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Full text of "Jahrbuch für geschichte, sprache und literatur Elsass-Lothringens;"

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Jahrbuch für 
Geschichte, 
Sprache und 
Literatur 
Elsass-Lothri.. 



Strassburg 
(Germany). 
Historisch-Littera. 



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JAHRBUCH 

KÜR 

GESCHICHTE, SPRACHE UND LITERATUR 

ELSASS-LOTHRINGENS 

HERAUSGEGEBEN 

VON DEM 

HISTORISCH-LITERARISCH EN ZWEIGVEREIN 

DES 

VOGESEN-CLUBS 

XXIII. JAHRGANG. 



STR ASS BURG 
J. H. ED. H EITZ (H EITZ & MÜNDEL) 

1907. 



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STANFORD UIMIVEKSITY 
LIBRARIES 

NOV 2 2 1983 



/ 



Inhalt. 

Seite 



I. Gedichte von Christian Schmitt I 

II. Mittelalterliche Armenpflege von Dr. Aug. Hertz og- 

Plantieres . , . . . . . , , . , . , ü 

III. Die Schicksale der bischöflichen Stadt Rnfach nach dem 

dreißigjährigen Kriege von Theobald Walter . \\\ 

IV. Das Susannenspiel dos Samuel Israel von Strasburg 

von If.Q:'.. Herausgegeben von Dr. Altred Sc ha er .">■! 
V. Sagen aus dem krummen Elsali. gesammelt von Lehrern 
und Lehrerinnen der Schulinspektion Saarunion, ver- 
öffentlicht von Kreissolmlinspektor Monges . . . I0t> 
VI. Heinrich Loux 11873 — 11M)7). Lebensumriß von Tli. 

K ) ) o r r . , s : : : s , , , , . , . , . , LH 

VII. Moscherosch im Dienste der Stadt Stralilutrg von Dr. 

,1 o Ii a li ii c s B e i n c )■ t i:>s 

VIII. Gedicht eines Bauern aus Zutzendorf 184'.). Mitgeteilt 

von Prof. Krug (Buchstvciler) 147 

IX. I'as Gleichnis vom verlorenen Sohn in sechs elsässischun 

Mundarten. Besorgt von Eduard Halter . . . !.'>! 
X. Nachtrage und Berichtigungen /um Worterbuch der 

Kb a^ i schen Mundarten , , , , . , . . . . , Hill 

XI. Mrlifi und Kinve im Elsali von Dr. Kassel in Hoch 

fei den . , , , , , , . , , , , . , , . . , ü£ 

XIT. Ein Bild Kaiser Friedrich Rotbarts aus dem 12. Jahr - 
hundert zu Hagenau von Max 1'. ach, Entgegnung 

von II. Le m p f r i d .... :Hl 

XIII . Chronik für 1H0H ^ 

XIV. Sitzungsberichte 25i> 



I. 



Gedichte. 

Von 

Christian Schmitt. 

1. Die Harfe. 

Im Dämmergarten meines Herzens still 
Hängt eine Harfe. Hohe, dunkle Bäume 
Stehn ragend rings. Sie harrt, ob ihre Traume 
Kein Hauch zu lautem Klang mehr wecken will. 

Vom Sturmwind aufgewühlt erbebten schrill 
Die Saiten. Doch auf friedevolle Räume 
Sinkt leis der Abend, und in gold'ne Säume 
Legt sich der Landschaft malerisch Idyll. 

Und wie die Nacht nun tilgt den späten Schein. 
Von unsichtbarem Finger zart entbunden 
Erwacht ein Tönen, süß und Avunderfein. 

Erschwellend jetzt und Mieder fast verschwunden, 

So klagt's und jauchzt, als flösse heiß hinein 

Ein höchstes Glück, ein Weh aus tiefsten Wunden. 



2. Der sterbende Wald. 

Wie rotes Blut verlröpfelt deine Kraft. 
Da dir der Sturm das letzte Laub entrafft, 
Und wie in Todeskämpfen auf und nieder 
Dumpf röchelnd wirfst du die verzerrten Glieder. 

