsgerichten ausgeübt, da das
Gericht des gemeinen Rechts einen Anspruch auf Beistand nach
Billigkeitsrecht nicht anerkannte. Zwischen dem Gerichtsverfahren
nach Equity und demjenigen nach Common Law bestand insofern
ein großer Kontrast, als nach Equity u. A. das Verhör von nur
einem Richter ohne Jury vorgenommen werden konnte und indem
es die Naturalerfüllung (specific performance) und das gerichtliche
Verbot (injunctions) zuließ. Bei Urteilen nach gemeinem Recht
handelte es sich meist um die Zurückgabe von Grundstücken oder
einfach um Geld '). Rechtsprechung nach Equity wurde frühzeitig
dort ausgeübt, wo die Partei ein gutes Recht auf Beistand hatte,
die Rechtsmittel des Common Law jedoch nicht ausreichten, und
erst nach und nach entwickelte sich eine Jurisdiction nach Equity -
recht, welche in gewissen Füllen Rechtsschutz verlieh, wo das
gemeine Recht überhaupt nichts bieten konnte und wo daher eine
allzugroße Strenge obwaltete. Zwei der wichtigsten Beispiele der
Equity - Jurisdiktion sind der Rechtsschutz im Falle von Ver-
trauensbruch (breach of trust) und nach späterem Equityrecht der
dem Pfandschuldner gewährte Rechtsschutz zur Venneidung des
Verfalls bei Nichtzahlung der Schuld am Stichtage; aus der letzteren
Jurisdiktion entstand das „equity of rederaption“, das Einlösungs-
recht am Pfand, welches nach gemeinem Recht verfallen war5).
Die Übertragung von Besitz an eine Vertrauensperson (trust) und
die Pfandverschreibung (mortgage) sind im heutigen englischen
Recht zwei der wichtigsten Kapitel der Institution des Billigkeits-
rechts *). Erst kurz vor der Wiedereinsetzung Karls II. wurde das
') Siehe Ashburncr, a. a. 0., S. 3—7; Williams, a. a. 0., S. 160, 161.
Über das Verhältnis des Equity zum Common Law s. Ashburner, a. a. 0.,
S. 12-24.
s) Williams, a. a. 0., S. 161, 162. Siehe auch Näheres im zweiten Buch.
*) Siehe unten und Ashburner, a. a. 0., 8. 113— 222, 257 — 320.
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Billigkeitsrecht zu einem auf festen Prinzipien, welche auf Grand
früherer Entscheidungen aufgestellt worden waren, beruhenden
System zusammengefaßt. In der Tat basiert das heutige Billig-
keitsrecht in großem Umfange auf den Entscheidungen des Kanzlei-
gerichts aus der Zeit der Amtstätigkeit der Kanzler beginnend mit
Lord Nottingham (1073 — 1682) bis herunter auf Lord Eldon
(1801 — 1806, 1807 — 1827). Equity war nunmehr „eine Gesamt-
heit von Rechtsfällen geworden und seine Gerichtsbarkeit wurde
ausgeübt nach den Prinzipien früherer Entscheidungen, die jedoch
moralisch nicht mehr beeinflußt werden durften“. Im Jahre 1875
hörte das alte Kanzleigericht zu existieren auf. Durch die Judi-
cature Acts aus den Jahren 1873 — 75 wurde die Jurisdiction
dieses Gerichts zusammen mit derjenigen der alten Courts of Common
Law auf ein neues Gericht übertragen , 'nämlich auf den High Court of
Justice. Gemäß diesem neuen Gesetze soll Recht gesprochen werden
sowohl nach Common Law wie nach Equity in allen Abteilungen dieses
neuen Gerichts und vor dem Appellationsgerichte (Court of Appeal),
welches zur selben Zeit geschaffen wurde. Im Falle eines Konflikts
zwischen den Regeln des gemeinen Rechts und denjenigen des Equity-
rechts soll das Equityrecht die Priorität haben. Die beiden Systeme des
gemeinen Rechts und des Billigkeitsrechts sind daher seit 1875 zwar
nicht aufgehoben, werden aber beide von demselben Gerichte an-
gewandt. Der Effekt der Judicature Acts soll nicht der sein, eine
Änderung in der Natur der subjektiven Rechte nach Billigkeit
(equity rights) als solcher, die denen nach Common Law (legal rights)
entgegenstehen, herbeizuführen, sondern es soll durch die Juris-
diction nur eines Gerichts dieselbe Priorität der equity rights über
die legal rights, wie sie früher beim Kanzleigerichte allein existierte,
gesichert werden *)• Einige der leitenden Grundsätze des Systems
der Billigkeit sind ihrer Natur nach germanisch; und der ausschlag-
gebende Kontrast zwischen dem gemeinen Recht und dem Billig-
keitsrecht besteht in dem Gegensatz zwischen Volksrecht und
Amtsrecht. Gerade dieses System der Billigkeit, dieses jus
honorarium ist es gewesen, welches es dem englischen Recht
’) Siche Williams, a. a. 0., 8. 1G3 — 165. Über die Judicature Acts
siehe Maitland, Justice and Police; Ashburner, a. a. O., S. 18 — 24;
Heyinann, a. a. O., S. 803; Pollock, Kxpansion Cum. Law, 8 116.
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ermöglicht hat, sich weiter zu gestalten, indem es sich den
wachsenden Bedürfnissen einer neuen Zeit und ihren Ansprüchen
anpaßte l).
Drittes Kapitel.
Rechtsschutz.
Unter Rechtsschutz nach englischem Recht verstehen wir
I. Selbsthilfe und II. ein Klagesystem.
I. Selbsthilfe. In der Angelsächsischen Zeit finden wir, daß
Selbsthilfe zum Schutze der Rechte des Individuums eine wichtige
Rolle spielt*). Besonders tritt sie auf als a) Privatpfändung von Vieh
wegen Schadenzufügung an Grundstücken und b) als Pfändung
von beweglicher Habe überhaupt, um die Erfüllung einer Ver-
bindlichkeit zu erzwingen. Auch im letzteren Falle ist die Pfändung
Selbsthilfe, wenn ihr auch dadurch, daß sie an eine gerichtliche
Erlaubnis geknüpft ist, gewisse Grenzen gezogen sind*). Im
dreizehnten Jahrhundert ist das englische Recht jedoch so streng
„gegen jede Selbsthilfe, daß sogar die Selbstverteidigung rechtlich
so gut wie unmöglich ist“. Die Anschauung jener Zeit war die,
daß Selbsthilfe der Feind des Rechtes sei, und daß sie in der Tat
eine Geringschätzung des Königs und seines Gerichts in sich
schließe, und dieser Gedanke ist es u. A., der die Basis zu dem
energischen Besitzschutz in jener Zeit bildet. Im späteren Mittelalter
wurde das Recht jedoch weniger streng gehandhabt und bis auf den
heutigen Tag gestattet dasselbe Selbsthilfe bis zu einem gewissen
Grade*). Die mittelalterliche Privatpfändung wurde besonders an-
gewandt, wenn es sich darum handelte, jemand zur Verrichtung von
Diensten oder zur Zahlung der Rente zu zwingen oder um Ent-
schädigung für durch Vieh angerichteten Schaden zu erzwingen5).
') Siche Heymann, a. a. 0., S. 801, 802. Vgl. Pollock, Jurispru-
doncc, 8. 243—245.
*) Siehe Schuiid, fiesetze der Angelsachsen, s. v. Selbsthilfe. Über
Selbsthilfe im deutschen Rechte siche (iierke, Deutsches Privatrecht, I,
S. 335 351.
*) Siehe die Ausführungen im ersten Buch.
*) Pollock and Mailland, a. a. O., II, S. 574. Vgl. Nichols, Rritton,
I, S. 288.
s) Siehe im zweiten Buch das Nähere.
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33
II. Das Klagensystem. In der Zeit des Mittelalters entwickelte
sich allmählich ein Klagensystem '), mit welchem die Entwickelung
des Privatrechts eng verbunden war. Dieses Klagensystem ist nicht
römischen Ursprungs, obgleich es in vielen Punkten mit dem
römischen Formularsystem verglichen werden kann 2). In der Tat
war es gerade dieses in England entstandene Formularsystem,
welches in den folgenden Jahrhunderten „das stärkste Bollwerk
gegen eine Romanisierung bildete und unser englisches Recht von
allen seinen Schwestern trennte“. Hören wir, was Pollock und
Maitland hierüber schreiben: „The English peculiarity is this,
that in the middle of the twelfth Century the old, oral and tra-
ditional formalism is in part supplanted and in part reinforced
by a new, «Titten and authoritative formalism, for the like of
which we shall look in vain elsewhere, unless we go back to a
remote stage of Roman history. Our legis actiones give way
to a formulary System. Our law passes under the dominion of
a System of writs which llow from the royal Chancery. What has
made this possible is the exceptional vigour of the English King-
ship, or, if we look at the other side ot the facts, the exceptional
malleableness of a thoroughly conquered and compactly united
kingdom“ *).
Im alten königsgerichtlichen Prozeß wird das Verfahren durch
Mandate (writs, brevia) aus der Kanzlei des Königs eingeleitet
(bre via originalia) und fortgeführt (brevia iudicialia). Diese
qrevia entsprechen nicht den römischen formulae, sondern viel-
mehr den indiculi commonitorii, de iustitia, inquisitionis
') Dio beste Beschreibung dieses Klagensysteins in der neueren Hechts-
literatur ist diejenige von Pollock and Maitland, a. a. 0., 11, 8. 558 bis
573. Siehe auch bes. Fitiherbert, Natura Brevium : Stearns, Real Actions:
Arnes, H. L. H. II, 1,53, 111,23, 313, 337, VIII, 252, XI, 277, 374: Mait-
land, H. L. H. 111,97. Ifi7, 212; Maitland, Three ltolls of the King’s
Court in the Reign of King Richard the First (Pipe Roll Soc.), Introduction,
S. XXXII — XI., auch beachte inan, was er S. XXXII betr. der Klagen dor
Pfandgläubiger und Pfandschuldner sagt. Über die Entstehung des englischen
Klagen Systems siehe besonders Brunner, Entstehung der Schwurgerichte.
rl Die Klage cessavit per biennium wurde aus dem römischen
System übernommen. Siehu Näheres unten im zweiten Buch. Siehe ferner
Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 559, Anm. 4.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 558 — 561: Heymann
a. a. 0., S. 806.
Haieltine, Englisches Pfandrecht 3
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34
des fränkischen Reichsrechts (Brunner). Die Klage wird durch
das breve originale individualisiert. Die Kanzlei durfte, nach
dem zweiten Westminsterstatut von 1285, in consimili casu
neue brevia (writs) aufstellen; iin übrigen sollte das Parlament
neue brevia schaffen. Die Rechtslehre beruht zum größten Teil
auf den zahlreichen brevia. Beim Billigkeitsgericht (court of
Chancery) wurde der Prozeß durch Bill, bezw. bei Kronsachen
durch Information, Bittschriften mit einer formlosen Angabe der
Klagetatsachen eingeleitet ').
Im englischen Recht werden die Klagen eingeteilt in ding-
liche Klagen (real actions) und persönliche Klagen (personal actions),
sowie gemischte Klagen (mixed actions); diese Einteilung hat ihre
Grundlage in dem nach germanischer Anschauung vorhandenen
Gegensätze zwischen Immobiliargut und Fahrhabe. Real actions
unterscheiden sich von personal actions nicht durch die Verschieden-
artigkeit der Natur des Rechts, welches sie verteidigten, wie dies
der Fall war bei den römischen actiones in rem vel personam,
sondern durch die Verschiedenartigkeit der Natur der Rechtshilfe,
welche diese Klagen gewährten, a) „Real actions“ waren nach
englischem Rechte solche Klagen, auf Grund deren der Kläger
die Wiedererlangung eines freien Besitztums, aus welchem er
ungerechterweise vertrieben worden war, nachsuchte und wo sich
die Zwangsvollstreckung direkt gegen die geforderte Sache richtete
(in rem). Zu den wichtigsten dieser real actions gehörten die
alten petitorischen und possessorischen Klagen, Grundstücke be-
treffend, (writ of right, writ of novel disseisin u. s. w.) und ihre
Nebenklageformen, die Patronatsklage (actio quare impcdit),
sowie die Wittumsklagen (writ of dower, writ of right of dower,
writ of dower unde nihil habet); aber die meisten dieser Klagen
kommen jetzt nicht mehr zur Anwendung*), b) „Personal actions“
wurden gegen den Beklagten persönlich vorgebracht, um Schaden-
ersatz zu erlangen für Verletzung eines Rechts, für Kontrakt-
bruch oder für Zufügung eines Unrechts5). Die personal actions
') Heymann, a. a. 0., S. 806. Über das writ in consimili casu,
siehe Carter, History of Euglish I.egal Institution«, S. 277—283.
*) Williams, a. a. 0., S. 23 — 25; Heymann, a. n. 0., S. 807.
3) Williams, a. a. 0., S. 24, 25. Vgl. Heymann, a. a. O., S. 807.
Siehe Neubecker, Der abstrakte Vertrag, S. 20, 21.
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35
vor dem Gericht des gemeinen Eechts bezogen sich nur auf
Schadenersatz, nicht auf die direkte Wiedererlangung einer Sache,
die dem Kläger unrechtmäßiger Weise von dem Beklagten entzogen
worden war. Das Equitygericht konnte jedoch in einigen Fällen
anordnen, daß der Gegenstand in natura wieder abgeliefert werde,
und dieses Prinzip des Equityrechts ist heutzutage verallgemeinert ').
Die hauptsächlichsten personal actions sind: action of debt, covenant,
assumpsit, detinue, trover, trespass, trespass on the case. Von diesen
sind die trespass-Klagen Deliktsklagen („ actions oftort“ im Gegensatz
zu „actions ofcontract“); die actions of detinue und trover versehen
bis zu einem gewissen Grade die Funktionen der Mobiliar-Vindi-
cation*). c) „Mixed actions“ waren Klagen, auf Grund deren
Schadenersatz beansprucht wurde unter gleichzeitiger Forderuug
auf Zurückgabe des Grundstücks selbst (real property). Die
wichtigste der mixed actions war die „action of ejectment“, jetzt
in anderer Form bekannt unter der Bezeichnung „action for the
recovery of land“. Ursprünglich war diese Klage bloße Schadens-
klage, doch hat sie seit dem siebzehnten Jahrhundert die alten
Realklagen auf Herausgabe von Grundstücken verdrängt5).
Die alten real und mixed actions, welche das gemeine Recht
den freeholders zuerkannt hatte, wurden 1833 abgeschafft, da das
Rechtsmittel des tennors auf Besitzentziehung, die action of eject-
ment, wie bereits erwähnt, in seiner neuen Form unter der Be-
zeichnung „action for the recovery of land“ bekannt, auch auf
freeholders ausgedehnt worden war4). Im Laufe des neunzehnten
Jahrhunderts trat eine radikale, wenn auch allmähliche Reform des
Klagensystems ein. Die spezielle Individualisierung der Klagen ver-
mittelst besonderer und genau abgegrenzter b re via (writs) wurde
fallen gelassen. Seit 1875 ist zur Einleitung einer Rechtssache
weiter nichts nötig, als ein Ladungsmandat in der Form eines
allgemein gehaltenen, vom Gericht ausgegebenen „writ of summons“.
’) Siehe Williams, Personal Property, S. 18 — 20; Williams, Real
Property, S. 24, 25; Hey mann, a. a. 0., S. 807.
s) Siche Nenbecker, a. a. 0.. S. 20, 21: Heymann, a. a. 0., S. 807;
Williams, Personal Property, 8.6 — 27.
s) Williams, Real Property, S. 24, 64, Anm. (g) ; II e y m a n n , a. a. 0.,
S. 807.
41 Williams, Real Property, S. 64, Anm. (g).
3*
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36
Es ist notwendig, daß der Kläger in diesem writ of summons seine
Ansprüche geltend macht (indorsment of claim), in anderen Worten:
das „indorsement of claim“ ist der Klageantrag, enthaltend die-
jenigen tatsächlichen Behauptungen, welche zur Individualisierung
der Klage erforderlich sind. Alle Klagen sind jetzt in factum
conceptae; trotzdem werden die Bezeichnungen für die alten
Klageformen in der Judikatur und Literatur immer noch ange-
wendet ').
Werfen wir nun noch einen kurzen Blick auf den Prozeß.
Ein real aetiun im Mittelalter setzte sich in der Hauptsache zu-
sammen aus: Summons und Cape und Judgment by Default.
Erscheint der tenant trotz der Aufforderung nicht vor Gericht, so
weist das writ of Magnum Cape den Sheriff an, das Land, um
welches es sich handelt, im Namen des Königs in Besitz zu
nehmen, gleichzeitig aber den tenant nochmals vorzuladen, damit
er über seine Versäumnis Rechenschaft ablege. Erscheint der
tenant auch an diesem neu festgesetzten Tage nicht, oder kann er
für seine frühere Versäumnis eine genügende Entschuldigung nicht
beibringen (lieal, sanare), so wird das Land dem Kläger zuge-
sprochen. Die einzige Möglichkeit, welche der tenant jetzt hat,
zu seinem Lande zu gelangen, ist durch die Klage „writ of right“*).
Die englische Cape in man um entspricht der fränkischen Miss io
in bannum Regis. Kraft dieser Missio in bannum Regis
des alten fränkischen Rechts bleibt das Grundstück auf ein Jahr
und einen Tag in den Händen des Königs; aber im englischen
Recht zu Glanvills Zeit beträgt die Zeit, während welcher der
tenant das Land durch die Besitzklage „action of replevin“ wieder
erlangen kann, nur vierzehn Tage’).
Wir gehen vorläufig über den Prozeß bei „personal actions“
hinweg4), um auf die Tatsache hinzuweisen, daß die ältesten
Klagen nach gemeinem Recht „specific relief“ und nicht „damages“
*) Odgcrs, l’rocedure, S. 34; Heymann. a. a. O., S. 806, 807. Das
best«! Buch über «las gegenwärtige System der (Zivilklagen des High Court
of Justice istOdgcrs’s eben citiertes „Procedure“. Vergl. ferner Köhlers
Aufsatz über den englischen Civilprozeü, Beiträge zum Civilprozeß, S. 588.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, 8.592, 593.
3) Siehe Brunner, Deutsche Hechtsgeschichte, II, S. 457—460; Pollock
and Maitland, a. a. O., II, S. 593, Anm. 2.
4) Siehe darüber Polloek and Maitland, a. a. O., II, S. 593 — 595.
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37
zum Zwecke haben, und in der Tat sind in dem frühen Common
Law viele der Ideen zu finden, welchen wir später als einem Teil
der Equity- Jurisprudenz wiederbegegnen1). In dem gemeinen
Rechte zu Olanvills Zeit gibt es i. B. ein Verfahren für die Ein-
lösung von verfallenen Pfändern sowie zur Entziehung dieses Rechts
der Einlösung; dasselbe entspricht in gewisser Hinsicht dem equity
of redemption nnd dem decree of foreclosure des späteren Billig-
keitsrechts *).
Nun noch ein Wort über die Zwangsvollstreckung. Wenn
nach gemeinem Recht ein Urteil über eine Schuld ergangen war,
so veranlaßte der Gerichtshof den Sheriff, die notwendige Summe aus
dem Mobiliar (goods and chattels) des Beklagten (writ of fieri
facias) oder aus seiner Habe nnd den Früchten des Landes (writ
of levari facias) aufzubringen. Das gemeine Recht kannte kein
Verfahren, nach welchem das dem Schuldner gehörige Land selbst
verkauft oder dem Gläubiger übergeben werden konnte. Im Jahre
1285 wurde durch ein Statute das writ of eligit geschaffen, mit
Hilfe dessen es dem Gläubiger möglich war, die Hälfte des Landes
des Schuldners in Besitz zu nehmen, um sich daraus zu befriedigen.
Auch kannte das gemeine Recht kein Verfahren, wonach jemand
seine Person oder seine persönliche Freiheit für die Zhhlung einer
Schuld verpfänden konnte; aber unter der Regierung Eduards I.
gab die sogenannte security by „Statute merchant“ dem Gläubiger
das Recht, die Einsperrung der Person des Schuldners zu verlangen 3).
Viertes Kapitel.
Obligationenrecht.
In der .angelsächsischen Zeit finden wir nur zwei Vertrags-
formen: 1. den Realvertrag4) und 2. den Formal- oder Wettver-
trag (Gelöbnis). Besonders der Formal- oder Wettvertrag scheint
eine höchst bedeutende Rolle in dem Rechtsleben dieser frühen
Zeit gespielt und verschiedene Formen angenommen zu haben4).
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, 595, 59G.
*) Siche unsorc Ausführungen im zweiten Buch.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, 8. 59G, 597. Wegen weiterer
Einzelheiten a. unten zweites Buch: Williams, Personal Property, S. 97— 1(K).
4) Betreffs des Pfandvertrages s. unten erstes Buch.
*) Siehe unsere Ausführungen im ersten Buch. Vgl. Pollock, Ex-
pansion Com. Law, S. 155.
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38
Dieselben beiden germanischen Vertragsformen waren anfangs
aucli die beiden einzigen bekannten Formen des englischen Rechts
der normannischen Periode').
Die 3 Vertragsformen oder -Arten des klassischen gemeinen
Rechts sind: 1. der sogenannte „contraet of record“, 2. der „con-
tract under seal“ und 3. der „simple contraet“.
1. Die contracts of record, Rekordschulden, beruhen aut
Gerichtsprotokollen. Abgesehen von den jetzt obsolet gewordenen
„Statutes merchant“ und „Statutes staple“ *), handelt es sich be-
sonders um Judikatsschnlden (judgments) und gerichtlich abge-
gebene Schuldversprechen (recognizances); letztere sind resolutiv
bedingt durch Vornahme einer gewissen Handlung (keep tho peace,
appear at the assize) und sind deshalb Mittel der Kautionsbe-
stellung:). Wie wir später sehen werden, waren die „Statutes
merchant“ und „Statutes staple“ in Wirklichkeit eine Form des
contraet under seal. Sie waren in der Tat contracts under seal,
welche in die Gerichtsprotokolle eingetragen wurden, und hier-
durch wurde eine Hypothek auf das gesamte Land des Schuldners
zur Deckung der Schuld geschaffen4). Neben dieser speziellen
Form des contraet under seal gibt es noch 2. den gewöhnlichen
„contraet under seal“. Dieser ist der Formalvertrag des gemeinen
Rechts und er wird geschlossen durch die Übergabe einer ge-
siegelten Urkunde (deed, bond), wobei jedoch eine Gegenleistung
nicht nötig ist5). 3. Der „simple contraet“ ist der formlos ab-
schlossene Vertrag. Derselbe erfordert aber Consensus und Gegen-
leistung (consideration) und muß in einigen Fällen schriftlich
abgefaßt sein. Die Gegenleistung muß von dem Kontraktgläubiger
(promisee) als Nachteil (detriment), oder aber von dem Kontrakt-
schuldner (promisor) als Vorteil (benefit) empfunden werden. Seit
Ende des sechzehnten Jahrhunderts genügt das gegenseitige Ver-
sprechen der Parteien (Synallagma)®)7).
') Heymann, a. a. O., S. 825; und siehe auch Näheres unten im Buch II.
J) Siehe Näheres im Huch II.
s) Heymann, a. a. 0., S. 825.
4) Siehe Näheres im Buch II.
5) Siehe Neubecker, a. a. 0., S. 22: sowie auch die Ausführungen
unten im zweiten Buch.
®) Heymann, a. a. 0., S. 825, 826. Über consideration s. Ncubeoker,
a. a. 0., S. 18-31.
’j Siebe im zweiten Buch das Nähere,
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39
Fünftes Kapitel.
Sachenrecht.
Leider ist über das Gewohnheit«- (Sachen-) Recht der Angel-
sachsen sehr wenig bekannt und selbst dieses Wenige kann in der
Hauptsache nur aus der Kenntnis des Rechts der normannischen
Periode gefolgert werden. Nach der Ansicht von hervorragenden
englischen Rechtshistorikern ist der römische Begriff des dominium,
d. h. das, was man heute unter Eigentum versteht, den ein-
heimischen Angelsachsen vollkommen fremd gewesen, wie er auch
dem frühen germanischen Recht im allgemeinen unbekannt war.
Die Grundidee des germanischen Rechts, sowohl im alten England,
wie auf dem Kontinente, ist, nach dieser Anschauung, die des Be-
sitzes, nicht des Eigentums; denn es ist der Besitz, der von der
Rechtsordnung geschützt wird. In der Tat, so wird angenommen,
ist das Recht auf Besitz zum Unterschiede vom physischen Besitz
die einzige Auffassung im rein germanischen Rechte, welche in
gewissem Grade mit der abstracten Idee des Eigentums in den
römischen und neuzeitlichen Rechtssystemen korrespondiert, und es
scheint, daß im englischen gemeinen Recht diese frühe Auffassung
sich bis auf unsere Tage erhalten hat. Nur durch die Einführung
des ausländischen Landbuchs durch die Geistlichkeit war es möglich,
daß der Begriff des Eigentums, dominium, im angelsächsischen
Sachenrecht sich einbflrgerte ').
Der Meinung, daß dem germanischen Recht ursprünglich
hinter dem Begriff der Gewere der Begriff' des materiellen Sachen-
rechts fremd gewesen sei, wird von anderen Rechtsgelehrten nicht
beigepflichtet. So in den Worten Gierkes: „Im Einklänge mit ihrem
Ursprünge ist die Gewere stets das Kleid des Sachenrechts ge-
blieben. Sie ist nur die äußere Seite des Sachenrechts; das
materielle Sachenrecht hat von je hinter ihr gestanden und ist von
ihr niemals verschlungen worden. Allein sie ist die allgemeine
Form, in der das Sachenrecht zur Erscheinung gelangt“ *). An
anderer Stelle sagt Gierke: „Das deutsche Recht kannte, soweit
l) Pollock, Knglish Law boforo tho Norman Conquest, in Bowkcr’s
„Alfred the Great“, S. 234, 236; Pollock and Maitland, a. a. 0., I,
S. 56, 57, 60.
*) Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. II, 8. 189.
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wir zurückblicken, eine von der Ordnung der Gewere verschiedene
Ordnung des materiellen Sachenrechts, die für Verbände und
Einzelne Herrschaftsrechte mehr oder minder voller Art an be-
weglichen und unbeweglichen Sachen begründete. Allein in seinem
Jugendalter fehlte ihm sowohl der abstrakte Kegriff des dinglichen
Rechts, wie der begriffliche Gegensatz zwischen Eigenthum und
begrenzten dinglichen Rechten“ ').
Es müssen drei Formen von Landbesitz in der angelsächsischen
Periode unterschieden werden: Erstens, böcland, oder Buchland,
d. h. Land, welches jemand gemäß den ausdrücklichen Bedingungen
eines Huches oder eines geschriebenen Dokumentes besaß, ein
königliches und geistliches Privilegium, jedoch unter Androhung
des Bannfluches, sofern gewisse Bedingungen nicht cingehalten
werden; zweitens, folk-land, d. h. Land, das jemand gemäß
dem gebräuchlichen Volksrecht und ohne Buch oder schriftlichen
Rechtstitel besaß*); drittens, lsn-land, d. h. Land, welches von
einem Höherstehenden für bestimmte Dienste vergeben wurde3).
Es handelt sich hier weniger um verschiedene Arten von Grund-
stücken, als um verschiedene Rechtstitel am Grundbesitz ').
Die germanische Scheidung zwischen Immobiliar- und Fahr-
nisrecht wird im englischen Recht am schärfsten bewahrt. Das
Vermögen (property) zerfällt in Immobiliargut (hereditament, real
property, tenement, things held) und Mobiliargut (personalty,
personal property, goods and chattcls — Ausdruck cliattels von
catalla = Vieh5).
Hereditament (real property) wird eingeteilt in corporeal und
incorporeal hereditaments. Als corporeal hereditaments werden die
Grundstücke (land — richtiger die an Grundstücken begründeten
') Uiorkc, a. a. 0., Bd. II, S. 343.
*) Vinogradoff, Folkland, Engligh Historical lteview, Bd. VIII,
S. 1—17.
3) Brunner, Zur ltcchtsgeschichte der röuiischcn und germanischen
Urkunde, S. 151; Maitland, Domesday Book and Ileyond, S. 226— 318;
Pollock, u. a. 0., S. 235, 237; Pollock, I.and Laws, S. 20, 21, 27—29;
Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 60—62; I)igby, History of Beal
Property, S. 12, 15, 16. Vgl. auch Chadwick, a. a. ()., S. 100 ff., 171,298,
367—377.
*) Siehe Brunner, a. a. 0., S. 185; Maitland, a. a. 0., S. 257,
5) Hey mann, a. a, 0., S. 812.
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Hauptrechte oder freehold estates — ) und gewisse immobilisierte
Fahmisstücke (heirlooms) gerechnet. Incorporeal hereditaments
sind gewisse beschränkte Rechte an Immobilien, zerfallend wieder
in dingliche Anwartschaften auf corporeal hereditaments (sogenannte
estates in expectancy) und gewisse begrenzte dingliche Rechte
geringerer Bedeutung (sogenannte purely incorporeal hereditaments),
besonders Servituten und Reallasten. Das Recht am corporeal
hereditament stimmt nicht ganz mit dem deutschen Immobiliar-
eigentum überein Die corporeal hereditaments sind vielmehr ver-
schieden starke Rechte (sogenannte freehold estates), die alle
ein totales Gebrauchsrecht (bedingt oder unbedingt) an der Sache
bedeuten. Nur das stärkste von diesen Rechten, das estate in fee
simple (feodum simplex, estate des NN und seiner Erben) —
abgesehen natürlich von seiner lehnsrechtlichen Entstehung und
Färbung — kann man dem Eigentum gleichstellen. Alle heredi-
taments unterliegen der Immobiliarerbfolge an den heir-at-law ').
Mobiliargut (personal property) umfaßt 1. die beweglichen
körperlichen Sachen (chattels personal, corporeal chattels, choses
in possession) und 2. die choses in action, ursprünglich die Rechte
auf Sachherausgabe, aber heute alle Forderungsrechte, und die
Aktien- und die Erfinderrechte. Zum Mobiliargut (personal pro-
perty) werden auch eigentümlicherweise die sogenannten chattels
real gerechnet. Zu den chattels real gehören gewisse grundsätz-
lich dem Mobiliarrecht unterstellte Rechte an Immobilien (nämlich die
sogenannten estates less than freehold, besonders Miete und Pacht)8) ;
gewisse „genommene“ Pfänder8), besonders die Judikatshypothek
(estate by elegit, ferner by Statutes merchant and staple); die
Lehnsvormundschaft (wardship) u. s. w. *). Mobiliargut geht ge-
mäß dem gemeinen Recht auf den Testamentsvollstrecker (executor
resp. adininistrator), nicht aber direkt auf den gesetzlichen Erben
über8).
') Hey mann, a. a. 0., S. 812.
*) Im internationalen Privatrecht werden jcduch die chattels real nicht
als Mobilien betrachtet.
*) Vgl. die späteren Ausführungen im Buch II.
4) Heymann, a. a. O., S. 812, 813.
*) Siehe die späteren Ausführungen im Buch II.
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I. Immobiliarrecht. a) Tenure. „Das Immobiliarrecht hat
seine vom kontinentalen sehr abweichende Gestaltung dadurch
empfangen, daß seit der normannischen Zeit und grundsätzlich
noch heute alles Land als Lehn, tenementum, tenure, behandelt
wird: nur der König hat Allod, und er ist — unmittelbar oder
mittelbar — ,Lord Paramount of every parcel of land within the
realm‘. Wie aber schon die nach der Eroberung durch redemption
erlangten Besitzungen eigentlich keine Lehn gewesen waren, hat
sich der Gedanke des Allods trotz des Lehnsprinzips immer mehr
durchgesetzt und ist heute tatsächlich wieder zur Herrschaft
gelangt“ ').
Die tenures werden nach dem Gesichtspunkt der vom Be-
liehenen zu gewährenden Gegenleistung eingeteilt in: tenures in
Kitterlehn (feuda militaria, militarv tenures, knight’s Service),
geistliche Güter (in libera elemosyna, später frankalmoign),
freie Bauer- und Bürgerlehn (socagia, free socages, nur mit
Rente belastet) und den Hintersassenbesitz (vil lenagia 2), seit
Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts als copyholds bezeichnet).
„Besonders geartete Fälle der socagia sind übrigens tenures of
ancient demesne an den alten Krongfltem, die alte städtische
Hausleihe (bourgage tenure mit ihrer Unterart borough english)
und das partikulär gefärbte gavelkind in Kent . . . Die erste starke
Einschränkung erhielt das Lehnssystem schon 1290 durch das
statutum quia emptores (18 Edw. I. c. 1), welches für feodum
simplex unter Zurückdrängung der subinfeudatio die freie Yer-
äußerlichkeit schuf, und dessen Grundgedanken dann unter
Eduard HI. und später durch 12 Karl n. c. 24 voll durch-
geführt wurden. Andererseits wurden die feudalen Lasten 1(560
durch das eben erwähnte Statut 1 2 Karl H. c. 24 im großen und
ganzen beseitigt“. Verwandelt wurden sämtliche Ritterlehen in
socagia („free and common socage“). Heute sind die den unfree
tenures, d. i. den copyhold gegenüberstehenden free tenures (free-
hold, siehe unten S. 44) in der Hauptsache free socage; zur Zeit
ist das free socage land tatsächlich von den alten Lasten befreit.
Das copyhold dagegen hat an sich noch heute Merkmale des
*) Heymann, a. a. 0., S. 813.
*) Über villcnagia s. bes. Vinogradoff, Villainage in England, S. 43 ff.
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Hörigkeitsverhältnisses, kann aber in free socage verwandelt werden.
Nicht nur Land, sondern jedes tenement, tenementum (d. h. land,
„rents, commons, and other rights and interests issuing out of or
conceming land“) kann Gegenstand eines tenure sein ').
b) Die estates. „Das System der einzelnen Immobiliarrechte
ist dadurch abweichend vom kontinentalen gestaltet , daß einer-
seits . . . das englische Immobiliarrecht infolge seines Ursprungs
aus dem Lehnsrecht grundsätzlich nur dingliche Rechte an fremder
Sache (genauer beschränkte dingliche Rechte) kennt, und daß
andererseits alle diese Rechte unter den einheitlichen Begriff des
e state (estate in land, status, 6 tat, Besitzstand) gebracht werden.
Estate gezeichnet jedes VerfÜgungs- und Benutzungsrecht an
Grund und Boden, von welchem Umfange immer1 (Gundermann);
dabei fallen unter den Begriff des estate nicht nur diejenigen
Rechte, welche (unbedingt, unbefristet oder in den verschiedensten
Abstufungen bedingt oder befristet) die , volle Eigentumsausübung1
gewähren, sondern grundsätzlich auch die incorporeal hereditaments,
welche nur Teilbefugnisse, einzelne Nutzungen bieten; diese
letztere Kategorie wird aber nach germanischer Art vorzugsweise
(unter dem Gesichtspunkte des unkörperlichen Gutes) als Gegen-
stand von estates verschiedenster Abstufung betrachtet, und die
Besitzstände, estates, sind infolgedessen (entsprechend dem konti-
nentalen Geweresystem in seinen Anfängen) in der Hauptsache als
Spezialfälle eines qualitativ einheitlichen, dinglichen Herrschafts-
rechts an Immobilien zu bezeichnen. Der Aufbau ist dann fol-
gender: man unterscheidet vor allem freehold estates (freehold
im eigentlichen technischen Sinne, liberum tenementum, frank
tenement, der eines Freien würdige Besitzstand, Hauptrechte, Voll-
rechte) und estates less than freehold (Realrechte niederer Bedeutung
und daher chattels real); Unterscheidungsmerkmal ist die Dauer
der Rechte (quantity of interest), insofern freehold stets von un-
beschränkter oder doch von unbestimmter Dauer sein muß, während
die chattels real Rechte von bestimmter Dauer (und wenn auch
für 1000 Jahre) darstellen; dieser Kategorie tritt hinzu die Kate-
gorie der estates upon condition (conditional estates); es sind
das bedingte Besitzstände der beiden ersten Arten; grundsätzlich
*) Heymann, a. a. 0., S. 813, 814,
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stehen sie also nicht im Gegensatz zu diesen (Stephen-Blackstone,
eh. VI, init.), wohl aber dadurch, daß einzelne AnwendungsfÜlle
sich zu besonderen wichtigen Rechtstypen entwickelt haben; als
vierte Kategorie werden die inrorporeal bered itaments genannt,
als Immobiliarrechte geringsten Umfanges, die im Gegensatz zu
den vorgenannten Klassen eben nicht die volle Sachherrschaft,
auch nicht bedingt, gewahren“ ').
Nach dem Zeitpunkt des Genusses unterscheidet man estates
in possession und estates in expectancy (letztere Anfallsrechte).
Nach der Zahl der Berechtigten (tenants) werden die estates in
Einzelrechte (severalty) und Rechte mehrerer (wieder gespalten in
joint tenancy, coparcenary und tenancy in common) gruppiert *).
Von ganz besonderer Bedeutung aber ist die Unterscheidung
von legal estates und equitable estates, die dem Dualismus von
Common Law und Equity entspricht. Die wichtigsten equitable
estates sind die des cestni que use (cestui que trust) und des
mortgagor 5).
c) Die einzelnen estates. Das freehold ist das wichtigste der
nach der quantity of interest gruppierten dinglichen Rechte. Das
freehold erscheint als 1. vererbliches freehold (freehold of inheritance)
und 2. nicht vererbliches freehold (freehold not of inheritance).
Das estate in fee simple (fee absolute, feodum simplex) ist das
wichtigste freehold of inheritance und ist sogar „das Grund- und
Fundamentalrecht des englischen Sachenrechts“, entsprechend in
Wirklichkeit dem Eigentumsrecht des deutschen Rechts. Im laufe
der Zeit sind die Lehnslasten fast völlig beseitigt, die freie Ver-
äußerlichkeit (A. I). 1290, Statute of quia emptores), die freie
Vererblichkeit durch letztwillige Verfügung (temp. Heinrich VIII,
Statute of wills) eingeführt worden. Wiederum beschränkt sich
das gesetzliche Erbrecht nicht auf eine bestimmte Erbenklasse.
Alle heirs-at-law sind nach der gesetzlichen Ordnung berufen.
Hier gilt das Prinzip der Individualsuccession, und zwar geht das
Immobiliar zunächst auf den ältesten Sohn über. Weitere Fälle
*) Heymann, a. a. 0., S. 814, 815.
*) Heymann, a. a. 0., S. 815.
3) Siehe A a h b u r n e r , a. a. 0., S. 83 G7 : Williams, Keal Property ,
S. 158 nnd Sachregister s. v. Equitable estates: Heymann, a. a. 0.,
S. 815, 818.
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des vererblichen freehold sind fee simple qualified (base fee) und
fee tail; und in diesen estates wird die Sachherrschaft beschränkt.
Ein fee simple qualified (base fee) ist ein unter Resolutivbedingung
verliehenes fee simple. Das fee tail (feodum talliatum = re-
st riet um) ist ein Stammgut, ein estate, bei dem die Erbfolge
auf die Erben des Erwerbers in gerader Linie beschränkt wird.
In Ermangelung solcher Erben fällt das Land an den Verleiher
zurück. Es ist hier bemerkenswert, daß das estate in fee tail die
juristische Fonn für die englischen Fideikommisse geworden ist.
Nicht vererbliche freeholds sind estates auf Lebenszeit. Diese
estates entstehen durch Rechtsgeschäfte oder treten von Gesetzes
wegen ein. Bei der ersten Gruppe findet man Vergabungen auf
Lebenszeit des Empfängers (estates for life) und auf Lebenszeit
eines Dritten (estates pur autre vie). Der Leibzüchter bei einem
estate for life hat auf Lebenszeit das volle Herrschaftsrecht, er ist
aber den Anfalls- und Heimfallsberechtigten für waste verantwort-
lich und hat das Recht der Verfügung und Belastung nur im
Rahmen seines beschränkten Rechtes. Bei der zweiten Gruppe
kommen in Betracht die estates by the courtesy of England, in
dower und of tenant in tail after possibility of issue extinct. Das
estate by the courtesy of England ist das Leibzuchtrecht des
Mannes an dem gesamten Immobiliarnachlaß der Frau bei beerbter
Ehe und das estate in dower (doarium, dos) die gesetzliche Leib-
zucht der Frau an einem Teil (maximal Vs) der Immobilien des
verstorbenen Mannes1). Heymann sagt hierzu: „Eine unterge-
ordnete Art der estates bilden, als estates less than freehold, die
drei Formen der estates at will, estates by sufferance und estates
for years; sie sind ehattels real und unterstehen im Gegensatz
zum freehold dem Mobiliarrecht, was praktische Bedeutung be-
sonders für die rechtsgeschäftliche Begründung dieser Rechte
(nicht livery of seisin, sondern formloser Vertrag, neuerdings
deed, d. i. gesiegelter Vertrag), für ihre Vererbung und in
Einzelpunkten auch für ihre Verfolgung hat“*). Das wichtigste
dieser estates less than freehold, jener ehattels real, ist ohne
Zweifel das estate for years. Im zwölften Jahrhundert finden
■) Hcyinann, a. a. O., S. 815 — 817.
*) Heymann, a. a. 0., S. 817.
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wir bereits das beneficial lease als ein Mittel der Geldauf-
nahme und als eine Form der Kapitalanlage im Wirtschaftsleben
vor; auch wird zu dieser Zeit die Verpachtung auf Jahre (lease
for years) zur Sicherstellung von Forderungen vorgenommen; im
dreizehnten Jahrhundert ist das lease for years jedoch im allge-
meineren Gebrauch. Ara Ende des zwölften Jahrhunderts wurde
der termor von den vom römischen Recht beeinflußten Juristen
als nicht im Besitze eines free tenement angesehen, es wurde ihm
kein Recht an dem Lande, kein real right zuerkannt, sondern er
wurde nur als Nutznießer betrachtet, dessen Rechte durch einen
Vertrag mit dem Verpächter festgelegt waren und dessen Recht
nichts als ein chattel real war, und da er kein „freeholder“
war, hatte der termor auch kein Recht auf die possessorischen
Klagen, die dem freeholder zustanden. Der termor hatte jedoch
ein aus seinem Vertrage hergeleitetes Recht zur Klage, er hatte
ein Recht in personam gegen den Verpächter und seine Erben.
Das ihm zustehende Rechtsmittel war die Klage „action of cove-
nant“. Mit Hilfe dieser Klage erwarb er den Besitz, oder wie
man in jener Zeit gewöhnlich sagte, die seisina des Landes.
Aber diese Klage konnte sich nur gegen den Verpächter und seine
Erben richten. Die Unzulänglichkeit dieser ganzen Theorie hin-
sichtlich der Rechte des termor führte schließlich dahin, daß man
sie aufgab. Ungefähr im Jahre 1235 wurde eine neue Klage für
den termor eingefürt, nämlich die Quare eiecit infra terminum,
und auf Grund dieser Klage mußte ein Käufer, welcher das Land
von dem Verpächter erworben, dieses dem Pächter, der von ihm
aus dem Besitze vertrieben worden war, zurückgeben. Vor dem
Ende des Mittelalters war es dem termor noch mit Hilfe einer
anderen Klage — ein besonderes writ of trespass de eiectione
firmae — möglich, nicht nur Schadenersatz zu erlangen, sondern
auch den Schutz seines Besitzes gegen alle, die ihn unrecht-
mäßiger Weise zu entziehen oder zu schädigen suchten. Somit
entwickelten sich in England zwei Arten des rechtlich geschützten
Besitzes — derjenige des freeholders und deijenige des termors, —
die beide bei Betrachtung der englischen Rcchtsgeschichte ständig
und sorgfältig auseinandergehalten werden müssen. Die ver-
schiedenen rechtlich geschützten Besitzformen wurden durch ent-
sprechend verschiedene Namen unterschieden: die alte „seisina“
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des freeholders, geschützt durch assize; die neue „possessio“ des
leasee, geschützt durch das writ of trespass ’).
Die bedingten Besitztümer (estates upon condition) bilden
eine wichtige Gruppe unter den estates. Estates können über-
tragen werden unter Suspensiv- (precedent, ex causa praecedente)
oder unter Resolutivbedingung (subsequent, ex causa subse-
quente). Besonders interessant ist die Anwendung des Prinzipes
des bedingten Besitztums bei der Verpfandung von Land für
Schulden, wie wir später sehen werden1).
Die incorporeal hereditatnents. Die purely incorporeal here-
ditaments — im Gegensatz zu den bloßen Anwartschaften — sind
dingliche Rechte, aber dingliche Rechte, welche doch nicht die
volle Sachnutzung gewähren. Hier kommen zunächst die Prädial-
servituten in Betracht: 1. easements, die nur zur Benutzung
eines fremden Grundstücks berechtigen, und 2. protits ä prendre,
die zugleich zur Substanzentnahme berechtigen. „Des weiteren
gehören zur Gruppe der incorporeal hereditaments aber auch die
Reallasten, und zwar neben dem im neunzehnten Jahrhundert
adärierten und auf die Getreidepreise reduzierten Kirchenzehnt
(tithe) und den alten Hörigkeitslasten (rent-service) vor allen die
rents-charge, d. i. die vorbehaltenen und die — häufig — gekauften
Renten an freiem Gut, begründet durch Testament, Ehevertrag oder
Registrierung, und heute grundsätzlich, auch ohne besondere Klausel,
mit dem Selbstpfändungsrecht ebenso ausgestattet wie von alters
die — durch den eventuellen Rückfall gesicherten — rents-service“.
Unter den übrigen incorporeal hereditaments sind zu erwähnen:
die nutzbaren Regalien und Hoheitsrechte (franchises oder liberties)
und das Patronat (advowson). Die incorporeal hereditaments sind
keine estates; sie sind bloß Gegenstand von estates5).
d) Die Anfallsrechte (estates in expectancy) stehen im Gegen-
satz zu den' estates in possession. Die Anfallsrechte sind reversion
und remainder, dem anevelle des mittelalterlichen deutschen
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 3G, 37, 106 — 117. Uebcr
das heutige Recht siehe Williams, Real Property, S. 486 — 526; Ileymann,
a. a. 0., S. 817-818.
*) Siehe die späteren Ausführungen ; G u n d c r in a n n, a. a. 0., S. 239 — 24 1 ;
Hey inann, a. a. 0., S. 818; Spence, Equitable Jurisdiction, I, S. 1 52 — 1 54.
5) Heymann, a. a. 0., S. 818, 819.
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Rechts entsprechend. „Reversion ist das Recht auf den Rückfall
des Gutes für den Fall der Beendigung eines aus dem estate im
Wege konstitutiver Succesion abgezweigten estate minderen Inhaltes
(z. B. Rückfall an den Inhaber des fee simple nach dem Tode des
Leibzüchters). Ein remainder andererseits entsteht, wenn der Be-
steller eines minderen estate (particular estate) die reversion nicht
für sich behält, sondern gleichzeitig an eine dritte Person — eben
als remainder — überträgt“ ').
e) Die Erwerbsarten der dinglichen Rechte werden von den
englischen Juristen eingeteilt in die titles by act of law und die
titles by act of the party. Zu den titles by act of law werden
descent, Intestaterbfolge, escheat, Heimfall und die familienrecht-
liche courtesy und dower, zu den titles by act of the party werden
occupancy, forfeiture (Verwirkung) und alienation (conveyance,
voluntary transfer, incl. conveyance by devise, d. h. durch Testa-
ment) gerechnet.
Die freiwillige rechtsgeschäftliche Übertragung, die alienation,
erfolgte im englisch - normannischen Recht in der Form der Be-
lehnung (feoffment), Das feofl'ment „zerfällt entsprechend der
kontinentalen Gestaltung in die Herstellung des persönlichen Treu-
verhältnisses durch das feierliche homage oder die einfachere (be-
sonders bei Verleihuug von socage anwendbare) fealty und in die
Herstellung des dinglichen Verhältnisses durch die gewöhnlich mit
homage bezw. fealty zusammenfallende Übertragungserklärung, die
Investitur; an diese muß sich nach englischer Auffassung aber grund-
sätzlich stets die reale Besitzeinweisung, die livery of seisin schließen,
sodaß man sich (eine Frucht vorübergehender Einwirkung der röm.
Traditionslehre) mit der Herstellung bloß ideeller Gewere durch Sym-
bole nicht begnügte. Die livery of seisin erfolgte in deed, d. h. unter
feierlicher Überreichung der über das Geschäft aufgenommenen
Urkunde (deed, von alters gebräuchlich, obwohl Schriftlichkeit erst
1677 essentiell wird) nebst Investitursyrabolen auf dem Grund-
stück, oder (formloser) in law durch bloße Erklärung angesichts
des Grundstücks, der aber die reale entry später folgen mußte“.
Zur Übertragung von Besitzrechten (estates) an den incorporeal
hereditaments genügte schon im Mittelalter die bloße traditio
') Hey mann, a. a. 0., S. 819, 820.
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49
eartae. Diese letztere Form wurde allmählich verallgemeinert;
und wenn man von dem Verfall der feudalen Prinzipien, besonders
in persönlicher Hinsicht, absieht, so ergibt sich, daß das Statute
of Uses vom Jahre 1535 zu diesem Resultate ganz bedeutend
beigetragen hat. Nach dem "27 Henry VIII, c. ltl. muß die Über-
tragung von freehold estates durch Übergabe einer gesiegelten
Urkunde (deed) und enrolment dieser Urkunde in Westminster
oder beim Grafschaftsgericht erfolgen, falls die Parteien nicht die
alte Belehnung (feoffment) mit liverv of seisin wählen. Dieser
Keim eines Buchsystems wurde aber von dem .Juristenstand, der
das Gesetz durch die Übertragung von freeholds mittels des Ver-
fahrens von lease und release (estates less than freehold vom Gesetz
nicht berührt) umgingen, erstickt. Im Jahre 1845 erfolgte die
Bestimmung des Parlaments, daß nicht die Übergabe von zwei
Urkunden, lease und release, sondern nur eine gesiegelte Urkunde
zur Übertragung von freehold estates erforderlich sein sollte.
Da heutzutage feoffment und enrolment oft nicht praktisch sind,
so fehlt der Regel nach in England noch die Publizität. Die
Bestrebungen des neunzehnten Jahrhunderts nach einer allgemeinen
Grundbuchgesetzgebung führten zu den Land Transfer Acts vom
Jahre 1875 und 1897, aber zu einem durchgeführten Grundbuch-
system ist es noch nicht gekommen. In der heutigen Praxis ist
die traditio per cartam immer noch die herrschende Form1).
f) Die Entwicklung der Immobiliarklagen, sowohl der peti-
torischen, wie auch der possessorischen hat sich an das nor-
mannische Recht angeschlossen. Die wichtigste petitorische Klage
ist das writ of right (breve de recto), der dinglichen Klage
des deutschen Rechts des Mittelalters entsprechend. Ein An-
wendungsfall dieser Klage ist das writ of right of dower. Die
assisa novae disseisinae (Assize of Novel Disseisin), die sich
auf frische Dejektion aus der seisina (Gewere) stützt, ist die
wichtigste possessorische Klage. Außerdem sind hier die assisa
mortis antecessoris (des Erben), die Wittumsklagen (writ of
■) Brunner, a. a. O,, S. 14011.: Gundermann, a. a. ()., S. 201 ff. ;
Heymann. a. a. ()., S. 821, 822. Siehe Brunner, Forschungen. S. 4 ff..
lilSfl'.; I.eake, Digest. S. 45— (Hl: Williams. Real Property, S. 143—157,
195 — 212, 594— G57: Pollock and Maitland. a. n. (>., II. 80—10(5.
Hszeltinr, Englisches l'faiulrccht 4
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50 _
dower unde nihil habet) und das breve de ingressu (writ
of entry) zu erwähnen. Die possessorischen Klagen haben sich
unabhängig von den Interdikten des römischen Hechts ausgebildet,
und „höchstens in Grundgedanken“ sind sie durch das kanonische
Hecht beeinflußt worden. Das Verfahren bei diesen real actions
war aber schwerfällig und führte seit Heinrich VII. zur Anwendung
einer bequemeren petitorischen mixed action an ihrer Stelle, nämlich
der action of ejectment (actio de eiectione firina), ursprünglich
nur die Klage eines dejiziertcn Pächters. Die meisten Realklagen
wurden im Jahre 1833 beseitigt; und die action of ejectment
wird heute als action for the recovery of possession of land be-
zeichnet ').
II. Mobiliarrecht. Obgleich sich die Idee eines Eigen-
tumsrechts (general property) an beweglicher Habe (movable
goods, ehoses in possession als Teil des personal property) nach
und nach entwickelte, so haben doch neuere Forscher die Frage
aufgeworfen, ob das frühere Mittelalter ein Eigentumsrecht am
Mobiliar im Gegensatz zum Besitzrecht gekannt hat*). In der
angelsächsischen und anglononnannischen Zeit handelte man nach
dem Prinzip „Hand wahre Hand“. Das englische Recht hat
„real actions“ zum Schutze von Fahrnisrechten nie gekannt,
sondern nur „personal actions“. Seit der Abschaffung der alten
Klageformen und seit der Entwickelung der Idee des „specific
performance“ mit einfacher Klagebegründung erreicht man jedoch
denselben Zweck wie mittelst der real actions. Im alten Rechte
erfolgte die freiwillige Übertragung des Fahrniseigentums nur
durch körperliche Tradition (gilt and delivery t Zu dieser Form
des Erwerbs ist allmählich die Veräußerung durch Übergabe
einer gesiegelten Urkunde (deed) und die Veräußerung durch
einfachen Kaufvertrag (sale) getreten3).
') Brunner, Entstellung der Schwurgerichte, S. 293 ff.: ileymann,
a. a. ()., S. 822, 823. Siehe ferner Pollock and Maitland, a. a. <*.. II.
S. 5.18 — 572; Gundermann, a. a. 0., S. 318— 437.
’) Siehe unten Buch II, Teil 11. Vgl. Heymann, a. a. O.. S. 823.
3) Heymann, a. a. O., S. 823, 824. Siehe ferner unten Buch II, Teil II ;
Williams, Personal Property, S. 1— 95: Pollock and Maitland, a. a. 0.,
II. S. 149—188; Köhler, Archiv für Bürgerliches Recht, Bd. 18, S. 50 ff.
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_r»i
Sechstes Kapitel.
Quellen und Literatur.
Die Hauptquellen1) des Rechts der angelsächsischen Zeit sind
1. die Gesetze der Angelsachsen, die den germanischen Vnlks-
rechten des Kontinentes entsprechen*); 2. Urkunden*); 3. kompi-
latorische Arbeiten aus den Anfängen der anglo-normannischen
Zeit, ilie „angelsächsisches Recht darstellen wollen und zum Teil
in der Absicht verfaßt worden sind, den Bestand des alten Rechtes
den Eroberern gegenüber zu sichern“, die jedoch als Quellen der
angelsächsischen Zeit nur mit größter Vorsicht zu benutzen sind,
da sie von normannischem Rechte beeinflußt sind.
Unter den hervorragendsten Quellen der Zeit nach der nor-
mannischen Eroberung bis zur Zeit Heinrichs II. (10(50 — 1154)
verdienen hervorgehoben zu werden: 1. das Domesday Book, das
Reichsgrundbuch, welches gegen Ende der Regierung des Eroberers
erschien und als Resultat einer offiziellen Enquete eine vollständige
Registrierung des englischen Grundbesitzes enthielt; 2. die Rechts-
beschlüsse des Exchequer (die Schatzrollen werden gewöhnlich
Pipe Rolls genannt); 3. Prozeßberichte der englischen scriptores,
königliche Prozeßmandate (writs) und prozessualische Stellen des
Domesday Book und der Schatz rollen '),
Für die Zeit von Heinrich II. bis gegen das Jahr 1300 stehen
verschiedene Arten von Quellen zur Verfügung. Dies sind 1. die
Statutes. „Die älteren Satzungen der normannischen Könige zählen
zu den Quellen des common law. Sie sind entweder Constitutiones,
') Der gegenwärtige kurze Überblick über die Quellen und die Literatur
basiert teilweise auf Brunners Aufsatz: Die Quellen des cnglichen Kerhts,
Holtzendorff's Kncyclupädie (1890), S. 329— 347. Siche ferner eine Über-
setzung dieses Aufsatzes mit selbständigen Zusätzen und mit einem biblio-
graphischen Anhang von W. Hastie unter dem Titel: The Sourccs of the
Law of England, an historical introductinn to the study of English Law by
H. Brunner, Edinburgh, 1888: Gundermann, Englisches Privatrecht,
8. 1—135: Pollock and Maitland, a. a. <>., 1, 8. Will XXII. 1—225:
Haie, Hist. Com. Law: Hey mann, Engl. Privatrecht, H oltzen dorff’s
Encyclopädie, hrsg. von Köhler, I 799 — 804.
s) Siehe besonders Schniid, Gesetze der Angelsachsen: Licheruiann,
Gesetze der Angelsachsen.
*) Siehe besonders den Codex Diplomaticus.
*) Siehe Bi ge low, Placitn Auglo-Morinaunica.
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Assissae vom König nach Beratung mit den Großen des Landes
erlassen .... oder sie heißen (,’hartae, Charters, einseitige könig-
liche Verleihungen, Freibriefe zur Abhilfe von Beschwerden . . .
Die eigentlichen Statuten beginnen mit den Provisiones de Merton
aus dem 20. Regierungsjahre Heinrichs III., 1236“ (Brunner).
2. Gerichtliche Quellen: a) Writs (brevia). b) Records, Proto-
kolle über die Verhandlungen und Entscheidungen der Gerichte.
c) Reports, literarische Aufzeichnungen über Gerichtsverhandlungen,
enthaltend eine kurze Erzählung der Tatsachen des Falles, aus-
führlicher die Argumente der Parteien und die Urteilsgründe ').
3. Die Rotuli Scaecarii. 4. Chroniken, Annalen, etc. 3. Car-
tularies. 6. Urkunden. 7. Rechtsbücher: a) Der Dialogus de
Scaccario von Richard Fitz-Nigel. b) Der Tractatus de
legibus et consuetudinibus regni Angliae, das Verfahren
an den Königsgerichten behandelnd, verfaßt wahrscheinlich von
Ranulph de Glanvilla, einem königlichen Richter, in der Zeit
zwischen 11X7 und 11811, „der erste Versuch einer wissenschaft-
lichen Bearbeitung des einheimischen Rechtsstoffes im modernen
Europa“ (Gundermann), c> Der Tractatus de legibus et
consuetudinibus regni Angliae, verfaßt von Henry de
Bratton (Bracton), einem Geistlichen und Richter am Königs-
gericht unter Heinrich III, (1216 — 1272), „the crown and flower
of English medieval jurisprudence (Pollock and Maitland).
d) Fleta seu commentarius iuris Anglicani, verfaßt von
einem unbekannten Juristen. Den Namen Fleta erhielt es, weil
es in dem sogenannten Fleetgefängnis entstand. Es basiert in
großem Umfange auf Bracton, enthalt aber auch neues Material.
e) Die Summa de legibus et consuetudinibus Angliae von
Gilbert de Thornton, erschienen ungefähr im Jahre 1292,
wurde niemals gedruckt und scheint verloren zu sein ivon Seiden
') Die Reports aus der Zeit von Eduard I. bis Heinrich VIII. sind,
abgesehen von einigen Lücken, veröffentlicht worden unter der Bezeichnung
Vear Hooks: viele derselben sind jedoch sehr fehlerhaft. Eine neue und zu-
vcrlrissigc Ausgabe der Year Hooks Eduards II. wird jetzt von der Seiden Society
unter Leitung von Professor Maitland herausgegeben. Bis jetzt sind die
folgenden Bände erschienen: Bd. 1, 1 u. 2 Edward II, A. D. 1307 — 1309, hrsg. Ton
Professor Ma it lau d, London, 1903: Bd. II, 2 u. 3. Edward II, A. 1). 1308 — 9
und 1309 — 10, hrsg. von Professor Maitland, London, 1904: Bd. III, 3
Edward II, A. I). 1309—1310, hrsg. von Professor Maitland, London, 1905
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53
in seiner Dissertatio ad Fletam erörtert), fi Ein Rechtshuch,
bekannt unter dem Titel B ritten, geschrieben wahrscheinlich kurz
nach 1290 von einem Beamten im Dienste der Krone und, wie es
scheint, ein Versuch Eduards I., das englische Recht nach Art
der Justinianischen Institutionen darzustellen, g) Die Summa
magna et parva von Ralph de Hengham, erschienen unter
der Regierung Eduards I. und beabsichtigt als eine Ergänzung
gewisser Punkte des Bracton’schen Werkes.
Die wichtigsten Quellen der Periode, die mit dem vierzehnten
Jahrhundert beginnt nnd bis zur Zeit Blackstones (geb. 1723,
gest. 1780) reicht, sind 1. die Statutes, 2. die gerichtlichen Quellen
(vor allem das „Old Natura Brevium“, das offizielle Registrum
brevium omnium tarn originalium quam iudicialium, und
die amtlichen Reports bis zur Zeit Heinrichs VIII.), ilnd 3. die
Jurisprudenz. Nach einer Periode lebhafter literarischer Tätigkeit
von seiten der englischen Rechtsgelehrten im dreizehnten Jahr-
hundert erschienen während der nächsten anderthalb Jahrhunderte
keine Rechtsbücher mehr, denen irgend welche Bedeutung hätte
zugeschrieben werden können. Mit dem Erscheinen von John
Fortescue’s De laudibus legum Angliae und Thomas Littleton's
Ten u res in der letzten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts be-
ginnt in der Tat eine neue Periode in der englischen Rechtsliteratur.
Littleton’s Ten u res ist eine grundlegende Darstellung der Besitz-
lehre von Grund und Boden und wird von Coke als „the most
perfect and absolute work that ever was written in any human
Science“ bezeichnet. Im Jahre 1534 erschien Anthony Fitzherbert’s
New Natura Brevium. Unter der Regierung Heinrich VIII.
hören die amtlichen Reports aut und an ihre Stelle treten die
Privatarbeiten von freiwilligen Reporters, unter denen sich einige
der bedeutendsten englischen Rechtsgelehrten befinden, wie Dyer,
Plowden, Croke, Yelverton, Saunders, vor allem aber Coke. Eine
weitere Klasse wichtiger literarischer Werke sind die abridgments
oder Bearbeitungen der Year Books von Fitzherbert, Rolle,
llrooke und Bacon. Eduard Coke (geb. 1552) wurde „die ge-
feiertste Autorität unter den englischen Juristen“ (Brunner). Er
veröffentlichte, wie eben gesagt, Reports und vier Institutes, von
denen das erste in der Gestalt eines Kommentars zu Littleton’s
Tenures erschien. Matthew Haie (gest. 1(J7(>) warein bedeutender
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Jurist und schrieb u. A. das wohlbekannte „History of the Common
Law“ und eine „Analysis of the Law“. Mit der Veröffentlichung
der „Conunentaries on the Laws of England“ von William Black-
stone igeb. 1723. gest. 1730), Advokat, Richter und Professor zu
Oxford, beginnt eine neue Epoche in der englischen Jurisprudenz.
Die Commentaries basieren auf Hale's Analysis und sind eine
systematische Darstellung des englischen Rechts.
Dritter Teil.
Terminologie der Quellen des englischen
Pfandrechts.
I. Angelsächsische Periode1).
Die Terminologie Aber den Formal- oder Wettvertrag ist in
dem betreffenden Abschnitt über diesen Gegenstand berücksichtigt.
Das eigenmächtig genommene Pfand und zwar der Gegenstand
der Viehpfändung, wird in Ines Gesetzen*) mit wed bezeichnet’).
Das wegen einer Schuld eigenmächtig genommene Pfand, das
Pfandobjekt, bezeichnet Ine mit wracu, -e, fern,4). Näm, -e,
fern., von niman (nehmen) erscheint zum ersten Male in den Ge-
setzen der Angelsachsen bei Cnut5), und ist in die lateinischen
und französischen Quellen des angelsächsischen Rechts auf-
■) Die Citate von Stellen aus <len angelsächsischen Gesetzen in
dem vorliegenden Kapitel über Terminologie sind zum grollten Teil der
Schmid'schcn Ausgabe entnommen. In der I.iebermann'schen Ausgabe
finden sieb nur wenige Varianten Ton wesentlicher Bedeutung: wo solche
vorhanden, sind sie unten in den Anmerkungen zum ersten und zweiten
Teile des ersten Buches vermerkt, woselbst Citate zu allen Stellen der
I. i cbcrin an n’schen Ausgabe, die vom Wettvertrag oder vom Mobiliar-
pfandrecht handeln, zu linden sind.
*) Ine, 41) pr., Schmid, Gesetze, S. 44.
3) Vgl. von Amira, Das altnorwegischo Vollstreckungsvcrfahren, S. 315.
4) Ine, 1), Schmid, Gesetze, S. 24, 2ö, Aum.
s) Cnut, II, 11), Schmid, Gesetze, S. 280, mit der Überschrift Be
näämc. — Ne alium intra satrapem cocrccat: die Überschrift zur
vetus versio luutet: De naniis capiendis. Schmid, a. a. O., S. 280,
281. Siehe Brunner, Deutsche RcchUgeschichte, II, S. 440: Nicbols,
Britten, 1, S. 137, Amn. (t): Schmid, a. a. O., S. 636, 641.
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55
genommen1). Die angelsächsischen Quellen gebrauchen auch das
Wort bäd*). Das Pfand wird auch mit dem Ausdruck fiaet he
him onnime bezeichnet5).
Für den Gegenstand der eigenmächtigen Viehpfändung hat
die vetus versio von Ine, 4t* pr., das Wort vadium (als Synonym
für wed)4).
Für den Gegenstand der eigenmächtigen Pfändung wegen
Schuld finden wir in den lateinischen und französischen Quellen
folgende Hezeichnungen : das angelsächsische Wort mim selbst5);
*) Cnut, II, 19, Schmid, Gesetze, S. 281, Am». 9; Wilhelm, I, 44,
Scbmid, a. a. 0.. S. 346.
Das Wort nim findet sich in den nordischen Rechtsquellen allgemein
vor: in den deutschen Rechtsquellen finden sich die Formen Nähme, minie,
nomc (nehmen) vor. Es scheint, als wenn das Wort in England durch die
Dänen eingeführt wurde. Siehe Brunner, a. a. 0., II, S. 445, 446: Brunner,
Entstehung der Schwurgerichte, S. 129: von Amira, Grundriß des germa-
nischen Rechts, S. 133: Schmid. Gesetze, S. 636. Britton, der zur Zeit
Edwards I. lebte, sagt, daß naam ein allgemeiner Ausdruck für Vieh und
alle anderen Mobilien, die Gegenstand der Pfändung bilden, sei. Britton,
liv. I, c. XXVIII, § 2. Siehe auch Nichols, Britton, II, S. 377.
WiiVernäm und nijernäm linden sich in den angelsächsischen Quellen
nicht vor (Schmid, Gesetze, S. 636): in späterer Zeit findet man die
Formen withernam oder wythernam (z. B. in den Statutes of the Rcalm,
I, 8. 72.)
*) Gerrednes betweox Dünsetnn, c. 3, Schmid, Gesetze, S. 360.
Die Überschriften zu den angelsächsischen und lateinischen Texten dieses
Kapitels sind: Be bädum und de namo (Schmid, Goactze, S. 360, 361).
Siehe Brunner, Deutsche Kechtsgeschichtc, II, S. 446: Schmid, a. a. O.,
S. 358 - 361, 533, 641.
Der Ausdruck bäd (bädian) entspricht dem gotischen baidjan,
zwingen, ahd. peitjan. peitan, Gewalt antun, poscere, urgere. Räf, Raub,
für das genommene Pfand, ravia. für pfänden, finden sich in den jüngeren
friesischen Quellen vor. Pfand, ahd. phant, fant, erscheint zuerst in der
Lex Frisionum (paut) als ein Ausdruck für das genommene Pfand.
Brunner, a. a. 0., II, S. 446. Siehe von Amira, a. a. O., S. 133. Mit
räf, Raub, vgl. das angelsächsische nyd-mbm, spolatio, nyd-nieman
(njd-niman), rauben (Schmid, Gesetze, Glossar).
s) Ine, 9, Schmid, Gesetze, S. 24.
4) Ine, 49 pr., Schmid, Gesetze, S. 45.
s) Siehe Anui. I oben. Vgl. das nordische tak in v. Amira, Alt-
norwegisches Vollstreckungsverfahren, S. 331 und Grundrill des germanischen
Rechts, S. 132.
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namus, namium (als Synonym für nam)'), und wieder namus
(als Synonym für häd!j; namium5); den Ausdruck quodcumque
per vim caperit (als Synonym für p a e t he liiin onnime)4).
Der Gegenstand der gerichtlichen Pfändung wird in den
Quellen folgendermaßen ausgedrückt: eall (ealle ) paet he äge
(quicquid habet)5); on hi 8 teil tan in-borh (de pecunia
sua inborhgum)*); namium7).
Für die Viehpfiindung. d. h. den Pfändungsakt selbst, findet
man bei Ine den Ausdruck genime wed (capiat vadium*).
Für die Pfandnahme wegen Schuld sind in den Quellen
folgende Ausdrücke enthalten: paet he him onnime (quodcum-
que per vim ceporit)9); And ne nime nAn man näne närne
(Et nemo nnmum capiat)10): He nAAme. -- Ne alium intra
satrapem coerceat (De namis capiendis)"); leAfe . . .
paet he möte hentan [hemten, ha-tan] aefter his ägenan
[is Agan] (tune licentiam accipiat, ut . . . . suum audeat
perquirere '*) oder auch licentia ut possit accipere name,
quousque habeat sua)11); Neprenge hum nam nul (Nullus
') Cnut, II, 19, Schmid, Gesetze, S. 281: Wilhelm, I, 44, Schmid,
a. a. 0., S. 347. Siche oben S. .74, Anm. 5.
*) Gera-dncs, betweox Ddnsetan, c. 3, Schmid, Gesetze, S. 361.
Siehe oben 8. 53, Anm. 2.
3) Überschrift zur vetus vursio von Wilhelm, I, 44, Schmid, Ge-
setze, S. 347: Carta ciribus London, $ 14 (capiant namia sua),
Schmid, a. a. 0., S. 435.
4) Ine, 9, Schmid, Gesetze, S. 25.
*) Aethelstan, II. 20, § 1, Schmid. Gesetze, S. 142, 143.
*) Edward II, 3, § 1, Schmid, Gesetze, S. 114, 115. Siehe Logos
Henrici Primi, c. 82, §2 (de suo aliquid pro inborgo retineatur),
Schmid, a. a. 0., S. 479. Siche ferner Schmid, a. a. 0., S. 115, Anm. und
Glossar s r. inborh.
*) I.egcs Henrici Primi, c. 29. § 2. Schmid, Gesetze, S. 449:
Luges Henriei Primi, c. 51, §§ 5, B, 7, 8, Schmid, n. a. 0., 8.458.
•) Ine, 49, Schmid, Gesetze, S, 44, 45.
9) Ine, 9, Schmid, Gesetze. S. 24. 25.
Iu) Cnut, II, 19, Schmid, Gesetze, S. 280, 281.
") Überschrift zu Cnut, II, 19, Schmid, Gesetze S. 280, 281.
’*) Cnut II, 19, Schmid, Gesetze, S 280, 281.
■*) Dies ist eine zweite Lesart der vetus versio von Cnut II, 19,
Schmid, Gesetze, S. 281, Anm, 2.
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57
namium capiat)'); dunt prenge conge, que il pussc nam
prendre pur le son luin e pres (accipiat licentiam namium
capiendi pro suo, et prope et longe)*); Gif bäd genumen
sy on monnes orfe (Si capiatur de alicujus pecunia)*);
Jionne begyte [>ä bade häm, se f>e heö fore genumen sy
(perquirat i 1 1 e namum, pro quo captum est, vel de suo
proprio restituat ei, cujus pecunia eapta [causa] est)*);
Ne quis ternere namium capiat5); capiant namia sua‘);
bädian (namiari)7); namiare8).
Die gerichtliche Pfändung wird in den Quellen folgendermaßen
ausgedrückt: and nimon eall [nimen ealle] [>aet he äge (et
capiant quicquid habet)*); niman on las aehtan in-borh
(accipiant de pecnunia sua inborhgum ,u); capiatur de
suo’1); aliquem namiet15); si vicecomes namium capiat13);
divadiare1*).
Das gerichtlich genommene Pfand gewaltsam zurückzunehmen,
heißt in den Leges Henrici Primi, Cap. 51, §§ 7, 8, excutere
namium; und die Strafe dafür ist overseunessa14).
') Wilhelm, I, 44, Schmid, Gesetze, 8. 346, 347.
*) Wilhelm I, 44, Schmid, Gesetze, S. 347, 349.
s) Gerwdnes betweox Dünsetan (Scnatuscunsultum deMonti-
colis Walliae), c. 3, Schmid, Gesetze, S. 360, 361.
4) Siehe obon Anm. 3.
5) tberschrift zur vetus vorsio von Wilhelm, I, 44, Schmid, Ge-
setze, S. 347.
*) Carta civibus London, § 14 (Hcnr. 2), Schmid, Gesetze.
S. 435, 642.
7) Gcrmdnes betweox Dünsetan (Senatusconsultum de Mon-
ticolis Walliae), c. 2, Schmid, Gesetze, S. 358, 259. Siehe Brunner,
Deutsche Rechtsgeachichtc, 11, S. 446: Schmid, a. a. 0., S. 358—361,
533, 641.
*) Leges Henrici Primi, c. 51, §3, Schmid, Gesetze, S. 457.
*) Acthelstan II, 20, § 1, Schmid, Gesetze, S. 142, 143.
I0) Edward, II, 3, § 1, Schmid, Gesetze, S. 114, 115.
") Leges Henrici Primi, c. 29, §2, Schmid, Gesetze, S. 449.
IS) Leges Henrici Primi, c. 51, §4, Schmid, Gesetze, S. 457.
•*) Henr., c. 51, § 6, Schmid, Gesetze, S. 458.
'*) Siehe Schmid, Gesetze, Glossar, s. v. divadiare.
,J) Schmid, Gesetze, S. 458. Siehe Thurpe, Ancient Laws and Inst.
England, Glossar, s. v. ezeussiu.
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:>8
Die Leges Henrici Primi gebrauchen namium vendere
für den Verkauf des gerichtlich genommenen Pfandes1;.
Für das freiwillig gegebene Mobiliarpfand wegen Schuld,
d. h. den Gegenstand der Pfandbestellung, wird nicht nur
wed*), sondern auch under-wed’) gebraucht. Ob diese beiden
Wörter verschiedenerlei Bedeutung hatten, ist nicht bekannt4).
Das Synonym von wed und under-wed in den lateinischen
Quellen ist vadium1).
Das gegebene Mobiliarpfand im Prozeß wird in den angel-
sächsischen Quellen durch die folgenden Wörter bezeichnet: wed,
wedd, (-es, n., ahd. wetti, mittellat. vadium4): under-wed7)
ceäp, ceäc (-es, m.)*); borh, (-ges, m)9). In den lateini-
*) Uenr., c. 51. §6, Schmid, Gesetze S. 458.
J) Dunsetan, c. 1, Schmid, Gesetze, Anh. I, S. 358. Siehe Lotters and
Papers Illustrative nf the Rcigns of Richard III and Henry VII, (Rulls), hrsg.
von Gairdner, 8. 332, 387. 388.
*) Dunsetan, c. I, Schmid, Gesetze, Anh. I, S. 358. Das Wort
under-wed für das gegebene Pfand findet sich in c. 8 von Dunsetan,
Schmid, Gesetze, Anh. I, S. 3G2. Auch im lat. Test dieser Stelle findet
sich das Wort underwed. Schmid, a. a. 0., S. 363.
4) Siehe Thorpe, a. a. 0., Glossar, s. v. wed.
5) Dunsetan, c. 1. Schmidt, Gesetze, Anh. 1, S. 359. Das Wort
wed, wedd, -es, n., ahd. wetti, mittellat. vadium, hat in den angcls.
Quellen eine zweifache Bedeutung, die zu berücksichtigen ist. Krstens ver-
steht man darunter specicll das Pfand, l'nterpfand. pignus. Siehe Schmid,
Gesetze, S. 673 und Glossar s. v. underwed: vgl. auch daselbst s. v. diva-
diare, divadiatio, vadium, vadimonium, vadiarc. Zweitens versteht
man darunter das Gedinge, Gelöbnis, Bündnis, pactum, foedus (siehe Beleg-
stellen bei Schmid, Gesetze, S. 674: ferner daselbst s. v. wcd-brycc,
weddian: unten Buch I, Teil II). Vielleicht hatte es auch die Bedeutung
von Sicherheit überhaupt (Schmid, Gesetze, S. 673, 674: siehe auch ferner
Grimm, Rechtsaltcrth., II, S. 141 ff. 169).
*) Ine, 8, Schmid, a. a. 0.. S. 24: Aethelred III, 3, 7, 12. Schmid,
a. a. 0., S. 214, 216. Siehe Schmid, a. a. O., Glossar, s. v. wed, wedd
7) Dunsetan, c. 8, Schmid, Gesetze, S. 362.
B) Ine, 62, Schmid, Gesetze, S. 50: Schmid, a. a. 0., Glossar, s. v.
coap, (5) und S. 50, 51, Anm. zu Ine, 62. Vgl. aber I.icbcrmann, a. a.
0., S. 116, der bei Ine 62 ceac‘(Kesscl) liest. Siehe ferner unten Buch I.
Teil I, sowie Licbermann, Kesselfang bei den Westsachsen im siebenten
Jahrhundert, Sitzungsberichte der königl. preuss. Akademie der Wissen-
schaften (1896), S. 829 -835.
®) Edward, I., 1, § 5, Schmid, Gesetze, S. 112: Schmid, a. a. 0.,
Glossar, s. v. borh, 4.
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59
srlien Quellen findet man vadium (als Synonym für wed,
wedd)1); vadium recti (als Synonym für wed, wedd)*);
vadium, vadium recti, vadimoniutn recti3); plegium
(als Synonym für borh)4); captale (als Synonym für ceäp)*);
l'auces (als Synonym für ceäp, ceäc)6); certamen (als Syno-
nym für ceäp, ceäc)7); underwed (als Synonym für under-
wed)3).
Die Pfandbestellung wegen Schuld wird durch den angel-
sächsischen Ausdruck under-wed lecgan und den gleichbe-
deutenden lateinischen vadium ponere bezeichnet3). Die Leges
Edwardi Confessoris gebrauchen das Wort in vadiare1").
Für die Pfandbestellung im Prozell finden wir folgende Aus-
drücke der angelsächsischen Quellen: under-wed lecgan”);
wedd lecgan15); tö wedde lecgan13); wedd [wed] sellan”)
oder wedd syllan1*); tö borge settan [seatan] 1B) ; tö ceäpc
[ceäce]17); tö gesellanne [syllanne, gesyllanne] beforan
ceäpe [ceäce]13); ceäp seien [sylan, syllan]13). Die lateini-
schen Quellen drücken sich folgendermaßen aus : vadium ponere
•) Acthelred, [II, 3, 7, 12, Schmid, Gesetze, S. 215, 217.
*) Ine, 8, Sclitn id, Gesetze, S. 25.
3) Hcnr. c. 52, Schuiid, tiesctzc, S. 458. Siche auch Schmid, a. a.
O., S. 424 und Glossar, s. v. divadiatio.
4) Edward, I, I, §5, Schmid, Gesetze, S. 113.
5) Ine, 82, Schuiid, Gesetze, S. 51.
() Ine, 62, Schmid, Gesetze, 8.51; siehe ferner Schm id’s Anmerkung
zu dieser Stelle.
7) Ine, 62, Schmid, Gesetze, S. 51.
8) Dünsetan, c. 8, Schmid, Gesetze, S. 363.
3) Dünsetan, c. 1, Schmid, Gesetze, S. 358, 359.
’") Leges Edwardi Confessoris, c. 32, § 10, Schmid, tiesctzc, S. 510
und Glossar s. v. invadiarc.
") Dünsetan, c. 8, Schmid, Gesetze, S. 362.
■5) Aethclred, III, 12, Schmid, Gesetze, S. 216.
,3) Aethelrcd, III, 7, Schmid, Gesetze, S. 214.
’*) Ine, 8, Schuiid, Gesetze, S. 24.
IS) Aethelrcd, 111,3, Schmid, Gesetze, S. 214.
■6) Edward. I, 1, §5, Schmid, Gesetze, S. 212.
”) Ine, 62, Schmid, Gesetze, S. 50.
la) Ine, 62, Schmid, Gesetze, S. 50.
I3) Ine, 62, Schuiid, Gesetze, S. 50.
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(Synonym ftir wedd I er pan) ') ; in vadium ponere (als Synonym
für tö wedde lecgan)*); vadium dare (als Synonym für wedd
syllan)3); vadium recti dare (als Synonym für wedd [wed]
sellan)4); vadimonium recti, vadium dare5); per plegium
mittere (als Synonym ffir tö horge settan [seatan]6); under-
wed mittere (als Synonym für under-wed lecgan)7); captale
dare oder auch vadiare et cajttale dare (als Synonym für ceäp
seien [syllan, sylan]*); ad dandum ante certamen (als
Synonym für tö gesellanne [syllanne, gesyllanne] beforan
ceäpe [ceäce]“); ad componendum und auch ad fauces (als
Synonyme für tö ceäpe [ceäce]lu).
Die Auslösung des für eine Schuld gegebenen Pfandes durch
Tilgung der Schuld wird bezeichnet mit wed undön mid rihtan
gylde; und die vetus versio hat als Synonym vadium redi-
mare recta persolutione").
Bei den Quellen über im Prozeß gegebenes Pfand finden wir
die Pfandanslösung bezeichnet mit: ceäp geinnian (Synonym
captale intimare)7*).
Für den Verfall des Pfände» im Prozesse haben wir die Aus-
drücke Jtolige ponne his ceäpes (perdat captale suum)13)
und gilde än C. (reddat)74).
') Acthelred. III, 12, Schmid, Gesetze, 8. 217.
*) Aethelred, III, 7, Schmid, Gesetze, S. 215.
3) Aethelred, III, 3, Schmid, Gesetze, S. 215.
*) Ine, 8, Gesetze, Schmid, S. 25.
5) Henr., c. 52, Schmid, Gesetze, S. 458.
*) Edward, I, 1, §5, Schmid, Gesetze. S. 113: Schmid, a. a. 0.,
Glossar, s. v. p 1 egi um. Borh und plegium werden in den Quellen des
angelsächsischen Rechts für persönliche Sicherheit (Bürgschaft) und für
Pfand gebraucht. Siehe Schmid, a. a. 0., Glossar, s. v. plegium: vgl. da-
selbst s. v. inborh.
7) Dünsetan, c. 8, Schmid, Gesetze, S. 303.
") Ine, 02, Sclunid, Gesetze, S. 51.
9) Ine, 62, Schmid, Gesetze, S. 51.
Ine, 62, Schmid, Gesetze, S. 51: siehe auch Anmerkung daselbst.
") Dünsetan, c. 1, Schmid, Gesetze, Anh., S. 358, 35!>: und daselbst
Glossar, s. v. undön.
'•) Ine, 62, Schmid, Gesetze, S. 50, 51.
,3) Siebe oben Anm. 12.
'*) Aethelred, III, 7, Schmid, Gesetze, S. 214, 217.
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fil
Als Bezeichnung <les Immobiliarnutzpfandes selbst, d. li.
des Gegenstandes der Verpfandung, finden wir in den Urkunden
folgende Worte und Ausdrücke: underwedd'J; an wedd*); uadi-
monium5); sceat on pam lande stent4).
Die Schuld wird ausgedrückt mit: mutuum*); sceatp)(Geld) ');
1 ;‘e n *).
Die Pfandbestellung heißt: to underwedde gesyllan*); tö
anwedde bet;t*can '“); pro uadiinonio dare"); he haebbe
paet land for pundum pe he linde1*).
Die angelsächsischen Urkunden bezeichnen das Immobiliar-
Proprietätspfand, d. h. den Gegenstand der Proprietätsver-
pfändung mit: uadimonium ,5); land «Va-ron stent ü'äm bis-
ceope eahte marca goldes14).
Für die Schuld finden wir die Bezeichnungen: mutuum'6);
praetium'*); marca goldes11).
Bezeichnungen für die Pfandbestellung sind: commendare1*);
donare'*); dare*“); in uadimonium dare*4).
') Crawford Charters, hrsg. von Napier and Stevenson, S. 65.
*) Kemble, Cod. Dip. CCCCXCIX.
3) Kcinble, Cud. Dip. MCCXXXVII.
4) Crawford Chart., S. 65.
6) Kcinble. Cod. Dip., MCCXXXVII.
6) Crawford Chart., S. 65.
7) Siehe Sehmid, Gesetze, Glossar, s. v. sceat.
*) Kemble, Cod. Dip., DCCCCXXIV. Siehe Brunner, Zur Kerhts-
geschichte der römischen und germanischen Urkunde, S. 198, Anut. 1, und
Sehmid. Gesetze, Glossar, s. v. la«n.
*) Crawford Chart., S. 65. Siehe Sehmid, Gesetze, Glossar, s. v. sy 11 an.
"’) Kemble, Cod. Dip., CCCCXCIX. Siehe Sehmid, Gesetze, Glossar,
s. v. beta<acan (-tiehtc, -taeht), impertirc, überliefern.
") Kemble, Cod. Dip., MCCXXXVII.
'-j Kemble, Cod. Dip.jDCCCCX XI V.Siehe Brunn er, a.a.O.,S.198, Amn.l.
**) Kemble, <’od. Dip., DCXC.
'•) Kemble, Cod. Dip., DCCCCLIII.
“) Kemble, Cod. Dip., DCXC.
w) Kemble, Cod. I>ip., CLXXXVI. Siehe Brunner, a. a. 0., S. 197.
,7) Kemble, Cod. Dip., DCCCCLIII.
,a) Kemble, Cod. I)ip., CLXXXVI: siebo Brunner, a. a.O., S. 196, 197.
,9) Kemble, Cod. Dip., DCLXXXIX. Siehe Kemble, a. a.O., DCXC
uml Brunner a. a. 0., S. 195. Vgl. Kemble, a. a. 0., CLXXXVI.
*“) Siehe oben Anm. 19.
»') Kemble, Cod. Dip., DCXC.
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r.-2
Praetium reddere1) wird in einer Urkunde für die Einlösung
des Pfandes gebraucht.
II. Zeitabschnitt von der normannischen Eroberung bis
zum Ausgang des Mittelalters*).
Die übliche Bezeichnung für den Formal- oder Wettvertrag
ist interpositio fidei oder affidare; im Englischen wird der
Vertrag gewöhnlich pledge of faith genannt.
Der Akt der Pfändung von Mitbiliar wird in den lateinischen
Quellen gewöhnlich bezeichnet mit distringere = zwingen, doch
findet man auch tlas Wort deforciare*).
Das Pfandobjekt heißt d ist riet io. Britton, der zur Zeit
Eduards I. lebte, gebrauchte das normannisch-französische Wort
naam für das Pfandobjekt ‘). Ferner findet man das Wort namium1).
Mit dem Ausdrucke distresse ist ebenfalls das Pfandobjekt ge-
meint. Distresse ist wahrscheinlich ein französisches von dem
lateinischen districtio sive angustia abgeleitetes Wort, denn
die gepfändeten Sachen werden in einem straight oder Pfandstall
untergebracht6). Andere leiten das Wort ab von distringere =
zwingen’). Destresse') und destresce9) sind nur eine andere
') Kemble, Cod. Di]'., CLXXXVI. Siehe Brunner, a. u. 0., S. 197.
*) l>ie Besprechung der Terminologie der Quellen dieses Zeitabschnittes
ist etwas unvollständig; (Genaueres hierüber ist in der Arbeit selbst zu linden.
3) Siehe Publications of the Pipe Roll Society, III, S. 79.
4) Siehe oben S. 55 Anm. 1 und Spei man, filossarium, s. v. Na in, Ka-
in alio. Das Wort kommt häufig in englischen, in nnruiännisch-franziisischer
Sprache geschriebenen, Keehtsqucllen und Wiehorn vor. Nnani findet man
in dem Mirror of Justices (Seid. Soc.), S. 70—73. Der tirand f'oustu-
111 j e r de Normandie enthält ein Kapitel, überschrieben De dclivcrance
de Nain]is. Siehe auch Bullen. Distress, S. 8, Anm. (1).
*) Siehe Stubbs, Select Charters, tilossar, s. v. na min in.
6) Coke über Littleton, 9(ia. Siehe Pollock and Maitland, a. a. O.,
II, S. 575; Blackstone, III, c. I, § V.
’) Siehe Bullen, a. a. 0., S. 1, Anm. (c); Spelman, n. a. O. s. v.
Distringere, Districtus, Districtio; Digby, History of Real Property,
S. 83, 434.
®) Das Wort erscheint in alten engl. Schriften und in normannischen
mittelalterlichen Rcchtsqnellen. Siehe Murray, Dictionary, S. 532, tit.
Distress, II; Bullen, a. a. 0., S. 2. Anm. (c).
*) Britton, liv. I, c. XXY11I, §2. Siehe auch den Mirror of Justices
(Seid. Soc.), S. 7«, 71.
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(iS
Schreibweise desselben Wortes. Destreynable ’) nnd destrei-
nable*) bezeichnen die Pfändbarkeit eines Gegenstandes.
Der Akt der Fortnahine von Gegenständen und deren Einbe-
haltung, um den Gepfändeten durch das Verlangen, die Gegen-
stände zurüekzuerhalten, zu zwingen, Zahlung zu leisten oder irgend
eine andere Handlung vorzunehmen, ist bekannt unter der Be-
zeichnung „distress“ (districtio*). Das Wort distress findet
jedoch in den Quellen und in der englischen Rechtsliteratur so
verschiedenartige Anwendung, daß man unter demselben nicht
nur den Akt der Fortnahme, sondern auch das Pfändobjekt selbst
und das Rechtsmittel im allgemeinen versteht4). Als Rechtsmittel
findet das Wort distress für verschiedene Zwecke Anwendung, z. B.
für das Recht des Grundherrn, seinen Lehnsmann zur Zahlung
rückständiger Rente oder zur Verrichtung von Diensten zu
zwingen5). Ferner versteht man unter distress sowohl die Pfän-
dung von Mobilien, als auch die von Immobilien, gleichgiltig ob
es sich um eine Pfändung mit Renten tionsrecht, Verfallsrecht oder
Verkaufsrecht handelt.
Die üblichste Bezeichnung für das gegebene Mobiliarpfand ist
vadium (pledge, pawn) und die gebräuchlichsten Benennungen
lür den Akt der Verpfändung vadiare6) und ponere in va-
dium7).
Betreffs des Immobiliarpfandes mit Besitz des Gläubigers
finden wir im Domesday Book die folgenden Bezeichnungen: für
Pfand — vademonium, für den Akt der Verpfändung — inva-
') Britton, liv. I, c. II, §7.
*) Britton. liv. I, c. XXVIII, § 10.
*) Siche ferner Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 575, 570,
Amu. III. Siehe auch Bullen, a. a. ()., S. 1; Blackstone, III, r. 1, § V.
Vgl. den Mirror of Justices (Seid. Soc.), S. 70 — 73.
*) Siehe Bullen, a. a. 0., S. 2.
s) Siehe Glanvill, IX, X, XI: Coke über Littleton, 47: Brooke;
Abridgment, tit. Distress; Doctor and Student, (Ausg. 1554), 2. Buch, e.
VIII, IX, XXVII: Beilewe, Lcs Ans du Roy Richard le Second, tit. Dis-
tres: Special and Selected Law C'ases: Blackstone, III, c. I, § V:
Bullen, a. a. 0., S. 2; Pollock and Maitland, a. a. 0.. II, S. 275, 570.
*) Siehe The Court Baron (Seid. Soc.), hrsg. von Maitland andl’alcy,
S 125, 120.
7) Siehe Select Plcas öf the Crown (Seid. Soc.) hrsg. von Mait-
land, 8. 6.
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f>4
diare1), ponere in radimoninm. dare in vadimonium1), für
den Besitz des Pfandgläubigers — tenere pro vadimonio*),
habere in vadimonio4), für den Zustand des Verpfändetseins —
invadiata terra4), für die Einlösung des Pfandes — dissolutum
a vadimonio®)
Die Todsatzung des englischen mittelalterlichen Rechts wird
von den Schriftstellern der Neuzeit vivum vadium oder vif-
gage genannt7). Ob diese Ausdrücke auch schon im Mittelalter
im Gebrauch waren, darüber haben wir keine Beweise. Die Zins-
satzung wird von Glanvill mortuum vadium genannt8) und
unter dieser Bezeichnung ist sie auch in der modernen Rechts-
literatur bekannt. Die befristete Zinssatzung wird von Littieton
mortgage oder mortuum vadium genannt9).
Für den Akt der Verpfändung hat man die Bezeichnung
impignorari obligari et impignorari"), invadiare12). Kür
') Kelham, ßomcsday Book Illustratcd, S. 1G1. 353, siche auch da-
selbst S. 299.
■J) Chisenhale-Marsh, Domcsday Book relating to Essex, f. CLVII,
Anm. b.
s) Chisenhale-Marsh, a. a. 0., f. CLVII, Anm. b: Crawford Chart.. S. 77;
Kelham, a. a. 0., S. 353.
4) Chisenhale-Marsh, a a. 0., f. CLVII, Anm. b.
4) Kelham, a. a, 0., S. 242.
*) Kelham, a. a. O., S. 197, 244, 353.
7) Siche unten Buch II, Teil III.
*) Glanvill, X, G, 8.
9) Littieton, § 332. Siehe ferner über die verschiedene Anwendungs-
weisc der Worte mort und vif Kranken, ErnnzOsisches Pfandrecht, S. 8,
123 — 130: Beames, Translation of Glanville, S. 252, Anm. 2; lteeves,
History of English Law, I, S. 211, Anm. (a): l’ollock and MBitland,
a. a. O., II, S. 119, Anm. 3.
10) Register, or Rolls of Walter Gray, Lord Archbishop of York (Surtees
Soc.), a. 1). 1227, S. 22G.
") Cartularium Prioratus de Gyseburne (Surtees Soc.), a. I). 1230, I,
S. 144.
'*) Siehe Select Civil Pleas (Seid. Soc.), a. P. 1200—1203, I, S. 2, 18,
3G, 57, 77, 79, 80. Siehe auch a. a. 0., Inhaltsverzeichnis s. v. writ of en-
ry sur plege. Vgl. a. a. O., S. 10, 36, 70.
Kiir Einlösung linden wir den Ausdruck disvadiare. Siehe Select
Civil Pleas (Seid. Soc.). I, S. 77.
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die Hypothek finden wir die Ausdrücke ypotheca') und obligatio
bonorum*).
') Siehe Landboc sive Ke^istruin Mnnasteri de Winchelcumba . I,
S. 254. V)fl. Histnriaiis of the Church of York (Ibdls), 111. S. 174.
*) I.andboc sive Ke^istnim Mnnasterii de Winicheleumba, I. S- 304 , 305,
318. 319. 348.
Haieltfne, Knatisches rr&ntlrecht
5
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Erstes Buch
Die angelsächsische Periode
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Erster Teil.
Der Formal- oder Wettvertrag.
Erstes Kapitel.
Überblick der Entwickelung.
Im Rechte der Angelsachsen, wie in den (Ihrigen germanischen
Rechten, hat sich wahrscheinlich der Formal- oder Wettvertrag
erst allmählich aus Sachhaftung und Personenhaftung entwickelt ').
l) Betreffs des germanischen Rechtes siche Brunner, Grundzüge der
deutschen Kcchtsgcscbichtc, S. 180, 184, 185, 188, 193; Schröder, Deutsche
Rechtsgeschichte, S. 286 — 295: Ucuslcr, Institutionen des deutschen Privat-
rechts, II, S. 230—253.
Wie es scheint, geht von der Auffassung einer früheren Zeit des
Tauschhandels und der Selbsthilfe aus, daß das englische Recht das dem
Gläubiger übergebene wed oder vadium als eine vorläufige Befriedigung,
eine provisorische Zahlung, ein wiedereinlösbares Verfallsobjekt ansieht.
Res und Forderung werden als gleichwertig angesehen, und wenn der Pfand-
geber die Einlösung nicht vomimint, so kann sich der Pfandnehmer zum
Zwecke der Befriedigung nur an die res halten. Der Pfandnehmer kann
keine persönliche Klage gegen den Pfandgeber erheben, während letzterer,
sofern eres versäumt, die res einzulösen, keinen Anspruch auf den Überschuß
hat, wenn die res mehr wert ist, als der Betrag, den der Pfandnehmer zu
fordern hat. Diese Verfallsidee ist die ursprüngliche dem wed zugrunde
liegende Idee, und diese Auffassung hat sich auch für die Folge erhalten.
Im Laufe der Zeit aber haben sich mit der Entwickeluug des Kreditwesens
und des gerichtlichen Zwangsvollstreckungsvcrfahrens, sowie der mannig-
faltigen Obligationen und Klagen zur Geltendmachung der daraus sich er-
gebenden Rechte zwei weitere Ideen abgezweigt: 1. Durch die Übergabe
einer res von geringem Werte kann zwischen den Parteien ein bindender
Vertrag geschlossen werden, der sogenannte Wett- oder Fonnaivertrag, der
sich mit der Zeit bei den englischen geistlichen Gerichten in den Fonual-
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70
Anstatt der Pfandsatzung oder Geiselstcllung gibt der Schuldner
dem Gläubiger einen wertlosen (»egenstand als Scheinpfand und
vertrag durch interpositio fidei (pledgc of faith) und bei den Gerichten
des gemeinen Rechts in den Fonnalvcrtrag durch Übergabe einer gesiegelten
Urkunde (eontract under scal) entwickelt hat. 2. Ist die res von beträcht-
lichem Werte, so dient sie als Sicherstellung einer persönlichen Forderung.
Der Pfandgläubiger ist berechtigt, den Pfand Schuldner persönlich an ver-
klagen, während der Pfandschuldner den Pfandgläubiger auffordem kann,
über den Überschuß Rechenschaft abzulegen. Über diese Ansicht der ger-
manischen Entwickelung im allgemeinen, aber ohne Berücksichtigung der
englischen Quellen, siche Wigniore, The Plcdge-Idea, Harvard I.aw Review,
Hd. X, S. 321 ff. Über Schuld und Haftung vgl. von Arnira, Nordgerma-
nisches Obligationenrecht, Band I, Altschwedisches Obligationenrecht (1882),
S. 22 — 42, und Band II, Westnordisches Obligationcnrecht, 8. 56 ff.; ßrinz,
Pandekten, (1872), II, S. 1 ff.: Puntschart, Schuldvcrtrag und Treugelöb-
nis des sächsischen Rechts im Mittelalter, S. 73 ff.: Egger, Vermögens-
haftung und Hypothek nach fränkischem Recht, S. 86 ff.: Gierke, Deutsches
Privatrecht, Bd. II, S. 809 ff. Siehe auch Köhler, Das Recht als Kultur-
erscheinung, S. 17: Ghironi, Trattato dei privilegi, delle ipoteche e del
pogno, (1894), I, S. 1 ff.
Neben dieser Entwickelung der Idee der Sichcrheitsstcllung aus der
primitiven Pfandidee tritt gleichzeitig die Entwickelung einer verwandten
Idee auf, die von der ersteren jedoch sorgfältig unterschieden werden muß.
Insofern nämlich das Pfandgeschfift zur Zeit seiner Entstehung nichts
uls eine vorläufige Zahlung darstellte, mangelte dem Eigentumsrecht des
Pfandgläubigers bei der Zahlungsversäumnis die Auflassung, das vollständingu
Aufgeben aller Rechte an der Sache, das nach germanischem Rechte zu einem
vollgültigen und absoluten Rechtstitel notwendig ist. Der Pfandgläubiger
suchte diesem Mangel dadurch abzuhelfen, daß er zum Gerichte ging und
dieses aufforderte, seinen Rechtstitel perfekt zu machen: in späterer Zeit
aber veranlaßte er den Pfandschuldner gleich von vornherein, eine resig-
natio-Klausel in die Urkunde aufzunchmen. Durch eine solche Klausel
umgeht jedoch der Pfandgläubiger die Verpflichtung, welche das Recht im
I.aüfc der Zeit ihm auferlegt hat, nämlich, den Überschuß zurückzuzahlen.
Hier tritt aber wieder das Recht ein und verbietet diese Umgehung. Be-
treffs Einzelheiten über diese Ansicht der germanischen Entwickelung im
allgemeinen, aber ohne Berücksichtigung der englischen Quellen, siehe
Ileusler, Institutionen des deutschen Privatrccbts. II, S.128 — 153, 225- 250:
Wigtnore, The Plcdge-Idea, Harvard Law Review. X, S. 321—341. über
die historische Bedeutung des „release“ und „quit-claim“ im englischen
Rechte vgl. Professor Ames’s Aufsätze über Disseisin of Chattels in Harv.
L. R., Bd. III, 8. 23, 313, 337. Über die Entwickelung der Pfandidoe im
röm. Recht vgl. Wiginore, The Plcdge-Idea, Harv. L. R., XI, S. 29.
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71
stellt gleichzeitig Bürgen1). Durch die Hingabe dieses Schein-
pfandes, dieser Wette (wed, vadium), wird also der Formal-
oder Wettvertrag rechtskräftig. Dieses Scheinpfand, diese Wette,
muH jetzt ausgelöst werden; und nach älterem angelsächsischen
Rechte haftet der Bürge und er allein dem Gläubiger für die
Einlösung, während der Wettgeber lediglich dem Bürgen verhaftet
wird*). Später wird der Wettvertrag von der Bürgschaft eman-
zipiert und der Schuldner haftet dein Gläubiger allein und un-
mittelbar durch die Hingabe der Wette3), Dem Anscheine nach
wird der Wettvertrag im Rechtsgang, bei der Beilegung der Fehde
und bei der Verlobung zuerst gebraucht, und erst später, haupt-
sächlich durch die Emanzipation von der Bürgschaft, zur allge-
meinen Vertragsform ausgebildet4). Außer der Hingabe der Wette
entstehen noch weitere Fermen. Der Formal- oder Wettvertrag
(Gelöbnis) wird eingegangen durch Handschlag (nn hand syllan),
Gott-Verbürgung (god-borh, dei plegium), Eid (ä<V, juramen -
tum), Treuversprechen (trywa, fides), Wort und Wette (word
and wedd)4). Obwohl seiner Natur nach nur für einseitige Ver-
bindlichkeiten geeignet, wird der Wettvertrag durch gegenseitige
Hingabe der Wette oder Treue zu einer zweiseitigen Vertragsform
ausgebildet').
Die älteren angelsächsischen Quellen enthalten verhältnis-
mäßig wenig über die erste Periode der Entwickelung, aber sie
veranschaulichen uns doch mit genügender Deutlichkeit den alten
') Iliu angelsächsischen Quellen sagen nichts Bestimmtes über die
Wette selbst. Aus einigen Stellen kann man aber wohl schliellen, (lall die
Wette (wed, vadium) irgend ein wertloser Gegenstand war. Siehe unsere
späteren Ausführungen. Bei anderen germanischen Völkern linden sich die
fest u ca und andere körperliche Gegenstände, welche als Wette dienten.
Siehe Brunner, a. a. ü., S. 180: Schröder, a. a. 0., S. 290.
*) Siehe unsere späteren Ausführungen. Obwohl die Quellen nichts
darüber berichten, an bedeutet die Haftung des Schuldners dem Bürgen
gegenüber doch höchst wahrscheinlich , datl der Bürge mit der Wedle
I’fändungsrecht am Vermögen des Schuldners erhält. Darüber, dal) dies bei
anderen germanischen Rechten der Fall war, siehe die oben S. (i'J Amn. 1
citierto Literatur.
*) Sicho unten das Nähere.
4) Siehe unten das Nähere.
*) Siehe die späteren Ausführungen und Schmid, Gesetze der Angel-
sachsen, Glossar, s. v. forword, Word, word-geewide.
') Siche Näheres unten.
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72
durch die Wette (wcd, vadium) geschlossenen Bürgschaftsvertrag
(borli, plegium). Schon in den Gesetzen Hlothars und Ead ries ’)
wird der Verhandlungsvertrag der Parteien im Kechtsgang durcli
Bürgenstellung (borli) geschlossen. Die frühzeitigste Form der
Civilobligation im angelsächsischen Recht, wie im germanischen
Rechte überhaupt, ist wahrscheinlich die Verpflichtung, Wergeid zu
zahlen. Kann ein Totschläger nicht sofort zahlen, so schließen
die Parteien einen Sühnevertrag in Form eines Wettvertrages mit
Bürgenstellung. In einem Bruchstücke, Hü man sceal gyldan
twelf-hyndes man*), das nach der Ansicht Seebohms wahr-
scheinlich der Zeit bald nach Abschluß des Vertrages zwischen
Alfred und Gnthrun (SSO— 890) angehört und das möglicherweise
angelsächsisches Gewohnheitsrecht darstellt, wie solches vor An-
kunft der Dänen in Geltung war3), verspricht der Totschläger der
Magenschaft des erschlagenen Mannes durch die Hingabe e ine
Wette, das Wergeid zu zahlen (beweddod haebbe, vadiaverit),
und stellt auch Werbürgen (waer-borh, werae plegios). In
Edmunds Gesetz Be faehö'e4) wird derselbe Bürgschaftsvertrag
durch wed und borli bei der Beilegung der Fehde nach Volks-
recht (aefter folcrihte) geschildert; auch erscheint er in den
Leges Henrici Primi J), die angelsächsisches Recht vor der nor-
mannischen Eroberung darstellen sollen. In dem Traktat Be
wifmannes beweddunge*), der nach Schmid einer älteren
Zeit angehört, sehen wir die Verlobung in der Form eines gegen-
seitigen gewetteten und verbürgten Vertrages (wedd und borh)
zwischen dem Bräutigam und den Fürsprechern der Braut. Aus
einer Stelle in dem Traktate lernen wir, daß alles, was der Bräuti-
gam versprochen hat, durch Wette bekräftigt werden muß (Trymme
he eal mid wedde paet pact he behüte; Totum hoc vadio
confirmetur); und an einer anderen Stelle sagt der Traktat,
daß das Versprechen des Bräutigams mit der Wette oder auf die
') Siehe unten S. 76—78.
*) Siehe die späteren Ausführungen.
*) I.iebcrmann, a. a. 0., S. IX, 302 — 305, hält unsere Quelle für «ine
l'rivatarbeit aus den Jahren 044 — c. 1060.
*) Sieho die späteren Ausführungen.
5) Siche Näheres unten.
6) Siehe Näheres in späteren Ausführungen.
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Wette (on wedde s y llan ') abgegeben werden müsse. Dieses
Versprechen mit der Wette oder auf die Wette wird durch die
Freunde des Bräutigams verborgt (äborgian, plegient). Ähn-
lich scheint der Vertrag bei Rechtsverkehr zwischen Dänen und
Engländern zu sein1). Die Parteien schließen einen Vertrag in
der Form eines Treuversprechens (trywa) und gegenseitiger
Geiselstellung (gislas), d. h. einen Bürgschaftsvertrag in der
Form des Formal- oder Wettvertrages (Treuversprechens).
Die Behauptung, daß in dieser ersten Periode aller Wahr-
scheinlichkeit nach, obwohl unsere Quellen nichts darüber sagen,
die Wette vom Schuldner dem Gläubiger und vom Gläubiger dem
Bürgen übergeben wird, wird durch zwei Stellen, eine aus Ines
Gesetzen nnd eine aus Alfreds, bestätigt; denn aus diesen Stellen
sehen wir, daß der Bürge dem Gläubiger und der Schuldner dem
Bürgen haftet’). Ine 31 sagt: Wenn jemand ein Weib kauft
und der Kaufpreis nicht gezahlt wird, entrichte er das Geld und
leiste Ersatz und büße dem Bürgen (byrgean, plegio), je nach-
dem der Bfirgschaftsbruch (borg-bryce, infraetio p 1 egii) ist4).
In Paragraph 8 von Alfreds Gesetz, Be äiVum and beweddum,
') Vergl. die späteren Ausführungen über on hand syllan (Handschlag)
und on anum wiepno syllan (Gelöbnis auf eine Waffe).
*) Siche unten das Nähere.
3) Siehe Schmid, a. a. O., S. 34, 35, 70, 71, 540: Licbcrmann, a. a. (J.
S. 48, 43, 102, 103.
Vgl. auch Ine 62 (siehe unsere späteren Ausführungen), wonach der
Beklagte Geisel seines Bürgen bleiben umli, bis er das vom Bürgen im
Prozesse gegebene Pfand frcimachen kann.
4) Schmid, a. a. O., S. 34, 35. Der Test dieser Stelle nach der
Cambridge-Handschrift, wie er bei Liebermann a. a. 0., S. 102 abgedruckt
ist, ist im Wesentlichen derselbe wie der bei Schmid. Liebermann,
a. a. 0., S. 103 übersetzt: Wenn man ein N'eib (zur Ehe] kauft, die Braut-
Ubergabe [Tranung] jedoch nicht zu Stande kommt, gebe [der Braut-Vor-
mund] das Geld [dem Bräutigam] zurück und bezahle [ihm] noch einmal so
viel [zur Busse] und biiüe dem [Yerlobungsjbnrgen so viel, wie der Bruch
einer durch letzteren [geleisteten] Bürgschaft kostet. Vgl. auch andere Les-
arten — die aber im Wesentlichen dieselben sind — und die entsprechende Stelle
des (juadripartitus bei Liebermann a. a. 0., S. 102, 103. Über Ine 31
siehe auch ferner Hazeltinc, Zur Geschichte der Eheschließung nach angel-
sächsischem Recht (Sonder- Abdruck aus der Festgabe für H übler), S. 5
(Anm. 7), 7 (Anm. 13), 12.
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sagt nach Schmid s Übersetzung der Gesetzgeber: Wenn aber
ein anderer Mensch Bürge (bürg, plegius) ist, so büße er den
Bürgschaftsbruch (borg-bryce, infractnram plegii) wie ihn
das Recht weist, und den Bruch der Vertragstreue (wed-bryce,
infracturam vadiii wie ihm sein Beichtiger vorschreibt ').
Der Formal- oder Wettvertrag tritt mit seiner Loslösung von
der Bflrgenstellung, wie oben gesagt, in eine zweite Stufe der
Entwicklung ein. Der Schuldner bestellt keinen Bürgen. Durch
die Übergabe der Wette an den Gläubiger oder durch eine andere
Form, wie Eid oder Treuversprechen, geht der Schuldner eine ihn
allein verpflichtende vertragsmäßige Verbindlichkeit ein. Dadurch
wird der Wettvertrag zu einer allgemeinen Vertragsform; und
wahrscheinlich spielt bei dieser Umbildung des alten Wettver-
trages, wie in anderen germanischen Rechten, die Idee der Selbst-
bürgschaft des Schuldners eine Rolle, obwohl unsere Quellen nichts
darüber enthalten 3i. Wie dem auch sei, zur Zeit Hlothars und
Eadrics linden wir das von der Partei selbst im Rechtsgang
durch Eidesleistung (Arte) gegebene Befriedigungsversprechen3).
Ines Gesetze sprechen ganz allgemein von Wettverträgen (wed,
vadium4); und bei Alfreds Gesetz Be Artum and be weddum
(De juramentis et vadiis)5) ist es auffallend, daß von neun
Paragraphen acht die den Schuldner allein verpflichtenden vertrags-
') Aelfrcd 1, §8, Schmid, a. a. O., S. 70: Gif pser ponne Örter
mcnnisc borli sie, bete pone borg-bryce swa bim ryht wisie, and pone «ed-
brvce swä hini his scrift scrifc. Der Text dieser Stelle nach der Cambridge-
Handschrift, wie sie bei Liebermann, a. a. 0., S. 48 abgedruckt ist,
lautet : Gif pmr rt’onnc oper mcnnisc borg sic, bete pone borgbrycc swa bim
rvlit wisie, and rt'one wed-bryce swa liim bis scrift scrifc. Liebermann,
S. 49, übersetzt.: Wenn aber andere Leute da Bürgen sind, bülle [der Ver-
tragsbrüchige an jene] den Bürgschaftsbruch, wie ihm [weltliches] Kocht
zuweist, und den Vertragsbruch, wie ihm sein Beichtvater auferlegt. Vgl.
ferner die Lesart der Itochcster-Handschrift (Texlus Koffensis) und die
entsprechende Stelle des Quadripartitus bei Liebermann, a. a. O.,
S. 48, 49.
*) Betreffs anderer germanischer Hechte siehe die oben S. (59, Anin. I
citierte Literatur. Vgl. auch den Wortlaut von Alfreds Be art um and be
weddum, § 8, Schmid, Gesetze, S. 70, 71, Liebermann, Gesetze, S. 48, 49.
3) Siehe unten das Nähere.
4) Sie unten das Nähere.
•') Siehe unsere späteren Ausführungen.
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mäßigen Verbindlichkeiten durch Wette (wed, vadium) und F3id
(äff, juramentum) behandeln. Nur ein einziger Paragraph be-
handelt ausnahmsweise den Fall, wo der Schuldner einen Bürgen
durch einen Wettvertrag bestellt. In diesem Paragraphen spricht
Alfred vom menschlichen Bürgen (Gif off er mennisc borh sie);
und im Kapitel 33 seiner Gesetze spricht Alfred von Gott-Ver-
bürgungen (god-borh, Dei plegium). Diese geheimnisvolle
Gott- Verbürgung ist auch wahrscheinlich als eine den Schuldner
allein verpflichtende wettvertragsmäßige Verbindlichkeit in der be-
sonders solennen Form der Verbürgung Gottes zu erklären. Der
Schuldner bestellt keinen Bürgen durch einen Wettvertrag; er
selbst haftet dem Gläubiger durch den Wettvertrag und Gott ist
sein Bürge1). Wie nahe diese Form des Wettvertrages dem Eid
und dem Treuversprechen steht, ist klar.
Im Kirchenrecht der Zeit nach der normannischen Eroberung
haben wir die beiden Vertragsformen des eidlichen Versprechens
(oath, juramentum) und den Vertrag durch fides facta (pledge
of faith, affidare)3). Es bedarf nur eines flüchtigen Blickes in
die angelsächsischen Quellen, um zu ersehen, daß sie bereits beide
Formen enthalten. Diese Umwandlung des alten Fonnaivertrages,
der durch Übergabe eines körperlichen Gegenstandes (wed) ge-
schlossen wurde, scheint in der Tat durch die christliche Kirche
wesentlich beeinflußt worden zu sein ’). Obgleich unsere Quellen,
') Anderer Ansicht ist Schmid, Gesetze, S. 89, Amu. zu Alfred 33:
,God-borg, dei plegium, sonst nirgends erwähnt, scheint eine Verbürgung
unter Anrufung Gottes gewesen zu sein, du auch die Anklage wegen Bruchs
derselben durch den besonders solennen Yorcid und die dem entsprechenden
ltcinigungseide in verschiedenen Kirchen ausgezeichnet war. Das Schwören
in mehreren Kirchen erwähnt noch Fleta, II, 63." I)ic Übersetzung von
.Elfred 33 bei L iebermann, a. a. 0., S. 66, 67, lautet: Wenn jemand einen
andern anklagt wegen eines bei Gott verbürgten (Versprechens] und be-
zichtigen will, daß derselbe deren eines nicht erfüllt habe, die jener [Be-
klagte] ihm gegeben hätte, so leiste er den [Kläger-JVoreid in vier Kirchen:
und der andere, wenn er sich reinschwören will, in zwölf Kirchen thue er das
*) Siche unten Buch II, Teil I.
*) Kirchlicher Einfluß machte sich lange vor der Zeit König Ines in
England bemerkbar, indem er das alte angelsächsische Recht und Stammcs-
gemeinwesen modifizierte. Siche Sccbohm, Tribal Custom in Anglo-Saxon
Law, S. 530, 531. Alfred war einer der frömmsten englischen Könige (Jenks,
Law and Politics, 8. 275, nennt ihn „the pious Alfred") und seine Gesetze
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so wie sie auf uns überkommen sind, möglicherweise durch die
Ideen späterer Zeiten beeinflußt worden sind, so ist doch die Tat-
sache, daß sie Zeugnis ablegen von dem Vorhandensein des eid-
lichen Versprechens und der fides facta nicht ohne Bedeutung
und muß bei der Erforschung der Entwickelung des Formalver-
trages des englischen Rechts berücksichtigt werden.
Zweites Kapitel.
Der Formal- oder Wettvertrag in seinen einzelnen Aus-
gestaltungen.
I. Im Rechtsgang.
Das solenne Versprechen im Rechtsgang erscheint in den
angelsächsischen Quellen als 1. Verhandlungsversprechen, 2. Be-
weisversprechen, und 3. Befriedigungsversprechen.
Das Verhandlungsversprechen findet sich schon in den Gesetzen
Hlothars und Eadrics vor. Im Kapitel N derselben heißt es nach
Schmids Übersetzung: Wenn jemand einen anderen einer Sache
zeiht und er mit dem Mann zusammentrifft an der Mahlstätte
oiler an dem Ding, so stelle immer der Mann (der Bezichtigte;
dem Andern einen Bürgen und leiste ihm das Recht '), das ihm
die kentischen Richter vorschreiben. Kapitel !>: Wenn er aber
einen Bürgen verweigert2), gelte er dem Könige 12 Schillinge,
und der Rechtsstreit sei so offen wie er zuvor war. Kapitel 10:
Wenn jemand einen andern bezichtigt, nachdem er (der Bezichtigte)
ihm einen Bürgen gestellt hat, und sie dann nach drei Nächten
den Richter für sich aufsuchen, wenn es nicht dem, der die Klage
erhebt, später lieber ist, so tue der Mann, wenn die Rechtssache
entschieden ist, in sieben Nächten dem Andern sein Recht, ge-
schehe es in Gut oder durch Eid (an feo oflfö'e an aö’e), was
ihm lieber ist; wenn er da dann nicht will, so gelte er dann
zeigen deutlich den Kinfluü der Kirche. Auch Cnut war sehr für die Kirche
eingenommen. Siehe Friedberg, Recht der Eheschließung, S. 34: l'ollock
and Maitland, History of English I.aw, II, S. 367.
') . . . synible se man päm i'iifrum byrigean geselle, and päm riht
wäyrcc, . . .
J) Gif he ponne byrigan forwierne, . . .
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100 ohne Eid (äffe), sobald eine Nacht über den Richtersprnch
vergangen ist *>.
Der Zusammenhang dieser drei Kapitel scheint folgender zu
sein*): Hat der Beklagte dem Klüger ein verbürgtes Gelöbnis ge-
geben , vor Gericht zu erscheinen (Bürgschaft de judicio sisti),
dann gehen die Parteien innerhalb dreier Tage zum Richter, so-
fern der Klüger nicht einen späteren Termin vorzieht. Daselbst
hat der Kläger seine Klage wieder vorzubringen. Ist die Rechts-
sache durch richterlichen Spruch entschieden, dann soll der Be-
klagte binnen sieben Nächten entweder zahlen oder die Befriedigung
durch Eidesleistung5) versprechen. Wenn der Beklagte dies nicht
will, soll er 100 s. zahlen ohne zum Eide zugelassen zu werden,
d. h. ohne den Vorteil eines Zahlungsversprechens durch Eid,
sobald eine Nacht über die Entscheidung des Richters verflossen ist.
Wir haben also hier ein Verhandlungsversprechen und ein
Befriedigungsversprechen; und in beiden Fällen handelt es sich
') Hinthar and Eadric, c. 8, 9. 10, Schmid, Gesetze, S. 12, 13. Siehe
Brunner, a. a. 0.. II, S. 3fi8.
Der Text dieser drei Capitel bei I.icbermann, a. a. ()., S. 10, ist itn
Wesentlichen derselbe wie bei Schinid. Liebermann übersetzt: c. 8:
Wenn einer einen andern einer Schuld zeiht und er diesen Mann in Volks-
versammlung oder im [Gerichtsjdinge trifft, [so] bestelle dieser [bezichtigte]
Mann immerhin dein andern [Klüger] einen Bürgen und leiste demselben
das [ihm gebührende] Bucht, was ihnen die Richter der Kenter zuerkennen,
c. 9 : Wenn er aber einen Bürgen verweigert, gelte or dem Könige 12 Schillinge ;
und es sei die [Rechtsstrcitjsache so offen wie sie zuvor [vor der Weigerung]
war. c. 10: Wenn jemand einen anderen bezichtigt, nachdem dieser ihm
einen Bürgen bestellt hat, [so] sollen sic binnen 3 Nächten darauf sich einen
Schiedsrichter aufsuchen (alliier wenn spätcr[er Termin] demjenigen lieber
ist, der die Klage erhebt): nachdem die Streitsache entschieden ist, erfülle
der [beklagte] Mann in 7 Nächten dem anderen das l'rthcil, passe es ihm
in Werthzahlung oder durch [Reinigungs-JKid, welches von beiden ihm [dem
Beklagten] lieber sei. Wenn er aber das [beides zu geloben] weigert, so
zahle er dann 100 [Schilling] ohne [fernere Berechtigung zum] Eid, sobald
eine Nacht über den Schiedsspruch [vergangen] ist.
*) Siche Schmid, Gesetze, S. 12, 13, Anm. zu Ille. u. Eadr. c. 10, wo
man auch eine Kritik von Brices und Thorpcs Übersetzung und Aus-
legung dieser Capitel 8, 9 und 10 linden wird. Siehe auch Lappenberg,
Hist, of England under the Anglo-Saxon Kings, II, S. 345.
5) Vgl. aber Lieber man ns Übersetzung von lllothar und Eadric, c. 10
(obeu Anm. 1).
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um einen Vertrag. Der Verhandlungsvertrag wird durcli die
Stellung von Bürgen (borli) geschlossen. Das Befriedigungs-
versprechen ist ein Urteilserfüllungsgelöbnis oder -Vertrag und
wird durch Eidesleistung (ä«Ve) rechtskräftig.
Das Beweisversprechen unserer Quellen bezieht sich auf
Gottesurteile'). Schon in Ines Gesetzen [A. D. 688 — 95] erscheint
der Kesselfang1). Gegen Ende des neunten Jahrhunderts finden
einseitige Ordalien wieder gesetzliche Erwähnung’). Erst später,
') Bei den Angelsacheu wird das Wort Ordal immer lnr Gottesurteil
gebraucht, niemals ffir das gewöhnliche Urteil (dom): bei den Kranken und
Friesen aber bedeutet Ordal beides. Brunner, a. a. 0., II. 8. 403; Schmid,
Gesetze, S. 639.
*) Ine 37, Liebermann, a. a. 0., S. 104, und Ine 62, Liebermann,
a. a. 0., S. 116, wo Liebermann statt ceap (Pfand u. s. w.) die Lesart
eeac (Kessel) bietet. Siehe ferner Liebermann, Kesselfang bei den
Westsachsen im siebenten Jahrhundert, Sitzungsberichte der Königl. preuss.
Akademie der Wissenschaften (1896), S. 829 — 835. Vgl. aber Schm i d, a. a. ().,
S. 38, 39, 50,51: Stecnstrup, Normanne IV: Danclag, 8.218: vonAmira,
Pauls Grundriß der Germ. Philologie, III, 8.219. Liebermann, a. a. 0.,
S. 829 : „Die uns erhaltene Liturgie des Knglischen Gottesurtheils entstammt
dem Frankenreiche und ist nicht vor dem Knde des 10. Jhs. überliefert.
Oie Englisch geschriebenen Hitualformeln und die staatliche Verordnung
über Ordal-Abhaltung zeigen spät- Angelsächsische Sprache. In den Gesetzen
mit Königsnamen erwähnt des Otdals zuerst der von Eadward bestätigte
Friede Guthrums. Die Sprache einer kentischen Beschwörung vor dem Ordal-
gang setzt Sweet nur über 900 hinauf. So entstand die Meinung, das
Ordal erscheine in England erst zur Dänenzeit. Allein es steht schon in
Ines Gesetz an drei Stellen und ist nur durch Mißverständniß Eines Wortes,
durch Vernachlässigung Eines Buchstaben der Rcchtsgeschichtc entgangen.“
Liebermann, a. a. 0., S. 835: „ Gegen alle bisherigen Erklärungen sprechen
also Rechtsgeschichte, Sprachwissenschaft, Handschriftenkritik und die
Notwendigkeit die Räthsel von Ine 37 und 62 mit Einem Schlüssel zu lösen.
Gegen die Erklärung ceac: Kessel spricht nur eine Theorie, die sich
bloß auf bisherigen Mangel an (Quellen beruft. Nunmehr muß man den
Ursprung des Ordals weit hiuaufrücken. Ine spricht vom Kesselgriff als
etwas lang Bekanntem: auch mangelte der Westsächsischen Monarchie des
7. Jahrhunderts wahrscheinlich die Stärke und der römischen Mission der
Wille zu Umwälzungen im Beweisrechte des Volkes. Folglich wird wohl
das Gottesgericht auch bei den Inselgermanen schon im Heidenthum bestanden
haben und bestätigt sich die Ansicht von seinem Germanischen Ursprung.“
Vgl. von Amira, a. a. 0., S. 218, 219.
’) Siehe Brunner, DRG., II, S. 402: Liebermann, Kesselfang. a. n.
0., S. 829. Arten der Ordalien bei den Angelsachsen waren das heiße Eisen,
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unter dem Einflüsse von Wilhelm und den westfränkischen Nor-
mannen, wird der prerichtliche Zweikampf in England eingeführt ').
Das Beweisversprechen in den Quellen der angelsächsischen Zeit
bezieht sich daher auf einseitige Ordalien; und deshalb findet
man Versprechen des Zweikampfes erst in den kompilatorischen
Arbeiten, die aus der normannischen Zeit stammen.
Die Gesetze Edwards regeln das verbürgte Beweisversprechen
nach Schmids Übersetzung folgendermaßen*): Wenn jemand des
Diebstahls bezichtigt ist, so sollen ihn die in Bürgschaft (borh,
das kalte und heilie Wasser und der l’rubebissen. Schinid, Gesetze,
S. G3f>, 640. Über den fränkischen, kirchlichen Einlluß auf die Ordalien in
England, siche Brunner, a. a. 0., II, 8.402, 403, sowie Liebermann,
Kesselfang, a. a. 0., 8. 823.
') Siehe Brnnner, a. a. 0., II, 8.402, 403; Pollock and Maitland
a. a. O., II, S. 600: Bigelow, Hist. Proced. in England, S. 326, 327; Holds-
worth, History of English Law, I, S. 140, 451. Lea, Superstition and
Force, S. 83: „It is net a little singulär tbnt the duel appears t<> have
been unknown among the Anglo-Saxons . . . There seems, indeed, to be no
reason to doubt that its intrnduction into English jurisprudence dates only
from the time of William the Conquerer.“ In Wilhelm, II, 1, 2, 3,
(Schinid, Gesetze, S. 352) gibt der Eroberer seinen französischen und
englischen Untertanen volle Erlaubnis, den Zweikampf anzuwenden. Wil-
helm, III, 12 (Schmid, Gesetze, S. 356) heillt es: 8i Francigena appella-
verit Anglum . . . Anglus se defendat per quod melius volucrit, aut judicin
ferri, aut duello . . . Si autem Anglus Francigenam appellavorit et probare
voluerit judicio aut duello, volo tune Francigenam purgare se sneramentn
mm fracto.
s) Edward, II, 3, Schmid, Gesetze, S. 114 — 117; Brunner, a. a. 0.,
II, S. 368. Der Text dieser Stelle nach der Bochcster-Handschrift (Text us
Itoffensis), wie bei Liebermann, a. a. 0., S. 142 abgedruckt, ist im
Wesentlichen derselbe wie bei Schmid. Liebermann (S. 143) übersetzt
(„B‘ unten in Klammern bedeutet die Cambridge-Handschrift): Wenn einer
Diebstahls beschuldigt wird, dann sollen diejenigen, welche ihn (früher B)
einem Herrn überwiesen hatten, sich für ihn verbürgen [dafür], dall er sich
von dem [Klagcpunkt] reinigen werde: oder andere Freunde, wenn er [welche]
hat, sollen dasselbe tun. Wenn er niemanden weiß, der ihn in Bürgschaft
nehme, dann sollen diejenigen, denen cs zukommt, pfandliche Sicherheit an
seinem Vermögen nehmen. Wenn er keines von beiden, weder Vermögen
noch sonstige Bürgschaft besitzt, dann werde er verhaftet [bis] zum Ge-
richtsurteil. Mit Edward, II, 3, vgl. Aethclstan, II, 2, Schmid, a. a. 0.,
S. 132, Liebermann, a. a. 0., S. 150—153; Leges Henrici Primi, 82, §2,
Schinid, a. a. (>., S. 479, Liebermann, a. a. <>., S. 598.
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plegium) nehmen, die ihn früher dem Herrn übergaben, damit er
.sieh davon reinige, oder andere Freunde, wenn er welche hat,
mögen dasselbe tun. Wenn er nicht weiß, wer ilm in Bürgschaft
(borh, plegium) nehme, so sollen die, welchen es zusteht, von
seinen Gütern pfandlichc Sicherheit nehmen (on his tehtan in-
borh)1). Wenn er keines von beiden hat, weder Güter noch
andere Sicherheit (ne a*hta ne öiVerne borh), so halte man ihn
zum Gericht fest*).
In Aethelstans Verordnungen3) linden wir vorgeschrieben,
daß, wenn jemand zu einem Ordal von Eisen oder Wasser
durch einen Wettvertrag sich verpflichte4), so komme er drei
Nachte vorher zu dem Messepriester, der es weihen soll, und
nähre sich mit Brot und mit Wasser und Salz und Wurzeln,
bevor er hinzu gehen soll, und wohne an jedem der drei Tage
der Messe bei, und opfere auch, und gehe zum Abendmahl an
dem Tage, wo er zum Ordal gehen soll, und leiste dann den Eid
(;uV) s), daß er nach Volksrecht unschuldig sei des Bezichtigten,
ehe er zu dem Ordal geht*),
Das Befriedigungsversprechen (Urteilerfüllungsgelöbnis) haben
wir schon bei den Gesetzen Hlothars und Eadrics kennen gelernt7).
') Schmid, Gesetze, S. 115, Anm. hierüber: -In-borh, hier und Henr.,
82, § 2, eine pfandliche Sicherheit, aber Anh-, I, 8 (l)unsetcn) auch im
Gegensatz zu underwed für eine persönliche Bürgschaft." Siehe unsere
späteren Ausführungen.
*) Uber persönliche Haft vor dein Ordal — weil der Betreffende keine
Sicherheit bieten konnte — , vgl. Onut, II, 35 pr. Liebermann, a. a. 0.,
S. 336—338: Pseudo-Cnut He Foresta 13, Licberinann. a. a. 0., S. 622:
Leges Henriei l’rimi, 65, §5, Liebermann, a. a. 0., S. 585.
*) Aethclstan, II, 23 pr, Schm id, ticsetze. S. 144, 145, Licberinann.
a. a. 0., S. 162. Die Überschrift von Aethclstan, II, 23, lautet (Schmid,
n. a. 0.): Be Jl5n fic ordales weddigatV (He illis, «) u i radiant orda-
1 i u in).
*) Gif hwü ordäles weddige, . . .
Si qnis jndicium ferri vel aquac vadiaverit, . . .
Siehe die Übersetzung dieser Stelle und die Anmerkung dazu bei
Schmid, Gesetze, S. 144, 145.
5) . . .and swerige (tonne Jtane ätV. . . (et juret . . .)
*) Abfindung bei einem Ordal kann ausbedungen werden. Siehe Aethelstan,
II. 21, Schmid, Gesetze, S. 144. Licberinann, a. a. O., S. 162.
*) Vgl. auch Liebermanns Übersetzung von Ine 8 (Lieberin a n u ,
Gesetze. S. !)3).
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XI
Das Versprechen besteht in der Eidesleistung (äffe) und bedeutet
eine vertragsmäßige Verbindlichkeit, das Gerichtsurteil zu erfüllen ').
Soweit wir aus den Quellen der angelsächsischen Zeit folgern
können, wird das Verhandlungsversprechen rechtskräftig durch
Verbürgung (borh), das Beweisversprechen durch a) Wette (wedd,
vadium), b) Verbürgung (borh, plegium) und c) Eid (äff,
juramen tum), und das Befriedigungsversprechen durch Eid (äffe).
Hier handelt es sich um einen Vertrag im Rechtsgang, da der
anderen Partei ein Versprechen (Gelöbnis) durch Übergabe des
wedd, Stellung des borh oder Leistung des äd gegeben wird*).
II. Beilegung der Fehde.
Die frühzeitigste Form der Civilobligation im germanischen
Rechte war dem Anscheine nach die Verpflichtung das Wergeid
zu zahlen3). Jedoch wurde eine sofortige Zahlung nicht verlangt;
eine solche wäre in vielen Fällen wohl auch unmöglich gewesen.
Es genügte, wenn beim Abschluß der Sühne die Zahlung des
Wergeides versprochen wurde, und „für dieses Versprechen stand
nur die Form der Wette und der Bürgschaft offen“ '). Gleicher-
weise lautete auch das Recht der Angelsachsen4).
') Siehe oben S. 76 — 78. Vgl. lirunner, a. a. ()., II, S. 368.
a) Vgl. das verbürgte Beweisversprechen des des Diebstahls Bezich-
tigten in Edwards Gesetzen, oben, S. 79, 80.
3) In Zusammenhang hiermit steht der Inhalt des c. 12, § 6, der
sogenannten Leges Kdwardi Confessoris (Codex Harleianus, Schmid, Ge-
setze, S. 498): Emendationem faciat parentibus, ant guerram patiatnr, nnde
Angli proverbium habebant: Biege apere of side off'er bere, quod est dicere,
lanceam eme de latere aut fer eam. Vgl. Liebermann, a. a. 0., S. 638.
639. Die Verwandten des getöteten Mannes konnten vom Speere (spere),
d. h. von der Fehde, durch Zahlung des Wergeides abgebrarht werden:
die Zahlung bestand für gewöhnlich in 100 Stück Vieh. Siehe Seebohm
a. a. O., S. 413, 414. Vgl. die knrzlichen Untersuchungen von Chadwick
in seinen Studies on Anglo-Saion Institutions, S. 156—160, über den Wert
der Wergeider in Ochsen.
*) Brunner, Sippe und Wergeid, Zeitschrift der Savigny-Stiftung, III,
Germ. Abt., S. 8 11'. : Brunner, Deutsche Kechtsgcschichtc, II, S. 441, 442:
Heusler, a. a. 0., II, S. 231 ff.: Hollock and Maitlaud, a. a. 0., I,
S. 58, II, S. 187.
4) Brunner, Sippe und Wergeid, a. a. <)., S. 10: „Das Wetten des
Wergeides haben wir bereits aus der oben citirten friesischen Kechts-
llazeltlue, Englisches Pfandrecht 6
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Vorkehrungen über die Beilegung der Fehde durch Wette und
Bürgschaft und über die Ratenzahlung des Wergeides findet man
in dem schon erwähnten angelsächsischen Bruchstück, Hü man
sceal gyldan twelf-hyndes man!).
Das Bruchstück2) erklärt iin § 1: Eines Zwölfhyndemannes
Were beträgt 1200 Schillinge. Eines Zwoihyndemannes Were be-
aufieichnung kennen gelernt. Die Wette und die Verbürgung bezeugt uns
auch das angelsächsische lteeht.* Pollock und Maitland, a. a. O., 1,
S. 58: .Hut our Anglo-Saxon authoritiea are of the verv scantiest. We
lind tlie composition of a feud secured by giving pledges and the payiuent
by instalments regulated; and in Alfred's laws there is mention of a soleuin
kiud of promisc called ,god-borlC : . . . .“
’) In der vetns versio (siehe Schinid, Gesetze, S. 395) trägt das
Bruchstück die Überschrift Do Wcregildis. In dem bei Lieberinann,
a. a. 0., S. 398, abgedruckten Quadripartitus lautet die Überschrift:
De persolutione occisi. Thorpe, Ancicnt I.aws and Inst. Eng., S. 75,
fügt dieses Bruchstück den Gesetzen Edwards und Guthrums bei. Scbmid,
der diese Aufzeichnung als ein Bruchstück betrachtet, bringt dieselbe in
seinem Anhang VII (siebe Gesetze, S. 394 — 397). An anderer Stelle (Gesetze
S. LXV) sagt er: „VII. Be wergilde. Unter dieser Aufschrift werden hier
drei Aufzeichnungen über das Wergeid vereinigt, die verschiedenen Zeiten
angehören können oder wenigstens wahrscheinlich nicht den gleichen Ver-
fasser haben. Es gehört dahin: 1) Hü mau sceal gyldan twelf-hyndes man,
ein Aufsatz, der eigentlich nicht richtig überschrieben ist, da er nicht
bloli von dem Wergeid eines Zwölfhyndemannes handelt, sondern von der
Art und Weise, wie überhaupt das Wergeid durch Vertrag festgesetzt
und in welchen Raten und Fristen es in Verbindung mit der Mannbulie
und Pcchtwette abgetragen werden soll. Eine im Wesentlichen überein-
stimmende Regulierung des Verfahrens bei der Beilegung einer Fehde, d. i.
der Sühne eines Todtschlages, findet sich in Edm., II, 7, und eine verkürzte
Übersetzung in llenr., 70, § 4—7. In dem Cod. B. sowohl als dein (’od. H.
erscheint unser Aufsatz als ein Anhang der Gesetze Edward's und Guthrum's,
und diese Stelle hat er auch in allen bisherigen Ausgaben behalten. Es
ist wohl möglich, duli die Aufzeichnung dieser Zeit angehört, aber einen
Bestandteil von E. u. G. bildet sic offenbar nicht.' Seebohm, a. ».•(>.,
S. 350, sagt, das Bruchstück gehört .probably to the time following soon
aftcr the Compact butween Alfred and Guthrum.“ Siehe Seebohm, a. a. O.,
S. 359, 300. Liebermann, a. a. O., S. IX, 392—395, hält unsere Quelle
für eine Privatarbeit aus den Jahren 944— c. 1000.
*) Die hier von uns angeführte Übersetzung des Bruchstücks ist aus
Schinid, Gesetze. S. 394—397. Text und Übersetzung bei Liebermann,
a. a. O., S. 392—395 sind zu vergleichen, obwohl sie im Wesentlichen init
Schmids Text und Übersetzung übereinstiinmen.
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trägt '200 Schillinge. § 2: Wenn ein Mann erschlagen wird, gelte
man ihn nach Verhältnis seiner Geburt. § 3: Und es ist recht,
daß der Totschläger, wenn er sich über das Wergeid vertragen
hat, Werbürgsehaft findet1), wie es sich dazu gebührt, nämlich
bei der Were eines Zwölfliynders gebühren sich 12 Mann zur
Werbürgsehaft (wer-borge, weraeplegium), 8 von der väter-
lichen Magenschaft, und 4 von der mütterlichen Magenschatt. § 4:
Wenn das geschehen ist, dann setze man des Königs Schirm
(Frieden) ein, das ist, daß sie alle mit gemeinsamer Hand von
jeder Magenschaft dem Vermittler (sein ende*), mediatori) auf eine
Waffe geloben, daß der Schirm (Friede) des Königs bestehen soll3);
von dem Tage in 21 Nächten gelte man 120 Schillinge zum Hals-
fang ') bei der Were eines Zwölfliynders. §5: Der Halsfang ge-
') And riht is, |>a-t so slaga. siiVdän hu weres beweddod hiebbe, linde
[liertö wter-borh, . . .
Et rectum est, nt homicida, postquain weregildum mortui radiaverit,
iuveiiiut woran plegiug, . . .
Vgl. Thorpe, a. a. 0., S. 75 und Scebohui, a. a. O., S. 358.
Liebermann, a. a. O., S. 393, übersetzt diese Stulle aus dem Brncli-
stück: Und richtig ist, dali der Totschläger, sobald er das Wergeid reohts-
fürmlich versprochen hat, dafür Wergeld-Bürgschaft stellt.
a) Hall, Anglo-Saxon Dictionary. S. 204 : semend (ip), m. = conciliator,
arbitrator. Boswurth, Anglo-Saxon Dictionary. S. 323: Semend, es:
in. = a mediator, a peacemaker. Liebermann, a. a. 0., 8. 393, übersetzt
das Wort semend unserer Stelle mit »Schiedsrichter“.
3) . . . |>a*t is, |):et hy eallc gennenum handum of ;egtVere inmgtVe on
änum wivpnc [täiu semende syllan, |);ct cyniuges iiiund stände: . . .
. . . boc est ut omnes communi manu de utraque cognationc in uno
armor mediatori dent, qui regis munde stet inter eos. . .
*) (her die genaue Bedeutung des Wortes Halsfang findet mau in
der Literatur verschiedene Ansichten vertreten. Brunner, Sippe und
Wergcld, a. a. 0., S. 16, 17: »Auch der angelsächsische Halsfang ist aus
der Umarmung zu erklären. . . Die Aussöhnung kommt allenthalben durch
einen FricdensknU oder durch eino Umarmung zum Ausdruck. . . . Der
angelsächsische Halsfang ist seinem Ursprünge nach das Analogon der
flandrischen Mundsühne, er ist Halsfangsgebühr, Umhalsungsgeld.“ Seebohin,
a. a. 0., S. 328, sagt bei Erörterung des Halsfangs der Leges Henrici
Primi, c. LXXV1: »This halsfang had to be paid ou the 21st day front
the giving of the pledge, and it seeins to have beeil a token in recognition
of guilt or carnest mnney to showr that the wergold would be paid.“ Siebe
auch Seebohin, n. a. 0., S. 329. 330, 359. Eine Besprechung anderer
Ansichten über den Halsfaug findet man bei Brunner, a. a. ()., S. 15—17.
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bflhrt den Kindern, Brüdern und Oheimen; es gebührt dies Geld
keinem Magen, außer dem, der innerhalb des Knies ist. § Ü:
Von dem Tage an, wo der Halsfang abgetragen ist, in 21 Nächten
gelte man die Mannbuße; von da in 21 Nächten die Fechtwette ');
von da in 21 Nächten die erste Rate der Were*), und so fort,
damit sie vollständig vergolten sei in der Frist, welche die Witan
festsetzen. Dann kann man mit Liebe vorschreiten, wenn man
volle Freundschaft haben will3). § 7: Alles dies soll man bei
') Brunner, a. a. • >., 8. 9, Anui. 5, sagt bei Besprechung der Ver-
fügungen des angelsächsischen Bruchstücks Hü man sceal gyldan twelf-
hyndes man: „Die Mannbuße fällt an den Herrn, die Fechtwette an die
Öffentliche Gewalt. Beide bilden, wie sich aus I.eges Henriei 1, c. 7(1,
ergibt, nicht einen Bestandteil des Wergeides. Vgl. Sehmid, Ges. der
Ags. 58(1, 628.“ Seebnbin, a. a. ()., sagt bei Krörterung des I.eges Hcnrici
Priuii, e. I.XXX, § 6: „1t is clear frnm this tliat the tight-witc was tho
payment due to the lord who had the .sec” »f the place wherc the hmnicide
occurrod and the wergcld was pledged. The manbot, on the nther hand,
was the payment tu the lord whose man the person slain was. The lord
<>f the soc might also be the lord <>f the man slain, in which case bntb
fightwite and manbot were payablc t» him.“ Siehe ferner Seebohm,
a. a. ()., Inhaltsverzeichnis, s. v. Fightwite und Manbot: I.iebermann,
a. a. 0., S. 393. Liebermann, a. a. (.)., behandelt die Fechtwette (fyhtcwite)
unserer Stelle als die Strafe an die Obrigkeit für Blutvergießen.
s) Das frum-gyld war die erste Kate der NVcrc und scheint 20 Schil-
linge für einen ceorl gewesen zu sein. „But whether part of this — 12 s.
(1 d. — was paid on the dny the were was pledged, as stated in the custu-
mal of Henry 1, c. 76, and the rcuiaindur aftcr payment of the tight-wite,
or whether the custoin then noticed was only of local observanee or a point
of latter practice, is nowhere laid down.“ Thorpe, a. a. 0., S. 7.5, Anni. a.
s) . . . SiÖ'Öän man inüt mid lüfe ofgän, gif mau wille fülle freön-
draedene habban.
. . . Deinde liceat per amorein procedere, si perfectam vclit amicorum
consocietatem habere.
Der Text dieser Stelle bei Liebermann, a. a. O., S. 392 ist im
Wesentlichen derselbe. Liebermann übersetzt: Nachher mag man [der
Totschläger], wenn man volle Freundschaft [von der beleidigten Sippe] er-
halten will, [das] erlangen durch private Versöhnung.
Thorpe, a. a. 0., S. 75, Anm. b, bemerkt zu dieser Stelle: .The
practice here briefly hintod at is tlius recited in king Kric's Zealand Law:
. . . III. 27.: And he who has taken the bote shall swear tliat he never will
avenge the deed for which he has taken llie bote, neither by counsel nor
by deed, neither upon the born nor the uuborn, (and) therewitb shall tbey
be reconciled, and lay their hamls tngcthec, apd kiss each other.“ Man
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der Wert' eine« Keoris in dem ilun gebülirenden Verhältnis tun,
wie wir es bei einem Zwölf hynder angaben1).
Das nächste Beweisstück stammt aus der Mitte des zehnten
Jahrhunderts. Das Gesetz Be faehtVe*) Edmunds (943 — 94(i) J),
verordnet folgendermaßen: Die Witan sollen die Feindschaft (Fehde)
beilegen: zuerst, nach Volksrecht, soll sich der Todsehläger
seinem Versprecher (for-speca, prolocutor)4) zur Hand ver-
pflichten, und der Vorsprecher den Magen, daß der Todschläger
der Magenschaft büßen will; dann ferner gebührt sich, daß man
sich dem Vorsprecher des Todschlägers zur Hand verpflichte, daß
er in Frieden nahen und selbst um die Were dingen könne. Wenn
er darum sich vertragen hat, so finde er dazu Werbürgschaft 5);
beachte, daß das Versprechen in diesem Gesetze Erics — eigentlich ein Ver-
sprechen, den Frieden zu halten — durch Eid, Handschlag und Kuß be-
kräftigt wird.
*) Schmid, Gesetze, S. 394, 393, Anmerkungen, sagt bei ltusprechnng
dieses ftruchsstücks: 9 und 3 sind aufgenomnien in Henr., 7f>, §1: §4
ist teilweise aufgenummen in lienr., 7G, § 1 : § G ist aufgcnoimncn in Henr.,
7fi, §§ 5 & 7.
ä) Edmund, II, 7, Schmid. Gesetze, S. 178 — 180. Text und Über-
setzung bei Liebermann, a. a. 0., S. 188—191, sind zu vergleichen, obwohl
sie im Wesentlichen mit Sehmids Ausgabe übereinstimmen.
3) Liebermann, a. a. (>., S. IX, 188- 191.
4) l'ber das Amt des Vorsprecher oder Fürsprecher im germanischen
Kuclit siehe Itrunner, Deutsche Kechtsgeschichtc, II, S. 349 , 350 , 353:
Schmid, Gesetze, S. 581: Thorpe, a. a. 0., S. 107, Anm. a.
4) . . mrest, iefter folerihte, slaga sceal bis for-specan on hand syllan.
and se for-speca maguui, pact se slaga willc betau will' maegiVe: | lohne
syiVOan gebyreiV, paet man sylle paes slagan for-specan on hand, paet
se slaga inöte mid grilVe nyr and sylf waercs weddian. ponne he paes be-
wedded haebbe, ponne linde he piertö wuere-borb : imprimis juxta
populi lagatu debet prolocutor uccisoris in manum dare cognationi, i|Uod
rectuui ei per omnia faciet. Deinde oportet, ut prolocutori dclur in nutnum,
ipiod interfector audeat accedcrc cum ]>ace et ipse weram vadiare. Kt
ipiando vadiaverit eam, invenial werae )degios . , .
Wir haben in dieser Arbeit, ebenso wie Schmid, on hand syllan
mit ..sich zur Hand verpflichten“, d. h. durch Handschlag versprechen, über-
setzt. Liebermann, a. a. O., S. 191, übersetzt: ,in die Hand geloben“.
Siehe ferner Schmid, Gesetze, S. 179, 180, 395, (>UG, (if>0. Thorpe, a. a. 0.,
S. 107, und Scebohm, a. a. 0., S. 357, 358, uebersetzen on hand syllan
mit „gives pledge“, .gives seeurity“. Vgl. Leo, Angelsächsisches Glossar,
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wenn das geschehen ist, dann setze man des Königs Mnndiitm
(Frieden) ein1); von dem Tage an in 2 1 Nächten «eite man den
Halsfang; von da an in 21 Nächten die Mannbuße; von da an in
21 Nächten das erste Zielgeld der Were.
Aus den sogenannten Leges Henrici Primi erhält man „a
Norman though unofticial view of what Anglo-Saxon eustom was
or had been before the Conquest“*). ('apitel 76 (I)e precio
eujuslibet) 3) dieser „Leges“ enthält im Wesentlichen dieselben
Vorschriften wie die Quellen, die wir eben angeführt haben. In
§ 1 dieses Capitels wird verordnet, daß wenn ein Mann erschlagen
wird für ihn nach dem Hange seiner Geburt zu büßen ist. Hier
muß der Mörder, postquam weregildum vadiaverit, inveniat werc-
plegios, sicut ad eam pertinebit. Von dem Thane 12 Werbürgen,
8 de parte patris, und 4 de cognatione matris. Wenn das ge-
schehen ist, soll der Friede des Königs unter ihnen in omni
weregildo erhoben werden 4). Zuerst soll der Halsfang nach der
Art des Wergeides bezahlt werden 5). Im § 5 lesen wir: A die
illa, qua wera vadiata est, in vicesimum unum diem, debet lials-
fangum reddi; inde Nach §7 soll der Halsfang am einund-
zwanzigsten Tage nach dem Wetten des Wergeides *), ohne Ent-
schuldigung oder Verzögerung bezahlt werden. Capitel 80, § 6 7);
Wo immer der Mord begangen wird, soll derjenige, der die Grund-
herrlichkeit (soc et sac) hat, si homicida divadietur ibi vel cra-
164, s. v. Selan ; Uns worth, Anglo-Saxon Dictionary, hrsg. von Toller
(1882), s. v. sellan.
’) . . . ponnc rsere man cyninges munde : . . .
. . . erigatur inter eos pax regis.
J) Scebohm, a. a. 0., S. 322.
*) Schmid, Gesetze, 8.475,476. Vgl. auch den bei Liebe ruiann.
a. a. 0., S. 593, abgedruckten Text von Kapitel 76. 8ic>hc oben 8. 85 Anni. 1 :
Leges Henrici Primi, c. 92, § 17.
4) ... et cum hoc factum erit, elovetur inter eos pax regis in omni
weregildo, et debet lialsfang priiuo reddi, sicut wcrac umdus erit.
Licbcrmann, a. a.O., 8. 593 liest die Stelle folgendermallen. [76, 1 b] :
Et cum hoc factum erit, cleuetur inter cos pax regis. [76, 1 c] : In omni
weregildo debet lialsfang ....
s) Siehe Schmid, Gesetze, S. 473, Anm.
6) A die, ipia wer« vadiata est, in XXI diem, . . .
0 .Schmid, Gesetze, S. 478. Vgl. auch Liebermann, a. a. O., S. 596.
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S7
vetur, Fightwite erhalten; und wenn der Ort d<\s Mordes und der
Uetödtetc selbst eines Herrn sind, soll Derjenige, der die Grund-
herr! ichkeit (soej hat, sowohl Mannbuße als auch Fightwite er-
halten ').
In diesen Quellen des angelsächsischen Rechts sieht man also
rlrei Stadien bei der Beilegung der Fehde durch Wettvertrag.
Erstens, in Edmunds Be faehiVe haben wir zwei durch Hand-
schlag abgeschlossene Formalvorverträge : Der Todschläger ver-
spricht dem Vorsprecher durch Handschlag (on hand syllan) und
dieser den Magen des Erschlagenen unter Beobachtung der gleichen
Formalität, daß der Todschläger der Magenschatt büßen will.
Ihrerseits verspricht die Magensehaft dem Todschläger durch Hand-
schlag, wiederum durch Vermittelung des Vorsprechers, daß der
Todschläger in Frieden nahen und selbst um die Wette dingen
könne. Da der Vorsprecher in diesem Falle nur ein Unterhändler
des Todschlägers ist, so gelten die Verträge als zwischen dem
Todschläger selbst und der Magenschaft geschlossen.
Zweitens, nachdem diese Vorverträge abgeschlossen sind, be-
gegnen sich der Todschläger und die Magenschaft von Angesicht
zu Angesicht und schließen einen gewetteten und verbürgten
Vertrag betreffs des Wergeides. Der Todschläger verspricht durch
wed das Wergeid zu zahlen und stellt auch Werbflrgen (wer-borh).
Drittens, nach dem Abschließen dieses Vertrages durch wed
und borh über die Zahlung des Wergeides, wird der Künigs-
schirm (Friede) durch ein Gelöbnis eingesetzt, d. h. die Anwesenden
einer jeden Magenschäft geloben dem Vermittler mit auf einer
Waffe (on waepne syllan) vereinten Händen, daß der Schirm
(Friede) des Königs bestehen soll.
III. Bei der Verlobung.
Der Wettvertrag durch wed und borh erscheint auch im
angelsächsischen Familienrecht bei der Verlobung.
Unsere hauptsächlichste Quelle darüber ist ein wertvoller
kleiner Traktat, Be wifmannes beweddunge-'), der, nach Sclimid,
einer früheren Zeit angehört, wo das ältere Familienrecht noch in
') Siehe oben S. 84 Anm. I.
Sch tri id, Gesetze, Anh. VI, S. 31W — 3!)3: Liebermann, a. a. 0.,
S. 442 -445.
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seiner vollen Kraft bestand1), aber ohne genügende Rechtfertigung
als ein Bestandteil der Gesetze Edinunds betrachtet wird2). Lieber-
mann hält das Denkmal für eine Privatarbeit, die aus den Jahren
c. 970 (10:$0) — c. 1060 stammt3).
Kapitel 1 des Traktats verordnet'): Wenn Jemand mit einem
Mädchen oder einer Frau sieh verloben will (wcddian wille),
und es ihr und den Freunden genehm ist, dann ist Recht, daß der
Bräutigam nach Gottes Recht und den Gebräuchen der Welt zu-
erst verheiße und Denjenigen gelobe5), die ihre Fürsprecher sind,
daß er in der Weise ihrer begehre, daß er sie nach Gottes Gesetz
halten wolle, wie ein Mann seine Frau (halten) soll, und seine
Freunde mögen das verbürgen6). Kapitel 2: Hiernächst muß man
wissen, wem der Nährlohn (föster-leän)1) gebühre; es bedinge
der Bräutigam dann diesen, und seine Freunde mögen ihn ver-
') Siehe die Krörtcrung dieser Frage bei Sclimid, Gesetze, S. I.X V.
Yuung, Kssays in Anglo-Saxon Law, 8. 171, betrachtet den Traktat als .an
Angln Saxon formula, cominonly ealled the Kentisli Betrothal, belonging
probably tu the tonth Century“.
s) Pollock and Maitland, a. a. a., II, 8. 369.
*) Licberniann, a. a. 0., S. IX, X, 442.
*) Im Wesentlichen geben wir den Wortlaut der Schniidschen Über-
setzung wieder. Text der Kochester (Toxtus Roffensis)- und Cambridge-
Handschriften und die entsprechenden Stellen des Quadriparti tus sowie
Licberinanns Übersetzung bei Liebermann, a. a. ()., S. 442 — 445, sind
zu vergleichen.
behüte and on wedde syllc.
prnmittat et vadiet eis.
Liebermann, a. a. <>., 8.443, übersetzt: verheiße und kraft Pfandes
förmlich gelobe.
•) and üborgian his frynd paet.
et plegicnt hoc amici sui.
7) Thorpe, a. a. ()., S. 108, Amn. b, sagt bei Besprechung des föster-
leän : „This appears tu bo another nauie für the „niund“ of .F.thelbirht's
dooms, or the inoney pledged tu the family of the wife at her betrothal . . .,
the remunerstion for her nnrture. The , foster-loan“ was due to tliat relation
in whose ,mund’ the woman was at the time of her betrothal“. Siehe auch
Thorpe, a. a. O., Glossar, s. v. Koster, Koster- leän. t'bcr das föster-
leän siehe ferner Sohin, Recht der Eheschließung, S. 56, 317, und vgl. die
viugisef des altschwedischen Rechts (siehe darüber v. Auiira, Nord-
germanisches Obligationenrecht, Hd I, 8. 522 — 524, 534).
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bürgen1). Kapitel 3: Dann erkläre der Bräutigam, was er ihr
zugesteht dafür, daß sie seinen Willen erkiest, und was er ihr
zugesteht, wenn sie länger lebt als er. Kapitel 4: Wenn so die
Bedingungen festgesetzt sind“), dann kommt ihr rechtmäßig das
halbe Erbe zu, und das ganze, wenn sie Nachkommenschaft ge-
meinschaftlich haben, außer wenn sie später einen Mann kiest3).
Kapitel 5: Er bekräftige Alles durch Wette, was er verheißt, und
seine Freunde mögen es verbürgen4). Kapitel fl: Wenn sie dann
über jedes Ding einig sind s), dann mögen die Magen zugreifen
und ihre Mage Dem zum Weibe und zu einem rechten lieben
verloben*), der ihrer begehrte, und es nehme die Bürgschaft an,
wer Leiter der Verlobung ist7). Kapitel 7: Wenn man sie dann
aus dem Lande führen will in eines anderen Thanen Land, dann
ist es für sie vorteilhaft, daß ihre Freunde da einen Vertrag (for-
') weddigu su bryd-guina oft paus, und hit äborgian bis frynd.
vadict hoc bridguina ut plegient ainioi.
Liebermann, a. a. 0., S. 443 übersetzt: der Bräutigam gelobe dann
dieses kraft Pfandes förmlich: und seine (lllutsj freunde sollen dies ver-
bürgen.
*) Gif hit swä geforword bliV . . .
Si sic (|Uotjue convcniat . . .
3) Vgl. .LI fr cd 8, § 1 — 3, Lieber mann, a. «. (>., S. 54, 55: Boeder,
I)ie Familie bei den Angelsachsen, S. 78: Brunner, Die uneheliche Vater-
schaft in den älteren germanischen liechten (Zeitschrift der Savigny-Stiftung,
Bd. XVII, Germ. Abt., S. 16).
4) Trymme he eal mid wodde [taut (tuet ho behüte, and äborgian frynd paot.
Totmn hoc vndio coniirmotur et amiei »ui plegient.
Liebermann, a. a. <)., S. 443, übersetzt: Jener [Bräutigam] bekräftige
alles das, was er rerhciUt, durch Pfand: und [seine] Blutsfreundu sollen das
verbürgen.
Siche Ine, 31, Schuiid, Gesetze 8.34, 35.
J) sammadc beim,
concordent.
*) and weddian heora magan tö wifo and tö rillt life.
7) and fü tö pam borge, so pe paus weddes wählend sy.
et excipiat inde plegium, i| ui jus habet in vadio.
Thorpe, a. a. O., S. 1 09, Anm. a, sagt bei Erörterung dieser Stelle:
-Perhaps the meauing of this passage is, that the purson to whom the wed
was plighted by the hushand, and who had both the disposal of it when
tnadc goud, and the right of claiming it if withheld, was also to unter into
a counter-engagemeut to the husband, to undurtakc the borh on behalt
of his kinswoman, the wifo“.
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!>0
word, pactioncm) haben, daß man ihr kein Leid zufuge, und
wenn sie eine Schuld verwirkt, daß sie hei der Ruße die Nächsten
sein mögen, wenn sie nichts hat, wovon sie die Ruße entrichte ').
Kapitel ß: Bei der Trauung (giftan, dationi)*) soll der Messe-
priester nach Recht gegenwärtig sein, der soll mit dem Segen
Gottes die Vereinigung binden zu aller Wohle. Kapitel !): Auch
ist wohl vorzusehen, daß man wisse, daß sic sich durch Sippen-
schaft nicht angehörig sind, damit man nicht nachher trenne, was
man früher mit Unrecht zusammenfügte.
Hieraus sehen wir deutlich, daß die angelsächsische Verlobung
zur Zeit des Traktates ein Wettvertrag durch wed und borh
zwischen dem Bräutigam und der Sippschaft oder den Fürsprechern
der Braut, d. h. ein Heiratsvertrag ist*). Der Bräutigam seiner-
seits verspricht, daß er die Braut nach Gottes Gesetz schützen
will, daß er das foster-lean zahlen will, und daß die Braut die
Morgengabe und die dos erhalten soll. Alle diese Versprechen
werden durch die Hingabe des wed rechtskräftig4), und durch die
Freunde des Bräutigams verbürgt. Eine genaue Erklärung dafür,
was das wed war, haben wir nicht. Andererseits verspricht die
Mage der Frau dem Bräutigam, daß sie sein Weib sein soll; auch
dieses Versprechen wird vom wed und borh begleitet. Der Leiter
der Verlobung, dem Anscheine nach der Wortführer der Mage der
Braut, derjenige der das wed vom Bräutigam erhalten hat, wird
hier der Bürge (borh)5).
Die Mage erfüllt die Bedingungen des Vertrages durch Über-
') Schund. Gesetze, S. 393, Anm.: _ 1 > a L» nicht der Mann, sondern die
Magen der Frau Ihr diese die Italic geben und nehmen sollten: Hcnr., TO,
S 12, 13“.
*) Vgl. Alfred, Kinlcitung, 12, Schinid, Gesetze, S. 58.
*) Vgl. Thorpe, a. a. 0., S. 109, Anm. a: Young. a. a. 0., S. 163—173:
l’ollock and Maitland, a. a. (>.: II, S. 365, 369. Siehe oben S. 89, Anm. 7.
*) Man beachte, dal! es sich hier um einen Vertrag zu Gunsten eines
ltritten handelt.
5) Friedberg, liecht der KhcsclilioLSung, S. 47, Anm. 1: ,. . . Bei den
Angelsachsen wird kein King bei der F.heschlicllung erwähnt ... Daß seinen
Gebrauch aber für diese Zeit anzunehmen nichts entgegensteht, geht aus
der ganzen Wichtigkeit hervor, welche dies Symbol das ganze Mittelalter
hindurch auch in England hatte . . .“ Siehe ferner Boeder, a. a. 0., S. 15,
16, 27, 34 , 35, 60. Vgl. auch Sohin, Recht der Eheschließung, S. 56:
Jeaffreson, Brides and liridals, Bd. I, S. 138—166.
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gabt* der Kraut an den Bräutigam, und bei dieser Handlung oll
der Messepriester von Rechtswegen zugegen sein, damit er durch
den Segen Gottes die Vereinigung zum Wohle Aller vornehme.
Die Ansichten der Rechtsgelehrten über die rechtliche Natur
der alten germanischen Ehe gehen sehr auseinander1); und der
Streit hierüber ist auch nach England übertragen worden*). Es
wird behauptet, daß die Raubehe zur Zeit des älteren angel-
sächsischen Rechts existiert habe5); die Ehe durch Mundkauf
scheint aber bereits nach den ältesten angelsächsischen Rechts-
quellen die allein zulässige und gültige Form der Eheschließung
gewesen zu sein4). In dem ersten ausführlichen Bericht über
angelsächsisches Eherecht der uns aufbewahrt worden ist, nämlich
in dem kleinen Traktate, Be wifmannes be weddunge, sehen
wir die Verlobung als einen Wettvertrag mit Bürgenstellung
zwischen dem Bräutigam und der Mage «ler Frau; dieser Wett-
vertrag ist es, den wir hier erwähnen wollen5). Die Frage, ob
!) Siehe Friedberg, a. ». U.: Friedberg, Verlobung lind Trauung:
Friedberg, Kho und Eheschließung im deutschen Mittelalter: Sohin,
Kccht der Eheschließung: Heusler, Institutionen, II, S. 277.
s) Über das Ältere englische Kccht siehe Friedberg. Recht der Ehe-
schließung, S. 18, 25. 33—57: Young, The Anglo-Saxon Family Law in den
Essays in Angto-Saion Law: Schmid, Gesetze, 8. 561, 562: Phillips, Ver-
such, 8. 129 — 133, 233 — 235, 240 — 244: Howard, History of Matrimonial
Institutions, Hd. I, S. 1 ff.; Pollock and Maitland, a. a. 0., 11, S. 364 — 399:
Hazeltinc, Zur Geschichte der Eheschließung nach angelsächsischem Kocht
(Sonder-Abdruck aus der Festgabe für Hfibler). Über das spätere englische
Hecht siehe Friedberg a. a. 0., S. 36 — 57, 309—437: Pollock and Mait-
land, a. a. 0., Hd. II, S. 367—399; Howard, a. a. O., Bd. I, 8. 287—473.
3) 8iehe Dargun, Mutterrecht und Kaubehe (Gierk es Untersuchungen
zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. XVI), S. 114, 115. Vgl.
Pollock and Maitland. a. a. 0., Bd. II, 8. 365: Howard, a. a. O., Bd, I,
S. 275, 276.
4) Siehe Acthelberht 31, 77, 83, Liebermann, a. a. O., S. 5, 7, 8:
Ine 31, Liebermann, a. a. 0., 8. 102, 103: Friedberg, Recht der Ehe-
schließung, 8. 33. Vgl. auch Schniid, Gesetze, 8. 561, 562.
*) ln der früheren historischen Periode scheint der angelsächsische
Verlobungsvcrtrag für gewöhnlich ein Kealvertrag gewesen zu sein, indem
er durch die Zahlung des Kaufpreises seitens des Bräutigams an den Munt-
walt bindende Kraft erhielt. Allmählich scheint aber — jedoch sind
unsero Duellen hier nur sehr dürftig — , die Zahlung eines Handgeldes als
hinreichend angesehen worden zu sein, um einen gültigen Vertrag zu be-
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0-2
die Verlobung, die Übergabe der Braut an den Bräutigam, der
Segen des Priesters bei der Übergabe, oder die physische Ver-
bindung der Eliegatten die ehebegrflndende Handlung sei, wollen
wir an dieser Stelle nicht erörtern. Man kann kaum sagen, daß die
Verlobung, d. h. der Wettvertrag, die Ehe selbst sei, da die Ver-
weigerung, diesen Vertrag zu erfüllen, bloß eine Geldbuße zur
Folge haben würde1). Ebenso unangemessen wäre es zu sagen, daß
der Segen des Priesters bei der Übergabe der Braut der ehewirkende
Akt sei, da der Anteil des Priesters au der Feierlichkeit zu unter-
geordnet erscheint3). Möglich wäre es, die Übergabe der Braut
wirken, indem das Handgeld einen symbolischen Kaufpreis darslclltc. während
der wirkliche Kaufpreis später bezahlt wurde. Auch wurde es frühzeitig
üblich, die Verlobung in Form eines Wettvertrages abzuschlicßeu, wobei
Zahlung des Kaufpreises durch Übergabe einer Wette versprochen wurde.
Die Anfänge der Verlobung in Form eines beiderseitigen Wettvertragcs mit
Bürgenstcllung fallen wahrscheinlich lange vor die Zeit, aus der der Traktat
stammt. Siehe ferner Ha zeit ine, a. a. 0., S. 6—8.
*) Siehe Pollock and Maitland, a. a. 0., 11, S. 305, 3GG.
Schmid betrachtet die Verlobung des Traktates als Brantkauf. be-
setze, S. 5B1, 562. Seite 561 sagt er: „Die Verbindung von Mann und Weib
scheint wesentlich nur durch die vorausgegangene Verlobung (boweddung)
den Charakter einer ehelichen erhalten zu haben, weshalb beweddod wif die
gleiche Bedeutung wie rillt wif (On., II, 54) gehabt zu haben scheint, im
Gegensatz zu der bloßen cifes (ccafcs), dem Kebsweib". Young, a. a. O.,
S. 163—173, betrachtet die Verlobung des Traktates als einen Formal- oder
Wettvertrag und sieht sie als die rechtskräftige Handlung bei der Ehe-
schließung au.
a) Friedberg, Hecht der Eheschließung, S. 35, 36, bei seiner Erörte-
rung der Stellen des Traktates, welche den Verlobungsvertrag und die Über-
gabe der Braut betreffen, sagt: „Es ergibt sich auf den ersten Blick, daß
der Priester hier nur eine höchst untergeordnete Iiolle spielt, da er eigent-
lich nur die schon geschlossene Ehe einsegnet, die auch ohne seine Bcne-
diktiunen vollkommen zu Kerbt bestanden haben würde, wie denn bei zweiten
Ehen dieser Segen auch gesetzlich fortfallen sollte. Bald greift jedoch der
Geistliche mehr in diu Handlung ein, ja wird deren Leiter und als solcher
erscheint er in den alten Ritualen der Kirchen von Salisbury und York*.
Phillips, Versuch, S. 240, sagt: „Einen ganz vorzüglichen Einfluß
gewann die Geistlichkeit auf die Ehesachen. Die Übergabe der Braut . . .
geschah gewöhnlich unter hinzutretender Benediction von Seiten eines Pres-
byters: doch gehörte diese nicht durchaus zur Gültigkeit der Ehe“. In
seiner Anmerkung zu dem oben Angeführten sagt er: „Bei der Einseguung
der Ehe einer sich zum zweiten Male verheiratenden Person durfte der
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^
nach den Bestimmungen des gewetteten und verbürgten Verlobungs-
vertrages als das Wesentliche bei der Ehe anzusehen. Vacarius
hat später die Ansicht vertreten, daß eine traditio das Wesent-
liche wäre; doch war es ihm nicht möglich, seiner Ansicht gegen-
über der Lehre des kanonischen Rechts, daß die Ehe formlos und
ungesegnet sein dürfe, Geltung zu verschaffen '). Unserer Ansicht nach
waren die Verlobung (beweddung) und die Trauung (gifta) die
beiden wesentlichen Akte der Eheschließung nach angelsächsischem
Recht*)-
IV. Als allgemeine Vertragsform.
Als allgemeine Formen des Formal- oder Wettvertrages finden
wir in den angelsächsischen Quellen, Verträge geschlossen 1. durch
wed, 2. durch wed und borh3), 3. durch äff (juramentum),
4. durch god-borh (dei plegium).
Bei Ine 13 pr. *) heisst es: Wenn Jemand vor dem Bischof
falsches Zeugnis gibt oder sein Gedinge (wed, vadium) bricht,
büße er es mit 120 Schillingen5). Kapitel 1 der Leges Anglicae
Geistliche nicht zugegen seyn und doch war eine solche Ehe gültig“.’ Siehe
auch Schinid, Gesetze, S. 562; Pollock and Maitlaud, a. a. 0., II,
5. 3fi9, 370. Uber das heutige englische Hecht vgl. aber Pollock and
Maitland, a. a. 0., II, S. 372.
') Uber Vacarius und die Lehre der Kirche in Knglnud siehe Pollock
and Maitland a. a. O., II, 3G7— 374. Vacarius’ Traktat ist abgedruckt in
Law Quarterly Itcview, lld. XI II, S. 133, 270.
*) Siehe ferner Hazeltine, a a. (>., S. 11 — 13. Kür die richtige An-
sicht über das Verhältnis zwischen Verlobung und Trauung nach älterem
deutschen Hecht siehe Gierke, Grundzüge de» deutschen Privatrechts
(Hol t zcndorff-K oh ler, F.ncyelopädie der Rechtswissenschaft, ltd. I, S. 533,
534): Brunner, Grundzngc der deutschen Kechtsgeschichtc, S. 192 — 194.
3) Vgl. Verträge im Rechtsverkehr zwischen Fngläudcrn und Dänen,
die durch Trcuversjirechen (trvwa) und Geiselnstellung (gislas) geschlossen
wurden. Siche unsere späteren Ausführungen.
4) Schmid, Gesetze, S. 27. Siehe auch die Lesarten und die ent-
sprechende Stelle des (juadripartitus bei Liebermann, a. a. 0., S. 94, 95.
5) Gif hwä beforan biscepc bis gewitnesse and his weil üleöge, geböte
inid CXX scill.
Si (juis coram episenpo testimonimn Simm et vadium mentiatnr, XXX
[CXX ?] sol. emendet.
Liebcruiann. a. a. 0., S. 94, übersetzt: Wenn jemand vor dem
liischofe sein Zeugnis falsch abgibt und sein rechtsfönnlicheg Versprechen
[abgegeben vor ihm,) bricht, büße er mit 120 Schill.
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!)4
Alfreds') handelt besonders von Eiden und Gedingen (Be aiVum
and be weddum, De jurainentis et vadiis) und fängt an: Zuerst
lehren wir, daß es vor allem nötig ist, daß jedermann seinen Eid
(äff) und sein Gedinge (wed) wahrhaft halte1). Ähnlich Aethelred’s
Verordnung, die der König der Angeln und die geistlichen und
weltlichen Witan beschlossen und berieten’): Und jeder Cristen-
mensch handle in Wort und Tat redlich, und halte Eid
(äiV) und Gedinge (wed) treulich4)’), ln Aethelred, VI, 28‘),
wird verordnet: Und in Worten und Werken handle jeder
■) Schmid, Gesetze, S. 68 — 71. Sieh«: auch Lieberuiann, a. a. O.,
S. 4t!, 47.
*) . . . ])aet i'eghwclc mon his a<V and hin wed wacrlice hcalde.
In priinis est, qnod maxiinc necessarinin est cuique fideliuni, tidein
nt juranicntiiin suum. niiilta, nt convenit, obscrvantia eustodirc.
Phillips, Versuch, S. UH. Anm. 416, gibt eine andere Lesart des
lateinischen Textes: Iniprimis doeemus, qund maxiine necessarinin est, ut
quisqiic honio jnrainentuin su um et pactum suum cautc observet.
In Liebermanns Ausgabe der angelsächsischen Gesetze, S. 47, lautet
die Stsdle in tjuadripartitus folgendermaßen: Inpriinis est, quod maximc
necessarinin est: cuictuuquc lidelium tideni et inranientum suum lnulta con-
nenit ubserrantia rustudirc.
Lieberuiann, a. a. 0., S, 47, übersetzt Alfred 1 pr.: Zuerst lehren
wir, was zumeist nötig ist. daß jedermann seinen Kid und sein rechtsförm-
liehes Versprechen sorgfältig halte.
Jenks, Law and Politics, fährt nach Ilehandlung der Krage, ob
unter den germanischen Völkern der Kid die Wirkung einer vertragsmäßigen
Verbindlichkeit hatte, wie folgt fort (274 —276): „Hut certainly, under the
t'hureh’s teaching, the Oath assnmed the charactcr of a sacrcd Obligation.
We reinembcr the pious Alfred'» Pooins. Certainly, also, there is a streng
probability that the Church enforccd the perfornmnee of Oatlis by the threat
of exeomniunication, sometiuies with the appruval of the lay tribunals. Hut
there is no proof, it would sceiri, that the Contract by Formal Words ever
fonned jiart of Teutonic Law, in the sense that it would be directly en-
forced by the courts of the Clan, the Kicf, or the State. The one contract
which they recognixe in early time» is the Contract by l’ledge.“
3) Aethelred, V, § 22, Schmid, Gesetze, S. 224. Siehe auch
Lieberuiann, a. a. O., S. 242, 243.
4) . . . and üi) and wed wacrlice hcalde.
*) Licbcrmann, a. a. O., S. 243, übersetzt: Und jeder Christenmensch
handle. . . . und ordne [sein] Wort und Werk gerecht und halte sorgsam
Kid und Versprechen.
Schmid, Gesetze, S. 230. Siehe anch Lieberuiann, a. a. O..
S. 234, 233.
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95
Freund nach Recht und halte Eid (äff) und Gedinge (wedd)
redlich*)*). In Cnutü Gesetzen, I, 19, § 1 5j wird gesagt: Und jeder
Freund handle in Wort und Werk nach Recht, und halte Eid (äff)
und Gedinge (wedd) redlich4)5) Kapitel 1, § S, von Alfreds Ile
affum and be weddum lautet6): Wenn aber ein anderer Mensch
Hfirge (borli, plegins) ist, so büLle er den Bürgsehaftsbrach wie
ihn das Recht weist, und den Bruch der Vertragstreue, wie ihm
sein Beichtiger vorschreibt ’). Alfred 33 handelt Be god-borgum
[borhgnin] (De I)ei jt 1 eg i« violato)*) und verordnet: Wenn
Jemand einen Andern wegen einer Gottverbürgung anklagt und
ihn bezichtigen will, daß er eine von den Verpflichtungen, die er
gegen ihn übernommen hatte, nicht erfüllt habe, leiste er den
Voreid in vier Kirchen und der Andere, wenn er sich reinigen
will, tue es in zwölf Kirchen.
Die obligatorische Natur dieser Formen ersieht man deutlich
aus der Terminologie der Quellen, da es bei allen Formen heißt,
daß das Versprechen des Schuldners „erfüllt“ oder „nicht erfüllt
(gebrochen)“ wird.
Über den Gegenstand dieser Verträge wissen wir nichts. Dem
') . . . and äff amt wedd waerlice heatde, . . ,
. . . juraiiii'iita et »uta fideliter complcat.
*) Liebermann, a. a. 0., S. 255, übersetzt: Und ordne der Freunde
jeglicher Wort und Werk gerecht und halte sorgsam Kid und Versprechen.
*) Schleid, Gesetze, S. 26(1, 2(17. Siebe auch Liebermann, a. a. 0„
S. 300, 301.
4) . . . and äff' and wedd waerlice bcaldc, . . .
. . . fidcm ot sacramenta cauto cnstndiat.
In Licbcrmann's Ausgabe der angelsächsischen Gesetze lautet die
entsprechende Stelle des Quadripartitus: ... fidem et sacramenta raute
custodiat. Die entsprechende Stelle der Consiliatio Cnuti lautet: . . ius-
iurar.dum et manufirmacionem raute obseruet. Lieber mann, a. a. O., S. 301.
5) Liebermann, a a. 0., S. 301, übersetzt: Und ordne der Freunde
jeglicher Wort und Werk gerecht und halte sorgsam Kid und Versprechen.
6) Schmid, Gesetze, S. 70, 71. Für Text und Übersetzung bei
Liebermann siehe oben S. 74, Anm. 1.
T) Gif pier penne öffer menisc borh sie, bete pone borg-bryce [borh-
brice] swä bim ryht wisie, and pone wed-brvee swä him bis scrift scrife.
Si tune aliipiis plegins intersit, einendet infraeturam plcgii, sicut
rectum edneebit, et infraeturam vadii seenndum pcnitcnciac ccnsuram.
*) Schmid, Gesetze, S. 88, 8t). Siehe auch Liebermann, a. a. 0.,
S. Cd, (17 : oben S. 75, Anm. 1 .
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Oß
Anscheine nach handelt es sich um allgemeine Vertragsformen, die
bei allen Rechtsgeschäften Anwendung finden können. Die Gott-
Verbürgnng scheint ein besonders solennes Versprechen zu sein-,
vielleicht ') wurde es auch im Familienrecht und bei der Bei-
legung alter Fehden gebraucht.
Verträge, die gegen die guten Sitten verstoßen, soll man nicht
erfüllen. Nach den ersten Worten Alfreds Be a<Vum and be
weddum*) soll jedermann seinen Eid und sein Gedinge (äff und
wed, fides et juramentum) wahrhaft halten. Gleich darauf
aber sagt er in § 1: Wenn Jemand zu einem von diesen mit
Unrecht genötigt worden ist, sei es zum Verrate des Herrn, sei es
zu widerrechtlichem Beistand, so soll er sie dann lieber brechen
als erfüllen5)4).
Über die Nichterfüllung des durch god-borh (Dei plegium)
eingegangen Vertrages kann die andere Vertragspartei Klage
erheben. Nach Alfreds Gesetzen: Wenn Jemand einen Andern
wegen einer Gott- Verbürgung anklagt und ihn bezichtigen will,
daß er eine von den Verpflichtungen, die er gegen ihn über-
nommen hatte, nicht erfüllt habe, leiste er den Voreid in vier
Kirchen, und der Andere, wenn er sich reinigen will, tue es in
zwölf Kirchen.
Bei Nichterfüllung muß die Vertragsbrüchige Partei für den
Vertragsbruch büßen. War aber ein Bürge gestellt, so muß dieser
für den Bflrgseliaftsbruch und den Vertragsbruch büßen, so wie es
die Geistlichen vorschreiben. Die Vertragsbrüchige Partei unter-
liegt der Inhaftierung und kann unter Umständen geächtet und
exkommuniziert werden.
So nach Ine 1 3 *) : Wenn Jemand vor dem Bischof falsches
Zeugnis gibt oder sein Gedinge (wed, vadium) bricht, muß er
es mit 120 Schillingen büßen. Nach Alfreds Be affum and be
') Siche Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 58.
*) Schmid, Gesetze, S. G8, 69: Licbermann, a. a. 0., S. 4G — 49.
3) . . . patt is ponne ryhtrc tö Alcöganne ponne tö gchcatannc.
*) . . . rectius est hoc cincntiri t]uaiu implcre.
Liebermann, a. a. O., S. 47, übersetzt § 1: Wenn einer [allerdings]
böser Weise gezwungen worden ist zum [Versprechen] eines der beiden [Ver-
brechen], entweder zu Herrenverrath oder zu irgend einer widerrechtlichen
Beihilfe, das ist dann richtiger zu weigern als zu leisten.
Siehe oben S. 93, Anm. 4 und 5.
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weddum'). §2: Wenn er sich aber zu Dem verpflichtet, was er
rechtmäßig zu leisten hat, und Dem untreu wird*) so gebe er in
Demut seine Waden und seine Habe seinen Freunden zur Ver-
wahrung und gehe 40 Nächte in den Kerker in des Königs Tune;
er tue da Huße, wie es ihm der Bischof vorschreibt, und die
Magen mögen ihn speisen, wenn er selbst keine Nahrung hat.
§ 3: Wenn er keine Magen oder die Nahrungsmittel nicht hat,
speise ihn des Königs Gerele. § 4: Wenn man ihn dazu nötigen
muß und er anders nicht will, so verliere er, wenn man ihn
bindet, seine Waffen und sein Erbe. § 5: Wenn man ihn er-
schlägt, liege er unverbüßt. §<>: Wenn er daraus entflieht vor
dem Termin und man ihn einfängt, bleibe er 40 Nächte im Kerker,
wie er früher sollte. § 7; Wenn er aber loskommt, sei er geächtet
und exkommuniziert in allen christlichen Kirchen. § 8: Wenn
aber ein anderer Mensch Bürge ist, so büße er den Bürgsckafts-
bruch wie ihn das Recht weist, und den Bruch der Vertragstreue,
wie ihm sein Beichtiger vorschreibt*).
V. Im Kirchen recht.
Das Gelöbnis des Mönchs wird in den Gesetzen Aethelreds
erwähnt4); Und unser.« Herrn und seiner Witan Verordnung ist,
daß jeder Mönch, der außerhalb seines Klosters ist und sich um
die Regel nicht kümmert, thue, wie er thun soll; er kehre willig in
das Kloster zurück in aller Deinuth, und enthalte sich aller Misse-
taten, und büße willig, was er verbrochen hat; er gedenke des
Wortes und Gedinges (wo rd and wedd), das er Gott leistete'*)®).
*) Schmid, Gesetze, S. 68— 71. Vgl. I.iebcrman n. a. a. 0., S. 40-49.
*) Gif he ponne paea weddie, pe liv in rillt sj tü gehnatanne and pa*t
aleoge, . . .
Si qui.« autem vadiet, qtiod fieri justum sit, et transgrediatur, . . .
*) Siehe oben S. 74, Anin. 1, S. 95, Anni. 7.
*) Acthelred, V, 5, Schmid, Gesetze S. 222: und vgl. Lieberniann,
a. a. O., S. 238, 239. Gleichlautend ist Aethelred, VI, 3 pr, Schinid, Gesetze»
S. 22ti, Lieberniann, a. a. O., 8. 248.
5) . . . gepence Word and wedd, pe he (Jode beliebte.
6) Lieberniann, a. a. 0., S. 239, übersetzt: ... er bedenke Wort und
Verpflichtung, die er Gell gegeben hat!
Httzeltin«, hnglischfN Pfandrecht ^
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VI. Im öffent liehen Recht.
Wenn wir den (lebrauch der Worte wed (vadi um), AtV u.s.w.
in den Quellen etwas weiter verfolgen, finden wir, daß sie nicht
nur beim Wettvertrage (Gelöbnis) und dem I’fande des Privat-
rechts Anwendung finden, sondern auch beim Wettvertrag (Gedinge,
Gelöbnis) im öffentlichen Recht eine Rolle spielen.
In Aelfredes and Güd'rümes fr i «V (Friede)') aus den
Jahren 880—890 wird die Grenze und der Rechtsverkehr zwischen
Engländern und den eindringenden Dänen geordnet*). Der Friedens-
vertrag fängt mit diesen Worten an: Dies ist der Friede, den
König Aellred und König Guthrun und die Witan des ganzen
Angelvolkes und das gesamte Volk, das sich bei den Ostanglieni
befindet, zusammen abgeschlossen haben und mit Eiden (inid
Ad um) bekräftigt*)4), für sich selbst und ihre Nachkommen, ge-
borene wie ungeborene, die Gottes Gnade begehren oder die
unsrige. §. 5: Und wir Alle beschlossen an dem Tage, da man
die Eide (Adas) schwor4), daß weder ein Höriger noch ein Freier
ohne Erlaubnis zu dem „Heere“ gehen solle, noch einer von ihnen
zu uns. Wenn es aber geschieht, daß einer von ihnen, weil er
es nöthig hat, mit uns Handel haben will, oder wir mit ihnen,
über Vieh oder Gut, so ist das zu gestatten in der Weise, daß
mau Geiseln (gislas) stelle zum Pfand des Friedens (frid'e tö
') Schinid, Gesetze, S. 106—109: Lieben» ann, a. a. 0., S. 126 fT.
*) Sclimid, Gesetze S. XXXVIII: Licbcrmann, a. a. (>., S. IX, 126.
Siebe ferner Seebohm, n. a. 0, S. 1 — 355 : Tliorpe, a. a. 0., 8. 66. Am», a.
Vgl. Gcriednca betweoi Dünsctan, Sclimid, Gesetze, S. 358— 363, filier
die Verhältnisse zwischen Angelsachsen und Walen.
*) . . . ealle geeweden habbad, and mit ad'um gefcnstnnd, . . (. . .ewed'
and geswnren habbad. . . .). Kine Randbemerkung zur zweiten Lesart lautet:
and mid Ad um gcfacstnod. Sclimid, Gesetze, 8. 106, Amu. 23. Siehe auch
Liebermann, a. a. ()., S. 126. Oie entsprechende Stelle des yuadri-
part itus (siehe Lieberinann. a. a. 0., S. 127) lautet: . . . constitucrunt et
iureiurando confirmauerunt . . .
4) Liebermann, a. a. 0.. S. 127, übersetzt: . . . alle bestimmt und mit
Kiden gefestigt (beschworen) haben . . .
5) And ealle we ewiedon on päm daege, mon pA Adas swür, . . .
(And ealle big geewa-don, pA man pA Adas swür,...). Siehe auch Lieber-
mann, a. a. 0., 8. 128. Oie entsprechende Stelle des (juadripartitus
lautet: Kt umnes ediximus in illa die qua iuramenta facta sunt .... Siche
Licbcrmann. a. a. O.. S. 129.
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90
wedde, ad vadium pacis)1) und zum Zeugnis, daß man wisse,
daß man reinen Rücken*) habe’). Eine zweite Lesart dieses
triff (Frieden) mit der Überschrift Aelfredes laga cyninges*)
lautet: daß man Treue (trjhva) und gegenseitige Geiseln
(gislas) geben will zum Pfand des Friedens (friffe tö wedde)4)
und zum Zeugnis, daß man mit Recht gehe, wenn nöthig ist, daß
Einer von uns mit Vieh und mit Gut zu dem Andern gehe“).
In dem Bruchstücke Hü man sceal gyldan twelf-hyndes
man (944 — c. 1Q(>0) heißt es: Sobald der Wettvertrag über das
VVergeld abgeschlossen ist. dann setze man des Königs Schirm
(Frieden) ein, das ist, daß sie Alle mit gemeinsamer Hand von
jeder Magenschaft dem Vermittler auf eine Wallt* geloben, daß
der Schirm (Friede) des Königs bestehen soll1).
’) f)aet man gislas sylle friffo tö wedde . . .
ut lidejussores dent ad vadium pacis . . .
Siehe auch Liebcrmaun, a. a. 0., S. 128.
Über (iciseln im angelsächsischen Recht sieb« Schund, Gesetze,
Glossar, s. v. gisel.
*) Schmid, Gesetze, 8. 108, Anm.: „('bene bacc, d. i. er bat einen
Gewährsmann, auf den man zurüekgreill*. Siehe Thorpe, a. a. 0., S. 07,
Anm. a.
’) Liobermann, a. a. 0., S. 129, übersetzt: .... Wenn es aber vor-
kommt, daß aus Notwendigkeit einer von jenen zu uns hin Handel mit Vieh
und mit Waren haben will, oder wir zu jenen hin, das ist in der Weise zu
gestatten, daß man (der Händler) Geiseln gebe, dem Frieden zum l’fande
und zum Heweise, daß bekannt sei, daß jener reinen lifieken habe.
*) Schmid, Gesetze S. 100—109; Liebermann, a. a. 0., S. 120— 128.
Über die zwei Lesarten dieses Friedensvertrages siehcThorpe, a.a.O., S. OG, 07.
4) btiton man try wan and betwynan gislas sylle friffe tö wedde . . .
Siche auch Liebermann, a. a. 0., 8. 128.
Schmid, Gesetze, S. 108, Anin., sagt: ,Fnr try wan and betwynan gis-
las will l’rice (Thorpe] lesen: betwynan try wan and gyslas: ich möchte lieber
trywa (acc. pl. von tryw) lesen, das sehr oft in ähnlicher Verbindung vor-
kommt, z. H. auch Cardin.. I, 1530: Ic eöw trcöwa pars minc seile-*. Siehe
ferner Thorpe, a. a. 0., S. 07 und Anm. b; Schmid, Gesetze, Glossar, s. v.
gctreöwe, gotrcöwian, treöwian.
6) Liebermann, a. a. 0., S. 129, übersetzt: . . außor wenn man Treu-
gelübde und dazwischen Geiseln stelle dem Frieden zum Pfände und zum
Beweise, daß man gesetzmäßig reise, wenn [nämlich] es nöthig wird, daß
unser einer zu [jenen] anderen ziehe mit Vieh und mit Waaren.
7) Siche oben S. 83. Siehe auch Kdmunds Be faehffe und die Leges
Henrici Primi, oben S. 85, 80.
7“
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101)
Edwards Gesetze, II, 4, ') erklären ausdrücklich, dall Niemand
mit Wissen und Willen einen Schuldigen schützen oder beher-
bergen soll. Kapitol ">*) handelt von dem. der einen Schuldigen
in seinen Frieden nimmt. Kapitel ä pr. : Wenn Jemand dies
Übertritt und seinen Eid (äiV. jurantentumj und seine Gedinge
(w;ed. vadium), die das ganze Volk eingegangen ist, bricht3),
hülle er es, wie das Gerichtsbueh es lehrt4). Kapitel 5, § 1:
Wenn er aber nicht will, verliere er unser Aller Freundschaft und
Alles, was er hat. Kapitel 5, § 2: Wenn ihn nachher Jemand
beherbergt, hülfe er es, wie das Gerichtsbuch besagt und der es
soll, welcher einen Flüchtigen beherbergt, wenn es hier zu Lande
ist: wenn es im festlichen Lande, wenn es im nördlichen ist, bfllie
er es, wie es die Friedensschritten besagen.
Gleich im Anfang der Epistola .E |>e I s t a n i ad omnes
subjectos (c. !)27 — 37) *) sprechend De malefactoribus et eos
I i rinantibus4) sagt Aethelstan: Ich, Aethelstan, König, tliue
kund, dal! ich in Erfahrung gebracht habe, dall unser Frieden
schlechter gehalten wird, als es mir gefällt oder als es zu Grea-
tanlea verordnet war (geeweden w;ere, fuerit institutum), und
meine Witan sagen , dall ich es zu lange ertragen habe. § 1 :
Nun habe ich mit den Witan, die mit mir zu Exeter waren, zu
Weihnachten beschlossen, dall sie [d. h. die Friedensstörer oder
Friedensbrüchigen] ’) Alle bereit sein sollen, sie selbst mit Frau
und Gut und mit ihrer ganzen Habe dahin zu gehen, wohin ich
') Schmid. Gesetze, S. 1 Ui, 1 17. Vgl. Lieberinann, a. a. 0., S. 142, 143.
*) Schmid, Gesetze , S. 116, 117. Vgl. I.icbcrmann, a. a. I).,
S. 142— 145.
J) . . . snd bis ii<V and his w;ed brecc, |)e e«I Jlcöd geseald haeftV, . . .
. . . et jurament um suiiin frangat, ct vadium, ipiod omnia po|mlns
i'ontulit, . . .
.Siebe autdi die Lesarten bei Liebermann, a. a. ö., S. 142, 143.
•) Liebermann, a. a. O., S. 143, übersetzt: Wenn einer dies Übertritt
und |sn] seinen Kid und sein Versprechen bricht, die das ganze Volk [dem
Staat] gegeben bat, so bulle er. wie das Gesetzbuch vorschreibt.
5) Aethelstan, V, Schul id, Gesetze, S. 1.72, 173. Vgl. Lesarten und die
entsprechende Stelle des tpiadripartitus bei Liebermann, a. a. rt.,
S. 1GG — 1GU.
n) Siehe Thorpc, a a. <)., S. t)3. Anm. a: Selnnid, Gesetze, S. 172,
Anm.
", Thorpe. a. a. •).. S. 1)3: Liebermann, a. a. 0., S. 1C7.
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101
will, wenn sie nicht hinfort abstehen wollen, dergestalt, «lall sie
nie wieder in das Land kommen. § 8: Und wer sie beherbergt,
oder Einen von ihren Leuten, oder Jemanden zu ihnen sendet,
der habe sich selbst und Alles, was er hat, verwirkt; dies ist
darum, weil die Eide (ä«Vas, juramenta) und die Gedinge (wedd,
vadia) und die Bürgschaften (borgas, plegia), die da (darüber)
eingegangen waren, alle verletzt und gebrochen sind. Und wir
wissen auf nichts Anderes zu vertrauen, es sei denn Dies1)*).
Die Judicia civitatis Lundoniae sind dem Anscheine nach
eine Sammlung von Statuten der Friedensgilden zu London, sowie
von allgemeinen Landesgesetzen, die von den Bischöfen und Gerefen,
d. h. den geistlichen und weltlichen Obern, die zu London ge-
hören. veranstaltet worden ist und auf die sie die Friedensgilden
durch Gedinge verpflichteten. Die eigentlichen Gildestatuten icap. -
bis is der Judicia) erscheinen als Satzungen, die von den Gilden
selbst ausgehen und die „vorzugsweise eine wechselseitige Asse-
kuranz gegen Viehdiebstahle und eine allseitige Pflicht zur Unter-
stützung bei der Verfolgung von Dieben begründen“3).
•) . . . |v |)it ä (Vas and pä wedd and pä borgas synt ealle oferhafcne
and Abrocene, pe paer gescalde Wieron. And w'e nytan nänuni ödruni pin-
guin tu getrüwianne [gctreowiganne], bntan hit pis sy.
. . . qnod juraincnta et vadia et plegia pcnitus superexcepta sunt et
infracta, quae antca fucrant data, et nesciinus alii rci crederc, nisi liaccfliocjsit.
Siehe auch die Lesarten bei I.iebermann. a. a. 0., S. lBfi, 1H7.
J) I.iebermann, a. a. 0., S. 1<!7, übersetzt: . . . deshalb, weil die Lide
und reehtsförnilichen Versprechungen und Verbürgungen alle vernachlässigt
und gebrochen sind, welche dort gegeben waren. Und keinen anderen Hin-
richtungen mehr können wir vertrauen, es sei denn dies [Verpflanzen].
3) Schund, Gesetze, S. XLVI, XLVII. Siehe ferner Schmid, a. a. ()..
Glossar, s. v. gegilda.
Seebohin, a. a. O., S. 415: „The use of the ward [,hynden‘J in tho
Judicia Civitatis Lundoniae' is in connection with the organization of .fritli-
gegildas1 for the prevention and punishment of theft. These frith-gogildas'
were groiips or .hyndens' with a coumion purse. And contributions weru to
be made for the common benetit These hyndens were not
directly groups of kinsmen and oath-holpcrs, but they were artilicial grnups
formed and bound by a pledge for mutual protection, and the use of the
word Jiynden* in this sense is signilicant. liiere were hyndens of oath-
helpers linder tribal eustom, and now in the city hyndens of fritli-gegildas
were formed for umtual defence against powerful kindreds outsidc their
city who were in the habit of protecting tbieves froin justice. This was
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10>
Die Judicia civitatis Lunduniae beginnen mit den
Worten1): Dies ist die Satzung, welche die Bischöfe und die Ge-
rden, die zu London gehören, beschlossen haben und mit Gedingen
(mid weddum, jurejurando) bekräftigt in unseni Friedens-
gilden2), eorlischen und keorlisehen, zur Mehrung der Ver-
ordnungen, die zu Greatanlea und zu Exeter gegeben waren und
zu Thunresfelde *).
Kapitel 8 dieser Judicia civitatis Lundoniae enthält
Gildestatuten 4) und § 4 handelt von der Verfolgung der Spur aus
einer Shire in die andere und schließt : sodaLS jeder Gerefe dem andern
beistehe für unsern gemeinschaftlichen Frieden, bei Strafe des
Ungehorsams gegen den König*). § 5: Und auch, daß Jeder
dem Andern beistehe, wie es beschlossen ist und durch Gedinge
(mid weddum, v a d i o) bekräftigt6), und wer dies über die
Grenze hinaus versäumt, sei 30 Pfennige schuldig oder einen
Ochsen, wenn er etwas von Dem vernachlässigt, was in unsern
Schriften steht und was wir durch unsere Gedinge (mid weddum,
tlii.- war apparently (hat a substitute was fimml in tbe towns for the absent
kindreds. And as time went 011 these artificial hyndens of gcgildas or
congildonus no doubt in sotne nieasure took the place of tbc hyndens
of kinsmen in cases of homicide as well as in cases of theft*.
•) Aethelstan, VI pr, Schmid, Gesetze, S. 156, 157; Lieber mann
a. a. O., S. 173.
s) ... gecwcdcn babbaiV and mid weddum gefaestnod on ürum friiV-
gcgylduin, . . .
. . . edixcrunt et jurejurando continnaTerunt in suo friiVgildo, . . .
■Siche auch Licbermann, a. a. ()., S. 173.
3) Licbermann, a. a. O., S. 173, übersetzt: Dies ist der Beschluß,
welchen die Bischöfe und die Vögte, welche zu London[s Gerichtsbezirk
durch ihre Hintersassen] zngehoren, verkündet und durch rechtsförmlichc
Verpflichtungen bekräftigt haben in unserer Friedensgilde [oder unseren
F.-YerträgenJ, sowohl vornehme wie gemeinfreie, zur Ergänzung für die Ge-
setze, welche zu Great ley und zu Exeter und zu Thundersficld festgesetzt
worden waren.
4) Schmid, Gesetze, S. 164 — 16!); Liebermann, a. a. 0., S. 178 — 181.
*) Liebermann, a. a. 0., S. 178, übersetzt: . . . daß immer aus einer
Grafschaft in die andere jeder [Grafschafts-Jvogt dem anderen helfe zu unser
aller l’olizeiordnung bei [Strafe der Buße für] Ungehorsam gegen den König.
*) ... swa hit geeweden is and uiid weddum gefaestnod, . . .
. . . sicut dictum est et vadin conlirmatum ; . . .
Siehe auch Liebermann, a. a. 0., S. 17!).
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103
vaditione) hekräftiirt haben1)5). §0: Und wir beschlossen auch
von jedem der Männer, die in unsern Üildensehaften ihre be-
dinge (wedd, vadium) eingegangen sind3)4), daß, wenn sie der
Tud trifft, jeder Gildengenosse ein Zukostbrot für die Seele gebe
und ein Fünfzig Fsalmen singe oder binnen 30 Nächten singen
lasse. § 0: Wenn wir aber lässig werden rficksichtlich
des Friedens und der Gedinge (|>aes weddes, de vadiis), die
wir eingegangen sind, und die der König uns geboten hat3), dann
können wir glauben oder auch wissen, daß die Diebe noch mehr
herrschen werden, als sie bisher thaten. Aber laßt uns lieber
unsere Gedinge (wedd, fidem) halten und den Frieden*), wie es
unsenn Horm gefällt; uns thut sehr noth, daß wir ausführen,
') ... and *c mid ürum weddum gefaestnod habbaiV.
... et vaditiunc [vadiatione] nostra conärniaviinus.
Siehe Sehrnid, Gesetze, S. XXVI: Liebermann, u. a. O., S. ISO.
Hei bieberniann, a. a. O., S. 180, lautet der Text des (juadripar-
titus: . . . et uadiacinne nostra linnauinms.
*) biebermann, a. a. ()., S. 17H, 180, übersetzt: Und auch, daß jeder
[von uns] dem anderen helfe, wie es bestimmt und durch rcchtafünnlichc
Versprechen bekräftigt ist: und jedermann, welcher das jenseits dieser
[ Landschaft*] grenze versäumt, sei .‘10 Pfennig oder einen Ochsen [uns]
schuldig, wenn er etwas von dem vernachlässigt, was in unserer [Vertrags]
urkunde steht und [was] wir durch unsere rechtsförmlichen Versprechungen
bekräftigt haben.
3) ... |>c on üruui gcgyldscipum bis wedd geseald hactiY, . . .
. . . ipii in nostram gildscipani vadium dedit. . . .
Die Texte der Stelle bei bi eberinan u, a. a. 0., S. 180, lauten ebenso.
Vgl. aber Lieber m a nn’s Übersetzung der Stelle in Anm. 4 unten.
4) Vgl. diu Übersetzung Liebcrmaun’s (a. a. 0„ S. 180): Und wir
bestimmten auch über jeden der Leute, der in unseren (iildeabmachungen sein
[Beitritts] pfarnl gezahlt hat, . . .
*) ... Gif we Jlonne äslaciaiV Jlaes friiVes and |)aes weddes, [)e we
seald habbaiV, and ge cyng ils bebodeu liafaiV, . . .
. . . Kt si remissius egerimus de pace et vadius, quae s i in ul dedi-
mus et quam rex nobis praeeepit, . . .
Siehe auch Liebermann, a. a. 0., S. 181.
*) ... Ac uton healdan üre wedd and [laut friiV, . . .
. . . Scd ädern tcncainus et pacem, . . .
Siehe auch Liebermann, a. a. ü., S. 181.
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104
was er will, und wenn er uns mehr heißt und verschreibt, so
werden wir in Demutli bereit sein ')•
An einer andern Stelle (Kapitel 10) der Judicia civitatis
L u ndoniae*) wird gesagt: Dali die Witan alle gemeinschaftlich
dem Erzbischof sich durch Gedinge (wedd, vadium) verpflichteten *)
zu Tlmnresfeld '), als Alfeah Stvbb und Brithnod, Oddan’s Sohn,
zu dem Gemote kamen auf des Königs Wort; daß jeder Gerete
die Verpflichtung (wedd, vadium) annehme in seiner eigenen
Shire, daß sie Alle den Frieden halten wollten*), wie es König
Aethelstan beschlossen hat und seine Witan ....*).
') Licbcruiann, ». a. O., S. 181, übersetzt: . . . Wenn wir dagegen
schlatt nachlasscn von dieser l’olizcinrdniiiig und dem rechts förmlichen Ver-
sprechen, welches wir abgegeben haben und der König uns geboten hat, . .
. . . Vielmehr lallt uns unser Versprechen und diese Kriedensordnung halten,
wie es unserui Herrn gutdünkt: , . .
3) Aethelstan, VI, 10, Schmid, Gesetze, S. 168 — 171: Liebcrtnanii,
a. a. ()., S. 181, 182.
s) paet pä witan ealle scaidan [sealdan Lioberniann, a. a. <)., S. 181]
heora wedd ealle togaedere päm arcebisecopc. .
ljuod sajiientes nmnes dedernnt vadium suuni insimul archiepiscopo . . .
Siehe auch Licbermaiin, a. a. <>., S. 181.
4) Liebermann, a. a. O., S. 181, übersetzt: . . . daß alle Witan ihr
rechtsfönnliches Versprechen allesamt dem Erzbischöfe zu Thunderstield
gegeben haben ....
•') ... paet aclc gerefa namc pael wedd on his ägenre scire, paet hi
ealle paet tritt' swä healdan wohlan, . . .
. . . ut omnis praepositus vadium capiat in suo comitatu du pare
servanda. . . .
Siehe auch Liebermann. a. a. O., S. 181, 182.
Schmid, tiesetze, S. 874. sagt bei Besprechung dieser Stelle: .Aber
nicht Moll wedd syllan kommt für versprechen, geloben vor (z. B. Kdw., II,
5 l’r. oben), sondern wed niinan hat auch die Bedeutung von sieh ver-
sprechen lassen, z. B. Athlst., VI, 10, wo paet aelc gerefa namc paet wedd
on his ägenre scire dem ganzen Zusammenhänge nach nur auf abgenonunene
vertragsmäßige Verpflichtungen bezogen werden kann: ebenso Athlst... VI,
II, gif eöwer hwilc ... paet wedd ael his hyre-mannum niman nelle. Ich
kann selbst in Anh. VI, 1 (Verlobung), vgl. mit c. 5, 8, die Worte on
wedd« syllan nur auf ein Gedinge, nicht auf ein Pfand beziehen“.
*) Liebermann, a. a. O., S. 181, 182, übersetzt: . . . daß jeder [Graf-
schaftsj vogt in seiner eigenen Grafschaft folgendes rochtsfiirmliche Ver-
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105
Das nächst« Kapitel (11) der Judicia civitatis Lundoniae1)
sagt: Daß Aethelstan seinen Bischöfen und seinen Ealdormännern
und seinen Gerefen in meinem ganzen Reiche gebietet, daß ihr
den Frieden so haltet, wie ich ihn beschlossen habe und meine
Witan. Wenn einer von euch es versäumt und mir nicht ge-
horchen will und die Verpflichtung (wedd, vadium) seinen
Hiremannen*) nicht abnehmen will und heimlich Abfindungen ge-
stattet3)') und für die Ordnungen nicht so sorgen will, wie ich
geboten habe und in unsern Schriften steht, dann soll der Oerefe
sein Comitat und unsere Freundschaft verloren haben, und er
zahle 1 'JO Schillinge und halb so viel jeder von meinen Thanen,
der Land hat und die Ordnungen nicht so halten will, wie ich es
geboten habe.
In Edgars Gesetzen, IV, 1, § 4 5), verordnen der König
und der Erzbischof, daß Jeder, arm oder reich, der einiges urbare
Land besitzt, Gott seinen Zehnten entrichte, mit allem Segen und
aller Willfährigkeit, wie es die Satzung lehrt, die meine Witan
zu Andefera beriethen und nun jetzt zu Witanbordestan durch
sprechen [den Eingesessenen] abnehmen werde: daü sie alle die Friedens-
ordnung so bewahren wollen, wie König Aethelstan es verordnet hat mit
seinen Witan . . ,
■) Aethelstan, VI, 11, Sohiuid, Gesetze, S. 170, 171, Liebermann,
a. a. <>., S. 182.
*) Thorpe, a. a. O., S. 101, sagt bei Besprechung der Bedeutung des
Wortes Hireuianncn an dieser Stelle: ,1t is clear front c. II., tliat the terni
is a general application fnr all persona owing ubedience to sollte superior
authority“.
3) ... and paet wedd aet bis hyre-mannum niman nellc, and hu ge-
pafaiV p« dyrnan gepingo, . . .
... ut hoc vadium ab hiromannis vel a subditis suis caperu uolit,
et patiatur occliltas actiolies, . . .
Ygl. die Lesarten bei Liebermann, a. a. O , S. 182.
Ine, 52, verordnet (Sclimid, Gesetze, S. 46, 47]: Wer heimlicher Ab-
tindung (diernum gepingum) beschuldigt ist, reinige sich mit 120 Hyden
wegen der Abfindung oder zahle 120 Schillinge.
*) Liebermann, a. a. ()., S. 182, übersetzt: W'enn einer von euch nach-
lässig ist und mir nicht gehorchen will, indem er jenes [Friedens-] Versprechen
seinen Untergegebenen nicht abnehmen will und die heimlichen Abfindungen
[mit Umgehung des Gerichts] erlaubt . . .
J) Schui id, Gesetze, S. 104: Liebermann, a. a. 0., S. 206 — 200.
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lor
Gedinge (rn i d wedde) befestigen1)2). § 5: Dann gebiete icli
meinen Gerefen bei meiner Freundschaft und bei allem dem, was
sie haben, daß sie jeden von Denen zur Strafe ziehen, der das
nicht leistet und die Gedinge (wed) meiner Witan durch einige
Säumnis brechen will3)4), wie sie ihn die obengenannte Satzung
lehrt; und bei diesem Strafgesetz gebe es keine Vergebung.
Aethelred V enthalt die Verordnung, die der König der
Angeln und die geistlichen und weltlichen Witan beschlossen und
berieten; und im Kapitel 1 dieser Verordnung heißt es5): Dies
ist aber das Erste, daß wir Alle einen Gott lieben und verehren,
und ein Christentum gerne halten, und alles Heidenthum gänzlich
von uns werfen; und das haben wir Alle durch Wort (mid
worde) und Gedinge (mid wedde) zugesichert6) ’), daß wir
unter einer königlichen Macht ein Christentum halten wollen.
Es handelt sich also hier in diesen Stellen um Formal- oder
Wettverträge (Gedinge, Gelöbnisse) des öffentlichen Rechts. Wir
linden: 1. einen Friedensvertrag (wed und äiV) zwischen Alfred
und den Witan des Angelvolkes einerseits und Guthrum und dem
ganzen Volke hei den Ostangliern andererseits; 2. das Wort und
Gedinge (wedd, wed, vadium; Word und wedd) des englischen
’) ... amt n fi eft aet Wihlbordesstano mid wedde gefaestnodon.
Siche auch Lieb ermann, a. a. O., S. 208, 200.
*) Lieberin ann, a. a. O., S. 209, übersetzt: ... welche meine Witan
zu Andover bestimmt und jetzt wiederum zu ,Wihtbordestan‘ durch rcclits-
föruiliches Versprechen bekräftigt haben.
*) . . . pe |)is ne gehvste and minra witena wed übrccan mid nigum
wäcscipe Wille, . . .
Siehe auch Lieb ermann, a. a. O., S. 208, 209.
*) Lieb e r in a n n a I bersetzung (a. a. Ö., S. 209) lautet : Ferner gebiet
ich meinen Vögten, bei [Verlust] meiner Freundschaft und alles dessen,
was sie besitzen, daß sie jeden derer, welcher dies nicht leistet und das
rechtsförmliche Versprechen meiner Witan durch irgend welche Lässigkeit
brechen will, so bestrafen . . .
5) Aethelred, V, 1, Schmid, (iesetze, S. 220, Liebermann, a. a. O.,
S. 236, 237.
6) . . . and pact wo habbaiV ealle :eg»Ver ge mid werde ge mid wedde
gefa-stnod, . . .
.Siehe auch Liebermann, a. a. 0., S. 236, 237.
*) Lieb ermann, a. a. 0., S. 237, übersetzt: . .. und Folgendes haben
wir alle sowohl mit Wort wie mit rechtsförmlichem Versprechen bekräftigt: .. .
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107
Königs und der Witan; 3. die Gedinge (wedd, vadium,
vadiationa, juramentum, fides) der Friedensgildegenossen;
4. das Gelöbnis (on an um w ;e p n c syllan) der bei der Bei-
legung der Fehde Beteiligten; 5. die Eide (äö'as, juramenta)
und die Gedinge (wedd, waed, vadia) und die Bürgschaften
(borgas, plagia) die die einzelnen Untertanen eingehen. Mit
diesen Wettvertragen (Gedingen, Gelöbnissen) sind die Ab-
machungen des Friedensvertrages zwischen Alfred und Guthrum
über den Rechtsverkehr zwischen Dänen und Engländern zu ver-
gleichen. wie das Treuversprechen (trywa) und die gegenseitige
Geiselnstellung (gislas) zum Pfände des Friedens (friOe tü
wedde, ad vadium pacis) und zum Zeugnis, daß man einen
Bürgen hat.
Unter den Formen des solennen Versprechens in diesen
Quellen befinden sich 1. zweiseitige und 2. einseitige vertrags-
mässige Verbindlichkeiten.
1. Zweiseitige vertragsmässige Verbindlichkeiten. Der Friedens-
vertrag (wed) zwischen Alfred und Guthrum1) ist ein zweiseitiger
Staatsvertrag. Er wird durch Eide (mid äiVum) bekräftigt und
bezieht sich auf die Grenze und den Rechtsverkehr zwischen
Dänen und Engländern.
2. Einseitige vertragsmäßige Verbindlichkeiten werden ein-
gegangen: a) von den Witan, b) den Friedensgildegenossen, c) den
bei der Beilegung der Fehde Beteiligten, dj den einzelnen Unter-
tanen, oder Hiremannen:
a) Die Witan verpflichten sich alle gemeinschaftlich dem
Erzbischof durch Gedinge (wedd, vadium), daß jeder Gerefe in
seiner eigenen Shire das Versprechen entgegennimmt, daß Alle
den Frieden halten wollen®).
b) Die Gildegenossen verpflichten sich durch Gedinge (wedd,
vadium, fides), die der König zu geben ihnen geboten hat, den
Frieden zu halten; außerdem finden wir Gedinge (wedd, vadium)
der Gildegenossen, die beim Sterben eines Mitgenossen durch das
') Siehe oben S. 98. Vgl. Aethelstans Epistola (geeweden wwre),
oben S. 100.
*) Acthelred, VI, 10, oben S. 104.
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108
(»eben vun Zukostbrod und das Singen von Psalmen für die Seele
iles Verstorbenen erfüllt werden müssen ').
c,i Nach der Verwettung und Verbürgung des Wergeides
sollen die bei der Beilegung der Fehde Beteiligten den Schirm
i Frieden) des Königs einsetzen, d. h. sie sollen Alle mit ge-
meinsamer Hand von jeder Magenschaft dem Vermittler auf eine
Waffe geloben (syllan), daß der Schirm (Friede) des Königs be-
stehen soll1).
d) Die einzelnen Untertanen (Hireinannen) verpflichten sich
den Bischöfen, Kaldonnfinnem und Gerelen, in den verschiedenen
Sliiren oder Bezirken, durch Eide (äiVas, juramenta), Gedinge
(wedd, waeil, vadia) und Bürgschaften (borgas, plegia) daß
sie den Frieden des Königs halten wollen s).
Nach Edwards Gesetzen muß Jemand, der seinen Eid (äff,
juramentum) und seine Gedinge iwaed, vadium), wie solche
das ganze Volk eingegangen ist, bricht, büßen, wie das Gerichts-
buch es lehrt; und nach Aethelstans Epistola ad omnes sub-
jectos hat jeder sich selbst und alles was er hat verwirkt, wenn
er seine Eide (ätVas, juramenta), Gedinge (wedd, vadia) und
Bürgschaften (borgas, plegia) verletzt und gebrochen hat4».
Auch linden wir in diesen Quellen Staatsverträge, Satzungen
der Witan und Beschlüsse der Friedensgilden, durch Wort und
Gedinge bekräftigt oder befestigt*). Der Friedensvertrag zwischen
Alfred und den Witan des Angelvolkes auf der einen Seite und
Guthrum und dem ganzen Volke der Ostanglier aut der andern
Seite wurde durch Eide -mit äiVuim bekräftigt (gefeostnod).
In Aethclred V haben der König der Angeln und die geistlichen
und weltlichen Witan beschlossen und beraten, sowie durch Wort
(mid werde) und Gedinge (mid wedde) zugesichert oder be-
kräftigt igefaestnod), daß „wir unter einer königlichen Macht
') Judicia civitatis Lundoniae, oben 8. 101 IT.
J) Das Krtichstäck Hu man scual uvldan twclf-hyndus man,
oben S. 1)9.
3) Acthclstan, VI, 10, 11: Aetliclstans Episteln ad omnes sub-
jectos: Edward, II, ö pr. Siehe oben S. 100 IT.
4) Siehe oben S. 1O0, 101. Vergl. Judicia civitatis Lundoniae, 8,
§ ö, oben S. 102.
4) Siehe oben S. 98 IT.
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109
ein Christenthum halten wollen.“ In Edgars Gesetzen, IV, 1,
§ 4, wird eine schon heratene Satzung der Witan nun von den
Witan durch Gedinge (mid wedde) befestigt (gefaestnodon).
In den Judicia civitatis Lundoniae sehen wir, daß sowohl
eine Satzung der Hischöfe und Gerefe von London als auch Be-
schlüsse der Friedensgilden durch Gedinge (mid wedduin,
vadio, vaditione, jurejurando) in den Gilden bekräftigt
werden (gefaestnod, confirmaverunt).
Drittes Kapitel.
Schuld und Haftung.
Wir haben bereits angedeutet, daß, soweit wir ersehen können,
die Wettform in der Angelsächsischen Zeit grundsätzlich zur Be-
gründung eines Schuld Verhältnisses diente1). Die weitere Frage
hinsichtlich der Natur der Haftung, welche aus dem Formal-
oder Wettvertrag erwächst, läßt sich außerordentlich schwer be-
antworten, da unsere Quellen keine direkten Angaben über diesen
Punkt enthalten. Wenden wir uns von unseren angelsächsischen
Quellen der Literatur des alten germanischen Rechts des Kontinentes
zu, so linden wir, daß die Ansichten der Rechtsgelehrten wesent-
lich auseinandergehen.
Der herrschenden Ansicht gemäß entspringt die Personal-
haflung unmittelbar aus der Wettform (die longobardische „wadiatio“,
die fränkische „fides facta“, das sächsische „Geloben“2). So sagt
') Uber germanisches Recht im allgemeinen siche Brunner, Grttml-
zfige der deutschen Rechtsgeschichte, 8. 180 und die von Puntschart in
seinem Schuldvertrag und Treugelöbnis S. 10—13 angeführte Literatur, so-
wie Puntschart a. a. 0., S. 282 und Kgger, Verinftgenshaflung und Hypo-
thek nach fränkischem Recht, S. 396— 398: vergl. auch Puntschart, a. a. O.,
S. 1 — 10, sowie (lierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts (Holtzen-
dorff- Köhler, Kncvklopädie der Rechtswissenschaft, Bd. I, S. 524).
Puntschart selbst (siehe a. a. 0., S. 284 — 287, 375, 400, 512—518) vertritt
die Ansicht, dal! das Treugelöbnis nicht die Schuld, sondern die persön-
liche Haftung begründet.
J) Vgl. ferner Gicrke, a. a. 0., S. 522 — 525: Brunner, a. a. O.,
S. 184 — 187: Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 289—298: Punt-
schart a. a. 0., S. 284-287, 400, 406, 429 (Anm 5), 512-515. Gierke,
Deutsches Privatrecht, Bd. II, S. 811, Anm. 7: „Die vertragsmäßige Rin-
setzung der Person für eine Schuld, ursprünglich durch Selbslliingabe als
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110
Punfachart in seinem Schul dvertrag und Treugelöbnis des
sächsischen Rechts im Mittelalter1): „Das Treugelöbnis, dessen
Grundgedanke die Verpfandung der Treue ist, und für welches
die Quellen als kurzen technischen Ausdruck , Gelöbnis* gebrauchen,
ist ein rechtsfßnnlicher Akt, in dessen Form, ,Hand und Mund*,
der Treuwille Aug und Uhr sinnfällig werden soll. Es tritt zum
Schuldvertrage hinzu, der sich im Sinne des Gedinges objektiv
als der Inbegriff seiner Rechtsbestimmungen darstellt. Von der
Abgabe des Treugelöbnisses unabhängig ist die Entstehung der
Wirkungen des Schuld Vertrages, des Haltensollens und der Ver-
tragsschuld, — abgesehen von Ausnahmen, welche das positive Recht
aus besonderen praktischen Redlirfnissen aufstellen kann. Der
Zweck des Treugelöbnisses ist einzig und allein die Begründung
der persönlichen Haltung im Sinne des Einstehens, der Bürgschaft,
Gewährschaft oder der Verpfändung der Person. Weil die Klag-
und Exequierbarkeit der Person auf ihrer Haftung beruht, gibt
das Treugelöbnis dem Gläubiger die Möglichkeit, gegen die Person
die „Forderung** (Klage) zu erheben und gegen sie das Ge-
nugtuungsverfahren zu veranlassen. Als ein rechtsformlicher Akt
zur Begründung der persönlichen Haftung ist es für diesen Zweck
nicht bloß bei denjenigen Verträgen notwendig, bei welchen die
herrschende Lehre den Formalakt zur Begründung der Schuld für
erforderlich hält, sondern es kann eventuell auch bei Real Verträgen
notwendig werden, nämlich dann, wenn durch die Bestellung von
Sachhaftung die persönliche Haftung ausgeschlossen wurde und
diese trotzdem neben der Sachhaftung bestehen soll.“ Ferner sagt
Puntschart an anderer Stelle5): „Und für die Form ergibt sich
daraus, daß sie nicht nur keine Form des Schuld Vertrages ist,
sondern daß sie als eine Form zur Eingehung der persönlichen
Hartung allgemein — von Ausnahmen abgesehen — auch keine
Bedeutung hat für die Wirksamkeit des Schuldvertrages, daß
letztere von der Vornahme des Formalaktes unabhängig ist.“
Geisel, dann aber auch durch bloßes Versprechen, sich im Falle der Nicht-
erfüllung als Geisel zu stellen, vollzogen, richtet sich von Hause aus nur
auf den Körper.“
') S. 513.
•■>) A. a. 0., S. 28«.
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111
Im Gegensatz zu dieser Meinung, naeli der der Formal- oder
Wettvertrag die persönliche Haftung begründet, steht die von
Egger in seiner kürzlich erschienenen Abhandlung über „Vermögens-
haftung und Hypothek nach fränkischem Recht“ vertretene Ansicht.
Egger faßt die wadiatio als eine das gesamte bewegliche Ver-
mögen umfassende Pfandsetzung auf und laßt nur Vermögens-
haftung aus ihr entstehen ')• So sagt er2): „Diese und
zahllose andere Stellen machen es zweifellos, daß die eigentümliche
Wirkung der Wadiation darin besteht, daß der Gläubiger das
Pfändungsrecht an den Mobilien des Schuldners, die deshalb von
vorne herein schon pignora genannt werden, erhält. — Das ist
das uns tatsächlich Gegebene. Halt man sich strenge an dasselbe,
so kann man die Folgerung doch wohl nicht abweisen: ,Man
haftet aus der Wadiation nicht persönlich.4 Sondern haftbar wird
die schuldnerisehe Fahrhabe. Diese wird symbolisiert durch die
Wadia, die ein Teilstück derselben ist. Mit der Reichung dieses
Teils will man die Unterwerfung des Ganzen, dem dieser Teil
angehört, also des schuldnerisehen Mobiliarbesitzes. — Die
Haftung aus der Wadiation ist keine persönliche. Die Fahrhabe
ist es, die haftet, und was die Wadiareiehung in haftungsrecht-
licher Heziehung bedeutet, ist nichts anderes, als die Kon-
stituierung einer generellen Mobiliarhypothek. Der einzelne
Gegenstand, der aus der Gesamtheit herausfällt, haftet nicht mehr
— wie dies in der späteren Generalobligation auch nicht der
Fall ist. Und die Haftung hat auch nur den einen Sinn und
Zweck: Grundlage für eine eventuell herzustellende intensivere
spezielle Sachhaftung zu sein. Und leicht kippt in der Tat das
Verhältnis, das auf Grund der Wadiation bis zur Pfändung be-
steht, in diese engere Sachhaftung um. Ausgesprochen tendiert
es dahin — und verrät damit auch sein Wesen und sein Werden.
Wie ein Provisorium erscheint, was der Pfandnahme vorausgeht und
als das Hauptsächliche und Ursprüngliche, was ihr nachfolgt,
') Egger gibt zu, daß das germanische Privatrecht nicht nur die
Sachen-, sondern auch die Personenhaftung kennt, meint aber, daß cs stets
eines besonderen Vertrages bedarf, uni die Haftung der schnldnerischen
Person herzustellen. Siehe Egger, a. a. 0., S. 419 — 131.
’) A. a. 0., S. 400—40:».
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11-2
(1. i. das Faustpfandrecht.“ Weiter sagt er1): «Was vorhanden
ist, ist eine provisorische Mobiliarhypothek .... Hier ist nur
noch darauf aufmerksam zu machen, daß dieselben haftungs-
rechtliehen Vorstellungen wie der langobardischen Wadiation, auch
der fränkischen Fidesstipulation zu Grunde liegen: Ans der
Festucareichung die Mobiliarhypothek und das Pfändungsrecht,
zwecks Herstellung eines Faustpfandverhältnisses.“ Weiter heißt
es an einer anderen Stelle2): «Aus der Wadiation als dem nicht
nur die Schuld, sondern auch die Haftung begründenden Akte,
resultiert ferner ein Pfandnngsrecht, welches zur quasihypothe-
karischen Vermögenshartung wird. Außerhalb der Wadiation steht
die persönliche Haftung.“
Ob nun der Wettvertrag in angelsächsischer Zeit Personal-
haftung oder Vermiigenshaftung oder beides begründete, scheint
uns nach den uns zur Verfügung stehenden oben angeführten
Quellen nicht mit Gewißheit gesagt werden zu können. Es ist
wahrscheinlich, daß, wenigstens in früherer Zeit, Geisel und
Hürge persönlich hafteten*).
Wennschon unsere Quellen nichts darüber berichten, so ist es
doch wahrscheinlich, daß dem Wettvertrag der Angelsachsen,
gleich dem Wettvertrag anderer germanischer Völker, eine be-
sondere Hedeutung zukommt, indem derselbe die Grundlage für
die eigenmächtige Pfändung bildet. Die weitere Entwickelung
dieser Auffassung linden wir in den Quellen aus der Zeit nach
der normannischen Eroberung deutlich vertreten. Wir sehen, daß
die fides seitens der versprechenden Partei in die Hände eines
') A. a. 0., S. 403.
*) A. a. 0., S. 450.
3) Vgl. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. II, S. 841, Anm. 7.
Pollock and Maitland, History nf Knglish Law, Bd. II, S. 59f>, 597:
«It is not a little reniarkable that nur common law knew no process where-
hy a man could jdedge his body or liberty for payment of a debt, for
nur ncar cousins came very naturally by such a process, and in old times
the witc-eow may often hure been working out by bis laboura a debt that
was dne to bis master, l'nder Kd ward I. the tide turned. In the interest
of commerce a new form of security, the so-called .Statute merchant1, was
invented, which gare the creditor power to demand the seizure and impris-
onment of his debtor’s body". I her persönliche Haftung im englischen
Mittelalter siehe ferner unsere späteren Ausführungen.
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113
Kirchen- oder Staatsbeamten abgegeben wird, welch letzterer auch
in der Lage ist, die Erfüllung des Versprechens durch Pfändung
zu erzwingen. Wir finden den Formalvertrag, abgeschlossen durch
Übergabe einer gesiegelten Urkunde, und den protokollierten
Formalvertrag, die beide ausdrücklich das Recht der Pfändung
bei Zahlungsversäumnis verleihen. Diese Pfändung findet nun-
mehr für gewöhnlich durch einen Gerichtsbeamten statt. Auch in
der Notwendigkeit, die gerichtliche Erlaubnis vor Vornahme der
Pfändung einholen zu müssen, tritt uns, wie es scheint, die alte
Idee, daß die Pfändung auf einem von den Parteien vor Gericht
geschlossenen Veitrage basiert, wieder entgegen, wennschon sie im
Laufe der Entwickelung gewissen Veränderungen unterworfen war *).
Sind wir somit der Ansicht, daß dieses Pfändungsrecht des
Gläubigers bereits in der angelsächsischen Zeit existierte, so
können wir auch annehmen, daß die Hingabe eines Scheinpfandes
beim Abschluß eines Wettvertrages die Haltbarmachung der Fahr-
habe des Schuldners bedeutete“).
*) Siehe unten im zweiten Buche unsere spätercu Ausführungen. Man
beachte auch die Wirkung, die eine inrotulierte gesiegelte Urkunde, durch
welche eine Haftung des Mobiliars des Schuldners in der Zeit nach der
normannischen Eroberung herbeigeführt wurde, hatte. Siehe unten Buch II.
*) Eine nähere Untersuchung dürfte ergeben, daß die angelsächsischen
Gesetze gewisse Bestimmungen über dcliktischc Haftung enthalten (siehe
unsere Ausführungen oben im ersten Buch); letztere muß jedoch von der
civilrechtlichen Haftung, mit welch' letzterer wir es hier zu tun haben,
unterschieden werden. Siehe Egger, a. a. t)., S. 408— 418, 421 ff., 436 ff. ;
Gierke, a. a. 0., Bd. II, S. 811, Anm. 7.
Hazeltine. Kindische* Ffsmlrecht
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Zweiter Teil.
Das Mobiliarpfandrecht.
Erstes Kapitel.
Das genommene Pfand.
Die eigenmächtige Pfändung von Mobilien in der angel-
sächsischen Zeit zerfällt in 1. Pfändung von Vieh wegen Schaden-
zufttgung an Grundstücken, 2. Pfändung von beweglicher Habe
überhaupt, um die Erfüllung einer Verbindlichkeit zu erlangen1).
Autler diesen beiden Fällen von eigenmächtiger Pfändung gibt es
noch 3. die Pfändung von Mobilien im Prozeß2).
Man hat genügend Beweise, daß die frühzeitigste Form der
Pfändung bei den germanischen Völkern auch die einfachste war,
desgleichen diejenige, welche für ein unkultiviertes Volk am besten
geeignet war. Vieh, welches bei der Anrichtung von Schaden be-
troffen wird, wird fortgenommen und einbehalten, um Schaden-
ersatz zu erzwingen. Diese Fortnahme geschieht ohne irgend
welche gerichtliche Beihilfe und sie veranschaulicht das Prinzip
der Selbsthilfe in frühester Zeit3).
') G lasse n , Histoirc du droit ct des institutions de I’Anglcterre, I,
S. 169, sagt bei Besprechung des angelsächsischen Pfandes: „Les obligations
elaient souvent garantics par un droit de gage qui parait avoir joue un
rölc assez important et seinblablc a celui du pignus ehest les Romains.
II formait, avant tout, un mojen indirect de contrainte“.
J) Über das angelsächsischeBnrgschaftsrecht siehe Phillips, Geschichte
des Angelsächsischen Rechts, S. 140.
*) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichtc, II, 531 — 535; Schmid,
Gesetze, S. 641, 642, 652: Pollock and Maitland, llistory of Knglish
Law, II. S. 575: Bullen, Distress, S. 4, 5: Blackstone, III, c. I, § V.
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115
Unsere angelsächsischen Quellen, welche diese Pfändungsform
behandeln, sind sehr dürftig: in der Tat sind einige Stellen in
den Gesetzen Ines Alles, was wir hierüber besitzen. Diese Ge-
setze, welche wahrscheinlich in den ersten fünf Jahren der Re-
gierung Ines oder zwischen G88 und (>!>3 erlassen wurden, sind
jedoch die ältesten Gesetze der Westsachsen, die auf uns ge-
kommen sind. Sie sind von besonderem Interesse und großer
Wichtigkeit für die Entwickelung des angelsächsischen Rechts,
und zwar nicht nur wegen ihres großen Umfanges, sondern auch
deshalb, weil das westsächsische Recht, gleich dem westsächsischen
Dialekt, sehr bald das Übergewicht in den angelsächsischen König-
reichen erwarb1).
In diesen Ine’schen Gesetzen finden wir Bestimmungen, nach
denen unter gewissen Umständen die Pfändung von Tieren, welche
Schaden zufügen, für den Geschädigten als Rechtsbehelf dient, um
von dem Eigentümer des Tieres eine Geldbuße zu erlangen. In
diesen Quellen aus der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts
finden wir jedoch auch die Auffassung vertreten, daß das Vieh
selbst sich der Übertretung schuldig gemacht hat und dafür zu
strafen sei*), denn unter gewissen Umständen kann die ge-
schädigte Partei das Schaden anrichtende Vieh ungestraft er-
schlagen und ist nur verpflichtet, dem Eigentümer das Fell und
das Fleisch zurückzugeben*).
Es scheint ziemlich gewiß, daß die außergerichtliche Pfändung
für Schuldforderungen in der prähistorischen Zeit bei den ger-
manischen Völkern in Gebrauch war. Es ist auch ganz natürlich,
wenn angenommen wird, daß in frühgermanischer Zeit die Selbst-
hilfe hier wie auch in anderen Phasen eines unentwickelten Rechts-
systems zur Anwendung kam4). Selbst in der historischen Zeit
haben die longobardischen und schwedischen Rechte die gericht-
liche Erlaubnis bei Vornahme der Pfändung nicht vorgeschrieben
und gleicher Weise verhielt es sich wahrscheinlich im sächsischen
Recht. Im allgemeinen scheinen jedoch die germanischen Rechte
•) Schmid, Gesetze, Einleitung, S. XXXV, XXXVI.
*) Siehe Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 575, Anm. 3.
*) Siche unten S. 117.
4) Wie wir gesehen haben war die älteste Art der Pfändung bei den
germanischen Vfdkom, die Viehpfändnng, ein Akt der Selbsthilfe. Siehe
oben S. 114.
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116
des Mittelalters diese primitive Auffassung aufgegeben zu haben,
indem sie Pfändung ohne gerichtliche Erlaubnis nicht gestatteten;
so z. B. scheint dies der Fall gewesen zu sein bei den Burgundern,
den Altwestgoten, den Franken, den Bayern, und wahrscheinlich
auch bei den Allemannen, den Friesen und den Dänen1). Die
Lex Saliea erklärt ausdrücklich, daß. wenn ein Gläubiger ohne ge-
richtliche Erlaubnis Pfändung vomimmt, er den Anspruch auf
seine Forderung verliert, und dies selbst dann, wenn er nur aus
Unwissenheit gehandelt hat*).
All das, was beim germanischen Rechte im allgemeinen Zu-
tritt!, ist auch beim Rechte der Angelsachsen zutreffend. Das
Privatpfändungsrecht5) bei Zivilansprüchen erscheint im angel-
sächsischen Recht als eigenmächtige Selbsthilfe; aber doch als
eigenmächtige Selbsthilfe nur innerhalb gewisser Grenzen, weil es
in allen Fällen, abgesehen von der Pfändung fremden Viehes, das
in ein Grundstück eingedrungen ist, an eine besondere gericht-
liche Erlaubnis geknüpft wird4). Wir werden bald sehen, daß
dies, sofern es Pfändung wegen rückständiger Rente oder Dienste
betrifft, im englischen Rechte bis gegen das Ende des dreizehnten
Jahrhunderts beibehalten wurde4).
I. Pfändung von Vieh wegen Schadenzufügung an
Grundstücken.
Nach Ines Gesetzen sind, wenn fremdes Vieh in ein Grund-
stück eindringt, drei Fälle zu unterscheiden.
■) Siche Gierke, Deutsches Privatrecht, I, S. 339; Brunner, a. a. 0.,
II, S. 446, 447: Rigclow, History of l’roeedurc in England, S. 202 — 208;
Pollock and Maitland, a.a.O. I, S.353, 364. II, S.576; Wach, Arrestprozeß,
S. 1 ff.; von Amira, Nordgennanisches Obligationenrccht, I, 8.234; von
Ketbmann-Hollweg, Civilprozess, IV, 8. 168; Yiollet, Etablissements, I,
S. 185. Vgl. von Ainira, Das altnorwcgische Vollstreckungsverfahren,
München (1874). S. 327.
’) Lex Saliea, c. 74, Hessels nnd Kern, 408.
*) Einige germanische Volksrechte des Kontinentes gestatteten die
Pfändung nicht nur des wirklichen Schuldners, sondern auch seiner Sippe-
genossen seitens des Gläubigers. Brunner, a. a. 0., II, 8.448. Über angel-
sächsisches Recht vgl. unten S. 121.
*) Schmid, Gesetze, S. 641, 642, G52; Phillips, Versuch, S. 141, 142;
Bullen, a. a. 0., 8. 4: Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 575, Anm. 1.
5) Siehe unten Buch II, Teil II.
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117
Der erste Fall ist der, wo das Land Sommer und Winter
umzäunt sein soll und wo eine Öffnung sich findet, durch die
fremdes Vieh eindringt. Hier hat der Eigentümer des Grundstücks
kein Recht auf das Vieh. Er selbst ist schuld und muß den
Schaden tragen1). Ähnlich ist der Fall, wo das Land eine ge-
meinsame Weide ist, die von einigen der Besitzer teilweise mit
einem Zaune versehen wurde. Hier hat derjenige Besitzer, der
nicht an der Umzäunung teilgenommen und daher eine Öffnung
im Zaun gelassen hatte, durch die das Vieh eindrang, nicht nur
keinen Anspruch auf Ersatz, sondern muß den Schaden allein
tragen und sogar den Schaden der andern Besitzer ersetzen2).
Ein ganz anderer Fall aber liegt vor, wo das Vieh seihst das
Gehege durchbricht und irgendwo in das Grundstück eindringt,
und wo der Eigentümer des Viehes entweder nicht gewillt oder
unfähig ist das Vieh zurückzuhalten. Die Regel unter diesen
Umständen ist, daß derjenige, der das Vieh auf seinem Lande
finden sollte, es ungestraft erschlagen darf und nur gezwungen
ist, dem Eigentümer des Viehes das Fell und das Fleisch zurück-
zugeben s).
Der dritte und letzte Fall ist, wo Jemand fremde Schweine
ohne Erlaubnis auf seiner Mast antrifft. Hier darf er ein Pfand
(wed) von sechs Schillingen an Wert nehmen4), und der Eigen-
') Ine, 40; Schund, Gesetze, S. 39, 641, Licberiiiann, a. a. 0.,
S. 106, 107: Reeves, History of Knglish Law, 1, S. 48, Anm.(a). lteeves
citiert hier irrtümlich Ine 4 anstatt Ine 40. Siche auch Schmid, Gesetze,
S. 39, Anm.
*1 Ine, 42 pr.: Schmid, Gesetze, S. 40, Anm., 41,641. Vgl. auch die
Lesarten von Ine 42 pr., die entsprechende Stelle des tjuadripartitus
und die deutsche Übersetzung bei Liebermann, a. a. <)., S. 106, 107.
3) Ine, 42, §1: Schmid, Gesetze, S. 41,641: Liebermann, a. a. 0.,
S. 106, 107. Da» Vieh war also dem geschSdigten Grundeigentümer nicht
ganz verwirkt. Hatte aber ein Rind einen Menschen verwundet, so ver-
langten die Angelsachsen zur Zeit Alfreds die vollständige Verwirkung des
Tieres. Alfr. 24: Schmid, Gesetze, S. 41, Anm. 85; Licbermann, a. a. 0.,
S. 62, 63. Vgl. über diese Stelle bei Alfred, Schmid, Gesetze, S. 641.
4) Ine, 49 pr. : Gif mon un his macstene unaliefcd swin gemete, genime
{Kinne VI scill. weoriV wed.
Siche auch Licbermann, a. a. 0., S. 110. Die entsprechende Stelle
des Quadripartitus lautet (Liebermann, a. a. 0., S. 111): Si quis obuiet
porco sine lioentia in pasnagio suo, capiat uadium sei solid, ualens.
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11«
tümer der Schweine muß, wenn sie nur einmal da gewesen waren,
einen Schilling, und wenn sie zweimal da waren, zwei Schillinge
zahlen ').
Die angelsächsischen Gesetze enthalten keine weiteren Re-
stimmungen über das Recht der Viehpfändung wegen Schaden-
zufügung an Grundstücken. Wir wissen zum Beispiel nichts über
die Unterscheidungen, die man möglicherweise gemacht hat
zwischen einem Falle, wo der Eigentümer selbst das Vieh auf
fremdes Grundstück trieb, und dem Falle, wo es ohne seine Schuld
dahin kam’).
Das Rechtsmittel des Grundeigentümers im dritten Falle be-
steht also im Nehmen des Pfandes (wed) und in einer Geldbuße,
und nicht in der Tötung des Viehes wie im zweiten Falle’).
Obwohl dies im Gesetz nicht gesagt wird, so ist es doch wahr-
scheinlich, daß der Grundeigentümer einige der Schweine als
Pfand nahm *). Auch wird in den Quellen nicht gesagt, ob diese
Buße sich nur auf ein Schwein, oder auf alle zusammen bezog.
II. Pfändung von beweglicher Habe überhaupt, um die
Erfüllung einer Verbindlichkeit zu erzwingen.
§ 1. Pfändung als Selbsthilfe wegen einer Schuldforderung.
Das angelsächsische Privatpfändungsrecht bei Zivilansprüchen
ist Selbsthilfe, wennschon ihr dadurch, daß sie an eine gericht-
Über das angelsächsische Münzsystcui siehe Chadwick, Studie» un
Anglo-Saion Institutions, S. 1 — 63.
•) Ine, 49, §§ 1,2: Schraid, Gesetze, S. 45, 641. 642: Liebermann.
a. a. O., S. 110, 111. Siehe auch Ine, 49, §3; Schmid, Gesetze, S. 45
und Amn.; Liebermann, a. a. 0., S. 110, 111.
*) Schmid, Gesetze, S. 642. Siehe Anm. (3) zu Coke über Littleton 47b.
3) Vgl. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts, II, S. 206:
Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, 8. 701.
4) Liebermann, a. a. 0., S. 111, übersetzt Ine 49 j»r. : Wenn jemand
innerhalb seiner Mast Schweine ohne Erlaubnis antrilTt . dann nehme er [an
ihnen] ein 6 Schill, wertes Pfand. Zur Zeit Aetbetstans hatte ein Schwein
zehn Schillinge an Wert. Aethelstan, VI, 6, §2: Schmid, Gesetze,
S. 163: Liebermann, a. a. 0., S. 176. Nach dem Wortlaut der entsprechen-
den Stelle des Quad ripartitus hatte ein Schwein zehn Pfennig (den.),
nicht zehn Schillinge an Wert. Siehe Liebermann, a. a. 0., S. 176.
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liehe Erlaubnis geknüpft ist, gewisse Grenzen gezogen sind1).
Dies ist wahrscheinlich auch die Bedeutung von Ine, 9*): Wenn
sich Jemand Genugtuung (wrace) verschafft, ehe er um sein
Recht bittet, erstatte und vergelte er, was er ihm nahm, und
büße es mit 30 Schillingen s). Es gibt aber noch bestimmtere
Beweise für die Notwendigkeit der gerichtlichen Erlaubnis. So
*) Schmid, Gesetze, S. 641, 642, 652: Phillips, Versuch, S. 141,
142. Vgl. Schmid, Gesetze, S. 281, Anm. Vgl. ein Gesotz Roberts, König
der Schotten. Siehe darüber Spei man, Glossarium, s. v. namiuni: Schmid,
Gesetze, S. 642. Vgl. Edgar, II, 3, Schmid, Gesetze, S. 186, 187, Lieber-
mann, a. a. 0., S. 196 — 199.
’) Schmid, Gesetze, S. 24, 25, Licbermann, a. a. ü., S. 92 — 95.
3) Schmid, Gesetze, S. 25, Anm., sagt bei Erörterung dieses Passus:
„Wracu, — c, fern., bedeutet allerdings, ganz wie wrä'c, — e, f., ltache und
kommt auch in diesem Sinne liäulig in unseren Gesetzen vor, z. 11. Athlst.,
II, 6: . . . .: hier scheint es aber nur die eigenmächtige Selbsthülfe durch
Pfandnahine zu bezeichnen, wie auch in späteren Zeiten ultiones gleichbe-
deutend mit distractiones gebraucht wurde, z, H. Stat. of Mariebridge . .
Et nullus de cetero ultiones aut distractiones faciat per roluntatem suam
absque considerationc curiae domini regis, si forte dampnum rel injuria sibi
tiat, undc emendas habere voluerit de aliquo vicino suo, sive majore sive
minorc. Demnach entspräche das Gesetz der Verordnung in Cn., II, 19.
Eine weitere Ausführung enthält Anh. XX, c. I (Pseudo-Leg. Can.)“ Thorpe,
der wrace mit „revenge“, Rache, übersetzt, ist anderer Ansicht (a. a. 0., S. 47).
In seiner Kommentierung dieses Wortes, a. a. 0., S. 47b, sagt er: „The lan-
guagc of the Statute of Marlebridgc will alford the best illustration of the
offence here alluded to: ,Et nullus de cetero ultiones aut districtiones . . .
sive miniore.1 Upon which my Lord Coke observes: .Ultiones]. That they
(refusing the course of the king's laws) took upon them to be their own
judges in their own causes, and to take such rovenges as they thought
fit, until they had ransom at their pleasurc. Districtiones.] That is, taking
distresses, not according to law, as for Services, rents, or for damage fe-
saunt, or for other Iawful cause, but for revenge, without cause, of bis
own head and will; that is, to be his own judge and carver, to satisfy
himself without any Iawful means or course of law“*. Seebohm, a. a. 0.,
S. 387, ist augenscheinlich derselben Ansicht wie Thorpe: „From clause 8
and clause 9 [Ine] we learn that private revenge for a wrong was forbiddom
before justice had been demanded from a ,„scirman“ or other judge* “. Vgl.
oben S. 114 ff. Zu vergleichen ist auch Liebermanns Übersetzung von Ine 9
(a. a. 0., S. 93 und 95): Wenn jemand gewaltsame Rechtsverfolgung (wrace)
übt, che er sich Recht [gerichtlich] erbittet, gebe er, was er von jenem
[Gegner in Selbsthilfe] fortgenommen hat, zurück und zahle [ihm dessen
Werth] nochmals und büße [dem König] mit 30 Schill.
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1-20
z. B. wird in den Gesetzen Cnuts verordnet '), daß Niemand ein
Pfand (na me, namum) nehmen solle, weder innerhalb der Shirc
noch außerhalb der Shire, bevor er dreimal in der Hundertschaft
um sein Recht gebeten habe. Wenn er beim dritten Male sein
Recht nicht erlangt, d. h. erfüllt der Beklagte seine gerichtlich
anerkannte Verbindlichkeit nicht, dann gehe er zum vierten Male
in das Shiregemot, und die Shire setze ihm den vierten Tennin.
Wenn der dann fehlschlägt, dann nehme er Erlaubnis, sowohl von
hier als von dort, daß er sein Eigen behändigen kann, d. h. ein
Pfand nehmen*). Wesentlich dieselbe Vorschrift finden wir auch
in Wilhelm’s Gesetzen1). Der Kläger, beim vierten erfolglosen
Verlangen seines Rechtes, muß die gerichtliche Erlaubnis einholen,
daß er sich ein Pfand (nam, namium) nehmen könne für das
Seinige, lern und nahe. Auch die Leges Henrici Primi setzen
fest4): Et nulli, sine judicio vel licentia, namiare liceat alium
') Cnut, II, 19, II« nannte, De nainis capiendis: Schmid, Ge-
setze, S. 280, 281. Siehe Schmid, a. a. 0., S. 842. Vgl. auch die Lesarten
dieser Stelle aus Cnuts Gesetzen und diu entsprechenden Stellen des
Quadripartitus, der Instituts Cnuti und der Consiliatio Cnuti bei
Licbcrmann, a. a. 0., S. 320 — 323.
*) Cnut, II, 19, wird von Licbcrmann, a.a.O.,S. 32 1,322, folgendermaßen
übersetzt. 19 pr. : Und niemand nehme ein Pfand [für Urthcilserfüllnng dem
Pocessgegner fort], weder innerhalb des Grafschaftsgerichts noch außerge-
richtlich, bevor er im Hundertschafts [gericht] sein Recht dreimal [vergeblich]
gefordert hat. 19, § 1 : Wenn er beim dritten Male kein Recht erlangt, dann
[erst] ziehe er zum vierten Male zum Grafschaftsgerichte: und die Grafschaft
setze ihm (dann) den vierten Termin. 19, § 2: Wenn dieser aber fehlschlägt,
dann nehme er Erlaubniß, daß er von hier und da [allerseits in Selbsthilfe]
hinter seinem Eigentum her zugreifen dürfe.
Glasson, a. a. 0., I, S. 1G9, sagt bei seiner Besprechung des angel-
sächsischen Pfandrechts (unter Oitierung von Ine 9 und Cnut II, 19):
„d'autres fois encors, le demandeur se mettait en possession des biens du
defendeur recalcitrant qui, assigne plusicurs fois en justice, refusait de
comparaltre. Mais, dans ce dernier cas, la main rnise sur le bien du defen-
dcur aurait ete injuste et il y aurait en lien ä restitution, si le gage avait
ete pris avant que l’action eüt ete intentee“. Siehe auch Lappenberg,
History of England under the Anglo - Snxon Kings, II, S. 341, Plintoff,
Rise and Progress of the Laws of England and Wales, S. 48.
*) Wilhelm, 1,44, Schmid, Gesetze, S. 346 — 349, Liebermann,
a. a. 0., S. 517.
*) C. 51, § 3, Schmid, Gesetze, S. 457, Liebermann, a. a. 0., S. 573.
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121
in suo vel alterius. In der Historia Eliensis ’) heißt es: Wenn
der Beklagte verweigert das Urtheil des Gerichts auszuführen,
kann der Richter dem Klager Erlaubnis geben, von den Gütern
des Beklagten Besitz zu ergreifen.
Nach der Henrici I. Charta Londoniensihus concessa,
§§ 13, 14, müssen alle Schuldner der Bürger von London in
London Recht nehmen. Weigern sie sich, so wird es den Bürgern
erlaubt, in der Stadt London oder in der Grafschaft, wo sich der
Schuldner aufhält, Pfand zu nehmen (capiant namia sua)*).
In Kapitel 2 (Be rihtes weorce betweox Wealum and
Englum) und 3 (Be büdum; De namo) der Genednes bet-
weox Dünsetan3) wird verordnet, daß zwischen Engländern und
Wallisern bei Ansprüchen von einem Ufer nach dem andern binnen
9 Tagen Recht geleistet werden solle. Wenn man in dieser Weise
sein Recht nicht erlangen kann, ist es erlaubt zu pfänden (bädian;
nainiari). Das Pfand (bäd; namum) braucht nicht dem Schuldner
selbst, sondern kann auch Jemand anders abgenommen werden;
weil in diesem Falle die ganzen Grenzstämme für die Verbind-
lichkeiten ihrer einzelnen Angehörigen einer gegenseitigen Haftung
unterliegen ') ; denn das Gesetz nach dem Wortlaut der Schmid’schen
Übersetzung sagt: Wenn ein Pfand genommen ist von Jemandes
Vieh um eines andern Mannes willen, dann nehme er das Pfand
heim, für den es genommen ist, oder es befriedige ihn der aus
seinem Eigen, dem das Vieh gehört. Es soll dann gezwungen
Recht angedeihen lassen, der früher nicht wollte3).
') Historia Eliensis, I, 3t (Historiae Rritannicae, Sazonicae, Anglo-Pani-
cae, Scriptores XV, hrsg. von (j alt-, I, S. 477, 478). Siche unten S. 123, Anm. 4.
’) Schmid, Gesetze, S. 435, 632: Liebermann, a. a. 0., S. 525.
Siehe Thorpo, a. a. 0., S. 217, Anm. e.
*) Schmid, Gesetze, Anh. I, 2, S. 358 — 361. Vgl. auch Liebermann,
a. a. O., S. 374 - 379.
4) Schmid, Gesetze, S. 642.
s) Zu vergleichen ist Liebermanna Übersetzung (a. a. 0., S. 375, 377)
dieser beiden Kapitel des Gesetzes. 2: (Von Urtheilserfüllung zwischen
Wallisern und Engländern). Je nach 9 Tagen gebührt sich, daß einander
zwischen den beiden Ufern das Urtheil erfüllt werde, sowohl beim Kcinigungs-
beweis als bei jeder Klage, die zwischen ihnen [beiden] schwebt. 2, § 1 :
Kein anderer Reinigungsbeweis als das Ordal gilt bei einer Klage zwischen
Wallisern und Engländern, es sei denn, man [Gegner] wolle [leichteren] zn-
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§ 2. Gerichtliche Pfändung.
In den angelsächsischen Quellen finden wir einige Stellen
über gerichtliche Plandung im Gegensatz zur eigenmächtigen
Privatpfändung, und zwar finden wir Pfändung im Ungehorsams-
prozeß und im Strafprozeß.
Für die Pfändung im Ungehorsamsprozeß kommen folgende
Stellen in Betracht.
Aethelstan II, Kap. 20'), handelt von dem, der das Gemot
versäumt. Kap. 20 pr.: Wenn Jemand das Gemot dreimal ver-
säumt, gelte er den Ungehorsam gegen den König; und es werde
sieben Nächte vorher geboten, ehe das Gemot ist. § 1 : Wenn er
aber weder nach Recht thun, noch den Ungehorsam gelten will,
dann sollen die ältesten (angesehensten) Männer, die zu der Burg
gehören*), sämmtlich hinreiten und Alles nehmen, was er hat,
und ihn unter Bürgschaft setzen. § 2: Wenn einer dann nicht
reiten will mit seinen Genossen, so gelte er den Ungehorsam
gegen den König.
Die Pfändung bei der Versäumnis des Gerichtstages wird in
den Leges Henri ci Primi folgendermaßen geregelt: Das Pfand
(namium) soll in der Hundertschaft genommen werden, und darf
nicht aus der Hundertschaft weggeschafft werden3). Wenn ein
lassen. 2, § 2: Von jedem Ufer zum andern darf man, wenn man sonst
nicht Urtheilserfnllung erlangen kann, Pfand fortnehmen [von jedem Lands-
mann des Schuldigen]. 3: (Von Pfändern.) Wenn ein Pfand an jemandes
Vieh fortgenommen worden ist, um [der Schuld] eines anderen Mannes willen
[aus demselben Stamme], dann schaffe dieser, wegen dessen es fortgenommen
worden ist, jenes Pfand heim oder befriedige aus seinem Eigenen jenen,
dem das [abgepfändete] Vieh gehfirt: [3, § 1] Alsdann soll gezwungen [durch
Pfändung] Urtheil erfüllen, wer bisher [freiwillig] nicht gewollt hat.
') Schmid, Gesetze, S. 142 — 145. Siehe auch die Lesarten bei Lieber-
mann, a. a. 0., S. IGO, 161. Vgl. die Belegstellen bei Schmid, a. a. O.,
8. 143, Anmerkungen zu Aethelstan II, c. 20.
s) . . . ealle pe to [):ere byrig hiron, . . . Licbermann, a. a. 0., S. 160,
der (S. 161) übersetzt: welche zu jener Gerichtsstadt gehüren . . . Die ent-
sprechende Stelle des Quadripartitus lautet (Liebermann, a. a. 0.. S. 161):
. . . qui ad eam curiam obediunt, . . .
3) Leges Henrici Primi, c. 29 (Qui debent esse judices regis), § 2,
Schmid, Gesetze, S. 449. Siehe auch Licbcrnian n, a. a. 0., S. 363. Vgl.
die Belegstellen bei Schmid, a. a. 0., S. 449, Anm. zu dem eben an-
geführten c. 29, § 2.
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123
vicecomes widerrechtlich pfändet (injuste aliquem namiet),
muß er es doppelt büßen '). Möge die Pfändung rechtlich be-
gründet sein oder nicht, so darf doch Niemand das Pfand ge-
waltsam zurüeknehmen bei Strafe der overseunessa *). Das
Pfand soll nicht sofort verkauft, sondern bei der nächsten Ver-
handlung dem königlichen Gerichtshof überliefert werden-1).
Wir haben schon eine Stelle aus der Historia Eliensis
citiert. wonach der Richter dem Kläger Erlaubnis geben kann,
von den Gütern des Beklagten Besitz zu ergreifen, wenn der Be-
klagte verweigert, gemäß dem Gerichtsurteil zu handeln4).
über die Pfändung bei Diebstählen sind folgende Stellen zu
berücksichtigen.
Thorpc, a. a. O. , S. 231, in einer Anmerkung (c) 7.11 den Worten „et
in hundrcto naininm sit“ der Leges Henrici Primi, c. 2!), § 2 (siebe oben)
sagt : „({und scquitnr, opinor, additur, ne ,vetitum (ut voeant) namium' contra-
heretur, de quo vide liracton De Corona, cap. 37“. Und S. 231, in einer
Anmerkung (d) zu den Worten „ut non ducatur lioc namium extra hundretum“
der Leges Henrici Primi, c. 29, §2: „Unde pignus vel rem co nomine
prehensam aut eaptam extra hundredum, i. c. centuriam. nt voeant, abigere,
intur juris nostri municipalis corruptelas, ab Horno in suo Justiciariorum
Speculo, cap. 5, sect. 1, enummeratas locum obtinet, num. 78“.
') Leges Henrici Primi, c. 51 (De snnunnnitionc hundreti), § 4, Schund,
Gesetze, S. 457. Die Stelle Ut auch bei Liebermann, a. a. 0., S. 573, zu
linden. Siehe Schmid, a. a. O., S. 642.
3) Leges Henrici Primi, c. 51, §§ 5, 7, 8, Schmid, Gesetze, S. 458,
Liebermann, a. a. O., S. 573. Siehe Schmid, a. a. 0., S. 642: Thorpe,
a. a. 0., Glossar, s. v. Excussio.
s) Leges Henrici Primi, c. 51, §6, Schmid, Gesetze, S. 458: Si vice-
comes namium capiat, ad propinqniorem regis curiam dimittat, ncc vendat
ipsa die. Die Stelle ist auch bei Liebermann, a. a. 0., S. 573, zu linden.
Siehe Schmid, a. a. 0., S. 642.
4) Siebe oben S. 121. Philipps. Versuch 8. 141, 142, betrachtet diese
Stelle der Historia Eliensis als gerichtliche Pfändung, denn nach einer
kurzen Erörterung der einseitigen Pfändung von Seiten des Gläubigers fährt er
fort (unter Citicrung von Hist. Elien. I, 34): „ . . . auch konnte von Seiten des
Gerichts der Iieklagte, wenn derselbe dem geschehenen Urteilsspruche nicht
Folge leistete, ausgepfändet werden“. Glasson, a. a. O. , I, S. 169 sagt
unter Citierung dieser Stelle der Historia Eliensis in seiner Erörterung
des Angelsächsischen Pfandrechts: „Eutin, parfois, le juge ordonnait an do-
mandeur de se mettre en possession de tcls biens du defendeur, lorsque
celui-ci refusait d'executer la sentence rendue contre lui“,
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1‘24
Aethelstan II, Knp. 20'), §3: Und man gebiet*1 auf dein
Geinote daß man Alles in Frieden halte, was der König in Frieden
gehalten haben will, und daß man sieh aller Diebstähle enthalte
bei Strafe seines Lebens und alles dessen, was Jemand hat.
§ 4: Und wenn Jemand bei Strafe nicht abstehen will, so sollen
alle die ältesten Männer, die zu der Burg gehören*), hinreiten
und Alles nehmen, was er hat; und der König nehme die Hälfte,
und die Hälfte die Männer, die bei dem Ritt sind, und man setze
ihn unter Bürgschaft (on borh; sub fidejussoribus). § 5:
Wenn er nicht weiß, wer für ihn Bürgschaft leiste (äborgie;
plegium), verhafte man ihn. § (>: Wenn er es nicht dulden will,
lasse man ihn (ungestraft) tödten, wenn er nicht entflicht § 7 :
Wenn ihn Niemand rächen will oder Einen von ihnen befehden,
dann sei er Feind des Königs und aller seiner Freunde. § X:
Wenn er entflieht und ihn Jemand beherbergt, sei er das Wergeid
desselben schuldig, außer wenn er sich zu reinigen wagt bei der
Were des Flüchtlings, daß er ihn nicht Flüchtling wußte.
Das Pfandnehmen bei Leuten, die des Diebstahls bezichtigt
waren, wird durch Edwards Gesetze5) folgendermaßen geregelt:
Wenn Jemand des Diebstahls bezichtigt ist, so sollen ihn die in
Bürgschaft nehmen, die ihn früher dem Herrn übergeben, damit
er sich davon reinige, oder andere Freunde, wenn er welche hat,
mögen dasselbe thun. Wenn er nicht weiß, wer ihn in Bürgschaft
nehme, so sollen Die, welchen es zusteht, von seinen Gütern
plandliche Sicherheit (on his selitan in-borh; de pecunia
■sua inborhgum) nehmen4). Wenn er keines von beiden hat,
■) Schund, Gesetze, S. 142—145. Vgl. auch Liebermann, a. a. 0.,
S. 160—163.
*) Die Worte Jle to pu re bvrig hyron (.Schmid, a. a. 0., S. 142, Lieber-
mann, a. a. 0., S. 160) dieser Stelle werden von Liebermann, a. a. O.,
S. 161, übersetzt mit: die zu dieser Gerichtsstadt gehören. . . .
*) Edward, II, 3, Schmid, Gesetze, S. 114—117. Vgl. auch Lieber-
tnann, a. a. 0., S. 142, 143. Siche ferner über diese Stelle oben S. 79, SO.
■*) Thorpe, a. a. 0., S. 70, Amn. a, bemerkt zu dieser Klausel: „To take
his goods in ezecution. ln the Custumal of Heu. I, it is said: ,vel de suo
aliquid pro inborgo retineatur. c. 82“. Schmid, Gesetze, S. 115, sagt in
einer Anmerkung zu Edward II, 3, § 1 : „In-borh, hier und Honr., 82, § 2,
eine pfandliche Sicherheit, aber Anh., I, 8 (Dunsetcn) auch im Gegensatz
zu under-wed für eine persönliche Bürgschaft“.
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125
weder G fiter noch andere Sicherheit (borh; plegium), so halte
man ihn zum Gericht fest.
Zweites Kapitel.
Das gegebene Pfand.
In der angelsächsischen Zeit kann das gegebene Mobiliar-
pfand einmal freiwillig für eine Schuldforderung, zum andern im
Prozesse gestellt werden.
I. Das freiwillig für eine Schuldforderung gegebene Pfand
findet sich in den Genednes betweox Dünsfitan '), auch Sena-
tusconsultum de Monticolis Walliae genannt2). Es ist dies
die Verordnung, welche die Witan vom anglischen Geschlecht und
die Berater des wälischen Volkes unter den „Dunseteii a)“ er-
hellen *). Die Verordnung zeigt uns, daß sich diese beiden Völker
einander fremd gegenüberstanden und daß sie zum Zweck hatte,
den Frieden zu sichern und die Eigentümer von Vieh auf jeder
Seite des Stromes gegen die Kaubanfälle ihrer Nachbarn auf der
andern Seite zu schützen1).
') Glasson, a. a. 0., I, S. 169, sagt unter Citicrung der Gcrä-dncs
betweox Dnnsetan, c. 1, daß in der angelsächsischen Puriode „tantät le
gage etait fourni volontairement par le debiteur cn garantie de l’engage-
ment qu ’il avait contracte. . .“
Phillips, Versuch, S. 141, ist derselben Ansicht und sagt unter Ci-
tiening der Geraednes betweox Dünsetan c. 1: „Das Pfandrecht
konnte theils dadurch, dal) der Schuldner freiwillig eine Sache als Faust-
pfand hingab, theils durch einseitige Pfändung von Seiten des Gläubigers
entstehen“.
J) Siehe aber Liebermann, a. a. 0., S. 374, Anmerkungen.
*) Das Wort „Dun-saetas“ bedeutet mountain-dwellcrs = Bergbewohner.
Thorpe, a. a. 0., S. 150, Amu. b. Seebohm, a. a. 0., S. 403, 404, sagt bei
Besprechung dieser Verordnung: „Further, tliis cvidence, though lator in
date probably than King Alfrcd’s laws, is practically Wessex eridence,
bccause, though the geographica! position of the Dunsetas is not accurately
known, their Connection with the West Salons is the one thing which is
clear“. Vgl. Schmid, Gesetze, S. LXI, LXII.
*) S c h in i d , Gesetze, S. 358. Siehe auch Liebermann, a. a. 0.
S. 374, 375.
5) Seebohm, a. a. 0., S. 402.
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126
Kapitel 1 dieser Verordnung ') behandelt die Fährte ge-
stohlenen Viehes, und beiläufig das gegebene Pfand (under-wed;
wed), folgendermaßen : Wenn man die Führte gestohlenen Viehes
von einem Ufer zum andern verfolgt, dann übergebe man die
Nachspürung den Männern des Landes oder thue durch Zeichen
dar, daß man richtig verfolgt. Es greife dann Der zu, dem das
Land gehört, und habe die Nachsuehung für sich; und er gelte
von da in 9 Nächten das Vieh oder stelle an dem Tage ein Unter-
pfand (under-wed), das anderthalb mal so viel werth ist als
das Vieh, und löse von da in 9 Nächten das Pfand (wed) durch
richtige Geltung*) J). Wenn man sagt, daß man die Spur un-
richtig verfolge, dann mag der, welchem das Vieh gehört, die
Spur bis zu dem Ufer leiten und daselbst sechs ungekorenen
Leuten, die getreu sind, den Eid leisten, daß er nach Volksrecht
das Land in Anspruch nehme, wie sein Vieh dorthin ging4).
II. Das gegebene Pfand findet sich auch im Zivilprozeß und
im Strafprozeß vor.
■) Schinid, Gesetze, Anh. I, S. 358, 359. Vgl. auch Text und Über-
setzung bei Liebermann, a. a. 0., S. 374, 375. Über c. 8 derselben Ver-
ordnung siehe unten S. 128.
s) . . . and paes on IX nihton gylde paet yrfe, mViVe tö pam daego
under-wed leege, paet sy paes orfes ölVer healf weorfl', and paes on IX
nihton paet wed undö mid rihtan gylde. . .
. . .et inde ad IX dies reddat ipsam pecuniam, vel vadium ponat ipsa
die, quod valeat quaesitam et investigatam pecuniam scsquialteram, vel inde
ad IX dies ipauin vadium redimat recta persolutione. . .
Vgl. Liebermann, a. a. 0., S. 374, 375.
*) Lieberuiann, a. a. O., S. 375, übersetzt: . . . doch bezahle er das
Vieh in 9 Tagen von dem [Übernehmen] ab oder hinterlege an diesem Ter-
min ein Unterpfand, das anderthalb des Viehes werth ist, und lßse von da
in 9 Tagen dies Unterpfand ein durch richtige Bezahlung [des Viehes],
4) In Kapitel 8 derselben Verordnung (Schinid, Gesetze, S. 362, 363)
lesen wir: Wenn man Vieh mit Beschlag belegt und die Gewähr über den
Strom ziehen will, dann stelle man Bürgschaft oder Unterpfand (in-borh
oiVöe under-wed), dall die Klage ein Knde habe.
Über Verfolgung gestohlenen Viehes siehe Schinid, Gesetze, S. 358,
Anm., 636 und die Belegstellen daselbst.
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127
Ine, 8') heißt es: Wenn Jemand vor einem Shirmann oder
anderm Richter um Recht bittet und nicht erlangen kann, und
man (der Beklagte) ihm kein Pfand geben will8), büße er es mit
30 Schillingen und lasse ihm binnen 7 Nächten sein Recht an-
gedeihen s).
Ine 62 *) handelt von demjenigen, den man zur Pfandstellung
anhält: Wenn gegen Jemand eine Klage erhoben wird und man
ihn zur Pfandbestellung anhält4), er aber selbst nichts hat, was
er als Pfand geben kann*), es geht aber ein anderer und giebt
sein Pfand für ihn7), wie er das festsetzen kann, unter der Be-
dingung, daß er (der Beklagte) ihm (als Geisel) zur Hand gehe,
bis er ihm sein Pfand frei machen könne6), man bezichtigt ihn
') Schmid, Gesetze, S. 24, 25. Vgl. auch Liebermann, a. a. 0.,
S. 92, 93. Siehe über diese Stelle Thorpe, a. a. 0., 8. 47, Anm. a: Schmid,
Gesetze, Glossar, s. v. wed, wedd.
3) . . .and him wedd [wedj [mon] sellan nelle . . .
. . .et accusatus ei vadium recti dare nolit . . .
Vgl. Lesarten bei Liebermann, a. a. 0., S. 92, 93.
*) Liebermann, a. a. 0., S. 93, übersetzt: Wenn einer sich [sein]
Kocht fordert vor irgend einem Amtmann oder einem anderen Richter und
[cs] nicht erlangen kann, indem [Verklagter] ihm ein Pfandversprcchen
[künftiger Urthcilserfnllung] nicht geben will, so büße dieser [dem König]
30 Schill, und mache ihn binnen 7 Nächten der Urtheilscrfüllung theilhaftig.
Über Urtheilserfüllungsversprechen siche oben S. 76 ff.
4) Schmid, Gesetze, S. 50, 51; Thorpe, a. a. 0., S. 61, 62; Lieber-
mann, a. a. 0., S. 116, 117. Siehe Schmids Anmerkung zu dieser Stelle,
a. a. 0., 8. 50, 51; Thorpes Anmerkung, a. a. 0., S. 549.
s) . . . and hine mon bedrefciV tö ceäpe [ccüce] . . .
... et ad fauces coartatur . . .
Vgl. auch Lesarten bei Lieber mann, a. a. 0., 8. 116. Die Stelle im
Quadripartitus lautet nach Liebermann, a. a. 0., S. 117: ...et ad
captale pertrahitur (fauces coartatur [cohortatur]) . . .
•) . . . tö gesellannc beforan ceäpe [ceäce] . . .
... ad dandum ante certamen . . ,
Vgl. auch Lesarten bei Liebermann, a. a. 0., S. 116, 117.
7) . . . seiet)' [sylatV, ayllaiV] his ccäp fore . . .
... et vadit alius et dat suum captale pro co . . .
Vgl. auch Lesarten bei Liebermann, a. a. 0., S. 116, 117.
8) . . . öö paet he his ccäp him geinnian maege.
. . . donec captale suum possit illi intimarc.
Vgl. auch Lesarten bei Liebermann, a. a. 0., S. 116, 117.
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128
aber nachher nochmals und hält ihn zur Pfandbestellung an '),
wenn dann der hinfort nicht für ihn einstehen will, der früher
das Pfand für ihn gab, und er (der zweite Kläger) sich seiner be-
mächtigt, so verliere dann Der sein Pfand, der es früher für
ihn gab !) *).
Kapitel 8 der Genednes betweox Dünsetan4) handelt von
Vieh, das jenseit des Stromes aufgefunden wird: Wenn man Vieh
mit Beschlag belegt und die Gewähr über den Strom ziehen will,
dann stelle man Bürgschaft oder Unterpfand, daß die Klage ein
Ende habe6). Wer es an sich zieht (vindicirt), leiste selbsechs
den Eid, daß er es so an sich ziehe, wie es ihm gestohlen war,
') . . . and beträft)’ [bedrefeiV] tö ceäpc . . .
... et ad componendum pcrtraliatur . . .
Vgl. auch Lesarten bei Lieber mann, a. a. O., S. 11C, 117.
*) . . . sc pc bim äer ceäp forc scalde, and he hine penne forfeh'J, po-
ligc pnnne his ceäpes se pe he him *r fore sealde.
. . . qui captale suuin dedit pro eo antea et hoc anticipaverit, perdat
captale suum, quod antea pro eo dederat.
Vgl. auch Lesarten bei Liobermann, a. a. 0., S. 116, 117.
*) L iebermanu, a.a.0., S. 116, bei Ine 62 liest ceac (Kessel) statt ceap
(Pfand, u. a. w.). Siche ferner Liebcrmann, Kesselfang bei den West-
saebsen im siebenten Jahrhundert, Sitzungsber. der Königl. prcuQ. Akademie
der Wissenschaften (1896), S. 829 — 835. Er übersetit (Gesetze, S. 117)
Ine 62 folgendermaßen: Wenn jemand einer Strafsache angeschuldigt ist
und zum Kessel [fange] gezwungen wird, aber selbst nichts vor dem Kessel
herzugeben besitzt: [wenn] dann jemand anders kommt [und] sein Gut vor-
schießt — je wie er dann [mit dem Kläger] abmachen kann — auf die
Bedingung hin, daß ihm der [Schuldner] diene, bis daß derselbe ihm sein
vorgoschossencs] Gut einbringen kßnne : es wird aber jener [Schuldner]
späterhin zum zweiten Male verklagt und zum Kessclfange gezwungen :
wenn [nun] der, welcher ihm früher Vorschuß gegeben hatte, ferner nicht
für ihn einstehen will, und ihn [den Schuldigen, der zweite Kläger] nun faßt,
dann verliere [der Gläubiger] sein Gut, das er ihm früher vorgeschossen batte.
4) Schmid, Gesetze, Anhang I, 8. 362, 363. Siehe auch Liobermann,
a. a. 0„ S. 378, 379. Siehe Schmid, a. a. 0., S. 363, Anmerkung zu dieser
Stelle.
s) . . . ponne settc mon in-borh odiVe unde-wed leege, paet seö sprec
ende haebbe.
. . . tune ponatur inborh vel underwed mittatur, ut placitum illud
fmem habcat.
Vgl. Lesarten bei Liebermann, a. a. 0., 378, 379.
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1-29
und wer es zur Gewähr zieht, leiste allein den Eid, daß er die
Gewahr zu derjenigen Hand ziehe, die es ihm verkaufte. Wenn
es Jemand jenseits des Stromes sieh zu eigen ziehen will, dann
soll das durch Ordal geschehen. Auf gleiche Weise wie der
Engländer soll der Wälische Recht gewähren ').
Aethelreds Gesetze, III, 12*), verordnen, daß man bei einer
Rechtssache vor dem Könige G halbe Mark zum Pfände (wedd;
vadium) erlegen müsse3), und bei einer vor einem Eorl oder
Bischof 12 Oeren Pfand (wedd) und bei einer vor irgend einem
Than 6 Oeren Pfand (wedd; vadium)4)4).
Edwards Gesetze”) stellen die folgende Rechtsregel auf: Auch
haben wir beschlossen, wenn es einen schlechten Mann geben
sollte, der Anderer Gut (Vieh) zu Pfand setzen (tö borge settan;
per plegium mittere) wollte für eine Widerklage1), 'laß er dann
') Liebermann, a. a. 0., S. 379 übersetzt Kapitel 8pr.: (Vom jenseits
des im Anefang gefällten Vieh.) Wenn Vieh im Anefang gefallt wird, und
der [verklagte] Mann es über den Strom hin zur Gewähr schieben will, dann
stelle er Sicherheit oder hinterlege ein Unterpfand [dafür], dall diese Klage-
sache. einen Abschluß erhalten werde. § 8, 1 : Jener [Anef&nger], der es
für sich beansprucht, leiste als einer von sechs [d. h. mit fünf Helfern] fol-
genden Kid: ,daß er es so für sich beanspruche, wie es ihm von Dieben
gestohlen worden sei*. § 8, 2: Und wer es zur Gewähr schiebt, leiste für
sich allein folgenden Kid: .daß er es zu der Hand schiebe, die [es] ihm
veräußert hat*. $ 8, 3: Wenn jemand jenseits des Stromes [gegen diessei-
tigen AnefiingerJ es als sein Ureigen behaupten will, dann soll dies [nur]
durch Ordal [ihm möglich] sein. §8, 4: Diesem gleich soll der Engländer
dem Walschen Recht erfüllen.
3) Schmid, Gesetze, 8. 216, 217. Siehe auch Liebermann, a. a. 0.,
S. 230.
*) leege man VI healf-marc wedd.
de placito regis ponatur vadium VI dimidiae. marcae. Siehe auch
Liebermann, S. 230.
*) Siehe Thorpe, a. a. 0., S. 12fi.
s) Liebermann. a. a. 0.. 8. 231, übersetzt: Und bei Anklage durch
den König [Staat] binterloge [Verklagter ti Halbmark Pfand und bei einer
durch (iraf oder Bischof 12 Ür Pfand und bei [einer durch] irgend einen
Thegn G Ür Pfand.
°) Edward, I, 1, §5, Schmid, Gesetze, S. 112, 113. Vgl. auch Les-
arten bei Liobennann, a. a. ()., S. 140, 141.
7) Schmid, Gesetze, S. :»40, s. v. borh, betrachtet diese Stelle in
Edwards Gesetzen als „Pfandsicherheit, Caution”: und dies scheint auch die
Meinung Thorpes zu sein (siehe n. a. 0., S. G9). Vgl. Jenks, Law and Pnl-
lia zeit ine. Englisches l’famlrecht 9
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130
eidlich bekräftige, daß er es nicht aus Gefährde thne, sondern
mit vollem Recht, ohne Trug und Arglist, und der thue dann,
wie er es sich da getraut, bei dem man die Sache in Beschlag
nahm, sei es, daß er sie als Eigentum in Anspruch nahm, oder
sie zur Gewähr zog1).
Kapitel 52 der Leges Henrici Primi ist De proprio
placito regis*); und obwohl der Sinn des § 1 nicht ganz klar
ist, scheint der Passus Folgendes zu bedeuten’): 1. Ein jeder,
der von dem König durch einen seiner Richter angeklagt wird,
muss vadium recti geben, d. h. Sicherheit, daß er der An-
klage Folge leisten und für den Schadenersatz einstehen will, zu
dem er vom Gericht eventuell verurteilt wird4). 2. Wenn er
zum Erscheinen vor Gericht nicht geladen wurde und deswegen
nicht kam, so muß er die obengenannte Sicherheit (recti vadi-
monium) geben, und Bürgen (plegios) stellen, sofern dies von
ihm verlangt wird. 3. Wurde er aber rechtmäßig geladen, und
war der Tag der gerichtlichen Untersuchung festgesetzt worden,
so muß er, wenn der Richter es verlangen sollte, ohne Verzögern
antworten, oder er verliert seine Rechtssache4). 4. Sollte er sich
weigern, die verlangte Sicherheit (vadium recti) zu geben,
nachdem es dreimal begehrt worden war, so ist er overseunessa")
itics in the Middle Ages. Über Widerklage (wiöer - tilitlan) vgl. Cnnt,
II, 27: Henr., 23, §2: und Schniid, Gesetze, S. 13, Audi., 672.
') Lieber mann, a. a. 0., S. 141, übersetzt: Auch bestimmen wir —
[gegen den Fall] wenn es da einen der bösen (betrügerischen B) Menschen
giebt, der kraft widerrechtlicher Klage jemandes Vieh unter Pfand[sicher-
heit] bringen will — , daß der [Anefänger zuerst] dann erkläre unter Eid,
.daß er dies zu keinerlei Truge thut, sondern nach Volksrecht (vollem
Recht H) ohne List und Tücke“: und der [Verklagte], bei welchem jenes
im Anefang angegriffen wurde, handele alsdann so, wie er sich da getraut :
entweder er erkläre es als sein eigen, oder er ziehe es zur Gewähr.
*) Schund, Gesetze, S. 458. Vgl. auch den Test bei Liebermann.
a. a. 0., S. 573, 574.
*) Thorpe, a. a. 0., S. 271. Siche Schniid, Gesetze, S. 458, Anm.
4) Siehe Thorpe. a. a. 0., S. 239, Anm. c, überdas Wort .justitia“
dieses Textes.
*) Siehe Thorpe, a. a O., S. 239, Amu. d.
*) Schniid. Gesetze, S. 641: »overseunessa, von oferaeön (-seali etc.),
übersehen, was danu, aualog dein Worte oferhjran. sowohl in der Bedeutung
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131
.«'huldig, und man mag ihn in Haft zurückhalten, bis er Bürgen
(plegiosl stellt oder Genugtuung leistet: maxime si judieatum
sit de vadio, si de capitalibus agatur in eo. § 2 desselben
Kapitels sagt: Clericus per Consilium praelati sui vadium dare
debet, cum dederit in accusatione.
Aethelreds Gesetze zur Besserung des Friedens, erlassen von
Aethelred und seinen Witan zu Wantage ') unterrichten uns weiter
bezüglich des gegebenen Pfandes im Prozeß. Nach Aethelred, III.*)
gibt der Angeklagte, oder jemand, der den Angeklagten reinigen
will, irgend einem öffentlichen Beamten oder einer öffent-
lichen Körperschaft — Grundherrn, Wäpentak, oder Königs Ge-
refen — ein Pfand (wedd oder vadium3), daß der An-
geklagte, oder derjenige, der ihn zu reinigen beabsichtigt,
zum Ordal4) schreiten will und dafür, daß der Angeklagte un-
schuldig sei5).
von perspicere, intelligere. als in der von praetermittere, negligere, vor-
kommt. Die overseunessa ist iler spätere lateinische Ausdruck für das ags.
oferhyrnes ... In den angelsächsischen Gesetzen finden wir die oferhyrnes
nur bei dem Ungehorsam gegen königliche Anordnungen erwähnt, obschon
eine Wette auch bei der Millachtung anderer obrigkeitlicher Befehle ge-
zahlt werden mußte: die overseunessa bezieht sich aber auch auf den Un-
gehorsam gegen comites, hundreda u. s. w. . . . Überhaupt wird in den
Leges Henrici der Begriff der overseunessa sehr erweitert oder der Aus-
druck öfter nur zur Bezeichnung einer bestimmten Strafsumme gebraucht . . .*
Siehe ferner I.eges Henrici l’riuii, c. 53, §1 (Schmid, S. 458) und
andere Belegstellen bei Schmid, Gesetze, S. 641.
') Schmid, Gesetze, S. 212 ff.: Licbermann, a. a. 0., S. 228 ff.
*) Die Stellen in Aethelreds Gesetzen, welche wir im Folgenden be-
sprechen werden, befinden sich iu Schmid, Gesetze, S. 212— 219, und in
Liebcrmann. a. a. 0., S. 228 — 230. Mit unserer Übersetzung dieser Stellen,
die mit der Schmid'schcn übereinstimmt, vgl. auch Lieber man n’s Über-
setzung. a. a. 0., S. 229— 231.
s) Dazu kommt noch die Sicherheit eines Bürgen. Siehe Aethelred.
III, 6, Schmid, Gesetze, S. 214, 215, Licbermann, a. a. 0., S. 230.
4) Uber Eisen- und Wasserordal, sowie den Probebissen bei den Angel-
sachsen siehe Schmid, Gesetze, S. 414 - 417, 639, 640. Über Kesselfang
siehe Ine 37, Licbermann, a. a. O., S. 104, 105, sowie Ine 62, Lieber-
mann, a. a. 0., S. 116, 117.
s) Vgl. Edward. II, 3, Schmid, Gesetze, 8. 114 — 117, Liebermann,
a. a. O. S. 142: Aethelstan, II, 23. Schmid, a. n. O., S. 144 — 147, Lieber-
mann, a. a. 0., S. 162 — 164.
9*
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132
Aethelred, III, 3, schreibt vor, daß mau ein Gemot habe in
jedem Wäpentake1), und daß die zwölf ältesten Thanea) hinaus-
gehen und der Gerefe mit •’), und sie auf das Heiligtum schwören,
welches man ihnen in die Hand gibt, daß sie keinen Schuldlosen
anklagen und keinen Schuldigen verhehlen wollen4); und sie
sollen dann die oft bezichtigten Leute nehmen, welche mit dem
Gerefen eine Sache haben, und jeder von ihnen soll (5 halbe Mark
zum Pfände geben6), halb dem Grundherrn (land-rican; domino
ipsius terrae), halb dem Wäpentake; und jeder oft bezichtigte
') Schm id, Gesetze, S. 672, sagt, daii wä-pengeUec oder w&pentäk,
-es, n., „nach Kd. Conf., 30, eine der Hundertschaft entsprechende Kinteilung
der Shire in mehrere Grafschaften Nordenglands (York, Lincoln, Nottingham.
Northampton, Leicester, bis zur Watlingstrete und noch 8 Milliaria darüber;"
sei. Nach seiner Ansicht ist das Wort dänischen Ursprungs. Siehe ferner
Chadwick, Studies on Anglo-Saion Institutions, S. 199, 239, 245. Nach
Schmid, Gesetze, S. 595, 596, wiederum, ist das hundred-geunit (hundredcs-
geiuüt, oder auch bloß hundred) das Hundertschaftsgericht, das alle vier
Wochen gehalten werden soll: und „ihnen gleich (Kd. Conf.. 30) steht das
gemöt on wsbpentake, Athlr., III, 3; Henr., 7, § 4."
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 33: „The official terni of
rank which we find in use in and after Alfred's time is 'thegn' ([legen, in
Latin usually minister). Originally a thegn is a houschold officer of some
great man, eminent!)' and capecially of the king. From the tenth Century
to the Conquest theguship is not an office unless described by some specific
addition (horspegen, discpegen. and the like) showing what the office was.
It is a social condition above that of the churl, carrying with it both Priv-
ileges and customary duties. The „King's thegns“, those who are in fact
attached to the king's person and Service, are specially distinguished. We
may perhaps roughly compare the thegus of the later Anglo-Saion monarchy
to the country gentlemen of modern times who are in the commission
of the peace and serve on the grand Jury. Hut we must remcmber that the
thegn had a definite legal rank. His wergild. für czample, . . . was sii
times as great as a common man's: and his oath weighed as much inore
in the curious contest of asseverations, quite different from anything we
now understand by evidcnce, by which early Germanic lawsuits were de-
cided.’“ Siehe ferner Schmid, Gesetze, S. 664— 669.
*) Über das Amt des Gerefen in der angelsächsischen Zeit siehe Schm id,
Gesetze, S. 597; Chadwick, a. a. O., S. 228 ff.
*) Das Gesetz Aethelred III, 3, ist von Interesse in Bezug auf den
Ursprung der englischen Jury. Siehe hierüber Brunner, Entstehung der
Schwurgerichte, S. 402, 403; Pollock and Mitland, a. a. 0., S. 142, 143.
*) and heora aelc sylle VI hcalf-rnarc wedd. et omnis eoruui det VI
dimidias marcas vadii. Siche auch Liebermaun, a. a. 0., S. 228.
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133
Mann g:ehe zum dreifachen Ortlal und gelte vierfach'). Wenn,
sagt Athelred, III, 4, der Herr ihn dann reinigen will mit zwei
guten Thanen, daß er weder jemals eine Diebsbusse zahlte, seit
das Gemot zu Bromdun war, noch auch bezichigt wurde, vadet ad
triplex ordalium wel persolvat triplum.
Wenn nach Aethelred, III, 7S), jemand einen Dieb reinigen
will, lege er ein Hundert zum Pfände5), halb dem Grundherrn,
halb des Königs Gerefen innerhalb der Stadt, und er gehe zum
dreifachen Ordal. Wenn er rein ist bei dem Ordal, nehme er
seinen Magen auf; wenn er aber schuldig ist, liege er, wo er
liegt, und gelte Hundert4).
Drittes Kapitel.
Übersicht des Ergebnisses.
Das Pfandrecht an Mobilien entsteht 1. durch Pfandnahme
(Pfändung, genommenes Pfand) und 2. durch Pfandbestellung
(gegebenes Pfand 5).
') et »innig infamatus hom» vadet ad triplex ordalium Tel reddat qua-
drupluni.
Siehe Thorpe, a. a. 0., S. 125, und Liebermann, a. a, 0., S. 228.
J) Vgl. Ine, 21, 35: Aothclstan, II, 11: Acthelred, 11,7: Ed. Conf. 36;
Henr.. 64, §§ 4, 5: Henr., 74, §§ 1, 2. 3 und Belegstellen bei Schmid,
Gesetze, 8. 28, 37, 473.
3) leege än C tö wedde.
unuui hundretum in vadium ponat.
Siehe auch Licbermann, a. a. 0., S. 230.
4) gif he punnc fül beo, liege pär he laeg and gilde än C.
Siche auch Liebermann, a. a. 0., S. 230.
Schmid, Gesetxe, S. 144, Anm. , sagt bei seiner Erörterung von
Aethelstan, II. 23 pr: ,Weddigc übersetzt Pricc (Thorpe) durch gives
_wed“, und allerdings Anden wir auch Athlr., III, 7, ausdrücklich festge-
setzt, daß vor der Beschreitung des Ordals ein Pfand von 100 erlegt werden
sollte: allein das gilt doch wohl nur von dem besonderen Falle, auf den
sich jene Bestimmung bezieht, wo jemand einen anderen von der An-
schuldigung des Diebstahls reinigen will, da sonst nirgends etwas von einer
Pfandbestellung vor dem Ordal die Rede ist und weddian in der Regel nur
die Bedeutung .vertragsmäßig fcstsetzen* hat. S. Gloss., v. wed, weddian."
Schmid scheint Aethelred, III, 3, 4, übersehen zu haben.
5) Glasson, a. a. 0., I, S. 169, sagt am Schlüsse soiner kurzen Er-
örterung des angelsächsischen Pfandrechts unter Citierung von Cap. 3 der
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134
I. Das genommene Pfand.
Das genommene Pfand tritt auf 1. als Pfändung von Vieh
wegen Schadenzufügung an Grundstücken (eigenmächtige Selbst-
hilfe), und 2. als Pfändung von beweglicher Habe überhaupt, um
die Erfüllung einer Verbindlichkeit zu erzwingen. Die letztere
Klasse zerfällt in a) Pfändung wegen einer Schuld (Selbsthilfe)
und b) in gerichtliche Pfändung. Die Pfändung wegen einer
Schuldforderung ist ebenfalls eigenmächtige Selbsthilfe, jedoch
sind ihr hier, da sie an eine gerichtliche Erlaubnis gebunden ist,
gewisse Grenzen gezogen.
Nach den angelsächsischen Quellen, welche die Pfändung
behandeln, scheinen alle Schulden Holschulden zu sein ') und erst,
wenn der Schuldner die Zahlung verweigert, darf der Gläubiger
zur Pfandnahme schreiten. Verfährt der Gläubiger anders, so
muß er das Genommene zurückgeben, und muß außerdem eine
Buße zahlen.
In beiden Kategorien der eigenmächtigen Pfändung ist der
Gläubiger selbst zur Pfandnahme berechtigt2).
Auch muß in diesen beiden Kategorien der Schuldner selbst
der Verpfändung unterworfen werden. Eine Ausnahme *) von dieser
Regel findet man bei Ansprüchen von einem Ufer nach dem andern
zwischen Engländern und Wälen. Hier braucht das Pfand nicht
dem eigentlichen Schuldner, sondern kann auch jemand anderem
abgenommen werden; denn in diesem Falle haften die Bewohner
der Grenzländer gegenseitig für die Verbindlichkeiten der einzelnen
Angehörigen.
Bei der gerichtlichen Pfttndung sind zur Pfandnahme die
Gertednes betwcuz Pnnsetan: .Dans tuus los cas, le gago cntrainait
pcrtc de la poncsaion ponr le debitcur.“ Kerner l'.iiillips, Versuch,
S. 140, 141, unter Citierung der gleichen Stelle: .Andrer dingliche liechte,
als dos Pfandrechts, welches wnhl immer mit dem besitze der verpfändeten
Sache verbunden war, wird in den Rcchtsqucllen dieser Zeit nicht ge-
dacht; . . .“
') Siehe ln e, 9: Cnut, II. 19: Wilhelm. 1,44: Gerxdnes bctwcoz
Dnnsetan, c. 2, 3: vgl. aber Henrici 1. Charta Luiidnnicnsibua enn-
ceasa. §§ 13, 14 (Henr., 2).
*) Vgl. Germdnes betweoz Dünsetati, c. 3, Schrnid, Gesetze,
S. 360, 361, Liebermann, a. a. ()., S. 376.
*) Geriednes betweoz Dünsetnn, c. 2 und 3.
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135
folgenden Personen berechtigt. Im Ungehorsamsprozeß bei Ver-
säumnis des Gemots, sämtliche der ältesten und angesehensten
Männer, die zur Gerichtsstadt gehören (Aethelstans Gesetze); bei
Versäumnis des Gerichtstags, der vicecomes (Leges Henrici
Primi1); bei Verweigerung seitens des Beklagten dem Richter-
spruch zu gehorchen, der Kläger selbst mit Erlaubnis des Richters
(Historia Eliensis); bei Diebstahlsfällen, alle die ältesten
Männer, die zur Gerichtsstadt gehören (Aethelstans Gesetze) resp.
diejenigen, welche hierzu berechtigt sind (Edwards Gesetze).
Der Pfändung unterworfen werden können der Kontumaziar
und der Dieb oder der des Diebstahls Bezichtigte.
Gegenstand der Pfändung sind in allen Fällen Mobilien. Bei
Schadenzufügungen an Grundstücken wird wahrscheinlich das Vieh
selbst als Pfand genommen. Bei der eigenmächtigen Pfändung
wegen Schuld geben die Quellen nicht an, was für Mobilien
gepfändet werden dürfen, sondern sagen nur ganz allgemein, daß
Pfänder genommen werden können; eine Ausnahme bilden die
Ger;Mnes betweox Dünsetan, wo von Vieh die Rede ist.
Bei der gerichtlichen Pfändung im Umgehorsamsprozeß kann
.alles was er hat“ (Aethelstans Gesetze) und .Besitz der Güter“
(Historia Kliensisi, bei Diebstahlsfällen .alles was er hat“
(Aethelstans Gesetze), und .von seinen Gütern pfandliche Sicher-
heit“ (Edwards Gesetze) genommen werden.
Außer dem Pfände wird in einigen Fällen der Pfändung eine
Geldbuße, Bürgschaft, Haft oder Tötung verlangt. Bei der Vieh-
pfändung wird dem Eigentümer des Viehes außer der Pfändung
noch eine Geldbuße von einem Schilling bezw. von zwei Schillingen
auferlegt. Im Ungehorsamsprozeß wird sowohl Pfändung aufer-
legt, als auch Bürgschaft verlangt (Aethelstans Gesetze.) Im Straf-
prozeß bei Diebstahlsfällen wird nach Aethelstans Gesetzen eben-
falls Pfändung auferlegt und Bürgschaft verlangt, und wenn der
Dieb oder der des Diebstahls Bezichtigte keine Bürgschaft stellen
kann, Haft und eventuell sogar Tötung angeordnet und nach
Edwards Gesetzen wird Bürgschaft verlangt und eventuell Pfändung
') Falls der vicecomes widerrechtlich pfändete, hatte er doppelt dafür
tu büßen.
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13fi
auferlegt, und wenn weder Bürgen noch Güter zum Pfänden vor-
handen sind, Haft angeordnet.
Über den Ort der Pfändung findet man in den Quellen
Folgendes. Bei der Viehpfändung wird dem Anscheine nach das
Pfand auf der Mast des geschädigten Grundeigentümers genommen.
Bei der eigenmächtigen Pfändung wegen Schuld kann das Pfand
genommen werden: 1. innerhalb oder außerhalb der Shire (nach
Cnuts Gesetzen); 2. fern und nahe (nach Wilhelms Gesetzen);
3. namiare liceatalium in suo vel alterius (nach den Leges
Henrici Primi); 4. in London oder der Grafschaft wo sich der
Schuldner aufhält (nach der Henrici I. Charta Lohdoniensi-
bus concessa §§ 13, 14); 5. dem Anscheine nach im Domizil
des Schuldners (nach Gerwdnes betweox Dünsetan). Bei der
gerichtlichen Pfändung im Ungehorsamsprozeß wird das Pfand
genommen: dem Anscheine nach wo die Güter sich befinden (nach
Acthelstans Gesetzen); nur in der Hundertschaft (nach den Leges
Henrici Primi). Im Strafprozeß bei Diebstahlsfällen: dem An-
scheine nach, wo die Güter sich befinden (nach Aethelstans Ge-
setzen und nach Edwards Gesetzen).
In allen Fällen der Pfändung bedeutet die Pfaudnahme den
Verlust des Besitzes seitens des Vieheigentümers, des Schuldners,
des Ungehorsamen, oder des Diebes.
Den Besitz der gepfändeten Gegenstände erwirbt der Grund-
eigentümer bei Viehverpfändung, der Gläubiger bei eigenmächtiger
Pfändung wegen Schuld. Über den Besitz bei gerichtlicher
Pfändung findet man in den Quellen Folgendes: im Ungehorsams-
prozeß bei Versäumnis des Gerichtstages soll das Pfand an den
königlichen Gerichtshof bei Ger nächsten Verhandlung abgegeben
werden (Leges Henrici Primi), und bei Verweigerung dem
Kichterspruch zu gehorchen, soll der Kläger mit Erlaubnis des
Richters den Besitz ergreifen (Historia Eliensis); und im
Strafprozeß bei Diebstahlsfällen soll der König die Hälfte der
Güter, und die ältesten Männer, die zu der Gerichtsstadt gehören
und die die Pfändung vollzogen haben, die andere Hälfte nehmen
(Aethelstans Gesetze).
Im Ungehorsamsprozeß bei Versäumnis des Gerichtstags darf
das Pfand nicht ans der Hundertschaft weggeschaft werden ; und
möge die Pfändung rechtlich begründet sein oder nicht, so darf
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137
doch niemand das Pfand mit Gewalt zurücknehmen bei Strafe
der orerseunessa (Leges Henrici Primi).
Über das Recht der Realisierung des genommenen Pfandes
enthalten unsere Quellen sehr wenig. Wenn man aber aus dem
Rechte der mittelalterlichen Periode nach der normannischen Er-
oberung Schlüsse auf die angelsächsische Zeit ziehen könnte, so
müßte man annehmen, daß die Pfändung Zwangs- und Sicherungs-
inittel war und daß der eigenmächtig Pfandende bloß das Retentions-
recht hatte, ln der Tat finden wir einige Stellen in den angel-
sächsischen Gesetzen, welche andeuten, daß dies der Fall war.
Die lateinische Überschrift zu Cnut, II, 19'), welches Gesetz von
der eigenmächtigen Pfändung wegen Schuld handelt, lautet: Ne
alium intra satrapem coerceat. Nach dem Worte coerceat dieses
negativen Satzes in Verbindung mit dem übrigen Inhalte dieses
Gesetzes zu urteilen, hat man es hier mit der Zwangs- und
Sicherungsidee zu tun. Von Bedeutung hierfür ist auch c. 3 der
Ger&dnes bctweox Dünsetan, wo gesagt wird: „Wenn ein
Pländ genommen ist von Jemandes Vieh um eines andern Mannes
willen, dann nehme der das Pfand heim, für den es genommen
ist, oder es befriedige ihn Der aus seinem Eigen, dem das Vieh
gehört. Es soll dann gezwungen Recht angedeihen lassen, der
früher nicht wollte*).“ Die Stelle der Instituta Cnnti welche
Cnut, II, 11», entspricht, schließt mit den Worten: ut possit
aecipere name. quousque habeat sua. Die Pfändung ist also nach
der Instituta Cnuti bloß quousque, d. h. bis der Schuldner
zahlt, hat der Gläubiger das Retentionsrecht.
Die Auffassung, daß die Pfändung im Prozesse Zwangs- und
Sicherungsmittel ist tritt uns entgegen in den Worten der Eduard-
schen Gesetze „von seinen Gütern pfandliche Sicherheit (on his
iehtan in-borh: de pecunia sua inborhgum) nehmen.“
In den Leges Henrici Primi ist angedeutet, daß die gerichtlich
gepfändete Sache eventuell verkauft werden kann.
■) Sch m iii, a. a. 0., S. 280. Diese lateinische Überschrift ist bei
Liebermann, a. a. O.. S. 320, nicht vorhanden.
*) Sceal siiViVan nedc riht wvreean sc {>e ier noble. I’oatea vel coac-
tus rectum fuciat, qui antea gratis noluit.
Siche auch Liebcrmann, a. a. O., S. 376 und oben S. 121, Aom. 5.
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138
II. Das gegebene Pfand.
In dem einzigen Passus der angelsächsischen Gesetze, der
von dem freiwillig gegebenen Pfände handelt, scheint es sich um
die Sicherstellung einer Schuldforderung zu handeln.
Durch das Pfand im Prozesse verpflichtet sich der Pfand-
geber bei der Klage oder Widerklage, daß er den Anordnungen
des Gerichts Folge leisten will.
Das Pfand wegen Schuld wird vom Schuldner, das Pfand im
Prozeß von den Parteien selbst, oder ihren Bürgen gestellt.
Das Pfand wegen Schuld wird dem Gläubiger, das Pfand im
Civil prozeß der andern Partei (siehe Ine 8) oder dem Gericht,
das Pfand im Strafprozeß einem öffentlichen Beamten oder einer
öffentlichen Körperschaft — Grundherrn. Wäpentake, oder Königs
Gerefen — , gegeben.
Das gegebene Pfand im Prozeß ist nur in gewisser Hinsicht
ein freiwilliges Pfand. Die Übergabe des Pfandes wird von der
andern Partei (siehe Ine 8) oder vom Gericht verlangt, und falls
der Betreffende kein Pfand hat oder kein Pfand geben will, muß
er Bürgschaft stellen oder Buße zahlen oder sich der Haft unter-
ziehen. Nach Ine 8, muß er, wenn er kein Pfand geben will.
Buße zahlen. Nach Ine fi-2, kann ein Bürge, wenn der Beklagte
kein Pfand hat. für diesen eintreten und das Pfand geben, und
wird der Beklagte dadurch Geisel des Bürgen. Nach den
Geräednes betweox Dünsetan, Cap. 8, muß Unterpfand oder
Bürgschaft1) gestellt werden. Nach den Leges Henrici Primi
ist die Partei, falls sie sich weigern sollte, die verlangte Sicher-
heit (vadium recti) zu geben, nachdem dieselbe dreimal begehrt
worden ist, o verseunessa5) schuldig, und mag man sie in Haft
zurückbehalten, bis sie Bürgen (plegios) findet oder Genugtuung
leistet.
Über die Einlösung des Pfandes enthalten die Quellen Folgen-
des: Beim freiwillig gegebenen Pfand wegen Schuld wird in dem
Falle des Kapitel 1 der Gerä-dnes betweox Dünsetan eine
bestimmte Frist — !l Nächte — - festgesetzt, innerhalb welcher das
') Vgl. Leges Henrici Primi, c. 52, § 1, Schinid, Gesetze, S. 458,
Liebermann, a. a. 0., S. 573.
*) Vgl. overseuneasa bei genommenem Pfand, oben S. 136, 137.
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139
Pfand durch den Schuldner eingelöst werden muß. Nach Ine' 02,
muß der Beklagte (»eisei seines Bürgen bleiben, bis er das vom
Bürgen gegebene Pfand freimaehen kann ').
Über die Realisierung des wegen Schuld gegebenen Pfandes
sagt die einzige Quelle, die wir gefunden haben, nichts. Die Fest-
setzung einer bestimmten Frist, innerhalb welcher der Schuldner
das Pfand „durch richtige Geltung“ auslösen konnte, deutet auf
Verfall bei nicht Einlösung des Pfandes zur rechten Zeit hin.
In unseren Quellen über Pfandbestellung im Prozeß finden
sich zwei Stellen, die den Verfall des nicht ausgelösten Pfandes
anzeigen. Nach I n e i>2, „verliert“ der Bürge des Beklagten das
Pfand, das er für den Beklagten bei der ersten Klage gegeben
hat, falls ein zweiter Kläger „sich seiner bemächtigt“. Die Worte
des Textes sind: polige ponne his ceäpes1) (perdat captale
suum1). In Aethelred, III, 7, heißt es, wenn jemand einen Dieb
reinigen will und ein Hundert zum Pfände legt, und wenn der
Dieb beim Ordal schuldig ist, „liege er wo er liegt“ und gelte
der Bürge Hundert (gilde an ('; alius reddat).
Dritter Teil.
Das Immobiliarpfandrecht.
Neuere Forschungen haben viel dazu beigetragen Aufklärung
über die Geschichte des angelsächsischen Immobiliarpfandrechts
zu geben. In Brunners Rechtsgeschichte der römischen und ger-
manischen Urkunde wird bewiesen, daß Buchland während dieser
Zeit als Nutzpfand oder als Proprietätspfand begehen werden kann.
Üher die Verpfandung von Folc-land wissen wir jedoch nichts, da
unsere Quellen hierüber nichts berichten. Das Domesday- Pfand
scheint ein solches mit Besitz des Gläubigers gewesen zu sein 4),
') Vgl. aber L iebermu nii’s Übersetzung von Ine 62, eben S. 128. Anin.8.
*1 Vgl. Schmid, tiesctze, (flos»ar, s. v. ecüp.
3) Vgl. aber F.iehermatin's Übersetzung von Inefi2, oben S. 1 28, Anm.8.
T) Siehe Fisher: l.aw of Mnrtgage, S. ö, Anui.: I'hisenhale • Marsh,
f. CLVIl, DI.YIII, CLXVII: Sones, Luw of Mortgages, S. 2, 3: l’ollock
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uo
obgleich die Worte des Domesday Hook im besten Falle fragmen-
tarisch zu nennen sind und uns wenig oder gar nicht über das
angelsächsische Pfand informieren.
Erstes Kapitel.
Nutzpfand.
1. Todsatzung.
Eine Urkunde aus dem Jahre !V24l) enthält ein Beispiel der
Todsatzung*). Nach den Bedingungen eines Vertrages zwischen
Fulder und dem Convent von Worcester soll Fulder für drei Pfund,
welche er lieh, das Land zu Luddington durch drei Jahre nutzen1).
Nach den drei bedungenen Jahren muß er das Land dem Convent
zurückgeben, in demselben Zustande, wie er es erhalten hat.
Über die Zurückzahlung der Anleihe wird in der Urkunde nichts
gesagt. Es scheint aber, als ob in diesem Falle eine Notwendig-
keit für die Einlösung des Pfandes durch den Schuldner nicht
vorliegt. Nach der allgemeinen Theorie der Todsatzung wird die
Schuld durch die Renten und Früchte, die der Gläubiger von dem
Lande erhalt, getödtet. Mit anderen Worten, die Früchte werden
sofort zur Zahlung der Schuld und dadurch gleichzeitig zur Ein-
lösung des Pfandes verwendet. Das Grundstück löst sich von
selbst ein4).
and Maitland, Ilistory of English Law. II, S. 118: Kapier and Steven-
son, Crawford Charters, S. 77. Vgl. Kclhain, Domesday Book Illustrated,
S. 161, 197, 242, 244, 298, 299, 353: I’larita Anglo-Nonnanica, Index, s. v.
Mortgage.
') Kcmble, Codex Diplomaticus, DCCCCXXIY.
*) Brunner, Zur Rechtsgeschichtc der römischen und germanischen
Urkunde, S. 198.
J) he haebbe paet land aet ludintune III gear for pam ffreom pun-
dum pe he laende.
Lodgc, Essays in Anglo-Saxon Law, S. 105, nimmt hier kein Pfand-,
sondern ein Pachtverhältnis an, indem er übersetzt: that he have the land
at L. three ycars, for which be pays three pminds. Vgl. aber die Ansicht
Brunners a. a. 0., 8. 193, Anm. 1, der darauf aufmerksam macht, daß
laende das Präteritum von laenan, commendarc, sei. Siehe ferner
Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 122, Anm. 1.
*) Brunner, a. a. 0., S. 198.
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141
II. Zinssatzung.
Der Codex Diplomaticus enthält auch ein Beispiel der
Zinssatzung. Nach einer Urkunde vom Jahre 961 ') borgt Sighelm
von Goda dreißig Pfund und übergibt den Besitz seines Landes
zu Culingon als Pfand*). Brunner’) hat bereits darauf hinge-
wiesen, daß es sich hier um eine Satzung und nicht um eine be-
dingte Übereignung handelt, weil der Schuldner den Besitz des
Landbuches hehalten hat; daß es eine Zinssatzung und nichteine
Todsatzung sei, weil Goda die Früchte an Stelle von Zins, und
ohne sie auf die Schuld selbst anzurechnen, genommen habe4),
und daß es in der Tat ein Beispiel der Sicherstellung einer Forde-
rung sei, da die Schuld bestehen bleibt bis sie von Sighelm be-
zahlt, und das Pfand in dieser Weise eingelöst worden ist*).
Zweites Kapitel.
Proprietätspfand.
Das früheste Beispiel des Proprietätspfands im Codex Diplo-
maticus finden wir in einer Urkunde aus dem Jahre 804*).
Nachdem Aethelric durch ein gerichtliches Urteil die Erlaubnis
') Kemble, Codex Dip., CCCCXCIX, MCOXXXVII,
*) betaeht bim paet land paes feos tö anwedde.
et pro uadimonio oidem dedit terram quac nominatur Culinges.
3) Brunner, a. a. 0., S. 198, 199. Siehe ferner Köhler, Pfandrecht-
liche Forschungen, S. 95, 96.
4) Fisher, a. a. ()., S. 5, Anm., int ebenfalls der Ansicht, dal) diese
Crkunde eine Zinssatzung enthält; „ We may perhaps infer from an Anglo-
Saxon deed of the teilt h Century, that a security resembling the ancient
mortuuin vadium, and possibly derived from the pactum antichre
seos, was used in England at that time .... it scems to be implied that
no reduction of the debt had taken place by reason of the mortgagee's
possession“. Vgl. Lodge a. a. 0., S. 106: Jones a. a. 0., S. 1, 2.
5) Vgl. mit dieser Urkunde aus dem Cod. Dip. eine vor Kurzem ver-
öffentlichte Urkunde. Die Bedingungen der Pfandbestellung (ic gesealde
hym ane gyrde landes to underwedde) waren, daß der Gläubiger den Besitz
des Landes auf Lebenszeit haben und daß es ihm frei stehen sollte, die
Schuldfordcrung, mit der das Land belastet war, an wen es ihn beliebte,
testamentarisch zu vermachen. Siehe Napier and Stevenson, a. a. 0.,
S. 5, 9, 65, 76, 77. Vgl. Kemble, Codex Dip., Bd. VI, S. 180; Napier
and Stevenson, a. a. 0., S. 76, 77: Earle, Land Charters, S. 422.
®) Kemble, Codex Dip., CLXXXVI; Brunner, a. a. 0., S. 196, 197.
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142
bekommen hatte, daß er sein Land und seine Landhfieher an eine
beliebige Person vergeben könne'), hatte er sein Land und seine
Landbücher seinen Verwandten tradiert (commendaui) und dafür
eine Summe Oeldes erhalten, die er für eine Pilgerfahrt nach Rom
benötigte. Hei seiner Rückkehr hat er dann das Geld zurückge-
zahlt und sein Land genial! dem vorher geschlossenen Vertrag
wiederbekommen ®).
Die Urkunde spricht von „commendare“. Brunner sagt
mit Bezug hierauf: „I)a.s commendare war formell kein bloßes
Anvertrauen. Die Verpfandung muß vielmehr in der Form der
Eigentumsübertragung erfolgt sein. Land und Landbuch wurden
zur Sicherstellung eines Darlehns tradiert“3).
Die Urkunde spricht auch von dem Zurückzahlen des „prae-
tium“. Materiell bedeutet dies die Einlösung des Pfandes. Man
kann es nichtsdestoweniger als ein Seitenstück zur Langobardisehen
Pfandbestellung durch die Übergabe einer Verkaufsurkunde gegen
Pfandrevers auffassen. Die Übereignung der Proprietät kann an-
gesehen werden als eine Verabredung, daß der Schuldner bei seiner
Rückkehr die Rückgabe des Pfandes gegen Zahlung des Kauf-
preises verlangen könne. Das Geschäft als einen Verkauf auf
Wiederverkauf anzusehen, wie die älteren Romanisten es getan
haben würden, scheint unvereinbar mit der Idee einer bedingten
Eigentumsübertragung zu sein. 4).
Die nächste carta (aus dem Jahre !Ut. '))•'') stellt einen Fall
dar, wo Bischof Aesewig dem Erzbischof Sigeric von Canterbury
eine Summe Geldes leiht, als Gegenleistung für das Versprechen,
') , . . ut über essem terram meam atquo libcllos dare quocunquc uolui.
*) . . . accepi terram incaui, ct jiraetinm reddidi, quasi ante pacti suinus.
ct pacifice fncrimiis ad inuiccm.
Obwohl die l'rkunde nichts über die liiickgahe der Landbficher an den
Schuldner erwähnt, so scheint dies doch angenommen werden zu müssen,
denn Aethelrie hat später über die eingelSsten Landgüter zu (innsten
verschiedener Kirchen verfügt. Brunner, a. a. 0., S. 19ß, Anm. 2.
3) Brunner, a. a. 0., S. 196, 197.
4) Brunner, a. a. O., S. 197. Siehe auch Brunner, Forschungen,
S. 624 — 626; Franken, Französisches Pfandrecht, S. 178 IT.
5) Kemble, Codex Dip., DCLXXXIX: Brunner, a. a. 0., S. 195, 19G.
Siohe Sapier and Stevenson, a. a. ()., S. 76, 77.
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143
daß er von letzterem das Land zu Risenburg erhalte1). Sigeric
überträgt das Landbuch an Aescwig in der Gegenwart des Königs,
und der König stellt eine Urkunde über das Geschäft, die vor-
liegende Urkunde, aus8). Man findet in dieser keine Andeutung,
daß es sich hier um ein Pfandgeschäft handelt; aber aus einer
andern Urkunde desselben Jahres erseheu wir5), daß Aescwig das
I^and und das Landbuch an Aelfric, Sigeries Nachfolger, zurückge-
geben hat, uml zwar wird ausdrücklich gesagt, daß dieses Land
dasselbe sei, das Sigeric verpfändet habe4). Obwohl nichts von
der Rückzahlung des Darlehns gesagt wird, scheint es doch, als
ob dies der Fall gewesen ist5).
Wie bei der Urkunde aus dem Jahre «04, die wir eben be-
sprochen haben6), ist auch hier die Übereignung formell als ein
absolutes Rechtsgeschäft anzusehen. Formell wird der Gläubiger
sofort Eigentümer des verpfändeten Grundstücks und die Schuld
dadurch gleichzeitig getilgt’).
Ein drittes Beispiel des Proprietätspfandes enthält eine c&rta8)
angeblich aus dem Jahre 1066, dem Jahre der normannischen
Eroberung. Nach einem von Ulf und seiner Frau mit Gott und
dem heiligen Petrus vor einer Pilgerfahrt nach Rom geschlossenen
Vertrage, soll der Bischof Ealdred die Güter zu Schillington, Hoby
und Morton, „auf welchen dem Bischof acht Mark Goldes stehen“ ’),
haben. Bei ihrer Rückkehr von der Pilgerfahrt, soll der Bischof
sein Geld von dem Schuldner wieder haben; wenn sie aber nicht
zurückkommen, „so soll der Bischof für ihr Seelenheil so viel tun,
') . . . in sno potestatis arbitrio . . . accipcre.
*) ... et librum ruri» praefati me praesente meisque optimatibus testi-
moniuoi praebentibus episcopo Aescwig libentissimo tribucns donauit animo,
ut habest et possideat quamdiu se esse pracsentialiter cognnscat; et post
se haeredi cui uoluerit concedat.
3) Kenible, Codex Dip., DCXC: Brunnor, a. a. 0., S. 195. Vgl.
Lodge, a. a. 0., S. 106, 107; Jones, a. a. 0., S. 2.
*) . . . dedit mihi in uadimoniuui, pro pecunia quam a me mutuo accepit.
5) Brunner, a. a. O., S. 196.
6) Kcmblc, Codex Dip., CCXXXVl.
7) Brunner, a. a. 0„ S. 196.
*') Kenible, Codex Dip., DCCCCLIIl : Brunner, a. a. ()., S. 197.
'J) . . . Ö'seron stellt i)um bisceope eabta uiarca goldes.
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144
als der Wert des Pfandes die Schuld übersteigt '). Mit anderen
Worten, diese Güter werden nur unter einer gewissen Bedingung
übertragen. Sie können eingelöst werden, falls dies aber nicht
geschieht, soll die Hyperocha für das Seelenheil des Schuldners,
vom Gläubiger aufgewendet werden*).
Drittes Kapitel.
Übersicht des Ergebnisses.
Sowohl das Nutzpfand als auch das Proprietütspfand ent-
stehen durch Vertrag und die Übergabe des Besitzes an den
Gläubiger; erst durch die Quellen aus der Zeit nach der nor-
mannischen Eroberung erhalten wir Kenntnis von dem Vorhanden-
sein der Hypothek. Beim Nutzpfand verbleibt das Landbuch in
den Händen des Schuldners; beim Proprietätspfand wird das
Landbuch dem Gläubiger übergeben.
Die zwei Arten des Nutzpfandes sind: Todsatzung und Zins-
satzung. Bei der Todsatzung werden die Früchte sofort auf die
Zahlung der Schuld angerechnet und das Grundstück löst sich
dadurch selbst ein. Bei der Zinssatzung werden die Früchte nicht
auf die Zahlung der Schuld angewendet ; sie werden bloß an Stelle
von Zins vom Gläubiger genommen. Die Forderung wird durch
die Verpfändung sicher gestellt.
Als Nutzpfand kann ein Grundstück auf bestimmte Zeit, z. B.
drei Jahre, vielleicht auch auf Lebenszeit5) gegeben werden. Das
Grundstück muß in demselben Zustand zurückgegeben werden, in
dem es sich bei der Übergabe befind. Bei Todsatzung wird das
Pfand durch die Früchte selbst und bei der Zinssatzung durch
Zahlung seitens des Schuldners eingelöst.
Das Proprietätspfand ist materiell eine resolutiv bedingte
Eigentumsübertragung zur Sicherstellung einer Forderung. Fur-
mell kann die Übereignung ein absolutes Rechtsgeschäft sein.
Der Gläubiger wird sofort Eigentümer de* verpfändeten Grund-
stücks; und die Schuld wird dadurch getilgt. Der Schuldner be-
hält aber doch das Einlösungsrecht; und selbst wenn die Über-
') and gif hcora nätVcr ne cymiV, lVi> so biscenp for hoora säule swä
mjrccl swä iläet land is betöre Öcne «Vaot gold sy.
*) Brunner, a. a. 0„ S. 197.
*) Vgl. oben S. 141, Anrn. 5.
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145
eignungs nrkunden von commendare und pretium sprechen, ist
es doch mfiglich, daß hier kein bloßes Anvertrauen oder Kauf auf
Wiederverkauf im Sinne der älteren Romanisten vorliegt, sondern
daß es sich hier materiell um eine Übereignung zu Pfandzwecken
handelt.
Die Schuld bleibt in Wirklichkeit bestehen, und wenn der
Schuldner richtig zahlt, kann er die Zurückgabe des verpfändeten
Grundstücks und des Landbuchs verlangen. Ob der Gläubiger außer
dem Pfandrechte, dem dinglichen Recht, auch ein persönliches Recht
gegen den Schuldner hat, ist nicht gewiß1), obwohl dies nicht der
Fall zu sein scheint. Dem Anscheine nach hat der Gläubiger nur ein
Pfandrecht, Formell wird die Schuld durch die Pfandbestellung
getilgt; und wenn der Schuldner sich sein Einlösungsrecht nicht
zu Nutze macht, fallt die Bedingung bei der Übertragung der
Pfandsache weg und der Gläubiger wird schlechtweg Eigentümer.
Das Proprietätspfand ist also Verfallspfand.
Obwohl das Proprietätspfänd Verfallspfand ist, ersehen wir
doch aus einer Urkunde aus dem Jahre der normannischen Er-
oberung, daß die Hyperocha, d. h. der Wert der verpfändeten Sache,
der die Schuld übersteigt, für das Seelenheil des Schuldners ver-
wendet werden soll. Hierin liegt der Gedanke, daß es sich um
eine Übertragung des Eigentums zu Pfandzwecken handelt.
•) Siehe Ketnble, Codex Dip., DCCCCLIII.
Ha sei! ine, Knglische* Pfandrecht
IO
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Zweites Buch
Die Zeit von der normannischen
Eroberung bis zum Ausgang des
Mittelalters
10*
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Erster Teil.
Der Formal- oder Wettvertrag.
Für den Zeitabschnitt, mit dem wir jetzt beschäftigt sind,
muß genau unterschieden werden zwischen den Verträgen, die vor
das geistliche Tribunal und solchen, die vor das weltliche Gericht
gehören und von dem einen oder anderen als gültig anerkannt
werden.
Man unterscheidet zwei Arten von Verträgen, die zur Jurisdiction
der geistlichen Gerichte gehören: 1. der Vertrag, der durch Eid
(juramentum, oath) und 2. der Vertrag, der durch interpositio
fidei (affidare, pledge of faith, pawn of one’s Christianity) ge-
schlossen wird '). Man unterscheidet drei Vertragsformen, die vor
das weltliche Gericht, das Gericht des gemeinen Rechts (court of
common law) gehören. Es sind dies: 1. der Vertrag der gericht-
lich protokolliert wird („contract of record“); J. der nicht formelle
Vertrag, der nicht immer notwendigerweise schriftlich abgefal.lt
sein muß, dem jedoch eine Gegenleistung (quid pro quo, „con-
sideration“) zu Grunde liegen muß („simple contract“); 3. der
schriftliche und gesiegelte Vertrag („specialty“, „deed“, „contract
under seal*)“).
Wir beschäftigen uns an dieser Stelle nur mit dem Formal-
vertrag und werden andere Vertragsformen nur insoweit berück-
sichtigen, als sie mit diesem in Beziehung stehen.
') Siche unten S. 153 ff.
*) Siche Neubockcr, Der abstrakte Vertrag. 8. 18—21: Heymann,
Knglischcs Privatrecht, Holtzendorffs Kncyklopädie (hrsg. von Kollier),
I, S. 825, 82G: Pollock, Principlcs of Contract, 5. Auflage, S. 131 — 165:
(llasson, Histoire du droit et des institntions de l’Anglcterrc, IV, S. 318
—320.
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150
Erstes Kapitel.
Der alte Formal- oder Wettvertrag.
Wir haben bereits die Gründe angegeben, die uns zu der
Annahme veranlassen, daß die fides facta oder pledge of faith
als ein Fonnaivertrag ihren Ursprung in der Zeit der Angel-
sachsen hat1). Aber erst in der Zeit, die der normannischen Er-
oberung folgt, erreicht dieselbe ihre höchste Entwicklung durch
die Kirche. Die fides facta wird die Quelle ernster Konflikte
zwischen den geistlichen und weltlichen Tribunalen, und trotzdem
es ihr nicht vergönnt war, sich zum Formalvertrag des weltlichen
Rechts *) zu entwickeln, hat sie doch in meisterhafter Weise das
englische Recht der nachfolgenden Jahrhunderte beeinflußt3).
Die fides facta erscheint in mehreren Zweigen des Rechts
während der Periode nach der normannischen Eroberung, gleichwie
uns der ältere Formal- oder Wettvertrag in verschiedenen Zweigen
des angelsächsischen Rechtes entgegentrat4).
Die fides facta im öffentlichen Recht. 1. Wir finden sie
in Verbindlichkeiten politischen oder öffentlichen Charakters.
William Rufus. in Furcht, daß Lanfranc ihm die kirchliche Weihe
verweigern würde, versprach ihm fide sacramentoque Gnade,
Gerechtigkeit und Billigkeit walten zu lassen. William of El.v,
Johanns Kanzler, unterstützt durch das gegebene Wort (plighted
faith) einiger Anhänger des Ersteren, versprach gewisse Burgen
zu übergeben. König Heinrich III. war es, der seine eigene
Person verpfändete fide et juramentis, daß er gewisse von ihm
bereits verliehene Rechte (grants) nicht zurücknehmen würde4).
1. Die fides facta (pledge of faith) tritt im Laufe des Prozesses
') Siehe oben S. 611— 113.
*) Siehe Pollock und Maitland, Hist. Eng. Law., 11, S. 202.
3) Hier ist z. H. zu beachten der Einfluß der fides facta auf das
englische Billigkeitsrecht (Equity). Siehe Pry, Specific Performance and
Laesio Pidei, L. y. R., V, S. 241.
*) Für das angelsächsische Hecht siehe oben S. 69 — 113.
s) Siehe Pry a. a. 0., S. 238. Siehe auch Pollock and Maitland
a. a. O., II, S. 190, 191.
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151
auf. Ein Beauftragter (essoiner), der abgeschickt wurde, jemand,
der vor Gericht geladen war, dort zu entschuldigen, versprach
durch fides facta die geladene Person zur rechten Zeit zur
Stelle zu bringen und daß der Geladene dann persönlich seine
Entschuldigung Vorbringen und durch seinen Eid die von dem
Beauftragten jetzt abgegebene Erklärung beglaubigen würde. Die
fides facta kommt auch in der Praxis des Schatzkanzleramtes
(Exchequer) vor. Der Inhaber eines Kronlehens (tenant in capite)
erhielt weitere Stundung seiner Zahlung, indem er persönlich oder
durch die Hand seines Verwalters (steward, oeconomicus), sein
Wort gab (fides facta), daß er Zahlung an das Schatzkanzleramt
(Exchequer) leisten würde, sodald der Sheriff seinen Bericht
(account) abgefaüt haben würde. In solchem Falle mußte der
Schuldner (tenant) oder sein Verwalter (steward) seine Hand in
Gegenwart aller Prozessierenden (suitors) vor dem Grafschafts-
gericht in diejenige des Sheriffs legen. Ein Grundherr, der sich
der Zahlungsversäumnis schuldig machte, wurde im Schatzkanzler-
amte (Exchequer) zurückgehalten, solange als die Sitzung dauerte,
und er mußte sich verpflichten fide data in manu mareschalli,
daß er sich ohne Erlaubnis der Richter (barons) nicht weiter als
drei Meilen von der Stadt entfernen würde. Verweigerte er auch
in der Folge die Zahlung, so wurde er zurückgehalten sub libera
custodia. Pro fide laesa konnte aber ein Soldat oder ein
Verwalter (steward) mit Gefängnis bestraft werden ').
Bei Betrachtung dieses Gegenstandes müssen wir darauf achten,
daß das wed und die fides facta in dem Rechtsgange dieser
Periode viel von ihrem alten vertragsmäßigen Charakter verloren
haben. Pollock and Maitland sagen bei Besprechung des
Rechtes dieser Periode *) : „Within a sphere raarked out for it by
ancient law, the symbolic wed was still used. This sphere we
') Bracton, f. 337, 338: Fry a. a. 0., S. 237, 238. Bracton f.
337 b, 338: Ideo aftidabit essoniator qtiod babcbit dominum suum ad alium
dicm ad warrantizandum dictum 4c cssonium suum, 4c ad probandum pur
sacramuntum quöd tali iiifinnitatu detcntus fuit . . . Sieb« ferner: Mait-
land, The Court Baron (Seid. Soc.), S. 16 — 18: Carter, English Legal
History, 8. 1.
*) Pollock and Maitland, Hist. Eng. Law, II. S. 202.
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15*2
may call tlint of the ,procedural contract1 made in the course nl
litigation, the contract to appear before the court, the contract
to abide by and fulfil its award. By this time justice had grown
so strong that these engagements were hardly regarded as con-
tracts : but, least in theory, men found gage as well as pledge
lor their appearance in court, and when they were there they
,waged* battle, or ,waged‘ their law, or ,waged* an amerceinent,
by the delivery of a glove or some other symbol. In the exche-
(juer and in other courts men were constantly pledging their faith
(atfidare) that essoius would be warranted, that pleas would be
prosecuted and the like; but they were ceasing to think that in
such cases the court's power to punish a defaulter was given to
it by agreeinent
Die fides facta kommt auch im Privatrechte vor. 1. Wir
finden sie im Immobilarrecht in Verbindung mit dem maritagium,
d. h. Land, welches einer Frau als Heiratsgut mitgegeben wurde.
Wenn das Land als maritagium servitio obnoxiuin übergeben
wurde, war der Mann und die Erben der Frau dem Grundherrn
Dienst schuldig, aber ohne Verpflichtung zur Huldigung (homage)
bis zum dritten Erben. Nichtsdestoweniger waren jedoch die Frau
und ihre Erben dem Grundherrn Lehnstreue (fidelity) sub fidei
vel sacramenti in terposit ione schuldig, was praktisch in den-
selben Worten wie die Huldigung (homage) zum Ansdruck kam*).
Wiederum gestatteten die Gerichte des gemeinen Rechtes im Falle
des maritagium eine Ausnahme von der Regel des gemeinen
Rechts, daß selbst wenn fides facta (fidei interpositio) vorlag,
um eines weltlichen Lehens llay feei willen nicht vor dem geist-
lichen Gerichte geklagt werden konnte. Wollten die Frau oder
ihre Erben das Land von einem Fremden zurückerhalten, st) mußte
• die Klage vor dem weltlichen Gerichte (lay court) anhängig ge-
macht werden : handelte es sich jedoch nicht um eine Klage gegen
einen Fremden, sondern um eine solche auf Herausgabe seitens des
') Wenn der Sheriff vom Gericht aufgefordert wird: Pone per va-
dium et sbIvob p legi os, so nimmt er, wie cs scheint, nur die letzteren,
d. h. die bürgen. Pollock and Maitland, a. a. 0., 11, S. 203, Anm. I.
*) Glanvill, VII, c. 18: Fry , a. a. ().. S. 236. Siehe Bornes,
Translation of Glanville, Beates Ausgabe, 8. 157, Anm. 5.
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153
Belehners (donor) oder dessen Erben, dann hatte der Kläger die Wahl
vor dem weltlichen oder vor dein geistlichen Gerichte zu klagen;
gegen die Jurisdiktion des letzteren machte das königliche Gericht
keine Einwendung l). 2. Fides facta (fidei interpositio, pledge
of faith) kam vor bei Privatgeschäften verschiedener Art. Wenn
jedoch die fides facta der einzige Beweis einer Schuldforderung
(debt) war, so war dem Gläubiger keine Möglichkeit geboten,
den Prozeß vor den Gerichten des gemeinen Beeiltes zu ge-
winnen *).
In der Tat scheinen die Gerichte des gemeinen Rechts, von
einer fidei laesio absolut keine Notiz genommen zu haben, aus-
genommen wo es sich um ein maritagium oder um Vorgänge
handelte, die vor das Exchequer-Gericht gehörten und von denen
wir im Vorstehenden gesprochen haben3). Die geistlichen Gerichte
scheinen jedoch die Jurisdiktion über Kontrakte in den folgenden
Fällen beansprucht zu haben: 1. Wenn einer der Kontrahierenden
Geistlicher war; 2. wenn ein Eid geschworen worden war; und
3. wenn eine fidei interpositio vorlag. Wenn die durch Eid
oder fides facta übernommene Verpflichtung verletzt worden war,
so scheint die Jurisdiktion des geistlichen Gerichtes durch Er-
mahnung (admonition), Auferlegung von Buße (penance) und wenn
die Partei den Anordnungen des Gerichtes den Gehorsam ver-
weigerte. selbst durch Exkommunikation ausgeübt worden zu sein.
Aber in allen den Fällen, wo die geistlichen Gerichte die Juris-
diktion beanspruchten, trotzdem es sich um nicht kirchliche An-
gelegenheiten handelte, haben die weltlichen Gerichte, mit Aus-
') Glanvill, VII, c. 18: Fry, a. a. 0., S. 236, 237.
*) Siehe Fry, a. a. O., S. 237, 240. Vergleiche Phillips, Englische
Reichs- und Hechtsgeschichte, II, S. 22.7, 226, uud die Erörterung von
Pollock and Maitland, Hist. Engl. Eaw., II, 8. 184 —233.
5) Fry, a. a. 0., S. 239, scheint Ihr den Augenblick das maritagium
außer Acht gelassen zu haben, wenn er sagt: „In England, with the single
exception of the proceedings in the Eichequer to which I have referred, I
cannot lind that any lay Court took any cognizance of a fidei laesio, wbilst
the Canon Law . . .• Fry selbst jedoch hatte kurz vorher das maritagium
als eine Ausnahme von der allgemeinen Kegel des gemeinen Rechtes erörtert.
Siehe a. a. 0., S. 236, 237.
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154
nähme der eben erwähnten Fälle, dagegen ein Verbot (prohibition)
erlassen ’).
Infolge davon entstand dann ein großer Streit zwischen der
Gerichtsbarkeit der Kirche und derjenigen des Staates. Es war
kein Streit, wo es sich uin die Frage handelte, oh die eine oder
die andere Macht gänzlich ausgeschlossen werden sollte. Vieles
wurde vom Staate als rechtmäßig zur Jurisdiktion der Kirche, .
vieles von der Kirche als zu Recht vor die weltlichen Gerichte
gehörend anerkannt *). Doch gab es viele Fragen, die von keiner
von beiden Seiten der anderen zugesprochen wurden, weder von
Heinrich der Kirche, noch von Hecket dem Staate, und die wirk-
lich hochwichtige fundamentale Frage war die, wer in solchen
zweifelhaften Fällen darüber zu entscheiden hatte, wo der Fall
verhandelt werden sollte5). Die Kirche verlangte die Jurisdiktion
in allen den Fällen, wo es sich um Verletzung des Eides oder
um fides facta handelte, gegen welches Verlangen sich der Staat
entschieden widersetzte.
Mit der Geschichte dieses Streites über Eid und fides facta
können wir uns weiter nicht befassen, und ist dies auch für
’) Bracton, f. 40fib, 407: Fry, a. a. ()., S. 239. Glanvill, X, 12:
IM« autein statuta, debitore apparente in curia, crcditor ipsc si non habest
indc vadium nec plegios nec aliam diracionationcm nisi solam fidcm, nulla
cst liacc probatio in curia Domini Iiegis. Vcrumtamen de lidei lesione vcl
transgrossione indc agi poterit in curia Christianitatis. Sed judex ipsc
ccclesiasticus, licet super criminc tali possit cognoscerc ut convicto poeni-
tentiam vcl satisfactionem injungerc: placita tarnen de debitis laicorum vcl
de tenementis in curia Christianitatis per assisaui regni. rationc lidei inter-
positae, tractare vcl terminare non potest. Beispiele von Untersagungen
(prohibitions) sind zu linden in Bracton's Note Hook. Fry, a. a. 0., 8. 239,
weist darauf hin, daß wenn die Ansprüche der geistlichen Gerichte aner-
kannt worden wären, sic schließlich die Jurisdiction über fast alle Dinge
des gewöhnlichen Lebens an sieb gerissen haben würde.
’J) Die Doktrin der königlichen Richter drückte sich dahiu aus. daß
nur Angelegenheiten religiöser Natur (spiritual matters) unter die Juris-
diction der geistlichen Gerichte gehörten. Siehe die Stellen citicrt von
Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 201, Annt. 5. Dies scheint testa-
mentarische und Khesachen eingeschlossen zu haben. Siehe Pollock and
Maitland a. a. 0., S. 202.
’) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 198.
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unseren gegenwärtigen Zweck unnötig '). Es genügt hier zu
zeigen , daß der Formalvertrag nach Kirchenrecht geschlossen
wurde 1. durch Eid, oder 2. durch fides facta, die Verpfändung
seines christlichen Glaubens seitens des Versprechenden. Obgleich
der Eid und die fides facta zuweilen sich sehr ähnlich sehen
mögen, müssen sie nichtsdestoweniger doch scharf auseinander
gehalten werden s). Eide mußte es geben ; aber die Kirche war
froh, eine bindende Vertragsform zu besitzen, der der christliche
Glaube zu Grunde lag, die aber trotzdem kein direkter Eid war *).
Die fides facta wurde zuweilen von dem Beteiligten selbst,
zuweilen aber auch von seinem Stellvertreter betätigt. Die fides-
Verpfandung kann durch den Beteiligten selbst in Gemeinschaft
anderer, die sich zu seinen Mitbürgen erbieten, geschehen.
Manchmal werden Zeugen herbeigerufen; zuweilen auch die formelle
Zeremonie vor dem Grafschaftsgericht oder einer anderen bekannten
Körperschaft vorgenommen 4).
Die fides facta wird gewöhnlich durch eine manuelle Hand-
lung betätigt; oft besteht diese im Handschlag4). Das Gelübde
(faith) wird bald auf dem Altar niedergelegt, bald in die Hände
eines Dritten, eines Bischofs, eines Abtes, eines Sheriffs oder eines
•) Bio beste Darstellung des Streites ist bei Pollock and Maitland .
a. a. 0., II, c. V, xu finden. Siehe Blackstone, 1. Auflage. IV, c. IV.
J) Fry, a. a. O., S. 238; ,Tlie plighted faith was not an oath: souie-
tiincs it was the alternative for an oath: sometitnes thc oath and the
plighted faith werc both given. But so closely did the two things get toge-
ther in practice that the Word which the mcdiaeval writers use to describe
timt a man had plighted his faith — aflidavit — we use to describe the
fact that a man has sworn.“ Siehe auch Pollock and Maitland. a. u. 0.,
II, 8. 189, 190.
3) Siche Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 189.
*) Fry, a. a. O., S. 238.
4) Fry, a. a. 0., R. 238: Pollock and Maitland, II, S. 188, 191,
192, 202; Blackstone, 11, 448. Pollock and Maitland sagen über den
Handschlag a. a. 0., S. 188: „It is possible to rcgard this as a relic of a
morc elaboratc ceretnony by which sonte material wed passed front Itand
to hand: but thc mutuality of thc hand-grip secuts to makc against this
explanation. We think it more likely that the protnisor prolfered his hand
in the nante of hintself and for the purpose of devoting himself to thc god
or the godess if bc broke faith.“
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156
Verwalters (steward)1). Zuweilen wird die fides direkt in die
Hand des das Versprechen entgegennehmenden und nicht in die
Hand eines Dritten niedergelegt, und in diesem Falle vermischt
siel; die Zeremonie mit derjenigen des gegenseitigen Hand-
schlags a).
Wie war es aber in dem Falle, wo der manuelle Akt, der
die fides facta begleitete, den Heistand von drei Personen er-
forderte? Im alten germanischen Rechte machte die fides facta
den Bürgen zum Hauptschuldner und in der Tat zum einzigen
Schuldner des Gläubigers, dann der Besitz des wed seitens des
Bürgen berechtigte den Letzteren, den wirklichen Schuldner zur
Zahlung zu zwingen3). Aber in dem Zeitraum, der hier in Betracht
kommt, nimmt die dritte Person, zuweilen genannt fideiussor,
keine Haftung (legal liability) für das Versprechen aut sich. Hin
und wieder wurde von dem Versprechenden Gott als Bürge an-
getragen und in dieser Form scheint der Vertrag die alte Gott-
Verbürgung (god-borh) der angelsächsischen Zeit zu sein*).
Aber in den meisten Fällen war der mediator oder fideiussor,
wie wir eben gesehen haben5), eine mit Amtsgewalt ausgerüstete
Person, ein Bischof oder ein Sheriff, die den Versprechenden durch
die ausübende Gewalt ihres Amtes, z. B. durch eine kirchliche
Rüge (censure) oder durch eine von weltlicher Seite verfügte
Pfändung zwingen konnte, das in ihre Hände niedergelegte formelle
Versprechen (fides facta) einzulösen6).
') Siehe Fry, a. a. 0., S. ‘237: Pollock and Maitland, a. a. O., II,
8. 18!)— 132, 197, 198.
*) Pollock and Maitland a. a. O., II, S. 191, 192.
*) Siche oben, S. 69ff. : Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 191.
4) Siche unsere Erörterung oben S. 95, 9fi.
3) Siche oben S. 151.
6) Pollock and Maitland, a a. 0., II, S. 191, 197, 198.
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157
Zweites Kapitel.
Oer neue Formalvertrag.'
Die fides facta mit ihrem Handschlag, ihrer Übergabe des
Stabes (rod) oder des Handschuhes und anderen Förmlichkeiten
möge wohl ihre Bedeutung vor den kleineren lokalen Gerichts-
höfen (local courts) des Mittelalters gehabt haben, aber sie wurde
nicht zum Fonnaivertrag des gemeinen englischen Beeiltes '). Das
klassische englische Vertragsrecht muß in der Geschichte ver-
schiedener Klagen verfolgt werden, ganz besonders in den Klagen
genannt: Debt, Covenant, Account und Assumpsit. Jedoch können
wir auf diese Geschichte hier nicht eingehen, denn sie ist zu lang
und zu verwickelt*). Es genügt hier anzuführen, daß die drei
Vertragsforinen des englischen gemeinen Rechtes, deren Wurzeln
bis tief ins Mittelalter reichen, wie wir bereits oben erwähnten,
die folgenden sind: 1. der contract of record, 2. der simple con-
tract, und 3. der contract ander seal :t). Die erste dieser drei
Vertragsformen werden wir hinreichend bei Besprechung der Hypo-
thek berücksichtigen4). Die beiden anderen wollen wir hier unter
Bezugnahme auf die spätere Entwickelung des englischen Formal-
vertrages kurz erörtern5).
I. Der nicht formelle Vertrag (simple contract).
Zuerst müssen wir bemerken, daß zur Zeit Glanvills nicht
jener Unterschied zwischen dinglichen und persönlichen Rechten
■) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S, 202, 203, 219. Siehe auch
Phillips, Englische Reichs- und Rechtsgeschichte, II, 8. 225, 226: Mait-
land, The Court Baron (Seid. Soc.), S. 116, und was Pollock and Mait-
land, a. a. O., S. 202, sagen betreffs des Glanvill'schen Pfandes in dieseui
Zusammenhänge.
a) Bezüglich der Geschieht« dieser Klagen siehe Ames, Hist, of
Assuuipsit, HLR.. II, 8. 1, 53: Jetiks, Consideration : Salinond, Essays
in Jurisprudence and Legal History, S. 174 — 224: Pollock and Maitland,
a. a. O., 11, S. 203—233: Pollock, Principles of Contract, 5. Aufl., S. 131 — 144.
Siohe auch eine kurze Bezugnahme auf diese Klagen in unserer Einleitung,
oben S. 33— 37.
J) Siehe oben S. 38, 149.
*) Siehe unten im dritten Teil.
5) Siehe auch unsere Einleitung, oben S. 37, 38.
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ir>8
(real and personal rights) und zwischen dinglichen und per-
sönlichen Klagen (real and personal actions) existierte, wie in
dem Rechtssystem späterer Zeiten. In den Worten Pollocks
and Maitlands: „The hold crudity of archaic thought equates
the repayment of an equivalent sum of money to the restitution
of specific land or goods. To all appearance our ancestors could
not conceive credit under any other form. The claimant of a debt
asks for wliat is his own“. Und so kam es, daß die Schuldklage
(Debt) eine dingliche (proprietary) Klage war und es existierte keine
dingliche (proprietary) Klage für die Wiedererlangung einer be-
weglichen Sache im strikten modernen Sinne von Dinglichkeit
(proprietary) ').
Der Jude aber und der lombardische Kaufmann lehrten dem
englischen Volke Geld zu verleihen und beim Verkaufe von Waren
Kredit zu geben; die Klage Action of Debt wurde nach und nach
immer weniger dinglich und durch diese Tendenz kommt das
Streben nach einer persönlichen Verbind liclikeit mit der Zeit immer
mehr zum Ausdruck. „Debt“, die Idee einer persönlichen Ver-
pflichtung (persona] Obligation), trennt sich langsam vom „detinue“,
der Auffassung des dinglichen Rechtes (proprietary right)*).
Commodatum und mutuum fangen an statt eines zwei ver-
schiedene Dinge zu bedeuten3).
Die Klage Aktion of Debt entsprang gewöhnlich einem Dar-
lehensgeschäfte, aber sie diente auch dazu, den Preis für verkaufte
Waren zu erhalten. Glanvills Schilderung des Vertragsrechts
war rein germanisch, trotz einiger römischer Phrasen, und er be-
richtet uns, daß wenn jemand einen rechtlich bindenden Verkam
abschließen wollte, entweder die Ware fibergeben, volle oder Teil-
') Pollock and Maitland a. a. O., II, S. 204. 205. Die gleiche An-
sicht Hullern Holmes, The Common Law, S. 2 52 und Salmond a. a. 0.,
S. 175. Diese Ansicht scheint die allgemein verbreitete bczgl. des alten
deutschen Rechtes zu sein, obgleich Heuslcr in seinen Institutionen, I,
S. 377— 3!)ß, entschieden die entgegengesetzte Meinung vertritt.
’) Sobald in der Klage Detinue ein Urteil ergangen war, stand es dem
Beklagten frei, zwischen einer Rückgabe des geliehenen Gegenstandes und
der Zahlung einer entsprechenden Summe zu wählen. Pollock and Mait-
land a. a. ()., II, S. 206.
3) Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 206, 207.
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159
Zahlung erfolgen oder ein Draufgeld (eamest) ') gegeben werden
mußte. Die Zeugen bei der Handlung (transaction witnesses) aus
der angelsächsischen Zeit sind fast ganz verschwunden mit dem
Aufgeben der Vorsichtsmaßregeln (collateral precaution), zu welchem
Zwecke sie ursprünglich da waren*).
In dieser frühen Zeit des englischen Rechtes war das Drauf-
geld (eamest) kein Teil der Kanfsumme. Wie nach altem deutschen
Rechte, war es eine von dieser getrennte bestimmte Zahlung an den
Verkäufer, um diesen davon abzuhalten, den fraglichen Gegenstand
an einen anderen zu verkaufen oder zu übergeben. Verfehlte in
den Tagen Glanvills der Käufer, das Geschäft perfekt zu machen,
so resultierte hieraus nur der Verlust des Draufgeldes; und ob-
gleich der Verkäufer kein Recht hatte, vom Geschäft zurückzu-
treten, so ist aus Glanvills Darstellungen doch nicht zu ersehen,
welche Ruße (penalty) darauf ruhte. Bracton und Fleta sagen,
daß bei einem Zurücktreten vom Geschäft seitens dos Verkäufers
Zurückzahlung der doppelten Draufgeldsumme die Folge war.
Fleta meint, daß die lex inercatoria den Verfall von fünf
Shilling für jeden Farthing des Draufgeldes vorschrieb. Hier-
durch wird das Abschließen von Verträgen so gut wie unmöglich
gemacht, und es ist in der Tat, nach den Worten Pollocks und
Maitlands, „among the merchants that the giving of eamest first
loses its old character and becomes a form which binds both buyer
and seller in a contract of sale“. In England, wie im ganzen
westlichen Europa wird das Draufgeld zum denarius Doi; und
Eduard I. bestimmt in seiner Carta Mercatoria, daß bei Ge-
schäften zwischen Kautleuten der denarius Dei so bindend wirken
soll, daß keine der Parteien vom Vertrag zurücktreten kann. Das,
■) Obgleich der Ursprung des Wortes eamest er ernes ziemlich in
Dunkel gehüllt zu sein scheint, so ist derselbe möglicherweise doch durch
die Formen arles, erles, ernes, auf das Wort arrula, einem Diminutiv
von arra znrückzufnhren. Siche Pollock and Maitland, a. a. 0., 11,
S. 208, Anm. 2.
*) Glanrill, X, 14; Pollock and Maitland a. a. 0., II. S. 207.
Siehe Glasson, Histoirc du droit et des institntions de l'Angleterre. II,
S. 305 — 31!l. Pollock and Maitland sagen a. a. O., 11, S. 207, Anm. 3,
daß Bracton, f. til b, fast den gesamten GlanvilTschen Text in seine Kr-
örterungen aufgenommen bat.
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was ehemals lex mercatoria war, wurde später in England die
englische lex commune').
Zur Zeit Eduards I. scheint der Zweck der Klage Action of
Debt hauptsächlich gewesen zu sein 1. ausgeliehenes Geld, 2. den
Preis für verkaufte Waren, 3. rückständige Rente aus Verpachtung
auf Jahre (leases for years), höchst selten dagegen um rückständige
Rente aus Freehold-Besitz einzutreiben: ferner 4. um fälliges Geld
von einem Bürgen und 5. um den Betrag einer Schuld auf Grund
einer gesiegelten Schuldanerkennung zu erhalten. Trotzdem gab
es keine Theorie, welche diese Klage auf die vorstehenden Fälle
beschränkte und das Vorliegen einer vertragsmäßigen Verbindlich-
keit war nicht gerade notwendig, und es dauerte nicht lange, so
wurde sie angewandt, wenn immer jemand einem anderen eine
feste Summe („sum certainu) schuldete. Sehen wir aber für
unseren gegenwärtigen Zweck nicht allein von der Klage gegen
einen Bürgen mit ihrer besonderen Geschichte der Geißeln und
des Formalvertrags durch weds), sondern auch von dem Ver-
sprechen unter Siegel, von dem später die Rede sein wird, ab,
so finden wir, daß die Klage Action of Debt in solchen Fällen
erhoben werden kann, wo der Beklagte etwas — irgend einen
Gegenstand — von dem Kläger erhalten hat. Wahrscheinlich
fielen auch geleistete Dienste in dieselbe Kategorie wie verkaufte
und gelieferte Waren. Am Ende des 13. Jahrhunderts scheint
die Klage Action of Debt auf alle Fälle beschränkt worden zu sein,
wo der Kläger dem Beklagten irgend einen Dienst geleistet oder
letzterer einen materiellen Gegenstand vom Kläger erhalten hat,
') Bracton, f. 61b, 62: Pollock and Maitland a.a.O., II, S. 208, 209.
Entgegen der Ansicht von Sir Edward Fry äußern sich Pollock
and Maitland a. a. <>., II, S. 208, Anm. 2, daß die Bestimmungen über das
l*raufgeld bei (Ilanvill und Bracton nicht aus den römischen Rechtsbfichern
übernommen wurden.
Es ist möglich, daß in gewisser Hinsicht die lex mercatoria in
England „tonk a more liberal and modern view of contractual Obligation
than that which was taken by the common law“. Maitland, Select Pleas
in Manorial and Seignorial Courts (Seid. Soc.), I, S. 132. Siehe über die
lex mercatoria in England Carter, Early History of the Law Merchant
in England, LQR., XVII, S. 232 ff., und Carter, History of English Legal
Institutions, S. 250—270.
>) Siehe oben S. 69 ff., 150 ff.
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161
und wo in der Tat der Anspruch auf eine feste Summe lautete '),
wennschon jedwede Doktrin bezüglich eines quid pro quo einer
späteren Generation von Rechtsgelehrten Vorbehalten war.
Für die Advokaten zu Glanvills und ßractons Zeiten war das
bloße Versprechen kein Klagegrund (ground of action). Die
causae debendi der Advokaten waren Rechtsgeschäfte, wie Dar-
lehen, Verkauf und ähnliches, nicht bloße Versprechen *). Spätere
Theoretiker fanden, daß das allgemeine Element in diesen legi-
timae causae debendi das sei, was sie quid pro quo nannten
und die englischen Gerichtshöfe hielten sich strikte an das gemein-
giltige Prinzip des alten germanischen Rechtes im Allgemeinen *),
daß Gaben ohne Gegenleistung (gratnitons gifts) sich rechtlich
nicht aufrecht erhalten ließen und daß rein unentgeltliche Ver-
sprechen rechtlich nicht bindend waren und dies auch nicht sein
sollten4). Diese Doktrin des quid pro quo („consideration“) ist
bis auf unsere Zeit die Doktrin der englischen Juristen geblieben.
Ein nicht unter Siegel gegebenes Versprechen muß durch eine
Gegenleistung (consideration) Giltigkeit erhalten, da es sonst im
Rechtswege nicht aufrecht erhalten werden kann5).
') Pollock and Maitland, Hist. Eng. Law. II, S. 211.
Glanvill. X. 3: Utroqne vorn existente in Curia, is, qui petit,
pluribus cx cansis debituni putcre potcat, aut enim dubetur oi quid ex causa
uilltui , aut ex causu venditionis, aut cx coimnodato, aut ex locnto, aut ex
depositi. aut ex alia iusta debendi causa. Siehe Salinond a. a. O., S. 217.
3) Siebe von Ainira, Xordgermanisches Obligationsrecht: Heusler,
Institutionen, I, S. 81; Schroeder, DKG., S. G2.
*) Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 210 — 214.
Pollock and Maitland, a. a. ()., S. 213, An m. 1: .Tbc Statement
current in Knglish books of recent times tliat tbe solemnitr of a deed Im-
ports consideration* is liistorically incorrect, bnt shows tbe pcrsistance of
tbis idca“. Wabrscbeinlicb würde ein rein unentgeltliches Versprechen,
obwohl unter Siegel, im dreizehnten Jahrhundert nicht einklagbar gewesen
sein, „if its gratuitous charactcr had stood openlv revealed". Pollock
and Maitland, a. a. O., S. 213, 214.
s) Die Geschichte der .consideration“ ist von neueren liechtshistorikern
ausführlich behandelt worden. Siehe Am es, Historj of Assuinpsit, ULK.,
II, S. 1, 53: Ileale, Notes on Consideration, HLK., XVIII, S. 71 ff.: Jenks,
Doctrinc of Consideration: Pollock, l’rinciples of Contracts, 5. Ausg., An-
hang, Anm. K.: Pollock, Afterthoughts on t’onsideration, I.QK., XVII, S. 415:
Esinein, Un chapitrc de Phistoire des contracts en droit anglais, Nouvelle
revue historique de droit fraueais et etranger, 1893, S. 555: Hartmann,
Hazelttue, Englisches l'tancirecht II
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1(52
II. Der Formalvertrag (contract under seal).
Wir müssen uns für einen Augenblick mit der Klage Action
ol Covenant befassen, wenn wir etwas über die Anfänge des
Formalvertrages des englischen gemeinen Rechts, des niederge-
schriebenen und gesiegelten Vertrages, erfahren wollen.
Die Klage Writ of Covenant (breve de conventione) er-
scheint im amtlichen Protokoll (rolls) kurz nach der Veröffent-
lichung von Glanvills Werk und zur Zeit Heinrichs III. war die
Anwendung des Writ of Covenant bereits eine allgemeine. Es
wurde oft in Form eines Scheinprozesses zum Zwecke der Über-
. eignung von Land zur Anwendung gebracht, d. h. im Wege eines
endgültigen gegenseitigen Übereinkommens vor Gericht (final eon-
cord); und es war das Rechtsmittel des Jahrespiichters (termor)
während der frühesten Anfänge der Jahres Verpachtung (term for
years, lease for years, Verpachtung auf Jahre), zu welcher Zeit man
dem Jahrespächter nur ein obligatorisches Recht aus seinem Ver-
trage (benefit of agreement) zuschrieb, aber nicht dingliche Rechte
(real rights) am Lande selbst, und keinen Besitz (seisinor possession).
wie er dem Freeholder zustand. Später wurde es zu verschiedenen
Zwecken angewandt, und da die typische conventio, die Ver-
pachtung auf Jahre, langsam begann nicht nur ein obligatorisches
Recht (personal right) zu bedeuten, sondern auch ein dingliches
Recht (real right) am Lande, so dachte man, daß vielleicht andere
conventiones dingliche Rechte am Lande verleihen würden.
Rechte, die das Land selbst haftbar machen und Dritten gegen-
über bei einer späteren Belehnung (subsequent feoffees) geltend
gemacht werden könnten, obgleich das Statutum Walliae vom
Jahre 12N4 die Sache dahin entschied, daß eine frühere conventio
eine spätere Belehnung (feoffment) nicht ungültig machen kann.
Das Writ war dehnbar, da ihm strikte Grenzen nicht gezogen
waren. Die königlichen Richter konnten in der Tat „privatae
conventiones“ auf Grund dieses Writ als zu Recht bestehend
erklären. Die nachfolgende Einschränkung muß indes berilck-
Die Grundprinzipien der Präzis des englisch-amerikanischen Vertragsrechts,
Archiv für die civilistische Präzis, Bd. 77, S. 161 ff. Pollock and Mait-
land, a. a. 0., Amn. 2, sagen: „Mr. Arnes has put tlie snbject, from the
fifteenth Century downwards, on a nuw footing“.
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163
sichtigt werden. Eine Schuld (debt) muß aus irgend einer causa
erwachsen, aus irgend einem Rechtsgeschäfte (transaction), wie
Darlehen oder Verkauf, und sie muß durch die Action of Debt
eingeklagt werden. Die Klage Action of Covenant kann von dem
Kläger nicht anhängig gemacht werden, um eine Schuldforderung
(debt) einzutreiben, selbst wenn eine gesiegelte Urkunde für den
Beweis der Schuld beigebracht wird !).
Die Formalitäten des alten germanischen Vertrages, das wed,
das borh und der Handschlag, waren von den königlichen Ge-
richten, den Gerichten des gemeinen Rechtes, verworfen worden.
Obgleich eine Zeitlang Ungewißheit darüber herrschte, welche
Formalität, wenn überhaupt irgend eine, an Stelle der alten
treten sollte, und obgleich in England und anderswo Pacta sunt
servanda im Munde Vieler war, hatten die Gerichte des Königs
vor dem Tode Eduards I. ein für alle mal dahin entschieden,
daß nur dann das Recht aus einer conventio geltend gemacht
werden kann, wenn die conventio durch ein schriftliches und
mit dem Siegel der sich bindenden Partei versehenes Dokument
nachgewiesen werden kann. Der Kläger mußte eine gesiegelte
Urkunde („specialty“, especialte, aliquid speciale’; „deed“,
fet, factum) beibringen, oder die conventio, auf die er sich
stützte, hatte vor dem königlichen Gericht keine rechtliche Be-
deutung*).
Die vertragsbindende Handlung liegt in der Versiegelung und
Übergabe des Pergamentes. Dieser Formalvertrag der englischen
weltlichen Gerichte ist in der Tat nicht aus dem alten Volksrechte
hervorgegangen. Er war vom Continente nach England mit hin-
über gebracht worden. Das Siegel kam vom Hofe der fränkischen
Könige. Das Dokument rein obligatorischen Charakters wurde von
den italienischen Bankiers in England eingeführt3).
Wir beobachten somit in England die ganz allmähliche Ent-
wickelung und Umbildung des Formalvertrages. Aus der Über-
') Pollock aml Maitland, a. a. 0., II, S. 216 — 219.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, 219, 220.
3) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S.220 — 225. Mit diesen Formal -
Verträgen durch gesiegelte Urkunde (deed) und amtliche Protokollierung
(record) werden wir uns weiter befassen, wenn wir die fioachichtc der Hypothek
in England besprechen. Siehe unsere späteren Ausführungen im dritten Teil-
11*
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lf.4
gäbe eines materiellen Gegenstandes (wed) in der frühen Zeit der
Angelsachsen ist für das Kirchenrecht das eidliche Versprechen
und die fides facta und für das weltliche Recht die Siegelung
und Übergabe einer schriftlichen Urkunde zur bindenden Form
geworden. An der allgemeinen Umwandlung des Vertrages ersieht
man den Übergang von der Naturalwirtschaft der Angelsachsen
zur Geld- und Kreditwirtschaft einer späteren Zeit. Der Vertrag,
der auf die Verhältnisse eines Landwirtschaft treibenden Volkes
angepaßt war, ist allmählich fast ganz und gar von den Formal-
verträgen verdrängt worden, die besser geeignet waren für die
verschiedenen Verhältnisse und Bedürfnisse eines Volkes, das sich
mehr und mehr den Anforderungen des eingeführten Christen-
tums und dem Emporstreben von Handel und Industrie anpaßte.
Zweiter Teil.
Das Mobiliarpfandrecht.
In dem Zeiträume, welcher die Periode von der normanni-
schen Eroberung bis zum Ende des Mittelalters umfaßt, erscheint
das Mobiliarpfand 1. als genommenes Pfand (Pfändung.) und
2. als gegebenes Pfand.
Die eigenmächtige Pfändung zeigt sich uns in zwei großen
Klassen von Fällen: 1. in solchen, wo das Vieh bei der Anrichtung
von Schaden betroffen und dafür genommen wird (distress damage
feasant) und 2. in solchen, wo Mobilien genommen werden, weil
a) feudale Dienste oder mit persönlichen Leistungen verbundener
Grundzins (feudal Services or rent-service) und b) Erbzins (rent-
charge) im Rückstände sind. Pfändung von Mobilien wird auch
vorgenommen bei 3) rückständigen Forderungen der Krone und
4. im Prozeß. Die Pfändung im Prozeß ist für die vorliegende
Abhandlung nicht bearbeitet worden.
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lt>5
Erstes Kapitel.
Das genommene Pfand.
I. Retentionsrecht.
§ 1. Pfändung von Vieh wegen Schadenzufügung an Grundstücken
(distress for damage feasant).
Wir haben gesehen, daß unsere angelsächsischen Quellen über
die Pfändung von Tieren, welche bei der Anrichtung von Schaden
an Grundstücken betrotfen werden, sehr dürftig sind. Aber für
die Zeit, welche jetzt in Betracht kommt, stehen uns reichliche
Quellen zur Verfügung. Besonders von den klassischen Schrift-
stellern des dreizehnten Jahrhunderts (Bracton, Britton, Fleta)
finden wir diese Pfändungsform eingehend beschrieben.
Der Grundbesitzer kann das Vieh, welches seinem Eigentum
Schaden zufügt, zurückbehalten '), bis der Eigentümer des Viehes
entweder für den zugefügten Schaden Ersatz leistet oder Pfand
und Bürgschaft (gage and pledge) bietet, daß er Schadenersatz
leisten will*). Die Ptandung geschieht eigenmächtig und ohne
gerichtliche Beihilfe.
Der Pfändende muß naehweisen, daß er das Vieh nahm,
während es seinem Eigentum tatsächlich Schaden zufügte s).
Der Betrag für Schadenersatz wird bestimmt von angesehenen
Männern, welche von dem Eigentümer des Viehes zu der Stelle
berufen werden, woselbst sich die behaupteten Übertretungen zu-
getragen haben4). Wenn der Betrag für Schadenersatz nicht auf
diese Weise an Ort und Stelle bestimmt wird, so können Pfand
und Bürgschaft von dem Eigentümer des Viehes dafür gegeben
■) Bracton, f. 158: imparcavit illa. Britton, liv. I, chap. XXVIII,
§9: celes bestes fist chacer jekes a sa niesoiin «n mesine la vile, et illucs
leg detint. Siehe den Fall in Select l’Ieas in Manorial atid other Seignorial
Courts (Seid. Soc.), hrsg. von Maitland, I, S. 113. Über einen Fall aus
den Jahren 1308 — 9, wo ein Boot als damage feasant in einer aeveral
lishery genommen wird, siehe V. B. 2 und 3 Ed. II. (Seid. Soc.), hrsg. von
Maitland, S. 78, 79.
*) Bracton, f. 158; Britton, liv. I, chap. XXVIII, §9; Fleta, 101
(§25): Bracton’a Note Book, pl. 1680.
s) Bracton, f. 158: Britton, liv. I, chap. XXVIII, § 11: Fleta 101
(§26). Siehe Coke über Littleton 142a.
4) Bracton, f. 158.
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werden, daß Schadenersatz geleistet werden wird nach dem Anspruch
seiner Nachbarn bei der Gerichtsverhandlung. Die Bürgen müssen
in solchem Falle vermögende Leute sein (distrainable sureties),
welche durch Pfändung ihres Mobiliars gezwungen werden können,
vor Gericht zu erscheinen und für den angerichteten Schaden
Ersatz zu leisten1). Behält der Pfändende das Vieh auch zurück,
nachdem Pfand und Bürgschaft angeboten worden ist, so macht
er sich eines vetitium namii oder vee de nam genannten Ver-
gehens schuldig und kann durch eine von dem Eigentümer des
Viehes gegen ihn erhobene Klage zu einem in barem Gelde be-
stehenden Schadenersatz gezwungen werden*).
Es scheint als ob das Vieh, nachdem es gepfändet, worden
ist und bis zu der Zeit, wo es wieder an seinen Eigentümer
zurückgegeben wird, im Sinne des Gesetzes gleich Gegenständen,
welche für rückständige Dienste und Renten gepfändet wurden,
als in custodia legis betrachtet wird. Der Pfändende ist nicht
der Besitzer im juristischen, sondern nur im physischen Sinne,
und er hat kein Recht das Vieh zu verkaufen als Ersatz für den
Schaden, der seinem Eigentum zugefügt wurde1). Das Vieh wird
nur von dem Pfändenden einbehalten oder in einem öffentlichen
Pfandstall untergebracht bis Ersatz geleistet oder Pfand und Bürg-
schaft geboten wird. Der Grundeigentümer hat nur das Reten-
tionsrecht4).
') Bracton, f. 158; Britton, liv. I, chap. XXVIII, §§ 9, 10, 11:
Fleta 101 (§25).
*) Bracton, f. 155, I5li. 156b, 158b, 217b: Britton, liv. 1, cliap.
XXVIII, §§ 2, G— 8; Fleta 94, 95, 102 (§30): Pollock and Maitlaud
a. a. O., II, S. 524, 577, 578. Vgl. auch den Mirror of Justiccs (Seid. Soc.),
S. 70 — 73. Über die gänzliche Unzuverlässigkeit dieses sogenannten .Mirror
of Justices", eines wahrscheinlich kurz nach 1285 und vor 1290 geschrie-
benen Buches, siehe Maitlaud, Einleitung zu dem Mirror of Justices
(Seid. Soc.), sowie Pollock and Maitland, a. u. 0., I, S. 28. II, S. 177,
478 (Anm.).
*) Siehe Coke über Littleton, 47a: Holle, Abridgmont, I, 6G7
Blackstone, III, chap. I, § V: Pollock and Maitland, a. a. 0., 11,
S. 576: Bullen, a. a. 0., S. 12.
4) Betreffs des mittelalterlichen Hechts über diesen Gegenstand der
Pfändung von Tieren wogen Schadenzuffignng an Grundstücken (distress
damage feasant.) siche ferner Kollo, Abridgmcnt. I, S. G64, 6G5. Vgl.
Mirror of Justicos (Seid. Soc.), S. 13, 26, 70 — 73 und siche oben Anm. 2.
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167
Das Vieh, welches auf fremdem Grund und Boden betroffen
wird, wird eiubehalten, um den Eigentümer des Viehes dadurch
zu Schadenersatz zwingen zu können. Zur Zeit Bracton’s scheint
die ursprüngliche angelsächsische Auflassung, daß das Vieh selbst
ein Unrecht begangen und dafür Strafe zu erleiden habe, der
Auffassung, einen Zwang auf den Eigentümer des Viehes auszu-
üben, vollständig Platz gemacht zu haben.
Diese Form der eigenmächtigen Pfändung hat sich in England
bis auf unsere Tage erhalten und die ihr zu Grunde liegenden
Prinzipien sind im Großen und Ganzen dieselben wie im Mittel-
alter. Der Pfändende hat kein Gebrauchsrecht an den gepfändeten
Tieren und kein Recht sie zu verkaufen, um sich dadurch für den
erlittenen Schaden, der seinem Grundstücke zugefügt wurde, schad-
los zu halten. Der Pfändende hat sowohl nach heutigem, wie
auch nach dem mittelalterlichen Recht nur ein Retentionsrecht an
den gepfändeten Sachen ').
§ *2. Pfändung wegen nicht geleisteter feudaler Dienste und rück-
ständiger Rente (distress for Services or rent in arrear).
Pfändung von Mobilien für a) feudale Dienste oder für mit
persönlichen Leistungen verbundenen Grundzins und b) Erbzins
im Rückstand bilden die zweite große Klasse von Fällen, wo
Mobilien im Mittelalter eigenmächtig gepfändet werden können *),
aber bevor wir auf den Ursprung und die Entwickelung dieser
Klasse von Pfändungen näher eingehen, wollen wir einige ein-
leitende Worte über die Natur dieser Dienste und Renten voraus-
schicken.
Das Wort Rente (reditus, rent) bedeutet Ersatz für den
Besitz eines vererblichen Grundstücks tcorporeal inheritance); und
eine Rente wird betrachtet als ein gewisser oder bestimmter jähr-
licher Ertrag, der aus dem Lande ausfließt (profit issuing yearly
’) Für das mittelalterliche Recht siehe unsere späteren Ausführungen.
Für das heutige Recht siehe Bullen, Distress, S 172, 173, 257 — 276. Siehe
auch Blackstone, III, c. I, § V.
*) Eine kürzlich veröffentlichte lateinische Handschrift aus dem 14. Jahr-
hundort über die lex mercatoria in England enthält ein Kapitel betreffs
der Art und Weise auf Grund dieses Rechts Pfändungen vorzunehmen und
über den richtigen Pfandgewahrsam für nach der lex mercatoria gepfän-
dete Gegenstände. Carter, History of English Legal lustitutions, S. 283, 295
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ICH
out of lanti Feudale Dienste oder Renten werden als eine Be-
lastung ( „Charge upon the land“) des Grundstücks angesehen und
steht dem Gnindherm, im Falle die Rente oder der Dienst in
Rückstand geraten, das Rechtsmittel der Pfändung zu*). Diese
Dienste oder Renten werden fernerhin nach deutschem und eng-
lischem Rechte als un körperliche Sachen angesehen, welche Gegen-
stand von Gewere (seisina, seisin) und von Eigentumsrecht (jus,
right) sein können1).
Nach dem gemeinen Rechte gal» es nun drei verschiedene Arten
von Renten: 1. mit persönlichen Leistungen verbundener Grundzins
(rent-service), Erbzins (rent- Charge), 3. Rente ohne Plandungs-
recht (reditus siccus, harren rent, rent-seck) •). 1. Rent-service
bedeutet mit dem Grundbesitz zusammenhängende körperliche
Dienste (corporal serviee incident to the tenurei, wie Lehnstreue
(fealty) und außerdem eine gewisse Rente: und hier kann der
Grundherr, vorausgesetzt, daß er das Rückfallsrecht oder ein zu-
künftiges Recht (reversionary oder future iuterest) an dem Lande
hat, nach dem gemeinen Rechte (of common right, i pfänden, ohne
einen besonderen Vorbehalt bezüglich des Ptändungsrechtes zu
machen*). Im Falle von rent-charge (siehe 2. oben) hat auf der
andern Seite der Eigentümer der Rente kein zukünftiges Recht
an dem Lande. Rent-charge kann entstehen dadurch, daß jemand
seinen gesamten Besitzstand an einen andern und dessen Erben
(estatc in fee simple) übergehen läßt und sich eine Rente an dem
') Siche Williams, Real Property, S. 327 mul die Belegstellen in
Anm. 4, unten.
’) Siehe Williams, Real Property, S. fifi: hinsichtlich „rent-seck"
unsere hier folgende Erörterung. I ber Renten als Ueallasten nach deut-
schem Hecht siche Gierke. Deutsches Privatrecht, Rd. 11, S. 752 IT.
s) Siehe ferner unsere Erörterung S. 174 fT. und die dort ungezogenen
Belege.
4) Siehe Kracton, f. 203b: Littleton $$ öS, 213—217: Coke über
Littlcton 47, 142 — 144, löOb, lölb: Rlackstonc II, c. «3, X: Williams,
Heal Property, 8.326, 410. 417, 420, 421, 424. 425, 428, 430, Ö08, 50»:
Pollock and Maitland, History uf Knglish Law. II, S. 12‘J: !Hgby, Hist,
of Real Property, S. 238, 239.
s) Aus den Lehnsdiensten bat sieb mit derZeit das rent-service entwickelt.
Über die Forderung, daß das rent-serviee ein bestimmtes (certain)
sein soll, uni den Grundherrn in die Lage zu setzen, pfänden zu können,
vgl. Coke über Littleton 96».
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lfi'.l
Lande reserviert, wobei aber in die Urkunde (deed) eine Plandungs-
klausel (covenant giving the right of distress) aufgenommen werden
muß. In solchem Falle ist das Land selbst kral't dieser Klausel
und nicht nach gemeinem Hecht der Pfändung ausgesetzt, aus
welchem Grunde es auch rent-charge genannt wird !). 3. Rent-seck
ist einfach eine Rente durch Urkunde reserviert, aber ohne irgend
eine Pfändungsklausel (covenant giving the right of distress *). Wir
beschäftigen uns nunmehr mit der Geschichte der Mobiliarpfändung
ffir rückständige feudale Dienste und mit persönlichen Leistungen
verbundenen Grundzins, der ersten der drei Arten von Renten.
Das Recht des Lehnsherrn, das Mobiliar seines Lehnsmannes
zu pfänden, ist unzweifelhaft das wichtigste Beispiel der eigen-
mächtigen Pfändung im englischen Recht des Mittelalters, und
es spielt auch eine hervorragende Rolle im socialen und politischen
Leben in dem Zeitabschnitt, beginnend mit der normannischen
Eroberung bis zum Ende des Mittelalters, und in der Tat, man
kann sagen, bis auf unsere Tage. In der Neuzeit ist jedoch das
Recht dieser Form der Pfändung sehr wesentlich geändert worden,
wie wir sogleich sehen werden.
Wir haben soeben gesagt, daß diese Form der Pfändung eine
eigenmächtige sei; aber bis gegen Ende des dreizehnten Jahr-
hunderts war der Grundherr gezwungen, eine gerichtliche Erlaubnis
einzuholen, bevor er pfänden konnte. Es sind verschiedene solcher
Fälle aus der Zeit Heinrichs I. uachgewiesen, wo der Grundherr,
ehe er zur Pfändung für nicht geleistete Dienste schritt, den
■) Im rcnt - chargc haben wir da* beste Beispiel von „conventionary
law“ oder lex contractus. Siehe unsere früheren Ausführungen.
Kulten, Distress, S. 30, Anni. (f) : _It may be proper to observe herc
the diatinction botween a rent-charge and an annuity: the nne being
as we have seen a rent iuiposed upon und issuing out of lands: tho other,
a yearly payment of a certain sum of inoncy granted to another, and charg-
ed otily on the person of the grantor“. Siehe ferner Bullen a. a. 0.
S. 31, 32, 34, Anm. (d): Coke über Littleton 144b. Kin frühes Beispiel
einer durch Testament verliehenen Jahresrente (annuity mit Pfändungsklausel)
ist zu linden bei Furiiivall, The l’iftv Karliest Will* in the Court of Pro-
bate, London, A. I). 1387—1439, S. 63.
*) (Jibt es eine Ausnahme von der Vorschrift, daß bei rent-seck nicht
ge pfändet w erden darf ? Siehe Cok e über Littleton, 153a und Anmerkungen
Williams, Kcal Property, 8. 42U.
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('onsens des Gerichtes nachgesucht hatte ’). Auch aus späterer
Zeit, aus Glanvills Periode, liegen nocli keine Beweise einer
außergerichtlichen Pfändung vors). Glanvill erklärt, daß der
Grundherr für nicht geleistete Dienste pfänden kann, ohne eine
Ermächtigung (writ) seitens des Königs oder seines Richters
(justiciar) einholen zu müssen1). Aber dies muß augenscheinlich
in Betracht gezogen werden zusammen mit einem anderen Passus,
woselbst er sagt, daß Grundherren, ohne solche königliche Er-
mächtigung, aber auf Grund eines Erkenntnisses ihrer eigenen
Gerichte ihre Lehnsleute (tenants) durch Pfändung zur Leistung
der Dienste zwingen können4). Ist es dem Grundherrn immöglich,
seinen Lehnsmann selbst nach der mit Erlaubnis des Gerichts
des Grundherrn vorgenommenen Pländung zu zwingen, dann, sagt
Glanvill, darf der Grundherr, wenn er will, eine Ermächtigung
seitens des Königs oder dessen obersten Richters (chief justice)
einholen1). Selbst bis zur Zeit Bractons scheint es noch üblich,
wenn auch nicht notwendig gewesen zu sein, daß der Grundherr
ein Erkenntnis seines eigenen Gerichtes einholte, ehe er einen
Iiehnsmann pfändete6).
') Karitius e. Golselin, l’lacit» Ang.-Norui. 92 (A. I». 1106): Karitius
c. Hugh, a. a. 0., 109 (A. I). 1111 ?): The King c. Ifugli. a. a. ()., 110 (A.l*.
1111 ?); Bishop Kobert c. Men of W„ a. a. O., 139; Bigolow, Hist. Proced.
in England. S. 207, 208: Maitland, Select l'leas in Manorial and other
Seignorial Courts (Seid. Soc.) I, S. LVII, I.VUI. Siehe auch Custoins of
Newcastle-upon-Tvne, temp. Heinrieli 1, Stubbs, Select. Charters, 8. Aull..
S. 111. In dem ältesten Falle von Pfändung wegen rückständiger Schuld
in den Berichten (records) über Rechtsstreitigkeiten unter Heinrich I. —
Krmenold c. Abbot Faritns, Placita Ang.-Norm., 131 — wird nicht gesagt,
ob der Konsens des Gerichtes eingeholt worden ist oder nicht. Siehe Bige-
low, Hist. Proced. in England, S. 207 und Anm. 1, sowie unten S. 171, Anm. I.
*) Bigelow, Hist. Proced. in England, S. 208. Wie es scheint, kamen
auch außergerichtliche Pfändungen wegen Schulden, die nicht aus dem Lchns-
verhältnis zwischen Grundherrn und Lehnsmann erwuchsen, in England unter
der Regierung Heinrichs II. nicht vor. Siche Placita Ang.-Norm. 260
Bigelow, Hist. Proced. in England. S. 208, 209.
>) Glanvill, IX, 1.
*) Glanvill, IX. 8.
*) Glanvill. IX. 8. 9. Siehe Reeves, Hist, of Eng. Law, I, S. 174.
6) Bracton, f. 157b: Bracton's Note Book, pl. 2, 78, 270, 348, 370,
1207:*Maitland, Select Pleas in Manorial and other Seignorial Courts
(Seid. Soc.), I, S. LVIIl.
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Im dreizehnten Jahrhundert jedoch finden wir da.s Pfändungs-
recht der Grundherrn für rückständige Dienste oder Renten häufig
außergerichtlich ausgeübt, ohne Erlaubnis irgend eines Gerichtes ').
Der Schritt vom Vorgehen mit Erlaubnis des eigenen Gerichtes
bis zu einem solchen ohne diese Ermächtigung scheint in der
Tat ein leichter gewesen zu sein und scheint auch von den könig-
lichen Gerichten, welche allen feudalen Gerichten feindlich gesinnt
waren, begünstigt worden zu sein3). Vom dreizehnten Jahrhundert
bis auf den heutigen Tag ist die außergerichtliche Pfändung das
allgemein anerkannte Verfahren3).
Von Rechtsgelehrten sind hinsichtlich des historischen Ur-
sprungs von Mobiliarpfändung für Dienste und Renten im Rück-
stände verschiedene Ansichten geäußert worden*). 1. Eine Ansicht
geht dahin, daß hier die Pfändung des Mobiliars auf den Verfall
des Lehens (feud) zuriickgeführt werden muß. In der frühesten
Zeit des feudalen Systems genügte das geringste Versagen von
Seiten des Lehnsmannes, seine Lehensdienste zu verrichten, einen
vollständigen Verfall seines Lehens herbeizutühren. In einer
späteren Zeit jedoch wurde diese rigorose Maßregel etwas gemildert,
und zwar im Falle von Lehen, verbunden mit bestimmten Leistungen
(socagc holdings); beim Versagen der Dienste verfiel das Lehen
nicht, sondern der Grundherr nahm Besitz von dem Grundstück
und behielt solches bis seine Ansprüche befriedigt waren5). Diese
Handlungsweise war in Wirklichkeit kaum weniger bedrückend als
vollständiger Verfall, da es den Lehensmann gewöhnlich des einzigen
Mittels beraubte, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Im Laufe
der Zeit wurde die Pfändung auf das Vieh und andere bewegliche
') Siche Pollock and Maitland, a. a. O., II, 576. Bigclow nimmt
an, daLI cs sich in dem Kalle von Krmennld c. Abbot Faritius, I’lacita
Ang.-Norm. 131, unter der Kcgierung Heinrichs I. um die Pfändung eines
impotenten Lehnsmannes handelt, die auf das alleinige Verlangen des
Grundherrn vorgenommen wurde, und dali dies die Annahme zuläUt, dal! es
sich hier um den Ursprung einer eigenmächtigen, anUergerichtlichen (private,
non-judicial) Pfändung in England handelt. Higelow, Hist. Proced. in
England, S. 207, Anm. 1, sowie unsere Anrn. 1, oben S. 170.
*) Siehe Pollock and Maitland, a. a. 0., 11,8.576.
*) Siche Bullen. Distress, 8. 18.
*) Siehe K o 1 1 e, Abridgmcnt, 1,8.665.
5) Siehe unsere späteren Ausführungen.
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172
liefen stünde, welche sich auf dem betreffenden Grundstücke be-
fanden, beschränkt, das Grundstück selbst aber und mit ihm ge-
wisse Mobilien wurden in der Hand des Lehnsmannes belassen-
Die fortgenommenen Mobilien wurden zurückbehalten als ein
Mittel, den Lehensmann zu zwingen, seine Dienste auszuüben.
Dieses Mittel wurde späterhin auch ausgedehnt auf Lehen, die an
militärische Dienste gebunden waren (military tenures), obgleich
es hier bis zur Umwandlung des unbestimmten militärischen
Dienstes in eine bestimmte Summe Geldes, genannt „escuage,“
durch gesetz 4 Heinrich II, nicht in allen Fallen anwendbar
war’). 2. Fälle zweite Ansicht ist die, daß Pfändung für Dienste
oder Rente in Gebrauch kam als eine Ausdehnung der alten
Praxis, das Vieh, welches bei der Anrichtung von Schaden be-
trotfen wurde (damage feasant), fortzunehmen und zurückzubehalten,
bis von seinem Eigentümer Schadenersatz an den Eigentümer des
Grundstücks geleistet worden war2), ß. Eine dritte Ansicht ist
die, daß die Pfändung für Dienste oder Rente im Rückstände sich
sehr wohl aus diesen beiden Prozessen, d. h. Lehnsverfall und
Pfändung von Objekten damage feasant, entwickelt haben kann,
indem jeder Prozeß seinen Teil hierzu beigetragen hat. Diese
Ansicht wird von Hullen vertreten3). 4. Gilbert, der mehrere sehr
bekannte juristische Abhandlungen über Renten und Pfändungen
schrieb, sowie andere Juristen haben die Ansicht vertreten, daß
das englische Pfändungsrecht gänzlich aus dem römischen Rechte
') Bracton, 1. 3 p. 130: Spei ma n. s. v. K schart a : Hengham parva
c. 6; Rolle, Abridgment, I, 665: Hullen, Distress, S. 5 7. Siehe ferner
Uilbert, Rents, S. 3 — 5: Lenke, Digest, S. 24: Coke über Littleton, I, S
LXXXVIII, CLXIV, s. v. „Escuage.“
Während man nicht berechtigt ist. mit Bestimmtheit zu behaupten, daß
Pfändung wegen rückständiger Dienste oder Rente vor der Zeit Heinrichs I.
existiert hat, ist es doch wahrscheinlich, daß sic in England schon vor der
Eroberung als eine germanische Institution bestand. Hat sie aber in dieser
frühen Periode schon existiert, so ist fast mit Bestimmtheit anzunehmen,
daß nach den Vorschriften des Rechts über Pfändungen im allgemeinen, sie
nur mit gerichtlicher Befugnis ausgeübt werden konnte. Siehe Bigelow
Hist. Proced. in England, S. 20fi, 207. Seit der Zeit Heinrichs I. liegen hier-
auf bezügliche Beweise vor. Siehe oben S. 169, 170.
*) Siehe Bullen, a. a. 0., S. 4, 6,7.
3) Bullen, a. a. 0., S. 6, 7.
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173
übernommen worden ist1). 5. Andererseits wiederum ist man der
Ansicht gewesen, daß der historische Ursprung des grundherrlichen
Pfändungsrechtes am Mobiliar des Lehnsmannes eine sogenannte
hypotheca tacita ist8).
Pollock und Maitland haben in ihrem Werke, The History
of English Law, mit Hecht auf die Tatsache aufmerksam gemacht,
daß -im dreizehnten Jahrhundert das Recht des Grundherrn, zu
pfänden, noch immer gerichtlichen und prozessualen Charakter
hatte. Der Pfändung hatte manchmal die Erlaubnis des Gerichtes
noch voranzugehen. Der Grundherr durfte die gepfändeten Mobilien
nicht in Gebrauch nehmen oder verkaufen, welche in der Tat in
custodia legis waren, und welche ausgehändigt werden mußten,
sobald der Lehnsmann seine Rückstände zu begleichen sich erbot,
oder Pfand und Bürgschaft (gage and pledge) anbot, damit die
Angelegenheit vor Gericht zum Austrag gebracht werden konnte.
Die Pfändung war nur Zwangs- und Sicherungsmittel, nicht aber
ein Recht der Selbstbefriedigung8)
Wir möchten hier auch der Ansicht Ausdruck geben, obgleich
wir diese Meinung hinsichtlich des englischen Rechts sonst noch
nirgends vertreten finden, daß Pfändung für rückständige Dienste
oder Renten, wie denn überhaupt alle Pfändungen, ihren Ursprung
in dem angelsächsischen Wettvertrag haben. Rechtsgelehrte haben
gezeigt, daß nach germanischem Recht der Wettvertrag der Par-
teien vor Gericht eine Basis für die Pfändung abgab *); nnd ge-
rade diese Erlaubnis des Gerichtes, von der wir gesprochen haben,
dürfte sich in der Tat aus diesem Prinzip entwickelt haben. Es
liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß das angelsächsische Recht
vom germanischen Recht im Allgemeinen in dieser Beziehung
abwich, obgleich wir nicht in der Lage sein dürften, mit den uns
zur Verfügung stehenden dürftigen Quellen die Stufen zu ver-
') Gilbert, Rente, S. 3: siche hierüber auch Hullen, a. a. 0., S. 7,
Anin. (f). Dieselbe Ansicht wird ausgedruckt bei Bacon, Abridgment, tit. Rent.
*) Siebe Pollock and Maitland» Kritik über diese Ansicht in ihrer
History of Knglish I.aw, II, S. 576.
s) Siehe Pollock and Maitland a. a. 0., II, S. 576, und unsere
späteren Ausführungen. Siehe auch Brunner, DKG., II, S. 450, 451.
*) Siehe Gierke, Deutsches Privatrecht, I, S. 338, 339.
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1T4
folgen, gemäß welchen der Wettvertrag die historische Grundlage
wurde, aul welcher das Pfändungsrecht aufgebaut wurde1).
Sobald feudale Dienste nicht geleistet werden oder die Rente
im Rückstände ist, kann der Grundherr seinen Lehnsmann durch
Pfändung seines Mobiliars hierzu zwingen, d. h. der Grundherr
kann das seinem Lehnsmann gehörige Mobiliar fortnehmen und
einbehalten, bis der Lehnsmann seinen Verpflichtungen nachge-
kommen ist, oder Pfand und Bürgschaft gestellt hat, daß er Er-
satz leisten wird*).
Das Recht zu pfänden fließt nicht aus einem Eigentums-
recht (proprietary right), sondern aus dem Besitz der Dienste
und der Renten tseisin of the Services or rent). Das englische
Recht des Mittelalters ist, gleich dem germanischen Rechte auf
dem Kontinente, reich an unkörperlichen Sachen3). Permanente
Rechte, besonders, wenn sie räumlich begrenzt sind, werden als
Sachen ähnlich den Grundstücken angesehen. Infolgedessen wird
das Recht, von einem Lehnsmanne Dienste zu verlangen oder ihn
zu zwingen, seine Rente zu bezahlen, als eine Sache angesehen,
und zwar als eine solche, welche der Grundherr besitzen kann
(be seised of). Der Lehnsmann kann diesen Besitz dem Grund-
herrn widerrechtlich entziehen (disseise), dadurch, daß er sich
der Pfändung des Grundherrn widersetzt oder wenn er ungezwungen
Dienste für einen Anderen, der gegnerisch die gleichen Forderungen
stellt (adverse claimant), leistet. Werden dem Grundherrn solche
Dienste vorenthalten und er dadurch außer Besitz derselben ge-
bracht fdisseised), so kann er pfänden oder in der Tat die Besitz-
') Siche unsere Erörterung des angelsächsischen Wettvertrages, oben
im ersten Buche.
’) Bracton, f. 217; Littleton, §213. Wie es scheint, ist aber dem
Grundherrn keine Möglichkeit gegeben, zu pfänden, wenn die Rente am
letzten Tage vor Auflösung des gegenseitigen Verhältnisses fällig ist, denn
es kann nicht vor dem ersten Tage, nachdem die Rente fällig ist, gepfändet
werden: an diesem Tage ist aber hier das gegenseitige Verhältnis bereits
aufgelöst, und da zwischen dem Grundherrn und dem Lehnsmanne somit
keine Beziehungen mehr bestehen, aus denen sich das l’fändungsrecht”ergibt
(no tenancj to support the distress), so kann er eine Pfändung auch nicht
vornehmen. Siehe Coke über I.ittle ton. 47b, und Anmerkung (6) daselbst..
3) Die unkörperlichen Sachen im deutschen Rechte sind behandelt in
Heusler, Institutionen.!, 8.32!), und in Schröder, 1)RG., S. 712—714.
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175
klagen erheben. Er kann mir pfänden im Falle er nachweisen
kann, daß ihm der Besitz ans neuester Zeit znsteht (recent seisin)
und es genügt der Nachweis des Besitzes aus neuester Zeit, selbst
wenn dieser Besitz ein unrechtmäßiger (wrongful seisin) ist.
Wenn der Grundherr eine Klage wegen vor kurzem entzogenen
Besitzes an den Diensten (assize of novel disseisin) erhebt, so
werden in der Klageschrift (writ) die gleichen Worte gebraucht
als wenn ihm der Besitz den Grundstücks selbst vorenthalten
würde. Die Theorie des mittelalterlichen Rechtes ist, daß das
Land selbst die Rente schuldet, aber diese Rente wird natürlich
von dem Lehnsmanne bezahlt, und dieser darf dem Grundherrn
diesen Besitz nicht vorenthalten, ohne dafür zur Verantwortung
gezogen werden zu können1). Wie wir gleich sehen werden, kann
auf der andern Seite der Grundherr sich der Besitzentziehung
(disseisin) schuldig machen, z. B. wenn er den Lehnsmann ohne
Grund pfänden läßt.
Gegenüber dem juristischen Verhältnis des gepfändeten Mo-
biliars muß nun sorgfältig unterschieden werden zwischen dem
Besitz der feudalen Dienste und der Rente seitens des Grundherrn
und dem Besitz des Mobiliars seitens des Lehnsmannes. Der
Grundherr hat, wie wir gleich sehen werden, nur das Rententions-
rcht an dem gepfändeten Mobiliar und in der Tat befindet sich dies
im Sinne des Gesetzes in custodia legis.
Zuerst müssen wir jedoch den Akt der Pfändung selbst etwas
naher betrachten und zu den wichtigsten Fragen, die hier zu be-
rücksichtigen sind, gehören: Wann, wo, wie und was darf der
Grundherr pfänden?
Der Pfändende muß in allen diesen Dingen mit großer Vor-
sicht Vorgehen, denn sonst kann es leicht geschehen, daß er den
Lehnsmann oder irgend einen Fremden an seinem Besitz schädigt
(disseise) und daß er sich dadurch der Gefahr aussetzt, nicht nur
Schadenersatz an den Gepfändeten leisten zu müssen, sondern auch
Freiheitsstrafe und Geldbuße oder Geldstrafe (imprisonment and
fine) sich zuzuziehen *).
') Pollock and Maitland, a. a. O., II, 8. 124 — 149, 578. Vcrgl. 5 .B.
21—22 Edw. I., 8. 362.
Bracton, f. 217, 217b: Poll ock and Maitland, a. a. 0., XI, S. 577.
Siehe über Bussen (amerccments) und Freitsheitsstrafcn (iinprisoninent) im
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176
Wenn somit der Grundherr seinem Lehnsmanne gegenüber
zur Pfändung schreitet, ehe dieser in Rückstand ist, so wird der
Grundherr dadurch zum widerrechtlichen Besitzergreifer gegenüber
seinem Lehnsmanne (disseisor ’).
Pfändungen für rückständige Renten und Dienste müssen zur
Tageszeit vorgenommen werden; Viehpfändung (distress for damage
feasant) ist jedoch auch bei Nacht erlaubt, denn wenn die ge-
schädigte Partei bis zur Tageszeit warten wollte, so würde sich
das Vieh möglicherweise entfernt haben, ohne daß man seiner
habhaft wurde*).
Der Grundherr kann fernerhin nur gewisse Mobilien fortnehmen,
oder besser gesagt, es scheint, als ob alle Mobilien (personal
chatteis) gepfändet werden können, außer wenn sie aus diesem
oder jenem Grunde von der Pfändung ausgeschlossen sind5).
Wenn der Grundherr Sachen fortnimmt, welche der Pfändung
nicht unterliegen, oder wenn er verfehlt, die richtige Reihenfolge
einzuhalten, in welcher die verschiedenen pfändbaren Mobilien
fortgenommen werden dürfen, so macht er sich dadurch zum
widerrechtlichen Besitzergreifer (disseisor)4).