Gleich einem zornergrimmten Riesen ringst 
Mit der Gewalt du. die du doch nicht zwingst. 
Noch kurze Stunden und der fröstelnd bleiche, 
Licht lose Himmel starrt auf deine Leiche. 



— 0 - 

Dann schweigt die Luft. In tiefer, stiller Rast 
Ruhst du vom Kampf, den du durchstritten hast. 
Die Wolken lösen sich im Flockenschweben, 
Das weiße Bahrtuch langsam dir zu weben. 



3 Dämmerstunde. 

Es geht ein Tag zu Ende, 
Still wird der Straße Schwann. 
Laß ruhn die müden Hände, 
Mein Weib, in meinem Arm! 
Allein nicht will ich rasten 
Vom heißen Werk der Pflicht; 
Auch du hast deine Lasten 
Getragen stark und schlicht. 

Beim Schein der ersten Sterne 
Soll schweifen unser Geist 
Hinab zur tiefsten Ferne 
Den Weg, den wir gereist. 
Durch sonnenvolle Matten 
Vom Tal stieg er herauf. 
Doch auch durch schwere Schatten 
Hat uns geführt sein Lauf. 

Das Glück, das wir erstritten, 
Kennt nicht der Zeiten Flucht, 
Und auch was wir gelitten, 
Trug hundertfältig Frucht. 
Am Berg auf sanften Auen 
Hell rauscht und frisch der Born ; 
Den Gipfel kann nur schauen. 
Wer Stein nicht scheut und Dorn. 

Noch sind auch wir nicht oben; 
Der Mühe wartet viel. 
Von Wolken dicht umwoben 
Sehn wir vor uns das Ziel. 
Wenn aber eins im andern 
Entzündet Kraft und Mut, 
So werden wiVs erwandern. 
Und alles fügt sich gut. 

Gehfs auch vielleicht felsüber 
Gar hart noch manches Jahr, 
Wir kämpfen uns hinüber, 
Die Seele fest und klar ; 
Wenn sich nur aus den Feuern 
Der Friede stärkend senkt 
l ud ein so süß Erneuern 
Uns jeder Abend schenkt. 



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Auf dem Bergfriedhof bei Salm. 

(Breuschtal.) 



Ernste Ruhstatt müder Herzen, 
Schattenkühlcs Eiland da, 
Wie viel Hoffnung, wie viel Schmerzen 
Decktest du für immer zu ! 

Kindlein, mit dem ersten Lächein 
An die Mutter kaum geschmiegt, 
Schlummern hier, vom Waldwindfächeln 
Zwischen Blumen eingewiegt. 

Und, gebettet um der Kleinen 

Arme Hügel, reihenweis, 

Unter Kreuzen, unter Steinen _ 

Rasten Mann und Weib und Greis. 

An den blauen Tannenkuppen 

Uebten sie ihr irdisch Tun ; 

Tannen auch in dunkeln Gruppen 

Rauschen um die Gräber nun. ■> 

Berge, die gesehn das Wallen 
Dieser Tapfern, schlicht und klar. 
Ragen hoch wie Tempelhallen 
Ucber ihrer stummen Schar. 

Alle sind in gutem Frieden. 
Nie vom Trug der Welt betört, 
Lebten sie. Vom Lärm geschieden 
Ist ihr Schlaf auch ungestört. 

Doch in Not und Miihn wir andern, 
Die wir gleiche Wege gehn, 
Bleiben sinnend gern beim Wandern 
Vor dem Hain der Toten stehn. 

Und der Wunsch will uns bewegen, 
Dali auch, wie das Los uns fiel, 
Unser Pfad so sei voll Segen 
Und so selig unser Ziel. 