Der gepfändete Gegenstand muß in erster Linie ein solcher
sein, an welchem irgend jemand das Eigentumsrecht (property
right) hat. Ferae naturae, oder wilde Tiere, wie Hunde,
Hirsche, Rehe und Kaninchen können daher nach dem gemeinen
Recht des Mittelalters nicht gepfändet werden5). Selbst eine
englischen mittelalterlichen Kocht Pollock and Mai tland, a. a. (>., II, S. 513.
Ähnlich ist das mittelalterliche germanische Recht auf dem Kontinent, das
verfrühte, übermäßige oder rechtswidrige l'fandnahmc zuweilen als Diebstahl,
manchmal aber sogar als Itaub, oder als ein separates selbständiges Dulikt
ansieht und dem Russe auferlegt, der sich dessen schuldig macht. Siehe
Brunner, DR»J., II, S. 449. Siehe auch Ine, 9, Schmiil, (iesetze, S. 25.
■) Bracton, f. 217; Littlcton, § 213.
J) Coke über I.ittleton, 142a, unter Anführung mittelalterlicher Quellen.
Doctor and Student, 2. Buch, c. IX ; Blackstone, III, c. I, § V. Siche ferner
bezügl. der Zeit, zu welcher Pfändungen vorgenommen werden können. Rolle,
Abridgment, I, S. 671. 672. Vgl. auch den Mirror of Justices (Seid. Soc.),
S. 71 (und siche oben S. 166 Anm. 2).
3) Blaks tone, III, c. I, § V.
*) Bracton, f. 217.
5) Ooke über Littleton, 47a. unter Anführung mittelalterlicher Quellen.
Nach modernem Recht wenigstens kann Damwild zu Verkaufs- oder gewerb-
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Sache von Wert (valuable property) dar! nicht fortgenommen
werden, solange sie sich in Gebrauch befindet, z. B. ein Pferd,
das gerade geritten wird, oder die Axt in der Hand eines Holz-
fällers'). Weiterhin dürfen Gegenstände von Wert, die dem
Lehnsmanne nicht gehören, sich aber zu gewerblichen Zwecken
und mit Erlaubnis des Gesetzes in seinen Händen befinden, nicht
gepfändet werden: z. B. Tuch oder Kleider in einem Schneider-
laden, ein Pferd in der Werkstatt des Schmiedes, Säcke mit Koni
in der Mühle oder auf dem Markte; ferner wegen Beschädigung
von Grundstücken gepfändetes Vieh (distress damage feasant),
denn es befindet sich in gesetzlichem Gewahrsam (in custodia
legis*). Frei von der Pfändung sind auch Pflugtiere, die averia
carucae, die Axt des Zimmennanns, und die Bücher des Ge-
lehrten, denn nach den Grundsätzen des alten gemeinen Rechts,
soll niemand durch Pfändung seiner Utensilien und Werkzeuge,
deren er zu seinem Berufe bedarf, verlustig gehen. Dagegen sind
Waren oder Tiere, welche Bracton animalia (oder catella) otiosa
nennt, pfändbar3). Ferner kann nichts für rückständige Rente
gepfändet werden, das nicht in ebenso gutem Zustande zurückge-
geben werden kann, als es sich zur Zeit der Fortnahme befand,
so ist Koni in Garben und andere ähnliche Dinge von der Pfändung
ausgeschlossen4!. Wiederum können Sachen, die mit dem Haus
liehen Zwecken (salc or pro fit' in privater Einzäunung gehalten, gepfändet
werden. Anm. (11) bei Coke über Littleton, 47a: Hl ackst one, III. c. 1. § 5.
■) <’oke über Littleton, 47a, und Anm. (13) ebenda, unter Anführung
mittelalterlicher Quellen. Siche auch Blackstone, III, c. I, § V.
*) Coke über Littleton, 47a, und Anm. (14) ebenda, unter Anführung
mittelalterlicher Quellen.
*) Bracton, f. 217: Fitzherbert, Natura Brevium, 90 B: Coke über
Littleton, 47a, unter Anführung mittelalterlicher Quellen. Siehe auch Fleta
88— 93: Bl ack ston c, III, c. I, § Y.
Augenscheinlich durften jedoch zur Zeit Bractons und später Schafe
und Ochsen gepfändet werden, sofern nicht genügend andere Mobilien oder
zum Vergnügen gehaltene Tiere zur Pfämlnng vorhanden waren. Bracton
f. 217; Y.B. 21-22 Edw. I„ S. 134, 858: Blarkstone, III, c. I, § V. Siehe
aber auch Anm. (17) bei Coke über Littleton, 47a: Pigby, Hist. Real
Property, S. 247.
*) Bracton, f. 217; Coke über Littleton, 47a und Anm. (15), ebenda^
unter Anführung mittelalterlicher Quellen. Siehe Blackstonc, III, c, I, §V
Hazeltlne. Englisches Pfandrecht 12
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17«
oder Boden fest verbunden sind (fixed to the freehold), wie
wachsendes Korn oder die Türen eines Hauses, nicht genommen
werden'). Endlich aber können Tiere, welche entfliehen, nichts-
destoweniger gepfändet werden, selbst wenn sie nicht wahrend
wenigstens einer Nacht auf dem Grundstück sich aufgehalten
haben (levant and couchant *) 3).
Der Grundherr muß die richtige Reihenfolge einhalten, in
welcher die pfandbaren Gegenstände fortgenommen werden dürfen.
Der Grundherr muß die Mobilien zuerst fortnehmen, und nur im
Falle dieselben nicht ausreichend sind, kann er sich an das Land
selbst halten, sonst macht er sich zum widerrechtlichen Besitz-
ergreifer (disseisor) 4). Nach Bracton wiederum können Ochsen
Diese Rechtsregel des gemeinen Rechtes wurde abgeändert durch Statute
4 William and Mary, c. 5, und seit dieser Zeit waren Dinge, wie Korn in
Garben, für rückständige Rente pfändbar. Amn. flfi) bei Coke über Littleton,
47a. Aber selbst nach gemeinem Recht konnten solche Gegenstände für
Schadenzufügung an Grundstücken genommen werden (distress damage
feasant). Coke über Littleton, 47a.
') Bracton, f. 217: Coke über Littleton. 47b und Amn. (1), unter An-
führung mittelalterlicher Quellen. Seit der Zeit Georgs II. kann der Grund-
herr Korn, Gras und alle anderen Produkte, welche auf dem Lande wachsen,
pfänden und in der Erntezeit schneiden und einfahren lassen. Anm. (1)
bei C oke über Littleton, 47b.
ä) Coke über Littleton, 47b, unter Anführung mittelalterlicher Quellen.
Siehe aber Anm. (2) und (3) bei Coke über Littleton. 47b.
3) Ähnliche Rechtsregeln betreffs der pfändbaren Gegenstände linden
sich in den germanischen Rechten des Continents, wo gewisse Dinge ohne
weiteres von der Pfändung ausgeschlossen, oder erst in zweiter Linie pfändbar
sind, d. h. erst dann gepfändet werden dürfen, wenn andere Gegenstände nicht
vorhanden oder nicht ausreichend vorhanden sind: z. lt. Zugtiere und Zinshöfe
bei den Longobarden, Ochsen bei den Burgundern und gewisse Viehherden
bei den Baiem, Alemannen und Longobarden. Die Lex Burg. 10Ö nimmt
die Ochsen von der Pfändung aus. solange andere pfändbare Mobilien vor-
handen sind, und stimmt somit in diesem Punkte mit dem englischen Rechte,
wie von Bracton geschildert, überein. Brunner, DRG., II, S. 449, wo die
Originalquellen der contincntalrn Recht«' angeführt werden. Über das
englische mittelalterliche Recht siehe ferner Rolle, Abridgment, I, S. 066, 667.
4) Bracton, f. 217, 217h. Eine Zeit lang während des dreizehnten
Jahrhunderts konnte sich der Grundherr bei Vornahme der Pfändung nur
an das Mobiliar des Lehnsmannes halten, da das Recht, das Land selbst zu
nehmen, «lurch Gesetz beseitigt worden war. Siehe unsere späteren Ausführungen.
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179
und Schafe nur gepfändet werden, wenn nicht genügend Tiere,
die zum Vergnügen gehalten werden, und andere Gegenstände
vorhanden sind').
Der Grundherr darf nur gerade so viel Mobiliar pfänden,
um dafür seine Forderung decken zu können. Überschreitet er
das Maß einer angemessenen Pfändung (reasonable distress), so
macht er sich zum widerrechtlichen Hesitzergreifer (disseisor) und
ist zu Schadenersatz verpflichtet*). Der Grundherr kann sich
fernerhin dadurch zum widerrechtlichen Besitzergreifer machen,
daß er eine zweifache Pfändung für eine Forderung vornimmt
(double distress, recaption); z. B. wenn der Grundherr, nachdem
das Mobiliar aus der ersten Pfändung nach Sicherheitsstellung
an den Lehnsmann zurttckgegeben worden ist (replevy'5), eine zweit«
Pfändung vornelunen läßt, bevor eine Entscheidung seitens des
Gerichtes bezüglich der ersten Pfändung erfolgt ist. Er hat in '
diesem Falle dem Lehnsmanne Schadenersatz zu leisten, und er
wird mit einer Freiheitsstrafe belegt und zu einer Geldbuße ver-
urteilt werden. Der Zweck des Gesetzes ist hier, andere von
gleichem Vorgehen abzuhalten4).
Das Mobiliar muß auf dem Grund und Boden gepfändet
werden, welchen der Lehnsmann von dem Pfändenden zu Lehen er-
halten hat5), nicht aber auf anderen Grundstücken, oder auf der
Landstraße. Kommt nun der Grundherr in die Lage Vieh zu
pfänden, welches er auf dem Lehen (fee) vorfindet und wird dieses
Vieh von dem Lehnsmanne oder einem anderen fortgetrieben, um
die Pfändnng zu verhindern, so kann der Grundherr nichtsdesto-
weniger sofort nachfolgen und das Vieh pfänden, ohne daß dem Lehns-
') Brat- ton, f. 217, 217b.
*) Nach einigen germanischen Rechten kann jedoch der Pfändende
mehr als den Betrag der Schuld — ein Drittel mehr, oder selbst das Doppelte
- nehmen. Siehe Brunner, 1)RG., II, S. 450.
3) Siehe S. 188, unten.
4) Bracton, f. 159, 217h; Brittnn, liv. I, c. XXVIII, § 26: Pieta, 103:
Stat. Marlbridge, c. 4, Statutes, I, S. 20: Rocvcs. Hist. Eng. Law, I, S. 493,
494, 507, II, S. 27, Amn. (a). Siche ferner betreffs dessen, was nach englischem
mittelalterlichen Recht übermäUige Pfändung (excessive distress) ist, Rolle,
Abridgment, I. S. 674.
5) Littleton, §237; Iteeres, Hist. Eng. Law, I, S. 506, 507. Siehe
Rolle, Abridgment, I, S. 671.
12*
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manne das Recht zusteht, dasselbe wieder zurückzunehmen (res cou s '):
denn die Pfändung gilt im Sinne des Gesetzes als innerhalb des
Grundstückes (within the fee) vorgenommen. Wenn aber anderer-
seits der Grundherr, sobald er zur Pfändung schreiten will, das
Vieh nicht sieht und es wird dann von dem Grundstück fortge-
trieben oder entfernt sich von selbst, so steht ihm nicht das Recht zu,
das Vieh außerhalb des Grundstücks zu pfänden; sofern er dies
doch tut, kann es der Lehnsmann wieder zurflcknehmen (rescous*).
Wenn das Objekt der Pfändung ein lebendes ist, so mulS
der Pfändende es in einem den gesetzlichen Vorschriften ent-
sprechenden Pfändstalle (lawful ponnd) innerhalb dreier Meilen
in derselben Grafschaft (eounty) entweder auf seinem eigenen
Grund und Boden, oder auf dem eines andern, jedoch mit des
letzteren Erlaubnis unterbringen. Ist der Pfandstall (pareus)
ein offener (overt, open), so darf der Eigentümer des Viehes
diesem Futter geben, ohne sich einer Übertretung (trespass)
schuldig zu machen; das Vieh wird hier auf Gefahr (peril) des
Eigentümers desselben unterhalten. Ist aber der Pfandstall ein
geschlossener (covert, closed), wie z. B. das Haus des Pfändenden,
so wird das Vieh auf Gefahr und Kosten des Pfändenden gefüttert
und unterhalten. Sind jedoch die Mobilien tote Objekte, so hat
der Pfändende sie in einem verschlossenen Raume (pound covert)
unterzubringen, andernlalls er für dieselben verantwortlich gemacht
wird, wenn sie beschädigt oder gestohlen werden’).
>) Siehe S. 181, fl’. .
•) Coke aber Littleton, 161», unter Anführung mittelalterlicher Quellen.
Die Vorschriften über distress damage feasant weichen hiervon ab. Hier
kann der Eigentümer des beschädigten Grundstücks, selbst wenn er das
Vieh sieht, demselben außerhalb des Grundstückes nicht folgen und es
pfänden, denn die Tiere können nur bei Anrichtung des Schadens selbst
(damage feasant) gepfändet werden. Coke über Littleton. Illla. unter
Anführung mittelalterlicher Quellen. Siehe auch unsere Erörterung über
distress damage feasant, S. 165, oben.
s) Stat. Marlbridge, c. 4, Statutes, I, S. 20; Stat. Westminster 1, c. 16.
Statutes, I, 8. 31 : 30 Ass. 38; Coke über Littleton. 47b, unter Anführung
mittelalterlicher Quellen, unter diesen 30 Ass. 38: B lackst o n e. III. e. I, § V.
Siehe Fleta, 80. Siehe betreffs der Verantwortlichkeit bei gepfändeten
Gegenständen (Gefahr, peril) Doctor and Student. 2. Buch, c. XXVII. Siehe
ferner über Aufbewahrung von gepfändeten Gegenständen imponnding) im
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181
Daß sowohl der Grundherr wie auch der Lehnsmann mit
großer Vorsicht vorzugehen haben, wenn sie sich nicht der wider-
rechtlichen Besitzergreifung (disseisin) schuldig machen wollen,
erhellt aus den Vorschriften darüber, wann der Lehnsmann die
Pfandobjekte znrücknehmen darf (make rescous) und wann nicht1)
Die verschiedenen Fragen, welche sich hieraus ergeben, basieren
hauptsächlich auf der Fundamentalfrage, ob die Fortnahme (caption)
seitens des Grundherrn eine rechtmäßige (just) war oder nicht.
War die Fortnahme eine unrechtmäßige (unjust), so wird der
Grundherr dadurch nicht nur zum widerrechtlichen Besitzergreifer
gegenüber dem Lehnsmanne, sondern es kann, wie eben angedeutet,
der Lehnsmann die unrechtmäßig gepfändeten Gegenstände auf
Grund der hierüber geltenden Vorschriften wieder zurücknehmen
(rescous).
Gehen wir auf diesen Gegenstand etwas näher ein. Ist das
Mobiliar ohne Grund gepfändet worden — z. B. wo weder Dienste
verweigert noch Renten im Rückstände waren, oder wo die ge-
pfändeten Gegenstände einem Dritten gehörten — , so ist dies als
eine widerrechtliche Besitzergreifung (disseisin) seitens des Grund-
herrn anzusehen und der Eigentümer des Mobiliars ist berechtigt,
dasselbe zurückzunehmen (rescous). Sind jedoch alle wiederrecht-
lich gepfändeten Objekte bereits seitens des Pfändenden den Vor-
schriften gemäß anderweit untergebracht (impounded), so ist der
Eigentümer des Mobiliars nicht berechtigt, den Pfandstall gewalt-
sam zu öffnen und die Gegenstände fortzuschaffen, denn sie be-
finden sich jetzt in custodia legis. Wenn trotzdem der Eigen-
tümer der Mobilien den Pfandstall erbricht und die Gegenstände
fortschafl't, so kann der Pfändende, der Grundherr, die sogenannte
mittelalterlichen liecht Holle, Abridgment, I. S. 673. Übor das spätere
Hecht siehe Keeves, Hist. Eng. Law, III, S. 554, 555.
Die Prinzipien des mittelalterlichen Rechtes he/.gl. < jefahr) (peril korre-
spondieren im Grollen und Ganzen mit denen des mittelalterlichen deutschen
Hechtes. Siehe Ileus ler, Institutionen, II. S. 209.
l) Coke über I.ittleton, 47b. Vergl. Select Pleas in Manorial and
other Seignorial Courts (Seid. Soc.), I, S. 43. Rescous, rescussus, ist ein
altes französisches von rescourrer, rocuperare abgeleitetes Wort, das
letztere bedeutend: fortnehmen (to take froni), wiedererlangen (to rescue or
recover). Coke über Littletnn. 160b.
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He parco fracto Klage erheben, desgleichen kann er die vorher
bereits gepfändeten Mobilien, wo immer er derselben habhaft
werden kann, wieder fortnehmen und in den Pfandstall zu rück -
briugen1). Erbietet sich andererseits der Lehnsmann die rück-
ständige Rente zu begleichen (tender) in dem Augenblick, wo der
Grundherr zur Pfändung schreiten will, so kann der Lehnsmann
die Gegenstände rechtmäßig wieder fortnehmen (rescous), sofern
der Grundherr trotzdem in der Pfändung fortschreitet3). Er kann
die Gegenstände auch zurücknehmen, wenn die Pfändung auf der
Landstraße vorgenommen wird, denn Pfändung an diesem Orte
ist nicht erlaubt'1). In ähnlicher Weise kann die Zurücknahme
(rescous) erfolgen, wenn der Grundherr Pflugtiere (averia carucaei
pfändet, solange noch hinreichend andere Gegenstände vorhanden sind,
oder wenn der Grundherr Gegenstände fortnimmt, die überhaupt nicht
pfändbar sind4). Läuft das gepfändete Vieh in das Haus seines
Eigentümers, des Lehnsmannes, in dem Augenblicke, wo es von
dem Pfändenden zum Pfändstalle getrieben wird, und weigert
sich der Lehnsmann das Vieh auf Verlangen wieder auszuliefern,
so wird dies als eine Zurücknahme (rescous) seitens desselben
angesehen i); ob diese rechtmäßig war oder nicht, hängt augen-
*) Bracton,f.217: Fi tzher bert, Natura Brevium, 100 E; Littleton,
§237:0 okc über Littleton, 47b, 160b. unter Anführung mittelalterlicher Quellen.
Die Form des writ der de parco fracto Klage ist zu Süden in Fitzberbert,
Natura Brevium, 100, 101. Ober die Fortnahme von wegen Schadenzufügung
an Grundstücken (damage feasaut) gepfändetem Vieh aus einem Pfand-
stalle siehe Coke über Littleton, 47b und Aum. 5 ebenda.
*) Coke über Littleton, ItiOb, unter Anführuug mittelalterlicher Quelleu.
Siehe auch Aum. (4) bei Coke über Littleton, 160b. und die dort edierten
Quellen.
*) Stat. Marlbridge, c. 15, Statutes, I. S. 23: Coke über Littleton,
160b, 161a, unter Anführung mittelalterlicher Qnellen: Reeves, Hist. Eng.
Law, I. S. 507. Siehe auch Y.B. 20—21 Edw. I., S. 242.
Von dieser Uechtsregel ist aber der König ausgenommen: derselbe
kann auf der LandstraUe pfänden lassen. In einigen Fällen kann selbst der
Grundherr auf der LandstraUe pfänden. Siehe Anw. (1) bei Coke über
Littleton. 161a: Coke. 2 Inst. 131: Hale's Anmerkungen bei Fitzherbert,
Natura Brevium, 90 A: Rolle, Abridgment, I.. S. 670.
4) Coke über Littleton, 47a, 161a: Coke, 2 Inst. 133.
5) Coke über Littleton. 161a. unter Anführung mittelalterlicher Quellen.
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schein lieh von der Frage ah. ob der Lehnsmann Rente schuldet
••der nicht.
Wenn auf der anderen Seite die Mobilien rechtmäßig gepfändet
worden sind, oder wenn eine in Aussicht genommene Pfändung
'eine rechtmäßige ist, so kann sich der Eigentümer des Mobiliars
durch Zurücknahme oder Vorenthalten (rescous) der widerrecht-
lichen Besitzergreifung an der dem Grundherrn zustehenden Rente
schuldig machen (disseisin), und zwar dadurch, daß er entweder die
gepfändeten Gegenstände wieder zurücknimmt oder indem er die
Vornahme der Pfändung verhindert, nachdem der Grundherr das
Grundstück betreten hat, um die Pfändung vorzunehmen '). Es
ist dies eine widerrechtliche Besitzentziehung bezüglich der Rente
(disseisin of the rent), da der Grundherr .auf diese Weise verhindert
wird, die rechtmäßigen Schritte zu tun, nämlich die Pfändung
vorzunehmen, um zu seiner Rente zu gelangen2). Aber es kann
sich nicht um widerrechtliche Besitzentziehung handeln, sofern
die Rente nicht tatsächlich rückständig ist, denn wenn die
Rente nicht rückständig ist, so kann der Lehnsmann rechtmäßig
') Bracton, f. 217; Littleton, § 237; Coke über Littleton, 160b,
unter Anführung mittelalterlicher (Quellen.
Littleton klassifiziert den Widerstand bei der Pfändungsvomahinc
(„resistancc to distraint*) als rcscous;Cokc aber sagt, dal! es sich nicht
um rescous handeln kann, so lange das Mobilur nicht tats&chlich gepfändet
worden ist und klassifiziert den Widerstand bei der Pfändungsvomahinc als
eine anabhängige Form von rechtswidriger Besitzvorenthaltung an der Rente
(disseisin of rent-scrvice).
Eine Abschlieliung („enclosure") kommt dem Widerstande bei der
Pfändungs vorn ahme fast gleich. Eine AbschlicBung (cnclosure) ist auch eine
widerrechtliche Besitzvorenthaltung an der Rente (disseisin of rcnt-service)
und dieselbe liegt vor. wenn das Grundstück (lands and tenements) so ab-
geschlossen ist. dall cs dem Grundherrn unmöglich ist, dasselbe zu betreten,
nm die Pfändung vorzunehmen. Widerstand bei Pfändungsvornahme (re-
sistancc to distraint) liegt erst dann vor. wenn der Grundherr das Grund-
stück schon betreten hat. Littleton, § 237.
’) Littleton, § 237. Wird der Lehnsmann widerrechtlich aus seinem
Besitz vertrieben, (disseised of the tenancy), nachdem er die gepfändeten
Gegenstände durch rescous wiedererlangt hat, so kann trotzdem die Besitz-
klage (Assizc of Novel Disseisin) für die durch rescous verursachte wider-
rechtliche Besitzentziehung der Rente (disseisin of rcnt-servicc) gegen ihn
anhängig gemacht werden. Coke über Littletou, 160b.
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die von dem Grundherrn gepfändeten Gegenstände zurücknehmen
(rescous)1). Auf ähnliche Weise ist der Lehnsmann berechtigt,
der Vornahme der Pfändung zu widerstehen (resist distraint), so-
bald die Rente nicht wirklich rückständig ist und der Grundherr
das Grundstück betritt, um die Mobilien des Lehnsmannes fortzuT
nehmen5). Werden nun die Mobilien dem Ptändenden gewaltsam ab-
genommen, während sie sich auf dem Wege nach dem Pfandstall
befinden, so kann der Pfandende durch Erhebung der Klage (ge-
nannt: writ of rescous) Schadenersatz beanspruchen3).
Angenommen nun, daß der Grundherr die Mobilien seines
Lehnsmannes gepfändet hat und daß eine Zurücknahme (rescous)
nicht erfolgt ist, so ist jetzt festzustellen, welches die juristische
Lage der Mobilien ist und was damit geschehen kann.
Wenn nach englischem mittelalterlichen Recht der Grundherr
die Gegenstände gepfändet hat, so ist er im Sinne des Gesetzes,
trotzdem sie sich in seinen Händen befinden, keinesfalls der Be-
sitzer derselben. Sie werden als in custodia legis angesehen.
Der Grundherr muß zu allen Zeiten bereit sein, die Mobilien zu
zeigen, ja er muß sie nicht nur zeigen, sondern muß sie auch
herausgeben, sobald sich der Lehnsmann erbietet, die Rückstände
zu begleichen, oder Pfand und Bürgschaft zu stellen bereit ist,
und sich damit einverstanden erklärt, daß das Gericht über den
Anspruch des Grundherrn entscheidet. Wie es scheint ist keine
bestimmte Frist gesetzt, während welcher der Lehnsmann die Ein-
') Littleton, § 237: Coke Aber Littleton, 160b. Dies ist vor der
Zeit Littletons eine strittige Präge gewesen. Die mittelalterlichen Quellen
sind nt finden in Coke über Littleton. 160b.
s) Littleton, § 237: Coke über Littleton, 160b. Nach ähnlichen
Prinzipien kann ein Prcmder seine Sachen durch rescous wieder an sich
nehmen, wenn sie ihm gepfändet worden waren. Coke über Littleton,
160b. Siehe ferner über die Rechte Fremder Rolle, Abridgment, l,
S. 668—670. Vergl. Ulackstone, III, c. I, § V.
3) Fitzherbert, Natura Brevium, 101: Blackstone, III, c. 9, § 1.
Siehe ferner über das Recht bezügl. rescous Rolle, Abridgment, I, S. 673,
674.
Nach germanischem Rechte auf dem Koutinente ist us verboten, sich
der rechtmäßigen Pfändung zu widersetzen, uder die gepfändeten Gegenstände
durch Gewalt wieder an sich zu nehmen. Das erstere ist bekannt als Pfand-
wehrung, das letztere als Pfandkehrung. Brunner, DIiG., II, S. 449.
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185
lösung vornehmen muß; verweigert der Lehnsmann die Zahlung
so kann der Grundherr nichts dagegen tun, denn die gepfändeten
Mobilien werden nur einbehalten als ein Mittel, den Lehnsmann
zu zwingen, seine Dienste zu verrichten, oder seine Rente zu be-
zahlen, da doch diesem daran gelegen sein muß, seine Sachen
zurückzuerhalten. Selbst wenn der Lehnsmann sich hartnäckig
weigert, hat der Grundherr weder das Recht, die Mobilien in
Gebrauch zu nehmen, noch dieselben durch Verfall zu erwerben,
noch sie zu verkaufen; die Pfändung ist nur ein Zwangsmittel,
kein Recht der Selbstbefriedigung, und das Einzige was dem Grund-
herrn zusteht, ist das Retentionsrecht ') *).
•) Einleitende Erklärung zu Stat. 2 William and Mary, c. 5, abgcdruckt
bei Kulten, Distress, Anhang, S. 324 — 326; Blackstone, III, c. I, § V,
c. 9, § I: Pollock and Maitland a- a. 0., II, S. 576: Bullen, Distress,
S. 12, 181.
Das englische mittelalterliche Hecht über eigenmächtige Pfändung von
Mobilien scheint nichts zu enthalten, was dein gegebenen Nutzungspfand
oder gegebenen Verfallspfand entspricht, und in dieserllinsicht weicht das eng-
lische mittelalterliche Hecht von demjenigen einiger anderer germanischer
Hechte ab. Im allgemeinen kennt das germanische liecht im Palla eigen-
mächtiger Pfändung nur ein Betcntionsrecht an den gepfänduten Sachen:
damit verbunden sind jedoch gewöhnlich pfandrochtliche Wirkungen, welche,
wenn der Lehnsmann sich fortgesetzt weigert, die Gegenstände innerhalb
einer gewissen Zeit einzulösen, dem Grundherrn später entweder das Nutz-
ungsrecht oder selbst das Eigentumsrecht verschaffen. Nach einigen ger-
manischen Itechteu erwirbt der Gläubiger in erster Linie nichts als das
Zurückbehaltungsrecht, dann erst das Gebrauchs- und Nutzungsrecht und
endlich das Eigentumsrecht selbst. Siehe Brunner DKG., II, S. 450, 451 :
Pollock and Maitland, a. a. 0., II. S. 576, Amu. 4.
Das englische gemeine Hecht hat jedoch immer eine Ausnahme zu
Gunsten der Krone gemacht, indem cs derselben das Recht verlieh, die für
eine Schuldforderung der Kroue gepfändeten Gegenstände zu verkaufen, so-
fern die betreffende Schuht nicht innerhalb 40 Tagen bezahlt wurde. Brooke,
Abridgmcnt. t it. Distress. 713: Blackstone, III, c. I. § V : S. 191, unten.
Über gerichtliche Pfändung im Mittelalter siehe unten S. 191, Anm. 1.
J) Das englische Recht der Neuzeit gibt dem wegen rückständiger Heute
Pfändenden das Verkaufsrecht, wenn der Reutschuldner (tenant) versäumt
innerhalb fünf Tagen nach erfolgter Mahnung (notice) die Gegenstände gegen
Stellung von Pfand und Bürgschaft znrückzunchmen (replevy): ein etwaiger
Überschuß (overplus or surplus) ist dem Schuldner auszuzahlen. Dieses Ver-
kaufsrecht steht dem Pfändenden gemäß einem Gesetz aus der Regierungs-
Zeit Williams und Marys zu. Stat. 2 William aud Mary, wie oben citiert:
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Sobald der Lehnsmann die Zahlung leistet oder Pfand- und
Bürgschaft anbietet, daß der Anspruch dem Gerichte unterbreitet
«erden soll, muß daher der Pfändende zu allen Zeiten bereit, sein,
die Gegenstände herauszugeben, selbst wenn dieFortnahme (eaption)
eine rechtmäßige gewesen ist. l)ie Verweigerung, die Mobilien
nach der Bereiterklärung, Pfand und Bürgschaft zu stellen, zurück-
zugeben, ist ein sehr schweres Vergehen. Das Recht zu pfänden
wurde früher nur ausgeübt mit Erlaubnis des Gerichtes (judical
right), und jetzt gegen Ende der zweiten Hälfte des dreizehnten
Jahrhunderts wachen der König und seine Richter stets sorgfältig
darüber, daß das neu erworbene Recht der außergerichtlichen
Pfändung rechtmäßig ausgeübt wird. Eine solche Weigerung ist
in der Tat eine Störung des Königsfriedens (king’s peace) und
bedeutet den Beginn eines Krieges gegen den Staat durch den
pfändenden Grundherrn. Um mit Bracton zu reden: ubi deficiunt
vadia et plegia deficit pax1). Das Vergehen (offence) des Pfän-
denden ist fast so schwer wie Raub (robbery) und ist bekannt
als vetitum namii, vetitum namium, ve de naam, vee de
nam oder vee de naam*).
Die Klage, welche auf diesem vee de nam basiert, ist das
Amn. (7) bei Coke über' Littlcton, 47b: Anm. (6, 111) bei Coke über
Littleton, 162b: Blackstone, 111, c. I, § V: Bullen, Distross, 8. 12, 18,
181 — 185,324—326: Williams, Beal Property, S. 327. Siehe auch Black-
stone, II, c. 30, § IX, 2. Die Frist von fünf Tagen nach erfolgter Mahnung
kann jetzt infolge des Law of Distress Amendment Act of 1888 auf fünfzehn
Tage ausgedehnt werden, wenn der Kentschuldncr (tonant) gewisse Beding-
ungen erfüllt. Bullen, Distress, S. 17, 182, 388.
Bezüglich eines Vergleiches zwischen einer Pfündung mit Verkaufs-
recht und der Zwangsvollstreckung (proccss of exccntion) nach gemeinem
Recht geuiStl writ of fieri facias, siehe Blackstone, III. c. 1, § V.
•) Bracton f. 217b.
•) Bracton. f. 155b, 1 57b. 158b. 21 7h : Britten, liv. I, c. XXVIII.
§ 5: Fleta, 100: Y.B. 20-21 Edw. I., S. 158: Nichols Britten, II, S. 383:
Leet Jurisdiction in the City of Norwich (Seid. Soc.), S. 41, 42, 45. 104:
Maitland, Select I’leas in Manorial and other Seignorial Courts fScld. Soc.;.
1,8. LVI : Pollock and Maitla nd, a. a. 0., II, S. 576, 577: Keeves, Hist.
Eng. Law, I, S. 489—494. Vergl. auch den Mirror nf Justiees (Seid. Soc.)
S. 70—73 (und siehe oben S. 166. Anui. 2.)
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plaritum de vptito ltaniii, auch genannt plee de vee, placi-
tum de vetito namio, Replevin (replegiare)').
Wenn die gepfändeten Gegenstände noch immer in den Händen
des Pfändenden verbleiben, so lautet die Klage (Replevin) auf
Zurtickgabe der Mobilien (specific relief) an den Lehnsmann, bis
die Frage durch das Gericht entschieden worden ist2). Sollte das
Gericht dahin entscheiden, daß die Mobilien unrechtmäßig ge-
pfändet geworden sind — z. H. weil der Grundherr nicht im Be-
sitze der Dienste oder Rente sich befand — so behält der Lehns-
mann die Mobilien und der Grundherr ist in misericordia.
Wird jedoch die Klage gegen den Lehnsmann entschieden —
wenn z. B. dahin erkannt wird, daß der Grundherr im Besitze
der Dienst« oder der Rentp war und daß sich diese im Rückstand
befanden — dann hat der Lehnsmann die Mobilien an den
Pfändenden zurückzugeben, bis der Dienst geleistet oder die Rente
gezahlt worden ist; außerdem befindet sich der Lehnsmann in
misericordia’). Beklagt sich der Lehnsmann, daß beides, die
Fortnahme (caption) und die Einbehaltung (detention) unrecht-
mäßig geschehen ist, während der Grundherr die Berechtigung
beider Beschwerden in Abrede stellt und entscheidet das Gericht
den einen Punkt zu Gunsten des Grundherrn, den anderen zu
Gunsten des Lehnsmannes, so befinden sich beide in miseri-
cordia4).
') Siehe Nichols" Britto», 11, S. 379: Blackstone, III, c. I, § V.
Vgl. auch den Mirror of Justices (Seid. Soc.) S. 7(1 — 73 (und siehe oben 8. 1 SC,
Anm. 2). Whittaker, Mirror of Justices (Sehl. Soc.) S. 70, Anm. 1, sagt;
.In the translation of tliis chaptcr the old Word nnani, or natu, has been
preserved; it signities a Inking, orthing taken, in distress: cf. onr wither-
nam, and the German nehmen, to take. The distrainor whu, wben suffi-
cient security is offered, refuses to deliver up the naain is guilty of a
vcc de liaain: an action de retito namii lies against him. Wc could
hardly give the sense of the original text if wc called this action an action
of replevin'.
ä) Glanvill, XII, 12, 15: Heeves, Hist. Kng. Law, I, S. 491, 492.
Vergleiche Bracton. f. 157 und lieir Brev. Orig. f. 81, wo die Form
des replevin writ von derjenigen bei Glanvill abweicht. Siehe auch
Britten, liv. I, c. XXVIII: Fleta. 100.
3) Rceves, Hist. Kng. Law. I. S. 490, 491: Blackstnne. III, c. I,
j V, c. 9, §1: siche auch die in Anm. 2 oben citiertc Literatur.
•) Ilevees, Hist. Eng. Law, 1, S. 491. Siehe ber.gl. der verschiedenen
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IHM
Werden infolge Versäumnis seitens des Lehnsmannes im ersten
Prozesse (replevin suit) die gepfändeten Gegenstände daraufhin
zu rück gegeben, so können dieselben Gegenstände nichtsdestoweniger
nochmals gegen Pfand und Bürgschaft von dem Lehnsmanne ein-
geklagt werden (replevied). Macht sich der Lehnsmann jedoch
auch im zweiten Prozesse einer Versäumnis schuldig, so müssen
die Gegenstände an den Pfändenden zuriickgegeben werden und
können gegen Stellung von Pfand und Bürgschaft nie wieder ein-
geklagt werden (irrepleviable) ').
Wenn der Pfändende, obgleich er sich durch Zurückbehaltung
der Mobilien, nachdem Pfand und Bürgschaft gestellt worden
sind, schuldig gemacht hat. die Gegenstände noch zurückgibt,
ehe die Klage (Replevin) gegen ihn anhängig gemacht wird, so
scheint die letztere nur auf Schadenersatz zu lauten8).
Die Klage auf Zurückgabe der tiegenstände gegen Pfand
und Bürgschaft (Replevin) gehört vor ein königliches Gericht
(royal writ) und nur von wenigen Grundherren kann die Gerichts-
barkeit ausgeübt werden; auch amtiert der Sheritf, wenn er über
die Rechtmäßigkeit von Pfändungen zu Gericht sitzt, nicht als
Präsident des Grafschaftsgerichtes, sondern als königlicher Richter *).
In der Tat scheint die Schnelligkeit und Bequemlichkeit bei dieser
Gründe und Gegengründe fgrounds of coui|daint and defencc', welche von
den Parteien vorgebracht werden können, Kceves, Hist. Eng. Law. I.
8. 491 — 494.
■) Stat. Weatni. II, § II (13 Edw. I., A. 1). 1285), Statutes,!, S. 73.
Dies scheint nicht zu bedeuten, dal! die Gegenstände dann an den Lehns-
mann verfallen, sondern dal! sie gegen Stellung von Pfand und Bürgschaft
nie wieder eingelöst werden können (replevied) und bei dem Grundherrn
verbleiben müssen, bis der Lehnsmann den Dienst geleistet hat oder die
Rente bezahlt hat.
*) Pollock and Maitland, a. a. U., II, 8. 524, 525, Anin. 1. Siehe
Bracton's Note Book, pl. 477.
3) Der gewöhnliche Weg des Verfahrens scheint auf Grund eines
königlichen writ of replevin gewesen zusein, aber der Sheriff konnte nichtsdesto-
weniger dazu schreiten, die Gegenstände gegen Pfand und Bürgschaft ohne
writ zurückzugeben (replevy) falls von dem Lehnsmann die nötige Sicherheit
geboten wurde. Reeves, Hist. Eng. Law, I, S. 491. Vergl. Reeves a. a. 0.,
1, S. 48, Anm. (a). Dieses Recht dos Sheriffs wurde bestätigt und erweitert
durch Statute of Marlbridge, c. 21 (A. D. 1267). Siehe Reeves a. a. ()..
I, S. 507, 508.
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180
Klage (Replevin) auf die Auffassung zurfickzuführen zu sein, daß der
Pfändende ein schweres Vergehen gegen den König selbst sich
hat zu schulden kommen lassen, indem er seinen Frieden störte’).
Begeht nun der Pfändende, der Grundherr, ein solches Ver-
gehen (vee de nam), so ist es die Pflicht des Sheriffs, indem er
auf Grund der königlichen Klageermächtigung (royal writ of replevin)
oder ohne eine solche handelt *), dem Lehnsmanne die gepfändeten
Gegenstände zurückzugeben. Der Sheriff kann die Vorzeigung
(view) des Viehes sowie anderer gepfändeter Gegenstände verlangen,
und wenn er mit Gewalt an der Besichtigung und an der Ausübung
seiner Pflicht verhindert wird, so hat er sofort mit lauter Stimme den
Fall zu verkünden (raise the hue and erv), die ganze Macht der Graf-
schaft zusammenzurufen (posse comitatus) und alle Gewalt anzu-
wenden, die nötig ist, um das Mobilar zurückgeben zu können,
sowie alle Friedensstörer gefangen zu setzen3).
Wenn fernerhin die von dem Grundherrn gepfändeten Tiere
in einem Hause oder Pfandstall eingeschlossen, oder wenn sie
aus der Grafschaft entfernt werden und sich somit jenseits der
Jurisdiction des Sheriffs befinden, oder wenn der Gerichtsdiener
(bailiff) auf irgend eine andere Weise verhindert wird, nachdem
Pfand und Bürgschaft gestellt worden sind, dem Lehnsmanne die
Gegenstände zurückzugeben, so hat er sofort auf Grund der Gegen-
pfändung (withernam) Vieh des Grundherrn im doppelten Be-
trage fortzunehmen. Diese Gegenstände hat der Gerichtsdiener
einzubehalten, ohne dem Grundherrn zu erlauben, dieselben gegen
Pfand und Bürgschaft (replevin) zurfickzunehmen, bis er die
Gegenstände des Lehnsmannes zurückgebracht hat4).
') Bractnn, f. 105b, 155b: Britto n, liv. I, c. XXVIII, 1, 2:
Fleta. 94: Stat. Westminster II, c. 2, Statutes, I, S. 72: V. B. 30-31 Edw. I.,
S. 223: Maitland, Select Plcas in Manorial and other Scignorial Conrts
(Seid. Soc.), I, S. XXV : Reeves, Hist. Eng. Law, I, S. 489; Pollock and
Maitland a. a. O., I, S. 587, II, S. 577, 578: Anm. r) bei Nichols’ Brit-
ton I, S. 136. Siehe auch den Fall des Earl of Warennc. P. Q. W. 751.
Siebe oben S. 188, Anm. 3.
*) Bracton, f. 157: Britton, liv. I, c. XXVIII § 3; Stat. West-
minstcr I, c. 17, Statutes, I, S. 31 : Pollock and Maitland, a. a. O. I,
S. 576, 577: Reeves, Hist. Eng. Law, I. S. 491. Siehe auch Reeves
a. a. O., II, S. 22, 29.
4) Bracton, f. 157: Britton, liv. I, c. XXVIII, §3: Fleta. 97, 98:
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190
Die Gegenpfändung (withemam, A. S. wiffer-name) ist eine
zweite oder reziproke Pfändung von Gegenständen, die als Ersatz
für die aus der ersten Pfändung unrechtmäßig einbehaltenen oder
fortgeschafllen Gegenstände fortgenommen werden. Die zweite
Piändung wird vorgenommen als Repressalia für die erste Pfändung
und als Strafe für die ungesetzliche Handlungsweise des Grund-
herrn *) *).
Stat. Westminster I, c. 16, 17, Statutes I, S. 31: Reeres. Hist. Eng. Law,
I, S. 491. Yergl. Reeres, a. a. O., II, S. 27. Anm. (a). Rritton, liv. I,
c. XXVIII, 3: tauntoat face prendre des bestes del dcforceour a la double
\alue cuui wythernam.
Nach den Berichten Bractons und Brittens scheint der Sheriff oder
der GerichUdiener (bailiff) autorisiert gewesen zu «ein sofort ohne eine
neue schriftliche Ermächtigung (writ) im Wege der Gegenpfändung die Mo-
bilien des Pfändenden fortzunehmen. Nach späterem Recht scheint jedoch
eine besondere Ermächtigung (special writ, genannt: capias in wither-
nam) notwendig gewesen zu sein. Siehe Blackstone, III, c. 9. $ I : siehe
auch über diesen Passus Blackstones Pollock and Maitland, a. a. <>.,
II. S. 377, Anm. 3, 6. Siehe ferner Statutes, I, S. 72, Anm. 6.
‘) Anm. (u) bei Nirhols’ ßritton I, S. 138: Blackstnne, III, c. 9,
§ I. c. 26.
Nach späterem englischem Recht wenigstens kann Vieh, das im Wege
der Gegenpfändung (withemam) fortgenommen wurde, gemolken und in an-
gemessener Wciso zu Arbeitszwecken verwendet werden, da es dem Rcnl-
sebnldner (tenant) an Stelle seines eigenen Viehes übergeben wurde. Siehe
Bullen, Distress, 8. 181. Anm. (s).
*) Germanisches Recht auf dem Kontinent verbietet die Pfändung im
Wege der Vergeltung, d. h. die Gegenpfäudung. Siehe Brunner. IMG.,
11, S. 449. In Statutes, I, S. 72. Anm. 6, wird withemam dcliniert als ,a
forbidden or unjust taking“.
Die ursprüngliche Pfändung im Wege der Vergeltung (rer enge) muH jedoch
scharf von der Gegenpfändung (withernain) unterschieden werden. Unter der
Regierung Heinrichs III. scheint es jedoch durch eigene Anmaßung der
Grundherren und auch Anderer und um sich zu rächen (revengu) bei diesen
zur Praxis geworden zu sein, ihre Schuldner wegen allerlei Arten von
Forderungen zu pfänden, trotzdem das Recht in Form der Klagt* oder auf
andere Weise genügend Rechtsmittel verlieh, und wo in der Tat eine
Pfändung strikte gegen das ältere gemeine Recht verstieß. Um solche un-
gesetzliche Pfändungen (illegal distraints) zu verhindern, bestrafte das Gesetz
von Marlbridge vom Jahre 1267 durch Auferlegung von Geldbuße (fine) und
durch Verurteilung zu Schadenersatz an die geschädigte Partei. Stat.
Marlbridge, Statutes, 1, S. 19—23; Coke, 2 Inst. 103, 131, 303; Reeves,
Hist. Eng. Law. 1, S. 503, 306, II, S. 27, Amn. (a). Vergleiche die Vor-
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m
II. Verkaufspfand.
Obgleich, wie wir gesehen haben, der Pfändende im Mittel-
alter für rückständige Dienste und Rente und für Schadenzufügung
am Grundstück nur das Retentionsrecht an der gepfändeten Sache
hatte, hat das englische gemeine Recht immer eine Ausnahme zu
Gunsten der Krone gemacht, indem es dieser gestattete, den für
einen ihr schuldigen Betrag gepfändeten Gegenstand zu verkaufen,
sofern die Schuld nicht innerhalb 40 Tagen beglichen wurde*).
Zweites Kapitel.
Das gegebene Pfand.
I. Einleitung.
Das Recht des Mittelalters ist nicht reich an Worten, um
Transaktionen mit Mobilien zu beschreiben, und vereinigt ver-
schiedene Handlungen in derselben Gruppe, wo der Eigentümer
sich seines Besitzes an einem Gegenstände begibt oder mit anderen
Worten denselben einem anderen anshändigt (bail. Fr. bai 1 1er,
lat. tradere, liberare). Im Mittelalter wurde, im Gegensatz
zur Neuzeit, das Wort bai 11er auch angewendet, wenn damit ein
vollständiges Aufgeben des Eigentumsrechtes gemeint war. Im
mittelalterlichen Recht schlietlt diese Gruppe von Transaktionen,
genannt .bailment“, auch die Verpfändung, Aufbewahrung, die
Übergabe an einen Fuhrmann oder Handwerker, der irgend welche
Arbeiten an dem Gegenstände zu verrichten hat, die unentgelt liehe
Verleihung zum Gebrauche bei nachheriger Zurückgabe und das
schrillen des Gesetzes von Murlbridge betreffs rechtmäßiger Pfändung (lawful
distresses). Iteeves, a. a. 0., I, S. 507.
') Rrooke, Abridgment, tit. Distress, 713: Illackstone, III, e. I,
§ V: siehe auch oben S. 185.
Da für die vorliegende Abhandlung eine Bearbeitung der gerichtlichen
Pfändungnicht vorgenoimnen wurde, muß es dahingestellt bleiben, ob im Mittel-
alter die im Prozesse gepfändeten (iegenstände verfallen oder verkauft
werden konnten. Uber die gerichtliche Pf&ndung siche Bractu n 's Note Book,
Inhaltsverz. s. v. Distress; Pollock and Maitland a. a. 0., II, S. 578,
594, 597: Iteeves, Hist. Eng. Law, Inhaltsverz. s. v. Distress.
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I
192
Verleihen gegen Entschädigung ein. Im Allgemeinen unterliegen
diese verschiedenen Transaktionen denselben Rechtsgrundsätzen ').
Es ist nicht beabsichtigt, hier auf eine Erörterung der schwie-
rigen Probleme einzugehen, welche mit diesem Zweige der eng-
lischen Rechtsgeschichte verbunden sind. Das Material für die
Geschichte der Mobilien ist viel weniger reichlich als das für
die Geschichte des Immobiliarrechtes, und besonders während der
letzten Jahre, wo das Interesse an der Rechtsgeschichte mehr und
mehr gewachsen ist. haben sich stark von einander abweichende
Meinungen bezüglich der wichtigsten zu Grunde liegenden Fragen,
die mit den ersten Anfängen des law of bailment verbunden sind,
ergeben. Selbst die fundamentale Frage ist aufgeworfen worden,
ob das mittelalterliche Recht wirklich ein Eigentumsrecht im Gegen-
satz zum bloßen Besitz an dem Mobilar gekannt hat, und es ist
viel darüber gestritten worden, ob, im Falle diese Frage bejaht
werden muß, der Übergebende (bailor) beim bailment sich sowohl
seines Eigentumsrechtes als auch seines Besitzes begibt, wenn er
den Gegenstand dein Empfänger (bailee) aushändigt *).
') Pollock and Maitland, Hist. Kng. Law, II. S. 169, 170. Holmes,
Common Law, S. 175. sagt, daß das englische .law of bailments is of pure
fierinan descent“.
’) Siehe Maitland, The Seisin of Chattels. L.(|.k, I, S, 324—341:
Arnes, The Disseisin of Chattels, H. L. K., III, S. 23— 40, 313 — 328, 337
bis 346: Holmes, The Common Law, S. 164 — 246: Pollock and Mai tland
a. a. <)., II, S. 149 — 183: Williams. Personal Property, S. 10, 11. 516, 517.
Bezüglich der Theorie, daß der bailee ein ..special property* an den
übergebenen (bailed) tiegenständen besitzt, siehe besonders Holmes a. a. O. ;
Jones, Law of Bailments; Coke über Littlcton, 89a. Ks scheint so ziem-
lich allgemein angenommen zu werden, daß vor dem Ausgang des Mittel-
alters, wie auch immer das frühere liecht gewesen sein mag, der bailor das
.general property“ an dem Gegenstände hat und in der Tat der Eigentümer
Gowner“) ist. Siehe Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 177. Vergl.
Williams, Personal Property, S. 53.
Die klassischen Werke über das englische law of bailments, ein-
schließlich der Mobiliarverpfändung (pledge. pawn), siud: Jones, Law of
Bailments, und Story. Bailments (über Story siebe Markby, Elements of
Law. §§ 434, 435). In diesen Werken wird man einen Vergleich zwischen
dem englischen und dem römischen Recht finden. Über das englische Recht
siebe in Ergänzung der in dieser Abhandlung citierten Literatur die Fol-
genden: Reeves, Hist. Eng. Law, L S. 211 — 214: Ashburncr, Mortgages
Pledges and Liens: liohbins, Law of Mortgage, II. 8. 1458 ff.: Turner,
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193
Es muH hier genügen, zu konstatieren, daß die Verpfandung
von Mobilien (pledge, pawn) eine Form von bailment darstellt,
und daß diese Verpfandungsform der einzige Modus im Mittelalter
gewesen zu sein scheint, um freiwillig bewegliche Sachen zum
Zwecke der Sicherheitsleistung dienen lassen zu können. Mit an-
deren Worten, wir finden im Mittelalter Mobiliarverpfandung mit
Besitz des (Jlsiubigers •>, keine Hypothek auf hewegliche Sachen;
denn obschon, wie wir anderwärts gezeigt haben, die englischen
mittelalterlichen Quellen von einer obligatio sowohl an beweg-
lichen wie unbeweglichen Sachen sprechen, so scheint damit doch
nicht ein dingliches Recht, eine Hypothek auf bewegliche Sachen
gemeint zu sein*).
II. Verfallspfand (pledge, pawn).
Eine Verpfändung von Mobilien (pledge of chattels) zur
Sicherstellung einer Forderung (debt) geschieht im Mittelalter
durch Übertragung des Besitzes an den Gläubiger in Überein-
stimmung mit dem Pfandvertrage (contract of pledge) zwischen
den Parteien; dieser Vertrag wird vor dem königlichen Gericht
(King's Court) geschlossen3).
Die Verpfandung kann auf bestimmte oder unbestimmte Zeit,
geschehen 4).
Contract of Pawn: Beal, Law of Bailmcnts: Markt) y , Element« of Law,
Kapitel fiberschrieben „Security“, Uber das amerikanische Kocht siehe
Kent, Commentariea, II, S. 559—611.
•) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 180. Siche auch Williams,
Personal Property, S. 10.
*) Siehe unsere späteren Ausführungen: und über das tres ancien droit
vergl. Egger, Vennögcnshnftung und Hypothek, S. 18411. Vorgl. jedoch be-
züglich der Anfänge der Geschichte der englischen Hypothek („hypotheration")
auf SchifTo Seloct Pleas in the Court of Adiniralty (Seid. Soc.), I.
3) Glan rill. X. G, 8. Uber Verpfändung (pledge, pawn) von Mobilien
an jüdische Gläubiger im Mittelalter, siche Select Pleas in the Jewish
Exchequer (Seid. Soc.) S. 4. 8, t;4. 108, 103—104, 106, 107. 111, 115; Leet
.Inrisdiction in the City of Nnrwich (Seid. Soc.), S. 9, 10: Hazcltinc, The
Exchequer of the Jews (Law Qnartorly Review, Bd. XVIII, S. 308). Betreffs
Palle von Mobiliarrcrpfändurig (pledge) vor lokalen Gerichtshöfen siehe
Select Pleas in Manorial and other Scignorial Courts (Seid. Soc.), I,
S. 150, 182.
•) Glanvill, X. G.
Hazeltlne. Englisches Pfandrecht 15
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194
Wird der Besitz an den Gläubiger übertragen, so muß derselbe,
wie es scheint, gleichgiltig ob die Verpfändung für eine bestimmte
oder unbestimmte Zeit geschehen ist, den verpfändeten Gegenstand
sicher aufbewahren (keep safely), und darf er denselben weder in
Benutzung nehmen noch für irgend welche anderen Zwecke ver-
wenden, wodurch er in seinem Werte verlieren würde. Sollte der
Gegenstand, während er sich in Verwahrung des Gläubigers be-
findet, durch die Schuld des letzteren an seinem Werte verlieren,
so kann für den erlittenen Verlust Ersatz verlangt und ein ent-
sprechender Betrag von der Schuld in Abzug gebracht werden ').
In der Tat, sobald die Schuld vom Schuldner beglichen worden
ist, ist der Gläubiger verpflichtet (bound), das Pfandobjekt unbe-
schädigt zurückzuerstatten; sollte der Gegenstand aber nicht allein
durch die Schuld des Gläubigers, sondern durch irgend einen
Zufall beschädigt werden oder verloren gehen, während er sich in
Verwahrung des Gläubigers befindet, so hat dieser, nicht der
Schuldner die Folgen zu tragen. Mit anderen Worten, der Gläu-
biger isf nach Glanvill unbedingt verpflichtet (decidedly bound)
1 . entweder den verpfändeten Gegenstand zurückzngcben, oder
2. Ersatz dafür zu leisten, oder .‘t. auf seine Forderung zu ver-
zichten (löse bis debt) 2 1. .Mit dem Besitz trägt der Gläubiger
daher auch die Gefahr. Seine Haftpflicht ist daher eine absolute
(absolute liability). und schließt sowohl eigenes Verschulden, wie
Vernachlässigung und Unfall in sich:t).
') Wenn «las verpfändete Objekt solcher Natur ist, dal! dasselbe Aus-
lagen nötig niarlit, z.lt. Vieh, das gefüttert werden muH, oder ein tiegenstand
der zu reparieren ist. so ist das l'bereinkoinmnn der Parteien hierüber mal!
gebend. Glanvill, X, <>.
*) Glanvill, X, t>, 8. Vcrgl. Glanvill. X, 13. siehe Anhang.
*) Siehe Pollock and Maitland, a. a. <).. II, S. 170—172: Holmes,
The Common I.aw, S. 175: Williams. Personal Property, K. 10. Williams.
Personal Property, S. 10, Anm. (c), citiert Coke über l.ittlcton. 89a.
neben anderen Quellen zur Unterstützung der I loktrin. dal! der bailee die
Gegenstände unbeschädigt zurückzugeben bat und hierfür die absolute Ver-
antwortlichkeit trägt, auch dann, wenn die Gegenstände ohne seine Schuld
gestohlen worden sind (absolute responsibility to rotuni the goods safely).
Was aber den Pfandgläubiger (pledgec) betrifft, so kann dieser Passus von
Coke nicht ohno eine gewisse Keservo hier angewendet werden, denn Coke
(Coke über Littleton, 89a) sagt: .So if goods be delivered to one as a
gage or pledge. and they be Stollen, he sball be diseharged: because be hatli
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195
Bracton sagt, da LI nach dem Rechte seiner Zeit der Pfand-
gläubiger nur zur üblichen Sorgfalt und gebührender Wachsam-
keit (ordinarv care or due diligence) verpflichtet sei '), aber dies
scheint nur römische Gelehrsamkeit zu sein, nicht aber englisches
Recht bis nach Rractons Zeit®).
a property in them, and therefore he ought to keepc theui no othiTwi.se t hau
his owiic: but if he that gaged them, tendred the money betöre the steal-
ing, and the other refused to delircr them, then for this default in hini he
shall be charged.“ Siehe ferner Anm. (10) bei Coke über Littlcton, S9b.
Holmes, Common Law. S. 166 — 168, 175. stellt die Behauptung auf.
daß die absolute Verantwortlichkeit (absolute responsibility) des bailee auf
das deutsche Hecht zuriiekgoführt werden kann, und dall sie seit unvordenk-
lichen Zeiten auch zum englischen liecht gehört. Siehe auch Pollock and
Maitland. a. a. 0., II, S. 170 — 172. Hinsichtlich einer entgegengesetzten
Meinung siehe Beale, The Carriers Liabilitv: Its History, HLIt.. XI.
S. 158 — 168. Holmes, Common Law. S. 167. behauptet ferner, daß von den
beulen alten Kechtsregeln, nämlich, daß dem bailee die Klage gegen den
unrechtmäßigen Nehmer zusteht, und daß der bailee die absolute Verant-
wortlichkeit gegenüber dem bailor trägt, die erstere die ältere sei. Pollock
and Maitland a. a. 0., II. S. 171, 172. aber sagen: „Pcrhaps we coino neur-
ost to historical truth if we say that between the twn old rnles there was
no logical priority. The bailee had the aetion hecause hc was liable and
was liable because he had the aetion."
*) Bracton, f. 99, 99b: Pollock and Maitland, a. a. ().. 11, S. 171:
Jones, Law of Bailmonts. S. 86 — 96: Story, Bailments, S 296, 297. Vgl.
Bracton, f. 62b. Siehe auch ferner Pieta. S. 120 — 121: Holmes, Common
Law, S. 175: Gfiterbock, Bracton and his Relation to Koman Law (Über-
setzung von Coxo), S. 141, 175: Scrutton. Kornau Law in Bracton, I.QIL,
I. S. 436. 137: Bracton and Azo (Seid. Soc.), S. 146, 147. ln Jones, Law
of Bailments. S. 86—96, helindet sich eine scharfe Kritik der Kechtaregnl
betreffs der Verantwortlichkeit, wie Coke sie hinstellt. Siehe aber Story.
Bailments, S. 297 — 306.
Holt der Richter in dein großen Streitfälle Coggs c. Bernard während
der Kegierungszeit der Königin Anne, hält an der Rechtsrcgel fest, daß der
Pfandgläubiger (pledgee) nur zur üblichen Sorgfalt und gebührender Wach-
samkeit (due diligence) angehalten werden kann. Story, Bailments, S. 296.
297. Ein eingehender Bericht über diesen wichtigen Koehtsfnll ist tu er-
sehen hei Jones, Law of Bailments. Anhang. Siehe ferner über das mo-
derne Recht beziigl. Verantwortlichkeit Schouler, Personal Property, S. 515.
J) Siehe Holmes, Common Law, S. 176; Pollock and Maitland, Hist.
Eng. Law, II. S. 171: Bracton and Azo (Seid. Soc.) S. 146, 147. Ist der
Wortlaut (f. 99, 99b) auf den man sich hinsichtlich der scheinbaren Modi-
fikation der alten Hechtsregel über Verantwortlichkeit des bailee stützt.
13*
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19«
Bacon, in seinem Werke Abridgment of the Law'), sagt:
„If a creditor takes a pawn, he is bound to restore it npon pay-
ment; but if he, notwithstanding all his diligcnce lose it. he shall
howsoever recover his debt, 29. Ass. pl. 2X ftemp. Ed. III]: for
the law does not lav upon him an Obligation to keep against all
accidents; but if the inoney be tendered, and he after detains,
and then it is lost, he shall then be liable, for he is the» a wrong-
doer, and his keeping it alter is the occasion of its being stolen,
and he is then answerable at all events.“
Bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts hat derjenige,
der eine fremde bewegliche Sache übernimmt (baileei, nicht aber
derjenige, der sie übergibt (bailor), die possessorischen Rechtsmittel
gegen Dritte in der Hand*), und der bailor kann sich mit einer
Klage nur an den bailee halten; das Prinzip des englischen Rechtes
scheint demnach dasselbe wie dasjenige des deutschen Rechtes
zu sein, welches in dem Sprichwort: .Hand wahre Hand“ zum
Ausdruck kommt3).
Wie es scheint bezieht sich diese allgemeine Regel betreffs
bailment gleicherweise auf die besondere Form des bailment, mit
welcher wir jetzt beschäftigt sind, nämlich auf die Verpfändung
(pledge, pawn) von Mobilien. Diese Regel zeigt den Unterschied
bezüglich der Besitzfrage zwischen Mobiliarverpfändung und Imtno-
biliarverpfhndung zu ülanvills Zeiten. Zu dieser Zeit stand dem
Pfandgläubiger bei Übereignung von Immobilien unter Suspensiv-
bedingung zu Pfandzwecken absolut kein Rechtsschutz seines Be-
sitzes zur Seite ').
der ursprüngliche Text ßractons? Siehe Huhnes, a. a. ()., S. 175, Amn. 4
und die dort angeführten Quellen, sowie Pollork and Maitland, a. a. O.,
II, S. 171, Amn. 4.
') Tit. Kailment.
*) Hie Entwickelung der Hechte des bailor gegenüber dritten Pcrsouen
scheint unter der Regierung Eduards III. /.u beginnen. Siehe Williams,
Personal Property, S. 11, 21.
s) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 155, 159. 169 — 176:
W i 1 1 i a m s, Personal Property. S. II. Vergl. Williams a. a. 0.. S. 8. Über
das deutsche Recht siehe Heusler, Hewere. S. 495: Schröder. 1 »If < • ..
S. 270, 373, 377, 698.
*) Über die Weigerung der Gerichte zu Glanvills Zeiten, den Besitz
des Pfandglnubigers (gagee) bei Immobil in rvrrpfSndnng unter Suspensivbe-
dingung zu schützen, siehe Ulanvill, X. II: unten S. 205 ff.
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197
Nach Begleichung der Schuld hat der Gläubiger, wie oben
angegeben, den verpfändeten Gegenstand unverletzt zurückzu-
erstatten, und wenn er dies nicht tun kann, so muß er dem Schuldner
für den entstandenen Schaden Ersatz leisten oder aber auf seine
Forderung verzichten ').
Versäumt der Schuldner die Zahlung, so kann das Pfandrecht
infolge des eingetretenen Verfalles des verpfändeten Gegenstandes
realisiert werden. Ist der Pfandvertrag für einen gewissen Zeitraum
abgeschlossen und enthält derselbe eine Verfallsklausel, dann ist
bei Versäumnis der Zahlung am Stichtage der Verfall ein absoluter
und tritt dieser sofort von selbst und ohne weiteres ein®). Ist der
Kontrakt für einen gewissen Zeitraum abgeschlossen, enthält der-
selbe aber keine Verfallsklauscl. dann muß sich der Gläubiger
im Falle der Zahlungsversäumnis am Stichtage an das Gericht
wenden und dasselbe veranlassen, den Schuldner zu zwingen, vor
') Glanvill, X, 6. 9. .Spence, Equitable Jurisdiction, 1, S. 601:
.Uriginallv a writ was given for the recovery of a thing pledged, on the
debt heilig paid Ml [eitierl Glanvill. S. 259, Aull. Heamcs]: afterwards
where the subject was a movable, the action of detinne was substituted
[eitiert Y. B. 9 Kd. JV, 25, und weist auf Y. B. 21 Edw. IV., 1t) hin].“
3) Story, Hailments, S. 309, unter t'itierung (ilanvills X, 6, sagt: „It
is elear, by the common law. that, in cases of a tnore pledge, if a atipulated
time is fixed for the payment nf the debt, and the debt is not paid at the
time, the absolute property docs not pass to the plcdgee. This doctrine
is, at least, as old as the time of Glanville.“ Ferner sagt er Seit« 276 unter
t'itierung (Ilanvills, X, 1, 6,: .The common lawr of England, existing in
(he time of Glanville, seems to have required a judicial process to justifv
the sale, or at least to destroy the right of redemption.“ Über Vorkaufs-
recht sich« auch .Story, a. a. 0., S. 275.
Es ist fast ohne Zweifel, dal.! Storv Glanvills Darstellung der Vcr-
fallsklausel übersehen hat : denn (Ilanvill sagt ausdrücklich, daß wenn der
Vertrag auf eine bestimmte Zeit abgeschlossen wurde und eine Verfalls-
klausel eutbält, bei Zahlungsversäumnis am Stichtage absoluter Verfall die
Folge ist. Kceves, Hist. Eng. Law. I, S. 212, und Spence, Equitable
Jurisdiction, I. S. 600, 601, geben Glanvill richtig wieder.
Wiederum kann Story’s Darlegung über das Vorkaufsrecht leicht irre-
führen : denn ein Vorkaufsrecht schließt die Zahlung des Überschusses au
den Schuldner ohne weiteres ein. Das Substanzpfand (Ilanvills ist Verfalls-
pfand und nicht Verkaufspfand, und wenn es dem Gläubiger beliebt, den
Gegenstand zu verkaufen, so kann er den ganzen Ertrag, wie hoch er sich
auch belaufen mag. für sich behalten, denn der Gegenstand war zur Zeit des
Verkaufes sein Eigentum.
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ms
Gericht zu erscheinen und sich zu verantworten. Erkennt der
Schuldner vor Gericht die Schuld und die Verpfändung an, dann
wird das Gericht eine angemessene Zeit (rea.sonalde time) be-
stimmen. wahrend welcher das Pfand eingelöst werden kann,
oder aber, wenn dies nicht geschieht,, vollständig dem Gläu-
biger verfallt. Bestreitet jedoch der Schuldner die Verpfändung,
so muß er entweder anerkennen, daß der Gegenstand sein Eigen-
tum ist und einen Grund angeben, warum er sieh in den Händen
der anderen Partei befindet, z. B. daß er zur Aufbewahrung über-
geben worden ist, oder er muß eingestehen, daß der Gegenstand
nicht sein Eigentum ist. In dem letzteren Falle wird dem Gläu-
biger sofort freigestellt, über den Gegenstand als über sein Eigen-
tum zu verfügen. Wenn der Schuldner jedoch behauptet, daß
der Gegenstand sein Eigentum sei, dagegen aber die Verpfändung
und die Schuld bestreitet, so muß der ( «laubiger die Schuld und
die zur Sicherstellung seiner Forderung erfolgte Verpfändung des
Gegenstandes nachweisen. Ist der Gegenstand auf unbestimmte
Zeit verpfändet, so kann der Gläubiger zu jeder beliebigen Zeit
den Betrag der Schuld zurückfordern. Dies bedeutet augenschein-
lich, daß bei Versäumnis seitens des Schuldners nach Aufforderung
zur Zahlung der Gläubiger sich an das Gericht wenden und den
Schuldner zur Verantwortung ziehen kann, in gleicher Weise wie
vorstehend angegeben. Der Verfall eines verpfändeten Gegenstandes
an den Gläubiger ist die allerletzte Gonsequenz bei Versäumnis
der Zahlung innerhalb einer vom Gericht festgesetzten an-
gemessenen Zeit ').
Der Verfall des verpfändeten Gegenstandes scheint daher in
allen Fällen die letzte Folge zu sein, die aus der Zahlungs-
versäumnis seitens des Schuldners hervorgeht. Enthält der Vertrag
eine Verfallsklausel, so tritt bei Zahlungsversäumnis am Stich-
tage der absolute Verfall von selbst ein. Andernfalls muß ein
auf Billigkeitsprinzipien beruhendes Verfahren (proceeding equi-
table in nature) vor Gericht eingeleitet werden, ehe der Gegen-
stand verfallt. Mit anderen Worten, wenn keine Verfallsklausel
vorhanden ist, soll dem Schuldner noch eine Möglichkeit geboten
') IjilanviD, X. 6—8: lteovcs, Hist. Kng. Law. 1, S. 212: Pollock
and Maitland, a. a. <)., II, S. 220.
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199
werden, den (legen stand einzulösen; tut er dies nicht, su wird
das Anrecht ("title) des Gläubigers an dem verpfändeten (legen-
stand gernall Spruch des Gerichtes perfekt1).
Diese Verpfändungsform (pledge, pawn) mit Besitz des Gläu-
bigers hat sich bis auf unsere Tage erhalten. Welcher Ansicht
man auch darüber sein mag, oh während des Mittelalters der
Empfänger ihailee) sowohl das Eigentumsrecht als auch den Besitz
erwarb, so stellt doch gegenwärtig, wie auch in früheren Zeiten
diese Verplandungsform ein Substanzpfand dar. Im Mittelalter
ist das Pfand (pledge, pawn) Verfallspfand *). Aber im modernen
Hecht hat sich diese Form des Pfandes in ein Verkaufspfand ver-
wandelt. Der Pfandgläubiger ist nach heutigem Recht nicht in
der Lage, zu verlangen, da 11 ihm der verpfändete Gegenstand vom
Gericht als verfallen zugesprochen wird (right of foreclosure), denn
der Pfandgeber (pledgor) ist berechtigt, das Pfandobjekt wieder
einzulösen, so lange es nicht verkauft ist. Sowohl hei ausdrück-
licher wie bei stillschweigender Ermächtigung (special or implied
power) hat er in der Tat das Recht bei Versäumnis rechtzeitiger
Einlösung den Gegenstand zu verkaufen, jedoch muß er über den
Ertrag Rechenschaft ablegen (account), und den Überschuß (sur-
plus) über den Betrag der Schuld und die gehabten notwendigen
Ausgaben an den Pfandgeber (pledgor) auszahlen3).
Obgleich das mittelalterliche Recht nur die Verpfändung von
beweglichen Sachen mit Besitz des Gläubigers (pledge, pawn)
kennt, hat sich im modernen Recht eine Form der Verpfändung
*) Über die Notwendigkeit lisch mittelalterlichem liecht einen Richter-
spruch einzuholen, um einen Rechtstitel perfekt zu machen, siehe Wigmorc,
Harv. Law Review X, S. 333 ff.
-) Siehe S. 193 ff'. Die Hfirte des Verfalls spiegelt sich in der nicht-
juristischen Literatur wieder. Siehe x. 11. Thomas Dekker's Tht Hatc/ulan
Hnntjucl, \. D. 1603 (in The Non-Dramatic Works of Thomas Dekker, lirsg.
von A. 11. (irossart. I, S. 164).
*) Robbins, Law of Mortgagcs. II. S. 1460. 1470. 1471: Fisher,
Law of Mortgage. $$ 202, 928. 832: Williams, Personal Property, S. 53, 8.5:
Ashburncr, Priuciplcs of Kquity. 8. 308. Nach dem heutigen amerikanischen
Rechte kann der Pfandgl&ubiger tplcdgee. pawnee) «stie the pledgor person-
ally for his debt. w ithout selling the pledge — a reinedy always open,
sinec the pledge, after all, fnrnishes nierelv a enllateral sccurity“. Schoulcr,
Personal Property, S. 521.
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200
entwickelt, wonach der Schuldner iin Besitze bleibt, bis er es ver-
säumt, seine Zahlungen rechtzeitig zu leisten. Diese Form der
Verpfändung ist bekannt als „mortgage“ an beweglichen Sachen
('personal property or goods) und ist dem klassischen mortgage an
einem Grundstück auf Grund einer Übereignung unter Resolutiv-
bedingung (eonditional feoffment) sehr ähnlich. Bei einem solchen
mortgage auf eine bewegliche Sache (personal chattel) geht das
Eigentumsrecht sofort auf den Pfandgläubiger (mortgagee) über,
aber der'Pfandgeber (mortgagor) bleibt in dessen Besitz mit dem
Rechte es zu einem festgesetzten Termine wieder einzulösen. Mit
anderen Worten, das mortgage auf eine bewegliche Sache ist eine
bedingte Übereignung, die nach gemeinem Recht mit oder ohne
gesiegelte Urkunde vorgetiommeu werden kann. Bei Verzug
dos Schuldners hat der Pfandgläubiger (mortgagee) das Recht,
davon Besitz zu ergreifen, und der Pfandgeber (mortgager), der
sich nun sowohl seines Eigentumsrechtes wie auch seines Besitzes
begeben hat, hat nach gemeinem Recht (Common Law) keine Rechts-
mittel zu seiner Verfügung, um wieder zu dem verpfändeten
Gegenstände gelangen zu können. Das Billigkeitsrecht (Equity)
jedoch gibt ihm das Recht, selbst nach Zahlungsversäumnis am
Stichtage jsein Gut wieder einzulösen: dieses Recht (right in equity)
des Schuldners erfüllt also für das mortgage an beweglichen
Sachen dieselbe juristische Funktion, wie nach dem Billigkeits-
recht die Wiedereinlösung selbst nach dem Verfalltage (equity nf
redemption) bei mortgages auf Immobilien. A bgesehen vom Gesetzes-
recht (apart from Statute) hat der Pfandgläubiger auch das Recht,
den Gegenstand nach dem Stichtage vom Billigkeitsgericht als
endgiltig verfallen erklären zu lassen (right to foreclosei. Der
Pfandgeber (mortgagor) ist jedoch an den in Übereinstimmung
mit den Bedingungen der Verpfändungsurkunde (mortgage deed)
rechtmäßig vorgenomraenen Verkauf seitens des Pfandgläubigers
(mortgagee) gebunden, und im Falle des Verkaufes hat der Pfaud-
geber nach dem Billigkeitsrecht (Equity) nur Anspruch auf den
Überschuß isurplus) über den Betrag der Schuld und die Kosten.
Gegenwärtig sind die Bedingungen bezüglich mortgages an be-
weglichen Sachen in den Bills of Sales Acts aus den Jahren 1878
und 1HX2 niedergelegt. Nach diesen Gesetzen müssen mortgages
auf bewegliche Sachen zur Sicherstellung von Schuldforderungen
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201
vorschriftsmäßig amtlich eingetragen werden, sofern sie nicht
absolut nichtig sein sollen. l>a,s mortgage an Mobilien ist also
nach dem heutigen Recht eine Hypothek mit Verkaufsrecht an dem
verpfändeten Gegenstand ')•
Dritter Teil.
Das Immobiliarpfandrecht.
Die Verpfändungen von Immobilien während des großen Zeit-
abschnittes von der normannischen Eroberung bis ans Ende des
Mittelalters lassen sich in zwei große Klassen einteilen: Ver-
pfändung mit sofortigem Besitz des Gläubigers und Verpfändung
mit Besitz des Schuldners bis zu eventueller Zahlungsversäumnis *>.
Erster Abschnitt.
Pfand mit Besitz des Gläubigers.
Die Verpfändung mit sofortigem Besitz des Gläubigers nahm
in der angelsächsischen Zeit, wie wir schon gesehen haben,
die beiden Hauptformen von Nutzpfand und Proprietätspfand an.
’) Siehe Bacon, Abridgment, tit. Mortgage: Williams. Personal Pro-
perty, S. 87 ff : Robbins, Law of Mortgages. I. S. 14. II, S. 1000, 1450 :
Ashburner. Principles of Equity, S. 261, 312.
Das Bills of Sale Act vom .lalire 1882 hat das Recht des Pfamlgläu-
bigers (mortgagec), den verpfändeten Gegenstand als verfallen erklären r.u
lassen (right of forcclosurc), praktisch außer Gebrauch gesetzt, indem es
dem Pfandgl&ubiger das Recht verlieh, den verpfändeten Gegenstand bei
Zahlungsversäumnis seitens des Schuldners fortzunehmen (geize). Siche
Robbins, I,aw of Mortgages, I, S. 220, II, S. 1000.
Uber das amerikanische Recht beziigl. liens, pledgcs und mortgages
auf bewegliche Sachen (personal property) siehe Schouler, Personal Pro-
perty. S. 482 — 559.
s) Die Unterscheidung zwischen Pfand mit Besitz des Gläubigers und
Pfand mit Besitz des Schuldners ist in der Tat dieselbe, wie sie der fidu-
ciaoder dem p ignus einerseits und der hypotheea des römischen Rechts
andererseits (siehe Dcrnburg, Pfandrecht, I, S. 1 — 95), der älteren Satzung
des deutschen Rechts einerseits und der jüngeren Satzung andererseits (siehe
Meibom, Pfandrecht; Gierke, Deutsches Privatrceht. Bd. II, S. 812 — 826:
Bru nner, Grundzüge d. deutsch. Rechtsgesch., S 188 — 191), dem en gagemen t
des französischen Rechts einerseits und der Obligation andererseits (siehe
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202
Diese beiden Hauptformen tauchen mit einigen Modifikationen auch
in den Rcchlsqucllcn nach der Zeit des normannischen Einfalles1)
auf, ja sie haben sich mit einigen weiteren Modifikationen bis auf
den heutigen Tag erhalten.
Erstes Kapitel.
Das Nutzpfand.
Im Mittelalter finden wir ein Nutzungsrecht oder eine Ver-
pachtung auf Jahre (sog. „beneficial lease“), wo keine .Schuld-
Pranken, l(as fran z. Pfandrecht, S. I 34!: Vinllct, Hisloirc du droit civil
fram.ais, S. 73.'! — 7-1 K) 7.11 <1 runde liest.
Das von Wilhelm dem Eroberer eingefiilirte Lelmssystein war eine
/eit lang der freien Veräußerung oder Verpfandung von Land i in Wege.
Immerhin war es aber möglich, das tenemeiit mit Erlaubnis des Grundherrn
oder des Königs 7U verpfänden, und diese Erlaubnis scheint hiiutig erteilt
wurden 711 sein. tSehlieUlich wurde jedueh dureh das .Statute of <Juia Einp-
tores im Jahre 12!K) die freie Veräußerung von estates in fee simple —
außer für die tenoutes in eapite der Krone — ermöglicht, und hierdurch
wurde die lmmobiliarverpfändung mehr gebräuchlich. Siebe Chiscnhalc-
M arsh,I>oinesday Bookrelating tu Essex, f.CLVIIl: Ilegister, orltotls, of Walter
Gray, Lord Archbishop of Vork (Surtees Society), S. 22fi: llalmota Prio-
ratus Dunelnicnsis, Preface, S. XIX: 1'owell. Law of Mortgages, S. 3, 4:
Goote, Law of Mortgage, I. Aull., S. 4—7: Jones, Law of Mortgages,
S. ö. Vergl. Pollock and Maitland. Historv of Englisb Law, 1, 8. 32!) — 34!).
Es scheint jedoch, wie wir an mehreren Stellen der vorliegenden Arbeit
gereigt haben, daß die Iniinobiliarverpf&ndung. entweder durch sofortige
Lebergabe des Besit7cs an den Gläubiger oder dureh Hypothek, vor der
Annahme der Quia Euiptores doch häutiger vorgckwuimen ist, als von den
Schriftstellern über Pfandrecht oft angenommen wird.
Obwohl nach dem Wortlaut der Erkunde die Hypothek zuweilen eine
General-Hypothek zu sein scheint, so handelt es sich hier aller Wahr-
scheinlichkeit nach doch nur um eine Hypothek auf das Land, nicht aber
auch auf das Mobiliar. Siebe unsere späteren Ausführungen.
Über die Verpfändung der Normandie dureh den Herzog Hubert au
seinen Bruder William Kufus. König von England, siehe Brady, Historv of
England, S. XXX, 223: Gardiner, Historv of England. I, S. 121. Über
die Verpfändung von Aquitaine und seiner übrigen Länder durch Wilhelm
Herzog von Poictou an Wilhelm Knfns, siehe Brady, a. a. <)., S. 224, B. C.
Siehe auch Brady, a. a. 0„ S. 221, Amn. (c). Betreffs der Verpfändung
einer Stadt an König Henry siehe Sclect. Civil Pleas (Seid. 80c.), S. 18.
') Eine Zeitlang nach der Eroberung konnte die Verpfändung, welche
Form sie auch annehmen mochte, ohne Aufstellung irgend einer Urkunde
vorgenommen werden. Siche Pollock and Maitland. a. a. t)., II, S. 123.
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203
forderung den Akt der Verpachtung an denjenigen, der das (ield
an den Verpächter (lessor) bezahlt hat, überdauert. Zu dieser
Zeit existieren auch zwei Formen von Nutzpfand zur Sicherstellung
einer Forderung, nämlich vivum vadium (Totsatzung! und mor-
tuum vadium (Zinssatzung), mit deren Details, besonders im
zwölften und dreizehnten Jahrhundert, wir uns bald befassen
werden ').
I. Verpachtung oder Nutzungsrecht auf Jahre
(sog. benelicial lease).
Das sog. benelicial lease ist ein Pachtverhältnis auf Jahre
bei dem der Pächter nach Vorwegzahlung der gesamten Pacht-
summe den Pachtbesitz übernimmt. Im zwölften und dreizehnten
Jahrhundert dient diese Verpachtungsform zwei wichtigen Zwecken:
sie verschafft dem Verpächter (lessor) bares Geld und bietet gleich-
zeitig die Möglichkeit «ler Investierung von Kapital mit der Aus-
sicht für den Pächter i lessee), durch die Erträge des Landes wieder
zu seinem Gelde nebst Zinsen zu gelangen*).
In ihrem Werke „The History of English Law“ '■') haben Pollock
und Maitland bereits auf die Tatsache hingewiesen, daß es in den
Quellen des englischen mittelalterlichen Rechts oft äußerst schwer
ist, zwischen dem „gage for years“ und dem „benelicial lease“ zu
unterscheiden. Heide Transaktionen haben fast denselben Zweck,
nämlich die Wiedererlangung einer Summe Geldes, welche jemand
einer anderen Person zur Verwendung übergeben hat. Das „bene-
ticial lease“ ist jedoch keine Verpfändung im Sinne der Sicher-
stellung einer Forderung, denn es handelt sich hier nicht um
eine Schuld. Der Pächter kann sich zur Wiedererlangung seines
Geldes nur an die Erträge des Landes während «1er Pachtzeit,
in keinem Falle aber an den Verpächter selbst halten.
Autler «lab es demselben ökonomischen Zwecke dient wie
eine Verpfändung auf Jahre, nämlich der sicheren Rückkehr der
gezahlten Summe nebst Zinsen, hat das beneficial lease folgenden
großen Vorteil über die Verpfändung auf Jahre. Dem Pächter
kann nicht Wucher (usury) zum Vorwurf gemacht weiden, da
■) Siebe unten S. -'04 IV.
a) Pollock and Maitland, a. a. <)., II, S. 111. 112. 117, 121, 122.
3) Hand II. S. 117, 121, 122.
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204
eine Schuld nicht vorliegt und gerade zu der Zeit, wo die ben-
eficiul lease am meisten zur Anwendung kommt, wird viel über
die Sünde des Wuchers gesprochen und das Vermögen (goods)
des Wucherers, der in der Sünde stirbt, verfällt dem König*).
Die Beliebtheit einer Transaktion, welche alle Vorteile, aber keine
der Härten, welche die Verpfändung auf Jahre mit sich bringt,
in sich schließt, ist daher leicht zu verstehen.
Während der Pachtzeit hat der Pächter natürlich Anspruch
auf den den Pächtern (lessees, termors) zustehenden possessorischen
Schutz *).
Nach Ablauf der Pachtzeit geht das Land wieder auf den
Verpächter über*).
II. Totsatzung (vivum vadium) und Zinssatzung
(mortuum vadium).
Das Nutzpfand wird geschaffen auf Uruud des Vertrages
zwischen den Parteien und durch Übergabe des Besitzes an den
Pfandgläubiger unter den Bedingungen des Vertrages. Das Pfand
wird zur Sicherstellung einer Schuldforderung gegeben, welche
mit Hilfe der Klage action uf debt eingetrieben werden kann s)
Es gibt zwei Hauptformen des Nutzpfandes: welche Form
jeweilig in Betracht kommt, hängt von der Verwendung ab, welche
die eingezogenen Renten und Erträge seitens des Pfandgläubigers
finden, während der Zeit, wo sich das Land in seinen Händen
befindet. Die Parteien können bestimmen, dall die von dem
Pfandgläubiger einzuziehenden Renten und Erträge zur Kürzung
des Schuldbetrages selbst verwendet werden sollen oder nicht.
Das Rechtsgeschäft ist ein vivum vadium (Totsatzung)6), wenn die
Renten und Erträge zur Tilgung der Schuld benutzt werden; es
wird mortuum vadium (ewige Satzung) genannt, wenn die
’) Pollock and Maitland. a. a. ()., 11. S. 122. Vergl. tiierke.
Deutsches Privatrecht, Ud. II, S. 754.
*) Siehe unten S. 205, 206.
’) Siehe unsere obige Besprechung der liechte des toruior im eng-
lischen mittelalterlichen Recht.
*) Siehe unsere früheren Ausführungen.
s) Siehe unsere späteren Ausführungen.
*) Betreffs des Ausdrucks vivum Tadium siehe unten S. 20611'.
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•203
Renten und Ertrüge nicht zur Tilgung der Schuld selbst dienen,
sondern an Stelle der Zinsen vom Gläubiger verwendet werden !).
Während des Bestehens des Pfandverhältnisses pflegt man zu
sagen, daß der Pfandgläubiger die seisina des Landes hat; aber
diese sogenannte seisina entbehrt gegenüber dem Pfandschuldner
selbst oder gegenüber dritten Personen jedes rechtlichen Schutzes *).
Beide, sowohl das vivnm vadium, wie das mortuum
vadium, scheinen vom Königsgericht als rechtsgültiges Geschäft
angesehen zu werden’). Aber durch das Eingehen eines mortuum
vadium Vertrages begeht der Gläubiger eine Sünde, denn dieses
Geschäft ist eine Art Wucher; und wenn der Gläubiger vor Ab-
lauf des Vertrages stirbt, so stirbt er in seiner Sünde und sein
') Glnnvill, X. I>: Itcin quandoqnc invadiatur res aliqua in mortuo
vadio, quandoque non. Mortuum vadium dicitur illnd cujus frnctua vel
redditus interim porcepti in nullo so acquictant. Glnnvill. X, 8: Cum
vero res immnbilis ponitur in vadium, ita quod inde facta fuerit seisina
ipsi creditori, et ad tenninum : aut ita convenit inter creditorem et debi-
Uireni quod ovitns et redditus interim se acqnietant, aut sic quod in nullo
sc acquictant. Prima ennventio jnsta est et tonet: secunda injtixta Mt, et
inhonesta, qnac dicitur mortuum vadium: sed per Curiam doinini Kegis
non prohibetur tieri. et tarnen reputat eam pro specie t'surae. fnde si
quis in tali vadio decesserit, et post mortem ejus hoc fuerit probatum, de
rebus ejns non aliter disponetur quam de rebus usurarii. Caetera sen'entur.
ut piius de vadiis in rebus mobilibus consistentibus dictum est.
Das englische vivum vadium entspricht daher der deutschen Tot-
satznng und das englische mortuum vadium der deutschen Zinssatzung.
3) Siehe unsere späteren Ausführungen. Jones, Law of Mortgages, S. 1.
sagt: .The mort uum vadium was the designation of a pledge of land of
which the mortgagee did not necessarily receive the posseasion, or have the rents
and profits in rcduction of the detnand. In the time of Glanville this form of
security was looked upon with much disfavor as a species of usury." Chaplin,
a. a. ()., IV. S. 6, 7, behauptet ebenfalls, da U das vadimn der Zeit Glan-
vills und Ilractonx entweder ein solches mit Besitz des Gläubigers oder
ein solches mit Besitz des Schuldners sein konnte. Diese Ansicht betreffs
Besitz scheint unrichtig zu sein. Wie wir an anderer Stelle gezeigt haben,
scheint der Pfandgläubiger im Falle des Glanvill'schen mortuum vadium
und vivum vadimn stets seisina ut de vadio zu haben.
3) Glnnvill sagt dies ausdrücklich im Kalle des vivum vadium und
sein Satz, der mit Caetera beginnt, scheint zu bedeuten, daß das mortuum
vadium ebenfalls als rechtsgültig anzusehen ist. Siehe Glanvill. X, 8
(wörtlich angeführt in Anm. I oben': Pollock and Maitland, a. a. O.,
II, S. 119. Anm. 3. Yergl. die Ansicht von Philipps unten S. 206, Anm. I.
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•20f>
Vermögen (chatiels) verfallt dem König. Stirbt er jedoch nicht,
bevor der Vertrag abgelaufen ist, so wird die Einhaltung der Ke-
stimmungen des letzteren vom Königsgerichte erzwungen (enforced i,
denn obgleich Wucher als Sünde angesehen wird, so scheint er
doch selbst dem Christen nicht ausdrücklich verboten zu sein und
für den Juden ist es an und für sich keine Sünde, Zinsen zu
nehmen. Wie es scheint, ist die gebräuchlichste Form des Pfand-
vertrages sowohl für Christen wie für Juden das mortuum vadi-
um. trotz des ihm anhaftenden Charakters der Sündhaftigkeit1).
Jedoch auch das vivum vavium ist in der Praxis nicht un-
bekannt, denn selbst ein Jude läßt sich manchmal dazu herbei,
Rechnung über die Verwendung der Erträge zur Tilgung der
Schuld abzulegen *).
Die Worte mortuum und vadium in ihrer Anwendung auf
das Pfand sind in der Literatur des Pfandrechts zum Gegenstand
eingehender Erörterungen geworden. Nach Glanvill liegt der
Zustand des „Totseins“ beim mortuum vadium in dem Faktum,
dall die Renten und Erträge, welche das verpfändete Grundstück
abwirft, die Schuld nicht verringern, während der Zustand des
„Lebendigseins“ des vivum vadium darin liegt, daß die Erträge
ans dem Pfandobjekt die Schuld tilgen5). Littletons Erklärung
des Ausdrucks mortuum vadium oder inortgage weicht noch
immer von der Auslegung der Worte mortuum vadium bei
') SichcG la n v i 1 1. X. 8 : Jones, a. ». 0., S. t : Pollock and Maitlanil,
a n. <>., II, S. 119: Glassnn. Histoiro du droit et des Institution* d'Anglc-
terre, II, S. 310, 313. Phillips. Knglischc Reichs- und Recht sgeschichlo.
II, S. 237. sagt bei llcsprechung des Glanv il 1 'selten innrtuuin vadium:
„ . . . dies galt für ein unerlaubtes und ungeziemendes Geschäft. auf welches
die Regeln von der usuraria pravitas unbedingt ihre Anwendung fanden:
erlaubt war daher die Verpfändung von < irimdstüeken nur für den Kall,
wo dem Schuldner die Früchte zu flute kamen." Siehe auch Phillips,
a. a. 0„ II, S. 230, 231. I'hcr die (leschiehte des Wuchers in Kngland
siehe Plnwdeii, l.aw of Knurr and Annuities: Turner, Kontraet of Pawn,
S. 4 — 7. Krst nach Annahme des Statute 37 Henry VIII. wurden l>ar-
lehen gegen Zinsen als rechtsgültige Geschäfte angesehen. Konto, l.aw nf
Mortgage, 1. Aull.. S. 6, Anm. (b).
*) Siehe Madnz, Formulare. No. KXLII: Pollock aud Mailland,
a. a. 0.. II, S. 119. Anm. 4. Vergl. Round. Ancietit Charters. No. .36.
*) Glanvill, X, 8. Bei Beaumanoir linden wir dieselbe Auslegung
(siebe c. 68. § 11). Vergl. Snmma, S. 54. 279.
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207
Glanvill im zwölften Jahrhundert ah. Littleton sagt, daß das
Land, wenn die Schuld nicht bezahlt wird, für den Schuldner tot
ist, während, wenn die Schuld bezahlt wird, das Land für den
Gläubiger tot ist ').
Lei seiner Auslegung des mortuum und vivum hat
Glanrill im zwölften Jahrhundert nur die Verwendung, welche die
Früchte finden, im Auge. Je nachdem, ob die Früchte des Landes
die Schuld reduzieren oder nicht, ist das Land für den Schuldner
lebend (vivum) oder tot (mortuum). Auf der anderen Seite
hat Littleton bei seiner Auslegung des mortuum vadium oder
inortgage seiner Zeit beides, die Verwendung der Früchte und
den Verfall des Landes selbst im Ange. Wenn das verpfändete
Ijtnd nicht eingelöst wird, so verfällt es dem Gläubiger und ist
somit tot (mortuum, inort) für den Schuldner; wird das Land
aber eingelöst, so geht der Besitz auf den Schuldner zurück und
sowohl die Früchte, wie das Land selbst sind dann tot. für den
Gläubiger*).
Littleton, $ 032.
*) Coke. bei Kommentierung von Littleton, § 332, sagt (Coke über
Littleton, 203a): ., Mortgage1 is dcrivcd (Citierung Glanvills, üb. 10, cap.
(58 and lib. 13 rap. 2t», 27], of two French worils, viz. mort, that is mortuum.
and gage, tliat is v ad i u in, or p ignus. And it is ealled in Latinn mortu um
vadium, or morgagiiim. Now it is ealled Iu re inortgage or inortiuiiii
v ad i ii iii , botli for thc reason here oxpressed by Littleton, a» also to disting-
uisli it from that «hieb is ealled vivum v ad in in. Vivum vadium
dieitnr vadium, quia nun quam moritur ex aliqnü parte quod ex
suis prov eiitubus ncq ii i ratur. As if a man borrow a hnndred pounds
of anotbor, and maketli an estate of iands unto bim. untill he hntli received
the said surn of tlie issues and the protits of the land. so as in this eaae
weither money nor land dieth. or is lost, (wliorcof Littleton hath spoken
[Coke bezieht sich hier auf Li tt Icton, § 327] before in this Chapter) und
tbereforc it is ealled vivum vadium."
Soviel wir ersehen, bezieht sieh di»' lliskussion in der späteren Hechts-
literatur über das vivum vadium und mortuum vadium als Nutzungs-
pfänder. wo „ncither money nor land dieth or is lost" meist auf diesen
Passus bei Coke. Siehe z. Ii. (’ootc, 4. Aull. I. e. II: Carter, Lex Vadi-
orum, S. 1: Powcll, Law of Mortgagcs, S. 1 — 4: Fisher, I.aw of Mort-
gage. S. 3; Hobt» ins. Law of Mortgages, I, S. 2, 3. Vergl. aber Ree v es.
a.a.O., I, S. 211, 212, der der Ansicht zu sein scheint, dali das Glanvill -
sehe Pfand ein Ycrfallspfand war und der in der Tat anzudeuten scheint,
dal! das (5 1 an v ill'sclie lnortuiim vadium und das I.it t leton'sche mort-
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•208
Obgleich es richtig sein mag. dall das Glanvillsche Pfand,
wie allgemein angenommen wird, infolge der Weigerung des
Königsgerichtes, die sog. „seisina“ des Pfandgläubigers zu
schützen, schnell autler < Jebrauch kam'), möchten wir hier doch
kurz andeuten, daü die leitenden Grundsätze des Glanvillsehen
reinen Nutzungspfandes, das vivum vadium (Totsatznng) und
mortuum vadium (Zinssatzung), trotzdem durch die Jahrhunderte
bis auf unsere Zeit sich erhalten haben.
Coke stellt das vivum vadium seiner Zeit als eine Form der
Verpfändung hin, die zu vergleichen ist mit dem mortuum
vadium oder mortgage bei Littleton. „As if“, sagt Coke, „a
man borrow a hundred pounds of another, and maketh an estate
of lands unto him, untill he hatli received the said sum of the
issues and the profits of the land, so as in this case neither money
nor land dieth, nor is lost, .... and therefore it is called
vivum vadium.“ Bei solcher Form der Verpfändung gibt es
keinen Verfall, denn sobald die Schuld aus der Welt geschafft ist,
geht das Grundstück wieder in die Hände des Schuldners über.
Nach den Worten Blackstones ist diese Form der Verpfändung
gage, kombinierte Geschäfte, Nutzpfand plus Substanzpfand (Vorfallspfand)
((oweson sind. K* ist jedoch von Wichtigkeit, zu berücksichtigen, dall
I. ittleton in seinem § 327, wo nach Coke vom vivum vadium die Itede
sein soll, überhaupt nicht von einer Verpfändungsform spricht. Es handelt
sich hier vielmehr um Pfändung für rückständige Kentc, wo der Anspruch
anf die letztere aus den Erträgen des Landes befriedigt wird. Po well,
a.a.O., S. 1 — 4, sagt, dall das ino rtuum v adi u in und das vivum vadium
(ilanvills aus dem Gewohnheitsrecht der Normannen übernommen worden zu
sein scheinen und identifiziert offenbar diese zwei Formen Glanvills mit dem
mortuum vadium (mortgage) und dem vivum radinm Littletons und
•’okes. Vergl. I’owells Ansicht, daß das englische klassische „mort-
gage“ aus dem römischen Hecht übernommen wurde. Jones, a.a.O., S. 4.
scheint das mort umn vadi um (inortg age) Littletons in gewisser Hinsicht
als dieselbe Verpfändungsform wie das Glanvill’gehe mortuum vadium
zu betrachten, obgleich es in der späteren Zeit ein „conditional estate" ge-
worden war. Crabb, Hist, Eng. Law. S. 371. identifiziert die beiden Formen
ohne irgend einen Unterschied fcstzustellen. Vergl. auch Spence, Equitahle
Jurisdiction, I, S. 133, fiOO, HOI. Fisher, a. a. O., S. 3, Anm., ist ohne
Zwoifel im Irrtum, wenn er das mortuum vadium Glanvills mit dem
vivum vadium Cokes identifiziert.
■) Siehe das unten Ausgeführte: Pollock and Maitland. n. a. 0.,
II. S. 180.
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•209
ein „es tat« conditioned to be void, as soon as such sutn is
raised* ').
Gewisse Formen des späteren vivum vadium ähneln mehr
der antichrese, wo die Früchte sowohl zur Tilgung der Schuld
als auch zur Zahlung der Zinsen verwendet werden. So z. B.
wo ein Besitztum (estate) an den Gläubiger und seine Erben
(estate in fee) oder auf eine lange Reihe von Jahren auf den
Gläubiger allein] (long term of yearsi übertragen wird und
das Land im Besitze des Gläubigers bleibt, bis sowohl Schuld
wie Zinsen aus den Renten und Erträgen (rents and profits) ge-
tilgt sind*). Eine zweite Form der Sicherheit besteht darin, dall
das Land auf den Gläubiger auf eine kürzere Reihe von Jahren
(short term of years) übertragen wird (demised) und der Gläubiger
während dieser Zeit die Renten und alle Erträge zur vollen
Befriedigung seiner Forderung, und zwar sowohl Schuld als
Zinsen, verwenden kann. Im letzteren Falle enthält der Vertrag
den Vorbehalt, dali das Land durch Zahlung der noch rück-
ständigen Schuld und Zinsen zu jeder Zeit während der Über-
lassungsperiode eingelöst werden kann. Am Ende der Über-
lassungsperiode geht das Land, nunmehr von jeder Schuld voll-
ständig entlastet, wieder auf den Schuldner über. Die Renten
und sonstigen Erträge haben die Schuld getötet3). Diese beiden
Formen der Sicherheitsstellung werden genannt: „securities in
the nature of Welsh mortgages“ 4).
Diese Verpfändungen, bei denen die Rente und sonstigen
Erträge beides, Schuld und Zinsen reduzieren, sind von Lord
Hardwicke mit „estates by elegit“ verglichen worden. In beiden
Fällen endigt das Besitzrecht (estate) seitens des Gläubigers, sobald
Schuld und Zinsen getilgt sind, und der Schuldner kann dann
die Besitzklage (Ejectment) erheben, ausgenommen er wartet so-
') Coke über Littleton, 205a: Blackstone, II, c. 10, § III. Siehe
Flintoff, Introduction to Conveyancing, S. 234. Pollock, Land Laws, S. 132,
identiliziert das vivum vadium (vifgag'e) mit dem -Welsh mortgage.-
*) Robbins, Law of Mortgages, I, S. 26.
*) Robbins. a. a. O., I, S. 26.
*) Siehe Robbins, a. a. 0., I, S. 26, 27, wo die Erörterung einer
weiteren Form dieser Art von Sicherheit zu linden ist. Betreffs des eigent-
lichen .Welsh mortgage“ siehe unten S. 211.
Hazeltine, KngUsches Pfandrecht 1 4
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•210
lange, bis die Klage verjährt ist (barred bv Statute of Limitations).
Auch kann der Schuldner in beiden Fällen den Gläubiger nach
Billigkeitsrecht (Equity) zur Reehnnngsablegung (account) zwingen ').
Nicht nur bei „estates bv elegit“ finden wir das Prinzip,
daß das Hypothekenrecht (lien), welches durch Beurkundung,
Siegelung und Protokollierung eines an amtlicher Stelle abgegebenen
Schuldanerkenntnisses entsteht, bei Zahlungsversäumnis seitens des
Schuldners dadurch geltend gemacht werden kann, daß dem
Gläubiger der Besitz und dadurch ein Besitzrecht in Form eines
vivum vadium (estatc in the nature of vivum vadium) über-
tragen wird, sondern wir finden es auch bei sogenannten „Statutes“
or „recognizances“, z. B. bei den sog. „Statutes merchant“ und
„Statutes staple“; der Gläubiger behält hier das Land, bis die
Schuld und die Zinsen mit Hilfe der Kenten und Erträge getilgt
sind. Das Hypothekenrecht zur Sicherstellung von Forderungen
jüdischer Gläubiger (sog. „Jewish gage“) kann ebenfalls auf Grund
des Prinzipes des vivum vadium geltend gemacht werden*).
Wiederum kann eine Belehnung (feoffment) in der Weise vor-
genommen werden, daß sich der Belehner (feoffor) eine gewisse
Rente vorbehält mit der Bedingung, daß wenn die Rente nicht
pünktlich bezahlt wird, er und seine Erben von dem Grundstück
Besitz ergreifen (enter) und das Land einbehalten können, bis die
Rentschuld durch die Erträge getilgt oder von dem Belehnten
(feoffee) in bar bezahlt worden ist. Die Belastung (ehargei ent-
steht durch die Rente, indem durch den Vorbehalt derselben das
Land belastet wird (charged); auch hier wird das Recht des Be-
lehnten auf Grund desselben Prinzipes (vivum vadium) geltend
gemacht3). Wie wir später sehen werden, ist es eins der grund-
legenden Prinzipien des englischen mittelalterlichen Hypotheken-
wesens, daß das Recht des Hypothekars in gewissen Fällen durch
das vivum vadium geltend gemacht werden kann, und dies ent-
spricht in Wirklichkeit einer Hypothek auf die Rente und Land-
produkte. Bei Betrachtung der Hypothek und Geltendmachung
der damit verbundenen Rechte ersehen wir, daß es sich in diesen
') Robb ins, a. a. 0., I, S. 27. Über „estates byelegit“ siehe unsere
späteren Ausführungen.
*) Siehe das spätere Ausgeführte.
3) Littleton, § 327: Coke über Littleton, 202b, 203a.
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211
Fällen gerade so gut um ein Nutzpfand handelt, wie bei der
Form des Nutzpfandes, wo der Besitz sofort auf den Gläubiger
übergeht ’-).
Fernerhin sollte berücksichtigt werden, daß nach Billigkeits-
recht (Equity) das „equity of redemption“ dem Pfandgeber gestattet,
hei einem mortgage durch resolutiv bedingte Übereignung (sog.
„elassical Knglish mortgage“) nach Zahlung seiner gesamten
Schuld nebst Zinsen den im Besitz des Grundstücks befindlichen
Pfandgläubiger (mortgagee in possession) aufzufordern, den Besitz
zurückzuerstatten und über die eingezogenen Renten und sonstigen
Erträge Rechnung abzulegen, „thereby“, in den Worten Black-
stones, „turning the mortuum into a kind of vivum vadium8).
Das Prinzip des mortuum vadium läßt sich auch in dem
späteren Rechte nachweisen. Es findet sich in dem klassischen
mortgage Littletons3) und ist gleicherweise nachweisbar in Fällen
der Geltendmachung des durch die Belastung des Grundstückes
mit der Rente entstandenen Rechtes*). Das hauptsächlichste
Beispiel aber ist das sog. „Welsh mortgage“, eine Form der
Sicherheit, die derjenigen des mortuum vadium Glanvills sehr
nahekommt5).
Dieses „Welsh mortgage“ besteht in der Übertragung eines
Besitzrechtes (estate), welches jederzeit wieder eingelöst werden
kann nach Tilgung der Schuld, aber ohne Zahlung von Zinsen.
An Stelle der letzteren verwendet der Gläubiger bis zur erfolgten
Einlösung die Renten und Erträge für sich, ohne hierüber irgend-
wie zur Rechnungsablegung verpflichtet zu sein. Ein Verfall ist
hier gänzlich ausgeschlossen®).
Dieses „Welsh mortgage“ und die „securities in the nature
of Welsh mortgages“ haben gewisse charakteristische Grundzüge
gemein. Der Gläubiger kann die Einlösung (redemption) nicht
erzwingen und hat auch kein Recht, das Grundstück gerichtlich
') Sicho unsere Ausführungen unten im zweiten Buch.
*) Blackstone, II, c. 10, §111. Siehe auch unsere spateren Ausführungen.
*) Siehe unsere späteren Ausführungen.
*) Siehe oben S. 210, Anni. 3.
5) Vergl. oben S. 209, Anm. I . Siehe auch J on es, Law of Mortgages, S. 3.
•) Robbins, ». a. U. S. 2, 20.
14*
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*21-2
als verfallen erklären zu lassen (foreclosure) '). Auf der andern
Seite kann der Schuldner zu jeder beliebigen Zeit die Einlösung
bewirken. Ein Verfall ist daher bei diesen Verpfändungsformen
gänzlich ausgeschlossen.
Ob der Gläubiger bei solchem Pfandrecht außerdem in der
Lage ist, den Schuldner persönlich gerichtlich zur Zahlung zu
zwingen, hängt von dem jeweiligen Wortlaut des betr. Pfandver-
trages ab. Die gesiegelte Verpfändungsurkunde (mortgage deed)
kann mit oder ohne Versprechen (eovenant) seitens des Schuldners
abgefaßt sein, daß er die Schuld in bar abtragen wird; ein solches
Versprechen seitens des Schuldners kommt aber in Wirklichkeit
selten vor. Bei Nichtvorhandensein einer solchen schriftlichen
Zusage kann das Gericht, je nach der Form der Verpfandung, das
Versprechen der Zahlung seitens des Schuldners annehmen oder
nicht. In einem richtigen „Welsh mortgage“, d. h. in einem
mortuum vadium, scheint eine Klage gegen den Schuldner wegen
der Schuld selbst vorzuliegen, nicht aber wegen der Zinsen, denn
zur Tilgung dieser dienen die Früchte. Auf der anderen Seite
scheinen „Securities in the nature of a Welsh mortgage“, d.h. Formen
des vivum vadium, wo die Früchte für beides, Schuld und
Zinsen, in Zahlung genommen werden, alle persönliche Haftung
auszuschließen s).
Ein interessanter Vergleich zwischen diesen beiden Ver-
pfändungsformen kann mit Bezug auf die Verpflichtung des Gläu-
bigers zur Rechnungsablegung (accountj angestellt werden. Wo
die Sicherstellung in einem „Welsh mortgage“ (mortuum vadium)
') Die „Welsh mortgages“ und die .mortgage» in the nature of a
Welsh mortgage“ bilden daher eine Ausnahme von dem allgemeinen I’rinzipe
des englischen Rechts, daß da» foreclosure notwendigerweise zu einer jeden
transaction gehört, die vom Gericht als mortgage behandelt wird. Robbins,
m. a. 0., I, S. 14, Anm. (q).
*) Robbins, a. a. 0., I, 8. 10, 27, 29. Siehe Jones, a. a. 0., S. 3.
Diese Arten der Sicherheitsstellung können daher mit der sog. benclicial
lease des Mittelalters verglichen werden, wo keine Schuld und deshalb auch
keine persönliche Haftung vorlag. Siehe oben S. 203. Obgleich das moderne
klassische mortgage gewöhnlich zur Sicherstellung einer persönlichen Forderung
dient, „personal liability, express or implied, is not, however, necessarily
incident to a mortgage. A charge by way of mortgage upon propertv may
be so frarned as to exclude all personal liability of the mortgagor.“ Siehe
Robbins, a. a. O., I, S. 9 — 11, 29.
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213
besteht, scheint der Gläubiger zu einer Rechnungsablegung nicht
verpflichtet zu sein. Ist jedoch das Pfand in Form eines vivum
vadium („security in the nature of a Welsh mortgage“) gegeben,
so scheint eine Rechnungsablegung mit der Einlösungsklage un-
trennbar verbunden zu sein, genau so wie bei einer Klage gegen
einen Pfandgläubiger im Besitze des Pfandgrundstücks (mortgagee
in possession) bei einem neuzeitlichen mortgage durch resolutiv
bedingte Übereignung (sog. classical English mortgage)1).
Da das ständige Einlösungsrecht (continuing right of re-
demption) mit dem „Welsh mortgage“ und der „security in the
nature of a Welsh mortgage“ verbunden ist, scheint das den
„mortgagees“ gemäß t'onveyancing and Law of Property Act vom
Jahre 18K1 verliehene Verkaufsrecht nicht auf diese Verpfändungs-
forraen anwendbar zu sein a).
Zweites Kapitel.
Das Proprietätspfand.
Wir haben bereits gesehen, daß das Proprietätspfand bei
Immobilien in der angelsächsischen Zeit die Form der Über-
eignung von Buch-Land unter Resolutivbedingung auf Grund der
Übergabe eines vom Kontinente eingeführten Land-Buches annahm.
Wir haben auch gesehen, daß der Besitz dem Gläubiger über-
tragen wurde und daß der Verfall des Pfandes, ohne Rücksicht
auf den Wert des Landes, die leitende Idee jener Zeit gewesen zu
sein scheint, denn erst in dem Jahre der normannischen Eroberung
( 1 066) finden wir eine ü rkunde, die das Prinzip der Hy perocha enthält5).
Während der Zeit des Mittelalters nach der Eroberung finden
wir zwei Formen des Proprietätspfandes an Immobilien mit Besitz
des Gläubigers: 1. Übereignung unter Suspensivbedingung und
2. Übereignung unter Resolutivbedingung,' und in dieser Periode
sehen wir, obgleich die Idee des Verfalls noch die vorherrschende
ist, nichtsdestoweniger die allmähliche Entwicklung des Ge-
dankens, daß das Land verpfändet wird, um eine persönliche
Forderung seitens des Gläubigers gegen einen Schuldner sicher
zu stellen.
') Kobbins, a. a. O., I, S. 29, 30.
*) Robbins, a. a. 0., I, S. 31.
*) Siehe oben S. 143, 144.
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214
I. Übereignung unter Suspensivbedingung.
§ 1. Sog. „Glanvillian Gage.“
Unsere Hauptquellen über die Übereignung unter Suspensiv-
bedingung zu Pfandzwecken sind Glanvill und Bracton. Bevor
wir an das Studium der Immobiliarverpfändung, nie sie von
Glanvill dargestcllt wird, herantreten, haben wir uns verschiedene
Fragen vorzulegen. Diese sind hauptsächlich: Ist das von Glan-
vill behandelte Recht dasselbe für Mobilien wie für Immobilien?
Stellt die Glanvillsche Immohiliarverpfändung ein reines Nutzpfand
dar, oder ist sie Proprietätspfand (Verfallspfand), oder behandelt
Glanvill verschiedene Formen der Sicherheitsstellung, die sowohl
für sich allein, als in Verbindung unter einander angewendet
werden können, um dann von den Vertragsparteien ihren Zwecken
angepaßt zu werden?
Ein Forscher auf dem Gebiete des deutschen Rechts be-
ziehungsweise des englischen Rechtes, der an die fundamentalen
Unterschiede zwischen Mobiliarrecht und Immobiliarrecht gewöhnt
ist, mag sich wundern über die natürliche und einfache Weise,
in welcher die älteren englischen Rechtsschriftsteller, vor allem
Glanvill und Bracton. von dem einen zum andern übergehen ').
In der Tat sind in der älteren Rechtsliteratur die zwei Ver-
mögensarten in einer beinahe verwirrenden Weise unter derselben
Rubrik gruppiert. Ob diese Darstellungsmethode auf den Einfluß,
den das römische Recht auf diese älteren Schriftsteller ausgeübt
hat. zurückzuführen ist, das zu erforschen, ist nicht der Zweck
unserer derzeitigen Untersuchung. Aber diese Darstellungsweise
ist bemerkenswert und muß berücksichtigt werden.
In keinem Zweige des mittelalterlichen Rechts ist dieses
Durcheinanderbringen von Mobilien und Immobilien so auffallend
wie in Glanvills Darstellung des Pfandrechts. Im Großen und
Ganzen ist bei ihm das Recht der Verpfändung eines Pferdes
dasselbe, wie das der Verpfändung eines Grundstücks*). Wir
glauben, daß die Nichtbeachtung dieses charakteristischen Zuges
in Glanvills Darstellung, selbst wenn sie nicht zur Ursache ofl'en-
') Siehe Pollock and Maitlaud, a. a. 0., II, S. 2.
J) Über da« römische Recht siehe Chaplin, Story of Mortgage Law.
Han. L. R., IV, S. 5.
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215
kundiger Irrtümor geworden ist, bei mehr als einem Schriftsteller
der Grund gewesen ist, daß die wirkliche Bedeutung und Natur
der Verpfändungsform oder -formen bei Glanvill von ihnen nicht
erläßt wurde '). Auf der anderen Seite haben zu viele Schrift-
steller sich damit zufriedengestellt, Glanvills Darstellung fast
Wort für Wort einfach abzuschreiben, ohne ernstliche Versuche
zu machen, dieselbe sorgfältig und systematisch zu prüfen8).
Wir glauben, daß mit Ausnahme von ein oder zwei grund-
legenden Punkten — z. B. daß das Prinzip des Nutzpfandes
sich nur auf Immobilien (land and tenements) bezog — die von
Glannil niedergelegten Reehtsregeln dahin auszulegen sind, daß sie
sowohl auf bewegliche wie unbewegliche Sachen angewendet werden
können; und zwar glauben wir dies aus folgenden Gründen.
Ganz am Anfänge seiner Erörterungen über das Pfandrecht sagt
er, daß manchmal Mobilien, manchmal Immobilien verpfändet
werden, und geht gleich darauf auf die Besprechung gewisser
grundlegender Prinzipien des Rechtes über, indem er dabei das
Wort „res“ in Bezug auf die Pfändsache anwendet, wie es
scheint, gleichgiltig, ob dieselbe beweglich oder unbeweglich ist5).
Richtig ist, daß er gleich darauf die Verpfändung von Mobilien
besonders erwähnt4), aber es ist wohl die Annahme zutreffend,
daß die Möglickeit der Anwendung derselben Regel auch aut
Immobilien von ihm nicht in Abrede gestellt wurde. Nach dem
zu urteilen, was er später sagt, scheint es klar, daß abgesehen
von der Unterscheidung zwischen mortuum vadium und vivum
vadium, er genau dieselben Rechtsregeln sowohl auf bewegliche
wie unbewegliche Sachen anwenden will; denn nachdem er das
mortuum vadium und das vivum vadium unter besonderer
Berücksichtigung des Wuchers besprochen hat, sagt er: Caetera
serventur, ut prius de vadiis in rebus, mobilibus consistentibus
') Siebe unten 8. 216.
*) Siehe 7. H. die Behandlung des Glanvill 'sehen Pfandes bei Crabb,
Hist. Eng. Law, S. 103, 104: Reeves, Hist. Eng. Law, 1, S. 211 — 214.
5) Glanvill, X, 6. Die für die nachfolgende Besprechung des
Glanvill’schen Pfandes benutzte Ausgabe von Glanvill stammt aus dem
Jahre 1780.
4) Glanvill, X, 6.
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21 fi
dictum est'). Dies bezieht sich klar und deutlich auf den er-
wähnten Passus, wo besonders von Mobiliarverpfändung die Rede
ist. Und nicht' nur dies. Glanvill benutzt in der Regel durch-
weg in seinem Kapitel X bei Besprechung der Pfandsache ein-
fach das Wort „res“, und zwar, wie es scheint, sowohl mit
Bezug auf bewegliche wie unbewegliche Pfandsachen, genau
so wie dies am Anfänge seiner Erörterung über das Pfandrecht
geschieht.
Dies der Glanvillschen Besprechung des Pfandrechts zu Grunde
liegende wichtige Prinzip ist, soviel wir wissen, nirgends in der
Rechtsliteratur besonders erwähnt, mit Ausnahme von Hinweisungen
in Spence’s Equitable Jurisdiction und in Frankens Französischem
Pfandrecht)*). Bei ihrer Besprechung des Glanvillschen Pfandes in
ihrer History of English Law ziehen auch Pollock und Maitland
dasselbe nicht in das Bereich ihrer Betrachtung, obgleich sie
dasselbe stillschweigend dadurch anerkennen, daß sie das Prinzip
des Pfandverfalls, welches bei oberflächlichem Lesen Glanvills sich
vielleicht nur auf bewegliche Sachen zu beziehen scheint, auf die
Verpfändung von Immobilien in Anwendung bringen’)
Wir können hier auf den Gegenstand nicht so genau eingehen,
glauben aber, daß die Unterlassung, diesen Punkt der Glanvillschen
Erörterung in Betracht zu ziehen, gewisse hervorragende Schrift-
steller verhindert hat, zu erfassen, daß die Glanvillsche Immobiliar-
verpfändung nicht nur eine Fonn, nämlich die des reinen Nutz-
pfandes, wo die Substanz gar nicht ins Spiel kommt1), darstellt,
') Glanvill, X, 8: Ree? es, a. a. O., I, S. 213. Vergl. Pollock and
Maitland, a. a. ()., II, S. 119, Anm. 3.
*) Spence, Equitable Jurisdiction, I, S. fiOO. 601 : Franken, Fran-
zösisches Pfandrecht, S. 156, Anm. 2. Vergl. Chaplin, a. a. 0., IV, S. 5.
’) Siehe Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 119, 120. Desgl.
Chaplin, a. a. 0., IV, S. 8.
4) Dali das Glanvill’scbe Pfand ein reines Nutzpfand ist, scheint von
den neuzeitlichen Schriftstellern allgemein angenommen zu werden, da eine
solche’Form der Sicherhcitsstellung mehr im Einklang steht mit den feudalen,
die Veräußerung verhindernden Prinzipien. Siehe z. B. Coote, Law of
Mortgage. 4. Aull., I, S. 6, 7 und c. II; Kobbins, Law of Mortgages, I,
S. 1, 2 — b; Franken, a. a. 0., S. 1 46 — 148. Vergl. aber Becves, a. a. ()., I.
S. 211 ff.
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•217
sondern daß Glanvill mehrere Formen behandelt, die sowohl das
Nutzpfand, als auch das Pro prietäts pfand (Verfallspfand i in sich
schließen, und daß diese verschiedenen Formen kombiniert und
den jeweiligen Zwecken der Vertragsparteien angepaßt werden
können, denn den letzteren war weiter Spielraum bei der Auf-
stellung der Pfandverträge gelassen. Auf die hier vertretene An-
sicht werden wir demnächst bei der Besprechung des Glanvillschen
Pfandes zurflckkommen, wo wir auch die verschiedenen Verptändungs-
formen und die etwa möglichen dabei vorzunehmenden Kom-
binationen berücksichtigten werden1 1.
Wie es scheint, kann jeder beliebige Gläubiger und jeder
beliebige Schuldner Pfändverträge abschließen3)
Nicht nur das Land, sondern auch Renten können verpfändet
werden '). Zwei Dinge sind notwendig, um die Beziehungen
zwischen einem Pfandgeber und einem Pfandnehmer herzustellen:
1. muß ein auf den Pfandgegenstand bezügliches Abkommen
zwischen den Parteien vorhanden sein. Für gewöhnlich will es
scheinen, daß sowohl die Schuld, wie auch das Pfand durch den-
selben Vertrag geschaffen werden, welcher vor dem Königsgericht
eingegangen wird. 2. Muß Übergabe des Besitzes an den Pfand-
gläubiger erfolgen4).
') Hier sei nur bemerkt, dall jedes Immobiliarpfand mit sofortigem
Besiti des Gläubigers gewöhnlich auch ein zeitweises Nutzpfand in sieb
schließt. Über das mittelalterliche Recht auf dem Kontinente siehe be-
sonders Franken, a, a. 0., S. 207. 208: Brunner, a. a. 0., S. 188 — 191.
Vcrgl. auch Besuchet, MUtoirc de la proprietc foncierc en Suede (1904),
S. 424 ff.
*) Glanvill (X, 6) drückt sich allgemein aus: Item cum inter credi-
torem et debitorem convenerit de vadio interponendo . . . Die Anwendung
derGlanvill'schen Verpfändungsformen ist deshalb nicht auf gewisse Klassen
von Gläubigern, wie kaufmännische Gläubiger oder jüdische Gläubiger, be-
schränkt, wie im Falle gewisser anderer mittelalterlicher l'fandformen. Siehe
unsere späteren Ausführungen.
3) Glanvill. X. 6: Crcditur qiioque mnliio res aliqtia sub vadii positione:
quod cum sit, quandoque res mobiles, ut catalla, ponuntnr in vadium,
quandoque res immobiles, ut terrae et tenementa et redditus sive in denariis
sive in aliis rebus cunsisteutes. .Tenementa“ bedeutet hier free tenements.
Siehe Williams, Keal Property, S. 22.
*) Glanvill, X, 6, 8.
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218
En ist richtig, daß Glanvill an einer Stelle sagt, daß der
Besitz zuweilen nicht sofort dem Pfandgläubiger ausgehändigt
wird1). Es ist jedoch klar, daß er damit nicht behaupten will,
daß das Königsgericht das Pfand mit Besitz des Schuldners an-
erkennen wird. Es ist anzunehmen, daß dieser Passus zusammen
mit anderen *) in Betracht gezogen werden muß, wo Glanvill
ganz deutlich sagt, daß der Pfandvertrag vor dem Königsgericht
abgeschlossen, und daß der Besitz des verpfändeten Grundstücks
auf den Pfandgläubiger übertragen werden muß; denn andernfalls,
sagt er, ist es nur ein privates Übereinkommen (privata conventio,
private agreement), welches von dem Königsgericht, dem Gericht
des gemeinen Rechts, nicht anerkannt wird3).
Glanvill bespricht mehrere Formen des Pfandes und deren
Kombinationen untereinander 4 1
Zwei Hauptformen hängen von der Verwendung ab, welche
die Renten und Erträge, die während des Bestehens des Pfand-
verhältnisses von dem Gläubiger eingezogen werden, finden, und
über diesen Punkt haben die Parteien bei Abschließung des Ver-
trages sich zu einigen. Sie können Übereinkommen, daß die von
dem Gläubiger entgegenzunehmenden Renten und Erträge die
Schuld vermindern sollen oder nicht. Wird die Schuld reduziert, so
ist das Geschäft vivum vadium, wenn nicht murtu um vadium5).
Wiederum kann, wie es scheint, gleichgültig ob die Renten
und Erträge die Schuld reduzieren sollen oder nicht, das Pfand
gegeben werden 1. auf eine bestimmte Zeit (for a term), oder 2.
auf unbestimmte Zeit (without a term6). Wir glauben, daß, wie
wir bei späterer Gelegenheit sehen werden, der Verfall des ver-
') Glau v il I, X, 6: lteui cuui inter erediturein et debitorem convenerit
de vadio interponendo cujuscunque modi res invadiata sit: debitor ipso aut
statim ipsi creditori fae.it habere sui vadii seisinani, postquam sibi rem
uiutuo datam acccpit, aut uon.
*) Siehe Glanvill, X, 8.
ä) Siehe auch Maitland, The Court Hanoi (Seid. Soc.), S. 117;
H lackst o ne, II, c. 10, § 111: und unsere spätere Erörterung.
4) Siehe das spätere Ausgefnhrte.
5) Glanvill, X, 6, 8. Siehe unsere Erörterung des Nutzpfandes,
oben 8. 204 ff.
tf) Siehe Glanvill, X, 6, 8.
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219
pfändeten Landes selbst in beiden Fällen die letzte Konsequenz
bei Nichtbegleichung der Schuld seitens des Pfändgebers darstellt ').
Welches sind nun die Rechte und die Mittel zu ihrer Geltend-
machung, sowie die Pflichten der Parteien während des Bestehens
des Pfandverhältnisses?
Beschäftigen wir uns zunächst mit den Rechten und Pflichten
des Pfandgläubigers.
Das hauptsächlichste Recht des Pfandgläubigers besteht in
der Aneignung der Renten und Erträge. Ob sie nun zur Reduzierung
der Schuld verwendet werden sollen oder nicht, hängt, wie bereits
gesagt, von dem Übereinkommen der Parteien ab*). Fflr gewöhn-
lich wird jedoch angenommen, daß die Transaktion die Form
des mortuum vadium annimmt, und daß die Renten und Er-
träge, anstatt zur Tilgung der Schuld selbst Verwendung zu finden,
von dem Pfandgläubiger an Stelle von Zinsen genommen werden,
welcher Weg oft der einzige ist, der dem Gläubiger offen steht,
um überhaupt etwas für das angelegte Geld zu erhalten3).
Der Pfändgläubiger erhält also den tatsächlichen Besitz des
Landes, und er ist somit in der Lage, von seinem Rechte, die
Renten und Erträge einzuziehen, Gebrauch zu machen. Dieser sein
physischer Besitz wird seisina*), d. h. seisina ut de vadio
genannt®). Diese seisina ist aber keineswegs juristischer Besitz ;
sie ist in Wirklichkeit eine bloße Detention und ist rechtlich voll-
kommen ohne Schutz. Der Pfandschuldner behält das Besitzrecht
eines freeholders i freehold seisin) und sollte irgend eine dritte
Person den Pfändgläubiger unrechtmäßig von dem verpfändeten
Grundstück verdrängen, so steht dem Pfandschuldner, die Klage
aus widerrechtlicher Besitzentziehung (Action of Novel Disseisin)
zu. Dem Pfandschuldner, nicht dem Pfändgläubiger ist in Wirk-
lichkeit der Besitz entzogen worden (disseised). Wenn weiterhin
der Pfandschuldner selbst den Pfändgläubiger vom Grundstück
*) Siche unsere späteren Ausführungen.
*) Siehe oben S. 218.
3) Siehe Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 123. I*as .bcnuhciul
lease' ist ein anderer mittelalterlicher Ausweg, um soviel als möglich die
unangenehmen folgen des Wuchers zu vermeiden. Siehe oben S. 203.
*) Olanvill. X, 11.
s) Olanvill, XIII, 28. Siehe ferner Chaplin, a. a. 0., IV. 8. 6, 7.
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220
verdrängt, so hat der letztere keine Rechtsmittel zur Verfügung,
welche ihm zur Wiedererlangung des Besitzes verheilen könnten ').
Wie es scheint, kann somit der Pfandschuldner jederzeit die
Sicherstellung illusorisch machen, indem er den Pfandgläubiger
einfach vom Grundstück verdrängt*). Glanvill sieht dies für ganz
natürlich an, denn auf was der Gläubiger in Wirklichkeit allein ein
Recht hat, ist nach seiner Meinung nicht das Land, sondern nur die
Schuldforderung. Wird er von dem Pfandschuldner vom Grundstück
vertrieben, so muß er daher wegen seiner Schuldforderung klagen,
worauf das Gericht den Schuldner durch Gerichtsbefehl (writ) vor-
laden und zur Zahlung zwingen wird*).
Sicher erscheint uns diese Argumentation, wie Pollock und
Maitland bereits ausgeführt haben4), als eigentümlich. Sie läßt
das wichtige Faktum ganz außer Acht, daß der eigentliche Grund
warum Pfänder gegeben werden, der ist. den Gläubiger gegen
verarmte oder zahlungsunwillige Schuldner sicher zu stellen. Zu-
gegeben selbst, daß der Schuldner in der Lage ist, zu zahlen, so
ist doch vermutlich im zwölften Jahrhundert einem Gerichtshof
nicht immer die Möglichkeit gegeben, ihn hierzu zu zwingen.
Die Mittel des Gerichtes, jemand zu zwingen, den Zahlungs-
befehlen Folge zu leisten, sind in der Tat unzureichend.
Der eigentliche Grund, warum dem Pfandgläubiger possesso-
rischer Schutz nicht zu Teil wurde, liegt, wie man annimmt,
darin, daß die Richter des Königs gerade zu der Zeit, als Glanvill
dies schreibt, versuchen, diese neuen possessorischen Klagen prak-
tisch zur Anwendung zu bringen und noch Neulinge in dieser
Sache sind. Sie sind sich einig darüber, daß dem freeholder die
Klage aus Besitzentziehung (assize of novel disseisin) zustehen
soll, aber hinsichtlich des Pächters auf Jahre (termor) und des
Pfandgläubigers glauben sie wohl, daß diesen der richterliche Schutz
vorenthalten bleiben sollte. Sie wissen noch nicht bestimmt, ob
die sog. seisina des Pfandgläubigers in Wahrheit und Wirklich-
keit eine seisina ist, die des Schutzes bedarf. Nach vielem hin
') Glanvill, X. 11. Über die Satzungsgewerc oder pfandliche Gewere des
älteren deutschen Hechts siehe G ierkc, Deutsches Privatrecht, Bd. II, S. 813.
*) Pollock and Maitland, a. a. ()., II. S. 121.
3) Glanvill, X, 11.
*) Hist, Eng. Law, II, S. 120, 121.
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•.>•21
und her verweigern sie schließlich dem Pfandgläubiger das poss-
essorische Rechtsmittel, und wie wir bereits gesehen haben, wird
dem Pächter auf Jahre (termor) des zwölften Jahrhunderts in
gleicher Weise mitgespielt ’). Wie von Pollock und Maitland*)
angedeutet, ist es möglich, daß ausländische Besitztheorien die
Richter des zwölften Jahrhunderts bei diesem Entschlüsse beein-
flußten. Nach dem klassischen römischen Rechte hatte der
Gläubiger mit dem pignus die possessio; aber die englischen
Richter zur Zeit Glanvills studieren das römische Recht nicht
aus den Digesten des Jnstinian, sondern aus den Schriften der
italienischen Glossatoren; die Glossatoren scheinen aber dem
Gläubiger den Besitz abgesprochen zu haben und im dreizehnten
Jahrhundert schließt Rracton sich den Glossatoren und Glanvill an3).
Der Pfandgläubiger scheint daher dingliche Rechte nicht zu
haben. Er hat nur kontraktliche Rechte gegenüber dem Pfand-
schulduer. Neben diesen Rechten hat er aber auch Pflichten.
I>ie Detention des Pfandobjekts hat selbst bei der Form des
mortuura vadium in der Tat recht unangenehme Schattenseiten.
Der Pfandgläubiger ist rechtlich verpflichtet, das Land vor
Schaden zu bewahren. Er kann natürlich die Renten und Erträge
au sich nehmen, da sich die Nutzung des Landes notwendigerweise
aus dem Pfand Verhältnis ergibt. Aber er hat gleichzeitig die
negative Pflicht, das Grundstück nicht in einer Weise zu nutzen
oder zu verwenden, welche geeignet sein würde, seinen Wert zu
verringern. Erleidet es während der Verpfändungszeit Schaden
durch die Schuld des Pfandgläubigers, so ist eine entsprechende
Summe hierfür von der Schuldforderung in Abzug zu bringen4).
Wenn jedoch die Pfandsache solcher Natur ist, daß ihre In-
standhaltung notwendigerweise einer gewissen Pflege bedarf, so
können die Parteien Übereinkommen, daß der Pfandgläubiger diese
auszuüben hat. Der Pfandgläubiger kann z. B. durch eine Klausel
im Vertrage verpflichtet werden, dem Grundstück die notwendigen
Reparaturen zu Teil werden zu lassen5).
■) Polluck and Maitland, a. a. 0., II. S. 121.
a) Hist. Kng. Law, II, S. 121.
3) Hracton, f. 268.
4) Glanvill, X, 6.
s) Glanvill, X. 6.
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222
Ob der Pfandgläubiger bei Nichtvorhandensein eines solchen
Abkommens unbedingt verpflichtet ist (absolutely bound) die Pfand-
sache in genau so gutem Zustande zu erhalten, wie bei ihrer
Übernahme, ist eine Frage, deren Beantwortung wir uns bis zur
Besprechung der Auflösung des Pfandverhältnisses Vorbehalten
müssen ').
Nimmt das Pfand die Fonn des vivum vadium an, so hat
der Pfandgläubiger die Verpflichtung, über die Renten und Erträge,
welche er während des Bestehens des Pfandverhältnisses einzieht.
Rechnung abzulegen, denn die Renten und Erträge müssen zur
Reduzierung der Schuld verwendet werden*).
Welches sind nun die Rechte und die Mittel zu ihrer Geltend-
machung. sowie die Pflichten des Pfandschuldners während des
Bestehens des Pfand Verhältnisses?
Der Pfandschuldner hat nicht nur kontraktliche Rechte gegen-
über dem Pfandgläubiger, sondern er hat auch dingliche Rechte,
die gegen all und jeden geltend gemacht werden können. Diese
dinglichen Rechte ergeben sich aus seiner ireehold seisina.
Der Pfandschuldner ist in der Tat im Besitze seines freehold
(seised of bis free tenement), d. h. im Besitze des Landes, welches
jetzt der Gläubiger als Pfand in Händen hat.
Die sog. seisina ut de vadio des Pfandgläubigers ist somit
nichts weiter als ein bloßer physischer Besitz, keinesfalls aber
ein juristischer Besitz5). Der Pfandschnldner kann die possessorische
Klage (action of novel disseisin) gegen dritte Personen erheben
und er kann in eigener Person den Pfandgläubiger wenn immer
es ihm beliebt zum sofortigen Verlassen des Grundstückes auf-
fordern *).
Diese dinglichen Rechte, die gegen jedermann einschließlich
des Pfandgläubigers geltend gemacht werden können, sind somit
äußerst wichtige Rechte des Pfandschnldners und zeugen ohne
Zweifel von der Tendenz des Rechtes im zwölften Jahrhundert,
die Schuldner zu begünstigen.
') Siebe unten S. 223 ff.
*) Siehe Mndoz, Formulare, No. CXLII. Vergl. Round, An eien t
Charters, S. 93.
3) Siehe oben S. 219.
*) Glan rill. X, II.
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•223
Aber der Pfandschuldner hat außerdem persönliche Rechte
gegen den Pfandgläubiger und diese Rechte können variieren, je
nach den Bedingungen des Übereinkommens.
Oer Pfand gläubiger kann sich zu etwaigen Reparaturen ver-
pflichtet haben (covenanted). War dies der Fall, so nehmen wir
an, daß der Pfandschuldner das Recht hat. zu verlangen, daß diese
Reparaturen auch vorgenommen werden, oder aber, wenn sich der
Pfandgläubiger dessen weigert, fftr den Vertragsbruch Schaden-
ersatz beanspruchen kann ').
Ist die Verpfändungsform das vivum vadium, wo die Renten
und Krtriige zur Verminderung der Schuld verwendet werden, so
hat der Pfandschuldner, wie es scheint, das Recht, eine Rechnungs-
ablegung zu verlangen’). Ob er darauf bestehen kann, daß eine
Rechnungsablegung zu gewissen festgesetzten Zeiten zu erfolgen
hat, oder nur bei Ablauf des Vertrages, ist eine Frage, die, wie
es scheint, in jedem einzelnen Falle gemäß den Bedingungen des
Vertrages zu entscheiden ist.
Wir kommen nun zur Erörterung der wichtigen Fragen, die
sich aus der Auflösung des Vertragsverhältnisses ergeben und durch
welche die Natur des Pfandes klar zu Tage tritt.
Das Pfand wird als ein Mittel zur Sicherstellung der Schuld-
forderung gegeben, Infolgedessen ist das Pfandverhältnis auf-
gelöst, wenn im Falle des vivum vadium die Früchte des Landes
die Schuld getötet haben. Fernerhin wird das Verhältnis auf-
gelöst durch Zahlung der Schuld oder Verfall der verpfändeten
Sache an den Pfändgläubiger. Bei Zahlung muß das Pfandobjekt
dem Pfandschnldner zurückgegeben werden, und um die Zahlung
zu erzwingen, kann der Gläubiger nicht nur die Schuldklage
(action of debt) anhängig machen, sondern er hat auch das Recht,
eine gerichtliche Verfallserklärung zu erwirken, von der später
die Rede sein wird3).
Auch bei der Auflösung des Vertrages müssen die Rechte
und Pflichten der Parteien sorgfältig geprüft werden.
Zuerst nimmt der Pfändgläubiger unser Interesse in Anspruch.
‘) Siehe l’ollock amt Maitland, a. a. ()., ff, S. 595 über Oovenant.
’) Siehe Madox, Formulare, No. 0X1,11.
3) Siehe Ul an vi 11, X, C — 10.
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224
Das hauptsächlichste Recht des Pfandgläubigers besteht in
der Schuldforderung selbst und für diese steht ihm die Schuld-
klage (action of debt) zu. Wurde das Pfand auf eine gewisse
Zeit gegeben, so hat der Pfandgläubiger das Recht, den Betrag
der Schuld nach Ablauf dieser Zeit zu verlangen, jedoch nicht
vorher. Wird jedoch das Pfand ohne Festsetzung einer Frist ge-
geben, so kann der Gläubiger zu jeder beliebigen Zeit Zahlung
verlangen'). Ist die Verpfändungsform das vivum vadium, sei
es auf bestimmte oder unbestimmte Zeit, so kann der Pfandgläubiger
nur Zahlung der Summe, welche nach Abzug der in der Zwischen-
zeit erzielten Erträge verbleibt, verlangen*).
Ist jedoch der Pfandgläubiger weder durch den Pfandschuldner
noch durch irgend eine dritte Person aus dem Besitz vertrieben
worden, sondern ist noch immer im Besitz des Landes zur Zeit
der Zahlungsversäumnis seitens des Schuldners, welches sind dann
die Rechte des Pfandglüubigers an dem Lande*).
Der Pfandschuldner hat den Besitz des Landes dem Uläubiger
übergeben, um dessen Forderung sicherzustellen. Hat, der Pfand-
gläubiger jetzt bei Nichtzahlung der Schuld noch irgend einen
Anspruch auf das Land als Aequivalent für seine Forderung?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir wiederum unter-
scheiden zwischen den Fällen, in denen das Pfand auf eine
gewisse Zeit (for a term), und denjenigen, in denen es auf un-
bestimmte Zeit (without a term) gegeben wird.
■) Glanvill, X, 8. 11, 12.
*) Siehe die Stellen bei (ilanvill (X, 6, 8), die sich auf die Unter-
schiede zwischen mortuum vadium und vivum vadium beziehen. Es ist
fernerhin anzunehmen, daß bei Auflösung des Pfandverhältnisses. gleichgültig
um welche Form cs sich handelt, der Pfandgläubiger, sofern die Parteien
in dem Pfandvertrage dies ausdrücklich stipulieren, einen Anspruch auf
Erstattung der Auslagen für die Pfandsache erheben kann. So z. B. könnte
der Pfandgläubiger einen Anspruch auf Ersatz für Reparaturen erheben.
Siehe Glanvill, X, 6.
*) Wir sehen vorläufig von solchen Fällen ab, wo es sich um ein
reines Xutzpfand handelt, d. b. wo die Möglichkeit des Verfalls ausdrücklich
durch die Bedingungen des Vertrages ausgeschlossen ist. Das Nachfolgende
betrifft jedoch solche Fälle, wo das vivum vadium und das uiortuum
vadium auf bestimmte oder unbestimmte Zeit gegeben sind. d. h. wo ein
reines Nntzpfand nicht vereinbart ist.
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225
Ist nun das Pfand auf bestimmte Zeit übergeben worden,
so ist eine weitere Unterscheidung zu berücksichtigen. Der
Vertrag kann entweder mit oder ohne Verfallsklausel abgefallt sein.
Die Parteien können eine Verfallsklausel in den Vertrag
aufnehmen. Sie können ausdrücklich dahin Übereinkommen — und
an diesem Übereinkommen muß strikte festgehalten werden —
daß wenn nach der festgesetzten Zeit der Schuldner nicht bezahlt,
die Pfandsache — das Grundstück — dann sofort das Eigentum
des Gläubigers werden soll, worüber er nach seinem Belieben
verfügen kann1). Hierzu ist kein Urteil des Gerichts nötig, denn
das Pfand ist das Eigentum des Gläubigers kraft der Verfallsklausel.
Wie durch ein Wunder sieht sich jetzt der Pfandgläubiger plötzlich
im Besitze des freehold (seised in fee) mit all den Hechten und
Rechtsmitteln eines freeholders. Das Pfandobjekt ist dem Gläu-
biger verfallen, da der Schuldner nicht zur rechten Zeit be-
zahlt hat.
Auf der anderen Seite kann der Vertrag ohne Verfallsklausel
abgeschlossen sein. In diesem Falle muß sich der Gläubiger an
das Gericht wenden und es werden gewisse gerichtliche Schritte
notwendig sein, bevor er das Pfand als Eigentum betrachten, d. li.
bevor er dasselbe als für die Schuldforderung verfallen betrachten
kann. Die Transaktion ist nicht so einfach, sozusagen selbsttätig
vor sich gehend, als wenn der Vertrag eine Verfallsklausel enthält.
Das Verfahren ist wie folgt: Versäumt der Schuldner nach
Ablauf der Frist zu zahlen, so muß ihn der Gläubiger verklagen.
Der Schuldner muß dann auf Grund eines Gerichtsbefehls (writ),
der ihn auttordert, das Pfand einzulösen („acquit“), vor Gericht
erscheinen*). Einmal vor Gericht, hat nun der Schuldner die
') Glanvill, X, 6: Spcnec. Kquitable Jurisdiction, I, S. 600, 601 :
Chaplin, a. a. 0., IV. S. 8: Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 120.
*) Glan v ill, X, 6. 7. Dieses writ ist selbst in den Ältesten „Registers"
nicht zu linden. Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 120, Anm. 2.
Glanvill ist im Zweifel betreffs der Maßnahmen, die zu treffen sind,
um einen Schuldner zu zwingen vor Goricht zu erscheinen : es scheint jedoch,
•lall es Sache des Gerichtes war, in jedem einzelnen Falle besonders zu ent-
scheiden. Glanvill, X, 8. Eine der gebräuchlichsten Malinahmen, um je-
mand zu zwingen, vor Gericht zu erscheinen, ist die Pfändung.
Haieltine, Englisches Pfandrecht l*>
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Verpfändung des Objektes für die Schuld entweder zuzugeben oder
zu bestreiten').
Gibt er die Verpfändung zu, so hat er damit gleichzeitig
nach Glanvill auch die Schuld selbst anerkannt. Er wird von dem
Gerichte aufgefordert, das Pfand innerhalb einer angemessenen
Zeit durch Zahlung der Schuld einzulösen; das Gericht erklärt
gleichzeitig, daß im Falle der Zahlungsversäumnis bis zum Ablauf
dieser neu festgesetzten Frist das Pfandobjekt Eigentum des Pfand-
gläubigerswerden soll und somit für die Schuld verfallen »ein würde*).
Sollte jedoch der Schuldner die Verpfandung für die Schuld
bestreiten, so kann er doch das betreffende Objekt als sein Eigen-
tum anerkennen und einen Grund Vorbringen, warum es sich im
Besitze der anderen Partei befindet. Er kann fernerhin vor Gericht
zugeben, daß das Streitobjekt nicht sein Eigentum ist, und in
solchem Falle wird dem Gläubiger sofort vom Gericht gestattet,
über die Sache als sein Eigentum zu verfügen. Behauptet jedoch
der Schuldner, daß das Grundstück sein Eigentum sei, bestreitet
er aber sowohl Verpfändung wie Schuld, so muß dann der Gläu-
biger nicht nur die Schuld, sondern auch die Verpfändung des
betreffenden Streitobjekts für die Schuld beweisen,3 ».
Wir haben soeben den Fall besprochen, in dem das Pfand auf
eine gewisse Zeit gegeben wird. Wird das Pfand ohne Fest-
setzung einer bestimmten Frist (without a term) gegeben, so kann
der Gläubiger zu jeder beliebigen Zeit Zahlung der Schuld ver-
langen*). Augenscheinlich bedeutet dies, daß der Gläubiger jeder-
zeit vor Gericht erscheinen und ein Urteil erwirken kann, laut
welchem der Schuldner aufgefordert wird, innerhalb einer fest-
gesetzten und angemessenen Zeit die Einlösung vorzunehmen, unter
gleichzeitiger Erklärung des Gerichtes, daß wenn dies nicht ge-
schieht, der Gläubiger mit der verpfändeten Sache nach seinem
Belieben verfahren kann, d. h. das Grundstück für die Schuld ver-
fallen sein soll8).
') Glanvill, X, 8.
«) Glanvill, X, 8.
s) Glanvill, X, 8. Siehe die Bemerkungen Chaplins über die Be-
weislast (Chaplin, Story of Mortgagc Law, HLH., Bd. IV).
*) Glanvill, X, 8.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 120.
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2-27
Das Pfandobjekt geht daher für den Schuldner verloren,
verfällt, sofern derselbe versäumt, durch Zahlung der Schuld die
Einlösung zu bewirken, und zwar gleichgültig, ob der Vertrag
eine Verfallsklausel enthält oder nicht; ausgenommen den Fall,
dal! der Verfall durch die Bedingungen des Vertrages ausdrück-
lich ausgeschlossen, d. h. das Pfand als reines Nutzpfand bestellt
ist. Enthält der Vertrag eine Verfallsklausel, so tritt der Verfall
unbedingt und selbsttätig am Ende der im Vertrage festgesetzten
Zeit ein. Wenn jedoch der Vertrag eine Verfallsklausel nicht
enthält, so muli der Gläubiger bei Nichtzahlung zu der von den
Parteien festgesetzten Zeit oder, wo ein solcher Termin nicht ver-
einbart wurde, bei Nichtzahlung auf Zahlungsaufforderung sich
an das Gericht wenden. Durch ein Verfahren ähnlich dem späteren
foreclosure nach Billigkeitsrecht, wie es bei dem klassischen mort-
gage üblich war, muH er dann seinen Rechtstitel vom Gericht
durch die Erklärung desselben, daLt im Falle von Nichtzahlung
innerhalb eines neuen angemessenen Zeitabschnittes der ver-
pfändete Gegenstand sein absolutes Eigentum werden soll, perfekt
machen lassen.
Es ist in der Tat höchst wichtig, von der seinem Wesen
mich billigkeitsrechtlichen Natur dieses Verfahrens Notiz zu nehmen.
Nachdem der von den Parteien festgesetzte Tag verflossen ist,
wird dem Schuldner eine neue Möglichkeit gegeben, sein Pfand
einzulösen. Die Geduld der Gläubiger und der Gerichte hat jedoch
liier ihre Grenzen, und wenn der Schuldner versäumt, innerhalb
dieser neu festgesetzten Zeit zu zahlen, so ist die Pfandsache
absolut und unwiderruflich für die Schuld verfallen. Dieser
Vorgang ist in seinen Gnindzügen eine Milderung der Härte des
Rechts und seine Prinzipien neigen entschieden dem späteren
Billigkeitsrechte (Equity), anstatt dem gemeinen Rechte zu*).
In der Tat, zu einer späteren Zeit, als die beiden Systeme
des gemeinen Rechts (Common Law) und des Billigkeitsrechts
(Equity) voll entwickelt sind und die Prinzipien dieser beiden
Systeme von zwei verschiedenen Arten von Gerichten zur An-
wendung gebracht werden, gehört diese ganze von uns eben be-
■) C h a p 1 i iv, a. a. 0., IV, S. 7- 10 and Pollock and M a i 1 1 a n d , a. a. 0.,
11, S. 120 haben bereits hierauf hingewiesen.
15*
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schrieben« Prozedur zur Jurisdiktion der Equity-Gerichte. Im
Falle des klassischen mortgage durch bedingte Übereignung ist
das Recht des Schuldners, das verpfändete Grundstück einzulösen,
nachdem der von den Parteien zur Zahlung festgesetzte Tag ver-
flossen ist, bekannt als „equitv of redemption“, und das Urteil
des Gerichts, welches den Schuldner auffordert, entweder zu
zahlen oder aber sein Grundstück für immer als verfallen anzusehen,
wird „decree of foreclosure“ genannt. Das erstere ist eine
Konzession an den Schuldner, das letztere eine Konzession an den
Gläubiger. Aber alles dies gehört zu der späteren Entwickelung
des Billigkeitsrechts. Das am meisten interessierende bei diesem
Glanvillschen Verfahren ist, daß es ein Verfahren des Königs-
gerichts, nicht aber ein solches des Kanzleigerichtes ist. Es ist
ein Verfahren des Gerichts, dem die Entwickelung des gemeinen
Rechts in England obliegt, nicht des Equity-Gerichts. Dies ist
eine weitere Illustration der instruktiven Tatsache, daß vor der
Entwickelung des Systems des Equitv-Rechts durch besondere
Gerichte das Königsgericht selbst, das Gericht des gemeinen
Rechts, gewohnt ist, im Interesse von Gerechtigkeit und Billigkeit
die Härte und Strenge des Gesetzes zu mildem, und das auszu-
üben pflegt, was man heutzutage „equitable jurisdiction“ nennt').
Der Geist des im zwölften Jahrhundert zu Gunsten des Schuldners
angewendeten Verfahrens drückt sich in den Worten Glanvills
aus: „Es ist jedoch zuweilen nötig, daß er vor Gericht erscheint,
ehe die fragliche Sache dem Gläubiger endgültig zngesprochen
wird; denn ist er anwesend, so kann er vielleicht einen Grund
angeben, warum die betreffende Sache dem Gläubiger nicht un-
widerruflich angehören soll*).
Sobald die Schuld getilgt ist, ist der Gläubiger verpflichtet,
die Pfandsache zurfiekzugeben in genau so gutem Zustande, wie
sie beim Empfange war, und dies zeigt deutlich, daß er einer
absoluten Verantwortlichkeit (absolute liahility) unterworfen ist.
Ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden. Vernachlässigung oder
') Siebe über das frühzeitige .equitv* bei den Oommon-Law-Gerichten
Holmes, Early Englisb Equitv. L. Q. R., I, S. 162: Pollock and Muit-
1 and, a. a. 0„ I, S. 189. 197. II, S. 595. 596. 671.
' ’) Glanrill, X, 8.
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2-29
Unfall, ist nach Glanvill der Gläubiger verpflichtet, die Pfand-
sache unverletzt zurückzugeben, und wenn dies unmöglich ist,
so hat er Ersatz zu leisten, oder aber er verliert das Recht auf
seine Forderung ‘).
•Sollte der Pfandgläubiger bei rechtzeitiger Zahlung oder
Bereiterklärung hierzu die Pfandsache böswillig einbehalten, so
kann der Pfandschuldner den Pfandgläubiger durch Klageerhebung
(by appropriate writ) vor Gericht laden lassen. Beim Erscheinen
vor (jericht wird der Pfandgläubiger dann anerkennen, daß das
fragliche Grundstück verpfändet wurde, oder er wird behaupten,
daß es sein Lehen ist (feodum vel vadium). Gibt er an, daß
es ein Pfand ist, so muß er dem Schuldner das Land zurückgeben
oder einen triftigen Grund anführen, warum er dies nicht tun
will. Behauptet er, daß es sein eigenes Lehen ist, so kann die
Frage, ob der Gläubiger das fragliche Land als Lehen oder als
Pfand im Besitz hat, den Geschworenen zur Entscheidung vor-
gelegt werden (reeognition of the country); dies kann geschehen
auf Antrag sowohl des Schuldners wie des Gläubigers, Die Ge-
schworenen können ferner feststellen, ob des Gläubigers Vater oder
ein anderer seiner Vorfahren an seinem Todestage das Land als
Lehen oder als Pfand besessen hat (seised of the land in fee or
as a pledge.) War das Grundstück ein Pfand, so muß es aller
Wahrscheinlichkeit nach dem Schuldner zurückgegeben werden,
sofern dieser Zahlung leistet oder sich zur Zahlung erbietet.
Diese den Geschworenen zur Entscheidung vorgelegte Frage (re-
cognition) kann in unendlich verschiedener Form vorgebracht
werden, wie diese sich aus den Gründen und Gegengründen der
Parteien ergibt. Wird die Entscheidung seitens der Geschworenen
von keiner Partei nachgesucht, so nimmt die Verhandlung ihren
Fortgang (plea may proceed in court upon the right)’).
') Glanvill, X, 6, 8.
’) Glanvill, X, 8, 9, 10. Weitere Einzelheiten nebst den writs sind
zu linden bei Glanvill, XIII, 26-30. Siehe Three Roll« of tbe King'a
(’ourt (1194-1195), hrsg. von Maitland, S. XXXIX. s. v. Feodum vel
vadium. Uber die Authentizität des Glanvill’schen Textes XIII, 30. siehe
Heimes' Translation of Glanvillc, 8.332, Anm. 1. Vorgl. über die Rechte
der Erben unseren Abschnitt über das liracton'sche gagc foryears. Unten 8. 235.
Phillips, Englische Reichs- und Rechtsgeschichte, II, 8. 149 sagt
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230
Wie steht es nun mit «len Rechten und Pflichten des Pfand-
schuldners:'
Das hauptsächlichste Recht des Pfandschuldners besteht in
der Einlösung des Pfandes durch Zahlung der Schuld. Wie wir
gesehen haben, kann er selbst nach dem Stichtage einlösen oder,
im Falle von Verpfandung auf unbestimmte Zeit, auch nach der
Zahlungsaufforderung. Der Pfandschuldner hat fernerhin das
Recht, darauf zu bestellen, «lall der Pfandgläubiger den Gegen-
stand unverletzt zurückgibt, oder aber daß er für die Beschädigung
Ersatz leistet. Tut der Gläubiger dies nicht, so braucht die
Schuld nicht bezahlt zu werden ').
Ist das Pfand ein reines Nutzpfand in der Form des vivum
vadium, so besteht das Recht des Schuldners darin, die Pfand-
sache zurückzuerhalten, sobald die Früchte des Landes die Schuld
getötet haben’).
Der Schuldner ist rechtlich verpflichtet, die Schuld zu zahlen,
und er kann daher durch die Klage action of «lebt gerichtlich
hierzu gezwungen werden, denn das Land oder die Rente wurde
zur Sicherstellung dieser .Schuldforderung verpfändet’).
Es wird auch angenommen, daß die Parteien in dem Pfand-
vertrage festsetzen können, daß der Pfandschuldner, nicht der
Pfandgläubiger die nötigen Auslagen für das verpfändete Grund-
bei Besprechung der Kecugnitio, nt rum aliqnis obierit scisitus de
aliquo tenemento ut de feodo an ut de vadiu bei (ilanvill, XIII,
■26-29, 30, § 1 : „Biese Kocognition trat ein, wenn jemand von einem anderen
ein Grundstück zurückforderte, von dem er behauptete, es sei diesem von
ihm selbst oder von einem seiner Vorfahren verpfändet worden, der Besitzer
aber dagegen einwendete, er habe das Grundstück nicht als Pfand, sondern
als Lehen iune. Auch hier ist nichts von den übrigen Kecognitionen Ab-
weichendes zu bemerken. Wenn dem Besitzer das Grundstück durch die
Kecognitionen abgesprochen, es bloß als ein zu Pfand gegebenes anerkannt
wurde, so verlor er dasselbe, ohne gleichzeitig infolge der Kccognition die
Bezahlung der Summe verlangen zu können, wegen welcher ihm das Grund-
stück verpfändet worden war. Ks scheint als sei hier wirklich die Existenz
der Forderung geknüpft gewesen an das verpfändete Objekt und als ob ein
neuer Prozeß wegen jener Obligation nicht habe angefangen werden können. -
Vergl. «ilanvill. X, 10.
■) Siehe (ilanvill. X, 8: unsere früheren Ausführungen.
*) Siehe unsere früheren Ausführungen.
’) Glau v Ul, X. 1 1.
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231
stück während des Bestehens des Vertrags Verhältnisses zu tragen
hat1).
Wir können jetzt deutlicher die Natur des „Glanvillschen
Pfandes“ erkennen.
Es wurde bereits die Ansicht ausgedrückt, dcß Glanvill in
seinem Buche De Legibus et Consuetudinibus Regni
Angliae mehrere verschiedenartige Formen der Immobiliarver-
pfändung und Kombinationen dieser Formen bespricht.
Obgleich dies nirgends ausdrücklich gesagt wird, glauben
wir, daß Glanvill der Meinung ist, daß das Pfand, sofern es die
Parteien wünschen, eine der Formen des reinen Nutzpfandes, wo
die Substanz gar nicht ins Spiel kommt, annehmen kann, d. h.
daß das Nutzpfand in der Tat entweder mortuum vadium oder
vivum vadium ist.
Gleichzeitig kann dem Nutzpfand — sowohl dem mortuum
vadium wie dem vivum vadium — ein Substanzpfand bei-
gefügt werden ; es kann sich in anderen Worten um ein kom-
biniertes Rechtsgeschäft handeln. Diese Hinzufügung des Substanz-
pfandes zum Nutzpfände kann auf zwei verschiedene Arten ge-
schehen: 1. Die Parteien können bei Übergabe des Besitzes des
Landes an deu Pfandgläubiger entweder als mortuum vadium
oder vivum vadium in den Kontrakt eine Verfallsklausel auf-
nehmen: Wenn die Schuld oder der Rest der Schuld, welcher
nach Abzug des Wertes der eingezogenen Früchte verbleibt, nicht
an einem bestimmten Tage bezahlt wird, so soll das Land selbst
auf den Gläubiger als Eigentum übergehen, d. h. das Land soll
für die Schuld verfallen sein’). 2. Wenn in dem Vertrage nicht
ausdrücklich ein reines Nutzpfand ausgemacht ist und wenn ferner-
hin der Vertrag eine Verfallsklausel nicht enthält, dann muß der
Gläubiger zum Gerichte gehen und dieses wird bestimmen, daß
wenn der Schuldner nicht von der ihm jetzt gebotenen letzten
') Siebe Glanvill, X, 6: nnserc früheren Ausführungen,
*) Auch nach älterem deutschen Recht kann die Satzung mit auf-
schicbcnd bedingter I bercignung verbunden wurden: hierdurch gewinnt sie
die Natur eines Verfallpfandes. Siehe Gierke, Deutsches Privatrecht,
Bd. II, S. 81«.
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232
Gelegenheit, «las Land einzulösen, Gebrauch macht, dasselbe dem
Gläubiger verfallen sein soll ').
Das Glanvillsehe Pfand kam bald außer Gebrauch infolge
der Weigerung des Königsgerichts, die seisina des Pfandgläubigers
zu schützen, und in der Tat scheint auch der Versuch, die Rechte
des Pfandgläubigers an dem verpfändeten Grundstück als Rechte
von besonderer Natur zu behandeln, bald aufgegeben worden zu
sein*). Vom Ende des zwölften Jahrhunderts an trat der Pfand-
gläubiger in ein Verhältnis als tenant eiu. Er übernahm das
Grundstück aut eine Reihe von Jahren (tenant for years) oder als
freehold Besitz. Wurde er „tenant for years“, so hatte er auch
alle Rechte eines solchen, übernahm er aber das Grundstück als
freehold Besitz, so standen ihm auch die Rechte eines frec-
holders zu.
') Siebe ferner unsere früheren Ansfühningen. MH unserer Auslegung
«ler Natur des tilanvill’schcn Pfandes kann verglichen werden diejenige
von Coote und Robbins, welche das mortuutn vadium und das vivuin
vadium Ulanvills als .determinablc or base fees, witli a right of reverter in
the fctiffor and his heirs, on the payment of a given suin“, ansehen und dem-
selben das klassische englische mortgagc gegenüberstollen, wo der Pfand-
gläubiger .an absolute fee. witli a condition annexed“ erwarb. Coote fährt
fort: „The difference between the estates was striking. In the first instanee
the creditor took an estate, which, as sonn as his debt was satisfied. ipso
facto ceased, and the feoffor might re-enter, and maintain ejeetniont: in
the lattcr instanee the feoffee took the winde estate subject to be defeated,
but which, on the non-fulfillment of a certain engagement, bccatne his own
by an indefeasible title. In the first casc the defeasibility- was an inherent
quality of the estate: in the other the determination was collateral to it.“
Und weiter: .The vivum vadium consisted of a feoffinent to the creditor
and his heirs, until out of the rents and proKts he had satisfied himself
his debt: .... and it is said to liave been called vivum vadium because
neithur debt nor estate was lost.“ Nach Coote ist das mortuum vadium
Ulanvills ein „feoffment to the creditor and his heirs, to be lield by him
until his debtor paid him a given snm, and until which he reecived the
rents without account. so that the estate was unprotitable or dead to the
mortgagor in the uicautime: . . .“ Coote, Law of Mortgage, 4. Aufl., I,
c. 11: Robbins, a. a. 0, I, S. 1-3. Siche auch unsere früheren Aus-
führungen: Uoote, Law of Mortgage, 1. Aufl., S. 6: Crabb , a. a. 0., S. 371.
’) Siehe unten S. 233 ff. Wir sprechen hier von dem Pfand mit Besitz
des Gläubigers. 1 eber die Natur der Hechte des Hypothekars siche unsere
späteren Ausführungen.
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233
§ 2. Sog. „ßractonian Gage for Years.“
Zur Zeit ßractons war eine Verpachtung auf Jahre (lea.se
l'or years i mit Verfallsklausei die gebräuchlichste Form der Immo-
biliarverpfändung (sog. „ßractonian gage for years“ '). Auch dies
ist ein kombiniertes Geschäft, denn zu der Nutzung des Pfand-
nehmers (lessee for years) kommt die Möglichkeit, daß das Land
für die Schuld verfallen kann (Nutzpfand plus Substanzpfand).
Desgleichen ist es nichts weiter als eine andere Form der Über-
eignung unter Suspensivbedingung. Sie wurde meist von Gläubigem
sehr gern angewendet, weil der ßesitz des l’fandgläubigers recht-
lich geschützt war und weil durch den Verfall der Gläubiger so-
fort und ohne weiteres in den ßesitz eines freehold kam, während
er solange nur die Pachtung auf Jahre hatte (term for years.
chattel real*).
Wann die Verpachtung auf Jahre (lease for years) mit Ver-
lallsklausel als eine Form der Sicherheitsstellung zuerst zur An-
wendung kam, scheint mit Gewißheit heute nicht mehr festgestellt
werden zu können3). Sicher hatte sie ein Vorbild auf dem Kon-
tinent in der suspensiv bedingten Übereignung zu Pfandzwecken in
der fränkischen Periode4), und wie wir soeben nachgewiesen haben,
war das Glanvillsche Pfand auf eine bestimmte Reihe von Jahren
mit Vertallsklausel ohne Zweifel ein Geschäft derselben Art, wobei
es jedoch des possessorischen Schutzes entbehrte, dessen sich der
ßractonsche Pfandgläubiger erfreute4).
Die ßracton'sehe Verpachtung auf Jahre (lease for years) als
Sicherheitsstellung hat folgende Form. Der Schuldner verpachtet
das Land an den Gläubiger auf eine Reihe von Jahren unter der
') Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 120-122.
■) Siehe unsere späteren Ausführungen.
3) Siehe Pollock and Maitland, a. a. (). 11, S. 111, 112.
i) Brunner, Uber Pollock and Maitlamls Histury of Knglish Law
(Sonderabdruck aus der Zeitschrift der Savigny-Stiftung).
4) Siehe oben S. 214 ff. Chaplin, a. a. O.. IV, S. 8 identifiziert das
i llanvill sehe Verfallspfand mit dem Bracton "sehen Verfallspfand. Nach seiner
Annahme ist die Vcrfallsklauscl wahrscheinlich aus dem römischen Hechte
übernommen.
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•234
Bedingung, daß wenn die Schuld nicht am Ende der Pachtzeit
bezahlt wird, der Gläubiger das Land in fee behalten darf1).
Bei Inkraftreten der Verfallsklausel, d. h. bei Zahlungs-
versäumnis seitens des Schuldners bei abgelaufener Pachtzeit,
geht das freehold sofort und von selbst auf den Gläubiger über.
Der Pländgläubiger ist nun plötzlich im Besitze des freehold (seised
in fee) und es stehen ihm nunmehr alle Rechtsmittel eines frec-
holders zu. Das freehold, das Land selbst, ist ihm für die Schuld
verfallen. Er ist nun nicht länger termor, solidem in Wirklichkeit
Eigentümer des Landes selbst.
Die Reehtsanschauungen späterer Zeiten heißen diese Methode
des dreizehnten Jahrhunderts, nach der eine Verpachtung auf
Jahre, ein bloßes „ehattel real“, durch Erfüllung einer Bedingung
in ein freehold estate sich auswachsen kann, nicht gut'-’): an ihre
Stelle tritt das inortgage durch resolutiv bedingte Übereignung
(conditional feoffment)*). Aber in dieser frühen Zeit sehen die
Juristen, wie ja auch Pollock und Maitland dies bereits ausgeführt
haben4), die Schwierigkeit nicht. „Demise“ und «feoffment“ sind
beides Formen der großen Gruppe „gifts“ und die forma dona-
tionis wird mit beinahe religiöser Ehrfurcht behandelt. Der
') Bracton, f. 20. 2(18-26!): Britton, liv. III. e. XV, §§2-7: Brac-
tou's Note Book, pl. 889: Madox, Formulare. No. DIX: Cart. <iu isborough,
S. 144: Pollock and Maitland, u. a. ().. II. S. 122. Siche auch Varianten
dieser Pfandform: Ko und, Ancient Charters, No. 56: Chron. de Melsa,
I, 303: Madox, Formulare, No. COIJI: Y. B. 21-22 Ed. I, S. 125. Siehe
ferner Selcct Civil l’lcas, (Seid. Soc.), I, S. 2, 10, 36, 57. 79.
Vergl. ein lease aus dem Jahre 1292 in Y. B. 20-21 Ed. 1. S. 131, das
ein reines Nutzpfand in der Form der Zinssatzung (uiortuuin vadium)
gewesen zu sein scheint: Nota si un Imine lesse sa tere a un autre en gage
pur. XX. mars, issi ke a quel oure ke yl pByc le XX. mars ke yl eit sa
tere arcrc, en coe cas cely a ky la tere cst en gage ne ad fee ne franc
tenement par tant.
J) Eine Besprechung der theoretischen Schwierigkeiten, die mit. einem
sulchen Rechtsgeschäfte verbunden sind, ist zu finden bei Cok e über Little-
ton, 216-218. Ferner zu beachten Fitzherbert, Abridgment, tit. Fcffe-
inents, pl. 119.
s) Später kam auch die Verpfändung durch umrtgage eines auf eine
gewisse Reihe von Jahren gepachteten Grundstücks (inortgage for a term of
years) in Gebrauch. Siehe Madox, Formulare, DLXXXIX, auch unsere
späteren Ausführungen.
•) Hist. Eng. Law. II, S. 122, 123.
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•33.1
bloße Wille des Gebers (grantor) erweitert durcli bloße Erfüllung
einer Bedingung einen Besitz auf Jahre in ein freehold oder ver-
mindert ein freehold in einen Besitz auf Jahre. Aus einem free-
hold kann ein chattel real und aus einem chattel real ein free-
hold gemacht werden').
Nicht nur den Parteien selbst, sondern auch ihren Erben
können Rechte aus dieser Bracton’schen Sicherstellung durch Ver-
pachtung auf Jahre erwachsen.
Die possessorische Klage „assize of mortdancester“ steht den
Erben eines als freehold Besitzer Verstorbenen iheirs of an ancestor
who died seised in demesne and as of fee — in fee simple nr
in tail) zu. Sie steht nicht den Erben jemandes zu, der bei
seinem Tode Land als Pachter auf Jahre oder als Pfandgläubiger
im Besitze hatte").
Wenn jedoch dem Gläubiger Land verpfändet worden ist
unter Einschluß einer Verfallsklausel, oder in anderen Worten
unter der Bedingung daß, wenn die Schuld an einem gewissen
Tage nicht bezahlt wird, das Land dem Gläubiger und seinen
Erben als freehold verbleiben soll, und wenn das Land auf solche
Weise tatsächlich für die Schuld während der Lebenszeit des
Gläubigers verfallen ist, dann können die Erben des Gläubigers
die possessorische Klage assize of mortdaneestor anhängig machen.
Bei Nichtzahlung am festgesetzten Tage kam der Gläubiger in
■) ln Y. B. 21-22 E<i. I. (1293) 8. 222 - 224. linden wir, daß tcnu-
nients verpfändet worden sind fnr ein Darleben von 40 I.St.. welche Summe
je mr Hälfte un den beiden hierfür festgesetzten Tagen zurückzuzahlen war,
und daß, wenn der Schuldner versäumte, an den festgesetzten Tagen zu
zahlen, das Land dem tiläubigcr und seinen Erben in fee verbleiben sollte.
In Übereinstimmung mit diesen Bedingungen wurde von dem Pfandschuldner
eine Belehnungsnrknnde (charter of feoffmont) aufgesetzt, die einer unpar-
teiischen Person (umpirc) übergeben wurde, damit sie von dieser nach dem
Stichtage au diejenige Vertragspartei übergeben werde, welcher sie zukam.
Der Schuldner zahlte 20 L. St. am ersten Stichtage, versäumte jedoch die
Zahlung am zweiten, ln einem Writ of Entry ad terminum qui practe-
riit, das von dem Pfandschuldner gegen den Pfandgläubiger erlassen wurde,
entschied das Gericht dahin, daß der Pfandschuldner sein Land nicht zurück-
erhalten könnte. Der Kall ist besonders interessant dadurch, daß er zeigt,
wie der Kechtstitel des Pfandgläubigers bei der Zahlungsversäuumis des
l’fandschuldners durcli die charter of feoffment perfect gcmacbt wurde.
*) Siebe unten S. 23li, Amu. 1.
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den Besitz des freehold durch Inkrafttreten der Verfallsklausel:
und beim Tode des Gläubigers, welch letzterer somit freehold
Besitzer war (seised in fee) ging das freehold auf seine Erben
über. Nunmehr im Besitze als freeholder und nicht bloß ut de
vadio, sind die Erben jetzt berechtigt zur possessorischen Klage
assize of mortdancestor ').
Die Erben des Pfandschuldners sind ebenfalls zur possessorischen
Klage assize of mortdancestor gegen den Pfändgläubiger oder
dessen Erben berechtigt, sofern Zahlung der Schuld an dem von
den Parteien festgesetzten Tage erfolgt oder zum wenigsten in an-
gemessener Form angeboten wird. In solchem Falle tritt die
\ erfallsk lausei außer Kraft. In der Tat befreit Zahlung oder
angemessenes Zahlungsanerbieten das freehold des Pfandschuldners
von der Möglichkeit des Verfalls. Stirbt nun der Pfandschuldner
als lreehold Besitzer (seised in fee), so können seine Erben, nicht
aber die Erben des Pfändgläubigers das Land beanspruchen und
die possessorische Klage assize of mortdancestor anhängig machen *).
Die Bedingungen des Pfandvertrages können derartige sein,
daß die Erben des Schuldners am Stichtage bezahlen und so das
Land einlösen können. Wenn sich jedoch die Bedingung des
Vertrages bezüglich Zahlung nicht auf die Erben des Schuldners
erstreckt, d. h. wenn die Erben des Schuldners in dem Vertrage
nicht genannt werden und wenn der Schuldner selbst vor dem
Stichtage stirbt, so ist das Land dem Gläubiger verfallen. Dies
geschieht auch dann, wenn sich die Erben des Schuldners bereit
erklären, zur rechten Zeit Zahlung leisten zu wollen. Der Ver-
trag hat eine strikte Auslegung gefunden :l).
') Bracton, f. 268, 208b: Brittoii, Uv. II. c. V, $ 14, liv. III. c. XV.
§§ 2, 3. Siebe Y. B. 20-21 Kd. I., S. 242. Vcrgl. das wril de fcodo et
vadio oben S. 229.
s) Siche unten Amu. 3.
3) Bracton, f. 268b; Brittoii, liv. III. c. XV, 8$ 4-6. Siebe Mich
Britto n , hv. III, c. XV, § 7.
Zur Zeit Littletons wird eine Bedingung der soeben erwähnten Art
weniger strikt ausgelegt, indem den Krben, trotzdem sie iin Vertrage nicht er-
wäbut sind, gestattet wird, die Bedingung zu erfüllen, l.ittlcton, § 334:
Ouke über Littleton. 20.7b: Xiehols' Brittoii, 11. 8. 127, Aum. (d;.
Vergl. das writ de feudo et vadio oben S. 229.
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•237
Die sich hin und wieder ergebenden Schwierigkeiten, zu
unterscheiden zwischen einer Verpachtung auf Jahre als Sicher-
heitsleitung ') und dem Glanvill’schen Pfand, ist bereits angedeutet
worden*). Das sog. gage oder vadium kann auf eine Reihe
von Jahren gegeben werden, und wenn dies geschieht, so kommt
die Transaktion einer Verpachtung auf Jahre sehr nahe. Es ist
besonders schwer, zwischen den zwei Können zu unterscheiden,
wenn beide Verträge, welche behufs Sicherheitsstellung abgeschlossen
werden, die Verfallsklausel enthalten.
Es wird jedoch angenommmen, daß, obgleich die beiden
Formen in manchen Fällen in leicht zu verwechselnder Weise
sich tatsächlich ineinander verschmelzen3), sie doch nichtsdesto-
weniger zwei deutlich verschiedene Können darstellen. Das Glan-
villsche Pfand, selbst wenn es auf gewisse Zeit gegeben wurde,
ist eine Form der Sicherheitsleistung sui generis, eine Fonn, die
in der Tat nur zum Zwecke der Sicherheitsleistung Anwendung
findet. Die Verpachtung auf Jahre ist dagegen ein Rechtsgeschäft,
eine juristische Form für sich, die je nach dem Wunsche der Parteien
zum Zwecke der Sicherheitsleistung Anwendung linden kann. Die
beiden Formen scheinen in der Tat von den früheren Schriftstellern
auseinander gehalten worden zu sein, als seien es zwei verschiedene
Formen gewesen4), und es darf bemerkt werden, daß obgleich das
Glanvill sche Pfand auf eine gewisse Zeit hergegeben werden kann,
es doch auch auf unbestimmte Zeit übergeben werden kann 5), oder wie
es scheint sogar nur bis zu der Zeit, wo die Schuld aus den Er-
trägen getilgt ist. Auf der anderen Seite ist Verpachtung auf
Jahre, wie schon der Name andeutet, immer eine Verpachtung
auf gewisse Zeit.
') Das sogenannt« „bcnclicial lease" iimU natürlich scharf unterschieden
werden von der Verpachtung auf Jahre (lease for vears) zur Sicherstellung
einer Forderung. Im vorliegenden Abschnitt haben wir es nur mit der
letzteren zu tun. Über das „beneticial lease- siehe oben S. 203, 204.
*) Siche oben S. 233.
s) Siehe z. B. die Erörterung bei Bracton. f. 268. 268b. 269 und bei
Britton, liv. III, c. XV, §§ 2-7.
4) Siehe Bracton, f. 268, 268b: Britton, liv. III, c. XV. §§ 2, 7.
Vergl. unsere späteren Ausführungen.
s) Glanrill. X. 6.
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238
Der Unterschied zwischen den zwei Formen tritt jedoch am
deutlichsten hervor, wenn man sich mit der Franc des Besitz-
schutzes beschäftigt. Und dies scheint in der Tat der Haupt-
unterscliied zwischen der als Sicherheit abgeschlossenen Verpachtung
auf Jahre und der Glanvill’schen Verpfändung auf bestimmte Zeit
zu sein. Der Glanvill’sehe l’fandgliiubiger hat keinen Schutz
gegen den l’fandschuldner oder dritte Personen. Auf der anderen
Seite steht dem Pächter auf Jahre am Fnde des zwölften Jahr-
hunderts *) die Klage Action of Covenant zu, auf Grund deren der
Verpachter oder seine Erben gezwungen werden können, den Be-
sitz, oder wie es genannt wird, die seisina des Landes zurück-
zugeben. Und im dreizehnten Jahrhundert wird dieser Besitzschutz
des Pächters erweitert, indem man ihm possessorische Rechte gegen
dritte Personen verleiht. Das X ichtvorhan densein eines Schutzes
für den Glanvill'schen Pfandgläubiger ist jedenfalls der Haupt-
grund für das Verschwinden der Glanvill’schen Form der Sicher-
heitsstellung, und der possessorische Schutz des Pächters auf Jahre
ist vielleicht der Hauptgrund der Popularität der Verpachtung
auf Jahre zum Zwecke der Sicherstellung einer Forderung in der
Zeit Bractons*). Beide Formen müssen daher scharf auseinander-
gehalten werden.
Fernerhin kann man, obgleich der historische Zusammenhang
noch nicht festgestellt ist, es wagen, die Vermutung auszusprechen,
datl der Glanvill’sche, auf eine bestimmte Zeit geschlossene Pfand-
vertrag mit Verfallsklausel viel zu der Entwickelung des Bracton-
schen zur Sicherstellung von Forderungen geschlossenen Pacht-
vertrages auf Jahre beigetragen hat. Denn abgesehen von dem
Punkte des Besitzschutzes, haben sie praktisch dieselbe Form, d. h.
die Form der suspensiv bedingten Übereignung zu Pfandzwecken.
Die Glanvill’sche Verpfändung auf bestimmte Zeit mit Verfalls-
klausel scheint von der Bracton schen Form absorbiert worden zu
sein.
*) Mit Bezug hierauf ist es interessant zu wissen, ilali (las Ulanrill’sckc
Buch wahrscheinlich in der Zeit zwischen 1185 und 1188, d. b. ganz gegen
Ende des zwölften Jahrhunderts geschrieben worden ist. Siche Beale,
Beautes' Translation of (ilanville, Einleitung, S. XI. XII.
a) Siehe unsere früheren Ausführungen.
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*2:lB
II. Übereignung unter Resolutivbedingung.
Weder das Glanvillsehe noch das Bractonsche Pfand wurde
zur Basis des klassischen „mnrtgage“ des englischen Rechts. Diese
klassische Pfandfonn ist keine Übereignung unter Suspensivbe-
dingung, sondern eine Übereignung unter Resolutivbedingung
(conditional feoöment). Der Schuldner übergibt dem Gläubiger
und dessen Erben das Grundstück zu Lehen (feoffinent) unter der
Bedingung, daü wenn die Schuld am Stichtage bezahlt wird, der
Schuldner (feofl'or) oder seine Erben wieder in den Besitz eintreten
ire-enter) und das Land wie vor der Verleihung behalten dürfen.
Auch hier linden wir, daü das Proprietütspfand ilie Form des Ver-
fallspfandes annimmt1).
Wir haben gesehen, daLl die Angelsachsen diese Form der
Sicherheitsstellung als eine Übereignung unter Resolutivbedingung
die. durch die Übergabe des Landbuches vorgenommen wurde, ge-
kannt haben*). Buch-Land als eine Form des Grundbesitzes
erhielt sich noch eine Zeit lang nach der normannischen Er-
oberung3) und es ist möglich, daü zuweilen Land auch während
dieser späteren Periode auf Grund des Landbuches verpfändet
wurde, obgleich, wie es scheint, keine Belege über eine solche
Verpfändung von Land nach der angelsächsischen Zeit auf uns
überkommen sind.
') Chaplin, a. a. O., S. 8, 8, sagt bei Erörterung des GlanviH'schcn und
Bractnn’gchen Verfallspfandes: „Certainly this System was efficient enough.
The only thing of which tlie pledgce could in the least complain was, that
in any actinn which involvcd the validity of bis title, the burden of proof
was always on bim to show the debt. This difliculty the lender dass next
set themselves about getting rid of. lf it could be contrived to givo the
lender, at the outset, not a me re title de vadio. but a title prima facia
absolute at its ineeption, that is, absolute unless and unt il defeated by
affirmative proof of payment, the final problem would be solved. Such a
step would give the creditor full and unqualified seisin iu the first instance.
leaving the debtor only a right to end that seisin by paying according to
the strict letter of the deed, and consequently would throw the burden
of proof upon the borrower, the pledgor, in any contcst which might arise.
The solution of the problem was very early found in the use of the deed
upon condition."
*) Siehe oben S. 141 ff.
3 ) Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 62.
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■240
Andererseits scheint den Angelsachsen die symbolische Über-
tragung von Land vor der Einführung des Landbuches bekannt
und beides, die symbolische Übereignung und das Land-Huch in
Gebrauch gewesen zu sein ’). Es liegen hierüber nur wenig Berichte
vor und wir können nur vermuten, daß unter den Angelsachsen
zuweilen Land durch symbolische Übereignung verpfändet wurde.
Bei den Schriftstellern des zwölften und dreizehnten Jahr-
hunderts finden wir keine Besprechung der resolutiv bedingten
Übereignung zu Pfandzwecken; aber es ist wohl nicht daran zu
zweifeln, daß, ob nun die Buch-Land- Verpfändung sich bis in
die normannische Periode erhalten hat oder nicht, die resolutiv
bedingte Übereignung auf Grund einer Belehnung (feoffment) zu
Pfandzwecken seit früher Zeit in England existiert hat. Es lag wirklich
kein stichhaltiger Grund vor, warum Glanvill und Bracton sie
besonders behandelt haben sollten, denn die Transaktion war
rechtlich eine Belehnung (feoflmenti unter Resolutivbedingung und
fiel damit unter die allgemeine Doktrin der bedingten Gaben
(eonditiona! gifts) und war nur in ökonomischer Hinsicht eine
Art von Sicherheitsstellung2). Mortgages in der Form von
conditional feoffments scheinen in der Zeit Heinrichs VI. und
Eduards IV.2) im allgemeinen Gebrauch gewesen zu sein, und in
Littletons Abhandlung, geschrieben am Ende des fünfzehnten Jahr-
hunderts, finden wir eine eingehende Besprechung dieser Form der
Sicherheitsstellung. In der Tat basiert alle spätere Entwickelung
<Ies rmortgage unseres klassischen gemeinen Rechts“, des „klassischen
englischen mortgage“ auf Littletons Darstellung').
') Pollock, Land Laws, S. 199, 200 (siehe auch Schusters Übersetzung
dieses Werkes unter dem Titel „Das Hecht des Grundbesitzes in England*).
Über eine von Sohni und Schnöd vertretene, hiervon abweichende Ansicht
siehe die eben citicrte Stelle bei Pollock.
’) Siehe llrunner. Über Pollock and Maitlands Hiatory of Knglisli
Law (Sonderabdruck aus der Zeitschrift der Savignv-Stiftung): Pollock and
Maitland, a. a. 0., II, S. 123. Anm. 2. Chaplin, a. a. 0., IV, S. 9, ist der
Ansicht, daß das deed upon condition zu Pfundzwecken, d. h. die resolutiv
bedingte Übereignung zu Bractons Zeit noch nicht bekannt war. Siebe aber
unsere späteren Ausführungen.
J) S p e n c e , a. a. 0., I, S. fi02.
') So genannt von mehreren Schriftstellern: siehe z. B. Pollock and
Maitland, a. a !>., II, S. 122, 123. Nach der Ansicht von Pbillpotts
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241
Obgleich die Rechtsliteratur des zwölften und dreizehnten
Jahrhundert nichts über die bedingte Belehnung (conditional
feoft'ment) zu Pfandzwecken sagt, wird die Richtigkeit der Vermutung,
daß diese Form der Sicherheitstellung nichtsdestoweniger lange
Zeit vor Littleton existiert hat, durch eine Prüfung anderer Quellen
aus der Periode vor Littleton bestätigt. In Braeton’s Note Book
finden wir ein gerichtlich protokolliertes (enrolled) mortgage durch
bedingte Belehnung (conditional feoffment in fee) aus dem Jahre
1230. Auf Grund einer Annullierungsklausel (clause of defeasance)
muß das Land wieder auf den Schuldner (feoffor) und seine Krben
zurückgehen, sofern die Schuld in einer gewissen Zeit bezahlt
wird1). Andere Beispiele dieser Art mortgage sind zu finden in
Urkunden aus dem vierzehnten und Anfänge des fünfzehnten Jahr-
hunderts. Nach dem Wortlaut der Belehnungsurkunde (charter
of feoffment) zu urteilen, geschieht die Belehnung bedingungslos
(absolute). Der Charakter der Belehnung als einer Übereignung
zu Pfandzwecken jedoch kommt zum Ausdruck auf Grund einer
Annullierungsklausel auf der Rückseite der Originalurkunde selbst !>,
oder in einem besonderen Dokumente3).
Das mortgage oder mortuum vadium Littletons und des
klassischen gemeinen Rechts ist also eine bedingte Belehnung
(conditional feoffment), ein „estate upon condition“, eine Über-
eignung des freehold unter Resolutivbedingung4). Die Bedingtheit
(Renton’s Encyclopu-dia of the Law« of England VIII, S. 468) „the carliest
form of mortgage was probably auch as described in Littleton,“ §332.
') Braeton's Note Book, pl. 458. Weitere Beispiele sind zu linden
in den Y. B. 20-21 Ed. I. (1293), 8. 422, Y. B. 30-31 Ed. I. (1302;. S. 208-212,
Y. B. 2—3 Ed. II. (1308-9), (Seid. Soc.), S. 14, 15.
a) Madox, Formulare, No. DLXXIX (temp. Henry IV).
*) M adox, Formulare, No. DLX (temp. Edward III), No. DLXI (temp.
Eduard III), No. DLX1I, No. DLXIX (temp. Richard II;. Vcrgl. den Fall
in V. B. 30-31 Edw. I., S. 210 (citicrt Pollock and Maitland a. a. 0., II.
S. 123, Anm. 3), wo, obgleich der Pfandgläubiger im Besitze einer Urkunde
ist, welche dem Wortlaut nach eine absolute Belehnung (absolute feoffment)
darstellt, der Pfandschuldner nichtsdestoweniger vor Gericht nachweist, dall
die Belehnung eine bedingte war.
‘) Littleton, § 332, 337, 340: lestato de la terre est dependant sur
la condition.
Estatcs iu tail, estate» for life oder cstates for ycars können ebenfalls
verpfändet werden und die Pfandgläubiger werden in solchen Fällen glcieh-
H&zeitine, Englisches Pfandrecht 16
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242
liegt, wie eben angedeutet, in dem Recht der Wiedereinlösung
und damit verbundener Annullierung der Übereignung. Wenn der
Belehner (feoft'or) dem Belehnten (feoffee) an einem gewissen Tage
und an einem bestimmten Platze eine gewisse Summe zahlt, so
darf der Belehner wieder in den Besitz seines Landes eintreten
(re-enter) ‘). Wenn jedoch der Schuldner, der Belehner, versäumt,
genau am Stichtage zu zahlen, so ist das Land tftr immer dem
Gläubiger, dem Belehnten verfallen*;. Diese Bedingung, welche das
Recht des Wiedereintritts gibt, ist in der Belehnungsurkunde (deed
of feoffment) enthalten*), obgleich die gesiegelte Urkunde (deed)
selbst für die Giltigkeit der Übertragung durch Belehnung im Mittel-
alter nicht gerade notwendig ist4;.
Die Sicherheit wird mortgage genannt, sagt Littleton, weil
„it is doubtful whether the feoft'or will pay at the day limited such
sum or not: and if he doth not pay, then the land which is put
in pledge upon condition for the payment ot the money, is taken
falls „tenants in uiortgage* genannt. Littleton, § 33IJ. Über «las mort-
gage nf an cstate for years siehe unten 8. 247. Nach neuzeitlichem Rechte
wenigstens kann copyhold laml Pfandobjekt hei einer Mortgage-Transaktion
sein. Siehe Lenke, Digest. S. 330. In der nachfolgenden Besprechung
werden wir nur das mortgage in fee simple berücksichtigen und nur hin und
wieder Bezug nehmen auf die anderen I’fandformen. Wir werden ferner
einer Besprechung der verschiedenen Kinzelheiten hinsichtlich Zeit und Ort
der Zahlung, sowie betreffs dessen, wer zu zahlen hat, an wen die Zahlung
zu geschehen hat, was an Stelle von Zahlung angenommen werden kann u.
dcrgl. mehr aus dem Wege gehen. Littleton, § 334-344 behandelt diese
Gegenstände äullerst eingehend. Siehe auch Reeves. a. a. 0., II, S. .">81.
*) Diese alte Annullierungsklausel (clause or condition of defeasancc)
ist in der Neuzeit durch den Vorbehalt der Zurnckübereignnng (proviao for
reconveyanee) ersetzt worden, welche letztere durch den Pfandschuldner im
Kquity verfahren erzwungen werden kann. Arnes, Harvard Law Review,
XVII, S. 174: Robbins, a. a. 0., I, S. 8, Anin. (h), 128, 129: Williams,
Real Property, S. 544.
*) Littleton, § 332. Siehe ferner Williams, a. a. 0., S. 528, 519:
Robbins, a. a. U., I, S. 1-5, 8. 027 : Blackstonc, II, 10, $111: Reeves,
a. a. <>., II, S. 680, 581: Spence, Kquitable Jurisdiction, I, S. G00 - C>03,
II. S. 014, 015.
3) Robbins, a. a. 0., I, S. 3: Bacon, Abridginent, tit. Mortgage.
Betreffs frühzeitiger Beispiele des mortgage mit Annullierungsklausel (con-
dition of defeasanee), siehe oben S. 241.
4j Siehe Pollock and Maitland. a. a. (>., II. S. 801T.
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243
front him for ever, and so dead to liiin upon condition, die. And
if he doth pay the money, then the pledge is deail as to the
tenant, 2t c" l). Coke in seinen; Kommentar zu Littleton sagt, datt
es mortgage oder mortuum vadium genannt wird, nicht nur
aus den bei Littleton angegebenen Gründen, sondern auch um es
von vivum vadium2) zu unterscheiden. Man kann dem hinzu-
fügen, daß mortgage oder mortuum vadium bei Littleton stets
unterschieden werden mul.1 von mortgage oder mortuum vadium
bei Glanvill, welch letzteres zu Littletons Zeit bereits vollständig
außer Gebrauch gewesen zu sein scheint5).
Das mittelalterliche Recht verlangt zur Übertragung des
Rechtstitels (legal title) am freehold estate die Übergabe des Be-
sitzes (livery of seisin)4). Sobald dann die Übergabe des Besitzes
stattgefunden hat, gelangt der mortgagee oder feoffee in freehold
Besitz (seisin in fee simple). Aber nach common law ist sein
Besitzrecht (legal estate) ein bedingtes. Der mortgagor beh<
nichts als das Recht der Einlösung und des Wiedereintritts am
festgesetzten Tage’?.
') Littleton, § 1132: Item, si feoffment soit fait sur tiel condition,
ijue si lc fcoffor paya al feoffee a certaine jour, Ae. 40 L. dargent, que
adonqur le fcoffor poit reentcr, ke. cn ceo eas lc fcoffcc ost appell tenant
on morgage, quo cst autant adirc cn Francois comc mortgage, ct cn Latin,
mortuum vadium. Et il scmblc que la cause, pur que il cst appelle mortgage.
cst, pur ceo que il cstovt cn aweroust si lc fcoffor voyt paycr, al jour
limittc ticl summe ou non : ct sil ne paya pas, donque lc terre que il mitter
cn gagc sur condition de payment de lc money, cst ale de luv a tont«
joiirs , et issint mort a luy sur condition, \e, et sil paya lc monev, donqs
cst lc gagc mort quant a lc Tenant, \c.
*) Coke über Littleton, 205a.
3) Siehe oben S. 232. 233, 239: Hob bi ns n. a. Ö., S. 2, 3. Vergl. oben
S. 207, Aura. 2.
4) Siehe unsere Erörterung oben S. 39 ff: Littleton, § 332, 337:
Iilacks tone, II, c. 10, §111 : Krunncr, Forschungen, S. 318, G19: Will iains,
Iteal Property. S. 144, 157. 809. Britton, II. e. 2, § X: Al purehai des
chosos corporcles ne suftit nul doun sauntz le bayl de la scysine.
s) Littleton. §351; Hobbins, a. a. O., I, S. 3-5, G27: Williams,
a. a. 0.. S. 527-.529, .533: Klackstone, II, c. 10, § 111.
Pie gemeinrechtliche Doktrin, dall der mortgagor kein Besitzrecht
(estate) am Lande habe, sondern nur ein Hecht auf Wiedereintritt (right of
re-entry) wurde frühzeitig von den Equitygerichton übernommen, wich jedoch
später dem endgültigen Prinzipc des Kiiligkeitsrechts, wonach der l’i'aiid-
1G*
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244
Erfüllt nunmehr der mortgagor die Bedingung, so tritt er
wieder in den Besitz ein und ist damit sofort wieder im Besitze
des freeholds (seised of liis estate in fee simple); und zwar hat
sein Anrecht die Priorität vor allen Belastungen durch den im>rt-
gagee (paramount to all the charges and incumbrances) ').
Wenn jedoch die Bedingung durch Nichtzahlung seitens des
Schuldners nicht erfüllt wird, so ist das Besitzrecht (legal estate
in fee simple; des Pfandgläubiger» sofort und absolut unantastbar,
d. h. ist vollständig von der Bedingung befreit. Der Pfandgläubiger
hat nunmehr das Eigentumsrecht id. h. estate in fee simple) und
dieses Eigentumsrecht ist jetzt so frei und absolut, wie es nach
englischem mittelalterlichen Recht nur sein kann*). Der Verfall
des Landes ist jetzt nach gemeinem Recht perfekt und dem mort-
gagee kann nunmehr sein legal estate nicht mehr entzogen (di-
vested) werden, wenigstens nicht ohne seinen freien Willen. Den
(törichten des gemeinen Rechts ist es nach den Prinzipien des
letzteren nicht möglich, dem Pfandschuldner beizustehen, selbst
wenn sie hierzu geneigt waren. Ohne die («rundlagen des ge-
samten Immobiliarrechts-1) zu erschüttern, stehen dem Pfandschuldner
jetzt keine Rechtsmittel mehr zu Verfügung, es sei denn, das
Parlament nähme sich seiner Sache an4).
Wir haben die Tatsache hervorgehoben, da 11 der Pfandgläubiger
nach gemeinem Recht sofort durch Belehnung der Eigentümer
des Landes (d. h. tenant in fee simple) wird, jedoch unter einer
Resolutivbedingung, denn es ist von hervorragenden Autoritäten
die Ansicht vertreten worden, daß der Pfandschuldner nach ge-
schuldner nach Equity ein Resitzrocht (estate) am Lande habe. Siche
Robbins, a. a. 0., I, S. 627.
') Littleton, § :t32, 337; lilackstonc, II, c. 10, §111: Robbins,
a. a. O., I, S. 4.
*) Ober die Theorie der liositzrechtc (estates) siehe oben S. 42 ff.
3) Blackstone, II, c. 10, §111; Anm. (') zu Coke über Littleton,
205a: Digby, a. a. <>.. S. 285: Williams, a. a. 0., S. 529: Robbins,
a. a. 0., 1, S. 1, 4, 5, 8.
Nach heutigem gemeinen Recht wird der Pfandgläubiger immer noch
als Eigentümer (tenant in fee) angesehen. Siehe Digby, a. a. ()., S. 28G,
411: Williams, a. a. 0., S. 527, 533. 534. 537, 538, 540. Siehe ferner die
Erörterungen oben S. 239 ff.
4) Ycrgl. unten S. 252, Anm. 2.
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245
meinem Recht der Eigentümer verbleibt, bis durch Nichteinhaltung
der Redingungen des Vertrags das Besitzrecht (legal es täte) durch
Verfall auf den Pfandgläubiger übergeht '). Es wird angenommen,
daß dieser Irrtum entstanden ist durch die Versäumnis, zu ersehen,
daLl im englischen gemeinen Recht der Rechtstitel am Immobiliar
(legal title, proprietary right) ans der seisina fliel.lt und daß die
beiden zeitweise untrennbar verbunden, nicht aber zwei getrennte
Dinge sind*). Wenn man freehold Besitzer ist (seised in fee
simple), so hat man nicht nur den Besitz (Gewere, seisin, legal
possession), sondern man hat auch das Eigentumsrecht (proprietary
right), man ist nach gemeinem Recht der Eigentümer des Landes
(legal owner). Wir glauben daher, daß es unrichtig von Franken
ist, wenn er bei Besprechung der Zeit zwischen der Übergabe des
Besitzes an den Gläubiger durch bedingte Belehnung und der
Zahlungsversäumnis seitens des Schuldners sagt: „Eigentümer zu
sein, hat der Verpfänder nie aufgehört. Die Gewere andererseits
richtet sich bloß nach außen, gegen Dritte; sie ist die vom Rechte
geschützte Äußerung des Verhältnisses zum Gute, nicht das Ver-
hältnis selbst“ *). Spräche Franken von suspensiv bedingter Über-
eignung zu Pfandzwecken, so würde seine Behauptung, daß der
Verpfänder während dieser Zwischenzeit der Eigentümer bleibt,
unter gewissen Verhältnissen vollständig korrekt sein: denn bei
solchen Verpfändungsformen behält der Pfandschuldner das Eigen-
tumsrecht (freehold) bis zum Verfall. Die Tatsache, daß das
Eigentumsrecht (freehold seisin in fee) nicht sofort bei Eingehen des
Pfandverhältnisses auf den Pfandgläubiger übertragen wird, ist
theoretisch und praktisch der Hauptgrund für das Verschwinden
solcher Formen der Sicherheitsstellung '). Man kann sich des
Gefühles nicht erwehren, daß Franken nicht so scharf unterschieden
hat zwischen Verpfändung unter Suspensivbedingung (Glanvill’sches
') So z. B. wird in Bacon, Abridgmont, tit. Mortgagc (C), gesagt,
dali „the mortgagor before forfeiture, and wbilst it remains uncertain
whether he will perform the condition at the time limited or not, hatli the
legal estate in biin." Dieselbe Ansicht findet man vertreten hei Franken,
Französisches Pfandrecht, S. 162.
Tj Vergl. Pollock and Maitland n.u.O., II, S. 1 — 80.
s) Franken, a. a. 0., S. 162.
') Siehe oben S. 214 — 238; Coke ober Littleton 216-218.
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246
Pfand und Bracton’sches Pfand auf Jahre) und Verpfandung unter
Resolutivbedingung (conditional feoffmunt Littletons) wie er solches
wohl getan haben sollte1). Beides sind Formen des Verfalls-
pfandes; aber in einigen höchst wichtigen Punkten sind sie voll-
ständig verschiedene Transaktionen. Bei Suspensivbedingung bleibt
der Verpfänder Eigentümer bis zur Zahlungsversäumnis; bei Reso-
lutivbedingung wird der Pfandgläubiger sofort Eigentümer, ob-
gleich dieses Eigentumsrecht einer Bedingung unterworfen ist.
In der Tat können wir sagen, daü das Eigentumsrecht in jedem
Falle einer Bedingung unterworfen ist. nämlich der Bedingung der
Wiedereinlösung. Wenn im Falle von suspensiv bedingter Über-
eignung der Pfandschuldner das Land einlöst, so ist das Eigentum
des Pfandschuldners von der Verpfändung befreit. Wenn bei reso-
lutiv bedingter Übereignung der Pfandschuldner die Einlösung
nicht vornimmt, so ist auf der anderen Seite das Eigentum des
Pfandgläubigers von der Bedingung befreit und dadurch ein ab-
solutes Eigentum.
Das englische mittelalterliche mortgage durch bedingte Be-
lehnung ist ein kombiniertes Geschäft. Es ist in der Hauptsache
ein Substanzpfänd (Proprietätspfand, Verfallspfand). Aber es
existiert gleichzeitig ein befristetes Nutzpfand, d. h. ein befristetes
mortuum vadium im Sinne Glanvills. Bis zum Zahltage nimmt
der im Besitze des Grundstücks sich befindende Gläubiger die
Renten und Erträge, ohne sie auf die Schuld zu verrechnen.
Bezahlt der Pfandschuldner die Schuld am Stichtage, so ist das
Land eingelöst und das temporäre Nutzpfand hört auf. Versäumt
der Schuldner zu zahlen, so ist das Land dem Gläubiger für die
Schuld verfallen“).
Soweit wir aus Littletons Darstellung ersehen können, hat
der Pfandschuldner das Recht, die Schuld am Stichtage zu be-
zahlen und dadurch das Land einzulösen, aber der Pfändgläubiger
hat kein Recht, den Pfandschuldner persönlich für die Schuld
*) Siehe Franken, a. a. 0., S. 150, Anw. 2, und S. 151, Anin. 1.
’) Franken, a. a. 0., S. 162, 1G3. Siehe Coke über Littleton 205a:
Spence, Kquitablc Jurisdiction, I, S. 602; Heeres, a. a. 0., I, S. 211 ;
Jones, n. a. ()., S. 4. Nach heutigem englischen Hechte muH der Pfand-
gläubiger im ltesitze über die Kenten und Erträge genau Rechnung ablcgen.
Siehe unten S. 250. 258.
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247
zu verklagen, wenn der Pfandschuldner versäumt die Schuld zu
zahlen oder wenn das verpfändete Grundstück beim Verfall der
Schuld nicht an Wert gleichkommt. Allem Anscheine nach kann
der Littleton’sche Pfandgläubiger sich einzig an das band zur
Wiedererlangung seines Geldes halten '). Möglich ist es aber
dem Pfandschuldner im Mittelalter, Zahlungsversprechen unter
Siegel zu geben (covenant to pay the debt); und in solchem Falle
kann der Pfandgläubiger, so wird angenommen, auf Grund des
gesiegelten Versprechens den Pfandschuldner persönlich belangen*)’).
Das früheste Beispiel der Verpfändung durch mortgage eines
auf eine gewisse Reihe von Jahren gepachteten Grundstücks (mort-
gage for a term of years), welches zu unserer Kenntnis gekommen
ist, ist in einem Dokumente aus derZeit Heinrichs VI. enthalten *).
Der Verfall des Grundstücks kann sich hier nur auf die Länge
der Pachtdauer des mortgagor erstrecken, nicht auf den Verfall
des Lehens (fee) selbst, wie im Falle der Verpfändung auf Jahre
zur Zeit Bractons5).
Da das freehold Besitztum (estate in fee), in dessen Besitz
sich der Gläubiger auf Grund des mortgage befand, jedweder Be-
lastung seitens des Gläubigers unterworfen werden konnte (real
charges und incumbrances) und außerdem auch den feudalen
Lasten unterworfen war (feudal incidents), wie z. B. das Wittum
(dower) der Frau des feoffee, so wurde es üblich, diese Schwierig-
keiten zu umgehen, und zwar durch Übergabe des Grundstücks
als mortgage unter Festsetzung einer langen Pachtdauer (long
term of years by way of mortgage). Diese letztere Verpfändungs-
form ist beibehalten worden, weil bei dem Tode des Pfandgläubigers
(mortgagee) das Grundstück für den Rest der Pachtdauer aut
seinen Testamentsvollstrecker, d. h. auf denjenigen, der auf Grund
') Siehe Litt loten, § 332-344. Siehe auch Anui. (1) zu Coke über
Littlcton, ‘205a: Coke über Littleton, 207a: Jones, a. a. 0., S. 4.
a) Siehe Madox, Forinolare. DLXIX (tenip. Richard II). Die I’fand-
haftung scheint doch in solchem Kalle selbständig, nicht akzessorisch zu sein.
3) Auch nach heutigem englischen Hecht kann der l’faudschulducr auf
seine im Vertrage gemachte Zusage hin (personal covenant) verklagt werden.
Siohc unten S. 26!).
‘) Madox, Formulare, No. DLXXXIX.
4) Siehe die l'rkunde selbst und oben S. 233, 234.
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248
des mortgage die .Schuldforderung erwirbt, übergeht, nicht aber
auf die Erben '). I)a mit den mortgages auf Jahre auch Schwierig-
keiten verknüpft waren und da Gesetze unter der Regierung
Wilhelms IV. und Victorias gewisse Nachteile, die mit den mort-
gages in fee verbunden waren, beseitigt haben, so ist die Form
der letzteren wieder die gebräuchlichere geworden*).
Die klassische Verpfändungsform des gemeinen Rechts ist
daher eine resolutiv bedingte Übereignung zu Pfandzwecken (Sub-
stanzpfand, Proprietätspfand, Verfallspfand). Im modernen Billig-
keitsrecht (Equity), besonders seit der Zeit Karls I, ist diese Form
der Sicherheitsstellung, sowie die Rechte der Parteien einer voll-
ständigen Umwandlung unterworfen worden. Der verhältnismäßig
klaren Auflassung des gemeinen Rechts (Common Law) hinsicht-
lich des mortgage standen außerordentlich komplizierte und ver-
wirrende Regeln im Billigkeitsrechte (Equity) gegenüber. Aber
die Härte des gemeinen Rechts ist durch die Gerechtigkeit des
Billigkeitsrechts verdrängt worden, denn die wirklichen Beziehungen
der Parteien zu einander, nicht ihre rein formalen und gemein-
rechtlichen Beziehungen wurden von den Equity-Richtern bei Aus-
übung ihrer Jurisdiktion über mortgages in Betracht gezogen.
Diese spätere Periode, die Zeit des Equity ist es, in der die
Möglichkeit gegeben ist, daß das mortgage entweder in Form der
Verpfändung mit Besitz des Gläubigers oder in Form der Ver-
pfändung mit Besitz des Schuldners zustande kommen kann.
Was diese letztere Form des mortgage, die somit eine Hypothek
darstellt, anlangt, so muß ihre Besprechung einem späteren Ab-
schnitte, der die Entwickelung der englischen Hypothek behandelt,
Vorbehalten werden 3).
Es war der absolute Verfall des verpfändeten Landes, der
eintrat, gleichgültig wie hoch der Wert des verpfändeten Grund-
stücks war, der, obgleich er vollständig gemäß den Grundsätzen
des gemeinen Rechts eingetreten war, den Equity-Richtern als eine
Härte und Ungerechtigkeit gegenüber dem Schuldner erschien,
■) Siehe Spcnce, a. a. 0., II, S. 615, 616: Rlackstojie, II, c. 10,
; 111: Anm. (I) zu Coke über Littleton 205a. Über die spätere Geschichte
des mortgage of a tenu for years, siche Racun, Abridgmont, tit. Mortgage.
Spencc, a.a.t)., II, S. 616.
, Siche unten S. 26! IV.
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249
und den zu beseitigen sie als ihre Ptlicht ansahen '). Das römische
Recht hatte die Einlösung zu jeder beliebigen Zeit gestattet, so-
lange ein Urteil nicht ergangen war, und unter Annahme dieses
Prinzipes gelang es den Equity-Richtem, trotz der schärfsten Oppo-
sition seitens der Common Law-Richter, die Harte des absoluten
Verfalles zu mildern. Die Equity-Richter konnten natürlich die
rechtlichen Wirkungen (legal effects) bei Verfall nach gemeinem
') Die ulten Dramatiker, die Chroniker ihrer Zeit, nehmen häufig Bezug
auf die Härte der gemeinrechtlichen Kege! des absoluten Verfalls am Stich-
tage. Diese Erwähnungen zeigen, dalä diese Kcchtsregel mit dem öffent-
lichen Itcchtsgefühl nicht im Einklang stand, und dali der l'fandgläubiger,
der sich den Verfall zu Nutze machte, Einbulle au seinem liufe erlitt.
Kobbins, a. a. 0., I, S. 5, Amn. (i). Als Beispiel hierfür diene Flotcher's The
Night Walker, or Little Thief:
Alathe. — Thou hast undone a faithful gentleman,
Hy taking forfeit <>f bis land.
Algripc. — 1 do confess. I will henceforth practise repentance.
I will rcstore all mortgagcs, forswear abominable usury.
Knbbins. a. a. 0., der diese Scene in der hier gegebenen Form anfährt,
schreibt diese* Stück Beaumont and Flctcher zu. In HaUiwell's Dictionary
of Old English Plays, S. 181, wird dieses Stück Flctcher allein zugeschrieben.
In The Three Ladies of London wiederum, einem Stücke aus dem . fahre
1584 (citiert in Frederick J. Furnivall's Auflage aus den Jahren 1877-1879
von I’hillip Stubbes's Anatomy of the Abuses in England in Shakspercs Youth,
8. 292):
Simplicity. 0 that vild Usury! he lent my father a little inoney ; and for
breaking one day,
He took the fee-simple of his house and will quitc away;
And yet he borrowed not half a qnartcr as inuch as it cost:
Hut I tliiuk. if it had been a Shilling, it had been loste:
So hc kill 'd my father with sorrow, and undued me quite.
Betreffs weiterer Erwähnungen in der Literatur derselben Zeit über die
Härte des Verfalls, siehe Stubbes’s Anatomy (oben erwähnte Auflage von
Purnivall), S. 119, 128, 293: siehe auch die Bemerkungen Furnivalls auf
S. 48* seiner „Forewords" zu diesem Werke. Die Eltern des groben Dra-
matikers William Shakespeare bestanden darauf, die Einlösung eines alten
mortgage vornehmen zu können, und an dem sich hieran anschließenden
Kochtsstreit beteiligte sich auch Shakespeare selbst. Siche die sehr interessante
Kritik eines neuen Buchos von Phelps, das sieh mit diesem berühmten
Shakespcare’schen Falle beschäftigt und den Titel trägt .Falstaff and Equity“
in dor Law Quarterly lteview, Bd. XVIII, S. 322, 323. Siehe Kerl y, Historical
Sketch of the Equitable Jurisdiction of the Court of Chancery, S. 88, 89-
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250
Hecht nicht beeinflussen, aber sie konnten auf das Gewissen (con-
science) des Pfandgläuhigers einwirken. Sie erklärten, daß der
Zweck des Rechtsgeschäftes nur der war, das ausgeliehene Geld
sicherzustellen, und daß es, trotz des Verfalls nach gemeinem
Hecht unbillig (unconscionable) sei, daß der mortgagee etwas be-
halten sollte, was doch rechtmäßig dem Schuldner gehörte, und
daß daher letzterer berechtigt sein sollte, sein Eigentum wieder
einzulösen. Da hier nur gegen die Person (in personam), nicht
aber gegen die Sache (in rem) verhandelt wurde, wurde der
mortgagee nach Zahlung der Schuld, Zinsen und Kosten von den
Equity-Richtera aufgefordert, das Eigentum wieder auf den Schuldner
zu übertragen (re-conveyi, und wenn das verpfändete Grundstück
in den Händen des mortgagee sich befunden hatte, über die ein-
gezogenen Renten und die Erträge Rechnung abzulegen, wodurch
dann das mortuum vadium (mortgage) in eine Form des
vivum vadium verwandelt wurde. Dieses Recht des l’fand-
schuldners, das Grundstück nach Billigkeitsrecht einzulösen, selbst
nachdem es nach gemeinem Recht verfallen war1), wurde „equity
of redemption“ genannt. Die Gerichte des gemeinen Hechts fuhren
fort, das verpfändete Grundstück als absolut verfallen zu behandeln,
sofern der Schuldner versäumte, am Stichtage die Zahlung zu
leisten, und der einzige Weg, der ihm offen stand, wieder zu
seinem Eigentum zu gelangen, war der, daß er sich an das Equity-
Gericht wendete und dort sein Recht der Wiedereinlösung nach
Billigkeitsrecht geltend machte*).
') Der Schuldner imilS jedoch voll seinem equity of redcuqition vor
dem foreclosnre oder Verkauf (iebraueh machen. Siehe die spateren Aus-
führungen.
*) Kobhins, a. a. O., I, S. 5, 11, 12: Pollock, Land J.aws, S. 134:
I’owcll, Law of Murtgages, S. 1,2: Bacon, a. a. O.: Blackstone, II, c. 10,
$111: Itenton's Kncyclopiedia of the Lavvs of England, VIII, S. 4t>8:
Digby, Hist. Iteal Property. S. 485, 488: Kerly , a. a. 0., S. 88. 143, 144.
1 her das römische Beeilt siehe Spence, a. a. 0., I, S. 539, (500. Ein be-
trügerischer Pfandgläubiger hat kein equity of redemption. Blackstoiie,
a. a. <*. Vcrgl. die replicatio doli.
Es scheint, dalJ nach Statutes aus der Kcgicrungszeit der Königin
Anne und Georgs 11. das estatc vor Vollstreckung des Urteils sowohl nach
einem Verfahren des Common Law-Gerichts w ie des Equitygeriehts vor dem
Verfall bewahrt werden kann. So z. B. kann bei einer gemeinrechtlichen
Ejcetment- Klage, wo der Pfandschuldner dem Pfandgläubiger oder dem Ge-
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251
Es kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, wann oder
aus welchem Grunde diese Jurisdiktion der Equity- Gerichte zum
ersten Male mit Bezug auf mortgages ausgeübt wurde. Die geist-
lichen Gerichte scheinen schon in sehr früher Zeit die nachträg-
liche Einlösung gestattet zu haben mit der Begründung, daß die
Weigerung, das Land nach Zahlung zurückzugeben, eine laesio
tidei sein würde1). Ferner gab es, wie wir gesehen haben,
selbst vor dem Gericht des gemeinen Rechts (vor dem Königs-
gericht) am Ende des zwölften Jahrhunderts ein Verfahren, auf
Grund dessen dem Glanvillschen Pfandschuldner selbst nach ver-
säumter Zahlung am Stichtage eine Möglichkeit gegeben war, das
Land einzulösen, bevor dasselbe dem Pfandgläubiger endgültig als
verfallen zugesprochen wurde. Im Grunde genommen war dies
dasselbe Recht wie das spätere „equity of redemption“ des Equity-
Gerichts, wie solches mit Bezug aut das klassische mortgage zur
Anwendung kam-'). Wir hören, daß im Jahre 1201 ein Gerichts-
hof des gemeinen Rechts den Erben des Pfandgläubigers auffordert,
den Erben des Pfandschuldners Land zurückzugeben, das auf eine
gewisse Zeit, die inzwischen abgelaufen war, verpfändet worden
war. Es wird nichts darüber gesagt, ob die Schuld bezahlt worden
war, wie es aber scheint, müssen wir annehmen, daß dies der
Fall gewesen ist5).
Diese Praxis des Königsgerichts im 12. Jahrhundert, dem
Glanvillschen Pfandschuldner die Einlösung zu gestatten, scheint
rieht die Schuld bezahlt, das Common l.aw-Ooricht den Pfumlgläubigcr auf-
fordern, den Kechtstitcl zurückzuübcrtragen. Siehe Blae kstonc, III, t. 27,
§4: Shep. Touch. S. 140*. Auu. (z).
•) Siehe White, Outlines of Legal Historv, S. 17!l.
3) Siehe unsere späteren Ausführungen.
:1) Select, Civil 1‘leas (Seid. Soc.), 1. S. 79. Es muH ausdrücklich be-
rücksichtigt werden, dali wir es hier mit einem Fall vor einem Common
Law Court, nicht vor einem Kquity Court zu tun haben, und dali es sich
hier um ein Verfahren in personam handelt, wo das Gericht den Erben
des l’fandgläubigers auflordert, das Land zuriiekzugeben. Der Kläger soll
ausdrücklich die von ihm verlangte Sache erhalten, nicht bloücn Schaden-
ersatz. Dies ist ein ausgesprochenes Verfahren nach Kquity - Prinzipien
(equitahle proccoding). Siehe die Besprechung oben S. 227, 228 über das
redemption- und foreclosurc- Verfahren bei der GlanvilFschen Pfandform.
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252
mit dem Außergebrauchkotnmen dieser Verpfäitdungsfunu auch
aufgegeben und seitens der Common Law-Richter späterer Zeiten
überhaupt vergessen oder wenigstens unbeachtet geblieben zu sein,
wenn bei Vorhandensein eines klassischen mortgage der Pfandgeber
behufs Zurückerhaltung seines verfallenen Grundstücks Hilfe in
Anspruch nehmen wollte. Ob die Equity-Richter bei Zulassung
der nachträglichen Einlösung hicht nur vom römischen Recht'),
sondern auch durch die frühere Praxis der geistlichen und ge-
meinrechtlichen Gerichte beeinflußt worden sind, wissen wir nicht.
W as bei dieser historischen Entwickelung des mortgage von
Wichtigkeit ist, ist., daß die Equity-Gerichte mit den römischen
Rechtsbüchem zu ihrer Verfügung sich tatsächlich gegen die Ge-
richte des gemeinen Rechts erklärten und daß sie die gewünschte
Entbindung des Pfandschnldners von der strikten und rigorosen
Durchführung des Geschäftes zuließen 2).
Die strikte Regel des gemeinen Rechts scheint zum ersten
Male dort durchbrochen worden zu sein, wo die Zahlungsversäum-
nis des Schuldners am Stichtage durch einen Zufall veranlaßt
wurde, wo das Versäumnis nur ein kurzes war, oder wo in einem
Sondervertrage bestimmt war, daß trotz der Verfallsklausel dem
Schuldner die Möglichkeit der nachträglichen Einlösung gegeben
werden sollte. In solchen Fällen gestattete das Equity-Gericht
die nachträgliche Einlösung3). Auch wurde frühzeitig vom Equity-
Gericht die nachträgliche Einlösung für Bürgen erlaubt, selbst
bei vollständigem Verfall nach gemeinem Recht*». Verpfändete
jemand ein Grundstück in der Form eines mortgage bloß als
') Siehe Spence, a. a. O., I, S. 603.
*) Im vierzehnten Jahre der Regierung Richards II. hatte das Parla-
ment, so wird behauptet, die Einlösung von verpfändetem Land verweigert.
Siehe Orabb, a. a. 0., S. 371 : Butler, Anm. (I. 4 tlily) zu Coke über Littloton
205 a. Siehe jedoch über diesen Fall Spence, a. a. O., I, S. 602, wo ge-
sagt wird, dal! das (leid tatsächlich vor dem Stichtage bezahlt worden
war. Dies würde die Citierung dieses Falles als Beispiel dafür, daü das
Parlament es verweigert hat, die F.inlösung des verfallenen Landes zu ge-
statten. hinfällig machen, denn die Einlösung in dem Sinne, wie das Wort
hier gebraucht wird, kann nur in Frage kommen, wenn die von den Par-
teien festgesetzte Zeit verflossen und die Schuld nicht bezahlt ist.
3) Spence. n. a. O., I, S. 602 und die dort angeführten tjuellen:
Williams, Real Property, t>. 530, Anm. (k): Kerly, a. a. <>., S. 143.
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2 53
Bürge für «len Hauptschuldner, so erklärte das Eqnity-Gericht,
dali wenn der Bürge für den Hanptsehnldner Zahlung leistete,
auch wenn dies erst nach dem Verfallstage geschah, er alles ge-
tan habe, wozu er laut Vertrag verpflichtet war, denn nur bei
Nichtzahlung seitens des Hauptschuldners wurde der Bürge zur
Zahlung aufgefordert, und es müßte daher dem Bürgen die nach-
trägliche Einlösung gestattet werden
Bis zur Möglichkeit, jedem Schuldner zu gestatten, nach Ver-
fall die Einlösung noch bewirken zu können, einerlei aus welchem
Grunde der Verfall eingetreten war, war kein kleiner Schritt.
Aber der Gedanke gewann bei den Equity-Gerichten mehr und
mehr an Kaum, bis es im siebzehnten Jahrhundert unter der
Regierung Karls I. definitiv zu einem Prinzip des Billigkeits-
rechts (Equity) wurde, daß das „equity of redemption“ allen
Pfandschuldnern zu Gute kommen sollte5).
Damit hatte die Gruppe der Schuldner einen entschiedenen
Vorteil errungen. Andererseits wurde aber den Gläubigern eben-
falls ein Mittel an die Hand gegeben, welches dem equity of re-
demption des Schuldners angemessene Grenzen ziehen sollte und
in der Tat den Schuldner zwang, den Interessen des Gläubigers
die gebührende Rücksicht zu Teil werden zu lassen, oder aber
sich endgültig und für immer der Möglichkeit beraubt zu sehen,
sein Land wieder einlösen zu können. Das Eqnity-Gericht erklärte,
daß es von dem Schuldner ungerecht sein würde, den Gläubiger
zu lange auf einen Bescheid darauf warten zu lassen, ob er das
nach gemeinem Recht verfallene Pfand als sein Eigentum behalten
darf oder nicht3). Demgemäß wurde dem Gläubiger das Recht
gegeben, dem Equity-Gericht eine Klage (bill) einzureichen und
') Spenee, a. a. 0., I, S. 602, 603.
*) Williams, a. a. 0., S. 530; Spence, a. a. 0., S. 603; Kobbins,
a. a. 0., I, S. 11, 12: Bl ackstune. II. c. 10, § III: K erly, a. a. 0., S. 143.
144. Das von Cromwell einberufene Barcbones Parlament beriet über den
Entwurf einer Kechtarefnrm, welche u. A. auch den Antrag in sich schloll,
dali die Einlösung eines mortgage nur innerhalb eines Jahres nach dem
Zeitpunkte, an welchem der Pfandgläubiger infolge Nichterfüllung der Be-
dingung den Besitz übernommen hatte, erlaubt sein solle. Dieser Antrag
wurde aber nie zum Gesetz erhoben, da das Parlament zurücktrat und seine
Gewalt in die Hände Gromwells legte. Kerly, a. a. 0., S. 157-160.
s) Conte. I.aw of Mortgage. 4. Aull., S. 990, 901.
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254
den Schuldner aufzufordern, von seinem Einlösungsrecht (equity
of redemption) innerhalb einer festgesetzten Zeit Gebrauch zu
machen, oder aber für alle Zeit des Hechtes der Einlösung ver-
lustig zu gehen (barred of bis right t<> redeem). Der Spruch des
Gerichts wenn der Schuldner es versäumte bei Ablauf dieser neuen
Stundungsfrist zu bezahlen, wurde „decree of foreclosure“ genannt.
Das mortgage war demnach verfallen, oder wie der technische
Ausdruck lautet „foreclosed.“ Der Schuldner war nun nicht mehr
gegen die schweren Folgen, die sich aus dem Pfandvertrag und
nach dem gemeinen Hechte ergaben, geschützt. Der Pfandgläubiger
(mortgagee) war jetzt nicht nur Eigentümer nach gemeinem Recht
i legal owner), sondern auch Eigentümer nach Billigkeitsrecht
(equitable owner'). Der Verfall an den Gläubiger war nun perfekt
sowohl nach gemeinem, wie nach Billigkeitsrecht.
Hieraus ist zu ersehen, daß das mortgage selbst, nachdem es
das Billigkeitsrecht zur Rechtsregel gemacht hatte, daß dem
Schuldner das Hecht der nachträglicher. Einlösung zustehen sollte,
im Grunde ein Substanzpländ (Proprietätspfand, Verfallspfand) war.
Es war jetzt nicht nur nach gemeinem Recht ein Verfallspfand,
sondern auch nach Billigkeitsrecht, Das Land selbst, wie hoch
auch immer sein Wert gewesen sein mag, verfiel dem Pfand-
gläubiger, sofern der Schuldner versäumte es zum endgültig fest-
gesetzten Termin einzulösen.
Es wurde jedoch sehr bald zur Gewohnheit, in die Ver-
pfändungsurkunde ein Vorkaufsrecht (power of salei aufzunehmen.
Dieses gab dem Pfandgläubiger ein viel weniger teures und um-
ständliches Mittel an die Hand, als das des foreclosure, welch
letzteres natürlich die Notwendigkeit, vor Gericht zu klagen, er-
heischte. Mit Hilfe dieses Verkaufsrechts kann der Gläubiger,
') Kobbin s, a. a. O., I. S. 13, 14: Spence, a. a. 0., I, S. 608: Will iarns,
a. a. 0., S. 539. 540: Pollock, Land Laws. S. 135: Kerlj, a. a. O., S. 143.
144: Hlackstonc, 11. c. 10. § Ul. Ks scheint jedoch, daß gegenwärtig
das decree of foreclosure bei Vorliegen von liilligkeitsgriinden revidiert
werden kann (opened). Siehe Kenton's Kncrelopaedia of the Laws of
Kngland, VIII, S. 468. 469.
Nach heutigem Hecht kann nicht nur das oquity of redemption des
Schuldners, sondern auch das Hecht auf foreclosure des (iläubigers durch
Verjährung verfallen. Williams, a. a. 0., 8.545: Anm. (1) zu Coke über
Littleton, 2(l8a.
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der nacl- gemeinem Recht ftber das gesamte Besitztum (in Form
des estate in fee simple) verfügt, bei Zahlungsversänmnis des
Schuldners einen nach gemeinem Recht gültigen Titel (legal title)
auf den Käufer übertragen und kann dies fernerhin ohne Ein-
willigung seitens des Pfandschuldners tun. Aus dem beim Ver-
kauf des Landes durch den Pfandgläubiger erzielten Betrage darf
dieser sich nur im Verhältnis der Höhe seines Anspruchs am
Lande selbst befriedigen. Er ist daher verpflichtet nach Deckung
seiner Forderung und Abzug für Zinsen und Kosten einen etwa
verbleibenden Überschuß dem Pfandsclnildner auszuzahlen *)
Das mortgage kann somit durch Einfügung dieser Verkaufs-
ermächtigung in die Verpfändungsurkunde aus einem Verfallspfand
in ein Verkaufspfand verwandelt werden; und in der Tat haben
es neuere Gesetze unter der Königin Victoria unnötig gemacht,
diese Verkaufsklausel in die Urkunde aufzunehmen. Das Vor-
kaufsrecht versteht sich jetzt von selbst lis incident tn every
mortgage), ohne daß es in der Urkunde besonders erwähnt wird,
ausgenommen es wird in derselben ausdrücklich ausgeschlossen.
Das Gericht kann auch zu dem Entschlüsse kommen, statt die
Einlösung oder den endgültigen Verfall (redemption oder foreclo-
snre) zuzulassen, einen Verkauf anzuordnen. Von welcher Seite
der Verkauf vorgenommen werden soll, darüber entscheidet das
Gericht. Bei der foredosure- Verhandlung scheint es üblich zu sein,
den Verkauf durch den ersten Pfandgläubiger (first mortgagee)
vornehmen zu lassen. Wird Einspruch nicht erhoben, so kann
dem Pfandschuldner als demjenigen, der an der Erzielung eines
möglichst hohen Preises am meisten interessiert ist. der Verkauf
überlassen werden. Aus demselben Grunde scheint der Pfand-
gläubiger auch da, wo es sich um Einlösungsklagen handelt, mit
dem Verkauf betraut zu werden. Sowohl bei toreclosure- wie bei
redemption-Klagcn kann hinsichtlich des Verkaufs, wenn ein solcher
überhaupt angeordnet wird, dahin erkannt werden, daß derselbe
ohne Zutun des Gerichts vorgenommen werden kann (out of enurt)*).
Wo jedoch die Urkunde eine Klausel enthält, die das Ver-
') Williams, n. a. 0., S. 541-543: Pollock, a. a. 0., S. 135.
*) Pollock, a. a. O., S. 134: Williams, a. a. O., N. 540-544 : Itobbins,
a. a. l. s. 738. II, S. 1038. I05;i.
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25()
kaufsrecht ausschlietlt, und wo das Gericht sich weigert, einen
Verkauf bei foreclosure- oder redemption-Prozessen anzuordnen,
kann selbst noch heutzutage Verfall durch foreclosure au Stelle
des Verkaufs treten, da ja das Recht des foreclosure ein notwendiger
Bestandteil jedes mortgage, mit Ausnahme des sog. „ Welsh mort-
gage“ ist').
Die Umbildung des alten mortgage-Rechts durch die Equity-
ßerichte, besonders im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert,
ging weit über das bloße redemption und foreclosure hinaus. Das
Billigkeitsrecht brachte eine vollständige Umwandlung des Charakters
dieser Verpfändungsfonn zustande. Der Sieg des Equity über das
Common Law war ein vollständiger.
Auf die Festlegung des nachträglichen Einlösungsrechts folgte
die Erklärung des Equity-Oerichts, daß. wo immer die Übereignung
ursprünglich als eine Sicherheitsleistung für geliehenes Geld be-
absichtigt war, es die Regel sein sollte, daß das Rechtsgeschäft
vom Equity-Gericht als „mortgage“ und das Pfand als einlösbar
anzusehen sei, selbst wenn die Parteien ausdrücklich beschlossen
haben, daß eine Einlösung nicht möglich sein sollte, und daß
hiervon nur wenige Ausnahmen zuzulassen seien. Dieses Prinzip,
welches die notwendige Folge der Theorie der Einlösung nach
Verfall war, kam in den Worten „once a mortgage, always a mort-
gage“ zum Ausdruck *1. Ferner erklärte das Equity-Gericht jeden
') Itobbins, a. a. <>.. I, S. 13, 14.27, 11, S. 99!). l'bcr .Welsh mort-
gagos“ siehe oben S. 211, 212.
S) Kobbins, a. a. O., 1. S. 12: Williams, a. a. 0., S. 530, 531.
Chaplin, a. a. <).. IV. S. 11: .Still anothcr scheme of convoyancc was
derised. lt made use of two instrumenta. The lirst was a deed of the
larnl from the debtor to the creditor, absolute in form. Concurrently with
it the creditor gare to the debtor n bond, which ca me to be known as a
bond of defeasance, agreeing that if a certain sum of tnoney, for instance,
were paid by a certain day, the deed should become inoperative: or, to use
another form, that the grantee, the creditor, would reconvey. It was attmnpt-
ed by this device to make the transaction operate as a sale of land with
an Option of buying back, lf it could so operate, the debtor's right« would
be lost imuiediately upon default. The courts of equity, however, dccidcd
in England and it was very early decided in this country [Vereinigte
Staaten von X. A.] at law, that such a transaction, if intended in fact for
mere security. was nothing but a mortgage.“ Ähnlich war auch der Ver-
such der (iläubiger erfolglos, die Konsequenzen des equity of redemption
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Versuch, das nachträgliche Einlösungsrecht neben Zahlung der
Schuld, Zinsen und Kosten noch durch andere Bedingungen ein-
zuschränken, als ungiltig1).
Aber weiterhin erklärte das Equity-Gericht, daß, nach den
tatsächlichen wirtschaftlichen Beziehungen der Parteien zu einander,
dem Pfandgläubiger in Wirklichkeit nur ein Anspruch auf Rück-
zahlung des Geldes, welches er hergeliehen habe, zustehe; mit
anderen Worten, der Gläubiger behielt das Land nur als eine
Sicherstellung seiner Forderung. Inlolgedessen war nach Ansicht
des Equity-Gerichts das Land nichts weiter als durch die Schuld
ptändrechtlich belastet (charged), und dies trotzdem der Gläubiger
nach gemeinem Recht als tenant in fee simple, als Eigentümer
anzusehen war. Nur der Pfandschuldner, sagten die Equity-
Richter, nicht der Pfandgläubiger war nach Billigkeitsrecht (in
equity) der Eigentümer des verpfändeten Landes, das nur der
Forderung des Gläubigers entsprechend belastet (charged) werden
konnte; denn das Recht der nachträglichen Einlösung (equity of
redemption) war nach Billigkeitsrecht ein Besitzrecht am Lande
(equitable estatei und von derselben Art wie andere „equitable
estates“ 2).
Die Konsequenzen aus dieser Theorie wurden in logischer
Weise gezogen. Obgleich nach gemeinem Recht das Besitztum
(estate) des mortgagee in fee auf dessen Erben oder Legatare
übergehen würde, so wurde doch nach Billigkeitsrecht der Erbe
oder Legatar als Treuhänder (trustee) für den Testamentsvollstrecker
des Pfandgläubigers angesehen, auf welchen sowohl die Schuld-
forderung. als auch das Pfandrecht (charge) zur Sicherstellung
dieser Forderung überging1). Das equitable estate des Pfand-
durch eine gesiegelte Urkunde, die ihrer Form nach ein trust deed war, in
der Tat aber eine Sicherstellung sein sollte, zu umgehen, da die Kquity-
Gerichte dahin entschieden, daß eine solche Transaktion als mortgagc an-
zusehen sei. Siehe Chaplin, a. a. 0., IV. S. 11.
') Williams, a. a. ()., S. 53 1 (r).
*) Anm. (1) zu Coke über Littloton, 205a: Williams, a. a. O., S. 531.
ä) Die Gerichte ries liilligkeitsrochts nahmen sich, wie cs scheint, die
Prinzipien der Gerichte des gemeinen Rechts zur Richtschnur, welche die
sogenannten „cs tu tos by Statutes elcgit, merchant and staple1- nur als
chattel oder personal internste behandelten, ilie beim Tode des l’fand-
Hazeltiue, Englische* Pfandrecht 1'
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■J.r>8
Schuldners wurde auf der anderen Seite von den Billigkeitsgerichten
als Immobiliar (real estate) angesehen und ging als solches auf
den Erben oder Legatar des Pfandschuldners über, jedoch unter
pfandrechtlicher Belastung des mortgage, woraus der dingliche
Charakter des Rechts des Gläubigers erhellt1).
Der mortgagee in fee hat ein Recht, sofort in den tatsächlichen
Besitz einzutreten (right of immediate entry int» actual possession).
Wenn der Pfandgläubiger in den Besitz eintritt, entweder sofort,
oder bei Nichteinhaltung der Zahlungsbedingnng seitens des
Schuldners, so ist er jedoch nach Equity-Recht der Verpflichtung
unterworfen, über die Renten und Erträge genau Rechnung zu
führen (account), für den Fall einer späteren Einlösung seitens
des Schuldners. Die Vorschriften über diese Rechnungsführung
sind so strikt, daß der Pfandgläubiger in der Regel nur ungern
den Besitz übernimmt, außer wo es der einzige Weg ist, wieder
zu seinem Gelde zu gelangen. Nach den Worten Pollocks „the
plight of the mortgagee in possession is one of the most unenviable
known t» the law“ *).
Die von dem mortgagee in possession erzielten Renten und
Erträge können je nach den Umständen zur Tilgung der Zins-
schulden oder zur Tilgung der Schuld nebst Zinsen verwendet
werden3). Bei dieser Sachlage ist das mortgage zugleich eine
Form des Nutzpfandes.
Bleibt jedoch der Pfandschuldner im Besitz, so ist er nicht
besser daran, wie ein tenant at sutferance. Der Pfandgläubiger,
gläubigors auf dessen Testamentsvollstrecker übergingen. Siehe oben
S. 40— 41: Amn. (1) zu Coke über Littleton 208a.
') Williams, a. a. 0.. S. 534-537. Seit dem Ponvcyaneing Act vom
Jahre 1881 geht das estate eines sulc mortgagee, sofern es sich um die
Verpfandung eines freehold estate of inheritance handelt, gleich jedem an-
deren chattel real beiin Tode des mortgagee auf dessen Testamentsvollstrecker
(personal roprosentative) über. Williams, a. a. <)., S. 534, 535. I>ies ist
natürlich nur die Theorie des Rilligkoitarechts in gesetzlicher Form: auch
wird hierdurch der Sieg des Kquity über das gemeine Hecht noch deut-
licher veranschaulicht,
s) Williams, a. a. ()., S. 532-534: Pollock, a. a. O., S. 134.
3) Siehe Robbins, a. a. ().. II, S. 1207 - 1212. Siehe auch Leake,
Digest, S. 295; Story, Kquitable Jurisdiction , 8.661, Amu.; Pollock,
a. a. <>.. S. 133. 131.
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•J.V.t
der das Beeilt aut' sofortigen Besitz hat, kann dein Pfandschuldner
zu jeder beliebigen Zeit den Besitz entziehen, entweder dadurch,
dat! er selbst in den Besitz eintritt (actual entry), oder durch
Klage, und der Pfandschuldner kann weder nach gemeinem Recht
noch nach Equity-Recht Einwendungen hiergegen erheben. Wenn
der Pfandgliiubiger nicht auf seinem Recht der Besitzübernahmo
besteht, sondern dem Pfandschuldner gestattet, den Besitz zu be-
halten, so kann der letztere die Erträge für sich verwenden, ohne
dem Pfandgläubiger hierüber zur Rechnungsablegung verpflichtet
zu sein. Früher war es dem Pfandschuldner in solchem Falle
unmöglich, eine Klage auf Rückgabe des Besitzes in seinem eigenen
Namen anhängig zu machen, aber jetzt nach dem Judicature Act
vom Jahre 1*73 wird dem Pfändschuldner, wenn er zur Zeit
Anspruch auf die Renten und Erträge des Landes hat, unter ge-
wissen Umständen possessorischer Schutz zu teil. Es ist jedoch
möglich, die Zurückbehaltung des Besitzes seitens des Schuldners
von der bloßen Laune des Pfandgläubigers unabhängig zu machen.
In der Verpfändungsurkunde kann ausdrücklich stipuliert werden
obschon dies nicht gebräuchlich ist, — daß der Pfandschuldner
im Besitze bleibt bis zu dem von den Parteien für die Zahlung
festgesetzten Termin. Solch eine Klausel in der Urkunde hat
dieselbe Wirkung wie eine Verpachtung (demise) an den Pfänd-
schuldner für die Zeit bis zum Zahltage, und der Pfandschuldner
hat daher ein Recht (legal right) auf Besitz bis zum Ablauf
dieser Frist1).
Außer den Rechtsmitteln des Pfandgläubigers der gericht-
lichen Verfallserklärung (foreclosure), dem Verkauf und der Besitz-
nahme zur Tilgung der Schuld aus den Renten und Erträgen
— hat der mortgagee bei Zahlungsversäumnis des Schuldners
eine persönliche Klage, die sich auf das unter Siegel gegebene
Versprechen (convenant) in der Verpfändungsurkunde gründet.
Von all diesen Rechtsmitteln kann der Gläubiger sofort Gebrauch
machen a).
■) Williams, a. a. 0., S, 534, 535. I*as mortgage mit Besitz dos
Schuldners wird ferner besprochen in dem Abschnitte, welcher die Kni w ickelung
der Hypothek betrifft. Siehe unten S. 377 ff.
*) Story, a. a. ()., S. 665, Anm. 1 : Williams, a. n. ()., S. 53H. Siehe
Itobbina, n. a. 0., f. S. II: Auui. (1) zu Coke über Littleton, 205a. Uh
17*
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Im modernen englischen Recht muß sorgfältig unterschieden
werden zwischen dem „mortgage“ und zwei, anderen Zwecken
dienenden Rechtsgeschäften von verschiedener Form, mit denen
das inortgage zuweilen verwechselt wird: 1. dem bedingten Ver-
kauf (defeasible oder conditional sale1) und 2. der Übereignung
im Vertrauenswege (trust)*).
Die Geschichte des englischen mortgage mit ihren konservativen
Prinzipien ist somit äußerst charakteristisch für die englische
Rechtsgeschichte im Allgemeinen. Die alte Form der resolntiv
bedingten Übereignung (conditional conveyance) ist beibehalten
worden, und die Equity-Richter haben alles getan, was in ihren
Kräften stand, sie den veränderten rechtlichen und ökonomischen
Verhältnissen einer modernen Zeit anzupassen. Aber die Beibe-
haltung der alten Form ist die Quelle von Verwirrungen und Un-
gelegenheiten geworden und hat ohne Zweifel die volle Ent-
wickelung von einfacheren Formen der Sicherheitsleistung verhindert.
Die bedingten Besitzrechte i conditional estatesi spielten eine
höchst wichtige Rolle im mittelalterlichen Recht3); aber in keinem
Zweige des Rechts mehr als in demjenigen des Immobiliar-Proprie-
tätspfandes dieser Periode. Die suspensiv bedingte Übereignung
zu Pfandzwecken war die gebräuchlichste Form des Proprietäts-
pfandes zu Glanvills und Bractons Zeiten; sie wurde aber schließ-
lich von dem klassischen englischen mortgage durch die resolntiv
bedingte Übereignung (conditional conveyance), welche bereits in
den Quellen des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts zu finden
ist, aber literarisch zum ersten Male in Littleton’s Tenures be-
und inwieweit die Pfandhaftung nach heutigem englischen Hecht selbständig
ist, muH vorläufig dahingestellt bleiben. Siehe Kobbins, a. a. 0., Bd. I.
S. 6 IT., ltd. 11. S. 867 IT.. 959 IT.: Fisher, a. a. 0.. 8. 329 ff, 385 ff.
') Siehe Kobbins, a. a. 0., I, S. 11 — 25: Anm. (1) zu Coko über
Littlcton, 205a. Vergl. Jones. Law of Mortgage», 8.3: Pollock, a. a. 0.,
S. 133. I ber Verkauf auf Wiederverkauf nach römischem und germanischem
Hechte siehe Dernburg. Pfandrecht, Bd. I, S. 12 ff. Bd. 11, S. 285: Franken,
Französisches Pfandrecht, S. 175 ff.
*) Siehe Story, Kquity Jnrisprndencc, S. fi62, Anm. 2: Lenke, a. a. 0.,
S. 296, 297: Sanders, Uses and Trusts. 8.279,280: Lew in. Law of Trust».
S. 203, 796, 1164, 1165.
*) Siehe Littlcton. § 525 — 584: Rocves. a. a. ()., II, 8. 580: oben
S. 47.
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•261
rflcksichtigt wird, verdrängt1). Dieses klassische englische mort-
gage war nicht, nach dem römischen pignus, hypotheca oder
fiducia geformt , sondern war lediglich eine besondere An-
wendungsform der gemeinrechtlichen Doktrin des bedingten Be-
sitzstandes (estates upon condition)11). Das römische Recht übte
unzweifelhaft einen EintluU auf die Entwickelung des englischen
mortgage, besonders im Equity-Recht, aus. Aber auffallend, wie
die Ähnlichkeit zwischen dem englischen mortgage und der alten
römischen fiducia ist, so ist es doch nichtsdestoweniger klar, dall
das englische mortgage keine Kopie der römischen Form ist, denn
es durchläuft dieselben historischen Phasen , welche auch die
fiducia durchlaufen hat*).
Zweiter Abschnitt.
Pfand mit Besitz des Schuldners.
Die englische Immobiliarverpfändung mit Besitz des Schuldners
bis zur Zahlungsversäumnis hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach
später entwickelt als das Pfand mit sofortigem Besitz des Gläu-
bigers, denn der Ursprung dieser letzteren Form der Sicher-
stellung von Darlehen ist mit der Geschichte des Zwangsvoll-
streckungsverfahrens direkt verbunden4)- Bevor wir uns aber
dieser Phase der Entwickelung zuwenden, möchten wir uns doch
einen Augenblick mit den mittelalterlichen „charges“, „liens“,
„burdens“ und „encumbrances“ am Lande, die nicht zur Sicher-
stellung von Forderungen der Gläubiger, sondern zu anderen Zwecken
geschaffen werden, beschäftigen. Hier wird, wenigstens in gewissen
Fällen, ein dingliches Recht zu Gunsten jemandes geschaffen, der
nicht sofort den Besitz des belasteten Landes übernimmt. Indes
mögen die Meinungen darüber auseinander gehen, ob es sich in
solchen Fällen tatsächlich um eine Inimobiliarverpfilndung im Sinne
einer Sicherstellung für eine persönliche Forderung handelt.
■) Siehe oben S. 239, 240.
s) Butler, Anm. (1) zu Coke über Littleton, 205a. Powell, Law
of Mnrtgagcs, S. 1, ist jedoch der Ansicht, daü das englische klassische
mortgage aus dein römischen Hecht übernommen wurde.
s) Siehe Franken, Französisches Pfandrecht. S. 148—174.
') Franken, Das französische Pfandrecht im Mittelalter, 8. 7, und
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Erstes Kapitel.
Belastungen.
I. Lehnsdienste und Renten.
Jede Rente, bestehe sie in rent-service oder rent-charge, ist
eine Belastung des Landes, von dem sie ausfließt ’) : sie gestattet
dem Grundherrn oder demjenigen, welcher Anspruch auf die Rente
lmt (seised of the rent-charge), seine Rechte am Lande auszuüben,
auch wenn das Land in die Hände von dritten Personen übergeht.
Die Belastung begründet ein dingliches Recht, und um dem Recht
aus dieser Belastung Geltung verschaffen zu können, stellt dem
Grundherrn oder demjenigen, welcher Anspruch auf die Rente
hat, das Recht der Pfändung zu.
Wir erwähnen gleich an dieser Stelle, daß wir die historische
Entwickelung des Rechts des Grundherrn, das Land seines tenant
Brunner, Grundlage der deutschen Hcchtsgoschichte, S. 189 — 190, ver-
treten diese Ansicht hinsichtlich des germanischen Rechtes auf dein Kon-
tinente. Heuslcr, Institutionen des deutschen l’rivatrechts, 11, S. 135,
143—150, vertritt die Ansicht, daß das Pfand mit und das Pfand ohne Besitz
des Gläubigers gleichmäßig früh im alten germanischen Recht erscheinen
und daß in der Tat kein direkter Zusammenhang zwischen gerichtlicher
Zwangsvollstreckung und dem l'rsprung des Pfandes mit Besitz des Schuldners
bestellt. Betreffs der Ansicht anderer ltechtsgelehrtcn hierüber siehe
lleuslcr, a. a. 0., II, S. 114, und Wiguiure, The Pledge-Idea, Harvard
Law Review, X. S. 341—350.
Das englische gemeinrechtliche Pfand, wie es von Gl an vi II und
Braetou beschrieben wird, scheint, wie wir bereits gesehen haben, ein
solches mit Besitz des Gläubigers gewesen zu sein. Siche oben S. 201 — 238:
Blackstonc, 11, c. 10: Sponcc, Kqnitable Jurisdiction, I, S. G01. Betreffs
einer Kritik dieser Ansicht siehe Ghaplin, Story of Mortgage Law, Harvard
Law Review, IV, S. 6, 7. welcher daselbst die Ansicht vertritt, daß das Glan-
vill’sche und Brac ton 'sehe Pfand sowohl ein solches mit Besitz des Gläu-
bigers, wie auch ein solches mit Besitz des Schuldners sein konnte. Der
letzteren Ansicht ist auch Glasson, Histoire du Droit et des lustitutions
(I Angletcrre, 11. S. 313 — 316, und Phillips. Englische Reichs- und Rechts-
geschichte. II. S. 239, 240. Siehe ferner Phi 1 1 ips, a. a. <>., II, S. 236, 240—245.
I ber die Jurisdiction der geistlichen Gerichte beim Pfand mit Besitz des
Schuldners siche die eben citierten Autoren Glasson, Phillips und
8 p e n c e .
■) Siehe Stat. Glouc., 6 Kd. I, c. 4: Stat. West. II, 13 Ed. I, c. 21:
Britton. liv. II. cap. X: Holmes, t'ommou Law. S. 388: oben S. 167,
168. Vergl. Kgger. Vcrinügcnshaftung und Hypothek. S. 173 ff.
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263
bei rückständigen Diensten oder Renten pfänden zu können, nur
in kurzen Umrissen schildern werden. Unsere Aufmerksamkeit
wird sich in der Hauptsache nur auf zwei hier in Betracht kommende
Fragen erstrecken: diese sind 1. Muß der Grundherr erst das
Mobiliar des tenant pfänden, bevor er sich an das Land halten
kann? und 2. Wie wird die Pfändung des Landes durchgeführt
— einfach durch Retention? durch das Recht, die Renten und
Erträge mit Beschlag zu belegen? durch Verfall? oder durch
Verkauf?
Es scheint, daß in früherer Zeit das Land, das Lehn des
Lehnsmannes, bei Nichtleistung der Lehnsdienste, welche er seinem
Lehnsherrn schuldete, verfiel. Doch scheint es bald notwendig
geworden zu sein, ein Urteil des Gerichts des Grundherrn ergehen
zu lassen, bevor der tenant auf solche Weise seines Landes ver-
lustig gehen konnte; ferner konnte dies erst geschehen, nachdem
der tenant entsprechend gemahnt worden war und ihm auf ein
Jahr nach Besitzergreifung durch den Grundherrn Zeit gelassen
war, sein Land wieder einzulösen '). Es ist eine Entscheidung*)
bekannt aus der Zeit Heinrichs I., derzufolge der Verfall eines
Lelms eintrat, da der tenant es versäumte, militärische Dienste
zu verrichten. Später, unter Heinrich II. scheint jedoch das Land
bei Nichtzahlung der Rente nicht zu verfallen3).
Zur Zeit Glanvills und Bractons machte jedoch das Königs-
gericht, das Gericht an welchem das ältere gemeine Recht ent-
stand, von dieser sehr harten Maßregel, der Billigung des Verfalls,
keinen Gebrauch. Das Königsgericht zwang den Grundherrn, zu-
erst das Mobiliar des tenant zu pfänden, und erst nachdem dies
geschehen war, erlaubte es dem Grundherrn, ein Urteil seines
seignorial court einzuholen, auf Grund dessen es ihm gestattet
war, das Land des tenant zu pfänden. Der Grundherr nahm nun
das Land und behielt es als ein simplex namiutn. Er hatte kein
') Siehe Chron. Abingd. II, S. 128: Wright, Tenures, S. 197—19!»:
C ilbert, Rents, S. 3, 4: Robinson, (iavelkind, S. 195: Reeves, Hist, Kng.
Law. II, S. 186: Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 354. Siehe auch
Plac. Ang.-Nonn., S 97.
’) Chron. Abingd., II, S. 128. Siehe auch Plac. Ang.-Norm., S. 97.
3) Plac. Ang.-Nnrai., S. Ififi — 173: Pollock and Maitland, a. a. 0.,
I, S. 354, Anin. 2.
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2(54
Nutzungsrecht, keinen Anspruch auf Verfall des Landes und kein
Verkaufsrecht: das Einzige, was ihm zustand, war das Retentions-
recht. Die Einlösung konnte der tenant zu jeder Zeit vornehmen
Dies Recht, das Land zu pfänden, wurde den Grundherren
unter der Regierung Heinrichs III (12(57) durch das Statute of
Marlbridge bald entzogen; dasselbe gestattete die Pfändung von free-
hold nur auf Grund des king’s writ. Der Grundherr konnte sich
also wahrend dieser Zeit behufs Erzwingung der Leistung nur an
die Mobilien des tenant halten8).
Das Bedürfnis nach einem Rechtsmittel, welches gestattete,
das Land selbst zu nehmen, scheint sich jedoch fühlbar gemacht
zu haben; es dauerte auch nicht lange, nämlich unter der
Regierung Eduards I., so wurde ähnlich wie bei dem eigenen
Gerichte der feudalen Grundherren, das Rechtsmittel des Verfalls
durch die Statutes of Glocester und Westminster the Second für
das gesamte Land eingeführt. Dieses Rechtsmittel bestand in der
Klage cessavit per biennium, welche unmittelbar aus dem
kanonischen und mittelbar aus dem römischen Recht Justinians
übernommen war. War der tenant auf zwei Jahre im Rückstand
und war nicht genügend Mobiliar vorhanden, so ermöglichte das
writ of cessavit des Kanzlers dem Grundherrn, sofern der tenant
auch jetzt vor Fällung des Urteils nicht einlöste, das Land oder
freehold an sich zu nehmen (recover the fee itself in demesne).
Das Land war dann für immer an den Grundherrn verfallen8).
') Clanvill, IX, 8: Uracton, f. 205b, 217, 218: ltracton's Note
Hook, pl. 2, 270, 348, 370; Wright, Tenurea, S. 1 09— 201 : Anui. (2) zu
Coke über Littleton, 142a: Pollock and Maitland, a. a. 0., 1,
S. 3.02 — 355. Vcrgl. Gilbert, Hcnts, S. 3, 4. Es ist richtig, daß der feoffor
und der feofToo ausdrücklich vereinbaren können, daß der feoffor bei Zahlungs-
versriumnis durch Wiedereintritt das Land zurückerhalten kann: aber solche
Abmachungen waren vor der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts 9ehr selten.
Pollock and Maitland, a. a. 0., 1, S. 352.
8) StaL 52 Hen. III, c. 22 (12G7), Statutes, I, S. 19 ff: Wright, Tenures,
S. 201, 202: Ilargrave, Anm. (2) zu Coke über Littletun 142a: Anm. (4)
zu Coke über Littleton 47a: liobinson, Gavelkind, S. 194. 195: Kecvcs,
a. a. 0., I, S. 508.
*) Siche Stat. Ulouc., G Kd. I, c. 4: Stat. West. II, 13 Edward I,
c. 21: Kitzherhert, Natura Brevium, f. 208 H , 209. 210 A: Coke, 2 Inst.
295, 400, 4G0: lllackstone, 111, c. 15, § 1 : Anm. (4) zu Coke über
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205
Ein besonderes writ of cessavit erteilte auch das Statute
of Westminster the Second denjenigen Grundherren, welche Land
tTir „Divine Service“ (auch „Ahns“ oder „Almoigne“ genannt)
zu Lehn hatten; dieses gestattete den Grundherren, das Land
für rückständige, d. h. nicht geleistete Dienste wieder an sich zu
nehmen ’).
Auch in den lokalen Rechten und Gewohnheiten des Mittel-
alters treffen wir die Pfändung für rückständige Dienste oder Renten
an. In der Grafschaft Kent und in London wurde die Pfändung
durch ein unter der Rezeiehnung gavelet bekanntes Verfahren vor-
genonnnen *).
Tn Kent gründete sich dieses Rechtsmittel des gavelet auf
Gebräuche und Gewohnheiten aus unvordenklichen Zeiten, und seine
Anfänge sind auf das allgemeine Feudalrecht und das Recht der
angelsächsischen Zeit zurückgeführt worden3). Der Text des kent-
isehen Custumal — der Consuetudines Cantiae — , abgedruckt
in den „Statutes of the Realm“, ist dort klassifiziert unter Ge-
setzen ungewissen Datums, doch wird vermutet, dal! er aus der
Zeit Eduards I. stammt4). Auf dieses Custumal ist man betreffs
Information über die kentische Prozedur des gavelet hauptsäch-
lich angewiesen.
Das tenure of gavelkind oder richtiger socage tenure sub-
ject to the custom of gavelkind erhielt sich hauptsächlich in
Littlcton 47a: Anm. (2) tu Coke über Littluton 142a: Anm. (5) zu Coke
über Littlcton 143b: Hooth, Kcal Actions, S. 133 — 135: Wright, Tcnures,
S. 202: Hobinson, Gavelkind, S. 193 — 195: l’ollock and Maitland,
a. a. 0., I, S. 353: Mai Gand, Select Pleas in Mauorial and other Seigno-
rial Courts (Seid. Soc.), I, S. LVI1I.
') Stat. West II, c. 41, stat. 13 Kd. I (1285). Statutes of the Ifealin.
I, S. 91, 92.
*) Über das Wort, „gavelet" oder „gavillcttum" siehe Coke über
I.ittleton 142a: Spclman, Gloss. s. v. Gav eletnm: Hargrare. Anm. (2)
zu Coke über Littlcton 142a: Hobinson, a. a. 0., S. 194.
3) Siehe Hargravc. Anm. (2) zu Co. Lit. 142a: Hobinson, a. a. 0.,
S. 194, 195: Heeves, a. a. 0., II, S. 18R, 187.
l) Statutes of the Iicalin. I, S. 223, Anm. (*). Das Custumal mit einer
englischen Übersetzung ist ferner zu linden in Lombarde, I’erambulation,
S. 513 — 531. Siehe auchTattol, Magna Charta, eine Sammlung von alten
Statuten, veröffentlicht im Jahre 1556.
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286
Kcnt, um] das am meisten charakteristische bei dieser Art des
Grundbesitzes (tenure) war, daU beim Tode eines tenant in fee,
der kein Testament hinterließ, das Besitztum (estate) nicht nach
der gemeinrechtlichen Regel der Primogenitur sich vererbte, sondern
nach der Regel, daß das Luid unter alle Sühne gleichmäßig zu ver-
teilen sei ’). Kam ein tenant, welcher Land in der Form des
gavelkind besaß, mit der Leistung seiner Dienste oder mit der
Rente im Rückstand, so mußte der Grundherr gemäß den
Consuetudines Cantiae zuerst eine Erlaubnis seines eigenen
Gerichts einholen, um das Mobiliar des tenant pfänden zu können.
War Mobiliar nicht vorhanden, so gestattete das Gericht dem Grund-
herrn, das Land auf ein Jahr und einen Tag ohne Bewirtschaftung
selbst in die Hand zu nehmen. Löste der tenant während dieser
Zeit das Land nicht ein, so war dasselbe dem Grundherrn durch
Rechtsspruch so gut wie verfallen, denn die Bedingungen, unter
denen die Fanlösung vielleicht hätte vorgenommen werden können,
waren so schwer, daß eine Einlösung gar nicht mehr in Frage kam.
Die Tatsache aber, daß dem tenant die Einlösung — trotzdem sie
in Wirklichkeit nicht mehr möglich war — theoretisch doch noch
offen stand, zeigt, eine wie große Zurückhaltung das alte Recht
beobachtete, wenn es sich darum handelte, den tenant seines Landes
für verlustig zu erklären wegen bloßer Versäumnis, seine Dienste
zu leisten oder seine Rente zu bezahlen-).
Das Verfahren im Wege des gavelet scheint sehr geschätzt
gewesen zu sein als ein Mittel zur Pfändung von Land wegen
rückständiger Dienste oder Rente; es wurde in London für rent-
service eingeführt durch das Statutuin de Gaveleto in London
im zehnten Jahre der Regierung Eduards II. s) Das Verfahren
ähnelt dem in Kent, wennschon es in gewisser Hinsicht von diesem
abwich. Hier sei nur noch erwähnt, daß der Grundherr verpflichtet
') Robinson, a. a. <)., S. 89, 225; Williams, Real Property, S. 58, 59.
s) Genaueres betr. der Einlösungsfrage siche boi De Wandlesworth's
Oase, Robinson, Gavelkind, S. 197: Statutes of tbo Realin, I, S. 225,
Amn. 1: l.auibarde, Pcrambuiatiou, S. 449: Robinson, Gavelkind,
S. 196 — 202: Pollock and Maitland, a. a. 0.. I. S. 355. Anm. 1. Vergl.
Pollock and Maitland, a. a 0., II, S. 591—593.
*) Statutes of the Realm, I, S. 222: Robinson, Gavelkind. S. 194:
Am». (2) zu Co. I,it, 142a: Reeves, a. a. 0., II, S. 136, 187.
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267
war, erst alles Mobiliar zu pfänden, und nur wenn dies nicht ge-
nügte, konnte er durch das writ Consuetudinibus et Servitiis
das Verfahren in gavelet eröffnen, das, wenn der tenant fortfuhr
die Zahlung zu verweigern, schließlich in den absoluten Verfall
des Landes an den Grundherrn endigte.
Die Rechte aus der Belastung des Landes durch Lehnsdienste
oder Renten können daher gemäß englischem mittelalterlichen Recht
bei Zahlungsversäumnis des tenant auf verschiedenerlei Weise
geltend gemacht werden. Für gewöhnlich muß der Grundherr
zuerst das Mobiliar des tenant pfänden. Nur insofern hiervon
nicht in genügender Menge vorhanden ist, kann er entweder das
Land nehmen und es als ein simplex namium behalten, d. h.
als ein bloßes Zwangsmittel, oder er kann seine Forderung aus den
Renten und Erträgen tilgen; auch kann er berechtigt sein, das
Land als verfallen für sich zu beanspruchen.
Lambarde schrieb im Jahre 1576, daß er nicht sicher sei,
ob das Verfahren des gavelet zu seiner Zeit in Kent noch in (je-
brauch sei.. In der Tat sind alle Fälle in den Büchein, welche
das cessavit und gavelet behandeln, sehr frühen Datums, und
jene verschiedenen Formen der Immobiliarpfändung, welche wir
besprochen haben, scheinen nach der Zeit des Mittelalters nicht
mehr existiert zu haben. Sie waren sicherlich lange veraltet, als
das Real Property Limitation Act, s. 36, vom Jahre LS33 die
real actions und damit die altertümlichen writs of cessavit und
de Consuetudinibus et Servitiis abschatfte ').
Enter Nachahmung gewisser Formen der Pfändung von Land
für rückständige Dienste oder Rente, welche wir eben besprochen
haben, wurde es später bei Abschluß von Pachtverträgen auf Jahre
oder auf Lebenszeit üblich, sich ein Recht des Wiedereintritts bei
Nichtzahlung der Rente vorzubehalten: doch werden wenig der-
artige Abkommen vor der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
getroffen2). Das Statute 4 George II, c. 28 ermöglichte es dem
Verpächter in solchem Falle, sich eines writ of ejectment zu be-
') Lambarde, a. a. ()., S. 5<X): Robinson, a. a. ()., 8. 200, 202: Har-
grave, Anm. (2) zu (Jo. Lit. 142a.
*) Littlcton, § 341 : Pollock and Maitland, a. a. O., I, S. 352. Siehe
auch Leake, fügest, S. 203. Vergl. Williams, a. a. <>., S. 420.
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•268
dienen, wodurch er in den Besitz gelangte, wenn eine halbe Jalires-
rente rückständig war und eine Pfändung von Mobilien nicht vor-
genommen werden konnte, doch war dem Pächter gestattet, das
Land innerhalb sechs Monaten nach der Vertreibung durch Zahlung
der Rente und Kosten wieder einzulösen. Ähnlich verfügte das
Distress for Rent Act, Statute 11 George II, c. 19, § 16 (1737),
daß Fridensriehter (justices of the peace) dem Eigentümer (land-
lonl) das Land zurückgeben können, wenn der tenant das Grund-
stück verläßt, ohne genügend pfändbare Sachen zu hinterlassen ').
II. Gewährleistung (Warranty).
Die Gewährleistung bei der Übertragung von Eigentum spielte
im Mittelalter eine wichtige Rolle in England. Sie kam sowohl
im Mobiliar- wie im Immobiliarrecht vor und hatte ihren Ursprung
in der Zeit der Angelsachsen *). Uns beschäftigt nur die Gewähr-
leistung bei der Übertragung von Land in der Zeit des Mittel-
alters nach der normannischen Eroberung, und diese wiederum
nur insofern, als die Verpflichtung, für das übertragene Land Ge-
währ zu leisten, nicht bloß eine persönliche, für den Gewähr-
leistenden und seine Vertreter bindende war, sondern auch eine
dingliche, sodaß das Land, welches zur Zeit der Gewährleistung
in der Hand des Gewährleistenden verblieb, mitbelastet wurde.
Die Gewährleistung, d. i. die Verpflichtung, den Rechtstitel
an dem übertragenen Lande zu verteidigen, und wenn diese Ver-
teidigung erfolglos war, dem vertriebenen Eigentümer anderes
Land im gleichen Werte als Ersatz zu geben3), tritt in ihren
Anfängen unter dem feudalen System in zwei Formen auf: 1. wo
der Lehnsmann (feudal tenant in fee) dem Grundherrn huldigt
(does homage). ist der letztere verpflichtet, den Rechtstitel des tenant
an dem freehold (fee) zu verteidigen; 2. wo das lamd mit einem
Wittum (dower) belastet ist und der Erbe das Land unter der
') Bl ackst onc, III, c. 15, § I; Robinson, a. a. 0., S. 202, 203: Har
grave, Anni. (2) zu Co. Lit. 142a.
s) Siehe Schm id, (iCsetrc, 3. v. Käufe, Teiim: Kgsays in Anglo-Saxou
Law, S. 218, 253. 254: Pollork and Maitland. ». a. ().. Index s. v. War-
rantv: Holmes, Common Law. S. 371 — 409.
J) Siche Bractou, f. 380: Holmes, a. a. Ü., S. 372.
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•2«n
Verpflichtung übernimmt, für «las Wittum der Witwe Gewähr 7,11
leisten ').
Später, als «lie Form der Gewährleistung schon weiter ent-
wickelt war, konnte die Verpflichtung zur Gewährleistung durch
die Übergabe von Land in Folge von Schenkung (giflt oder Ver-
kauf entstehen — durch endgültigen Vergleich (fine), Belehnung
(feoffment), Austausch (exchange) und continnation *). Hracton
berichtet uns, daß man verpflichtet ist, Gewähr zu leisten per
homagium, et flnem factum, et per chartarum siue aliorum in-
strumentorum obligationem *), und daß die Gewährleistung da auf-
treten kann, wo Übertragung von Land oder tenement ex quocunquc
iusto titulo vel iusta causa acquirendi stattfindet ‘).
In der 'I'at finden wir zu Bractons Zeit das auch schon in
Glanvill’s Tagen anerkannte Prinzip entwickelt, daß „there was in
all cases of sale an implied warranty on the part of the vendor
of his title to seil, and further that where the Obligation of war-
ranty was established, the party vouched to warrant was bound to
make compensation to the party who vouched him, if he could
not make good his warranty and had the means wlierewith to
compensate him“ -'). Aller Wahrscheinlichkeit nach war diese spätere
Entwickelung der Gewährleistung nicht von dem normannischen
•) Bracton, f. 78, 381, 383, 385: Itawlo, Covcnants for Tille, 8. 2 :
Twiss, Einleitung 111 der Knirschen Ausgabe von Bracton, Bd. VI,
S. XII.
») Hracton, f. 380—382, 389.
Pollock and Maitland, 11, S. 224: „In the twclfth centurv Charters
of feoffment had bccome common: they sometimes contained cluuses of
warranty.“ Dieselben, II, S. 313, Anm. 1 : „The clause of warranty bccomes
a normal part of the charter of feoffment abnut the year 1200“.
Nach Bracton (f. 37) ist der fenffor nur dann verpflichtet, für die
ltcchtsnachfolgcr (assigns) des feoffec Gewähr zu leisten, wenn er dies aus-
drücklich versprochen hat. Siehe hierüber Holmes, a. a. O.. Lectnre XI.
s, Bracton, f. 381.
*) Bracton, f. 380.
Twiss, n. a. O., VI, 8. IX.
Uawle. a. a. O., 8. 2, unter t’itierung von Co. Eit. 384a: „When,
subsequently , it becamc usual to anthenticate the transfer of land by
Charters or deeds, whether the lattcr did or did not contain the tcehniral Word
warrantizo. a warranty was implied from the wurd of fenflhient dedi.
and this was termed a warranty in law." Siehe Uawle, a. a. <>.. S. 15, IG. 208.
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270
Recht oder den germanischen leges oder liewohnheiten abgeleitet,
sondern war englisches Richterrecht aus der Angevin-Zeit, beein-
flußt durch römische Jurisprudenz1).
Gewährleistung „probably presented itself to the mind of
Glanvill’s predecessors simply as a dutv or Obligation attached
by law to a transaction which was directed to a different point;
just as the liability of a tiailee, which is now treated as urising
from bis undertaking, was original ly raised by the law out of the
Position in which he stood toward third persons“ *>. Tatsächlich
war die Gewährleistung des Grundherrn, welche für die Huldigung
ihomage) geschah, „original ly created without express contract of
any kind. — it was simply a natural incident of tenure, . . . *)“
Und in feoflinents bv dedi konnte selbst eine ausdrückliche Ge-
währleistung (express warranty) diejenige Gewährleistung nicht
modifizieren, welche eo ipso aus dem gegenseitigen Character
des feudalen Besitzes (tenure) lloß4). Abgesehen von der Gewähr-
leistung, die ohne weiteres mit eingeschlossen war (implied war-
ranty), konnte jedoch im Mittelalter die ausdrückliche Gewähr-
leistung (express warranty) aus Verträgen sich ergeben. Auch
nach späterer Rechtsanschauung war die Gewährleistung eine kon-
traktliche Verpflichtung*), und selbst Bracton scheint das vertrag-
liche Element in der Gewährleistung nicht außer Acht gelassen
zu haben li).
Die Geltendmachung der Rechte aus der Gewährleistung vor
Gericht geschah für gewöhnlich durch eine Vorladung, genannt
voucher oder durch das writ of warrantia cartae, gelegentlich
auch durch writ of covenant 7). Das vouching to warranty, die
Prozedur jemand in Sachen von Gewährleistung vor Gericht laden
') Siche die Krörtertmjr dieser Frage hei T « iss, a. a. 0„ VI, S. IX — XIII.
*) Holmes, a. a. O., S. 371.
3) Ha wie, a. a. < >.. S. 2.
4) Ha wie, a. a. I*.. S. 3.
5) Siehe Holmes, a. a. 0., S. 371.
6) Siehe Bracton, f. 7S, 257b — 2(ilb, 380 — 393b. Siehe auch Pollock
and M a i 1 1 a n d. a. a. O., I. S. 301 .
!) Pollock and Maitland, a. a. O.. II, S. 213, Amu., t>64. Vergl-
ltawle. S. 12. IC. 208—211. Pas writ of warrantia cartae betindct airh
bei Bracton. f. 3!)!».
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•271
zu lassen, konnte in der ersten Zeit nach seiner Einführung, ja
sogar bis zur Zeit Eduards I. eine Menge Zeit in Anspruch
nehmen und zu einem lästigen Prozesse werden, denn jeder Ge-
währleistende (warrantor), der durch voucher in Anspruch genommen
wurde, konnte das gleiche Verfahren gegen seinen Gewährleistenden
zur Anwendung bringen, u. s. w., bis schließlich in der Kette der
Rechtstitel jemand gefunden war, der die Folgen der Gewährleistung
auf sich zu nehmen hatte. Verlief dieses Verfahren ohne Erfolg,
so erhielt der den Anspruch Erhebende das fragliche Land und
der tenant wiederum erhielt von seinem Gewährleistenden ein
excambium ad valentiam, d. h. anderes Land im Werte dessen,
welches er verloren hatte1).
Eine Erklärung der ursprünglichen Bedeutung dieses Systems
des „vouching to warranty“ glaubt man in der Tatsache zu haben,
datl es in gewissen Fällen zur Bestrafung des Gewährleistenden
führen konnte, ähnlich wie bei der alten actio furti. Durch
die actio furti suchte man die Herkunft der Waren auf einen
Diebstahl zurückzuführen, indem man den Beklagten zwang, den
Käufer zu nennen, und zwar, damit der Dieb bestraft werden konnte.
Ähnlich suchte man, wenn es sich um Land handelte, durch
voucher to warranty auf den wirklichen Missetäter zurückzugreifen,
damit man diesen zwingen konnte, für sein Vergehen zu büßen •).
Auch die Gewährleistung wurde mit der Zeit eine große Macht
beim Ausbau des feudalen Systems. Nach den Worten Pollock and
Maitlands: „The gift of land implied protection, delence, warranty
for the donee. If he was impleaded, his battle would be fought
for him by a high and mighty lord. To gain the right to vouch
such a lord as their warrantor many men would be content to
give up their land and take it back again as rent-paying tenants.“
Die Geschichte der commendation ist nur unter Berücksichtigung
der Gewährleistung zu verstehen; tatsächlich war die Gewähr-
leistung die „wertvolle Gegenleistung“ (valuable consideration)
für die Ergebung und Unterwerfung an den Grundherrn *).
■) Holme», a. a. 0.. S. 372: Pollock and Maitland, a. a. O., 11,
S. 002, 003. Siehe Glanvill, III, 1—3: Kracton. f. 237b — 201h, 3K0 — 393b.
Itrunner, Deutsche ltechtsgcschichtc, II. S. 310: Pollock and
Maitland. n. ». O., II. S. Hit. 003.
Pollock and Maitland, a. a. O., I, S. 300, 307, II. S. 003, 004
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Fernerhin dürfen wir nicht außer Acht lassen, welche Rolle
die Gewährleistung im Erbrecht spielte. Hören wir, was Pollock
and Maitland hierzu sagen. „A man is debarred. rebutted, from
claiming land because the bürden of a warranty given by one of
his ancestors has fallen upon him. ln later days, al ready when
Ilracton was writing, this doctrine no longer came into play when
a tentant in fee simple had alienated his land; for in such a
case the heir had no right to the land, no claim which must be
rebutted. It only came into play when the alienator and warrantor
had beeil doing something that he had no business to do, when
a husband had been alienating his wife's land or a tenant for life
had made a feofl'ment in fee. But we may suspect that this
doctrine performed its first exploit when it enabled the tenant in
fee simple to disappoint his expectant heirs by giving a war-
ranty which would rebut and cancel their claim upon the aliena-
ted land“
Neben der rein persönlichen Gewährleistung, die nur den
Gewährleistenden i warrantor) und seinen Stellvertreter verpflichtete,
konnte auch eine Gewährleistung erfolgen, durch welche gleich-
zeitig Grundbesitz dinglich belastet wurde, sodaß, wenn die per-
sönliche Gewährleistung, die erstfallige Verpflichtung zu keinem
Erfolge führte, der warrantee ein excambium ad valentiam,
Ersatz im gleichen Werte, verlangen konnte.
Die Belastung des Immobiliars durch Gewährleistung, die
obligatio rei*), kann entstehen durch eine ausdrückliche Gewähr-
leistung (express warranty) oder durch eine stillschweigende Ge-
währleistung (tacit warranty). Ein express warranty belastet ein
bestimmtes tenement’). Eine in einem feofl'ment stillschweigend
eingeschlossene Gewährleistung belastet nach Bracton alles übrige
Land, das der feoffor am Tage der Belehnung im Besitze hat4).
') I’ollock and Maitland, a. a. U.. II, S. 312, 313. Siebe ferner
Hlackstonc, 1. Aull., II. S. 301: Kaxvle, a. a. O., 8. 2 — 12.
s) Siehe Bracton, f. 282, 388b und die Randbemerkungen aus dem
dreizehnten Jahrhundert 7,u Bracton’» Note Book, ]d. 748.
s) Bracton. f. 382: Bracton'» Note Book, pl. 748 und die Rand-
bemerkungen aus dem dreizehnten Jahrhundert : V. B. 20 — 21 Kd. I. S. 359 —
361. Siehe Maitland. Bracton 's Note Book, pl. 748, Anm. 7.
*) Bracton, f. 382, 382b. 388, 388b: Bracton’» Note Book, pl. 748
Randbemerkungen aus dem dreizehnten Jahrhundert.
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'273
Dali der vom warrantor Belehnte ein dingliches Recht erwirbt,
geht aus der Tatsache hervor, daß das durch die Gewährleistung
belastete Land stets mit dieser Belastung übertragen wird. Die
Belastung des Landes bleibt gegenüber den Erben des warrantor
bestehen. Die Rechte hieraus können gegen die Rechtsnachfolger
geltend gemacht werden, ja sogar gegen den König und den chief
lord, der es als ein escheat besitzt. Sollte die Gewährleistung
nicht eingehalten und das belastete Land zur Befriedigung der
Forderung des von dem warrantor Belehnten herangezogen werden,
so hat der jeweilige Besitzer das Land abzugeben l).
Zur Zeit Heinrichs IV., möglicherweise auch schon früher,
hatte die bloße Gewährleistung aufgehört, dingliche Wirkung zu
haben. In der Klage action of warrantia cartae wurde jedoch
durch ein Urteil pro loco et tempore jetzt eine dingliche Be-
lastung der gesamten lands und tenements des Gewährleistenden,
welche ihm bei Fällung des Urteils gehörten, geschaffen. Diese
Klage wurde oft vorgebracht quia timet implacitari, d. h. als
eine Vorsichtsmaßregel, sobald begründete Befürchtung vorhanden
war, daß ein Verlust des Landes durch einen Defect des Rechts-
titels eintreten könnte. Trat der Verlust tatsächlich ein, so er-
mächtigte das writ of scire facias nach Erlaß des Urteils den
warrantee, die Pfändung (execution) aller lands und tenements.
welche durch das Urteil belastet waren, vorzunehmen. Wenn
fernerhin eine Klage wegen des übertragenen Landes erst nach
dem Urteil pro loco et tempore in der vorhergehenden Klage
warrantia cartae angestrengt wurde, so war durch ein dem
voucher of warranty analoges Verfahren der warrantee genötigt,
den Gewährleistenden zu benachrichtigen und ihn aufzufordern,
den Rechtstitel an dem Lande, für welches die Gewährleistung er-
folgte, zu verteidigen*).
•) Siehe Bracton, f. 380 — 382b. 388, 388b: Bracton’s Note Book,
pl. 638, 748, 1024: Fleta, Hb. VI. c. 23, § 17; Maitland, Bracton's
Note Book, pl. 748, Anm. 7; Holmes, Common Law, S. 394, 395.
Holmes, a. a. 0., S. 395: „Fleta writes that every possessor will be held.
There cannot be a donbt that a disseisor would have been bound equallr
with one whosc possession was lawful." Die verschiedenen writs sind au
linden bei Bracton, f. 380 - 399b.
*) Siehe Rawle. a. a. 0., S. 12 — 14 und Anm. daselbst. Über die
Haxeltlue, Kubisches Pfandrecht 18
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•274
Warrant#, oder die Verpflichtung eines Verkäufers, den durch
einen älteren Rechtstitel vertriebenen Käufer zu entschädigen,
existiert noeh im heutigen englischen Recht, wennschon es von
dem alten war ran ty der Zeit Bractons wesentlich abweicht. Das
vouchingto warranty verschwand zusammen mit dem Außergebrauch-
kommen der alten Immobiliarklagen, die jetzt durch modernere
und einfachere Klagen ersetzt sind. Selbst die altertümliche Ge-
währleistung, die nicht am I’latze war, wo eine Übergabe des
Besitzes (livery of seisin) bei der Übertragung von estates nicht
stattfand, ist ersetzt worden durch covenants for title — covenants
for seisin, for right to convey, against incuinbrances, for quiet
possession, and for further assurance — welche in die heutigen
englischen Übertragungs-Urkunden (deeds) aufgenommen werden
(express eovenant) oder ohne weiteres eingeschlossen sind (implied
covcnant). Heutzutage tritt bei Vertragsbruch (breaeh of eovenant)
an Stelle des Austausches von Land im gleichen Werte, des alten
excambium ad vatentiam Bractons und des Note Book der
Schadenersatz (damage). Der Wechsel von der alten Gewähr-
leistung zu den neueren „covenants for title“ scheint eine Begleit-
erscheinung des Übergangs vom feudalen mittelalterlichen zu dem
modernen Rechtssystem zu sein. Am Ende des siebzehnten Jahr-
hunderts linden wir die neuen covenants allgemein in Anwendung').
III. Das Wittum (dos) der Frau.
Dos (dower) hat im englischen mittelalterlichen Recht zweier-
lei Bedeutung., Man versteht darunter erstens das vom freien
Manne (freeman) seiner Braut ad ostiuin ecclesiae zurZeit der
Eheschließung gegebene Eigentum, und zweitens das von der Frau
eingebrachte Gut (Heiratsgut — maritagium). Im letzteren Sinne
entspricht die dower der dos des römischen Rechts*). Wir haben
es hier nur mit der ersteren Form, der dos ad ostium ecclesiae.
Krage der dinglichen Wirkung bei „oxcliange" von Grundstücken siehe
ltawle, a. a. ()., S. 471 — 473.
') Siehe Holmes, a. a. 0., S. 378: Pollock and Maitland, a. a. 0.,
1, 8.300: ltawle, a. a. 0., S. 1, 10, 17. Uber das moderne Kocht
siehe Coke, .Second Institute. Aull. 1081, 8. 275 — 2(7: Woodfall, I.andlord
and Tenant. 17. Aull., 8. 173— 200.
>) Glanvill, VI, 1: ltoevcs', a'. a. ()., I, S. 155, 157.
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275
zu tun, und mit dieser wiederum nur insofern, als dureli dieselbe
eine Belastung des Immobiliars des Bräutigams geschaffen wird.
In der Rechtsliteratur des zwölften und dreizehnten Jahr-
hunderts stellt die dos eine Schenkung des Bräutigams an die
Braut ad ostium ecclesiae zur Zeit der Eheschließung dar1).
Eine solche Schenkung zu machen, ist der Bräutigam durch das
Gesetz gezwungen*). Das Wittum kann sich auf bestimmte Län-
dereien erstrecken, darf jedoch nie mehr als ein Drittel des ge-
samten Landes des Mannes umfassen. Eine dower in dieser Form
wird genannt dos nominata3). Unter dos rationabilis ist da-
gegen im zwölften Jahrhundert diejenige dower zu verstehen,
welche ein Drittel des gesamten freehold Landes umfaßt, das sich
am Tage der Hochzeit im Besitz des Mannes befindet. Wo eine
dos nominata nicht gegeben wird, nimmt das Recht an, daß eine
dos rationabilis beabsichtigt ist'). Zur Zeit Brittons hat die
Frau im Falle einer (los rationabilis Anspruch auf ein Drittel des
Landes, das sich während der ganzen Lebenszeit des Mannes in
dessen Besitz befand 5). Ebenso lantet auch die Regel des gemeinen
Rechts *).
Zur Zeit Bractons scheint die Frau durch die dos nominata
sofort „true proprietary rights“ am Lande zu erwerben. Sofern
sie nicht mit ihrem Manne einen endgültigen Vergleich vor dem
königlichen Richter getroffen hatte (levied a final concord betöre
the king's justices), stand ihr beim Tode des Mannes das Recht
zu, das ihr vermachte Land von jedweder Person zu reklamieren,
') Pas Versprechen des Wittums an der Kirchentür geschieht, uni die
Handlung zu einer öffentlichen und feierlichen zu gestalten. Siehe Coke
über Littlcton, 34a: lieames, Translation ofGlanvillc, Beale's Ausg.,
S. 94. Anm. 2: Pollock and Maitland, a. a.O., 11, S. 374, 375.
J) Vergl. Co. Lit. 30b. 31a.
3) lut späteren Mittelalter durfte die dos nominata mehr als ein
Drittel des gesamten Landes betragen. Siehe Littlcton , § 37, 39: Pollock
and Maitland, a. a. 0., II, S. 421, 425, 426. Vergl. Co. Lit., 33b.
4) Ulanvill, VI, l, 2. 17: Bracton, f. 92: Beevcs, a. a. 0., I, 155,
156: Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 420, 421, 425.
5) Nicbols, Uritton, Band 1. S. XLI. XLII. und Band II, S. 238.,
242: Pollock and Mait land. a. a. 0., II, S. 421.
s) Littlcton. §37: Co. Lit. 33b. Vergl. Heeres, a. a. 0., II. S.
577 —579.
18*
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die es jetzt in Händen hatte. Wurde der tenant von der Frau
verklagt, so klagte dieser gegen den Erben des Mannes (vouched
the heir). Der Erbe war dann wahrscheinlich genötigt, für die
Gabe des Testators Gewähr zu leisten. Tat er dies nicht, so
mußte er dem vertriebenen tenant Ersatz im gleichen Werte aus
dem übrigen nachgelassenen Lande des Testators geben. Dies
alles ging aber die Frau nichts an. Sie hatte Anspruch auf das
von ihrem Manne namhaft gemachte Land und konnte daher den
tenant vertreiben
Wird ein Drittel des Landes, welches der feoffee durch Be-
lehnung vom Manne besitzt, von der Witwe des letzteren als dos
rationahilis reklamiert, und klagt der feoffee gegen den Erben
auf Schutz des Rechtstitels (vouch the heir to warranty), so muß
die Witwe dafür sorgen, daß der Erbe vor Gericht erscheint, denn
der Erbe hat auch den Rechtstitel am Wittum zu schützen
(warrant the dower). Wird von dem Erben zugegeben, daß ge-
nügend anderes Land auf ihn überkommen ist, um die Witwe mit
einer dower ausstatten zu können, so wird dem feoffee gestattet,
das Land zu behalten, während die Witwe ein Urteil gegen den
Erben erwirkt. Sollte der Erbe jedoch anderes Land nicht besitzen,
dann kann die Witwe ein Drittel des Landes erhalten, welches der
feoffee besitzt. Der feoffee erwirkt dann ein Urteil gegen den
Erben und beim Tode der Frau erhält der feoffee dasjenige Land
zurück, welches die Witwe als dower besessen hat. Pollock and
Maitland sagen hierzu: „The unspecified dower is therefore treated
as a Charge on all the husband’s lands, a Charge that onght to
he satisfied primarily out of those lands which descend to the heir.
but yet one that can be enforced, if need he, against the husband’s
feoffees“ 2).
') Bracton, f. 299b: Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 422. 423.
über die Rechte der Frau am Lande vor dem Tode des Mannes vergl-
Kra c ton, f. 3<H)b: lteam es , a. a. 0.. S. 97. Anm. 3. Siebe Glanv ill, VI, 3.
a) Bracton, f. 300: Pollock and Maitland, a. a. ()., 11, S. 423, 426.
Uber die der Witwe zustehenden Klagen siehe Glanvil I. VI: Bracton, f.
296— 317b: Britten, liv. V. c. IV— XII. Vergl. über das Wittum Egger,
Vermügenshaftung und Hypothek nach fränkischem Rechte. S. 276 ff.
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277
Zweites Kapitel.
Die Hypothek.
Mit der Ankunft der Kaufleute vom Kontinent beginnt die
Entwickelung der Hypothek. Ganz besonders haben die .Juden
und die Italiener das Kreditwesen in das wirtschaftliche Leben
Englands eingeführt. Mit dem Wachsen des Handels wurde das
Redürfnis nach einem bequemen und wirksamen Mittel zur Sicher-
stellung von Forderungen empfunden. Zu diesem Zwecke machte
man hauptsächlich von der hypothekarischen Belastung Gebrauch,
da dies eine viel bequemere Form der Pfandbestellung war, wie
diejenigen Formen, bei denen der Gläubiger sofort den Besitz über-
nehmen muhte. Denn durch das vorgeschrittene Zwangsvoll-
streckungsverfahren war der Gläubiger ebenso sicher gestellt wie
bei sofortiger Übernahme des verpfändeten Grundstücks. Wir
wollen uns hier mit der Entwickelung der Hypothek befassen '•).
Betrachten wir dabei zuerst die Hypothek zur Sicherstellung von
Forderungen jüdischer Gläubiger und dann die Hypothek der kauf-
männischen sowie anderer Gläubiger überhaupt.
I. Die Hypothek zur Sicherstellung von Forderungen
jüdischer Gläubiger (sog. „Jewish Gage“).
Die .Juden wurden kurz nach der normannischen Eroberung
nach England gerufen. Sie kamen aus der Normandie und wurden
in Wirklichkeit die Leibeigenen (serfs) des Königs. Sie waren
hereingerufen worden, um den König mit Geld zu versehen, und
ihre Stellung beruhte auf dem Prinzipe, (lall der Jude und Alles,
was er hatte, dem König gehörte*). Es war den Juden gestattet,
Geld auszuleihen; auch konnten sie, was zu jener Zeit des kanonischen
Zinsverbotes von besonderer Bedeutung war, Geld auf Zinsen ver-
geben3;. Mit dem Fortschritte der Gewerbstätigkeit und des Handels
*) Vgl- die jüngere Satzung iles deutschen Hechts: siehe Uierke,
Deutsches Privatrecht, Bd. II, S. 818 — 826.
*) Bracton., f. 386b: Plowden, Usury and Annuities, S. 95, 96:
Uro ss, I’ublicatiuns Angl. Jew. Bist. Kxhib., I, S. 203, 204. Der König
konnte sogar die ganze Judunschaft (Judaistn um, Jewry) verpachten oder
verpfänden. Pollock and Maitland, a. a. 0., I, S. 472.
3) Grogs, a. a O., I, S. 207 ff. Siehe auch Jacobs, Jews of Angevin
England, S. IX— XXII.
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unter Heinrich I. und Heinrich II. vermehrte sich ihr Reichtum be-
deutend. Auch die Kreuzfahrer gaben ihnen vorzügliche Gelegen-
heit, Geld zu verdienen. Diese übergaben ihnen ihr Eigentum
zur Sicherstellung der aufgenommenen Darlehen, und da viele
von ihnen niemals zurückkehrten und die Pfänder daher nicht aus-
gelöst wurden, so fiel den jüdischen Gläubigern in vielen Fällen
das Vermögen gänzlich anheim ‘).
Da die Schuldner der Juden in Wirklichkeit auch die Schuldner
des Königs waren, so konnte dieser die Forderungen der Juden
übernehmen, wie ihm denn schriftliche Beweise gegen die Schuldner
stets erwünscht waren2). Es ist sehr wahrscheinlich, daü schon
vor der Zeit Richards I. die Juden gewohnt waren, falls sie Ge-
walttätigkeiten seitens des Volkes befürchteten, ihre Schuldver-
schreibungen oder Schuldanerkennungen (bonds or recognizances
of debt) an irgend einem sicheren Orte niederzulegen, z. B. im
Dom ihres Wohnortes. Erst gegen die Mitte der Regierung
Richards I. hat man die Kasten zur Aufbewahrung dieser Obli-
gationen systematisch eingerichtet5). Die Capitula de Judaeis
des Jahres 1194 enthalten Verordnungen des Königs hierüber4),
und bald wurde auch eine besondere Abteilung in der königlichen
Schatzkammer (royal Exchequeri die sog. Schatzkammer der
Juden (Exchequer of the Jews) — zum Zwecke einer allgemeinen
Aufsicht über dieses System der Kasten eingerichtet5;.
Gewisse Städte wurden ausgewählt, woselbst ein offizieller
Vorstand (offieial board), zusammengesetzt aus Juden und Christen
die Eintragung der jüdischen Darlehen und der zu ihrer Sicher-
heit gegebenen Pfänder zu überwachen hatte. Es scheint sogar,
dal) die Darlehen in Gegenwart der Beamten aufgenommen wurden.
Die Urkunde oder Anerkennung der Schuld, versehen mit dem
■) Gros s, a. a. O., I , S. 172, 173.
*) l’ollock and Mailland. a. a. (>,, I, S. 468 — 470.
3) Sicliu Gross, a. a. (>., I, S. 170—230: Mack» tone. 11, c. 20:
Plowden, a. a. ■•.. S. 95—98.
*) Hovcdcn, III. S. 266. 267.
5) Pollock and Maitland, a. a. •)., 1, S. 470. Siehe auch Gross,
a. a. 0., I. S. 172: Rigg, Select Plcas, Starrs and other Records from the
Roll» of the Kjchcqucr of the Jews A. I). 1220—1284 (Seid. Soc.), S. XX:
llaaeltiiie, The Kxehcqucr of the Jews (I.aw tjuarterly Review, Ud. Will;-
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•279
Siegel des Schuldners, mußte aus zwei Teilen bestehen; einer der-
selben wurde dein jüdischen Gläubiger übergeben, der andere, der
„pes“ oder Fuß, wurde in dem gemeinsamen Kasten (ehest oder
arc) deponiert1)- Alle Übertragungen von Obligationen von seiten
der Parteien oder Zahlungen der letzteren mußten in die Proto-
kolle des offiziellen Vorstandes eingetragen werden“). Späterhin
wurden gewisse Änderungen in der Organisation dieser Kasten
getroffen. Die Anerkennungen scheinen zeitweise in dreifacher Beur-
kundung ausgestellt worden zu sein, wovon das dritte Exemplar dem
christlichen Schuldner übergeben wurde. Wurde die Schuld bezahlt,
so wurde ein release oder quit-claim, „shetar“ oder „starr um“
von dem Juden ausgeschrieben, und indem er diesen den Beamten,
welche den Kasten in Verwahrung hatten, überreichte, händigte
dieser dem Schuldner den vorschriftsmäßig annullierten „pes“
der Schuldanerkennung zurück*). Um eine Forderung zu verkaufen
oder zn übertragen, mußte der jüdische Gläubiger eine Erlaubnis
seitens des Königs einholen. Im dreizehnten Jahrhundert wurde
von den Juden verlangt, daß sie in Städten wohnten, wo sich
Kästen befanden ').
Wie es scheint, gab es kein Gesetz, welches ausdrücklich die
Juden verhinderte, Land zu besitzen4), und die allgemeine Be-
stimmung, welche sich in gewissen feoffments befindet, daß das
Land keinem Juden verkauft oder verpfändet werden sollte, deutet
darauf hin, daß Juden zuweilen Grundeigentümer waren. Später-
hin verursachte jedoch der Umstand, daß der Jude viel Grundbesitz
erwarb, und obendrein als freehold, einen heftigen Widerspruch
bei den Christen, dessen Resultat das Edikt von 1271 war, gemäß
welchem die Juden hinfort keine free tenements mehr besitzen
■) V'crgl. I’ollock and Maitland, ». a. 0., 1, S. 475.
’) Hovcdcn, 111. S. 266, 267: Gross, a. a. 0., 1, S. 182, 183.
*) Das älteste bekannte „slietar" (aus der Zeit Richard I.) ist zu
linden bei Jacobs, a. a. 0., S. 58.
4) Gross, a. a. <)., I, S. 183 — 186. Betr. der Übertragung von Schuld-
forderungen und verpfändetem Lande durch jüdische Gläubiger siebe Hör wood,
Y. B. 32-33 Ed. I, S. XU, XLH; Y. H. 32-33 Ed. 1. S. 355, 356: Trans-
lation of Untranslatcd Documenta in Stubbs’ Collection, S. 252.
4) Bracton. f. 13.
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•’«0
durften '). Jedoch wurde ihnen seit alter Zeit Land zur Sicherung
ihrer Anleihen, die zu machen sie ja nach England gerufen wurden
waren, verpfändet; und obgleich über das jüdische Pfand wenig
bekannt ist, so scheint es doch ziemlich gewiß, daß der jüdische
Gläubiger sehr selten den Besitz des Landes übernahm, auf alle
Fälle aber sehr selten im Besitze des verpfändeten Landes ver-
blieb3), und daß er als Pfandnehmer nicht als Einer angesehen
wurde, der einen Platz in dem feudalen System der lords and
tenants inne hatte. Das jüdische Pfand scheint in der Tat eine
Form der Sicherheitsstellung gewesen zu sein, welche bis dahin
in England unbekannt war, und der jüdische Gläubiger hatte als
solcher eigenartige Rechte am Lande des Schuldners, wennschon
der letztere den Besitz beibehielt*).
Das jüdische Pfand, welches dem Gläubiger Rechte am Lande
verlieh, ohne daß er den Besitz des letzteren übernahm, war eine
Form der Sicherheitsleistung, die dem Prinzipe des feudalen Grund-
besitzes, welches Übergabe des Besitzes (livery of seisin) verlangte,
strikt zuwiderlief; und diese neue und ausländische Einrichtung
wurde, wie es scheint, möglich gemacht im Interesse des Handels
durch das System der Protokollierung, welches wir eben beschrieben
haben. Dieses System gestattete nicht nur ein freies Handeln in
bezug auf die den Juden zustehenden Forderungen*), sondern
ermöglichte dem Schuldner, im Besitze des Landes zu verbleiben,
das er für seine Schuld verpfändet hatte. Kurz gesagt, die Pro-
tokollierung brachte die Öffentlichkeit mit sich, ohne die beschwer-
liche Prozedur der Übergabe des Besitzes (livery of seisin), und
es ist sehr wahrscheinlich, daß, wären die Juden nicht ver-
trieben worden 5) und wenn das Königsgericht sich der Einführung
') Gross, a. a.O.,1, 8. 203,204: Pollock and Maitland, a. a. O., I,
8. 473. Vcrgl. Jacobs, „The London Jewry, 1290- (in Publications Angl.
Jew. Hist. Exhib., I, S. 20-52) 8. 33.
*) Pollock and Maitland, a. a. 0., II, 8. 123.
*) Pollock and Maitland, a, a. 0., I, S. 469, 473.
4) Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 123, 124: Gross, a. a. O., I,
8. 207. Vcrgl. Gross, a. a. O., S. 191.
s) Die Juden wurden iin Jahre 1290 aus England vertrieben. Horwond,
Y. B. 20-21 Ed. I, Prcface, S. X.
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•281
einer derartigen Pfandform geneigt gezeigt hätte, die spätere
Geschichte des englischen Pfandrechts ganz anders sich gestaltet
haben würde. Es ist sogar möglich, daß das klassische mortgage
durch bedingte Übereignung einer solchen viel einfacheren Form
gewichen wäre1).
Die Verpfandung der lands und tenements an jüdische Gläu-
biger, welche den Besitz nicht übernehmen, geschieht durch Pro-
tokollierung eines gesiegelten schriftlichen Vertrages durch öffent-
liche Beamten beim jüdischen Kanzleigericht oder in gewissen
Städten *).
Um Kapital und Zinsen sicherzustellen, kann der Schuldner
gewisse Grundstücke hypothekarisch belasten5). Bis zum Jahre
1 234 konnte Land in jedweder Besitzform (tenure) belastet werden ;
von dieser Zeit ab waren gewisse Krongüter (crown demesne lands
held in socage or villeinage) hiervon ausgeschlossen4).
Andererseits erstreckt sich die Verpfändung den Worten der
Verpfändungsurkundc nach oft auf das gesamte bewegliche und
unbewegliche Vermögen des Schuldners. Zuweilen sagt der Schuldner
sogar, daß bei etwaiger Zablungsversäumnis seinerseits all seine
Habe, beweglich und unbeweglich, gepfändet werden kann5).
Augenscheinlich wird durch solche Schuldanerkennungen oder bonds,
was bewegliches Vermögen anbelangt, nur ein Recht zur Pfändung
der Sachen, die sich in den Händen des Schuldners befinden, ge-
schaffen, dagegen keine Hypothek oder dingliches Recht, welches
dem Gläubiger gestatten würde, diese Sachen von dritten Personen
*) Pollock and Maitland, a. a. 0-, II, S. 124.
s) Siehe über dieses System der archae und rotuli oben S. 278, 279.
Vgl. Rigg. Jcwish Eich. (Seid. Soc.), S. XIII, XXXVII, 136 (s. v. stallarc).
Über die Protokollierung (enrollinent) von Erkunden beim Great Exchequor
siehe Hall, Red Book of Exchoquer, I, S. XIX-XXXV.
*) Siehe Jacobs, Jews of Angevin England, S. 57, 66. 67, 70-72, 99,
215, 216, 220, 221, 234: Jewish Eich. (Seid. Soc.), S. 45. Über die Ver-
pfandung von Renten und Schuldurknnden (chirographs of debt) siche J acobs.
a. a. O,, 8. 99 ; Jewish Eich. (Seid. Soc.), S. 28, 29, 33, 34, 43-45.
*) Rigg) Jewish Exch. (Seid. Soc.), S. XIII.
5) Siehe Jewish Exch. (Seid. Soc.), S. XIX (Anna. 1), 33, 34, 92-94,
102; Webb, yuestion, App. No. 19, 30, 31. Siehe ferner Jewish Exch.
(Seid. Soc.), S. 67, 68, 91, 93.
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•>82
zu reklamieren '). Es ist jedoch erwiesen, daß durch die Ver-
pfandung von Land an Juden mittelst protokollierter Verträge ein
dingliches Recht zum Zwecke der Sicherheitsstellung geschaffen
wurde. Wenn der Erwerber des durch die Schuld belasteten
Landes sich weigert, die Schuld nebst Zinsen zu bezahlen, so
wird die seisina des l^andes, das er in Händen hat, dem Juden
übergeben *). . .
Hei Zahlungsversäumnis kann der Gläubiger die Klage action
of debt anhängig machen, was die Zwangsvollstreckung zur Folge
hat *). Werden die Rechte aus der Belastung des Lande? geltend
gemacht, so erhält der Gläubiger vom Gericht die seisina des
Landes4). Der Gläubiger kann dann das Land, nachdem er es
auf ein Jahr und einen Tag im Besitz gehabt hat. während welcher
Zeit dem Schuldner noch die Möglichkeit der Wiedereinlösung ge-
') Das jüdische Mobiliarpfaud scheint ein solches mit sofortigem Besitz
des Gläubigers zu sein. Siehe den Aufsatz des Verfassers der vorliegenden
Arbeit, The Eichequer of the Jews (Law Quarterly Review, XVIII, S. 308).
Vergl. ltigg, a. a. 0., S. XIII.
’) Siche Jewish Esch. (Seid. Soc.), S. 18. f>3: Los Estatutes de la
Jeneric, Stats. of Hcalin, I, p. 221 : Madoi, Hist, of Elch., I, S. 233,
Anni. (y). Vgl. den Rechtsfall De Sawston v. Da Senlis. Jewish Eich.
(Seid. Soc.), S. 53. Der Erwerber kann jedoch seinen warrantor auffordern,
seiner Gewährleistung nachzukominen (vouch his warrantor). Siehe den Rcchts-
fall in Jewish Eich. (Seid. Soc.), S. (>3.
s) Unsere Quellen enthalten eine grolle Anzahl von Schuldklagen
lactions of debt). Siehe z. II. Tovcy, Anglia Judaica. S. 42, 43, 50: l*rynne,
Demurrer, part 2, S. 11: Cole, Dokuments of 13th and 14th Centimes,
S. 285 — 332: Jewish Eich. (Seid. Soc.) s. v. Debt.
Der Zwangsvollstreckungsprozess der Lea Estatutes de laJeuerie,
State, of Realin, I, S. 221, 221a ist ziemlich derselbe wie derjenige des
Stat. West. II, c. 18.
4) Siehe Jacobs, a. a. O., S. 57, HO, 231 (und vgl. 233), 234; Webb,
a. a. <)., App. No. 4: Hracton's Note Hook. pl. 301: l’lac. Abb. (Ree. Codi.),
S. 58; .Eichequer Heceipt Roll, 1185" (mit Vorwort von Hubert Hall), S. 31:
Lea Estatutes de la J eue r ie, Stats. of Realm. I, S. 221 a: Goldschmidt,
Geschichte der Juden in England, S. t>9. Anni. 37: Jewish Eich. (Seid. Soc ),
S. XII. XXXVIII (Anm. 1), (J3, und Indei v. v. scisin. Vgl. Rigg, a. a. 0.,
S. XXXV'. Auf ähnliche Weise kann der Rechtsnachfolger des jüdischen
Gläubigers die seisina des verpfändeten Landes pcrpraeceptuin Domini
Hcgis erhalten. Siehe Webb, a. a. ()., App. 6.
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■2*3
geben war, verkaufen ') oder solange behalten, bis er sich durch
die Renten und Erträge für befriedigt hält8).
Während sich das Land in seinem Besitz befindet, hat der
Gläubiger keine feudal seisin. sondern die seisina ut de vadio,
den Besitz als Pfandgläubiger *); diese seisin das Juden oder
seines Rechtsnachfolgers wird vom Gericht geschützt4).
Aus den Quellen, die zu unserer Kenntnis gekommen sind,
ist nicht mit Bestimmtheit zu ersehen, ob das durch die Charters
Richards I. und Johns verliehene Verkaufsrecht besagt, daß das
Land nach Ablauf des Jahres und einen Tages gänzlich dem
Gläubiger verfällt, und ob sein Rechtstitel am Lande durch Erwerbung
des Vorkaufsrechts perfekt wird5), oder ob der Gläubiger ver-
pflichtet ist, dem Schuldner über den aus dem Verkaufe erzielten
Betrag, soweit er den Betrag der Schuld nebst Zinsen über-
schreitet, Rechnung abzulegeu. Es mag sein, daß die noch un-
gedruckten Protokolle des Jewisli Exchequer Antwort hierauf
geben können. Was das dreizehnte Jahrhundert anlangt, so ist
wohl anzunehmen, daß eine Rechnungsablegung im Falle des
Verkaufs stattgefunden hat, genau so wie in solchen Fällen, wo
der Gläubiger seine Fordemng dadurch deckte, daß er die Erträge
des Landes an sich nahm.
') Foedcra, I, S. öl (siehe Jacubs, a. a. 0., S. 134-138): Kotul i
Chartaruni, hrsg. v. Hardy, I, S. 93 (siehe auch Tovey, a. a. 0., S. 62-G4,
und Jacob», a. a. 0., S. 212-214): Goldschmidt, a. a. Ö., S. 21, 22: Kigg,
a. a. 0., S. XIII. Siehe Wcbb, a. a. 0., App. No. 14. Kichard I. Carta
quä plurimae libcrtate» Judeis conccduntur et con firmantur
(1190), Foedera, I, S. öl: Kt liceat predictis Judeis quiete vemlere vadia
sua, post quam cortum crit illos ipsa per unuiu annurn integrum et unuui
diem tonuisse.
*) Siehe unten S. 284, Anm. 1.
3) Siehe Jacobs, a. a. 0., S. 231: Wcbb, a. a. 0., App. No. 4, 8:
Kigg. a. a. 0.. S. XIII, XXXVIII, Anm. 1.
*) Siehe l'lac. Abb. (Ree. Com.), S. G4, 82. 17ö: Kractou’s Note Book,
pl. 301, 1825: Jacobs, a. a. ()., S. 191, 234: Wobb, a. a. O., App. No. G
5) Vgl. Wigmore, The Pledge-tdea, Harv. L. R., X, S. 335: Pollock
and Maitland. a. a. 0., II. S. 90-92. Durch Übereinkommen mit hoch-
gestellten Persönlichkeiten wurde es zuweilen ermöglicht, die Kinlösung auf
unbestimmte Zeit hinauszuschieben, „thus compassing by sharp practicc
what we now eall foreelosnre." Kigg, a. a. 0., S. XXXVII.
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284
Tilgt der Gläubiger tatsächlich seine Forderung aus den
Renten und Erträgen, so besitzt er das Land als vivura vadium.
Der Schuldner kann den Gläubiger durch die Klage action of
Account zur Rechnungsablegung zwingen; hat der Gläubiger mehr
genommen, als ihm zur Deckung der Schuld nebst Zinsen zusteht,
so ist dieser Überschuß dem Schuldner zurückzugeben. Ist das
Land freehold Besitz, so kann der Gläubiger wegen Beschädigung
(waste) belangt werden; der Anspruch auf die Klage action of
Account verjährt, wie es scheint, nicht1)-
II. Die Hypothek zur Sicherstellung von Forderungen
kaufmännischer und an derer Gläubiger (sog. recognizances
and Statutes).
Ein „bond“ ist nach englischem Recht eine gesiegelte Urkunde,
durch welche eine neue und rein persönliche Verbindlichkeit ohne
dingliche Wirkungen geschaffen wird*). Eine „recognizance’)“
jedoch ist eine freiwillige, schriftliche, gesiegelte und in die Ge-
richtsprotokol le eingetragene Anerkennung einer bereits bestehenden
Verbindlichkeit. Die recognizance erzeugt sowohl Rechte in rem,
wie Rechte in personam. Durch dieselbe wird ein Pfandrecht
am Eigentum des Schuldners geschaffen, fast in gleicher Weise,
wie dies durch ein Urteil geschieht. Die hypothekarische Belastung
des Eigentums des Schuldners geschieht behufs Sicherstellung
einer Forderung. Bei Zahlungsversäumnis des Schuldners, des
„conusor,“ können die Rechte aus dieser Sicherheit von dem Gläubiger,
dem „conusee“, mit Hilfe des Gerichts geltend gemacht. Der
Gläubiger kann tatsächlich eine persönliche Klage, ein action of
Debt4), gegen den Schuldner anhängig machen; doch kann er sich
*) Siehe Jcwish Eich. (Seid. Sec.), S. XIÜ, XXXVIII (Anm. 1). LVII,
10-27, 43-45, 89-91: Chapitles T u c li n u « i La flyncrie, Jcwish Exch.
(Sold. Soc.), S. LXI: Les Estatutc* de la Jeucrie. Stats. of Kealm, l,
S. 221a: Jacobs, a. a. ().. 233.
*) Siehe Shcppard, Touchs tone, S. 3457, 395a: Pollock and Mait-
land, a. a. 0., II, S. 225, 227.
*) Siehe Blackstone, II. c. 20, §2. Andere Bezeichnungen für die
recognizance sind .bond of rccord", .contract of reeord“. .ncknowledgincnt
or Obligation of rccord". Siehe Bacon, Abridgnient, tit. Kxecution (B), § 1:
Pollock and Maitland, a. a. 0., II, S. 204.
') Über die Action of Debt siehe oben S. 35. 158, 160 — 164.
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•285
gleichzeitig seines weiteren Rechts, seines dinglichen Rechts be-
dienen, welches es ihm ermöglicht, Eigentum des Schuldners, da>
durch die Hypothek belastet ist, mit heranzuziehen, gleichgültig,
ob das Eigentum zur Zeit der Vollstreckung noch in den Händen des
Schuldners selbst oder in den Händen eines Käufers sich befindet.
Welches ist nun die Bedeutung einer recognizance im Im-
mobiliarrecht und besonders im Immobiliarpfandrecht?
In den Jahrhunderten unmittelbar nach der normannischen
Eroberung erreichte das feudale System des Grundbesitzes eine
hohe Entwickelung ') und die Unveräußerlichkeit ohne die Erlaubnis
des Grundherrn des freehold tenant war eins der vornehmsten
Prinzipien des Systems2). Es war auf Grund dieses Prinzipes
des feudalen Systems, daß das ältere gemeine Recht die Zwangs-
vollstreckung in Land lur Schulden oder Schadenersatz ver-
hinderte, denn andernfalls hätte dem Grundherrn gegen dessen
Willen ein neuer tenant aufgedrängt und eine Veräußerung des
Landes durch diesen verwickelten Prozeß, der dem Geiste des
feudalen Systems widersprach, herbeigefUhrt werden können1).
Ähnlich verhinderten die feudalen Prinzipien die Fortnahme der
Person des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung behufs
Beitreibung der Schuld, denn auf diese Weise würde dem Grund-
herrn die Möglichkeit entzogen worden sein, über die Dienste
seines tenant verfügen zu können. Das Meiste, was nach altem
gemeinen Recht der Gläubiger im Wege der Zwangsvollstreckung
behufs Tilgung seiner Forderung erlangen konnte, war das Mobiliar
und die Kenten und Erträge des Landes, welches der Schuldner
besaß.
') Siehe Butler, Anin. VI (I) zu Oo. Lit. 191a; Williams, a. a. 0.
S. 12-15. 37. Betreffs eines Vergleiches des englischen Feudalsystems mit
dein Lehnswesen des Continents siehe Butler, Anm. zu Co. Lit, 191a.
*) W right, a. a. 0., S. 154 ff.: Butler, Anm. (VI, 5) zu Co. Lit. 191a :
Williams, a. a. ()., S. tifi, 359, 359. Siehe aber Williams, a. a. O., S. Ml,
Anm. (p.).
Unter der Regierung Johns scheint von der Erlaubnis zur Verpfandung
von Land häutig Gebrauch gemacht worden zu sein. Rot. Pat., I, 3. 1, 7,
59; Pollock and Maitland, a. a. 0„ I. S. 341, Anm. 3.
3) Bacon, Abr. tit. Execution (A): Wright, a. a. O., S. 170; Cootc,
Mortgage, 2. Aull., S. t!6. Siche Butler, Amu. (VI, 5) zu Co. Lit. 191a
uud Wright, a. a. O.. S. 170, Anui. (b).
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Nach und nach wurde es zur Gewohnheit, diese strikte Kegel
gegen die Veränderlichkeit im Interesse des tenant weniger schroff
zu handhaben1), und im Jahre 1290 ermöglichte das Statute of
Quia Emptores*) die volle und freie Veräußerliehkeit der estates
in fee simple.
Die Sicherheitsleistungen durch recognizance haben eine be-
sondere Bedeutung in der Geschichte des Immobiliarrechts, indem
sie das Bestreben veranschaulichen, selbst vor der Quia emptores
die Einschränkung der Veräußerliehkeit zu durchbrechen5). Eine
wirksame Handhabe zur Sicherung und Durchführung einer prompten
Zahlung von Schulden scheint für die Entwickelung des englischen
Handels im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert äußerst not-
wendig gewesen zu sein. Die Protokollierung der recognizances
trug in beträchtlichem Umfange zur Schaffung einer solchen
Möglichkeit bei *), denn durch die writs, welche zur Geltendmachung
der Rechte aus solchen recognizances als Zusatz zu den alten ge-
meinrechtlichen writs of fieri facias und levari faeias, vor-
gesehen waren, konnte sich jetzt der Gläubiger sowohl an das
Mobiliar, wie an das Immobiliar, außerdem aber auch an die
Person des Schuldners selbst halten. Die alte Regel gegen die
Veräußerliehkeit war hier zu Gunsten des Standes der Handel-
treibenden durchbrochen worden 5).
Weiterhin haben Schuldanerkennungen eine Bedeutung im
Pfandrecht, indem sie die frühen Phasen der Entwicklung des
Hypothekenwesens in England illustrieren. Man nimmt an, daß
wenn die Kaufleute durch die Schuldanerkennung eine hypothe-
karische Belastung des Landes herbeiföhrten , dies hauptsächlich
darin seinen Grund hatte, daß sie sich nicht mit dem sofortigen
,) Williams, n. a. 0., S. 38, 359. Siehe Wrigbt, a. a. 0., S. 170.
Anm. (a): Bacon, Abr. tit. Kxecution 'A): Keeves, a. a. 0., I, S. 243-247.
*) 18 IM. I, st. 1, Stats. of Kcalni. I, S. 106.
3) Williams, a. a. 0., S. 202; Hlackstone, II, c. 10, § V.
4) Blackstone, IV, c. 33. $ 111: Cun ni nghain, The Uruwth ofKngliab
Indnstry aml Commerce during the Early and Middle Ages, 3. Aull., S. 222.
Anm. 3, 281-283, 290. Siehe ferner über die ökonomische Bedeutung dieser
Pfandformen Bacon, Abr., tit. Kiecution (A): Keeves, a. a. O., II, S. 270
bis 279: I’algravc, Dictionary of Political Economy, III, S. 470, 471:
I! ogers. Industrial and Commercial Historv of England (1892), S. 71, 72.
ft) Siehe I"1 int off, Conveyancing, S. 243.
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'2X7
Besitz des Landes befassen wollten. Zahlte der Schuldner nicht,
so konnte natürlich die Notwendigkeit für den (»laubiger eintreten,
den Besitz zu übernehmen und die Schuld aus den Renten und
Ertrügen zu tilgen. Aber bis zur Zahlungsversäumnis war sein
hypothekarisches Recht, welches, wenn nötig, mit Hilfe des ge-
samten Apparates des gerichtlichen Vollstrecknngsverfahrens durch-
geführt werden konnte, alles was er brauchte, denn er war jetzt
ein sichergestellter Gläubiger').
Die Geschichte der Entwickelung der Rechte des Gläubigers
gegen die Person des Schuldners und dessen Eigentum in der
Zeit von der normannischen Eroberung bis auf den heutigen Tag
ist lang und verwickelt und kann hier nicht eingehend besprochen
werden. Alles, was wir zu tun gedenken, ist, die mittelalterliche
Gesetzgebung, durch welche die Schuldanerkennungen geschaffen
wurden, in großen Umrissen zu skizzieren.
Die Schuldanerkennungen wurden vom gemeinen Rechte
geschaffen , wennschon gewisse Arten späterer Sehnldaner-
kennungen ihre Existenz besonderen Gesetzen verdanken. Dieser
Unterschied mit Bezug auf den Ursprung muß berücksichtigt werden,
denn bei der späteren Betrachtung der Geltendmachung der
Rechte aus der Sicherheitsstellung ist dieser Punkt von besonderer
Wichtigkeit.
Ferner muß scharf unterschieden werden zwischen Schuldan-
erkennnngen, deren sich gewöhnliche Gläubiger, und solchen, deren
sich kaufmännische Gläubiger bedienen. Der gewöhnliche Gläu-
biger ist in der Lage sich erstens der Schuldanerkennungen des
gemeinen Rechts und zweitens besonderer Schuldanerkennungen,
welche durch das Statute of Westminster the Second*) und durch
das Statute 23 Henry VIII3), bekannt als „Statutes elegit“ und
„recognizances in the nature of a Statute staple“ geschaffen
wurden, zu bedienen. Dem kaufmännischen (»läubiger stehen be-
sondere Schuldanerkennungen zu Gebote. Erstens, diejenigen,
geschaffen durch das Statute of Acton Burnel4) und durch das
') Siehe unten S. 303.
•') 13 Kd. I, c. 18 (A. I) 128.1), Stats. of Kealm, I, S. 82.
*) Stats of Realin III, S. 372, 373.
«) 11 Ed. I. (A.H. 1283), Stats. of Kealm. I, S. 53. 54.
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28«
Statute of Merchant« l) und bekannt als „Statutes merchant“, und
zweitens, diejenigen, geschaffen durch das Statute of the Staple*)
und bekannt als „Statutes staple.“ Die historische Entwicklung
war folgende: 1. Becognizances nach gemeinem Recht, 2. „Statutes
merchant“, 3. „Statutes elegit“, 4. „Statutes staple“, „recog-
nizances in the nature of a Statute staple.“
Schon im dreizehnten Jahrhundert und vor der Gesetzgebung
Eduards I. wurden die Judicats-Hypothek und die Hypothek durch
recognizance allgemein angewandt, als ein Mitfel den Gläubiger
sicher zu stellen. Es ist möglich, daß zum wenigsten die Schuld-
anerkennung schon viel früher im Gebrauch war, wennschon das
früheste Beispiel, welches wir aufgefunden haben, erst aus dem
Jahre 1201 herrührt*),
Wenn der Gläubiger nicht gewillt war, sich auf das bloße
Wort oder selbst auf die gesiegelte Urkunde (bond) des Schuldners
zu verlassen, so konnte er die Schuld zu einer Judikatssthuld
machen und sich somit den Vorteil des gerichtlichen Vollstreckungs-
verfahrens sichern, ohne die Weiterung, bei Nichtzahlung des
Schuldners behufs Wiedererlangung seines Geldes erst klagen zu
müssen. Der Gläubiger mußte in erster Linie eine Schuldklage
(action of Debt) erheben und dies sogar noch, bevor das Geld
hergeliehen worden war. Diese Klage, gegen welche ein Einspruch
von dem Schuldner nicht erhoben wurde, hatte sofort ein Urteil
zu Gunsten des Gläubigers zur Folge. Bei Nichtzahlung am
Stichtage erhielt der Gläubiger, der jetzt ein judgment creditor
war, auf seinen Antrag, als sich von selbst verstehend und ohne
weitere Umstände, ein Zwangsvollstreckungsmandat (writ of eie-
cution ) ‘).
Die Schuldanerkennung scheint jedoch viel häufiger angewendet
worden zu sein, als das judgment. Die Parteien erschienen vor
Gericht, nicht um ein judgment zu erlangen, sondern um eine
Eintragung in die Gerichtsprotokolle vornehmen zu lassen, was
zuweilen dem Kompromisse bei einer Schuldklage ähnlich sah.
>) 13 Kd. I, (A.D. 1285), Stats. of Rcalm, I, S. 98-100.
*) 27 Kd. III, st. 2, c. 9, (A. D. 1353), Stats. of Rcalm. I, S. 336, 337.
’) Solcct Civil Pleas (Seid. Soc.) pl. 102: Coote, Mortgage. S. 82:
Pollock and Maitland. a. a. ()., II, S, 203, 204.
*) Pollock and Maitland, a. a. ()., II. S. 203, 204.
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289
Bei dieser Eintragung gab der die Anleihe Aufnehmende zu
(recognoscit, cognoscit1 * *), daß er der andern Partei eine Summe
Geldes schulde, und versprach, dieselbe zu einer gewissen Zeit
zurückzugeben. Gleichzeitig willigte er ein (granted), daß, sollte
er nicht zur rechten Zeit bezahlen, der Sheriff den Betrag der
Schuld aus seinem Lande und sonstigen Eigentum erheben darf*).
Diese Schuldanerkennung oder „contract of record“ oder
„acknowledgement or Obligation of record“ war dem judgment
gleichwertig. Machte der Gläubiger innerhalb eines Jahres und
eines Tages nach dem für die Zahlung festgesetzten Tage seinen
Anspruch geltend, so war ein Zwangsvollstreckungsmandat die selbst-
verständliche Folge, ausgenommen der Schuldner hatte inzwischen
die Schuld bezahlt und eine Annullierung (vacation) der Eintragung
der Schuldanerkennung im Protokolle veranlaßt5).
Von den Protokollen (rolls) der Chancery und des Exchequer
wurde behufs Eintragung von Schuldanerkennungen allseitig Ge-
brauch gemacht; dies ist wohl zum Teil darauf zurückzuführen,
daß einige der Kanzleibeamten gleichzeitig bedeutende Geldver-
leiher waren. Die Praxis der Eintragung von Schuldanerkennungeu
scheint jedoch eine sehr alte zu sein und ihre Ähnlichkeit mit dem
endgültigen Vergleich, dem „fine of land“, der in jener Zeit sogar
manchmal ein Versprechen zur Zahlung einer Schuld in sich
schloß, die durch Zwangsvollstreckung beigetrieben werden konnte,
darf nicht unberücksichtigt bleiben4).
Die gemeinrechtlichen Zwangsvollstreckungsmandate des drei-
zehnten Jahrhunderts, das fieri facias und das levari facias,
ermöglichten es dem Gläubiger, der sich ein judgment verschafft
oder die Protokollierung der Anerkennung hat vornehmen lassen,
sich an das Mobiliar (goods and chattels) und die Erträge des
Landes zu halten, wenn der Schuldner es versäumte, seiner Ver-
l) Daher der Name „rocognizance“.
*) Sei. Civ Pleas, (Seid. Soc ), pl. 102; Pollock and Maitland,
a. a. 0., II, S. 203, 204. Uber die gemeinrechtliche rccognizance vor der Ge-
setzgebung Edward 1. siebe auch Bacon, Abr., tit. Execution.
*) Black stonc, III, c. 26, §5; Pollock and Maitland, a. a. O., II,
S. 204.
4) Pollock and Maitland. a. a. O.. II, S. 204. Beispiele von „fines
of land“ sind zu linden bei Hunter, Eines sive Pedes Finiuui.
Hazeltlne, Kngliscbes Pfandrecht 13
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■290
pflichtung nachzukommen '). Die Gesetzgebung Eduards I.,
Eduards III. und Heinrichs VIII. ermöglichte es dem Gläubiger,
sicli auch noch an das Land selbst, sowie an die Person des Gläu-
bigers zu halten.
Ganz besonders die Kaufleute scheinen seitens des gemeinen
Hechts bei der Eintreibung ihrer Forderungen unzureichenden
Beistand gefunden zu haben. Sie klagten (Iber die Verzögerungen
und Weitläufigkeiten des Rechtssystems, und viele Kaufleute,
welche verarmt waren, verließen das Land*), l'm den verlangten
Beistand leisten zn können und um damit nicht nur eine weitere
Auswanderung der ausländischen Kaufleute aus dem Lande zu
verhindern, sondern Englands wachsenden Handel auch noch weiter
zu entwickeln, schuf das Parlament im Jahre 1283 den Act of
Acton Burnel, der zwei Jahre später durch das Statute of
Merchants ergänzt wurde. In der Tat zeigeu uns die Können
der Sicherheitsleistung und die schnellen und wirksamen Prozesse
zu ihrer Durchführung, welche durch diese Gesetze und die Ge-
setzgebung Eduards III. zum ausdrücklichen Nutzen sowohl der
inländischen wie der ausländischen Kaufleute geschaffen worden
waren, wie die allgemeine Politik des dreizehnten und vierzehnten
Jahrhunderts den Handel und das Gewerbe zu fördern bestrebt
war *).
Die Schuldanerkennungen, welche durch diese beiden Gesetze
in den Jahren 1283 und 1 285 geschaffen wurden, wurden bekannt
als „Statutes merchant“ Mit Hilfe dieser Sicherheitsstellung konnte
der Kaufmann die Person, das Mobiliar und das Immobiliar des
Schuldners in Anspruch nehmen. Die Eintragung (enrollment)
des Statute merchant schuf eine Hypothek an dem gesamten
Lande des Schuldners und ermöglichte es dem Gläubiger, das
') Pollock and Maitland, a. a. O., II, 8. 506; oben S. 37.
s) Slat. Acton Bumol, 11 Ed. I, Stats. of licalm, I, S. 53: Stat. Merch.,
13 Ed. I, Stats. of Kealm. I, S. 08; Rcevca, a. a. 0., II, 8. 71.
3) Sieh« Bacon, Abr.. tit. Exccution (B), § 1 : Coote, Mortgage, S.GSfT.;
\Vui8. S a u n d e r s , II, S. 2 1 6, Amn. 3; Blackstone, IV, c. 33, § III : Cnnning-
hani, a. a. 0., S. 134-368; Itccves, a. a. 0., II, S. 276 ff.; Glasson, a. a. 0.,
II, S. 238-243, V, S. 108-110: Pollock and Maitland, a. a. O., II, S. 597.
4) Über die recognizance in den lokalen KechtsgebrSuchcn der Stadt
Ipswich siehe Black Book of Admirally. II. >S. 115; ('unningham, a. a. 0.,
S. 222, Anui. 3, 281.
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•291
Land anch dann zu erreichen, wenn es sich in der Hand dritter
Personen befand. Bei Zahlungsversäumnis übernahm der Gläubiger
selbst den Besitz des Landes, sodaß er die Schuld aus den Kenten
und Erträgen tilgen konnte.
Wie es scheint, haben die Vorteile, welche das Statute of
Acton Burnel im Jahre 1283 schuf, von seiten der Gläubiger
mißbräuchliche Anwendung gefunden. Ein Gesetz Eduards II.
aus dem Jahre 1311') beschränkt die Handhabung des ersteren
auf merkantile Transaktionen zwischen Kaufleuten unter sich und
erklärt, daß auf Grund des Stiltute of Acton Burnel nur burgage
land und Mobiliar des Kaufmanns dem Gläubiger übergeben werden
soll, und daß das burgage land einzubehalten sei „in the name
of frank tenement by virtue of the said Statute.“ Das letztere
Gesetz bestimmte fernerhin 12 Städte, in denen allein die Schuld-
anerkennungen in Gegenwart von vier Zeugen entgegengenommen
werden durften, und das Siegel des Königs, dazu bestimmt, die
Rechtmäßigkeit solcher Scluildanerkennnngen zu bezeugen, sollte
den „reichsten und weisesten“ Männern, die von den commonalties
für diesen Zweck bestimmt wurden, übergeben und von ihnen auf-
bewahrt werden.
Gleichzeitig verfügen die Gesetze Eduards I. ausdrücklich,
daß der Kanzler und die Richter des Exchequer und anderer Ge-
richtshöfe nicht ihrer alten Rechte, die gemeinrechtliche Schuld-
anerkennung entgegenzunehmen, verlustig gehen sollten. Bei diesen
gemeinrechtlichen recognizances hatte der Gläubiger, sei er nun
common creditor oder merchant creditor, bei Zahlungsversäumnis
des Schuldners noch immer ein Recht auf die common law writs
offieri facias und levari faeias. Nach dem Statute of West-
minster the Second vom Jahre 1285 hatte jeder Gläubiger, der
sich ein judgment verschafft oder die Eintragung der Schuldan-
erkennung veranlaßt hatte, fernerhin ein Recht auf das writ of
elegit. Nur wenn der Gläubiger den wirksameren Schutz des
Statute merchant wünschte, mußte er gemäß den Bedingungen
des Statute of Acton Burnel und des Statute Merchant verfahren.
Im Jahre 1285, dem Jahre der Annahme des Statute of
Merchants, wurde ein neues writ, das writ of elegit, durch das
*) Stab. 5 Kd. II, c. 33, Stals, of Realm, I, S. 165.
19*
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aogle
292
Statute of Westminster the Second geschaffen Unterließ es der
Schuldner, trotz judgment oder protokollierter Schuldanerkennung,
zur rechten Zeit zu zahlen, so konnte der Gläubiger, gleichgültig,
ob merchant creditor oder nicht, die Hälfte des Landes des Schuldners
auf Grund dieses neuen writ in Besitz nehmen, sofern nicht
genügend Mobiliar vorhanden war, um daraus die Schuld zu decken.
Aus den Renten und Erträgen des Landes mußte dann der Gläu-
biger das dem Schuldner geliehene Geld herausholen.
Unter der Regierung Eduards III. wurde noch eine weitere
Form der Sicherheitsstellung im Interesse von Handel und Gewerbe
eingeführt *). Mit der Ordinacio Stapularum oder Statute of
the Staple3) wurden im Jahre 1352 eine Anzahl ausführlicher
Regeln für die Schaffung und Verwaltung von Stapelplätzen (staples)
für den Export der hauptsächlichsten englischen Produkte auf-
gestellt. Der Markt oder Stapel sollte hinfort nur in gewissen
großen Handelsstädten Englands abgehalten werden, und es wurde
einem englischen Kaufmanne als Verbrechen (felony) angerechnet,
wenn er eins der hauptsächlichsten englischen Produkte exportierte;
die Kaufleute der Stapelplätze wurden durch die lex mercatoria,
nicht durch das gemeine Recht oder lokale Gewohnheitsrecht
regiert*). Man suchte auf diese Weise ausländische Kaufleute zu
veranlassen, das Land zu besuchen, und gedachte dadurch mehr
Wohlstand in das Land zu bringen, als wenn man dem englischen
Kaufmannne gestattete, den ausländischen Markt durch Besuch
der großen Handelszentralen des Kontinents zu erreichen8).
Das Statute of the Staple, c. 9, sah vor, daß die Bürger-
meister der Stapelplätze die Schuldanerkennungen in Gegenwart
') 13 Ed. I, c. 18 (1285), Stats. of Realm, I, 82.
s) Blackstone, IV, c. 33, §111. Siehe auch Carter, Early History
of the Law Merchant in England, LQR., XVII, S. 239.
3) 27 Ed. III, stat. 2, c. 9, Stats. of Realm, I, S. 336. Siehe auch stat.
36 Ed. III, c. 7 (1362), Stats. of Realm, 1. S. 373.
*) Siehe ferner Reeves. a. a. 0.. II, S. 278; Carter, a. a. 0., S. 232
bis 250; Holdsworth, a. a. 0., I, S. 311, 312.
*) Stat. Staple, 27 Ed. 111: Fortescue, De Laodibus Legion Augliac,
S. 70, 71: Coke, 4 Inst. 237, 238; Bacon, Abr. tit, Execution (B), § 1:
Rcotus, a. a. O., II. S. 276-278; Cooto, Mortgage, S. 86, 87: Cunning-
hain, a. a. <>.. 316. 317: Brndhurst. The Merchants of the Staple, (Lt^R-,
XVII, S. 62-74).
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293
eines oder mehrerer Konstabler des Ortes entgegennahmen, und
dal! nach Anerkennung der Schuld gesiegelte Schriftstücke oder
Obligationen auszustellen waren. Wie es scheint, konnte jeder
Schuldner eine derartige Anerkennung vornehmen; aber diese durfte
nur Schulden an Kaufleute der Stapelplatze betreffen und mußte
aus diesbezüglichen Handelsgeschäften (staple transactions) er-
wachsen sein. Die neue Form der Sicherheitsstellung oder recog-
nizance wurde bekannt als „Statute staple.“ Sie schuf eine Hypothek
am Lande des Schuldners, und das Zwangsvollstreckungsverfahren
gegen die Person, Mobilien und Immobilien desselben war schnell
und ähnelte sehr demjenigen des „Statute merchant“ *).
Obgleich die Sicherheitsleistung gemäß dem Statute of the Staple
nur zu Gunsten der Kaufleute in den Stapelplätzen und für Stapel-
geschäftc beabsichtigt war. wurde diese Form der Sicherheitsleistung
auch von anderen Personen, welche nicht Kaufleute an den Stapel-
plätzen und für Schulden, die nicht Stapelschulden waren, ange-
wendet. Das Statute of 23 Henry VIII, c. 6 (1531 — 32) unter-
sagte streng derartige Geschäfte, indem es erklärte, daß das Statute
staple nur zu den ursprünglich bestimmten Zwecken Anwendung
finden sollte. Der Vorteil dieser neuen Form der Sicherheitsleistung
war jedoch so groß, daß das Gesetz gleichzeitig eine weitere Form
von Sicherheitsleistung derselben Art schuf, welche von allen
Gläubigem angewendet werden konnte und unter der Bezeichnung
„recognizance in the nature of a Statute staple“ bekannt ist.
Diese Pfandform sollte dasselbe Verfahren haben und dieselben
Vorteile gewähren, wie das „Statute staple“ selbst*).
Eine Immobiliarverpfändung mit Besitz des Schuldners an
Gläubiger, die nicht Juden sind, entsteht daher durch ein Urteil
oder durch die Protokollierung der Schuldanerkennung durch die
courts of record oder durch ordnungsmäßig autorisierte öffentliche Be-
amte von Städten, Stapelplätzen und Märkten. Durch das Urteil
*) Siehe Stat. Staple, c. 9: Stat. 23 Henr. VIII, c. 6, Stats. of Realin,
III, S. 372, 373: Butler, Anm. (VI, 9) zu Co. Lit. 191a: Tidd, Practice,
n, S. 1 101, Anm. (d).
*) Stat. 23 Henr. VIII, c. C, “Stats. of Realrn, III, S. 372, 373: Butler,
Anm. (VI, 9) zu Co. Lit. 191a: Bacon, Abr. tit. Exccution (B), § 1; Tidd,
a. a. 0., II, S. 1101, 1102: Wma. Saundors, II, S. 218, Amn.(c); Beeves,
a. a. 0., in, S. 289. Siehe auch Stat. 32 Henr. VIII, c. 5 (1540), State, of
Realm, III, S. 750.
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294
oder die Schuldanerkennung im Sinne des Statute of Westminster the
Second werden Ländereien, welche zur Zeit des judgment ödes der
recognizance Eigentum des Schuldners sind, und nach späterem
Recht auch Land, das er nachträglich erwirbt, belastet, doch konnte
mit Hilfe des writ of elegit bis vor kurzer Zeit nur die Hälfte
des Landes dem Schuldner oder einem anderen, der das belastete
Land vom Schuldner erworben hatte, genommen werden. Im An-
fänge seiner Entstehungsgeschichte wird durch das protokollierte
„Statute“ oder die Schuldanerkennung, verbunden mit dem Auf-
setzen einer gesiegelten Obligation auf (»rund des Statute of
Merchant und der anderen bereits erwähnten Gesetze, alles das-
jenige Land belastet, welches bei Abgabe der Schuldanerkennung
Eigentum des Schuldners war; und gemäß späterem englischen
Rechte wurde auch nachträglich seitens des Schuldners erworbenes
Land durch die recognizance belastet').
Hei Zahlungsversäumnis des Schuldners kann der Gläubiger
auf Grund der Obligation die Schuldklage anhängig machen*).
') Siehe Stat. Acton Bumel, 11 Ed. I; Stat. Merch., 13 Kd. I: SUt.
West. II, 13 Ed. I, c. 18: Stat. 5 Ed. II, c. 33: 14 Ed. III, stat. 1, c. 11;
Stat. Staple, ‘27 Ed. III, stat. ‘2, c. 3: stat. 36 Ed. III. c. 7: stat 10 Hen. VI,
c. 1: stat. 23 Hen. VIII, c. 6: stat. 32 Hen. VIII, c. 5; stat. 2 & 3 Ed. VI.
c. 31: Keg. Brcv. f. 146-153, 299: Vincr, Abr. tit. Stats. Merchant etc.:
Bacon, Abr. tit. Execution (B); Kollc, Abr. I, 311. 892, II, 4G6, 472, 473:
Brooke, Abr. tit. Stat. Merch. 4i Stat. Staple: Fitzherbert, Natura
Brevium, f. 266, 267 D; Coke, 2 Inst. 395, 396, 679; Co. I.it. 289b, 290a:
Wright, a. a. 0., S. 170, 171: Lilly, I'ract. Keg. II, S. 658, 659; Black-
stone, Band II, c. IO § IV, V, Band II, c. 20, Band III, c. 26 § 4, Band IV,
c. 33, § III; Anm. (VI, 9) zu Co. I.it. 191a; Tidd, Practice, II, S. 1101,
1102; Wni8. Sannders, II, S. 197, Anm. (a), 199, Anm. (c), 208, Anm. (u),
217, Anm. (3), 218, Anm. (c); Recves, a. a. O., II, S. 96, 97. III, S. 289:
Williams, a. a. 0., S. 262, 263, 266, 283, 284, 371, 372, 407, 408. Über
modernes Recht siehe Cooto, Mortgage. 2.Autl., S. 68, 72, 82, 83: Williams,
a. a. 0., S. 261 ff.
Es scheint vollkommen dem Geiste des mittelalterlichen Rechts zu
entsprechen, daß, obgleich Mobilien, wenn sie sich in den Händen des
Schuldners befinden, den Bedingungen des .Statute merchant“ oder .Statute
staple“ unterworfen sind, nicht reklamiert werden können, wenn sie sich in
den Händen von dritten Personen befinden. Siehe unten S. 303. Vgl. auch
oben 8. 281, 282.
*) Siche Stat. Merch., 13 Ed. I: Stat. 23 Hen. VII, c. 6; Fitzherbert,
Xat. Brcv. f, 122 1): Viner, Abr. tit. Stat. Merch. etc.: Brooke. Abr. tit.
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295
Macht sich jedoch der Gläubiger die besonderen Rechtsmittel aus
der Schuldanerkennungzu Nutze, so geht der Besitz des hypothekarisch
belasteten Landes — ganz gleich, ob es sich jetzt in den Händen
des Schuldners selbst, oder seines volljährigen Erben oder in den
Händen des feoffee des Schuldners befindet — auf den Gläubiger
oder dessen persönlichen Stellvertreter oder Rechtsnachfolger über
und verbleibt hier, bis der Betrag der Forderung entweder
bar bezahlt oder aus den Renten und Erträgen getilgt ist, oder
bis das Recht des Schuldners am Lande abgelaufen ist').
In Hinsicht auf die Geltendmachung der Rechte aus dieser
Hyjtothek hat daher der Gläubiger das Land als ein „gage“ in
Form des vivum vadium in Besitz*). Die Gesetze und die auf
Grund derselben eingeführten writs konstatieren, daß der Gläubiger
das Land besitzt (holds or is seised of the land) en noun de
frank tenement, ut liberum tenementum, indem sie ihm,
resp. seinem Testamentsvollstrecker oder Rechtsnachfolger gleich-
zeitig das Recht auf die possessorischen Klagen des Novel Disseisin
und des Hedisseisin des freeholder verleihen. Ja, das Statute of
Staple erklärt ausdrücklich, daß der kaufmännische Gläubiger
faktisch ein „estate of freehold“ (estat de franktenement)
haben soll. In der Rechtsliteratur wird der Glänbiger im Besitz
„tenant by Statute“ genannt und es wird gesagt, daß er ein
„estate by Statute“, ein „conditional estate“, ein „estate defeasible
on condition subsojiient“ 3) habe. Trotzdem sind jedoch die Rechte,
Stal. Murch. etc.: Bacon, Abr., tit. Kxecution (B). Betreff« eines „Statute
staple“ siehe jedoch Viner, Abr. tit. Stat, Merck, etc.: Lilly, a. a. O.,
II, 8. 659.
*)8tat. West. II, c. 18: StaLMercb., 13F.il. I: Stat. Staple. 27 Ed. III, c. 9:
Y.B. 15 Ed. II, 327: Y.B. 15 Henr.VII, 16: Y.B. 2 Kich.III, 8: Y.B. 17 Ed.III, 3:
Keg. Brer. f. 22: Fitzherbert, a. a. O., f. 130 132. 266A; Fitzherbert,
a. u. 0., 8. Aull., S. 304, Anut. (a): Bolle, Abr. I, S. 311, II, S. 472-475,478;
Brookc, Abr., tit. Stat. Marc., pl. 16, 43, 49, 50: Viner, Abr., tit. Stat.
Merck, etc.: Bacon, Abr., tit. Execution (B): Coke, 2 Inst. 395, 396. 471,
678-680; Co. Lit. 290a; Blackstone, II, c. 10, §5, III, c. 26, § 4; Wms.
Saunders, II, S. 220, Anni. (8), 221, Anm. (3), 260, (Anm. (6); Tidd.
a. a. 0., II, S. 1088, 1084; Williams, a. a. 0., S 268. Vgl. Williams, a. a. O.,
S. 281, 282. Über das Verkaufsrecht eines durch Urteil sicher gestellten
Gläubigers nach heutigen) engl. Hecht siche Williams, a. a. 0., 8.268.
*) Siehe Coke, 2 Inst., 679, Anm.: Blackstone, II, c. 10, § IV.
s) Siehe Keg. Brev. f. 299; Kastell, Entries, 543, 545: Fitzherbert,
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•296
die der Gläubiger am Lande bat, bis jetzt noch nicht genau prä-
zisiert worden.
Man könnte im ersten Augenblick geneigt sein, anzunehmen,
daß es die Absicht des mittelalterlichen Gesetzgebers war, dem
Gläubiger tatsächlich ein freehold estate zu geben; und nach der
Ungewißheit der Besitzform, die in Wirklichkeit quousque war,
könnte es scheinen, daß diese „estates by Statute“ nach strikter
Reehtstheorie als freehuld estates behandelt werden sollen So-
weit ging jedoch das Recht nicht. Die Gesetze wurden dahin
ausgelegt, daß der Gläubiger ein auf seinen Erben übertragbares
freehold estate nicht besitze, sondern ein chattel real, das beim
Tode des Gläubigers auf den Testamentsvollstrecker überging*).
Lord C o k e in seiner eigentümlichen Ausdrucksweise nennt
das Wort ut in dem Satze ut liberum tenementum nur „simili-
tudinary“, d. h. der tenant by Statute hat nur ein „similitude of
a freehold, but nullum simile est idem“5).
Da das Recht des Gläubigers am Lande demnach ein ding-
liches Recht (chattel real) war, das gleichzeitig durch die dem free-
holder zustehenden possessorischen Klagen geschützt war, so gewann
der Stand der Handeltreibenden, zu deren Gunsten diese Formen der
Sicherheitsstellung hauptsächlich eingeführt worden waren, dadurch
zwei höchst wichtige Vorteile. Das Besitztum des Gläubigers,
seines Testamentsvollstreckers oder seines Rechtsnachfolgers war
vollkommen sichergestellt, denn sobald sie vom Lande vertrieben
wurden, konnte letzteres durch eine possessorische Klage zurück-
genommen werden4). Fernerhin ging beim Tode des Gläubigers
Nat. Brav., f. 178 G. 1891: Rolle, Abr., II, 475: Coke, 2 Inst., 398:
Blackstone, Band II, c. 10, § IV, V, Band III, c. 26. § 4: Wms. Saunders,
II, S. 203, Anm. (1); Williams, a. a. 0.. 8. 268. Siehe auch ferner Y. B.
2 und 3 Ed. II. (1308-9), (Seid. Soc.), S. 67, 68.
*) Siehe Butler, Anm. zu Co. Lit., 208a: Leake, Digest, S. 205.
Vgl. Fitzherbort, a. a. 0., f. 178 G.
5) 28 Ass. pl. 7: Fitzherbert, a. a. 0., f. 178; Coke, 2 Inst 396:
Co. Lit. 42a, 43b: 4 Co. 82a, Corbet's Case: Blackstone, II, c. 10, §V:
Butler, Anm. zu Co. Lit. 208A; Leake, Digest, 8.205.
*) Co. Lit 403 b.
*) Vgl. Savigny's Theorie über den abgeleiteten Besitz des Pfand-
gläubigers. Betreffs der Literatur und einer Kritik dieser Theorie siche
Dernburg, Pandekten (1900), 1. § 172. Siehe auch Puchta, Institutionen.
(1893), 11, § 229: Dernburg, Das bürgerliche Recht. (1904;, 111, § 10.
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•297
nicht nur seine Schuldforderung, sondern auch sein Pfandrecht
zur Sicherstellung derselben auf seinen Testamentsvollstrecker
Aber, nicht auf seinen Erben; das Recht, sagt Blackstone,
„judging it reasonable, froin a principle of natural equity, that
the securitv and remedy should be vested in them, to whom the
debts if recovered should belong“ ').
Dem Gläubiger mit Besitz stehen daher die possessorischen
Klagen des freeholder zur Verfügung; trotzdem verbleibt aber der
Schuldner der eigentliche freeholder (remains seised of his freehold
estate). und sollte der Gläubiger vom Lande vertrieben werden,
so kann auch der Schuldner seine Klage assize of Novel Disseisin
anhängig machen, denn ihm ist gleichzeitig sein free tenement
widerrechtlich entzogen worden. Sobald aber einer der beiden
den Besitz zurückerlangt, soll das Klageverfahren des anderen
eingestellt werden’).
Sobald der Betrag der Schuldforderung des Gläubigers ent-
weder aus den Renten und Erträgen getilgt, oder von dem Schuldner
in bar bezahlt worden ist, hat der Schuldner oder der feoffee des
Schuldners wieder Anspruch auf das Land, das jetzt von der
Belastung befreit ist’). Es scheint, daß in einigen Fällen der
Schuldner (conusor) das Recht hat, den Besitz ohne weiteres wieder
zu übernehmen (right of re-entry). Die übliche Form, wieder in
den Besitz zu gelangen, besteht jedoch in der Klage writ of fieri
facias; durch eine besondere Form dieser Klage kann der Gläu-
biger (conusee) gezwungen werden, die Überschüsse über die
Schuldsumme zurückzu zah 1 en *).
Das mittelalterliche Immobiliarpfand mit Besitz des Schuldners
bis zur Zahlungsversänmnis besteht demnach in der Verpfändung
bestimmter Grundstücke oder aber des gesamten Landes des
') Siche Stat. Merch., 13 Kd. I; Y. B. 1 und 2 Kd. II. (Seid. Soc.),
S. 92, 93; jFitzhcrbert, a. a. 0., 130, 131: Co. Lit. 43b; Blackstone,
II, c. 10, § V: Butler, Anm. zu Co. Lit. 208a.
*) Fitzherbert, a. a. 0., 8. Aufl., S. 412, Anm. (e), unter Citierung
ron 12 Henr. G, 4.
3) Siehe Stat. Merch., 13 Ed. I: Coke, 2 Inst, 39G, 678, 679; und
die in oben S. 294, Anm. 1 citicrtcn Quellen.
4) Siehe Coke, 2 Inst. 679, Anm.; Vincr, Abr. tiL Stat. Merch. etc.
Über die Doktrin des Equityrechts hinsichtlich Rechnungsablegung durch
den Pfandgllubiger (connsee) siehe Sheppard, Touchstone, S. 357, Anm (i).
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•208
Schuldners und die Verpfandung geschieht durch die Proto-
kollierung eines gesiegelten Vertrages. Hinsichtlich der Geltend-
machung der Rechte und der Zwangsvollstreckung bei Zahlungs-
versäumnis des Schuldners ist fernerhin zu unterscheiden zwischen
Nutzpfand und Substanzpfand. Der (»laubiger kann seine Forderung
aus den Renten und Erträgen allein tilgen ; oder aber er kann
Anspruch auf die Substanz der Pfandsache erheben. Das Prinzip
des Nutzpfandes liegt sowohl den jüdischen securities, wie auch
solchen, die durch „Statutes“ oder recognizances geschaffen wurden,
zu Grunde. In dem den jüdischen Gläubigern gegebenen Ver-
kaufsrecht ist das Prinzip des Substanzpfandes zu erblicken, ob-
gleich nicht mit Bestimmtheit zu sagen ist, ob dieses Verkaufs-
recht bedeutet, daß das Land verfallen ist, oder ob beim Verkaufe
der Überschuh dem Schuldner zurückzuzahlen ist: und es ist be-
merkenswert. da LS. sollte das Recht des Schuldners am Lande
ablaufen, während das Land sich in den Händen eines durch eine
recognizance oder „Statute“ sichergestellten Gläubigers befindet,
ein Verfall des Eigentums des Schuldners tatsächlich eintritt.
Es steht danach fest, daß, ob nun der Gläubiger des Mittel-
alters den Besitz sofort übernimmt, oder erst bei Zahlungsver-
säumnis des Schuldners, das pfändrechtliche Prinzip dasselbe ist.
In beiden Fällen ist das Pfand entweder Nutzpfand oder Substanz-
pfand, oder eine Kombination der beiden1); und obgleich der
Verfolg der Entwicklung des Pfandrechts bis auf unsere Tage
jenseits des Zwecks dieser Arbeit liegt, so darf das Gleiche wohl
auch beim heutigen englischen Pfandrecht angenommen werden.
Ain Anfänge des neunzehnten Jahrhunderts fanden die Statutes
merchant und Statutes staple nur wenig Anwendung, da sie zum
grollen Teil durch das Verfahren des eonfessing jndginent auf-
gehoben worden waren In der Tat wurden die Statutes merchant
und staple und recognizances in the nature of a Statute staple,
nachdem sie lange veraltet waren, im Jahre 18(13 durch Parlaments-
gesetz abgeschafft '). Einige der Vorteile dieser Sicherheiten scheinen
jedoch in dem confession of judgment beibehalten worden zu sein,
denn das heutige writ of elegit, durch welches die Rechte aus
') Vgl. Köhler, f’fandrechtliche Forschungen, S. 22 ff.
*) Siche Sheppard, a. a. 0., Aufl. 1826, S. 355, Amn. (f).
3) Stat. 26 & 27 Victoria, c. 125: Williams, a. a. 0.. S. 266, Amn. («).
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•>99
der Judicats-Hypothek (judgment lien) geltend gemacht werden,
ermöglicht es dem Gläubiger, das ganze Land des Schuldners,
welches sich zur Zeit des judgment. in seinen Händen befand
oder später erworben wurde, zu reklamieren. Das Mobiliar des
Schuldners kann auf Grund eines elegit jedoch heutzutage nicht
mehr genommen werden
III. Vermögenshaftung und Hypothek.
Wir möchten hier die Aufmerksamkeit auf die sich mit der
Einsetzung des ganzen Vermögens ft 1 r eine Schuld gemäß älterem
deutschen Recht und nach dem französischen tres ancien droit
befassende jüngste deutsche Literatur verweisen und diese Ver-
mögenssatzung in Verbindung mit dem oben an mehreren Stellen
Aber die Einsetzung des ganzen schuldnerischen Vermögens für
eine Schuld nach englischem Recht des zwölften, dreizehnten und
vierzehnten Jahrhunderts Gesagten in Erwägung ziehen.
Gierke sagt im soeben erschienenen zweiten Rande seines
Werkes über Deutsches Privatrecht8) bei Erörterung des Grund-
pfandrechts im älteren deutschen Recht: „In der Form der neueren
Satzung aber oder in ähnlicher Form wurde auch das Vermögen
als Ganzes für eine Schuld eingesetzt. Eine derartige Vermögens-
satzung begegnet im deutschen Mittelalter vielfach neben der
Haltbarmachung der Person oder auch ohne diese; sie wird meist
auf alles unbewegliche und bewegliche Vermögen, mitunter aber
nur auf das eine oder das andere oder bloß auf einen bestimmten
Teil des Vermögens erstreckt und kann entweder nur für das
gegenwärtige oder auch für das künftige Vermögen ausgesprochen
werden. Allein sie erzeugt nur ein Haftungsrecht, nicht ein
wirkliches Pfandrecht. Ihre ursprüngliche Bedeutung bestand darin,
daß sie die unmittelbare Vermögenshaftung für Schuld überhaupt
erst begründete und damit dem Gläubiger die Möglichkeit eröffnet«*,
im Falle des Verzuges ohne weiteres sich an die verhafteten Ver-
mögensgegenstände zu halten. Auch später aber erschöpfte sich
ihre Wirkung regelmäßig in der Erleichterung des exekutivischen
Zugriffes. Gewere und dingliches Recht gab sie nicht. Sie legte
■) Siehe Williams, a. a. 0., 8. 261 — 287, 371, 372.
*) S. 824, 825.
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300
dem Schuldner eine persönliche Gebundenheit in Ansehung der
Verfügung über das Vermögen im Ganzen auf, begründete dagegen
keine Verfügungsbeschränkung in Ansehung der einzelnen Ver-
mögensstücke und kein Verfolgungsrecht gegen Dritte. Auch ge-
währte sie kein vom Alter der Schuld unabhängiges Vorzugsrecht
bei der Befriedigung. Immerhin war sie befähigt, pfandrechtliche
Elemente in sich aufzunehmen, und konnte hierdurch sich einer
Verpfandung des ganzen Vermögens nähern und nach der Rezeption
in die fremdrechtliche Generalhypothek übergehen“.
In seiner Abhandlung über „Vermögenshaftung und Hypothek" ')
sagt Egger bezüglich der obligatio generalis des tres ancien
droit: „Die Wirkung der obligatio generalis beschrankt sich dem-
nach im typischen Falle auf die schlichte Obligierung der Güter,
aul die Gestattung der Zwangsvollstreckung in dieselben. —
Dieser Betrachtung über den Inhalt unseres Rechtsinstitutes seien
nur noch zwei Bemerkungen beigefügt. Die erste betrifft den
Umfang des mit der obligatio generalis hergestellten Rechtes. Es
ist charakteristisch genug. daß die Obligationsklausel allüberall
— es handelt sich keineswegs um lokale Gewohnheiten — diese
beiden Gruppen von Haftungsgegenständen ausdrücklich namhaft
machen. Nur das gibt die Gewißheit, daß sie gesatzt sind.
Dasselbe gilt von den zukünftigen Gütern, v. Meibom vertritt
die Ansicht, daß auf Grund der Generalsatzung nur die zur Zeit
der Satzung vorhandenen Vennögensstücke betroffen würden. Dies
ist zutreffend für den Fall, daß aus der Einräumung nicht
ein anderes hervorgeht. Völlig richtig bemerkt Stobbe-Lehmann.
daß es auf den Willen der Parteien ankomme, ob die Verpfändung
sich bloß auf das gegenwärtige oder auch auf das zukünftige
Vermögen erstrecke. In unseren Quellen fehlt denn auch regel-
mäßig dieser Einbezug der künftig zu erwerbenden Güter nicht“.
Des Ferneren heißt es’): „Die älteste in Betracht kommende
Form war offenbar die Satzung des Vermögens, weil man nur so
in dasselbe exequieren konnte und weil eben die elementare Funktion,
diese Möglichkeit zu vermitteln, der Vermögenssatzung zukam.
Aus in der geschichtlichen Entwicklung notwendigerweise gegebenen
•) S. 155, 156.
*) Egger, a. b. O., 8. 156-168.
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301
Ursachen war diese generelle Obligation ursprünglich nur eine
Obligation der Fahrhabe. Späterhin wurde das unbewegliche Ver-
mögen mit einbezogen. Und nun griff man in der oben darge-
stellten Weise auf die Liegenschaften. Der «Satzungsgläubiger
verlangte, wenn der Schuldner nicht zahlte — nicht vorher! —
die Fronung auf Grund der Generalsatzung, — nicht also lag
jene schon in dieser. Die Fronung war Teil des ordentlichen
Exekutionsverfahrens. — Nun lag in dem soeben betrachteten
Einbezug der künftigen Güter und ebenso in dem letztgenannten Ein-
bezug der Immobilien eine Intensivierung der Haftung, Intensi-
vierung durch Erweiterung der Vermögens-Haftung in Hinsicht
auf die Objekte. Eine solche Intensivierung wurde nun aber auch
auf ganz andere Weise erreicht. Es mochten wenige Objekte
haften, ja nnr ein einzelnes, nur eine Liegenschaft beispielsweise,
diese aber dergestalt, daß sie dem Zugriff des Satzungsgläubigers
nicht mehr entzogen werden konnten. Deshalb ist die sog. neuere
Satzung ihrer Funktion und rechtlichen Ausgestaltung nach ein
so anders geartetes Institut als- die Vermögenssatzung So
besteht also ein tiefgreifender Unterschied zwischen der obligatio
generalis und der obligatio specialis. Jene ist Vermögenshaftung,
diese ist jüngere Satzung .... Steigerung ist das Zeichen unter
dem die haftungsrechtliche Entwickelung der hier betrachteten
Perioden mehr als je eine vorher — der einsetzenden wirtschaft-
lichen Blütezeit entsprechend — steht. — Steigerung liegt wie in
der Intensivierung, so auch in der Vereinfachung .... Eine solche
Vereinfachung lag in der Umwandlung der jüngeren Satzung
zur Hypothek .... Auf Grund der neueren Satzung darf der
Eigentümer nicht mehr veräußern. Aber wie, wenn er diese Dis-
positionsbeschränkung ignoriert und doch veräußert ? . Die
Sache ist gebunden, deshalb also wird sie verfolgt. Aber es ge-
schieht dies doch nicht in dem Sinne der Verwirklichung eines
hypothekarischen Rechtes und einer Verfolgung desselben gegen-
über Dritterwerben .... Wie aus diesen Auffassungen heraus
die neuere französische Hypothek erwachsen ist, wird später zu
zeigen sein . . . Die obligatio generalis erlitt nämlich nicht nur eine
Erweiterung des Inhaltes durch Einbezug neuer Haftungsobjekte,
sondern sie intensivierte sich ihrer Wirkung nach im Laufe der
Zeit dergestalt, daß auch sie zu einer Hypothek wurde“.
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302
Ara Schlüsse seiner Betrachtung über die obligatio specialis
und obligatio generalis des tres ancien droit sagt Egger1): „Wenn
anders aber die Auffassung der obligatio generalis, die hier ihre
Darstellung gefunden, richtig ist, müssen sich aus derselben nach
ganz bestimmter Richtung hin zutreffende Perspektiven in Hinsicht
auf das germanische Haftungsrecht ergeben. Wenn im Mittelalter
die schuldnerischc Fahrhabe und die schuldnerischen Immobilien
immer besonders obligiert werden mufften, um dem (»laubiger als
Ersatzobjekte Sicherheit zu bieten, dann ist nicht anzunehmen,
daff das Altertum etwa im Rahmen einer allgemeinen, weiten
personae obligatio freieren haftungsrechtlicheu Anschauungen ge-
huldigt hätte. Vielmehr muß angenommen werden, daff auch die
germanischen Quellen zwischen Personenhaftung und quasihypothe-
karischer Vermögenshaftung unterschieden und jede Form auf
selbständige Weise zur Entstehung gelangen ließen.“
Auch bei Besprechung der Vermögenshaftung nach belgischem
und holländischem Recht des Mittelalters sagt Egger®): „Die
Generalobligation bindet die Hüter, aber nur so lange, als sie
in der (lewere desjenigen sind, der sie obligiert hat . . Das
Erlöschen der Obligation bei Austritt der Haftungsobjekte aus dem
schuldnerischen Besitz wird damit erklärt, daff der Schuldner die
Freiheit zu veräußern habe. Auf Grund welchen Titels
immer ein gutgläubiger Dritter die Liegenschaft vom Schuldner
erwirbt — dieser Erwerb ist vollwertig und er soll nicht auf
Gmnd einer generellen Satzung angefochten werden können. . . .
Da nun der Schuldner nicht nur veräussem, sondern auch, wie
sehon angedeutet, auch verschenken, ferner mit der Wirkung des
Vorranges speziell obligieren kann, so kann ursprünglich der
Generalobligation keine andere Funktion zugekommen sein, als
überhaupt ein Zugriffsrecht zu vermitteln, das droit de suite
im Sinn der älteren Doktrin. Daff sich dieses gegen die Sach en
richtet, so daß diese selbst als Objekte der Haftung bezeichnet
werden müssen, ergibt sich deutlich aus der Redeweise der Quellen,
wie sie uns soeben entgegengetreten ist. Trotzdem hört die Haf-
tung auf,- wenn die Objekte nicht mehr dem Schuldner gehören.
') A. ». o., S. 170.
*) A. a. (»., S. 482, 483.
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303
Aber es ist zu beachten, «laß «lies ein das gesamte Satzungsrecht
d u rc h z i e h c n d e r G r n n d s a t z ist. Denn er gilt ursprünglich auch für
die Spezialobligation: Darum gerade die Verbote, die sich an den
Schuldner richten und die eine Möglichkeit geben, eine Veräußerung
als nichtig erklären zu lassen. Das kann doch nur einen Sinn haben,
wenn ganz allgemein gilt, daß die Hartung der Sache mit dem Aus-
tritt aus dem scliuldnerischen Vermögen ein Ende nimmt. Ein
anderes hypothekarisches Sachhaftungsrecht gibt es im
Mittelalter nicht. Es kann intensiviert werden durch Bannlegung.
Aber das ist kein Institut des Sachenrechts.“
Es kann vor der Hand dahingestellt bleiben, ob eine Obli-
gierung des ganzen Vermögens durch eine nicht protokollierte ge-
siegelte Urkunde („bond“i vor und nach der Zeit der englischen
Gesetzgebung des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts
die Wirkung einer Einsetzung des ganzen Vermögens als Exekutions-
objekt, aber ohne dingliche Belastung, hatte. Wir haben
deutlich gesehen, daß die neuen Sicherheiten — die sogenannten
„Jewish gages“ und „Statutes“ — , wie solche durch die Gesetz-
gebung Richard I., Edward I. und Edward III. im Interesse
von Handel und Industrie eingeführt wurden, dem Schuldner er-
möglichten, neben der Haltbarmachung seiner Person sein ganzes
Vermögen als Exekutionsobjekt für seine Schuld einzusetzen. So-
weit wir nach den Quellen, die uns zur Verfügung stehen, urteilen
können, hatte diese Vermögenseinsetzung dingliche Wirkung.
Was die Mobilien anlangt, so ist ziemlich sicher, daß kein
dingliches Recht, keine Hypothek geschaffen wurde, sondern
nur ein Haftungsrecht, das die Mobilien haftbar machte, jedoch
nur solange als sie in der Hand das Scliulders waren.
Hinsichtlich der Immobilien scheint jedoch durch die Pro-
tokollierung einer jüdischen Schuldanerkennung und die Inrotulierung
eines „Statute“ eine dingliche Belastung, eine Hypothek
am ganzen Immobiliar möglich gewesen zu sein, die es dem
Gläubiger gestattete, bei Zahlungs Versäumnis des Schuldners das
Land aus den Händen dritter Personen zu reklamieren und
den Zwecken der Sicherheit dienstbar zu machen. Ist aber unsere
Ansicht, daß nicht nur die obligatio specialis, sondern auch die
obligatio generalis des englischen mittelalterlichen Rechtseine
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304
dingliche Belastung der Immobilien erzeugte'), richtig, so ist
dieser Unterschied gegenüber dem mittelalterlichen Recht des
Kontinents höchst interessant und zeigt, wie früh das englische
Recht zur Entwicklung einer richtigen Immobiliarhypothek im
Interesse von Industrie und Handel schritt.
IV. Die neuzeitliche Hypothek.
Die heutige englische Hypothek tritt in verschiedenen Formen
auf J). Eine dieser Formen ist das sog. „equitable mortgage,“ die
Immohiliar-Hypothek. die u. A. durch die einfache Übergabe der
Urkunde über den Rechtstitel (title-deed) am Lande oder durch
die Verpfandung einer „equity of redemption“ geschaffen wird3).
Eine weitere wichtige Form ist die Belastung (chargej von ver-
buchtem Lande (registered iand) zur Sicherstellung einer persön-
lichen Forderung: bei Zahlungsversämnis des Schuldners werden
die Rechte aus dieser hypothekarischen Belastung dadurch geltend
gemacht, daß das Land für verfallen erklärt oder verkauft wird,
oder dadurch, daß der Gläubiger den Besitz übernimmt und seine
Forderungen aus den Renten und Erträgen des Landes tilgt').
Die wichtigste Form der Hypothek im heutigen englischen
Recht ist jedoch das „mortgage“ mit Besitz des Schuldners. Aus
einer Form der mittelalterlichen Sicherheitsleistung, wo Übernahme
des Besitzes durch den Gläubiger unerläßlich war, hat das moderne
Recht, besonders das Equityrecht. ergänzt durch Gesetze, die Um-
bildung des mortgage in eine Hypothek herbeigeführt. Die Rechte
aus dieser Hypothek werden bei Zahlungsversäumnis seitens des
Schuldners durch Verfall oder Verkauf geltend gemacht. Das
heutige mortgage kann in der Tat entweder ein solches mit Be-
■) Vgl. auch unsere Resprcchung der Helastungen nach englischem
mittelalterlichem Recht oben S. 262 ff.
’) über die moderne Hypothek in Deutschland siehe Gierke, Deutsches
Privatrecht, Hd. II, S. 829 ff.
3) Über „equitable mortgages" siehe Hacon, Abr. tit. mortgage:
Pollock, Land Laws, S. 136, 137: Williams, a. a. 0., S. 549, 555: Rob-
bins. Law of Mortgages, I, S. 42-65: Fisher, Law of Mortgage, § 24-38:
Kcrly, Historical Sketch of the Equitable Jurisdiction of the Court of
Chancery, S. 234.
*} Siehe Williams, a. a. ()., S. 516-557: Fisher, a. a. (>. und Robbins,
a. a. 0., s. v. -Charge". Siehe betr. -licns“ und -hypothecations“ die eben
zitierten Werke von Fisher und Rohhins.
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305
sitz des Schuldners oder ein solches mit Besitz des Gläubigers
sein; für gewöhnlich nimmt es die Form der Hypothek an, und
hierfür scheinen verschiedenerlei Gründe maßgebend gewesen zn
sein. Die hauptsächlichsten hierunter dürften gewesen sein: erstens
die weniger strenge Handhabung der mittelalterlichen Rechtsregel
welche eine tatsächliche Übergabe des Besitzes bei Übertragung
von dinglichen Rechten (proprietär}’ rights) am Lande vorschrieb,
sodaß ein formeller Akt und später eine bloße gesiegelte Urkunde
(deedj hierfür genügte; in anderen Worten, corporeal hereditaments
„lie in grant“, not „in livery“; zweitens die Kquity reget, welche
dem Pfandgläubiger im Besitz (mortgagee in possession) vorschrieb,
über die Renten und Erträge genau Rechnung abzulegen; drittens
die Theorie des Equityrechts, daß der Pfandschuldner, nicht der
Pfandgläubiger der freeholder und in Wirklichkeit der Eigentümer
bleibt, während der Pfandgläubiger nur eine hypothekarische Be-
lastung (charge) am Lande zur Sicherstellung seiner Forderung
hat; viertens die Einführung des Verkaufsrechts für den Pfand-
gläubiger bei Zahlungsversäumnis des Schuldners. Das mortgage
als Hypothek nimmt selbst heutzutage die alte Form der bedingten
Übereignung nach gemeinem Rechte an. Es ist in der Hauptsache
auf die Equity- Jurisdiction zurückzuführen, daß diese alte Form
beibehalten und trotzdem dem Schuldner gestattet werden kann,
den Besitz bis zur versäumten Rückzahlung der Schuld, welche
dem Gläubiger sichergestellt wurde, beizubehalten ‘).
*) Siehe Glas s on , a. a. 0., V, S. 485, VI, S. 385-406: Franken, a. a. O.,
S. 8, 9, 148-109; Williams, a. a. 0., S. 143-157, 201,321,322; Hlackatonc,
II, c. 10. Dlaekstone vergleicht das klassische englische nmrtgage mit Besitz
des Gläubigers mit dem römischen pignus und das mortgage mit Besitz
des Schuldners mit der römischen hypnthcca. Über die interessante Knt-
wickelling des mortgage mit Besitz des Schuldners in Amerika siche
Chaplin, a. a. ()., IV, S. 12.
Hazeltlne, Kritisch*** Pfandrecht
‘20
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Anhang
Quellen des Immobilienpfandrechts
20*
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Erster Teil.
Angelsächsische Periode.
I.
Nutzpfand.
[Keinble, Codex Diplomaticus, No. DCCCCXXIV.J
Fulder.
* Her swuteladon ymb f>a foreward pe wsron gcworhte betwux
pam hirede on wihgeraceastre. and fuldre. pst is pst he
hsbbe pst land st ludintune . III . geart for pam dreom pundum
pe he Isnde. and pone bryce pe on dam lande beo . III . gear.
and binnon prym gearum. agife pa*t land pam hiredet into swa
myclum swa se hired him on band sette. pst synd . XII . peowe
men. and. II . gesylhd'o oxan. and . I . hund sceapa. and half
hnndred fod'ra cornes. And se de pas foreward to breke he ge-
wurde hit hi nsfre forgifen. ac beo he fordemed into helle wite.
and psr mid deofle wunigo od' to domes dsge .\
[Kemble, Codex Diplomaticus, No. CCCCXCIX.]
Eädgifu, 960-963.
+ Eädgifu cjp päm arc. biäc. and Cristes cyrcean hyrede. hü
hire land com st Culingon. pst is pst hire Isfde hire fsder
land and böc. swä he mid rihte heget, and him his yldran lefdon.
Hit gelamp pst hire fsder aborgude XXX punda st Godan. and
betsht him pst land pss feos tö anwedde. and he hit hsfde VII
winter; Dä gelamp emb pa tid pst man beönn ealle Cantware
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310
tö wigge to Holme. pä nölde Sigelm hire fieder tö wigge faran
mid nänes manues scette unägifnum. and ägef pä Qodan XXX punda.
and becwaeff Eädgife his debter land. and böc sealde ; ©ft he on wigge
äfeallen wies. pä «tsöc Godapaes feos «giftes. and pses landes wyrnde.
off pa?s on syxtan geare; 1)4 spr.ec hit fivstlice Byrhsige Dyrincg.
swä lange oft' pa witan. pe pä wäron gerehton Eädgife paet heö
sceölde hire faeder hand geclänsian be swä miclan feo. and heö
pses äff laedde on ealre ffeöde gewitnesse tö .Eglesforda. and ffaer
geclänsude hire fieder pies legiftes be XXX punda äffe; Dä gyt
heö ne moste landes brücan ihr hire frynd fhndon :et Eädwearde
cyncge paet he him pet land forbeäd swä he :eniges bnican
wölde. and he hit swä älet; Dä gelamp on fyrste paet se cynincg
Godan oncüffe swä swyffe swä him man .etrehte bec and land ealle
pa pe he ähte. and se cynincg bine pä and ealle his äre mid
böcum and landum forgeaf Eädgife tö ateönnc swä swä heö wölde;
Dä cwieff heö piet heö ne dorste for gode him swä leänian swä he
hire tö geearnnd haefde. and ägef him ealle his land. bütan twäm
sulungnm aet Osterlande, and nölde pa bec ägifan är heö wyste hü
getriwlic he hi aet landum healdan wölde; Dä gewät Eädweard
cyncg. and fencg .Effelsiän tö rice. Dä Godan sael pühte. pä gesohte
he pone kynincg ^Eöelstän. and baed paet he him gepingude wip
Eädgife his böca edgift. and se cyncg pä swä dyde. and heö him
ealle ägef bütan Osterlandes bec. and he pä böc unncndre handa hire
tölet. and para öperra mid eäffmettum gepancude. and uferran p*t.
twelfa sum hire äff sealde. ior geborenne and ungeborenne. pset pis
sefrc gesett sprsec wäre, and pis wies gedön on iEffolstänes ky-
nincges gewitnesse. and his wytena aet Hamme wip Liewe. and
Eädgifu biefde land mid böcum para twegra cyninga dagas hire
suna. Dä Eädred geendude. and man Eädgife berypte «leere äre. pä
namon Godan twegen suna. Leöfstän and Leöfric. on Eädgife päs
twä foresprecenan land pet Culingon and «t Osterland, and sse-
don päm cilde Eädwige. pe pä gecoren wies, paet hy rihtur hiora
wären ponne hire. paet pä swä waes off Eädgär ästiffude. and he
and his wytan gerehton paet hy mänfull reäflac gedön haefden. and
bi hire hire äre gerehton and ägefon; Dä nam Eädgifu be ffaes
cynincges leäfe and gewitnesse and ealra his bisceopa. pa bec.
and land betaehte intö Cristescyrcean mid hire ägenum handura up
on Pone altare lede. pan hyrede on ecnesse tö äre. and hire
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311
sä wie tö restc. and cwa-ft pa-t Crist sylf mid eallum hcofonlicum
ma-gne pane äwyrgde on ecnesse pe päs gife a-fre äwende oppe
gewanude; Düs com peös är intö Cristes cyrcean liyrede;
[Keinble, Codex Diplomaticus, No. MCCXXXVI1.
Eädgifu, 961.]
•fr Anno dominicae incarnationis. DCCCC.LXI. Ego Eadgyua
regina et mater Eadmundi et Eadredi regum, pro saluto ani-
inae meae, concedo aecclesiae Christi in Dorobernia monachis
ibidem deo sernientibus has terras, Meapeham, Culinges, Lean-
ham, Peccham, Fernlege, Munccetun, Ealdintun, liberas ab omni
saeculari grauitate, exceptis tribus, pontis et arcis constructione,
expeditione Qualiter autem istae terrae michi uenerunt, operae
pretium duxi intimare omnibus, scilicet Odoni archisacerdoti to-
ciusque ßritanniae primati, et familiae Christi, id est monachis
in Dorobernia ciuitate. Contigit aliquando patrem meum Sigcl-
inum habere necessitatem .XXX. librarum quas a quodam principe
nomine Goda mutuo accepit, et pro uadimonio eidem dedit terram
quae nominatur Culinges, qui tenuit eatn septem annis. Septimo
itaque anno expeditio praeparabatur per omnem Cantiam, cum
qua Sigelmum patrem meum ire oportuit; cum uero se para-
ret uenerunt illi in mente .XXX. librae quas Godae debebat,
quas statim ei reddere fecit. Et quia nec lilium nee filiam nisi
me habuit, haeredem me fecit illius terrae et omnium terrarum
suarum, et libros michi dedit. Forte tune euenit patrem meum
in bello cecidisse; postquam autem idem Goda audiuit defunctum
in bello esse, negauit sibi triginta libras persolutas fuisse, terrain-
que quam pro uadimonio a patre meo accepit detiuuit iere per
sex annos. Sexto uero anno quidam propinquus meus nomine
Ryrhsige Dyring coepit instanter aperte conqueri apud optimates
et principes et sapientes regni de iniuria propinquae suae a Go-
done facta. Optimates autem et sapientes pro iusticia inuenerunt,
et iusto iudicio decreuerunt quod ego, quae filia et haeres eius
sum, patrem meum purgare deberem, uidelicet sacramento, . XXX .
librarum, easdem triginta libras patrem meum persoluisse; quod,
teste toto regno, apud Agelesford peregi; sed non tune quidem
potui terram meam habere, quoadusque amici mei regem Eadu-
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312
uardum adieruut, et illum pro eadein terra requisierunt. Qui
uidelicet rex eidein Godoni, super omnem honorem quem de rege
tenuit, praedictam terram interdixit, sicque terram diraisit. Non
mnlto autem post tempore contigit eundem Godonem coram rege
ita inculpari, quod per iudicium iudicatus sit perdere omnia quae
de rege tenuit, uitamquo eius esse in iudicio regis. Rex autem dedit
eundem michi et omnia sua cum libris omnium terrarum suarum,
ut de eo facerem secundum quod promeruit. Ego autem pro
timore dei non ansa fui reddere ei secundum quod contra me
promeruit, sed reddidi ei omnes terras suas excepta terra duorum
aratrorum apud Osterland; libros autem terrarum non reddidi ei,
probare enim uolui quam fidem de beneficio contra tot iniurias
michi ab eo illatas teuere ucllet. Defuncto autem domino meo
rege Eaduuardo, .diiYelstanus filius suscepit regnum, quem uidelicet
regem requisiuit idem Godo, ut pro eo me rogaret quatinus ei
redderem libros terrarum suarum. Ego autem libenter, deuicta
amore, uidelicet regis JEti'elstani, ei omnes libros terrarum sua-
rum reddidi, excepto libro de Osterlande, quem scilicet humiliter
bona uoluntate dimisit. Insuper pro se et omnibus parentibus
suis, natis et nondum natis, nuncquam quaeremoniam facturos de
praedicta terra, secum acceptis undecim comparibus suis, michi
sacramentuin fecit. Hoc autem factum est in loco qui nominatur
Hamme iuxta L;ewcs. Ego autem Eadgyua habui terram cum
libro de Osterlande diebus duorum rcgum JEöelstani et Eadmundi
tiliorum meorum; Eadredo quoque rege filio meo defuncto, des-
poliata sum omnibus terris meis et rebus. Duo quoque filii iam
saepenominati Godonis, Leofstanus et Leofricns, abstulerunt michi
duas superius nominatas terras Culinges et Osterlande, uenerunt-
que ad puerum Eaduuium, qui tune nouiter leuatus est in regem,
et dixerunt se maiorem iusticiam in illis terris habere quam ego.
Iteinansi ergo illis terris et omnibus aliis priuata usque ad tem-
pora Eadgari regis. Qui cum audisset me ita dehonestatam ac
despoliatam, congregatis principibus et sapientibus Angliae, in-
tellexit enim me cum magna iniusticia rebus et terris meis des-
poliatam, idem rex Eadgarus restituit mihi terras meas et omnia
mea. Ego autem licentia et consensu illius testimonioque omnium
episcoporum et optimatum suorum, omnes terras meas et libros
terrarum propria manu mea posui super altare Christi quae sita
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est in Dorobernia. Si quis lianc mcara donationcm a iure prac-
dictae ecclesiae auferre conatus fuerit, auferat ci omnipotens deus
regnum suum.
( onjirmafio. Ego /KiVelredus , dei opitulante misericordia
totius Anglicae gentis regimen tenendo, priuilegiis auditis ueter[a]-
norum sapientum, cordis tactus compunctione, arcliipraesulis ex-
hortatione Alfrici, ad animae commodura deputamus nostrae, quin
praedecessorura nostrorum decrelo firmemus, hoc aeternaliter
statuentes ut impii quique a priuilegiis praedictis Christo tonanti
quid auferentes, sub aDathemate in aeternura cum diabolo punian-
tur. Qui uero banc libertatem augendo firmauerit illaesam,
piissiino liberetur a domino, cum nouissima insonuerit tuba,
reddens cuiquc secunduin opera sua.
[Crawford Collection of Early Charters, hrsg. von A. S. Napier
& W. H. Stevenson, No. IV.1).]
Endorsed in hand of lllh cent.: + In nomine domiui nostri
iliesu christi.. Ic eadnoiV bisceop eyde on pisson gewriton . [net
ic onborgede . XXX . mancsa goldes be leadgewihte to minre
landhreddinge a*t beorhnoiVe. and ic gesealde hym ane gyrdc
landes to underwedde be cridian to pam forewerdon. {net he h;ebbe
liis d;eg . and ofer bis d;eg beewed'e p sceat pam pe bim leofost
beo pe on pam lande stent. l>is sind pa landgema*ro p:ere gyrde
be cridian. Jirest on sceocabroces ford. ponne east on herpad' on
pone lytlan garan easteweardne. sud on pa deadan lace on cri-
dian up ongean stream on pone amlypan ascer. ponne east on her-
paiV el't on sceocabroces ford. l>isses ys to gewitnisse. enut
cyning. and wulstan arcebisceop and lifing arcebisceop. and birlit-
wold bisceop and eadnod bisceop. and burewold bisceop. and ied'el-
wine. bisceop. and birihtwine bisceop. and sedelwerd ealdorman.
atVelwold abbud. and eall se hired on exan cestre and se hired on
cridian tune, and pis eydde se bisceop pam burhwiton on exan
ceastre and to tottauesse, and to hlidaforda and to beardastapole.
Pax sit hoc seruantibus et infernus sit boc frangentibus.
') Diese earta JEÖelstans wird hier von uns nicht angeführt, sondern
bloß das Ubertragungsindossamcnt, Siehe die lieinerknngen von Napier und
Stevenson a. a. 0., S. 65— 80.
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Endor*ed in emly I4'A cent. hand : Carta Regis Etllthelstan
de Est Samford in diebos eaddulfi episcopi hnius loci sub
anno domini DCCCC nongentesi[mo] XXXm° apud Chippenham
confecta.
II.
Proprietätspfand.
[Kemble, Codex Diplomaticus, No. CLXXXVl.)
Aethelric, 804.
4* In nomine domini dei summi, rex regnm, qui in altis
habitat et prospicit omnia caelestia et terrestria! Anno ab
incarnatione Christi. DCCC. IIII. Indictione . XII . ego Aethelric,
tilius Actbelmundi, cum couscientia synodali inuitatus ad synodum, ct
in iudicio stare, in loco qui dicitur Clofeshoh, cum libris et ru-
ris, id est, aet Uuestmynster, quod prius propinqui mei tradide-
runt mihi et donauerunt, ibi Aethelhardus archiepiscopus mihi
regebat atque iudicauerat, cum testimonio Coenuulfi regis, et
optimatibus eius, coram omni synodo, quando scripturas meas
perscrutarent, ut über essem terram meam atque libellos dare
quocunquc uolui. Postea commendaui amicis meis ad seruandum,
quando quaesiui sanctum Petrum et sanctum Paulum, pro reme-
dio animae meae, et, iterum me reuertente ad patriam, accepi
terram meam, et praetium reddidi, quasi ante pacti sumus, et
pacifici fuerimus ad inuicem. Facta est autem post paucos annos
alia synodus aet Aclea. Tune in illo synodo coram episcopis,
rege et principibus eius, rememoraui pristinae libertatis meae,
quae mihi ante iudicatum est, et cum licentia eorum testificaui
in praesenti testimonio, queraadmodum meam haereditatem dare
uoluissem, et sic dixi: Haec sunt noraina illarum terrarum, quae
dabo ad locum, qui dicitur Deorhyrst, pro me et Aethelmundo
patre meo, si mihi contingat ut illic corpus meum requiescat;
Todanhom, et aet Sture, Scraefleh et Cohhanleh, ea conditiono,
ut illa congregatio uota eorum faciat firma, sicut mihi promise-
runt Iterum dabo UuaerfenVe . XI . manentium Bremesgraefan
et Feccanhom, ut habeat suum diom, et postea reddat ad Uui-
gorna ceastre. Uerum etiam do. XXX. manentium Cnder Ofre ad
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Gleauuecestre. Et quando mihi contingat cxitus diei mei, tune
dabo Ciolburgc matri meae, si diutius uiuit quam ego, terrani
. XLIII . manentium aet Uuestmynster, et aet Stoce, ut habeat
suam diem, et postea reddat ad Uueogernensem aecclesiam.
Pro qua re ea uinente ut ibi habeat protectionem et defensionem
contra Beorclinga contentione: et si aliquis homo in aliqua con-
tentione iuramentum ei decreuerit contra Berclingas, liberrima erit
ad reddendum, cum recto consilio propinquorum meorum, qui mihi
haereditatem donabant, etmeo, quo ei dabo; et si non habeat patroci-
niuminciuitateüueogornensi, postea primum quaeratad archiepisco-
pum in Cantia. Et si ibi non habeat, sit libera cum ruris et libris ad
eiigendum patrocinium, ubi placitura sibi fuerit. Si aliter hat,
ut non opto, aliquis homo contendat contra libros meos uol haere-
ditatem indigne, tune habet Alduulfus episcopus in Liceetfelda
istius cartulae comparem, et amici et necessarii mei et fidelissimi
alias, id est, Eadberht Eadgaring, et AeiVelheah Esning, ad con-
lirmationem huius rei. Rogo etiara AeiVelric, pro amore omnipo-
tentis dei, et praecipio et obsecro per omnes uirtutes coelorum,
ut nullus homo hanc positionem crucis Christi, quae tantorum
uirorum testimonio conhrmata est, non praesumat minuere.
Si ausus est aliquis conhrmationem istam infringere, deleatur de
laude dei, si non satisfactione emendauerit.
+ Ego Coenuulf, rex Merciorum, hanc muniheentiam signo
sanctae crucis subscripsi. 4" Ego AeiYelheardus archiepiscopus
Dorouernensis ciuitatis signum sanctae crucis subscripsi. 4* Ego
Alduulfus Lieetfeldonsis episcopus consensi. 4« Ego Werenberht
episcopus consensi. 4* Ego Dcnebyrht episcopus consensi. 4* Ego
Wulfheard episcopus consensi. 4< Ego Eadwulfus episcopus con-
sensi. 4< Ego Heaberht dux subscripsi. 4* Ego Beornofl dux sub-
scripsi. 4* Ego Ciohvard dux subscripsi. 4* Ego Cynehelm dux
subscripsi. 4* Ego Wicga dux subscripsi. 4« Ego Wigheard dux
subscripsi. 4* Ego Byrnuuald dux subscripsi. 4* Ego Aldred
dux consensi et subscripsi.
[Kemble, Codex Diplomaticus, No. DCXC.]
£scwig, 995
4* Anno dominicac incarnationis . DCCCC.XCV. indictiono
.VII. Ego .Escwinus, Dorcestrensis aecclesiae pontifex, reddo
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aecclesiae Christi et .Elfrico archiepiscopo raetropolitanae sedis
terrain de Risberghe cum libro eiusdem terrae pro saiute animae
meae; quam uidelicet terrain Sigericus archiepiscopus eiusdem
aecclesiae Christi, praedecessor praefati archiepiscopi .Elfrioi,
dedit mihi in uadimonium, pro pecunia quam a me mutuo acce-
pit. Ego autem timore dei compunctus pro spe salutis aeternae,
ut praefatus sum, liberam eam reddo aecclesiae, ad quam iuste
pertinet, ab omni mundiali obstaculo, cum omnibus ad se rite
pertioentibus, exceptis, expeditione, pontis et arcis coaediticatione.
Hane meae munilicae concessionis libertatem conantes mutare uel
minuere, seu frangere, habeant partem cum hiis quibus dicitur,
,Discedite a me operarii iniquitatis in ignem flammiuomura, ibi
erit fletus oculorum et stridor dentium1, nisi prius digna poeni-
tentia et legali satisfactione ante exitum corporalis uitae diligenter
canonice emendauerit. Anno dominicae incarnationis . DCCCC.XCV.
indictionc uero .VII. praesens cartula caraxata notatur, hiis testi-
bus, quorutn inferius nomina scripta uidentur, consentientibus.
4* Ego .Etfelredus rex Anglorum huius libertatis donationem
culminis totius regimen gubemans libenter concessi. + Ego Siri-
cus Dorouernensis aecclesiae archiepiscopus cum signo sanctae
crucis corroboraui. 4* Ego .Elphegus Wyntoniensis aecclesiae prae-
sul confirmaui. + Ego .Ed'elstanus Lundoniensis aecclesiae antistes
consolidani. 4* Ego .Kscuinus Dnrcestrensis aecclesiae pontifex
conlaudaui. 4* Ego .E;Velstanus Rouensis aecclesiae praesul consig-
naui. 4* Ego Ordbyrht Seolesiensis aecclesiae antistes impressi.
4* Ego Sigar Willanensis aecclesiae episcopus adquieui. 4* Ego
Jilfricus Willtunensis aecclesiae episcopus adunaui. 4* Ego .EiYel-
wyard dux. 4< Ego .Elfrie dux. 4* Ego Leofsye dux. 4* Ego
Leofwyn dux. 4» Ego .Elfsye abbas. 4* Ego Leofric abbas.
4* Ego Bryghtnoö abbas. 4« Ego /EiVelroar minister. 4* Ego Ordulf
minister. 4* Ego WolfryiY minister. 4* Ego Wolfeby minister.
4« Ego jElfsye minister. 4* Ego Fra-ne minister. 4« Ego Wolfric
minister
[Kemblo, Codex Diplomaticus, No. DCLXXXIX.]
yEHELRED, 995.
4« In nomine sancti saluatoris, qui cuncta a se ex nihilo
condita iure gubernat et ad suae potestatis imperium ne in
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nichilum redacta lluant sui regiminis potentia furtiter eonstringit
seruatque honeste! Cum enim a sapientibus saepe multipliciter-
que narraturn cogoouimus quod labentia quaeque ad suae perditionis
detrimentum festinare uidentur magno opere cuique fidelinm esse
satagendum uidetur quo se in praesenti bonis iugiter actibus, ut
possibile est, exerceat uita ut in futura de retributionis gaudeat
mercede. Qua de re, ego.Eöelredus, Anglorum rector caeterarumque
gentium per circuitum adiacentium gubernator, cuidam meo mihi
ualde fidelissimo episcopo nomine usitato .Kscwigo. quandam ruris
particuiam suae potestatis arbitrio concedo libentissimo . XXX*.
uidelicet mansiunculas , in loco qui ab indigenis at Riseuburga
nuncupatur uocabulo; sed et hoc fidelibus quibuslibet, ut
necessarium aestimamus , intimare curamus qua praedictum
rus serie in propriam praefati episcopi potestatemconcessum erat.
Cum enim gens pagana Cantiam suis stomachando caedibus de-
uastaret et hostiliter bachando deleret, promiltebant se ad aeccle-
siam sancti saluatoris, quae in Dorouernensi ciuitate sita est
ituros, et eam suis incendiis funditus delere, nisi pecuuia, quae
eis ab archiepiscopo Sirico promissa fuerat, ad plenum daretur.
Unde mullis agitatus ancxietatibus archiepiscopus, cum nec unum
tantummodo nummum haberet, iniit consilium, et mittens ad
praesulem praefatum, „Escwium uidelicet, et eum multis obnixe
rogitabat precibus quo sibi pecuniam, quae deerat, pro sui amo-
ris diligentia donaret, et antedictum rus quo in suo potestatis
arbitrio pro hac accipere non renueret multa prece deposcit
Unde talibus permotus miseriis praefatus praesul accepta pecunia,
nonaginta, uidelicet, libras meri argenti ducentasque purissimi
auri mancusas, per eosdem nuncios quibus perlatum est ad archie-
piscopurn mittens consensutn praebuit; qua accepta, archiepiscopus
accersitis hostibus ad plenum praebuit quod ante quamuis coactus
promisit, et librum ruris praefati me praesente meisque optimati-
bus testimonium praebentibus episcopo .Escwig libentissimo tri-
buens donauit animo, ut habeat et possideat quamdiu se esse
praesentialiter cognoscat; et post se haeredi cui uoluerit concedat.
Sit autem praedictum ms ab omni mundiali obstaculo liberum,
cum omnibus quae ad se perticere dinoscuntur. tarn in magnis quam
in raodicis rebus, campis, pascuis, pratis, siluis, exceptis istis
tribns, expeditione, uidelicet, pontis arcisue coaedificatione. Est
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autem praedictum rus talibus circumcinctum terminis qui con-
ti neotur in originali codicello isto literis Saxonicis et Saxonico
idiomate conscripti, etc. Hane sane nostrae muniticae concessionis
libertatem conantes mutare uel ininnere siue frangere, habeant
partem cum bis qnibus dicitur, ,Discedite a me operarii
iniquitatis in ignem ilammiuomum, ibi erit tletus oculorum et
stridor dentium‘, nisi prius digna poenitentia et legali satisfactione
ante exitum corporalis uitae diligenter canonice emendauerit. Anno
dominicae incarnationis . DCCCC.XCV. indictione uero. VII. prae-
sens cartula caraxata notatur, hiis testibus, quorum inferius no-
mina scripta oidentur, consentientibus.
4> Ego .Eifelredus rex Anglorum huius libertatis donationem
culminis totius regimen gubernans libenter concessi. 4> Ego
Siricus Dorouernensis aecclesiae archiepiscopus cum signo sanctae
crucis corroboraui. + Ego .Elphegus Wyntoniensis aecclesiae prae-
sul contirmaui. + Ego .Eöelstanus Lundoniensis aecclesiae antis-
tes consolidaui. + Ego .Escuinus Durcestrensis aecclesiae ponti-
fex conlaudaui. + Ego .Eöelstanus Eouensis aecclesiae praesul
consignaui. 4* Ego Ordbyrht Seolesiensis aecclesiae antistes im-
pressi. 4* Ego Sigar Willanensis aecclesiae episcopus adquieui.
♦ Ego .Elfricus Willtunensis aecclesiae episcopus adunaui. 4* Ego
.Eöelwyard dux. 4« Ego JSlfric dux. 4* Ego Leofsye dux. 4* Ego
Leofwyn dux. 4« Ego .Elfsye abbas. 4« Ego Leofric abbas. 4* Ebo
BryghtnoiV abbas. 4« Ego -Eöelmar minister. 4* Ego Ordulf mi-
nister. 4* Ego Wolfiryö minister. 4* Ego Wolfeby minister. 4* Ego
Jilfsye minister. 4« Ego Frame minister. 4* Ego Wolfric minister.
[Keinble, Codex Diplomaticus, No. DCCCCLIII],
Ulf um 1066.
4« Dis is seö feorewearde <Te ülf and Madselm his gebedda
worhtan wiA [God] and wid sancte Peter ffä hig tö Ierusalem
ferdon. Dat is iVat land a*t Carlatüne intö Burh, a*fter heora
da'ge heore säule tö aljsednesse; and <Vat land aet ßythäm
intö sancte Güöläce; and iVat land a-t Sempingahfim intö sancte
Benedicte tö Ramesege ; and iVat land set Lofintüne and set
Heordewican Ealdrede bisceope tö füllen ceäpe; and ö'at land
:et Scillintüne and a-t Houcbig and :et Mörtüne öäron stent öäm
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bisceope eahta marca goldcs; and gif hig häm cuman gylde dam
bisceope his gold , and gif heora näder ne cymd, dö 6e bisceop
for heora söule swa mycel swä dset land is betöre «Vene iVa*t
gold sj; and gif d'äm bisceope getid büton eal teala, ga de
abbud Brand tö dam ilcan foreweardan : and da*t land a-t Manne-
d'orp ic hiebbe ge-unnan d'äm abbot Brande; and da*t land a-t
Willabyg ic habbe ge-unnan Siferde minen m;t-ge; and d'a-t land
»t Stoce he hafad "ge-unnan Lyfgyfan hyre mägan ; and d'a-t land
»t Strodistüne heö hafad ge-unnan Ingemunde, and he hyre [anj da
westhealle ongean a*t Wintringatüne; and dset land a-t Ofertüne
sylla- man and dö for heora begra säulo; and twä land ic habbe
ge-unnen minre mödar, dset is Kitlebig and Cotum, and heö
ha-fd me ge-unnen Ma-ssingahäm and Kytlebi; and gif ic hüm ne
cume habbe Ingemnnd d'a-t land ;t-t Coringatüne; and d'aet land
a-t Cleaxbyg ic habbe ge-unnen Healdene minan breder; and d'a*t
land a-t Drmesbj'g intö sancta- Marian stowe and eal d'aet ic der
ühte; and Lindbeorhge habban mine cnihtas gif ic hära ne cume;
and d'a-t land a-t Lohtüne da-t heö hatad derinne intö Dornege.