5. Fallende Schlösser. 

Baumeister ist Büblein. Hell jauchzend hallt 
Sein Werklied aus der Kammer. 
Kunstsicher fügt er Stein auf Stein ; 
Bald wird das Dach gegiebelt sein. 
Ach, aber ach, urplötzlich schallt 
Zu Krach und Sturz ein Jammer. 



_ 8 — 



Vater und Mutter müssen herbei. 
Spielmännchen weint bekümmert. 
Die Burg, der höchsten Kröuung nah, 
Als ßabelbild nun liegt sie da. 
Noch ragen stückweis die Mauern frei, 
Halb liegen sie Avirr zertrümmert. 

Wir trösten den Kleinen. Bald ist's sreschehn. 

Aufs neue setzt er die Quader 

Und singt und ahnt es nicht, wie viel 

Er in der AVeit bei ernstem Spiel 

Einst schmerzgestählt wird fallen sehn, 

Lächelnd und ohne Hader. 



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< 



Ii. 

Mittelalterliche Armenpflege. 

Von 

Dr. Aug. Hertzog-Planliere. 

Bis zum Ausbruch der französischen Revolution beruhte 
die gesamte Armenpflege, sowohl auf dem Lande als auch in 
den Städten, auf der in den religiösen Satzungen begründeten 
Pflicht zum Almosengeben. Jeder Vermögliche war verpflichtet 
solches Almosen zu geben. In den Städten aber, hat sich die 
Gemeindeverwaltung schon sehr früh der Armenpflege ange- 
nommen, die Almosenspenden durch städtische Beamten bei 
den Bürgern sammeln, und durch eigene Almosenämter an die 
Bedürftigen austeilen lassen. Zu Colmar war unter anderem, 
die ihrem ursprünglichen Zwecke, im XV. Jahrhundert bereits 
entfremdete Elendherberg, ein Organ der Almosenverwallung. 
Im Archive des Colmarer Bürgerspitales, mit welchem die Klend- 
herberg vereinigt worden war, fand ich eine Urkunde vor, die 
ein recht anschauliches Bild darbietet, von der Art und Weise 
wie man in jenen Zeiten die Armenpflege ausübte, von der 
Auflassung, welche sich die Leute damals von der Pflicht des 
Almosengebens, als einer reichen Gnadenquelle, gemacht haben 
und von der moralischen Wirkung dieser Auflassung auf die 
Besitzenden, welche dadurch bewogen, gerne von ihrem Ueber- 
flusse mitteilten, um das «öffentliche Almosen» mit den nötigen 
Barmitteln zu versehen. Damals genügte der religiöse Sinn 
unserer altelsässischen Stadt- und Landbevölkerung noch, um 
die Ausübung einer organisierten öffentlichen Armenpflege den 
Stadt- und Landbehörden zu ermöglichen. Ob unsere heutige 
Bevölkerung in dieser Beziehung den Vergleich mit den Vor- 
eitern aushielte, wollen wir nicht untersuchen ; wenn wir aber 
die Beweggründe der öffentlichen Armenpflege der heutigen 
Zeit mit den Motiven der mittelalterlichen Wohltätigkeit ver- 



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... 10 - 



gleichen, so werden wir darin einen ganz anderen Geist wahr- 
nehmen. Ehen diesen grundlegenden Unterschied soll uns die in 
der Anlage mitgeteilte Schenkungsurkunde des Colmarer Bürgers 
Beat Sehroteysen dartun. Alle Einrichtungen haben 
ihre Zeit, und nur von diesem objektiven Standpunkte aus 
müssen wir Nachkommen diese Einrichtungen betrachten. 
Solche Organisationen sind unter sich nur so weil vergleichbar, 
als sie damals wie jelzt, ähnliche Zwecke verfolgten. Nicht aber 
i: t aus dem Vergleich zu schließen, daß was im XVI. Jahr- 
hundert und noch früher genügte, heute den Aufgaben einer 
geordneten Armenpflege entsprechen müsse und könne. 