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Zweiter Teil.
Die Zeit von der normannischen Eroberung bis
zum Ausgang des Mittelalters.
I.
Pfand mit Besitz des Gläubigers.
A. Nutzpfand.
(Siehe die (ilanviH'aclicn Stellen unter l’n>|irielätspfa»d).
B. Proprietätspfand.
(a) Suspensiv bedingte Übereignung.
[Tractatus de Legibus et Consuetudinibus regni Anglia*. Ranulphus
de Glanvilla. Aufl. 1 604. |
Liber decimus.
Capitulo 1.
* Placiturn quoque de debitis laicorum, spectat ad coronam
Je dignitatem regis, cum quis itaqae de debito quod sibi debitur
curif queritur, si placiturn illud ad curiarn Regis trahere possit,
tale breue de prima summonitione facienda liabebit.
Cap. 2.
^ Rex vicecoiniti salutem. Prsecipe N. quod iuste & sine
dilatione reddat R. centum marcas quas ei debet vt dicit. Et
vude queritur quod ipse ei iniuste deforciat, et nisi fecerit, sum-
mone eum per bonos summonitores, quod sit coram me vel Ius-
tieijs meis apud Westmonasterium ä clauso Pascha* in quindecim
dies, ostensurus quare non fecerit. Et habeas ibi summonitores &
hoc breue T. &e.
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321
Cap. 3.
* He absentia quidem vtriusque partis qualiter indicandum
sit vel defalta ante litis ingressum, in superioribus satis dictum
est. IUnd tarnen notandum est quod non solet Curia Regis ali-
quant districtionem facere ad iustiiicandum aliqnem per catalla,
quod ad curiam veniat pro aliquo placito. Ergo de tali placito
de consilio Curia*, potest quis distringi per feodum suum, vel per
plegiorum attachiamentum, sicut in alijs placitis iieri solet* vtroque
vero existente in Curia, is qui petit pluribus ex causis debitum
petere potest, aut enim debetur ei quid, ex causa mutui, aut ex
causa venditionis, aut ex commodato, aut ex locato, aut ex
deposito, aut ex alia iusta debendi causa. Ex causa mutui
debetur aliquid: cum quis credit alij aliquid tale quod consistit
in numero vel pondere vel mensura. Cum quis itaque aliquid
tale crediderit, si plus eo receperit vsuram facit. Et si in
tali crimine obierit, damnabitur tanquam vsurarius per legem
terra* vnde superius dictum est plenius. Cum quid autem
creditur alicui solet illud plerunque credi sub plegiorum datione.
Quandoque sub vadij positione: Quandoque sub fideij inter-
positione, quandoque sub carte expositione, quandoqw« etiam sub
plurium istorum simul securitate. Cum ergo aliquid debetur
sub plegiorum datione tantum, si principalis debitor ita inde de-
fecerit quod non habeat vnde soluere possit, tune demum recur-
rendum erit ad plegios & inde summonebuntur per tale breue.
Cap. 4.
Rex vicecomiti salutem. Precipe N. quod iuste & sine dila-
tione acquietet R. de centum marcis versus N. vnde eum aple-
giauit vt dicit, et vnde queritur quod eum non acquietauit inde
k nisi fecerit summone eum per bonos summonitores &c.
Cap. 5.
* Apparentibus siquidem plegijs in curia, aut confitentur
suam plegiationem aut negant. Si confiteantur, tune autem te-
nentur creditori inde satisfacere, ad terminos competentes ei in
curia ad id assignatos. Vel se ab illa plegiatione per solutionem
vel alio modo legittime acquietasse, tenentur legittime probare.
Haieltlne. englisches Pfandrecht 21
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32 2
Tenentur autem plegij si plures fuerint, singuli in totum, nisi
aliter conuenerit quando se plegios inde fecerunt, k ad inde
satisfaciendum simul sunt distringendi. Ita quod si plures dati
fuerint plegij & aliquis vel aliqui eorum non habeant vnde reddere
possunt, ipsum onus acquietancie ad ceteros vel in totum, vel in
quantum ipsi defecerint spectabit verum si de debitora aliquo
plegiando plegij pro certis partibus dati fuerint: quicquid de
quibusdam eorum plegiorum contigerit, reliqui no« nisi pro par-
tibus suis inde respondere cogentur.
* Poterit ergo ex hoc esse contewtio quandoque inter credi-
torem k plegios, quandoque inter ipsos plegios, si plegins aliquis
dicat se de minori summa plegiasse principalem debitorem, et
contra eum dicatur quod de maiori, cum enim singuli plegij
de certis partibus constituuntur, tnnc necesse habet ipse
creditor cum illo agere, qni minus confitetur se debere ex sua
plegiatione quam debeat. Sin autem quidatn eorum in totum,
quidam de certis paitibus constituantur plegij: tune quidem ne-
cesse erit iliis qui in totnra plegiauerint, agere cum illis qui
minus quam inde debent, confitentur se debere. Quod qualiter
probari debeat, ex sequentibus liquebit. ' Soluto vero eo quod
debetur ab ipsis plegijs, recuperare inde poterint ad principalem
debitorem, si postea habuerit vnde eis satisfacere possit, per
principale placitum: de debitis vnde inferius dicetur. Sciendum
tarnen quod si quis alium plegiauerit de stando ad rectum in
aliqua loquela, k pro defalta ipsius quem plegiauerit in miseri-
cordiam inciderit, ita quod ob illam causam aliquid persoluerit,
super hoc de cetero nil recuperare poterit versus illum quem
plegiauit. * Quicunque autem alium plegiauerit de stando ad
reetnm de aliqno placito quod pertinet ad coronam domini Regis,
vt de pace domini Kegis infracta, 'vel alio, si non habuerit eum
ad rectum pro plegiatione illa: incidet in misericordiam domini
Regis, qu? qualis sit superius dictum est. Gt per hoc libe-
rabiter ab illa plegiatione Sin antem plegij ipsi plegiatio-
nem in Curia negauerint, tune si plures fuerint inde dati plegij,
aut omnes negant plegiatione»« illam, aut quidam confitentur, &
quidam negant. Si vero quidam confitentur, & quidam negant,
tune placitum inde esse poterit tum inter ipsum creditorem &
plegios tum inter plegios confitentcs & plegios negantes secundum
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quod supradictum est. Qu? vero diracionatio, inde exigatur inter
quoseunque placitum illud vertatur? quero. Vtrum scilicet per
duellum tieri debeat, an alio modo, vel vtrum scilicet plcgij per
iuramentum tot bominurn quot Curia exigit, plegiationem ipsam
possint negare: Dicunt autem ad hoc quidam: quod creditor ipse
suo & legittimorum * testiüm iuramento, poterit hoc de iure pro-
bare versus ipsos plegios, nisi plegij ipsi eum velit ä sacramento
leuarc. Nunc quando petens ipse paratus accedit ad faciendum
sacramentum, olim vero oportuit hoc lieri ante legem vadiatam.
Sic ergo in tali casu potest inde perueniri ad duellum.
Cap. 6.
* Creditur quoque mutuo res aliqua, sub vadij positione, quod
cum sit, quandoque res mobiles vt catalla ponuntur in vadium.
Quandoque res immobiles, vt terra- & tenementa & redditus, siue
in denarijs siue in alijs rebus consistentes. Item cum inter cre-
ditorem & debitorem conucnerit de vadio interponendo cuiuscunque
modi res inuadiata sit: debitor ipse aut statim ipsi creditori facit
habere sui vadij seisinam postquam sibi rem mutuo datarn accepit,
aut non. Item inuadiatur res quandoque ad terminum quandoquc
sine termino. Item quandoque inuadiatur res aliqua in mortuo
vadio, quandoque non. * Mortuum vadium: dicitur illud cuius
fructus vel redditus interim percepti in nullo se acquietant. Cum
itaque res mobiles ponuntur in vadium, ita quod creditori inde
fiat seisina, & ad certum terminum saluo tenetur creditor vadium
illud custodire. Ita quod noc eo vtatur vel quocunque modo
tractet illud, quare deterius efficiatur. Sin autem in custodia
deterius factum fuerit infra terminum per culpam creditoris,
computabiiur in debitum ei ad valcntiam ipsius deteriorationis.
Preterea, si res talis fuerit, quod expensas exigat et custum
necessarium, veluti vt pascatur, vel reficiatur, secundum quod
conuenerit inde inter creditorem et debitorem seruabitur inter eos.
Preterea, cum ad certum terminum res aliqua ponatur in vadium,
aut ita conuenit inter creditorem et debitorem, quod si ad ter-
miuum illum vadium suum non acquietauerit debitor ipse: tune
vadium ipsum remanebit ipsi creditori, ita quod negocium suum
sicut de sun inde faciat: aut nihil tale inter eos conuenit. In
priori casu stabitur conuencioni. In secundo existente termino si
21*
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fuerit debitor in mora soluendi debitum, poterit creditor se inde
conqueri & iusticiabitur debitor vt ad curiam veniat & inde rcs-
pondeat, & per hoc breue.
Cap. 7.
Rex vicecomiti salutetn. Precipe N. quod iuste & sine di-
latione acquietet rem illam quam inuadianit R. pro centum raarcis
vsqj/e ad terminum qui prqterijt vt dicit, & vnde queritur quod
eam nondum acquietauit, et nisi fecerit &c.
Cap. 8.
Qualiter autera distringendus sit vt ad curiam veniat, vtrum
per ipsum vadium an alio modo quero. Illud autem relinqui po-
test consilio curit;, quia vtrolibet modo potest res satis competenter
expediri, oportet enim quod aliquando prqsens sit in curia ante-
qua/n res sua creditori ciametur quieta. Possit enim prqsens ali-
quid dicere quare res ipsa creditori non remaneret <(uieta, existens
vero in curia debitor ipse, aut confitetur se rem illam in vadium
pro debito illo posuisse aut negat. * Si confitetur: quia eo ipso
confitetur debitum, precipietur ei quod ad rationabilem terminum
vadium ipsum acquietet, et nisi fecerit, dabitur licentia ipsi cr.V
ditori, de cetero negocium suum de vadio ipso sicut de propria re-
facere quomodo voluerit Sin autem id lieget, tune rem ipsam
aut dicit suam esse sed aliqua de causa ab eius decidistse posses
sione & alium in possessione constitutum, vt ex commoda oaut ex
commendatione, custodie causa, aut alia huiusmodi causa, aut in
curia eandem rem suam non esse contitebitur, quod si fecerit,
dabitur statiro lieewtia ipsi creditori de re ipsa vt de propria
disponere. Si vero rem illam suam esse dicat, sed neget tarn
vadium quam debitum: tu/ic tenebitur ipse creditor probare
versus enm qao// tantum ei crcdidit quantuin est in demanda sua,
& quod rem ipsam ei inde nominatim in vadinm posuit. Quales
enim diracionatio inde esse debeat, ex prqdictis patere potest qn-
supradicta sunt. De plegijs qui plegiationem suam negant, ante
terminum vero debitum, peti minime potest. * Si vero non
ail aliquem terminum sed sine termino res aliqua inuadiatur,
quocunqt/e tempore voluerit creditor, debitum petere potest.
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Soluto autem eo quod debctur ab ipso debitore, tenetur ipse
creditor rem inuadiata«/. ei sine aliqua deterioratione restituere,
nee si res illa aliquo casu amissa fuerit, aut deteriorata in
custodia, per id versus debitore/« minime iiberabitur, quia pre-
cise tenetur aut rem inuadiatam restituere, vel de ea satisfacere
aut debitum amittere. Quandoque vero conuenit inter debitorem
& creditorem de re aliqua inuadiata, accepta ä debitore re
rautuata, si non sequatur ipsius vadij traditio, quomodo consuletur
ipsi creditori in tali casu maxime cum possit eadem res pluribus
alijs creditoribu« tum prius tum posterius inuadiari. Super
hoc notandum est quod curia domini Regi* hu/«smodi priuatas
conuentiones de rebus dandis vel accipiendis in vadium vel
alias huiusmodi extra curiam sine etiarn in alijs curijs quam in
curia domini Regis factis, tueri non solet nec warrantizare, & ideo
si non fuerint seruate, Curia domini Regis se inde non intromittet,
ac per hoc de iure diuersorum creditorum priorum vel posterio-
rum, aut de priuilegio eorum non tenetur responderi. * Cum vero
res immobilis ponitur in vadium ita quod inde facta fuerit seisina
ipsi creditori, & ad terminum aut ita conuenit inter creditorem
& debitorem quod exitus & redditus interim se acquietent, aut
sic quod in nullo se acquietent. Prima conuentio iusta est &
tenet. Secunda ininsta est, & inhonesta, qn«j dicitur mortuum
vadium, sed per Curiam domini Regis non prohibetur fieri, &
tarnen reputat eam pro specie vsur<;. Vnde si quis in tali vadio
docesserit, & post mortem eius hoc fuerit probatum de rebus
eius non aliter disponetur quam de rebus vsuarij. Cetera ser-
uentur vt prius de vadijs in rebus mobilibus consistentibus dictum
est. Notandum tarnen quod ex quo aliquis soluerit id quod
debuit, vel soluere se obtulit competentur, si creditor vlterius
vadium penes se maliciosc detiuuerit, debitor ipse se inde curiq,
conquerens tale breue habebit.
Cap. 9.
Rex vicecora»<« salutem. Prqcipe N. quod iuste & sine di-
latione reddat R. totam terra/«, vel terra«» illa»» in illa villa
quam ei inuadiauit pro centum marcis, ad terminum qui p/'cterijt
vt dicit, & denarios suos idem recipiat, vel quam inde acquietauit
vt dicit, et nisi fecerit: summone eum per bonos &e.
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3-2«
Cap. 10.
* Apparens autem in curia creditor super hoc summonitus:
aut cognoscit terram illarn ad vadium suum, vel dicet se teuere
terra/« illam vt fcodum suum in primo casu oportet eum aut va-
dium rcddere, aut rationabilem causam oste/idere in curia, quare
id facere non debeat. In secundo vero casu vtro libet eoru/«
pctente, id cst creditore vel debitore ponctur super recognitionem
patrii; vtrum creditor teneat terram. illam vt feodum suum vel
vadium suu/«, vel vtrum pater eius vel alius antecessor fuerit
inde seisitus vt de feodo vel vt de vadio die qua obijt, & sic
potest obici ei qui seisinam patris sui inde petit, & sic poterit
super hoc recognitio multipliciter variari pro modo petendi, &
pro modo respondendi. Si autom recognitio a neutro potatur,
procedet placitu/« in curia super recto.
Cap. 11.
Creditor siquidem si ä seisina sua ceccderit per debitorein,
vel per alium: nullam inde seisinam per curiam recuperabit, nec
ctiam per recognitionem de noua disseisina. Si enim per alium
quam per debitorem iniuste & sine iudicio de vadio suo fnerti
disseisitus dcbitor ipsc, poterit habere Assisam de noua disseisina.
Si vero per debitorem ipsum: nullum versus eum per curiam re-
cuperare habebit de vadio suo recuperando, vel de nouo ingressu,
nisi per ipsum debitorem: Oportet enim ipsum creditorem ad
principale placitum redire, vt iusticietur dcbitor vt ei de dcbito
suo satisfaciat. Et summonebitur inde debitor per brcue supra-
dictum de prima summonitione facienda.
Cap. 12.
* Die autem statuta debitore apparente in Curia, creditor
ipse si non habest inde vadium neque plegium, neque aliam
diracionationem nisi solam tidem , nulla est hqc probatio in
curia domini Regis, Veruntamen de lidei lesione vel trausgressione
inde agi poterit in Curia christianitatis. Sed Iudex ipse eecle-
siasticus licet super crimine tali possit cognoscere & conuicto
penitentiam vel satisfactionem iniungere: Placita tarnen de debitis
laicorum, vel de tenementis in Curia christianitatis per assisam regni
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ratioue ddei interposit*; tractare vel terminare non potest. Oportet
ergo creditorera alijs vti probationibus, si debitor debitum ipsum
neget. Si enim illud confiteatur, tune tenetur inde satisfacere
simili modo vt predictum est de plegijs condtentibus: Per testem
siquidem idoneum, potest inde fieri diracionatio: Kt per duellum,
& per cartam quoque. Cum quis itaque ad debiti sui probatio-
nein cartam aduersarij sui vel antecessoris eins offerat in Curia,
aut cartam ipsam aduocat aduersarius, aut non. Si debitor car-
tam suam non aduocat, duobus modus eidem contrarie vel contra-
dicere potest, scilicet ipsum sigillum in Curia recognoscendo
suum esse, sed tarnen vel per se, vel per suum assensum, siue
antecessoris sui cartam esse co/ifectam negando, vel omnino et
sigillum et cartam negando. In primo casu vbi sigillum suum
esse publicb recognouerit in curia, cartam illam prtjeise tenetur
warrantizare, & conuentionem in ipsa carta eipressam, sicut in
ea continetur omnino seruare sine contradictione. Et sm; male
custodie imputet, si damnum incurrat per sigillum suum male
custoditum. In posteriore vero casu, potent in curia carta ipsa
per aliquem idoneum testem, presertim ipsi carte infertum, probari
per duellum. Alio etiam modo solet fides cartis imponi in curia,
scilicet aliquibus certis & manifestis iudieijs. Veluti per alias
cartas eodem sigillo signatas. Et de quibus constet quod eius
carte sint, qui cartam illam suam esse negat, ita quod eas bene
warrantizat in curia. Tune enim si ita per omnia sibi concordent
quod nulla suspitio diuersitatis sigillorum appareat haberi solet
pro conuicto, & siue hoc siue alio legittimo modo aliquis conuin-
catur, super tali opere loquelam semper amittet, siue placitum
fuerit de debito, siue de terra, siue de quacunque alia re. Et
preterea in misericordia Regis reraanet. Generaliter autem
verum est, quod quicunque aliquid dixerit in curia, vel in placito
quod iterum negauerit, vel vnde sequela vel warrantum vel pro-
bationem sufdeientem non habuerit, vel ad cuius contrarium di-
cendum, vel ad quod negandu/n per sufdeientem probationem
districtus fuerit, in misericordia domini Regis remanet. Si vero
cartam illam ab initio aduocat is contra quem producitur ad de-
bitum aliquod probandum, tune iuxta carte illius tenorem tenebitur
ipse debitor creditori satisfacere. Cum vero aliquid mutuo cre-
ditur sub plurium praedictorum securitate simul tune quoque ex
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quo debitor ipse recte defecerit, distringendus est ipse simul
per omnes securitates illas. Ideo eniin plures securitates ab eo
inde recepte sunt, vt citius deficientc debitore creditori inde satis-
Hat quam si vna sula securitas interuenisset.
Cap. 13.
* Ex causa quoque commodati, solet res aliqua quanduque
dcberi vt si rem meam tibi gratis commodem ad vsum iude
percipiendum in seruitio tuo, expleto quidem seruicio rem meam
mihi teneris reddere sine deterioratione si extat, siu autem res
ipsa interierit. vel perdita fuerit, quocunqi/e modo in custodia tua,
omnino teneris ad rationabile pretium mihi restituendum. Sed
sub qua vel cuius probatione pra-standum. Prqterea si quis
vsque ad certum locum rem sunm vel vsque ad certum tempus
alij commodauerit, & is qui eam ita recipit vltra illum locum,
vel illud tempus, eadem re vsus fuerit, in quantum id emendare
debeat, vel sub qua probatione, vel cuius idem sit iudicandum
quero. A furto enim: omnimodo excusatur, per hoc quod initium
habuerit su«e detentionis per dominum illius rei. Quero item
vtrura dominus possit rem sua m ita alij commodatam, infra tem-
pus vel locum reuocarc, presertim si oius vsu ipsemet interim
indigeat.
Cap. 14.
* Ex causa quoque emptionis & venditionis debetur aliquid;
Cum quis rem sua»» alieui vendiderit, debetur enim precium ipsi
venditori. Et res empta ipsi emptori. Perlicitur autem emptio &
venditio cum effectu, ex quo de pretio inter contrahentes conuenit.
Ita tarnen quod secuta fuerit rei empte & vendite traditio. Vel
quod pretium fuerit solutum totum siue pars vel saltem quod
arrhe inde fucrint date et recepte. Sed in duobus prioribu* ca-
sibus nullo modo potest alteruter contrahentium soia voluntate
a contractu resilire, nisi ex aliqua iusta & rationabili causa.
Veluti si inter eos conuenerit, vt liceat alterutri eorum inde se
impune retrahere infra certum terminum, tune enim licet vtrique
(sicut conuenit) infra datum terminum a contractu impune rece-
dero. Quippe generaliter verum est quod conuentio legem vincit.
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Preterea si venditor ,ipse rem suam vendiderit emptori taoquam
sanam & sine mahemio, si postea probare poterit emptor rationa-
biliter, rem ipsam tempore contractu: minus sanam fuisse & cum
mahemio, tune quidem venditor tenebitur rem suam retro habere.
Verum sufficit rem fuisse idoneam tempore contractus, quiequid
postea de illa contingat. Sed infra quod tempus liceat hoc pro-
bare vel inde conqueri, quero maxirae vbi nullum pactum inter-
uenit, vbi vero sole arrhe date sunt, si emptor ä contractu
recedere voluerit id ei cum arrharum amissione licebit. Si
autem venditor recedere voluerit in tali casu. quero vtrum
sine pena id facere possit, quod non videtur quia tune videretur
in hoc melioris conditionis venditor quam emptor. Quod si impune
id fieri nequit, quam penam inde prjostabit, periculu/n autem rei
vendite k empte illum generaliter respicit qui eam tenet nisi
aliter conuenerit.
Cap. 15.
* Warrantizare autem venditor k ha-redes eius tenentur
emptori & lneredibus suis rem venditam, si fuerit res immobilis
k inde ponatur in placitum emptor ipse vel hreredes eius, eo
modo quo supra expositum est in tractatu de warrantis; Si vero
fuerit res mobilis quam quis petit versus emptorem, eo quod prius
fuerit ei vendita vel donata, aut ex alia iusta causa adquisita, nec
adiecta fuerit ab eo ielonia idem dicendum erit quod de re im-
mobili pr;edictum est. Si vero ex casu furtiua res aliqua petatur
versus emptorem, tenetur precise se ab omni causa furtiua
sibi imposita defendere, aut warrantum inde vocare. Si itaque
emptor ipse warrantum vocauerit, aut certum aut incertum, si
certum vocauerit quis warrantum in curia quem dicat se veile
habere ad warrantum ad rationabilem terminum, tune ei ponendus
est inde dies in curia. Et si ad diem illum presqns fuerit ille
qui vocatus fuerit ad warrantum, & venditionem suam k rem
venditam ipsi emptori warrantizauerit in curia tune emptor ipse
omnino liberabitur inde ita quod nihil de cetero inde perdere
poterit. Si autem de warrantizatione ei defecerit, tune erit inde
placitum iuter emptorem & warrantum suum ita quod ad duellum
inde poterit perueniri. * Sed nunquid warrantus poterit warran-
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tum in curia vocare. Quod si sic est ad quotum warrantum eril
standum. Pretcroa cum quis ita nominat warrantum de re qu»
petitur furtiua, solet warrantus ipso attachiari per tale breue vice-
couiiti directum.
Cap. 16.
* Rex vicecomiti salutem. Precipio tibi quod sine dilatione
attachiari facias per saluos k seenros plegios N. quod sit coram
me vel lustieijs meis eo die ad warrantizaodum R . illam rem
quam H. clamat aduersus R. vt furtiu.un. Et vnde praedictus
R. eum traxit ad warrantum in curia mea vel ad ostendendum
quare ei warrantizare non debeat. Et haboaB ibi summonitores
& hoc breue &c.
Cap. 17.
Si vero incertum warrantum vocauerit, in tali easu si
sufticientem lialiuerit probationera de legittimo marcatu suo, id eum
a felonia liberabit Sed tarnen ä damno non conseruat quod non
scilicet rem illam amittat Si autem super hoc sectam non ba-
buerit sufticientem, in periculo est. Probari autem solet res
debita ex empto vel ex commodato generali probandi modo in curia.
Scilicet per scriptum vel per duellum.
Cap. 18.
^1 Ex locato quoqne & ex conducto solet res quandoqwc de-
beri, vt cum qnis locat rem suam alij vsque ad certum terminnm,
certa interueniente mercede. Iiic enim tenetur locator, rem lo-
catam ad vsum dare. Conductor qnoque, soluere mercedem.
Sciendum autem quod elapso termino, potest locator se licite in
re sua locata etiam sua anthoritate recipere. Sed quid gi
conductor censum suum statuto termino non soluerit, nunqnid
k in hoc casu licet locatori ipsum sua authoritate expellere ?
Prsedictos vero contractus qui ex priuatorum consensu fiunt,
breuiter transigimus, quia vt prsedictum est priuatas conuentiones
non solet curia domini Regis tueri, & quidem de talibus contrac-
tibus qui quasi priuate quedam conuentiones censeri possunt , se
non intromittit Curia domini Regis.
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[Tmctatus de Legibus et Consuetudinibus regni Angli:e. Ranulpbus
de Glan villa. Aufl. 1604.]
Liber tertius decimus.
Cap. 27.
Hex xicrcoiniti salutem. Suramone per bonos summonitorcs
duodeeim liberos & legales homines de visineto de illa villa,
quod sint coram me vel lusticia/'i/v meis eo die parati sac-
rainento recognoseere vtrum N. teneat vnam carucatam terra? in illa
villa qua* R. clamat versus eum per breue meu/it in feodo an in
vadio, inuadiatara ei ab ipso R . vel ab H. antecessore eins, vel
sic vtrum illa canicata terra? quam R. clamat versus N. in illa
villa per breue meum, sit feodum vel hereditas ipsius N. an in-
vadio inuadiata ei ab ipso R. vel ab ipso H. antecessoro eins.
Et interim terram illam videant et nomina eorum imbreuiari
facias. Et summone per bones summonitores pnefatum N. qui
terram illam tenet, quod tune sit ibi auditurus illam reengnitionem.
Et babeas ibi &c.
Cap. 28.
* Verum quandoque contingit aliquem tenere aliquod tene-
mentum in vadio, ita quod inde moritur seisitus vt de vadio,
ha* res quoque eius occasione talis seisine querit breue de morte
antecessoris, versus verum beredem qui adeptus est hniusmodi
tenementi seisinam . Et tune quidem si recognoscatur ab ipso
tenente antecessorein ipsius petentis obijsse seisitum, sed vt de
vadio & non vt de feodo, tune quidem & hac de causa peruenitur
ad pru-dictam recognitionem & per boc breue summonebitur re-
cognitio.
[Year Books 21 and 22 Edward I, lirsg. von A. J. Horwood,
S. 125—127]
Pleas in tbe Common Bench. — 21 Ed. I.
A. D 1293. Brof de Novele Disseysine.
§ A. porta bref de novele disseysine ver B., ke respoundi
ke au mautort porte yl cest assise; e par la reson ke nous bay-
lames a luy cel tenement en gage dekes a tel terme, e sy issy
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lut ke yl ne fut paye a cel terme ke le teneinent remeyndreyt
a luy en fee; e nous en lalouance de cel tenement luy baylaraes
.XX. acres a terme de .IX. ans.; de quel tenement yl est un-
core seysy &c. — Metingham. Avet ren de ceo ke vous loy
baylates .XX. acres en alouance? — B. ne avoyt nuyl escryt en
poyn &c. — A. respoundi ke nous fumes seysy par vostre fefle-
ment si la ke nous fumus disseysy par vous; prium le assise. —
B. respoundi ke un tel porta bref de mort ver A., devant B. C.
e D., de .VII. souz de rente; a quel yl dyt ke yl ne clama ren
en cel tenement duut la reute surd sy terme noun: e ceo fut
atteynt par le assise; e [de] ceo vouchum record de Roule; e un-
ke puys autre estat navoyt, prest del averer. — Ad. Avaunt
cele assise porte e pus seysy ben deus ans, si la ke nous alames
a la feyre de G., e vous kaunt nous revinmes vous nous dissey-
sites; prest del averer. — Le assise passa, ke dyt B. fefl'a
A. de cel tenement, e yl fu seysy avant le heyr e en le beyr
pur un quarter del an; ke yl sen aia a la Feyre de G. ; e fut
conte ke yl fut mort; pur quey B. son pere entra, e kaunt yl
revynt sun pere ne luy voleyt suffrer entrer. — B. Nous vouchum
a garand record de Roule ky yl fut trove ke yl navoyt nul
franc tenement tut atrenche. — Pur ceo la Justice lur dyt ke
eus dusent estre au Bane a teu jeur de oyer Record. — B. pria
la certiflcacioun. — Mettingham demanda, quel doute ad yl;
pur quey vous demandet la certificacioun aver? B. dist de ceo
ke le assise ne fut nent Charge de ceo ke nous luy baylames
.XX. acres en le alouance. — Justice. Vous metet en Record
des Roules ke A. ne clama nuyl franc tenement, e ceo trove fut
par le assise; e le Record dyt ke A. ne clama rens en la rente,
e nuyl ren parle de tenement; pur quey vous avet fayly de
vostre garant Sy agarde le court ke Adam rekevere sa sey-
sine &c.
[Cartularium Prioratus de Gyseburne (Publications of the Surtees
Society) No. CCXLIII.]
Walterus lilius Willelmi Paternoster, anno Incarnacionis
Dominica* M0CC°XXX° quarto, ad Purificationem Beata* (Marne),
obligavi et impignoravi Alicia*, matri me», et suis assign., pro
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undecim solidis, quos miclit mea mater accommodavit, unam
acrara terra1 in Campo de Giseburne apuJ Foxoles, usque ad
finem octo annorum. Ita quod si ego persolvam Alicia*, matri
mea-, vel suo assignato, undecim solidos ad finem SH annorum,
pra-nominata acra revertetur ad me sine ullo impedimento et
contradictione omnium; et si non persolvam pra-dictos solidos ad
terminnm pra*dictum, pra-notninata acra terra- remanebit imperp.
pra-dicta- Alicia-, matri mea-, et suis a3sigoatis, libere et quiete
de me et ba-r. meis sine impedimento et contradictione: et in
liujus rei test. huic scripto sigillum meum apposui. Et sciendum
est, quod ego non vendam pra-dictam terram alicui nisi matri
mea-, si ego non velim eam tenere in mea manu Hiis testibus.
Adam de Lyum, Euslacbio filio Eustachii, Petro Westiby, Peter
Nnrri, Willelmo de Lyum, Rogero de Midelesburgli, Thoma Pu-
layn, aliis.
(b) Resolutiv bedingte Übereignung.
[Bracton’s Note Book, lirsg. von F. W. Maitland, pl. 458.]
Michaelmas, A. D. 1230, A. R. 14 — 15.
') Philippus de Hello Campo dimisit Josceo Juueni de
Londonia manerium suum de Hersham cum pert. in feodo, tencu-
dum de eo et heredibus suis reddendo inde per nnn. unum par
calcarium deauratorum uel den. faciendo inde forinsecum ser-
uicium seil. j. militis pro omni seruicio. Concedit eciam idem
Josceus pro se et beredibus suis quod si idem Philippus uel he-
redes sui non2) reddiderint ei uel heredibus suis ducentas marcas
quas idem Josceus dedit predicto Philippo pro predicto manerio
a festo Omn. Sanct. anno regni Regis H. XV. in unum annum
quod predictum manerium reuertatur ad ipsum Philippum et
beredes suos quiete de ipso Josceo et beredibus suis inperpe-
tunm etc.3).
') A. in. 13. *) nnn interlincd: it is not in A and sli.mld bi- oniitted.
s) Thia is a mortgagc enrollcd for beiter securitv.
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[Madux, Formulare Anglicanum, No. DLXIJ
Ceste endenture tesraoigne, que come Johan Palet de Enr-
boume ad done & graunte a Thomas Monolf & a ses lieirs. une
crofte apelee Crorrescrofte , & un pree apele Laurencesmede oud
les apurtenaunces en Enebou rat •, come plus pleynement piert per
une chartre de feoftement a dit Thomas de ceo fait: Joe iarauntdit
Thomus voile k graunte pur moi & pur mes heirs &. raes exe-
cutours, que si le dit Johan ou ses heirs, paient on facent paicr
a moi ou a mes heirs & a mes executours. dis livres dargent
ascun temps dedenz dis aunz proscheyns ensiwanns apres la
faisaunce de cestes; adonque la dite chartre de Feoflement soit
anyenty & pur nul soit tenu atouz jours: Etsi le dit Johan ou ses
heirs, ne paient ou facent paier a dit Thomas, ou a ses heirs ou
a ses executours, les avauntditz dis livres a ascun temps dedens la
dite terme de dis aunz proscheyns ensiwaunz: que lavaundite
chartre estoise en sa force & nature, al eops lavaundit Thomas
& ses heirs a touz jours, saunz countredit del dit Johan ou de
ses heirs a touz jours En tesmoignaunce de quele chose, les
avaunditz Thomas & Johan cntrechaungeablement a ceste en-
denture ount mys lur seals; Per iceaux tesmoignes, Waltier de
Norton e, (früh Sereti more) & altres. Done a Nenhnriz le Sa-
nwdy proscheyn apres la feste des A postles seynt Phelipp & Jacob,
Lan du regne le Roi Edward tierce apres la Oonqueste quatorzisine.
[Madox, Formulare Anglicanum, No. DLX]
Die Mercurii proxima post festum Sancti Marci Evangelista-,
Anno regni Regis Edward i tercii post Conquestum duodecimo,
Convenit iuter Ricardum Ordwy de Farnham ex parte unä Di-
mittentem, & Ricardum Undrrwodc de Vyyeleyh ex parte altera
Recipientem; videlicet, quöd pra-dictus Ricardas Ordwy impigno-
ravit dicto Ricardo l'ndrrwode duas acras terra- cum omnibus
suis pertinenciis, jacentibus in Villis de Farnham <Y Stortr/ord in
campo vocato Wykamjeld , pro ut in quädam carbi teofla-
menti eidem Ricardo I nder icode inde confecta plenius continetur
& specificatur; videlicet, pro trigiuta & tribus solidis argenti
bona- & legalis moneta-; quos pra-dictus Ricardas Underwode dicto
Ricardo Ordwy mutuavit, A die supradicto usque diem Purifica-
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cionis Beat» Maria » Virginia proxime sequentem post datain con-
feetionis pr»sencium ; Solvendis eidem Ricardo Underwode vel suo
certo Attornato ad domum ejusdem Ricardi Undenoode in die
Purifioationis Beat» Maria supradicto sine ulteriori dilatione;
Et si contingat pradictum Ricardum Ordwy vel h»redes suos in
solucione pra-dictorum XXXIII. solidorum in die & in loco supra-
dictis, in parte vel in toto qnovismodo deficerc (quod absit), quöd
extunc pr»dict» du» acr» terr» cum omnibus suis pertiuenciis,
secundum tenorem dict» cart» pr»dicto Ricardo & h»redibu*
suis & assignatis liberö OL in pacc remaneant imperpetuum; Et
si contingat pi»dictum Ricardum Ordwy vel b»redes suos seu
assignatos, de pr»dictä solucione XXXIII. golidos ad diem OL
locum supradictos persolvere, quöd extunc pr»dicta Carta feoffa-
raenti pro nullo babeatur nec teneatur, racionc alicujus seisin»
pr»habit»; Set in continenti post solucionem factatn, pr»dicta-
du» acrai terra* cutn omnibus suis pertinenciis pr»dicto Ricardo
Ordwy vel h»redibus suis & assignatis, sine aliquä contradictione
pra-dicti Ricardi Underwode seu h»redum suorum, integri- OL pa-
cifice revertantur in futuro. In cujus rei testimonium, huic pr»-
senti rcripto indentato partes alternatim sigilla sua apposuurunt.
Hiis testibus, (dz. ßce Person») & aliis. Datum apud Farnham
pra-dictam, die X. anno supradictis.
[Madox, Formulare anglicanum, No. DLXIL]
Acorde est entre .Johan Baiei de Eneburn dun part, et
Richard de SuUun Clerk de A ’eubury daltre part; Ceo est a savoir,
qc le dit Johan ad engage aut dit Richard lieys acros de terre
arable, des queu\ une acre gist en MedfurUtunge — et la demie
acre est une capitale de mesme la couture; de la feste Seint
Michel derrein passe lan du regne le Roy Edward dizseptizme,
tauneque a mesme la feste de treys aunz procheine ensiwaunz
et accomplir; sur cest forme qe ensiwist, qe si le dist Johan ses
heirs ou executours, ne paient au dit Richard ses heirs ou exe-
cutors quaraunte souz desterlyngz de bone monee, les queux le
dit Johan receust de dit Richard sur les dites treys acres, en la
dite feste Seint Michel a treys aunz; adunque graunte le dit
Johan pur luy et ses heirs, que les dites treis acres demurgent
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a dit Richard et ses heirs a touz jours, solounc la tennr d’nne
charte que le dit Johan a luy ad faite, et la sevsine sur les con-
dicions liveree; Et a dunqes paiera le dit Richard ses heirs ou
ses executours, a dit Johan ou a ses heirs vynt soulz desterlyngz:
Et si le dit Johan ou ses heirs, paient au dist Richard ou a ses heirs
ou a ses assignez, les avaunt diz quarauute souz en la feste susdite: a
dunques les dites treys acres de terre revertent et returnent a dit
Johan ou a ses heirs, sanz nulle reprise; et que la sevsine et la
chartre soient pur nulles. Et a ceo faire oblige le dite Richard
luy et ses heirs et ses executours. En teimoignaunce de queux
choses — Ceaux teigmoignes — Done a Neubur y le Lundy prochein
apres la dite feste seynt Michel, lan du regne le Boi Edward
susdit.
[Madox, Formulare Anglicanum, No. DLXIX.]
Ceste endenture faite perentre Dame Kiene que fuist la femme
Monsr. John Frevill Chivaler, Roger Harlesion, William Bateman,
John WctheresfeU St John Bannebur y Clerk, dune part; William
HoseU , John Härtere et Thomas Sb-estecote dautre part; tesmoigne,
que come les avantditz William II, John C, et Thomas P, ount
enfefVez les avanditz Roger H, William B, John W, et John B
Clerk, del Manoir de Petit Monden en Counte de llertford ove
les appurtcnaunces, ensemblement ove lavowson del Esglise en la
ville avantdit, ove touts altres terres et tenementz, rentez et
servicez, quex les avanditz William HoseU, John (', et Thomas P
ount en mesme la ville, ove touz les aportenauncez, come pluis
pleinement appiert per une chartre de feffement a eux ent fait:
Et auxint come les avantditz William 11, John < et Thomas 1‘,
soient obligez per lour escript obligatotie, a dite Dame Kiene
et a ces executours endeuxCente marcz; a paiers a dite Dame Kiene
ou a scs executours en la feste de Nativitie nostre Seignour
Jhesu Crist prochein avener apres la date de cestes; come pluis
pleinement appiert par la dite obligacion: Nepurquaunt les avant-
ditz Roger, William B, John W, et John B Clerk voilent et
grauntent pur eux lour heirs et assignez, que si les avantditz
William Hosell, John ('., et Thomas P, lour heirs ou Executours,
ou ascun en lour nome. paic ou face paier Cent marcz de moneie
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Dengletere, a dite Dame Kiene que fuist la femme Monsr. John
Frevyll suis eseript, devant la feste Seint Mathew Apostele prochein
avenir apres la date du cestes; et de ceo .... Acquitaunce de
dite Dame Kiene portaunt date a Shel/ord en le Counte de Ca nie -
briyy, lex ditz Dame Kiene, Royer, William II, John W, et John D
Clerk volount & grantount pur eux lour lieirs, executours, et
assignez que les ditz feflement & Obligation estoisent pur nulle
a tous jours; Et si nemie. si bien les ditz feifement come la dit
obligaeion remainent en lour force ; Et les ditz Roger , William II,
John IT, et John B Clerk volont et grauntont, que eux lour lieirs
ne null en lour nome prendra nul profit de ditz Manoir Avowsoun,
terres et tenementz, rentez et servicez avauntditz, avant le dit
jour de Seint Mathew. En tesmoinance de quel chose, a cestes
endentures les parties avauntditz enterchaungeablement onnt mis
lour seals; Per cestes tesmoinez Roger Scale«, Baldewine Senl
George, John Colvyll, Edmond Bardolf, Chivalers; Edward Ben-
nestrd, & autres, Done a petit Shel/ord le Samadi prochein avant
la feste Seint Michel larchaungel. Lan du regne le Roi Richard
secunde apres la conqueste primer.
[Madox, Formulare Anglicanum, No. DLXXIX.]
Seiant präsentes et futuri, quöd ego Johannes Wyggcr dedi
concessi et häc prasenti cartä meä confirmavi Davidi ap Je van
Vicario Ecclesia* de Caletre, unam pareellain tera*. continentem
septem dietas arura, jacentes inter terram pra*dicti Johannis ex
unä parte, et communam viam ducentem de Cruce voeatä Blontes-
croys versus Ktpigexbernes ex altera parte: Habendam et tenen-
dam pradictam parcellam terra; cum omnibus suis pertinentiis,
pra*fato Davidi et haredibus suis vel suis assignatis, de capitali-
bus Dominis feodi illius per servicia inde debita et de jure con-
sueta. Et ego vero pradictus Johannes et haredes mei, totam pra-
dictam parcellam terra; cum omnibus suis pertinentiis, praefato
Davidi et haredibus suis vel suis assignatis, contra omnes gentes
warantizabimus et imperpetuum' (fefendemus . In cujus rei testimo-
nium, huic prasenti carta mea Sigillum meum apposui. Hiis
testibus Royero Fox, Johanne Tayllor, Thoma Rohart, Johanne
Rennok, et Stephano Latymer, et inultis aliis. Datum apud le
Hazeltiue, EnglUches Pfandrecht 22
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Calewe die Mercurii proximo ante festum Sancti Hillarü, Anno
regni Regie Henrici quarti post Conqnestum secundo.
[Madox, Formulare Anglicanum, No. DLXXXIX.]
Omnibus Christi fidelibus ad quos pnesens scriptum inden-
tatum pervenerit, Rogerwt Froste 4 Margareta uxor ejus de
Stratford super Arene, salutem in Domino sempiternam. Cum
Ricard tu Harr gen Vicarius Ecclesia- parochialis de Suyterfeld,
confeoffatus Agnetis Fretter nuper de Stratford vidua-, & Will ein tue
Fretter, filius & lia-res Thomae Fi etter, per quandam indenturam
cujus data est apud Stratford pra-dictam, in festo Annunciaconis
Beat* Maria; Virginis, anno regni Regis Henrici sexti post Con-
questum ricesimo quarto, tradiderint, concesserint, & ad firmam
dimiserint nobis pra-fatis Rogero 8g Margaretae & assignatis nostris,
unum tenementum cum suis pertinenciis in eädem Villa de
Stratford, scituatum in quodam vico vocato Bruggeetrete ibidem,
inter tenementum tune Willelmi Stafordehire — ; Habendum &
tenendum pr*dictum tenementum cum suis pertinenciis, nobis
pr*fatis Rogero 4 Margaretae & assignatis nostris, a die confec-
cionis dict* indentur*, usque ad finem termini triginta annorum
eitunc proxime sequontium et plenarife complendorum ; Reddendo inde
annuatim pr*dictis Ricardo 4 WiUelmo Fretter haeredibus <&
assignatis suis, decem solidos sterlingorum ad quatuor anni ter-
minos per *quales porciones, videlibet ad festum — ; Necnon
reddendo inde Capitali Domino feodi illius pro Capitali redditu
annuatim sex denarios sterlingorum ; cum aliis diversis clausulis in
dictä indenturä contentis & specificatis, prout per eandem inden-
turam in de confectam pleniüs apparet: Noveritis nos pnefatos
Rogertim 4 Margaretam dedisse, concessisse, & hoc pnesenti
scripto nostro indentato confirmasse, Ricardo Wyldebore & Jo-
hanni Gairatange Civibus & Groceris lAmdoniw, totum statnm
nostrum & terminum quos habemus venturum de & in tene-
mento pr*dicto cum suis pertinenciis: Habendum & tenendum
eisdem Ricardo Wyldebore 4 Johanni Gairatange, Executori-
bns & assignatis suis a die Confectionis pra-sencium ’ usque ad
tinem & complementum dictorum triginta annorum nondum
completorum: snb formä & Condicione subsequente; videlicet quöd
si nos pnedieti Rogertu 4 Margareta solvamus aut solvi faciamus,
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seu alter nostrum solvat seu golvi faeiat, praefatis Ricard ’o Wyldebore
dr Johanni Gairst-ange aut eorum alteri, vel eonim certo Attornato,
haeredibus, vel executoribussuis, in testoNatalü Domini proximo futuro
post datam pra-sencium in Ecclesia Sancti Thema de Acon Lon-
doniae novem libras sterlingorum ; Ac nullam acquietanciam, solu-
cionem, perdonacionem, relaxacionem, nec äliquod aliud quodcumque
in exoneracionem dictarum novem librarum seu alicujus inde
parcell* alibi fore factum seu triabile, quam solomodo in Ecclesia
antedictä allegemus seu allegari faciamus, aut alter nostrum aut
aliquis alius loco seu nomine nostro seu alterius nostrum alleget,
seu allegari faeiat quoquomodo; quöd extunc praesens scriptum
indentatum, donacioque, concessio, & coufirmacio supradict* nullius
sint vigoris nec effeetus; Sed omni juris robore tune careant &
virtute. In cujus rei testimonium, uni parti hujus scripti inden-
tati penes dictos Ricardum Wyldebore & Johannein Gair Stange
remanenti, nos praedicti Rogerus & Margareta Sigilla nostra
apposuimus; Alteri vero parti ejusdem scripti indentati penes nos
residenti, praedicti Ricardus Wyldebore & Johannes Gairstanye
sigilla sua apposuerunt. Datum sextodecimo die Januarii , Anno
regni Regis Henrici sexti post conquestum vicesimo nono.
II.
Pfknd mit Besitz des Schuldners.
(a) Belastungen.
[The Statutes of the Realm. Vol. I. p. 223.J
Consuetudines Cantiae.
(Teonp. Incert.) Ex. MS. Harl. 667, p. 83b.
Ces sunt les Usages [e le Custumes] les quels la communealte
de Kent cleyment aver en tenemenz de Gavelkynde e en gentz
Gavelikendeitz ; Ceo fet asaver, ke toutz les [cors de KenteysJ seyent
francs ausi cum les autres francs [corsj de Engleterre.
E cleyment ausi ke si nul tenant en Gavelikende [retyene]
sa rente [e] sun Service del tenement ke il tient de sun seygnur,
querge le Seignur por agard de sa court de treis simeynes en
treys simeynes [tenue, destresse] sur [cel tenement] taut ke
Z2*
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a la quarte court a tote feth tesmoynage. E si dedenft cel
tens ne trusse destresse en cel tenement par quey il pusse sun
tenant Justiser, dunk? a la quarte court seit agarde k? il prenge
cel tenement en sa mayn, en noun de destresse ausi cum boef
ou vache, e le tyene un an et un jour en sa meyn san'z meyn-
overir,' dedentz quel terme si le tenant vient e rent ses arerages,
e fet renables amendes de la [detenue], adunk? eyt e joysse sun
tenement si cum ses auncestres [e li avant le] tindrent E si
il ne vient mie [devant] le an e le jour passe, dunk [äuge] le
seygnur al procheyn Counte suant, ove tesmoynage de sa court,
e face la pronuntier cel proces pur tesmoynage aver. E par
agard de sa Court apres cel [counte] tenue, entra e meynovera
en celes teres e tenementz si cum en sun demeyne. E si le
tenant vient apres e voile ceus tenementz reaver e tenir sicum
1 fist avant, face gre al seignur sicum il est auntienement dist
[en kenteys] [Neghesipe yelde, and Neghesipe gelde, and vif pund
for pe Were, her he bicome healdere:]
[The Statutes of the Realm. Vol. I. p. 222.]
Statutum de Gaveleto in London. *[Temp. incert]
Er. Lib. Hom. in London, p. 91 b.
Provisum est p er dominum Regem et Justiciar/o# suos,
et [a] Civibus London/? concessum quod [si] Archiepwocyd
Ep/seopi Abbates Priores Comites Barones et alii qui ha&ent Red-
ditus in Civitate London/?; et in aliquibus [redditibus illis] eis
aretro sunt redditus illos possunt recuperare, quod b?n? liceat
eis distr/ngere tenentes suos pro arreragiis suis quomdiu aliquid
inveniatur in feodo per quod distn'ngi possint, et tune ip?i
tenentes inplacitentur de Gaveleto, per quoddam breve de con-
suetudinib«? et serviciis, quod bene fieri potest p?r Sokerennos
eon/m in hustengo presentatos, ad custodiam soke sue ad Reddi-
tus suos colligendos. Ita quod si tenentes cognoverint servicium
sunm, statim et sine difficultate satisfaciant Dominis suis de arre-
ragiis suis. Si autem senicia sua eis denegaverint petentes sta-
tim nominabunt sectam suam scilic?« duos testes, et abreviabuntt/r,
et habebunt diem [procedendi] eos ad proximum Hustengum; ad
quem diem si ipsos produxwint et p?r eos [in Cur/« sua]
ostendatur, de visu suo et auditu quod ip?i conquerentes aliquan</o
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perceperunt Redditus, quos petunt de tenementis, tune ipsi tenentes
amittant feoda sua per judicium Curie, et conquerentes recupera-
bunt ten ementa sua in do/ninico. Si autem ut predtetum est [co-
gnoverintj^domtnis suis servicia, et similiter arreragia, tune per
judicium dic<e Curie duplicabuntwr arreragia, Et [debent]
Vic ecomiti pro injusta detentione, si ad hoc sufficiant sine grava-
mine, [habere Centum soludos] Si autem post debitam summoni-
cionem ad Hustengum non venerint, tune feoda illa in pleno Hus-
tengo conquerentibus [ha&ebuntur] tenenda in manibus suis per
unum annum et unum diem; [Et] si Tenentes venerint ad eos
et optulerint eis. satisfacere de arreragiis suis duplicandis, et Vice-
comes de muericordi* sua ut predictum est, tune rehabebunt tene-
menta sua, Sin autem post annum completum remanebunt ten ementa
illa Dominis feodorum eorum per iudicinm Curie, in domsnico suo
imperpetuum; et tune vocantur ten ementa illa [forthotj, eo quod
[in pe/petuum remanebit] in dominico dominis feodorum, pro
defeetn servicii. Idem autem tenendum est et observandura, si
tenentes cognoscant arreragia sua, et non possunt inde satisfacere
secundum quod predictum est.
(b) Die Hypothek.
[The Statutes of the Realm. Vol. I, p. 53]
llo- Edw. 1. 1283 Stat. de Merc.
Ex magno Rot. Stat. in Turr. Ixmd. m. 46.
Pur ceo qe Marchauntz, qi avaunt ces houres unt preste
lur aver a diverse genz, sunt cheuz en poverte, pur ceo qe il ni
aveit pas si redde ley purvewe, par la quele il poeient lur dettes
hastivement recoverir al jor asis de paye e par cele achesun
sunt mult de Marchaunz sustretz de venir en ceste terre od lur
Marchaundises, a damage des Marchaunz, e de tut le reaume:
Le Rei par luy e par sun conseil ad ordine, e establi, qe Marchaunt
qi veut estre seur de sa dette, face venir sun dettur devaunt
le Meire de Lundres, ou de Everwyk, ou de Bristowe, e devaunt
le Meire, e devaunt un Clerk, qi le Rey a ceo atornera, co-
noise la dette, e le jor de la pae; e seit la reconisaunce enroulee
de la main le avauntdit Clerk qe serra conue. E estre ceo la-
vauntdit Clerk face de sa main le escrit de obligacion, al quel
escrit seit mis le seal del dettur, od le seal le Rei, qe a ceo est
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purveu, le quel seal demorra en sauve garde le Meire, e del
Clerk avauntdit; E si le dettur fne-e] rende al jor qe lui est
asis, si veigne le Creannzur al Meire, e al Clerk, od sa lettre
de obligacian; E si trove seit par roule, e par lettre, qe la dette
fu conue, e qe le jor asis seit passe, Le Meire par vewe de pro-
deshomes, ineintenaunt face vendre les moebles al dettnr cum
taeiut de la dette, si com chateis e burgages devisables, desqes
a la summe de la dette, e les deniers saunz delai paez as Creauu-
zurs. E si le Meire ne troesse achatur face par renable pris
liverer les moebles al Creaunzur, desqe a la summe de la dette
en allowaunce de sa dette: E a la vente, e a la liveree des bur-
gages devisables, serra mis le seal le Rei avauntdit, en pardurable
tesmoinaunce. E si le dettur ne eit moeble en le poer le Meire,
dunt la dette poet estre levee, einz eit aillours en le reaume,
dunqe maunde le Meire, desuz le seal avauntdit, a Cbauncelier
la conoissannce fete devaunt lui, e le avauntdit Clerk, e le
Cbauncelier enveye bref al Viscunte, en qi baillie le dettur avera
moebles, e le Viscunte face fere gre al Creaunzur, par mesme la
forme qe est devisee, qe le Meire le fereit, si les biens moebles
al dettur fussent en sun poer; mes bien se gardent ceuls, qi
priserunt les moebles pur liverer al Creaunzur, qe il mettent
resnable pris e owel, qe si il les prisent trop baut en favour del
dcttour, e en damage del Creaunzur, la chose prisee seit liveree
a cels qi la averunt prise par le pris qe mis i unt, e meinte-
naunt respoignent al Creaunzur de sa dette. E si le dettur voille
dire qo ses biens moebles furent venduz, ou liverez, pur meinz
qe il ne valent de ceo ne purra il remedie aver, par quei qe le
Meire ou le Viscunte eyent leaument les biens moebles a celui
qi plus offri, vendu, car il purra retter a lui mesmes qe avaunt le
jor de la seute, poeit ses biens moebles aver vendu, e par sa
main les deniers leve, e ne voleit E si le dettur ne ad moebles,
dunt tute la dette pusse estre levee dunqe seit sun cors pris, ou
qe il seit trove, e en prisun tenu desqe taunt qe il eit fet gre,
ou ses amis pur lui. E si il nad del soen dunt estre sustenu en
prisun, le Creaun zur lui trusse pain e ewe, issi qe il ne moerge
pur defaute; les quels custages le dettur lui rende, od la dette,
avaunt ceo qe il isse de prisun. E si le Creaunzur seit Marchaunt
estraunge, il demorra as custages del dettur tut le tens qe il
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siwera pur sa dette lever, desqe al jor qe les biens moebles al
dettur seiest vendnz, ou a lui liverez. E si le Creaunzur ne se
pae pas de la suerte soulement le dettur, par quei plegges lui
soient trovez, ou mainpernours, les mainpernours ou les plegges
veignient devaunt le Meire e le avauntdit Clerk, e se obligent
par escrit e par reconoissaunce si com avaunt est dit del dettur.
En mesme la manere, si la dette ne seit paee al jor asis, seit
fete la execution, sur les plegges ou mainpernours cum avaunt
est dit del dettur; issi nepurquaunt, qe taunt come la dette
pusse pleinement estre levee des biens moebles al dettur, les
mainpernours ou les plegges ne eyent damage; Mes en defaute
des biens moebles al dettur, eit le Creaunzur recoverir sur les
mainpmmurs, ou sur les plegges, en la forme qe avaunt est dite
del dettur. E a sustenir les Custages lavauutdit clerk, si prendra
le Bei de cbescune livre un denier. Cest ordeinement e esta-
blisement veut le Bei qe desoremes seit tenu, par tut sun reaume
de Engleterrer entre quel gent, qe ceus seient, qe de lur ein
degre voderunt tele reconisaunce fere, forpris Teus, as quels cest
establisement ne se cstent pas.
[The Statutes of the Bealm. Vol. 1. p. 98.]
13° Edw. 1. 1285. Stat. Merc.
Ex Magno Rot. Stat. in Turr. Lond. M. 46 d.
Pur ceo qe Marchaunz qi avaunt ces hures unt presto lur
aver a divers genz, sunt cheuz en poverte pur ces qe il ni avoit
pas si redde ley pur ewe par la quele il poeient lur dettes hasti-
vement recoverir au jour assis de paye; E par cele encheson sunt
mulz des marchaunz sustrez de venir en ceste terre ove lur mar-
chaundises, a damage des marchaunz e de tut le reaume; Le Bey
par luy e par sun counseil a sun parleinent, qe il tint a Actone
Burnell apres la Seint Michel le an de sun regne unzime, fist e
ordina etablissement sur ceo a remedie des marchaunz, le quel
ordeinement e establisement le Bey comaunda qe tenuz fuissent
e fermement gardez en tut sun Beaume, dunt marchaunz unt eu
remedie, e a mains meschief e travail unt recovre lur dettes, qe
avaunt ne soleint: Mes pur ceo qe marchaunz puys se plcindrent
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al Rey qe Viscuntes [qi] malement enterprrterent sun Statut, e
aeonefei par malice e par mal enterpreteison delaerent lexecucion
del Statut a graut damage des marchaunz, le Rey a suu Parle-
ment a Westm apres Pask, lan de sun regne troizime, fist
reciter lavauntdit Statut fet a Actone Burnell; E pur declarerer
aquns articles de sun Statut avauntdit ad ordine e establi, qe
marchaunt qi veut estre seur de sa dette face venir sun dettur
devaunt le meyre de [Appelby,] ou devaunt autre chief gardeyn
de vile ou de autre bone vile ou le Rey ordinera; E devaunt
le meire ou chief gardein, ou autre prodhome a ceo esleu e jure,
quaunt meire ou chief gardeyn ne poet entendre, e devaunt un
des clers, qi le Rey a ceo atornera qaunt ambedeus ne poent
entendre, conusse la dette, e jour de la paie, e seit la conoissaunce
enroullee de la main del un des clers avauntdiz qi serra conue,
e le Roule düble, dunt le un demorge vers le meire ou chief
gardein, e lautre vers le Clerk qi a ceo pWtnes serra nome; E
estre ceo un des avauntdiz clers de sa main face le escrit de
obligacion a quel escrit seit mis le seel del Dettur ove le seel
le Rey, qe a ceo est purveu, le quel seel serra de deus pieces,
dunt la greignour piece demorra en la garde le meire ou chief
gardein, E lautre piece en la main le Clerk avauntdit. E si le
dettur ne rende al jour qe lui est assis, si veigne le marchaunt
al Meyre e al Clerk, ove sa lettre de obligacion; E si trove seit
p«r roule ou par lettre qe la dette fust conue, e le jour assis
seit passe, si face le Meyre ou chiet gardeyn prendre le cors al
dettur sil est lay, quel houre qe il seit trove en sun poer, e live-
rer a la prison de la vile, si prison iseit, e la demoerge a ses
custages propres desqe ataunt qil eit fet gre de la dette. E
comaunde est qe le gardein de la prison de la vile le reteigne
par la livere del meyre ou le gardeyn; E sil nele voille receivre,
si respoigne meintenant le gardein de la prison de la dette, sil
eit de qei: E sil nad de qei, si respoigne celui qi la prison luy
bailla [a garderj; E si le dettur ne poet estre trove en le poer
del meyre ou chief gardein, dunqe maund le meyre ou chief gar-
dein, desuz le seel le Rey avauntdit al Chaunceler, la conoissaunce
fete de la dette; E le Chaunceler envoie bref al Viscunte, en qi
baillie le dettur serra trove, qil preigne son cors, sil est lay, e
en sauve prison le garde desqe ataunt qil eit fet gre de la dette;
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E dedenz un quarter del an, apres ceo qe il serra prfs, eit
ses cbateus e ses terres delivres, issint qe par les soens puisse
lever e paier la dette; E bien luy list, dedenz le quarter, terre
et tenement vender pur ses dettes aquiter, E sa vente serra ferme
et estable. E sil ne face gre dedenz le quarter passe, scient
liverez au marchauut touz les biens del dettur, e totes ses terres
par resnable estent, a tenir desqe ataunt qe la dette pleinement
serra levee, E ja le plus tart le cors demoerge en prtson cum
avaunt est dit; E le marebauot luy truisse pain e ewe; E eit le
marchaunt en ceuls teuemenz a luy liverez, ou son assigne tele
seisine qil puisse porter bref de novele disseisine sil seit engete,
e redeseisine autresi cum de frank tenement, a tenir a lui e a
ses assignez, taunt qe la dette sait paiee; Apres la dette levee e
paee seit le cors al dettur delivere ove sa terre. E en le bref,
qe le Cbaunceler enverra, seit mencion fet qe le Viscunte certefie
les Justices del un baunc ou del autre, coment il arera furni le
comaundement le Key a un certein jour. A quel jour le mar-
chaunt, si sun gre ne soit fet, sue devaunt les Justices; E si le
Viscunte ne returne nul bref, ou returne qe le bref vint trotart,
ou qil ad maunde al baillifs de la frauuehise, si facent les
Justices solom ceo qil est contenu en le drein Statut de West-
muster. E si par cas le Viscunte maunde qe le dettur nest pas
trove, ou seit clerk, si eit le marchaunt bref a tuz les Viscuntes
ou il avera terre, qil lui livrrent tuz les chateus e les tenemenz
al dettur par resnable estent a 'tenir a luy e a ses assignez en
la furme qe est avauntdite; E ja le plus tart, eit bref a qel
Viscunte qil vodra de prendre son cors, sil est Lay, e tenir en
la furme avauntdite. E bien se garde le gardein de la prisun
qil luy covendra respundre del cors, ou de la dette. E apres
ceo qe les terres al dettur serrunt livereez al marchaunt bien
lirra au dettur sa terre vendre issent que lo marchaunt neit da-
mage de ses approumenz. E sauvez seient touz jours al marchaunt
damages, e chescunz custagez necessaires e resunnables en trnvails,
sutes, delaies e en despenses. E si le dettur truisse plegges, qi
se conoissent estre principals detturs, apres le jour passe seit fet
des plegges en totes choses cum est dit del principal dettur,
quant a cors prendre e terres liverer, e autres choses. E quant
les terres al detturs serrunt liverez as marebaunz, si eit seisine
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de totes les terres, qe furent en la main le dettur, le jour qe
la conoissaunce fu fete, en qi mein qe eles serrunt apres devenuz,
ou par feffement, ou par autre manere. E apres la dette paie,
les terres [issuez del dettnr] par feffement, ret«rnent autresi bien
arere al feffe cum les autres ferres as detturs. E si le dettur
ou plegge moerge, point neit le marchaunt [recoverir] a prendre
le cors le Eir, mes a ses teures cum avaunt est dit, sil est de
age, ou q««nt il serra de age . E seit pnrveu un seel qi serve
as feires; E i ceo seel strra envoie a chescune feire desuz le
seel le Key par un clerk [Jure. E par le Gardein] de la feire e
la communaute des marcliaunz seient elluz deus leus marchaunz
de la eite de Lundres qil faceot le serment; e devaunt eus seit
le seel overt; E la une peece seit baille as avauntdiz marchaunz,
e l’autre demoerge vers le clerk; E devaunt eux ou le un des
marchaunz, si amdeus ni poent estre, seient les connoissaunces
fetes cum devaunt est dit. E avaunt ceo qe nule reconoissaunce
seit enroullee seit la peiDe del Statut apartement leu devaunt le
dettur, issint qil ne puisse autrefoiz dire qe lom Ii met autre
peine, qe icele au quele il se obliga. E a sustenir les custages
del avauntdit clerk, si prendra le Rey de chescune livre un dener
en chescune vile ou le seel serra, horepris Faire ou il prendra
treis mailles de la livre. Cest ordeinement e establisement veut
le Bei qe desoremes seit tenu par tut sun reaume de Engletere
e de Irlaunde, entre quelsz genz, qi ceo soient, qi de lour einpegre
vodrunt tele reconoisaunce fere, forspn's Jeus, as queus cest
establisement ne sestent pas. E par cest establisement ne seit
pas bref de dette abatu: E ne seient pas le Chaunceler, Baruns
del Escbeker, Justices del un baunc e del autre e Justices erraunz
[forclos] de prendre reconoissaunces de dettes de eus qi devaunt
eux les vodrunt fere; mes les execucioas des conoissaunces devaunt
eus festes nen seient pas fetes par la furme avauntdite, mes par
la ley, e le usage, e la manere purveue aillors en autre estatut (a).
[The Statutes of the Realm. Vol. 1. p. 165.]
5° Edw. II. 1311. (hdinaneex, c. 33.
Pur ceo qe multz des gentz de poeple autres qe marchantz
conuz se sentent mult grevez e reintez par lestatut des Marchanz
fait a Acton Burnel, Nous ordenoms qe cel estatut ne se teigne
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mes fors qe entre [Marchaux et Marchaux] et des marchandises
eux faites, et qe la reconisance se face si come est contenuz en
le 'dit estatut, et par termoignanz des quatres prodeshomes et
leaux conuz et qe lour nons soient entrez en la reconisanz pwr tes-
moigner le fait; Et qe a nuli soient autres terres liverez a tenir
en noun de frank tenement par la vertu del dit estatut, forspris
Burgages des Marchanz e lour chateux moebles, et ceo fait a en-
tendre entre marchanz et marchanz, conuz marchanz. Estre ceo
Nous ordenoms qe le Seals le Roi qe sont assignez pur tesmoigner
les dites conisances soient haillees a plus riches et plus sages des
villes souzdites a cele garde esleuz par les comunaltez de mesmes
les viles, cest asavoir, a Noef chastel sur Tyne, a Everwik et
Notingham pur les contiez de la Trente, et les Marchantz ilokes
venantz et demoerantz. A Excester, Bristeut, et Suthamptone pur
les Marchantz venantz et demorrantz en les paties del Suth et
del West; a Nicholne et Northamptone pur les Marchantz venantz
et demorrantz ilokes; a Loundres et a Canterbire pur les Mar-
chantz, venantz et demorrantz en cels parties; a Salope sur les
Marchantz venantz et demorrantz en cels parties; a Norwiz pur
les Marchantz venantz et demorrantz en cels parties. Et les re-
conisances par aillours faites qe en les ditz villes tiegnent nul
leu desonnes.
[The Statutes of the Realm. Vol. 1. p. 336.]
27° Edw. HI. 1353. Stat. 2. c. 9.
Item au fin qe les contractz faitz deinz lestaple soient le
meultz tenuz , et les paiementz prestement faitz , si avons ordene
et establi, [qe chescun Meire des dites Estaples eit poair de
prendre reconissances de dettes, qe homme vodra faire devant lui,
en presence des Conestables de lestaple ou lun de eux, et qe en
chescune des dites Estaples soit un seal ordene demorant en la
gard du dit Meire souz les Sealx de meismes les Conestables, et
qe totes obligacions qe yserront faites sur tieles reconissances soient
enselez du dit Seal, paiant pur chescune Obligacion de C. liwee
et dedenz, de chescune livre un maille, et de chescune obligacion
outre C. licree de chescune livre, un ferthing: et qe le Meire de
lestaple, par vertue de celles leftres ensi ensealez, pussc prendre
te tenir en prisone le Corps du dettour apres le terme encurru,
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sil soit trove deinz lestaple, tanqil eit fait grc au Creditour de
la dette et des damages, et aussint darester les biens de meisme
le dettour, trovez deinz la dite Estaple, et deliverer les ditz biens
au Creditour par verroie estiraacion ou de les vendre a meultz qe
homme purra, et de liverer les deniers au dit Creditour tan-
q ue a la Summe due. Et en cas q« le dettour ne soit trovez
deinz lestaple, ne ces biens a la value de la dette, soit se certifle
en la Chauneellerie souz le dit Seal, sur quele certificacion soit
brief mande de prendre le corps du dit dettour, saunz le mettre
a meinprise, et de seisir ses terres et tenementz, biens et ehatcux;
et soit le dit brief retournee en nostre chauneellerie, ove la certi-
ficacion de la value des ditz terres et tenementz biens et chateux;
et sur ce ysoit due exeeution faite de jour en jour, en manere
come il est contenue en lestatut Marchant, issint qe celui a qi
la dette est due, eit estat de franktenemente en les terres et tene-
ment: qe lui serront liverez, par vertue de cel proees, et recoverir
par brief de novel disseiemslet en eas qil soit oste; et qe le dettour
neit mie avauntage de quarter dun an, qest contenu en le dit
Estatut Marchant. Et en cas qe nul Creditour ne voille avoir
lettres du dit Seal, einz voille esteer a la foi du dettour, si apres
le terme encurru il demand la dette, soit le dettour cru sur sa foie.
[Madox. Formulare Anglicanum No. DCLM].
Noverint universi me Johannem Stone de London Gentilman
teneri Roberto Rede uni Justiciariorum Domini Regis de Banco
suo, in quadraginta libris sterlingorum, pro mercandisis ab eo in
Stapulä Westmonaeterii emptis: Solvendis eidem Rocerto aut suo
certo attomato hoc Scriptum ostendenti , ha-redibus vel executori-
bus suis, in festo Pentecostex proximö futuro post datum pra*sen-
cium: Et nisi fecero, concedo quöd currat super me ha-redes &
executores meos porna in Statuto Stapula- pr;edict* pro hujusmodi
debitis recuperandis ordinata. Datum in dictä Stapulä octavo die
Marcii, Anno Regni Regis llenrici septimi sextodeeimo. Per me
Johannem Stone.
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Verzeichnis
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Acht 96, 97.
Ackerbau 4.
Actions
Account 157—164. 284.
Action for the recovery of Und 35.
Ad terminum qui praotcriit 235
(Anm. 1).
Assumpsit 35, 157—164.
Cessavit per biennium 264 ff.
Consuetudinibus et servitiis 267.
Covenant 35, 157 — 164, 238, 270.
Debt 35, 157—164, 223, 224, 230,
282, 284, 288, 294.
De eiectiune firma 50.
De ingressu 50.
De parco fracto 182.
Detinue 35, 197 (Anm. 1).
Dowcr unde nihil habet, Writ of 34,
50.
— Writ of 34.
— — — right of 34, 49.
Ejectment 35, 209, 267.
Feodum vel vadium 229.
Furti, Actio 271.
Mordtancester 235 ff.
Novel Disaeisin 22, 34, 175, 183
(Anm. 2), 219 ff., 222, 297.
yuarc eiecct infra terminum 46.
Quarc impedit, Actio 34.
Hoplevin 36, 179 ff., 186 ff.
Rescoua 184.
Right, Writ of 34, 36.
Spolii, Actio 22.
Trespasa 35.
Trespass on the case 35.
Trover 35.
Warrantia cartae 270 ff.
Alfred 5.
Allemann isches Recht 116, 178
(Anm. 3).
Amerikanisches Recht 161 (Anm. 5)
198 (Anm. 1), 201 (Anm. 1),’
305 (Anm. 1).
Amtsrecht 31-
Anefang. Siehe Verfolgung des
Viehes.
! Angeln und Sachsen 16.
Angelsächsische Königreiche 4.
Angelsächsischer König 4, 6.
Angelsächsisches Recht 67 — 145,
147 ff.
I Anglicus Richardus 21.
Annuity 169 (Anm. 1).
Annullierungsklausel 241 ff.
Antichrese 141 (Anm. 4), 209.
Auffassung 70, Anm.
Augustin 4, 19.
| Ausländer in England 9, 11, 14.
Bailments 191 ff.
Banken- und Versicherungswesen 12.
Bannlegung 303.
Bauern, Aufstand der 8.
Bayerisches Recht 116, 178 (Anm. 3).
Bedingte Übereignung zu l'fand-
zwecken 141 ff., 305.
Bofriodigungsrccht IX.
Befriedigungsversprechen 74. 76 ff.
Beistand, Widerrechtlicher 96.
Belastungen (charges) 168, 210, 211
262—276.
— von Land durch warranty
268 ff.
— Belastung der Pfandsachc 247.
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360
Belehnung (feoffment) 48, 162, 210,
268 ff.
— Bedingte, zu Pfandzwecken
232 ff.
— Belehnungsurkunde 232 ff.
Belgisches Recht 802.
,Beneficial Lease“ 46, 2Ö2 ff, 212.
(Anm. 2), 212 (Anm. 3), 232
(Anm. lj.
Besitz 39. 46, 162. 239.
— Abgeleiteter Besitz des Pfand-
gläubigers 226 (Anm. 4],
— des Lehens 263, 266.
— von Mobilien 192.
— Pfand mit Besitz des Gläubi-
gers 132 ff, 201-261.
— der Pfandsache 136, 166 ff, 171,
IM ff, 123 ff., 196, 199, 200,
204 ff., 208, 21Q ff., 213, 217 ff.,
219 ff, 222, 224 ff, 232. 233 ff.
238, 242 ff., 233 ff, 280, 28L,
236 ff, 221 ff, 225 ff., 298, 304
— einer Rente 174 ff.
— des verpachteten Grundstücks
203 ff
Boweisversprechen 16 ff
Billigkeitsrccht (Equity) 8, 14. 25 ff.
200, 211, 227.
— Billigkeitagerichtsbarkeit der
gemeinrechtlichen Gerichte 29,
— Einfluß auf Mortgages 248 ff
Bischöfe 108. 109, u. s. w.
Blackstone 25.
Bdcland 40.
Bonds 2M ff, 303, Siehe auch
Schuldancrkennungen.
Bracton 21.
„Bractonian Gage for Ycars“ 233 ff.
246.
Brcvia in consimili casu 34,
— iudicialia 33 ff.
— original ia 33 ff.
Britton 22.
Bnchland, Verpfändung von 139 ff.,
213. 239. 240.
Burdens 261 ff. Siehe auch Be-
lastungen und Chargcs.
Burgage land 291.
Bürgschaft II ff., 16 ff. 90. 98, 101 ff.,
LLQ ff, U2, 114 (Anm. 2), 122
bis 126, 128, 130, 131. 135,
139, 152 (Anm. 1), 155. 156,
160, 165 ff., 252, 253,
Burgundischcs Recht 116,178(Anm.31.
Busse 62 ff, 115 ff., U8, 119, 127,
134, 135, 138, 153, 159. 175.
179. 190 (Anm. 2).
Cambridge und Oxford, Gerichte der
Universitäten 25,
Causae debendi 160, 163.
Ceorls 4, 6.
Charges 261 ff, 276, 304, Siehe
auch Belastungen und Burdens.
Ohattels 4L
— real 41, 234, 257 (Anm 3) 258
Anm. 1), 296.
Choses in action 4L
Christentum 4,
Cnut 5.
Cnuts Regierung 1 1.
Codification 26
Coke 25.
Commcndation 271.
Common Law (gemeines Recht) 26 ff.
' — — (Gewohnheitsrecht) 26 ff.
Consideration (Gegenleistung) 38,
161, 271.
Contract 22.
— ofrecord 38, 149—164, 289 ff.
- under seal 38, 149—164.
— Simple 38, 149—164.
Conventionary Law (lei contractus)
26 ff.
Convcntiones 162 ff.
— privatac 218.
Copyhold 42.
Covenants for title 274.
— von Pfandschuldnern 212.
Cnstodia legis 166 ff., 173, 175, 177,
181, 184.
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3fi1
Damagcs 36
Danelag (Danelaw) 5,
Dinen und Norweger 5, 6
Dänisches Recht 116, 132 (Anm. 1).
Darlehen 158, 163.
Dced 49, 50, 149—164, 303, 305
Siehe auch Recognitances,
Schuldanerkennungen.
— upon condition 232 ff.
Denarius Doi 159.
Detention der Pfandsache 219, 22L
Deutsches Recht 32 ff., 44, 49, 23
(Anm. 2), 168, 181 (Anm.), 196,
201 (Anm. 2), 205 (Anm. 1),
214, 220 (Anm. 1), 231 (Anm. 2],
212 (Anm. 1), 222 ff., 304 (An-
merkg. 2).
Diebstahl 79, 81 (Anm. 2). 101, 103,
123 ff-, 133, 135, 136, Ufi
(Anm.), 271.
Dienste und Renten, Natur der feu-
dalen 162 ff.
Disseisin 114 ff.
Distress 164 ff. Siehe auch Pfän-
dung.
— damage feasant 164 ff.
— Double 179.
— Excessive 179.
— Reasonable 179.
— for Services or rent in arrear
162 ff.
Dnmesday Book 63.
— Pfand 139.
Dominium 39.
Dorf- oder Stadtgemeinde (villagc oder
township) 4.
Dos ad ostium ecclcsiae 224 - 276.
— nominata 275, 276.
— rationabilis 275, 276.
Draufgeld (eamest) 159, 160.
Drogheda, William of 2L
Eadred 5.
Eealdormänner 108.
Ecgberht und die Westsachsen 5.
Eduard der Bekenuer 6,
Eduards I, Regierung 7, 12.
Eduards III, Regierung 13.
Ehe 21 ff
| Ehcrecht 154 (Anm. 2).
| Eheschließung 21 ff.
Eid 71, 74- 81. 23 ff, 28 ff, 126,
128-130, 149-164.
Eideshilfe (compurgation) L
Eigenmächtige Pfändung 1 64 ff. Sie he
auch Selbsthilfe.
Eigentum 32.
Eigentümer der Pfandsache 305.
Eigentumspfand. Siche Proprietäts-
pfand.
Eigentumsrecht und Besitz 245.
— ah Mobilien 192.
Einlösung des Pfandes. Siehe Pfand.
Eintragung von Schuldanerkcnnungen
288 ff. Sieho auch Schuld-
anerkennungen.
Elisabeth 9, 12.
Encumbranccs 261 ff. Siehe auch
Belastungen , Burdens und
Charges.
Entscheidungen der Gerichte 27.
Eorls 4.
Equity. Siche Billigkeitsrecht.
Erben, Rechte der 235 ff, 251, 257.
258, 273, 276. 295. 297.
Erbrecht 272—276.
Ermahnung 193.
Erwerbsarten der dinglichen Rechte
48, 42.
Estates 41. 43 ff.
— upon condition 47, 241 ff-
— Equitable 44. 254, 256.
— of freehold ü, 44 ff.
— less tban freehold 45.
— Legal 44,
— by Statute elegit, merchant and
staple 209, 257 (Anm. 3).
Siehe auch .Statutes*.
Excambium ad valcntiam 211 ff.
Exchequer 6, 10.
— of the Jews 278.
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362
Exkommunikation 96, 97, 153.
Fälle, Citicrto 164 (Anm. 1), 169,
170, 111 (Anm. 1), ISO (Anm. 3),
181 (Anm. 1}, 186 (Anm. 2),
ISS (Anm. 2), 184 (Anm. 1),
141 (Anm. 1), 143 (Anm. 2, 3},
IM (Anm. 1_: Coggs v. Bern-
ard), 196. 202 (Anm.), 234.
(Anm. 1J, 241 (Anm. 3), 242
(Anm. 2), 263, 264 (Anm. 1),
266 (Anm. 2), 272 (Anm.), 273
(Anm. 1), 281 (Anm.), 282
(Anm.), 283 (Anm.), 234 (Anm.),
288, 239 (Anm.), 246 (Anm. 2}.
Faustpfandrecht 112. Siehe auch
Pfand und Pfändung.
Fcchtwettu 84, 31.
Fehde 107, 124,
— Wettvertrag bei Beilegung der
72, 31 ff.
Festuca 71, Anm.
Feudalismus 6, 271, 280, 285.
Fidci interpositio VIII, 5, 74 ff, 109,
112. 149—164.
— laesio 151, 153, 251.
Fides facta. Siehe fidei interpositio.
Fiducia 2Ü1 (Anm. 2), 261.
Fines (ünal concords) 162, 269, 289.
Flandrisches liecht 83 (Anm. 4],
Fleta 2L
Folc-land 40.
— Verpfändung von 139.
Forcclosure 199. 200, 212. 227 ff.
283 (Anm. 5).
— Decree of 29, 37, 233 ff.
Formal- oder Wettvertrag VIII, 32ff,
64 ff, 144 ff.
Formen der Immobiliarverpfändung
und Kombinationen dieser
Formen 231 ff.
Fränkisches Recht VIII, 18 (Anm. 1),
79. 104 ff. 116. 163, 233.
— in England 16, 19, 20.
Französisches Recht 62, 64, 201
(Anm. 2), 299, 300—302.
Freehold 42,
— estates 41, 44 ff.
Friede (Schirm) des Königs 83, 86,
87. 99. 108. 183,
Friedensgilden 101 ff.
Friedensstörer 100.
Friedensvertrag 98, 106.
Friesisches Recht 44 (Anm. 2), 18
(Anm. 1), 81 (Anm. 5), 1 16.
Frunung auf Grund der General-
satzung 301.
Fürsprecher (Vorsprecher) 72, 85, 88.
Gabe 234 ff. 240. 271, 213,
— ohne Gegenleistung 161.
Gage for years und die „bcneficial
lease“ 203.
Gavelet-Vcrfahren 265 ff.
Gavclkind 27, 264 ff.
Gebrauchs- und Nutzungsrecht an
der Pfandsache. Siehe Ver-
pfändung und Pfändung.
Gedinge 64 ff, 43 ff.
Gefahr und Kosten bezüglich der
Pfandsache 180, 194,
Gegenleistung 38,
Gegenpfändung (withernam) 189, 190.
Geiseln 70, 73, 43 (Anm. 3), 48 ff,
107, 109 (Anm. 2), 112, 127.
138, 139, 160.
Geld- und Creditwirtschaft 12, 14,
164.
Gelöbnis 77, 81, 83, 82,
Gelübde 155.
Gemeines Recht 14,
Gemot 122 ff, 132. 135 ff, u. s. w.
Gcneralbypothek 202 (Anm.), 300 ff.
Siehe auch Hypothek.
Generalobligation 111.
Generalsatzung 300 ff.
Gentili, Alberico 23,
Genugtuung 119, 131, 138.
Gerefe 97, 162 ff, 107, 109, 131—133,
138, u. s. w.
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363
Gerichte 24, 25, 27, 28, 31, 33 ff.
u. s. w.
Gerichtliche Erlaubnis zur Pfändung.
Siehe Pfändung.
— Pfändung 131 (Anm. I), 1221T.
Germanische Elemente im englischen
Recht 3, 15—17.
— Institutionen in England. 3.
— Völker in England 3.
Germanisches Recht VII — XI, löff,
39 fT, 43, 69* 70, 21 (Anm. 1JI),
74, 81, 35 (Anm. 4), 91, 94
(Anm. 2), 111911, 114, 115. 116.
132 (Anm. 2). 156. 161. 163,
112 (Anm. 1). 173, 174. 176
(Anm.), 128 (Anm. 3], 179
(Anm. 2), 184 (Anm. 3), 185
(Anm. 1), 19Ü (Anm. 2], 260
(Anm. 1), 26 2 (Anm.), 270, 302.
— Recht in England 3,
Geschworenen-Gcricht (inquest oder
recognition) 2.
Gesetze:
Consuetudines Cantiae 265.
Les Estatutes de la Jcuerie 232
(Anm. 2, 3, 4); 2S4 (Anm. 1).
Chapitles Tuchauuz La Gyuerie
284 (Anm. 1}.
Stat. 4 Henry II 172.
Capitula de Judaeis (A. 1). 1194)
278.
Proyisiones de Merton, (20 Henry
III, A. I). 1236) 52.
Stat. of Marlbridge, (52 Henry III,
A. D. 1267) 190, Anm. 2.
Stat. of Marlbridge (C. 4] 129
(Anm. 2), 130 (Anm. 3).
Stat. of Marlbridge (C. 15) 182.
Stat. of Marlbridgc (0. 21) 138
(Anm. 3).
Stat. of Marlbridge (C. 22) 264.
Carta Mercatoria (Ed. I) 159.
Stat. Westminster L A. D. 1275
(C. 16) 180, Anm. 3, 190, Anm.
Stat. Westminster I (C. 17) 189.
Anm. 3, 190. Anm.
Stat. of Glouccster, fi Ed. I, A. D.
1278 (C. 4) 264.
Stat. of Acton Bumel, 11 Ed. I,
A. D. 1283 287. 290. 291.
294 (Anm. 1).
Statutuni Walliae (A. D. 1284) 164.
Stat. of Merchants, 13 Ed. I, A. I).
1285 288, 290, 291, 294 (Anm.
1,2), 295 (Anm. 1), 291 (Anm.
L 3),
Stat. Westminster II, 13 Ed. I,
A. D. 1285 (C. 2) 188 (Anm. 1),
189 (Anm. 1),
Stat. Westminster II, 13 Ed. I,
A. D. 1285 (C. 18) 287. 291,
292. 224 (Anm. 1), 295 (Anm. 1),
Stat. Westminster II, 13 Ed. I,
A. I). 1285 (C. 21) 264.
Stat. Westminster II, 13 Ed. I,
A. D. 1285 (C. ü) 265.
Stat. Qnia Emptorcs, 18 Ed. I,
A. D. 1290 (st. 1) 42, 44, 202
(Anm.), 286.
Stat. 5 Ed. II, A. D. 1311 (C. 33)
291. 294 (Anm. 1).
Statutum de Gaveleto in London,
10 Ed. II, A. D. 1317 266.
14 Ed. DI, A. D. 1341 (St. 1,
C. U) 294, Anm. L
Stat. of the Staple, 22 Ed. III,
A. D. 1353 (St. 2, C. 9) 288,
290. 292, 294 (Anm. 1),
3S Ed. III, A. I). 1362 (C. 7) 292,
Anm. 3, 294. Anm. L
10 Heu. VI, A. D. 1432 (C. 1) 294
Anm. L
23 Hen. VIII, A. D. 1531-1532
(C. 6) 287, 293, 294 (Anm. 1, 2).
22 Hen. VIII (C. 16) 49,
32 Hen. VIII, A. D. 1540 (C. 5)
293 (Anm. 2), 294 (Anm. 1),
32 Hen. VIII, 206 (Anm. 1),
Stat. of Uses, A. D. 1535 42.
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364
Stat. of Will«, 32 Hen. VIII, A. D.
1541 A4.
Stat. 2 aud 3 Ed. VI, A. D.
1548—1549(0.31) 294(Anm. 1).
12 Charles II (0. 24) 42
2 William and Mary (C. 5) 185.
Anm. 1, 2.
4 William and Mary (C. 5) 178
(Anm.).
4 George II (C. 28) 269
Distress für Heut Act, stat. II
George II VC. 19) § 16, A. D.
1737 288.
Kcal Property Limitation Act, 8.
38 (1833) 281.
Stat. 26 and 21 Victoria (0. 125)
298.
Judicature Acts (1873—1875) iH,
259.
Land Transfer Acts (1875, 1897) 49.
Oonvcyancing and Law of Property
Act (1881) 213, 288,
Bills of Sale Act (1882) 291, Anm. L
Gesetze der Angelsachsen 89 ff.
Gesetzgebung 21.
Gewährleistung (warranty) 288—274.
— als dingliche Belastung 268,
212 ff.
— Persönliche 268, 272.
Gewährsmann 99 (Anm. 2).
Gewere 39, 229ff. Siehe auch
Besitz und Seisina.
Gift. Siehe Gabe.
Gilden 10, 12, 101 ff.
— Statuten der 102.
Glanvill 21.
„Glanvillian Gage“ 214 ff, 231 ff,
231 ff, 243, 245, 246, 251.
Gotisches Recht 55 (Anm. 2), 1 16.
Gottesurteil (ordeal) 4. Siehe auch
Ordalien.
Gott-Verbürgung 71, 75, 93 ff, 156.
Grafschaften 6.
.Grant, Lie in“ 305.
Grundbesitz 5.
Grundherr 131 ff, 138 ff.
Gutgläubiger Dritter 302.
Gutsherrschaften (manors) 8—10.
Gutspächter, System der Bewirt-
schaftung durch 8,
Haft 8Q (Anm. 2), 96, 125, 131, 135.
138.
Haftung VIII, 69. 78. 75. 156. 194,
246 ff., 257. 258, 281, 299 ff.
— Gegenstände der 300 ff.
— des Mobiliars 111 ff., 294
(Anm. 1).
— des Pfandgläubigers 194 ff.,
228, 229.
— des Pfandschuldners 212,
— und Schuld 109 ff.
Haie 25.
Halsfang 83 ff.
Hand wahre Hand 50, 196,
Handel und Industrie 4 — 14, 98 ff-,
164. 277, 286, 290. 292 ff., 303,
Handgeld 92, Amn.
Handschlag 71, 83 ff.. 99. 151. 155,
156, 163.
Handschuh 152, 157.
Heinrichs II, Regierung L
Heinrichs III, Regierung L
Uereditaments, Corporeal and incor-
pureal 40, 4L
Hiremannen 105, 108.
Hoftage der Vasallen 6.
Holländisches Recht 302.
Holschulden 134.
Holt 25.
„Hue and cry“ 189
Hundertschaften 6, 120, 122, 132
(Anm. 1), 136,
Hyperocha IQ (Anm.), 144, 145, 185
(Anm. 2), 197 (Anm. 2), 199,
200, 210—213, 222-224, 246
(Anm. 2), 250. 255, 258, 259,
283, 284, 297, 298, 305.
Hypotheca. Siehe Hypothek.
— tacita 173.
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Hypothecations 304, Anm. 4.
Hypothek H, 13, 38, 4L 144, 157,
IM (Anm. 3], 201 (Anm. 2), 202
(Anm.), 210. 218. 248. 201 bis
303.
— General- 202 (Anm.), 3Ü0 ff.
— am ganzen Immobiliar 303.
— am Mobiliar Ul ff.. 193, 200,
201.
— Neuzeitliche 304.
— Umbildung des mortgage in
eine 304.
— und Vermögenshaftung 233 ff.
Immobiliargut 40.
Immobiliarklagen 43 ff.
Immobiliarpfandrecht L23 ff., 201
bis 30k
Immobiliarrecht 42 ff.
Injunction (gerichtliches Verbot) 30.
Inns of Court 24.
Inrotulierung von „Statutes“ 303.
Interpositio fidei (pledge of faith)
149— 1G4. Siche auch Fidei
interpositio.
Italienisches Hecht 163, 221.
„Jcwish Gage“ lL 210, 277-284,
298. 303.
Johann X.
Juden 1_L 12, 158, 277—284.
Judgment lien 299.
— Confessing 298.
Judgments 38, 288 ff.
Judicats-Hypotbek 4L 288 ff., 299.
Siehe auch Hypothek.
Judicaturc Acts 31.
Jury, Ursprung der 132, Anm. 4,
Kanonisches Recht 93, 94 (Anm. 2],
— — in England 17.
Kanzleigericht (Chancery) 8.
Kauf auf Wiederverkauf 145.
Kaufehe 73, 31 ff.
Kaufleute 11—14, 158, 286 ff.
Keltische Institutionen und keltisches
Recht 15.
— Zivilisation in England 3.
Kesselfang 78, 128 (Anm. 3).
Kirche 8,
— Einfluß der 35 (Anm. 3}.
— Jurisdiction über Verträge
149-164.
— Römische Kirche in England
18, IS,
Kirchenrecht 143 ff.
— Gelöbnis im 97.
Klageantrag (indorsementofclaim) 36.
Klagen 33 — 37, 153—104. Siehe
auch Actions.
— der angelsächsischen Zeit 76 ff.
— Petitorische 42.
— Possessorische 220 ff.
Klöster 1L
König H), 14, u. s. w.
Königreiche 6.
Königsfrieden. Sieho Friede des
Königs.
Königsgericht 6.
Kontinentalisches Recht 42, 43, 174,
120 (Anm.), US (Anm. 3), 184
(Anm. 3], 130 (Anm. 2), 212
(Anm. 1L 262 (Anm.), 285
(Anm. 1), 304. Siehe auch
GermanischesRccht, Römisches
Recht u. s. w.
Kreditwesen 277.
Kronvasallen (tenentes in capite) 0.
Kuss 84, Anm. 3.
Lsen-Land 40.
Landbncher 19.
— Besitz der Landbncher bei Ver-
pfändungen 141 ff.
Lanfranc 20.
Langobardisches Recht 109, 112, 115,
178 (Anm. 3).
Lasten, Feudale 247.
Lease and release 49.
Legal estates 44.
Legatare 257, 258.
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3G6
Lehnsdienste und Renten als Belas-
tungen 2112 ff.
Lehnsstaat, Normannischer 7.
Lehnssystem 42.
Leibeigenschaft 9, 277.
Lex mercatoria 10, 27, 159. 160.
167 (Anm. 2), 222 ff.
Liens 2£1 ff., 304 (Anm. 4). Siehe
auch Belastungen, Burdens,
Charges.
Literatur des gemeinen Rechts 21 ff.
— und Quellen des Pfandrechts
350-360.
— und Quellen des englischen
l’rivatrechts 51 — 54.
„Livery, Lie in“ 305.
Longchamp, William 2L
Magna Charta 2.
Mandate (writs, brevia) 23 ff.
Mannbusse 84 ff.
Mansticld 25.
Maritagium (Heiratsgut) 152, 153, 274.
Märkte (fairs) 14.
Mercantile System 14,
Missio in baunum Regis des fränki-
schen Rechts 26,
Mixed actione 32,
Mobiliargut 40,
Mobiliarhypothek 111 ff., 2Q2 (Anm.),
302.
Mobiliarpfand, Jüdisches 282, Anm. L
Mobiliarpfandrecht 114 ff., 164—201.
Mobiliarrecht 20,
Mobiliarverpfändung mit Besitz des
Gläubigers 193.
Mord 86, 82. Siehe auch Tötung. I
Mortgage 30, ,208, 211, 213, 228,
232 (Anm. 1), 234. 239, 240 ff.,
260. 261, 281, 304. 302.
— an beweglichen Sachen 200.
— Equitable 304.
— I.ittleton’s 240 ff.
— for term of years 247.
Mortgagec in possession 258 ff.
Mortgagor in possession 258 ff.
Mortuum vadium 141 (Anm.4), 203 ff.,
241 ff.
Nachlaßrecht 5,
Nährlohn (föster-leän) 88 ff.
Namium, Simplex 263, 267.
Nationale Entwickelung 9,
Naturalwirtschaft 12, 14, 164.
Nordisches Recht 55, 70, 84 (Anm. 3),
88 (Anm. 7), 82 (Anm. 3), 88.
— in England UL
Normannen, England unter den 8.
Normannische Eroberung 8.
— Herrscher 1 1.
Normannischer Einfluß 6.
Normannisches Recht 48, 62, 79,
206 (Anm. 3), 288.
— in England 16, 20,
Nutzpfand IX, 19, 138 ff., 201 — 213,
233 ff., 258, 298.
— Befristetes 246.
— Reines 214, 224 (Anm. 3), 227,
230. 231 ff.
Nutzpfand plus Substanzpfand IX,
231 ff., 288.
Nutzungsrecht 264, 283,
— auf J ahre 202 ff.
Oath. Siche Eid.
Obligatio generalis 300 ff.
— personae 302,
— specialis 301 ff.
Obligationenrecht 37 ff. ,
Offa 1_L
Öffentlichen Recht, Wettvertrag (Ge-
löbnis, Gedinge) im 88 ff.
— Fides facta im 150 ff.
Öffentlichkeit bei Hypothek 280.
Oekonomische Entwickelung Eng-
lands 4 ff.
„Once a mortgage, always a mort-
gagc“ 256.
Ordalien 78 ff., 121 (Anm. 5), 129,
131, 133, 138,
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367
— Liturgie 16.
— Siehe auch Kesselfang.
Overseunessa 123, 130, 137, 138.
Oxford, Alberico Gentili zu 23, 24.
— Schule für beide Rechte zu 2L
Pachtverhältnis 140, Anm. 3,
Papinian zu York IS,
Parlament 7, 9.
Person des Schuldners, Zwangsvoll-
streckung gegen die 286 ff.
Personal actione 34 ff.
— property 40, AL
Personenhaftung VIII, 69, 1Ü2 ff.,
222 ff.
Persönliche Klage gegen den Pfand-
schuldner 199 (Anm. 3), 212, |
246 ff., 259, 2SA ff.
„Pes“ (Fuß) einer Schuldancrkennung j
279.
Pfand 80, 124, 125.
— Einlösung des Pfandes 138 bis
140, 142, 145. 184, 185, 198,
200, 207, 209, 2H, 213, 225 ff.
230, 238, 236, 241—243, 246,
242 ff., 222 ff., 263, 266, 228,
282.
— Einlösung des Pfandes nach
dem Stichtag 250 ff.
— des Friedens 99, 107.
— Gegebenes 122 ff- 164, 191
bis 201.
— Genommenes 41, 11411., 133 ff.,
164-191.
„Pfand und Bürgschaft“ (gage and
pledge) 122 ff.
Pfandgeschäft, Kombiniertes 233 ff.,
246. Siehe auch Nutzpfand,
Substanzpfand.
Pfandgläubiger als Freeholdbesitzor
232 ff.
— als tenant 232.
Pfandgläubigers, Rechte nnd Pflichten
des 219 ff
Pfandkchruug 184, Anm. 3,
1 Pfandrecht als accessorisches Reeht
IX. Siehe auch Persönliche
Klage gegen den Pfandschuld-
ner; Haftung.
— Englisches VIII.
— Geschichte des 12.
— und Rechts- und oekonomische
Verhältnisse 3.
— und Schuld 145.
Pfandsatzung VIII, 111.
Pfandschuldners, Rechte und Pflich-
ten des 222 ff, 23Qff
Pfandstall ISO ff.
Pfandwehrung 184, Anm. 3.
Pfändung 156. 299 ff.
— Akt der 175 ff.
— Außergerichtliche, für Schuld-
forderungen 114 ff.
— Eigenmächtige 32) 114 ff.
— mit Erlaubnis des Gerichts 113,
144 ff, 134 ff, 169 ff, 263 ff
— ohne gerichtl. Erlaubnis 114ff
— Gebrauchs und Nutzungsrecht
an gepfändeten Sachen 167,185.
— Gegenpfändung 189, 190.
— Gegenstand der 135, 176 ff.
— Gerichtliche VIII, 134 ff,
122 ff, 191 (Anm. li
— von Land 178, 263 ff.. 213.
— seitens des Lchnshemis 169 ff.
— von Mobilien U4 ff, 134 ff,
164 ff, 263 ff, 2SL
— Ort der 186.
— im Prozeß 114, 164.
— wegen rückständiger Rente und
Dienste 116, 263 ff.
— als Selbsthilfe 32, 112 ff.
— der Sippegenossen des Schuld-
ners 116 (Anm. 3), 121, 134.
— im Ungehorsamsprozeß 122 ff,
135 ff.
— Ungesetzliche 19Q (Anm. 2],
— von Vieh 114 ff, 134 ff, 164 ff.
— Widerstand bei der Pfändungs-
vornahme 183 (Anm. 1), 184.
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368
Pfändung, Zeit der I7fi.
Pfändungsklausel 169.
Pignus 201 (Anm. 2), 221. 261. 305
(Anrn. 1),
Plantagenets 11.
Pledge of faith 73 ff., 143 — 164.
Siehe auch Pidei iuterpositio.
Posse comitatus 189.
Priester bei Eheschließung 92.
Priorität 244.
Privatrecht, Englisches 13 ff.
— Fides facta im 152, 153.
„Property-gage“ IX, Anm. L
Proprietätspfand IX.19. 139 ff.. 201ff„
213-261.
Protokollierung von Schuldaner-
kennungen 280. 286 ff., 303.
Prozeß 36, 31.
Quasihypotbckarischo Vermögenshaf-
tung 302.
Quellen und Literatur des englischen
Privatrechts 51 — 54.
— des Immobilienpfandrechts
307—349.
— und Literatur des Pfandrechts
350-360.
Quid pro quo 161.
Rache 113 (Anm. 3), 124, 190 (Anm. 2).
Kaub 125, llfi (Anm.), 186.
Kaubehe 31 ff.
Real actions 34 ff.
— property 40, 4L
Realisierung des Pfandrechts 137,
139, 131 ff.
ReallBsten 163, Siebe auch Be-
lastungen.
Realvertrag 37, 31 (Anm. 5).
Rechnungsablegung. Siehe Hype-
rocha.
Rechte, Dingliche und persönliche
157, 158.
Rechtsausdrücke, Deutsche LL
Rechtsentwickeluug Englands 4 ff.
Rechtsgang, Wettvertrag im 16 ff.
Recbtsgeschichte 1L
1 Rechtsschutz 32 ff.
Rechtswissenschaft, Vergleichende 1 1»
Recognizances 38, 284 ff. Siehe
auch Schuldanerkennungen.
— in the nature of a „Statute
staple“ 282 ff.
Redemption, Equity of 29, 30, 37,
200, 211, 228. 250 ff. 3QL
Reichsgericht 1,
Reinigungsbeweis 121, Anm. 5.
Renten 47, 160, 161 ff.
— und Lchnsdienste als Belastun-
gen 262 ff.
— Rent-cbarge 28, 168 ff, 262 ff.
— Rent-seck 168 ff.
— Ront-scrvicc 28, 168 ff, 262ff.
Rcsolutivbedingte Übereignung zu
Pfandzwecken 144, 200. 213 ff.
239 ff. 260.
Retentionsrecht IX, 137. 166, 167,
175. 185. 191. 264,
Rezeption des römischen Rechts 22,24,
Richter, Wandernde 7.
Richterspruch 199.
Römische Zivilisation in England 3ff.
Römisches Recht VI, 50, 70, 142,
145, 172, 132 (Anm. 2), 201
(Anm.2). 214, 221. 233(Anm.5).
250 (Anm. 2), 252. 260 (Anm. 1),
261, 270, 274, 236 (Anm. 4),
305 (Anm. 1}.
Römisches und kanonisches Recht in
England 5. Uff. 172. 173,
Sachen, Dnkörperliche 168, 174.
Sachenrecht 33 ff.
Sachhaftung 69, 110, 111, 239 ff.
— Reine VIII.
Sachhaftungsrecht, Pfandrecht als
VIII.
Sächsisches Recht 109, 110, 115.
Satzung, Ältere 201 (Anm. 2).
— Jüngere 201 (Anm. 2), 299,
301.
— des Vermögens 300.
Satzungen der Witan 108.
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369
Scheinpfand 70, 113.
Scheinprozeß 162.
Schenkung 269
Schifffahrt 13.
Schotten, Kecht der 1 19.
Schuld und Haftung 102 ff.
Schuld und Pfandrecht 1 43.
Schuldanerkennungen, Gesiegelte liiU.
— der Juden 278.
Schuldforderung des Pfandgläubigers
220. 230.
Schwedisches Recht 88 (Anm. 7J, 1 15.
Scirman 112 (Anm. 3], 127.
Seisin und Disseisin von Mobilien.
192.
— Livery of 243. 280.
Seiaina 46, 48, 49, 188, 245, 282,
Siehe auch Besitz.
— einer Rente 124 ff.
— ut de radio 203 (Anm. 2),
212 ff. 222. 2»6. 283,
Selbstbefriedigung, Recht der 173.
185.
Selbstbürgschaft 14.
Selbsthilfe 32, 114 ff, 118 ff, 134 ff.
Shetar (starrum) 279.
Shiregemot 120, u. s. w.
Sicherstellung von Forderungen 10
bis 13, TO (Anm.), 138, 141 ff,
203. 213, 223, 230, 233 ff, 250.
258 ff, 281 ff, 277. 286. 304
Sicherungsmittel, Pßndung als
Zwangs- und 137.
Siegel 163.
Special Law 28, 22.
Specialties 27, 149 — 184.
Specificperfonuance (Naturalerfnllung
30.
— relief 36.
Staatsverträge 108.
Staatawesen, Angelsächsisches 2.
Stab 152.
Städtewesen 6—11.
Ständestaat, England als 7.
Stapolplätze 13, 14, 222 ff.
Mazeltlne, Englisches Pfandrecht
Statute Law (Gesetzesrecht) 28 ff.
„Statutes elegit“ 41, 287 ff.
— merchant“ 37, 38, 4L 112
(Anm. 3), 210, 288 ff-
— Securities by, 308.
— staple“ 38, 4L 210, 288 ff,
293 ff.
Strafprozeß, Pßndung im 122 ff,
135 ff.
— Gegebenes Pfand im 128 ff-
Strafrecht 113 (Anm. 2), 1 15, 117.
122 ff, 125 ff, 130 (Anm. 6],
132 ff, 135 ff, 125 ff, 188 ff,
271, 292.
— der Angelsachsen 22 ff, 28 ff,
22 ff, 23 ff, 28 ff, lOQff, 113
(Anm. 2).
Substanzpfand IX, 122 (Anm. 2),
199, 218 ff, 231, 233 ff. 246,
248, 254, 228.
Summons 36.
Suspensivbedingte Übereignung zu
Pfandzwecken 213 ff, 233 ff,
260.
Symbolische Übereignung zu Pfand-
zwecken 240.
Synallagma 38.
Tenants in mortgage 241, Anm. 4,
Tcnementum 42.
Tenure 42.
— Free and unfrec 42.
Terminologie der Quellen des eng-
lischen Pfandrechts 54—65.
Testament 154, Anm. 2.
Thegn 132, u. 8. w.
Todsatzung 140 ff, 203 ff.
Tötung 72, 81 (Anm. 3], 82 (Anm. 1),
83, 85, 86, 87, 97, 102 (Anm.).
Traditio 50.
— der Braut 82 ff.
— cartae 48.
Trauung 90 ff.
Treuhänder (trustee) 257.
Treuversprechen 7L, 73 — 75, 23
(Anm. 3). 99. 107. 110.
24
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370
Trust 260.
— Breach of(Vertraucnsbruch 30
Tndors 14.
I7nder-wcd 124 (Anm. 4}, 126, 128,
123 (Anm. 1}, 138.' L41 (Anm.
2, 51-
Ungehorsamsprozeß, Pfändung im
122 ff, IM ff.
Ungesetzliche Pfündung 190, Anm. 2).
Untcrrasallen (subtenentes) 6.
Unveräußerlichkeit des Lehens ohne
Erlaubnis des Grundherrn 285ff.
Urkunde, Gesiegelte 113.
Urteil pro loco et tempore 273
Urteilserfüllung 121, 121 (Anm. 3).
Urteilserfüllungsgelöbnis 78, 80.
„Usufruct-gage“ IX, Anm. L
Tacarius 2Ö.
Vcränßerungsfreiheit 302 ff.
Verbot (prohibition) 134.
Verbuchtes Land 304.
Verfall des Lehens 171, 263 ff, 266 ff
— des Pfandes, Ein auf Billig-
keitsprinzipien beruhendes Ver-
fahren beim 198, 227.
Verfalls, Härte des absoluten LOS
(Anm. 2), 248 ff.
V erfallserklärung. Siehe Poreclosure.
Verfallsidce 69, Anm. L
Verfallsklausel 131 ff, 225, 231. 233
bis 237, 252.
Vcrfallspfand IX. 139, 145, 185,
131 (Anm. Ij, 193, 191 ff, 207,
211-213, 214 ff, 225 ff, 233 ff,
229 ff, 242 ff, 244 ff, 246, 251 ff,
254. 256. 283, 298, 304,
Verfolgung der Spur gestohlenen
Viehes 102, 126. 128 ff.
Vergleich, Endgültiger. Sic he Fines.
Vcrhandlungsversprechen 76 ff.
Verkauf 158 ff, 160, 163.
— Bedingter (dcfeasible or con-
ditional salc) 260.
— auf Wiederverkauf 142, 260
(Anm. 1).
| Verkaufsklauscl 254 ff.
Verkaufspfand IX, 137, 166. 185,
191, 121 (Anm. 2), 199. 200,
213, 254 ff, 298, 304. 305.
Vorkaufsrecht 132 (Anm. 2), 254.
283, 228,
Verkaufsurkunde gegen Pfandrevers
142,
Verlobung 22,
— Wettvertrag bei 81 ff.
Vermittler 83, 108.
Vermögenshaftung 111 ff.
— und Hypothek 299 ff.
Verpachtung auf Jahre 46, 160, 162,
202 ff, 220.
— zu Pfandzwecken 222 ff-
— und das Glanvillsche Pfand
282,
Verpfändung mit Besitz des Gläubi-
gers 248.
— Erlaubnis des Grundherrn zur
Verpfändung von Land 285.
— Freie Verpfändung und Ver-
äußerungvon Land 202 (Anm.).
— des ganzen Vermögens 299 ff.
— Gebrauchsrecht an verpfände-
ten Sachen 194.
— Gegenstand der 217.
— des gegenwärtigen und zu-
künftigen Vermögens 294,
300 ff.
— von Ländern und Städten 202
(Anm.).
— von Mobilien als eine Form
des bailment 193.
— der Person oder der Freiheit
37, 110, 112 (Anm. 3), 150.
— und Verpachtung der ganzen
Judenschaft 277 (Anm. 2).
— Verschiedene Verpfändungs-
formen und Kombinationen
derselben 218 ff.
Verrat des Herrn 96,
Versprechen, Rein unentgeltliches 161.
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371
Verträge, Zweiseitige und einseitige I
10L
— gegen die guten Sitten 96.
Vertrauenswege (trust), Übereignung
im 260.
Vetitium namii (vee de nam) Hifi,
IM ff-
Vicecomites 6, 123. 135. ti. s. w.
Vivnin vadium (Todsatzung) 203 ff,
213 ff, 284. 233,
Vögte 102 (Anm. 3), 104 (Anui. 6),
106, u. s. w.
Volksrccht 3L
Vollstreckungsprozeß U, LL u. s. w.
Vorbehalt der Zurückübcreignung
242. Anm. L
Voreid 95* 96.
Vorzugsrecht bei der Befriedigung
300.
Wadiatio 109, UL
Waffe, Geloben auf eine 83, 99, 108.
Wäger of law 152.
Walliser, Recht der 121 ff, 134 ff.
Wäpentak 131, 132, 138, u. s. w.
W arranty 268 — 274.
— Expreß and tacit 270, 212 ff. !
— Vouching to 270 ff.
Wed 69 ff, 119 ff.
»Welsh mortgages“ 2H ff, 256.
— Securities in the nature of |
209.
Wergeid 4, 72, 81 ff. 99, 12L
Wette 63 ff, IL
Wett- oder Formalvertrag VIII, 5, I
63 ff, 33 ff, 149 ff, 173, 114, j
Wiedereintritt, Recht auf 243 (Anm.
5}, 267.
Wilhelm der Eroberer 6,
Witenagomot 6,U07, 108, u. s. w.
Withemam 189, 190.
Wittum 247, 268, 269, 274—276. .
Wittumsklagcn (writ of dower, writ
of right of dowor, writ of do-
wer unde nihil habet) 34.
Wort und Gedinge 106, 108.
Wort Das gegebene 150.
— und Wette IL
Writ« (brevia) 7, 33 ff. Siche auch
Actions.
Capias in withemam 190. Anm.
F.legit 37, 231 ff.. 298. 299.
Ficri facias 37. 286. 289, 291. 232.
Levari facias 37, 286, 289, 291.
Magnum cape 36,
Scire facias 273.
Summons, Writ of 35.
Written law and unwritten law 26.
Wucher (usury) 203 ff., 205 ff-, 213
(Anm. 3),
Year Books 52
20—21 Ed. I (1311 234, Anm. 1.
20—21 Ed. I (158) 186, Anm. 2.
20—21 Ed. I (242) 182, Anm. 2,
236, Anm. 1.
20— 21 Ed. I (422) 241, Anm. 1.
21— 22 Ed. I (125) 234, Anm. 1.
21-22 Ed. I (134, 358) 177, Anm. 3.
21—22 Ed. I (222 - 224) 235, Anm. L
21—22 Ed. I (362) 175, Anm. L
30-31 EdJL (208 - 212) 241, Anm. L
30-31 Ed. I (223) 189, Anm. L
32—33 Ed. I (355, 356) 279, Anm. 4.
1— 2 Ed. II (92, 93) 297, Anm. L
2— 3 Ed. II (14, 15) 241, Anm. L
2—3 Ed. II (78, 79) 165.
15 Ed. II (327) 295, Anm. L
13 Ed. UI (3) 295, Anm. L
28 Ass. (pl. 7) 296, Anm. 2.
30 Ass. (38) 180, Anm. 3,
12 Hen. VF (4) 297, Anm. 2,
9 Ed. IV (25) 197, Anm. L
21 Ed. IV (19) 197, Anm. L
2 Rieh. III (8) 295, Anm. L
15 Hen. VU (16) 295, Anm. L
Zentralgewalt 14.
Zeugen beim Abschluß des Wottvcr-
trages 155.
Zeugen beim Verkauf 159.
Zeugnis, Falsches 93, 96.
24*
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372
Zins 144.
Zinssatzung 141 ff., 203 ff.
Zinsverbot, Kanonisches 277.
ZivilprozeLS. Gegebenes Pfand im 126 ff.
Zugriffsrecht 302.
Zurückbehaltungsrecht IX, 185
(Amn. 1).
Zurücknahme (rcscous) der gepfän-
deten Sache 180 ff.
Zwangs- und Sichcrungsmittel, Pfän-
dung als 137, 1S7, 172, 173,
185.
Zwangsvollstrcckungsverfahrcn 37,
261, 277, 282, 284 ff., 299 ff.
Zweihyndemann 82 ff.
j Zweikampf 79.
Zwölfhyndemann 82 ff.
A. Favorite, vorm. Eduard Trewendt's Buchdruckerei in Breslau
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Grunderwerb und Treuhand in Lübeck
von
Dr. jur. Otto Loening
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto Gierke
Profewor der Rechte an der Universität Berlin
93. Heft
Grunderwerb und T reuhand in Lübeck
von
Dr. jur. Otto Loening
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1907
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Grunderwerb
und
Treuhand in Lübeck
Dr. jur. Otto Loening
■£=»<§- -O ♦ »
Breslau
Verlag von M. & H. Marens
1907
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Inhalt
Seite
§ 1. Einleitung 1
I. Persönliches und sachliches Anwendungsgebiet der Trenhand.
§ 2. a) Geistliche 5
§ 3. (Fortsetzung) b) Die Fremden 25
§ 4. (Fortsetzung) c) Ritter und Hofleute 39
§ 5. II. Oertliches Anwendungsgebiet . . 41
§ 6. III. Die Eintragungen bei den Zuschriften zu treuen Händen . . 44
§ 7. IV. Die Bestellung der Treuhänder 48
§ 8. V. Die Rechtsstellung des Treuhänders und des Treugebers . . 56
§ 9. VI. Vererblichkeit und Beendigung des Treuhänderverhältnisses . 84
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Vorwort
Wenn die vorliegende Arbeit den Titel „Grunderwerb und
Treuhand in Lübeck“ trägt, so entspricht der Inhalt der Arbeit
dem Titel nicht vollständig. Es kam bei der Arbeit hauptsäch-
lich darauf an, zu zeigen, wie im mittelalterlichen Lübeck das
Institut der Treuhänder beim Erwerbe von Eechten an Liegen-
schaften durch Nichtbürger zur Anwendung gelangt ist. Hiervon
ausgehend sind einerseits alle Fälle ausgeschieden, in denen das
Institut der Treuhand bei Lübecker Bürgern zur Anwendung
gelangte, so namentlich die Fälle, in denen Treuhänder für
abwesende Lübecker Bürger bestellt wurden. Andererseits
beschränkt sich die Arbeit nicht nur auf die Anwendung der
Treuhänder beim Erwerbe von Liegenschaften, sondern gemäss
der geschichtlichen Entwickelung sind auch die Fälle berück-
sichtigt worden, in denen Treuhänder bei dem Erwerbe von
Rechten an Liegenschaften Vorkommen. Die Arbeit befasst
sich aber nicht nur mit dem Institute der treuen Hand, sondern
auch mit der Gesetzgebung bezüglich der Beschränkungen, denen
die Nichtbürger in Lübeck beim Erwerbe von Liegenschaften
und Rechten an Liegenschaften unterlagen. Die Entwickelung
dieser Gesetzgebung musste dargestellt werden, denn die
städtische Treuhand lässt sich nur aus dieser Gesetzgebung
heraus verstehen.
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Nur das Recht des mittelalterlichen Lübecks ist berück-
sichtigt worden. Die spätere Entwickelung, die im revidierten
Stadtrechte zu einem ge wissen Abschlüsse gelangte, hat das Institut
der Treuhänder wieder zu beseitigen gesucht. Mag diese Gesetz-
gebung auch in mancher Hinsicht von Interesse sein, für die
juristische Konstruktion des Verhältnisses der treuen Hand
kommt sie nicht in Betracht; sie ist daher auch nicht behandelt
worden.
Die erste Abteilung des Urkundenbuches der Stadt Lübeck
ist mit Lüb. Urkb., die zweite Abteilung mit Lüb. Urkb. Abt. II.
bezeichnet worden.
Otto Loening
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§ 1.
Einleitung.
Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden,1) dass
im Mittelalter das Institut der Treuhänder oder Salmannen in
den Städten beim Grundeigentumserwerb eine gewisse Rolle ge-
spielt hat. Die Treuhänder dienten in den Städten dazu, be-
stimmten Personenklassen den Erwerb von Grundeigentum zu
ermöglichen. Wir finden diese Anwendung der alten Salmannen
in vielen mittelalterlichen Stadtrechten2), auch das Rechtsbuch
nach Distinktionen erwähnt sie.3) In neuester Zeit sind von
Beyerle die Constanzer Grundeigentumsurkunden einer privat-
rechtsgeschichtlichen Untersuchung unterzogen worden, wobei
besonders der Gegensatz des freien Eigentumes und des ihm zur
Seite stehenden Salmannenrechtes hervorgehoben und eingehend
behandelt worden ist. Von Grund auf hat Beyerle das städtische
Salmannenrecht für Constanz beleuchtet. Er kommt dabei zu
folgendem Resultat: „Wer nicht Bürger ist, kann freies Grund-
eigentum innerhalb der Mauern von Constanz nur unter Zubülfe-
nahme von Constanzer Bürgern als Salleuten erwerben“. Schon
dieser Satz zeigt mit Deutlichkeit, welchen Gang die Unter-
suchung Beyerles eingeschlagen hat. Nicht nur die privat-
’) Stobbe, lieber die Salmannen (Zeitschrift für Recbtsgeschichte
Bd. VII. S. 405 fg.) S. 431 fg. Heusler, Institutionen des deutschen Privat-
rechts Bd. I. (1886) S. 223. Beyerle. Qrundeigentuinsverhältnisse und
Bürgerrecht im mittelalterlichen Constanz Bd. I. (1900): Das Salmannenrecht,
vgl. auch 0. Oierke, Orundzüge des deutschen Privatrechts in der Ency-
klopädie der Rechtswissenschaft von v. Holtzendorff-Kohler (6. Aufl.) Bd. I.
8. 452. v. Schulte, Lehrbuch der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte
(6. Aufl. 1896) S. 467 Note 11. H. Lämmer, Das Recht der treuen Hand
(Diss. Würzb. 1875). Kober, Das Salmannenrecht und die Juden (Bd. I
Heft 3 der von Beyerle heransgegebenen .Deutschrechtliche Beiträge“).
*) Vgl. Stobbe a. a. O. S. 432 fg. Beyerle a. a. O. S. 29 fg.
s) Rb. n. Dist. (herg. von Ortloff 1836) I. 48, 4.
Locn in Grundcrwerb und Treuhand in Lübeck 1
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9
rechtliche Seite des Institutes der Treuhänder, sondern auch seine
verfassungsgeschichtliche Bedeutung will Beyer] e an der Hand
der Constanzer Urkunden beweisen. Beyerle bat sich in seinen
Untersuchungen auf Constanz allein beschränkt. Es mag im
folgenden der Versuch gewagt werden, auf Grund der bisher
veröffentlichten Lübecker Urkunden das Institut der Treuhänder
bezüglich der Grundeigentumsverhältnisse zu beleuchten. Gerade
in Lübeck hat dies Institut eine besondere Rolle gespielt, ja
man hat sich der Treuhänder sogar so häufig bedient, dass das
revidierte Lübecker Stadtrecht vom Jahre 1586 in Buch I
Titel II Artikel 5 es für nötig erachtete, hiergegen einzuschreiten
und die Zuschreibungen von Grundstücken zu treuen Händen im
Oberstadtbuch zu verbieten. Eine Untersuchung über die Treu-
händer im Lübischen Recht bezüglich des Grundeigentumserwerbes
mag trotz der eingehenden Arbeit Beyerles gerechtfertigt sein,
wenn man die verschiedene Entwicklung der Grundeigentums-
Ubertragung in Lübeck und Constanz und die Entwicklung der
Stadtbücher in Lübeck ins Auge fasst. Selbstverständlich werden
sich trotz dieser Verschiedenheiten für das Recht beider Städte
einige gemeinsame Rechtssätze und gemeinsame Gesichtspunkte
ergeben; andere dagegen werden verschieden sein. Wir werden
sehen, dass das Institut der Treuhänder in Lübeck im wesent
liehen denselben Zwecken diente wie in Constanz, dass sich aber
gerade in verfassungsgeschichtlicher Hinsicht doch mancherlei
Verschiedenheiten zeigen. Worauf diese andere Gestaltung in
beiden Rechten beruht, wird im Laufe der Darstellung sich
ergeben. —
Auf die ältere Gestaltung der Treuhand und des Salmannen-
rechtes soll hier nicht näher eingegangen werden. Sie hat für
das Lübische Recht weniger Bedeutung. Es mag genügen,
wenn auf die Ausführungen Beyerles1) verwiesen wird. Uns
beschäftigt allein das neuere Salmannenrecht, wie es uns im
mittelalterlichen Lübecker Stadtrecht entgegentritt. Vorerst
die privatrechtliche Seite des Institutes. Hier ist es vor allem
Stobbe,2) der sich eingehend mit dem neuen Salmannenrecht
') Beyerle a. a. O. 8. 11 fg. und die dort Angeführten, bes. Heusler
a. a. 0. Bd. I. 8. 215 fg.
*) Stobbe a. a. 0. 8. 431 fg.
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3
beschäftigt hat. Er geht davon aus, dass einige Klassen von
Personen eines Vertreters bedurft hätten, um Erwerbsfähigkeit für
Grundeigentum zu erlangen. Diese mangelnde Eigenschaft hätten
derartige Personen nur dadurch erlangen können, dass sie mit einer
anderen in dieser Beziehung vollkommenen Person zusammen
das Eigentum oder sonstige Rechte am Grundstück erwarben.
Diese Gemeinschaft habe dem Vertreter nach innen weder
Eigentum noch sonstige Befugnisse erteilt. Nur nach aussen
sei er in denjenigen Beziehungen als berechtigt erschienen, in
welchen die Rechtsfähigkeit des Vertretenen einer Ergänzung
bedürftig war. Der Vertretene sei in seinen Dispositionen über
das Grundstück unbeschränkt gewesen und der Treuhänder habe
ohne spezielle Vollmacht des Vertretenen keine Veräusserung
vornehmen können. Der Treuhänder sei nur scheinbar Eigentümer
gewesen, hätte daher auch nicht derjenigen öffentlichen Rechte
teilhaftig sein können, welche vom Grundbesitz abhängig waren,
obwohl er die öffentlichen Lasten zu tragen gehabt habe. Stobbe
unterscheidet also zur Erklärung des Rechtsverhältnisses zwischen
der Stellung dem Vertretenen, d. h. nach innen, und Dritten
gegenüber.1) Nach innen sei der Treuhänder nicht Eigentümer,
nach aussen dagegen übe er die Eigentumsrechte aus. Diese
Auffassung der Rechtsverhältnisse ist aber, wie schon Beyerle2)
nachweist, inkonsequent. Einmal giebt Stobbe dem Treuhänder
nach aussen hin die Stellung eines Eigentümers, das andere Mal
stellt er den Satz auf, dass nur beide zusammen zur Veräusserung
des Grundstückes berechtigt seien. Dies verträgt sich aber nicht
mit einander. Daher konstruiert auch Beyerle) das Rechts-
verhältnis auders. Nach ihm hat sich die alte Treuhand in ein
Verhältnis der gesamten Hand verwandelt, bei welchem lediglich
nach innen die Rechte nicht gleichmässig verteilt seien. Weder
der Vertretene, noch der Salmann könnten daher allein für sich
handeln; nach aussen hin erschienen mehrere Personen für
dasselbe Grundstück als berechtigte Subjekte. Das Stadtrecht
selbst habe die Rechtsmacht des einen Gesamthänders, des
Salmannes, auf die Mitwirkung bei Veräusserungen und anderen
‘) Stobbe, Uandbuch des deutschen Privatrechts, Bd. II. (3. Aufl.) 3. 297.
J) Beyerle a. a. O. S. 32 fg. Beyerle a. a. O. S. 34.
1*
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4
dinglichen Verfügungen über das Grundstück kraft Gewohnheits-
rechtes beschränkt und dem berechtigten Treugeber alle Nutzungen
am Gute überlassen. Hierin sei lediglich eine obrigkeitlich über-
nommene Garantie dafür zu sehen, dass der Salmann seine Ge-
samthandsberechtigung nicht zu Ansprüchen auf die Nutzung des
Grundstückes ausdehnen werde. Daher sei auch das salmannische
Eigen nicht seinem Werte nach über das vollfreie Eigen gestellt.
Und da nur vollfreies Eigen politische Rechte gewähre, so habe
auch das salmännische Eigen weder dem Salmann noch dem
Berechtigten die Grundlage zum Erwerb des Bürgerrechtes bieten
können.1) In wie weit diese Sätze für das Constanzer Salmannen-
recht zutreffen, darauf soll hier nicht näher eingegangen werden.
Für die lübischen Verhältnisse treffen sie, wie sich aus den
weiteren Ausführungen ergeben wird, nicht zu. Von einem Verhältnis
zur gesamten Hand kann beim LübeckerTreuhänder keine Rede sein.
Rehme,2) der sich ebenfalls eingehend Uber die Zu-
schreibungen zu treuen Händen im Lübecker Oberstadtbuch
äussert, kommt zu folgendem Ergebnis: Eigentümer sei nicht
die im Oberstadtbuch eingetragene Person gewesen, obwohl die
Auflassung an sie geschehen sei, sondern der Nicht-Bürger.3)
Daher sei auch nur der Nicht-Bürger allein zur Veräusserung
befugt gewesen. Die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen da-
gegen, wie namentlich die Schosspflicht, hätten auf dem ein-
getragenen Eigentümer geruht.4) Danach scheint Rehme für
Lübeck auch die Theorie der Gesamthand zu verwerfen. Rehme
spricht sich allerdings über die privatrechtliche Construktion des
Institutes nicht weiter aus.
Versuchen wir zunächst an der Hand der Quellen einen
Ueberblick darüber zu gewinnen, in welchen Fällen in Lübeck
die Treuhänder im Liegenschaftsrecht Verwendung fanden. Indem
wir uns Beyerle anschiiessen, untersuchen wir die Fälle nach
drei Richtungen hin, nach dem persönlichen, sachlichen und
örtlichen Anwendungsgebiet der Treuhand.
l) Beyerle a. a. O.
*) Rehme, Das Lübecker Oberatadtbuch (1895) S. 202 fg.
s) Rehme a. a. O. S. 204.
*) Vgl. auch Heusler, a. a. O. Bd. I. S. 223. Hartwig, Der
Lübecker Schoss (io dem 6. Heft des XXL Bandes der Staate- und sozial-
wissenschaftlichen Forschungen herg. von Gustav Schmoller) S. 84.
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I. Persönliches and sachliches Anwendungsgebiet.
§ 2.
a) Geistliche.
Für Constanz ist Beyerle1) zu dem Ergebnis gekommen,
dass der Salmann als Mittel aufgefasst wird, um allen Nicht-
bürgern den Erwerb von Grundbesitz in der Stadt zu ermöglichen.
Beyerle rechnet unter die Nichtbürger alle diejenigen, die nicht
Vollbürger sind, also nicht nur Geistliche und Fremde, sondern
auch die, wie er sie nennt, eingesessenen Nichtbürger, die Hand-
werker, ferner Juden2) und Frauen. Also auch Personen, die an
und für sich zur Bürgergemeinde gehörten, die aber nicht das Voll-
bürgerrecht besassen, mussten sich beim Grundeigentumserwerb
eines Salmannen bedienen. Hierin sieht Beyerle gerade den
in dem Salmannenrecht liegenden Grundgedanken. Und er will
aus ihm weitgehende Schlüsse auf das ganze städtische Wesen
in Constanz ziehen. Dabei ist allerdings hervorzuheben, dass
Beyerle sich wohl bewusst ist, dass seine Ausführungen sich
nur auf Constanz beziehen, dass sie Allgemeingültigkeit nicht
beanspruchen.3) Und hier setzt auch der Unterschied des
Constanzer und des Lübecker Salmannenrechtes ein, ein Unter-
schied, der allerdings die von Beyerle aufgestellte Theorie für
Constanz nicht im Mindesten angreift. Denn, wie wir sehen
werden, folgt diese ganze Verschiedenheit in dem persönlichen
Anwendungsgebiet aus der verschiedenen Gestaltung der Ver-
fassung in Constanz und in Lübeck. Allerdings galt in Lübeck
auch der Satz, dass nur derjenige Vollbürger war, der freien
Grundbesitz in Lübeck hatte. In Lübeck konnte aber jeder in
den Kreis der Vollbürger eintreten, abgesehen von Fremden
und der Geistlichkeit. Es kann meines Erachtens nicht davon
die Rede sein, dass in Lübeck das Salmannenrecht „recht
*) Beyerle a. a. 0. 8. 66 fg.
a) FUr Lübeck kommen die Jaden nicht in Betracht, da sich fast keine
Juden in Lübeck aufhielten. Vgl. Carlebach, Geschichte der Juden in
Lübeck und Moisling 1899.
3) Beyerle a. a. 0. 8. 1 u. 2.
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6
eigentlich der Träger der Geschlechtsherrschaft“ war.1) Tn
Lübeck galt nicht der Satz, dass nur derjenige Bürger werden
konnte, der freies Eigentum innerhalb der Stadt besass. Hier
musste jeder Bürger werden, der seinen Aufenthalt in Lübeck
ständig nehmen wollte. Das sprechen die Lübecker Statuten
ganz deutlich aus. In ihnen heisst es:
„So wellic man cumpt inunse stat mit sineme wiue ofte
„mit sinen kinderen dhe mach dar inne wesen dre
„manede blifl he dar leng inne he schal unse burschap
„winnen dat schal auer stan in den ratmannen weder
„se eme de burschap gunnen ofte nicht“.2)
Jeder Neuangekommene, der sich länger als drei Monate
in Lübeck aufhielt, musste um die Erteilung des Bürgerrechtes
einkommen.3) Selbst Kinder, die nach lübischem Rechte noch
nicht volljährig waren,4) mussten, soweit sie Fremde waren und
das 12. Lebensjahr erlangt hatten, um die Erteilung des Bürger-
rechtes nachsuchen.5) Mit der Erteilung des Bürgerrechtes
waren die Betreffenden aber immerhin noch nicht in den Kreis
der Vollbürger aufgenommen. Sie gehörten zwar zur Bürger-
gemeinde, standen im Schutze der Stadt, ihnen standen im all-
gemeinen die Rechte und Pflichten der Bürger Lübecks zu.
Nur einzelne, allerdings sehr wichtige und einflussreiche Rechte
und Pflichten wurden ihnen, wie allen, die man unter den
Namen Einwohner zusammenfasst, nicht gewährt. Es geht
nicht an, wie es Beyerle für Constanz nachgewiesen hat, die
Einwohner, überhaupt die Nichtvollbürger, in Lübeck den Gästen,
d. h. den Fremden gleichzustellen. In der Litteratur wird dies
allgemein vielfach getan.8) Für Lübeck spricht nichts für
*} Beyerle a. a. 0. S. 9 u 66 fg.
*) Hach, Das alte Lübisehe Recht (1839) II. 180 vgl. UL 233. II. 232.
*) Vgl. Frensdorff, Die Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks
(1861) S. 192.
4) Nach Lübischem Rechte trat die Mündigkeit mit dem vollendeten
18. Lebensjahr ein: Hach II. 101. 102. I. 88. Pauli, Abhandlungen aus
dem lübischen Recht III. S. 194 fg. Hartwig a. a. ü. S. 20.
b) Hach II. 232. Bürgersöhne brauchten dies erst mit erlangter
Mündigkeit zu thun. Hach U. 232 Note 3. Rev. Statuten I. 2, 7. Vgl.
Frensdorff a. a. O. S. 192.
•) Vgl. z. B. R. Schroeder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte
(3. Aufl. 1898) S. 623. Vgl. dagegen Rehme a, a. O. 8. 199 Note 25.
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7
diesen Satz.1) Und gerade die uns hier interessierenden Sätze
des Lübecker Rechtes über den Erwerb von Grundeigentum
sprechen nur von Fremden und der Geistlichkeit und einigen
anderen Personen. Nirgends wird bezeugt, dass diejenigen
Mitglieder der Bürgergemeinde, die zwar Bürgerrecht hatten,
aber nicht zu den Vollbürgern gehörten, von dem Erwerb von
Grundeigentum ausgeschlossen warfen. Der Besitz von Grund-
eigentum war in Lübeck nicht Voraussetzung zur Erlangung
des Bürgerrechtes überhaupt, sondern lediglich Voraussetzung
für das Vollbürgerrecht. Wer kein Grundeigentum besass,
konnte die wichtigsten öffentlich rechtlichen Rechte und Pflichten
nicht ausüben. Nur der Besitz von Liegenschaften zu vollfreiem
Eigentum innerhalb der Stadt gewährte die Möglichkeit in den
Rat gewählt zu werden.2) An den Besitz von Liegenschaften
knüpfte sich die Pflicht zum Erscheinen im echten Ding;3) nur
der Besitz von Liegenschaften gewährte die volle Zeugen fähig-
keif) Prinzipiell konnte aber Jeder, sobald er zur Bürger-
gemeinde gehörte, Liegenschaften zu vollfreiem Eigentum er-
werben. Hierin besteht also der Unterschied von dem Constanzer
Recht. Dort konnte nach Beyerles Ausführungen überhaupt
nur der Vollbürger Grundeigentum erwerben, nur wer zu den
„Geschlechtern“ gehörte, konnte daher Vollbürger sein. In
Lübeck dagegen bildete der Grundbesitz zwar eine Voraus-
setzung für die Geltendmachung wichtiger öffentlicher Rechte,
der Grundbesitz war aber rechtlich nicht an die Zugehörigkeit
zu den „Geschlechtern“ geknüpft. Nur rein tatsächlich waren
auch die Nicht-Vollbürger vom Erwerb des Grundbesitzes aus-
Rudorff, Zur Rechtsstellung der Gäste im mittelalterlichen städtischen
Prozess (G i e rk o , Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
Heft 88) 8. 5. Pauli, Lübeckischo Zustände im Mittelalter Bd. I. S. 65 fg.
*) Vgl. auch Hach I. 110 111. 118—115. Rev. Statuten I. 2, 5.
vgl. auch Mevius, Commentarii in jus Lubecense (1664) ad. h. a.
*) Ratsordnung Heinrichs des Löwen ca. 1163 (Lüb. Urkb. L Nr. 4):
.ende dhe hebbe torfaebt egen binnen dher rnuren . Vgl. Hach S. 171.
Pauli, Abh. I. S. 15. Frensdorff a. a. O. S. 40. Ueber den Begriff von
.torfachtegen“ vgl. Pauli, Abh. I. 8. 19 fg. Frensdorff a. a. S. 84 Note 27.
*) Hach L 2. Vgl. Frensdorff a. a. 0. S. 40. Pauli, Abh. I. 8. 15.
Vgl. auch Lüb. Urkb. I. Nr. 32 8. 39.
4) Hach I. 67 cf. I. 68. Lüb. Urkb. VIII. Nr. 620 8. 665. Pauli,
Zustände Bd. HI. 8. 65 fg.
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8
geschlossen. Verwehrt war der Erwerb von Grundbesitz nur
einzelnen Klassen, nämlich a) der Geistlichkeit, b) den Fremden,
den Gästen, und c) den Rittern und Hofleuten. Was zunächst
a) die Geistlichkeit anbelangt, so stellen schon die ältesten
Lübecker Statuten folgenden Satz auf:
„Nemini siquidem licet immobilia id est torfachteigen
„conferre ecclesiis quin ea uendat pro argento et illud
„conferat ecclesiis. quo hoc infregerit. X. marcas argenti
„componet.“’)
Dadurch war jedoch nicht jeder Grundbesitz innerhalb der
Stadtmauern in den Händen der Geistlichkeit ausgeschlossen.
Wie in allen Städten so muss man auch in Lübeck innerhalb
der Stadt zwei Gebiete trennen. Einmal das eigentliche Stadt-
gebiet, das unter der Verwaltung und Gerichtsbarkeit der Stadt
stand, und das Gebiet, das der geistlichen Jurisdiktion unterlag.
Bekanntlich ist Lübeck durch den Grafen Adolf II. von Schauen-
burg im Jahre 1143 gegründet. Es ging jedoch sehr bald in
die Hände Heinrichs des Löwen über. Unter seiner Regierung
wurde das Domkapitel gegründet.2) Bei der Gründung des
Domstiftes wies Heinrich der Löwe dem Bischof Bauland für die
Kirche und für den Bischofssitz, sowie für Wohnungen der
Domherren an.3) Und in einem Privileg vom Jahre 1164 be-
freite er die Domherren Lübecks von allen Bürgerlasten,4) sicut
servi dei plena gaudeant immunitate et uacatione, wie es in dem
Privileg heisst. Damit war das Domkapitel von der Bürger-
gemeinde eximiert und bildete innerhalb dieser Gemeinde eine
besondere Gemeinde mit ihren eigenen kirchlichen Rechten.5)
Uebrigens war das dem Domkapitel gehörige Areal im 13. Jahr-
hundert ziemlich gross. Das ganze grosse Gebiet zwischen Trave,
Mariesgrube, Klingenberg, Mühlenstrasse nnd Mühlenteich gehörte
damals zu dem der kirchlichen Jurisdiktion unterworfenen Ge-
•) Hach I. 26.
5) Hofft» an n, Geschichte der freien nnd Hanaastadt Lübeck (1889)
S. 15 fg. 19.
s) Helntoldi Chronica Slavorum (Hon. Germ. Hist. Script. Bd. XXI.)
Lib. 1. cap. 89 vgl. Panli, Abh. IV. S. 9. Hartwig a. a. O. S. 9.
‘) Lüb. Urkb. Abt. II. Bd. L Nr. 7 S. 10. Vgl. Hartwig a. a. O.
8. 9. S. 52.
*) Hartwig a. a. O. S. 52.
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biet.1) Dasselbe, was für die Domkirche galt, galt aber auch
für die übrigen Stadtkirchen and Kapellen.2) Alle diese Kirchen
mit ihren Gebieten unterstanden nicht dem Stadtrecht. Denn
dies war nur „ab omnibus personis laicalibus“ zu beobachten.3)
Ausserhalb dieses exempten Gebietes aber sollte die Kirche kein
städtisches Gebiet erwerben dürfen. Der Wortlaut der oben
citierten Bestimmung des lateinischen Codex, die übrigens älter
ist als das Codex selber,4) verbietet bei Strafe von 10 Mark
Silber') „immobilia id est torfachteigen conferre ecclosiis“.
Unter „ecclesia“ hat man nicht nur Kirchen, sondern jede
kirchliche Anstalt zu verstehen, so dass diese Vorschrift auch
für die Uebereignung von Liegenschaften an Klöster6) gilt.7)
Es folgt dies auch aus dem Zweck der ganzen Bestimmung und
aus einer Eintragung in das Wettebuch. Hier heisst es:
„Item Johannes Cruze X mr. arg. nichil dimittetur,
„pro eo quod concessit domum suam monachis et posnit
„pro eis“.8)
In zweierlei Hinsicht bedarf jene Bestimmung des ältesten
Stadtrechtes noch einer Erklärung. Einmal nämlich, was be-
') Brehmer, in der Zeitschrift des Vereins für LUbeckische Geschichte
und Altertumskunde Bd. V. S. 128.
s) Die Stadtkircben waren folgende: Jacobi, Mariae, Petri, Nicolai
und Egidii. An Kapellen bestanden drei gesonderte, nämlich St. Clemens,
St. Gertrnd und St. Johannis. Vgl. Hartwig a. a. 0. S. 52. Hoffmann
a. a. 0. S. 24 fg., S. 93 fg.
*) Hach a. a 0. S. 170 (Vorrede zum Codex von 1240).
4) Frensdorff, Das lübische Recht nach seinen ältesten Formen
S. 80. Frensdorff, Verfassung S. 133. Hartwig a. a. O. S. 70.
‘) Vgl. Pauli, lieber die ursprüngliche Bedeutung der ehemaligen
Wette (Zeitschrift des Vereins für liibeckische Geschichte und Altertums-
kunde Bd. L S. 199).
") Im 13. Jahrhundert gab es in Lübeck 3 Klöster: das Johannis-
kloster (ursprünglich mit Benediktinern, seit 1247 mit Cistercienserinnen
belegt), das Burg- oder Maria Magdalenenkloster (Dominikaner) und das
Katharinenkloster (Franziskaner). 1602 wurde noch das Annenkloster erbaut.
Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 23, S. 93 fg. Hartwig a. a. O. S. 62 Note 6.
.7) Hartwig a. a. 0. S. 70. Pauli, Abh. HI. S. 5. Abh. I. S. 105. —
Hartwig a. a. 0. S. 70 meint, dass Rehme diese Vorschrift nicht auf
Klöster beziehen will. Davon kann aber keine Rede sein. Rehme spricht
allgemein von .ecclesia*.
8) Pauli a. a. 0. Zeitscb. Bd. I. S. 209, Nr. 44.
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deutet hier „immobilia“, und dann zweitens, was ist unter
conferre zu verstehen? Rehme1) geht davon aus, dass das
Verbot auch die Uebereignung von Renten beträfe. Dies ergebe
sich einmal aus der streng durchgeführten Auffassung der Renten
als unbewegliche Sachen2) und sodann unmittelbar aus einer
Variante, in der ausdrücklich von wicbelde gud edder erve die
Rede ist.3) Es ist dem nicht beizustimmen.4) Allerdings
spricht die älteste Recension dieser Vorschrift5) nur von
„immobilia“ und unter „immobilia“ können neben Grundstücken
auch Renten verstanden werden.6) An dieser Stelle kann man
jedoch unter „immobilia“ nur Grundstücke verstehen, hier kann
es sich nicht um den erweiterten Begriff „immobilia“, der neben
Grundstücken auch Renten in sich begreift, handeln. Das geht
daraus hervor, dass die ältesten Statuten „immobilia“ mit
„torfachteigen“ erklären. Unter torfachteigen werden aber nur
Grundstücke, nicht auch Renten verstanden, wie aus der
häufigen Gegenüberstellung von Renten als bona censualia und
„torfachteigen“ als bona hereditaria hervorgeht.7) Dass aber
Kirchen und Klöster tatsächlich im Besitz von Renten und
Grundstücken, die im Stadtgebiet lagen, waren, wird häufig
bezeugt.8) Erst einige Recensionen der Statuten in deutscher
Sprache sprechen ein Verbot bezüglich der Renten aus.9)
Während man über diesen Punkt gestritten hat, herrscht be-
züglich der zweiten Frage Einigkeit. „Conferre“ bedeutet
') Relime a. a. O. S. 198. Vgl. Frensdorff, Verf. S. 133.
*) Vgl. Rehme a. a. O. S. 117.
3) Uach II. 39 Note 9 und Note 3.
4) So schon Hartwig a. a. 0. S. 70. Vgl. auch Pauli, Abb. III.
S. 280 Note 236.
6) Lüb. Urkb. I. Nr. S. 41.
•) Rehme a. a. 0. S. 117.
*) Vgl. Pauli, Abh. I. S. 18. IV. S. 33. Hartwig a. a. 0. S. 70.
8) Vgl. Pauli, Abh. IV. Urkb. A. Nr. 36, 43, 207. Lüb. Urkb. I.
Nr. 469 S. 426, 1284; Nr. 5« 8 S. 462, 1287; Nr. 609 S. 463, 1287 U. 8. W.
Hach II. 122. II. 82. Note 9. II. 124. Vgl. auch Frenadorff,
Verf. S. 133. Pauli, Abh. III. 8. 5, 280, Abb. IV. S. 32. Hartwig
a. a. O. S. 70. Dies führt allerdings auch Rehme (a. Note 3) als Argument
für seine Ansicht an. Da jedoch diese Recensionen zweifellos späteren
Datums sind als die lateinischen, so kann man m. £. aus ihnen den von
Rehme gezogenen Schluss nicht ziehen.
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jegliche Uebertragung von Grundbesitz. Also nicht nur „ver-
geben“, sei es unter Lebenden oder von Todes wegen, sondern
es begreift auch das Verkaufen in sich, sogar das Verpfänden.1)
Bekanntlich sind in Lübeck schon sehr frühe letztwillige Ver-
fügungen anerkannt worden.2) Pauli3) scheint zu meinen,
dass unter „conferre“ das Testieren zu Gunsten von Kirchen
nicht fallen könne, da bei Testamenten die Uebertretung der
Vorschrift erst nach dem Tode des Erblassers bekannt würde,
also auch nicht bestraft werden könne. Aber gerade aus dem
von Pauli4) selbst angeführten Streit der Stadt mit dem Bischof
Burchard geht hervor, dass die Stadt grundsätzlich ein Testament
über Liegenschaften zu Gunsten der Kirche nicht anerkannt
hat. Falls Liegenschaften, nicht nur der Erlös für sie, der
Kirche letztwillig vermacht wurden, so war dies ebenso ungültig,
als wenn die Liegenschaft geschenkt worden wäre. Eine Be-
strafung des Testators konnte allerdings nicht eintreten.
Wir sehen also, dass bereits die ältesten Aufzeichnungen
des Lübecker Rechtes die Uebertragung von Liegenschaften an
Kirchen und Klöster verbieten. Die Uebertretung dieses Ver-
botes war strafbar, und zwar im Verhältnis sehr hoch strafbar.
Der Akt der Uebertragung selber war nichtig. Die älteste
Aufzeichnung spricht dies nicht ausdrücklich aus, wohl aber
heisst es in dem Codex des Kanzlers Albert von Bardewich
von 1294: „so ne schal degift nicht stede bliuen“.5) Wohl-
gemerkt: Das Verbot richtet sich nicht gegen die Kirchen und
Klöster. Diese unterstanden der weltlichen Gerichtsbarkeit
nicht. Ihnen war der Erwerb von Grund und Boden nicht
verboten. Es war ihnen nur unmöglich gemacht, mdem das
Stadtrecht den Bürgern die Uebertragung des Eigentumes an
Liegenschaften und später auch die Bestellung von Renten für
Kirchen und Klöster verbot.
') Rehme a. a. 0. S. 198. Hartwig a. n. O. S. 71. Frensdorff
Verf. a. a. O. S. 133.
*) Pauli, Abh. III. S. 191.
3) Pauli, Abh. III. S. 280. Vgl. auch Hartwig a. a. O. S. 71 Note 1.
4) Pauli, Abh. III. S. 281 fg., Zustände Bd. II. S. 24 fg.
6) Hach II. 32. Derartige nichtige Veräusserungen kommen im
liibischen Recht auch sonst noch vor. Vgl. Hach II. 136. Vgl. auch
Pauli, Abh. I. 3. 152.
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12
Hand in Hand mit dem Verbot Grundbesitz an Kirchen
und an Klöster zu übertragen ging später die Vorschrift, dass
auch Geistlichen selber , nicht nur Kirchen , und geist-
lichen und frommen Anstalten Grundbesitz und Renten nicht
zugewendet werden sollten. Ich sage später, denn die ältesten
Aufzeichnungen sprechen nur von den Kirchen, der ecclesia als
solcher. Aber bereits im Jahre 1247 war allen Klostergeist-
lichen, Männern und Frauen, verboten worden, neue Wohnungen
in der Stadt anzukaufen, ja sie sollten nicht einmal ihre alten
verlegen oder grösser machen dürfen.1) Der Codex von 1294
geht aber noch weiter. Er bestimmt:
„Dhe ghemene Rat is des to rade worden dat nen
„borghere . . ne schal vor copen en erue papen oder
„gheistlicden luden . . to neghener wis so we dat brecht
„de schal dat erue to voren uor loren hebben vnde dar
„to schal he der stat gheuen viftich mark suluers.“2)
Danach war also die Uebertragung von Liegenschaften11)
sowohl an Weltgeistliche (papen) als an Klosterinsassen (gheist-
licden luden) verboten. Die Uebertretung des Verbotes wurde
nicht nur bestraft,5) sondern die Liegenschaft selber wurde
auch eingezogen. — Durch diese Verbote sollte es unmöglich
’) Hach II. 243. Vgl. auch Rev. Statut I. 2, 4.
>) Hach II. 226.
s) Hach II, 226 spricht allerdings nur von .vor copen en erue*. Man
wird diese Vorschrift aber auch auf alle anderen Uebertragungen von Liegen-
schaften zu beziehen haben. Vgl. Rehme a. a. O. S. 198. Hartwig a. a. O.
S. 72. Es hatte keinen Sinn, wenn nur der Verkauf von Liegenschaften
verboten werden sollte. Ein derartiges Verbot würde stets umgangen werden
können. Ob allerdings anch die Rentenbestellung, wie Hartwig a. a. O.
und wohl auch Rehme a. a. O. meinen, hierunter fallt, will mir bei dem
Anfang der Stelle zweifelhaft erscheinen.
4) Und zwar ist hier die Busse bedeutend höher normiert (auf 50 Mark
Silber), als bei der Veräusserung an Kirchen und Klöster (10 Mark Silber).
Vgl. Pauli in Zeitsch. Bd. I. S. 201 fg. Rehme a. a. O. S. 199 sieht
darin einen Ausdruck eines jüngeren Rechtszustandes, will diese hohe
Busse daher auch bei Veräusserungen an Kirchen angewendet wissen.
Hartwig a. a. O. S 73 meint, dass die Busse deswegen so hoch sei, weil
in diesem Fall die fromme Gesinnung der Contravenieuten keine Berück-
sichtigung verdient hätte. Letztere Ansicht dürfte jedoch nicht stichhaltig
sein; auch hier ist die Veräusserung meistens nur ein Ausfluss aus dem
religiösen Sinn der Veräussernden und aus der Anregung der Geistlichen.
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13
gemacht werden, dass der Kirche oder ihren Dienern auf irgend
eine Weise Liegenschaften übertragen werdeu konnten. Nicht
nur unter Lebenden, sondern auch von Todes wegen durfte
ihnen Grundbesitz, resp. Renten nicht zugewendet werden. Wie
verhielt es sich aber mit dem Erbrecht der Geistlichkeit? Eine
ausdrückliche Vorschrift, dass Welt- oder Klostergeistliche nach
weltlichem Rechte für Liegenschaften nicht erbberechtigt sein
konnten, bestand in Lübeck nicht. Die Klostergeistlichen waren
aber kraft kanonischen und weltlichen Rechtes von jeglicher
Erbfolge ausgeschlossen.1) Es handelt sich somit nur um die
Weltgeistlichen. Es ist vielfach2) die Ansicht aufgestellt
worden, dass der Geistliche in Lübeck erbberechtigt in Liegen-
schaften gewesen sei. Ehe wir jedoch auf diese Frage, sowie
auf die Weiterentwicklung der städtischen Verbote bezüglich
des Grundbesitzerwerbes durch Kirchen und Geistlichkeit näher
eingehen, müssen wir einen Blick werfen auf die Gründe, die
die Stadt veranlasst haben, derartige Verbote auszusprechen.
Denn nur so lassen sich einzelne, in den Statuten nicht besonders
normierte Fälle entscheiden, nur so lassen sich die späteren
Bestimmungen des Stadtrechtes verstehen.
Es wird manchmal hervorgehoben, dass die Gesetzgebung
Lübecks, wie sie im 13. Jahrhundert in unserer Frage bestanden
hat, in der Folgezeit mehrfach gewechselt habe, dass der Rat
von Lübeck in der Behandlung des Grunderwerbes durch die
Geistlichkeit mehrfach seine Methode geändert habe.3) Es
ist dies nicht ganz genau. Die Methode ist nicht geändert
worden, sie ist nur den veränderten Verhältnissen angepasst.
Sehen wir darauf, welches das Endziel aller Verbote, Grund-
besitz an die Geistlichkeit zu übertragen, gewesen ist. Es kann
meiner Ansicht nach nicht davon die Rede sein, dass die Stadt
die Vereinigung von Grund und Boden in der Hand der Geist-
lichkeit als solcher jemals abhold gewesen ist. Es entsprach
nicht dem fromm-religiösen Geist jener Zeit, dass der Rat einer
Stadt eine Zuwendung an die Geistlichkeit zu frommen Zwecken
') Vgl. Pauli, Abhand]. III. S. 10. Vgl. auch Stobbe, Beiträge zur
Geschichte des deutschen Rechts (1865) S. 167. Steffenhagen, Deutsche
Rechtsquellen in Preussen (1875) S. 88 Nr. 2.
a) Hartwig a. a. O. S. 72. Rehme a. a. O. S. 201.
*) Rehme a. a. 0. S. 199. Hartwig a. a. O. S. 69.
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14
und in Folge frommer Gesinnung des Spenders verhindern
wollte. Daher war es stets erlaubt, Geld oder andere Mobilien
in grossen Mengen der Geistlichkeit zuzuwenden. Daher auch
jene Bestimmung, dass zwar nicht ein bestimmter Grundbesitz,
wohl aber der baare Wert des Grundbesitzes an die Kirche
vergabt werden konnte;1) daher die Vorschrift, dass Liegen-
schaftsvermächtnisse an Gotteshäuser, bei denen der Verkauf
nicht ausdrücklich angeordnet war, zwar gültig sein sollten, der
Verkauf der Liegenschaften aber binnen zwei Monaten bewirkt
sein musste.2) Aus diesen Bestimmungen erhellt, dass die
Stadt keineswegs, wie vielfach behauptet wird, die finanzielle
Macht der Kirche durch derartige Verbote treffen wollte. Die
Ansammlung grosser Vermögen in der toten Hand war nach
damaliger Ansicht kein Nachteil. Der innere Grund dieser
Verbote ist vielmehr darin zu suchen, dass der Grundbesitz in
damaliger Zeit der Massstab für die Ausübung öffentlicher Rechte
und Pflichfen gewesen ist. Trotzdem Lübeck bereits früh eine
Welthandelstadt geworden war, trotzdem hier das Geld in Folge
des Handels und des Verkehrs eine ganz andere Rolle als in
anderen Städten gespielt hat,3) ist es doch nicht das Kapital
als solches, das im politischen Leben der Stadt einen mass-
gebenden Einfluss ausgeübt hat. Die Lübecker Stadtverfassung
baute sich auf dem Grundbesitz auf. Der Grundbesitz giebt
für die Verwaltung der Stadt den Ausschlag. Allerdings ist
nicht zu leugnen, dass der Grundbesitz in damaliger Zeit auch
das Kapital repräsentierte, aber für die Stellung des Einzelnen
im Verfassungsleben der Stadt war ausschlaggebend nur sein
Besitz an Liegenschaften. Es ist bereits oben4) hervorgehoben,
welche einflussreichen politischen Rechte, welche bevorzugte
Stellung im Privatrecht der Besitz von Liegenschaften gewährte.
Hier sei nur noch daran erinnert, dass auch das ganze Steuer-
wesen, abgesehen von den Zöllen der Fremden, auf dem Grund-
») Hach L 26. II. 32.
a) Liib. Urkb. Abt. II. Bd. I. Nr. 282. Pauli, Zuatände Bd. II. S. 3t.
Pauli, Abh. III. S. 281 fg.
*) Vgl. Pauli, Zuat. Bd. I. 8. 121 fg. II. 8. 98 fg. v. Dukn,
Deutsckrechtliche Arbeiteu (1877) S. 58. f.
‘) 8. oben 8. 7.
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besitz basierte..1) Es ist nun klar, dass der Stadt daran gelegen
sein musste, die einmal begründeten öffentlich rechtlichen Pflichten
zu erhalten. War einmal ein Grundstück zu den öffentlichen
Lasten herangezogen, so sollte es nicht ohne weiteres wieder
aus dieser Verpflichtung entlassen werden können. Es wäre
sonst unter Umständen für die Bürger ein leichtes gewesen,
sich den öffentlichen Pflichten, die auf ihrem Grund und Boden
ruhten, zu entziehen. Dazu kam aber noch ein weiteres, was
ebenfalls bereits oben angedeutet ist. Es ist dies die Stellung
der Kirche gegenüber dem Staate. Es ist hier nicht der Ort,
auf die Ansprüche der Kirche auf Befreiung von der weltlichen
Herrschaft näher einzugehen. Es genügt, wenn hier darau
erinnert wird, in wie ausgedehntem Masse die Geistlichkeit die
Civil- und Criminalgerichtsbarkeit beanspruchte2) und wie die
Kirche die Uebernahme weltlicher Pflichten, namentlich der Steuer-
pflicht, grundsätzlich kraft göttlichen Rechtes ablehnte.3) Dies
beanspruchte Steuerprivileg der Kirche sollte nach Anschauung
der Kirche nicht nur der Kirche selbst, sondern auch ihren
Dienern zu Gute kommen. Während die Kirche mit ihrer
Forderung an anderen Orten nicht durchdrang,4) hat in Lübeck
die Kirche ihren Anspruch bis in die Zeit der Reformation
formell aufrecht erhalten können.5 6)
Von diesem Gesichtspunkt aus ist es zu verstehen, wie die
überall auftauchenden Verbote, Grundeigentum an die Geist-
lichen zu übertragen, sich bilden konnten. Es war eine Existenz-
frage für die mittelalterlichen Städte. Man konnte und durfte
nicht dulden, dass städtischer Grund und Boden, d. b. Liegen-
schaften, die bisher unter die Jurisdiktion der Stadt fielen und
die zu den städtischen Abgaben herangezogen worden waren,
l) Vgl. darüher ausführlich die mehrfach citierte Schrift von Hartwig,
hes. S. 36 fg.
s) Vgl. darüber besonders die Schrift von Friedberg de finium inter
pcclesiani et eivitatem regundornin judicio quid medii aevi doctores et legen
statuerint 1861.
4) c. 1, 3 in Vl° III. 23; c. 4 in VI0 III. 20. vgl. auch Authent. Fried. II.
Item nulta eommunitas (Mon. Herrn. Hist. Leg. II. 243), vgl. Friedberg
a. a. O. S. 183 fg.
4) Vgl Friedberg a. a. O. S. 195 Note 1, S. 201 Note 1.
6) Hartwig a. a. O. S. 56 fg.
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in die Hände der Geistlichkeit gelangten, ohne dass eine Gewähr
dafür geboten worden wäre, dass diese Liegenschaften mitten
in den Städten auch weiterhin zum Nutzen der Stadt unter der
städtischen Oberaufsicht herangezogen werden konnten. Nicht
die Schwächung der kirchlichen Macht, sondern die Stärkung
der städtischen Verwaltung war das leitende Motiv aller der-
artigen Verbote. So sehen wir denn auch, dass überall da,
wo eine Schwächung der städtischen Macht und der städtischen
Befugnisse nicht zu befürchten war, die Geistlichkeit auch in
den Besitz von städtischem Grund und Boden gelangen konnte.
Behält man dies im Auge, so wird man von einem Wechsel in
der Methode nicht sprechen können. Und nur so wird es auch
verständlich, dass trotz der strengen Verbote, Liegenschaften
an die Geistlichkeit zu übertragen, sowohl Kirchen und Klöster,
als auch einzelne Geistliche als Private häufig im Besitz von
städtischen Liegenschaften oder von Renten erscheinen.')
Kehren wir nunmehr zu der Frage der Vererblichkeit von
Liegenschaften an Geistliche zurück. Es ist zweifellos, dass
Weltgeistliche nach lübischem Stadtrecht kraft Erbrechtes in
den Besitz von Liegenschaften gelangen konnten. Wir haben
Zeugnisse,2) in denen ausdrücklich hervorgehoben wird, dass
die Liegenschaften an die Geistlichen in Folge von Vererbung
gekommen sind. Trotzdem aber kann ich der bereits oben
ausgesprochenen Meinung nicht beitreten, dass Liegenschaften
ohne weiteres kraft Erbrechtes auf Geistliche übergehen konnten.
Es ist dies ein ähnlicher Fall, wie bei dem Erbrecht der Fremden,
') Vgl. z. B. für Liegenschaften im Eigentum der Kirche: Mit-
teilungen des Verein* für Ltibeckische Geschichte und Altertumskunde Bd. III.
S. 20 Nr. 61. S. 162 Nr. 30 Anm. 1. Lüb. Urkb. VH. Nr. 667 8. 586. —
VIII. Nr. 347 8. 397. Nr. 610. IX. Nr. 35 S. 39; — im Eigentum
von Kllistern: Lüb. Urkb. II. Nr. 173 8. 160; VII. Nr. 398 S. 374; VIII.
Nr. 664 8. 704. Mitteilungen III. 8. 136 Nr. 12a; 8. 146 Nr. 11 Anm. 1;
IV. 8. 92 Nr. 19 — 21; — im Eigentum von Geistlichen: Lüb. Urkb. I.
Nr. 283 8. 271; Nr. 326 S. 807; Nr. 38 S. 50. Zeitsch. Bd. IV. Nr. 156
8. 234. Lüb. Urkb. Abt. II. Bd. L Nr. 120 8. 110; — für Renten im
Eigentum der Kirche; Lüb. Urkb. I. Nr. 469 S. 426 ; Nr. 508 S. 462 ; Nr. 609
8. 463; II. Nr. 343 S. 295; VII. Nr. 250 8. 231; — von Kliistern: Pauli,
Abh. IV. Urkb. A. Nr. 207; Nr. 36; Nr. 43; Nr. 119; — von Geistlichen:
Lüb. Urkb. II. Nr. 805 8. 749; VII. Nr. 663 8. 640; VI. Nr. 703 8. 680 u. s. w
*) Vgl. Pauli, Abh. IV. Urkb. A. Nr. 281. Pauli, Abb. I. 8. 28
Note 66. Beides sind Eintragungen in das Oberstadtbuch.
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auf den wir unten noch zurückkommen werden. Es kann
nicht angenommen werden, dass der Fall der Vererbung bei
dem Erlass jener Verbote zwecks Uebertragung von Liegen-
schaften an Geistliche, übersehen worden ist. Es kann in. E.
als ausgeschlossen bezeichnet werden, dass die Stadt die Ueber-
tragung unter Lebenden und von Todes wegen verboten haben
sollte, die Vererbung aber zuliess. Gewiss wird der Fall der
Vererbung von Liegenschaften an Geistliche nicht allzu selten
vorgekommen sein. Wollte man diese Ausnahme machen, so
würde dies eine Durchlöcherung des allgemeinen Prinzipes dar-
stellen, die dem allgemeinen Prinzipe wesentlich seine Spitze
brach. Ich glaube, die Lösung dieser Schwierigkeit liegt in
folgendem: Das Erbrecht der Weltgeistlichen bezüglich Liegen-
schaften war prinzipiell nach dem Stadtrechte anerkannt. Damit
aber die städtischen Rechte dadurch nicht geschmälert werden
und nicht die Abgaben, der Schoss, für die Stadt in der Folge-
zeit wegfallen konnten, so musste der Kleriker sich bereit er-
klären, die mit dem Grundstücke verbundenen Lasten zu tragen,
und er musste ferner anerkennen, das Grundstück in der Folgezeit
niemals iuri ecclesiastico sed iuri seculari perpetue subjacere.1)
Ausserdem konnte ein ähnliches Verfahren stattfinden, wie bei
dem Vermächtnis von Liegenschaften an Kirchen: das Grund-
stück musste innerhalb einer bestimmten Frist verkauft werden
und der erbberechtigte Geistliche erhielt nur den Erlös.2) Für
eine derartige Lösung spricht auch folgende Stelle im Oberstadt-
buche vom Jahre 1295:'1)
„Notum sit, quod Wedeghe, plebanus de Seveneken,
„emit a Sifrido de Bocholte et a Gerardo fratre suo,
„filiis suis Hinrico et Thiderico hereditatem, sitam . . .
„pertinentem domine Wohben, filie domine Woldeken,
„quam eis cor. Gons, resignaverunt, pro qua hereditate
„Thidericus de Raceborg, patruus ipsorum puerorum, in
„talliis et in aliis faciet inde jura sua civitati nostre.
„Si facti fuerint clerici dicti pueri, haec hereditas
„hereditabit super laicos vel ipsa laicis vendetur . .
>) Lüb. Urkb. II. Nr. 383 S. 330.
J) Vielleicht liegt der Stelle Pauli, Abh. I. S. 28 Note 66 ein
derartige» Verfahren zu Grunde.
») Pauli, Abh. IV. Urkb. A. Nr. 94.
Loening, Grunderwerb und Treuhand in Lübeck 2
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Wenn auch an dieser Stelle nicht von einer Vererbung von
Liegenschaften an Geistliche gesprochen wird, so geht doch ans
ihr hervor, dass selbst dann, wenn ein Eigentümer einer Liegen-
schaft später zu dem geistlichen Stande übertreten wollte, ei-
serne Liegenschaften an Laien verkaufen musste (vel ipsa laicis
vendetur) oder sie gingen auf seine Erben, soweit sie Laien
waren, über (hereditabit super laicos). Aus diesem Verfahren
geht meiner Ansicht nach deutlich hervor, dass die Stadt es
nicht zugelassen hat, dass städtischer Grund und Boden in Folge
von Erbgang in die Hand von Geistlichen gelangen konnte.
Nicht das Erbrecht der Geistlichen an sich, wohl aber der
Erwerb von Liegenschaften in Folge des Erbrechtes musste
aus öffentlichem Interesse gehindert werden.
Derartige Verfahren wurden übrigens nicht nur bei der
Vererbung von Liegenschaften an Geistliche angewendet Auch
der rechtsgeschäftliche Erwerb von Grund und Boden seitens
der Geistlichkeit bewegte sich in diesen Bahnen.1) Das erste
derartige, mir bekannte, Beispiel stammt aus dem Jahre 1 266.2)
Als in diesem Jahre das Kloster Reinfeld in Lübeck in der
Mariesgrube ein Grundstück erwarb, musste sich das Kloster
verpflichten :
„Omnia etenim ex ea facere tenebimus in t&lliis, in
„exactionibus, in vigiliis et in ceteris omnibus, que
„unus civium ipsius ciuitatis, si emisset, ex ea facere
„teneretur. Adjeetum est preterea, vt si aliquo tempore
„hanc hereditatem nobis vendere placuerit, eam vendere
„debemus ipsi ciuitati pro tanta pecunia, quantum ualet
„hereditas memorata. Si uero sepedicta ciuitas eam
„emere noluerit, possumus eam vendere cui voluerimus,
„dum tarnen vni ex ipsius concivibus vendamus eandem . .“
Und einige Jahre später bekundete dasselbe Kloster noch einmal:
„quod hereditatem, quam in ciuitate vestra de vestra
„beniuola permissione comparauimus, eo jure omnia .
„possidemus, quo ceteri vestri ciues suos possident
„hereditates.“3)
l) Vgl. Rehme a. a. 0. 8. 202. Hartwig a. a. 0. S. 77 fg. Frens-
dorff a. a. 0. 8. 135 Anm. 41.
s) LUb. Urkb. I. Nr. 283 8. 271.
S) Lüb. Urkb. I. Nr. 325 8. 307 (1270).
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Musste sich in diesem und in ähnlichen Fällen1) die Geistlich-
keit verpflichten, den erworbenen Grundbesitz nicht dem Stadt-
recht zu entziehen, vielmehr alles zu tun, was die Stadt von einem
erbbesessenen Bürger verlangte, musste sie selbst beim Wieder-
verkauf das Grundstück zuerst der Stadt zum Kaufe, und dann
nur einem Bürger anbieten, so finden sich auch viele Fälle, in
denen dio Geistlichkeit gezwungen wurde, den zugewendeten
Grundbesitz entweder sofort, oder in einer bestimmten Frist
wieder zu verkaufen. So heisst es z. B. in einer Eintragung
im Oberstadtbuche von 1299:2)
„Notum sit, quod Gesa, relicta Willekini de Luneborg,
„emit a provisoribus ecclesiae Sti. Jacobi domum quandam,
„sitam in fossa piscatorum, quam sibi coram Consulibus
„resignaverunt. Et est domus, quam Rodolfus de Luneborg
„dicte ecclesie in suo dedit testamento.“
In einer Urkunde von 131 5, 3) in der wir schon eine Zu-
schreibung zu treuen Händen finden, wird bestimmt, dass der
Treuhänder verpflichtet sei, das Grundstück „infra decem annos
a data presencium numerandos vni burgensi in Lubeke, omni
contradictione cessante, vendere.“ Die Urkunde fährt dann fort:
„et quod alten nisi ciui Lubicensi non possit vendere
„vel alio quouis modo alienare vel obligare, coram nobis
„publice est confessus.“
In anderen Fällen wieder behält sich der Rat vor, das Grund-
stück zu verkaufen. So ward z. B. im Jahre 1301 im Stadt-
buch vermerkt, als die Egidienkirche ein Haus ankaufte:
*) Lüb. Urkb. VI. Nr. 179 S. 223 (1420). Hier handelt es sich um
die Stiftung einer Rente für den Dominikanerkonvent. Er musste sich dabei
verpflichten: „Jodoch wille wi vnde schoten de vorbenomeden XX mark gheldes
iorlikes vorscboten vnde der atnt plicht darvan entrichten". Vgl. auch
Lilb. Urkb.VI. Nr.305 8.336 (1421); Mitteilungen des Vereins für Liibeckische
Geschichte und Altertumskunde Bd. III. 8. 145 Nr. 1 1 Amu. 1 ; Bd. III. 8. 162
Nr. 30 Anm. 1; Lüb. Urkb. VI. Nr. 646 S. 542 (1423). Pauli, Abh. IV.
Urkb. A. Nr. 354. Lüb Urkb. II. Nr. 383 S. 330 (1320). Rehme a. a. O.
Urkb. Nr. 112 8. 296. Vgl. auch Wehrmann. Das Haus des deutschen
Ordens in Lübeck (Zeitschrift a a. 0. Bd. V.) S. 461 fg.
3) Pauli, Abh. III. S. 282 Anm. 238. Vgl. die in derselben Anmerkung
abgedruckten Stellen, ferner Mitteilungen a. a. O. III. S. 65 Nr. 10. Pauli,
Abh. IV. Urkb. A. Nr. 354.
5) Lüb. Urkb. II. Nr. 335 S. 279.
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20
„Provisores ecclesie sancti Egidii emerunt a Rothero
„Calvo domam quondam sitam juxta cimiterium sancti
„Egidii, sed dicta ecclesia non utatur dicta domo dincius,
„quam placuerit consulibus civitatis“.1)
Ferner heisst es in einer Urkunde, durch die der Rat den
Karthäusern in Ahrensbock ein Haus in der Dankwärtsgrube
im Jahre 1399 überliess:2)
„Et si aliquid contingeret, quod Consilium ipsis eadem
„domo amplius fauere nollet, extunc Consilium ipsis suas
„pecunias restituere debet.“3)
In allen diesen Fällen aber war es stets ein Akt der freien
Entschliessung des Rates, dass der Geistlichkeit Liegenschaften
oder Renten übertragen wurden. Wir finden dies auch in den
Urkunden zum Ausdruck gebracht. Ausdrücke wie „de speciali
fauore et gracia“4) oder „de vestra beniuola permissione“ 5) finden
sich nicht selten.6) Principiell ist an dem Verbot der Ueber-
tragung von Liegenschaften an die Geistlichkeit nichts geändert.
Dreyer7) giebt uns nun Kunde von einer Ratswillkür aus dem
Jahre 1296, wonach „die Güter, welche Kirchen und Klöster
in dieser Stadt acquiriren, unter die bürgerlichen Unpflichten
bleiben sollen“. Man hat aus diesem Statut gefolgert, dass der
Grundstücksverkehr wieder freigegeben sei und dass an Stelle
des Verbotes der Uebertragung von Liegenschaften das Gebot
des Ueberganges cum onere getreten sei.8) Dem kann nicht
beigestimmt werden. Die meisten vorhin erwähnten Urkunden
*) Mitteilungen a. a. O. III. S. 20 Nr. 61. Vgl. auch Rehme a. a. O.
Urkb. Nr. 112 S. 296. Lüb. Urkb IL Nr. 383 S. 330 (1320). Pauli, Za-
stände Bd. I. S. 22.
*) Lüb. Urkb. IV. Nr. 681 S. 776.
3) Wie aus dein Schlüsse der Urkunde hervorgeht, bandelt es sich nicht,
wie Brehnier, Mitteilungen a. a. O. III. S. 78 meint, nur um die Ueber-
lassung zur Benutzung, sondern es liegt ein Kaufvertrag vor.
*) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. IV. Nr. 681 8. 775.
s) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. I. Nr. 325 S. 307.
•) Hartwig a. a. O. 8. 77 f. Rehme a. a. 0. 8. 202.
7) Dreyer, Einleitung der . . . von E. Hochw. Rath der Reichsstadt
Lübeck . . ergangenen allgemeinen Verordnungen (1769) 8. 137.
e) Hartwig a. a. 0. 8. 80 f.
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stammen ans einer Zeit nach 1296, in ihnen wird ausdrücklich
der Uebergang der Verpflichtungen auf die Geistlichkeit erwähnt,
und selbst da, wo ein solcher Uebergang nicht erwähnt wird,
wird wenigstens die Verkaufsverpflichtung hervorgehoben. Es
kann meines Erachtens kein Zweifel bestehen, dass jenes Verbot
zu allen Zeiten in Lübeck bestanden hat. Wie ist aber dann
jene von Dreyer erwähnte Willkür auszulegen? Ich glaube
dahin: Das Verbot bestand weiter. Wurden trotz diesem Verbote
aus Gnade des Rates der Geistlichkeit Liegenschaften übertragen,
dann sollten, ohne dass es im einzelnen Falle erwähnt zu werden
brauchte, die aus dem Stadtrecht sich ergebenden Verpflichtungen
auch von der erwerbenden Geistlichkeit übernommen werden.
Beruhte die Uebernahme der Pflichten bisher auf einem Vertrage,
so wurden sie nunmehr gesetzliche Pflichten.
Der Zustand um die Wende des 13. Jahrhunderts war also
folgender: Prinzipiell galt das Verbot der Uebertragung von
Liegenschaften und Renten auf die Kirchen, Klöster, Geist-
liche und fromme Stiftungen. Durch den Rat konnte jedoch
von diesem Verbot Dispens erteilt werden; dann hatte aber die
Geistlichkeit kraft Gesetzes die mit dem Grundbesitz verbundenen
Pflichten gegenüber der Stadt zu tragen. Die Entwicklung war
damit aber nicht beendet, sie schritt fort; ja schon im 13. Jahr-
hundert wird vermutlich die Entwicklung in andere Bahnen
gelenkt sein. Nicht unmittelbar auf einer gesetzlichen Vorschrift
beruhend,1) aber anknüpfend an die neue Gestaltung des Grund-
stücksverkehrs in Lübeck seit der Anlegung des Oberstadtbuches
im Jahre 1227 entstand das System der Zuschreibungen zu
treuen Händen. Zur Zeit der Anlegung des Oberstadtbuches war
zur Uebereignung von Liegenschaften in Lübeck ein öffentlicher
Akt, eine Auflassung, erforderlich.2) Diese geschah vor dem Rates)
*) Hartwig a. a. O. S. 83 meint, dass die Neuerung auf einer Rats-
willkiir aus dem Ausgang des 14. Jahrhunderts beruhe. Er beruft sich
dabei auf Rehme, der dies aber an dem von Hartwig angegebenen Orte
nicht behauptet. Es liegt ein derartiges Statut, soviel mir bekannt ist,
auch nicht vor. Auch reichen die Zugehreibungen zu treuen Händen schou
bis in den Anfang des 14. Jahrhunderts.
s) Vgl. darüber Rehme a. a. O. S. 110 Note 21.
*) Und zwar vor dem ganzen, sitzenden Rate, vgl. Rehme a. a. 0. S. 1 12.
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der Stadt.1) Man hat vielfach gemeint,2) dass die Auflassung
zur Uebertragung des Eigentums in Lübeck bereits am Anfänge
des 13. Jahrhunderts nicht genügt habe. Der Auflassung
hätte die Eintragung in das Oberstadtbuch folgen müssen.
Nur Auflassung mit nachfolgender Eintragung hätte den Ueber-
gang des Rechtes bewirkt. Wie Rehme3) ein wandsfrei nach-
gewiesen hat, war dies nicht der Fall. In ältester Zeit hatte
die Eintragung uur beurkundende Kraft. Erst am Ende des
13. Jahrhunderts kam der Eintragung in das Oberstadtbuch im
Falle einer freiwilligen Verftusserung eine andere Bedeutung zu.
Erst seit dieser Zeit wirkt die Eintragung konstitutiv.4) Es
kann hier nicht die Aufgabe sein, die Wandeluugen, die die
rechtliche Bedeutung der Eintragung in das Oberstadtbuch
durchgemacht hat, geschichtlich zu entwickeln. Genug, am
Anfang des 13. Jahrhunderts war die Eintragung lediglich
rechtsbekundend.5) Am Ende des 13. Jahrhunders war sie neben
der Auflassung rechtserzeugend, um schliesslich für sich das allein
massgebende Moment in der Uebertragung von Liegenschaften
zu werden.6) Mit dieser Entwicklung des Gruudstücksverkehres
geht auch die Entwicklung jenes Verbotes, Grundstücke an die
Geistlichkeit zn übertragen, Hand in Hand. Lautete das Verbot
früher: Liegenschaften") dürfen nicht an die Geistlichkeit über-
tragen werden, so wurde es jetzt so gefasst, dass Liegenschaften
der Geistlichkeit im Oberstadtbuch nicht mehr zugeschrieben
*) Pauli, Abh. I. S. 171 und Frensdorff, Verf. a. a. O. S. 84 folgern ans
Hach I. 3, dass nach den ältesten lateinischen Statuten die Auflassung im
echten Ding, in legitimo placito, zu geschehen habe. Es ist dies nicht richtig.
Vgl. Rehme a. a. O. 8. 44, S. 110 fg.
*) Vgl. Beseler, Privatrecht (4. Anfl.) 8. 362. Stobbe in Iheringa
Jahrbüchern Bd. XII. S. 208; Stobbe, Deutsches Privatrecht Bd. I. (3. Aufl.)
8. 640, Bd. II. (2. Aufl.) S. 193. Gengier, Deutsches Privatrecht (4. Aufl.)
8. 153. R. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte (3. Aufl.) 8. 691.
*) Vgl. Rehme a. a. 0. 8. 251 fg.
4) Rehme a. a. 0. 8. 261.
s) Vgl. auch meine Schrift, Das Testament im Gebiet des m&gde-
burgur Stadtrechtes (Untersuchungen zor deutschen Staats- und Rechts-
goschicbte, herg. von O. Gierke Heft 82) S. 17 fg.
6) Rehme a. a. 0. S. 263.
7) Dasselbe gilt natürlich für die Rentenbestellung in dem oben ge-
schilderten Umfange.
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werden durften. Sachlich blieb das Verbot dasselbe. Denn da
erst durch Auflassung und Eintragung, später durch die Ein-
tragung allein, Eigentum an Liegenschaften im Falle freiwilliger
Veräusserung begründet werden konnte, so besagte das Verbot
nunmehr auch weiter nichts, als dass der Uebertragnngsakt
nicht vorgenommen werden konnte. Hiermit war aber der
Zweck, den die Stadt mit all diesen Verboten erreichen wollte,
vollkommen erfüllt. Die Geistlichkeit sollte nicht die Möglichkeit
erlangen, städtische Grundstücke aus dem städtischen Verbände
herauszuziehen. Es sollte ihr unmöglich gemacht werden, die
Vorteile, die mit dem Besitz von städtischem Grund und Boden
verbunden waren, zu geniessen, ohne die Lasten gegenüber der
Stadt zu übernehmen. Man brauchte daher nicht mehr die
Uebertragung als solche zu verbieten, es genügte, wenn die
betreffenden Liegenschaften der Geistlichkeit nicht im Ober-
stadtbuch zugeschrieben werden konnten. Alles andere konnte
der Stadt gleichgültig sein. So sehen wir denn auch, dass un-
gefähr gleichzeitig mit jener Aenderung der Bedeutung der
Eintragung, die Geistlichkeit sich eines Verfahrens bediente,
das sowohl ihrem eigenen Interesse als auch dem Interesse der
Stadt gerecht wurde.1) Man benutzte das Institut der Treu-
händer dazu, um den Bestimmungen des Stadtrechtes nach-
zukommen.2) Das erste derartige Beispiel, das bisher bekannt
ist, stammt aus dem Jahre 1315.3) In dieser Urkunde heisst
es, dass ein „dominus Alardus de Estorpe, cellerarius ac noster
concanonicus“ eine hereditas „sitam ex opposito cimiteri sancti
Jacobi in Lubeke“ gekauft und rationabiliter bezahlt hat. Dieses
Grundstück wurde jedoch nicjit dem Cellerarius und Coneanonikus
im Stadtbuch zugeschrieben, vielmehr heisst es in der Urkunde:
„ . . licet ad manus Arnoldi Nigri ciuis Lubicensis sit
„resignata et scripta secundum conswetudinem ciuitatis .
>) Rehme a. a. 0. S. 202 verlegt diese Aendernng, nämlich das Auf-
kommen der Treuhänder, erst in das Ende des 14. Jahrhunderts. Es ist dies
nicht richtig. Schon im Anfang des 14. Jahrhunderts wird dies Verfahren
in einer Weise uns bezeugt, die bereits ein längeres Bestehen desselben
voraussetzt. Vgl. Lttb. Urkb. H. Nr. 335 S. 279 anno 1315.
3) In diesem Verfahren ist daher keine Umgebung des Stadtrechtes zu
sehen, wie Stobbe in Zeitgeb. f. Rechtsgeschichte Bd. VII. S. 432 fg. meint.
Vgl. Rehme a. a. 0. S. 204 Note 48. Heusler, Institutionen Bd. I. S. 228.
3) Lüb. Urkb. LL Nr. 335 S. 279.
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24
Nach der Gewohnheit der Stadt, nicht kraft Gesetzesvorschrift
wurde nicht der Käufer, sondern ein Lübecker Bürger als
Eigentümer in das Stadtbuch eingetragen. Man sieht daraus,
dass ein derartiges Verfahren bereits 1315 allgemein eingebürgert
gewesen ist. Hier in dieser Urkunde wird allerdings der Grund
des Verfahrens noch nicht angegeben. Es wird einfach kon-
statiert, dass nicht der Geistliche, sondern ein Bürger, dieser
aber nur „ad manus“, als Eigentümer im Stadtbuch eingetragen
ist. In späteren Urkunden wird dann auch der Grund dieses
ganzen Verfahrens angegeben. Mir sind derartige Angaben
jedoch erst aus dem Anfänge des 15. Jahrhunderts bekannt.
So heisst es in einer Eintragung in dem Niederstadtbuch, dass
ein Haus mehreren Personen nur deswegen im Oberstadtbuch
zugeschrieben sei „eo quod secundum statutum Lubicensis ciuitatis
presbiteris hereditates asscribi non debeant pro sua empta re“.1)
Und bereits im Jahre 1403 hatte der Bürgermeister von Lübeck
gelegentlich einer Anfrage des Rates der Stadt Reval erklärt: „dat
men nenen gestliken luden in unser stad buk gestlik gut plecht
laten to scriuende“.2) Diese Beispiele zeugen deutlich, wie man
in der damaligen Zeit den Grundgedanken jener Verbote erfasst
hatte. Die Anwendung der Treuhänder bei der Geistlichkeit
entsprang lediglich der Bestimmung, dass die Geistlichkeit im
Stadtbuch nicht eingetragen werden sollte. Gemäss der geschicht-
lichen Entwicklung dieser Gesetzgebung verwendete man die
Treuhänder sowohl für den Liegenschaftserwerb durch einzelne
Geistliche3) als auch durch geistliche Anstalten,4) seien es nun
Kirchen und Klöster oder fromme Stiftungen. Dies gebt auch
aus dem Wortlaut der soeben erwähnten Urkunde von 1403
- hervor. Unter „gestliken luden“ hat man nicht nur den einzelnen
Geistlichen, sondern auch die geistliche Anstalt zu verstehen.
>) Ltlb. Urkb. V. Nr. 216 S. 218 atmo 1408. Vgl. ferner ibid. V. Nr. 359
S. 401 anno 1411; V. Nr. 407 S. 448 anno 1412; V. Nr. 517 S. 662 anno
1414; IX. Nr. 473 S. 471 anno 1457; X. Nr. 579 8. 589 anno 1465.
3) Liib. Urkb. V. Nr. 72 S. 71. Vgl. Kebme a. a. 0. S. 204. Uartwig
a. a. 0. S. 84.
*) Vgl. die in Anm. 1 angegebenen Stellen.
«) Vgl. z. B. Ltib. Urkb. IV. Nr. 437 S. 482 anno 1384; ibid. V. Nr. 641
8. 728, 1417; vgl. auch ibid. VI. Nr. 194 S. 234, 1420; VII. Nr. 375 S. 361, 1430;
IX. Nr. 339 S. 340, 1456; IX. Nr. 473 S. 471, 1457; IX. Nr. 168 S. 167
1463; vgl. auch Mitteilungen a. a. 0. IV. S. 156 Nr. 72.
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25
Sachlich war das Anwendungsgebiet der Treuhänder bezüglich
der Geistlichkeit nicht auf die Uebertragung von Liegenschaften
beschränkt. War früher nicht nur die Uebertragung von Eigen-
tum an Liegenschaften auf die Geistlichkeit verboten, sondern
war es nicht einmal erlaubt auch sonstige dingliche Rechte für
die Geistlichkeit zu bestellen,1) so waren jetzt Verpfändungen
oder Rentenbestellungen für die Geistlichkeit nur mit Hülfe der
Treuhänder möglich. Während mir Treuhänder bei Verpfandungen
nur in wenigen Beispielen bekannt sind,2) finden sich mehrere
Stellen,3) wo sie bei der Bestellung von Renten für die Geist-
lichkeit verwendet sind.4)
In welcher Weise sich die Kirche gegen diese städtischen
Vorschriften gewahrt hat, wie sie teils heftige Kämpfe mit
Lübeck zu bestehen hatte, das alles fällt aus dem Rahmen
dieser Arbeit hinaus.5) Ebenso wenig interessiert hier, dass
von Seiten der Stadt später gegen die Zuschreibungen zu treuen
Händen eingeschritten ist.6) Erwähnt mag jedoch werden, dass auch
zu Zeiten, als man der Geistlichkeit das Oberstadtbuch verschloss,
es dennoch vorgekommen ist, dass der Geistlichkeit unter ge-
wissen Kautelen Liegenschaften oder Renten im Oberstadtbuch
ohne weiteres zugeschrieben worden sind.7)
§ 3. (Fortsetzung.)
b) Die Fremden.
Nachdem im vorigen Paragraphen die städtische Gesetz-
gebung in Lübeck bezüglich der Grundbesitzverhältnisse der
■) Vgl. obeu 8. 11 Amn. 1.
*) Lüb. Urkb. VI. Nr. 159 S. »04, 1419. VIII. Nr. 664 8. 705, 1450.
’) Lüb. Urkb. V. Nr. 563 8. 597, 1415; Nr. 349 8. 379, 1410; VI.
Nr. 169 8. 204, 1419; VI. Nr. 296 8. 826, 1420; VI. Nr. 305 8. 336, 1421;
VI. Nr. 547 S. 543, 1423; V. Nr. 350 8. 379, 1411; X. Nr. 679 S. 689, 1466.
4) Vgl. auch Rehme a. a. O. S. 203. Ungenau wohl Hartwig a. a.
0. 8. 85 Note 1.
6) Vgl. darüber Hartwig a. a. O. 8. 76 fg., 86. Rehme a. a. 0.
S. 197 fg. Pauli, Abh. III. 8. 281.
•) Dreyer a. a. O. 8. 94. Rev. Stat. I. 2, 6. Vgl. Rehme a. a. 0.
8. 204. Hartwig a. a. O. S. 86.
7) Vgl. z. B. Pauli, Abh. IV. Urkb. A. Nr. 354 anno 1511; Mit-
teilungen a. a. 0. III. S. 145 Aum. 1. Vgl. Hartwig a. a. 0. 8. 86.
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26
Geistlichkeit im Einzelnen klar gelegt ist, kann ich mich be-
züglich der Fremden kürzer fassen. Einmal hat die Gesetz-
gebung fast denselben Gang genommen, wie bei der Geistlichkeit.
Dann aber sind mir auch nicht so viele Urkunden über Liegen-
schaftserwerb durch Fremde in Lübeck bekannt. Die Fälle, in
denen Fremde in Lübeck Grundeigentum erworben haben, werden
wohl nicht so häufig eingetreten sein. Konnten doch Fremde
einen dauernden Aufenthalt in Lübeck in der Regel nicht
nehmen.1) Immerhin liegen uns jedoch genügend Urkunden vor, um
ein Bild von der mittelalterlichen G esetzgehung bezüglich des Liegen-
schaftserwerbes durch die Fremden in Lübeck zu gewinnen.
Fragen wir zunächst, wer ist ein Fremder oder, wie
man sie im Mittelalter allgemein nannte, wer ist ein Gast?
Im Gegensatz zu anderen Rechten2) giebt uns das Lübische
Recht keine ausdrückliche Antwort.3) Und doch ist die Antwort
für die vorliegende Arbeit von einem gewissen Wert. Wird
doch vielfach4) ein Unterschied zwischen dem Begriff der Gäste
und der Einwohner nicht gemacht, ja man rechnet hin und
wieder die Einwohner zu den Gästen und unterwirft sie denselben
Beschränkungen.5) Für Lübeck kann es m. E für zweifellos
gelten, dass die Gäste nicht mit den Einwohnern auf dieselbe
Stufe gestellt werden können.6) Gäste und Einwohner sind
zwei grundverschiedene Klassen.7) Einwohner sind diejenigen
Bewohner einer Stadt, die zwar nicht zu dem engeren Bürger-
J) S. oben S. 6.
*) Vgl. z. B. Goalaer Statuten (lierg. von Göschen) S. 101 Z. 26.
Magd. Frg. II. 2, 8. Wassemchleben, Deutsche Rechtsquellen des Mittel-
alters (1892) I. cap. 144, 145.
s) Gast wird auch gebraucht lür Randsaase. Vgl. z. B. Ssp. Lehur. 73
§ 2. Vgl. auch R. Schröder, Rechtegeschichte (3. Aufl.) S. 447 Note 73.
4) Vgl. Varges in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik
III. Folge Bd. IX. S. 511. R. Schröder a. a. O. S. 623 Anm. 54. Hertz,
Rechtsverhältnisse des freien Gesinde» (Untersuchungen zur deutschen Staats-
und Rechtsgescbichte Heft 6) S. 10, vgl. dagegen aber S. 6 Anm. 6.
h) ln Gonstanz unterlagen nach Beyerle a. a. 0. S. 76 die eingesessenen
Nichtbürger allerdings bezüglich des Grundeigentumerwerbes denselben Be-
stimmungen wie die Gäste.
*) Vgl. Rehine a. a. O. S. 199 Anm. 25. Pauli, Zustände Bd. I.
S. 65 fg. Stein, Gründliche Abhandlung des Lübischen Rechtes Theil I.
(1738) p. 64.
7) Vgl. jetzt auch Rudorff a. a. 0. S. 5 fg.
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27
verbände zugelassen sind, die aber immerhin zu dem Gemeinde-
verbande der Stadt gehören.1) In welche Zeit die Spaltung
der Bewohner Lübecks in die eigentlichen Bürger und die sog.
Einwohner zurückgeht, lässt sich nicht mehr feststellen. Bereits
die ältesten Recbtsaufzeichnungen des lübischen Hechtes enthalten
aber einen Satz, der uns einen grossen Vorrang einer Klasse
von Bewohnern zeigt. Schon die älteste Lübecker Ratsordnung
aus der Mitte des 12. Jahrhunderts knüpft die Fähigkeit, Mitglied
des Rates zu sein, daran, dass der Betreffende „sine neringe mit
handwerke nicht ghewunnen hebbe“.2) Ausserdem wird weiter
verlangt, dass der Betreffende echt und recht geboren, nicht
eines Geistlichen Sohn sei, in niemandes Dienste stehe u. s. w ,
ganz abgesehen davon, dass er Grundbesitz in der Stadt haben
musste. Wir sehen daraus, dass bereits in der ältesten Zeit
eine ganze Anzahl Personen aus dem Kreise der vollberechtigten
Bürger ausscheiden musste: einmal alle diejenigen, die kein
„torfacht egen“ besassen und dann diejenigen, die durch Hand-
werk ihren Unterhalt gewannen oder die irgendwie anrüchig
waren. Ob man ihnen überhaupt die Möglichkeit eröffnete,
Vollbürger zu werden, lässt sich für die älteste Zeit nicht mehr
feststellen.3) Für die spätere Zeit ist es zweifellos, dass auch
Handwerker und nicht erbgesessene Bewohner das Bürgerrecht
erwerben konnten, ja erwerben mussten.4) In späterer Zeit
mussten alle wirtschaftlich selbständigen Bewohner Lübecks
Bürgerrecht erwerben.5) Alle nicht selbständigen dagegen, wie
Gesinde und Gesellen, bildeten die Klasse der Einwohner. Der-
') Die Einwohner oder Beisassen werden liänfig als diejenigen Bewohner
einer Stadt definiert, die trotz dauernder Anwesenheit kein Bürgerrecht in
ihr erworben haben. Vgl. z. B. Hartwig a. a. O. S. 26. v. Below im
Handwörterbuch der Staatswissenschaften (2. Aull.) Bd. II. S. 1205. Vgl.
auch Stein a. a. 0. Theil I. S. 62. Für Lübeck trifft dies nicht zu. Gab
es doch auch Gäste, dio längere Zeit in Lübeck sich aufhielten und trotzdem
nicht zu den Einwohnern rechneten. In den Gästeregistern kehren nach
Hartwig a. a. 0. S. 30 die meisten Namen der Gäste von Jahr zu Jahr
wieder und nur selten wird vermerkt: „der is nu borger“.
а) Lüb. Urkb. I. Nr. 4. Vgl. auch Pauli, Zustände I S. 67 fg.
*) Hartwig a. a. O. S. 17 scheint dies anzuuehmen.
4) Vgl. Hantele, Ueber die beiden ältesten BUrgermatrikel (1854) S. 10.
б) Hartwig a. a. 0. S. 16.
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28
jenige „de in Koste ghad“1) ist Einwohner. Dazu rechneten
auch die im Dienste der Stadt stehenden Bewohner.2) Ursprüng-
lich gehörten alle diese Personen zur Familie ihres Brotgebers.3)
Wie sie unter seinem Schutze standen, so hatte ihr Herr ihnen
gegenüber ein Züchtigungsrecht.4) Allmählich jedoch machten
sich auch diese Personen von dem persönlichen Verhältnis zu
ihrem Brotherrn frei; ihre Zahl vermehrte sich durch Zuzug
von ausserhalb,5) so dass sie schliesslich als eine besondere
Klasse von Bewohnern angesehen wurden, die zwar kein Bürger-
recht im eigentlichen Sinne besassen, die aber zum Gemeinde-
verbande gehörten.6) Dies kommt auch in der städtischen
Gesetzgebung zum Ausdruck. In den Verordnungen des Rates
werden sie vielfach als eine besondere Klasse aufgeführt;7) sie
genossen denselben Frieden wie die Bürger, hatten einen An-
spruch auf den Schutz der Stadt, wie sie auch ihren Gerichts-
stand vor dem Gerichte der Stadt hatten.8) An den eigentlichen
Rechten und Pflichten der Bürger nehmen sie aber keinen Teil.
Auch unterlagen sie im allgemeinen nicht der Schosspflicht.9)
Dass in Lübeck streng zwischen Einwohnern und Gästen ge-
schieden wird, bezeugen einzelne Artikel dos Lübischen Rechtes.10)
') Lüb. Urkb. V. S. 378.
ä) Lüb. Urkb. X. Nr. 155 S. 160 anno 1462.
s) Vgl, Maurer, Geschichte der St&dteverfassung in Deutschland
Bd. II. (1870) S. 222. V arges a. a. O. Bd. IX. S. 510.
«) Hach III. 351.
6) Pauli, Zustände Bd. I. S. 63. Mantels a. a. O. S. 9 u. 10.
«) Vgl. Lüb. Urkb. L Nr. 269 S. 252. Vgl. Maurer a. a. 0. Bd. II.
S. 222, 226, 792. Varges a. a. O. Bd. IX. S. 610. Stein a. a. O. Bd. L
S. 63. Rndorff a. a. O. S. 5fg.
’) Vgl. z. B. Mitteilungen a. a. 0. I. S. 15. Lüb. Urkb. V. Nr. 568
S. 648. V. Nr. 34» S. 378, 1410. Hacb IV. 4. Vgl. auch Hartwig a. a.
O. S. 27. — Ob in H ach I. 24 „ciuis aut burgensis“ den Gegensatz von Bürger
und Einwohner, wie dies Deecke. Grundlinien zur Geschichte Lübecks
(1839) S. 37 annimmt, andeuten will, erscheint mir zweifelhaft. Vgl. auch
Hartwig a. a. O. S. 18 Note 4.
*) Vgl. jetzt bes. Rudorff a. a. O. S. 10.
») Vgl. jedoch Lüb. Urkb. V. Nr. 349 S. 378. V. Nr. 668 S. 648.
Hartwig a. a. O. S. 26 fg.
I0) Hach I. 110, Ul, 113—115. Revid. Statuten I. 2, 6. Mevius
ad. h. a. Vgl. auch Lüb. Urkb. I. Nr. 710 S. 639, I. Nr. 711 S. 640.
Hach IV. 4. Vgl. auch Rehme a. a. O. S. 199 Note 25. Pauli, Zu-
stände Bd. I. S. 65 fg. Rudorff a. a. 0. S. 13.
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29
Es mag dies genügen, um darzutun, dass in Lübeck wenigstens
Einwohner und Gast zwei ganz getrennte Begriffe waren und
dass e& nicht angeht, ohne besondere Bestimmung die Vorschriften,
die für Gäste gelten, auch für die Einwohner gelten zu lassen.
Im Gegensatz zum Einwohner sind Fremde oder Gäste Personen,
die weder dem geistlichen noch dem Ritterstande angehören,
und die zu der Stadt als solcher in keiner weiteren Beziehung
stehen. Sie rekrutieren sich, soweit sie für Lübeck hauptsäch-
lich in Frage kommen, meist aus Kaufleuten oder Handwerkern,
die ihres Berufes wegen nach Lübeck gekommen sind.1)2) Mit
dem Begriff des Gastes hat es natürlich nichts zu tun, ob
derselbe sich in Lübeck selbst, sei es vorübergehend, sei es
durch die Gnade des Rates,3) auf längere Zeit aufhielt oder
nicht.4) Auch ohne dass ein Fremder selbst nach Lübeck kam,
konnte er unter Umständen mit Lübeck in Verbindung kommen.
Man braucht nur an das Erbrecht zu denken. Gäste sind die
Angehörigen eines anderen Rechtskreises. Der Angehörige einer
anderen Stadt oder ein Bewohner des platten Landes ist für
einen anderen Rechtskreis ein Fremder, der im allgemeinen5)
der städtischen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen ist und der
an den öffentlichen Rechten und Pflichten der Stadtbürger keinen
Teil hat.8) In fast allen Städten hat sich daher ein vom Stadt-
recht verschiedenes Gästerecht gebildet.
Ursprünglich scheint auch in Lübeck, wie überall, die
städtische Gesetzgebung den Fremden nicht feindlich gegenüber-
gestanden zu haben. Ja, man duldete nicht nur die Fremden,
man gewährte ihnen auch mannigfache Vorteile und suchte durch
Zuzug von Fremden die junge Stadt zu grösserer Macht und
und grösserer Blüte zu bringen.7) Dies änderte sich jedoch
*) Vgl. Hartwig a. a. O. S. 29 Note 3. v. Below a. a. O. Bd. III.
S. 1^83 f.
а) Doch finden sich auch Vertreter liberaler Berufe unter den Gästen.
Vgl. Hartwig a. a. O.
*) Wenn sich Güte längere Zeit in Lübeck aufhalten wollten, bedurften
sie der Erlaubnis des Rates. Hach II. 180, 232.
*) Dies behauptet Hartwig a. a. O. S. 29.
б) Vgl. Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter Bd. 1.
(1879) S. 78 fg. Rudorff a. a. O. S. 19 fg., 37 fg.
*) Vgl. v. Below a. a. O. Bd. III. S. 1284. Rudorff a. a. O. S. 18.
7) Vgl. v. Below a. a. 0 Bd. HI. S. 1288.
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30
sehr bald. Nachdem einmal Lübeck zu einer Metropole des
Landes geworden war1) und von fern und nah in hellen Haufen
Fremde zuströmten, musste die Stadt darauf bedacht sein, die
Konkurrenz, die die Fremden ihren eigenen Bürgern machten,
abzuschwächen und durch allerlei Beschränkungen2) den schäd-
lichen Wirkungen des Zuzuges von Fremden entgegenzutreten.
So gelangte man schliesslich dazu. Fremden einen dauernden
Aufenthalt in Lübeck ganz zu verbieten, nur mit besonderer
Erlaubnis des Rates konnten Fremde für längere Zeit in Lübeck
ihren Wohnsitz nehmen. Damit allein war es aber nicht getan.
Der Stadt musste auch daran gelegen sein, dass nicht städtisches
Vermögen in grossem Umfange in die Hände von Fremden
überging. War Fremden der dauernde Aufenthalt in Lübeck
verboten, so konnte die Stadt auch nicht dulden, dass dauernd
Werte der Stadt entfremdet wurden, die unter städtischem
Schutze Stauden, deren Verwertung aber nicht den Bürgern zu
Oute kam. So kam man dazu, diejenigen Werte, die in damaliger
Zeit für die Machtstellung einer Person den Ausschlag gaben,
dem Verkehr mit Fremden zu entziehen. Es war das der
Grundbesitz im eigentlichen Sinne und die Grundrenten, beides
Faktoren, die im Mittelalter bei der unentwickelten Kapital-
wirtschaft von grosser Bedeutung waren.
Es ist falsch, wenn man den Stadtrechten des Mittelalters
eine fremdenfeindliche Tendenz unterschiebt. Die Städte, nament-
lich die grossen Handelsemporen, kannten genau den Vorteil,
den ein grosser Fremdenverkehr mit sich brachte. Man wollte
nur die nachteiligen Folgen eines allzu grossen Ueberhandnehmens
der Fremden beseitigen. Und wie wir heutzutage auch die
Ausländer von den öffentlichen Rechten eines Inländers aus-
schliessen, so hat man auch damals Vorsorge treffen wollen,
dass die Fremden auf das städtische Regiment keinen Einfluss
gewinnen konnten. Hieraus erklären sich hauptsächlich jene
Beschränkungen bezüglich des Landerwerbes durch Fremde.
Wann sich in Lübeck der Umschwung in der rechtlichen
Behandlung der Fremden vollzogen hat, kann mit Sicherheit
nicht festgestellt werden. Hier kommt nur in Frage die Stellung
») Vgl. Lüb. Urkb. V. Nr. 242, VI. Nr. 397.
*) Vgl. Hartwig a. a. 0. 8. 30. v Below a. a. O. Btl. III. 8. 1284 f.
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31
der Fremden gegenüber dem Erwerb von unbeweglichem Ver-
mögen. Die Meinungen gehen hierin auseinander. Frensdorff1)
meint, dass erst das revidierte Statut in I. 2, 5 die Fremden
vom Erwerb des Eigentumes an städtischem Erbe ausgeschlossen
habe. Rehme2) setzt den Erlass dieses Verbotes bereits in
das Ende des 14. und den Anfang des 15. Jahrhunderts, vorher
sei der Verkauf und die Vergabung von Grundstücken an Fremde
zulässig gewesen, nur das Verbot der Rentenbestellung und der
Verpfändung habe bereits früher bestanden. Gegen Frensdorff
und Rehme hat sich bereits Hartwig gewendet. Nach ihm
gehen beide Verbote Hand in Hand. „Warum“, so fragt
Hartwig, „soll der Bürger sein Haus an einen Gast verkaufen,
nicht aber verpfänden dürfen?“3) Sehen wir uns die uns erhaltenen
Urkundenstellen näher an, so werden wir bei eingehender
Prüfung der Ansicht Hartwigs beitreten müssen. Die ältesten
lateinischen Statuten enthalten über diese Frage nichts. Hier
finden wir nur das Verbot bezüglich der Geistlichkeit. Nach
Dreyer4) erliess der Rat erst im Jahre 1247 ein Verbot, dass
kein Gast Weichbildsgeld in einem Erbe haben sollte. Die
deutschen Recensionen des Lübecker Stadtrechtes haben diese
Bestimmungen aufgenommen:
„Oc so ne scal nen gast hebben wicbelde ghelt in
„ienegheme erue in vnser stat“.5)
Sie gehen sogar noch darüber hinaus, indem sie bestimmen:
„Dhe ghemene Rat is des to rade worden dat nen
„borghere mut setten sin erue vor enen gast . . .“*)
Die deutschen Redaktionen stammen frühestens aus der Mitte
des 13. Jahrhunderts.7) Nach den eben angeführten Stellen
>) Frensdorff, Verf. S. 136 Anm. 43.
*) Rehme a. a 0. 8. 199.
*) Hartwig a. a. 0. S. 76. Vgl. auch Wehrmann in Zeitsch. Bd.
III. 8. 403.
4) Dreyer a. a. 0. 8. 86.
6) Hach H. 244.
•) Hach II. 226.
7) Vgl. die Schrift von Frensdorff, Das läbische Recht und seine
ältesten Formen (1883); Kraut. Qrundriss zu Vorlesungen Uber das
deutsche Privatrecht (6. Aufl. bearb. v. Frensdorff 1886) S. 27. R.
Schröder, Kechtsgeschichte S. 671.
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bestehen ausdrücklich nur zwei Verbote: Einmal die Verpfändung
von „eruc“ an einen Gast.1) Und dann: Kein Gast sollte eine
Rente an einem „erue“ haben. Also nicht nur die Bestellung,
sondern auch die Veräusserung zu Gunsten eines Gastes war
verboten;2) ja nach dem Wortlaut des Artikels muss man sogar
annehmen, dass auch kraft Erbrechtes eine Rente nicht auf den
Fremden übergehen konnte. Denn der Artikel wendet sich
nicht an die Bürger, sondern nach seinem einfachen Wortlaut
will er ausdrücken, dass kein Gast eine Rente haben soll.3)
Andere gesetzliche Bestimmungen sind nicht vorhanden.
Rehme4) schliesst daher folgendermassen: Man darf den Artikel
über die Verpfändung von Grundstücken an Gäste „nicht extensiv
interpretieren, da er der einzige unter den Ver&usserungs -Ver-
boten ist, in dem der Verpfändung gedacht wird, und noch dazu
in jenem Artikel steht, in dem der Verkauf an Geistliche, Ritter
und Hofleute untersagt wird“. Rehme stützt seine Ansicht
aber auch noch darauf, dass derselbe Artikel 226 bezüglich
der Veräusserung von Liegenschaften an Geistliche, Ritter und
Hofleute verordnet :
„Liker wis eset bi eneme erue dat eneme gaste tu
„höret dat hir inder stat beleghen is“.
Wir werden sofort sehen, wie dieser Schluss von Art. 226 auch
mit unserer Ansicht sich vereinigen lässt. Vorerst einige all-
gemeine Bemerkungen gegen Rehmes Ansicht, die auch schon
Hartwig angedeutet hat. Gehen wir auf den Grundgedanken
aller dieser Verbote zurück. Er ist darin zu suchen, dass die
Stadt ein grosses Interesse daran hatte, dass der städtische
Grund und Boden in den Händen der Bürger blieb und nicht
durch Veräusserung an Fremde dem allgemeinen städtischen
Nutzen entzogen werden konnte. Die mit dem Grundbesitz
verbundenen Rechte und Pflichten sollten nicht auf jemand über-
gehen, der der städtischen Jurisdiktion nicht unterlag, den die
Stadt zur Erfüllung seiner Pflichten nicht anhalten konnte.
') Rehme a. a. 0. S. 199. Hartwig a. a. 0. 8. 76. Frenadorff,
Verf. S. 136.
s) Rehme a. a. O. Hartwig a. a. O. Frenadorff a. a. O.
*) Diea iat bisher m. fi. übersehen worden.
4) Rehme a. a. 0.
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33
Nicht das persönliche oder wirtschaftliche Interesse der einzelnen
Mitbürger, sondern das allgemeine Interesse der Stadt war das
massgebende für diese Politik.1) Rehme2) verkennt dies auch
nicht. Er zieht hieraus nur nicht die notwendigen Konsequenzen.
Was hat es für einen Zweck, einem Bürger die Verpfändung
seines Grundstückes an einen Gast zu verbieten, die Veräusserung
aber zu gestatten? Sollte man nicht eher annehmen, dass die Ver-
äusserung verboten, die Verpfändung aber erlaubt sei? Die
Verpfändung kann doch wohl nur aus dem Zwecke verboten
sein, weil der Gast unter Umständen das Grundstück erwerben
konnte. Der Grundgedanke der Beschränkungen würde m. E.
durch die Zulassung der Veräusserung an Fremde gänzlich
verwischt worden sein. Und dann braucht man sich ja nur die
Wirkungen der Zulassung der Veräusserung von Grund und
Boden an Gäste zu vergegenwärtigen. Grundbesitz war in
Lübeck jederzeit schosspflichtig, die Gäste waren, wie überall,
anfangs vom Lübecker Schoss befreit, sie steuerten dort, wo
ihnen Bürgerrecht zukam.3) Gelangte nun Grundbesitz durch
Veräusserung an Gäste, so erlitt der städtische Schoss einen
Ausfall, was natürlich nicht im Interesse der Stadt liegen konnte.
Aber weiter: in Hach II. 109 heisst es:
„So we en dinc tnghen scholen dat it war si de scholen
„binnen der stat hebben er torfach eghen so moghen
„se dat wol tnghen.“4)
Würde man den Erwerb von Grundbesitz in der Stadt durch
Fremde zulassen, so müsste man zu dem Resultat kommen, dass
auch Fremde unter Umständen vollgültige Zeugen selbst gegen
Bürger sein konnten. Ein Resultat, das doch kaum annehmbar
sein dürfte.
Bezüglich der Erwerbung von Renten durch Gäste ist das
Verbot ausdrücklich ausgesprochen, für den Erwerb von Grund-
besitz müssen wir ein solches Verbot annehmen. Es fragt sich
nur, warum ist ein derartiges Verbot in den Statuten nicht
enthalten. Denn auffällig bleibt es immer, dass die Statuten
') Vgl. darüber auch Frensdorff, Verf. S. 134 fg.
*) Rehme a. a. 0. S. 201.
s) Hartwig a. a. 0. S. 29.
4) Vgl. Hach I. 67. Pauli, Zustände Bd. 111. S. 65 fg.
Loening, Grunderwerb und Treuhand in Lübeck H
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34
eine derartige Bestimmung nicht erwähnen, zumal da in dem-
selben Artikel 226 das Verbot des Grunderwerbes für die Geist-
lichkeit ausdrücklich hervorgehoben wird. Ich glaube, dass der
Grund dafür darin zu suchen ist, dass Gäste in damaliger Zeit
überhaupt kein Grundeigentum in Lübeck zu erwerben suchten.
Ihnen war der ständige Aufenthalt in Lübeck im allgemeinen
verboten,1) es konnte ihnen daher auch nicht viel daran liegen,
Lübecker Grundeigentümer zu werden. Bei Verpfändungen von
Liegenschaften und bei Rentenbestellungen zu Gunsten von
Gästen war dies etwas anderes. Hier handelte es sich wirt-
schaftlich nur um die Verwertung von Kapital, als Grundeigentümer
hätten die Gäste ganz andere wirtschaftliche Pflichten zu erfüllen
gehabt. Weil kein oder doch nur ein ganz geringes Bedürfnis
für eiu ausdrückliches Verbot vorhanden war, darum vermissen
wir auch eine darauf abzielende Bestimmung in den Statuten.
Uebrigens möchte ich noch bemerken, dass mir keine Stelle
bekannt ist, in der einem Fremden Liegenschaften in Lübeck
übertragen worden sind, abgesehen von einzelnen unten noch
besonders zu erwähnenden und besonders gearteten Fällen.
Dagegen finden wir bereits im 13. Jahrhundert eine Bemerkung,
die unsere Ansicht zu unterstützen geeignet ist. Wenigstens
geht aus ihr hervor, dass bereits in dieser Zeit das Bestreben
des Lübecker Rates dahin ging, dass Liegenschaften an Gäste
nicht übertragen werden sollten. Als der Rat von Lübeck dem
Kloster Reinfeld im Jahre 1266 gestattete, ein Erbe nach
Weichbildrecht zu besitzen, wurde dabei von dem genannten
Kloster ausdrücklich versprochen, dass es nur „vni ex ipsius
concivibus“ verkauft werden dürfte.2) Und ebenso wird in einer
Urkunde von 1315:l) bestimmt, dass eine hereditas an niemanden
anderes als an einen Lübecker Bürger verkauft, noch auf irgend
eine andere Weise veräussert oder verpfändet werden dürfte.
Noch schärfer zeigt uns diesen Grundsatz eine Urkunde aus
dem Ausgang des 14. Jahrhunderts.4) In ihr heisst es:
„Pretcrea predicta bona nulla alienatione debent in
„aliquas transferri . . . personas quascunque ex-
>) Hach II. ISO, II. 232.
») Lttb. Urkb. I. Nr. 283 S. 271.
3) Lüh. Urkb. 11. Nr. 335 S. 279.
*) Llib. Urkb. IV. Nr. 611 S. 565 (1389).
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„traneas seu extra ciuitatis nostre marchiam
„morantes, sed solum in nostras conciues et ipsos,
„qui in nostra marcliia fecerint mansionem . .
Diese Quellenstelleu allein würden für unsere Ansicht nichts
beweisen, wenn sie dieselbe auch wahrscheinlich machen. In
Verbindung mit dem allen diesen Verboten zu Grunde liegen-
den Gedanken aber sind sie m. E. wohl geeignet, das Verbot
der Uebertragung von Liegenschaften an Gäste darzutun.
Der oben angegebene Schluss von Hach II. Art. 266 scheint
nun dafür zu sprechen, dass Gäste „erue“ in Lübeck besitzen
konnten. Heisst es in dieser Stelle doch ausdrücklich „cneme
erue dat eneme gaste tu höret“. Schon Hartwig1) glaubt hier
den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Liegenschaften ausschliessen
^cu müssen. Er meint, dass Liegenschaften nur in Folge von
Erbgang in die Hand Fremder gelangt sind. Während er also
jede Veräusserung von Liegenschaften an Gäste ablehnt, meint
er, ebenso wie auch Rehme,2) dass der erbliche Anfall von
Liegenschaften in Lübeck an Gäste nio verboten gewesen sei.
Eine Bestimmung, weder in positiver noch in negativer Hinsicht,
hierüber finden wir im Stadtrecht nicht. Zweifellos ist es, dass
Fremde in Lübeck im allgemeinen erbberechtigt gewesen
sind.3) Es beweist dies auch die Menge noch vorhandener sog.
„toversichtsbreve“,4) in denen die obrigkeitliche Behörde einer
fremden Stadt ihren Angehörigen bezeugt, dass sie erbberechtigt
und erbfähig seien.5) Dass die Fremden allerdings einen Teil
des Nachlasses, den sog. „zehnten Pfennig“ an Lübeck zahlen
mussten,6) ist für die Zeit des Mittelalters nicht zu verwundern.
Sehen wir uns nun alle „toversichtsbreve“ an, so finden wir,
dass in allen der Nachlass der Verstorbenen nur in Geld oder
') Hartwig a. a. O. S. 76.
*) Rehme a. a. 0. S. 201.
3) Vgl. Pauli, Abh. III. S. 32.
*) Vgl. Pauli, Abh. III, S. 139. Wehrmann in Zeitsch. Bd. III. S. 363.
6) Vgl. z. B. Liib. Urkb. II. Nr. 852 S. 791; Nr. 946 S. 874; Nr. 952
S. 879; Nr. 965 8. 892; Nr. 972 8. 895 u. 8. w.
*) Vgl. Hach IV. 5. Mich eisen, Der ehemalige Oberhof zu Lübeck
und seine Rechtssprüche ( 1839 j Nr. 194 8. 267. Vgl. auch Lüb. Urkb. VIII.
Nr. 427 8. 470 (1447). — Ueber die Einnahmen der Stadt aus dem zehnten
Pfennig in den Jahren 1421 — 1430 vgl. Lüb. Urkb. VII. Nr. 428 8. 409.
3*
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soustigen beweglichen Sachen besteht. Mir ist jedenfalls keiner
bekannt, indem auch Liegenschaften zum Nachlasse gehörten.
Schon diese Tatsache ist bei der Menge der Toversichtsbriefe
auffallend.
Zweifellos ist es, dass zu Lebzeiten der Lübecker Bürger
etwaige auswärtige Erben ebenso wie die Einheimischen ein
Beispruchsrecht hatten. Hierfür sind Zeugnisse vorhanden.1)
Beim Tode der Lübecker konnten daher die Fremden, die seine
Erben waren, da sie bereits zu Lebzeiten des Verstorbenen ein
gewisses Anrecht hatten, mit ihren Ansprüchen nicht ohne
weiteres exkludiert werden. Andererseits aber treten wieder
jene Bedenken hervor, die die Stadt veranlasst haben, die rechts-
geschäftliche Uebertragung von Liegenschaften an Fremde zu
verbieten. Wir haben oben2) gesehen, wie man sich in diesen t
Fällen bei Geistlichen half. Aehnliche Verfahren traten auch
gegenüber Fremden ein, wenn diese nicht überhaupt vorzogen,
Lübecker Bürger zu werden.3) Waren die Fremden nicht
Alleinerben, sondern waren neben ihnen noch einheimische Erben
vorhanden, so wurde gewöhnlich der Anteil der Fremden an
den nachgelassenen Liegenschaften von den einheimischen Erben
oder einem einzelnen derselben übernommen, der auswärtige
Erbe aber in Geld abgefunden. Oder die Liegenschaften wurden
überhaupt verkauft und der Erlös unter die mehreren ein-
heimischen oder auswärtigen Erben geteilt. Für den ersten
Fall bietet eine Eintragung im Oberstadtbuch von 1329 ein
Beispiel.4) Waren dagegen die Fremden Alleinerben, so mussten
die Liegenschaften an Lübecker verkauft werden und nur der
Erlös bildete den Nachlass, der dem auswärtigen Erben anheim
fiel. Ein derartiges Verfahren zeigt eine Oberstadtbuchs-Ein-
tragung von 1316, in der besonders hervorgehoben wurde, dass
die auswärtigen Erben „exigentibus specialibus necessitatibus suis“
die ererbte Liegenschaft veräussern mussten.5) Am deutlichsten
geht aber aus einer Eintragung in das Niederstadtbuch von
*) Vgl. Pauli, Abh. I. S. 132 Note 220a. Rehme a. a. 0. Urkb.
Nr. 30 S. 278, vgl. auch S. 133.
*) Vgl., oben S. 16 fg.
*) Rehme a. a. O. Urkb. Nr. 188 S. 318, 1350.
4) Pauli, Abh. 1. S. 100 Anm. 170a.
6) Rehme a. a. 0. Urkb. Nr. 105 S. 294.
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37
1397* ) hervor, dass die Stadt den Erwerb von Liegenschaften
durch Gäste selbst im Wege des Erbrechtes nicht duldete.
Hier heisst es:
„Notandum, quod ad Hinricum Hagemester civem
„Wismariensem devenit quedam domus sita in plathea
„Mengonis in cono supra platheam, que dicitur quinque
„domus, per mortem Bertoldi Lezemans pie defuncti
„patris Cristine uxoris Hinrici ejusdem jure hereditario.
„Sed quia idem Hinricus civis hujus civitatis non est,
„quare sibi eadem domus in libro hereditatum non potest
„annotari eandem domum Bernardo Vrouderyk coram
„consilio impignoravit pro puadringentis et quinquaginta
„marcis denariorum Lubicensium in quibus sibi ibidem
„recognovit se obligatum. Scriptum ex jussu consilii“.2)
Diese Niederstadtbuchseintragung gehört bereits einer Zeit an,
wo die Eintragung ins Oberstadtbuch im Falle des Erwerbes
durch Erbgang notwendig war.:i) Da Gäste im Oberstadtbuch,
wie wir gleich sehen werden, nicht eingetragen werden konnten,
so konnten sie auch auf diese Weise nicht in den Besitz von
Liegenschaften gelangen. Einen Erbanspruch besassen die
Gäste. Das zeigen deutlich die Worte „. . . devenit . . . per
mortem Bertoldi . . . jure hereditario“, die aber nicht, wie
Rehme meint, schon den Erwerb durch Erbgang dokumentierten,
wenn auch genau dieselben Worte bei den Eintragungen, die
sich auf den Erwerb durch Erbgang von Seiten Lübecker Bürger
beziehen, angewendet werden. Die Stelle ist meiner Ansicht
nach dahin aufzufassen: Der fremde Erbe, der an und für sich
als nächster Erbe die Liegenschaft hätte erhalten müssen, kann
die Liegenschaft zu vollem Eigentum nicht erhalten, weil er
ein Nichtbürger ist. Das Erbrecht gewährt dem Fremden
also nur einen Anspruch auf den Erlös oder die Nutzungen der
Liegenschaft, nicht aber geht das Eigentum voll und ganz auf
ihn über. Allerdings bedurfte es anfangs bei Lübecker Bürgern
zum Erwerb der Liegenschaft durch Erbgang keiner Eintragung
’) Lüb. Urkb. IV. Nr. 660 8. 738. Vgl. auch Rehme a. a. O. S. 201.
Pauli, Abh. IV. Urkb. B. Nr. 46.
a) Vgl. über die Stelle Rehme a. a. 0. Pauli, Abh. IV. 8. 138.
3) Rehme a. a. 0. S. 260.
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38
in das Oberstadtbnch. Wenn man dies jedoch auch für Fremde
annehmen wollte, so würde man zu dem Resultate gelangen,
dass Fremde auch die mit dem Grundeigentum verbundenen
öffentlichen Rechte hätten ausftben können. Dass Fremde nicht
dauernd Eigentümer einer Lübecker Liegenschaft sein konnten,
ergiebt sich auch aus einer Randbemerkung im Oberstadtbuch
aus dem Jahre 1373, *) die lautet:
„Dornum dedit E. in suo testamento D., cui tarnen non
„potuit asscribi et qui eam vendidit F. infra 1419
„Mauricii“.
Auch in diesem Falle wurde der Fremde gezwungen, das ihm
vermachte Haus an einen Bürger weiter zu veräussern. Nach
allen diesen Zeugnissen müssen wir annchmen, dass auch durch
Erbgang Gäste in Lübeck keine Liegenschaft zu vollem Eigen-
tum erlangen konnten. Sie mussten sie entweder sofort wieder
veräussern oder wenigstens an Lübecker Bürger sofort ver-
pfänden.
Auf derartige Fälle bezieht sich nun m. E. der Schluss
von Hach II. 226. Er will nur ausdrücken, dass dann, wenn
Gäste gezwungen wurden, die ihnen an und für sich kraft Erb-
rechtes zustehenden Liegenschaften zu verkaufen, sie die Grund-
stücke ebenfalls nur an Lübecker Bürger verkaufen durften.
Einen Schluss darauf, dass Gäste in Lübeck im allgemeinen
Grundeigentum erwerben konnten, kann man m. E. aus dieser
Bestimmung des Stadtrechtes nicht ziehen.
Uebrigens gab es auch einige Fälle, in denen den Fremden,
namentlich fremden Städten, der Grundeigentumserwerb frei
gegeben wurde. Aber in allen dieseu Fällen handelte es sich,
ebenso wie bei der Geistlichkeit, um eine besondere Vergünsti-
gung, die den Fremden gewährt wurde. Einen Anspruch hatten
sie nicht darauf. Und jedesmal musste von ihnen ausdrücklich
erklärt werden, dass das Grundeigentum dem städtischen Rechte
unterstellt blieb und dass der Eigentümer zu den öffentlichen
Lasten wie jeder Bürger beizutragen hätte.2)
') Rehme a. a. 0. S. 91.
») Vgl. z. B. Lüb. Urkb. IV. Nr. 648 S. 735 (1397). Lüb. Urkb. IX.
Nr. 891 8. 927 (1460). Zeitschrift des Vereins für Hambargische Geschichte
Bd. V. S. 110 (1480). Vgl. Lüb. Urkb. VIII. Nr. 253 8. 298. Lüb. Urkb.
V. Nr. 244 S. 243 (1409.).
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39
Die Weiterentwicklung vollzog sich nnn in denselben Bahnen,
wio bei der Geistlichkeit. Man ging allmählich zu dem System
der Zuschreibungen zu treuen Händen im Oberstadtbuch über.
Die erste mir bekannte Zuschreibung zu treuen Händen im
Oberstadtbuch bezüglich von Fremden stammt aus dem Jahre
1383.1) Im Jahre 1410 heisst es in einer Schossverordnung:
„. . . Vortmer weme vppe louen eruen eflle rente to
„schrcuen steit, dat sv van gestliken edder van werliken
„Personen . . .“2)
so dass also in dieser Zeit die Zuschreibungen zu treuen Händen
auch bei Fremden (werliken personen) allgemein gewesen sein
müssen. Uebrigens finden wir Zuschreibungen zu treuen Händen
für Gäste ziemlich selten.3) Aus jener Schossverordnung geht
aber auch hervor, dass die Treuhänder bei den Gästen ebenso
wio bei der Geistlichkeit nicht nur bei Liegenschaften, sondern
auch bei Renten zur Anwendung gekommen sind. Lange Jahre
hindurch scheint dies Verfahren angewendet zu sein. Erst im
Jahre 1543 schritt die Stadt auch hiergegen ein. Eine Rats-
willkür4) bestimmte, dass niemand Renten und Häuser an Leute,
die nicht dieser Stadt Bürger sind, verkaufen noch sich zu
treuer Hand zuschreiben lassen soll. Diese Bestimmung ist dann
in das revidierte Stadtrecht übergegangen.5)
§ 4. (Fortsetzung.)
c) Ritter und Hofleutc.
Ausser für die Geistlichkeit und für Gäste bestanden noch
Grundeigentumserwerbsbeschränkungen für die Ritter und für
Hofleute. Erstere waren in den mittelalterlichen Städten über-
haupt mehreren Beschränkungen unterworfen und auch nach
lübischem Rechte waren sie in mancher Hinsicht, z. B. im ehe-
>) Pauli, Abh. I. S. 02.
а) Lüb. Urkb. V. Nr. 349 S. 379.
ä) Eine solche wird noch erwähnt in Mitteilungen a. a. O. Heft IV.
S. SS Nr. 6S/60 (1448).
4) Dreyer a. a. 0. S. 94.
б) Rev. Stadtrecht I. 2, 5. Vgl. Hartwig a. a. 0. S. 86 über die
weitere Entwicklung. Vgl. Rehme a. a. 0. S. 205.
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40
liehen Güterrecht') anders gestellt als die Bürger einerseits
und die Gäste andererseits. Für sie galt ein allgemeines
Verbot, dass sie in Lübeck selbst nicht wohnen sollten:
„Dat en schal nen Ridder wonen bynnen desseme
„wicbilde dat liebben de wittighesten ghelouet vnn
„gewilkort“.2)
Streng gehandhabt wurde dies Verbot jedoch nicht. Mehrmals
wird uns bezeugt, dass sich Ritter, sei es auf längere Zeit, sei
es für kürzere Dauer, in Lübeck aufgehalten haben.3) Für sie
galt aber ebenso strikte das Verbot des Erwerbes von Grund-
eigentum und von Renten, wie für Geistliche und Fremde.4)
Die Gründe waren hier ebenfalls die gleichen. Auch sie nahmen
ein Steuerprivileg in Anspruch.’) Trotzdem aber gab es auch
einzelne Fälle, in denen aus besonderen Gründen die Stadt den
Rittern gestattete, Grundbesitz oder Renten zu erwerben.®) In
diesen Fällen mussten sich dann die Ritter verpflichten, alle
Bürgerpflichten getreulich zu erfüllen. So finden wir denn auch
hin und wieder Ritter im Besitz von städtischem Grundeigentum.7)
Auch hier fanden später die Treuhänder Anwendung, wenn es
auch sehr selten vorgekommen sein mag. Ein Zeugnis dafür
ist uns aber in einer Eintragung von 1421 erhalten. Dieselbe
lautet:8)
„Wilhelmus Schonewerder pro se et suis heredibus
„coram libro recognouit, quod antedicta pecuniarum
„summa, videlicet VI c marce et L XXXVII marce
„lub. den. cum prefata cista et clenodiis non sunt
•) Vgl. z. B. Hach I. 17.
*) Hach III. 245. Frensdorff, Verf. S. 191. Mantels a. a. O.
S. 9. — In Wismar dagegen konnten Ritter sogar Bürgermeister werden.
Vgl. Ltlb. Urkb. VII. Nr. 53 8. 17 (U27).
3) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. IV. Nr. 132 S. 126 (ca. 1370). IV. Nr. 648
S. 735 (1397). VIII. Nr. 169 8. 206 (1443).
4) Hach II. 226. Pauli, Abh. IV. 8. 33 Urkb. A. Nr. 95 (1296).
Mantels a. a. O. 8. 9.
*) Vgl. Hartwig a. a. 0. S. 57. Lüb. Urkb. IV. Nr. 648 S. 735 (1397).
6) Lüb. Urkb. IV. Nr. 648 S. 735 (1397).
7) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. II. Nr. 1093 S. 1041 (1307). Mitteilungen
a. a. O. IIL S. 75 anno 1308. IV. S. 111 Nr. 12 (1425). Pauli, Abh. IV.
8. 12 (1227).
s) Lüb. Urkb. VI. Nr. 497 S. 504 Anm. I.
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„sui nec suorum heredum, sed sunt sibi ad fideles manus
„asscripti prefati Ottonis Pogwissche1) et suorum
„heredum, et hic presentes erant dominus Jordanus
„Plescowe et Johannes Gerwer junior“.
Gegenüber von Hofleuten galt ebenfalls ein derartiges Verbot.'2)
Auch hier wird ein Feld der Anwendung von Treuhändern
gewesen sein, jedoch ist mir kein Fall bekannt, in dem bei
Hofleuten unzweifelhaft die Treuhänder Anwendung gefunden
hätten.
§ 5.
II. Oertliches Anwendungsgebiet.
Die lateinischen Recensionen des alten LQbischen Rechtes
bestimmen, dass es niemanden erlaubt sei, „immobilia id est
torfachteigen“ der Geistlichkeit zu übertragen.3) Sie lassen es
dabei unbestimmt, ob nur die Uebertragung von Liegenschaften
innerhalb der Stadtmauern oder auch die von Liegenschaften
ausserhalb der eigentlichen Stadt verboten sei. Denn „torfacht-
eigen“ kann sowohl ein Grundstück „binnen der stat“ als auch
„buten“ bedeuten.4) Auch die deutschen Statuten sprechen an
zwei Stellen5) nur allgemein von „torfacht eghen“ und „wicbelde
an sime erue“ oder „erue“, ohne auf die örtliche Lage des
Grundstückes hinzuweisen. Dagegen wird in zwei anderen
Stellen ausdrücklich erwähnt, dass das erue „in der Stadt“
belegen sein soll. Es sind dies Hach II. 226:
„Liker wis eset bi eneme erue dat eneme gaste tu höret
„dat hir inder stat beleghen is“
und Hach II. 244:
„Oc so ne scal nen gast hebben wicbelde ghelt in
„ienegheme erue in vnser stat“.
Es fragt sich, ob wir diese örtliche Beschränkung jener Verbote
auf alle Verbote erweitern und ob wir überhaupt den Ausdruck
„in der stat“ strikte interpretieren müssen, d. h. ob wir darunter
’) Nach Lüb. Urkb. VI. Nr. 497 S. 504 ist Otto Pogwissch ein Bitter.
s) Hach II. 226. Rehme a. a. 0. S. 200. Frensdorff, Verf. S. 185.
®) Hach I. 26.
*) Vgl. Hach H. 50.
5) Hach II. 32. IL 122.
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nur die Grundstücke zu verstellen haben, die innerhalb der
eigentlichen Stadt, also innerhalb der Tore belegen sind, oder
ob aber auch solche Grundstücke darunter zu verstehen sind,
die nicht in dem engen Torbezirk, sondern auch ausserhalb
der Tore, sei es innerhalb der Stadtflur oder der Feldmark
oder sei es schliesslich sogar ausserhalb der Feldmark, aber
noch im Stadgebiet, belegen sind. Beide Fragen gehen natürlich
Hand in Hand. Wir versuchen daher erst die letztere zu ent-
scheiden. Aus den Statuten selbst lässt sich keine Entscheidung
treffen. Greifen wir daher zu sonstigen Urkunden oder Stadt-
buehseintragungen. Da finden wir dann, dass bei weitem die
meisten Urkunden, die eine Grundeigentumserwerbsbeschränkung
bezüglich der Geistlichkeit, der Fremden und Ritter erkennen
lassen, sich auf Grundstücke beziehen, die innerhalb der eigent-
lichen Stadt lagen.1) Ebenso handelt es sich bei der Verwendung
der Treuhänder meistens um Liegenschaften innerhalb der Stadt-
tore.2) Während wir aber nach Beyerle3) unter den Constanzer
Urkunden kein einziges Beispiel dalür finden, dass Grundstücke
oder Häuser ausserhalb des Mauerringes jemals dem Salmannen-
recht unterlegen hätten, bezogen sich nach den uns erhaltenen
Urkunden die Grundeigentumsbeschränkungen in Lübeck auch
auf diejenigen Stadtgebiete, die ausserhalb der Stadtmauern
lagen. Besonders häufig sind hier wieder die Urkunden über
Grundstücke, die noch innerhalb der Stadtflur, also innerhalb
der Torbezirke4) lagen. Bereits eine Eintragung aus dem
]) Vgl. z. B. Litb. Urkb. I. Nr. 283 S. 271 (1206). 1. Nr. 325 S. 307
(1270). IV. Nr. 050 8. 738 (1307). VI. Nr. 546 S. 542 (1423). VIII.
Nr. 108 S. 210 (1443). VIII. Nr. 253 S. 298 (1444). IX. Nr. 801 8. 927
(1460). Pauli, Abb IV. Urkb. A. Nr. 01 (1295); ibid. Urkb. A. Nr. 354
(1511). Vgl. auch Dreyor a. a. 0. S. 86. Mitteilungen a. a. O. III. S. 20
Nr. 61 (1301) u. s. w.
2) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. II. Nr. 336 S. 279 (1315). IV. Nr. 437
S. 482 (1384). V. Nr. 210 S. 218 (1408). V. Nr. 360 8. 379 (1411). V.
Nr. 407 8. 448 (1412). V. Nr. 517 S. 662 (1414) VI. Nr. 159 8. 204 (1419).
VI. Nr. 194 S. 234 (1420). VI. Nr. 296 S. 326 (1420). VII. Nr. 375 8. 351
(1430). IX. Nr. 168 8. 167 (1453). X. Nr. 679 S. 689 (1405). Pauli,
Abb. I. 8. 62 (1383). Brelimer in Mitteilungen a a. O. IV. 8. 88 Nr. 58,60
(1148). IV. 8. 156 Nr. 72 86 (1431).
3 ) Beyerle a. a. 0. 8. 52.
4) Vgl. Itelimc a. a. O. S. 31.
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ältesten Oberstadtbuch ans dem Jahre 1270 besagt, dass die
Stadt unter besonderen Kautelen dem Konvent von St. Johannis
„duos ortos, sitas juxta novum molendinum“ übertragen habe.1)
Im Jahre 1320 kauft Arnoldus Wlome „duos mansos extra
valvam molendinorum sitos, deren Einkünfte er zu einer
Stiftung für Arme bestimmt, wobei es von diesen heisst „. . .
sed juri seculari per omnia perpetue subjacebunt et manebunt
asstricti ad talliam et ad alia civitatis onera, ad que agri vel
mausi alii positi extra eandem valvam in civitatis marchia sunt
asstricti . . ,“2) Doch sind uns auch Urkunden enthalten, in
denen es sich um Grundstücke handelt, die ausserhalb der
Stadtflur, aber innerhalb der Feldmark2) lagen, also innerhalb
des Gebietes, das durch den 1370 vollendeten „Landwehrgraben“
umschlossen wurde.4) Den besten Beweis aber, dass auch diese
Gegenden, ja selbst das Stadtgebiet, das noch ausserhalb der
„Landwehr“ gelegen war, den Grundeigentumsbeschränkungen
unterworfen waren, liefern die Zuschriften zu treuen Händen.
Nicht nur ist mir eine Anzahl derartiger Urkunden bekannt, in
denen die Grundstücke ausserhalb der Stadt, aber innerhalb der
Stadtflur lagen,5) sondern eine Urkunde aus dem Jahre 14236)
beweist auch, dass Treuhänder zur Anwendung kamen, bei
Gebieten, die sich selbst ausserhalb der Feldmark befanden.
So sehen wir, dass sich die Verbote nicht nur auf die
Grundstücke in der Stadt selber bezogen, dass sie vielmehr
gemünzt waren auf das ganze Gebiet von Lübeck, mag es sich
innerhalb der Mauern, innerhalb der Landwehr befunden haben
oder nicht. Die angeführten Urkunden zeigen aber weiter auch,
dass überhaupt keine Beschränkung jener Verbote hinsichtlich
’) Brehmer, Zusammenstellung der erbalteneu Eintragungen in das
Obnrstadtbuch in der Zeit-sch. des Vereins fUr LUbeckische Geschichte u. s. w.
Bd. IV. (1884) S. 240 Nr. 245.
2> Rehme a. a. 0. Urkb. Nr. 112 S. 296. Vgl. auch Lüb. Urkb. II.
Nr. 383 S. 330.
s) Lüb. Urkb. IV. 511 (1389): „. . . curia sita in terra dicta Ileyuehold
in marchia nostre civitatis .
4) Vgl. Rehme a. a. O. S. 32. Lüb. Urkb. II. Nr. 172.
6) Vgl. i. B. Löb. Urkb. V. Nr. 359 S. 401 (1411) (a u. b). V.
Nr. 641 S. 728 (1417). IX. Nr. 339 S. 340 (1456). IX. Nr. 473 8. 471
(1467). V. Nr. 553 S. 597 (1415).
*) Lüb. Urkb. VI. Nr. 547 8. 643 (1423).
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der Personen stattfand. Sowohl Fremden als der Geistlichkeit
war der Grundeigentumserwerb auf dem ganzen Stadtgebiet im
weiteren Sinne beschränkt. Man sieht auch hier wieder, dass
die Verhältnisse in Cunstanz ganz beträchtlich von denen in
Lübeck abgewichen sind. Beruhte dort das Salmannenrecht auf
dem Grundsatz, dass kein Nichtbürger innerhalb der Mauern
von Constanz Grundeigentum und damit Vollbürgerrecht erwerben
durfte, so haben wir bisher gesehen, dass in Lübeck die Ent-
wicklung der Treuhänder beim Grundeigentumsverkehr mit dem
Bürgerrecht als solchem nichts zu tun hatte. Hier in Lübeck
beruhte das Salmannenrecht vielmehr auf dem Grundgedanken,
dass kein Grundeigentum, dessen Eigentümer zu öffentlichen
Lasten herangezogen werden konnte, in Hände überging, in
denen eine Erzwingung der öffentlichen Pflichten erschwert
wurde. Daher erklärt sich hier auch die Ausdehnung jener
Verbote auf Grundstücke, die nicht im Mauergürtel lagen.
Daher finden wir auch, dass Fremde, die Bürger werden wollten,
ohne weiteres Grundeigentum erwerben konnten.1)
§ 6-
UI. Die Eintragungen bei den Zuschriften
zu treuen Händen.
Es ist bereits oben2) hervorgehoben, dass das System der
Zuschreibungen zu treuen Händen nur ein Glied in der Kette
der Entwicklung der Grundeigentumserwerbsverbote gewesen
ist. Die Zuschreibungen zu treuen Händen hängen zusammen
mit der Anlegung und der Bedeutung des Oberstadtbnches.
Wir sehen das daraus, dass in vielen Urkunden als Grund für
die Zuschreibungen zu treuen Händen das Verbot angegeben
wird, dass Geistliche oder Fremde im Oberstadtbuch nicht ein-
getragen werden durften.2) Nur in einigen wenigen Fällen
>) Vgl. Pauli, Abh. III. S. 3 Note ta.
*) Vgl. oben S. 21 fg.
’) Vgl. z. 11. LUb. Urkb, V. Nr. 216 S. 218 0 408). V. Nr. 517 S. 562
(1414). V. Nr. 407 S. 448 (1412). V. Nr. 359 S. 401 (1411). IX. Nr. 473
S. 471 (1457). X. Nr. 579 S. 589 (1465). Rehme a. a. 0. S. 91. Rand-
bemerkung neben Hs. 1373 Jacobi.
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wurde aus besonderen Gründen hiervon abgesehen und auch der
Geistlichkeit oder Fremden im Oberstadtbuch Grundstücke zu-
geschrieben. Es handelte sich hier meistens um fremde Städte,
die für ihre Gesandten in Lübeck ein Haus erwerben wollten.1)
Doch wurden auch bei Geistlichen, Klöstern, milden Stiftungen
und bei Fremden hin und wieder Ausnahmen gemacht.2) In
allen diesen Fällen wurden die Geistlichen und Fremden im
Oberstadtbuch genau so eingetragen wie jeder andere Bürger.
In den Regelfällen dagegen musste zu anderen Mitteln gegriffen
werden. Das Grundstück wurde nun nicht auf den Namen der
Geistlichen oder Fremden in das Oberstadtbuch eingetragen,
sondern eingetragener Eigentümer war irgend ein Lübecker
Bürger. Die Eintragung erfolgte genau so wie bei Grundstücks-
übertragungen unter Lübecker Bürgern im Oberstadtbuch.3)
Hin und wieder wurde der Eigentumsübergang oder die Renten-
bestellung auch im Garten- oder Wettebuch verzeichnet, je nach
der Lage des Grundstückes.4) Irgend ein Hinweis darauf, dass
der eingetragene Eigentümer nur Treuhänder sei, finden wir in
den Oberstadtbuchseintragungen nicht.5) Erst in späterer Zeit
■) Vgl. z. B. Zeitschrift für Hamburgische Geschichte Bd. V.
S. 107 (1480). LUb. Urkb. VIII. Nr. 263 S. 298 (1444). Hitteilungen
a. a. O. III. S. 105 Nr. 2 (1486). Dreyer a. a. O. S. 139. Vgl. Hartwig
a. a. 0. S. 35, 86.
*) Pauli, Abh. IV. Urkb. A. Nr. 364. Mitteilungen a. a. 0. III.
S. 146 Nr. 25 Note 1. III. 8. 162 Nr. 30. III. S. 147 Nr. 78 Note 1.
Lflb. Urkb. IV. Nr. 648 S. 736 (1397) VI. Nr. 694 S. 672 (1425). Rehme
a. a. 0. Urkb. Nr. 297, 322, 330. Vgl. auch Mevius a. a. O. ad I. 2, 6
nr. 112 sq. Stein a. a. 0. II. S. 68. Wehrmann, Das Lübecker Archiv
in Zeitsch. des Vereins für LUbeckische Geschichte Bd. HI. S. 404.
3) LUb. Urkb. IV. S. 438 Note (1384). VIH. Nr- 664 S. 704 (1451).
Rehme a. a. O. Urkb. Nr. 237 S. 337 (1410). Nr. 246b S. 341 (1412).
Vgl. auch die Hindeutung auf solche Eintragungen in Lob. Urkb. V. Nr. 350
S. 379. V. Nr. 359 c S. 401. V. Nr. 407 S. 448. V. Nr. 617 a 3. 562.
V. Nr. 663 S. 597. VI. Nr. 194 8. 234. Zu erwähnen ist vielleicht, dass
bei diesen Eintragungen ausser dem Auflassungsvermerk zuweilen der Zu-
schreibungsbefehl des Rates eingetragen wurde. Vgl. Rehme a. a. 0. 8. 186.
4) Lüb. Urkb. V. Nr. 369 S. 401. V. Nr. 641 8. 728. VHI. Nr. 472
8. 617. IX. Nr. 473 8. 471. Vgl. auch Rehme a. a. O. 8. 203 Not« 41.
In Lüb. Urkb. IX. Nr. 339 8. 340 (1466) erfolgte die Eintragung im Ober-
stadtbuch und im Gartenbuch.
6) Vgl. Rehme a. a. 0. 8. 202 f. Hartwig a. a. 0. 8. 84.
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finden sich auch im Oberstadtbuch Andeutungen, dass der ein-
getragene Eigentümer nur mit Zustimmung eines anderen Ver-
änderungen mit dem Grundstück vorzunehmen berechtigt sei.1)
Hätten wir also nur das Oberstadtbuch, so würde uns für die
ältere Zeit jegliche Möglichkeit fehlen, Aufschluss über die
Zuschreibungen zu treuen Händen zu erhalten, ja wir könnten
nicht einmal wissen, dass die Anwendung der Treuhänder im
Grundstücksverkehr in Lübeck gebräuchlich gewesen ist. Im
Oberstadtbuch erscheint der Bürger nur als Käufer, als Be-
gabter u. s. w.2) Seine Treuhändereigenschaft erkennen wir
aber aus anderen Urkunden.3) Es finden sich nämlich im Nieder-
stadtbuch4) Eintragungen, die jenen Oberstadtbuchseintragungen
entsprechen und eine Erklärung des im Oberstadtbuch ein-
getragenen Eigentümers enthalten, dass ihm das Grundstück
nur zu treuer Hand zugeschrieben sei.5) Hin und wieder sind
derartige Erklärungen des eingetragenen Eigentümers auch in
einer besonderen Urkunde enthalten, ohne dass eine besondere
Eintragung im Niederstadtbuch stattgefunden hätte.*1) Als
typisches Beispiel solcher Eintragungen im Niederstadtbuch
mag folgende dienen:
„Johannes Querkamp presens libro recognouit sponte et
„libere, quod ille ortus humulorum situs extra valuam
„Vrbis, sibi asscriptus in libro vadiorum anno XIIIIc
„X circa festum Lucie, pertineat dominis fratribus de
„online predicatorum ad Vrbem in ciuitate Lubicensi
') Vgl. Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte Bd. VII.
8. 19*.
*) Rehme a. a. O. 8. *03.
J1 Vgl. darüber Rehme a. a. O. Hartwig a. a. O. S. 84.
*) lieber seine Bedeutung vgl. Rehme a. a. O. S. 3 fg„ lOfg. Pauli,
Abh. I. 8. 7 fg.
6) Vgl. Lüh. Urkb. IV. Nr. 437 S. 482. V. Nr. 21ß S. 218. V. Nr. 350
8. 379. V. Nr. 517 S. 564. V. Nr. 653 S. 597. VL Nr. 179 S. 222. VL
Nr. 194 8. 234. VI. Nr. 305 S. 335. VI. Nr. 479 S. 489. VI. Nr. 547
8. 543. Rehme a. a. O. S. 337 Note 6, 8. 341 Note 1. Pauli, Abh. III.
S. 181.
*) Lüb. Urkb. IX. Nr. 168 S. 167 (1453). X. Nr. 579 S. 589 (1465).
Lüb. Urkb. II. Nr. 335 S. 279 (1316). Vgl. auch Wehrmann in Zeitschrift
des Vereins für Lübeckiscbe Geschichte Bd. I. 8. 366 f. Pauli, Abh. I.
8. 62 (1383).
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„et qnod sit sibi dumtaxat ad fidas manus eoruni as-
„scriptus, eo quod spiritualibus talia bona non consuetuin
„est asscribi“1)
Hier wird also ausdrücklicli hervorgehoben, dass tatsächlich ein
anderer als der im Oberstadtbuch Eingetragene als Eigentümer
der Liegenschaft anzusehen und dass der eingetragene Eigen-
tümer nur Treuhänder sei.'2) Letzterem ist das Grundstück nur
„ad fidas manus3) asscriptus“. Statt dieses letzteren Ausdruckes
finden sich noch andere, wie „ad fideles manus“,4) „ad manus“,5)
nur „asscriptus“,6) dann ferner „to truwer hand“,7) „vppe louen“8)
und „vp gheloucn“.9) Diese Erklärungen wurden von dem
Treuhänder öfters nicht nur für sich allein, sondern zugleich
im Namen seiner Kinder und Erben abgegeben.10) Ja auch die
Erben allein erklärten, wie es scheint, hin und wieder neben
dem eingetragenen Bürger, dass sie nur ein Recht zur treuen
Hand an dem betreffenden Grundstück oder der Rente hätten.11)
Dei Zeitpunkt, wann diese Erklärungen abgegeben wurden,
war verschieden. Keineswegs fanden die Eintragungen in das
Oberstadtbuch und in das Niederstadtbuch immer zu derselben
') Litb. Urkb. V. Nr. 359 8. 401 (1411).
2) Ucber die juristische Konstruktion s. unten § 8.
3) Derselbe Ausdruck findet sich noch z. B. in Liib. Urkb. V. Nr. 553
S. 597. V. Nr. 041 S. 728. V. Nr. 216 S. 218. V. Nr. 350 S. 379. V.
Nr. 517 S. 562.
<) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. V. Nr. 407 8. 448. V. Nr. 517 8. 562. VI.
Nr. 159 S. 204. VI. Nr. 194 8. 234. VI. Nr. 296 S. 326. VI. Nr. 305
8. 335. Nr. 497 8. 504 Note 1. VI. Nr. 547 8. 543. Pauli, Abh. I. 8. 62
(1383). Abh. III. 8. 181.
s) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. II. Nr 335 8. 279.
<9 Vgl. z. B. Lüb. Urkb. IV. Nr. 437 8. 482 (1384).
?) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. V. 72.
») Vgl. z. B. Lüb. Urkb. VII. Nr. 375 8. 351. V. Nr. 349 8. 379.
IX. Nr. 168 8. 167.
«) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. IX. Nr. 339 S. 340. IX. Nr. 473 8. 471.
X. Nr. 579 8. 589.
>°) Vgl. Lüb. Urkb. IV. Nr. 437 8. 482 (1381). VI. Nr. 159 S. 204
(1419). VI. Nr. 296 8. 326 (1420). VI. Nr. 305 8. 335 (1421). VI. Nr. 497
8. 504 Note 1 (1421). VII. Nr. 375 S. 351 (1430).
«) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. VII. Nr. 375 8. 351 (1430). IX. Nr. 168
S. 167 (1463).
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48
Zeit statt,1) wenn die Eintragungen im Niederstadtbuch mitunter
auch von demselben Tage datiert sind.2) Sehr oft erfolgten
jedoch die Erklärungen vor dem Niederstadtbuch erst jahrelang
später.3)
Hervorgehoben mag noch werden, dass bei Verpfändungen
von Grundstücken, die im Niederstadtbuch, nicht im Oberstadt-
buch eingetragen wurden,4) sowohl die Verpfändung an den
Treuhänder als auch seine Erklärung in einer Eintragung im
Niederstadtbuch aufgenommen wurde.5)
§ 7.
IV. Die Bestellung der Treuhänder.
Beyerle6) hat für Constanz nachzuweisen versucht, dass
die Bestellung der Salleute, falls die Uebertragung freien Grund-
eigentums in Frage kam, vor dem Ammangericht, d. h. vor
dem ordentlichen Gerichte der Bürgerschaft zu erfolgen hatte.
Ein derartiger Satz lässt sich in Lübeck nicht nachweisen, ja
man kann sogar auf das Gegenteil schliessen. Beyerle scheint
davon auszugehen, dass die Bestellung der Salleute mit dem
Auflassungsakte selber in Verbindung stehe. Weil die Auf-
lassung vor dem Ammangerichte stattgefunden habe, müsse auch
*) So Stobbe, „lieber die Salmannen* in der Zeitschrift für Rechts-
geschichte Bd. VII. (1868) S. 438. Hartwig a. a 0. S. 84 Note 3 meint,
dass die Erklärungen in der Regel gleichzeitig mit der Eintragung abgegeben
wurden. Die mir bekannten Urkunden bestätigen dies nicht.
») Lüb. Urkb. V. Nr. 216 S. 218 (1408). V. Nr. 407 S. 448 (1412)
(. . . presenti die . . .). V. Nr. 553 S. 597 (1415) (. . . presenti anno et
ipso die Exaltacionis . . .). VI. Nr. 306 S. 335 (1421). X. Nr. 579 S. 589
(1465). Vgl. auch Mitteilungen a. a. 0. X. 8 19 Note.
*) Vgl. z. B. Mb. Urkb. V. Nr. 350 S. 379: 1411 und 1410. V.
Nr. 369 a S. 401: 1411 und 1410 circa festum Lucie. V. Nr. 359 c S. 401:
1411 und 1410. V. Nr. 517 b S. 562. Beide Eintragungen erfolgten 1414,
aber an verschiedenen Tagen. IX. Nr. 168 S. 167. £X. Nr. 339 S. 340:
1456 und 1465. VIII. Nr. 253 S. 298 (1444) und Zeitsch. des Vereins für
Hamburgiscbe Geschichte Bd. V. S. 110 (1480).
4) Vgl. Rehme a. a. 0. S. 77 fg.
6) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. VI. Nr. 159 S. 204 (1419). VI. Nr. 547
S. 543 (1423). Vgl. Rehme a. a. O. S. 283.
*) Beyerle a. a. O. S. 89 fg., S. 101 fg.
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49
die Bestellung der Salleute dort vorgenommen worden sein. In
Lübeck fand die Auflassung vor dem sitzenden Rate statt.1)
Der Rat ordnete die Eintragung in das Oberstadtbuch an.
Aber auch das Niederstadtbuch wurde auf Anordnung des Rates
geführt. Es unterscheidet sich vom Oberstadtbuch nur in dem
Kreis der Geschäfte, die in ihm aufgenommen wurden. Der
Rat war somit in Lübeck die Buchbehörde.2) Nun ist es zwar
richtig,' dass dio Erklärung des Treuhänders, dass ihm das be-
treffende Grundstück nur zu treuen Händen im Oberstadtbuch
zugeschrieben sei, meistens vor dem Rate abgegeben und dann
im Niederstadtbuche aufgezeichnet wurde.'1) Eine Notwendigkeit
war dies jedoch, wie wir gesehen haben,4) nicht. Ausserdem
wurden derartige Erklärungen der Treuhänder nicht sofort bei
der Auflassung des Grundstückes an den Treuhänder abgegeben,
sondern sie konnten erst jahrelang nachher erfolgen. Lassen
schon diese zwei Punkte es unwahrscheinlich erscheinen, dass
die Bestellung des Treuhänders vor dem Rate zu geschehen
habe, so weist auch der Wortlaut der Eintragung des Treu-
händers im Oberstadtbuch darauf hin, dass die Bestellung keines-
wegs an irgend eine Form gebunden war. In der Oberstadt-
buchseintragung heisst es ja nur, dass dem oder jenem Bürger
von Lübeck ein Grundstück aufgelassen sei. Ein Hinweis auf
die Treubändereigeuschaft fehlt. Dem Rate konnte es völlig
gleichgültig sein, ob der eingetragene Eigentümer auch tatsäch-
lich Eigentümer sei oder ob er nur als Treuhänder handelte.
Bei dem Eintragungsantrag prüfte er auch nur, ob der Ein-
zutragende Bürger war oder nicht.'1) Wollte man nun annehmen,
dass die Bestellung zum Treuhänder vor dem Rate geschehen
musste, so müsste man, da die Bestellung der Auflassung natur-
gemäss vorausgehen musste, annehmen, dass auch vor der Auf-
lassung eine Urkunde über die Treuhändereigenschaft des Bürgers
*) Hach II. 36. Vgl. Rehme a. a. O. S. 108 fg.
*) Rehme a. a. O. S. 170 fg.
*) Vgl. die Stellen S. 46 Note 6.
4) Vgl. oben S. 46 Note 6.
5) Vgl. Rehme a. a. 0. S. 244. Heviua a. a. O. ad V. 6, 1 Note
19 und 20. Stein a. a. O. IV. S. 189, 191, 195. Erat später, als die Zu-
schreibungen zu treuen Händen verboten waren, musste geprüft werden, ob
der Einzutragende nicht nur Treuhänder war. Vgl. Rehme a. a. 0. S. 245 fg.
Loening, Grunderwerb und Treuhand in Lübeck 4
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50
aufgenommen sein würde, die entweder mit der Auflassungs-
nrknnde zu einer Eintragung verschmolzen werden musste oder
die wenigstens als eine besondere Eintragung im Niederstadt-
buche zu finden sein würde. Von beiden ist aber keine Rede.
Dass im Verhältnis viele Erklärungen der Treuhänder vor dem
Rate abgegeben wurden, kann nicht Wunder nehmen; gewährt doch
die Eintragung in das Niederstadtbuch eine viel grössere Sicherheit
als das Ausstellen einer besonderen Urkunde in Form von Brief
und Siegel. Keine der mir bekannten Urkunden aber enthält
nur irgend einen Hinweis darauf, dass die Bestellung des
Lübecker Bürgers als Treuhänder vor dem Rate geschehen
musste. Und selbst eine Eintragung im Niederstadtbuch von
1411, in der der Prior des Burgklosters im Namen des Kon-
ventes des genannten Klosters erklärt, dass der im Oberstadt-
buch eingetragene Johannes Querkamp trotz der Eintragung zu
nichts verpflichtet, sondern, dass er nur Treuhänder sei,1) enthält
nichts darüber, dass die Bestellung als Treuhänder vor dem
Rate stattgefunden hat. Uebrigens ist diese Erklärung, wie
sich aus ihrem Wortlaut ergiebt, auch erst nach der Eintragung
in das Oberstadtbuch erfolgt.
Es liegt somit kein Anlass dafür vor, dass in Lübeck die
Bestellung der Treuhänder wie die Auflassung vor dem Rate
geschehen musste. Die Bestellung als Treuhänder war vielmehr
lediglich ein privates Rechtsgeschäft, das allerdings gemäss der
damaligen Sitte häufig vor dem Rate wird abgeschlossen sein.
Es war aber gültig, selbst wenn sein Abschluss nicht vor der
Obrigkeit erfolgte. Der Abschluss des Vertrages vor der Obrig-
keit war nicht Voraussetzung für die Gültigkeit des Vertrages.
Dagegen stimmen die Constanzer und Lübecker Urkunden
in einer anderen Beziehung überein. Während bei der älteren
Gestaltung des Salmannenrechtes der Veräusserer dem Salmanne
vorerst das Eigentum überträgt mit dem Aufträge seinerseits
wieder das Grundstück einem Dritten zu übertragen, während
also hier die Bestellung des Salmannes von dem Vormann aus-
geht,2) bestellt im städtischen Salmannenreeht, in der späteren
») LUb. Urkb. V. Nr. 359 S. 401 (1411).
s) Vgl. darüber Beyerle a. a. 0. S. 14 fg., 23. Heusler, Institutionen
Bd. I. 8.215 fg. Beseler, Die Lehre von den Erbverträgen Bd. I. (1836)
8. 263 fg. A. Schnitze, Die langobardische Treuhand und ihre Umbildung
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51
Gestalt der Treuhand, der Erwerber den Treuhänder.1) Die
Treuhand in dieser jüngeren Gestalt bildete ein Schutz Verhältnis;
die oberste Aufgabe der Treuhänder ist es jetzt, seinen Auf-
tragsgeber sicher zu stellen und die in der Person des Auftrags-
gebers liegenden Mängel durch seine Person zu ersetzen.2) Dies
geht aus einzelnen Lübecker Urkunden mit Deutlichkeit hervor.
Meistens lassen die Niederstadtbuchseintragungen überhaupt
keinen Schluss zu, wer eigentlich der Auftragsgeber ist. In
der soeben erwähnten Niederstadtbuchseintragung von 1411 wird
aber zweifellos zum Ausdruck gebracht, dass der Besteller des
Treuhänders der Erwerber ist. Diese Eintragung lautet;3)
„Dominus Hinrieus Schonenberch, prior fratrum ordinis
„predicatorum ad Vrbem in Lubeke, presens apud hunc
„librum recognouit pro se et suis confratribus necnon
„nomine tocius sui conuentus veile .Tohannem Querkamp
„et suos heredes indampnos preseruare occasione illarum
„V marcarum in quadam scriptura, anno X1III c X
„Lucie in hoc libro annotata, comprehensarum, que
„incipit Johannes Querkamp etc , quia dictus Johannes
„se et suos heredes in dicta scriptura solum ad
„peticionein dicti domini prioris obligauit, sicud
„eciam sibi ortum in precedenti scriptura expressum ob
„amorem eiusdem domini prioris fecit asscribi“.
Das Burgkloster war der Erwerber, Treuhänder war Johannes
Querkamp und er war es „solum ad peticionem“ des Priors und
„ob amorem“ zu jenem Prior. Doch auch aus einer anderen Ur-
kunde geht dies Verhältnis hervor. In dieser4) erklärt Diederick
Basedouw, borger vnde inwoner tho Lübeck, dass ein Haus,
welches seiner Zeit seinem Vater im Oberstadtbuch zugeschrieben
zur Testamentsvollstreckung in Gierkeg Untersuchungen zur deutschen Staats-
und Rechtsgeschichte Heft 49 (1895) 8. 55. Pauli, Abh. III. 8. 310 fg.
>) Vgl. darüber Beyerle a. a. O. S. 23, 102. Beseler a. a. O. 8. 271.
Stobbe, Zeitschrift für Rechtsgeschichte Bd. VII. S. 418 fg.
s) Stobbe a. a. O. 8. 418. Heusler a. a. ü. Bd. I. 8. 223. Beyerle
a. a. O. Bd. I. 8. 28.
*) Lttb. Urkb. V. Nr. 359 8. 401 (1411).
«) LUb. Urkb. IX. Nr. 188 8. 167 (1453). Vgl. ferner LUb. Urkb. IX.
Nr. 339 8. 340 (1456) ,. . . alzo ik de oldemian der broderschap was mit
Hans Keutzeler, de it alzo ok von my begberende was, dat ik em alzo
dede . . *
4*
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war, diesem und jetzt ihm nur zu treuen Händen des Klosters
Doberan „vmme bede willen vnnd fruntschap“ des Abtes des
Klosters zugeschrieben sei. Diese zwei Urkunden lassen keinen
Zweifel über den Unterschied zwischen der älteren landrecht-
lichen und der jüngeren städtischen Treuhand übrig. In
letzterem Rechtsinstitut ging die Wahl der Treuhänder vom
Erwerber aus. Die Geistlichkeit- oder die Fremden waren
natürlich in ihrer Wahl unbeschränkt, sofern nur der Erwählte
die Eigenschaften besass, die in ihrer Person fehlten, d. h. sofern
er nur Lübecker Bürger war. Es lag aber in ihrem Interesse,
wenn sie einen Bürger wählten, der eine besondere Stellung in
Lübeck einnahm, um so besser gegen jeden Angriff geschützt
zu sein und um bessere Sicherheit zu haben, damit das Treu-
händerverhältnis nicht mit der Zeit verwischt werden würde.
Wir finden daher öfters Ratmänner als Treuhänder.1) Auch
Namen, wie van Dülmen,2) Schonenberg,3) Houemann,4) Schone-
weder,5) Basedow3) und van der Heyde,7) die die angesehensten
Familien in Lübeck führten, finden sich als Namen von Treu-
händern. So ereignete es sich hin und wieder, dass ein und
dieselbe Person als Treuhänder für mehrere Grundstücke bestellt
wurde, obwohl die Treugeber verschiedene Personen waren.3)
Kamen religiöse Stiftungen, Kirchen oder Klöster in Betracht,
so wurden hin und wieder dieselben Personen als Treuhänder
bestellt, bei religiösen Stiftungen gewöhnlich ein „olderman“
oder „vorstendere“.9)
») Vgl. * B. Lüb. Urkb. V. Nr. 407 S. 448 (1412). V. Nr. 641 S. 728
(1417). VI. Nr. 194 S. 234 (1420). VI. Nr. 305 S. 336 (1421). Brehmer in
Mitteilungen a. a. 0. IV. 8. 88 Nr. 68/60.
*) Lüb. Urkb. V. Nr. 369 b S. 401.
») Lüb. Urkb. V. Nr. 517 b 8. 662.
«) Lüb. Urkb. VI. Nr. 169 S. 204.
5) Lüb. Urkb. VI. Nr. 497 8. 604 Note 1.
«) Lüb. Urkb. VII. Nr. 375 8. 361. IX. Nr. 168 8. 167.
*) Pauli, Abli. I. 8. 63 (1390).
*) Vgl. Lüb. Urkb. VI. Nr. 194 S. 234. VI. Nr. 305 S. 335.
•) Vgl. r. B. Lüb. Urkb. IX. Nr. 339 S. 340. X. Nr. 579 8. 589.
IX. Nr. 473 8. 471. Vgl. auch Wehrmann. Die ehemalige Sängerkapelle
in der Marienkirche in Zeitsch. des Vereins für Lübeckische Geschichte u. s. w.
Bd. I. (1860) 8. 366.
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58
Was die Zahl der Treuhänder anbelangt, so finden wir
fast ausnahmslos, dass nur ein Lübecker Bürger im Oberstadt-
buch eingetragen wurde.1) Nur ein einziges Mal, so weit mir
bekannt, wurde ein Haus mehreren Personen im Oberstadtbuch
zugoschricben.2) Und zwar waren hier die Treuhänder noch
Kinder. Für sie erklärten dann ihre Vormünder vor dem
Niederstadtbuch, dass das im Oberstadtbuch den Kindern zu-
geschriebene Haus in Wahrheit einem Piiester gehöre. Einen
Grund, warum man in diesem Falle zwei Treuhänder bestellte und
noch dazu Kinder, kann ich nicht finden. Wir sehen aus dieser
Eintragung aber, dass es für die Treuhänder nur darauf ankam,
dass sie Lübecker Bürger waren, auf ihre sonstigen, persönlichen
Eigenschaften scheint rechtlich kein Gewicht gelegt zu sein.
Vergleichen wir die Zahl der Treuhänder mit denen in
Constanz,3) so fällt uns sofort auf, dass man in Constanz fast
durchweg mehrere Salleute bestellte, während in Lübeck gerade
das umgekehrte der Fall war.4) Hier in Lübeck lagen die
Verhältnisse aber vollständig anders als in Constanz. Die
Gründe, weswegen in Constanz mehrere Salleute bestellt werden,
sucht Beycrle in folgendem: „Die in der Salmannschaftsüber-
nahme liegende Währschaftspflicht; das Treugelübte, mit der
übertragenen Rechtspflicht gemäss der Mutung des Treugebers
zu handeln; die Vererblichkeit der Salmannbefugnisse“.5) Obwohl
diese Gründe auch für die Lübecker Verhältnisse in Betracht
kommen, so sprechen gerade hier in Lübeck noch andere Um-
stände mit, die in Constanz wegfielen. Beyerle erwähnt bei
der Besprechung der Gründe für die mehreren Salleute, dass
zwei oder mehr Bürger die Funktionen eines „lebendigen Grund-
buchs“ viel besser erfüllten als ein einziger.8) Eines „lebendigen“
Grundbuches bedurfte es in Lübeck aber nicht. In Lübeck gab
es Grundbücher, die besser als alles andere die dinglichen
>) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. IV. S. 417 Note J. VIII. Nr. 664 8. 704.
Rehme a. a. O. 8. Urkb. Nr. 237 S. 337. Nr. 246 b S. 341.
*) Lüb. Urkb. V. Nr. 216 8. 218 (1408).
*) Vgl. Beyerle a. a. 0. 8. 104 fg.
4) Uebrigens wird es in CoDstanz seit der Mitte dos 14. Jahrhunderts
ebenfalls Regel, dass für einzelne Private als Qrundstückserwerber nur ein
Salmann anftritt. Vgl. Beyerle a. a. O. 8. 108.
B) Beyerle a. a. O. 8. 110.
*) Beyerle a. a. 0. 8. 100.
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54
Rechtsverhältnisse eines Grundstückes darlegten. Indem der
Treuhänder im Oberstadtbuch als Eigentümer eingetragen und
indem im Niederstadtbuch verzeichnet wurde, dass der im Ober-
stadtbuch eingetragene nur Treuhänder sei, wurde für die
Folgezeit unumstösslich festgelegt, wer eigentlich der wahre
Eigentümer des Grundstückes ist. Eine „Verdunkelung der
Tatsachen“ konnte, selbst wenn nur ein Treuhänder bestellt
war, nicht eintreten. Hieraus erklärt sich, warum in Lübeck
im Gegensatz zu Constanz nur ein Treuhänder bestellt wurde.
Die Eintragung in die verschiedenen Bücher genügte, um dem
Treugeber die nötige Sicherheit zu gewähren.
Es bleibt uns noch übrig, einige Worte über den eigent-
lichen Bestellungsakt1) zu sagen. Mir ist nur eine einzige
Urkunde bekannt, die hierüber Auskunft giebt. Es ist dies die
oben wiedergegebene Niederstadtbuchseintragung von 141 1.2)
Darin wird von dem Treuhänder gesagt „se . . in dicta scrip-
tura . . obligauit“. Nicht das Bestellen von Seiten des Treu-
gebers allein genügte, der Treuhänder musste sich auch zur
Uebernahme bereit erklären und sich verpflichten, die Pflichten
eines Treuhänders gewissenhaft zu erfüllen und mit dem Grund-
stücke nur nach dem Aufträge des Treugebers zu verfahren.3)
Er musste sich weiter verpflichten, dem Treugeber diejenige
Stellung einzuräumen, die diesem ermöglichte, in ausgedehntem
Masse die Nutzungen des Grundstückes zu ziehen. Der Treu-
händer musste ferner ein Treugelöbnis ablegen, er versprach,
seine Pflichten „tho haidende an gudeme truwen“4). Ueber die
Form dieses Ti eugelöbnisscs habe ich in den Urkunden nichts
gefunden. Jedenfalls war es aber ein formelles Treugelöbnis,
durch das der Treuhänder sich zum persönlich haftenden
Schuldner des Treugebers machte. Wahrscheinlich wird es in
der damals allgemein üblichen Form mit Finger und Zunge
oder mit Hand und Mund abgelegt sein.5)
*) Vgl. Beyerle a. a. 0. S. 103 f.
2) S. oben S. 51.
®) Vgl. Lüb. Urkb. VII. Nr. 375 S. 351 (1430). IX. Nr. 168 S. 167 (1453).
*) Iälb. Urkb. IX. Nr. 168 S. 167.
5) Vgl. darüber R. Schröder, Rechtsgeschichte (3. Aufl.) 8. 716.
Brunner, Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte (1. Aufl.) S. 180.
Beyerle a. a. O. S. 103.
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55
§ 8-
V. Die Rechtsstellung des Treuhänders und des
Treugebers.
Nachdem in den vorigen Abschnitten gezeigt worden ist,
wie man in Lübeck überhaupt dazu gelangt ist, das Institut
der Treuhänder im Grundstücksverkehr zu benutzen, handelt es
sich in diesem Paragraphen um das Rechtsverhältnis zwischen
Treuhänder und Treugeber einerseits und um das Verhältnis
beider zu dritten Wir knüpfen damit an das in der Einleitung
Gesagte an. Das privatrechtliche Verhältnis der stadtrechtlichen
treuen Hand, wie es uns in den Lübecker Urkunden entgegen-
tritt, ist das Thema der folgenden Untersuchung. Während
man bisher über die landrechtliche Treuhand im allgemeinen zu
einer haltbaren Ansicht gelangt ist, streitet man sich noch um
die juristische Konstruktion der städtischen Treuhand. Darin
haben selbst die ausführlichen Untersuchungen Beyerles nichts
geändert. Mag auch für Constanz die städtische Treuhand auf
einer Gemeinschaft zur gesamten Hand beruht haben, für andere
Städte, namentlich für Lübeck, trifft dies nicht zu. Wenn auch
nicht so viel Material wie in Constanz vorhanden ist, so genügen die
uns erhaltenen Urkunden doch, ein genaues Bild von der Stellung
der Treuhänder und des Treugebers in Lübeek zu gewinnen.
Was zunächst die Stellung des Treuhänders anbetrifft, so
geht diese aus der eigentümlichen Gestaltung des Liegenschafts-
verkehres in Lübeck hervor. Der Liegenschaftsverkehr in Lübeck
weicht insofern von dem in Constanz und vielen anderen Städten
ab, als hier in Lübeck die Anlegung des Stadtbuches einen
völligen Umschwung herbeigeführt hat.1) Während man früher2)
') Die folgenden Ausführungen stützen sich auf das bereits vielfach
erwähnte Buch von Rehme. Vgl. auch ferner die Bemerkungen bei Gierke,
Grundzüge des deutschen Privatrechtes (in v. Holtzendorff-Koblers Eucy-
klopädie der Rechtswissenschaft) S. 486. Gierke, Deutsches Privatrecht
Bd. II. S. 274 fg. R. Schröder, Rechtsgeschichte (3. Aufl.) S. 691, 706.
s) Vgl. Baseler, System des gemeiuen deutschen Privatrechtes (4. Aufl.
1886) S. 362. Stobbe, Uandbnch des deutschen Frivatrechtes Bd. I. (3. Aufl.)
§ 67 S. 640. Bd. U. (2. Aufl.) 6 94 S. 193. Stobbe in Iherings Jahr-
büchern Bd. XII. S. 208. Gengier, Das deutsche Privatrecht in seinen
Grundzügen (4. Aufl. 1892) S. 163. Aubert in Zeitsch. der Savigny-Stiftnng
für Rechtsgeschichte Germ. Abt. Bd. XIV. S. 6. R. Schröder a. a. 0. S. 691.
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56
allgemein annahm, dass sich in Lübeck im Mittelalter der Eigen-
tumsübergang an Liegenschaften erst durch die Auflassung und
Eintragung im Oberstadtbuch vollzogen habe, und während man
sich zum Beweise dieses Satzes lediglich auf einige Stellen des
Stadtrechtes und auf einige Lübecker Oberhofsentscheidungen*)
berief,2) hat erst Rehme, gestützt auf Eintragungen in das
Oberstadtbuch, völlige Klarheit über den Eigentumsübergang
bei Liegenschaften geschaffen.3) Nach Rehme muss man unter-
scheiden zwischen dem Falle der freiwilligen Veräusserung und
dem Erwerb durch Richterspruch und durch Erbgang. Für
unsere Fälle kommt nur der erstere Fall in Betracht. Rehme
ist nun auf Grund der Oberstadtbuchseintragungen zu folgenden
Sätzen gelangt, deren Richtigkeit nicht mehr in Zweifel gezogen
werden kann. Bereits im Jahre 1284 wurde im Falle der frei-
willigen Veräusserung erst durch die Eintragung in das Ober-
stadtbuch das Eigentum erworben, nur durch Löschung geht
das Eigentum wieder verloren.4) Während früher die Auflassung
allein den Eigentumsübergang bowirkte, erfolgte dieser nunmchr
durch die Auflassung und die Eintragung. Damit war aber
die Entwicklung nicht abgeschlossen. Im 15. Jahrhundert trat
die Auflassung völlig in den Hintergrund. „Sie galt nur noch
als Voraussetzung des die Eigentums Veränderung bewirkenden
Aktes der Eintragung“.5) Erst die Eintragung also verlieh die
Rechtsstellung eines Eigentümers. Eine derartige Wirkung
hatten die Eintragungen aber nicht nur bei der Veräusserung,
auch bei Verpfändungen war die Eintragung im Mittelalter not-
wendig zur Entstehung des Rechtes.8)
Aus diesen Sätzen folgt nun folgendes. Der Fremde oder
Geistliche konnte im Oberstadtbuch nicht eingetragen werden,
ihnen war das Oberstadtbuch verschlossen, wie oben7) gezeigt
’) Hach III. 248, 345 Note 9. II. 36 Note 6. Michelgen,
Der ehemalige Oberhof zu Lübeck Nr. 198 S. 271.
*) So Beseler a. a. O. Stobbe a. a. O. Aubert a. a. O. Vgl.
auch Homeyer, Die Stadtbücher des Mittelalters (1860) S. 46 fg.
s) Rehme a. a. O. S. 252 fg.
*) Rehme a. a. O. S. 261 f.
5) Rehme a. a. O. S. 263. Qierke, Deutscheg Privatrecht Bd. LL S 281.
®) Rehme a. a. O. S. 265.
*) 8. oben S. 24, 39.
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57
worden. Statt ihrer wurde der Lübecker Bürger eingetragen.
Da nun nur die Eintragung den Uebergang des Eigentumes
begründete oder wenigstens der Schlussakt zur Begründung des
Eigentumes war, so folgt daraus, dass auch nur der eingetragene
Lübecker Bürger Eigentümer werden konnte. Nur auf ihn
wurde das Eigentum eingetragen, nur ihm gegenüber wurde
aufgelassen, wie die Oberstadtbuchseintragungen beweisen. Es
kann darüber m. E. ein Zweifel nicht mehr bestehen. Mit der
Eintragung übertrug der Veräusserer auf den Treuhänder das
Eigentum, zu dessen Erlangung der Treugeber unfähig wTar.
Dies beweist auch eine Urkunde aus dem Jahre 1430.1) In ihr
bezeugt ein Lübecker Bürger, dass ihm ein Hof in Lübeck nur
zu treuen Händen für das Kloster in Doberan zugeschrieben
sei. Am Schlüsse der Urkunde erklärt daun der Treuhänder:
„alzo dat ik Bernd Bazedowe edder myne eruen den
„erbenomeden hoff schol vndo wil nummende vorkopen,
„vorpanden ofte vorsetten vor deme erwerdighen rade
„edder rechte to Lubik ofte vor nyneme rechte, dat sy
„gheestlik edder werlik, men wanner dat de . . . here
„ . . . abbete, edder syne nakomolinghe van my edder
„van mynen kynderen ofte eruen ys esschende den
„vorbenomeden hoff, so schol yk vnde wil edder myne
„eruen den erbenomeden hoff vorant worden vnde vor-
„scriuen laten ane jenigerleye vortogheringe offte wedder-
nrede edder arghelist . . .“
Aus dieser Urkunde geht zweifellos hervor, dass der Treuhänder
an und für sich befugt gewesen ist, dinglich über den Hof zu
verfügen. Der Treuhänder hat ein Verfiigungsrecht mit ding-
licher Wirksamkeit gegen dritte. Er kann das Grundstück
„vorkopen, vorpanden ofte vorsetten“. Er hat auch die Ver-
tretung dritten gegenüber. Entsteht ein Rechtsstreit über das
Grundstück, so hat er es zu „vorantworden“, er ist der Kläger
und der Beklagte. Aber er ist nicht uneingeschränkter Eigen-
tümer des Grundstückes. Er kann nicht jedo beliebige Ver-
fügung treffen, sondern ist in seinem Eigentumsrechte beschränkt
durch die Rechte des Treugebers. Nur nach dem Willen des
Treugebers kann er über das Grundstück verfügen. Der Treu-
') Lüb. Urkb. VII. Nr. 375 S. 361.
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händer hat dem Treugeber gegenüber sich verpflichtet, den Hof
aus eigenem Antriebe weder zu veräussern noch zu belasten,
er will es vielmehr nur dann tun, wenn sein Treugeber dies
von ihm verlangt. Aber nicht nur dies allein, der Treuhänder
kann auch gar nicht gegen den Willen des Treugebers eine
dingliche Verfügung treffen, er ist durch das dingliche Recht des
Treugebers, wie unten ausgeführt werden soll, in seiner Ver-
fügungsmacht derart beschränkt, dass der Treugeber gegen jede
Vertragsbrüchige Verfügung seinen Einspruch erheben kann.
Dass aber nur der Treuhänder, nicht auch der Treugeber ding-
lich über das Grundstück verfügen kann, geht ebenfalls aus der
angeführten Urkunde hervor. Der dingliche Uebertragungsakt
muss durch den Treuhänder vorgenommen werden. Auch ein
von Pauli angeführtes Testament kann man für die Eigen-
tümerstellung des Treuhänders anführen. In ihm1) erklärt der
Treuhänder:
„. . . et ideo dictam proprietatem domus do et resigno
„dicto Herbardo Cleneberghe aut cui ipse dederit aut
„vendiderit . . .“
Zu diesen Zeugnissen kommt aber noch ein weiteres. Nicht nur
privat recht! ich wurde der Treuhänder als Eigentümer angesehen,
sondern auch der Obrigkeit gegenüber hatte der Treuhänder
diejenigen Pflichten zu erfüllen, die einem Lübecker Grund-
eigentümer zukamen.2) Ausdrücklich ist dies nur für die Schoss-
pflicht ausgesprochen. So berichtet im Jahre 1403 der Lübecker
Bürgermeister auf eine Anfrage an den Rat von Reval, ;i) ob
geistliches Gut schosspflichtig sei:
„. . . Werit auer dat jengem borger gestlick gut worde
„toscreuen to truwer hand, de moste darvore doen lik
„sinem egenen gude . .“
Und ebenso heisst es an einer anderen Stelle bezüglich des
Grundeigentumes und der Renten der Geistlichen und der Fremden:
>) Pauli, Abh. I. S. 62 anno 1383. Vgl. auch ibid. S. 63 Testament von
1390. Vgl. darüber auch Hans Lämmer, Das Recht der treuen Hand
(Dies. Wiirxb. 1875) S. 15.
J) Vgl. darüber schon Lämmer a. a. O. S. 15, obwohl er dem Treu-
händer fälschlich kein Eigentum xuschreibt. Ebenso Hartwig a. a. 0. S. 84.
Rebine a. a. ü. S. 204. Albrecht, Die Gewere S. 251.
s) LUb. Urkb. V. Nr. 72 S. 71; abgedruckt auch bei Rehme a. a. 0.
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59
. . Vortmer weme vppe louen eruen effte rente
„toschreuen staet, dat sy van gestliken edder van
„werliken personen, deme dat toschreuen steit, de schal
„dat vorschoten by synem eede . .‘ll)
Der Treuhänder also, nicht der Treugeber, war der Stadt gegen-
über der zu den städtischen Abgaben Verpflichtete, er hatte für
die Bezahlung des Schosses aufzukommen. Der Treuhänder
war nicht nur Vertreter des Treugebers,2) so dass sich die Stadt
auch an den Treugeber gehalten hätte, sondern der Stadt
gegenüber war der Treuhänder der Grundeigentümer, ihn traf
daher auch die Abgabe.3) Lag dem Treuhänder die Hauptpflicht4)
des Lübecker Bürgers ob, indem er den Schoss zahlen musste,
so werden wir ihm um so eher die anderen Pflichten5) auf-
erlegeu dürfen. Umgekehrt kommen aber auch dem Treuhänder
als eingetragenen Eigentümer diejenigen Rechte zu, die in
Lübeck mit dem Grundbesitz verbunden waren.8) Namentlich
galt der Treuhänder, was seine Eigenschaft als Zeuge betrifft,
für einen erbbesessenen Zeugen. Es folgt dies m. E. zweifellos
aus zwei Lübecker Oberhofsentscheidungen. In der einen7)
wird ausgesprochen, dass derjenige, der ein Haus in Lübeck
gekauft hat „stunde eme dat huesz in der stadt boke nicht
togeschreuen“, für einen erbbesessenen Bürger als Zeuge nicht
angesehen werden kann. Das heisst also: Der Beweis, dass
jemand ein erbbesessener Bürger ist, wird durch das Oberstadt-
buch geführt.8) In der anderen Entscheidung9) wird bestimmt:
') Lüb. Urkb. V. Nr. 349 S. 37» (1410).
*) So Hartwig a. a. O. S. 165.
*) Vgl. auch Hartwig a. a. O. 8. 166 Note 6.
4) Hartwig a. a. O. 8. 15 nennt die Scbosspflicht die Bürgerpflicht
katexochen.
5) »recht doen, schoten, waken vnde vtkmaken* Zeitschrift des Vereins
für Lübeckische Geschichte Bd. III. 8. 263. Vgl. ferner Lüb. Urkb. IV.
Nr. 648 8. 735 anno 1397.
®) Mit Unrecht wird dies von Stobbo, Ueber die Salmanuen a. a. O.
8.434 bestritten. Unklar Lämmer a. a. 0.8. 16, 17. Vgl. auch Heyerle
a. a. 0. 8. 32.
7) Michelson, Oberhof 8. 271 Nr. 198.
8) Vgl. auch Pauli, Zustände Bd. III. 8. 66.
®) Michelsen a. a. O. S. 189 Nr. 103. Vgl. auch Nr. 105 8. 191;
Nr. 267 8. 344.
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„Na deine de erscreuen Clawes Kroger en ancleger is,
„wes he dan mit der Stad Boke . . . tilgen kau, des
„mag he geneten .
Aus diesen beiden Entscheidungen geht hervor, dass einmal
jemand, der nicht im Stadtbuche eingetragen ist, nicht Vollzeuge
sein kann, und dass zweitens die Eintragung im Oberstadtbuck un-
widerleglichen Beweis liefert. Die Eigenschaft als erbbesessener
Bürger wird mithin durch den Nachweis der Zuschrift eines
Grundstückes im Oberstadtbuch geführt.1) Der Treuhänder ist
im Oberstadtbuch eingetragen, ihm ist das Grundstück zu-
geschrieben worden, er ist daher auch erbbesessener Bürger.2)
Ein ausdrückliches Quellenzeugnis für dieses Ergebnis liegt,
soviel mir bekannt, nicht vor. Praktisch wird die Frage über-
haupt wenig in Betracht gekommen sein, da wie oben gezeigt
ist, die Treuhänder meist aus den alten angesehenen und erb-
besessenen Familien gewählt worden sind. Für das Gegenteil,
dass den Treuhändern in Lübeck die Rechte, die am Grund-
besitz hafteten, nicht zukamen, darf man sich m. E. nicht auf
das Hamburger Recht stützen.3) Gewiss haben beide Rechte
eine innere Verwandschaft.4) Aber ohne ein ausdrückliches
Zeugnis kann man die Stelle des Hamburger Rechtes nicht
auch für Lübeck gelten lassen. Denn eine derartige Bestimmung,
wie in Hamburg, würde mit der Bedeutung des Oberstadtbuches
nicht im Einklang stehen, hat doch das Oberstadtbuch öffent-
lichen Glauben.5) Soviel ergeben allerdings die Urkunden, dass
dem Treugeber die auf dem Grundeigentum ruhenden Rechte
nicht zukommen. Jedenfalls wurde er, wenn seine Fähigkeit
als Zeuge in Frage kam, nicht als erbbesessener Bürger an-
gesehen.6) Mit Rücksicht auf die Bedeutung des Oberstadt-
*) Vgl. auch Rehme a. a. O. S. 252 fg., 256.
*) Im Hamburger Recht galt der Treuhänder allerdings nicht als erb-
besessener Bürger: Hamburger Stadtrecht von 1197. E. XXXI. § 3 (bei
Stobbe, Ueber die Salmannen a. a. 0. S. 434): .Eft ock wol erve koft
hadde vorander lüde, eder sick van enes anderen weghen to truwer band
schriven lete, dardorch ys he nycht erfseten . . .*
s) S. vorige Note.
4) Vgl. R. Schröder, Rechtsgeschichte (3. And.) S. 671.
6) Vgl. Rehme a. a. 0. S. 254.
*) Pauli, Zustände Bd. III. S. 66 Note 2.
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bnches kann man m. E. auch nicht mit Rehme1) sagen, aus
dem Wortlaut der Niederstadtbuchseintragungen' gehe hervor,
dass nicht der Treuhänder, sondern der Geistliche oder der
Fremde Eigentümer sei. In den Eintragungen werden allerdings
z. B. folgende Wendungen gebraucht:
„mihi nullatenus pertinere . . . attamen dicta curia . . .
„claustro dinoscitur pertinere, nec ego et mei heredes
„quiequam iuris non habemus in eadem . ,“2)
ferner:
„domus . . . veraciter et juste appertinet domino Th . .
„K . perpetuo vicario . .“3)
oder:
. iste redditus V marcarum wichelde .... fratri
„M. W. . . juste et veraciter appertinent, sibi nichil in
„eis proprietatis vendicans . .4)
einmal heisst es sogar:
„w’ente de egendoem des vorschreuenen houes mit siner
„tobehoringe like der vorpandige tokumpt dem godeshuse
„sunte Brigitten . . .“5)
Wollte man aus diesen Stellen herauslesen, dass juristisch wirk-
lich der Treugeber, nicht der Treuhänder der Eigentümer des
Grundstückes gewesen sei, so würde man damit die sämtlichen
Grundsätze über die Uebereignungsform von Liegenschaften in
Lübeck über den Haufen werfen. Man würde dadurch an-
erkennen müssen, dass nicht nur dem Oberstadtbucbe kein
öffentlicher Glaube zukam, sondern dass man in Lübeck auch
ohne Auflassung und Eintragung in das Oberstadtbuch Eigentum
an Liegenschaften im Wege freiwilliger Veräusserung erlangen
konnte. Ein Resultat, das man m. E. völlig ablehnen muss.
Meiner Ansicht nach soll in jenen Niederstadtbuchseintragungeu
nur das V erhältnis zwischen dem Treuhänder und dem Treugeber
zum Ausdruck kommen, von dem weiter unten zu sprechen sein
') Rehme a. a. O. S. 204.
S) Lüb. Urkb. IV. Nr. 437 S. 482 (1384).
5) Lüb. Urkb. V. Nr. 407 S. 448 (1412). Vgl. auch Lüb. Urkb. V.
Nr. 517 S. 662 (1414). V. Nr. «41 S. 728 (1417). VI. Nr. 547 S. 543 (1423).
*) Lüb. Urkb. V. Nr. 553 S. 697 (1416).
6) Lüb. Urkb. VIII. Nr. 664 S. 704 (1450).
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wird.1) Auch daraus, dass dem Treugeber die mit dem Grund-
eigentum verbundenen Rechte nicht zukamen, folgt m. E., dass
der Treugeber nicht als Eigentümer angesehen werden kann.
Somit sind wir zu dem Resultat gekommen, dass dem Treu-
händer von dem Veräusserer ein dingliches Recht an der Liegen-
schaft übertragen worden ist, dass der Treuhänder zu Ver-
fügungen über das Grundstück mit dinglicher Wirkung berechtigt
ist, dass er Eigentümer der Liegenschaft geworden ist. Da
aber jedes dingliche Recht einen Anspruch auf Darstellung in
einer Gewere hat,2) so muss dem Treuhänder auch eine Gewere
an dem Grundstücke zukommen. Die Frage kann nicht zweifel-
haft sein;3) ist dem Treuhänder doch das Grundstück aufgelassen,
ist er doch eingetragener Eigentümer und geht doch richtiger
Ansicht nach auch unter Lebenden durch gerichtliche Auflassung
Gewere über.4) Ja, noch weiter. Der Treuhänder in Lübeck
erlangte auch die rechte Gewere, da der im Oberstadtbuch
eingetragene Eigentümer nach Ablauf einer Frist von Jahr und
Tag, von dem Tage der Eintragung an gerechnet, rechte Gewere
erlangte.5) Dem steht nicht etwa entgegen, dass der Treuhänder
nicht die leibliche Gewere an dem Grundstücke hatte, denn
leibliche Gewere ist für die Erlangung der rechten Gewere
>) Rehme a. a. O. stützt sich ferner noch auf die oben 8. 68 Note 3
angezogene Urkunde, ln dieser heisst es von dem Treuhänder, er habe das
gut „lik sinem egenen gude“ zu verschossen. Auch in diesen Worten kann
ich keinen Gegenbeweis erblicken. Es ist sehr wohl möglich, dass hier in
diesem Brief des Lübecker Bürgermeisters weniger das juristische Moment
als das tatsächliche Verhältnis hervorgekehrt ist.
*) Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. II. S. 189. Gierke, Grund-
züge a. a. 0. 8. 48). Vgl. auch Huber, Die Bedeutung der Gewere im
deutschen Sachenrecht (1894) S. 20, 22.
3) Allerdings streitet Lämmer a. a. O. S. 17 den städtischen Sal-
männern generell die Gewere ab.
*) Vgl. Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. II. S. 194/5. Huber
a. a. O. 8. 33 fg. Heusler, Institutionen Bd. II. S. 34. Albrecht, Die
Gewere als Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts (1828) S. 63 fg.
Brunner a. a. O. (1. Aufl.) S. 170.
6) Vgl. Rehme a. a. O. S. 254 fg. Die von v. Duhn, Deutschrecht-
liche Arbeiten (1877) S. 16 fg. aufgesteilte Ansicht, dass die rechte Gewere
sofort durch die Zuschrift im Oberstadtbuch erworben werde, ist durch
Rehme widerlegt.
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63
nicht erforderlich.1) Der Treuhänder hatte aber nur ideelle
Gewere, denn die Nutzung des Grundstückes stand ja nicht
ihm, sondern dem Treugeber zu.2) In Folge dessen ist das
Verhältnis der Gewere des Treuhänders zu der des Treugebers
dahin zu charakterisieren, dass dem Treuhänder ideelle Eigen-
gewere, dem Treugeber aber Nutzungsgewere, ja sogar vererb-
liche Nutzungsgewere an dem Grundstücke zustand.'*) In
Constanz4) dagegen erlangte der Salmann auch Nutzungsgewere,
indem er sechs Wochen und drei Tage im ungestörten Besitze
der Liegenschaft verblieb. In Lübeck habe ich hierfür keinen
Anhalt gefunden. Man könnte nun denken, dass der Fremde
oder der Geistliche an den Lübecker Bürger, den Treuhänder,
einen kleinen Zins zahlen musste; aber auch hierfür fehlen
jegliche Beweise. Derartige Mittel, um dem Treuhänder die
leibliche Gewere zu verschaffen, waren in Lübeck nicht nötig;
hier genügte es, wenn der Treuhänder nur die ideelle Gewere
erwarb. Die Institution des Oberstadtbuches hat es mit sich
gebracht, dass die Auflassung und Eintragung die formale
Wirkungen der Gewere selbst beim Mangel jeder tatsächlichen
Herrschaft ausübte. Wenn jemand in das Oberstadtbuch ein-
getragen war und Jahr und Tag seit der Eintragung vergangen
war, so war der Eingetragene berechtigt, Verfügungen mit
dinglicher Wirkung über das Grundstück zu treffen, der Ein-
getragene war unabhängig von der tatsächlichen Herrschaft der
dinglich Berechtigte.5)
Gegenüber dieser Stellung des Treuhänders als Eigentümer
hatte der Treugeber, also der Fremde oder Geistliche, keine
dingliche Verfügungsmacht über das Grundstück selber, obgleich
auch ihm ein weitgehendes dingliches Recht zur Seite stand.
Ergiebt schon die Institution und die Bedeutung des Oberstadt-
buches, dass der Fremde oder Geistliche nicht dinglich über das
') Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. II. 8. 197 Note 42.
*) Vgl. Ueber die Möglichkeit der ideellen Gewere des einen und der
leiblichen Gewere eines anderen an demselben Grundstücke Gierke a. a. O.
Bd. II 8. 194 Note 36.
3) Vgl. Gierke a. a. O. Bd. II. 8. 200 Note 58.
*) Vgl. Beyer le a. a. 0. 8. Il9fg., 146.
5) Vgl. Huber a. a. 0. 8. 74. Rehme a. a. O. 8. 254 f. Gierke,
Deutsches Privatrecht Bd. II. 8. 193 fg.
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Grundstück verfügen konnte, so geht dies aber auch unzweifel-
haft aus den Urkunden hervor. Am deutlichsten zeigt es jene
oben1) erwähnte Urkunde von 1430. Wird doch in ihr aus-
drücklich erwähnt, dass der Treugeber bei der dinglichen Ver-
fügung über das Grundstück sich des Treuhänders zu bedienen
hatte. Auch aus einem von Pauli2) angeführten Testamente
von 1383 geht hervor, dass der Treugeber nicht mit dinglicher
Wirksamkeit verfügungsberechtigt gewesen ist. Er konnte nur
dare und vendere. Den Uebertragungsakt selber musste der
Treuhänder vornehmen. Hiermit kommen wir zu einem weiteren
Punkte. Wir haben gesehen, dass dem Treuhänder die Stellung
des Eigentümers zukommt, dass er Verfügungen über das Grund-
stück mit dinglicher Wirkung allein treffen kann. Das der
dinglichen Verfügung zu Grunde liegende Rechtsgeschäft dagegen
schloss der Treugeber ab. Zum Abschluss von schuldrechtlichen
Verträgen über Grundstücke in Lübeck waren Fremde und
Geistliche im 15. Jahrhundert zweifellos berechtigt. Auch
brauchte zum Abschluss des Veräusserungs- oder Verpfandungs-
vertrages der Treuhänder nicht zugezogen zu werden. Alle
derartige Verträge wurden nur von dem Fremden oder Geist-
lichen abgeschlossen. Bei dem Kaufvertrag selber hatte der
Treuhänder nicht mitzuwirken. Dieser trat vielmehr erst dann
ein, wenn es sich um die Eigentumsübertragung handelte. Mag
es sich nun um den Erwerb oder um die Wiederveräusserung
durch den Treugeber handeln. Der Fremde oder Geistliche
schloss den schuldrechtlichen Vertrag, sei es Kauf oder Verkauf,
ab, zahlte oder empfing den Kaufpreis. Der Veräusserer da-
gegen verpflichtete sich, das Grundstück auf den Namen eines
Lübecker Bürgers eintragen zu lassen.*) Die Möglichkeit des
schuldrechtlichen Vertragsabschlusses durch den Treugeber
zeigen viele Urkunden. Auch ohne dass der Fremde bereits
einen Lübecker Bürger als Treuhänder gewonnen hatte, konnte
von ihm der schuldrechtliche Vertrag abgeschlossen werden.
Eine Urkunde aus dem Jahre 1460 bringt dies deutlich zum
') Vgl. oben S. 67.
*) Abh. I. 8. 63.
*) In diesen Verträgen kommt das von jeber im deutschen Rechte an-
erkannte Prinzip des Versprechens einer Leistung an Dritte zur Qeltung. Vgl.
Gierke, Grundzüge a. a. 0. 8. 526.
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Ausdruck. In ihr1) verwendet sich der Herzog von Braun-
schweig-Lüneburg beim Rate von Lübeck für einen gewissen
Werner Bese. Derselbe
„. . . . hebbe in juwer stad bynnen Lubicke eyn hus
„gekofft vnd dat merkliken gebuwed vnd gebeterd, vnde
„alse he denne datsulue hus sick wolde na juwer stad
„wonheid toscriuen laten vnd darupp bath juwe borger-
„schupp, hebben gij ame des geweygert vnd nicht
„wolden tostaden . .
Die Urkunde fährt dann am Schluss fort:
„. . . Wij vernemen ok von der wegene, wanner ome
„eyn sulkes nicht mochte wedderforen, dat he hebbe
„van jw gebeden vnd noch bidde, dat denne jemant
„van jw edder den juwen wolde ghan in den kopp vnd
„renthe des vorgescreuen huses mit wedderkaringe des
„geldes arbeides vnd kost darupp gedan vnd gedreuen,
„so bewislik iss, des were he denne wol toureden .
Der Fremde hat also das Haus gekauft, hat daran sogar Ver-
besserungen und Umbauten vorgenommen, ohne im Stadtbucli
eingetragen zu sein. Als er dann wirklich die Eintragung, d. h.
die Uebertragung des Eigentumes verlangte, wird ihm diese ab-
geschlagen, weil er ein Fremder ist und die Bürgerschaft nicht
besitzt. Den schuldrechtlichen Vertrag hat er also abschliessen
können. Ebenso heisst es in dem mehrfach erwähnten Testamente
des Detmarus Z warte:2)
„. . domus non attinet michi, sed juste pertinet Herbordo
„Cleneberghe, qui eam emit et personaliter per-
„solvit cum sua propria pecunia .
Auch hieraus geht deutlich hervor, dass der Treugeber, nicht
der Treuhänder den verpflichtenden Kaufvertrag abgeschlossen
und den Kaufpreis gegeben hat. Dasselbe beweisen auch einzelne
*) Lüb. Urkb. IX. Nr. 891 S. 927.
s) Pauli, Abh. I. S. 62 (1383). Hierher gehört m. E. auch die von
Rehme a. a. 0. S. 91 angeführte Randbemerkung (Hs. 1373 Jacobi). Hier
heisst es nur, dass der Fremde oder Geistliche sein Haus verkaufte
(vendidit). Von einer dinglichen Uebereignung ist nicht die Rede. Der
Ausdruck .vendidit'1 geht nnr auf das zu Grande liegende Rechtsgeschäft.
Looning, Gründer worb mul Treuhand in Lübeck 5
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Niederstadtbuchseintragungen.1) Demgegenüber finden sich aller-
dings Stellen, in denen gesagt wird, dass der Treuhänder selber
den Kaufvertrag abgeschlossen habe. Zunächst sind hier einige
Oberstadtbuchseintragungen zu nennen, in denen erwähnt wird,
dass der eingetragene Eigentümer, also der Treuhänder, das
Grundstück gekauft habe.2) Diese Stellen liefern jedoch keinen
Gegenbeweis gegen die hier vertretene Ansicht. Wird doch im
Oberstadtbuch überhaupt nicht der Kaufvertrag, sondern nur
die Tatsache des Kaufes beurkundet.3) Da der Treuhänder im
Oberstadtbuch eingetragen wurde, so wurde auch angenommen,
dass er das zu Grunde liegende Rechtsgeschäft abgeschlossen
hätte. Bedenklicher dagegen sind zwei andere Niederstadt-
buchseintragungen aus den Jahren 1456 und 1457J) In ihnen
heisst es ausdrücklich, dass die als Eigentümer Eingetragenen
die betreffenden Grundstücke gekauft haben;5) in der einen
heisst es sogar, dass er das Geld bezahlt habe.6) Es handelt
sich aber hier um zwei besondere Fälle. Treuhänder waren
hier die Vorsteher der Antoniusbruderschaft und diese Bruder-
schaft. war die Treugeberin. Die Vorsteher haben den Kauf-
vertrag daher auch nicht für sich als Einzelpersonen, sondern in
ihrer Eigenschaft als Vorsteher der Bruderschaft abgeschlossen.
Diese hat auch den Kaufpreis bezahlt, trotz der anderweitigen
Angaben. Dies geht aus dem Schlüsse der Eintragung von
1456 hervor, der lautet:7)
») Vgl. z. B. Lüb. Urkb. V. Nr. 216 S. 218 (1408). V. Nr. 359 S. 401
(1411). Brebmer, Lübeckiscbe Häusernamen in den Mitteilungen des
Vereins für Lübeckiscbe Geschichte IV. S. 88 Nr. 68/60. Lüb. Urkb. II.
Nr. 336 S. 279 (1316): „. . . . quam ipse dominus Alardus (der Geistliche)
nnnc emit et racionabiliter persoluit, licet ad manus Arnoldi Nigri ciuis
Lubicensis sit resignata et scripta . . .“
*) Vgl. z. B. Lüb. Urkb. IV. S. 438 Note 1. Rehme a. a. O. Urkb.
Nr. 246 b S. 341 (1412). Vgl. auch Lüb. Urkb. V. Nr. 517 b S. 662 (1414).
3) Rehme a. a. O. 8. 46.
*) Lüb. Urkb. IX. Nr 339 S. 340 (1466). IX. Nr. 473 S. 471 (1457).
6) Lüb. Urkb. IX. Nr. 339 „. . . den ik cofte . . . den hebbe ik en to
ghude gecoft . . .“ Lüb. Urkb. IX. Nr. 473 . . . dat ik hebbe gecoft . . .
en hoppenlant . . .*
“i Lüb. Urkb. IX. Nr. 473.
7) Lüb. Urkb. IX. Nr. 339.
a
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. Wo dur dat de hof ghecoft waert vnde woer dat
„ghelt heerquam, dar he mede betaelt waert, darvan
„vint me alle bescheet gheschreuen in der broderschap
„permint buke mit rodem ledder buten betogen .
Mit anderen Worten: Der Kaufvertrag wurde von dem Vor-
steher und nachherigen Treuhänder im Namen der Bruderschaft
abgeschlossen, diese zahlte den Kaufpreis und dann wurde der
Kaufvertrag in „der broderschap permint buke“ eingetragen.
Auch in diesen Fällen schliesst also der Treugeber das Gedinge ab.
Ebenso wie das Erwerbsgeschäft, so wurden auch alle
anderen, späteren schuldrechtlichen Verträge von dem Treugeber,
und nicht von dem Treuhänder, geschlossen. Schon oben sind
dafür einzelne Beispiele angeführt.1) Hier soll nur noch auf
etwas anderes hingewiesen werden. Der Treugeber konnte
nämlich nicht nur Verträge über das Grundstück inter vivos
abschliessen, er hatte auch die Möglichkeit einseitig zu bestimmen,
was mit dem Grundstücke oder der Rente nach seinem Tode
geschehen sollte. In einer Niederstadtbuchseintragnng von 1420,
in der am Anfänge der Treuhänder sein Treuverhältnis bekannt
giebt, erklärt der Treugeber unmittelbar darauf folgendes:
„Prefatus tarnen dominus Johannes Vette ob reuerenciam
„et ob salutem anime sue coram libro recognouit, se
„totaliter dedisse et dimisisse, dedit et dimisit eandem
' „domum cum suis appertinenciis, quod post suam mortem
„euenire, cadere et cedere debet ad vicariam altaris
„beate Virginis ante chorum parrochialis eiusdem ecclesie
„sancti Egidii iuxta disposicionem seu ordinacionem
„prouisorum Holdes van Dülmen uel collatorum predicte
„vicarie, ita videlicet quod dicti prouisores uel collatores
') Vgl. die bereits vielfach angeführten Urkunden: Pauli, Abh. I. S.62
(1383). Lüb. Urkb. VII. Nr. 375 S. 351 (1430). Vgl. auch Lüb. Urkb. II.
Nr. 335 S. 279 (1315). VIII. Nr. 664 S. 704 (1460). VI. Nr. 497 S. 504
(1421). Hierher gehört auch folgender Lüschuugsveruierk bei der Nieder-
stadtbuchseintragung von 1412 Palmarum (Lüb. Urk. V. Nr. 407 S. 44M
und Rehme a. a. O. Urkb. S. 341 Note 1): „Deletum in presencia et ex
jussu predicti domini Tbome Krogher*. Dieser Thomas Krogher war der
Treugeber. Im Niederstadtbuch, wo nicht das dingliche Recht, sondern das
dem dinglichen Rechte au Grunde liegende Rechtsgeschäft beurkundet wurde,
konnte also der Treugeber allein löschen lassen.
5*
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„possunt eandem domum vendere et cum istis pecuniis
„prefatam pecuniam meliorare cum certis redditibus,
„sicut eis melius videbitur expedire.“1)
In einer anderen Niederstadbuchseintragung2) erklärt der
Treuhänder :
. Insuper dictus Johannes Houeman pro se et snis
„heredibus coram libro recognouit, quod prenominata
„summa non est sni, sed sibi asscripta ad fldeles manus
„domini Nicolai de Stendele ad vitam dicti domini Nicolai
„et post suam mortem peruenit ad capitulum Ratze-
„burgense et ad vnam vicariam ibidem instaurandhm“.3)
Pauli sieht in der Eintragung von 1420 eine Vergabung von
Todes wegen.4) Es ist dies meiner Ansicht nach nicht richtig.
Von einer Vergabung von Todes wegen kann man nur dann
sprechen, wenn der Bedachte bereits zu Lebzeiten des Ver-
gabenden ein dingliches Recht an dem vergabten Gegenstände
erlangt hat/’) Dies gilt auch für Lübeck, wenn auch hier Ver-
gabungen von Todes wegen seltener vorkamen. Auch hier
erfolgte die Vergabung vor dem Rate durch Auflassung.8) In
der vorliegenden Urkunde ist von einer Auflassung nichts zu
finden; vielmehr deuten die Ausdrücke dare und dimittere auf
das Rechtsgeschäft selber hin. Welcher Art ist aber dieses
Rechtsgeschäft? Eine Schenkung unter Lebenden kann es trotz
der Worte „dedisse et dimisisse“ nicht sein, denn der Erfolg
der Erklärung soll erst nach dem Tode des Treugebers eintreten.
Auch eine Schenkung auf den Todesfall kann bei der Persön-
lichkeit des Bedachten nicht in Frage kommen. Es handelt
sich hier vielmehr um Folgendes: Der Treugeber will dem Be-
dachten nach seinem Tode die Stellung einräumen, die er bisher
selber innegelmbt hat. Der Bedachte soll nach dem Tode des
') I.üb. Urkb. VI. Nr. 194 S. 234; etwas abweichend auch bei Pauli,
Abh. III. 8. 181.
*) Lüh. Urkb. VI. Nr. 169 S. 204 0419) (auch abgedruckt bei Rebme
a. a. O. S. 203). Vgl. ferner LUb. Urkb. VI. Nr. 305 S. 335 (1421).
3) Nicolas de Stendele war Priester (LUb. Urkb. VI. S. 204 Note 1).
4) Abh. III. S. 181.
6) Vgl. darüber genauer meine Schrift über das Testament im Magde-
burger .Stadtrecht S. 23 fg. und die dort erwähnten.
*) Rehme a. a. 0. S. lisfg
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Treugebers nicht nur dieselbe dingliche Rechtsstellung erhalten,
die bisher der Treugeber hatte, sondern er soll auch zum Treu-
händer in dasselbe Verhältnis treten, in dem bisher Treugeber
und Treuhänder gestanden haben. Ein derartiges Eintreten
eines anderen in die Stellung des Treugebers kann kraft testa-
mentarischen Erbrechtes erfolgen, indem der Treugeber zu
Gunsten des Bedachten eine Verfügung von Todes wegen trifft.
Hierdurch succediert beim Tode des Treugebers der Bedachte
ohne weiteres in alle Rechte des Treugebers. Die Rechte und
Pflichten des Treugebers gehen kraft testamentarischer Erbfolge
auf den Bedachten über, ohne dass eine sonstige Veränderung
eintritt. Auf den ersten Blick hin scheint dies jedoch nicht
alle Fälle zu decken. Man könnte sich z. B. den Fall denken —
es ist mir allerdings keiner bekannt — dass der Treugeber
nach seinem Tode jemand bedenken wollte, der Lübecker Bürger
ist, der also fähig ist, Grundeigentum in Lübeck zu erwerben.
Aber auch für diesen Fall ist eine letztwillige Verfügung des
Treugebers ausreichend. Zwar konnte der Treuhänder zur
Uebereignung der Liegenschaft an den dritten Bedachten ohne
weiteres auf Grund des Testamentes nicht verpflichtet werden.
Durch das Testament des Treugebers erlangt der Bedachte nur
die Stellung des verstorbenen Treugebers. Eigentum erlangt
er durch das Testament nicht; vielmehr bleibt der bisherige
Treuhänder noch Eigentümer. Der Bedachte erhält nur das
dem bisherigen Treugeber zustehende, weitgehende dingliche
Nutzungsrecht. Wie jedoch der bisherige Treugeber vom Treu-
händer jederzeit die Uebereignung der Liegenschaft an einen
Dritten verlangen konnte, so kann auch jetzt der Lübecker
Bürger dieses Recht geltend machen. Und da er selber grund-
eigentumserwerbsfähig ist, so kann er auch die Uebereignung
der Liegenschaft an sich selbst verlangen. Er kann die Auf-
lassung an sich selbst und seine Eintragung ins Oberstadtbuch
begehren. Da jedoch die Stellung des Treugebers nicht nur
auf einem dinglichen Rechte beruhte, wie noch unten näher
ausgeführt werden soll, sondern da der Treuhänder dem Treu-
geber mittels eines Treugelöbnisses persönlich verpflichtet war,
so veranlasste der Treugeber zu seinen Lebzeiten den Treuhänder,
die Schuld dem dritten Bedachten zu geloben. Die aus dem
Treuverhältnisse zwischen Treugeber und Treuhänder entstandenen
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persönlichen Verpflichtungen des Treuhänders sollten nach dem
Tode des jetzigen Treugebers einen Dritten berechtigen. Es
geschah dies durch „Verwandlung des Gelübdes“.1) Darum
erklärt in der Niederstadtbuchseintragung von 14192) nicht der
Treugeber, sondern der Treuhänder, was mit der Rente nach
dem Tode des Treugebers erfolgen sollte.
Damit sind wir aber schon bei einer anderen Frage an-
gelangt: wie charakterisiert sich das Verhältnis zwischen Treu-
händer und Treugeber? Es mag zunächst bervorgehoben werden,
dass die uns bekannten Urkunden nur wenig Aufschluss darüber
geben, ob von Seiten des Treugebers irgend welche Verpflich-
tungen übernommen worden sind. So namentlich lässt sich nicht
feststellen, ob der Treuhänder seine Treuhändereigenschaft frei-
willig übernommen hat, oder ob er zur Uebernahme gezwungen
werden konnte, ob also eine Pflicht jedes Lübecker Bürgers be-
stand, das Amt eines Treuhänders zu übernehmen. Wir möchten
uns für ersteres erklären. In der schon oben erwähnten Urkunde
von 141 13) heisst es, der Treuhänder habe seine Verpflichtung
übernommen auf Bitten (ad peticionem) und aus Liebe (ob
amorem) zu dem Treugeber. Wenn allerdings auch in diesen
Worten kein völliger Beweis zu sehen ist, so ergeben sie doch
für unsere Annahme eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Unter-
stützung findet diese Annahme auch aus der Entstehungs-
geschichte des städtischen Treuhänders. Hat sich doch das
Institut der Zuschreibungen zu treuen Händen allmählich in
Folge der Gesetzgebung herausgebildet, die in Lübeck den Erwerb
von Grundeigentum durch Geistliche und Fremde regelte. Ebenso
möchte ich aus diesen Worten folgern, dass der Treuhänder für
die Uebernahme seiner Verpflichtung ein Entgelt nicht erhalten
hat. Es war gewissermassen ein Liebesdionst, den der Treu-
händer dem Treugober leistete, der entweder aus religiöser oder
aus freundschaftlicher Gesinnung zu dem Treugeber entsprang.
Andere Pflichten dagegen musste der Treugeber übernehmen.
So lag ihm namentlich eine Ersatzpflicht für alles das ob, was
*) Dieser Ausdruck für die Form der Uebertragung einer Schuld wird
angowendet in Blume, v. Magd. LL 2cap. 98 (Ausg. v. Bühlau).
*) Vgl. oben S. 68 Note 2.
®) Lüb. Urkb. V. Nr. 359 S. 401. Vgl. auch Liib. Urkb. IX. Nr. 168 S. 167.
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der Treuhänder im Interesse des Treugebers aufwendete. Der
Treugeber war dem Treuhänder gegenüber zur Zahlung des
Schosses verpflichtet ; der Treuhänder sollte selber keine weiteren
Nachteile von der Uebernahme seiner Verpflichtung haben.1)
Daher wurde auch manchmal gleichzeitig mit der Erklärung
des Treuhänders vor dem Niederstadtbuch, dass ihm das Grund-
stück oder die Rente nur zu treuen Händen zugeschrieben sei,
hervorgehoben, dass die Schosspflicht nicht dem Treuhänder,
sondern dem Treugeber oblag. So heisst es in einer Eintragung
von 1421, in der Ludowicus Crul erklärte, dass die ihm im
Oberstadtbuch zugeschriebenen Renten „de jure pertinent ad
prefata luminaria“, am Schluss der Eintragung:2)
„Insuper dicte capeile vicarius perpetuis temporibus
„debet et potest prefatos redditus singulis annis, wlgariter
„verschoten, pro L III marcis lubicensium denariorum
„dominis consulibus huius ciuitatis.“
Durch eine derartige Erklärung konnte nur die Verpflichtung
des Treugebers zur Zahlung des Schosses dem Treuhänder
gegenüber festgestellt und beurkundet werden, der Obrigkeit
gegenüber kam aber immer nur der Treuhänder für die Zahlung
des Schosses in Betracht.2) In gleicher Weise wird wohl —
obgleich Zeugnisse dafür mir nicht bekannt sind — der Treu-
geber auch für sonstige Auslagen des Treuhänders im Interesse
des Teugebers aufgekommen sein. So namentlich für die Ge-
bühren, die dem Stadtschreiber für die Eintragung in das Ober-
stadtbuch zu zahlen waren.4) Aber auch hier war nicht der
Treugeber, sondern der Treuhänder zur Zahlung dem Stadt-
schreiber gegenüber verpflichtet.
Eine etwas genauere Kenntnis haben wir für die Ver-
pflichtungen, die der Treuhänder dem Treugeber gegenüber
übernommen hatte. Wir haben oben gesehen, dass sich das
Recht des Treuhänders an dem ihm zugeschriebenen Grundstücke
*) Vgl. Hartwig a. a. 0. S. 166 f. Vgl. auch Mitteilungen de»
Vereins für LUbeckische Geschichte VIII. S. 127, 128.
*) LUb. Urkb. VI. Nr. 303 S. 335.
s) Vgl. die Stellen oben S. 58, 59.
4) Bereits im 13. Jahrhundert waren hierfür vom Rate besondere Taxen
aufgestellt. Vgl. LUb. Urkb. L Nr. 320 S. 303 (1270). I. Nr. 534 S. 487
(1289). Vgl. darüber Rehme a. a. 0. S. 183. Rrensdorff, Verfassung S. 116.
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72
als Eigentum charakterisierte. Der Treuhänder war zur Ver-
fügung über das Grundstück berechtigt, er konnte es veräussern
oder belasten mit Wirksamkeit gegen Dritte. Seine Stellung
beruhte nicht nur auf dem zwischen ihm und dem Treugeber
geschlossenen schuldrechtlichen Vertrage, sondern kraft der Auf-
lassung des Grundstückes an den Treuhänder und kraft seiner
Eintragung in das Oberstadtbuch war er Eigentümer geworden.
Jedoch — und hierin liegt ein dem Treuhänderverhältnisse wesent-
liches Moment — die Rechte, die ihm als Eigentümer des
Grundstückes zukamen, waren nicht unbeschränkt. Es war
nicht der Zweck der Eigentumsübertragung an den Treuhänder,
diesem ein unbeschränktes Verfügungsrecht über das Grundstück
einzuräumen. Vielmehr sollte der Treuhänder nur den Interessen
des Treugebers dienen. Er sollte es dem Fremden und dem
Geistlichen ermöglichen, in Lübeck Grundeigentum für sich
nutzbar zu machen. Die Verfügungsmacht des Treuhänders
sollte ihre Grenzen finden in der Stellung des Treugebers.
Nicht eigene Interessen, sondern die Interessen des Treugebers
hatte der Treuhänder zu verfolgen. Daher kam ihm eine un-
beschränkte Verfügungsmacht nicht zu. Sowohl durch den
Schuldvertrag, als auch durch die dem Treugeber zustehende
dingliche Rechtsmacht war der Treuhänder in seinen Ver-
fügungen gebunden. Dazu kam aber, dass der Treuhänder
noch weiter seinem Treugeber für die Erfüllung seiner Ver-
pflichtungen persönlich haftete; denn zu dem schuldrechtlichen
Vertrage zwischen Treugeber und Treuhänder trat noch das
formelle Treugelöbnis hinzu. Es ist bereits oben kurz darauf
hingewiesen, dass der Treuhänder dem Treugeber ein förmliches
Treugelöbnis ablegte.1) Der Ausdruck „zuschreiben zu treuer
Hand“ und ähnliche derartige Ausdrücke sind Beweis dafür,
dass ein Treugelöbnis abgelegt wurde.2) Der Treuhänder ver-
sprach „den louen . . . gerne tho holdende an gudeme truwen“.3)
Dieses Treugelöbnis giebt jedoch keinen Aufschluss über den
*) Vgl. oben S. 54.
a) Ueber die Bedeutung „treue Hand* vgl. Puntschart, Schuldvertrag
und Treugelöbnis des sächsischen Rechts im Mittelalter (1896) S. 288 fg.
») Liib. Urkb. IX. Nr. 168 S. 167 (1463).
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Schuldvertrag selber.1) Es tritt vielmehr nur zu dem Schuld-
vertrage hinzu, „der Zweck des Treugelöbnisses ist einzig und
allein die Begründung der persönlichen Haftung im Sinne des
Einstehens, der Bürgschaft, Gewährschaft oder der Verpfändung
der Person“.2) Die vom Treuhänder übernommenen Pflichten —
ebenso wie die Begründung der Verpflichtungen — ergeben
sich nicht aus dem Treugelöbnisse, für sie ist massgebend
das Schuldversprechen, der Vertrag. Dieser Vertrag begründete
aber drei Hauptverpflichtungen des Treuhänders.3) Die voll-
ständige Ueberlassung der Nutzungen des Grundstückes, der
Schutz des Treugebers in der Ausübung der Nutzung gegenüber
Dritten und die Verpflichtung, nur nach dem Willen des Treu-
gebers über das Grundstück zu verfügen, das ist der Hauptinhalt
des schuldrechtlichen Vertrages zwischen Treugeber und Treu-
händer. Von den ersten beiden Verpflichtungen, die der Treu-
händer übernommen hat, erzählen uns die Quellen nur wenig.
Und doch bestehen sie, müssen sie bestehen, denn sie bilden
den eigentlichen Grund für das Aufkommen des Treuhänder-
institntes. Die Unmöglichkeit für Fremde und Geistliche, ein
völliges, dem Eigentumsrechte fast gleich kommendes Nutzungs-
recht an Grundstücken zu erlangen, führte zu den Zuschreibungen
zu treuen Händen. Ihr Zweck war, dem Fremden oder Geist-
lichen die Möglichkeit zu eröffnen, ein Grundstück in Lübeck
für sich völlig nutzbar zu machen und jeden anderen Willen
bezüglich des Grundstückes auszuscbliessen. Aber Eigentum
konnten sie nicht erlangen. Daher musste ein anderer für sie
das Eigentumsrecht an dem Grundstück erwerben, während die
Fremden oder die Geistlichen ein dem Eigentumsrechte sehr
nahe kommendes Nutzungsrecht erwarben. Wurdon daher auch
die Grundstücke dem Treuhänder aufgelassen, wurden sie auch
dem Treuhänder im Oberstadtbuch zugescbrieben, kraft des
zwischen dem Treugeber und Treuhänder geschlossenen Scbuld-
') Auf das Verbältuis zwischen Schuldvertrag und Treugelöbnis kann
hier nicht näher eingegangen werden. Eine Uebersicht über die verschiedenen
Ansichten giebt Pnnt schart a. a. 0. S. 1 fg.
*) Puntschart a. a. O. S. 513, vgl. auch S. 376 fg, 406 fg. Ferner
R. Schröder. Recbtsgeschichte (3. Aufl.) S. 716. Heusler, Institutionen
Bd. H. S. 245 fg. Qierke, Grundzüge a. a. 0. S. 624 u. s. w.
3) Vgl. Beyerle a. a. O. S. 150 fg.
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Vertrages, war der Treuhänder dem Treugeber zur Einräumung
eines weitgehenden dinglichen Rechtes verpflichtet. Dem Treu-
händer kam der Genuss des Grundstückes nicht zu, er war
vielmehr dem Treugeber zur völligen, uneingeschränkten Ueber-
lassung der Nutzungen des Grundstückes verpflichtet. Doch
nicht nur dies allein. Der Treuhänder musste auch während
des Bestehens des Treuhänderverhältnisses den Treugeber in
dem Genüsse des Gutes schützen. Er hatte als Eigentümer des
Grundstückes den Treugeber gegen jeden unberechtigten An-
spruch Dritter in Schutz zu nehmen. Wir haben oben gesehen,
dass der Treugeber allerdings mit dem Veräusserer den schuld-
rechtlichen Vertrag, das Gedinge, abgeschlossen hatte. Der
dingliche Uebereignungsakt vollzog sich jedoch zwischen dem
Veräusserer und dem Treuhänder. Daher hatte auch der Ver-
äusserer nicht dem Treugeber, sondern dem Treuhänder Gewähr
zu leisten für den Fall der Anfechtung innerhalb der gesetz-
lichen Einspruchsfrist von Jahr und Tag.1) Erst nach Ablauf
dieser Frist erlangte der Treuhänder rechte Gewere an dem
Grundstücke. Während aber bei der landrechtlichen Treuhand
der Treuhänder dem Dritten, dem er das Eigentum an dem
Grundstücke übertrug, ebenfalls Gewähr leisten musste, konnte
bei Tier stadtrechtlichen Treuhand dem Treugeber gegenüber
eine solche Gewährleistung nicht eintreten; der Treuhänder
behielt ja selbst das Eigentum an dem Grundstücke und überliess
nur die Nutzungen und die Verfügung über das Grundstück
dem Treugeber. Der Treuhänder ist überhaupt nicht Vormann
des Treugebers.2) Eine Gewährleistung des Treuhänders kann
dem Treugeber gegenüber nie eintreten, wohl aber kann der
Treuhänder seinerseits wieder einem Dritten Gewähr zu leisten
haben, wenn er nämlich dem Willen seines Treugebers gemäss
das Grundstück an einen Dritten weiter veräussert.3) Dagegen
') Hach II. 23: .So war on mau en emo vorkoft iemanne he schalet
emo nplaten nor deme rade vnde schal is ene waren iar unde dach . .*
Vgl. Hach III. 130. — Diese Gewährleistung beruht also auf statutarischer
Vorschrift, nicht wie Pauli, Abh. I. S. 145 meint, auf einer besonderen
Uebernakine bei der Auflassung. Vgl. dagegen auch Rehme a. a. 0. S. 148
Note 143.
s) Vgl. Beyerle a. a. O. S. 152.
3) Es ist dies auch ein Fall, in dem der Treuhänder eventuell einen
Anspruch gegen den Treugeber geltend machen kann.
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hat der Treuhänder dem Treugeber gegenüber eine andere
Pflicht. Nicht dem Treugeber, sondern dem Treuhänder hatte
der Veräusserer Gewähr zu leisten.1) Wurde innerhalb der
Frist von Jahr und Tag Einspruch gegen die Eintragung des
Treuhänders erhoben, so hatte der Treuhänder dem Treugeber
gegenüber die Pflicht, die Realisierung der Gewährleistung des
Veräusserers herbeizuführen. War diese Frist verstrichen, so
hatte der Treuhänder den Treugeber weiter gegen alle ungerecht-
fertigten Angriffe Dritter zu verteidigen.2) Der Treuhänder
war Eigentümer, er hatte mithin auch die Vertretung vor
Gericht.3) Er führte diese Vertretung vor Gericht formell im
eigenen Namen, denn er war der eingetragene Eigentümer; er
hatte jedoch dabei den Anweisungen seines Treugebers zu folgen.
Er hatte das Grundstück zu „vorantworden . . . ane jenigerleye
vortogheringo offte wedderrede edder arghelist . . ,“4) Aus
diesen Worten kann man folgern, dass der Treuhänder nur
dann von dem Treugeber wegen der Verteidigung in Anspruch
genommen werden konnte, wenn er gegen den Willen des Treu-
gebers gehandelt hatte, wenn ihm „arghelist“ zum Vorwurf ge-
macht werden konnte.
Wie schon in diesen beiden Fällen, der Ueberlassung der
Nutzungen und der Schutzpflicht, so hatte der Treuhänder auch
in allen anderen Fällen den Weisungen des Treugebers zu folgen.
Allerdings war der Treuhänder auch dem Treugeber gegenüber
Eigentümer; aber kraft der dem Treugeber zukommenden ding-
lichen Rechtsstellung konnte der Eigentümer nur nach den An-
weisungen des Treugebers Verfügungen treffen.5) Der Treu-
händer musste dem Willen des Treugebers sich unterordnen.
Zwar hatte er nicht den Schuldvertrag abzuschliessen, dies tat
i) Es geschah dies meist durch Stellung von Bürgen; doch finden sich
auch Beispiele für Verpfändungen von unbeweglichen Sachen. Vgl. Rehme
a. a. O. S. 148 f. Pauli, Abh. I. S. 145. Vgl. auch v. Duhn a. a. O. 8. 15.
ä) Vgl. Beyerle a. a. O. S. 153.
ä) Vgl. oben S. 67; ferner Lämmer a. a. O. S. 15. Bey erle a. a. 0. S. 153.
«) Lüb. Urkb. VII. Nr. 375 S. 361 (1430).
5) Daher finden wir in den Niederstadtbuchseintragungen fast allgemein
die Formel, dass nicht dem Treuhänder, sondern dem Treugeber das Grund-
stück gehöre. Vgl. i. B. Lüb. Urkb. IV. Nr. 437 8. 482 (1384): .. . nec
ego et mei heredes quicquam iuris non habemus in cadem . . .* Lüb. Urkb.
V. Nr. 553 S. 597 (1415). VIII. Nr. 664 8. 704 (1450). Vgl. oben S. 61.
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der Treugeber selber, er musste aber die dingliche Verfügung
gemäss dem Aufträge des Treugebers ausführen. So hatte er
vor allem auf Veranlassung des Treugebers das Grundstück an
Dritte aufzulasseu, resp. seine Mitwirkung bei der Eintragung
eines Dritten, an den der Treugeber, sei es durch V erkauf oder
Schenkung, veräussert hatte, nicht zu versagen. Doch auch
alle anderen dinglichen Verfügungen wie Verpfändung u. s. w.
hatte der Treuhänder auf Ansuchen, auf Mutung des Treugebers
auszuführen. Dies geht unzweifelhaft aus der oben1) angeführten
Urkunde hervor. Diese Urkunde zeigt zugleich aber auch, dass
der Treuhänder nicht nur auf Mutung des Treugebers hin die
dingliche Verfügung zu treffen hatte, sie zeigt weiter, dass der
Treuhänder zu einer derartigen Verfügung im Verhältnisse zum
Treugeber ohne dessen Willen nicht berechtigt war. Erklärt
doch der Treuhänder ausdrücklich, dass er
„. . . . den erbenameden hoff schol vnde wil nummende
„vorkopcn, vorpanden ofto vorsetten vor deme erwerdigben
„lade edder rechte to Lubik ofte vor nyneme rechte,
„dat sy gheestlik edder werlik . . .“2)
Verletzte der Treuhänder diese Pflicht, übertrug er z. B. ohne
oder gegen den Willen des Treugebers das Eigentum am Grund-
stücke auf einen Dritten, so wurde der Treuhänder jedenfalls,
wie aus den Urkunden hervorgeht, kraft des zwischen Treu-
händer und Treugeber geschlossenen Vertrages obligatorisch
verpflichtet.3) Durch den Vertrag zwischen Treugeber und
Treuhänder hatte letzterer die Pflicht übernommen, nur nach
den Anweisungen des Treugebers über das Grundstück, resp.
über die Rente zu verfügen. Verletzte der Treuhänder durch
eine selbständige Verfügung Uber das Grundstück seine über-
*) Vgl. oben S. 57.
*) Vgl. nuch das Testament von 1383 bei Pauli, Abb. I. S. 62.
*) Für die laDdrechtliche Treuhand ist es bestritten, ob den Treuhänder
eine schuldrechtliche Verbindlichkeit traf. Dafür erklären sich Beseler,
Erbverträge I. S. 266 fg., 281 fg. Merkel, Zeitschrift für Rechtsgeschichte
Bd. II. S. 147. Stobhe, lieber die Salmannen a. a. 0. S. 426. Hausier,
Institutionen Bd. I. S. 221. Bewor, Sala, traditio, vestitura (1880) S. 77
Note 8. Dagegen namentlich A. Schultze, Die langobnrdische Treuhand
und ihre Umbildung zur Testamentsvollstreckung (Gierke, Untersuchungen
zur deutschen Staats- uud Kechtsgeschichte Heft 41)) S. 145 fg.
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nommenen Verpflichtungen, so machte er sich jedenfalls eines
Vertragsbruches schuldig. In Folge des Treugelöbnisses haftete
er dem Treugeber persönlich. Es fragt sich nur, ob eine der-
artige Verfügung gegen den Willen des Treugebers sowohl
dem Treugeber als auch Dritten gegenüber rechtliche Wirkungen
ausüben konnte. Ist der Treuhänder nicht nur schuldrechtlich
dem Treugeber verpflichtet, sondern sind ihm auch dinglich die
Hände gebunden? Ist seine Stellung eine völlig unbeschränkte,
nur durch den schuldrechtlichen Vertrag begrenzte, oder steht
ihm nur ein dinglich gemindertes Recht zur Seite? Der Treu-
händer war, wie gezeigt, Eigentümer des Grundstückes. Man
könnte daraus folgern, dass er mithin auch unbeschränkt ver-
fügungsberechtigt gewesen sei, so dass seine Verfügungen unter
allen Umständen auch dingliche Rechtswirkungen ausübten.
Wollte man das Verhältnis zwischen Treuhänder und Treugeber
rein schuldreebtlich auffassen, so würde der Treugeber allerdings
einen Einspruch gegen derartige Verfügungen des Treuhänders
nicht haben. Nun beruhte die Stellung des Treugebers zwar
auf einem schuldrechtlichen Vertrage. Aber kraft dieses schuld-
rechtlichen Vertrages stand dem Treugeber ein weitgehendes
dingliches Recht zur Seite. Durch den schuldrechtlichen Vertrag
hatte der Treuhänder die Verpflichtung dem Treugeber gegenüber
übernommen, diesem die Nutzungen des Grundstückes im vollsten
Masse zu überlassen und nur nach seinen Weisungen mit dem
Grundstücke zu verfahren. Dieses weitgehende Nutzungsrecht
verlieh dem Treugeber ein weitgehendes dingliches Recht, das
auf der Einräumung der Gewere am Grundstück beruhte. Kraft
des zwischen dem Treuhänder und dem Treugeber geschlossenen
Vertrages hatte der Treuhänder die tatsächliche Herrschaft
über das Grundstück dem Treugeber zu überlassen, er hatte
ihm die Nutzung des Grundstückes einzuräumen. Dadurch
erlangte der Treugeber aber nicht nur einen persönlichen An-
spruch gegen den Treuhänder auf Erfüllung seiner übernommenen
Verpflichtungen, sondern durch die Einräumung der tatsächlichen
Herrschaft über das Grundstück wurde das ursprünglich rein
schuldrechtliche Verhältnis zwischen Treuhänder und Treugeber
verdinglicht. Es ist dies nicht etwa etwas, was dem Rechts-
verhältnisse zwischen Treuhänder und Treugeber eigentümlich
wäre. Vielmehr beruht dies auf der allgemeinen dcutschrecht-
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liehen Vorstellung, dass jedes persönliche Recht auf Sachherrschaft
durch Hinzutreten einer Gewere zu einem dinglichen Rechte
wurde.1) Dieses dingliche Recht des Treugebers war nun ein
überaus weitgehendes. Es war nicht nur ein uneingeschränktes
Nutzungsrecht, sondern es begründete auch für den Treuhänder
ausgedehnte Verfügungsbeschränkungen, so dass der Treuhänder
nicht gegen den Willen des Treugebers mit dem Grundstücke
verfahren konnte. Diese dingliche Beschränkung des Treu-
händers wurde wirksam auch gegen Dritte, so dass also der
Dritte, wenn ihm vom Treuhänder vertragsbrüchig das Eigen-
tum übertragen wurde, mit der Klage gegen den Treugeber
auf Räumung des Grundstückes abgewiesen werden musste.
Das dingliche Nutzungsrecht des Treugebers wirkte auch gegen
ihn. Der Treugeber hatte gegen jede Vertragsbrüchige Ver-
fügung über das Grundstück von Seiten des Treuhänders ein
Einspruchsrecht. Diese dingliche Rechtsstellung des Treugebers
in Iiübeck folgt aber nicht nur aus dem allgemeinen Prinzipe
des deutschen Rechtes, das jedes mit Gewere ausgestattete Recht
als ein dingliches erscheinen Hess, sondern sie geht auch daraus
hervor, dass in den Niederstadtbüchern und später sogar im
Oberstadtbuch die den Treuhänder beschränkenden Rechte des
Treugebers kurz eingetragen wurden.
Fassen wir zum Schlüsse die Ergebnisse über das Verhältnis
des Treuhänders und Treugebers untereinander und gegenüber
Dritten zusammen. Eigentümer des Grundstückes war nur der
Treuhänder, nur seine Verfügungen über das Grundstück hatten
dingliche Wirkung. Obwohl der Treuhänder aber Eigentümer
war, so war er in seiner Verfügungsbefugnis durch die Stellung
des Treugebers in jeder Hinsicht gebunden. Er hatte dem
Treugeber ausserdem die sämtlichen Nutzungen zu gewähren.
Auf der anderen Seite kam dem Treugeber ein ausgedehntes,
dem Eigentumo fast gleichkommendes, dingliches Recht zu, das
ihm die Nutzungen des Grundstückes gewährte und den Treu-
händer in seinen Verfügungen in jeder Hinsicht beschränkte.
Dagegen konnte er selber nicht mit dinglicher Wirkung über
das Grundstück verfügen, wenn er auch jeden schuldrechtlichen
Vertrag absehliessen konnte. Fragen wir nach der juristischen
*) Vgl. Oierke, Deutsches Privatfecht Bd. II. S. 607 fg.
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Konstruktion dieser Verhältnisse, so müssen wir sagen, dass
sie durchaus eigenartig ist, dass sie mit keinem anderen deutsch-
rechtlichen Institute auf dieselbe Stufe gestellt werden kann.
Eins ist sicher, eine Gemeinschaft zur gesamten Hand liegt
nicht vor. „Bei jeder Gemeinschaft zur gesamten Hand besteht
ein Bereich des ungeteilten Gesamtrechtes, in dem die
Gemeiner nur in ihrer Verbundenheit als Personeneinheit
(kollektive Einheit) berechtigt und verpflichtet und zum Handeln
berufen sind.“1) Zwischen Treuhänder und Treugeber in Lübeck
besteht kein „ungeteiltes Gesamtrecht“. Eigentümer ist
lediglich der Treuhänder, dem das Grundstück im Ober-
stadtbuch zugeschrieben ist. Er allein ist zum Handeln
berufen. Und bei Verfügungen über das Grundstück kann
nur er allein, muss er allein handeln, ein gemeinschaftliches
Handeln ist ausgeschlossen. Es ist für die Treuhand in
Lübeck nicht richtig, wie Beyerlo2) für Constanz ausführt,
dass weder der Treugeber allein, noch der Treuhänder allein
eine Verfügung über das Grundstück treffen konnte. In Lübeck
konnte der Treugeber überhaupt nicht, sondern nur der Treu-
händer dinglich über das Grundstück verfügen. Die Eigentümer-
stellung kommt in Lübeck nur dem Treuhänder zu. Ebenso
wenig ist aber auch der Ansicht Stobbes;i) beizutreten. Stobbe
zertrennt das Verhältnis in eine äussere und eine innere Seite.
Nach aussen sei der Treuhänder, nach innen der Treugeber
Eigentümer gewesen. Auch dies trifft nicht zu. Der Treuhänder
ist in Folge der Eintragung als Eigentümer im Oberstadtbuch
auch seinem Treugeber gegenüber Eigentümer. Man hat sich
die Rechtsstellung des Treuhänders nicht so vorzustellen, dass
er Dritten gegenüber andere Rechte als dem Treugeber gegen-
über hätte geltend machen können. Die Stellung des Treuhänders
in Lübeck war eine einheitliche, nicht in eine äussere und eine
innere Seite gespalten. Auf der anderen Seite ist aber das
Rechtsverhältnis zwischen Treuhänder und Treugeber nicht als
ein rein schuldrechtliches aufzufassen. Wohl kann man dem
*) Gierke, Grumlziige a. a. O. S. 478.
*) Beyerle a. a. O. S. 83, 166 fg.
5) Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts Bd. II. (3. Auf!.)
S. 297. Stobbe, Ueber die Salmannen a. a. 0. S. 431.
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so
Treuhänder eine fiduziarische Gewalt zuschreiben.1) Denn er
hatte seine Eigentümerstellung im Interesse des Treugebers,
von dessen Weisungen er bei dem Gebrauche seiner Rechtsmacht
abhängig war. In diesem Sinne sprechen die Urkunden von
Uebertragung „ad fideles manus“. Man darf jedoch nicht so
weit gehen, für das Verhältnis zwischen Treuhänder und Treu-
geber den römisch-rechtlichen Begriff der fiducia oder den Begriff
eines fiduciarischen Rechtsgeschäftes anzuwenden.2) Sowohl bei
der fiducia als auch bei dem modernen fiduciarischen Rechts-
geschäfte ist der Fiduciar unbeschränkter Eigentümer und nur
durch obligatorischen Vertrag dem Fiducianten gegenüber ver-
pflichtet. Bei dem Verhältnis zwischen Treuhänder und Treu-
geber dagegen kommt dem Treuhänder nur ein ganz beschränktes
Eigentum zu, dem Treugeber steht auf der anderen Seite ein
weitgehendes dingliches Recht zur Seite. Nicht nur würde sich
der Treuhänder durch eine Verfügung gegen den Willen des
Treugebers eines Vertragsbruches schuldig machen, sondern
dem Treugeber steht kraft seiner dinglichen Rechtsstellung
auch gegen derartige Veräusserungen ein Einspruch zu.
Bei der landrechtlichen Treuhand stellt sich das Verhältnis
zwischen Treuhänder und Treugeber insofern völlig anders dar,
als der Treuhänder seine Rechtsmacht vom Treugeber erhielt,
während im Stadtrechte der Treuhänder seine Eigentümerstellung
vom dritten Veräusserer empfing. Im Landrechte überträgt der
Treugeber selber das Eigentum auf den Treuhänder, wenn auch
die dingliche Herrschaft des Treuhänders keine unbeschränkte
ist3) und der Treugeber auch für sich ein dingliches Recht
*) Vgl. Beseler, Erbverträge Bd. I. 8. 267. Hausier, Institutionen
Bd. I. S. 216. A. Schnitze a. a. O. S. 95 fg.
*) Dies tun für die landrechtliche Treuhand Be wer a. a. O. S. 76 fg.
R. Schmidt, Die Affatomie der lex Salica (1891) S. 82.
*) Auf die Ansicht, dass bei der landrecbtlichen Treuhand der Treu-
geber nur als Vertreter des Treugebers anzusehen sei, dass also nur ein
obligationenrechtliches Verhältnis zwischen beiden Vorgelegen habe, kann
hier nicht näher eingegangen werden Vgl. Heusler, Institutionen Bd. I.
S. 217fg. A. Schnitze, Die langobardische Treuhand a. a. O. S. 60fg.
R. Schröder, Rechtsgeschichte (3. Aufl.) S. 697. Gierke, Grundzüge
a. a. O S. 452.
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81
zurückbehielt.1) Ganz anders im Stadtrechte. Hier überträgt
der dritte Veräusserer auf den Treuhänder dieselbe Rechtsmacht,
die er selber inne gehabt hat, ohne auch nur etwas für sich
zurückzubehalten. Der Treuhänder wird durch den Dritten
Alleineigentümer. Da nun der Treuhänder sein Eigentumsrecht
auf den Treugeber nicht überträgt, ja gar nicht übertragen
kann, so folgt daraus, dass auch in dem Verhältnisse des Treu-
händers zum Treugeber nur der Treuhänder Eigentümer sein
konnte.2) Die Schwierigkeit besteht nur darin, dass der der
Eigentumsübertragung zu Grunde liegende Schuldvertrag nicht
von dem Veräusserer und dem Treuhänder, sondern von dem
Veräusserer und dem Trengeber abgeschlossen worden war und
dass auch in der Folgezeit der Treugebor über das Grundstück
schnldrechtliche Verträge abschliessen konnte. Die erste
Schwierigkeit wird meiner Ansicht nach durch die Zuhülfenahme
der Verträge zu Gunsten Dritter gehoben, die im deutschen Rechte
von jeher anerkannt waren.3) Durch den zwischen dem Dritten
und dem Treugeber abgeschlossenen schuldrechtlichen Vertrag,
sei es Kauf, Schenkung u. s. w., wird der Dritte verpflichtet,
dem Treuhänder das Grundstück aufzulassen und es für ihn im
Oberstadtbuch eintragen zu lassen. Aus diesem Vertrage wird
aber gleichzeitig der Treuhänder berechtigt, diese Eigentums-
übertragung selbständig zu verlangen. Hinsichtlich der zweiten
Schwierigkeit ist auf die Rechtsstellung des Treugebers zu ver-
weisen, die einmal auf dem schuldrechtlichen Vertrage zwischen
dem Treuhänder und Treugeber, der notwendig dem Vertrage
zwischen Treugeber und dem Veräusserer zeitlich vorausgehen
muss,4) sodann aber auf der dinglichen Rechtsmacht des Treu-
gebers beruhte. Durch den schuldrechtlichen Vertrag übernahm
*) Vgl. besonders Heusler, Institutionen Bet. I. S. 218fg. A. Schnitze
a. a. 0. S. 76. Huber a. a. 0. S. 61 Note 143. Auf die im einzelnen von
einander abweichenden Meinungen Heusler« und Schnitzes soll hier nicht
näher eingegangen werden. Vgl. darüber Beyerle a. a. O. S. 19 fg.
5) Vgl. auch Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. H. S. 200 Note 58;
hier schreibt Gierke dem Treuhänder Eigengewere, dem Treugeber nur
vererbliche Nutzungsgewere zu.
3) Gierke, Grundzüge a. a. O. S. 526. R. Schröder, Rechts-
geschichte (3. Auf! ) S. 718, 760 Note 4. Heusler, Institutionen Bd. I. S. 21 1.
4) Dies zeitliche Auseinanderfallen geht auch ans LUb. Urkb. V. Nr. 359
S. 401 (1411) hervor.
Loening, Grundorwerb mul Treuhand in Lübeck 6
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82
der Treuhänder nicht nur die persönliche Verpflichtung, dem
Treugeber die Nutzungen des Grundstückes zu überlassen und
nur nach dessen Weisungen über das Grundstück zu verfügen,
sondern der Treuhänder übernahm dadurch auch die Verpflichtung,
dem Treugeber ein weitgehendes dingliches Recht an dem
Grundstücke einzuräumen, das die Realisierung dieser persön-
lichen Verpflichtung ermöglichte. So erlangte der Treugeber
nicht nur einen persönlichen Anspruch gegen den Treuhänder
auf Ueberlassung der Nutzungen, sondern er erlangte auch eine
dingliche Rechtsmacht, die ihm einen ausreichenden Schutz gegen
Vertragsbrüchige Verfügungen durch den Treuhänder gewährte.
So sehen wir denn, dass bei der städtischen Treuhand
Eigentum und Nutzungsrecht in einer Weise konkurrieren, wie
wir sie sonst bei keinem deutschrechtlichen Institute wieder
finden. Eigentum gebunden durch ein weitgehendes dingliches
Nutzungsrecht und begrenztes dingliches Recht, das dem Eigentume
nahe stand, das sind die wesentlichen Momente der städtischen
Treuhand in Lübeck. Kein Gesamteigentum, wie Beyerle
anniramt, kein geteiltes Eigentum, wie Stobbe1) will, sondern
Alleineigentum des Treuhänders, gebunden durch ein weit-
gehendes dingliches Recht. Eine derartige ausgedehnte Be-
schränkung des Eigentumes steht auch mit dem deutschrechtlichen
Eigentumsbegriffe nicht im Widerspruch. Das deutsche Eigentum
ist kein ausschliessliches Herrschaftsrecht; es ermöglicht neben
ihm weitgehende dingliche Rechte,2) die das Eigentum in den
mannigfachsten Beziehungen beschränken können, die sogar den
Eigentümer in seiner Verfügungsmacht von dem Willen des
dinglich Berechtigten abhängig machen können. Ein derartiges,
weitgehendes dingliches Recht steht dem Treugeber an dem
Grundstücke zu. Das ihm eingeräumte Recht beschränkte den
Eigentümer des Grundstückes in jeder Beziehung, so dass er
nur nach dem Willen des Treugebers verfügungsberechtigt war.
Trotzdem aber blieb der Treuhänder Eigentümer. Dies erhellt
schon daraus, dass ihm, nicht dem Treugeber, die auf dem
') Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts Bd. II. (3. Aufl.) S. 896.
*) Vgl. darüber besonders Gierte, Deutsches Privatrecht Bd II.
S. 347 fg., 359. Gierke, Das deutsche Genossenscbaftsrecht Bd. II. S. 138 f.
Gierke Grundziige a. a. 0. 8. 488.
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83
Grundstücke lastenden öffentlich-rechtlichen Pflichten oblagen,
dass ihm die mit dem Grundeigentums verbundenen öffentlichen
Rechte zustanden. Daraus ergiebt sich aber weiter, dass der
Treuhänder nicht nur formell Eigentümer des Grundstückes ist,
während materiell der Treugeber als Eigentümer anzusehen
wäre.1) Der Treuhänder ist wirklicher Eigentümer, nicht nur
Scheineigentümer. Er ist aber durch die dingliche Rechtsmacht
des Treugebers im weitesten Masse gebunden. Ueberall da,
wo dies dingliche Recht des Treugebers dem Treuhänder keine
Schranken setzt, tritt das Eigentum des Treuhänders in volle
Wirksamkeit. Der Treugeber ist auch nicht materieller Eigen-
tümer, denn sonst müssten auch ihm die öffentlichen Rechte
und Pflichten zustehen, die mit dem Grundeigentume in Lübeck
verbunden waren. Gerade dieser Umstand war es aber, der
dazu geführt hatte, den Grundeigentumserwerb durch Fremde
und Geistliche auszuschliessen. Man kann m. E. nur dann von
einem formellen und materiellen Eigentume sprechen, wenn
wirklich alle aus dem Eigentume an einem Grundstücke sich
ergebenden Rechte einem anderen als dem Bucheigentümer zu-
stehen, wenn der materielle Eigentümer auch fähig sein kann,
formeller Eigentümer zu werden. Dies ist aber für Fremde
und Geistliche ausgeschlossen. Meiner Ansicht nach ist das
Verhältnis zwischen Treuhänder und Treugeber am einfachsten
so zu konstruieren, dass dem Eigentumsrechte des Treuhänders
am Grundstücke ein weitgehendes, begrenztes dingliches Recht
des Treugebers gegenüber stand. Auf diese Weise wurden die
Interessen der Stadt im weitesten Masse gesichert und trotzdem
den Fremden und namentlich der Geistlichkeit die Möglichkeit
eröffnet, Grundeigentum und Renten in Lübeck ihren Interessen
dienstbar zu machen. Das Treuhänderverhältnis in Lübeck
zeigt jene eigentümliche Vermischung von personenrechtlichen
und sachenrechtlichen Elementen, wie wir sie so oft im deutschen
Rechte finden. Durch die Verdinglichung des schuldrechtlichen
Vertrages zwischen Treuhänder und Treugeber erlangt der
Treugeber diejenige Rechtsstellung, die ihm ermöglicht, bei
jeder vertragswidrigen Verfügung des Treuhänders Einspruch
zu erheben und die ihm zustehenden Rechte zur Geltung zu
‘) So Ke h ine a. a. O. S. 204.
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84
bringen. Zwischen dem Treuhänder und Treugeber bestand
nicht nur ein schuldrechtlicher Vertrag, der Treuhänder war
nicht nur, wie bei der fiducia persönlich verpflichtet, sondern
zu dem schuldrechtlichen Vertrage traten noch sachenrechtliche
Momente. Die auf der tatsächlichen Saehherrschaft beruhende
dingliche Macht des Treugebers beschränkte den Treuhänder in
jeder Hinsicht, so dass allerdings der Treugeber ein dem Eigen-
turne sehr nahe kommendes dingliches Hecht hatte.
§ 9-
VI. Vererblichkeit Und Beendigung des Treuhänder*
Verhältnisses.
Aus dem im vorigen Paragraphen Gesagten ergiebt sich
mit Notwendigkeit, dass das Recht des Treuhänders vererblich
sein muss. Der Treuhänder ist Eigentümer und vererbt sein
Eigentumsrecht auf seine Erben. Im deutschen Rechte galt der
Satz, der Tote erbt den Lebendigen, d. h. mit dem Augenblicke
des Todes erhielt der Erbe dieselbe rechtliche Stellung, wie der
Erblasser sie vor seinem Tode inne gehabt hatte.'-) Dies muss
auch für die Erben des Treuhänders gelten.'2) Mit dem Tode
des Treuhänders ging das Eigentum an dem ihm im Oberstadt-
buch zugeschriebenen Grundstücke auf seine gesetzlichen Erben
über. Es folgt dies unmittelbar aus der Eigentümerstellung
des Treuhänders. Aber auch abgesehen hiervon, liefern
die Urkunden zahlreiche Beweise für die Vererblichkeit der
Treuhänderstellung. In den meisten Niederstadtbuchseintragungen,
in denen der Treuhänder erklärt, dass ihm das Grundstück nur
zu treuen Händen im Oberstadtbuch zugeschrieben sei, giebt
er diese Erklärung auch im Namen seiner Erben ab. So heisst
es z. B.:
„Dominus Ludowicus Crul, consnl pro se et suis
„lieredibus coram libro recognouit . . ,“3)
') R. Schröder, Rechtageschichte (3. Auf).) S. 736 und die dort
Note 214 angeführten.
*) Vgl. Beyerle a. a. 0. S. 161 fg.
3) Lilb. Urk. VI. Nr. 305 S. 336 (1421). Vgl. ferner Lüb. Urkb. IV.
Nr. 437 S. 482 (1384). VI. Nr. 159 S. 204 (1419). VI. Nr. 497 8. 504
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85
Aehnlich ist auch folgende Eintragung1):
„. . . mer ik Bernd vorbenomed vnde myne kyndere
„edder eruen hebben an deine vorscreuenen lioue nichtes
„rechtes . .“
Diese Eintragung ist um so interessanter, als eine ähnliche
Erklärung auch von dem Sohne des Treuhänden abgegeben
wurde. Und als dann der ursprüngliche Treuhänder gestorben
war, erklärte sein Sohn den Uebergang der Treuhändereigenschaft
ausdrücklich :
„Ick Diederick Basedauw . . . Bekenne openbar
„befugende vor alswenne vor mij, mijne brodere vnnd
„sustere vnd vnse rechten eruen, dat ick hebbe seen
„vnnd höret mijnes leuen zeligen vaders Bernt Basedouw
„genomet besegilde breff, den he dem hem abbete to
„Dobrann . . . vorsegelt vnd geuen kefft up den louen,
„den he hadde bij sick von des houes wegen .... de
„ehn vnnd sijnen rechten eruen anders nicht denn
„vp louen in der stadt bock tho Lubegk geschreuen is,
„so bekenne ick Diederick vorbenombt, dat ick alse ein
„erue des vorbenombten closters sulcken louen na dem
„dode mijnes zeligen vaders vmme bede willen vnnd
„fruntschap des . . . abbets ... an mij genahmen hebbe
„inn aller mate vnnd wyse, alse mijn vader den louen
„vorgehat hefft vnnd sijn breff darup ludende is, den
„loue ick vor mij, mijne broder vnnd suster vnnd mijnen
„eruen den hern abbete jegenwordich vnnd sijnen
„nakommen des closters Dobbrann ock so gerne tho
„holdende an gudeme truwen . .“2)
Diese Urkunde ist aber weiter noch in doppelter Hinsicht
interessant. Erhellt doch aus ihr, dass beim Vorhandensein
mehrerer gesetzlicher Erben eines Treuhänders seine Befugnisse
auf alle gesetzlichen Erben gemeinsam übergingen und nicht
nur ein einzelner von ihnen die Treuhändereigenschaft ererbte.3)
Note 1 (1421). V. Nr. 359 8. 401 (1411). IX. Nr. 339 8. 340 (1456). VITT
Nr. 664 S. 704 (1450).
') Lüb. Urkb. VH. Nr. 376 8. 351 (1430).
*) LUb. Urkb. IX. Nr. 168 S. 167 (1463).
s) Die Const&nzer Urkunden geben nach Beyerle a. a. 0. 8. 163
hierüber keine Auskunft.
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86
Denn Dietrich Basedow erklärt nicht nur für sich als Erbe
seines Vaters, sondern auch im Namen der übrigen Erben,
seines Bruders und seiner Schwester, dass sie in Bezug auf
den Hof nur Treuhänder seien. Auch andere Urkunden lassen
auf diesen Uebergang auf alle Erben schliessen, in denen der
Treuhänder nicht nur für einen, sondern für alle seine Erben
eine Erklärung vor dem Niederstadtbuch abgiebt.1) Das zweite,
was die obige Urkunde zeigt, ist, dass auch auf Seiten des
Treugebers dessen Stellung auf seine Erben übergeht. Dies
zeigt noch deutlicher eine Niederstadtbuchseintragung von 1421, 2)
in der es ausdrücklich heisst, dass dem Treugeber die Rente
„ad fideles manus asscripti prefati Ottonis Pogwissche et
suorum h'eredum . . .“ Mit dem Tode des Treugebers
erlangen seine Erben genau dieselbe dingliche Rechtsmacht,
die bisher der Treugeber besessen hatte. Sie erlangen kraft
Erbrechtes das dem Treugeber bisher zustehende, weitgehende
dingliche Nutzungsrecht, sie treten aber auch in das zwischen
dem Treuhänder und Treugeber bestehende schuldrechtliche
Verhältnis ein.
Nach diesen Zeugnissen kann es keinem Zweifel unterliegen,
dass nicht nur das Eigentum am Grundstücke, sondern auch die
Rechte und Pflichten des Treuhänders auf seine Erben über-
gingen. Durch den schuldrechtlichen Vertrag zwischen Treu-
händer und Treugeber verpflichtet der Treuhänder nicht nur
sich allein, sondern auch seine Erben.3) Mit dem Tode des
Treuhänders treten seine Erben in den Schuldvertrag zwischen
dem Erblasser und Treugeber ein. Genau wie jede andere
Schuld gingen auch die Verpflichtungen aus dem Treuverhältnisse
auf den Erben des Treuhänders Uber. Die von Beyerle4)
hiergegen erhobenen Bedenken in Folge des deutschen Prinzipes
der beschränkten Erbenhaftung erledigen sich genau so, wie sie
Beyerle für das Constanzer Recht zum Schweigen gebracht
hat. Auch in Lübeck hatte der Erbe nicht nur mit Fahrnis,
») Vgl. z. B. LUb. Urkb. IV. Nr. 437 S. 483 (1384). V. Nr. 359
S. 401 (1411) u. «. w.
=) LUb. Urkb. VI. S. 504 Note 1.
5) Vgl. auch Beyerle a. a. 0. S. 153.
4) Beyerle a. a O.
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87
sondern seit Alters her auch mit den Liegenschaften für die
Nachlassverbindlichkeiten einzustehen.1) Der Erbe haftete zwar
nur mit dem Nachlasse, aber das Grundstück befand sich ja
immer im Nachlasse des Treuhänders. Da jedoch mit dem Tode
des ursprünglichen Treuhänders die persönliche Haftung des
Treuhänders, die durch das Treugelöbnis begründet war, auf
dessen Erben nicht überging, so scheinen sich die Treugeber
von den Erben des Treuhänders ebenfalls ein Treugelöbnis haben
ablegen lassen.2)
Wurde durch den Tod des Treuhänders oder des Treugebers
das Treuverhältnis nicht aufgelöst, so gab es doch einige Gründe,
wodurch der Treuhänder seiner Verpflichtungen ledig wurde.
Der Hauptfall ist der, dass er nach dem Willen des Treugebers
das Eigentum am Grundstücke einem anderen übertrug. Dem
früheren Treugeber gegenüber wurde damit das Verhältnis gelöst.
Der Treuhänder liess den Erwerber im Oberstadtbuch eintragen,
wodurch der dritte Erwerber Eigentümer wurde, natürlich mit
der aus der dinglichen Stellung des Treugebers sich ergebenden
weitgehenden Belastung. Durch sonstige dingliche Verfügungen
dagegen verlor der Treuhänder seine Stellung nicht Gegen
den Willen des Treugebers konnte der Treuhänder nicht etwa
derart ausscheiden, dass er gegen dessen Willen das Eigentum
am Grundstücke auf einen Dritten übertrug. Dies w'ar ihm in
Folge seiner beschränkten Verfügungsmacht unmöglich. Von
Seiten des Treugebers konnte das Verhältnis nur dadurch ein-
seitig gelöst werden, dass er auf sein dingliches Recht freiwillig
Verzicht leistete. Hierdurch entstand in der Hand des Treu-
händers freies, durch die dinglichen Rechte des Treugebers
nicht mehr gebundenes Eigentum.
') Vgl. Pauli, Abh. III. S. 146 fg. R. Schröder, Rechtegeschichte
(3. Aufl.) S. 738 Note 226. Michel sen, Oberhof Nr. 200 8. 272. Hach II. 31.
s) Vgl. LÜb. Urkb. IX. Nr. 168 S. 167 (1453).
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Verlag von M. & H. Marcus in Breslau, Kaiser Wilhelmstr. 8
Abhandlungen
aus dem
Staats- und Verwaltungsreeht
mit Einschluss des Kolonialrechts
In zwanglosen Heften berausgegeben ron
D. Dr. Siegfried Brie Dr. Max Fleischmann
ord. Professor an der Universität Breslau Privatdozent an der Universität Halle
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2. Glatzer, Felix: Das Recht der provisorischen Gesetzgebung in
Sonderheit nach preussisebem Staatsrecht. Ein Beitrag zur
Lehre von Gesetz und Verordnung 3,50 Hk.
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Landesrechte. Eine geschichtliche und dogmatische Entwicklung
des Grundsatzes, dass .die Reichsgesetze den Landesgesetzen
Vorgehen’ (RV. a. 2), unter eingehender Berücksichtigung der
modernen bürgerlichen Gesetzgebung 6, — Mk.
4. Steinltz, Julius: Dispensationsbegriff und Dispensationsgewalt
auf dem Gebiete des Deutschen Staatsrechts 2,60 Hk.
5. Hamburger, Georg: Die staatsrechtlichen Besonderheiten der
Stellung des Reichslandcs Elsass-Lothringen im Deutschen Reiche 3,20 Mk.
6. Freund, Ismar: Die Regentschaft nach preussisebem Staatsrecht
unter Berücksichtigung der in den übrigen deutschen Bandes-
staaten geltenden Rechte 3, Bo Hk.
7. Bahrfeidt, Max: Der Verlust der Staatsangehörigkeit durch
Naturalisation und durch Aufenthalt im Auslande nach gelten-
dem deutschem und französischem Staatsrechte 2, — Hk.
8. v. Poser und («ross-Naedlitz, Victor: Die rechtliche Stellung
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9. Fleischer, Max: Die Zuständigkeit des deutschen Bundosrates
für Erledigung von öffentlichrechtlichen Streitigkeiten .... 3,60 Hk.
10. Riess, Alfons: Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körper-
schaften bei Staatsverträgen nach deutschem Staatsrechte . . 3, — Hk.
11. Riess, Curt: Auswärtige Hoheitarechte der deutschen Einzel-
staaten 2,40 Hk.
12. Wiese, Wilhelm: Verfassungsänderungen nach Reichsrecht . . 2,40 Hk.
13. Schreiber, Karl: Die Beteiligung des Staates an den Volks-
schullasten in Preussen 1,60 Hk.
14. W'alther, Karl: Das Staatshaupt in den Republiken 6,40 Hk.
Otto Hlllif er’i Buchdruckerei, Altwasser.
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Die Justinianischen Enterbungsgründe
von
Prof. Dr. Johannes Merkel
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto Gierke
Profeieor Cer Rechte an Cer Universität Berlin
94. Heft
Die Justinianischen Enterbungsgründe
von
Prof. Dr. Johannes Merkel
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1908
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Die
Justinianischen Enterbungsgründe
Eine rezeptionsgeschiclitliche Studie
von
Dr. Johannes Merkel
Professor der Rechte an der Universität Göttinnen
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1908
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Kurze Inhaltsübersicht
Seite
§ X. Das Justinianische Recht und seine Vorläufer 3
§ 2. Die byzantinische Überlieferung 15
§ 3. Die romanischen Versionen 22
§ 4. Die deutschen Rezeptionsformen bis zum 18. Jahrhundert ... 46
§ 5. Die neuereu Gesetzgebungen und Entwürfe 123
[Eine eingehendere Inhaltsangabe, welche zugleich ein Quellenverzeichnis
enthält, findet sich am Schlüsse.]
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Unter den römischen Rechtseinrichtungen gibt es wohl
wenige, welche eine so weit ausgedehnte Verbreitung gefunden
haben, wie das erst vom Kaiser Justinian geschaffene Rechts-
institnt der Enterbungsgründe, d. h. die Bestimmungen darüber,
aus welchen Ursachen es den in gerader Linie miteinander ver-
wandten Personen gestattet sein sollte, mittelst letztwilliger
Verfügung sich das gegenseitig zustehende gesetzliche Erbrecht
zu entziehen1). Danach durften andere, als die damals auf-
') „Enterben“ bedeutet in jedem Falle eine Tätigkeit des Erblassers.
Im römischen Rechte ist cs die ausdrückliche Willenserklärung, dass ein ge-
setzlich Erbberechtigter von der Erbschaft ausgeschlossen sein solle, und
konnte nicht anders als in Verbindung mit der Einsetzung anderer Erben
erfolgen. Dies biess: exheredare, exheredem scribere alifinem (vgl. Heu-
mann, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 9. Aull. (1907),
s. v. exheredare), «Ttixlr^ov oder «noxXtiQovöfior , auch nito xXt,Qovöfuor,
jtoihV oder «noXifinäveo&at uv« (vgl. Bas. 35, 8 und Nov. 115, 3). Aber im
weiteren Sinne konnte auch eine Verfügung über den Nachlass zugunsten
anderer Personen, als der gesetzlichen Erben, ohne Nennung der letzteren
als „Enterbung“ bezeichnet werden, was sonst „praeterire“, äfxvr^ivtujov
xai aXifinavtiv genannt wurde (vgl. Bas. 35,8,36 = Nov. 115,3); man
sprach von „silentio exheredare* (D. 38, 2, 12 pr. Ulpian) und „silentio prae-
terire“ (D. 29, 1, 41, 3 Tryphoninus). Anders im germanischen Rechte. Da
diesem weder eine Erbeinsetzung noch eine Enterbung im ersten Sinne be-
kannt war (s. unten im Anfang von § 4), so sprach es von „Enterben“ nur
im zweiten Falle, wenn eine Verfügung über das Vermögen zum Nachteil
der künftig Erbberechtigten erfolgt war. Vgl. Freusdorff, Dortmunder
Statuten und Urteile, 1882, S. 326, s. v. Enterben : „etwas tun, was den an-
dern eigentumslos macht oder sein Erbrecht kränkt“; C. Fipper, Das Bei-
spruchsrecht nach altsächsischem Recht, 1879, S. 54: „durch Veräussernng
der Sache die Möglichkeit entziehen, in ihren Besitz einst durch Erbfolge
einzurücken“. Halt aus in seinem Glossarium Gcrmanicmn medii aevi,
Merket, KoterlomgsgriiDdo 1
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2
gestellten Fälle nach ausdrücklicher Festsetzung des Kaisers
nicht mehr als zulässig angesehen werden. Die Angabe anderer
Gründe im Testament würde die Ungültigkeit der Enterbung
zur Folge gehabt haben, und ohne ausdrückliche Angabe irgend-
eines zutreffenden Grundes war die Enterbung ohne weiteres
wirkungslos. Diese Vorschriften sind in dem Justinianischen
Gesetze vom 1. Februar 542, der Nov. 115 cap. 3—5 pr. , ent-
halten *).
Die Wanderschaft dieses antiken Fragments durch die Ge-
setzbücher der Welt ist schon anderen Forschern aufgefallen 2),
und es schien daher vom Standpunkte der Rezeptionsgeschichte
aus — und zwar nicht allein von demjenigen der deutschen —
einiges Interesse zu gewähren, den Wegen nachzuspttren, welche
es bei seiner Wanderung eingeschlagen hat. Sie führen bis in
die Gegenwart herein, und, wenn man die verschiedenen Formen
Tom. I, 1758, S. 320 s. v. enterben definierte: „spe et iure ac succcssioue in
bona hereditaria priunre“ und gab daftlr Belege, denen aucli noch die Formel
zum Ed. Rothari (Zeit sehr, f Recbtsgescbichtc, VIII, 1869, S. 482) hinzugeffigt
werden kann. Vgl. ferner Zöpfl, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aufl , III,
1872, § 113 N. 15 (S. 214). In diesem Sinne war „Enterben“ gleichbedeutend
mit .erblos machen“ (vgl. Haitaus, I S. 377, s. v. erblos) und konnte z. B.,
wie nach dem Kleinen Kaiserrechte II, 10, wegen Verschwendungssucht eiues
Kindes (als exheredatio bona meute) geschehen. Ja auch die in demselben
Rechtsbnche (11,8) geordnete Vertreibung aus dem Hause wegen „Ungehor-
samkeit“, die Emanzipation, lässt sich trotz des Widerspruches bei v. Gosen,
Das Privatrecht nach dem Kl. Kaiserrechtc, 1866, 8. 162 N. 17, als „eine
Art der Enterbung* im deutschrechtlichen Sinne wohl bezeichnen, wie dies
H. Siegel, Das deutsche Erbrecht nach den Rechtsquellen des Mittelalters,
1853, S. 133 N. 533, getan hat.
*) Corpus iuris civilis, ed. stereotypa, vol, III, 1895, S. 534 ff. ; C. E.
Zachariae a Lingenthal, Imperatoris Justiniani Novellae, pars II, 1881,
const. CXXXVI.
*) Vgl. Bluntscbli, Deutsches Privatrecht, § 236,3 (3. Aufl., 1864,
S. 704), welcher sich jene Erscheinung daraus zu erklären sucht, dass die
Aufzählung der GrUnde aus Xov. 115 „im Mittelalter einen günstigen Ein-
druck gemacht zu haben“ scheine; auch Frensdorff, Zeitscbr. d. Sav.-Stift.,
Band 26, Germ. Abt., S. 252 (1905), bemerkt in Beziehung auf das revidierte
Braunschweigische Stadtrecht von 1532: „Man liess sich durch das Fremde
imponieren und nahm auf, was man in der Vorlage in kompakter Masse,
bequem in den Novellen zusammenhängend vorfand*. Vgl. denselben in:
Hansische Geschichtsblätter, 1907, S. 37.
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3
betrachtet, in welchen der Fremdling sesshaft geworden ist, so
stellt sich in ihnen zugleich ein Stückchen kulturgeschichtlicher
Entwicklung dar, denn sie greifen ins Leben ein und man wird
doch im allgemeinen voraussetzen dürfen, dass bei ihrer Ge-
staltung im einzelnen die Anschauungen und Bedürfnisse des
Lebens nicht immer völlig aus den Augen gelassen worden sein
mögen. Es tut diesem Umstande keinen Eintrag, weun mit der
.allgemeinen Bekanntheit und, wie es scheint, Beliebtheit des
Gegenstandes seine praktische Bedeutung nicht gleichen Schritt
hält, wie dies die Reformation der Stadt Frankfurt a. M. vom
Jahre 1578 ausdrückt: „Dieweil aber solche Fälle der Ent-
erbung zwischen den Eltern und den Kindern in dieser Statt
bey Menschen Gedenken keine (Gottlob) sich zngetragen und
wir erhoffen, dass auch hinfüro dieselben durch Verleyhung
göttlicher Gnad sich nicht zutragen sollen: so achten wir für
unnötig, die Ehehaften und Ursachen der Undankbarkeit, da-
her die Enterbungen erfolgen, allhie weitläufig aus den keyser-
lichen Rechten zu erzehlen usw.“1). Nichtsdestoweniger finden
sie sich in den meisten der wichtigeren Gesetzgebungen , und
nur wenige haben es, wie die Stadt Frankfurt, gemacht und
sich mit einer blossen Verweisung begnügt.
Eine eingehendere dogmengeschichtliche Behandlung hat
dieser Gegenstand, soviel ermittelt werden konnte, bisher noch
nicht erfahren 2).
§ 1
Das Justinianische Recht und seine Vorläufer
Ehe an die eigentliche Aufgabe herangetreteu wird, dürfte
es am Platze sein, einen Blick auf die Justinianischen Vor-
schriften selber und deren Vorgeschichte zu werfen.
') IV, 3, 9; ebenso noch in der , erneuten“ Reformation von 1611 Bl. 175b.
’) Die umfassendste Materinlsammlnng findet sich bei J. A.Gruchot,
Pronssischcs Erbrecht, Bd. III (1867) S. 147—169 und S. 331 ff. Vgl. ferner
P. v. Roth, Bayrisches Zivilrecht, 2. Aufl , III. Teil, 2. Abt. (1898), § 375
S. 493 ff., und 0. Stubbe, Handbuch des deutschen Privatrechts, V (1885)
§ 306 S. 247 ff.
1»
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4
Hinsichtlich des Enterbungsrechtes bestand im Jahre 542
nach römischem Reichsrechte noch im wesentlichen derselbe Zu-
stand, welchen das Zentumviralgericht im Beginne der Kaiserzeit
geschaffen hatte: Aszendenten und Deszendenten sowie die kon-
sanguinen Geschwister konnten mit der Inoffiziositätsquerel ihre
Enterbung oder Übergehung anfechten und den — im Jahre 536
für die ersteren (durch Nov. 18) neu festgestellten — Pflicht-
teil verlangen, falls sie jene Behandlung nicht „verdient“ oder,
wie man jetzt auch zu sagen pflegte, gegenüber dem Erblasser
sich nicht als „ingrati“ benommen hatten.
Der letztgenannte Ausdruck scheint als juristischer Kunst-
ausdruck zuerst bei den Freigelassenen Anwendung gefunden
zu haben, welche sich einer ungehörigen Aufführung gegenüber
dem Freiiasser schuldig machten und deshalb der „accusatio
ingrati“ verfielen *). Von diesem Rechtsverhältnisse wurde das
Wort dann auf die querela inofflciosi testamenti und inofficiosae
donationis übertragen2) und auch in anderen Fällen gebraucht3).
Die entsprechende griechische Bezeichnung war d/dQioroi (itQt
oder auch eiV rot deha; lat.: circa eum), aber man ver-
wendete in dem gleichen spezifisch erbrechtlichen Sinne auch
dyvuifjuiv*) und besonders „indignus“ (aVcti-ios) seil, successione,
welches Wort also keineswegs auf die technische Indignität im
Sinne von D. 34, 9 und C. 6, 35 beschränkt blieb5). Den
Gegensatz bildet: evxäQioiQg, ti'xaQtoria — während eine ent-
') So schon in der Lei Aelia Sentia: vgl. B. W. Leist, Das römische
Patronatrecbt (aus Glück, Pandektenkommentar, Serie der Bücher 37, 38,
Teil IV), I. Teil, 1879, S. 387 ff. Vgl. ferner D. 37, 15, 4: Bescr. von Severus
und Caracalla; Paul. Scnt. I, B, 2 (D. 37, 14, 19); Ulpian: D. 3,3,35,1;
Cod. Theod. 4, 10, 2 pr. (a. 423).
*) Nach 0. 3, 28, 33, 1 vielleicht schon bei Paulus; ferner in C. 3, 29, 5
(a. 286); interpoliert in C. Th. 2, 19, 2 = C. 3,28,28 pr. (a. 321); C. 3,28,30
pr. (a. 528); C. 5, 9, 10 pr. und §§ 3, 5, 6 (a. 529); Theopil. Inst. II, 18, 1.
*) So bei Entziehung des Ehegutes zugunsten des Fiskus wegen gesetz-
widriger Eheschliessung: C. 5,5,4 pr. (Valent., Theodos., Arcad.), heim
Widerruf von Schenkungen: C. 8, 55, 10 (a. 530), Nov. 22,35 (a. 535), und
bei der gesetzlichen Erbfolge: Nnv. 22, 26, 1, cap. 46 §§ 3, 4, cap. 47 pr.
cap. 48 pr. (a. 535).
4) Nov. 92, 1 (a. 539).
*) C. 3, 28, 1 1 (a. 224) ; C. 6, 35, 10, 1 (a. 294) ; Nov. 1 15, 3, 12 a. E. selber.
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5
sprechende „ingratitudo“ bis zu den Quellen dieser Zeit nicht
vorzukommen scheint — und auch xexapto/tevos; l).
Im Eingänge des Justinianischen Gesetzes (Nov. 115, 3 pr.)
wird nun bemerkt, dass dasselbe durch den unbefriedigenden
Zustand veranlasst worden sei, in welchem sich zu damaliger
Zeit die Ansichten über die Acharistie-Gründe befanden, ohne
deren Vorhandensein Aszendenten ihre Deszendenteu in ihren
Testamenten weder übergehen (praeteritos xaral tfmäveiv) noch
ausdrücklich enterben (anu xlr^ovoiuov noielv) durften. Die Ur-
sachen ( ahiai ), heisst es, aus welchen man die Deszendenten als
axÜQiaToi zu verurteilen {xqiveo&ai) habe, fänden sich in den ver-
schiedenartigsten Bestimmungen verstreut2) und nirgends deut-
lich ausgesprochen ((paveqüs EtQtfttevcu) 8), dazu komme, dass die
einen von ihnen heutzutage zur Begründung einer
Acharistie nicht mehr ausreichend, indessen andere notwendige
übergangen seien. Diese waren die Erwägungen, welche dem
Gesetzgeber die Veranlassung zur Aufstellung seines Kataloges der
„Enterbungsgründe“ boten, während z. B. die andere Vorschrift
desselben Gesetzes, dass der zutreffende Grund in der letzt-
willigen Verfügung ausgesprochen sein müsse, um rechtswirksam
zu sein, nichts völlig Neues enthielt4).
Die Richtigkeit dieser Angaben lässt sich aus Justinians
eigener Gesetzgebung unschwer erweisen, besonders aus dem
Kodextitel „de iuofficioso testamento“ (3, 28). Danach galt
z. B. als axaQtaros ein Sohn, welcher freiwillig und nicht etwa
infolge gerichtlicher Verurteilung unter die Arenarier sich be-
gab (c. 11, a. 224), eiue Tochter, welche „turpiter et cum
flagitiosa foeditate vivit“ (c. 19, a. 293), ferner ein jeder, der
den Erblasser an der Errichtung eines Testaments verhinderte
(c. 23, a. 294). Auch einer Mutter, die gegen ihren Sohn in-
triguiert hatte, wurde das Recht auf Erhebung der Inoffiziosi-
*) Nov. 22, 48 pr. (a. 535); Nov. 115,5 pr. (a. 542); Nov. 92, 1 (a. 539).
*) Vgl. C. 5, 9, 10, 6 (a. 529): casibns qui antea priscis legibus enume-
rati suut; J. 2, 18, 1: turpibus personis — ex sacris constitutionibus.
*) Vgl. Paul. D. 48, 20, 7 pr. : (liberi) ne judicio quidem parentis nisi
meritis (Lenel : meriti instis ?) de causis sunimoveri ab ea successione possunt.
*) Vgl. die Notwendigkeit der Bezeichnung als ingrati in C. 3, 28, 30
pr. (a. 528) und C. 6, 9, 10 pr. (a. 529).
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G
tätsquerel gegenüber dem Testament des Sohnes aberkannt
(c. 28 = C. Th. 2, 19, 2, a. 312), und in einem anderen Falle:
wenn die Mutter ihre Kinder lediglich aus Misstrauen oder aus
Hass gegen den Ehemann enterbte, lässt sich der Wechsel der
Anschauungen über dessen juristische Behandlung bis zu
Justinian hin verfolgen (c. 25, a. 301; c. 33, 1, a. 529).
Die seit dem Gesetze von 542 allein noch als zulässig an-
zunehmenden Gründe der Enterbung oder Übergehung können
in folgender Weise gruppiert werden1):
1. Persönliche Angriffe, und zwar Aszendenten gegenüber
sowohl Real-, als schwere Verbal-Injurien (I und II). Zu jenen
gehört in erster Linie die Tötung, sowie jede Herbeiführung
des Todes des Erblassers, ein Fall, für welchen bereits Antoninus
Pius Einziehung der Erbschaft zum Fiskus angeordnet hatte *).
Das Gesetz bezeichnet diesen Grund mit einem bei Realinjurien
geläufigen Ausdrucke als •/tiQaj irußäD.siv*). Die wörtliche Be-
leidigung heisst: ßaQÜai' xai a.iQt.iij vflQiv in ayeiv*), obgleich
die Beleidigung der Eltern ohnehin schon eineu Fall der atrox
injuria darstellte 5).
Die entsprechende Bestimmung für Kinder geht nicht so
weit; sie lautet: wenn die Eltern ihre eigenen Kinder zur Ver-
nichtung des Lebens ausliefern («V ävaifftoiv Jw r^-Tcagadoitv)
(1), womit nicht allein die Veranlassung des Todes, sondern
auch die Bewirkung eines zur Todesstrafe führenden Straf-
prozesses gemeint ist; denn es wird fortgefahren: es handle sich
denn um einen Fall der xa9ooiwois, d. h. des Majestätsdeliktes.
') Im folgenden werden als „Gründe für Eltern* diejenigen bezeichnet
werden, welche den Aszendenten das Hecht geben, ihre Deszendenten zu ent-
erben, als „Gründe für Kinder“ die anderen. Jene werden nach der Reihen-
folge im Gesetze mit römischen Ziffern I — XIV, diese mit deutschen 1)— 8)
gezählt werden.
*) D. 34, 9, 3; D. 48, 20, 7, 4; vgl. auch Modestinus: D. 49, 14,9 und
C. 6, 3ö, 10, 1 (n. 294).
*) D. 47, 10, 1, 1 (Labeo); D. 37, 15, 1, 2 (Ulpian). Vgl. Glück, Pand.-
Komm. VII S. 210; „manns impias inferre“ auch beim .Schenkungswiderruf:
C. 8, 65, 10 pr. (a. 530).
*) Vgl. wieder C. 8, 65, 10 pr. cit. : „iniurias atroces — effnndere*.
s) P. 47,10,7,8 (Ulp.); J. 4, 4,9; vgl. Glück a. a. 0. 8.211, der aller-
dings S. 214 noch Uber den begriff der Verbalinjurie hinausgehen will.
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7
Andere Realinjurien und die Verbalinjurien überhaupt gewährten
den Kindern kein Recht, den Eltern deshalb die Erbschaft zu
entziehen.
Als eine Beleidigung der Eltern galt ohne weiteres auch
die Erhebung einer Kriminalanklage wider sie (ßni iyxXtjfiauxals
ahiaii ; aisr uiv xm rjyoQeiv l) (III), während diese im allgemeinen
nicht unzulässig war*). Aber auch hier wird eine Ausnahme
hinzugefügt für den Fall, dass die Anklage wegen eines gegen
den Kaiser oder gegen den Staat gerichteten Deliktes erhoben
würde: denn in diesem Falle war selbst da, wo für gewöhnlich
die Erhebung der Anklage ausgeschlossen war, dieselbe ge-
stattet3). Erfolgte also die Anklage aus solchem Grunde, so
bestand kein Enterbungsrecht für die Eltern. Den Kindern
aber gab die an sich durchaus zulässige4) Veranlassung eines
Strafverfahrens durch die Eltern nur dann ein Enterbungs-
recht, wenn der Prozess nicht wegen xaitooiwoi g erhoben war
und Todesstrafe nach sich zog.
Bei der nicht unter die Ausnahme fallenden Kriminal-
anklage wider die Eltern kam es nicht darauf an, ob dieselbe
begründet war oder nicht: denn das „officium“ galt als ver-
letzt. Dagegen wird der Fall der wissentlich falschen Anzeige,
der „Sykophantie“, von seiten des Sohnes noch besonders (als
Nr. VII) hervorgehoben, aber mit der Voraussetzung verbunden,
dass dadurch die Eltern schwere Strafen erleideu, — letzteres
offenbar im Anschlüsse an vorangehende andere Bestimmungen5).
Die Beschränkung dieses Falles auf männliche Deszendenten
dürfte auf der Nachsicht beruhen, welche das Recht den
') Vgl. Nov. 22, 47 pr. (a. 535) beim Erbrecht der Geschwister : fyxbr
puttixi ]y äno<f(QHy xtti auioü ypmpijV.
*) Vgl. Glück a. a. 0. S. 229 ff.; Mommsen, Römisches Strafrecht
(1899) S. 372 N. 1.
*) So zwischen Freigelassenem nnd Patron: Mommsen a. a. 0. S. 370
N. 4; zwischen Sohn nnd Vater, sowie unter Ehegatten: Glück S. 229 N. 54,
Mommsen S. 372 N. 1; durch Frauen: Mommsen S. 369 N. 6.
*) Mommsen a. a. 0. S. 372 N. 1.
*) Vgl. beim Schenkungswiderruf: C. 8,55,10 pr. (a. 530): iacturae
molem ex insidiis suis ingerere qtiae non levem sensum substantiae douatoris
imponit, und beim Geschwistererbrecht: Nov. 22,47 pr. (a. 535): rijc oiatas
tivitfi antüiitiy Inayuyti v <ttytu\uaiy.
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8
Frauen hinsichtlich der Calumnie angedeihen zu lassen
pflegte1).
Einen den Eltern wie den Kindern gemeinsamen Ent-
erbungsgrund bildete endlich die Lebensnachstellung (V und2)2 *),
wobei die mittelst Giftes und — bei den Kindern — die
mittelst Bezauberung (yoqitiat) erfolgende besonders hervor-
gehoben wird®).
2. Blutschande gewährt ein Enterbungsrecht, wenn sie
zwischen Sohn und Stiefmutter oder zwischen Vater und
Schwiegertochter stattgefunden hat; ebenso die mit einer
nakkaxig (pellex) des Vaters oder Sohnes begangene, worunter
der Konkubinat verstanden sein wird4) (Nr. VI und 3). Der
Möglichkeit einer anderen verbrecherischen Geschlechtsver-
bindung: mit der eigenen Mutter oder Tochter, zwischen Tochter
und Stiefvater, zwischen Mutter und Schwiegersohn: wird nicht
gedacht.
In dem früheren Rechte scheinen diese Bestimmungen
keinen Vorgang zu besitzen. Zwar wird der testamentarische
Erbteil eines wegen Ehebruchs Verurteilten sowie derjenige der
Ehebrecherin, welchen diese sich gegenseitig zugedacht haben
und der einem von ihnen nach der zwischen ihuen vollzogenen
Eheschliessuug zufällt, wegen „Indignität“ dem Fiskus zu-
gesprochen, aber diese Entscheidung beruht auf der Ungültig-
keit einer solchen Ehe 5 6). Ebenso wird im Anschlüsse an ein
Reskript Hadrians, welches in diesem Falle „Inkapazität“ er-
klärte, der Erbteil einer Soldatenfrau von nicht ganz einwand-
freiem Vorleben behandelt, nachdem ihr Manu sie zur Erbin
l) S. Mommsen, Strafrecht S. 369 N. 5.
’) Vgl. wieder C. 8, 65, 10 pr. cit.: vitae periculum aliquid donatori
inferre, und Nov. 22 cit. : »i'iymoy tmßoviivuv im AäcX<f$.
*) Giftmischerei und Zauberei dachte man sich von jeher als miteinander
verbunden: vgl. Tbeoph. Inst. IV, 18, 5 i. f. : yor, tat — oV /utuior,-
(t(vai{ xrrl (ftxnunxoi; x«l fiayixoit ifii&upiOfiotf (i“roi ävaiQOvOtv
ttvSQtänovs = Inst.: venefici — qui artihus odiosis tarn venenis quam su-
surris magicis homines ucciderunt ; vgl. auch Mommsen, Strafrecht S. 639
N. 6, und Frensdorff, Zeitschr. d. Sav.-Stift. 26 S. 250 N. 2 (Germ. Abt.).
*) So M Uhlenbruch -Glück XXXVII S. 148.
6) Ll. 34, 9, 13 (Papiuiau).
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g
eingesetzt hatte1). Und Theophilus führt unter den „turpes
personae“ , gegen welche die Geschwister des Erblassers mit
der Inoffiziositätsquerel durchzudringen vermögen (II, 18, 1),
auf: oi am aioxQwg fii&wg tyvuiofiimt, ein Ausdruck, der ver-
schieden verstanden werden kann, nämlich entweder, unter Be-
rufung auf eine Analogie im Syrisch-römischen Rechtsbuche,
von den wegen Ehebruches Verurteilten *) oder von unehelich
Erzeugten*). Jedenfalls nähert sich keine dieser Bestimmungen
der Justinianischen Vorschrift in erheblicher Weise.
3. Die Verhinderung an der Errichtung eines Testamentes
— soweit Kinder überhaupt imstande sind, ein solches zu er-
richten — berechtigt sowohl Elteru als Kinder, die Enterbung
vorzunehmen, sobald das Hindernis nicht mehr wirksam ist und
ein Testament errichtet wird (Nr. IX und 4). Aber hier geht
das Gesetz über das Enterbungsrecht hinaus und bestimmt, dass
auch bei untestiertem Absterben des Erblassers auf den
Hindernden nichts kommen dürfe, vielmehr sollte der Erbteil
des Verhindernden dessen unschuldigen gesetzlichen Miterben
oder den nach ihm Berufenen oder denjenigen zufallen, von
welchen sich nachweisen liess, dass der Erblasser sie als Erben
oder Vermächtnisnehmer bedacht haben würde, oder die sonst
einen erweislichen Schaden infolge der verhinderten Testaments-
errichtung erlitten hatten. In dieser Hinsicht verweist der Ge-
setzgeber auf „die anderen einschlägigen Rechtsnormen“ (rovg
ätäovg vöftovg rovg rr sq'i tovtov xeifievovg) und bestimmt, dass
nach ihnen solche Rechtsansprüche zu behandeln seien. Von
solchen ist aber nur eine Äusserung Scävolas bekannt, wonach
die actio doli gegen den Hindernden Personen zugesprochen
wurde, welche nachweisen konnten, dass der Erblasser die Ab-
sicht gehabt habe, sie zu bedenken4), sowie ein Gesetz des
Kaisers Zeno, welches in derartigen Fällen einen Anspruch des
') D. 29, 1, 41, 1; D. 34,9, 14 (Papinian); vgl. v. Savigny, System II
S. 558, und L. Keller, Institutionen S. 407.
’) So Ferrini, Institutionen graeca paraphrasis I (1889) S. 197.
*) Scholion bei Reitz, Theophil, pnrapbr. graeca I (1751) S. 418, t.
‘) I). 31,88,4, wozu vgl. Schirmer im Arch. f. d. ziv. Prax., Kd. 79
(1892) S. 232 ff.
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10
Geschädigten anerkannte, ohne ihn jedoch näher zu bestimmen1).
Übrigens war die nunmehr verordnete gesetzliche Enterbung
durchaus im Sinne des geltenden Rechts, wie ein Reskript vom
Jahre 285 zeigt, welches die „Indignität“ eines die Testaments-
errichtung verhindernden Erben mit der Folge, dass er „a
snccessionis compendio removiert“ werde, für „celeberrimi iuris“
erklärte*). Früher schon hatte Hadrian einem solchen Erben
den erbrechtlichen Klagenschutz versagt und die Erbschaft zum
Fiskus einziehen lassen s). Später erklärte man die Ver-
hinderung der Testamentserrichtung für eine „iusta offensa“,
welche Kindern das Recht der Inoffiziositätsquerel gegenüber
dem Testament ihrer Mutter benahm4). Als eine Fortbildung
dieser Vorschriften erscheint demnach die Justinianische Be-
stimmung.
4. Eine Vernachlässigung des Erblassers von seiten der
zu seiner Nachfolge Berufenen führt in zwei Fällen, und zwar
bei Eltern wie bei Kindern, das Recht zur Enterbung mit sich,
nämlich
a) wenn der Erblasser geisteskrank war (itaheaücu, it>
fiavin tvyxävui). Genas er von der Erkrankung, so trat das
Enterbungsrecht in Kraft. Starb er, ohne genesen zu sein, so
— und hier überschreitet das Gesetz wiederum die Grenzen
der Enterbungsbefngnis — sollten weder seine gesetzlichen
Erben noch auch diejenigen, welche er in einem früheren Testa-
mente zu Erben eingesetzt hatte, ihn beerben, falls sie sich
seiner nicht angenommen hatten, sondern die Erbschaft fiel dem
iS-wTixia (extraneus) zu, welcher ihn aus Barmherzigkeit ver-
pflegt und jene Erben vergeblich mittelst einer diaitctQTVQia
aufgefordert hatte, ihre Pflicht zu tun; in dem Hause dieses
extraneus musste der Erblasser verstorben sein. Im Falle der
Erbeinsetzung jener Nachlässigen wird dieselbe ausdrücklich,
uuter Erhaltung der übrigen Bestandteile des Testaments, für
ungültig ( äiaiQenoftevi) ) erklärt als Einsetzung „Unwürdiger“
(äre dij avaghov ovuov) (Nr. XII uud 6). Das Gesetz ist hier
') C. 6, 34, 4.