Erfreulich dürfte es aber für uns Nachkommen immer sein 
zu wissen wie unsere Voreltern diese großen Aufgaben der 
praktischen Nächstenliebe angefaßt und gelöst haben. Es ist 
entschieden eine schöne Seite dieser mittelalterlichen Armen- 
pflege, wenn die religiöse Ueberzeugung und die Frömmigkeit 
unserer Voreltern genügt haben, um Wohllätigkcitsanslalten 
. ins Leben zu rufen, welche vielfach heutzutage noch bestehen, 
oder welche doch die Fundamente abgegeben haben , zum 
heuligen Baue der öffentlichen Armenpflege. Das sind die 
Gründe, die uns bewogen haben, die erwähnte Urkunde 
hier im Anhange zu veröffentlichen. Deren Inhalt wird den 
Lesern wohl leicht verständlich sein, zur Einleitung in deren 
besseres Verständnis sollen hier nur einige Bemerkungen 
vorangehen. Die erwähnte Urkunde ist auf einem großen 
Doppelquartbogen Pergament, mit großer Sorgfalt und kalli- 
graphisch sehr schön ausgeführt. Sprachlich entspricht sie 
allen den zeitgenössischen Urkunden und Schriftwerken jener 
Zeit, aus Colmar und Umgegend. Inbezug auf deren Hecht- 
schreibung sei nur auf die damalige Sitte, möchte lieber sagen 
Unsitte, verwiesen die Konsonanten ganz ungebührlich zu ver- 
doppeln, so z. B. im Worte «seien» die Seelen, wird «seilen» 
geschrieben; statt «menschen» wird «mennschenn» gesetzt; 
statt «Hilf* schreibt man «HilfT», noch drastischer ist die Ver- 
doppelung «lürifl'a statt «fünf», «Ennde» statt «Ende», «opfTern» 
statt «opfern», «sollen» slatt «seilen* für seelen. Diese Bei- 
spiele sollen genügen. Das himmlische Heer heißt hier das 
«Hymelsche Hör». 

Beat Sehroteysen schenkt der Elendherberg ein bestimmtes 
Kapital, dessen Zinsen sollen alljährlich als Almosen Verwen- 
dung finden, diese Almosen sind aber an eigentümliche Be- 
dingungen geknüpft, welche für uns die Urkunde eben wichtig 
machen und unsere Aufmerksamkeit fesseln. Zu bestimmten 
Zeiten des Jahres sollen einige Arme gewisse Förch- und Bitt- 
gänge verrichten, um der Wohltat teilhaftig zu werden. Alle 



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- 11 - 



Samstag sollten sie nämlich im Sankt Martinsmünster der «Ger- 
nermesse» beiwohnen. Der «Gerner» auch «Kärner, Kerner» 
geschrieben, ist das Beinhaus, wie ein solches zu jenen Zeiten 
noch auf allen Kirchhöfen sich befand ; einige dieser merk- 
würdigen Denkmäler haben sich, so zu Kaysersberg, bis in 
unsere Tage erhalten. 

Der große Platz um das Colmarer Münster herum war 
früher ganz Begräbnisstätte; nach und nach nahm jedoch die 
Stadt ein Stück nach dem andern von demselben hinweg. Der 
Kärner unter der St. Jakobskapelle befand sich auf der 
südlichen Seite der Marlinskirche, und wurde 1575 beseitigt ; 
die Kapelle wurde zur Wachlstube umgewandelt. 

Von da aus sollten die erwähnten Armen eine Wallfahrt 
zu unser Lieben Frauen in Horburg machen, und dort bestimmte 
Gebete verrichten. Horburg war früher noch bevor der könig- 
liche Hof von Colmar eine Kirche besaß, Pfarrkirche dieses 
Hofes, wurde demnach die Mutterkirche der nachmaligen Col- 
marer Pfarrkirche. Daher auch die rechtliche Verpflichtung der 
Tochlerkirche zu gewissen Zeiten des Jahres in Prozession nach 
Horburg zu pilgern. Mit der Zeit verdunkelte sich aber die Ur- 
sache dieser Bittgänge, und Horburg ward als Wallfahrtsort 
der Mutter Gottes weitcrfort das Pilgerziel der Colmarer Bür- 
gerprozessionen und der privaten Bittgänge aller Art. So mußten 
denn auch auf Wunsch Schroteysens die beschenkten Armen 
diese Wallfahrt verrichten. 