*) C. 6, 34, 2.
') D. 29, 6, 1 pr. ; vgl. D. 36, 1, 3, 5 (Ulpian).
*) C. 3, 28, 23 (a. 294).
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11
uu vollständig, indem es nur dem exlraneus einen Weg zur Erb-
schaft weist, nicht aber z. B. denjenigen von den gesetzlichen
oder testamentarischen Erben, welche ihrer Verpflichtung gegen
den Erblasser uachgekommen sind;
b) wenn der Erblasser im Kriege von den Feinden ge-
fangen genommen war (Nr. XIII und 7). Die Verpflichtung,
ihn auszulösen , wird jedoch nur für diejenigen unter seinen
Erben aufgestellt, welche das 18. Lebensjahr, d. h. die „plena
pubertas“ bereits überschritten haben; für den Testamentserben
tritt übrigens noch die weitere Voraussetzung hinzu, dass er
von seiner Einsetzung in Kenntnis gewesen sein müsse. Auch
hier sollen die säumigen Erben, auf Grund welches Titels sie
zur Erbschaft berufen sein mögen1), erbunfähig sein; ihr Erb-
teil fällt der Kirche des Wohnortes des Erblassers zu , damit
er inventarisiert werde und zum Zwecke der Befreiung anderer
Kriegsgefangener Verwendung finde. Gleichzeitig verleiht das
Gesetz dem noch nicht voll geschäftsfähigen Erben für diesen
Zweck eine erweiterte Geschäftsfähigkeit, um im Falle des
Mangels von Mitteln zu jenem Zwecke Darlehen aufnehmen und
Pfandrechte begründen zu können. Die Aufstellung dieses
Enterbungs- und Erbunfähigkeitsgrundes schliesst sich an die
z. B. zwischen Patron und Klienten bezeugte sittliche Ver-
pflichtung nahestehender Personen zum Loskauf von Kriegs-
gefangenen an *). Nur wird jetzt auch die Fürsorge für das
Seelenheil des Erblassers (mittelst der kirchlichen Verwendung
seines Nachlasses) in Erwägung gezogen3).
Eltern gegenüber reicht die Verpflichtung zur Befreiung
ans Gefängnissen aber noch weiter: auch wenn sie als Straf-
gefangene oder wegen Schulden eingesperrt worden sind, haben
ihre männlichen Deszendenten wenigstens — denn den weib-
lichen verbot es das Sc. Velleiauum — sie auf gestelltes Ver-
langen mittelst Bürgschaftsübernahme auszulösen, vorausgesetzt,
’) Im Falle testamentarischer Berufung trat hier der Fall der lex
Cornelia ein 1
•) Vgl. Mommsen, Röm. Staatsrecht, I S.84 N.l; auch Ang. Knecht,
System des Justinianischen Kirchenvermiigeusrechtes, 1905, S. 105 ff.
*) „tiiart — rnf ixilytov nuotto; t'jv/iii fx utürr^ tf,t tvoifloi/i; jrpn;{i<>c
tnixou<j.i'iioitai" (Nov. 115, 3, 13).
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12
dass dazu nicht alle Mittel fehlten. Weigern sie sich dessen,
so ist damit das Enterbungsrecht begründet (Nr. VIII). Für
Eltern ist eine solche Verpflichtung ihren Kindern gegenüber
nicht anfgestellt worden. —
Die bisherigen Fälle hatten ihren Grund in der Verletzung
von Verpflichtungen, welche man als solche der Erbberechtigten
gegenüber ihrem künftigen Erblasser erachtete. Es gab aber
auch gewisse Eigenschaften des Erben, welche das Recht zur
Enterbung mit sich führten, ohne dass ihr Vorhandensein der
Erblasser gerade als eine Beleidigung seiner selbst zu empfinden
brauchte. Hierhin gehörte:
5. schlechter Lebenswandel des Kindes, und zwar
a) bei allen Deszendenten: die Gemeinschaft, mit Gift-
mischern (= Zauberern) *) und die Beteiligung bei deren Ge-
werbe (iteia tfccQ/iaxoiv cl5' (f ctQfiaxog av\avaai^e<pBai}at) (Nr. IV),
b) bei männlicher Deszendenz die Ergreifung eines anrüchigen
Berufes wider den Willen der Eltern und vorausgesetzt, dass
nicht die Eltern selber das gleiche Gewerbe betrieben, auch
dass derselbe Beruf bis an den Tod der Eltern wider dereu
Wunsch beibehalten wurde. Als solche anrüchige Gewerbe
finden sich aber nur genannt: die xwqyoi, was hier soviel wie:
arenarii, d. h. bezahlte Zirkuskämpfer, zu bedeuten hat, und
die „Mimen“, also die Repräsentanten von Zirkus und Theater.
Die Anrüchigkeit des Schauspielerberufes in der römischen
Anschauung von alters her ist bekannt *) ; hinsichtlich der
arenarii liegt eine Vorentscheidung in bezug auf die Inoffizio-
sitätsquerel vor3), und auch das Syrisch-römische Rechtsbuch
hat sich in bezug auf die Anfechtbarkeit der Erbeinsetzung
ehrloser Personen von ähnlichen Grundsätzen leiten lassen4).
c) Bei weiblichen Deszendenten ergab sich ein besonderer
Enterbungsgrund noch aus der Möglichkeit unsittlichen Lebens-
■) S. oben S. 8 N. 3.
* i Man vgl. nur das prätorische Edikt in D. 3, 3, 3, 5 ff.
*) C. 3, 38, 11, s. oben S. 5.
*) Londoner Text §9, Arabischer §5 (bei Bruns-Sachau S. 7 u. 80).
Auch Theophilns nennt II, 18, 1 in seinem Infamen-Eatalog für die Inoffizio-
sitätsquerel der Geschwister unter anderen dieselben beiden Kategorieen wie
Justiuian.
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wandeis in geschlechtlicher Hinsicht ‘), den man den männlichen
Individuen nachzusehen pflegte (Nr. XI). Aber die Verwend-
barkeit dieses Enterbungsmotives hatte ihre besonderen Voraus-
setzungen: die Aszendenten mussten der Tochter oder Enkelin
auch die Gelegenheit zu anständiger Verehelichung gegeben
haben, wozu die Darbietung einer standesmässigen Mitgift ge-
hörte, und jene musste diese Gelegenheit aus Frivolität aus-
geschlagen haben. Ferner: war das Mädchen über 25 Jahre
alt, so bestand der Enterbungsgrund nur, wenn die Eltern
nicht die Schuld an ihrer Ehelosigkeit trugen, oder wenn sie
sich wider der Eltern Willen einem unfreien Manne ergeben
hatte. Auch diese Bestimmung, freilich ohne die jetzt festge-
setzten Einzelheiten, war bereits im früheren Rechte vor-
gebildet2), und das Erfordernis des väterlichen Ehekonsenses
bis zu 25 Jahren stand, gleich der „Kollokations“- und Aus-
stattungspflicht, seit langem fest 3).
d) Dass aber auch die Kinder ihren Eltern oder Voreltern
unsittliche Aufführung zum Vorwurfe machen und sie deshalb
enterben könnten, war nur für den einzigen Fall anerkannt,
wenn die Eltern sich gegenseitig nach dem Leben trachteten,
indem sie etwa sich Gift beibrächten, um sich das Leben oder
den Verstand zu rauben (eis ävaiqeotv rj exazaotv rijs d tavo lag)
(Nr. 5).
6. Der letzte Enterbungsgrund für Aszendenten wie für
Deszendenten (Nr. XIV und 8) ist der Mangel orthodoxen
Glaubens: denn bloss für rechtgläubige Christen war Justinians
Erbordnung bestimmt4). Zu diesem Zwecke wurde gesetzlich
der Begriff des wahren Bekenntnisses festgestellt, und zwar so,
■) Die Worte: „alay^öv ßtoy imUyta&ai“ und ,,tl; iö iavrij ; aiöfia
— ri^nprfiV1 sollen sicherlich die Unzucht bedeuten , wie Dionysius Gotho-
fredus zu dieser Stelle und Hühlenbrnch-Glück XXXVIt S. 160 ff. mit
Recht annehmen. A. A. Glück VII S. 241. Die Unvollkommenheit des ge-
setzgeberischen Ausdruckes in diesem Falle hat aber, ebenfalls mit Recht,
schon W. Franke, Das Recht der Noterben (1831) 3. 407 ff., gerügt.
’) C. 3, 28, 19, s. oben S. 6. Vgl. auch die oben S. 12 N, 4 angeführte
Stelle aus dem Syrisch-römischen Rechtsbucke hinsichtlich der „Huren“.
*) Vgl. C. Th. 3, 7, 1 pr. = C. 5, 4, 18 pr. (a. 371); C. 5, 4, 20 pr.
(a. 408/9); Marciau: D. 23, 2, 19.
*) Vgl. Nov. 118, 6 (a. 543).
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dass für massgebend erklärt wurde die Teilualime an der-
jenigen Gemeinschaft, welche sich zu den Leinen der 4 grossen
Konzilien vou Nicäa (a. 325), Konstantinopel (a. 381), Ephesus
(a. 431) und Chalcedon (a. 451) bekannte l). Als Ketzer wurden
insbesondere die Nestorianer und Akephali gebrandmarkt, es
sollten aber die alten Ketzergesetze hinsichtlich aller übrigen
auch noch fortgelten. Verblieb also der Erbe bis an den Tod
des Erblassers in solchem Unglauben, so wirkte die Enterbung
zu seinem Nachteil. Das Enterbuugsrecht aus diesem Grunde
stand übrigens nur einem ebenfalls orthodoxen Erblasser zu.
War er selber Ketzer, so durfte er, wie das Gesetz wieder über
das Enterbungsrecht hinaus festsetzte, bloss von orthodoxen Ver-
wandten beerbt werden; den nicht rechtgläubigen sollten die
rechtgläubigen Miterben ihre Erbteile aufheben bis zur
Besserung, jedoch ohne jede Verantwortlichkeit, abgesehen vom
Ausschlüsse der Veräusserung, und war an orthodoxen Erben
überhaupt Mangel, so sollte unterschieden werden: war der
Erblasser Kleriker (el //*» upjia x/.ijqixiöv ot yoielg — f/otei),
so erhielt die Kirche den Nachlass, jedoch mit der Auflage,
binnen Jahresfrist ihn in Besitz zu nehmen, widrigenfalls er
dem kaiserlichen Fiskus zufiel; war der Erblasser Laie, so
erhielt die Erbschaft ohne weiteren Unterschied die kaiserliche
res privata.
Auch diese Ordnung ist durch ältere Gesetze Justinians
schon vorbereitet gewesen *), namentlich enthielt ein Gesetz von
529 ganz ähnliche Bestimmungen3).
Soweit reicht der hier interessierende Inhalt der Novelle
115. Am 1. Mai 546 fügte Justinian noch für Klosterpersonen
die Ausnahme hinzu, dass sie nicht aus Ursacheu, deren Tat-
bestand vor ihrem Eintritte ins Kloster lag, enterbt werden
durften4). Die Absicht des Gesetzgebers richtete sich dabei
natürlich auf die Beförderung des klösterlichen Lebens.
') Dieselben Synoden sind auch in Xov. 131, 1 (a. 545) als massgebende
genannt, wozu vgl. Diener, Geschichte der Novellen (1824) S. 158 ff.
*) C. 1, 5, 13. 15. 17, 1. 18, 3.
•) C. 1, 5, 19 pr. - § 3.
‘) Nov. 123, 41.
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§ 2
Die byzantinische Überlieferung
Die Frage, ob in dem griechischen Texte der Nov. 115
das Original des Justinianischen Gesetzes erhalten sei oder
bloss eine Übersetzung lateinischer Vorlage, wird sich schwer
entscheiden lassen *)• Für die letzte Annahme scheint zu
sprechen, dass die Fassung des I. und II. Grundes sich an la-
teinische Vorbilder anlehnt*), und auch der Umstand ist auf-
fällig, dass die byzantinischen Novellenauszüge gerade bei diesen
beiden Gründen sich einer anderen Fassung bedienen, ohne dass
etwa, wie in anderen Fällen, die Umständlichkeit des Urtextes
Anlass zu besonderer Kürzung gegeben hätte.
I. Bei Athanasius (a. 565—578) und Theodorus (a. 582 —
602) 3) heissen jene beiden ersten Gründe: io twtijaai tovs
;w*i s und: ib ßaqiois vßqlaai. Durch die Knappheit der
Fassung, welche diese Exzerpenten dem Texte zu geben sich
befleissigen, ist begreiflicherweise manches Wichtige unterdrückt
worden: wie beim XI. Grunde (Ungehorsam der Tochter) die
Beschränkung der Eheerlaubnis auf die Ehe mit einem freien
Manne, bei Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft) das Erfordernis,
dass der eingesetzte Erbe von seiner Einsetzung erfahren haben
müsse. Andererseits zerlegt Athanasius den 1) Grund für
Kinder sinngemäss richtig in zwei Fälle — was wieder mit
') Zachariae v. Liugeuthal in seiner oben S. 2 N. 1 angeführten
Ausgabe 8. 182 vermutet die originale Fassung in derjenigen des Anthentikum,
unter Berufung auf die Einschiebnngen bei Note 20a und 25 a seiner Aus-
gabe ; vgl. aber dagegen die dort zitierten Stellen aus den Prolegomena in
Heimbachs Antheuticnm, Bd. I.
’) S. oben S. 6. Auch die sonst rätselhaften xvyr/yol in Nr. X (Schau-
spielergewerbe) — oben S. 12 — könnten vielleicht in einer ungenauen grie-
chischen Version der „arenarii* ihre Erklärung linden.
*) Bei Haimbach, Anecdota I (1838) S. 86 ff., und Zachariae, Anec-
dota (1843) 8 109 ff. Vgl. auch die Paratitla zu Anastasius bei Heimbach
8.157 § 8 zu Nr. VIII (Gefangenschaft), S. 147 §6 zu XIII (Kriegsgefangen-
schaft), S. 49 § 7 zn XIV (Ketzerei) und S. 43 § 7 zu den beiden letzt-
genannten Fällen.
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dem überlieferten griechischen Texte nicht übereinstimmt — :
kt i xetfahxtT) eyxXrjftari xuthtiüv , abgesehen von xaltoaiwoig,
und: dg dvaiqeoiv £oiijs naQadiötWcu. Die Mittel, mit welchen
Eltern im Falle 5) sich nach dem Leben stellen, nennt er
drjlrjrßia (cf. delere : Schädlichkeiten).
Der Auszug des Theodorus ist übrigens weniger voll-
ständig, als derjenige des Athanasius. Er lässt in der Reihe
der Fälle Nr. IX (Testierhindernis) und XIV (Ketzerei) aus
und holt sie erst später nach. Die Acharistie-Gründe für
Kinder werden nicht besonders aufgczählt, vielmehr die für
Eltern geltenden ungenauerweise auch sämtlich den Kindern
gegeben.
II. Auf Theodorus beruht im wesentlichen die Ekloga der
Isaurischen Kaiser Leo und Konstantinus (um 740) l); nur lässt
sie ausser Nr. IX uud XIV auch noch die Fälle Nr. X (Schau-
spielergewerbe) und XIII (Kriegsgefangenschaft), sowie die für
Kinder bestimmten vollständig weg und enthält eine wesent-
liche Neuerung. Sie stellt nämlich die von ihr gebrachten
Fälle nicht als Gründe der Enterbung hin, sondern als Ursachen
des Ausschlusses von der gesetzlichen Erbfolge, also als Fälle
der Erbunfähigkeit ab intestato, indem sie dieselben mit
den Worten einleitet: „'Exnintovoi de r^g vofiifiov xi.r^tnofiiag
di axagtodav e tc.“2). Diese Auffassung ist durchaus neu, und,
soviel zu sehen, ohne Vorbild in den bisherigen Quellen. Sie
wiederholt sich in den späteren Auflagen des Rechtsbuches,
der Ecloga ad Prochiron mutata (11. Jahrh.) und der Ecloga
privata aucta (12. Jahrh.), obwohl diese von ihrer Vorlage in
manchem abweichen. Die Ecloga mutata3) stellt die Vor-
schriften unter die Überschrift: n eyt d.ioxi.tQm, und bringt, ab-
gesehen von einem nachher zu erwähnenden besonderen Zusatze aus
*) ed. Antonius G. Monferratus (1889) S. 22 § 13. Die Ekloga ist
— nach der Zeitschr. f. vergleich. Bcchtswiss. 19 (1906) S. 328, 339 usw. —
in die armenische Sprache übersetzt worden.
’) Die Überschrift des Titels (VI S. 20) lantet dementsprechend : //tpl
tütv ff nt!tn!Ktov xX^Qoroftiüiy *nl Xtyäriav xn\ nun uov ff {1/itotai (ctz
(xTttmivitov.
*) Bei Zachariae n Lingenthal, Jns Graeeo-Romanuin IV (1865)
8. 87: Tit. VIII § 27.
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dem Prochiros sowie einer Bemerkung über das Enterbungs-
reclit der Kinder aus derselben Quelle1), nichts neues. Aber
sie holt Nr. IX (Testierhindernis) sofort und Nr. XIII (Kriegs-
gefangenschaft) in anderem Zusammenhänge später nach8).
In der Ecloga privata aucta3) fehlen die Nr. III (Kriminal-
anklage) und VII (Sykophantie) , dagegen sind Nr. X (Schau-
spielergewerbe), XIII (Kriegsgefangenschaft) und XIV (Ketzerei)
eingefügt, Nr. X in der Form: wenn der Sohn wider den Willen
der Eltern „thymelicus“ wird4). In Nr. XII (Geisteskrankheit)
findet sich hier die Neuerung, dass die Kinder auch der testa-
mentarischen Erbschaft der von ihnen vernachlässigten Eltern
verlustig gehen (ixTtimeiv) sollen und dass die Erbschaft
dann an ihre testamentarischen Miterben, oder in deren Er-
mangelung an die gesetzlichen Erben der Eltern (ausser ihnen)
fallen soll. Das Recht des Pflegers des Erblassers wird gar
nicht erwähnt. Die Enterbungsgründe für Kinder sind —
während sie sonst in dieser Überlieferung vollständig fehlen5)
— als Verlustgründe hinsichtlich des gesetzlichen Erbrechtes
der Eltern durch Bezugnahme auf die vorangehenden Fälle
festgestellt, wozu noch als „fernerer“ Grund Nr. 4 (Testier-
hindernis) tritt.
') Vgl. Ecl. mut. VIII § 30 (S. 87) mit Prochiros Nomos Tit. 33 § 18 (S. 185).
») S. 137 § 6; vgl. auch Nr. VIII (Gefangenschaft): S. 136 § 2.
*) Bei Zachnriae, Jus Graeco-Rom., IV S. 25 ff.: Tit. VII §§ 16 — 19.
*) Diese Leute, die Chortänzer, galten nach dem prätorischen Edikt und
nach der Auffassung der klassischen Juristen noch nicht als anrüchig (D. 3,
2, 4 pr.), die Kaiser Diokletian und Maximian schützten sie sogar in ihren
Privilegien (Leipz. üriech. Urk., 1906, Nr. 44), aber eine andere Praxis zeigt
sich in: C. Tb. 15,7,12,1 (a. 394); ih. 14,3,21 (a. 403); Iuterpr. zu C. Th.
2, 19, 1. Vgl. auch C. Th. 15, 7, 5 (a. 380).
5) In der ersten Auflage der Ekloga wird allerdings die Aufzählung der
ErbunfähigkeitsgrUmle für Kinder (= Enterbungsgründe für Eltern) mit
einem „fiiv" eingcleitet, zu welchem man das „dl" erwarten sollte, so dass
der Verdacht einer Uuvollständigkeit der Überlieferung nicht abzuweisen ist.
Der letztere ist auch dadurch nahe gelegt, dass die ältere Ekloga gegenüber
der privata aucta 8. 26 Z. 6 v. o. plötzlich im Satze abhricht. A. M. ist
Zachariae v. Lingenthal in seiner Geschichte des Griechisch-römischen
Rechts, 3. Aufl., 1892, S. 173 N. 549, welcher die Auslassung der zweiten
Gruppe von Enterbuugsgrilnden für eiue ans Pietätsrücksichten beabsichtigte
hält und das „ftir“ entfernt wissen möchte.
Merkel, guterbiingsgründe -
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III. Im Gegensätze zu den bisher besprochenen Werken by-
zantinischer Jurisprudenz enthält der Prochiros Nomos des Kaisers
Basilius und seiner Mitregenten (870-879) nicht bloss einen Aus-
zug aus dem Justinianischen Gesetze, sondern er reproduziert
im wesentlichen das Original selbst l), obgleich beim X. Grunde
(Schauspielergewerbe) nur die Mimen genannt sind (ohne die
xwqyoi) und beim XI. (Ungehorsam der Tochter) das Distinktions-
alter fehlt. In Nr. XIV (Ketzerei) treten den 4 alten öku-
menischen Konzilien noch diejenigen von Konstantinopel II und
III und das II. von Nicäa hinzu, und andere Sekten werden
verdammt, so die Jakobiten, die Monotheleten und die Ikono-
mackcn. Beachtenswert aber ist hier besonders zweierlei:
1. die Einfügung von Bemerkungen, welche in der Vor-
lage nicht enthalten sind und welche gleich der Ekloga den
Gedanken an eine gesetzliche Enterbung nahelegen*). Man
scheint testamentarische Enterbung und Erbunfähigkeit nicht
mehr scharf auseinandergehalten zu haben, aber im übrigen
steht das Rechtsbuch vollkommen auf dem Standpunkte des
Justinianischen Enterbungsrechtes 3);
2. die Aufstellung eines neuen Grundes zwischen Nr. VII
(Sykophantie)und VIII (Gefangenschaft) nämlich: wenn die Kinder
die Fürsorge für ihre an chronischer Schwäche eV uo&fvtiy
XQuitq) oder an Alter oder Kraftlosigkeit (adwa/tly) leidenden
Eltern vernachlässigen und trotz erfolgter Aufforderung von
deren Seite (jieraxalov/ievoi ttoqu reu yoriwv) sie keiner Für-
sorge würdigen mögen. Das letztgenannte Erfordernis ist der
Nr. XII (Geisteskrankheit) entlehnt, als deren Erweiterung
eigentlich der neue Zusatz erscheint4).
Die neue unter dem Titel 'H.iaiayoryr tov ru/wv (879 — 886)
erschienene Auflage der Prochiros5) schliesst sich dem Justi-
*) ed. Zachariae (1837) 8. 171 ff. : Tit. 33: mgl änoxkijQtov.
’) So heisst es nach der Aufzählung der Fälle Nr. I — V (§ 1): iöv
toiovior (tTinxh, ftor timt AionCsOftiv , und nach IX (Testierhindernis) (§ 6):
xtu ovitos (t/röx/r^jor yivtoSai rein» r. Auch steht an letzterer Stelle anstatt
des originalen: ünoxhßoröftov nottiv. uxk^uor oder ttnoxitjgoy nottiv.
a) Vgl. §§ 16—18 des Titels.
*) So fasst ihn auch die Ecloga ad Proch. inut. (oben S. 16) auf,
") Zachariae a Liugcuthal, Collectio librorum juris Graeco-Boinani
ineditormn (1852): Tit. 34 cap. 4 — 7 (S. 182 ff ).
19 _
manischen Originale noch enger an, indem z. B. die Vorschriften
zugunsten grossjähriger Töchter beim XI. Grunde nicht fehlen
und die erwähnten Einschiebungen nach I — V weggelassen sind.
Dagegen heisst es bei Nr. IX (Testierhindernis) noch schärfer:
xai oifcias artöxlr^og ö naig i'aroj. Die Liste der verbotenen
Sekten wird beim XIV. Grunde um die Kendukladen und
Aposchisten vermehrt. — In der dritten Auflage, der 'Enavayioyrj
aucta (10. Jahrh.) l) fallen diese Abweichungen zum grossen
Teile wieder weg, es finden sich aber andere ®), und die vierte
Auflage, das Prochiron auctum (um 1300)®), ist vollends eine
bis auf wenige Ausdrücke unveränderte Ausgabe der ersten.
Etwas selbständiger verfährt das unlängst aus einer vati-
kanischen Handschrift herausgegebene Prochiron legum aus dem
12. Jahrh. 4). Es hat jene Einschiebsel über die gesetzliche Ent-
erbung in verstärktem Masse5), welche hier um so mehr her-
vortreten, als die Ausführungen über die Art der Enterbung
(im Prochiros Nomos) ausgelassen sind. Ferner hat man die
Gründe 5) (Lebensnachstellung unter Eltern) und 8) (Ketzerei)
übergangen, obgleich unter den Enterbungsursachen für Eltern
der letztere nicht fehlt. Bei Nr. 1) (Aufopferung) wird eine
Definition der xaiioaiwaig folgendermassen gegeben: nwiian
;ce.Qi trg fielhijg i /; s Big %ov Üävaiov rnv ßaaiXieag % ijg ydiQag,
wobei die Beschränkung auf den „Herrn des Landes“ beachtens-
wert ist.
*) Zachariae a Langenthal, Jus Graeco-Rom. IV S. 303 ff.: Tit. 37.
*) So bei Nr. IX (Testierhindernis) ein Zusatz, welchen ähnlich auch
Athanasius hatte (a. a. 0. S. 87): ei — nuCr ly ? tj Jiatv/iiüaet fj{lu\fjrliat ,
«pj'ti o ir,i iyaQiaiia; Xoyoi, wonach die Eltern in dem doch nocli errichteten
Testament den Kindern ihre Tat vorwerfen müssen, um sie von der Erb-
schaft auszuschliessen. Bei Wiedergabe des XIII. Grundes (Kriegsgefangen-
schaft) ist die Epanagoge aucta (§ 13) von Prochiros 33, 11 unabhängig,
auch wird der Anfang von Proch. 33, 23 (bei Nr. 5: Lebeusnachstellung
unter Eltern) fortgelassen (§ 22).
*) Zachariae, Jus Graeco-Rom. VI S. 287 ff.
‘) Konti per la storia d’Italia, Leggi, secolo XII, 1893, S. 180 ff. : Tit. 28,
ed. Brandileone e Puntoni.
‘) Denn hier wird auch der X. Grund (Schauspielergewerbe) mit den
Worten eingeleitet: ov fiovov JI xmn eovrox rix inonoy i nttii ttnoxXr^ot
ylvuni (8. 182) und der XI. (Ungehorsam der Tochter) mit den Worten ge-
schlossen: xai ovrtus autij anoxXitfos yiyetui (S. 183).
2*
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Zur ersten Ausgabe des Procliiros Nomos kehrt das Ma-
nuale legum des Konstantin Harmenopoulos (um 1345) zurück l),
welches aber beim X. Grunde (Schauspielergewerbe) die xvvtjyol
wieder einfügt und in dem vom Prochiros neu aufgestellten
Falle (S. 18 oben Nr. 2) an Stelle des Alters den Mangel
( anoqia ) setzt.
IV. Wieder anders verfährt der Mönch Matthäus Blastares
in seinem a. 1335 zu Thessalonich verfassten „Syntagma alpha-
beticum“8). Er beginnt seine Darstellung mit einem Auszug
aus dem Originaltexte der Novelle. Dabei leitet er die Eut-
erbungsgründe mit den Worten ein: „aWixArpor elvai rrj$
TraiQtxr^ ovolag 9earti^ofisvu : und folgt bis zum VII. Grunde
(Sykophantie) fast wörtlich Jnstiuian. Sodann schiebt er den
Fall des Prochiros ein, welchem letzteren er auch hinsichtlich
der Fassung von Nr. IX (Testierhindernis) und X (Schauspieler-
gewerbe) folgt. Von da an aber verfährt er willkürlicher. Bei
Nr. VIII (Gefängnis) spricht er nur von der Anklage wegen
Zivilschulden und gar nicht vom Gefängnis, und auch die drei
letzten Gründe (XII: Geisteskrankheit, XIII: Kriegsgefangen-
schaft und XIV: Ketzerei) sind von ihm in origineller Weise
neu gestaltet worden, ohne freilich deren Sinn im wesentlichen
zu verändern. Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) lässt er aus,
ebenso Nr. 5) (Lebensnachstellung unter Eltern), und schliesst
mit einer Erweiterung der Vorschriften auf alle „Verwandten“
(ovyyeveis): „Aber auch weun jemand einen tauben oder stummen
oder schwachsinnigen (lufQun) oder geisteskranken ( ftaivifisvog )
Verwandten besitzt“ — heisst es — „dessen Sachen er nicht
fürsorgend verteidigt (7iqofit]9ovftevos — txdixü)u, so kann er
ihn nicht beerben, und dasselbe gilt hinsichtlich eines Kriegs-
gefangenen.
V. Die Basiliken samt der Synopsis Basilicorum (10. Jahrh.)5)
schrieben die Novelle wörtlich ab und hörten nur beim XIV. Grunde
(Ketzerei) schon im ersten Satze (bei dem Worte : xrjQiooovoiv)
') Heransgegebeu von (i. E. Heimbacb (1851) S. 677 ff.: Lib. 5 Tit. 10.
’) <le Migne, Patrologia Graeca, Toni. 144 (1865) Sp. 1368 ff.: Lit. K
rap. XII : ,,7/cpl xx^ooroolVts' x«l anoxh]t>ojy viwx i] yoytuti''1 .
•) Raa. ed. Heimbacb, III S. 561 ff : Lib. 35 Tit. 8 cap. 36/7. Zacba-
riae, Jns Oraec.vRoni V 8. 122 ff : Lib. I rap. 71.
21
auf, so dass sowohl die Festsetzung des orthodoxen Kirchen-
begriffes, als die Bestimmungen über die Beerbung ketzerischer
Aszendenten fehlen ’).
Soweit die byzantinische Überlieferung nicht, wie die
Prochiros-Gruppe und die Basiliken, sich dem Originaltexte des
Justinianischen Gesetzes möglichst anzupassen sucht, sondern
vielmehr exzerpiert, ist zu beachten, dass der XIV. Grund (der
Ketzerei) erst in der Ecloga aucta des 12. Jahrh. Aufnahme
gefunden hat sj, ferner dass die Ekloga-Gruppe — bis auf die
Ecloga aucta, die ihn überhaupt auslässt — den VII. Grund
(Sykophantie) zwischen den III. (Kriminalanklage) und deu IV.
(Giftmischer) hiueinstcllt, wahrscheinlich wegen seines materiellen
Zusammenhanges mit III, endlich dass auch IX (Testierhinder-
nis), X (Schauspielerberuf) und XIII (Kriegsgefangenschaft) in
der ursprünglichen Ekloga fehlen, obgleich sie später nach-
geholt werden s). Die Ecloga aucta liess auch Nr. III und
Blastares liess Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) fort.
Von den Gründen für Kinder sprechen nur Theodorus und
die späteren Auflagen der Ekloga, indem sie die für Eltern
aufgestellten Gründe einfach ausdehnen ; das Prochiron legum
des 12. Jahrh. und Blastares führen sie zwar auf, entfernen
') Von anderen byzantinischen Werken seien noch erwähnt: 1) Die
Schrift Ai (tonal aus dem 7. Jahrh. (ed. Zachariae, 1836. S. 220), wo bei
Erwähnung des 18. Lebensjahres an den XIII. Enterbnngsgrund (Kriegs-
gefangenschaft) erinnert wird. 2) Der Anonymus bei Heimbach, Anecdota
I S. 194 § 10, welcher die Fälle VIII ((Jefangenschaft) and XIII enthält.
3) Der Nomocanon (a. 883) (bei J. B. Pitra, Juris ecclesiastici Graecorum
historia et monumenta, tom. II, 1868, 8. 585 ff. : X, 8), wo des XIV. Ent-
erbungsgrundes (Ketzerei) gedacht ist, übrigens nur der Fiskus and nicht
auch die res privata principis genannt wird, und bei Erwähnung der 25jährigen
Tochter — Fall Nr. XI — (S. 620: XIII, 9) die Novelle zitiert ist. 4) Der
s. g. Tipucitus, dessen in Heimbacbs Basiliken II S. 566 N. n mitgeteiltes
Stück nur die drei letzten Fälle XII, XIII und XIV und von den Gründen
für Kinder Nr. 5 (Lebensnachstellung unter Eltern) wiedergibt, bei welcher
letzteren Gelegenheit bloss die „fxojaoit toü tfgiros" sich bervorgehoben findet;
vielleicht ist aber auch dieser Auszug unvollständig: vgl. Bullettino dell. ist.
di dir. Bom. I S. 109.
*) Bei Theodorus wird er freilich nachgebolt.
*) Die Ecloga mutata holt Nr. IX und XIII nach, die aucta stellt
Nr. X und XIII in die Reibe.
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aber beide den 5) Grund (Lebensnachstelluug unter Eltern),
und das erstere entfernt auch den 8) (Ketzerei).
§ 3
Die romanischen Versionen
I. Wenden wir uns vou den griechischen Texten der la-
teinischen Fassung unseres Gegenstandes zu, so kommt zunächst
der Novelleuauszug Julians in Betracht l). Er bezeichnet die
Acharistie als „ingratitudo“ und spricht also von „causae in-
gratitudinis iustae“. Den ersten Grund gibt er mit den Worten
wieder: „Si quis parentibus suis audaces manus imponat“, in
offenbarer Anlehnung an Digesteu- und Kodex-Ausdrücke *).
Die vßQtü im II. Falle nennt er: gravem atque iuhonestam
contumeliam facere3). Bei III (Kriminalanklage) werden „iu-
sidiae adversns principem (xara ßaailiui vel rempublicam
(nohttias)'1 ausgenommen. Die ifaQ/iaxui in Nr. IV übersetzt
er mit „malefici“, d. h. Zauberer1). Bei VI (Inzest) steht „se
turpiter miscere“. Der Sykophant (Nr. VII) heisst „calumnia-
tor“ und seine Tätigkeit: „per delationem suaui gravissimum
damnum infligere (ßctQela s- — tyt/ct g vno/nehai n aQctoxtvtiv).
Bürgschaftsübernahme im Falle der Gefangenschaft der Eltern
(Nr. VIII) ist: „in fidein suarn recipere“ neben „fideiussio“ und
„fldeiubere“. Bei Nr. IX (Testameutshiudernis) fällt auf, dass
dieser Fall auf den Sohn eingeschränkt wird, vielleicht des-
halb, weil in den drei vorangehenden Fällen und in dem nach-
folgenden auch nur von männlichen Deszendenten die Rede ist;
am Schlüsse aber wird deutlicher, als in der Quelle, gesagt,
’) Jnliani epitome Latina Novellarum Justiniani, instrux. G. Haenel,
1873, S. 125 ff.: const, CVII, cap. CCCLXX1II - CCCLXXV.
*) Vgl. D. 37, 15, 1, 2 (Ulpian) und C. 8, 55, 10 oben S. 6 N. 3.
*) Vgl. D. 37, 15, 1, 2 cit. : contnmeliis adficere.
4) Vgl. oben S. 8 N. 3 und C. 9, 18 (de maleficis etc.), 1: Plus est
lioniinem veneno extinguere etc. und Mommsen, Strafrecht, S. 640; auch
D. 37,15,1,3 (Ulpian): Indignus niilitia iudicandus est, qui patrem et
rnatrem — maleficos apellaverit.
2:3
worauf es ankonimt: „secundum priora iura (sollen die durch
die Verhinderung des Erblassers von einem Erwerbe ausge-
schlossenen) suas exerceant actiones“ '). Anstatt der offenbar
unrichtigen xvvqyol im Texte von Nr. X (Schauspielergewerbe)
steht hier das richtige Wort: arenarii. Bei Nr. XI (Ungehor-
sam der Tochter) ist von der Aussteuer nicht die Rede; das
Vergehen der Tochter wird als „turpiter vivere malle“ (alaxQov
(iiov enü-tysadai) geschildert.
In Nr. XII (Geisteskrankheit) und XIII (Kriegsgefangen-
schaft) ist im wesentlichen der Text der Novelle wörtlich
wiedergegeben, aber von den eingesetzten Erben, welche ihrer
Pflicht gegen den Erblasser nicht genügen und daher nach der
Bestimmung des Gesetzes auch ohne ausdrückliche Enterbung
nichts von der Erbschaft erhalten sollen, findet sich der Aus-
druck gebraucht: „ab hereditate repelli“ !). Diese Bezeichnung
rührt vom prätorischen Rechte her, welches ein „repellere a
bonorum possessione contra tabulas“ aufstellte3), und ist von
hier auf die eigentliche Erbunwürdigkeit4) und auf andere
Fälle5) übertragen worden; in den Justinianischen Gesetzen
scheint sie mit Vorliebe für die Erbunfähigkeit, besonders wo
es sich um iugrati handelte, gebraucht zu werden6). Hiernach
mag Julian sich gerichtet haben in den Fällen, wo die No-
velle von Umstossung der Erbeinsetzung (dvarQeno/ievqs oder
dxvQovfte vqg rijs eVardoews) spricht.
') Vgl. oben S. 9 S. 4 und flg., auch Theodoras bei Heimbacb, Anec-
dota I S. 110, unter Verweisung auf C. 6,34,2, und 4: *«1 yytoog oti 6
xaiXitioy — t( vnoft(yu.
*) Ebenso bei Wiedergabe von Nov. 123, 41 (oben S. 14 N. 4) in cap.
488 (Haenel S. 162), wo das Original: ttnoxXtUiv xX^norouiu-; : hat.
*) D. 37,4,10,3 (Ulp.); ib. 11 pr. (Paulas); D. 37,9,1,11 (Julian);
D. 37, 10, 1, 3 (Ulp.) ; D. 38, 2, 8, 2 und 14, 6 (Ulp.); ib. 47, 1 (Paulus); ib.
50 pr. (Tryphonin).
*) „repellere a testamento“ s. in D. 34, 9, 2, 2 (Marcian); ib. 5, 14 und
18, 20 (Paulas); D. 49, 14, 13, 9 (Paulus).
s) So bei Erbscbaftsverlnst infolge unterlassener Erbittung eines Vor-
mundes: C. 5, 31, 8 (a. 291).
•) Vgl. C. 1, 6, 19 pr,; 3, 28, 33, 1; 5, 9, 10 pr. und § 3 (alle a. 529).
Abnlich „removeri a successione“ in C. 6,34,2 (a. 285), wie: ,a bonorum
possessione contra tabulas“ : D. 38, 2, 14, 5 (Ulpian).
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Beim XIV. Grunde (Ketzerei) nennt er nur den Fiskus,
niclit auch die res privata des Kaisers als anfallsberechtigt '),
und hebt diesen Fall mit den Worten: „non minima liaec causa
ingratitudinis est“: besonders heraus.
Was die Enterbungsgrttnde für Kinder angeht, so gibt
Julian dem ersten Grunde (Aufopferung) in der Form: „vitae
insidiari“: sogleich einen Umfang, welcher den zweiten (Lebens-
nachstellung) mitumfasst. Daher werden an zweiter Stelle nur
Gift und yorjüai berücksichtigt, letztere, in Übereinstimmung
mit den Justinianischen Institutionen8), als „susurri magici“,
d. h. Zaubersprüche, bezeichnet. Die xattoaiwots im 1) Falle
nennt Julian „crimen majestatis“. Eine eigentümliche Ab-
weichung aber vom griechischen Text der Novelle findet sich
beim 5) Grunde (Lebensnachstellung unter Eltern); während
hier nämlich das Original von Vernichtung oder Verrückung
des Verstandes durch Beibringen von Gift redet, sagt Julian:
„sive ut occidatur sive nt mentem eius cognoscat“, und denkt
dabei, wie es scheint, an einen Zaubertrank, dessen Wirkung
es sein soll, die Gedanken der Menschen zu offenbaren. Nr. 6)
(Geisteskrankheit) und 8) (Ketzerei) wird wieder nur von
Söhnen ausgesagt, diesmal ohne ersichtlichen Anlass.
Julians Text ist, wie es scheint, wörtlich in die Lex Ro-
mana cauonice compta des 9. Jahrh. übergegangen3); auch eine
der jüngeren von den Turiner Institutionenglossen zitiert
wenigstens die Anfangsworte seiner Darstellung4), und Gratian
hat das Julianische Exzerpt aus Nov. 123, 41 5) wörtlich seiner
Kanonensammlung eiuverleibt 6). Namentlich aber beruht auf
Julian der im 12. Jahrh. in Frankreich entstandene Brachylo-
’) Ebenso der Nomokanon oben S. 21 X. 1.
») Vgl. oben S. 8 X. 3.
*) Vgl. U. Conrat (Cohn), Die Lex ßomana, 1904, S. 94 nnd 143. Eine
Kollation beider Texte gibt Haeuel, Julian S. 228* ff.
*) 8. r. Saviguy, Geschichte des römischen Hechts im Mittelalter, 11
8. 446 Xr. 180 (zu J. 2, 13, 7 v. mater). Über das Alter der Glosse (11. oder
12. Jahrh.) vgl. Conrat, Geschichte der Quellen, I 8. 118 X. 5; Dirksen,
Hinterlasseue Schriften, II 8. 160 X. 81, hielt sie (1847) für .Justinianisch'.
s) Oben S. 23 X. 2.
•) c. 10 C. 19 qu. 3.
25
gus juris civilis *), von dem bekannt ist, dass er die Justinianischen
Novellen in dieser Form benutzt bat 2). Er kürzt noch mehr,
als Julian. Der X. Grund (Scliauspielergewerbe) ist gestrichen,
Nr. XII (Geisteskrankheit) und XIII (Kriegsgefangenschaft)
werden nmgestellt; Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) steht
ebenfalls nicht in der Reihe, wird aber nachgetragen. Bei
Nr. III (Kriminalanklage) ist die Ausnahme, wonach eine An-
klage zulässig sein soll, „crimen perduellionis“ genannt, wozu
eine Glosse8) die Erklärung fügt: „cum aliquis molitur aliquid
contra propriam personam imperatoris vel rempublicam“. Hier
erscheint zum erstenmal der imperator anstatt des originalen
jiaadevs und des Julianischen „princeps“. Beim VI. Grunde
(Inzest) wird der weibliche Teil nicht als „noverca“ = firjtqviöi
bezeichnet, sondern als „paterna uxor“ , worunter auch die
eigene Mutter begriffen sein könnte. Das Vergehen der un-
gehorsamen Tochter (Nr. XI) heisst „more meretricis stuprari“4).
Ziemlich willkürlich verfährt übrigens das Rechtsbuch mit
den Subjekten der einzelnen Fälle. Bei VI (Inzest!) und VII
(Sykophantie) werden die „liberi“ genannt, bei XIV (Ketzerei)
dagegen — wie von Julian bei Nr. 8) — nur die Söhne, während
in IX (Testamentshindernis) — gegenüber Julian 6) — die ori-
ginale Beziehung auf alle Kinder wiederhergestellt ist. Die
Gründe für Kinder sind, wie bei manchen von den Byzantinern8),
durch Bezugnahme auf die vorangehenden für Eltern erledigt7).
Dass der X. Grund (Schauspielergewerbe) ausgelassen ist, wie
vorhin bemerkt wurde, mag absichtlich geschehen sein, aber es
wird dies schwerlich damit Zusammenhängen, dass man ihn „wegen
veränderter Lebensanschauungen“ für „obsolet“ geworden hielt*);
') Corpus legum s. Brachylogus iur. civ., ed. Ed. Bücking, 1829, S. 63 ff. :
Lib. II tit. 23 „de liberis exberedandis vel beredibns instituendis“.
T) C ou rat, Geschichte S. 551 N. 5.
*) Bei Bücking S. 216.
*) Vgl. Theodoms bei Zachariao, Anecdota S. 109: nopyiiaai.
5) S. oben S. 22.
•) S. oben S. 21.
*) Hierauf dürfte es benihen, dass der XI. Grund (Ungehorsam der
Tochter), wie bemerkt, nachsteht; denn er konnte auf Eltern keine An-
wendung linden.
•) Dies vermutet Conrat, Geschichte der Quellen, I S. 560 N. 4.
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wenigstens scheint seiue Weiterführung in anderen Katalogen
der Enterbungsgründe für das Gegenteil zu sprechen.
II. Bereits im 7. Jahrh. scheinen die Justinianischen Ent-
erbungsgründe in die germanische Gesetzgebung eingedrungen
zu sein, wenigstens im einzelnen und in Auswahl. Denn so
lässt sich seiner Fassung nach zunächst ein Gesetz Chindaswints
im Westgotenreiche (a. 641 — 653) „de non exheredandis filiis“
verstehen '). Es wird den Eltern (parentes) eingeschärft, dass
sie Söhne und Enkel nicht „pro levi culpa“ enterben (exheredare)
dürfen; aber wenn die Aszendenten „wollen“ (si — voluerint,).
so werden jene von der Erbschaft „repeliiert“ — ein Aus-
druck, welcher an Julian erinnert2). Die Gründe sind: wenn
die Deszendenten dermassen „presumtuosi extiterint“, dass sie
ihre Aszendenten „tarn gravibus iniuriis conentur afticere“ ;
worauf dergleichen „schwere“ Injurien genauer erläutert werden3).
Ferner: wenn sie ihnen „publice quodeunque crimen obiciant“.
Voraussetzung ist stets, dass die Deszendenten der Tat „mani-
feste convicti“ seien , aber die Möglichkeit einer Verzeihung
wird Vorbehalten, welche auch in Form einer Erbeinsetzung
(rerum suarum successores iustituere) erfolgen kann mit der
Wirkung: „ueque prohiberi ab eorum hereditate“. Hiermit scheineu
doch die drei ersten der Justinianischen Fälle (Real- und Ver-
bal-Injurie und Kriminalanklage) gegeben zu sein, allerdings
ohne die gesetzlichen Ausnahmen im letzten Falle. Auch
dürfte nicht der römische, sondern vielmehr der deutsch-
rechtliche Begriff der „exheredatio“ zugrunde zu legen sein4).
Übrigens liegt in dem „repelli ab hereditate“ und dem „prohi-
beri ab hereditate“ auch eine gesetzliche Erbunfähigkeit, wie
in dem ixninTeiv der Ekloga 5).
Deutlich ist diese Art der „Enterbung“, und zwar, wie es
scheint, wieder mit römischen „Enterbungs“-Gründen, im Lango-
') Mon. Germauiac bistor., Lcgum sectio I, Tom. 1 (1902) S. 196 ff.
*) Vgl. oben S. 23.
*) Es heisst: „si aut alapa pugno vel cnlee seu lapide aut fuste vel
tiagello pemuiant sive per pedem vel per capillos ac per tnanum etiam vel
qnocumque iubunesto casu abstraere contumeliose presuraant“.
*) Vgl. oben 8. 1 N. 1.
5) Oben S. 16.
27
bardenrecht, zunächst im Edictus Rothari (a. 643), ausgesprochen.
Auch hier findet sich unter der Überschrift „de exheredatione
filiornm“ l) die Anordnung, dass niemand seinen Sohn ohne be-
stimmte „culpae“ „enterben“, noch auch das, was jenem ge-
setzlich gebühre, einem anderen „thingare“ dürfe. „Justae
culpae“ sind: „si filius contra animam aut sanguinera patris
insidiatus aut consiliator fuerit aut si patrem percusserit volun-
t-arie“ oder: „si cum raatrinia sua id est noberca peccaverit“.
Der letzte Fall verrät sich deutlich als der VI. der Justinianischen
(Inzest), aber dass auch der erste auf die Novelle bezogen
werden darf, etwa auf Nr. V (Lebensnachstellung), vielleicht
auch auf I. (Realinjurie), dazu berechtigt eine zu dieser Stelle
gehörige Formel, welche jene Bezugnahme geradezu ausspricht2).
Derselben Ausdrucksweise, wenigstens zum Teile, bedient
sich das Edictum Liutprandi (a. 713 — 735) bei der Darstellung
der ingratitudines pro quibus filie vel sorores“ — von männ-
licher Deszendenz ist hier nicht die Rede — „ab hereditate
repelli possunt“ s). Zwar werden „alie quamplures ingratitudines
legibus scripte“ ausdrücklich Vorbehalten, aber besonders her-
vorgehoben sind folgende: „si adversus animam patris vel
fratris iusidiate fuerint“ , und: „vel sua voluntate fornicate“.
Soll jenes zweifellos dieselbe Bedeutung haben, wie im Edictus
Rothari4), also die des Justinianischen V. Grundes, so zeigt
die weitere Ausführung der ersten Vorschrift unverkennbar die
Anlehnung an die Justinianische Nr. XI (Ungehorsam der
Tochter). Denn es wird weiter gesagt: die Wirkung der Ent-
erbung trete nur ein, wenn das Mädchen unter 25 Jahren sei
’) Mon. Germ, hist., Leges IV, 1868, S. 39: cap. 168/9; vgl. auch die
„Concurdiae“ daselbst S. 253: cap, 19.
’) Vgl. Zeitschrift für Rechtsgeschichte, VIII, 1869, S. 482: „deheredi-
tare — potuit quod tu insidiatus es animae suae ... Et probet ingratitu-
dinem ille — aut taceat per Novellam“. Die Entlehnung aus dem Novellen-
recht erkennt auch Alfr. v. Halban, Das röm. Recht in den german. Volks-
staaten, II, 1901, S. 113, an, und Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, I
(2. Aufl., 1906) S. 532 N. 11.
*) Mon. Germ, hist., Leges IV, S. 406: cap. 5 § 5.
4) Auch die Glosse zu cap. 5 v. „Si filie“ daselbst verweist hierauf.
Ilalban a. a. 0. S. 196 scheint die Bestimmung der Enterbuugsfälle hier
„willkürlicher“ zu finden, als im Edictus Rothari.
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28
und ohne des Vaters oder des Bruders Willen („uutns“) zur
Ehe schreite; sei sie älter und verbinde sie sich dann „inor-
dinate“ wider des Vaters Willen mit einem Gatten, so sei sie
gemäss jener „Novellarum lex : Neque pater aut raater“ , d. h.
der Nov. 115 in Julianischer Fassung, nicht „ab eius hereditate
pellenda“. Würde nicht diese Bemerkung auf die Quelle der
ganzen Bestimmung deutlich genug hin weisen, so könnte man
schon dem Ausdruck „ingratitudines“ *) die Julianische Her-
kunft mit ziemlicher Sicherheit ansehen.
Aus der Westgotischen Gesetzgebung mögen die drei
ersten Fälle in die Usatici von Barzelona (um 1068) über-
nommen sein*). Denn es heisst hier: „Exeredare autem possunt
predicti genitores filios suos vel Alias vel nepotes sive neptes,
si illi tarn presumptuosi extiterint, ut patrem aut matrem, avum
vel aviam graviter percusseriut vel dehonestaverint vel de
crimine eos in judicio accusaverint“. Aber dieses Gesetzbuch
geht noch weiter. Es nennt auch noch den Fall: „si filii
efficiantur baudatores“, d. h. Betrüger, Verräter, womit wahr-
scheinlich die Julianiseben „malefici“ des IV. Justinianischeu
Falles, unter Einschränkung auf die männliche Deszendenz,
wiedergegeben werden sollten3). Ausserdem ist der XI. Justi-
uianische Fall rezipiert (Ungehorsam der Tochter) mit An-
klängen an Julian4), und der XIV. (Ketzerei) in der Form:
„si filii se Sarracenos fecerint et penitere noluerint“.
Die „Usatici“ gehören zu derselben Gruppe mittelalter-
licher Rechtsbücher, welcher auch die provemjalische Über-
lieferung im Grazer und Tübinger Rechtsbuch und in den s. g.
Petri exceptiones beizuzählen ist6). Hier aber werden die
') Er stellt auch in der oben angeführten Formel (S. 27 N. 2).
*) Vgl. M. Ch. Girard, Essai sur l’histoire du droit franqais au moyen
age, Tome II, 1846, S. 480/1 (§ 77); auch bei Adolf Helffericb, Entstehung
und Geschichte des Westgoten-Rechts, 1858, S. 459 (§ 77), und bei A. Mari-
chalar u. C. Manrique, Hist, de la legislacion — de Espaüa, Tom. VII,
1863, S. 254 (§ 71).
*) Vgl. Ficker in: Mitteilungen des Inst. f. Österreich. Geschiehts-
forsch., II. Ergänzuugsband, 1888, S. 271 ff., welcher zugleich an eine Ver-
letzung der Lehenstreue, an felonistische Vasallen, denkt.
4) „tnrpiter viverint“ ; vgl. oben S. 23.
’) Im Grazer Rechtsbuche soll die einschlägige Stelle nach Ficker
29
Fälle um fünf weitere vermehrt. Denn, während Nr. VI (In-
zest), IX (Testamentshinderung) und X (Schauspielergewerbe)
ebenfalls fehlen, sind dagegen aufgenommen: Nr. V (Lebens-
nachstellung), VII (Sykophantie), VIII (Gefangenschaft), XII
(Geisteskrankheit) und XIII (Kriegsgefangenschaft), letzteres
mit VIII verbunden („parentes captos aut in earceribus positos
liberale non curare“}. Nr. I heisst: „Si patrem aut matrem
aut alium asccndentem scienter et ironice percutiant“; bei III
werden die Ausnahmen nicht verschwiegen: „exceptis si de in-
sidiis seniorum accusaverint eos vel de traditione loci“ : jenes
zweifelsohne auf die Lehensherren gehend, dieses offenbar als
Bezeichnung des Landesverrats gebraucht. In Nr. IV, auf
„filii“ beschränkt, werden die Julianischen „malefici“ genannt,
aber verschieden (mit: „id est“) definiert: als „adjuratores“
(Graz), „fraudulatores“ „afaduratores“ oder „adfaduratores“
„fraudatores“ (Tübingen), „faculatores“ facturatores“ oder
„scapulatores“ (Petrus)1). Von diesen Lesearten dürfte „facu-
latores“ die grösste Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch
zu nehmen haben, weil das Wort in der Tat einen Magier oder
Zauberkünstler bedeutet*). Nr. VII wird so ausgedrückt: „si
per ingeniura aut factum suum dolosum grave dampnum patian-
tur“ ; die quellenmässige Einschränkung auf Söhne findet so
wenig, wie in Brachylogus, statt. „Dampnum“ ist übrigens
Jnliauisch, und ebenso scheint auch die Fassung von V (Lebens-
nachstellung), XI (Ungehorsam der Tochter) und XII (Geistes-
krankheit) auf dieselbe Quelle zurückzugehen, nur dass die
beiden letzten Fälle erheblich gekürzt sind. In Nr. XIV
(Ketzerei) wird natürlich nicht auf die Saracenen, sondern
wieder auf „catholici“ und „haeretici“ Bezug genommen, aber
wieder nur von Söhnen gehandelt.
a. a. 0. S. 240 und Stintzing, Populäre Literatur, S. 80, unter Nr. 31, nach
Conrat, Geschichte, I S. 493, unter Nr. 35 steheu. — Das Tübinger Rechts-
bnch s. im Bnllettino ilell ist. di dir. Rom. III, 1890, 8.116 (Nr. 63). —
Petri exc. bei v. Savigny, Geschichte, II 8.329 (I, 15).
') Vgl. Conrat, Geschichte, I 8. 449 N. 1 und S. 491 N. 2.
*) So Ficker a. a. 0. 8.8. Vgl. auch das altkastilische „fechizero“ in
den VII Partidas (unten).
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30
Über die Enterbungsgründe für Kinder schweigt diese
Überlieferung vollständig.
III. Eine weit umfassendere Rezeption, als die bisher be-
sprochene proven^alische Überlieferung, weist das provengalisclie
Rechtsbuch des 12. Jahrh. „Lo Codi“ auf, dessen lateinische
Übersetzung kürzlich Fitting heraasgegeben hat1). Doch, ehe
an dieses herangegangen wird, dürfte, um tunlichst die zeitliche
Reihenfolge beizubehalten, vorerst ein Blick auf das Authenti-
kum zu werfen sein, dessen Text Zachariae v. Lingenthal, wie
bemerkt2), für den Originaltext Justinians zu halten geneigt
war. Hier wird es sich zunächst darum handeln , die wich-
tigsten Abweichungen von Julian festzustellen. Sie sind
folgende 3).
In Nr. I steht „uianus intulerit“ (xelQag imßaloi) anstatt:
„audaces mauus imponat“; in II: „iniuriam ingesserit“ statt:
„contumeliam faciat“; bei VII: „delator“ für: „calumniator“
und „dispendia“ (£17/ uiag ) für „damnura“. Der Schluss von IX
befiehlt an: „sccundum alias leges super hoc positas talia
negotia terminentur“, wie der griechische Text, während Julian
verändert: „suas ad versus eum exerceant actiones“. Bei XI
ist von „luxuriosam degere vitam eligere“ die Rede, austatt:
„turpitcr vivere malle“. Bei XII und XIII stehen die
Äusserungen Julians über „ab hereditate repelli“ nicht, eben-
sowenig findet sich das Missverständnis in dem 5) der Gründe
für Kinder4). Nr. 1) der letzteren heisst: „ad iuteritum vitae
— tradere“, wo Julian „vitae — insidiari“ schreibt, und an
Stelle der „susurri magici“ in Nr. 2) sind die yoyteiat als
„maleficia“ bezeichnet.
Auf dieser Fassung scheint auch diejenige zu beruhen,
welche in den Libri Feudorum für die „prima causa beneficii
amittendi“ gewählt ist5). Man kann hier den ersten und
*) Lu Codi, I. Teil, 1906.
*) Oben S. 15 N. 1.
*) S. G. E. Heiubach, Autbenticum, Pars II, 1851, S. 851 ff.
*) Vgl. oben S. 24.
b) Fend. II, 24, 4—8. Vgl. auch Consnetudines Feudorum, I, Compilatio
antiqun, ed. C. Lehmann, 1892, 8. 37: X, 2; hier heisst es nur im I. Falle:
„iniecerit“ statt: „ingesserit“.
31
zweiten der Justinianischen Fälle finden in den Worten: „si im-
pias manns in personam doniini — ingesserit vel alias graves
vel inhonestas iniurias intulerit“. den V.: „vel morti eins veneno
— vel aliter insidiatus fuerit; den VI.: „si doniini vel dominae
filiae — sese irainiscuerit“ ; den VII.: wenn er delator seines
Herrn wird und durch seine Delation ihm „grave dispendium“
zufügt; auch den VIII.: „si cognoverit dominum inclusuin et
eum quum potuerit non liberavit*. Ja schliesslich wird auf die
„nova constitutio justas exheredationis causas enumerans“ aus-
drücklich hingewiesen.
Damit sind wir bei der Bolognesischen Überlieferung an-
gelangt. Hier werden freilich die Enterbungsgründe meistens
durch einen blossen Hinweis auf den Inhalt der Novelle ab-
getan '), wie es dann die mittelalterlichen Schriftsteller nach-
zumachen pflegen *). Aber eine der im ganzen seltenen Authen-
tiken zu den Institutionen, und zwar zum Titel „de inofficioso
testamento“: 2, 18, verfährt anders. Hier sind die einzelnen
Fälle wieder aufgezählt, und zwar alle s). Die Fassung ist ein
') So in der Autli. „Non licet“ zu C. G, 28, 4 und in der Glosse „has
esse decernimns* zu Nov. 115, 3 pr. (a. E.).
*) z. B. Johannes Bassianus in Azos Summa — super libro noncllarum,
zur Rubrik „Ut cum de appellatione cognoscitur“ (Ed. Lugduni 1530 S. 370);
Rofredus, ordo judiciarius, Pars VI, bei der querela inoff. test. (Ed. Lugduui
1561 S. 405 Lit. F); Hostieusis, Summa, Lib. III, Rubr. de testamentis, §.
Qualiter infirmetur, v. Quod intellige quando exheredatio sine causa facta
est; Repertorium super lecturis D. Alberici de Rosate (Opera, Lugduni 1545
Tom. 111) Lit. E, s. r. „exhaeredatio“, welcher aber auch auf die noch zu
erwähnende kanonische Glosse vetweist.
*) Vgl. den Hinweis auf die hierher gehörige Stelle in Hugos Civilisti-
schem Magazin III (2. Aufl., 1812) S. 288 Nr. 16 von v. Savignys Hand.
Zum Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist die Autheutika nach der
Göttinger Handschrift: Cod. ms. Jurid. 27 Bl. 22b, einem Werke des 13. oder
14. Jahrhunderts, italienischer Herkunft, verglichen worden (vgl. Verzeichnis
der Handschriften im Prenssischen Staat, I, 1, 1893, S. 313). F. A. Biener,
Historia Authenticarum, Sectio prior, 1807, S. 66, setzt diese Auth. in die
erste Hälfte des 12. Jahrhunderts und sagt von ihr (S. 67): „sensum Novellac
iustum exhibere“, als „ex ipso foute“ geschöpft. Übrigens stimmt der Ab-
druck dieser Stelle iu der Inrtitutionen-Ausgabe des Cuiacius (Paris, 1585,
S. 379; vgl. Fabrot, Opera Cuiacii, I, 1658, S. 120) und bei Herrn. Vnlteii,
In iustitntioues iuris civilis — coinm. (1598) S. 892, nicht völlig mit der
Göttinger Lesart überein, namentlich fehlen hier die Gründe für Rinder.
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32
Gemisch aus dem Authentiknm und Julian •). Bemerkenswert
ist z. B., dass beim VIII. Falle (Gefangenschaft) die männ-
lichen Deszendenten als „capaces doli1 bezeichnet werden,
ferner, dass in einer der gedruckten Ausgaben * *) beim XII. Grunde
(Geisteskrankheit) die Erweiterung hinzugefügt wird: „Idem<|ue
juris de aliis morbis et necessitatibus“, welche jedoch vielleicht
dem Herausgeber ihr Dasein verdankt.
Eine neuerdings aus einem Münchener Kodex veröffentlichte
„Extravagante“ deckt sich fast wörtlich mit jener Authentika3),
sie dürfte daher aus der gleichen Quelle fliesseu.
Ebenfalls auf dem Authentikum zu beruhen scheint eine
von Cicognario herausgegebene Summa notariae, die zu Arezzo
in den Jahren 1240—1243 entstanden sein soll4). Sie fasst sich
kurz und hat kleine Abweichungen, von welchen eine Hervor-
hebung verdient die bei Nr. X gegebene Erklärung des „mi-
mus“5): „id est ioculator“ , ein Ausdruck, welchen sonst nur
die provent.-alische und spanische Überlieferung hier verwendet,
und in Nr. XI die Bezeichnung des Vergehens der Tochter als
„vult luxuriari“. Eingehender ist auf die für Kinder aufge-
stellten Gründe aufmerksam zu machen, schon deshalb, weil
ihre Zahl nur auf 7 angegeben wird. Letzteres entspricht
einer weitverbreiteten mittelalterlichen Überlieferung, welche
') So wird die Bezeichnung als „cnnsae iugratitndinis“ von Julian
stammen, ebenso diejenige der Ausnahme in Nr. III nnd 1) als .crimen ma-
jestatis* (vgl. Julian zu Nr. 1); „conversatur“ in IV und X stimmt mit ihm
überein, ebenso der Schluss von IX (s. oben S. 23). Auch die Beschränkung
von Nr. IX (Testierhindernis auf Söhne) ist Julianisch. Dagegen: .Furioso
parenti curam praebcre (Monac. adhibere) — competentem“ könnte an Bracby-
logus nnd Petrns erinnern, wenn nicht die Göttinger Handschrift an dieser
Stelle statt .competentem" : „unde tarn* (sc. exheredationc digni sunt etc.)
stehen hätte. Das Übrige entspricht meistens dem Anthentikum.
*) In der Ausgabe von Jnstiniani Institutionum juris civ. libri IIIl des
P. ab Area Baudoza Cestii, Colon. Alobr., typis Jac. Stoer, 1614, S. 113.
*) Bibliotheca iuridica medii aevi, vol. III, 1901, S. 81 Nr. 70. Im Cod.
Monacensis 22 steht diese Auth. beim Kodextitel .de officio praefecti prac-
torio Africae“ (1, 27, 1); der Kodex stammt ans dem 14. Jahrhundert.
4) Bibliotheca iurid. med. aevi cit. 3.328: cap. 157: .de ultimis volun-
tatibus“.
*) So ist jedenfalls zu lesen austatt des keinen Sinn ergebenden: .invius".
L
$le
33
auf die Glosse selbst zurückgeht *), und dann von vielen
Schriftstellern befolgt wird8). Man ist gespannt darauf, die
Aufzählung dieser Fälle zu vernehmen, und findet sie z. B. in
einem von der Glosse zu J. 2, 18 (de inoff. test.) aufgenommenen
Merkverse:
Sed pater ex septem: si nati spernet honorem,
Hunc accusabit, dira venena dabit,
Testari vetat, aut uxorem diligit eius,
Non redimit captum, dum furit odit eum8).
Hier fehlen offenbar Nr. 5) (Lebensnachstellung unter
Eltern) und 8) (Ketzerei), die anderen 6 sind in den drei letzten
Zeilen erhalten, und zur Vervollständigung der 7-Zalil ist der
allgemein lautende Grund im ersten Verse hinzugefügt.
Die Summa notariae lässt ebenfalls Nr. 5) aber auch Nr. 7)
(Kriegsgefangenschaft) aus, und schliesst sich in der Ausdrucks-
weise bei Nr. 3) (Inzest), 4) (Testierhindernis) uud 6) (Geistes-
krankheit) an das Autbentiknm an, nur dass bei Nr. 4) die
Zulässigkeit der Testamentserrichtung durch den Haussohn nach
den Unterschieden der Peculien behandelt wird. Nr. 1) lautet:
„si — in criminalibus causis accusavit“, wie in der Authentika
zu deu Institutionen, jedoch ohne die Ausnahme des „crimen
maiestatis “ *). Bei Nr. 8) (Ketzerei) werden die Worte: „ortho-
doxus id est catholicus vel in fide rectus“ etymologisch zu er-
klären versucht6). Aber, um an Stelle der beiden gestrichenen
Fälle die 7-Zahl zu erhalten, schmuggelt der Redaktor einen
’) Vgl. Ol. „ltas esse decernimus“ zu Nov. 115, 3 pr. und Ql. „quatuor-
decim“ zur Auth. „Non licet“ (C. 6, 28, 4).
*) So in der von Fitting unter dem Namen des Iruerius (1894) heraus-
gegebenen Summa Trecensis, S. 184, ferner bei Johannes Bassianus und
Kofredus an den S. 31 N. 2 angeführten Stellen. Auch Rogerius sagt in
seiner Summa Codicis zu ß, 15 (Bibi, jurid. med. aevi, I, 1888, S. 112): „sep-
tenario immer« continentnr*. Jason Maynus, Coinm. in II partem Codicis,
Lugd. 1508, Bl. 125b, zählt sogar nur VI, aber es kann ein Druckfehler
vorliegen.
*) Der Vers ist auch z. B. in Lanterbachs collegium Pandectarum, I,
1784, S. 451, ilbergegaugeu.
‘) Vgl. S. 32 N. 1 oben.
*) „et dicitur ab ortlios quod est rectum et a doxa id est gloria: itide
orthodoxus id est recte gloriosus“.
Herkel, Euterbungsgrilnde 3
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der mir für Eltern aufgestellten Enterbungsgründe ein, nnd
zwar den IV.: „si pater cum maleficis ut maleficus versetur“!
Man sieht: auf solche Weise, wie sie in dem Merkverse
der Glosse und in der Summa notariae zur Verwendung kommt,
entspringt die Zählung von bloss 7 Gründen in der zweiten
Gruppe willkürlicher Auswahl. Der wahre Anlass zu dieser
Zählung dürfte aus dem Institutioneulehrbuch Perneders (1544)
erhellen, welcher einfach die Fälle 6 (Geisteskrankheit) und 7
(Kriegsgefangenschaft) unter einer Nummer zusammenfasst1),
und dies mag wieder damit in Zusammenhang stehen, dass der
Text des Authentikum ebenso wie der griechische Text der
Novelle diese beiden Fälle gewissermassen in einem Atem auf-
zählt. Denn während sonst sämtliche einzelne Enterbungsgrnnde
mit dem Wörtchen ei (si) eingeleitet werden, ist dies für den
Fall 7 nicht geschehen: daher konnte man bei mechanischer
Zählung ihn mit Nr. 6 wohl zusammenrechnen.
IV. Der oben erwähnte Versuch, die Enterbungsgründe
zum Zwecke leichterer Fasslichkeit in Verse zu bringen, ist in
der Literatur der Zeit, von welcher die Rede ist, auch bei den
Enterbungsgründen für Aszendenten gemacht worden. Nur ist
die Herkunft der Strophen zweifelhaft. In einem Druck der
kanonischen Glosse werden sie der „Summula paupernm“ zu-
geschriebeu 2), aber in der „Summula de summa Raymundi“3)
scheinen sie sich nicht zu finden. Sie treten in verschiedenen
Lesarten auf, sind es indessen nicht wert, dass man eine text-
kritisch genaue Ausgabe von ihnen mit Angabe der Varianten
herstelle. Daher mag eine der üblichen Fassungen genügen:
Bis septem4) causis exhercs filius esto:
Si patrem feriat, si maledieat ei,
Carcere detrusum si negligat ac furiosum,
Criminis accuset, aut paret insidias,
Si dederit gravia sibi damna, nec hoste redemit,
’) Andreas Perneder, Institutiones, 1544, Bl. 59b.
’) Corpus jnris canonici, Basileae 1511, Tom. II, Bl. 142 b.
*) Vgl. Stintzing, Populäre Bit. S. 502.
*) Her Ausdruck wird nicht ohne Rücksicht anf die .septem causae“
für Kinder gewählt worden sein.
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35
Testari prohibet, aut dat arena locum l),
Si prauos sequitur, vel auiat geuitoris amicam,
Non orthodoxus, filia quando coit8).
V. In der Glosse zu den kanonischen Rechtssamm-
lungen, welche diese Verse enthält, Anden sich die Ent-
erbungsgt finde, allerdings nur diejenigen für Aszendeuteu, auch
in prosaischer Gestalt, und zwar in der Glosse „exheredaret“
zu c. 23 X. 2, 24 (de jure juraudo), welche dem Ende des
12. Jahrhunderts zuzurechnen sein wird *). Auffallend ist,
dass hier gerade der XIV. Grund, die Ketzerei, fehlt, was aus
den ohnehin nach kanonischem Rechte bestehenden erbrecht-
lichen Beschränkungen der Nicht-rechtgläubigen zu erklären
sein wild. Die übrigen sind dem Authentikum entnommen,
welches als Quelle angeführt ist, aber es lassen sich auch
Übereinstimmungen mit Brachylogus*) und der Petrus-Gruppe8)
nachweisen. Eine Verwechselung mit dem Worte: delatio:
scheint iu Nr. VII (Sykophantie) vorzuliegen, indem gesagt wird:
„si ex dilapidatione filii grave dispendium parentes sustulerint“,
ein Missverständnis, welches für die spätere Verarbeitung nicht
ohne Folgen geblieben ist.
Auf die kanonische Glosse nimmt der Vocabularis juris,
gleich anderen Schriftwerken6), einfach Bezug, um sich die
') Eine andere Überlieferung bat hierfür das wahrscheinlichere .jocum“.
’) In der luitgeteilten oder einer etwas abweichenden Form finden sich
die Verse in der Glosse zu J. 2, 18 und in der kanonischen Glosse, ferner
bei Matth. Wesembec in Fand. jur. civ. — commentarii, Basel 1606, Bl. 865
(zn I). 28, 3: de iniusto rupto etc. testamento) und bei Lauterbacb oben
S. 33 N. 3. Eine sehr fragwürdige Gestalt tragen sie iu der Summa notariae
(Bibi. jur. med. aev. III, S. 328): '
Filius bis causis exheres iure notatur:
Si fuerit improperatus, delatus mentemque minatus
Si fuerit, et capitur patris auxiliumque uegatur,
Noluit, et prohibet, si filia luxuriatur.
’) v. Schulte, Geschichte der Quellen des kanon. Rechtes, I S. 175 ff.
und S. 228.
4) So wörtlich in Nr. V (Lebensnachstellung) und Nr. VI (Inzest), wo
mir das „turpiter“ (se immiscere) fehlt.
*) Vgl. Nr. IV : rsi mnleficus efticiatur“.
*) Vgl. den Vocabularius s. v. exheredatio, ferner das oben S. 31 N. 2
schon erwühnte Repertorium super leetnris D. Alberici de Rnsate, wo ver-
3«
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Aufführung der einzelnen Enterbungsgrfinde zu ersparen. Eine
deutsche Übersetzung derselben enthält die unten zu erwähnende
Hessische Gerichtsordnung vou 1497.
VI. Hier schliesst sich nun wohl am besten die übrige
romanische Überlieferung an, und zwar zunächst die, von
welcher oben in Zusammenhang mit der provenqalischen die
Rede war1). Das Rechtsbuch „Lo Codi“, das hier zuerst zu
nennen ist, liegt freilich bis jetzt noch nicht im Originaltexte
vor, man muss sich einstweilen mit der von Fitting trefflich
herausgegebenen lateinischen Übersetzung begnügen, welche
nach den Ausführungen des Herausgebers um das Jahr 1160
anzusetzen und als die Arbeit eines Italieners (Ricardus aus
Pisa?) zu betrachten ist.
Aber den Inhalt des hier interessierenden Textes kann
man aus jener Version doch mit genügender Deutlichkeit kennen
lernen2). Man ersieht daraus vor allem die absolute Voll-
ständigkeit der Enterbungsgründe, obgleich ein Fall, der VI.
(Inzest), im lateinischen Texte fehlt und die Zahl der für
Kinder geltenden Fälle — bekanntem Brauche folgend8) —
auf nur sieben angegeben wird: denn in Wirklichkeit sind der
letzteren doch acht.
Beim ersten Grunde („si filius misit manus in patrem“)
wird hinzugefügt: „ut offenderet patrem“. Beim zweiten (Ver-
balinjurie) zeigt sich bereits die Neigung des Verfassers zu
Definitionen: so wird die „gravis et inhonesta contumelia“
Julians als „grande vituperium“ erklärt und bei III (Kriminal-
anklage) die Ausnahme des „crimen majestatis“ — von Julian
beim 1. Grunde für Kinder gebraucht — als „offensio quam
fecit contra imperatorem“ — man erinnere sich der Brachy-
logus-Glosse! *) — erläutert. Der bei demselben Falle der
„civitas“ des Verbrechers gegebene Beisatz: „in qua ipse manet“
erinnert an den ßaaike iy tijs im Prochiron des XII. Jahr-
wiesen wird auf den „textus vulgatns1' in dem Authentikum und gesagt
wird: „et est plena gl. in c. quintavallis' (d. h. c. 23 X. 2, 24).
') Oben S. 30.
’) S. a. a. 0. S. 49 ff.: III, 17 und 19.
*) Oben S. 32 ff.
«) Oben S. 25.
37
hunderts. Die malefici in Nr. IV sind dem Verfasser: „qui fa-
ciunt malam artem“ ; das Majestätsverbrechen wird bei Nr. 1
geschildert: „quod voluisset imperatorem occidere vel aliquem
de consiliariis eins“.
Besondere Ausdrücke finden sicli noch: in Nr. V (Lebens-
nachstellung): „facere ingeninm ad occidendum patrem snum“,
ähnlich wie in der Petrus-Gruppe bei Nr. VII1), ferner in VI,
wo der Urtext mitgeteilt ist: „si el iaira ab sa mairastra o ab
la concoa de son paire“; bei dem entsprechenden 3. Grunde
für Kinder wird aber die Konkubine als „bagascia“, d. h. „mere-
trix“, bezeichnet. Ganz eigenartig ist der VII. Fall (Sykophautie)
beschrieben: „si filius mittat patrem suum in placito (d. h. in
judicio) *) per calumpniam id est tortuose et per elongamentum
quod filius peciit in illo placito pater sustinuit maximum darap-
num“: das letzte Wort ist Julianisch, ebenso entspricht die
„calumnia“ dem Julianischen „calumniator“ , aber die Veran-
lassung einer Termiusverlängerung oder Hinausschiebung als
weiteres Erfordernis ausser dem „tortuosen“ „mittere in placi-
tum“ gibt Rätsel auf3).
Die Bürgschaftsübernahme im Falle VIII (Gefangenschaft)
wird „facere firmanciam pro — “ genannt4), die Verhinderung
der Errichtung eines letzten Willens (Nr. IX): contradicere, das
Schauspielergewerbe (Nr. X), wie in der Summa notariae5):
manere cum „ioculatoribus“, jedoch ohne des arenarius und
mimus zu gedenken.
Von der Tochter beim XI. Grunde wird ausgesagt, dass
sie „plus uult facere uoluntatem snam cum luxuriosis hominibus“,
anklingend an die Fassung des Authentikum (luxuriosam vitam
degere). Beim XII. Grunde, wenn der Vater „furiosus“ ist und
der Sohn ihn nicht will „pascere uel uestire“, wird hinzu-
gesetzt: „perdit hereditatem patris, quamuis pater non exhere-
>) Oben S. 29.
*) Vgl. auch III, 3. 4. 9. 10.
*) ln den Coutumes de l'Anjou etc. steht : „par le prolongneinent que
le filz lui (von dem Vater?) demande en icelui plait“; in den Assises de
Jerusalem heisst es: „par raloignement que le fils ou la Alle font de celni plait*.
*) So auch VIII, 38.
s) Oben S. 32.
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38
dauit filiuw“; etwas anders ist der entsprechende 6. Gruud
gefasst, wo von „sensum suum perdere“ und Unterlassung des
„medicare“ und „custodire“ gesprochen wird und die Bemerkung
Uber den Verlust der Erbschaft fehlt. Dagegen wird der ge-
meinsame Fall der Kriegsgefangenschaft (Nr. XIII und 7) beide-
mal als eine Gefangennahme durch die Saracenen aufgefasst,
und hier heisst es bei Nr. 7: „pater perdit omnia bona filii de
quibus filius poterat facere testamentum“. Übrigens soll im
letzteren Falle nicht, wie im ersten (Nr. XIII), die Erbschaft
des Unwürdigen sofort an die Kirche fallen, vielmehr hat man
(die Obrigkeit?) hier die Wahl, sie anstatt dessen selbst zur
Lösung von Kriegsgefangenen zu verwenden.
In der Wiedergabe des 2. Grundes (Lebensnachstellung)
folgt das Rechtsbuch jedenfalls Julian nicht, indem von „pre-
parare uenenum uel aliud maleficium contra uitam filii“ die
Rede ist und nicht von „susurri magici usw.“. Ebensowenig
beim 5. Grunde (Lebensnachstellung unter Eltern), wo es heisst:
„dare medicinas ad perdendum sensum uel ad occidendum unus
alium“, eine Tat, die als „for factum“ bezeichnet wird.
Das Rechtsbuch spricht, wie die vorstehenden Auszüge er-
geben, in den einzelnen Fällen bloss von Söhnen, aber die
Überschriften der Kapitel nennen auch die Tochter, und unter
den Aszendenten werden nicht bloss Eltern und Grosseltern,
sondern auch „aliae personae superiores“ verstanden.
Die Form, welche die Justinianischen Enterbungsgründe
hier angenommen haben, ist offenbar eine originelle und lokal
gefärbte, nicht selten von Julian beeinflusst. Der Herausgeber
der Übersetzung vermutet aber, auf Grund der Annahme, dass
die Euterbungsgründe für Kinder „zweifellos“ dem Authentikum
entlehnt seien : man könne nicht annehmen, dass der Verfasser
bei der Bearbeitung einer und derselben Lehre zuerst Julian
und dann das Authentikum benutzt habe; deswegen sei es mög-
lich, dass seiner Darstellung vielleicht ein drittes, unbekanntes
Werk zugrunde liege, welches aus Julian schöpfe und die Ent-
erbungsgründe für Kinder überhaupt nicht enthalten habe;
letztere seien dann „unmittelbar aus dem Corpus iuris“ , d. h.
dem Authentikum, nachgetragen1). Indessen, wenn auch die
') Fitting, Lo Codi S. *12.
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39
Fälle Nr. 1) und 2) Anklänge an das Authentikum enthalten
mögen l), so ist doch z. B. die Form des 5. Falles dieser Quelle
nicht nachgebildet. Die Gestaltung entfernt sich überhaupt im
einzelnen ebensosehr von Julian, wie vom Authentikum , so
dass man, wenn nicht eigene Bearbeitung durch den Verfasser,
eine Vorlage vermuten müsste, die von beiden sich ebenfalls
unabhängig machte.
Auf Lo Codi, und zwar auf der lateinischen Übersetzung
desselben 2), beruht die Fassung einer dem 15. Jahrhundert an-
gehörigen Rechtsquelle des nördlichen Frankreich, die in den
„Coutumes de l’Anjou et du Maine“ von 1437 s). Daher
wird z. B. der VI. Grund (Inzest) auch hier weggelassen,
während er bei den Gründen für Kinder (als Nr. 3) vorhanden
ist. Aber die Darstellung bewahrt doch vielfach gegenüber
jener ihre Selbständigkeit. So fehlt der Grund der Geistes-
krankheit (Nr. 6) bei den Gründen für Kinder, und es kommen
in der Tat, wie angekündigt, bloss 7 solcher Ursachen heraus.
Ferner sind die Fälle teilweise umgestellt4), und ihr Inhalt
wird nicht unverändert mitgeteilt, wie folgendes ergibt.
Das Majestätsverbrechen bei Nr. III (Kriminalanklage)
hat der Verfasser als „fait contre le Roy ou contre le commun
d’une cit£“ — nicht: contra iinperatorem uel contra comunem
tocius ciuitatis“ — bezeichnet. Die Worte in Nr. IV: „demeure
ou converse o ceulx qui ouvrent de malefices ou o cieulx qui
font et maintiennent mauvais arts“ nähern sich mehr Julian, als
Lo Codi. Bei Nr. VIII (Gefangenschaft) unterscheidet der Ver-
fasser, wie die Petrus-Gruppe („parentes captos aut in car-
ceribus positos“), zwischen „emprisonö“ und „en chartre“, und
nennt die Übernahme einer Bürgschaft: pleger (vgl. plegius =
fideiussor), rccevoir en plaige. Dem X. Falle: „si le filz demeure
ou converse aveques jugleurez“: ist die interessante Begründung
') Vgl. .trailere ad mortem* mit „ad interitum vitae tradere* im Autb.
und die „maleficia“ in Nr. 2).
*) Fitting a. a. 0. S. *59/60.
*) Vgl. M. C. — J. Beautemps-Beauprfi, Coutumes et institutions
de 1' Anjou et da Marne, anterieurea au XVI. siede, I. partie, tome II, 1878,
S. 300 ff.: 6. partie, Tit. V, §§ 837/8.
4) Sie folgen sich: XII, XIV, XIII, XI; 5), 7), 8), 4).
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40
hinzugefügt: „par lequiel offlce celui, pui inaintient un an, peut
estre dit non convenable personne ä obtenir benefice d’Eglise“ *)•
Besonders eigentümlich ist Nr. XI (Ungehorsam der Tochter)
ausgedrückt, welcher Fall die Reihe der Enterbuugsgrlinde für
Eltern abschliesst. Es heisst: „Gentil femrne — also nur vor-
nehme Damen!, übrigens ohne das Unterscheidungsalter von
25 Jahren — quant eile a en euffant avant qn’elle soit marine,
et si eile se fait despnceller, eile perdra son heritaige quant
eile en sera prouvee“. Die Bemerkung über den offenbar von
selbst eintretenden Verlust der Erbschaft, welche in den
Fällen XII (Geisteskrankheit) und XIII (Kriegsgefangenschaft)
dem römischen Recht gemäss ist, findet sich hier zum ersten
Male auch beim XI. Grunde. Eine anonyme Glosse dazu (aus
dem Jahre 1385) erklärt denn auch die Gefallene, weil „nul ne
doit avoir prouffit de son metfait“ , für verlustig ihrer Ehre,
ihrer Ehe und ihrer Erbschaft und gibt die zum Zwecke des
Beweises erforderlichen Überführungsgründe in Übereinstimmung
mit dem kanonischen Rechte an ä).
Mit Lo Codi sollen in der vorliegenden Materie auch die
„Lois de PEmpereur“ übereinstimmen , welche einen Teil
der „Anciens fors de Bearn“ bilden, überhaupt mit Lo Codi
nahe verwandt sind und vielfach einer Übersetzung desselben
gleichkommen 8).
VII. Ebenso erinnert die Fassung in den Assiseu von
Jerusalem mehrfach an Lo Codi, ohne dass jedoch eine
direkte Beeinflussung sich nachweisen Hesse. Hier stehen die
Enterbungsgründe in dem Rechtsbuche der „baisse Court“ zu
') Daran, dass die „jocnlatores“ : „repelluntur n promotione ordinnm“,
jedoch ohne Erwähnung der einjährigen Zugehörigkeit, erinnert auch Lopez
in seiner Glosse ,Iuglarw zu der entsprechenden Stelle der „VII Partidas“:
Los Codigos Espafloles, IV (1848) S. 100.
’) Sei es „par evidence de fait“ oder „par renommte de voisius“, nament-
lich wenn sie öfters gesehen worden ist „o hoinnte: seul a seul, nu ä nu, en
lieu snspect“ oder wenn andere Vermutungen Platz greifen „et en pourroit
nng mariaige (estre) depparti pour la fornicacion“ ; vgl. X, 2, 23, 12 und 4,1,9.
*) So Meynial in Nouvelle revue hist. d. dr. XXX, 1906, S. 385, nach
J. Brisaaud et P. Rogfe, Textes additioneis aux anciens fors de Bearn,
1905, Nr. 46/6.
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41
Nikosia1). Es werden die Fälle IV (malefici), 3 (Inzest) und 6
(Geisteskrankheit) — letzterer, wie in den (Joutumes de l’Anjou
etc. — ausgelassen, obgleich die beiden letzten unter den
Gründen für Eltern stehen. Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft)
ist sogleich mit Nr. VIII (Gefangenschaft) zusammengezogen, wo-
bei sich letzterer Fall ebenfalls die Beziehung auf die Sarazenen
gefallen lassen muss („en prison des Sarrasins poraver“!) und
bei Nr. XIII vorausgesetzt wird, dass die Kinder „für die
Eltern“ die Gefangenschaft erleiden.
Nr. III (Kriminalanklage) ist so ausgedrückt: „se ils metent
mensonge d’aucun crim de mauvastie sur le pere ou la mere et
les accusent ä cort, si que par ians ne remaint que le pere ou
la mere nait grant mal et graut honte“, eine Voraussetzung,
die nach dem Originaltext zu Nr. VII (Sykophantie) gehört, wo
sie in den Assisen ebenfalls steht. Nr. VI (Inzest) und X
(Schauspielergewerbe) — „iugleors“ — werden hier auf die
weibliche Deszendenz mitbezogen 3) ; die Konkubine ist im ersten
Falle nicht mit genannt, wie im Edictus Rothari3). Bei dem IX.
bzw. 4. Falle (Testierhindernis) finden sich besondere Bemer-
kungen, nämlich die Bezeichnung des Testaments als „por Des“
oder für andere errichtet und bei den Gründen für Kinder die
Schilderung der Verhinderungshandlung als „deffendre a son
enfant qu’il ne se comuniast par ce que testament ne feist —
et par ce moruth desconfes et sans receivre son Creator a sa
mort“. Der Ungehorsam der Tochter (Nr. XI) heisst „faire
puterie et devenir communau“ und die Folgen der Vernach-
lässigung des geisteskranken Aszendenten (Nr. XIII) werden so
ausgemalt: dass er „par ce vait et cliet et se brise le col ou
se fait aucun autre mau“. Auch den 2. Grund für Kinder
sucht das Rechtsbuch dadurch anschaulich zu machen, dass als
wahrscheinlicher Zweck der Lebensnachstelluug angegeben wird:
„pour prendre ce qu’il (sc. der Aszendent) avet“. Schliesslich
mag noch die Form hervorgehoben sein, in welcher der letzte
') Les livres des assises et des nsages don reaume de Jerusalem, ed.
E. ü. Hausier, vol. I. 1839, S 206 ff.: Nr. CCXXXIV.
’) Nr. VI: „se le fis gist o sa marastre ou se la fille gise o son parastre
charnammcnt“.
*) Obeu S. 27.
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42
Grund (Ketzerei) angegeben wird: liier werden die Orthodoxen
„de dreite fei“ und die Ketzer „hereges ou Patalins“ genannt;
die „Patalins“ oder „Paterini“ sind die Waldenser1). Um aber nun
bei den Gründen für Kinder die Siebeuzahl herauszubekommen,
welche durch Weglassung von Nr. 3 und 6, wie oben bemerkt,
gestört ist, wird als „septime raison“ hinzugefügt: „se vont
reneer (= renegare?) en terre de Sarrasins ou deviennent Jouis
ou Sarrasins“.
VIII. Auch in die Gesetzgebung Alfons X., des „Weisen“,
von Kastilien sind die Justinianischen Enterbungsgründe ein-
gedrungen, und zwar — was nicht ohne Interesse ist — erst
allmählich. „El Fuero Real“ (von 1254 oder 1255) 8) enthält
sie noch nicht alle. Er beginnt damit3): wenn jemand seinen
Eltern Schaden zufügt („ficiere por sana“) und fährt deutlich
mit dem zweiten der Justiuianischen Fälle (Verbalinjurie) fort,
indem er, ähnlich wie das oben erwähnte Westgotische Gesetz4),
einzelne Arten der Beleidigung namhaft macht: nämlich ausser
der Beleidigung im allgemeinen („& deshonra“)4) das Belegen
mit „verbotenen“ Schimpfworten und das Verleugnen der Eltern.
Hierauf folgt Nr. III: Anklage wegen einer „Sache“, welche
Vernichtung des Körpers oder Verlust eines Gliedes oder Ver-
bannung aus dem Lande zur Folge hat, ausgenommen wenn
das Vergehen sich gegen den König oder gegen den „Senorio“
des Täters richtet, welche letztere Ausnahme neben die „insidiae
seniorum“ der Petrus-Gruppe zu halten ist6). Daran schliesst
sich Nr. VI (Inzest) mit Beziehung auf das „Weib“ des Vaters,
wie im Brachylogus7), und unter Bezeichnung der Konkubine
als „barragana“ 8), ferner Nr. V (Lebensnachstellung): „le ficiere
cosa con que pueda morir ö prender lision“, Nr. VIII: nicht-
') Vgl. Dn-Cange-Hendschel, Glossarium mediae et infimae Lati-
nitatis, VI (1886) S. 211, s. v. „Paterini“.
*) Vgl. Fr. W. Dnger, Römisches und nationales Recht, 1848, S. 66.
*) Los Codigos Espaßoles coucordatos y anotados, Tom. I (1847) S. 386:
Lib. III, tit. IX, Ley II: En quö casos puede ser el fijo desheredado.
*) Vgl. oben S. 26 N. 3.
•) Vgl. „dehonestare“ in den Usatici oben S. 28.
•) Oben S. 29.
») Oben S. 25.
*) Vgl. die „bagascia“ in Lo Codi oben S. 37.
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bürgen (fiar) für den Gefangenen, und Nr. IX (Testierhindernis):
„si lo embarga ö lo destorva, de gnisa que no pueda faccr
manda“ *). Nr. XIV (Ketzerei) heisst : „se facer Herege2) 6 se
tornar Moro ö Judio“9), und den Schluss bildet Nr. XIII: nicht-
lösen aus Gefangenschaft („captivo“ gegenüber „prision“ in
Nr. VIII), obgleich man es vermöchte.
In dieser Aufzählung fehlen also Nr. IV (Zauberei), VII
(Sykophantie), namentlich, wie im Brachylogus und in der
Petrus-Gruppe, auch Nr. X (Schauspielergewerbe)4), Nr. XI
(Ungehorsam der Tochter) und XII (Vernachlässigung in Geistes-
krankheit), ebenso endlich fehlen völlig die Gründe für Des-
zendenten5). Beachtenswert aber ist noch die Abtrennung von
Indignitätsfälleu, wie im römischen Recht, unter der Bezeich-
nung: „perder la herencia““).
War das frühere Gesetzeswerk des Königs Alfons demnach
zurückhaltend und wählerisch, so enthält dagegen der „Codigo
de las siete Partidas“, welcher in den Jahren 1263 oder
1265 vollendet worden ist7), die sämtlichen Justinianischen
Fälle in einer sich an das Original möglichst eng anschliessen-
den Gestalt8). Bemerkenswert ist von den Einzelheiten des
Gesetzes die an die Petrusgruppe erinnernde Fassung von Nr. I
(Realinjurie): „a sabiendas e saüiulamente“ (metre mauos yra-
das)9), ferner die, im Fuero übrigens zum Teil bereits vor-
gebildete, Form für die Bezeichnung der Anklage in Nr. III:
es müsse sich um Sachen handeln, auf welche Todesstrafe oder
') Diesen Fall stellt auch Ley III ib. unter „ Strafe“.
*) Vgl. in den Assises: .hereges“, oben S. 42.
*) Die Unzulässigkeit der Erbeinsetzung von Ketzern liebt noch be-
sonders Lib. III, tit. V, Ley lt hervor.
*) Vgl. oben S. 25 N 8 und S. 29.
*) Jedoch wird in den Strafgesetzen gegen Inzest auch das Inzest des
Vaters mit Weib oder Konkubine des Sohnes berücksichtigt: Lib. IV, tit. VIII, L.3.
*) Vgl. L. 4 im vorliegenden Titel (Lib. III, tit. IX).
’) Unger S. 70.
*) Los Codigos cit., Tom. IV (1848) S. 97—102 und S. 105/6: La sexta
I’artida, Tit. VII, Ley IV (enthält die Fälle Nr. I— IX), Ley V (Fall X-XII),
Ley VI (Fall XIII), Ley VII (Fall XIV) und Ley XI (die Gründe für
Deszendenten).
’} Vgl. „scienter et ironice“ oben S. 29.
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Verbannung oder Infamie gesetzt ist. In der entsprechenden
Nr. 1 bei Deszendenten wird auch der Verlust eines Gliedes,
wie im Fnero zu III, gleichgestellt, die Ausnahme aber nennt
neben dem König nicht mehr den „Seöorio“, sondern gemäss
dem Justinianischen Originale: „comunal de la tierra“. Der
Zauberer in Nr. IV heisst „fechizero o encantador“ *), die Kon
kubine (in Nr. VI und 3) „amiga“, die Sykophantie in Nr. VII:
„si enfamasse el fijo a su padre, o si le buscasse tal mal, por
qne padre ouiesse a perder grau partida de lo suyo“. In
Nr. X (Schauspielergewerbc) wird unterschieden zwischen dem
„juglar“ und demjenigen, der für Geld mit Menschen oder mit
wilden Tieren kämpft. Bei Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft)
erscheint anstatt der Kirche, welcher ein Recht auf den Nach-
lass zusteht, der Bischof. Endlich werden bei Nr. XIV (Ketzerei)
die drei Formen, welche El Fuero aufzählte : Mohammedaner,
Jude und „Herege“ beibehalten und, wie dort, Indignitätsfälle
ausgeschieden *).
Betrachtet man diese spanische Überlieferung im ganzen,
so lassen sich zwar Anlehnungen an ältere Formen in einzelnen
Ausdrucksweisen feststellen, insbesondere solche an die Petrus-
gruppe®), aber im ganzen scheint die Verarbeitung eine durchaus
selbständige zu sein.
Übrigens ist die Gesetzgebung der „sieben Teile“ infolge
einer im 14. Jahrhundert von ihr veranstalteten Übersetzung
auch in Portugal zur Anwendung gekommen4).
IX. Dem spanischen Vorbilde nachgemacht sind wohl auch
die Enterbungsgründe im „Civil Code“ von Louisiana ( 1824) 5).
Wie im Fuero Real fehlen auch hier Nr. IV (malefici) und X
(Schauspielergewerbe), die Eltern dürfen also aus solchem per-
sönlichen Verhalten den Kindern keinen Strick drehen. Aber
diese ist so ziemlich die einzige Ähnlichkeit mit jener älteren
■) Vgl. oben S. 29 N. 2.
*) Tit. VII, Ley 13 und 15-17.
*) Vgl. oben S. 42 N. 6 und 3. 43 N.9, sowie den „Faculator* : N. 1.
*) Uugcr S. 77.
5) Civil Code of the state of Louisiana, Ausgabe von Wheelock S. Upton
und Noedler R. Jennings, 1838, zweisprachig, mit französischem Text neben
dem englischen, S. 246 ff.: Art. 1609—1617, besonders Art. 1613—1615.
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Ordnung. Ausserdem werden noch die Fälle des Inzestes
(Nr. VI und 3) und der Ketzerei (Nr. XIV und 8) gestrichen.
Dagegen ist in beiden Kategorieen, für Eltern sowohl wie für
Kinder, ein neuer Euterbungsfall eingestellt, den man als eine
Erweiterung von Nr. XII = 6 (Geisteskrankheit) ansehen kann,
wie sie auch in älteren deutschen Rechtsaufzeichnnngen vor-
kommt1), nämlich: die Verweigerung des Unterhaltes („suste-
nance“) im allgemeinen — bei den Kindern wird noch hinzu-
gesetzt: „in necessity“ — . vorausgesetzt, dass man die Mittel
zur Gewährung besitzt. Die übrigen Justinianischen Gründe
sind vorhanden, werden allerdings eigenartig geordnet*), und
sind in knapper Form, wie es scheint, selbständig, stilisiert.
Bei Nr. I, wo dem Originale ähnlich von „Hand aufheben“
gegen die Eltern gesprochen wird, ist bemerkt, dass eine blosse
Drohung nicht ausreiche. Dagegen wird Nr. II („grievous in-
jury“) ausgedehnt auf: sich schuldig machen der Roheit
(cruelty) oder eines Verbrechens gegen die Eltern.
Sogar die Unterscheidung von Nr. VIII (prison) und XIII
(captivity) findet sich. Nr. XI (Verheiratung ohne Zustimmung
der Eltern) hat der Gesetzgeber auch auf die Söhne bezogen.
Insbesondere erinnert die Fassung des 5. Grundes (für Kinder)
(Lebensnachstellung unter den Eltern) stark an die römische
Vorlage, indem besonders ansgeführt ist, dass Kinder und
Deszendenten in ihren Testamenten denjenigen Eltern- oder
Vorelteruteil enterben können, der dem andern nach dem Leben
stand. Dieser Fall ist übrigens auch der einzige, in welchem
Deszendeuten im allgemeinen das Enterbungsrecht gegenüber
ihren Aszendenten verliehen wird, die übrigen Fälle der zweiten
Gruppe beziehen sich nur auf das Verhältnis von Kindern und
Eltern, während die Gründe für Eltern sämtlichen Aszendenten
gelten 3).
') S. z. B. unten die Summa legnm des Raymund von Wiener-Neustadt
und das Eisenacher Rechtsbuch.
’) Die Reihenfolge ist: I, II, V, III, der neue Urund, XII, XIII, IX,
VIII, XI: 1), 2), 4), neu, 6), 7), 5).
*) Art. 1614.
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46
§ 4
Die deutschen ßezeptionsformen bis zum
18. Jahrhundert
I. Wir gelangen nunmehr znm Eintritt der Justinianischen
Enterbungsgründe in das Gebiet der germanischen Hechts-
schöpfung. Doch ehe an dessen Untersuchung und Beobachtung
herangegangen wird, ist es nötig, zu bemerken, dass schon das
ältere germanische Recht gesetzliche Gründe der Erbunfähig-
keit kannte, welche zum Teil mit jenen übereinstimmen oder
ihnen wenigstens ähnlich sind. Eine Enterbung im römischen
Sinne in Form einer ausdrücklich hierauf gerichteten Er-
klärung des Erblassers war ohnehin dem deutschen Rechte
fremd1).
So galt seit alters der in dem jüngeren Friesenrecht for-
mulierte Satz, dass „blutige Hand kein Erbe nimmt“, d. h, dass
derjenige, welcher den Tod des Erblassers verschuldet habe, ihn
nicht beerben dürfe 8). Damit ist seinem Inhalte nach Nr. I
der Justinianischen Fälle — abgesehen von der technisch s. g.
„Indignitäts“-Folge — getroffen: Hand anlegen. Noch nach dem
vermehrten Sachsenspiegel hat „alle seine Wartung verloren“,
wer jemanden, dessen Eigens oder Lehens er erbfolgeberechtigt
ist, ums Leben bringt, es sei denn, dass er in Notwehr ge-
handelt hätte3).
') Vgl. Mittermaier, Grundsätze des gern, dtseb. Privatr., II, 7. Aufl.
(1847) S. 606 (§ 463 N. 1); Siegel, Das deutsche Erbrecht, S. 131 ; H.Boehlau,
Nove constitutione« domini Alberti, 1858, S. XV/XVI; H. Zöpfl, Deutsche
Rechtsgeschiclite, 4 Aufl. (1872), III, S. 266 (§ 121, II). S. auch oben S. 1 N. 1.
*) Vgl. Stobbe, Handbuch des deutsch. Privatr., V, 1885, S. 15 N. 10
(§ 632); Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, II, 1892, S. 632. Vgl auch
die Erbrechtsregeln bei Wasserschieben, Das Prinzip der Sukzessious-
ordnnng nsw , 1860, 8. 158, nach einer Danziger Handschrift (Stobbe, Ge-
schichte der deutschen Rcebtsquellen, II, 1864, S. 149).
*) Sachscnsp. III, 84, 3. Rud. v. Sydow, Darstellung des Erbrechts
nach den Grundsätzen des Sachsenspiegels, 1828, S. 60 (g 15), bezeichnet«
diesen Fall als „Indignität* — ebenso noch Zöpfl, Rechtsgesch. III, § 121,
bei N. 1 a — , wogegen sich mit Recht Siegel a. a. 0. S. 128 ff. erklärte, in-
dem er einen „Verlust des Erbrechts — durch Gesetz* annahm.
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Ein anderer Fall, den Justinianischen Nr. I und Nr. II
(Real- und Verbalinjurie) nahe kommend, deren direkte Re-
zeption schon im westgotischen und langobardischen Rechte
uacbgewiesen wurde1), findet sich in der Lex Alamannorum
und in der Lex Bajuwariorum*), wo ein Sohn des Anrechts
auf das väterliche Erbgut verlustig erklärt wird, wenn er sich
gegen seinen Vater auflehnt. Die Lex Bajuwariorum bedient
sich dabei des in den spanischen Versionen gebrauchten Aus-
drucks: »dehonestare“ 8). Als eine Fortsetzung solcher Be-
stimmungen dürfen die einschlägigen Vorschriften des Mainzer
Landfriedens Friedrichs II. vom 25. 121. August 1235 ange-
sehen werden4). Hier heisst es, dass ein Sohu, der seinen
Vater von seinen Burgen oder anderem Gut verstosse oder ihn
brenne oder raube oder der sich zu seines Vaters Feinden
kehre mit Eiden oder mit Treuen, dass es auf seines Vaters
Ehre oder auf dessen Verderbnis gehe, »verteilet“ sein solle
Eigens und Lehens und fahrenden Gutes und »wahrlich“ alles
des Gutes, das er von Vater oder Mutter erben sollte, ewiglich,
so dass ihm weder der Richter noch auch der Vater (!) jemals
dawider helfen möge, dass er ein Recht zu diesem Gute jemals
wieder gewinnen könnte. Der lateinische Text gibt dies mit
den Worten wieder: „omnium bonorum successione, tarn pater-
norum quam maternorum, mobilium et immobilium, feodis, pro-
prietate ac hereditate sit perpetuo ipso iure privatus“. Dennoch
tritt die Erbunfähigkeit nicht ohne weiteres ein, vielmehr be-
darf es eines Willensaktes des beleidigten Vaters selbst, für
welchen das Verfahren vorgeschrieben ist: der Vater muss den
Sohn vor dem Richter »ze den heiligen“ mit zwei »sentbaren
mannen , die niemen mit reht verwerfen mag“ seiner Untat
*) Oben S. 26 ff.
’) L. Alam. 35, 1 : s Mon. Germ, hist., Legum sectio I, Tom. V, pars I,
1888, S. 92 3. Vgl. auch die späteren Erneuerungen von 1261 (daselbst
Legum sectio IV, Tom. III, 8. 280 ff.), 1287 (daselbst Leges II S. 448) und
1303 (daselbst S. 481). — L. Bajuw. eap. 9 und 10: daselbst Leges III S. 286
und 390.
’) Vgl. oben 8. 28 und S. 42 N. 5.
*) Zeiuner, Neues Archiv der Gesellsch. für ält. deutsch. Geschiclits-
kuude, 28. Band (1903) S. 443 ff.; derselbe in Triepels Quellensammlung
zum Staats-, Verwaltung»- und Völkerrecht, 2. Band (1904) S. 52 ff.
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48
„bezeugen“ ‘). Dies Verfahren entspricht der „Erblosteilung“
des späteren sächsischen Rechtes und ist, gleich dieser, vom
Standpunkte des griechisch-römischen Rechtes aus eher eine
dnoxrj(>v!;is und „emancipatio“, d. h. eine Verstossung ans dem
väterlichen Hause3), als eine Enterbung durch letztwillige Ver-
fügung, denn es brauchte die Erklärung nicht mit Verfügungen
zugunsten anderer Personen sich zu verbinden.
Auch das zweite Kapitel des Mainzer Landfriedens gehört
hierher, nach welchem ein Sohn, der „an seines Vaters Leib
ratet“ oder freventlich angreift mit Wunden oder mit Gefäng-
nis oder „in dehein bant leit, daz vanchnusse heizet“, unter
Voraussetzung des nämlichen Verfahrens, für „§los und rehtlos
ewichlichen“ erklärt wird: „also daz er niemer wider chomen
mag mit deheiner slahte dinge ze sinem rehte“. Auch hier
sagt die lateinische Übersetzung: filius — qui — manus vio-
lentas in eum iniecerit3) — omni iure omnique actu legitime
perpetuo sit ipso iure privatus, quod vulgo dicitur „erenlos“ et
„rehtlos“.
Es erscheint wieder wie eine Fortbildung dieser Vor-
schriften, wenn der Sachsenspiegel an dem vorhin angegebenen
Orte weiter bestimmt, dass auch derjenige, welcher einem
andern sein Gut gewaltsam nimmt, sein Recht „verloren“ hat,
welches ilnn an diesem Gute anersterben mochte, und dass der
Lehensherr und sein Mann, wenn einer den andern tötet, Leben,
Ehre und Gut „verwirkt“4).
Das Enterbungsrecht wegen geschlechtlicher Vergehen
(Nr. VI und 3 der Justinianischen Fälle) ist ebenfalls nicht
') In Kap. 4 wird dies: „boziugeu — selbe dritte zen heiligen“ genannt.
Knp. 3 enthält für das Verfahren noch Vorschriften hinsichtlich des Zengnis-
zwauges, Kap. 7 Uber Vertretung des durch „ehafte not“ am Erscheinen vor
Gericht verhinderten Vaters.
’) Über die änoxriQuSts vgl. Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht,
S. 212 ff. Es ist ein bemerkenswerter Umstand, dass die Synopsis Basilikorum
(oben S. 20) beim UI. der Justinianischen Gründe (Kriminalanklage) plötzlich
einschiebt: ,,/zrI iovuov yag anoxr^iiaaoyjni 0/
*) Mau erinnere sich des Ausdruckes: „audaces manus imponerc“ im
Falle I bei Julian und im Brachylogus (oben S. 22 ff.).
*) Vgl, auch bei den oben S. 46 N. 2 erwähnten Erbrechtsregeln : „Fälle,
da ein Mann sein Gut auf seine Erben nicht mag geerben“.
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49
ohne Vorbilder im germanischen Rechte, welches in entsprechen-
den Fällen Erbunfähigkeit verordnet. Denn eine solche liegt
in der Androhung des Vermögensverlustes, welcher bereits nach
einem Gesetze Karls des Grossen (a. 803—813) denjenigen
treffen soll, der mit Mutter, Schwester, Vatersschwester oder
Nichte „mechatus est“ *), und in ähnlicher Weise erklärte die
constitutio de conjugiis illicitis (von 1052) Ehegatten und deren
Kinder für „exheredati“, wenn die Ehe gegen das Gesetz ver-
stiess; das Vermögen fiel in diesem Falle teils dem Fiskus
teils den nächsten Verwandten zu3). Am häufigsten findet sich
die Erbunfähigkeit für den Fall ausgesprochen, wenn eine weib-
liche Persou ohne die erforderliche Zustimmung ihrer nächsten
Angehörigen eine Ehe schliesst, ein Tatbestand, welcher unter
Nr. XI der Justinianischen Gründe gestellt werden muss3).
Dieser Fall ist geradezu typisch für das deutsche Recht, und
um so auffallender nimmt sich demgegenüber die Bestimmung
des Sachsenspiegels aus, gemäss welcher in dem unseren Be-
griffen nach noch weit schlimmeren Falle einer „Unkeuschheit
ihres Leibes“ das Mädchen zwar seine weibliche Ehre kränken
mag, sein Recht und sein Erbe deshalb aber nicht ein-
büssen soll4).
Endlich mussten auch die alten Ketzergesetze den Justi-
nianischen Enterbungsgründen Nr. XIV und 8 (Ketzerei) Vor-
arbeiten, wie die Constitutio Friedrichs II. vom 22. Februar
1232 und ihre späteren Wiederholungen, welche dem Ungläu-
bigen das Erbrecht mit den Worten versagte: „nec ad heredis
successionem accedat“ *).
II. Nach solchen Vorbildern nimmt es nicht wunder, dass
die Justinianischen Fälle, als sie in Deutschland bekannt
') Mon. Germ, hist., Legnm sectio II, Tom. I, 1883, S. 143 Nr. 3. Vgl.
Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, II S. 66ö N. 53.
*) Daselbst, Legnm sectio IV, Tom. I, 1893, S. 101.
*) Vgl. Stobbe, Privatr., IV S. 10 N. 12 (§ 209), S. 336 N. 17 (§253);
V 8. 16 N. 9 (§ 280), auch Zitate bei Siegel, Erbrecht S. 130 N. 521, und
das reiche spätere Material bei Uruchot, Erbrecht, UI S. 165 ff.
‘) Sacbsensp. I, 5, 2.
*) Mon. Germ, hist., Legnm sectio IV, Tom. II, 1896, S. 195 und 284;
vgl. Rieh ter-Dove- K ahl, Kircheurecbt, I § 52 N. 2 (S. 140).
Merkel, SnterhuiiK'griinde 4
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50
wurden, zunächst ebenfalls nur im Sinne von gesetzlichen Erb-
unfähigkeitsgrttnden verstanden wurden. Sie begegnen hier
zuerst iin s. g. Deutschenspiegel, dem Vorläufer des Schwaben-
spiegels, und zwar, wie im westgotischen und im lango-
bardischen Rechte, nur mit Auswahl. Unter der Überschrift:
„wie ein chint vater vnd muoter erbe verwurchen mag“ : werden
hier „vier dinge“ angegeben, „mit“ denen dies geschieht. Das
erste ist unverkennbar der VI. der Justinianischeu Fälle
(Inzest), er lautet: „ob der vater hat ein weib dev ist sein
stevfmuter. ob der sun bei ir leit. oder bei einem ledigen weibe
die der vater hat gehabet. so hat er alles daz erbe verw&rchet
des er von im wartunde waz“ '). Zum Beleg hierfür beruft sich
der Spiegler auf die Geschichte Absaloms, die in „der Könige
Buch“ erzählt worden sei2), wie Absalom der Schöne bei seines
Vaters David Freundinnen „sündiglieh“ lag „und wissentlich“:
„damit verworcht er seine hulde vnd sein erbe. Absolon ver-
worcht auch seines vater hulde vnd sein erbe“. Was hierauf
folgt, ist unklar: „daz er seines leibes ofte varet. Wie er in
erslßge da half im got ie von“. Der Sinn aber soll, wie sich
namentlich unter Zuhilfenahme des französischen Textes des
Schwabenspiegels feststellen lässt s), offenbar der sein : Absalom
versuchte, öfters, seinen Vater zu erschlagen, aber Gott hat
diesen davor behütet. Damit schliesst das erste „Ding“.
Das zweite entspricht dem zweiten Kapitel des Mainzer
Landfriedens“): „vnd ist daz ein sun seinen vater vaehet vnd
in in sleuzzet wider recht vnd stirbet er in der vanchnüzze.
Der sun aver sein erbe verlorn“; nur wird hier ein Erfordernis
hereingetragen, der Tod des Vaters in Gefangenschaft, welches
in jener deutschen Rechtsquelle nicht, wohl aber in der
') Der Spiegel deutscher Leute, herausgegeben von J. Ficker, 1859,
S. 42 Nr. 19 (fälschlich: 20).
’) Vgl. v. Daniels, v. Gruben und Kuehns, Recbtsdenkmäler des
dtseh Mittelalters, I, 1858, S. LXYII. Vgl II. Samuelis 16, 22.
*) Vgl. G.-A. Matile, Le Miroir de Souabe, 1843, 8. IV : „quar absalon
se poenoet celeemant (sich heimlich bemilhte) taut conie il puet docire son
pere mas dcx lan garda“.
4) Vgl. oben R. 48; diese Stelle ist daher bei Stobbe, Rechtsqnellen,
I S 331 N. 14, den Quellen des Dentseliensp. noch beizufllgen.
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61
römischen, bei dem VIIT. der Justinianischen Gründe (Kriegs-
gefangenschaft) sich findet.
Das dritte „Ding“ ist wieder römischen Ursprungs, und
zwar der III. Fall (Kriminalanklage), und wird so ausgedrückt:
„vnd ist daz ein sun seinen vater vor gerichte ansprichet er
hab im getan sogtanew dinch dev dem vater an den leib gant.
vnd enmag er sein niht vberwinden er hat sein erbe verlorn“
Auch hier wird etwas in den Fall hereingebracht, was im
Originale nicht enthalten ist, wenigstens nicht an dieser Stelle:
zuerst der Umstand, dass die „Dinge“ ihm, dem Sohne, an-
getan sein müssen, um die er den Vater verklagt, und sodann
die Voraussetzung, dass er den Vater nicht „überwinden“ könne,
eine Voraussetzung, die dem V. der Justinianischen Fälle
(Sykophantie) angehört. Auf der anderen Seite ist es vom
Spiegler unterlassen worden, die quellenmässigen Ausnahmen
von der Regel (Anklage W'egen Majestätsverbrechens und Hoch-
verrats) hinzuzufügen, womit übrigens ältere Rezeptionen des
III. Falles übereinstimmen J).
Obgleich der Verfasser des Rechtsbuches „vier dinge“ ver-
lieissen hatte, begnügt er sich doch mit den genannten dreien,
und fasst sie noch einmal zusammen: „mit disen dingen ver-
würchet ein isleich erbe güt daz er erben sol“. Damit ist
freilich zugleich eine wesentliche Ausdehnung der Verwirkungs-
fälle geschaffen worden, indem sie nicht allein auf die Des-
zendenz, sondern auf „jeglichen“ Erben bezogen werden.
„Mit disen dingen venvtirchet sich“ aber auch „ein vater gein
seinen cliinde“ ; es folgen also, wie nach römischem Recht, die Un-
fähigkeitsgriinde gegenüber Kindern nach. Aber sie bestehen bloss
iu einer Bezugnahme auf die schon gegenüber Eltern genannten, und
hier wird zudem ein dem im Mainzer Landfrieden für den ent-
gegengesetzten Fall vorgeschriebenen analoges Verfahren fest-
gesetzt: der Vater muss bei seinem lebendigen Leibe von seinem
Gute scheiden, und der Sohn tritt au seine Statt, und er soll
dem Vater die Notdurft geben und soll ihm die „mit Ehren“
geben „nach deu ern als da er gelebt hat“ (d. h. standesgemäss).
’) Vgl. das westgotigche Gesetz and die Usatici Rarohinoniae oben
S. 26 und 28.
4*
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52
Dieses Verfahren wird allerdings nicht als ein gerichtliches be-
zeichnet, es konnte sicherlich auch in einer friedlichen Guts-
abtretung bestehen , aber als Regel wird der Spiegler eine
solche schwerlich vorausgesetzt haben. Man hat diese Ge-
staltung für ein „grossartiges Missverständnis“ des Novellen-
rechtes gehalten ’), allein mit Rücksicht auf die angezogene
Bestimmung im Mainzer Landfrieden dürfte der Vorschlag eines
solchen Verfahrens kaum etwas Befremdliches besitzen.
Die Verwirkungsgründe für Eltern sind demgemäss: Nr. 3
(Inzest mit der Ehefrau des Sohnes oder mit dessen Konkubine),
Einsperrung der Kinder und Tod im Gefängnis und Nr. III
(fruchtlose Kriminalanklage). Dieser Erfolg wird ohne Über-
legung erzielt worden sein, aber er ist, wenigstens was die
Einmischung eines für Eltern bestimmten Grundes unter die
für Kinder bestimmten angeht, nicht neu2). Auch Hesse sich
anstatt Nr. III die Justiniauische Nr. t verstehen (Aufopferung
der Kinder), welche gerade die Anklage wegen eines todes-
würdigen Verbrechens in sich schliesst.
Interessant ist übrigens jedenfalls die hier getroffene Aus-
wahl unter den Justinianischen Fällen: Nr. III hatte sich auch
die westgotische Gesetzgebung und Nr. VI der Edictus Rothari
heransgesucht. Etwas Neues aber enthält lediglich die Ein-
mischung eines dem älteren einheimischen Rechte entlehnten
Falles unter die fremdrechtlichen 8).
III. In dieser Form sind die Enterbungsgründe in deu
Schwabenspiegel und die von ihm abhängigen Rechtsbücher
übergegangen, mit geringfügigen Abweichungen, deren be-
deutendste die ist, dass keine jener Quellen mehr die Fälle auf
„jeglichen Erben“ ausgedehnt hat. Aber die Schwabenspiegel-
gruppe zählt, wie Justiuian bei den Eltern. 14 Gründe auf.
Dies wird darauf zurückzuftthren sein, dass eine spätere Hand
das übrige nachgearbeitet hat, wie schon Ficker mit grosser
Wahrscheinlichkeit vermutete4)- Dafür spricht auch noch der
') Siegel, Deutsches Erbrecht S. 132, mit Beziehung auf den Schwaben-
spiegel. da ihm der Dentschenspiegel noch nicht bekannt sein konnte.
’) Vgl. die Summa notariae oben S. 34 hinsichtlich des Falles IV.
*) Vgl, übrigens den nenen Grund im Prochiros oben S. 18.
*) Sitzungsberichte der philos.-histor. Klasse der kaDerl. Akad. d. Wiss.
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53
Umstand, dass in dem dem Deutschenspiegel zeitlicli am nächsten
stehenden mittelalterlichen Rechtsbuche, dem s. g. kleinen Kaiser-
rechte vom Ende des 13. oder vom Anfang des 14. Jahr-
hunderts ebenfalls noch die eklektische Methode in bezug auf
die Rezeption der Gründe befolgt ist, und dass hier wie dort
neue Gründe aus dem einheimischen Recht hinzugefügt werden.
Unter der Überschrift: „Von dem Verlust des erbes (de
perdicione hereditatis filii)“ heisst es in dieser Bearbeitung1):
„Eyn iglich sun sal wissen, der zu sinen iaren kumen ist, daz
der keiser hat bestetiget in des riches recht: wen man an disen
stucken findet schuldig, daz der sines vaters erbe hat virloru,
vn hat virwirket alle sin selikeit gen dem kaiser“. Das erste
„stuck“ ist: „leget er sin liant frefelich an den vater mit
stozzin oder mit slalien“, denn cs stehe geschrieben: „wer sin
liant frefelich leget au sin vater, der sal enterbet sin“. Das
ist der erste der römischen Fälle (Realinjurie). Es folgt der
VI. (Inzest), welchen der Deutschenspiegel an erster Stelle
nannte. Er hat die Form : „ab er by sins vaters wib get. Siut
gesc. stet: wer sich die vnreine gelüst lezzet virleiden, daz er
bie sins vaters wib get, den hat der keiser heizzen enterben“.
Die Konkubine wird also nicht ausdrücklich erwähnt. Hierauf
folgt der XIV. der Justinianischen Fälle (Ketzerei): „get er
auch uz dem glauben, er hat sin erbe virlorn. Sint gesc. stet:
wer des glauben8) nit enliat an der cristenheit, den sal man
werfen uz dem erbe“. Die beiden anderen Fälle sind: der zum
Tode Verurteilte „durch sine missetat“ — er hat das Erbe
(Wien) Band 23 (1857) S. 164. Anch Paul Laband, Beiträge zur Kunde
des Schwabenspiegels, 1861, S. 54/5, kommt zu dem gleichen Ergebnisse auf
(irund der Tatsache, dass die meisten Überlieferungen des Schwabenspiegels,
so die übersehe uud Ambraser Handschrift, die französische Übersetzung, Brünn,
Wien, Ruprecht von Freising und die alten Drucke (fol. 62 und 70; Frank-
furt 1566, fol. 55) die Bemerkung Uber Enterbung des Vaters gleich dem
Deutschenspiegel nach dem 3. Gründe einstellen, während Lassberg,
Gengier und Kulm sie erst am Schlüsse aller 14 Gründe einreihen; denn
die erstere Ordnung ist offenbar die ursprüngliche gewesen.
') Nach der Ausgabe von H. E. Endemann, Das Keyserrecht, 1846,
S. 50: Buch II Kap. 16.
’) Eine Handschrift hat „die glorie“ statt „des glauben“ ; man vgl. oben
die Erklärung in der Summa uotariae : S. 33 N. 5.
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54
verloren, weil geschrieben stellt: „der sal an allen dingen wesen
tot“1) — und: „wer an daz liehe redet“ oder „rette“*) oder:
„wider daz liehe tut“ — denn: „der ensal keins menschen
recht nit haben“ und „den en darf man uit urteiln, wan er ist
geurteilt vor dem keiser“ — .
Das Rechtsbuch steht bei der Rezeption dieser Gründe
offenbar, wie der Deutscheuspiegel , auf dem Standpunkte der
gesetzlich eintretenden Erbunfähigkeit, obgleich es auch die
Enterbung im deutschrechtlichen Sinne3) kennt4), und es
schweigt über eine entsprechende Erbunfähigkeit der Eltern,
während es den „bescheidenen“ Kindern eine Möglichkeit eröffnet,
dem Vater zu „wehren“, wenn er die Kinder durch „unred-
liches Vertun“ seines Vermögens „erbelos“ zu machen im Be-
griffe ist5).
Übrigens ist die Tatsache der Rezeption römischer Gründe
in dem Kleinen Kaiserrecht in Zweifel gezogen und die Ver-
mutung ausgesprochen worden, dass der Verfasser „namentlich
aus den Reichsgesetzen“ geschöpft habe, welche freilich vom
römischen Rechte beeinflusst seien und oft wörtlich dasselbe
enthielten6). Hierauf ist zu erwidern: gewiss decken sich die
Fälle I und XIV, welche hier als rezipiert betrachtet sind, mit
reichsgesetzlichen Vorschriften, wie oben nachgewiesen7), aber
die Fassung des I. und namentlich diejenige des VI. Grundes
verrät doch deutlich genug die Quelle, aus welcher die Vor-
schrift stammt. Auch die an derselben Stelle gemachte Ein-
wendung ist hinfällig, als ob im Falle einer Rezeption aus dem
römischen Rechte zu erwarten gewesen wäre, dass dann auch
die übrigen Fälle hätten Aufnahme finden müssen, wie im
') Er bleibt, wie Raymuud (I, 25 i. f.) sagt, selbst im Falle der Be-
gnadigung ehrlos.
’) Gemeint ist wohl Hochverrat; vgl. Man. Germ, hist., Leges II, S. 448
(Landfrieden Kaiser Rudolfs von 1287) cap. II: an sine* vater lip retet;
daselbst S. 481 (a. 1303): cap. 2: Von der sun rfttt. Im Schwabeuspiegel
(Lassberg) cap. 370 heisst es: der wider dem riche ist.
*) Vgl. oben S. 1 N. 1.
*) Vgl. Buch II, cap. 9, 10 (exlieredatio bona mente), 13.
5) Buch II, cap. 11.
*) v. Gosen, Da3 Privat r. nach d Kl. Kaiscrr. S. 161.
’) Oben S. 46 und 49.
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Schwabenspiegel ; denn, wie das westgotisclie und das lango-
bardische Recht, so sucht sicli aucli der Deutschenspiegel nur
einzelne Gründe heraus, und die Vervollständigung derselben
iin Schwabenspiegel dürfte, wie bemerkt, erst späteren Da-
tums sein.
IV. Was nun den Schwabenspiegel anlaugt, so wird die
Schilderung seines hierhergehörigen Inhalts l) sich am richtigsten
mit der Angabe der Abweichungen verbinden lassen, welche
die von ihm abhängigen Rechtsbücher aufweisen. Diese sind:
das Wiener Stadtrechtsbuch (a. 1278 — 96) s), das Landrechts-
buch Ruprechts von Freising (a. 1328) 3), eine Brünner Schöffen-
satzung4) und das s. g. Kulmische Recht5), welche beiden letzten
auch noch dem 14. Jahrhundert angehören.
Deu Beginn der Darstellung: „wie ein kint vater vnd
*) Ausgabe von Lassberg, 1840, Landrecht cap. 15; von Wacker-
nagel, 1840, cap. 16; von Gengier, 1876, cap. 16. Die Hermaunstädter
Handschrift, der „Codex Altenberger“, berausgegeben von Gustav Lindner,
1885, S. 12 ff. (Nr. 13) — die hierher gehörige Stelle ist aber auch abgedruckt
in der Zeitschr. d. Sav. -Stift., VI, 1885, Germ. Abt. S. 124 ff., mit zwei gering-
fügigen Abweichungen — steht am nächsten dem Kulmer Recht, und zwar
der Danziger Handschrift desselben, bei Homeyer, Deutsche Rechtsbücher,
1856, Nr. 137 = A bei Lenau, Das alte Knimische Recht, S. VII und
S. 177 (§ 49). Neue Lesarten teilt L. v. Rockinger in den Abhandlungen
der historischen Klasse der k. bayerischen Akademie der Wissenschaften,
22. Band (1902) S. 619 ff, mit. Die Zitate werden hier in der Regel nach
der Lassbergschen Ausgabe erfolgen, die Rockingerschen Mitteilungen als
„Rockinger“ bezeichnet werden. Im Schwabenspiegel wird übrigens auf die
Verwirkungsfälle des cap. 15 auch noch in cap. 22, 162 und 354 Bezug ge-
nommen.
*) Das Wiener Stadtrechts- oder Weichbildbuch, herausgegeben von
II. M. Schuster, 1873, S. 103: Art. 108. Über das im Text angegebene
Alter des Buches vgl. Schuster in den Atti del congresso internaz. di scienze
stör., Vol. IX (1904) S. 73 N. 1.
*) Das Stadt- und das Landrechtsbuch Ruprechts von Freysing, von
G. L. v. Maurer, 1839, S. 24: cap. 14.
4) E. F. Rössler, Die Stadtrechte von Brünn aus dem XIII. und XIV.
Jahrhundert, 1852, S. 401 Nr. 227. Die Verbindung unserer Stelle mit dem
Schwabenspiegel „oder mit einer ähnlichen Quelle“ erkennt auch Rössler
an : a. a. 0. S. CXVII.
s) C. K. Lemau, Das alte Kulmische Recht, 1838, S. 175: Bnch V, § 49.
Ebenso wörtlich in dem Strobandschcn Drucke von 1584.
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56
müter erbe verwvrken mac“ : machen, wie oben gesagt, die drei
Fälle des Deutschenspiegels; es wird übrigens sogleich ver-
sichert, dass der „Dinge“ (Brünn sagt: „schulden“, Kulm:
„Sachen“) vierzehn seien1 *). Die Unterschiede in der Wieder-
gabe jener drei ersten sind*): dass bei dem zweiten, dem
Mainzer Landfrieden entnommenen Falle Ruprecht einschiebt:
„ob ein suu seinen vater sticht“, dass die Besonderheiten des
dritten Falles im Deutschenspiegel, wonach die Dinge dem Sohn
angetan sein müssen und vorausgesetzt ist, dass er den Vater
nicht überwinden könne, fehlen, und dass überhaupt der Wort-
laut dieses dritten Falles variiert3). Neu hiuzugearbeitet
werden aber beim Falle III in der Schwabenspiegelgruppe die
römischen Ausnahmen, wieder in verschiedener Weise: „ez si
daune ein sogetauiv Sache div wider dem lande si. oder wider
dem fvrsteu des daz lant ist. da si inne wonhaft sint“ 4), oder
„ein sach davon daz laut verderwen möcht oder der des das
laud ist“ 5).
Hieran schliessen sich dann die übrigen Fälle für Aszen-
denten, von welchen nur Nr. V (Lebensnachstellung) und XIV
(Ketzerei) — in Brünn auch Nr. II (Verbalinjurie) und VII (Sy-
kophautie) — ausgclasseu sind, gewiss, namentlich Nr. XIV,
wie in der kanonischen Glosse, nicht ohne Absicht. Dabei hat
das Kulmische Recht, gleich dem Codex Altenberger, die Eigen-
tümlichkeit, dass der dritte Grund (= der Justinianischen Nr. III
Kriminalanklage) erst an fünfter Stelle erscheint, so dass am
Schlüsse, wo die Rechtsverwirkung für den Vater steht, die dem
Deutschenspiegel entlehnte Bemerkung: der Vater verwirke sein
Recht „myt den dryn yrsten Sachen“ nicht mehr zutrifft. Über-
l) Der Codex Altenberger spricht in der Überschrift des Kapitels zwar
von „fvmfczehen dingen“ zählt aber dann doch auch nur 14 auf.
’) Bemerkt mag ausser dem Folgenden noch werden die Bezeichnung
„tzu-wyb“, mit welcher Kulm die Konkubine wiedergibt.
*) Im Schwabenspiegel heisst es: „ob ein snn sogetaniv dinc von siuem
vater seit*, Wien und Ruprecht sprechen von „rügen* des Vaters oder von
dem Vater (solche Dinge).
‘) So Lassberg. Die Beschränkung auf das Land, darin man wohnt,
fand sich schon in Lo Codi (oben S. 36) und den von ihm abhängigen Cou-
tnmes de l’Anjou etc.
*) So Wien ; ähnlich Brünn und Kockinger.
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liaupt ist die Reihenfolge der einzelnen Fälle in den genannten
zusammengehörigen Rechtsbüchern eine recht verschiedene ‘).
Es wird nun nicht erübrigt werden können, auf den Wort-
laut der einzelnen Fälle einzugehen, da es sich hier um die erste
Überlieferung in deutscher Sprache handelt.
Der I. Fall (Realinjurie) ist so ausgedrückt: wenn der
Sohn den Vater geschlagen hat „an daz wange“ oder wenn er
ihn „geverlichen“ („vraefelichen“ : Wien und v. Rockinger;
„vreffleich vnd unwerleich: Brünn; „ernstlich“ oder „verlieh“:
Kulm) geschlagen hat. Ruprecht von Freising erinnert hier an
das vierte der Mosaischen Gebote und begründet damit die
Schlussfolgerung, dass ein Mensch, der durch die Übertretung
dieses Gebotes ein langes Leben verwirke, um so mehr „pillich
auch sein erb damit verlorn“ habe.
Der zweite Fall (Verbalinjurie) heisst: „ob er in sere vnd
merclichen („unerleich“: Wien; „mördlich“: Ruprecht; „nyt-
lich“ : Kulm) bescholten hat“ ; v. Rockinger teilt die Lesart
mit: „ob er im an sine ere geredet hat und baerlich hat be-
scholten“. Alle aber, ausser Ruprecht, die diesen Fall habeu,
bringen erst bei ihm die Begründung aus dem vierten Gebote
an. Alte Drucke fügen hier, vielleicht nach dem Sachsen-
spiegel2), den Fall der Notwehr ein: wer Vater oder Mutter schilt
oder schlägt und schlägt ein Sohn seinen Vater zu tod und nicht
in Notwehr, und nimmt ein Sohn seinem Vater Gut ohne Recht
und stösst ihn davon, so gilt dasselbe Recht*).
Der Sinn des vierten Grundes (<yap/<axös\ maleficus) lässt
sich so wiedergeben: wenn er ein Dieb („leires“ Räuber: hat
der französische Schwabenspiegel) oder ein Bösewicht ist, der
sein Recht durch seine Übeltat verloren hat, also rechtlos ge-
') Die Reihenfolge der Gründe I, II, IV, VII wechselt; so wie hier
steht sie in der Ausgabe von Wackernagel und Geugler, bei Ruprecht
von Freising und im BrUnuer Schöffenrecht, wo nur eben II und VII fehlen,
endlich noch im Kulmischen Recht, nur dass letzteres zwischen II nud IV
Nr. III einschiebt. Bei Lassberg ist die Reihenfolge: IV, I, II, VII, bei
v. Rockinger: I, II, VII, IV. Die Fälle IX, X, VIII und XIII sind überall
in dieser Folge geordnet, nur Ruprecht stellt Nr. IX ans Ende. Den Schluss
bilden überall die Fälle: XII, ein neuer (Vergeudung über die Hälfte) und XI.
*) Vgl. oben S. 46 N. 3.
*1 s I. e a. fol. 62 resp. fol. 70; Frankfurt a. M. 1566 fol. 55.
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worden ist, oder wenn er mit Leuten verkehrt (wissen dich bei
ihnen wohnt), welche zu dieser Klasse gehören. Es wird dieser
Fall sehr verschieden ausgedriickt l). Die Zauberer und Gift-
mischer, welche sonst hierher gerechnet werden, kann man
unter der Kategorie der rechtlosen „Bösewichte“ (inalefici) ver-
stehen , speziell aber meint sie wolil der Schwabenspiegel mit
den Leuten, die „vnvertic vnd versprochen“ sind.
Auch der VII. Fall (Sykophantie) wird sehr verschieden
ausgedrückt. Die kürzeste Fassung ist die: von seiner Rede
(oder: Sage) grossen Schaden nehmen.. Ausführlicher heisst es
bei v. Rockinger: „ob ain sün uf sinen vater klagnot, er hab
im so getanü dink getan die dem vater grosen schaden tün
moehten an eren oder an güte oder an dem übe, vnd er in des
nit Überzügen mag“. Der französische Text sagt: „se li fiz
complaint de son pere per devant iostise de choses que li
poroent tenir grant damage, decors davoer. ou donour et il ne
les poait monstrer“. Wien fasst so: Vater und Mutter zeihen
solcher Dinge, die nicht ehrlich sind, uud des nicht überzeugen
mögen. Kulm erklärt die obige kurze Fassung: „das ist also
gesprochen, ab her synen lyp adir syn gut vorroten hat“.
Beim VIII. Grunde (Gefangenschaft) wird der eigentliche
Anlass, eben das Gefangensein, verschwiegen, wohl deshalb,
weil nachher beim XIII. Grunde (Kriegsgefangenschaft) von dem
„Gefängnis“ im allgemeinen die Rede ist, und es ist bloss die
■) Lassberg: „ob er ein divp ist. oder svz mit blitzen livten wizzent-
Iicheu wont. die vnvertic vnd versprochen sint“ ; v. Rockinger: „ain diep
wirt, oder sns ain boeser wiht mit so getanem leben da ieglicb man sin rebt
verlöret, oder ob er wissentlichen mit den selben löten wonet die das leben
hant*; französischer Schwbsp. : „de teil vie qne les bunes gens perdent lo
Ionr per sa corpe et a tort‘; Wien: „ein diep wirt, oder snnst poseu ding
tuet, do mit ein iesleich man sein recht pilleich verlenset, oder ob er wizzen-
leicli mit den leuten wonet. die dasselb lewen an in habent"; Ruprecht: „ob
der sun ein piiswicht ist oder ob er mit pösenn leutn wonung hat dy ire
recht mit posbait verlornn babennt“; Brünn: „wicrt auch der suu ein diep
oder diepez gesel oder tuet ein solicher poshait, so er sein recht mit verleust“ ;
Kulm: „ab der sone eyn dyp ist, adir snst eyn bosewycht ist. adir ab her
wissentlich myt bösen luten wonet“. Der französische Text, v. Rockinger
(S. 620 N. 6) uud Brünn fügen noch ausdrücklich hinzu, dass ein solcher sein
Gut und Erbe verliere und keinem Anteil habe au des Vaters Gut.
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Verweigerung der Bürgschaft hervorgehoben: wenn der Sohn
um zeitlich Geld (oder: Gut) („um mesigs guet und um erleich
und um pilleich sach“ sagt Brünn) des Vaters Bürge nicht
werden will. Der französische Text lautet: „se li fiz ne vuet
estre plages por son pere. et por det qui est a vie et ne mie
per heritage for que de mobles“, er beschränkt die Vorschrift
also auf solche Schulden, für welche der Erbe lediglich mit
dem beweglichen Vermögen einzustehen hat1).
Der IX. Grund (Testierhindernis) ist im Sehwabeuspiegel
anschaulicher als sonst geschildert: wenn der Sohn den Vater
„an seinem Geschäfte — Brünn spricht vom: „selgeret“ — ge-
irrt hat“ dadurch, dass er die Tür verschloss, als der Vater
auf seinem Sterbebette lag, und die „Brüder“ oder anderen
Pfaffen (oder andere Leute und Freunde) nicht zu ihm liess,
mit denen er seiner Seele „Dinge“ schaffen wollte. Man möchte
fast annehmen, es hätten dem Redaktor dieser Stelle die
Äusserungen Ulpians über „testari prohibere“ mittelst Ver-
hinderung des „testaiuentarius“ vor Augen gestanden'), wenn
es sicher wäre, dass derselbe die Pandekten Justinians eben-
falls und nicht bloss die Institutionen 3) benutzt hat. Jeden-
falls aber denkt der Spiegler hier nicht an das römische Testa-
ment, vielmehr an die Verfügungen vor Geistlichen zugunsten
der Kirche4). Hierauf deutet schon das längere und in sehr
verschiedener Form überlieferte Zitat, welches sich hier an-
schliesst, um dies vom Kaiser Justinian, abgesehen von „andern
guten Rechten viel“, gesetzte Recht durch das ihm von einem
„Heiligen“ (d.h. Kanonisten?5) gespendete Lob zu rechtfertigen8).
') Vgl. Stobbe, Deutsches Privatrecht, V S. 50 (§ 285, II, a).
») D. 29,6, 1 pr. ; D. 36, 1,3,5.
*) Es rührt auch die Nennung des Namens Marcellus statt Marcian in
cap. 68 (Deutschensp. 60) von J. 1, 4 pr. her.
*) Vgl. Hcusler, Institut, d. dtsch. R. II, 1886, S. 644 (§ 200).
*) Vgl. die Bezeichnung als „Weise“ und „Heilige“ für Legisten und
Kanonisten auch im Codigo de las siete Partidas 1,1,6: Unger, Rüm. u.
nationales Recht, 8. 71 N. 2 Der Codex Altenberger nennt ihn „ein inaister
ein heiliger“. Die einleitenden Worte des Zitats, aber auch nicht mehr,
stimmen mit einer Bcrtholdseben Predigt (ed. Franz Pfeiffer, I, 1862, S. 60
Zeile 16 n. 17) überein: „Unde da von sprichet ein heilige gar ein gnot wort,
uude sprichet also“. Woher aber das Zitat stammt, ist noch nicht festgestellt.
•) s. 8. 60.
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60
Im X. Falle (Scliauspielergewerbe) ist nur des Spielmanns-
Berufes gedacht, und zwar in Anknüpfung an eine Formel,
wonach es darauf ankommt, ob mau „Gut für Ehre nimmt“1):
v. Lassberg:
„8 wer diez bat
ge8etzet d&z ist
gar ein gfit ge-
sezed daz man
den menscben
an dem totbete
eins gescbefedes
nit irren aol.
wau er wii in
siner ewigen
selicbeit berov-
ben. wan als der
mcusche an ei-
nem tot bete lit
so mac er wol
sin dinc schaf-
fen. dazerimer
me der behalten
ist. als aber dir
sele her vz ku-
mct. sone mag
er frrbaz nie-
mer mer weder
gewelen noch
entwelen“.
Gengier:
„Ez ist ein
gut reht, swer
daz gesezet
bat, daz den
menscben ni-
man irren so)
au der sele ge-
scbefede ; wan
als der tnen-
sche tot gelit,
so enmac er
fütbaz nimer
mer weder
gewelen noch
entwelen*.
v.Rockinger:
„swer dis reht
hat gesczzet der
hat es gar sae-
liklichen gesez-
zet , wan man
den mentschen
nilit gftter din-
ge irren sol an
sinemtode: wou
di wile er leben
und reden mag,
so mag er im
se(I)ben wol ge-
belfen von der
ewigen marter
in die ewigen
vroede; für das
aber ain meusch
erstirbet.somag
er fUrbas nie-
mer weder ge-
wellennochent-
wellen“.
Kulm:
„das ist gar eyn
gut gesetze.
Wenne der inen-
sche an syme
totbette (al. en-
de) lyt. so ist
daz alle syner
Salden eyu bort.
daz em denne
got ruwe vnd
andachtvorlyet.
Vnde wenne
denne das kynt
des vatir vnd
mutiryrret das
hat myt rechte
syn erbeteyl
vorlorn (Codex
Altenbg. : ver-
woricht). wenne
noch syme tode.
so en mag der
mensche wedir
wellen noch ent-
wellen“.
Franz. Text:
„ eist droit ha
mixen bien ahu-
rous quar nui
nedoit lomeam-
pagier on puint
de la mort de
faire sou testa-
ment tandix
quant il vit et
puet aleret par-
ier adonques li
vaut ce que il
fait de bien por
sarme et la de-
livre de la pain-
ne danfer qui
tot ior dure. et
10 met en la ioe
permangniable.
quar quant li
hons est mors,
se ne li vaut
un festu (Stroh-
halm) voleuraon
ne voleurs que
11 puisse faire“.
Der Inhalt der Ausführung ist trotz ihrer verschiedenartigen Fassung
ziemlich klar: Wer den Menscben an der Errichtung seines letzten Willens
hindert, der gefährdet das Seelenheil des Erblassers, er will ihn seiner
ewigen Seligkeit beraubeu, wie cs bei v. Lassberg heisst. Denn wenn der
Mensch auf seinem Totbette liegt, mag er seiner Seele Heil wohl schaffen,
er kann 'sich selber helfen von der ewigen Marter zur ewigen Freude (so
v. Rockinger; in grösserer Ausführlichkeit der französische Text). Ist er
aber gestorben, so ist cs zu spät: er kann dann weder mehr wollen noch
nicht wollen. Deshalb ist es ein gar gutes Gesetz, welches der Kaiser
Justinian gegeben hat. — Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, I,
1872, S. 982, s. v. ge-welen, erklärt freilich dieses Wort, unter Bezugnahme
auf die vorliegende Stelle, für „waelen“.
') Vgl. cap. 310, wo die Formel ebenfalls auf Spielleute angewendet
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61
es muss der Sohn wider seines Vaters Willen Gut für Ehre
genommen haben , und es darf dies der Vater selber niemals
getan haben, er muss, wie es öfters1) heisst, „ein Ehrmann“
gewesen sein.
Nr. XI (Ungehorsam der Tochter), welcher Fall in dieser
Gruppe der Überlieferung überall der letzte ist, wild von der
„ungeratenen“ Tochter verstanden — „de fole vie.“ heisst es in
der französischen Übersetzung2) — , deren Vergehen darin be-
steht, dass sie „man zv ir leit“ ohne den Willen des Vaters;
der französische Text spricht von „darler au bordel“, Brünn
von „Brechen des Maidtums“. Vorausgesetzt ist aber immer,
dass sie noch nicht 25 Jahre alt ist. „Kommt sie über
25 Jahre, so mag sie ihre Ehre wohl verlieren8), aber ihr Erbe
kann sie niemals verlieren“. Die Schlussworte stammen aus
dem Sachsenspiegel, werden indessen dort ohne Rücksicht auf
den Unterschied im Lebensalter gebraucht4). Einige Texte
(so Wien, Brünn und v. Rockinger) fügen auch die römische
Begründung hinzu: dass man ihr (vor 25 Jahren) sollte durch
Verschaffung eines ehelichen Mannes geholfen haben. Übrigens
gehen die hierher gehörigen Recbtsbücher in Ansehung des
Distinktionsalters auseinander: Wien setzt 20 Jahre fest, Rup-
recht 24, Kulm sogar nur 14, womit freilich nicht alle Hand-
schriften tibereinstimmen.
Fall XII betrifft des Vaters Krankheit oder Siechtum,
wenn dies dazu führt, dass er „unsinnig“ oder „töricht“ wird
oder „von seinem Wissen kommt“ und der Sohn ihn nicht „in
den Unsinnen bewaret“, „behütet“ oder „fleissiglich pflegt“
(Brünn), wobei Kulm wieder, wie bei Nr. II, auf das vierte
wird. Über ihre Bedeutung s. neuerdings Frensdorff in den Hansischen
Geschirhtsblättern , 1907, S. 37 ff. Er erklärt: um Lohn Ehrenbezeugungen
erweisen. Man könnte freilich auch verstehen: fremdes Gut nehmen und die
eigene Ehre dafür hingeben, in Erinnernng an den eigentlichen Grnud der
Unehrlichkeit, den die Römer mit „quaestus causa“ bezeichnet haben. Ruprecht
von Freising hat übrigens: „gnet für ere wigtt“, Kulm: „gut vor ere gewan*.
') So bei v. Rockinger und Wien.
*) Man erinnere sich der ,lnxuriosa vita“ des Autbentikums, des „tur-
piter vivere* bei Julian.
’) Der Codex Altenberger schiebt ein: „mit mannen“.
*) Sachsensp. I, 5, 2; vgl. oben S. 49 N. 4.
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62
Gebot verweist. Der XIII. Fall lieisst einfach: vom Gefängnis
nicht lösen: and umschliesst daher, wie bemerkt, nicht allein
den Fall der Kriegsgefangenschaft, sondern auch den bei Nr. VIII
(Gefangenschaft) fortgelassenen Teil jenes Grundes.
Endlich schiebt die Schwabeuspiegel-Grappe vor dem letzten
(XI.) Falle noch einen neuen ein, welcher auf römischem Boden
nicht gewachsen ist, vielleicht aber auf kanonischem, wenn
man sich der Fassung des VII. Grundes (Sykophantie) in der
kanonischen Glosse: „si ex dilapidatione lilii etc.“ erinnert“1).
Es handelt sich um Verschwendung, und zwar in der Weise,
dass der Sohn des Vaters Gut über die Hälfte seines Betrages
hinaus („me danne lialbez“) vertut „mit vnrechter wise“ oder
„mit unfuer (oder: vngefiir)“ oder „unnuczichleichen“ (Brünn);
die französische Übersetzung sagt: „folemant et an lecherte“.
Eine Enterbung wegen Verschwendungssucht kennen auch
andere ältere germanische Rechte*), insbesondere ist sie in einer
an die römische exheredatio bona mente erinnernden Form auch
dem Kleinen Kaiserrechte bekannt3), indessen die Schöpfung
einer neuen Art von laesio enormis durch Festsetzung der
Vergeudung über die Hälfte scheint auf eine Erfindung des
Spieglers hinauszulaufen.
Soweit die Schwabenspiegelgruppe. Der Redaktor der dem
Deutschenspiegel angegliederten 11 Enterbungsfälle war sich,
wie die Bemerkung bei Nr. IX (Testierhindernis) zeigt*), der
Entlehnung aus dem Justinianischen Recht wohl bewusst, wenn
er auch unmittelbar aus diesem nicht geschöpft haben sollte5).
Aber die von ihm gebrachten Abweichungen vom Originale,
wie etwa bei Nr. VIII (Gefangenschaft), nur als „Ungenauig-
keiten“ zu betrachten6), wird nicht ohne weiteres augehen,
wenn auch zuzugeben ist, dass das Rechtsbuch im allgemeinen
„eine verwirrte Kompilation voll von Widersprüchen und Miss-
verständnissen“ 7) darstellt. Denn gerade in der vorliegenden
') Obeu S. 35.
*) Vgl. Stobbe, Deutsch. Privatr., V S. 247 Nr. 3.
*) II, 10; s. oben S. 54 N. 4.
*) Oben S. 59.
*) Vgl. J. Merkel, De republica Alaniaunorutn, 1859, S. % N, 14.
*) So Zoepfl, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aull., I S. 116 N. 13.
’) Vgl. Stobbe, Uesebichte der iltsch. Rechtsquellen, 1 S. 342,
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63
Materie sind diese Abweichungen nicht so erheblich, um sie zu
Missverständnissen stempeln zu müssen.
Von grösstem Interesse wäre freilich ein Nachweis über
die Quelle dieser Darstellung. Er kann hier nicht gegeben
werden Aber es ist nicht unwichtig, festzustellen, dass in
mancher Hinsicht mit der vorliegenden Form die Überlieferung
tibereinstimmt, welche sich in der etwa den Jahren 1340—1348
zuzurechnenden *) Summa legum des Raymund von Wiener-
Neustadt findet, deren Identität mit der früher einem Unbe-
kannten zugeschriebenen Arbeit8) nunmehr als erwiesen anzu-
sehen ist,3).
Hier beginnt die Aufzählung ebenfalls mit dem VI. Grunde
(Inzest): „si legitimam vxoreni patris violant (M. : cognoscunt)“,
wobei die Konkubine offenbar absichtlich fortgelassen ist.
Ebenso wird mit dem XI. Grunde (Ungehorsam der Tochter)
geschlossen, und zwar wird aus demselben im Drucke ein be-
sonderes Kapitel (LVIII) gemacht mit der Überschrift: „Ex-
heredatio filiarum“ : ausserhalb der im vorhergehenden für die
„Exheredatio heredum“ angeführten 14 Gründe4), und es heisst:
„Exheredatur similiter filia quando degenerat hoc est (M. : sci-
licet) quando ante XX Vs) annos meretricatnr“ . Tut sie es
nach Erreichung dieses Lebensalters — so wird fortgefahren,
und zwar mit der dem Sachsenspiegel entlehnten Bemerkung —
„tune (M. ins. bene) perdit (M. perdet) honorem, sed non liere-
ditatem“. Dann aber wird weiter unterschieden: wenn die
‘) So nach Tomaschek in den Sitzungsberichten der phil.-histor. Kl.
der kaiserl. Akad. d. Wissensch. (Wien), Band 105 (1883) S. 309.
•) So Tomaschek a. a. 0. S. 241 ff.
*) Durch Seckel, Beitrüge zur Geschichte beider Rechte im Mittelalter,
I, 1898, S. 483 ff. Der Darstellung des Textes ist der Druck im .commune
incliti Polonie Regni privileginm etc.“, Cracoviae 1506, nach Bl. CCLXIII
(Bl. XXIII b) zugrunde gelegt — Lib. II cap. 57: „exheredatio heredam“,
cap. 58: „exheredatio filiarum“ — , unter Vergleichung der bei Seckel S. 486
angeführten Münchener Handschrift Nr. 22359 (M), Bl. 237 a.
*) Auf diese Weise würden hier die 15 Gründe, welche der Codex
Altenberger in der Überschrift nennt (oben S. 56 N. 1), in der Tat heraus-
kommcii. Vgl. unten S. 64 N. 2 die Aufzählung.
*) Der Druck hat XV annos; andere Lesarten: XX und XXIV s. bei
Tomaschek a. a. 0. S. 285/6.
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64
Tochter nach zurückgelegtem 18. Jahre wider den Willen der
Eltern (M.: oder des Vormundes, falls sie keine Eltern hat)
einen „legitimen“ Gatten nimmt, so verliert sie weder „res“
noch Ehre; wenn bereits nach dem 12. Jahre: „tune demeretur
paternas res. sed non honorem“. Diese Bestimmungen, hin-
sichtlich welcher übrigens die Lesarten schwanken, beruhen
offenbar auf deutschrechtlichen Einflüssen *).
Ausser solcher in der Anordnung des ersten und des
letzten Falles bestehenden Übereinstimmung zeigt die Reihen-
folge der Fälle in der Summa keinerlei Ähnlichkeit mit der-
jenigen der Schwabenspiegelgruppe, vielmehr herrscht hier
gegenüber dem römischen Originale eine wilde Unordnung*).
Die Nr. XIV (Ketzerei) ist zwar, wie dort, ausgelassen, aber
der im Schwabenspiegel fehlende Fall V (Lebensnachstellung)
ist hier als 12. (M. : 11.) vorgetragen: si patri mortem machi-
nantur. Nr. VII (Sykophantie) fehlt. Von den Gründen für
Kinder äst gar nicht die Rede.
Indessen finden sich noch andere Ähnlichkeiten, so die
Einstellung des Falles aus dem Mainzer Landfrieden: „si patrem
indebite captivant“, und die. des Verschwendungsfalles: „si bona
paterna dilapidant“ : freilich ohne Erwähnung der laesio enor-
mis. Ferner werden die „malefici“ des IV. Falles als „fures
et latrones“ aufgefasst8), bei Nr. VIII wird nur die Bürg-
schaftsverweigerung hervorgehoben : „si in licitis (M. : pro debitis)
pro patre (M.: ante patrem) fideiubere nolunt“ und bei X
(Schauspielergewerbe) wenigstens in der Münchener Handschrift
die Bemerkung beigefügt; „recipientes res ante honorem“.
') Vgl. Scliwabensp. cap. 66, wonach die Ehe einer Ober 12 Jahre alten
Jungfran, die wider ihres Vaters oder ihrer anderen .Freunde“ Willen sich
verheiratet, „stete“ ist. Mit 18 Jahren unterscheidet Knymuud (I, 21) ,per-
fecte puberes“ (die plena pubertas Justinians) von den „semipuberes“ mit 12
(resp. 14) Jahren. Vgl. auch die Skala des perdere honorem, sed non here-
ditatem — perdere neque res neque honorem — perdere res et non honorem
in den Fällen des „ciuitatem interdicere* (I, 25). Nicht ganz genau berichtet
Stobhe, Privatreeht, V, §280 N. 9 (S. 15) nach Tomnschek.
*) Hie Anordnung ist folgende: Nr. VI, IX, VIII (bloss Bürgschafts-
verweigerung), Mainzer Landfr. c. 2, XIII, Verschwendung, XII, III, II, I,
Verwundung des Vaters, V. X, IV, XI.
*) Vgl. oben S. 67.
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05
Von Besonderheiten in der Summa sind folgende beachtens-
wert: nach dem ersten und zweiten Grunde: „si patrem suum
(M. om.) sine causa vituperant, si patrem (M. om.) verberant“:
die Einfügung im Drucke: „si patrem vulnerant“; bei III
(Kriminalanklage) die Fortlassung der Ausnahmen; bei IX
(Testierhindernis) der Zusatz: „si indebite testamentum patris
impediunt“; bei X (Schauspielergewerbe) der Ausdruck: „si
filii degenerant“ — wie bei Nr. XI für die Tochter — „et
hystriones flaut“, wozu H. fügt: „lenones ioculatores efficiantur“;
bei Nr. XII (Geisteskrankheit) die Fassung: „si patri necessaria
(M. negocia) non ministrant (M. administrant1)); endlich die
Verbindung von Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft) mit Nr. VIII
(Gefangenschaft): „si ab , honesta1 captivitate patrem non
liberant“.
Das Ergebnis dürfte sein, dass sicherlich zwischen der
Summa und der Schwabenspiegelgruppe in der vorliegenden
Materie eine enge Verwandtschaft besteht. Aber die Unter-
schiede zwischen beiden lassen darauf schlossen, dass entweder
die Summa neben dem Schwabenspiegel selbst eine andere un-
bekannte Quelle benutzt hat8), oder dass beiden eine solche
als gemeinsame zugrunde liegt, aus der sich ihre Überein-
stimmungen erklären. Eine unmittelbare Benutzung des römi-
schen Originales lässt sich auf keinen Fall begründen 3).
Dennoch ist die Summa römischer als der Schwabenspiegel.
Dies zeigt sich noch in folgendem. Die Aufnahme der s. g.
Enterbungsgründe in den Spiegel ist zweifellos in dem Sinne
eines Verlustes oder einer „Verwirkung“ des Erbrechtes, wie
sie die deutschen Rechtsquellen kannten 4)> ohne die Voraus-
setzung einer Enterbungserklärung erfolgt''). Wenn dennoch
‘) Vgl. I, 39, de snspectis tutoribus: „Tertio si pupillis necessaria non
rainistraverit“, und 1,23: ,quando (patres) ipsis (filiis) necessaria non ad-
ministrant“.
s) Eine Benutzung des Schwabenspiegels durch die Summa hält auch
Tomaschek für möglich, der sich allerdings a. a. 0. S. 2(59, 284/5 vorsichtig
darüber änssert.
*) So auch Seckel a. a. 0. S. 500 N. 62 gegen Tomaschek.
4) Vgl. oben S. 26 und 46 ff.
*) Vgl. schon v. Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicetn Maximil.
Merkel, Knterlmnus&ruudo 5
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66
der Spiegel dem Vater gestattet, seine Kinder „durch seinen
Willen seines Gutes zu enterben“1), und darüber „Hantveste“
zu machen, vorausgesetzt, dass sie nach den vorstehenden Be-
stimmungen eben ihr Erbe verwirkt haben, so dürfte darin
nicht ohne weiteres eine Einführung der römischen Enterbung
zu erblicken sein2), vielmehr eine Enterbung im deutschrecht-
lichen Sinne5), indem der Vater durch Urkunde über sein Ver-
mögen anderweitig ohne Berücksichtigung der Kinder verfügen
darf. Tut er dies, ohne dass ihm ein Verwirkungsgrund zur
Seite steht, so können die Kinder, sobald sie zu ihren Tagen
gekommen sind, d.h. das Alter von 14 oder 12 Jahren erreicht
haben, ihm die Handveste „mit Recht brechen“, oder sie können
nach seinem Tode vor Gericht klagbar werden, dass der Richter
sie ihres Gutes „gewaltig mache“. — Auf entschieden dem
römischen Recht angenähertem Standpunkte steht dem gegen-
über die Summa. Sie ist sich ebenfalls bewusst, „nouum ius“,
d.h. Novellenrecht zu schildern4), und definiert5): „Exheredare
(M. exhereditare) est aliquem de liberis suis uominatim ex
(M. cum) causa a legibus appiobata ab hereditate repellere6)
sic dicendo: N. filium meum exheredo quia insidias mortis mihi
per venenum poculum praeparavit (M. praeparat)“. Dies hat
Bavaricuni civilem, HI. Teil, 1764, S, 344 (zu 111,3, §§ XVI — XVIII): ,Iu
Deutschland ist die Art und Weis, auf Römischen Fuss za enterben, sehr
spät angenommen worden, doch macht das Jus Alemanicum und der Schwaben-
Spiegel allschon Meldung davon. Man jagte vor diesem ungerathne Kinder
schlechterdings zum Haus hinaus, und dieses war bey den alten Deutschen
das nemlicbe, was bey den Römern exhaeredatio gewesen ist“.
') cap. 354.
*) A. M. Siegel, Erbrecht S. 133, nndZoepfl, Dtscb. Rechtsgeschichte,
III, § 121, N. 4, offenbar auch v. Krcittmayr a. a. 0. — Stobbe, Dtscli.
Privatreclit, V, § 306, N. 6 (S. 248), bezeichnet die Bestimmungen in cap 15
als „Indignität“, die in cap. 354 enthaltenen als „Enterbung“, aber gegen
die erstere Bezeichnung muss ebenso, wie oben zu 8. 46 N. 3, Einspruch er-
hoben werden.
*) Wie oben S. 46 ff.
*) Es heisst (cap. 58): „Xcc iure uouo est aliqua differentia inter tili uiu
et filiam in inslitutioue heredis ( M heredum) aut successione hereditatum etc.“
») fot. XXIII a: cap. LV; M. Bl. 236 b.
*) Vgl diesen Ausdruck, vielleicht nach Julian, in germanischen Rechts-
quellen oben S. 26 ff.
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67
jedenfalls eine ausdrückliche Erklärung zu bedeuten, wenn die-
selbe auch nicht in Testamentsform gedacht sein sollte.
Nächst der Schwabenspiegelgruppe kommen die Sächsischen
Glossenarbeiten für die deutsche Überlieferung der Enterbungs-
fälle in Betracht.
V. Der Glossator des Sachsenspiegels, Johann von Buch,
verarbeitet, zum ersten Male in deutscher Sprache, sämtliche
Fälle, allerdings nur die für Aszendenten, in der Reihenfolge
des Originales, nur dass er die Fälle VIII (Gefangenschaft) und
IX (Testierhiudernis) den Platz tauschen lässt. Er stellt die-
selben in der Anmerkung zu Titel I, 17: „Wer des andern erbe
nemen möge usw.“: dar, und bezeichnet als seine Quellen so-
wohl das römische als das kanonische Recht l), ausserdem aber
an anderer Stelle (zu I, 3)2), wo er auf diese Materie zurück-
kommt, auch Nov. 92, ls) und den Mainzer Landfrieden4).
Diesen Vorlagen folgt er aber in ziemlich freier Weise und
namentlich mit bedeutender Kürzung, auch wird trotz des
kanonischen Vorbildes Nr. XIV (Ketzerei) eingestellt. Die
Fassung, welche er den einzelnen Fällen gibt6), klingt manch-
mal an Bekanntes an, so beim I. Grunde: wenn das Kind den
Vater „stot edder schleit“8), beim III.: wenn es den Vater
„wruget vp id lyff“ 7). Anderes ist original — so II (Real-
injurie): „mit grossem Unrecht unehren“, VII (Sykophantie):
„oft id (das Kind!, nicht bloss der Sohn, wie nach der Novelle)
ene uiet aneuechtinge vppe grote kost toge“ — oder schliesst
sich dem Sprachgebrauche des Sachsenspiegels an, wie die
Wiedergabe der malefici in Nr. IV als Zauberer: „mit Zauberei
oder mit Zauberern umgehen“8), bei Nr. V: „des Vaters Todes
*) d. h. Nov. 115, 3 und die kanonische Glosse (oben S. 35).
*) Bl. IX.
*) S. oben S. 4 N. 4.
‘) Es wird zitiert: „de nye settinge de begiut: Wy Albrecht“ ; vgl.
Boehlau, Nove const., S. 1 N. 3.
*) Hier ist die Ausgabe: „Sassenspegel — snu den Leenrecht und Richt-
steige“, Augsburg 1516, BI. XXb benutzt. Auch Boehlau a. a. 0. S.XX druckt
die hierher gehörige Stelle ab und Steffenhagen: Wiener Sitzungsber. 129 S. 19.
*) Vgl. Kleines Kaiserrecht, oben S. 53.
’) Vgl. Wiener Stadtrecht und Ruprecht von Freisiug obeu S. 56 N. 3.
*) Vgl. Sachsensp.il, 13,7 : „mit zcoubere umme gOt oder mit vergifnisse“.
5*
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ramen“ *), die Bezeichnung der Konkubine in Nr. VI als „amie“ *)
und der Ketzerei in Nr. XIV als: „ vngelouich“ sein8). Von-
Nr. VIII (Gefangenschaft) an bis XIII (Kriegsgefangenschaft)
spricht der Glossator nur vom Sohn, während vorher, selbst
bei Nr. VI (Inzest)1), stets das Kind genannt war. Infolge-
dessen wird Nr. IX (Testierhindernis), wie bei Julian s), auch
nur auf den Sohn bezogen, und zwar in der Form: „oft dy
sone vorbode den vater alniissen tho geuen“. Ein eigentüm-
liches Missverständnis läuft dem Glossator beim XI. Falle (Un-
gehorsam der Tochter) unter, den er so darstellt: „oft he (der
Sohn!) vorbode syner dochter thu beradene“, was in der Glosse
zum Lehenrechte des Sachsenspiegels noch deutlicher ausgedrückt
wird: „Efft de son verbode syme vadere dat he syne dochter
nicht beraden scholde, dat de dochter werde ein vngeraden
wyff“. Man könnte auf die Vermutung kommen, dass diese Fassung
auf eine Verkennung des Ausdrucks „ungeratene“ Tochter, wie
er im Schwabenspiegel steht6), zurückzuführen sein dürfte, und,
wenn dies der Fall ist, so bleibt immerhin die Umkehr des
Enterbungsgrundes von der Tochter auf den Sohn auffällig
genug. Der XIII. Fall (Kriegsgefangenschaft) lautet bei v. Buch
nur: „off he syne nicht losede“.
Die Wirkung, welche das Vorhandensein eines dieser
Gründe („saken“ nennt sie v. Buch) hat, bestimmt der Glossator
dahin, dass der Vater „durch sie“ sein Gut „nicht erben darf
auf seine Kinder“ oder wie es an dem andern oben angeführten
Orte (zu I, 3) heisst, dass er sie deshalb „eruelos machen“
kann. Dies ist offenbar, wenn man das Zitat aus dem Mainzer
Landfrieden hinzuniuiuit und sich des dort vorgeschriebenen
') Vgl. Sachsensp. 11,38: „als her rfunet eines Vogels“. Vgl. auch
Deutschen?!!, cap. 148 und Schwabeiisp. cap. 182.
*) Vgl. Sachsensp. 111,46,1. Über dieses dem süddeutschen Sprach-
gebrauehe fremde Wort vgl. auch v. Maurer, Das Stadt- und das Land-
rechtsbuch Ruprechts von Freysiug, S. XC und S 215 X. 13.
*) Vgl. Sachsensp. II, 13, 7.
Dies findet sich öfters, z. B. im Brachylogus, oben S. 25, uud bei
Raymund, oben S. 63.
s) Oben S. 22.
•) Obcu S. 61.
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Verfahrens erinnert1), im Sinne einer deutschreclit liehen Ent-
erbung gemeint.
Die Glosse zum Lehenrechte des Sachsenspiegels *) stimmt
mit der Landrechtsglosse im ganzen überein, aber es fehlt
Nr. XII (Geisteskrankheit) und eigentlich auch Nr. XIII (Kriegs-
gefangenschaft), welches nur durch die allgemeine Fassung von
Nr. VIII (den Vater nicht lösen, ob er gefangen wäre) mit ge-
deckt wird. Die ursprüngliche Reihenfolge ist wieder voll-
ständig hergestellt. Im Falle IV aber soll schon das Umgehen
mit „vngelowen“ der Zauberei gleichstehen, bei Nr. VI ist die
amie fortgelassen, bei Nr. IX (Testierhindernis) findet eine Ein-
schränkung auf den Sohn nicht mehr statt, die letztwillige
Verfügung heisst hier, wie in der Brünner Schöffensatzung s) :
seelgerede tho donde. Nr. X wird auf Kinder überhaupt be-
zogen, welche „ein speelman edder ein ander gerade mau“
werden. Nr. XIV heisst hier: in Ketzerei fallen und wider
den Christenglauben sein, wird aber nur vom Sohne ausgesagt,
wie im Brachylogus und in der Petrusgruppe4). Die Auffassung
der Bedeutung dieser Fälle für „rechte vnde redelken erueloss“
werden und für „Vorwerken“ von „eruedeel vnde angeuel“ ist
dieselbe wie in der Landrechtsglosse.
Besonders häufig hat sich mit den Enterbuugsgrttnden, und
zwar, wie es scheint, auch nur mit den für Eltern bestimmten,
Nikolaus Wurm beschäftigt, so dass von ihm gesagt werden
konnte, dieser Katalog gehöre zu den Lieblingsbeschäftigungen
des schreibseligeu Mannes6). Er bringt die Fälle an in seiner
Glosse zum Sachsenspiegel ®), in derjenigen zum Mainzer Land-
frieden7), in der „Blume von Magdeburg“8) und in der aus
') Oben S. 47 ff.
*) a. a. 0. (S. 67 N. ö) Bl. XXV b ff.
*) Oben S. 59.
*) Oben S. 25 und 29.
5) Boehlan, Nove constitutione«, S. XVI.
•) Daselbst S. XX. Über die Handschrift, welcher diese (Jlosse ent-
nommen ist, s. jetzt Neues Lnusitzisches Hagazin, Band 82 (1906) S. 236 ff.,
besonders S. 241.
7) Bei Boehlau a. a. 0. S. 8/9.
•) Uerausgegeben v. Boehlau, 1868, 8.9411.: Particula II, 1, cap.48— 64.
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letzterer kervorgegangenen „Blume des Sachsenspiegels '). Er
hat die vierzehn Fälle vollzählig und in der Reihenfolge des
Originales dargestellt8), und lehnt sich in bezug auf die Form,
welche er ihnen gab, vielfach an die Glosse zum Sachsen-
spiegel an.
Der Ausdruck, welchen die Landfriedensglosse für den
I. Fall wählt: „den vater mit gewaldiger haut anvertigen“,
entspricht einer Version des Mainzer Landfriedens*). Fall II
wird in der Landfriedensglosse so ausgedrückt: „mit swerer
und ungerichteter und uerlichir sacke besweren“, während die
Sacksenspiegelglosse und die Blume von Magdeburg (c. 51) sich
mehr an v. Buch anschlicsseu („mit grossen Unrechten Sachen
unehren“), wozu die Blume noch die „Gewalt“ fügt; an späterer
Stelle (Part. II, 2, cap. 268) spricht sie von „smoheit“ und
ubilhandlunge“. Bei III wird nicht nur eine gerichtliche „Rüge“,
welche dem Vater an den Leib geht, berücksichtigt, sondern
auch der Fall, weun es sich um „ere odir — gesund“ (Land-
friedensgl.) oder um „Gut“ (Blume v. Magdeb. c. 50) handelt,
ausgenommen es wäre um „reiches uorretnis“, wie es in der
Landfriedensglosse heisst, unter Verweisung auf c. 13 C. 3 q. 54).
Zu Nr. IV setzt die Landfriedensglosse neben Zauberer
und Zauberei, ähnlich wie der Sachsenspiegel (II, 13, 7)5),
„giftiger“, die Sachseuspiegelglosse spricht von der „schwarzen
Kunst“, die Blume von Magdeburg (c. 52) von „Künsten, die
in der Christenheit verboten sind“, und sie fügt hinzu: „ob iz
der uatir geweret hab vnd daz beweisin mag alz recht ist,
vnd daz kint dez nicht lazin weide“.
Die Lebensnachstellung (Nr. V) nennt Wurm in der Land-
friedensglosse: „mit gifte odir mit kokilfure uou dem leibe
*) Bei Boeblau, Novo const., S. 61 ff. Hier wird S. XVI auch noch
das s. g. Liegnitzer Stadtrechtsbuch Wurms Art. XII § 5 angeführt.
*) Eine Ausnahme macht nur die Blume von Magdeburg, indem sie die
Fälle II (Realinjurie) und III (Kriminalanklage) umstellt.
*) Es ist die Version in der (iörlitzer Handschrift (oben S. 69 X. 6) bei
Boehlau a. a. 0. S. 3: „welch son seius uater leip frenelichen anuertiget'.
*) „Omnes qui adversus patres armantur ut patrnrn iuvasores infames
esse censemus etc.“.
») Oben S. 68 N. 3.
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breiigen (wollen)“, in der Blume von Magdeburg (c. 53) wird
die Bedrohung der Mutter oder anderer „mogin“ der des Vaters
und die Gewalt an Gute, wie bei III, der an Leibe begangenen
gleich geachtet. Das „Treiben auf Uukost“ oder auf „grosse
Kosten“ im Falle VII (Sykophantie) „mit grosser Anfechtung“
oder „mit Unrechter Gewalt“ geschieht nach der Blume von
Magdeburg (c. 55) „mit notteiding“, denn: „dy kinder sullin
mit iren elderen nicht czn teidingin gen“. Bei Nr. VIII (Ge-
fangenschaft) verlangt die Landfriedensglosse vom Sohne nur,
dass er den Vater von dessen eigenem Gut löse oder ausbürge;
die Blume von Magdeburg dehnt diese Pflicht auf Kinder aus
(c. 56). Ebenso wird Nr. IX (Testierhindernis) von Wurm,
wie bei v. Buch l) nur auf den Sohn, in der genannten Blume
(c. 57) aber auf alle Kinder bezogen. Dagegen ist Nr. X
(Schauspielergewerbe) in sämtlichen Wurm sehen Arbeiten auf
die Kinder erweitert, und neben dem „Spielmann“ figurieren
hier: ein „loter“, ein „kempfe“, ein „kokeler“ (falls sich das
Kind „dez wolde irneren“, wie es in der Landfriedensglosse
heisst), ein Pfeifer, ein Singer (so in der Magdeb. Blume c. 58).
Bei der Schilderung von Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) fällt
Wurm in den meisten seiner Darstellungen demselben Missver-
ständnisse anheim, wie v. Buch, als ob es sich darum handelte,
dass der Sohn — nach der Magdeburger Blume (c. 59) wieder:
das Kind! — dem Vater wehrte, seine Tochter „czu rate auz
czu seczin“ oder zu „beratin“, aber in der Blume des Sachsen-
spiegels steht der Fall richtig: es verlobt sich eine Maid einem
zur Ehe ohne ihres Vaters oder ihrer Freunde Willen oder
„dass sie hurte oder zu einer Hergin geworden wäre“, vor-
ausgesetzt, dass sie „noch nicht mündig ist“, wie die Land-
friedensglosse bemerkt. In der Ausführung von Nr. XII (Geistes-
krankheit) und XIII (Kriegsgefangenschaft) verfährt die Land-
friedensglosse viel eingehender, als die bisherigen deutschen
Bearbeitungen, indem sie sich ziemlich an die Novelle selbst
anschliesst; im ersteren Falle berücksichtigt sie auch die Mög-
lichkeit, dass die Kinder „unuornunftig“ d. h. unmündig sind
und dass der Vater ihnen vor seiner Erkrankung einen Vor-
’) Oben S. 68.
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mund gekoren hat, welcher den „synnelozen“ Vater nicht in
seiner Hut hielte: zwar sollen dann die Kinder ebenfalls „irz
uaters hulde“ verlieren und infolgedessen „erbloz“ werden,
aber der Vormund muss den Mündeln „irz schadin irgeczin“.
Bei Nr. XIII, von der Landfriedensglosse auf den Sohn be-
schränkt, findet sich eiu Hinweis auf die Bestimmung in J. 2,
1, 8 über das Recht zu Veräusserung sakraler Sachen zum
Zwecke des Loskaufs von Kriegsgefangenen (C. 1, 2, 21 a. 529),
und eine an den Prochiros1) erinnernde Ausdehnung gibt diesen
Fällen die Blume von Magdeburg (c. 61), indem sie als Grund,
weshalb man ein Kind erbelos machen kann, auch den an führt:
wenn eiu Kind seinen Vater in Leibes Nöten sähe und nicht
bei ihm steht und ihn beschirmt vor Unrechter Gewalt, sondern
„flüchtig wird“. In der Darstellung von Nr. XIV (Ketzerei)
endlich sind die von Wurm gebrauchten Ausdrücke verschieden:
„zu Unglauben und zu Ketzerei treten“, „mit Unglauben be-
fallen“ oder „in Ketzerei gezogen werden“.
Die Landfriedensglosse hat übrigens die Eigentümlichkeit,
dass sie, wie der Deutschenspiegel 2), die Enterbungsgründe auf
„Ydirmanne“ bezieht, „der erbis von ymande wartinde is“, wo-
mit wiederum die Auffassung des Sachsenspiegels über Erbun-
fähigkeit8) übereinstimmt.
Von besonderer Erheblichkeit ist in den Wurm sehen
„Blumen“ die Schilderung des Verfahrens für die Enterbung,
welche hier an einer Reihe von Beispielen erfolgt. Dies Ver-
fahren wird „Eibiosmacheu“ oder „Erblosteilen“ „mit Urteil
und mit Rechte“, auch „Erbteilung versagen“ und „des Erbe
nicht würdig vorteilen“ genannt *). Es besteht darin, dass der
Vater bei Lebzeiten vor Gericht den Sohn eines jener Gründe
überführen und daraufhin sich von dem Richter ermächtigen
■) Oben S. 18.
*) Oben S. 51.
*) Oben S. 46 und 48.
*) Der Ansdruck „unwürdig“ oder „nicht wirdig“ kommt in der Blume
von Magdeburg fast bei sämtlichen Entcrbungsgrlinden vor. Vgl. auch die
Glosse zum Sachsenspiegel: „virczenleye weise nordint ein kint wider sinen
uater, daz iz seyues erbiz nicht wirdig ist“; auch Landfriedensglosse zu
Sr. XIII und XIV.
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lassen muss, sofort dem Kinde die väterliche Treue und Gnade
zu versagen und ihm alles Recht am Erbgute zu nehmen, wo-
mit zugleich das Ansuchen um richterliche „Bestätigung“ eines
anderen Erben verbunden werden kann *). Im IX. Falle (Testier-
hindernis) hat nach der Laudfriedensglosse ein ähnliches Ver-
fahren von den „testamentarii“ des Vaters auszugehen: sie
können „ubir den son mit geczuge clagin und in erbloz machin“.
— Dass dieses Verfahren dem im ersten Kapitel des Mainzer
Landfriedens geschilderten entspricht, ist schon oben2) bemerkt
worden. In der Blume von Magdeburg wird es geradezu als
eine Emanzipation bezeichnet: „Lasin — auz seinr gewalt vnd
von im sunderin, daz iz an seynem erbe keine ansprache ge-
habin muge nach seinem tode“3); ja es wird daselbst auch der
Beweis „selb dritte“ vom Vater gefordert4).
Zu der Gruppe der sächsischen Rechtsbücher gehört auch
das Rechtsbuch des Eisenacher Stadtschreibers Johann Rothe
(•f 1434), welches früher unter dem Namen einer Arbeit des
Johannes Purgoldt bekannt war4). Zwar werden dort nur
8 „Stücke“ aufgezählt, „von denen“ ein Sohn sein väterliches
Erbe „vorluset“, indessen fehlen tatsächlich von den Justi-
nianischen Fällen bloss Nr. V (Lebensnachstellung), wie in der
Schwabeuspiegelgruppe, und Nr. XI (Ungehorsam der Tochter),
welcher letztere Fall bisher von keiner unter den nicht rein
eklektisch verfahrenden Darstellungen ausgelassen war und
dessen Auslassung, gegenüber der sonstigen Betonung seines
Inhalts gerade in den deutschen Rechten8), auffällig ist7). Die
') So im Falle XIV (Ketzerei) in der Blume des Sachsenspiegels.
>) Oben S. 48.
*) Blnme v. Magdeb. cap. 48.
*) Vgl. daselbst cap. 52 (bei Nr. IV [Giftmischer]), 56 und 59; auch
Sachsenspicgelglosse bei Boehlan a. a. 0. S. XX. wo auf die „const. dni
alberti. const. I.“ geradezu hingewieseu wird.
s) Bei Friedr. Ortloff, Sammlung deutscher Rechtsqucllen, II, 1860,
S. 66: Buch II Nr. XL.
') Oben S. 49.
*) Ons Gotbaische Stadtrecht XII, 6 (Ortloff S. 337) steht sogar aus-
gesprocheuermnsseu auf dem Standpunkte des Sachsenspiegels, wonach ein
Weib (oder ein Mann) mit Uukeuschheit wohl seine Ehre schwächen, nicht
jedoch sein Erbe und sein Out darum verlieren möge.
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übrigen Fälle sind alle vorhanden und nur zum Teil unter eine
und dieselbe Nummer zusammengearbeitet: so Nr. I und II:
wenn der Sohn seine Eltern „slchit und mit worthin obel
handelt“, III und VII: „vorlumunt und an die ere redet“, IV
und X: „mit bosewichten und schelcken uffinberlichin wandirt“,
VIII und XIII: „ab seine eildern gefangin werdin unndt wel der
nicht lossin“. Die eigentümliche Form, welche der Verfasser
seinem 3. Grunde gibt : „ab her (der Sohn) sie (die Eltern)
vorhungert und en an der narunge und anderer notdorfft abe-
zuhit* : scheint eine Erweiterung des XII. Falles (Geisteskrank-
heit) zu sein, wie in der Summa Raymundi und in der Blume
von Magdeburg1). Die Vorstellung aber, welche der Verfasser
des Rechtsbuches von der Bedeutung der Grüude für das
geltende Recht hat, nämlich dass sie Verlustgründe hinsicht-
lich des Anrechts auf die elterliche Erbschaft seien, gibt er
auch dadurch zu erkennen, dass er die Enterbungsgründe an
eine Ausführung über den „Verlust“ des Erb- oder Lehens-
gutes „mit rechte“ unmittelbar anknüpft*).
VI. Der Zeitfolge nach steht den zuletzt erwähnten Be-
arbeitungen eine Stadtsatzung von Bern am nächsten, welche
allerdings erst in der Redaktion des Jahres 1539 sich findet 3),
aber einer Notiz zufolge*) bereits vom 7. März 1438 datiert.
Sie verfährt wieder eklektisch, und verdient somit schon das
Lob, welches der „Verbesserten Stadtsatzung“ von 1607 gezollt
worden ist6), nämlich, dass sie eine blinde und unkritische
Rezeption vermieden habe. Die angenommenen Fälle sind :
I: „freffne“ Hand an die Eltern legen oder sie schlagen, II —
hier vorangestellt — : „so ein kind sinem vatter oder mutter
gefluchet“, und XI: wenn sich ein Kind unter den in der
Ehesatzuug bestimmten Jahren ohne Guust, Wissen und Willen
der Eltern „in die Ehe verpflichtet“ hätte8); die Eltern können
') Vgl. obeu S. 65 und 72.
’) Daselbst II, 39.
*) Bei F. E. Welti, Die Rechtsquellen des Kantons Bern, I. Teil, 1. Bd.
(1902) S. 295: § 81.
•) Vgl. Zeitschrift fftr Schweizerisches Recht, XX, Rechtsqucllen, S. 47.
!) Von Huber in der Ztsclir.d. Bern. Juristenvereius.IO.Bd. (1874/5)8. 131.
') Vgl. die Satzung von 1361 (Welti 8. 61: § 66), welche „Erblosigkeit“
für diesen Fall erklärt.
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in diesem Falle die Ehe kraftlos machen und „stürzen“, und
der kritische Fall tritt dann ein, wenn das minderjährige Kind
in dieser „selbst angenommenen“ Ehe dennoch bleiben und hierin
Vater und Mutter nicht gehorsam sein will. Vor dem letzten
Falle steht aber als dritter: „item so ein kind böss vnerber
sachenn so das malifitz berüren möchtent gehanndlet bette“,
ein Fall, welcher unter keine der Justinianischen Kategorien
vollständig passt, vielmehr der erste zu sein scheint, in dem
die selbständige Verurteilung des Kindes wegen einer Frevel-
tat im allgemeinen den Justinianischen Fällen au die Seite ge-
setzt wird ').
Vater und Mutter haben Gewalt, heisst cs dann zum
Schlüsse, aus jetzt beschriebenen Ursachen ihre Kinder, so hier-
innen fällig und begriffen, gänzlich ihres Guts zu enterben,
und, wie die Einleitnug sagt, ihres Erbteils gar zu berauben.
Darin möchte man die römische Enterbung erblicken wollen,
zumal das Recht, „Ordnung zu machen“ und zu testieren in
der Satzung ausdrücklich Anerkennung gefunden hat2), aber
das Wort „enterben“ kommt hier ebenfalls im alten deutsch-
rechtlichen Sinne vor3), und die Überschrift für die obigen Vor-
schriften lautet: „Ursach damit ein kind sin erb verwürckt“,
ein Ausdruck, welchen spätere Fassungen offenbar erst absicht-
lich in „enterben“ verwandelt haben4).
VII. Die erste deutsche Version der Enterbungsgründe,
welche das römische Enterbungsrecht in der Tat rezipiert und
die Justinianischen Fälle fast alle, namentlich auch diejenigen
für Kinder zum erstenmal mit verarbeitet hat, ist das erste
der gedruckten deutschen Stadtrechte, die Nürnberger Refor-
‘) Vgl. auch die modernisierte Fassung dieses Falles als ersten in dem
Berner Zivilgesetzbuch von 1827 (unten).
*) a. a. 0. § 86.
s) Daselbst § 88 v. 5 (S. 298).
•) So in der Erneuten Stadtsatznng von Brugg 1620 (Die Rechtsquellen
des Kantons Aargau, I. Teil, 2. Baud [1900] S. 239) und in der Verueuerten
Gerichtssatzung von Bern 1614 (gedruckt 1615) (2. Teil, 4. Titel, 5. Satzuug),
während die Erneute Stadtsatzung von Aarau aus dem Jahre 1572 (a. a. 0.
I. Teil, 1. Band (1898) S. 257 Nr. 50) wörtlich der alten Bernischen Fassung
folgt. Dort lautet die Überschrift: „ Vss was vrsachen die Eiteren jhre kindt
enterben mögind“.
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mation von 1479 (gedruckt 1484) '). Zwar spricht auch sie
noch von „Verwirkung“ der Erbschaft an den hierher gehörigen
Stellen *), und gebraucht den Ausdruck „enterbt seiu“ im Sinne
eines gesetzlichen Erbrechtsverlustes 3), aber daneben ist auch
von einem „Enterben“ „durch Geschäft“ die Rede*), und die
vollständige Aufnahme des Testaments5) lässt keinen Zweifel
darüber, dass die romanisierenden Redaktoren des Gesetzbuches
die römische Enterbung aufzunehmen beabsichtigt haben.
Von den Justinianischen Fällen sind nur Nr. IV (malefici),
VII (Sykophantie) — dieser wie bei Raymund und in Briinn
— und Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft) (wie in der Lehnrechts-
glosse) fortgelassen. Die Streichung des letztgenannten Grundes
beruht offenbar auf Absicht, wie die Fassung des entsprechenden
(7.) Falles für Deszendenten zeigt, wo nach Analogie von
Nr. VIII (Gefangenschaft), nur vom Nicht-Ledigen aus unge-
bührlichem Gefängnis die Rede ist. Thomasius gibt als Er-
klärung die Beseitigung der aus der Kriegsgefangenschaft her-
vorgehenden Sklaverei an6).
') Titel XV, 2. und 3. Gesetz.
*) So in der Überschrift zu diesem Titel: „Gesetze vou vertzig vnd
verwürekung der erbsehafft der kinder gegen iren eitern', ferner in der
Überschrift zuin 2. Gesetz dieses Titels: „von veilen damit die kinder ir
vetterlich oder mutcrlick erbsehafft oder erbtail verwurcken11. Vgl. anch
Tit. XXII, 2 (für den Fall IX [Testamentshinderung]): „verlorn vnnd ver-
wundet“, und XXII, 5 a. E. : „oder aber das sie solche ir erbsehafft verwurcht
betten auf maynung des“ Tit. XV, 2.
*) So im Falle IX: wenn die Eltern ohne „Geschäft“ abgingen, so sollen
nichtsdestoweniger die Kinder „enterbt“ sein nsw. Ferner im Falle XI (Un-
gehorsam der Tochter): „so sollte sie darumb nit enterbt sein“.
*) Die Überschrift von XV, 2 (oben N. 2) fährt fort: „Also das sie der
durch gescheft Ihrer eitern mögen enterbt werden“, und die Überschrift zu
XV, 3 lautet: „vou veilen darinnen die kinder jre eitern auch enterben mögen
Irer wart vnd erbschafft so sic von Inen haben mögen“. Im IX. Falle (oben
N. 3) ist ebenfalls davon die Rede, dass, wenn die Eltern gebührliche Testa-
ment oder Geschäft doch noch „tun“, sie ihre Kinder in solchem ihrem Ge-
schäft „enterben“ können.
*) Tit. XX, besonders 1. und 3. Gesetz.
*) Disputatio inanguralis juridica de Noricorum causis adimeudi legiti-
mam, praeside C. Th. Thomasio, Laurentius de S andrer t. Haine 1703, § L.
Thomasius schliesst Bich hierin an Stryck, I)c cautelis testameutorum
cap. 3, v. 45, an.
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Die Fassung der einzelnen „veile“ erinnert nicht selten
an frühere deutsche Versionen, aber diese Übereinstimmungen
sind zn wenig charakteristisch, als dass man sie für Ent-
lehnungen halten dürfte. Manchmal möchte man sogar an eine
unmittelbare Übertragung aus dem Originale, dem Authentikum,
denken '), indessen auch diese Vermutung trifft nicht immer zu*).
Bemerkenswert ist die Fassung von Nr. III (ähnlich Nr. 1):
„so di kinder ire eitern vor gerieht beschuldigen vnd ansprechen
vmb frais oder peinlich Sachen oder vmb Sachen leib vnd leben
anrürend, das dann zu latein crimen capitale genennt wirt.
Es wer dann das dieselben vntat ein schwaerc Verhandlung
wider den Römischen Kayser oder könig oder wider den ge-
meinen stand vnnd wesen der Stat Nuerenberg fuergenomen
oder die da ketzerey antreffe“. Die letzte Ausdehnung ist
neu, die Definition des „lasters beleidigter mayestet“ — wie
es bei Nr. 1 heisst — hat die Anschauung zur Voraussetzung,
dass der Kaiser für die Reichsstadt als „Fürst des Landes“
gelte 3).
Bei Nr. VI =3 wird, wie so oft4), die Konkubine nicht
erwähnt, und nur von der Stiefmutter, des leiblichen Vaters
ehelicher Hausfrau, bzw. von „des suns Eeweib“ gesprochen,
obgleich das Delikt im ersten Falle den „Kindern“ zugetraut
ist. Das Schauspielergewerbe schildert die Nürnberger Refor-
mation so: „so der svn ein katzenritter were oder dessgleicheu
sich vnderstanden hat mit andern Tieren zepeissen vnd ze-
fechten“, eine Bezeichnung des arenarius, welche der lateini-
schen Landrechtsglosse entlehnt sein soll5). Bei Nr. XII = 6
') So bei Nr. XI (Ungehorsam der Tochter): „ein vnkensch leben vnd
wesen ansserwelt“, vgl. „luxuriosain vitain elegerit“; auch Thomasiiis
§ XLI weist daranf hin.
’) So bei 1): „So der vater sein kind in Recht beschuldigt usw.“ statt:
„ad interitum vitae tradiderit“.
*) Vgl. den „iraperator“ in der Brachylognsglosse (oben S. 26) und in
Lo Codi (oben S. 36), auch den Ausdruck „uinb reiches uorretnis“ bei Wurm
(oben S. 70).
*) Vgl. Edictus Rotliari (oben S. 27), Raymond von Wiener-Neustadt
(oben S. 63), das kleine Kaiserrecht (oben S. 53) und die Ueburechtsglossc
zum Sachsenspiegel (oben S 69).
*) Nach Thoinasins a. a. 0. § XXX (Zobel zn Sachseusp. 1,38, 1).
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(Geisteskrankheit) wird zwar nur davon gehandelt, dass der
Aszendent oder der Deszendent „synnlos vnd vn vernünftig“
werde, aber, ausser .pfleg“, verlangt das Gesetz auch „narung“
und „notturftige ertzney“.
Aus den Gründen für Kinder mag hervorgehoben werden
die bei Nr. 1 (Aufopferung) gegebene Vorschrift, wonach für
Eltern und Kinder beiderseitig die Verpflichtung aufgestellt
ist, sich wegen des Lasters beleidigter Majestät und wegen
Ketzerei gegenseitig zu beschuldigen.
Der Nürnberger Reformation folgen mehrere andere Dar-
stellungen :
1. Das Tübinger Stadtrecht von 1493 *), mit welchem wahr-
scheinlich das Uracher Stadtrecht*) und jedenfalls das Stadt-
recht von Asperg (1510) s) in den hierher gehörigen Bestim-
mungen fast wörtlich übereinstimmt. Die „Fälle“ „damit die
künder ir erbtail verwirckent“, sind hier als solche bezeichnet,
durch die sie „irer väterlichen vnd mütterlichen wartt vnd
erbfalle benomen vnd enterbt werden durch testament vnd ge-
schafft“. Bei Nr. III (Kriminalanklage) ist die gelehrte lateinische
Fassung der Vorlage in Wegfall gekommen, samt dem spezifisch
ni'irnbergischen „fraiss“ ; unter den Ausnahmen steht nur der
römische König, nicht auch der Kaiser, und der Landesverrat
wird als „wider deu gemaineu stat vnd wesen der herrschaft“
gerichtet bezeichnet. Bei VI (Inzest) nennt Asperg anstatt
der Stiefmutter die Mutter, der erste Fall der Erwähnung
dieses incestus jure gentium, wie es scheint. Bei IX (Testier-
hindernis) = 4 wird der einschränkende Zusatz gemacht: „so
doch söllich gesch&tft oder testament geschieht vss vernünfftigen
vrsachen von aim gericht darfür geachtet vnd erkannt“. In
Nr. X (Schauspielergewerbe) endlich ist die in der Nürnberger
') Bei Frieilr. v. Thudiclium, Tübinger Studien, I, 1 (1900) S. 40 ff.:
§§ Bö/6.
’) Vgl. C. G. Wächter, Handbuch des im Königreiche Württemberg
geltenden Privatr., I, 1839, S. 72.
*) Bei Friedrich Christoph Jonathan Fischer, Versuch Uber die Ge-
schichte der tentschen Erbfolge, 11, 1778, 8. 172 ff. Wächter scheint hier
aber (S. 79) an eine unmittelbare Entlehnung aus dem Corpus juris zu denken:
vgl. denselben hinsichtlich Aspergs: a. a. 0. S 90 N. 3.
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Fassung sonst übergangene Nr. IV (maleficus) mit einbezogen,
indem neben dem „lotter“ ein „offener zoberer“ oder das Um-
gehen „mit vergifftnuss“ genannt wird.
2. Die Wormser Reformation von 1498, gedruckt 1499 ')
und die Reformation des Bayrischen Landrechts von 1518 2).
Diese beiden Gesetzgebungen sprechen aber schon gar nicht
mehr von „Verwirken“ des Erbrechtes, sondern bloss von Ur-
sachen, darum Vater und Mutter ihre Kinder (oder die Kinder
ihre Eltern) „enterben“ mögen. Einige Ausdrücke sind ge-
ändert3). Die Wormser Reformation lässt die Gründe für die
Kinder fort.
3. Ulrich Tenglers Layenspiegel, zuerst 1509 erschienen4).
Die Darstellung unterscheidet sich von der Nürubergischen im
wesentlichen nur darin, dass bei Nr. XII (Geisteskrankheit) auch
die Armut einbegriffen wird, dass in Nr. VI (Inzest) von des
Kindes (nicht allein des Sohnes) Ehegemahl die Rede ist und
dass zu Nr. 7 (Kriegsgefangenschaft) offenbar eine Entlehnung
aus Nr. VIII (Gefangenschaft) stattgefunden hat: wer seinem
Kinde mit Bürgschaft nicht zu Hilfe kommt, es aus unbilligem
Gefängnisse zu entledigen.
4. Die Geldernsche Reformation von 1554 (veröffentlicht
1555) 5), die sich dadurch auszeichnet, dass sie die sonst über-
all getrennt gehaltenen Fälle für Aszendenten und für Des-
zendenten zusammenarbeitet und sie nach den für letztere
geltenden Gründen ordnet6). Nur fehlen hier — ausser Nr. IV,
') 4. Buch, 3. Teil, 4. Titel. Ebenso noch 1542.
’) Titel 49, Artikel 5 und 6 (Bl. CLVff.).
*) So bei Nr. I, der römischen Vorlage näher: „gedürstig haut anlcgen“
(statt: „mit freueler gewaltsam antasten“); bei Nr. II: „frenelwort“ (statt:
„freuel“) an ihre Eltern legen; bei VI: „ein kindt“ (statt: die kinder).
‘) „Der neu Layenspigel“, Augsburg 1512, Bl. XXXIX b. Der bekannte
„Klagspiegel“ dagegen hat die Enterbungsgrilude ursprünglich noch nicht,
erst in der Fassung: „Teutscher Reuocirter (!) Richterlicher Klagspiegel usw.“,
Frankfurt a, M. 1601, S. 240 ff. (bei der Erbteilungsklage).
5) „Des Durch). Fürsten zu Gnlicb, Clene nnd Berg Rechtsordnung und
Reformation“, cap. 72; auch bei R. Manrenbrecber, Die Rheinpreussischen
Landrechte, I, 1830, 8. 222 ff. Über die Geschichte dieser Gesetzgebung vgl.
jetzt Gg. v. Below, Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in
Deutschland, 1905, S. 34 ff.
") Danach beginnt die Darstellung mit Nr. III = 1), danu folgen
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VII und XIII — auch noch Nr. X („Katzeuritter“) und 5 (Lebens-
nachstellung unter Eltern). Auch kommen infolge jenes Zu-
sammenbringens der Fälle manchmal eigentümliche Ergebnisse
heraus, so bei Nr. IX ^ 4 (Testierhindernis), wo die für den
Sohn berechnete Bemerkung: „geschellt — iu solichen guetern,
die er zu verschaffen vnd zu vergeben batt“: auf den Vater
mit bezogen werden muss. Eine Neugestaltung erfahren die
Nr. I und II in folgender Form: „So die kinder mit gewalt-
samer tliat vnnd freuel jre eitern schlagen vnnd beleidigen
oder sonst gegeu sie vnerbare schwere und vnbefuegte vnge-
rechtigkeit vnnd freuell vornetnen theten darumb sie pillich
jrer elterlichen gueter enterbt werden“.