Von Horburg zurück in der Stadt angelangt mußten sie 
in der Barfüßerkirche einkehren. Das ist die jetzige protestan- 
tische Pfarrkirche (Langhaus) und die katholische Spitalkapelle 
(Chor). Von hier ging es ins Münster und endlich in die Elend- 
herberg. Dieselbe lag bis 1502 in der St. Martinsgasse Nr. 1, 
wurde damals verkauft; für die Zeit unserer Urkunde kann 
ich also nicht angeben wo diese sich befand. Mit 1534 geht die 
Elendherberg an das Bürgerspilal über, das deren Verpflich- 
tungen übernimmt. 

Jeden Dienstag sollten dann fünf andere frommen Armen 
einen ähnlichen Bittgang machen; nur statt nach Horburg 
wallen sie jetzt zur St. Annenkapelle, auf dem Stadtgraben, 
dem jetzigen St. Annenplalze; wohin nach Aufhebung des Mün- 
sterbegräbnisplatzes der Gottesacker verlegt wurde. Diese Ka- 
pelle ward 1588 bei Erweiterung der Festungsanlagen der Stadt 
abgebrochen. 

Und, heißt es dann in der Urkunde, das solches nu und 
ewiglich, dester slatlicher, gehalten nil «verschlud» (so ist ge- 
schrieben) werden mechte, macht Schroteysen die im Text 
erwähnte Zuwendung. 



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- V2 - 



«Verschlud» heißt hier soviel wie « verschleudere». Der 
Elsässer sagt heute noch dafür «verschludere». Durch die Zu- 
wendung eines bestimmten Kapitals sollte vermieden werden, 
daß die Sache sich verzögere, verschleudere, etwa gar nicht 
ausgeführt werde. Er gibt also eine Rente von 12 Gulden auf 
die Stadt Colmar «Stunden wieder koüftig», d. h. zu jeder Zeit 
und Stunde ablösbar und zwar mit 300 Gulden in Gold. Also 
handelte es sich hier um eine vierprozentige städtische Renlen- 
verschreibung:. Hier ist anzuerkennen daß die Sladt Colmar 
damals schon gerade so billigen Kredit fand als sie denselben 
heute wohl hat. 

Mit diesen wenigen Erläuterungen wird, so glauben wir, 
die l'rkunde wohl verständlich, sogar für solche Leser, die nicht 
gerade an deren Lektüre gewohnt sein dürften. Wir denken 
aber daß der darin behandelte Gegenstand an und für sich 
fesselnd genug sein könnte, um hier mitgeteilt zu werden. 

Anlage. 

Schenkung von Beat Schrotysen an die Ellend- 

herberg von Colmar. 

Wir Der Meisler unnd der Rate zu Colmar Bekennen 
unnd thugen kundt mencklichem mit dem brieff, Das uft hüte 
seiner datum, vor unns Inn offenem versamleten Rat komen 
unnd erschinen ist. Der furneme Günrat Wickram diser Zeit 
unser Schultheiß, als ein gesanter unnd verordnet ter Des Er- 
sarnen Balten schrotysen unsere burgers seines vettern, unnd 
öffnet do der gedacht Cünrat Wickram, Noch dem unnd Batt 
Schrotysenn sin vetler, der Jor alt seines lybs blöd, unnd un- 
vermegcklich, Hette Er In mit höchstem vi yß gebet ten, unnd 
hermanet Etwas seins turnemens, vor unns ze harofnen, Des 
er Inbetracht seines vettern guttem furnemen nit abscblahen 
unnd were das seins vettern begeren. Zu vorderst so belle Batt 
sein vetler angesehen, das den menschen nach Iren Hineserlenn 
(sie) 1 zu nutz unnd trost der Sellen, nutt fruchtbarere Heylsamers 
noch bessere, noch volgende were, dann almusen geben, unnd 
andere Stiftung gulter wort unnd werkenn, So der mennsch 
by Zeytten seines lebens, Hie uff erden furschicken, und ze 
besehenen, verschafft. Darumb so hette Er, Dein allmechligenn 
Oewigen gott, seiner Hochwirdigen mutier Marien, unnd allem 
Hymelschem Höre zu lobe, seiner unnd alier seiner vordem 
unnd nachkomenn, ouch deren die yme ye guttes gethun, unnd 