VIII. Die Gerichtsordnung des Landgrafen zu Hessen,
„auft'gericht vnd geordnet Anno 1497, gedruckt zu Frankfurt
a. M. am 22. Tag des Brachmonats Anno 1531“, welche aller-
dings niemals in Geltung getreten ist1), enthält auch die Ent-
erbungsgründe für Aszendenten, und zwar, wie schon früher
bemerkt worden ist2), in Gestalt einer deutschen Übersetzung
der kanonischen Glosse. Jedenfalls ist in dem hierher ge-
hörigen Teile derselben die sonst für die Behandlung der Erb-
fälle in ihr behauptete3) Ähnlichkeit mit der Nürnberger Re-
formation nicht zu bemerken. Die Übereinstimmung zeigt sich
besonders in der Fassung von Nr. VII (Sykophantie), wo die
Worte: „si ex dilapidatione filii grave dispendium parentes
sustulerint“ : übersetzt sind: „so er durch sein verzerung die
altern verderblich machet“. Im übrigen finden sich auch
einige Abweichungen. „Princeps und „respublica“ in Nr. III
V = 2), VI = 3), IX = 4), XII = 6), VIII = 7), XIV = 8); Nr. I, II,
XI sind angefügt, so dass den Schluss derselbe (irund wie in der Schwaben-
spiegclgrnppe bildet. Es folgt auch sogleich incap. 73: „von bestraffung der
Shöne vnd Töchter, die sich obn jrer elter willen vnd wissen verheyrathen“.
') Vgl. P. Roth und v. Meibom, Kurhessisches Privatrecht, I S. 47,
und Stiilzel in der Kritischen Vierteljahrschrift, 3. Folge, Bd. XI (1907) S.22.
*) Oben S. 36.
*) So die in N. 1 genannten Autoren hinsichtlich cnp. 27 — 47. Sie
zitieren einen Druck von 1557 als den frühesten. Der im Text benutzte
ältere bat keine Kapiteleiuteilung; nach der Zählung der späteren Ausgabe
würde das hierhergehürige Kapitel das 3ä. sein. Eiu Abdruck findet sich
auch bei Abraham Sau r, Fascieulus iudiciarii ordinis, fase. VIII (1589) S. 15.
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(Kriminalanklage) werden mit „den keyser odder das Reich“
wiedergegeben. Von Nr. IX (Testierhindernis) an — mit selbst-
verständlicher Ausnahme von Nr. XI (Ungehorsam der Tochter)
— nennt die Gerichtsordnung anstatt des Sohnes, wie die
kanonische Glosse, immer die Kinder. Bei Nr. X (Schauspieler-
gewerbe) tritt an Stelle der quellenmässigen Beispiele die all-
gemeinere Fassung: „so sich die kinder wider der altern willen
vnzimbliche narung sfichen vnd doch die altern erbar weren“.
Von der Tochter heisst es in Nr. XI: „sich zu vnreyneu handeln
geben“, und in Nr. XII werden den „sinnlosen“ Eltern die
„krancken“ gleichgestellt.
IX. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts erscheinen die Ent-
erbungsfälle in friesischer Sprache in dem unter dem Namen
„Jurisprudentia Frisica“ veröffentlichten Rechtsbuche1), eiuer
Kompilation von römischem und kanonischem Rechte, welche
nur weniges aus älteren einheimischen Quellen enthält2). Hier
werden unter dem Titel (LI): „De liberis preteritis et exhere-
datis“ die Fälle in zwei verschiedenen Fassungen mitgeteilt,
von denen die eine am Rande der der Veröffentlichung zugrunde
liegenden Handschrift steht und demnach wohl als die jüngere
angesehen werden darf. Es heisst (im Texte), dass es 14
„Sachen“ gebe, um die der Vater seinen Sohn „enterben“ möge,
aber die Aufzählung kommt nicht weiter, als bis zu 11 Nummern.
Die Fälle VIII (Gefangenschaft), XI (Ungehorsam der Tochter)
und XII (Geisteskrankheit) werden nicht mehr ausgeführt;
freilich ist Nr. VIII unter der allgemeinen Fassung von
Nr. XIII: die gefangenen Eltern nicht lösen: mit inbegriffen.
Die Reihenfolge in der Aufzählung ist dem Originale gegen-
über verändert3). Dagegen finden sich die Enterbungsgründe
für Deszendenten nicht allein vollständig, sondern auch nach
der Ordnung der Novelle aufgefübrt, nur dass Nr. 5 (Lebeus-
’) Heransgegeben von Montanas Hettcma, 1834 ff.: Tweede Stuck,
1835, S. 136 ff.
*) Vgl. Karl Freiherr von ßichthofen, Friesische Rechtsquellen,
1840, S. XXVI.
*) Die eiugehaltene Reihenfolge ist diese : I, IV, II, X, V, VI, III,
VII, XIV, XIII, IX
Merk«), Kiiterl.linuHgriinde 6
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nachstellung unter Eltern) an das Ende gestellt ist. Im
letzteren Falle läuft zudem das eigentümliche Missverständnis
unter, dass nicht von der Lebensnachstellung unter den Eltern
die Rede ist, sondern davon: wenn der Vater seines Sohnes
Weib „fenyn“ gebe.
In der marginalen Gestaltung sind es sogar 15 Enterbungs-
gründe für Aszendenten. Es wird in die hier sämtlich vorhandenen
Justinianischen Fälle, welche übrigens wieder in einer ab-
weichenden Ordnung auftreten1), eingeschaltet (als Nr. 11):
wenn die Kinder Freundschaft wollten halten mit jemandem
gegen den heiligen Glauben und die Eltern vorher keine Freund-
schaft hatten mit den Leuten. Dies macht den Eiudruck einer
Erweiterung von Nr. XIV (Ketzerei), welcher Fall jedoch aus-
drücklich daneben (als 15.) genannt ist. Von den Gründen für
Kinder enthält die am Rande mitgeteilte Form nur Nr. 2
(Lebensnachstellung), in zwei Fälle zerlegt: Lebensnachstellung
im allgemeinen und Vergiftungsversuch, sodann Nr. 3 (Inzest),
8 (Ketzerei) und 7 (Gefangenschaft), welcher letztere Grund
hier noch besonders ausgestaltet wird: Jeff da kyuden buta
wirth worden, jeff jelkers liata to coem, ende dat hya se dan
naet wrwareden“, also, wie es scheint, mit Hinzufügung des
Falles, dass die Kinder ohne Lösegeld des Vaters wieder frei
werden und der Vater sich daun nicht um sie kümmert.
Die Ausdrucksweise im einzelnen erinnert nicht selten an
ältere deutsche, insbesondere an sächsische Vorgänger, so das
„wrogen“ (rügen) im Falle III und 1 (Kriminalanklage), die
Erwähnung der „amye“ bei Nr. VI (Inzest), während sie in
der entsprechenden Vorschrift für die Deszendenten „holda*
genannt wird, und der Ausdruck „mislawich“ zur Bezeichnung
der Ketzerei (Nr. XIV und 8)2). Auch das Beraden der
Tochter („byreden“) kommt in der Mitteilung am Rande beim
XI. Falle vor3). Der VII. Grund (Sykophantie), aus welchem
schon die Glosse zum sächsicheu Lchnrechte die eigentliche Ur-
sache entfernt und bei welchem sie nur von „vp vnkost dreuen“
') Nämlich I, VII, III, IV, X, V— IX, XI— XIV.
’) Vgl. oben S. 67 N. 7 und S. 68 N. 2 und 3.
*) Vgl. oben S. 68.
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83
gesprochen hatte1), wird aucli hier lediglich von einer Be-
schädigung oder einem „Wrsumen“ (Versäumen?) des elter-
lichen Gutes verstanden *) — man erinnere sich des besonderen
Grundes im Schwabenspiegel!3) — ; die Form von Nr. V (Lebens-
nachstellung): au der Eltern Leib „reden“ oder „wrreden“:
hat Ähnlichkeit mit einer Ausdrucksform im Kleinen Kaiser-
recht 4).
Diesen Ähnlichkeiten stehen aber vielfache Eigentümlich-
keiten gegenüber. Man beachte z. B. die Form von Nr. I: die
Eltern „myt haester (hastiger) hand oenfinzen“, Nr. II: ihnen
„swecr secken oplidzen“ 4). Bei Nr. III (Kriminalanklage)
fehlen die Ausnahmen, dagegen sind sie in der entsprechenden
Nr. 1 eingesetzt als „Sachen“ gegen den „ferst“ oder gemeine
Nützlichkeit. Nr. IV (malefici) heisst: mit „quade“ Leuten um-
gehen, Nr. X (Schauspielergewerbe): selber „quad“ sein, welcher
letztere Fall in der marginalen Fassung jedoch: „misdedich man“
werden: heisst, eine Bezeichnung, welche besser für den male-
ficus in Nr. IV passen würde.
Jedenfalls hat die soeben besprochene Überlieferung eine
ausdrückliche, dem römischen Rechte entsprechende Enterbung
im Auge. Dies dürfte nicht allein aus dem, wie erwähnt, ge-
brauchten Ausdrucke „enterben“, sondern auch daraus hervor-
gehen, dass bei Aufstellung des IX. und 4. Enterbungsgrundes
(Testierhindernis) das „Testament“ genannt wird.
X. Auch nach Ungarn sind die Enterbungsgründe gewandert,
und zwar in der Form, welche ihnen das „Tripartitum opus
’) Vgl. auch die Hessische Gerichtsordnung oben S. 80 und später die
Lilneburgische Reformation.
’) Der im 8. Falle des Textes gebrauchte Ausdruck „byhalden* („open-
beer“ das elterliche Gut) dürfte hier wohl die Bedeutung von Beschädigen
haben, welche nach v. Uichthufen, Altfriesisches Wörterbuch, S. 6:$6 Sp. 2
möglich ist.
*) Oben S. 62.
*) Oben S. 54 N. 2.
•) Die Ausdrucksform ähnelt Ubrigeus hier wieder den Wnrmsehen
Arbeiten, wo es heisst: mit uerlichir .Sache beschweren, oder: mit grossen
Sachen unehreu, s. oben S. 70. ln der Mitteilung der Fälle am Rande soll
offenbar der Ausdruck: ihren Eltern grossen Schaden tun: diesen zweiten der
Justinianischen Fälle ansdrflcken.
6*
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jnris consnetudinarii1' des Stephan v. Werböcz gegeben hat und
in' welcher sie von König Wladislaus im Jahre 1514 approbiert
wurden1). Hier finden sich die Fälle: I (Realinjurie), II Ver-
balinjurie), III (Kriminalanklage), dieser mit der Ausnahme:
„de tali causa quae in perniciem Principis vel Reipnblicae
totiusRegni vergit“ *); ausserdem noch Nr. V (Lebensnachstellung).
Nr. IV und X scheinen miteinander verbunden zu sein in der
Form: „cum maleficis vel aliis nephandae vitae hominibus con-
tra voluntatem patris perseverare“, aber mit dem an den vor-
letzten Fall des Schwabenspiegels und die Version von Nr. VII
in der kanonischen Glosse *) erinnernden Zusatz: „bona paterna
praue consuraendo“, also unter der Voraussetzung einer Ver-
geudung des väterlichen Gutes in der schlechten Gesellschaft.
Ebenso sind Nr. VIII (Gefangenschaft) und Nr. XIII (Kriegs-
gefangenschaft) in ein Stück zusammengefasst: „captum de
inanibus inimiconim“ und „de carcere“ non redimere.
Die Justinianischen Fälle treten in diesem Rechtsbuche
übrigens keineswegs als Rechtfertigungsgründe für Enterbungen
auf, vielmehr wird das „exhaereditare“ selbst bei ihrem Vor-
handensein ausdrücklich untersagt. Aber sie geben den Anlass,
dass der Vater seinen Sohn, vorausgesetzt derselbe sei „pubes
atque legitimae aetatis“, zur Vermögensabteilung zwingen kann
(„ad bonorum diuisionem compellere“), also zu einer Art ge-
milderter Emanzipation. Das Kind verliert infolgedessen Anteil
und Anwartschaft auf das väterliche Vermögen für die Zukunft.
Auch den Kindern wird übrigens das Recht verliehen, ihren
Vater zur Abteilung zu nötigen, wenn gegen ihn bestimmte
Gründe vorliegen. Indessen haben diese Gründe mit den
Justinianischen Fällen nichts zu tun4).
’) Ausgabe: Wien 1628, S. 34: Pars I, Tit. LII.
*) ln dem zu dem Werke gehörigen „Encliiridion articulomin*, S. 41,
ist die Ausnahme als „crimen lnesac maiestatis“ bezeichuet.
*) Vgl. oben S. 35.
*) Die Gründe sind: Verschwendungssucht und Vernachlässigung des
Vermögens (vgl. das Kleine Kaiserrecht oben S. 54 N. 5: 11, 11), unbegrün-
dete schlechte liehandlung („impie et crudeliter corripere“), Verhinderung an
berechtigter Heirat und Nötigung zu Übeltaten (peccare). Vgl. auch das
Recht auf Abteilung nach dem Schwabenspiegel cap. 61 und 186, und die
Summa Raymunda von Wiener-Neustadt, I. 23, welche sechs Gründe der Ab-
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XI. Die nächste deutsche Gesetzgebung, welche die Justi-
nianischen Fälle aufgenommen hat, ist das Freiburger Stadt-
recht von 1520 *), während der Verfasser der a. 1511 erlassenen
„Ordnungen in Testamenten, Erbfällen und Vormundschaften“
für die Markgrafschaft Baden2), nach dem Vorgänge älterer
Autoren8) sich noch mit einer blossen Verweisung auf die „ge-
meinen kaiserlichen Rechte“ begnügt hatte4). Ulrich Zasius
aber hat in den Text des Stadtrechtes die Fälle eingestellt,
freilich die für Aszendenten nicht alle, es fehlen nicht nur,
wie in Nürnberg, Nr. VII (Sykophantie) und XIII (Kriegs-
gefangenschaft), sondern auch Nr. IX (Testierhindernis) und
XIV (Ketzerei). Die Gründe für Kinder sind sämtlich vor-
handen, und zwar sind sie offenbar, wie ihr Wortlaut zeigt,
der Nürnberger Reformation entlehnt Infolgedessen ergibt sich
eine Unstimmigkeit zwischen den Fällen der ersten und denen
der zweiten Gruppe, indem unter den Gründen für Kinder von
den vorhin für Aszendenten als fehlend bezeichneten Fällen
die drei letzten (IX = 4, XIII — 7, XIV — 8) Aufnahme ge-
funden haben, auch bei Nr. 3 (Inzest) bloss vom Vater und
dem „Sunsweib“ die Rede ist, während der entsprechende Fall
Nr. VI auch von Tochter und Stiefvater handelt. Diese Un-
gleichmässigkeit scheint redaktionelle Gründe zu haben, welche
sich aber einstweilen, solange die Geschichte der Redaktion
noch nicht ermittelt ist5), noch nicht feststellen lassen.
Von der den einzelnen Fällen gegebenen Fassung dürfte
hervorzuheben sein: die Gestalt, welche Nr. III (Kapitalanklage)
hier erhalten hat, indem, wie bei Wurm8), auch die Ehre als
teilung nennt, dem Vater aber das „compellere filios suos ad diuisionem
hereditatis“ : „quarnlo vollint“ gestattet.
') „Nitwe Stattrechteu vnd Statute der löblichen Statt Fryburg im
Pryssgav gelegen“, III. Tractat, V. Titel (Bl. LXXII ff.).
*) .Der marggraffschafft Baden statuta vnd Ordeuungen in Testamenten
usw.“ von Donnerstag nach St. Michaelis Tag 1511, Nr. 111 a. E.
*) Oben S. 31 N. 2.
*) Es heisst: man wolle durch diese Satzung niemandem zugelasscn
haben, einige Enterbung zu tun, die ihm in jenen Rechten verboten sei.
‘) Vgl. Rieh. Schmidt, Zasius und seine Stellung in der Rechtswissen-
schaft, 1904, S. 63 ff.
*) Oben S. 70.
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Gegenstand einer unzulässigen peinlichen Anklage aufgeführt
wird, und, wie in Nürnberg zu Nr. 1) ‘), eine Pflicht aufgestellt
ist, die ausgenommenen Fälle („Verraeterei, vffgelöuff“ u. dgl.)
der Obrigkeit „anzubringen“. Ferner Nr. VI, auf dessen Aus-
dehnung schon vorhin hingewiesen wurde, und Nr. X (Schau-
spielerge werbe), welches ebenfalls von den Kindern ausgesagt
wird: „So die kind üppig stend an sich nemmen“; dazu die
Beispiele: Frauenwirt, Henker8) und offner Pflatzmeister d. h.
ein Aufseher und Ordner bei öffentlichen Lustbarkeiten 3). Bei
Nr. VIII (Gefangenschaft) ist die Pflicht zur Bürgschaftsleistung
für die Aszendenten ebenfalls von den Töchtern verstanden,
jedoch werden verheiratete Töchter ausgenommen, falls nicht
der Ehemann zustimmt, dessen Einwilligung aber „auf An-
bringung“ durch die städtische Obrigkeit ergänzt werden kann.
Bei Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) wird unterschieden
zwischen Töchtern, die sich nicht wollen „zu den Ehren“ ver-
sorgen lassen, sondern sich vornehmen, in Üppigkeit zu leben,
oder die ihre Leiber Männiglich zu der Unkeuschheit feil
bieten, und zwischen Kindern, die ohne Wissen und Willen der
Eltern selbst „in die Ehe griffen“. Indessen ist den Eltern
im letzteren Falle nur das Recht gegeben, die Kinder auf den
Pflichtteil zu setzen. Nr. XII (Geisteskrankheit) erweitert der
Gesetzgeber auf Krankheiten oder .zugestandene Mängel“ an
Leib oder Vernunft, wobei aber dem Rat der Stadt Vorbehalten
bleibt, darüber zu entscheiden, „ob die kind vrsachenn dawider
anzögen“. Den Schluss bildet hier (als Nr. XI) die Enterbung
in guter Absicht.
Für die aus diesen Ursachen zulässige Enterbung hat
übrigens Zasius eine besondere Form vorgeschrieben, welche
mit der schon mehrfach in einzelnen Fällen — so bei Nr. VIII
und XII — hervorgetretenen Tendenz der obrigkeitlichen Be-
aufsichtigung übereinstimmt. Auch in den Fällen der Nr. X
(Schauspielergewerbe) ist dem Rate Vorbehalten, im einzelnen
*) Vgl. oben S. 78.
*) Diese beiden Kategorien werden auch bei Aufzilhlung der „schnöd
lichtvertig personenn* in Nr. XI genannt, mit denen man, gleichwie mit
„gemein dirnen“, eine ehrbare Ehe nicht eingebt.
*) Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, VII S. 1925.
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zu entscheiden, es müssten denn etwa die Eltern selber „solich
vnlüt“ sein. Die regelmässige Form der Enterbung bildet nun
die Erklärung entweder „in gesessenem Rat“ oder vor dem
Stadtgericht, wobei die Ursachen der Enterbung zu „wysen“
sind. Bloss bei Verhinderung durch Krankheit „ist es genug“,
in einem Testamente zu enterben, aber dann hat nach dem
Tode der „gesetzte Erbe“ die Ursachen zu „er wysen“. Nur in
besonderen Fällen, so wenn die Tochter sich mit einer „schnöd
leichtfertigen Person“ verheiratet, und bei Nr. XII = 6, wo der
Text Justinians ebenfalls die Erbeinsetzung der „unwürdigen“
Kinder für null und nichtig erklärt, tritt eine gesetzliche Ent-
erbung „glich stracks nach innhalt diss vnsers Stattrechten“ ein.
Diese Bestimmungen nahm sich zuerst die Stadt Basel
zum Muster. Sie erliess eine Satzung am Donnerstag nach
dem Sonntag Quasimodogeniti 1523, welche in die Erneuerte
Satzung der Stadt vom 14. September 1539 Aufnahme fand l).
Darin werden die Enterbungsgründe in Form einer Warnung
für die „ rechten Kinder und Kindskinder “ vorgebracht, da-
mit sie sich gegen ihre Eltern „haben“ sollen, wie ihnen von
wegen kindlicher Verpflichtung wohl zieme und gebühre, widrigen-
falls sie die Enterbung von seiten der Eltern gewärtigen
müssen. Ausgeführt werden aber nur die Gründe I (Realinjurie)
und II (Verbalinjurie), in welchem letzteren Falle die Erwähnung
des „fluchen“ wohl Bernischer Einschlag sein könnte®); sodann
Nr. X (Schauspielergewerbe), wo der „Pflatzmeister“ „blatz-
leger“ heisst und „gemein frowen“ beigefügt werden; endlich
Nr. XI (Ungehorsam der Tochter), wrobei auf die Ordnung des
Blauen Buches (um 1450) verwiesen ist8). Ausserdem stellt
die Satzung aber noch den neuen, offenbar den Zeitverhältuissen
angepassten Fall auf, wenn die Kinder „über verbott wissen
und willen ir eitern in ein krieg loufen, und das selbig verbot
vormals von einer oberkeit by eidt und eer beschehen were“,
und behält schliesslich „ander derglichen Sachen“ vor, deren
') S. Kechtquelien von Basel, I. Teil, 1856, S. 368: Nr. 163, n und o.
*) Vgl. oben S. 74.
*) Daselbst 8. 139, lit. i. Danach verlieren Kinder unter 20 Jahren zwar
ihr Erbe, die Eltern aber können ihnen verzeihen und das Out wiedergeben.
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die Kinder „sich nit gebruchen“ sollen, womit zum ersten
Male eine clausula generalis in der vorliegenden Materie auftritt.
Dieselbe Fassung wird in der Neuen Ordnung des Stadt-
gerichts zu Basel von 1557 beibehalten1 II. III.), und in die Landes-
ordnung der Grafschaft Farnsburg sowie der Herrschaften
Waldenburg, Homburg und Ramstein von 1611, 1654 und 1757
übernommen*). Von 1611 an aber bedurfte es in Basel stets
einer besonderen Bewilligung der einzelnen Enterbung von seiten
des Rates; so wenigstens scheint ein Ratserlass vom 5. Januar
1611 ausgelegt worden zu sein3), und damit stellte man sich
ja auch im Grunde durchaus auf Alt- Freiburger Standpunkt.
Auch das Wiirttcmbergische Landrecht von 1554 ist, wie
bekannt4), von dem Freiburgischen Stadtrechte beeinflusst
worden, wie sich in der vorliegenden Materie ebenfalls fest-
stellen lässt5), es steht aber auch der Fassung in dem später
zu besprechenden Pernederschen Institutionenlehrbuch von 1544
nicht fern8). Von der erstgenannten Vorlage hat es sich in
manchen Punkten dennoch entfernt. Allerdings fehlt auch hier
Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft), während die korrespondierende
Nr. 7 vorhanden ist, aber die Fälle IX (Testierhindernis) und
XIV (Ketzerei), auch Nr. VII (Sykophantie) sind eingeordnet.
In der Gestaltung der für Deszendenten bestimmten Gründe
verlässt sodann Württemberg das Nürubergische Vorbild gänzlich
und fasst sie selbständig, und auch hinsichtlich der ausser-
testamentarischen Enterbung und des ganzen obrigkeitlichen
■) Daselbst S. 409: Nr. 90/1.
*) Daselbst Teil II, 1865, S. 126 (Nr. 53), S.186 (Nr. 27) und S.329 (Nr.38).
*) Vgl. daselbst, I. Teil, S. 483 N. 2, und einen Fall aus dem Jahre 1783:
II. Teil, S. 329 N. 31.
*) Vgl. Wächter, Württemb. Privatr., I, 1, 8. 232/3. Hier wird der
Grund fiir diese Erscheinung in dem Schiilerverbältnisse zwischen Zasius
und Johann Sichard, einem Mitgliede der WUrtteuibergiscben Kommission,
gesucht.
s) New landtrecht des Ftlrstenthums Würteuberg, 1554 (publiziert 1555):
III. Teil, S. CCXLVIII ff.
*) Die Ähnlichkeit besteht hier namentlich in der fast wörtlich gleichen
Fassung von Nr. V und VI (= 3), auch XI, obwohl hier Perneder das
Unterscheidungsalter berücksichtigt, ferner in der im Text zu bemerkenden
Übereinstimmung der Beispiele zu Nr. X. Auch die Verbindung von Xr. 6
und 7 zu einem Falle (vgl. oben S. 34) findet sich hier wieder.
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Einflusses auf die Enterbung ist es Freiburg nicht gefolgt.
Nr. VIII legt die. Pflicht zur „Ausbürgnng“ der gefangenen
Eltern Kindern und Enkeln ohne Unterschied des Geschlechtes
auf; in Nr. X (Schauspielergewerbe) werden den Beispielen,
wie bei Perneder, noch Gaukler und „Scholderer“ hinzugefügt,
ein Wort, welches die Aufseher bei Glücksspielen, aber auch
Hurenwirte oder Kuppler zu bedeuten hat l). Bei Nr. IX
(Testierhindernis) wird den durch die Einwirkung der Deszen-
denten des Erblassers von dessen Erbschaft Ausgeschlossenen
das Verfahren angegeben, wie sie mittelst Klage bei den Amt-
leuten und Gerichten des Landes jene Deszendenten „aller
ihrer angemassten Erbgerechtigkeit entsetzen“ können. In
Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) endlich fehlt das Unterscheidnngs-
alter sowie die Ausdehnung auf die männliche Deszendenz.
An das Württembergische Laudrecht lehnt sich in den
hier in Betracht kommenden Stellen das Kurfürstlich Pfälzische
Landrecht von 1582 an*). Nur folgendes ist hervorznheben.
Beim XI. Grunde (Ungehorsam der Tochter) kehrt diese Gesetz-
gebung wieder zum Freiburgischen Vorbilde zurück und ist
noch milder, als dieses, denn das Enterbungsrecht soll auch
dann wegfallen, wenn die Heirat wider Willen der Eltern aus
Torheit der Jugend erfolgt ist oder ein Kind durch Kuppelei
„hinterführt* wird und das Kind entweder um seiner Eltern
willen oder um der Obrigkeit willen (d. h. aus Furcht vor
Strafe) vor gänzlicher Vollziehung der Hochzeit von der Ehe
absteht oder sich an eine ehrliche Person verheiratet, wodurch
es seine Sachen merklich verbessert hätte (!). Sodann wird
hier wirklich und unzweideutig eine Generalklausel an die
Aufzählung der Gründe für Aszendenten angeschlossen, nach
welcher auch aus anderen dergleichen oder grösseren Ursachen
eine Enterbung vorgenommen werden darf. Als Beispiel ist
angeführt: da ein Sohn ein Verräter des Vaterlandes wäre
oder frefentlich wider die kaiserliche Majestät oder den Landes-
herrn handelte, ohne dass es einer Anklage, wie im Falle III
oder 1, bedarf. Damit ist zum erstenmal in einer von alters her
') Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch s. b. v.
*) III. Teil, XVI. und XVII. Titul (Bl. 16 ff.).
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aufgeworfenen Streitfrage über die Dehnbarkeit der aufge-
zählten Gründe gesetzlich Stellung genommen, während das ge-
wählte Beispiel eines selbständigen Deliktes des Kindes nichts
ganz neues bietet1). Neu ist aber auch die Warnung vor leicht-
fertigen Enterbungen, welche hier erfolgt: die Eltern sollen
„zu den unmilden beschwerlichen Enterbungen“ sich nicht
leichtlich bewegen lassen, vielmehr mit Rat anderer frommer,
redlicher, getreuer Leute, insbesondere der Rechtsgelehrten,
hierinnen handeln; namentlich wird auch Verzeihung empfohlen,
welche dann die Enterbung hinfällig machen soll.
Jene allgemeine Klausel ist auch in das erneute gemeine
Landrecht des Herzogtums Württemberg von 1610*), welches
im wesentlichen die Form von 1554 nicht verändert hat3),
übernommen wordeu4). Es gestattet die Enterbung: „wann
ein kind sich gegen seine Eltern oder sonsten in ander weg
mit solchen schwehren Vnthaten, welche oberzehlten Vrsachen
gleich oder noch beschwehrlicher, sträflicher vnd denn Eltern
ohnleidenlicher weren als dieselben, vergreifen wurde“. Das
Churpfälzische erneuerte und verbesserte Landrecht von 1610 s)
und 1698 8) dagegen hat an der älteren Fassung gar nichts
umgestaltet.
Aus den Redaktionen des Württembergischen und Pfälzi-
schen Landrechts von 1610 ist, sich bald an dieses, bald an
jenes anschliessend, das Landrecht des Herzogtums Preussen,
publiziert im Jahre 1620, hervorgegangen7), nur dass hier
') Vgl. im Kleinen Kaiserrecht: „an das riche reden*, oben S. 54, nnd
die Berner Satzung oben S. 75.
*) m, 17 und 18 (S. 390 ff.).
*) Bemerkenswert ist die Änderung von „Scholderer“ oder „Pflatzmeister“
in Nr. X in „Wasenmeister“, was aber einen Abdecker bedeutet. Das Pfäl-
zische Landrecht hatte sich einer Exemplifikation überhaupt enthalten.
4) S. S. 395. Der Zusatz ist auf Dr. Balthasar Eisengreins Relation
zum III. Teile des Landrecbtes zurückzuf Uhren: vgl. Württembergische Land-
rechtsakten, 1859, S. 395/6, vgl. auch S. 595.
*) III. Teil, Titel 14 und 15 (S. 400 ff.).
*) Bei A. v. der Nabmer, Die Landrechte des Ober- und Mittel-Rheins,
I, 1831, 8. 509 ff.
7) V. Buch, Titel V (S. 21 ff.). Ebenso Jus provinciale ducatus Prussiae,
publicatum a. 1620: Lib. V, Tit. 5 (S. 18—22).
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Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft) in einer dem Justinianischen
Originale möglichst angepassten Weise aufgenommen ist und
überhaupt keiner der Justinianischen Fälle fehlt. Auch die
Generalklausel und die Warnung vor den unmilden Enterbungen
(diese freilich unter Weglassung der Reclitsgelehrten als Inter-
preten!) findet sich hier in der Pfälzischen Fassung wieder,
anderes ist geringfügig modifiziert l). Das Churfürstlich Branden-
burgische revidierte Landrecht des Herzogtums Preussen, ge-
druckt 1685 2), lautet dann wörtlich mit der Ausgabe von 1620
gleich, und hat nur an einer Stelle eine bemerkenswerte Ab-
weichung, indem bei Nr. III (Kriminalanklage) die Ausnahme
nicht, wie früher, heisst: „Es wäre dann eine solche Uebelthat
und Laster, so wider die höchste Obrigkeit und Mayestet,
oder Vns den Landesfürten usw.“, vielmehr jetzt gesagt wird:
„nemlich wider Vns den Lands-Fürsten“, so dass damit die
kaiserliche Autorität unter den Tisch gefallen ist. Im „ Ver-
besserten Landrecht des Königreichs Preussen von 1721“ 3) wird
dann in diesem Falle nur statt „Fürstentum“ „Königreich“
gesetzt.
Zu den Nachfolgern derselben beiden Fassungen von Württem-
berg und Pfalz gehört auch das Landrecht der Markgrafschaften
Baden und Hachberg usw. von 1622 4). Auch hier ist Nr. XIII
vorhanden. Der Nr. I (Realinjurie) ist die Ausnahme hinzu-
gefügt: wenn es „vngefehr geschehen, als da einer einen andern
schlagen wollen vnnd jhrne der Vatter oder Mutter vnter den
‘) So ist in Nr. III bei den Ansnabmen, den Quellen entsprechend, vom
„gemeinen nutz“ die Rede; bei VIII wird die Bürgschaftsübernahme, eben-
falls den Quellen entsprechend, auf „Mannspersonen“ eingeschränkt; in Nr. X
steht an Stelle der WUrttembergischen Beispiele von Scholderer und Platz-
meister „Büttel“ „nnd dergleichen anderer verachteter Mann* (vgl. Glosse
zum Lehnrecht des Sachsenspiegels: „edder ein ander gerade man“); bei 4)
(Testierhindernis) wird hervorgehoben: „sonderlich in den Dingen darin ihnen
die Recht zu testieren zngelassen*.
*) S. 762 ff.
*) S. 230 ff.
*) V. Teil, Titel 17 und 18 (BI. 127a ff.) Ebenso noch 1710 (S. 235 ff).
Es finden Anlehnungen statt: an Württemberg bei Nr. XII und XIV, an
Pfalz in Nr. II bis VII, 1) bis 5), 7) und 8). Auch die Generalklausel und
die Mahnung vor übereilten Enterbungen ist aufgenommen. Nr. 6 (Geistes-
krankheit) setzt sich aus beiden Vorlagen zusammen.
Digilized by Go^jf:
Straich geloffen“. Bei Nr. 1 (Realinjurie uuter den Gründen
für Deszendenten) wird der Fall ausgeschlossen: wenn die An-
klage wegen „anderer groben abscheulichen Misshandlungen“
erfolgt ist.
Endlich hat auch die Stadt Basel in ihren Statuta und
Gerichtsordnung vom 5. Juni 1719') ihre alte Fassung2) auf-
gegeben und in der vorliegenden Materie das Vorbild des
Württembergischen Landrechts von 1610 fast wörtlich befolgt.
Eigentümlich ist ihr nur der Verzicht auf Nr. IX = 4 (Testier-
hindernis), welcher übrigens dem alten Freiburger Muster ent-
spricht, und die Ausdehnung des X. Falles: „ein schändlich
üppiges Leben führen“ auf die Eltern, so dass Kinder im-
stande sind, ihre Eltern deswegen zu enterben. Auch in
Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) ist wieder auf das Freiburger
Original zuriickgegriffen, indem der Falt auf die Verehelichung
der Kinder überhaupt erweitert wird, unter Hinweis auf die
Ehegerichtsordnung vom 13. September 1717 3).
XII. Dem 16. Jahrhundert entstammen zwei weitere nieder-
deutsche Versionen der Enterbungsgründe, die im Braun-
schweigischen Stadtrechte vom 22. August 1532 und die im
Ostfriesischen Landrecht aus derZeit zwischen 1540 und 1550 4).
In beiden sind, zum erstenmal seit der Altfriesischen Überlieferung,
sämtliche Enterbungsgründe für Aszendenten, im Ostfriesischen
Landrechte auch sämtliche für Deszendenten dargestellt, während
Braunschweig allerdings nur „Söuen orsake“ kennt, „wurdorch
de kynder obre eldern jn ören testamenten enteruen edder
obrer nicht gedenckenn mögenn“ ; hier fehlt nämlich, wie nach-
her in der Geldernschen Reformation 5), Nr. 5 (Lebensuachstelluug
unter Eltern).
Dem Braunschweigischen Stadtrechte6) sind mehrfach die
') Rechtsquellen von Basel, I. Teil, 2. Hälfte (1859) S. 886 ff. : III. Teil,
Titel XIII u. XIV. Ebenso noch 1849 (daselbst 8. 749 N. 1).
*) Oben S. 87.
*) S. a. a. 0. S. 675 ff.: § 9 a. E.; § 10; § 12 (Art. II und III).
*) Vgl. über diese Zeitbestimmung; Borcbling in der Zeitschrift der
Savigny-Stiftung, Rom. Abt., 27 (1906) S. 279, und in Wächter, Abhand-
lungen und Vorträge zur (jeschichte Ostfrieslands, 5. Heft (1906) S. 33 ff.
s) Oben S. 80.
‘) S. Urkundenbuch der Stadt Brauuschweig, I, 1873, S. 315 ff.
93
sächsischen Vorbilder anzumerken. So schon in dem öfters
gebrauchten Ausdrucke „Erblosmachen“ neben „enteruen“ und
„orer nicht gedencken“ *). Man vergleiche ferner die Be-
zeichnung in Nr. IV: „mitb thöuerern vnd thouerye vmmegen“*),
bei Nr. VII: „jn grothe vnkostynge vnd schaden foiren“3), sowie
die Beispiele zu Nr. X: „lodderboue“ und „gökeler“ 4). Auch
die Erweiterung dieses letzteren Falles auf die weibliche Des-
zendenz (Kinder) entspricht dem sächsischen Vorbilde. Im
übrigen ist nur das Fortlassen der Ausnahmen in Nr. III
(Kriminalanklage) und der Konkubine in Nr. VI (Inzest)4) zu
erwähnen, Erscheinungen, die auch sonst nicht selten sind6).
Das Ostfriesische Landrecht7) hat mit der älteren friesi-
schen Überlieferung in der vorliegenden Materie8) nicht viel
gemein. Die Übereinstimmung beschränkt sich, abgesehen von
der Vollzähligkeit der Fälle, eigentlich nur auf einige Aus-
drücke. So: „dat gemene Beste“, wie dort die „gemeine Nütz-
lichkeit“ bei den Ausnahmen von dem Verbot der Kriminal-
anklage (Nr. 1), hier auch bei Nr. III, und die „quait Gesel-
schup“, wie dort: „quade Leute“, in Nr. IV; die letzteren
werden jetzt aber ausdrücklich als Zauberer erläutert, die „sich
von Gott zum Teufel geben“. Die Reihenfolge, in welcher die
Fälle für Aszendenten aufgezählt werden, ist dagegen wieder
eine besondere9), und der 5. der Fälle für Deszendenten
(Lebensnachstellung unter den Eltern) findet sich hier wieder
zurechtgerückt.
Nr. II (Verbalinjurie) heisst hier: „schwarlich versprecken“,
') Das _ erllois maken“ findet sich in der Einleitnng zu den „verthein
orsaken der vmlauckbarheit“ und hei Nr. XII: „Wen denne de eldern tho
obren vornüffigenn synnen wedder kernen, sso möchten sse de kyuder edder
frilnde erfiois maken“.
*) Vgl. oben S. 67.
*) S. oben S. 67 und 71.
«) Oben S. 71.
*) Frensdorff in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Germ. Abt., 26 (1905)
S. 250, hält diese Auslassung für eine beabsichtigte.
*) Vgl. z. B. oben S. 77 N. 4.
*) Ausgabe von Matth, v. Wicht, 1746, S. 356 ff.: Lib. II, cap. 44.
*) S. oben S. 81 ff.
*) Sie ist folgende: I, II, III, V, VII, XII, IV, VI, VIII, XIII, IX, X, XIV, XI.
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94
die „amie“ im Falle VT und 3: „Byscldepersche“, die „bösen
Leute“ im Falle X (Schauspielergewerbe) werden mit Bei-
spielen belegt: „als Tatern. Nette-Boven, so dorcli de Lande
loepen“, worunter doch wohl eher Schauspieler mit der Gesichts-
maske, als vermummte Räuber1), zu verstehen sein mögen.
Beachtenswert ist namentlich, dass diese Gesetzgebung, gleich
dem Sachsenspiegel3), im Falle Nr. I (Realinjurie) das Recht
der Notwehr berücksichtigt: die Kinder können deu Eltern
„den Schlach woll schütten“, ja es soll nicht schaden, wenn sie
dann die Eltern „seligen in schuttent“. Eine wichtige Neuerung
wird ferner noch damit eingeführt, dass auch Geschlechtsver-
gehen der Eltern unter den Enterbungsgründen Berücksichtigung
finden. Es soll nämlich im Falle Nr. XI (Ungehorsam der
Tochter) der Vater sein Enterbungsrecht durch eigene Unkeusch-
heit einbüssen, falls er dadurch der Tochter selber ein schlechtes
Beispiel gegeben hat, und die Mutter darf, solange sie selber
in Uukeuschheit lebt, von ihrer Enterbungsbefugnis keinen
Gebrauch machen, vielmehr können die Kinder sie (nicht aber
auch den Vater) wegen Unkeuschheit enterben8). Besserung
der Tochter aber rehabilitiert sie beiden Eltern gegenüber4).
XIII. Neben den Rechtsbüchern und Gesetzgebungen müssen
auch zwei Institutionen - ähnliche Darstellungen in deutscher
Sprache, welche der Mitte des 16. Jahrhunderts angehören,
Berücksichtigung findeu, zumal die eine derselben, wie bereits
hervorgehoben wurde6), auf eine Gesetzgebung der Zeit, nämlich
auf das Württembergische Laudrecht von 1554, nicht ohne
Einfluss gewesen zu sein scheint. Es sind dies die deutsch ge-
schriebenen „Institutiones“ des Andreas Perneder von 1544 6)
und „der Rechten Spiegel“ des Justinus Gobler von 1552 7).
') So erkläre da» Wort v. Wicht, S. 359 N. ß: als Masken (= Netzei-
Buben, die, „wenn sie aut den Kaub oder, andern Mutwillen auszuüben,
ausgelten1, eine Maske vor das Gesicht hängen, um nicht erkannt zu werdeu.
') Oben S. 46.
*) Dies wird bei Nr. XIV bemerkt.
4) Vgl. auch II, 131, 158/9: Verlust des Anrechts auf einen Braut-
schatz für den XI. Fall.
s) Oben S. 88.
•) S. LVIII ff.
’) Bl. XXXVIII h ff.
95
Perneder stellt die Enteibungsgriinde gelegentlich des In-
stitutionentitels 2, 13 „de exheredatione liberorum“ zum Schluss-
paragraphen (§ 7) dar, worin er nicht ohne Vorgänger ist1).
Seine Ausdrucks weise erinnert gelegentlich an die Wormser
(also eigentlich: Nürnberger) Reformation*) und an das Frei-
burger Stadtrecht8), auf welches er ja sonst auch Bezug nimmt4).
Die Konkubine in Nr. VI und 3 nennt er „schlaffweib“ und
„schlafbüle“. Den schon oben erwähnten6) Beispielen für den
X. Fall: „sich in ain leichtfertig Übung vn büben leben be-
geben“: tritt hier „ein Freyhartsbub“ hinzu „d. h. ein Strolch,
ein Vagabund, „oder so er sich vndterstüude wilde thier im land
vmbzefüren und mit denselben sein narung zügewinnen“. Bei
Nr. XII (Geisteskrankheit), welcher Fall, wie in Freiburg6),
erweitert wird, ist auch Vorsorge dafür getroffen, wenn der
Kranke „gar von menigklich verlassen wurde“, ein Fall, für
welchen die Glosse Neglexerint zu Nov. 115, 3, 12 die Wahl
lässt, ob man ihn als Indignitätsfall oder nach Analogie des
nächstfolgenden Falles Nr. XIII (Anfall an die Kirche) behandeln
will. Perneder entscheidet sich für keine von beiden Möglich-
keiten, sondern lässt die Erbschaft an die Obrigkeit gelangen,
welche dieselbe, wie im XIII. Falle, inventarisieren und zum
') Vgl. die Turiner Glosse oben S. 24 N. 4, während die Anthentika zu
den Institutionen (oben S. 31) und die Merkverse Uber die Enterbungsfälle
(oben S. 33 ff.) dem Tit. 2, 18 de inofficioso testamento beigefügt sind. Ebenso
wie die Turiner Glosse nehmen auf J. 2, 13, 7 Bezug die im Jahre 1498 ge-
druckten Statuten von Messina: s. W. v. Brünneck, Siziliens mittelalter-
liche Stadtrechte, 1881, S. 86: cap. XXII, wo aber auf die „causae ex quibus
per leges exhaeredantur“ nur verwiesen wird. Auf die zitierte Institutionen-
stelle dürfte nämlich durch die Worte: „Mater vero eos exhaeredare non
dicitur“ hingewiesen sein, während v. Brünneck hier freilich: Systematische
Darstellung, S. 93/4, ein Missverständnis der Nov. 115 vermutet, als ob für
die Mutter wegen Mangels der elterlichen Gewalt noch das alte Recht in
Betracht gekommen sei. Aber auch die Note des Apulus Uber „tacite prae-
terire" passt auf die Institutionenstelle.
’) Vgl. bei Nr. I: „mit freuenlicher gewaltsam hand anlegen“ und die
Fassung der Folgen, wenn der Erblasser ohne Testament verstirbt, bei Nr. IX.
*) Vgl. Nr. II: „schwäre vneerliche schmach zftlegen“, Nr. IV: „mit
zauberey und vnbolden wercken vinbgehen“.
*) Vgl. Stintzing, Geschichte der deutsch. Rechtswissensch., I S. 575.
•) Oben S. 89.
•) Oben S. 86.
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96
Loskauf von Gefangenen verwenden soll. Besonders versucht
es der Verfasser noch, die Aufnahme des XIII. Falles (Kriegs-
gefangenschaft) zu rechtfertigen, welchen die oben als seine
Vorbilder genannten Gesetzgebungen ausgelassen haben. Er
meint, dass diese Fälle „der fäncknuss halber“ sich jeden Tag
ereignen könnten: „dann es geschieht offt das lewt in die
Türckey oder sunst an den feinden gefangen vnd nachvolgend
geschätzt werden, die man mit erlegung dess schatzgelts leiclit-
licli erledigen möchte“. In der Darstellung der beiden letzten
Gründe XIII und XIV (Ketzerei) bemüht sich dann Perneder
sichtlich, einen möglichst engen Anschluss an das römische
Original zu gewinnen und dasselbe tunlichst getreu zu repro-
duzieren.
Hinsichtlich der Enterbungsgründe für Kinder wurde schon
früher darauf hingewiesen, dass und aus welchem Grunde Per-
neder nur 7 derselben aufzählt1).
Justinus Gobler fasst sich bei seiner Verdeutschung der
Justinianischen Fälle erheblich kürzer, als sein Vorgänger.
„Enterben“, sagt er, „ist von der Succession vnnd Erbnennung
ausschliessen. Als wann ein Vatter seinen Son Tochter oder
Enckeln vmb verwirckung willen vnnd auss redlicher vrsacb
enterbet vnd von seiner haab vnnd gütern ansschleusst“. Er
zählt dann die sämtlichen Justinianischen Fälle in der gesetz-
lichen Reihenfolge auf, und ist manchmal im Ausdruck originell.
So spricht er in dem III. Falle = 1 ähnlich wie Bern 2), von
„Malefizsachen“ und macht, allerdings nur bei den Gründen
für Kinder (Nr. 1), die Nürnbergische Ausnahme der Ketzerei.
Die malefici in Nr. IV nennt er „bosshafftige vergifftige leute“
und auch bei Nr. 2 heisst es: dem Leben des Kindes „als ein
bösswicht“ nachstellen s). Bei Nr. VII (Sykophautie) steht neben
dem Angeben noch „bösslich betrügen“, ohne dass es übrigens
die Absicht des Verfassers zu sein scheint, der Angeberei noch
ein anderes Vergehen an die Seite zu setzen. Bei X ist von
„leichtfertigen Leuten“: Gäucklern, Spitzbuben, Lotterbuben
’) Oben S. 34.
s) Oben S. 75.
*) Vgl. bei Ruprecht von Freising und Kulm oben S. 58 N. 1, und im
Eisenacher Rechtsbueh oben S. 74 die Erwähnung der „Böswicbte“.
t.
9?
die Rede; das Vergehen der Tochter in Nr. XI wird als „hnrisch
leben wollen“ bezeichnet, aber ohne Erwähnung des Unter-
scheidungsalters oder anderer Ausnahmen. Nr. IX (Testier-
hindernis) und die drei letzten Fälle XII bis XIV beschränkt
Gobler, wie es scheint unabsichtlich l), auf das männliche Ge-
schlecht; vorher steht, wo es auf das Geschlecht nicht au-
kommt, immer: „einer“. Beim 5. Falle endlich ist merkwürdiger-
weise nur davon die Rede, dass der Vater seiner Hausfrau,
des Sohnes Mutter, listiglich oder heimlich nach ihrem Leben
gestanden hätte, nicht aber von dem umgekehrten Falle, wenn
die Mutter sich des gleichen Vergehens gegen ihren Ehemann
schuldig machte.
XIV. Die vierte Ausgabe der Nürnberger Reformation von
1564 ist gegenüber der von 1479 in mehrfacher Hinsicht ein
neues Werk, während bisher in den hier interessierenden Gegen-
ständen nur an einem einzigen Punkte eine Änderung vorge-
nommen worden war2). Sie ist3) dabei offenbar von dem
Württembergischen Landrecht (1554) beeinflusst worden4).
Zwar fehlen auch jetzt noch die Fälle IV (malefici), VII (Sy-
kophantie) und XIII (Kriegsgefangenschaft), obgleich die beiden
ersten im Württembergischen Landrecht stehen, und der Grund
der Ketzerei ist offenbar infolge der inzwischen eingetretenen
konfessionellen Umgestaltungen — auch wieder gegen Württem-
berg — überall ausgetilgt. Auch andere Abweichungen von
Württemberg lassen sich feststellen5). Aber diesen Ver-
*) Hinsichtlich der Beschränkung bei Nr. IX lässt sich allerdings auf
Julian und die sächsischen Glossenarbeiten Bezug nehmen : oben S. 22 u. 08.
*) Die Änderung ist in der Ausgabe von 1522 (XV, 2) vorgenommen
und betrifft die Herabsetzung des Dnterscbeiduugsalters beim Vergehen der
Tochter im Falle XI von 25 auf 22 Jahre.
*) Titel 29, Gesetz 4 und 7.
*) Thomasius in seiner oben (S. 76 N. 6) erwähnten Dissertation hat
dies nicht bemerkt.
*) So ist bei IX (Testierhindernis) an der älteren Fassung festgebalten,
welche die Erbschaft „andern des abgegangeu uehsten erben verfallen sein'*
lässt, während Württemberg die Hechte derjenigen zu wahren sucht, „welchen
es der Abgestorben verschaffen wöllen*. Auch bei Nr. XI (Ungehorsam der
Tochter) wird an dem Unterscheidungsalter von 22 Jahren festgehalten, von
welchem Württemberg überhaupt absieht.
Korket, KiiterliuiigsgrUiiile 7
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98
schiedenheiten stehen folgende Übereinstimmungen gegenüber.
Nr. VI = 3 (Inzest) wird ausdrücklich auf die Töchter mit-
bezogen, ebenso bei Nr. VIII (Gefangenschaft) die Pflicht zur
Verbürgung1) und in Nr. X der Schauspielerberuf. In dem
letzteren Falle erscheint auch nicht mehr der „Katzenritter“
als Beispiel, vielmehr, wie in Württemberg, Frauenwirt oder
-wirtin, Nachrichter und Gaukler*), während die „Scholderer“
und „Platzmeister“ als dem einheimischen Sprachgebrauche
unverständlich keine Aufnahme gefunden haben. Nr. XII = 6
(Geisteskrankheit) wird uach Württembergisehem (und Frei-
burgischem) Vorbilde auf „kranckheit oder Schwachheit des
Leibs“ und auf alle Fälle, da die Ellern „sonst an täglicher
jrer Leibsnarung mangel betten*, erweitert. Endlich unter-
scheidet sich auch noch dadurch die neuere Fassung von der
früheren, dass von einer „Verwirkung“ der Erbschaft nicht
mehr die Rede ist3), und dass im Falle XI die über 22 Jahre
alte Tochter nur dann als entschuldigt gilt und nicht enterbt
werden kann, wenn sie sich „ehrlich verheiratet“ ; anders wenn
sie hurt, in welchem letzteren Falle sie nach der Fassung von
1479 ihren Erbteil hätte beanspruchen können4).
Die jüngere Nürnberger Fassung ist grösstenteils in die
Hamburgische Gerichtsordnung, publiziert am 10. Oktober 1603,
übergegangen6), doch nicht immer wörtlich. So fehlt bei IX
(Testierhindernis) nach dem ersten Satz, wonach diejenigen ent-
erbt werden können, welche ihre Eltern an Aufrichtung ihrer
Testamente und letzten Willen zu verhindern sich unterstanden
') Den Anlass hierzu bot, wie Thomasius § XVI erwähnt, die An-
erkennung der Frauenbürgscbaft in II, 19, 5.
*) Den Grund hierfür erblickt Thomasius §§ XX — XXXV in der Auf-
hebung der praktischen Anwendbarkeit der alten Bezeichnungen.
*) Nur bei Nr. IX (Testierhindernis) steht der Ausdruck noch (Tit. 29,
Ges. 13, Abs. 2), um die gesetzliche Enterbung in diesem Falle anzudeuten.
•) Vgl. Thomasius § XLIVff.
®) „Der Stadt Hamburgk Gerichtsordnung vnd Statuta“, Druck von
1605, Teil III, Titel 1. Art. 29 und 32 (S. 296 und 300) Neue Ausgabe 1842
„auf Veranlassung des Vereins für Hamburger Geschichte“, S. 441 ff. und
S. 444. Vgl. C. Trümmer, Das hamburgische Erbrecht, II, 1852, S. 44311.
(§§ 551—659, 565 ff.), und H. Baumeister, Das Privatrecht der freien und
Hnusestndt Hamburg, II, 1856, S. 271 ff. (§ 109, III).
99
hätten , die der Novelle entsprechende Fortsetzung: falls die
Eltern ohne Testament absterben. Bei Nr. X (Schauspieler-
beruf) werden Frauenwirt und -wirtin nicht genannt, dafür
Schinder und Spitzbuben. Bei Nr. XI (Ungehorsam der Tochter)
fehlt die Ausnahme zugunsten der älteren — wie in Württem-
berg — und bei XII (Geisteskrankheit) wird die Form der
Aufforderung, welche der fremde Pfleger an die Angehörigen
des Kranken zu erlassen hat. als eine „trewhertzige vermanung“
in Gegenwart zweier „ehrlicher Leute“ festgestellt. Auch die
7 Gründe für Kinder (ohne die Ketzerei) sind nicht vollständig
von Nürnberg abgeschrieben.
Auf der Hamburgischen Gerichtsordnung ist offenbar in
unserer Materie das Stadtrecht, welches Herzog Friedlich III.
von Gottorp im Jahre 1633 dem erst zwölf Jahre zuvor ge-
gründeten Friedrichstadt (in Schleswig) verliehen hat, aufge-
baut1), obgleich dasselbe die Fälle Nr. IV: sich mit Böse-
wichtern und unehrlichen leichtfertigen Gesellen vermengen und
mit denselben ein ärgerlich gottlos Leben und Handel treiben,
und Nr. XIII: „by den vyandt gevangen“ sein, einordnet. Die
Übereinstimmung zeigt sich besonders in der Fassung von Nr. I
und II (Real- und Verbalinjurie) und von Nr. XII (Leibes-
krankheit und geistige Gebrechen), welches hier mit der er-
wähnten Nr. XIII zusammengearbeitet ist. Abweichungen da-
gegen Anden sich z. B. in der Darstellung von Nr. X (Schau-
spielergewerbe), welches hier heisst: „Als een Soon sich tot
oneerlicken Speien begheven lieeft“, unter Verzicht auf die
Beispiele, und bei Nr. 4 (Testierhindernis), wo der Hinweis auf
die Testierfähigkeit der Kinder hinsichtlich der „Güter, davon
sie zu testieren bemächtigt sind“, gestrichen ist.
Aus der Nürnberger Reformation von 1564 in Verbindung
mit dem Württembergischen Landrechte (1554) ist endlich noch
die Fränkische Kaiserliche Landgerichtsordnung, gedruckt 1618,
hervorgegangen8). Sie folgt bald der einen, bald der anderen
') Policey, Geriet ts-Ordeuingbe vnde Stadts-recht — Oase Stadt Fredcricks-
Stadt — gegeven, gedruckt 1635: 2. Teil, 3. Sektion, §§ 55 u. 59 (S. 330 ff.).
’) „Des Stifts Wirtzburg» vnd Hertzogthumbs zue Franckheu Keyser-
licben Landgericht» Ordnung“, Teil III, Titel L und LI (S. 207 ff.).
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100
Quelle1). Bei Nr. VI (Inzest) wird die Einkindschaft erwähnt :
„di wcren gleich durch die Einkindschafft angenommene Kinder
oder nicht“. Bei IX = 4 (Testierhindernis) wird hervorgelioben :
soweit sich nach dieser unserer Ordnung Testament zu machen
gebührt. Die Form von Nr. XI (Ungehorsam der Tochter)
steht wohl der Nürnbergischen am nächsten, aber die 22 Jahre
sind in 20 verwandelt2). Endlich findet sich sowohl bei den
Gründen für Eltern, wie bei denen für Kinder eine Bemerkung,
durch welche die von der Gesetzgebung ausgeschlossenen Fälle
(IV Giftmischerei, XIII Kriegsgefangenschaft und XIV Ketzerei)
wieder eingeführt werden. Die Klauseln ziehen nämlich nicht
allein die „jetzo erzehlte“, sondern „auch etzliche andere mehr
in gemeinen geschriebenen Rechten gegründete und audere bey
den Rechtslehrern befindliche“ Ursachen herein.
XV. Es folgt nun eine Anzahl von Stadt- und Landrechten
aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, welchen ein Zusammenhang
oder eine Verwandtschaft untereinander nicht nachzuweisen ist,
die aber sämtlich darauf ausgehen, die Justinianischen Ent-
erbungsfälle für ihr Anwendungsgebiet zu kodifizieren.
1. Das Lüueburgische Stadtrecht des Heinrich Husanus
aus den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts *). Dasselbe repro-
duziert nur die Gründe für die Aszendenten, obgleich es auch
den Kindern das Recht zuerkennt, ihren Eltern „aus zu Recht
erzehltcn und bewehrten Ursachen“ den Pflichtteil zu entziehen.
Von jenen aber fehlen Nr. VI (Inzest) und XIV (Ketzerei),
die übrigen sind in eine von der Justinianischen unabhängige
Ordnung gebracht. Auklänge an sächsische Vorarbeiten finden
sich, so bei Nr. VII (Sykophautie), wo der eigentliche Anlass
unterdrückt und lediglich von Schadenszufügung „an seiner
Nahrung“ die Rede ist4), und bei Nr. XI, das auch hier den
') So fehlt z. B. Nr. IV (malefici) nml XIV = 8 (Ketzerei), wie in Nürn-
berg; dagegen ist Nr. VII (Sykophautie) vorhanden, das in Nürnberg fehlt.
*) Vgl. das Wiener Stadtrecht oben S. 61, welches dieselbe Zahl der
Jahre feststellte.
*) Gedruckt 1722: 4. Teil, Titel 8, §g 1 und 2 (S. 80ff.). Vgl. darüber
meine Schrift Uber Heinrich Husanus, 1898, S. 809.
‘j Vgl. Wurm in seinen Darstellungen ausserhalb der Magdeburger
Blume; s. oben S. 71. Vgl. ancb die altfriesischc Überlieferung oben S. 82.
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101
Schluss bildet, wo in bewusstem Gegensätze zu den „Sächsischen
Rechten“ (d. h. Sachsensp. I, 5, 2) die Tochter, die sich „in ge-
meinen Hurenstand begiebt oder zum zweytenmahl (!) sich be-
schlaffen lässt“, für enterbbar erklärt wird. Zugleich ist auch
hier dieser Fall auf Kinder erweitert, die sich wider der Eltern
Wissen und Willen verehelichen.
2. Das Landrecht von Ober- und Niederbayern vom Jahre
1616 *). Dasselbe enthält erhebliche Abweichungen von seiner
früheren, auf der älteren Nürnberger Fassung beruhenden Ge-
stalt*). Schon darin unterscheidet es sich von jener, dass
jetzt sämtliche Fälle vorhanden sind, allerdings die für Eltern
in einer eigentümlichen Reihenfolge. Eingewirkt scheint zu
haben Perneder3) und das Württembergische Landrecht, auch
die jüngere Nürnbergische Fassung von 1564, welche das
Württembergische Landrecht für sich verwendet hat4). Be-
merkenswert ist die Erweiterung von Nr. XI (Ungehorsam der
Tochter) anf Söhne über 30 Jahre, die eine unzulässige und
unehrbare d. h. nicht standesmässige Ehe schliessen 6), ferner
bei Nr. III = 1 (Kriminalanklage) nicht bloss die Beibehaltung
der Alt-Nürnberger Ausnahme der Ketzerei, sondern deren
Ausdehnung auf Zauberei, und für den Fall 1 die weitere
Ausnahme: es müsste denn der Vater sein Kind, welches sonst
der Strafe nicht entgehen möchte, dem Richter überantwortet
haben „in guter Meinung“ und „wegen Ringerns der Strafe“.
3. Die Nassau-Catzenelnbogische Gerichts- und Landordnung
von 1616 6). Auch sie erinnert in ihrer Fassung der Ent-
erbnugsgründe mehrfach an Württemberg (1554) und Nürnberg
(1564), bekennt aber, diese Gründe ans „den gemeinen kaiser-
') Titel 35, Art. 2 und 3 (S. 347 ff.).
*) Vgl. oben S. 79.
*) Vgl. besonders Nr. I, IV und X, an welcher letzteren Stelle nur die
Scholderer und Frauenwirte ausgelassen sind nud an Stelle des Herumziebens
mit wilden Tieren, wie in der älteren Nürnberger Fassung, das Kämpfen mit
Tieren um Geld gesetzt wird; vgl. auch Nr. XI und XIII.
‘) Vgl. die Ausdehnung von Nr. VI (Inzest) auf „Kinder“ und von Nr. XII
(Geisteskrankheit) auf jede Krankheit.
s) Es wird in dieser Hinsicht auf Tit. 40 Art. 9 (S. 372 ff.) verwiesen.
') III. Teil, cap. VII (S. 95); auch hei v. der Nabmer, Landrechte, I
S. 225 ff.
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102
liehen Rechten“, wo dieselben »klar und hell guugsam auss-
getruckt“ seien, übernommen zu haben. Deshalb wird bei
Nr. III (Kriminalanklage) hinsichtlich der Ausnahmen auf die
„wenigen in Recht benannten Fälle“ verwiesen, und die Gründe
für Kinder werden bloss kurz skizziert: „Allermasscn ein
solches die allgemeine keyserliche Rechten, welche weitläufiger
anhero zu erholen ohnnötig ist, mit fernerem eigentlich geordnet
haben“. Bemerkenswert ist bei Nr. XIV (Ketzerei) die Berück-
sichtigung des Falles, dass die Kinder sich wider ihrer Eltern
Willen „zur Widertauf“ begeben, oder sonst zu einem ver-
dammten unchristlichen Glauben und Ketzerei, welche letztere
dahin festgestellt wird, dass „daher auch lebeusstraaf oder
ewige Landsverweisung“ zu gewärtigen sei und dass sie „den
bewehrten Vier Haupt-Conciliis stracks zuwider!“ Auch ist
eine Clausula generalis zugunsten „anderer grösserer und zum
wenigsten nit geringerer“ Ursachen, als die „vorerzehlten“
ausdrücklich aufgenommeu.
4. Das Geldernsche Landrecht von 1619 (publiziert 1620) ').
Dasselbe ist in der vorliegenden Materie allerdings zunächst
als eine Weiterbildung der Reformation von 1554 2) anzusehen,
wie sich vor allem aus der auch hier befolgten Methode, die G riinde
für Aszendenten und Deszendenten znsammenzuarbeiteu, ergibt,
aber die Darstellung ist doch in vieler Hinsicht eine von jener
unabhängige. Es wird nicht allein die Reihenfolge in der
Aufzählung verändert, sondern es sind auch die früher — zum
Teile nach Nürnberger Vorbild — fehlenden Fälle (IV, VII, X
und XIII) jetzt aufgenommen, so dass nur noch Nr. XIV = 8
(Ketzerei) — gleichwie im jüngeren Nürnberger Recht (1564)
— fortgelassen ist. Die Fälle VII (Sykophantie) und VIII (Ge-
fangenschaft) werden auch den Kindern verliehen; sie dürfen
ihre Eltern beim Vorhandensein dieser Gründe ebenfalls enterben.
5. Das Jus Culmeuse correctum’, Braunsberger Ausgabe
von 1711 “) , eine Neubearbeitung des der Schwabenspiegel-
gruppe zugehörigen und noch im Jahre 1584 unverändert nach-
') Teil 3, Titel 6, § 3, Nr. 7—19: bei E. Maurenbrecber: Die Rhein-
preussischen Landrechte, II, 1831, S. 744 ff.
*) S. oben S. 79 ff.
>) V, 48 und 49 (S. 94 ff.).
103
gedruckten alten Kulmischen Rechtes1). Die neue Redaktion
beruht, was die Gründe für Eltern anlangt, auf der Sächsischen
Land- und Lehnrechtsglosse. Hinsichtlich der Gründe für
Kinder wird zwar am Rande vermerkt, dieselben seien in
dieser Revision nur von den andern gesondert „und kommen
beyde mit dem alten überein“, indessen sind sie, da sie ja in
jener Redaktion eigentlich fehlen, eben neu redigiert. Bei
Nr. 1 (peinliche Anklage „an den Hals“) findet sich die Alt-
Nürnbergische Ausnahme der Ketzerei, bei Nr. 4 (Testierhindernis)
wird auf das Pekulienrecht hingewiesen mit den Worten: „Gelt
das im kriege oder sonst durch Mühe und Arbeit woll er-
worben“, worüber „das Kind“ allein zu testieren imstande sei.
Die Konkubine heisst in Nr. VI „Buhlschaft“, in Nr. 3 „Kebss-
oder Buhlweib“. — Das Jus Culmense revisum von 1745, der
s. g. Danziger Kulm 8), welcher im übrigen nur über die beiden
letzten Revisionen (von 1584 und 1711) Bericht erstattet, fügt
zu Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) die Heirat der Kinder
wider den Willen der Eltern neu hinzu.
6. Das Hohenlohesche Landrecht aus dem Jahre 1 737 8).
Diese Gesetzgebung lässt Nr. IX = 4 (Testierhindernis) und
XIII = 7 (Kriegsgefangenschaft) aus. Die Ausnahme bei
Nr. III = 1 (Kriminalanklage) heisst „Vaterlandsverrat“ 4), bei
IV (malefici) ist von „Teufelskünsten“ die Rede5), Nr. VI = 3
(Inzest) wird auf beide Geschlechter angewandt und als „Blut-
schande“ bezeichnet. Ebenso gilt Nr. VII („boshaflt verraten
und dadurch in grossen Schaden bringen“) und X (Schauspieler-
gewerbe) von allen Kindern, wobei zur Kategorie der Leute
von „leichtfertiger oder unehrlicherLebensart“ ausser „Gaucklern“
auch Zigeuner6) und Landstreicher gerechnet werden. Die Übel-
■) Oben S. 55 N. 5.
*) Cap. XIII, N. 63 (S. 133).
*) Bei Friedrich Christian Arnold, Beiträge zum teutseben Privat-
Rechte, I. Teil (184Q) S. 430 ff.: 4. Teil, 6. Titel.
•) Vgl. das Pfälzische Landrecht von 1583 in der Generalklausel oben S.89.
*) Vgl. die „schwarze Kunst“ bei Wurui oben S. 70, „Hexenwerk“ in
Württemberg (1554) und Pfalz (1582), „sich von Gott zum Teufel geben“ in
Ostfriesland oben S. 93.
*) Vgl. die „Tatern“ in Ostfriesland: oben S. 94.
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tat der Tochter im Falle Nr. XI heisst , ohne Beschränkung
auf ein bestimmtes Lebensalter, „der Hurerey sich ergeben“ *).
In Nr. XII = 6 erscheint neben dem Wahnsinn die „fallende
Sacht“ und bei den Gründen für Kinder auch „andere schwere
Krankheiten“. Das Religionsdelikt bei Nr. XIV = 8 wird darauf
abgestellt, dass man entweder von der christlichen Religion
abtrete oder zu einer andern sich begebe „ausser denen im hl.
Römischen Reich angenommenen drei Religionen“. — Eine
blosse Abschrift dieser Gesetzgebung enthält das „Erneuert
und Vermehrte Stadt-Recht der Freyen Reichsstadt Wimpffen“
von 1775 2), wo man sich früher3) damit begnügt hatte, nur
den Fall Nr. XI (Heirat wider Willen der Eltern) zu ordnen
und im übrigen es den Eltern anheimzustellen, mit Ehestiftuug
und anderer Hilfe sich nach ihrem Willen zu halten, wenn die
Kinder „sichs Vätterlichs und Mütterlichs Erbs sonst un-
würdigten“ ; jedoch behielt man damals dem Rate der Stadt
die Entscheidung im einzelnen Falle vor, so etwa „einig Unmass“
gegen die Deszendenten dabei .fürgenommen“ würde.
XVI. Eine blosse Verweisung auf das gemeine Recht
hielten, gleich den früher erwähnten Markgräflich-Badischeu
Statuten (151 1) 4) und der soeben genannten Wimpfener Refor-
mation (1544), noch eine Anzahl anderer Rechtsordnungen des
vorstehend behandelten Zeitraumes, vom 16. bis zum 18. Jahr-
hundert, für ausreichend, und überhoben sich dadurch der Not-
wendigkeit, die einzelnen Fälle zu regulieren. Hierher gehört
die Joachimika von 1527, welche festsetzte, dass es in Be-
ziehung auf die Enterbung der ehelichen Kinder „sol vermöge
Käyser Recht gehalteu werden“ 6), und die Reformation des
Erzstiftes Köln von 1538, die sich auf die 14 und 76) Ur-
sachen „iu Rechten“ und „in beschrieben Rechten aussgedruckt“
*) So in Lüneburg oben S. 101.
*) Bei v. der Na Inn er, Die Landrechte des Ober- und Mittelrhcins,
II S. 1178 ff.
*) In der Reformation der Stadt Wimpffen von 1544 bei v. der Nah-
mer II S. 1057/8.
4) S. oben S. 85. Vgl. aucli die Statuten von Messina oben S. 95 N. 1.
*) Tit. VI, Sect.I, § 5; vgl. Heydemann, Elemente der Joachimika, S. 358.
•J Vgl. oben S. 32 ff.
105
bezieht1 *). Von der Frankfurter Reformation (1578 und 1611)
und ihrer praktischen Begründung des gleichen Verfahrens ist
schon ganz am Anfang dieser Studie die Rede gewesen“).
Auch ein Luxemburger Weistum von 1588 gestattet den Eltern
Enterbung der Kinder nur dann, wenn diese es gegen die
Eltern „aus den in beschriebenen rechten angezogenen und
verwiesenen Ursachen verwurckt haben“ 3 *), ähnlich Gerichts-
ordnung und Stadtrecht von Husum (1608) *), und am 22. Juni
1661 erging eine Kursächsische Dezision, welche das Recht
der Novelle 115 cap. 3 bestätigte „etlicher Rechtslehrer widriger
Meynung ungeachtet“, weil die Quellen des Landesrechtes keine
andere Vorschrift enthielten. Der Fall Nr. VIII („incarceriert“)
wurde dabei besonders hervorgehoben5 *). In ähnlicher Weise
verfuhr das Erbrecht der Stadt Zürich vom Jahre 1716®), das
Landrecht des Erzstiftes Trier, aufgerichtet im Jahre 1713 7 *),
und das Fürstlich Bambergische Landrecht von 1769“).
Etwas anders liegen die Verhältnisse nach dem Erneuerten
Butjadinger Landrecht von 1664 9), obwohl auch hier diejenigen,
welche ein Testament machen, „beständige und in den gemeinen
beschriebenen Rechten zugelassene Ursachen“ bei der Enterbung
zu berücksichtigen haben. Denn hier sind jenen „nach Er-
känntniss Vnsers Land- Gerichts gleichgültige Ursachen“ gleich-
gestellt, so dass also, wie seit dem Pfälzischen Landrecht von
lj Bl. 65; sie bedient sich dabei noch des Ausdruckes , verwirkt“ : „die
kynder haben es dan vmb die älteren verwirckt“ usw.
») Oben S. 3 N. 1.
*) Vgl. Bruno Markgraf, Das Moselländische Volk in seinen Weis-
tilmern (K. Lamprecbt, Geschichtliche Untersuchungen, 4. Band [1907]) S. 465.
*) Teil II, Titel X: „machen der vndanckbarbcit — desswegeu die Ex-
haeredation oder Enterbung in Rechten geschrieben vnd zugelasscn wird“.
*) W. M. Schaffrath, Codex Saxonicus, I, 1842, S. 373: Decis. LII.
*) Teil III, § 10 (S. 43): „Es mögen Eltern ihre kinder — einandern
auss genugsammen erheblichen am Rechten bestehenden Ursachen wol enterben“.
T) Erneuert- und vermehrtes Landrecht usw. bei v. der Nahmer, II
S. 600 ff.: Tit. I, §§ 19, 20, 24.
*) Teil I, Anh. 2, Tit. 4, § 12: „was — die zu einer Enterbung erfor-
derlichen Ursachen — betrifft, lassen Wir es blatterdings bey gemeinen
Rechten bewenden“.
*) Art. 35 bei F. E. v. Pufendorff, Observationes, Appendix, 8.610.
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IUÖ
1582 mehrfach '), die ausdehnende Interpretation zur Aufgabe
des Gerichts gemacht wird. Dagegen weist das Mainzer Land-
recht von 1755 2) die Zulassung anderer Ursachen, „welche in
denen gemeinen Rechten nicht ausdrücklich enthalten seynd,
obschon diese angeführte Vrsachen eben so erheblich oder gar
erheblicher wären“, ausdrücklich zurück.
Die Zweibrückensche Untergerichtsordnung von 1 722 3)
befiehlt ihren Ober- und Unteramtleuten und Befehlshabern,
auch den Untertanen, in Enterbungsfällen „sich nach gemeinen
käyserlichen Rechten zu regulieren und zu richten“, wo alles
dieses „weitläufftig versehen“ sei. Aber, „da sie es nicht gnugsam
verstünden“, sollen sie „von unsern Rechts-Gelehrten Bericht
darüber einnehmen“. Dieser Vorbehalt erinnert an die ander-
wärts sich findenden Warnungen vor „numilden beschwerlichen“
Enterbungen und an den dort gegebenen Rat, sich mit anderen
verständigen Leuten, insbesondere mit Rechtsgelehrten, vorher
darüber zu besprechen4).
XVII. Noch grössere Freiheit gewähren Schweizerische
Gesetzgebungen aus dem 17. Jahrhundert, indem sie weder
Enterbungsgründe im einzelnen namhaft machen, noch auf
andere Quellen verweisen, vielmehr die Frage, ob eine an-
erkennenswerte Ursache vorliege, in streitigen Fällen ganz dem
richterlichen Ermessen überlassen. So verhält sich das Erneuerte
Amtsrecht von Weiningen (1637)’*), welches untersagt, die
rechten natürlichen Erben ohne „rächtmässig vnd hochwichtig
vrsachen“ zu enterben, und bestimmt, dass jemand, der unter
seinen Kindern die einen vor den anderen auszeichnen wolle,
dies mit des Gerichts Vorwissen und Bewilligen tun müsse,
') Vgl. oben S. 89, ferner Württemberg 1610: oben S. 90, die Fränkische
Landgericbtsordnuug von 1618: S. 100, die N'assauische Gerichtsordnung von
1616: S. 102, das Badische Landrecht von 1622 = Pfalz (oben S. 91) and die
Baseler Gerichtsordnung von 1719 = Württemberg: S. 92.
’) Bei v. der Nahmcr, II S. 720: Tit. XIII, § 8.
*) Daselbst S. 1029: Nr. CU.
4) Vgl. Pfalz 1582 oben S. 90, Preussisches Landrecbt 1620 und Badi-
sches Landrerht 1622 oben S. 91.
6) Art. 2 bei Jacob Pestalutz, Vollständige Sammlung der Statuta
des Cantons Zürich, 1. Band (1834) S. 114; vgl. J. C. Bluntschli, Staats-
uud Rechtsgescbichte der Stadt und Landschaft Zürich, 2. Teil, 1839, S. 324.
le
107
welches darüber zu erkennen habe, ob die Anordnung billig
sei. Eine solche Vorschrift verfolgt die gleichen Zwecke, wie
die Erbloserklärung des sächsischen Rechts l), wie die von Ulrich
Zasius für Freiburg vorgeschriebene Enterbungsform2), wie
der Vorbehalt in der Wimpfener Reformation ■’) und die Baseler
Praxis seit 1611 *).
Denselben Standpunkt nimmt dann auch noch das Amts-
recht von Grüningen (1668) ein5); es erlaubt das Enterben,
wenn ein Kind seinem Vater so ungehorsam wäre, dass er
„vrsacli ein solches gar zu enterben" habe, empfiehlt ihm aber,
dann anstatt dieses Kindes dessen Kinder (wie bei der Ent-
erbung in guter Absicht) „zu Erben anzunehmen“.
So entsprach es übrigens auch Alt-Lübischem Gewohnheits-
recht®), welches noch im Jahre 1862 durch ein Gesetz an-
erkannt worden ist’). Letzteres stellt es dem Richter anheim,
im einzelnen Falle zu entscheiden, ob und wann ein Pflicht-
teilsberechtigter „der Zuneigung des Erblassers sich unwürdig
gemacht“ habe. Jedoch wird eine „ausdrückliche und be-
stimmte“ Anführung der „zu solcher Entziehung Veranlassung
gebenden Handlung oder Handlungsweise des Pflichtteilsbe-
rechtigten in der letzwilligen Verfügung“ verlangt.
XVIII. Das Ziel der bisherigen Untersuchung richtete sich
im wesentlichen darauf, die Formen nachzuweisen, in welchen,
insbesondere in den Ländern deutscher Zunge, die Aufnahme
der im Justinianischen Gesetz kodifizierten Enterbungsfälle
stattgefunden hat, und die Verwandtschaft oder Ähnlichkeit
unter diesen Gestaltungen zu ermitteln. Es dürfte sich ver-
lohnen, nunmehr auch einen zusammenfassenden Rückblick auf
den Inhalt der einzelnen Erscheinungsformen zu tun, namentlich
um zu sehen, welche neue Rechtsgedauken sich im Laufe der
•) Oben S. 72.
*) Oben S. 86.
*) Oben S. 104.
•) Oben S. 88.
*) Art. 12: bei Pestalutz a, a. 0. S. 67.
*) Vgl. Pauli, Abhandlungen aus dem Lübischen Hecht, III S. 272.
’) Vgl. C. Plitt, Das Lübeckisclie Erbrecht nach dem Oesctze vom
10. Februar 1862, 2. AuÜ. (1872) S. 130.
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Jahrhunderte an das Originalgebilde angesetzt haben. Am
besten wird dies an der Hand der einzelnen Fälle geschehen.
I. Der erste Fall der Realinjurie gegen die Eltern findet
sich überall unter der Bezeichnung Handanlegen, wie im Ori-
ginale, oder Stossen, Schlagen. Dabei pflegt die Absichtlich-
keit durch den Beisatz von Adverbien, wie vorsätzlich, frevent-
lich, und wohl auch die Schwere des Deliktes durch die Worte:
gewaltsam oder gefährlich ausgedrückt zu werden. Das Badische
Landrecht von 1622 hebt daher die unabsichtliche Verletzung
als eine entschuldigte hervor l). Die Entschuldbarkeit der Not-
wehr aber erkennt, ausser den alten Drucken des Schwaben-
spiegels*), bloss das Ostfriesische Landrecht an8).
II. Auch Nr. II (Verbalinjurie) fehlt nirgends, wo nicht
bloss eine beschränkte Auswahl der Fälle gegeben werden soll,
mit einziger Ausnahme der Brünner Schöffensatzung4), und wird
sehr verschieden ausgedrückt: sehr und merklich schelten
(Schwabenspiegelgruppe), mit grossem Unrecht unehreu (sächsische
Glossenarbeiten), mit Worten «bei handeln (Eisenach), schwere
und unehrsame Unrecht oder Frevel an die Eltern legen
(Nürnberg 1479), fluchen (Schweizerische Rechtsquellen 4) und
Lüneburg), schwere unehrliche Schmach zulegen oder zumessen
(Freiburg, Württemberg usw.), beleidigen (Geldern 1555),
schwarlich versprecken (Ostfriesland) usw.
III. Der III. Fall (Kriminalanklage) ist ebenfalls überall
rezipiert, er gehört schon zu der im Deutschenspiegel getroffenen
Auswahl. Er heisst in den deutschen Quellen eine Anklage
vor Gericht auf Leib und Leben, was manche, wie Nürnberg
und Geldern, als crimen capitale bezeichnen und wozu manch-
mal noch die Ehre gefügt wird6); der sächsische Ausdruck da-
für ist: rügen auf den Leib7). Die im Originale aufgestellten
*) Oben S. 91.
») S. oben S. 57.
*) Oben S. 94.
4) Oben S. 56.
*) Oben S. 87 N. 2.
•) So iu Wurm sehen Arbeiten oben S. 70, wohl auch im Eisenacher
Rechtsbnch oben 8. 74, und in Freiburg.
’) S. aber auch Wien uud Ruprecht von Freising: oben S. 56 N. 3.
109
Ausnahmen, bei deren Vorhandensein die Erhebung der Kriminal-
anklage erlaubt, ja nach manchen (wie Nürnberg, Bayr. Landrecht,
Freiburg, Geldern, Badeu) sogar geboten ist, werden manchmal
ausgelassen1), und wo sie, wie es in der Mehrzahl der Fall
ist, sich finden, da wird unter dem crimen laesae majestatis
doch vielfach nur die Verletzung des eigenen Landesherren
oder des eigenen gemeinen Wesens („princeps“ und „tespublica“)
verstanden, und nicht alle nennen, wie Nürnberg, Tübingen,
Hamburg, Franken und Ostfriesland, auch den Römischen König
oder Kaiser oder beziehen „Reiches Vorretniss“ hier ein, wie
Wurm in seiner Landfriedensglosse*). Besonders tritt diese
Nichtberücksichtigung des Reichsoberhauptes in den süddeutschen
Rechtsquellen, der Schwabenspiegelgruppe, in Freiburg und
Württemberg hervor, und sie erreicht ihren Höhepunkt in
Preussen 1685, wo, wie bemerkt3), an Stelle der „Höchsten
Obrigkeit und Majestät“ der Landesfürst sich selbst gesetzt
hat. Den quellenmässigen Ausnahmen wird in der älteren Nürn-
berger Gruppe (1479), bei Tengler, Gobler und im Bayrischen
Landrecht von 1616 noch die Anklage wegen Ketzerei und
au letztgenannter Stelle auch noch die wegen Zauberei hin-
zugefügt.
IV. Der IV. Fall: mit r/apoaxot als (paQfiaxög verkehren,
was die lateinischen Quellen bekanntlich mit „maleficus“ wieder-
zugeben pflegen, wird doch erst von der sächsischen Glosse
an4) auf Zauberei und Zauberer bezogen, der Schwabenspiegel
betrachtete die malefici als Diebe und — in wörtlicher Über-
setzung — als böse Leute, auch werden sie Bösewichte und
Schälke (so Eisenach) genannt; die ausdrückliche Erweiterung
auf „Giftiger“ und Vergiftnis“ findet sich nicht oft5), obgleich
') So im Deutschenspiegcl, bei Baymuml von Wiener-Neustadt, in
Brannscbweig , in der sächsischen Glosse, auch bei Warm, abgesehen von
seiner Landfriedensglosse, und in Eisenach.
*) Vgl. auch das Kleiue Kaiserrecht: „an das Riehe reden“ oben S. 54.
*) Oben S. 91.
•) Bei v. Buch, in der Lehnrechtsglosse und in Braunschweig, aber
auch in Württemberg, Pfalz, in Bayern und Hohenlohe.
e) So bei Wurm in der Landfriedensglosse, in Tübingen, im Geldern-
schen Landrecht und bei Gobler.
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anzunehmen ist, dass diese Tätigkeit überall unter dem Namen
der Zauberei mit verstanden werden sollte. Verlangt wird in
der Regel, dass man wissentlich oder offenbarlich mit solchen
Leuten wohnt, wandert oder umgeht. Die Beschränkung des
Deliktes auf die männliche Deszendenz, wie sie in der Petrus-
Gruppe vorkam1), ist noch in eine deutsche Quelle, die Nassau-
ische Gerichtsordnung von 1616 3), libergegangen. Dagegen
hat Nürnberg, von dessen Nachfolgern nur Tübingen (1493)
„offener Zauberer“ sein und „mit Vergiftnuss umgehen“ und
das Friedrichstädter Stadtrecht das „Sich vermengen“ mit
„Böswichtern und unehrlich leichtfertigen Leuten“ rezipierte,
und die Geldernsche Reformation die Aufnahme dieses Falles
überhaupt unterlassen.
V. Den V. Fall (der Lebensnachstellung) führt nur die
Schwabenspiegelgruppe nicht., auch fehlt er im Eisenacher
Rechtsbuche. Die sächsischen Arbeiten nennen ihn: des Vaters
Tod „ramen“, wozu Wurm auch noch fügt: oder seiner Mutter,
oder andere seiner Freunde: mit Gewalt, mit Frevel an Leib,
Gut3), oder: mit Gift oder mit „kokilfure“ von dem Leibe
bringen wollen*). Die meisten aber begnügen sich mit der
quellenmässigen Feststellung der Lebensbedrohung durch Gift
„oder in anderer Weise (oder: Wege)“.
VI. Der VI. Fall (Inzest), in der Gruppe des Deutschen-
und Schwabenspiegels mit Nachdruck an die Spitze gestellt,
ist nur in der Lüneburgischcn Reformation — auch bei Werböcz,
Tripartitum — fortgelassen. Der hauptsächliche Unterschied
in seiner Behandlung besteht darin, dass er auf das weibliche
Geschlecht, d. h. auf die Unzucht der Tochter mit ihrem Stief-
vater, ausgedehnt und dass die Erwähnung der Konkubine oder
„amie“, wie sie in den sächsischen Arbeiten heisst, unterlassen
wird. Jenes ist zuerst der Fall in Freiburg 1520, dem die von
ihm abhängigen Gesetzgebungen (Württemberg, Pfalz, Preussen
und Baden) folgen, dann in der jüngeren Nürnberger Fassung,
im Bayrischen Landrecht von 1616, in der Nassauischen Ge-
') 8. oben S. 28, 29.
’) Oben S. 101.
*) So in der Blume von Magdeburg.
4) So in der Landfriedensglosse.
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richtsordnnng und im Hohenlohesdien Landrecht. Die Er-
wähnung der Konkubine unterbleibt in der Lehnrechtsglosse,
in Nürnberg und Freiburg samt ihren Tochterrechten, in Braun-
schweig, im Bayrischen Landrecht, in Nassau und in Hohen-
lohe. Inwieweit diese Auslassung etwa auf eine Erkenntnis
des römischen Konkubinates und seiner Unanwendbarkeit oder
auf Schamhaftigkeit oder etwa gar auf Gleichgültigkeit gegen
eine solche Verbindung Zurückzufuhren sein dürfte, lässt sich
nicht feststellen. Zwei Besonderheiten sind noch die Nennung
des Inzestes mit der Mutter in Asperg ‘) und die Hervorhebung
der Einkindschaft in Franken (1618).
VII. Das Sykophantentum wird von den deutschen Rechts-
quellen, welche es unter den Enterbungsgründen mit aufführen,
richtig verstanden, obw'ohl nur einmal (im Wiener Stadtrecht)
die Voraussetzung hinzugefügt ist, dass man den Angeklagten
„des nicht überzeugen mag“. Überall wird, wie im Urtexte,
hervorgehoben, dass die „Sage“ oder Anfechtung, das Ver-
leumden oder Angeben grossen Schaden für die Aszen-
denten nach sich ziehen müsse, welcher letztere. Tatbestand
in der Lehnrechtsglosse und in der Lüneburger Reformation
sogar — vielleicht im Anschlüsse an die kanonische Glosse?
— von dem ganzen Falle allein übrig geblieben ist2). Das
römische Recht beschränkte diesen Enterbungsgrund auf
die männliche Deszendenz, dagegen haben ihn die meisten
deutschen Darstellungen auf die Kinder ohne Unterschied des
Geschlechts erweitert3). In der Brünner Schöffensatzuug, in
Nürnberg und den von ihm abhängigen Gesetzgebungen, ab-
gesehen von der Fränkischen Landgerichtsordnung (1618), so-
wie in Freiburg, hier aber nur in dem Stadtrecht selbst, anders in
den nachgebildeten Rechten (Württemberg, Pfalz, Preussen,
Baden), fehlt der Grund, ebenso bei v. Werböcz und in der
Geldernschen Reformation.
VIII. Das Nichtlöseu der gefangenen Eltern aus dem Ge-
■) Oben S. 78.
*) Oben S. 83 N. 1 und S. 100 N. 4.
•) Es geschieht dies nur nicht in der Schwabenspiegelgruppe, bei v. Bach
und im Eisenacher Rechtsbnche, die aber Überhaupt nur vom Sobne zu
reden pflegen.
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fängnisse, mag nun der Anlass der Gefangennahme: Geldschulden
oder andere Ursache: erwähnt sein oder nicht, betrachten
sämtliche deutsche Reproduktionen als einen Rechtfertigungs-
grund der Enterbung. Sie unterscheiden sich nur wieder darin,
dass viele bloss von männlichen Kindern sprechen und die Be-
freiung durch Bürgschaftsübernahme von seiten der Töchter,
dem römischen Rechte gemäss, ausdrücklich ablehnen (so Nürn-
berg 1479 und Braunschweig), oder wenigstens dass sie zwar
für die Befreiung im allgemeinen die Kinder ohne Geschlechts-
unterschied in Anspruch nehmen, die Bürgschaftsleistung aber
nur vom männlichen Geschlechte verlangen (so Ostfriesland und
Preussen 1620). Viele aber sprechen ohne jede weitere Ver-
klausulierung von „Kindern“1). Die Bedingung, dass es sich
um „massiges Gut“ und um „ehrlich und billig Sach“ handeln
müsse, stellt die Brünuer Schöffensatzung. Nürnberg (1479)
spricht von „unziemlichen“ Gefängnisseu. Auch wird die dem
römischen Recht entsprechende Voraussetzung des erforderlichen
Vermögens auf seiten der Kinder öfter hervorgehoben2).
IX. Die Verhinderung an der Errichtung eines letzten
Willens, von den älteren deutscheu Rechtsquellen namentlich
aus dem Gesichtspunkte des bedrohten Seelenfriedens aus be-
trachtet3) und deshalb überall als wesentlich angesehen, wird
nur bei v. Werböcz, im Freiburger Stadtrecht, in der Baseler
Gerichtsordnung von 1719 und im Hohenloheschen Laudrechte
(1737) nicht unter den Euterbungsgrüuden mit aufgeführt.
Die Tochterrechte des Freiburger Stadtrechtes aber folgen
dieser Auffassung nicht. Gelegentlich findet sich die Voraus-
setzung erwähnt, dass es sich um „gebührliche Testament oder
Geschäft“ (so Nürnberg 1479), um Errichtung des Testaments
') So Raymund von Wiener-Neustadt-, die Lelinrechtsglosse, Wurm iu
der Blume von Magdeburg und in seiner Glosse zum Sachsenspiegel, Freiburg
mit seinen Nachfolgern ohne Preussen, ebenso Nürnberg in der jüngeren
Form von 1564, das Bayrische und das Hohculohesche Landrecht.
*) So Freiburg: „und hättens doch wohl*; Nürnberg 1564: „nach bestem
Vermögen*; Brannschweig: „die genügsam besethen wereu“ usw.
*) Vgl. die Schwabenspiegelgruppe oben S. 60, aber auch das Eisenacher
Rechtsbuch: „weren, dass seine Eltern für ihre Seele nicht geben noch be-
scheiden“.
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aus „vernünftigen Ursachen“ (so Tübingen 1493) u. dgl. ')
handeln müsse. Für den Fall, dass die Aszendenten infolge
der Verhinderung ohne Testament absterben, verfügte Nürnberg
— was wenigstens zweideutig klingt — , dass der Erbteil „den
andern nächsten Erben“ der Eltern zufallen solle, während
Württemberg 1554 hier dem römischen Rechte gemäss auch
die Ansprüche derjenigen zu wahren sucht, welche die Eltern
zu bedenken beabsichtigt haben2). Merkwürdigerweise beschränken
auch deutsche Rechtsquellen manchmal diesen Fall auf Söhne,
wie dies Julian getan hat3): so die v. Buchsche Glosse,
Wurm in der Glosse zum Landfrieden und zum Sachsenspiegel
und das Geldernsche Landrecht (1620).
X. Im zehnten Falle (Schauspielergewerbe) beanspruchen
besonderes Interesse die verschiedenartigen Benennungen, welche
hier als Beispiele des Gewerbes auftreten. Der älteste Aus-
druck ist, dem romanischen Joculator entsprechend: „Der Spiel-
mann“, der, wie der Schwabenspiegel sagt: „Gut vor Ehre
nimmt“4). Nächstdem wird wohl am häufigsten der Ausdruck:
Gaukler, „gokeler“ verwendet, nicht selten: Loter, Lotterbube.
„Kempfe“ — aus dem Sachsenspiegel bekannt — nennt in
diesem Zusammenhänge Wurm in seiner Landfriedensglosse,
„Pfeifer“ und „Singer“ derselbe in der Blume von Magdeburg.
Alt-Nürnberg wählte den „Katzenritter“, der mit Tieren kämpft 5),
wozu Perneder auch das Herumziehen mit Tieren im Lande
rechnete. In Süddeutschland (zunächst im Freiburger Stadtrecht
und seinen Nachfolgern) treten die Frauenwirte und -Wirtinnen
— Basel sagt (1719) statt dessen: Kuppler und Kupplerin — ,
der Henker oder Nachrichter, die Platzmeister (oder Platz-
leger, wie es in Basel heisst, an deren Stelle auch die Wasen-
meister0) genannt werden) auf, Württemberg (1554) fügt die
’) Nassau 1616: „ohne billige Ursach“ böslich verhindern; Geldern 1019:
„in aisnicke goederen als hy te verschaffen ende te vergeven liadt“.
*) Oben S. 89.
*) So auch die oben S. 32 N. 1 angeführte Authentika zn den Institu-
tionen und Gobler (1652). Über Jnlian s. oben S. 22.
*) Oben S. 60 N. 1.
“) Vgl. anch noch im Mayr. Landrecht (1616).
“) So Württemberg 1610 und die Farnsbnrgiscbe Landesordnuog (oben .8.88).
Merkel, Kiiterbangfgrtiuile 8
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Scholderer hinzu, Perneder und das Bayrische Landrecht von 1616
sprechen von: Freihartsbuben (= Vagabunden, Strolche), andere
von Spitzbuben, Hamburg führt noch den Schinder an,
Preussen 1620 den Büttel. Zigeuner und Landstreicher reihen
Ostfriesland und Hohenlohe ein. Manche bringen eine Spezi-
alität an, wie Ostfriesland die „Netteboven“ und Geldern (1620):
„Guijchel oder C'amerspeelders, Lantloopers, Schermers oder
Schwerttänzer“. Meistens dienen diese Kategorien als Bei-
spiele für ein „üppiges“ und „leichtfertiges“ Leben im allge-
meinen. Nur in der Hessischen Gerichtsordnung von 1497
sind alle Beispiele vermieden, und es steht zur Charakteristik
des anrüchigen Gewerbes allein: „unzimblich narung suchen“.
Dies kommt sonst nur noch im Werböczischen Tripartitum vor1).
Vielfach wird endlich auch dieser Fall, der quellenmässig nur
auf den Sohn sich bezieht, für Deszendenten beiderlei Geschlechts
für anwendbar erklärt*). Er ist nur in der Geldernschen
Reformation von 1554 ausgelassen.
XI. Der XI. Fall (Ungehorsam der Tochter) ist wieder in
sämtlichen deutschen Versionen, die auf Vollständigkeit der
Gründe halten, vorhanden, mit Ausnahme des Eisenacher Rechts-
buches (und bei Werböcz). Alle verstehen ihn, von dem Miss-
verständnis in der sächsischen Glosse abgesehen s), von ver-
botenem geschlechtlichen Umgang, wofür sehr verschiedenartige
Bezeichnungen erfunden werden4), und meistens hält mau an
einem Unterscheidungsalter fest, über welches hinaus die Tat
keinen Anlass zur Enterbung gibt. Dieses wird in der Regel
') Oben S. 84.
’) So in der sächsischen Lelmrechtsglosse und bei Wurm, in der
Hessischen Gerichtsordnung 0497}, in Freiburg und bei seinen Nachfolgern, in
Braunschweig und Ostfrieslaud, in der jüngeren Nürnberger Überlieferung
(1564), in Nassau, im Bayrischen und Hohenloheschen Landrecht.
*} Oben S. 08 und S. 71.
4) „Ungeraten werden' heisst es in der Schwabeuspicgelgruppe , .sich
zu unreinen Händeln geben* in der Hessischen Gerichtsordnung von 1497,
sonst ist vielfach in Übertragung der „luxuriosa vita“ des Autbentikums von
.üppigem Leben* die Kede. Andere drückeu sich drastischer aus, wie Brünn:
das Muidlum brechen, oder bezeichnen das Delikt einfach als Hurerei (so
Lüneburg, Hohenlohe, Gobler), am meisten realistisch verhält sich wohl Lüne-
burg, das den einmaligen uueheliclieu Beischlaf gestattet (oben S. 101).
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auf die römisch-rechtliche Zahl von 25 Jahren abgestellt, es
finden sich aber auch 20 (Wien, Franken), 22 (Nürnberg von
1522 an) und 24 Jahre (Ruprecht von Freising). Auch wird
meistens, wie im römischen Recht, auf das Verhalten der Eltern
Rücksicht genommen, ob diese zur anständigen Verheiratung
ihre Mitwirkung nicht etwa versagt haben. Die jüngeren Rechts-
ordnungen halten übrigens doch vielfach ohne Rücksicht auf
das Lebensalter ein unsittliches Leben bei der weiblichen Des-
zendenz für einen Enterbungsgruud, so zuerst Freiburg und
seine Gruppe, dann das jüngere Nürnberger Recht1), Geldern 1620,
Lüneburg und Hohenlohe; auch der Jurist Gobler lässt in dieser
Hinsicht schon den Altersunterschied fallen. Eineu neuen
Weg schlug aber das Freiburger Stadtrecht insofern ein,
als es neben die in Unkeuschheit lebende Tochter die Kinder
überhaupt stellte, welche sich minderjährig ohne die gesetzliche
Zustimmung der Eltern verheirateten. Hierin folgen ihm nicht
nur die von ihm abhängigen Gesetzgebungen ausser Württem-
berg, sondern auch das Bayrische Landrecht von 1616 und das
Geldernsche Landrecht von 1620. Auch die Wimpfener Refor-
mation von 1544 handelt nur von Kindern, welche sich ohne
den erforderlichen elterlichen Kousens verheiraten*). Die Frei-
burgische Gesetzgebung hat ferner schon den Eltern unter Um-
ständen bloss die Beschränkung ihrer unfolgsamen Kinder auf
den Pflichtteil erlaubt, worin spätere Ordnungen ihr folgen3),
und andere, wie Pfalz und Baden, bemühen sich nicht minder,
der Unbedachtsamkeit und Verführbarkeit der Jugend durch
mildernde Bestimmungen gerecht zu werden 4).
XII. Beim XII. Falle (Vernachlässigung in Geisteskrank-
heit) ist zu beachten, dass derselbe zeitig schon über den
quellenmässigeu Fall der geistigen Erkrankung hinaus erweitert
wird uud die Deszendenten dafür verantwortlich gemacht werden,
') Vgl. oben 8. 98.
») Oben 8. 104 N. 3.
*) Vgl. (irnchot, Erbrecht, III S. 167, Note: fiir Hamburg, Frankfurter
Reformation und Frauken. Auf die mannigfache Gestaltung der Folgen,
welche das Heiraten der Kinder wider den Willen der Eltern in den deutschen
Land- und Stadtrechteu gefunden hat, kann hier nicht eingegangen werden.
*) Vgl. filr das Pfälzische Landrecht oben S. 89, ähnlich Baden 1622.
8»
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wenn sie ihre Aszendenten nicht allein im Zustande der Un-
sinnigkeit, Sinnlosigkeit oder des „Töricht“seins, sondern auch
wenn sie dieselben in anderer Not vernachlässigen. Diese Aus-
dehnung wollte wohl schon das Eisenacher Rechtsbuch, indem
es das Kind, welches die Eltern verhungern lässt und ihnen
nicht die notdürftige Nahrung reicht, des Erbrechts verlustig
erklärt1). Dann aber stellt auch die Hessische Gerichtsordnung
von 1497 der Sinnlosigkeit die Krankheit überhaupt gleich,
Freiburg dehnt auf Leibeskrankheit ausdrücklich aus, ebenso
Nürnberg in der jüngeren Fassung von 1564, Württemberg und
Baden (auch Ulrich Tengler) sprechen von Armut und mangel-
hafter Nahrung*), andere, wie Geldern und Lüneburg, von
„Notli“ oder „hoher Noth“ im allgemeinen, Hohenlohe von fallender
Sucht oder anderen schweren Gebrechen. Der gesetzliche Ver-
lust des Erbrechtes bei den diesen Verpflichtungen nicht nach-
kommenden Deszendenten ist überall, wo auf den Fall genauer
eingegangen wird, hervorgehoben. Mit der Beschränkung auf
den Sohn steht Justinus Gobler allein. Fortgelassen ist der
Fall nur in der sächsischen Lehnrechtsglosse, auch bei Stephan
v. Werböcz.
XIII. Der XIII. Enterbungsgrund, die Vernachlässigung
der kriegsgefangenen Eltern, fehlt vielfach in den deutschen
Rechtsordnungen, so in der Lehnrechtsglosse, vollständig auch
in der Nürnberger Rechtsgruppe, ausser dem Friedrichstädter
Stadtrecht, ebenso in der Freiburger, in der Geldernschen Re-
formation und im Hohenlohescheu Landrecht. Es hat ihn aber
der Schwabenspiegel, die sächsische Glosse (abgesehen von der
Lehn rech tsglosse), das Eisenacher Rechtsbuch, dieses in Ver-
arbeitung mit Nr. VIII (Gefängnis), Braunschweig, Ostfriesland,
Nassau und Geldern, das Preussische und Badische Landrecht,
das Bayrische Landrecht, Lüneburg und Wimpfen (1755). Aber
nur selten wird hervorgehoben, dass es sich nm Gefangennahme
im Kriege oder durch die Feinde handeln müsse, dies tun nur
Braunschweig, Geldern 1620, das Bayrische Landrecht, Baden
und Wimpfen. Der sächsische Glossator v. Buch beschränkte
') Oben S. 74.
*) Vgl. auch Pfalz: „mangelhaft und tobsüchtig“ und Baudoza oben
S. 32 N. 2.
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117
sich sogar auf die lakonische Bemerkung: .offt he syns nicht
losede“, und in Wurmschen Arbeiten ist bloss davon die Rede,
dass sich der Aszendent in Not oder in Leibesuöten befinde.
Auf die qnellenmässige Voraussetzung des 18. Lebensjahres für
die Verantwortlichkeit der Kinder in diesem Falle wird nur in
der Wurmschen Landfriedensglosse und im Geldernschen Land-
recht von 1620 eingegangen.
Die Auslassung erklärt sich einfach aus dem Grunde, weil
mau entweder den Fall für nicht mehr praktisch ansah, oder
weil man ihn — und dies trifft sicher vielfach zu — als mit
unter Nr. VIII (Gefangenschaft) enthalten betrachtete. Es ist
oben gezeigt worden, welche Motivierung der Jurist Perneder
für erforderlich hielt, um die praktische Bedeutung des Falles
für seine Zeit zu begründen l).
XIV. Der letzte der Justinianischen Gründe für Aszen-
denten, die Ketzerei der Deszendenten, fehlt in der Schwaben-
spiegelgruppe (auch bei Raymund) vollständig8), was sich
vielleicht aus dem Einflüsse der kanonischen Glosse8) erklärt,
ferner in Freiburg. Nürnberg lässt ihn, wahrscheinlich doch
infolge der inzwischen eiugetreteuen Kirchen -Reformation, in
der jüngeren Fassung (1564) aus, dann fehlt er noch in Lüne-
burg und im Geldernschen Landrecht (1620). Dagegen hat
das Kleine Kaiserrecht ihn unter den wenigen, vou ihm aus-
gewählten Fällen besonders eingestellt. Ausgedrückt wird er
mit den Worten: aus dem Glauben gehen (Kl. Kaiserrecht), un-
gläubig werden (v. Buch), in Ketzerei fallen u. dgl. Manche
betonen, dass es sich um eine „verdammte“ Ketzerei handeln
müsse4), wozu Baden (1622) noch bemerkt, dass das Kind
seines Irrtums überwiesen sein müsse, und überhaupt wird bos-
haftiges Verharreu im Unglauben überall vorausgesetzt. Nur
wenige geben sich mit einer genaueren Begrenzung des Begriffes
der Ungläubigkeit ab, wie Nassau 1616, das noch auf „die be-
währten 4 Hauptconcilia“, und Hohenlohe, das auf die im Hl.
*) Vgl. oben S. 96.
’) Auch bei Stefan v. Werböcz.
•) Oben S. 35.
*) So Württemberg, Pfalz und Baden.
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118
römischen Reiche angenommenen drei Religionen verweist ‘).
An der Einschränkung dieses Falles auf männliche Kinder, wie
sie im Brachylogus und in der Petrusgruppe sich fand*), hält
noch die Lehnrechtsglosse und Justinus Gobler fest.
Nach den vorstehenden Ermittelungen finden sich nur in
zwei deutschen Gesetzgebungen, nämlich im Braunschweigischen
Stadtrecht von 1532 und im Ostfriesischen Landrecht (1540
bis 1550), die Justinianischen Enterbungsgründe für Aszendenten
vollzählig. Ausserdem stellten sie sämtlich noch die v. Buchsche
Glosse und Wurm in seinen Glossenarbeiten, sowie die beiden
Institntionisten Gobler und Perneder dar. Überall aber werden
die aufgezählten Fälle, iu Übereinstimmung mit der Novelle 115,
als ausschliessliche angesehen, wo nicht ausdrücklich ein Vor-
behalt für „andere und grössere Ursachen“ gemacht worden
ist. Dies geschah zuerst in der Baseler’) Satzung von 1523,
deutlicher und ausführlicher im Pfälzischen Landrecht von 1582
und ihm nach in der jüngeren Württemberger Fassung von 1610,
in Franken (1618), Preusseu (1620) und Baden (1622), ferner
in Nassau (1616) und, nunmehr Württemberg folgend, auch in
der Baseler Stadtgerichtsordnung von 1719. Das Mainzer Land-
recht von 1755 dagegen tritt mit ausdrücklichen Worten für
das entgegengesetzte Grundprinzip ein4).
Umgekehrt sind die Fälle des römischen Rechts in deutschen
Rechtsquellen nicht selten erweitert worden. So in der Schwaben-
spiegelgruppe sogleich um zwei Fälle, den aus dem 2. Kapitel
des Mainzer Landfriedens entnommenen, welchen schon der
Deutschenspiegel kannte5), und das Vergeuden von mehr als
der Hälfte des väterlichen Gutes, den vorletzten Fall der
Scliwabenspiegelgruppe 6). Sodann hat das Kleine Kaiserrecht,
welches freilich bloss eine geringfügige Auswahl von Justini-
anischen Gründen darstellte, zwei neue Fälle den ausgesuchten
«) Oben S. 102 und 104.
*) Vgl. oben S. 25 und 29.
*) S. oben S. 88.
‘) Oben S. 106 N. 2.
*) Oben S. 50.
*) Oben 8. 62.
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119
gleichgesetzt1), deren einem: „wider das Reich reden“: das im
Pfälzischen Landrecht und dann auch in Preussen innerhalb
der clausula generalis aufgestellte Beispiel des Vaterlandsver-
rates naliekommt. Auch die Berner Stadtsatzung von 1539
scheint Handlungen des Kindes, „so das Malefiz berühren möchten“,
ohne dass eine Verletzung der Eltern erforderlich wäre, als
eine Enterbungsursache zu betrachten *), und die Baseler Satzung
aus dem 16. Jahrhundert hat das Laufen in den Krieg wider
Willen der Eltern unter die Enterbungsgründe gestellt3).
Was die für Deszendenten geltenden Fälle anlangt, so
werden sie gänzlich übergangen in den sächsischen Glossen-
arbeitcn (wie es scheint, auch bei Wurm), im Eisenacher Rechts-
buche und in der Wormser Reformation, obwohl deren Vorbild
Nürnberg sie aufzählte. Auch die Lüneburger Reformation
(1580 ff.) enthält sie nicht und ebensowenig Raymund von
Wiener-Neustadt und das Werböczische Tripartitum.
Die Schwabenspiegelgruppe hat es bekanntlich so einge-
richtet, dass die drei ersten der für Eltern aufgezählten Fälle,
d. h. Nr. VI (Inzest), der Fall aus dem Mainzer Landfrieden
(widerrechtliche Gefangennahme) und Nr. III (Kriminalanklage)
auch für die Enterbung der Eltern durch die Kinder gelten
sollen, eine Anordnung, welche sich daraus erklären dürfte,
dass nur jene drei Gründe zunächst rezipiert und dann unbe-
sehen auf die Deszendenz erweitert wurden.
Daher beginnt die Bearbeitung dieser Gründe in Deutsch-
land erst mit der Nürnberger Reformation von 1479, welcher
Freiburg sie entlehnt hat*).
Der 1. Fall, quellenmässig so ausgedrückt: wenn die Eltern
ihre Kinder dem Untergang überliefern: wird selten mit diesen
Worten wiedergegeben. Nur Württemberg sagt: „durch ihre
Anklage oder Angeben in Tod zu bringen sich unterstehen“,
und Braunschweig: „an ihrem Leben richten lassen“. Sonst
wird meist nur die Anklage auf Leib und Leben, in Freiburg
auch auf Ehre und Gut, genannt und der Fall im übrigen ganz
>) Oben S. 53.
*) S. oben S. 75.
*) Oben S. 87.
*) Vgl. oben S. 85.
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120
nach Analogie von Nr. III gestaltet. Auch die Ausnahmen von
der verbotenen Anklage finden sich wie dort, in Baden (1622)
freilich auf die Anklage wegen „anderer grober abscheulicher
Misshandlungen“ erweitert.
Beim 2. Falle (Lebensnachstellung) ist überall Zauberei
und Gift als Mittel genannt — Gobler sagt anstatt: mit
Zauberei: als ein Böswicht (maleficus!) — und meistens auch
die Möglichkeit, wie in der Novelle, „in anderer Weise* den Kin-
dern nach dem Leben zu trachten, anerkannt. Braunschweig
lässt hier schon (was quellenmässig erst in Nr. 5 geschieht) den
Versuch genügen, die Deszendenten um ihre Sinne und Vernunft
zu bringen.
Der 3. Fall (Inzest) ist vollständig dem bei den Enterbungs-
gründen für Aszendenten entsprechenden (Nr. VI) uachgebildet,
so dass auch hier eine Erweiterung auf die Eltern an Stelle
der Beschränkung auf den Vater tritt, wo die Rechtsordnung
eine Verallgemeinerung auf die Kinder bei Nr. VI zulässt (also
in Nürnberg erst in der Fassung von 1564). Nur ist beachtens-
wert, dass von einer Konkubine des Sohnes bloss im Friesischen
Rechte gesprochen- wird.
Auch der 4. der für Deszendenten aufgestellten Enterbungs-
gründe ist nach Analogie der ersten Abteilung (Nr. IX) be-
handelt: wenn die Kinder durch die Eltern verhindert werden,
ihren letzteu Willen zu errichten. Tübingen betont auch liier:
„so doch solche Geschäft aus vernünftigen Ursachen vorge-
nommen werden“, und mehrfach wird darauf aufmerksam ge-
macht, dass die Vorschrift nur insoweit Bedeutung habe, als
die Deszendenten überhaupt befähigt seieu, selbständig eine
solche Verfügung zu treffen1).
Nur die Basler Gerichtsordnung von 1719 erwähnt den
4. Fall nicht, sonst fehlen die bisherigen 4 Enterbungsgründe
für Deszendenten in keiner der Bearbeitungen, welche diese
Gruppe von Gründen überhaupt berücksichtigen. Anders steht
es mit dem 5. Grunde, der Lebensnachstellung unter Eltern:
er ist im Braunschweigischen Stadtrecht und in der Geldern-
’) Vgl. das Ostfriesische Landrecht : „sobald sie zu ihren Jahren (d. b.
14, 12 Jahren) kommen sind“, und im Kulm 1711 oben S. 103 die Erwähnung
des rekulicnrecbtes, welches schon die Summa notariae (oben S. 33) behandelte.
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sehen Reformation übergangen. Die meisten Darstellungen
aber, die ihn haben, berücksichtigen nur die Lebensnachstellung
im eigentlichen Sinne, während von dem in der Novelle gleich-
gestellten Versuch der Beraubung des Verstandes bloss im
Bayrischen Landrecht von 1616 uud im Hohenloheschen Land-
rechte (1737) die Rede ist.
Nr. 6 (Geisteskrankheit) korrespondiert Nr. XII bei den
Aszendenten, und ist auf Armut, Elend und Krankheit er-
weitert, wo die Rechtsordnungen dies auch in jenem Falle tun.
Dieselbe Gleichmässigkeit ist für Nr. 7 (Kriegsgefangenschaft)
bezüglich des Verhältnisses zu Nr. XIII festzustellen, so dass
also z. B. das Hohenlohesche Landrecht auch hier auf den Fall
verzichtet. Die Kriegs- oder feindliche Gefangenschaft wird
nur im Braunschweigischen Stadtrecht und im Bayrischen Land-
recht erwähnt, im übrigen ist bloss vom Gefängnis die Rede.
Der letzte Fall, Nr. 8 (Ketzerei), ist bloss in der jüngeren
Nürnberger Überlieferung (von 1564) und deren Nachfolgern,
sowie im Geldernschen Landrechte gestrichen, er wird überall
— abgesehen vom Freiburger Stadtrecht1) — gleich Nr. XIV
bei den Aszendenten behandelt.
Demnach sind die sämtlichen Gründe für Deszendenten in
Nürnberg (ältere Form) und in Freiburg, sowie den von diesem
abhängigen Rechtsordnungen, im Friesischen Recht, im Bayrischen
Landrecht und im Wimpfener Stadtrecht von 1775 vollständig
rezipiert, also bei weitem in der Mehrzahl derjenigen Rechts-
quellen, welche ihrer überhaupt gedenken.
Zur Vervollständigung des gezeichneten Bildes muss noch
daran erinnert werden, das es Rechtsordnungen gibt, welche
den für die Deszendenten aufgestellten Gründen solche hinzu-
rechnen, die das römische Recht nur den Aszendenten zur Ver-
fügung stellte. Dies wurde schon hinsichtlich des IV. Grundes
(maleficus) in bezug auf die Summa notariae aus dem 13. Jahr-
hundert bemerkt8), es wiederholt sicli aber im Ostfriesischen
Landreclite (1540 — 1550) in Form der Ausdehnung der Ge-
schlechtsvergehen auf die Enterbung der Aszendenten3), im
') 3. oben. S. 85.
•) Oben S. 34.
») Oben S. 94.
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Geldernscheu Landrechte (1619) hinsichtlich der Nr. VII (Syko-
phantie) und VIII (Befreiung aus der Gefangenschaft) und in
der Baseler Gerichtsordnung von 1719 in Beziehung auf Nr. X:
„ein schändlich üppiges Leben führen“ ’).
Die Gesamtheit aller Justinianischen Enterbungsfälle aber
ist, vou Perneders Institutionen und Goblers Rechtsspiegel
abgesehen, in deutscher Sprache vor dem 17. Jahrhundert nur
im Ostfriesischen Landrecht dargestellt worden. Auch nach-
her findet sie sich nur in der Nassauischeu Gerichtsordnung
(1616), im gleichzeitigen Bayrischen Laudrecht, im Preussischen
Landrechte von 1620, im Badischen Landrecht (1622), im
Kulmischen Recht von 1711 und im Wimpfener Stadtrecht
von 1775.
Die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Fälle auftreten,
könnte im allgemeinen — d. h. da, wo sie nicht, wie für die
Schwabenspiegelgruppe, typisch ist — als etwas Gleichgültiges
erscheinen. Indessen ist es doch von einem gewissen Interesse,
festzustellen, dass sie, was die Gründe für Aszendenten anlangt,
nur in einem Teile der deutschen Überlieferung sich der
Justinianischen Novelle anschliesst, nämlich nur in der sächsischen
Lehnrechtsglosse, in der Nürnberger und Freiburger Über-
lieferung samt ihren Anhängern, in Braunschweig, im Preussischen
Landrecht und in den systematischen Darstellungen von Per-
neder und Gobler. Bei den Gründen für Kinder aber wird
überall, ausser im Ostfriesischen Landrechte, bei Perneder und
in der Nassauischeu Gerichtsordnung (1616), die römische An-
ordnung befolgt.
Von den Fällen für Aszendenten fehlen Nr. I (Realinjurie),
III (Krimiualanklage) und VIII (Gefangenschaft) nirgends*),
am häufigsten ist Nr. VII (Sykophantie) ausgelassen, nämlich
in Brünn, auch bei Raymund von Wiener Neustadt und bei
Werböcz, in Nürnberg, Freiburg und in der Geldernschen Re-
formation, und Nr. XIV (Ketzerei), letzteres in der Schwaben-
spiegelgruppe, bei Raymund, in Freiburg, in Nürnberg seit 1564,
>) Oben S. 92.
*) Die Zusammenstellung bezicbt sieb natürlich nur auf diejenigen unter
den erwähnten Rezeptionen, welche nicht, wie auch der Deutschenspiegel,
rein eklektisch verfahren, d. h. nnr wenige Fälle sich ausgesucht haben.
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iu Lüneburg und im Geldernschen Landrechte. Dann folgt in
der Statistik der abgelehnten Fälle Nr. XIII (Kriegsgefangen-
schaft): in der Lehurechtsglosse, in der Nürnberger und Frei-
burger Gruppe, in der Geldernschen Reformation und im Hohen-
loheschen Landrecht. Nr. IX (Testierhindernis) ist nur bei
Werböcz, in Freiburg, Basel (1719) und Hohenlohe beseitigt.
Nr. IV (malefici), Nr. V (Lebensnachstellung), VI (Inzest),
XI (Ungehorsam der Tochter) und XII (Geisteskrankheit) fehlen
gleichmässig oft, nämlich nur je zweimal. Nr. II (Realinjurie)
vermisst man bloss in Brünn, Nr. X (Schauspielergewerbe) allein
in der Geldernschen Reformation. Von den Gründen für Kinder
ist Nr. 5 (Lebensnachstellung unter Eltern) in der Geldernschen
Reformation uud im Braunschweigischen Stadtrechte, Nr. 8
(Ketzerei) in der jüngeren Nürnberger Gesetzgebung von 1564
und im Geldernschem Landrecht (1620) übergangen.
Einer Ausdehnung der Enterbungsfälle über den Kreis der
nächsten gesetzlichen Erben hinaus auf Jedermann“ hat, ausser
dem Deutschenspiegel, nur der sächsische Glossator Wurm in
einer seiner Arbeiten das Wort geredet1).
§ 5
Die neueren Gesetzgebungen und Entwürfe
Auf Gruud der vorstehenden Übersicht, in welcher ver-
sucht worden ist, wenigstens die wesentlicheren Verschieden-
heiten in der Rezeption der Justinianischen Gründe zusammen-
zufassen, wird es leichter werden, an die neuere Gestaltung der
Fälle seit den grossen Kodifikationen des 18. Jahrhunderts
heranzugehen.
I. Hier tritt zuerst der Entwurf eines „Corporis juris
Fridericiani“ von 1751 entgegen. Cocceji hat in ihm nach dem
römischen Vorbilde, welches er zugrunde legte, auch die Ent-
erbungsgründe eingestellt2), aber er hat sich dabei an die
') S. oben S. 72.
») 2. Teil: Pars II, Lib. VII, Tit. V (S. 174-178).
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ältere Preussische Gesetzgebung, die zur Gruppe des Freiburger
Stadtrechts, unmittelbarer zum Württembergischen und Pfäl-
zischen Land rechte gehört1), nicht gebunden. Es fehlen Nr. IV
(malefici) mul VII (Sykophautie), wie in Nürnberg und in der
Geldernschen Reformation; man kann aber den IV. Fall sehr
wohl unter die weite Fassung von Nr. X (s. unten) mit begreifen.
Die Anordnung der Gründe für Aszendenten ist eine freie,
während die Gründe für die Deszendenz nach der Novelle ge-
ordnet werden, welche letztere auch vollständig vorhanden sind.
In der Fassung der einzelnen Fälle finden sich allerdings
einige Anklänge an die alte Württembergische ®) und an die
ältere Preussische3) Ausdrucksweise, übrigens auch an das
Hohenlohesehe Laudrecht4), aber diese Spuren sind von geringer
Erheblichkeit, Was die neue Arbeit besonders charakterisiert,
ist die genauere Ausgestaltung, welche sie einzelnen der Fälle
zuteil werden lässt. So wird im I. Falle (Realinjurie) nicht
allein, wie in Ostfriesland 5), die Zulässigkeit der Notwehr her-
vorgehoben8), sondern es wird auch — wahrscheinlich im An-
schlüsse an Lcyser7) — die Möglichkeit berücksichtigt, dass
die Kinder die Tat nicht selber begehen, vielmehr andere Per-
sonen zur Misshandlung ihrer Eltern anstiften „oder Rat dazu
geben“ oder dass sie, wenn sie von der bevorstehenden Gewalt
wussten, die Eltern nicht rechtzeitig gewarnt haben; auch ge-
nügt eine blosse Bedrohung. Nr. III (Kriminalanklage) ist dahin
erweitert: wenn die Kinder aus freien Stücken sich zu Zeugen
„in dergleichen criminibus“ angeben oder darin sich als Ad-
vokaten gegen die Eltern gebrauchen lassen, wobei wieder die
Anstiftung anderer zu gleichen Dingen gleichgestellt wird.
’) Vgl. oben S. 90 ff.
•) Vgl. Nr. 6 (§ 15, VI).
*) Vgl. Nr. 4 (§ 15, IV).
4) So bei Nr. XIV (Ketzerei) die Erwähnung der drei im Reiche ange-
nommenen Religionen (obeu S. 118) (§ 14) und Nr. 3 (§ 15, III).
“) Oben S. 108.
") Es heisst: die Gerichte sollen „wohl zu examinieren haben, ob die
Eltern die Kinder mit Schlägen oder Peitschen ohne Ursache Übel traktieret,
und die Kinder, um sich von der Gewalt zu erretten, gleichsam eine Notwer
tun müssen“.
7) Vgl. Grnchot. Erbrecht, III S. 159 N. 1.
(•
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125
Unter den Ausnahmen der erlaubten Anklage erscheint auch
das crimen laesae majestatis divinae1) und der Fall, dass die
Kinder „vi officii“, etwa als Richter oder Fiskale, dergleichen
Missetaten der Eltern untersuchen oder ahnden müssen, „wie-
wohl in beyden Fällen die Kinder um die Subdelegation eines
anderen Richters oder Fiscalis anhalten können“.
Bei Nr. VI wird auch die Blutschande mit den leiblichen
Eltern in Betracht gezogen*), die Konkubine fehlt. Nr. VIII
(Gefangenschaft) hat der Gesetzgeber nicht allein auf Kinder
ausgedehnt, sondern dem Falle XIII (Kriegsgefangenschaft)
vollkommen gleichgestellt, aber die Erbschaft soll nicht, wie
nach dem älteren Landrecht3), in letzter Linie Kirchen (oder
ad pias causas), sondern vielmehr dem Fiskus zufallen.
Beim X. Falle, welcher so ausgedrückt wird: „Wenn die
Kinder sich zu liederlicher Gesellschaft schlagen, um Böses
mit derselben auszurichten — vgl. Nr. IV! — oder sonst eine
infame Lebens-Art erwählen“, steht als Beispiel neben den
auch anderwärts üblichen : Scharfrichter, Schinderknechte, Huren-
wirte, Komödianten und Seiltänzer4): sich zu einer Zigeuner-,
Diebs- oder Räuberbande gesellen, sogar ohne dass man an
einem Diebstahl oder Mord teilgenommen zu haben braucht
und auch, wenn man die Bande wieder verlässt, man müsste
denn „von ohngefäbr unter deren Hände geraten“ sein. Bei
den „Comüdianten, Seiltänzern usw.“ dagegen hebt das „Quit-
tieren“ der „Profession“ den Enterbungsgrund auf.
Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) gilt ohne Rücksicht auf
das Lebensalter, wenn die Tochter, „zu Falle kommt“ ; in bezug
auf die eigenmächtige Verheiratung der Kinder überhaupt wird
auf die Grundsätze des Eherechts Bezug genommen5), Söhne
') Vgl. die Nürnberger Gruppe oben S. 109.
’) Vgl. Asperg oben S. 111. Demnach wäre das Landrecht doch nicht
„das einzige Gesetzbuch, welches das von allen übrigen in Betreff des un-
natürlichen Verbrechens des blntscbänderiscben Umgangs zwischen leiblichen
Eltern und Kindern beobachtete Schweigen bricht“, wie (iruchot a. a. 0.
S. 159 sagte.
') Oben 8. 91.
‘) Vgl. oben S. 114.
5) Vgl. Pars I, S. 38, § 18, wonach besonders der elterliche Konsens
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aber können auch enterbt werden, wenn sie „zum Skandal der
Familie und des Publici sich mit Huren und andern oben
(Nr. X) beschriebenen liederlichen Weibsstücken schleppen J.
Nr. XII (Geisteskrankheit) ist auf Armut und Krankheit im
allgemeinen erweitert, übrigens quellenmässig auf Kinder über
18 Jahre beschränkt, denen freilich diese Fürsorge auch in
ansteckenden Krankheiten „und sogar bei der Pest“ zur Pflicht
gemacht ist. Der Fall wird weiterhin genau wie Nr. XIII be-
handelt (s. oben). In Nr. XIV endlich wird dem Abgang von
einer der drei anerkannten Religionen1) der Übertritt zum
Judentum oder zum Heidentum gleichgestellt, dagegen der Fall
ausgenommen: wenn ein Judenkind den christlichen Glauben
annimmt!
Unter den für Kinder aufgestellten Gründen fällt die Ein-
schränkung des 5. Falles auf (Lebensnachstellung unter den
Eltern des Erblassers); sie wird nämlich nur auf die Ver-
schwägerten (Schwiegereltern, Schwager und Schwägerin) des
Kindes bezogen. Auf der anderen Seite hat Nr. 7 (Kriegs-
gefangenschaft) eine Erweiterung auf die Schuldgefangenschaft
erfahren, also gemäss Nr. VIII, wie es im Geldernschen Land-
rechte von 1620 der Fall gewesen ist *).
Coccejis Projekt scheint bei der Abfassung des Codex
Theresianus für Österreich 5) zur Vorlage gedient zu haben,
worauf die mannigfachen Ähnlichkeiten trotz allerhand Ab-
wandelungen im einzelnen4) schliessen lassen. Besonders fällt
vou Kindern unter 2 5 Jahren erzwungen werden kann; vgl. auch daselbst
lib. 2, tit. 2, §§ 23 ff.
') Oben S. 124 N. 4.
») Oben S. 102.
*) II. Teil, cap. XV, besonders §§ II und III (Ausgabe von Pb. Harras
Ritter v. Uarrasowsky, II, 1884, S. 281 ff.).
*) So fehlt in Nr. I (§ 14) die Notwehr. Bei Nr. III (jj 16) werden die
Ausnahmen gekennzeichnet als .solche Verbrechen, welche auch Kinder wider
ihre Eltern anzuhringeu nach Aussatz Unserer peinlichen Gerichtsordnung
schuldig sind“ (vgl. die Gesetzgebungen oben S. 109 vor N. 1). Nr. VI (§ 25)
handelt wieder nur vom Inzest mit den Stiefeltern. Nr. VII (Sykopbantie)
(§ 20) wird auf Kinder bezogen (statt nur auf den Sohn). Nr. IX (§ 22)
erwähnt auch die Verhinderung au Abänderung des Testamentes, in Nr. X
(Schauspielergew'erbei (§ 23) sind die Beispiele weggelassen, bei Nr. XII i§ 18)
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hier die Vollständigkeit sämtlicher Justinianischer Fälle, wiederum
bei eigenartiger Anordnung, auf und die Beifügung einer all-
gemeinen Klausel '), womit der Entwurf in den schärfsten
Gegensatz zum Corpus Fridericianum tritt, da dieses die Zu-
lassung anderer als der angegebenen Ursachen ausdrücklich
abgelehnt hat2). Die von Cocceji nicht bearbeitete Nr. IV
(maletici) lautet hier: „wenn wohlverhaltener Eltern Kinder
wider deren Willen mit ehrlosen und liederlichen Gesindel Ge-
meinschaft gemacht, mit demselben herumgezogen und sich ge-
nähret, wovon die Eltern Schand und Spott hätten“. In Nr. XI
(Ungehorsam der Tochter), welcher Fall hier wieder, wie ander-
wärts3), den Schluss bildet, verfährt der Kodex eigenartig, indem
bei den Kindern, die sich ohne Zustimmung der Eltern ver-
heiraten, die Zulässigkeit der Enterbung dem richterlichen Er-
messen Vorbehalten bleibt. Beim XIV. Falle wird die Ketzerei
als Abfall vom christlichen Glauben oder als Annahme einer
Irrlehre bezeichnet, welche in dem Lande der belegenen Erb-
schaft erbsunfähig mache und ihre Anhänger von der Erbschaft
ausschliesse. Für sämtliche Fälle der Enterbung von Deszen-
denteu aber gilt die allgemeine Regel, dass sie, um enterbt
werden zu können, „die Jahre der Kindheit überschritten und
den vollkommenen Gebrauch des Verstandes gehabt haben, dass
von ihnen die Fähigkeit, die angezeigten Euterbungsursachen
begangen zu haben, vermutet werden möge“.
Unter den Grüuden für Deszendenten ist hier Nr. 5
(Lebensnachstellung unter den Eltern) wieder im Sinne des
Justinianischen Rechts richtig gestellt, und bei Nr. 6 (Geistes-
fehlt die Ausdehnung auf Armut, bei Nr. XIII (Kriegsgefangenschaft) (§21)
wird anch des Gelangens in Sklaverei gedacht.
‘) Sie heisst: dass andere, obschon in dem wörtlichen Verstand der
vorbeschriebenen nicht ausgedruckte, doch aber in der Sachen selbst darunter
begriffene gleich wichtige oder auch wichtigere Ursachen anerkannt seien,
wann selbe der Richter erheblich und hinlänglich zu sein befunden habe.
’) Cocceji hatte (§ 19) verfügt: „Ausser diesen benannten Enterbungs-
ursachen sollen keine andern, sie mögen pares oder similes sein, attendirt
noch admittirt werden“.
*) So in der Schwabeuspiegelgruppe , in der Geldernschen Reformation,
im Ostfriesischen Landrecht (oben S. 93 N. 9) und im Lüneburgischen Stadt-
reebt (oben S. 101).
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128
kranklieit) wird die Armut der Kinder ihrer Erkrankung gleich-
geaehtet, was in dem entsprechenden Falle bei Aszendenten
(Nr. XII) nicht geschehen ist.
II. Der Codex Maximilianeus Bavaricus von 1756 kommt
in der vorliegenden Materie1) nach der Angabe seines Ver-
fassers8) „sowohl mit dem Jure commuui in Nov. 115 c. 3, als
dem vorigen Bayrischen Landrechte quo ad substantiam völlig
überein“. Indessen fehlt es, abgesehen von der anderen An-
ordnung der Fälle, nicht an bemerkensweiten Unterschieden
gegenüber der Gestaltung von 1616®). So sind hier, während
dort alle Justinianischen Fälle rezipiert waren, Nr. XIII
(Kriegsgefangenschaft) und bei den Enterbungsgrüuden für
Kinder auch Nr. 8 (Ketzerei) übergangen. Die letztere Aus-
lassung wird damit begründet, dass .Ketzer und Ungläubige“
bereits nach anderweitiger Bestimmung4) erbunfähig seien und
„folglich nicht nur ausgeschlossen werden können, sondern
auch müssen*. Dieselbe Begründung hätte freilich bei den
Enterbungsgründen für Eltern (Nr. XIV) die gleiche Folge
haben sollen, hier aber ist dieser Enterbungsgrund stehen
geblieben.
Im übrigen lässt sich die sachliche Anlehnung an das
ältere Recht allerdings nicht verkennen'), nur dass öfters
v. Kreittmayr sich grösserer Originalität und insbesondere
grösserer Kürze befleissigt. So werden Nr. I und II zusammen-
gezogen: den Eltern „mit Real- oder schweren Verbalinjurien
begegnen“, wo das Landrecht von 1616 sich mehr dem römischen
Vorbilde im Ausdrucke anpasste. Bei Nr. X (Schauspieler-
gewerbe) sind die Beispiele weggelassen und namentlich bei
XI (Ungehorsam der Tochter)0) und XII = 6 („Kranck oder
• ') Teil III, Kap. 3, §§ 17/8.
’) Anmerkungen über den Codicem uaw., III Teil, 17(4, 8. 350.
') Oben S. 101.
«) III, 1, 3, 4 to und III, 1, 12.
f) Man vgl. die Aufnahme der Ketzerei und Zauberei unter die Aus-
nahmen in Nr. III (Kriminalanklage), sowie die Fälle IV, VI, VII, VIII und 1.
•) Es wird auf die eherecbtlichen Bestimmungen für Kinder in 1, 0,4,3
verwiesen und in der Anmerkung bemerkt, dass diese Ursache zwar jure
canonico nicht, wohl aber „vi eit. Nov. § 11 in jure Romnno et statntario
nicht nur hier zu Land, sondern auch fast aller Orten wohl fundiert* sei.
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129
Blödsinnigkeit“) wird erheblich gekürzt. Auch bei den Gründen
für Kinder sind Nr. 2 (Lebensnachstellung) und 5 (Lebensnach-
stellung unter Eltern), sowie Nr. 6 (Krankheit) und 7 (Gefangen-
schaft) zusammengearbeitet, und in Nr. 5 fehlt die quellen-
lniissige Ausdehnung auf Verderbnis des Verstandes.
Neu ist aber für das Bayrische Recht die Einstellung der
Generalklausel, nach welcher „andere dergleichen (Ursachen)
von der nämlich — oder noch grösseren Stärke nicht ausge-
schlossen sind“ ’).
III. Auch das Allgemeine Preussische Landrecht bemüht
sich, die durch die Rezeption gemeinrechtlich gewordenen
römischen Enterbungsgründe zu modernisieren s). Es stellt
allerdings einen diesen nicht entlehnten Fall an die Spitze,
welchen bereits das alte Preussische Recht kannte3), nämlich
den Fall, wenn ein Kind „des Hochverrats oder des Lasters
der beleidigten Majestät gegen die Person des Oberhaupts im
Staate schuldig erkannt worden“. Er war inzwischen durch
ein besonderes Gesetz vom 11. Januar 1774 festgestellt. Sodann
aber folgen die Justinianischen Fälle ohne Nr. IV (malefici),
VIII (Gefangenschaft), IX (Testierhindernis) und XIV (Ketzerei),
und in abgeänderter Reihenfolge.
Dem Coccpjischen Projekt gegenüber schränkt also das
Landrecht die Fälle noch weiter ein, insoferne der Grund der
Ketzerei weggelassen ist. Dagegen steht hier Nr. VII (Sykophantie),
sei es auch in besonderer Gestalt, unter den Enterbungsgriinden,
Nr. VIII wird durch die allgemeine Fassung von Nr. XII
(Geisteskrankheit) gedeckt und die Bestimmung unter Nr. IX
(Testierhindernis) ist durch eine an anderer Stelle angeordnete
Erbunfähigkeit ersetzt worden4).
Im übrigen hat man dem Coccejischen Muster sich mehr-
fach an geschlossen &).
') III, 3, 16, 5 to.
*) II. Teil, 2. Titel, §§ 399 ff.
*) S. oben S. 89 und 119.
‘) Vgl. ALR. I, 12, 6üö.
s) So in Nr. I (§ 402), wo allerdings nur die „leiblichen“ Eltern genannt
sind, aber die Erwähnung der „wirklichen“ Notwehr und der Anstiftung von
Cocceji stammt. Die mittelbare Täterschaft (Anstiftung) ist dann auch fitr
Merkel, Knterkungsgriinde 9
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130
Eine neue Form erhielt Nr. III (Kriminalanklage) (§ 401),
wo jetzt nur noch von einer wider besseres Wissen erfolgenden
falschen Anschuldigung die Rede ist, und zwar wegen eines
„Verbrechens, auf welches eine härter als Geld- oder blosse bürger-
liche Gefängnisstrafe verordnet ist“. Weil die verleumderische An-
zeige hier bereits ihre Erledigung gefunden hat, so ist für
Nr. VII (Sykophantie), wie in älteren Rechtsaufzeichnungen '),
nur die beträchtliche Vermögensbeschädigung übrig geblieben,
wenn sie „durch grobe Verbrechen“ geschieht; ja mau fühlt
sich an den alten Fall aus der Schwabenspiegelgruppe über
die laesio enormis erinnert2), wenn fortgefahren wird, dass die
Beschädigung wenigstens den Betrag des dem Kinde sonst zu-
kommenden Pflichtteils erreicht haben müsse (§§ 406/7).
Bei Nr. V (Lebensnachstellung, § 400) werden die Stief-
eltern den leiblichen Eltern gleichgestellt, was im I. Falle
(Realinjurie) absichtlich nicht geschah.
Eine erhebliche Erweiterung erfährt Nr. X, indem nicht
nur, wie sonst, das Herumtreiben mit einer für liederlich an-
gesehenen Gesellschaft, darin begriffen wird, sondern es schon
genügt, wenn das Kind im allgemeinen „durch grobe Laster,
schändliche Aufführung oder durch die Wahl einer nieder-
trächtigen Lebensart sich bei seinen Standesgenossen öffentlich
entehrt habe“; Voraussetzung ist nur die „erhaltene ehrbare
Erziehung“ (§ 409). Auch Nr. XII wird in ähnlicher Weise
verallgemeinert: „Wenn das Kind den Erblasser, als derselbe
notleidend gewesen, nicht hat unterstützen wollen“ (§ 408).
Endlich ist noch der erheblichen Einschränkung von
Nr. XI (§ 412) zu gedenken, indem den Eltern — und nur
diesen — bloss das Recht zur Entziehung des halben Pflicht-
teils zuerkaunt wird, wenn Kinder unter 24 Jahren ohne den
elterlichen Konsens heiraten oder durch unehelichen Beischlaf
•lie folgenden drei Fälle (II: Realinjurie, III: Kriminalanklage und V:
I.ebensiiachstellung) angenommen worden (§§ 400,401,403,404). Bei Nr. VI
(Inzest) (§ 405) findet sich ferner die Ausdehnung auf die leiblichen Eltern
(s. oben S. 125) und in § 410 wird, wie im Projekt des Corp. iur. Frid., jede
weitere Ausdehnung der angeführten Fälle ausgeschlossen.
’) Vgl. oben S. 111 N. 2
>) Vgl. S 1 18 N 0.
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131
diesen Konsens erzwingen wollen1). Das sittenlose Leben der
Tochter nicht allein, sondern der Kinder überhaupt ist aber
bereits durch die dem Falle X gegebene Form gedeckt worden.
Die Gründe für Kinder werden im Preussischen Landrechte
neu gestaltet. Folgerichtig fallen, wie für die Aszendenten,
Nr. 4 (Testierhindernis), 7 (Kriegsgefangenschaft) und 8 (Ketzerei)
fort und tritt der erste der oben genannten Fälle neu hinzu2).
Aber auch Nr. 5 (Lebeusnachstellnng unter Eltern) ist aus-
gelassen. Erhalten sind eigentlich nur Nr. 1, welches der obigen
Nr. III nachgebildet ist, aber mit der Einschränkung auf
„grobes Verbrechen, worauf in den Gesetzen Zuchthaus — oder
Festungsstrafe verordnet ist“; ferner Nr. 2 in der Form: dem
Erblasser oder dessen Ehegatten oder Abkömmling nach dem
Leben stehen“ — wobei die mittelbare Täterschaft, wie bei 1,
berücksichtigt wird — und Nr. 3: .mit dem Ehegatten des
enterbenden Kindes während der Ehe ehebrecherischen Umgang
pflegen“. Dagegen ist der Tatbestand, welcher sonst unter
Nr. 6 (Vernachlässigung in Armut, Krankheit u. dgl.) zusammen-
gefasst zu werden pflegt, in eine Reihe von Bestimmungen auf-
gelöst, welche von dem ganzen Umfange der elterlichen Ver-
pflichtungen ausgehen. Es heisst: wenn die Eltern „durch
üble Behandlung der Gesundheit des Erblassers einen erheb-
lichen und dauernden Schaden boshafter Weise zugefügt haben“,
einschliesslich wieder der mittelbaren Täterschaft; sodann:
„Wenn der Enterbte bei der körperlichen oder sittlichen Er-
ziehung des Enterbenden die nach den Gesetzen ihm obliegenden
Pflichten gröblich verletzt hat“; zuletzt: „Wenn er sich der
gesetzmässigen Obliegenheit zur Ernährung des ohne grobes
Verschulden in Mangel und Elend geratenen Kindes bei eigenem
hinreichenden Vermögen dazu vorsätzlich entzogen hat“.
Nach dem Preussischen Landrecht hat sich in mancher
Hinsicht die Gesetzgebung eines kleineren Rechtsgebietes ge-
richtet: die Castellische Landesverordnuug „über die herkömm-
liche eheliche Gütergemeinschaft, wie auch über Eheverträge,
') Der zuletzt genaunte Fall des ausserebelichen Beischlafes rührt eben
falls schon von Cocceji her; s. oben S. 125 N 5 das zweite Zitat.
») ALB. II, 2, 50<i ff.
U*
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132
letzte Willen und Vormundschaften vom 1. August 1801“, vom
Regierungsdirektor Johann Heinrich Müller verfasst *). Der
Redaktor hat hier ebenfalls die Justinianischen Enterbungs-
gründe oder wenigstens einen Teil derselben zum Landesgesetz
gemacht. Er entfernt nur den XIV. = 8. Grund, die Ketzerei,
während die übrigen nicht besonders erwähnten Fälle der Ent-
erbungsgründe für Aszendenten, Nr. IV (malefici) und XIII
(Kriegsgefangenschaft), uuter anderen Fällen — nämlich unter
X (Schauspielergewerbe) und VIII (Gefangenschaft) — mit
verstanden werden können. Bei Nr. III heisst es: „wenn (das
Kind) seine Eltern peinlich anklagt, ohne durch Staatsgesetze,
wie beim Hochverrat, um seiner selbst willen dazu gezwungen
zu sein“; das Gegenstück hierzu bildet bei Nr. 1 die Nötigung
„wegen den ihnen obliegenden öffentlichen Pflichten“: es sollte
also jedenfalls, wie anderwärts2), bei dieser Gelegenheit an
die Anklagepflicht erinnert werden. Bei der Darstellung von
Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) ist wieder, wie im römischen
Vorbilde, nur vom „Hurenleben“ die Rede, übrigens ohne Fest-
setzung eines Unterscheidungsalters3), und auch in anderen
einzelnen Fällen, wie z. B. Nr. VIII (Gefangenschaft) und IX
(Testierhindernis), sucht der Verfasser sich möglichst dem
römischen Vorbilde anzupassen. Ebenso sind die Justinianischen
Fälle für Kinder, ausser Nr. 8 (Ketzerei), sämtlich und in der
Reihenfolge des Gesetzes aufgezählt.
IV. Die Castellische Verordnung enthält wohl den letzten
Versuch, welchen eine der deutsch geschriebenen Gesetzgebungen
gemacht hat. die Justinianischen Enterbungsgründe in grösserem
Umfange in sich aufzunehmen. Denn das Zivilgesetzbuch für
die Stadt und Republik Bern von 1827 4) ist nichts, als eine mo-
dernisierte Fassung der alten Satzung von 1539 und 1614, welche
') Bei Georg Michael Ritter v. Weber, Darstellung der sämtlichen
Provinzial- und Statutarrechte des Königreichs Bayern, II. Band, I. Teil, 1838,
S. 451 ff. (§ HO), S. 454 (g 114).
») Vgl. oben S. 109 und S. 126 N. 4.
aj Die blosse „Schwächung“ soll nicht schaden! vgl. Lüueburg oben
S. 101.
*) 2. Teil : Sachenrecht, l.Hanptstück: dingliche Rechte, mit Anmerkungen
von S. L. Schnell, 1827, S. 216: 547. Satzung.
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133
letztere übrigens auch nur eiuige Fälle rezipierte *), und in
Basel bat man im Jahre 1849 die Gerichtsordnung von 1719,
eine Nachbildung des Württembergischeu Landrechts von 16102),
wörtlich wiederholt. Im übrigen pflegte man zum eklektischen
Verfahren des deutschen Mittelalters zurückzukehren und liess
namentlich Fälle verschwinden, die, wie Nr. IV (malefici und
Umgang mit solchen) und die von der Befreiung aus der Ge-
fangenschaft handelnden Bestimmungen Nr. VIII und XIII, als
nicht mehr zeitgemäss erscheinen mussten, obgleich die Pan-
dektenlehrer sie in ihren Darstellungen als Bestandteile des
gemeinen Rechtes weiterführten. Auch der religiöse Glaube
wurde im 19. Jahrhundert nur einmal noch, von der öster-
reichischen Gesetzgebung, als Enterbungsursache anerkannt.
1. Am gründlichsten hat zuerst der Code Napoleon aufge-
räumt. In ihm ist von den Justinianischen Fällen nur Nr. VII
übrig gelassen: „celui qui a portö contre le döfunt une accu-
sation capitale jugce calomnieuse“ 3). Aber die Einstellung
dieses Grundes erfolgte auch in einem völlig anderen Sinne,
als in demjenigen der römischen Enterbungsgründe. Zunächst
ist er gegenüber jedem Erblasser gültig und bezieht sich nicht
mehr nur auf das Verhältnis unter Aszendenten und Deszen-
deuten, sodanu ist er überhaupt kein „Enterbungs“grund mehr,
vielmehr ein „Indignitäts“grund, kraft dessen mau von der
Erbfolge „ausgeschlossen“ ist4). Die beiden anderen daneben
stehenden Fälle sind wahre Indignitätsgründe des römischen
Rechts.
') Vgl. oben S. 74 ff., besonders S. 75 N. 4. Jetzt heisst der erste Enterbungs-
grund: wenn der Nachkomme dem Erblasser (d. h. nur: Vater oder Matter)
geflucht oder ihm eine grobe Ehrverletzung zugefilgt, der zweite: wenu er
ihn „tätlich misshandelt“ hat, der dritte: „wenn er wegen eines peinlichen
Verbrechens mit Schellenwcrkstrafe belegt worden“, der letzte: wenn er
„während seiner Minderjährigkeit eine Ehe vollzogen, gegen welche der Ein-
spruch des Erblassers gegründet erfunden worden“.
•) Oben 3. 92.
») Art. 727.
*) Zöpfl lobt deshalb in der Zeitschrift für deutsches Hecht, V S. 127,
dieses Verfahren als „eine glückliche Rückkehr zu einem Grundsätze des
alten deutschen Hechts* und erinnert an den Sachsenspiegel (oben S. 46 ff.).
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184
2. Etwas mehr ist im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetz-
buch für Österreich stehen geblieben1): nämlich Nr. X (Schau-
spielergewerbe) in der Gestalt: wenn ein Kind „eine gegen die
öffentliche Sittlichkeit anstössige Lebensart beharrlich führet“,
Nr. XII (Geisteskrankheit): wenn es den Erblasser im Not-
stände hilflos gelassen hat, und Nr. XIV : wenn es vom Christen-
tum abfällt. Auch entspricht es dem neueren Gebrauche, die
Verurteilung wegen schwerer Verbrechen an sich hierher zu
stellen®), in der Weise, dass das Mass der Strafe: hier lebens-
lange oder zwanzigjährige Kerkerstrafe: festgesetzt wird.
Daneben sind aber „Ursachen der Unfähigkeit“, welche
den Erben „des Erbrechts unwürdig machen“ (Art. 540 — 542)
als Enterbungsgründe für „Noterben“ zugelassen (Art. 770),
und diese kommen zum Teil wirklichen Enterbungsgründen
des römischen Rechtes nahe, so besonders die Bestimmung
(Art. 542) für denjenigen, der den Erblasser „an der Erklärung
des letzten Willens gehindert“ hat, dem römischen Falle IX,
welchem er auch entnommen sein wird. Durch das Ehegesetz
für Katholiken vom 8. Oktober 1856 (§ 32) wurde sodann ein
dem Justinianischen Falle Nr. XI (Ungehorsam der Tochter)
gleichzustellender neuer Enterbungsgrund geschaffen 3).
Dieselben Gründe, wie für die Enterbung von Kindern,
werden im ABG. auch für die Enterbung von Eltern durch
ihre Kinder für massgebend erklärt (§ 769), wozu noch eiu
der Justinianischen Nr. 6 entsprechender hinzutritt, ähulich
dem Preussischen Allg. Landrecht4): „wenn sie das Kind in
der Erziehung ganz verwarloset haben“.
Das Gesetz beschränkt das Enterbuugsrecht auf diese
Fälle; eine Generalklausel, wie im Codex Theresianus und im
*) §§ 768 ff. Die Vorarbeit hierzu, der Martinische Entwurf resp. das
s.g. Westgalizische Gesetzbuch vom 18. Februar 1797 (II, §§ 579, 581), scheint
nach Unger, Das österreichische Erbrecht, 2. Auf!. (1871), § 83, N. 3, noch
dem Theresianischen Vorbilde (oben 8. 126) gefolgt zu sein.
*) Vgl. früher im Preussischen Recht die Verurteilung wegen Hoch-
verrats und Majestfttsverbrechens (oben S. 129) und nachher im Bernischen
Gesetzbuch: oben 8. 133 N. 1.
') Vgl. Gruchot, Erbrecht III S. 153 N. 2.
*) Vgl. oben S. 131.
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135
Codex Maximiliaueus '), ist nicht eingestellt. Aber es enthält
doch (§ 771) die Bestimmung, dass die Euterbuugsursachen „in
Worten und dem Sinne des Gesetzes gegründet sein müssen“,
und diese Bemerkung wird darauf gedeutet, dass eine sinn-
gemässe Ausdehnung, z. B. von der Verurteilung zu schwerer
Kerkerstrafe auf die Verurteilung zur Todesstrafe, nicht aus-
geschlossen sei *).
So gilt das Gesetz in der österreichischen Monarchie uocli
heutzutage; nur der Enterbungsgrund des Abfalles vom Christen-
tum, sowie der im Jahre 1856 neu aufgestellte sind durch Ge-
setz vom 25. Mai 1868 (Art. 7) beseitigt worden 3).
3. Der grossherzoglich-hessische Entwurf eines bürgerlichen
Gesetzbuches (1845 — 1853) schloss sich dem von Österreich ge-
gebenen Vorbilde an4), freilich nur mit Beziehung auf die
Gründe für Eltern. Diese sind, wie dort, Nr. X („eine gegen
die öffentliche Sittlichkeit anstossende Lebensart beharrlich
fortführen*) und Nr. XII („in hilfsbedürftiger Lage böslich
verlassen oder in solcher Lage die verlangten und in seinen
Kräften gestandene Unterstützung versagen“), aber der Grund
der Ketzerei fällt weg und Nr. I ist hinzugefügt: „dem Erb-
lasser oder dessen Ehegatten bedeutende körperliche Misshand-
lungen zufUgen“. Dagegen wird den Kindern absichtlich ein
gleiches Recht gegenüber den Eltern abgesprochen: „denn die
Wächter über Zucht und Ordnung in den Familien sind die Eltern,
nicht die Kinder“, und „die Gewalt und der Einfluss“ der Eltern
würde nach der Ansicht des Gesetzgebers „geschwächt, ihr Ansehen
in den Augen der Kinder herabgesetzt werden, wenn das Ge-
setz auch den untergeordneten Familiengliedern eiu Recht ver-
liehe, welches nur dem zukommt, der an der Spitze der Fa-
milie steht“. Übrigens hat der Entwurf auch noch insofern
eine allgemeine Milderung geschaffen, als er ein volles Ent-
erbungsrecht gar nicht mehr zulassen, sondern in allen Fällen nur
eine Herabsetzung des Pflichtteils auf die Hälfte gestatten wollte.
') Vgl. oben S. 127 N. 1 und S. 129 N. 1.
’) Vgl. J. Unger, Das österreichische Erbrecht, 2. Aufl. (1871) 8.352
(§ 83 N. 6).
*) Vgl. Unger a. a. 0. N. 4 und 8 (S. 353).
*) Art. 116; Tgl. Gruchot, Erbrecht 111 S. 155.
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136
4. Audi im privatrechtlichen Gesetzbuche für den Kanton
Zürich von 1856 l) finden sich die Fälle X und XII wieder:
„sich einer liederlichen oder entehrenden Lebensweise hingeben“,
uud : „in grosser Not auf eine lieblose Weise im Stiche lassen
oder sonst auf eine grobe Weise die dem Erblasser gebühren-
den verwandtschaftlichen Rücksichten verletzen oder beharrlich
missachten“. Ausserdem aber gilt noch nach preussischem uud
anderweitigem Muster*) die Verurteilung zu einer schweren
Strafe als Enterbungsursache, nämlich dann, wenn dieselbe
wegen eines „gemeinen (nicht politischen) Verbrechens“ erfolgte,
das „eine entschieden niedere und unmoralische Gesinnung ver-
rät“. Diese Enterbungsgründe gelten von jedem pflichtteils-
berechtigten Erben, nicht unter Aszendenten uud Deszen-
denten allein.
5. Dem Österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetz-
buch war die „Würde, Schouung uud Zartheit im Ausdruck“
nachgerühmt worden, mit welcher es die vorliegende Materie
behandelt habe, „ohne der Sache etwas zu vergeben“, im
Gegensätze zu den „derben, das Zartgefühl eines kultivierten
Zeitalters, ja mau kann sagen den öffentlichen Anstand be-
leidigenden Ausdrücken, womit die Enterbungsursachen in
anderen Gesetzbüchern vor Augen gelegt werden“ *). Dieses
Urteil erscheint als ein voll begründetes, wenn man sich z. B.
der naiven Weise erinnert, in welcher nicht selten das Delikt
im XI. der Justinianischen Fälle (Ungehorsam der Tochter)
dargestellt worden ist4). Indessen darf auch nicht vergessen
werden, dass ein ansehnlicher Teil der in der Novelle 115 auf-
gestellten Gründe dem modernen Rechtsbewusstsein überhaupt
nicht mehr entsprach.
Da erschienen denn die Thüringischen Erbrechtsgesetze
aus den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts 5) fast wie
') Mit Erläuterungen herausgegeben von Bluntschli, Redaktor des
Gesetzes, IV S. 128 ff. (§ 2042).
^ Oben 8. 134 N. 2.
*) So Zeiller in seinem Kommentar zu dem Gesetzbuch, II S. 778,
welchem Unger a. a. 0. N. 3 beitritt.
4) Vgl. noch S. 132 X. 3 oben.
*) Sie sind folgende: Grossherz. S.-Weimar-Eisenachisches Gesetz vom
6. April 1833 über die Erbfolge obne Testament und Vertrag (bei F.v.Gdckel,
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137
eiu Rückschritt auf der verlassenen Bahn. Sie bringen übrigens
die Euterbungsgründe in einer Reihenfolge, welche für die
spätere Darstellung, namentlich auch für die in unserem BGB.
beobachtete, vorbildlich geworden ist. Auch wird hier schon
zwischen „Entziehung des Pflichtteils“ bei Eltern und Kindern
und „Enterbung“ bei den übrigen Pflichtteilsberechtigten unter-
schieden. In der nämlichen Weise besteht ein Unterschied
unter den Enterbungsgründen selber, indem die einen nur für
Eltern uud Voreltern gegenüber ihren „Abkömmlingen“ — ein-
schliesslich der Wahlkinder — aufgestellt sind, während die
andern für sämtliche Pflichtteilsberechtigte gelten.
Der ersten Gruppe gehören an1): wenn das Kind sich an
dem Erblasser auf strafbare Weise tätlich vergangen hat —
der Justinianische Fall Nr. I — , wenn dasselbe den Erblasser
durch schwerelnjurien („injuriaeatroces“) absichtlich beleidigt hat,
„wobei die Bildungsstufe, auf welcher sich die Familie befindet,
mit als massgebend — zu berücksichtigen ist“ — der II. der
Justinianischen Fälle, übrigens in Gotha fortgelassen — und:
wenn die Deszendenten sich eines blutschänderischen Umgangs
mit dem Ehegatten des Erblassers schuldig gemacht haben, in
welcher Form hier der VI. der Justinianischen Fälle wieder-
kehrt.
Für alle Pflichtteilsberechtigten wird festgestellt*): wenn
sie den Erblasser oder eine zu dessen nächster Familie ge-
hörige Person*) eines peinlichen Verbrechens, dafern dasselbe
seiner Gattung nach (oder: in thesi) wenigstens mit Zuchthaus
Sammlung Grossherz. S.-Weimar-Eisenachischer Gesetze usw., 4. Teil = 5. Bö.
[1835] S. 178), das gleichlautende Gesetz von Reuss ä. L. vom 22. Januar 1841
(§§81—94; vgl. C. W. F. Heimbacb, Lehrbuch des partikulären Privat-
rechts der zu den OAGericbten Jena und Zerbst vereinten Länder, II [Nach-
trag], 1853, S. 316/7), das fast gleichlautende Herz. Sachsen-Altenburgische
Gesetz vom 6. April 1841 (Gesetzsammlung, Stück V [1841] S. 81 ff. : §§ 100 — 103)
und das Herz. Gothaische Gesetz vom 2 Januar 1844 (Gesetzsammlung, V.Baud,
Nr. 261, S. 117 ff.: §§ 75—77). *
’) Weimar § 93, Altenburg § 101, Gotha § 76.
*) Weimar § 92, Altenburg § 100, Gotha § 75.
*) Der Begriff „nächste Familie“ wird im Gesetz definiert als : Ehe-
gatten, Abkömmlinge, Eltern, Voreltern und Geschwister ohne Unterschied
zwischen voll- und halbbürtiger, Bluts- und Wahlverwandtschaft.
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138
bestraft wird, wider besseres Wissen *) fälschlich vor Gericht
angeschuldigt haben 2) — Nr. III unter den Enterbungsgründen
der Novelle — , wenn sie dem Erblasser oder einer zu dessen
nächster Familie gehörigen Person nach dem Leben getrachtet
oder dergleichen Nachstellungen anderer absichtlich nicht ver-
hindert haben*) — Nr. V — , wenn sie den Erblasser an Er-
richtung eines letzten Willens durch Gewalt, Drohungen oder
List zu hindern oder denselben auf gleiche Weise zu eiuer
ihnen günstigen Verordnung zu bestimmen versucht haben —
Nr. IX, erweitert um die zuletzt angegebene Idee — und end-
lich Nr. XII in der Fassung des hessischen Entwurfes (oben
S. 135). Früher galt auch noch der XI. Fall (Ungehorsam der
Tochter) in verschiedenen Variationen4).
Diesen Gründen ist noch die Verurteilung zu eiuer mehr
als dreijährigen (in Gotha zehnjährigen)5) Zuchthausstrafe oder
einer derselben gesetzlich gleichkommenden oder härteren Strafe
gleichgestellt worden.
Die oben genannte erste Gruppe der Gründe zur Pflicht-
teilseutziehung bezog sich nur auf die Enterbung der Abkömm-
linge. Diesen selber wird ein Recht, den Aszendenten das
gleiche anzutun, nur in besonderen Fällen verliehen6). Die
Gründe sind hier zum Teil neu : so das Verbrechen der Kindes-
aussetzung, begangen am Erblasser (Weimar), oder: sonst sich
jeder pflichtmässigen Fürsorge für den Erblasser gänzlich und
boshaft entschlagen, ferner das Verbrechen der Kuppelei,
wiederum vorausgesetzt, dass es an dem Erblasser selbst be-
gangen worden ist. Aber es findet sich auch der Justinianische
Fall Nr. 3: blutschänderischer Umgang mit dem Ehegatten
des Erblassers, und Gotha fügte in wörtlicher Anlehnung an
das Preussische ALR. hinzu: „wenn er (der Aszendent) dem
■) Vgl. hierzu das Preussische ALR. üben 8. 13Ü.
s) In Weimar genügte scheu die Anschuldigung wegen jedes „peiulicheu
Verbrechens“ ohne Beschränkung uach dem Strafmasse.
*) Vgl. wieder das preussische Vorbild oben S. 124 beim Falle I.
‘) Vgl. Heimbach a. a, 0., I. Band (1848), § 294, N. 1 (S. 556).
*) Gotha hat dafür auf die Voraussetzung, dass das Verbrecheu kein
„bloss kulposes“ sein dürfe, verzichtet.
•) Weimar § 94, Altenburg § 102, Gotha § 77.
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Erblasser durch üble Behandlung einen erheblichen und dauern-
den Schaden an der Gesundheit böswillig zugefügt hat“ ’).
6. Das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen
vom Jahre 1863 hat sich ebenfalls wieder mehr dem römischen
Vorbilde zugeneigt. Die Redaktoren machten sich bei der
Ausgestaltung der Enterbungsgründe die jüngeren deutschen
Vorarbeiten, insbesondere die Thüringischen Gesetze, zunutze.
Sie gehen ebenfalls von dem Unterschied aus zwischen Gründen,
aus welchen jeder Erblasser seine „pflichtteilsberechtigten Ver-
wandten ganz oder teilweise von dem Pflichtteil auszuschliessen,
zu enterben“ das Recht hat, und Gründen, welche nur die As-
zendenten berechtigen, ihre Abkömmlinge zu enterben. Ferner
findet sich die Ausdehnung auf die Wahlverwandtschaft und
die Definition der nächsten Verwandten (hier beim V. Grunde:
Lebensnachstellung), wie dort. Aber in der Auswahl der
einzelnen Fälle verfuhr man zum Teile anders. So gehört
zwar zu den Enterbungsgründen für Aszendenten (§ 2576), wie
überall, Nr. I, das Sich-tätlich-vergreifeu, ausserdem jedoch nur
noch Nr. XI: wenn die Deszendenten, ohne die Einwilligung
jener zu suchen, „sich in einem Falle verehelicht haben, ivo ein
ausreichender Grund zur Verweigerung der Einwilligung vor-
handen war (vgl. 1664)“. Verbalinjurie ist also absichtlich be-
seitigt. Dagegen stimmen die allgemeinen Enterbungsgründe
(§ 2275) mehr mit dem Thüringer Vorbilde überein. Denn die
Fälle III (Krimiualanklage), V (Lebeusnachstellung) und XII
(in hilfsbedürftiger Lage böswillig verlassen) gelten auch hier,
Nr. III so: „wenn der Pflichtteilsberechtigte wider den Erb-
lasser oder dessen Ehegatten (nicht auch andere Angehörige!)
das Strafverfahren wegen eines Verbrechens, welches im ge-
setzlichen Strafsatze mit Arbeitshaus oder einer höheren
Strafe bedroht ist, absichtlich wider die Wahrheit veranlasst
hat“. Nr. V und XII lauten sogar wörtlich mit der Thüringer
Vorlage gleich , letzteres demnach auch mit dem hessischen
Entwürfe2). Indessen IX (Testierhindernis), welches dort zur
Enterbung diente, steht im sächsischen Gesetzbuche nur unter
') Vgl. oben S. 131.
*) Oben S. 138.
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140
den Gründen der Erbunwürdigkeit (§ 2277), und zwei andere
Fälle, die Modernisierung von Nr. X (Führung eines ver-
brecherischen und sittenlosen Lebenswandels), welches Öster-
reich, Hessen, Zürich rezipiert hatten“’), sowie die in den
neueren Gesetzgebungen so vielfach gleichgeachtete Verurteilung
zu einer besonders schweren Strafe, fanden die Zustimmung
der Stände beim Gesetzgebungsakte nicht. Denn man nahm
an, dass in solchen Fällen die Beschränkung des Schuldigen
auf den Pflichtteil ausreiche*).
V. Als mau nun daran ging, das bürgerliche Recht für
das Deutsche Reich zu kodifizieren, war eine der ersten
Äusserungen unter den zur Neugestaltung desselben gemachten
Vorschlägen der von Friedrich Momrasen verfasste „Entwurf
eines deutschen Reichsgesetzes über das Erbrecht, mit Motiven“
(1876)3). Seine Bestimmung der Enterbungsgrüude schliesst
sich offenbar ziemlich eng an das sächsische Gesetzbuch an.
Unter die eigentlichen „Enterbungsgründe“ (für Aszendenten)
ist aber neben Nr. I (tätliche Vergreifung) wieder der X. Grund
aufgenommen: wenn die Abkömmlinge „eine gegen die öffent-
liche Sittlichkeit verstossende Lebensweise gewerbsmässig
führen“, wobei die Hervorhebung der Gewerbsmässigkeit neu
ist. Übergehung des Ehekonsenses (Nr. XI) wird nicht mehr
als Enterbungsgrund vorgcschlagen. Die Verhinderung an der
Errichtung einer letztwilligen Verfügung ist, wie jetzt über-
haupt, endgültig unter die „Unwürdigkeitsgründe“ verwiesen
(§12 Nr. 2). Hinsichtlich der allgemeinen Gründe zur Ent-
ziehung des Pflichtteils folgt Mommsen dem sächsischen Gesetz-
buche vollkommen — nur bei Nr. III heisst es „Zuchthaus“
anstatt „Arbeitshaus“ — , fügt indessen, mit den Thüringischen
Erbgesetzen, wieder Nr. VI hinzu in der Weise: „wenu der
Pflichtteilsberechtigte fleischlichen Umgang mit dem Ehegatten
des Erblassers gepflogen hat, es sei denn, dass er nur der
verführte Teil gewesen ist“. Die letztere Klausel, welche an
') oben S. 134, 135 nml 136.
*) E. Siebenhaar, Kommentar zu dem BGB. für das Königreich
Sachsen, III, 1865, S. 395
*) §§ 490/1, S. 120:1, vgl. S. 470 ff.
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141
alte Vorbehalte zu Nr. XI (Ungehorsam der Tochter) erinnert1),
würde wohl, wenn sie Gesetz geworden wäre, dem erkennenden
Richter einige Schwierigkeiten in ihrer Anwendung zu bereiten
geeignet gewesen sein.
Die erste Lesung des Entwurfes eines BGB. für das
Deutsche Reich (§ 2001) folgt so ziemlich den Mommsenschen
Vorschlägen hinsichtlich der aufgenommenen Fälle, schaltet
aber die unsittliche Lebensweise (Nr. X) aus und nimmt Nr. XI:
Eheschliessung ohne die erforderliche Einwilligung des Erb-
lassers: wieder auf (gleich dem sächsischen Gesetzbuche). Auch
finden sich in der Gestaltung der einzelnen Fälle einige
Originalitäten. So wird (Nr. I) die vorsätzliche körperliche
Misshandlung *) des Ehegatten des Erblassers der Misshandlung
des Erblassers selbst nur dann gleichgestellt, wenn der Miss-
handelte ein leiblicher Eltern- oder Vorelternteil des Miss-
handelnden ist. Bei Nr. III (wissentlich falsche Anzeige bei
einer Behörde) kommt es nur darauf an, dass die Beschuldigung
wegen eines Verbrechens oder Vergehens erfolgte, ohne Rück-
sicht auf die Höhe der Strafe. Diesem Falle wird sodann der
andere angefügt: wenn der Abkömmling in einer Straf- oder
Disziplinarsache vorsätzlich zum Nachteil des Erblassers oder
dessen Ehegatten als Zeuge oder Sachverständiger eines Mein-
eides sich schuldig gemacht hat. Zur Erläuterung dieses Bei-
satzes wird in deu Motiven bemerkt3), dass der wissentliche
Meineid zum Nachteile des Erblassers „den meisten geltenden
Rechten als Enterbungsgrund bekannt“ sei; indessen eine aus-
drückliche Erwähnung dieses Falles ist bisher nicht vor-
gekommen, und man kann nur annehmen, dass derselbe als ein
Anwendungsfall unter Nr. VII (wissentlich falsche Anschuldigung)
mit begriffen worden sein möchte. Erwähnenswert ist auch
noch, dass die Lebeusnachstellung (Nr. V) auf die an einem
') Vgl. S 89 (das Pfälzische Landreclit von 1582).
") Dieser Ausdruck ist nach dem Eeichsstrafgesetzbuch § 223 gebildet;
ebenso soll die Wahl der Worte: „sich schuldig machen“: den Fall der Not-
wehr ausschliessen , und Handeln als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe nach
strafrechtlichen Grundsätzen, wo denkbar (d. h. in den Fällen I, III und V),
dein eignen Handeln glciehstehen. Vgl. Motive V S. 431.
*) Band V S. 433.
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142
anderen Abkömmlinge oder an dem Ehegatten des Erblassers
begangene ausgedehnt wird, und dass die Kinder aus denselben
Ursachen ihre Eltern enterben können, welche diesen ihnen
gegenüber gegeben sind, mit Ausnahme des I. (Misshandlung)
und selbstverständlich des XI. Falles (§ 2003).
Die Scheidung zwischen den nur den Aszendenten ein-
geräumten Euterbungsgründen und den allgemeinen Gründen
für Entziehung des Pflichtteils hat der Entwurf fallen lassen,
und er trennt von jenen Entziehungsgründen nur noch die be-
sonderen unter Ehegatten geltenden (§ 2005).
Die Kritik rügte an dem Entwürfe vor allem die Weg-
lassung von Nr. X (unsittlicher Lebenswandel), infolge deren,
wie man mit Recht bemerkte *), — gegenüber der Beibehaltung
von Nr. XI (Umgehung des elterlichen Ehekonsenses) — die
Möglichkeit bestand, da«s eine Tochter wohl wegen unkonsen-
tierter Heirat, nicht aber wegen unsittlichen Lebenswandels
enterbt weiden konnte. Der Bährsche Gegenentwurf ging noch
viel mehr auf das sächsische und Mommsensche Vorbild zurück*).
Darauf fand im Entwürfe zweiter Lesung (§ 2198) eine
nicht unerhebliche Umgestaltung statt, indem zunächst jenem
Wunsche nach Einfügung einer dem Justinianischen Falle
Nr. X entsprechenden Bestimmung Rechnung getragen wurde s).
Dafür hat man mehrere der in der ersten Lesung aufgenommenen
') Wilke in »Gutachten aus dem Anwaltstande über die l.Lesnng des
Entw. c. BGB.“, 1890, S. 1000 und 0. Gierke, Der Entw. e. b. GB. und dag
deutsche Recht, veränderte und vermehrte Ausgabe, 1889, S. 542. Über die
der zweiten Lesung vorangegangeuen Verhandlungen s. Protokolle der Kom-
mission für die 2. Lesung nsw., Band V (1899) S. 553 — 565 und 579.
’) Vgl. 0. Bähr, Gegenentwurf zu dem Entw. e. BGB. f. d. Dtsch. Reich,
1892, S§ 1779/80. Er trennt wieder die Fälle der Enterbnng von Kindern
nnd die von anderen Pflicbtteilsberechtigten und rechnet zu jenen die Fälle
I (Realinjurie) und XI (Umgehung des Ehekonsenses), zu diesen Nr. III:
wissentlich falsche Anzeige wegen eines Verbrechens oder Vergebens und
»wissentlich in einer Rechtssache falsches Zeugnis ablegen“, Nr. V: Lebens-
nnchstellung »oder sonst ein schweres Verbrechen gegen den Erblasser, seinen
Ehegatten oder sein Kind begehen“, VI (Inzest) und XII: »bei einem Not-
stände des Erblassers die dem Pflicbtteilsberechtigten als nächsten Ange-
hörigen obliegenden Pflichten gröblich hintansetzen“.
*) In der jetzigen Form des § 2333 Nr. 5: »wenn der Abkömmling einen
ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des Erblassers führt“.
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143
Fälle beseitigt und an ihre Stelle die allgemeine Bestimmung
gesetzt: „wenn der Abkömmling sich eines Verbrechens oder
eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser
oder dessen Ehegatten schuldig macht“. Hier scheint in der
Fassung Bährs Gegenentwurf eingewirkt zu haben *), man beab-
sichtigte aber, in dieser Weise die weggelassenen Fälle III
(falsche Anschuldigung), VI (Inzest), auch den wissentlichen Mein-
eid zu ersetzen®). Ausserdem erhielten die Nr. I (Misshandlung),
V (Lebensnachstellung) und XII (Vernachlässigung) eine neue
Fassung, wie sie den jetzigen Fällen Nr. 2, 1 und 4 im § 2333
des BGB. entspricht3). Von den Enterbungsursachen für Kinder
wurde wieder nur der I. Fall (körperliche Misshandlung), jetzt
aber auch der X. : Vorwurf eines unsittlichen Lebenswandels,
gestrichen (§ 2199 bzw. 2334).
Auf diese Weise ist das zurzeit im deutschen Reiche
geltende Recht in betreff der Gründe für Entziehung des
Pflichtteils erwachsen, kaum auf dem Boden des Pandekten-
rechts oder des Usus modernus Pandectarum, welche den
Justinianischen Katalog noch ziemlich unversehrt mit sich
schleppten, vielmehr auf Grund einer konsequenten Fortent-
wicklung aus dem Schosse der deutschen Gesetzgebung heraus.
Man wird seiner jetzigen Gestaltung das Lob der Zurück-
haltung und des Zartgefühls nicht versagen können, welches
dereinst der neueren österreichischen Fassung erteilt worden
ist4). Nur wird sich in der praktischen Handhabung zu zeigen
haben, dass so weit gehende Einräumungen, wie das Bemessen
eines „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“, nicht zu einer
Schädigung des Rechtsgefiihls und Rechtsbewusstseins zu führen
vermögen.
Überblicken wir noch einmal das Schicksal, welches bis
') Vgl. 8. 142 N. 2 bei Xr. V.
*) Vgl. Denkschrift zum Entw. e. BOB., 1896, S. 30ä, und Protokolle
VI S. 320; 1.
*) Es ist nur an Stelle des Perfektums: getrachtet, gemacht, verletzt
„hat“ in den Nr. 1 — 4 die jetzige präsentische Form getreten. So übrigens
bereits im Entw, e. BOB. in der Fassung der Bundesratsvorlage §§ 2307/8
und in der dem Reichstage gemachten Vorlage §§ 2306/7.
*) Oben S. 136.
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144
zu dem soeben gewählten Abschlüsse den Fällen der Novelle
zuteil geworden ist, so ergibt sich, dass ausser den Fällen
Nr. IV, VIII und XIII, von welchen schon oben die Rede ge-
wesen ist *), auch die Fälle II (Verbalinjurie) und IX (Testier-
hindernis) aus der neuesten Gesetzgebung als Enterbungsgründe
verschwunden sind; der letzte spielt nur noch eine Rolle bei
der Erbunwürdigkeit, während allerdings die nicht in einer
körperlichen Misshandlung bestehende Beleidigung als ein
„schweres vorsätzliches Vergehen“ würde in Betracht kommen
können. Was die übrigen Fälle angeht, so findet sich Nr. I
als schwere körperliche Misshandlung überall, nur mit ver-
schiedenartiger Begrenzung in betreff der misshandelten Per-
sonen. Nr. III hatte vor dem BGB. noch eine grössere Be-
deutung in der vom Preussischen ALR. eingeführten Form ge-
wonnen, wonach nur eine wissentlich falsche Anschuldigung in
Betracht kommt; dadurch hatte zugleich der Justinianische Fall
Nr. VII (Sykophantie) seine Erledigung gefunden. Nr. V
(Lebensnachstellung) ist ebenfalls von den neueren Gesetz-
gebungen wieder aufgenommen worden. Nr. VI (Inzest) war
noch vom Entw ürfe erster Lesuug uud von Moramsen vorgeschlagen
worden, jetzt fällt es ebenfalls (wie II) unter § 2333 Nr. 3.
Für Nr. X (Schauspielergewerbe) haben die neueren Versionen
durchgängig den allerdings latenten , aber der heutigen An-
schauung sicher weit angemesseneren Ausdruck des unsittlichen
Verhaltens ohne nähere Detaillierung gesetzt. Auch Nr. XI
(Umgehung des Ehekonsenses) ist, abgesehen vom sächsischen
Gesetzbuche und der ersten Lesung unseres BGB., nicht mehr
als Enterbungsgrund beliebt worden; man hat sich hier mit
anderen Mitteln, wie Versagung der Aussteuer (BGB. § 1621),
begnügt. Nr. XII, Vernachlässigung in Geisteskrankheit, noch
vor kurzem (im hessischen Entwurf und im Züricher Gesetz-
buch, auch in Thüringen) von jeglicher Notlage verstanden, hat
man jetzt auf die böswillige Verletzung der gesetzlichen Unter-
haltspflicht eingeschränkt. Was endlich die Nr. XIV, den Fall
des Unglaubens, angeht, so musste sie, mit der einzigen oben
bemerkten Ausnahme*), der neueren Anschauung, dass in
Oben S. 133.
’) Oben S. 133 und 134.
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Glaubenssachcn keine benachteiligenden Rechtsunterscbiede im
Gebiete des bürgerlichen Rechts mehr gemacht werden dürfen,
und zugleich dem in dieser Richtung erfolgten gesetzlichen Ans-
spruche des deutschen Reichsrechtes (selbst in Pandekten-
Darstellungen) weichen.
In Beziehung auf das den Kindern verliehene Euterbungs-
recht haben es die Redaktoren des BGB. und seiner Entwürfe
nicht über sich vermocht, den Standpunkt des hessischen Ent-
wurfes anzunehmen, nach welchem ein solches Recht überhaupt
keine Anerkennung verdienen soll 1). Vielmehr haben sie sogar
diese Befugnis in einem grösseren Umfange , als die jüngst
vorangehenden gesetzgeberischen Äusserungen, wieder erneuert.
Natürlich mussten die den fortgefallenen Gründen der anderen
Gruppe korrespondierenden Fälle auch hier beseitigt werden,
so Nr. 4 (Testierhindernis), Nr. 7 (Kriegsgefangenschaft) und 8
(Unglauben), aber auch Nr. 5 (Lebensnachstellung unter Eltern)
wird nirgends mehr erwähnt. Dagegen war Nr. 1 in Form
einer wissentlich falschen Anklage noch im Entwürfe eines BGB.
erster Lesung enthalten, Nr. 3: blutschänderischer Umgang mit
dem Ehegatten des Erblassers: noch in Thüringischen Gesetzen *),
und den Enterbungsgrund der Lebensnachstellung (Nr. 2) sowie
einer Modifikation von Nr. 6 (Vernachlässigung) verleiht ja noch
das geltende Recht den Abkömmlingen (§ 2333 Nr. 4).
Nur ein Fall verdient noch der Hervorhebung, weil ihn
das preussische und österreichische Recht und diesen nach die
thüringischen Gesetze angenommen haben, obwohl er keiner von
den Justinianischen ist: die Verurteilung wegen schwerer
Delikte. Allein nachdem die Einstellung dieses Grundes von
der sächsischen Gesetzgebung ausdrücklich abgelehnt worden
war3), hat man ihn seitdem nicht mehr genannt.
Zum Schlüsse seien noch zwei neuere Gesetzentwürfe er-
wähnt, welche ebenfalls die Enterbungsgründe in sich auf-
*) Vgl. oben S. 135. Dass diese Auffassung keiue vereinzelte ist, zeigen
die Bemerkungen, welche Zachariae v. Lingentbal in seiner Geschichte
des griechisch-römischen Rechts, 3. Anfl. (1892) S. 171 und S. 173, 4 anlässlich
der Isaurischen Ekloga (oben 8. lfiff.) gemacht hat. Vgl. oben S. 17 N. 5.
*) Oben S. 138.
*) Vgl. oben 8. 140 N. 2.
Merkel, ButcrbtmgsgrUnde 10
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146
genommen haben, übrigens bekannten Vorbildern folgen. Der
eine ist der Entwurf des ungarischen Erbrechts von 1887 ’).
Ihm merkt man nicht nur, wie begreiflich, einen Einfluss des
österreichischen ABGB. an, sondern auch einen solchen des
sächsischen Gesetzbuches und wohl des hessischen und des
Mommsenschen Entwurfes von 1876. Er gestattet die Ent-
erbung der Abkömmlinge durch ihre Eltern und dieser durch
jene wegen Nr. III, in der Fassung ähnlich wie Sachsen (den
Erblasser oder dessen Ehegatten wissentlich wider die Wahr-
heit wegen eines Verbrechens anklagen), aber mit dem selb-
ständigen Zusatze: „so dass infolgedessen das Strafverfahren
eingeleitet wurde“ ; sodann wTegen Nr. V, aus derselben Quelle,
doch ebenfalls verändert: „wenn er dem Erblasser oder seinem
Verwandten auf- oder absteigender Linie, seinem Geschwister
oder Ehegatten nach dem Leben getrachtet, oder dergleichen
Nachstellungen anderer gefördert, erleichtert, oder, soweit es
ihm möglich gewesen, nicht gehindert hat“, und wegen Nr. XII
— wie es scheint, einer Mischung aus dem österreichischen
Gesetzbuch und dem hessischen Entwürfe — : den Erblasserin
hilfsbedürftiger Lage böslich hilflos lassen, obgleich dessen
Unterstützung in seinen Kräften gestanden hätte. Dazu tritt,
wie in Österreich, die Verurteilung wegen eines Verbrechens
zum Tode8) oder zu einer lebenslänglichen oder einer fünfzehn-
jährigen Zuchthausstrafe (Österreich normierte zwanzigjährige
Kerkerstrafe).
Die Enterbungsgründe, welche sonach hier den Abkömm-
lingen gegenüber ihren Eltern, übrigens auch den Ehegatten
untereinander, eiugeräumt werden, sind, abgesehen von dem
letzten, die gleichen wie im deutschen Entwürfe erster Lesung,
nur dass hier noch der 3. der Justinianischen Fälle, Inzest,
hinzukam.
Den Eltern allein ist, wie im Mommsenschen Entwürfe, die
Enterbung der Abkömmlinge gestattet, aus dem Grunde Nr. I :
sich an dem Erblasser gewalttätig vergreifen oder ihn sonst-
■) Verfasst von Stefan Teleszky, übersetzt von Kern: §§ 86, 94 n. 97.
*) S. oben S. 135 N. 2.
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wie tätlich beleidigen, und Nr. X, dessen Fassung wörtlich mit
dem ABGB. übereinstimmt1).
Der zweite der noch zu besprechenden Entwürfe ist der
Schweizerische von 19008). Er folgt offensichtlich dem Züricher
Gesetzbuch3) sowohl in Hinsicht auf die rezipierten Fälle, als
in bezug auf die Form und die Kürze des Ausdruckes. Die Aus-
drucksweise ist namentlich genauer zu bestimmen versucht worden.
„Einen liederlichen oder unsittlichen Lebenswandel führen“:
kommt allerdings jenem ziemlich gleich, aber die Fassung von
Nr. XII: gegenüber dem Erblasser die ihm obliegenden familien-
rechtlichen Pflichten schwer verletzen: ist durch die Bezug-
nahme auf das Familienrecht spezialisiert, ähnlich , wie in
unserem BGB. § 2333 Nr. 4. Sodann wird die Enterbung
wegen Begehens eines schweren Verbrechens nur dann gestattet,
wenn das Verbrechen sich gegen den Erblasser selbst „oder
gegen eine diesem nahe verbundene Person“ richtet. Darin
aber gleicht der neue Entwurf seinem Vorbilde wieder voll-
kommen, dass er die Enterbungsursacheu jedem Erblasser gegen-
über jedem pflichtteilsberechtigten Erben verleiht und einen
Unterschied besonderer Gründe für Deszendenten und Aszeu-
denten nicht mehr anerkennt.
Der IX. der Justinianischen Fälle, die Verhinderung an
der Errichtung einer letztwilligen Verfügung, welchen zuletzt
die Thüringischen Erbgesetze unter den Enterbungsgründen ge-
bracht hatten, steht in beiden Entwürfen, wie in allen neueren
Gesetzgebungen, bei den Gründen der Erbunwürdigkeit4).
Als der wissenschaftliche Ertrag der vorstehenden Unter-
suchungen möchte nicht allein die Ausführung des Eingangs
aufgestellten Satzes von der weiten Verbreitung der Justi-
nianischen Enterbungsgründe, welche von Armenien bis nach
Portugal und sogar über den atlantischen Ozean in die „neue
Welt“ hineinreicht3), und der Nachweis ihrer Entwicklung bis
*) Oben S. 134.
*) Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Vorentwurf, 1900, § 497.
•) Oben S. 136.
4) Ungarn § 6 Nr. 2; Schweiz § 667, 4.
*) Vgl. oben S. 16 N. 1, S. 44 N. 4 uud S. 44 ff. Auch in das Recht der
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zum heutigen Rechte angesehen werden, sondern auch die sich
aus den gefundenen Übereinstimmungen — natürlich zunächst
nur für die vorliegende Materie! — ergebende Gruppierung
und Verwandtschaft der einzelnen benutzten Rechtsquellen unter-
einander. Um die Übersicht hierüber zu erleichtern, diene da-
her noch die folgende Zusammenstellung.
Zu § 2: Byzantiner: seit«
I. Athanasius (665 — 578) und Theodorus (582 — 602) . 15
II. Ekloga (um 740) 16
ad Prochiron mutata (11. Jahrh.) 16
privata aucta (12. Jahrh.) 17
III. Prochiros Basilii etc. (870—879) 18
‘E.iaray tov nuov (879 — 888) 18
'Enavaywyrj aucta (10. Jahrh.) 19
Prochiron auctum (um 1300) 19
russischen Ostseeprovinzen sind die Justinianischen Fälle eingedrungen, und
zwar bereits im 17. Jahrhundert teilweise. Die Gesetze und Statuten des
ehemaligen Piltenscben Kreises von 1611 (Pars III, Tit 1, § 2; s.C. v.Rummel,
Die Quellen des Kurland. Landr., Bd. I, Lief. 4, 1850, S. 66) enthalten nur
die Fälle I (die Eltern schlagen), II (schmähen), III (peinlich verklagen),
V (nach ihrem Leben trachten), VIII, XII und XIII (sie in Nöten, Gefäng-
nissen, Krankheiten uud dergleichen Trilbsalen verlassen). Die Kurläudischen
Statuten von 1617 verzichten auf alles Detail, mit einer Ausnahme, dem
Falle Nr. XI (Ehe gegeu den Willen der Eltern), ausgedehnt auf Kinder, und
lassen im Übrigen rechtmässige, genügende Ursachen nach richterlichem Er-
messen zu (vgl. F.Seraphim, Das Kurläudische Noterbenrecht, 1850, S. 102 ff.
und S. 107), welchen letzteren Weg auch andere dortige Statuten des 17. Jahr-
hunderts eingeschlagen haben (vgl. daselbst S. 10S). Dagegen das um 1650
verfasste Esthländische Kitter- und Landrecht greift wieder auf die Fälle der
Piltenscheu Statuten zurück und vermehrt sie um Nr. VI (Inzest), XI (unter
Beschränkung auf Töchter) und XIV (einen ketzerischen Glauben annebmen),
wobei in Nr. VI auch der Inzest zwischen Tochter und Stiefvater, welchen Fall
andere deutsche Statuten ebenfalls aufnabmen (S. 110 obcu), Berücksichtigung
findet. Dieselben Enterbungsgründe werden sodann hier den Kindern gegen-
über den Eltern verliehen, während sonst in jenen Kechtsquellen von dieser
Gruppe der Enterbuugsgriinde nicht die Kede ist (vgl. Christian Heiur. Nielsen,
Versuch einer Darstellung des Erbfolgercchts in Lievland, 2. Teil, 1824, S.256,
§ 291). Das Provinzialrecht des Ostdepartemeuts von 1864 (III. Teil, Privat-
recht, Art. 2015/6) hat dann aber die lömischen Fälle vollständig rezipiert,
so wie man sie zu dieser Zeit in allen Pundektenlehrbüchern finden konnte
(vgl. C.Erdmaun, System dcsPrivatr. der Ostseeprovinzen, 111,1892, S. 108 ff.).
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Seite
Prochiron legum (12. Jahrh.) 19
Harmenopoulos (um 1345) 20
IV. Blastares (1335) 20
V. Basilica (900) und Synopsis Basilicorum (10. Jahrh.) . 20
ai (tortai (7. Jahrh.), Anonymus, Nomocanon (883),
Tipucitus 21 N. 1
Zu § 3: Romanische Versionen:
I. Julian 22
Lex Romana canonice compta (9. Jahrh.), Turiner
Institutionen-Glosse, Gratian, Brachylogus (12.
Jahrh.) 24
II. Lex Wisigothorum (641 - 653) 26
Edictns Rothari (643) 27
Edictum Liutprandi (713—735) 27
Usatici Barchinoniae (um 1068) 28
Grazer und Tübinger Rechtsbuch und Petri ex-
ceptiones 28
III. Authentikum 30
Libri Feudorum 30
Authentika zu J. 2, 18 31
Summa notariae von Arezzo (1240—1243) ... 32
Merkverse der Glosse zu J. 2, 18 33
IV. Merkverse aus der „Summula pauperum“ .... 34
V. Kanonische Glosse 35
Vocabularius iuris 35
VI. Lo Codi (um 1160) 36
Coutumes de l’Anjou et du Maine (1437) ... 39
Lois de l’Empereur (Fors de Bearn) 40
VII. Assises de Jerusalem 40
VIII. El Fuero Real (1254/5) und Codigo de las siete
Partidas (1263/5) 42
IX. Civil Code of the state of Louisiana (1824) ... 44
Zu § 4: Die deutschen Rezeptionsformen bis zum
18. Jahrhundert:
I. Analoge Fälle von Erbunfähigkeit 46
II. Der Deutschenspiegel 49
III. Das Kleine Kaiserrecht (13./14. Jahrh.) 52
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Seite
IV. Der Sch wabenspiegel, das Wiener Stadtreclit (1278,96),
das Landrechtsbuch des Ruprecht von Freising (1328),
eine Brünner Schöffensatzung und das alte Kulmische
Recht 55
Summa legum des Raymund von Wiener-Neustadt 63
V. Sächsische Glossenarbeiten: von Buch 67
Stadtrecht von Cleve (1417—48) s. Nachtrag . . 152
Glosse zum Lehenrecht des Sachsenspiegels . . 69
Wurmsche Arbeiten 69
Eisenacher Rechtsbuch (vor 1434) 73
VI. Stadtsatzung von Bern (7.- März 1438) 74
VII. Nürnbergische Reformation von 1479 75
1. Tübinger (1493), Uracher, Asperger (1510) Stadt-
rechte 78
2. Wormser Reformation (1498) und Reformation
des Bayrischen Landrechts (1518) 79
3. Ulrich Tenglers Laienspiegel (1509) .... 79
4. Geldernsche Reformation (1554) 79
VIII. Gerichtsordnung des Landgrafen von Hessen (1497) 80
IX. Jurisprudentia Frisica 81
X. Stephan von Werbücz, Tripartitum 83
XI. Freiburger Stadtrecht (1520) — vgl. Nachtrag S. 152 — 85
Baseler Satzung (1523, 1539), Neue Ordnung des
Stadtgerichts zu Basel (1557), Landesordnung
von Farnsburg usw. (1611, 1654, 1757), Baseler
Ratserlass von 1611 87
Württembergisches Landrecht (1554) 88
Pfälzisches Landrecht (1582) 89
Erneuertes Württembergisches Landrecht (1610) . 90
Churpfälzisches erneuertes Landrecht (1610, 1698) 90
Preussisches Landrecht (1620, 1685, 1721) ... 90
Badisches Landrecht (1622) 91
Baseler Gerichtsordnung (1719) 92
XII. Andere Niederdeutsche Versionen: Braunschweiger
Stadtrecht (1532) 92
Ostfriesisches Landrecht (1540/50) 93
XIII. Perneder, Institutionen (1544) und Gobler, der Rechten
Spiegel (1552) 94
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XIV. Nürnbergische Reformation (1564) 97
Hamburgische Gerichtsordnung (1603) ... 98
Friedrichstädter Stadtrecht (1633) .... 99
Fränkische Landgerichtsordnung (1618) . . 99
XV. Sammlung einzeln stehender Landesrechte:
1. Lüneburgisches Stadtrecht (1580 ff.) . . . 100
2. Bayrisches Landrecht (1616) 101
3. Nassau - Catzenelnbogische Gerichts- und
Landordnung (1616) 101
4. Geldernsclies Landrecht (1620) . . . . 102
5. Jus Culmense correctum (1711) . . . . 102
6. Hohenlohesches Landrecht (1737) und
Wimpfener Stadtrecht (1775) 103
XVI. Blosse Verweisungen auf das gemeine Recht 104
XVII. Volle Freiheit des richterlichen Ermessens . . 106
Lübisclies Gesetz vom 10. Februar 1862 . . 107
XVIII. Zusammenfassung der bis zum 18. Jahrhundert
eingetretenen Gestaltung 107
Zu § 5: Die neueren Gesetzgebungen und Entwürfe.
I. Cocceji’s Projekt eines Corpus juris Fridericiani
(1751) 123
Codex Theresianus 126
II. Codex Maximilianeus Bavaricus (1756) .... 128
III. Allgemeines Preussisches Landrecht (1794) . . 129
Castellische Landesverordnung (1801) . . . 131
IV. Das 19. Jahrhundert bis zum BGB.:
— Bernisches Zivilgesetzbuch (1827), Baseler
Gerichtsordnung (1849) — 132
1. Code Napoleon 133
2. Österreichisches Allgemeines BGB. . . . 134
3. Grossh. hessischer Entwurf (1845/53) . . 135
4. Züricher Gesetzbuch (1856) 136
5. Thüringische Erbgesetze (1833 — 1844) . . 136
6. Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich
Sachsen (1863) 139
V. Das BGB. für das Deutsche Reich und seine Vorarbeiten:
Mommsenscher Entwurf (1876) 140
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Seite
Entwurf erster Lesung (1888) 141
Kritik und Bälirsclier Gegenentwurf (1892) . . 142
Entwurf zweiter Lesung (18941 142
Überblick über das Schicksal der Fälle bis heute . . . 143
Anhang: Ungarischer Erbrechtsentwurf (1887) .... 146
Schweizerischer Zivilgesetzbuch -Entwurf (1900)
— s. unten den Nachtrag — 147
Recht der russ. Ostseeprovinzen (17.-19. Jhd.) 147 N. 5
Nachträge
Zu S. 69: Die Form der v. Buchschen Glosse hat sich das
Stadtrecht von Cleve (1417 — 1448) angeeignet (vgl. Steffenhagen
in den Sitzungsberichten der kaiscrl. Ak. d. W. in Wien, Philos.-
Iiist. CI., Bd. CXXIX, 1893, S. 19). Dasselbe zeigt aber fol-
gende Abweichungen: beiin VI. Falle (Inzest) Weglassung der
„amie“ (vgl. oben S. 111); bei Nr. IX: wenn der Sohn dem
Vater verbietet, Almosen zu geben: den sonst wohl nirgends
vorkommenden Zusatz: „omb to verbissen, die gevangen
weren“; bei X: Spielmann „off anders eyn ongerakt man“;
endlich bei XIII: von der Gefangenschaft nicht lösen. Ferner
spricht das Stadtrecht nur von enterben, denn es handelt von:
„saiken, in dyen die bewyst warden van den erven off navolger,
doir wulke die vaider syn kyndt onterven mach“.
Zu S. 85: Über den Verfasserder sog. Landerbfolgeordnung,
d. h. der Markgräflich-Badischen Statuten von 1511 vgl. Rud.
Carlebach, Badische Rechtsgeschichte, I, 1906, S. 51 ff. Er ver-
mutet in ihr ein Werk der Juristen Dr. Kirser und Dr. Vehus.
Zn S. 147 : Das Schweizerische Zivilgesetzbuch vom 10. De-
zember 1907 hat im § 477 den X. Enterbungsgrund (lieder-
lichen oder unsittlichen Lebenswandel) wieder fallen lassen, wie
der erste deutsche Entwurf (oben S. 141), und in Nr. XII (die
familienrechtlichen Verpflichtungen schwer verletzen) neben dem
Erblasser eingeschoben: „oder (gegenüber) einem von dessen
Angehörigen“. Die Erbunwürdigkeitsgründe (oben S. 147 N. 4)
stehen jetzt in § 540 (s. daselbst Nr. 3).
Bucht! ruckerei Maretzke & Martin, Trebnitz i. Schlei.
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ANNEX
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