1 Soll heißen «Hineferten». Hinfahrt. Tod. 



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- 13 — 



aller Cristglöbigen seien Heyles willen, uß eigner bewegnuß 
furgenomen, unableßlich ze verschaffen. Das uff alle sambstag 
fruge, funff armer fromer menschenn, In Sannt Martins mün- 
sler zu der meß, die mann nempt die gerner meß, unnd die 
selben meß von anetangk bis zu Ende, mit andocht zu hören, 
Ir gebet sprechen, fur alle Gristglöbigen seilen, als bald noch 
volendung der messe demuttigklich Samentlich mit einander 
gon, yenn Horburg, zu unnser liebenn frowen, Ein farf thun, 
unnd uff der fart, Hie Zwüschennt Horburg, zum wenigisten 
mit ondacht betten Funffzechen patter noster, unnd sovil aue 
maria, unnd dem nach zu Horburg In der Kirchen, vor unnser 
lieben frowen bildnuß, Einen Roßennkrantz Alles dem allmech- 
tigen got, seiner Hochwurdigen mutter, der Junckfrowen mariän, 
zu lob, seiner, unnd allen Cristglöbigen mennschenn, seilen zu 
trost , Darnach von Horburg wider Haruß unnd versamlet 
alhar In die barfüßer Kürchen, Darine abermals, mit andacht 
betten, Ein palter noster, und Ein aue maria. Allen Cristglö- 
bigen seilen, zu trost, zu leiste von der barfußen Kirchen, wi- 
der Inn Sannt martinsmunster , Doselbs glicher wyse Einen 
patter noster unnd Ein ave maria betten, Zu Hilff unnd trost 
als obstat. Unnd das demnach die selben fünff armer menschen, 
für die Ellenden Herberg gungen. Doselbs der Herberg Schaffner 
Ir yettwederen geben sölte, vier pfenning Rappen. 

Ferner so were syn wil unnd meinung, das alle Zinstag 
trug abermals fünff armer fromer menschen In der gerner 1 gon 
unnd glich wie vor Erzalt, solche meß von anetangk bis zu 
Ennde, ze hören. Unnd ze betten. Demnach mit andacht de- 
muttigklich mit einander von Sannt martinsmünster, zu Sannt 
Annen uff dem Statgraben gon, und underwegen Ir yettwederes, 
mit vlyß betten, Einen Rossenkrantz, unnd In Sannt Annakür- 
chen, funffzechen patter noster, unnd funffzechen aue marien 
alles dem almechtigen , seiner werden mutler unnd allem 
Hi meischen Heere zu lobe, seiner unnd allen Cristglöbigen 
seien, zu trost, Unnd so sy Ir gebett volbracht, samentlich 
widerumb In die Stal, In der barfüßer kürchen. Darine Ein 
patter noster unnd Ein aue maria betten, Do dannen widerumb 
Inn Sannt martins minster Doselbs glycher Wyse Ein patter 
noster, unnd Ein aue maria betten, allen glöbigen seilen zu 
trosft, Denn selbenn fünff menschen yetwederem sölte Ein yetier 
der Ellenden Herberg, meisler, oder Schaffner geben. Ein 
pfenning Rappen. Es were ouch ferrer syn bitt, Will unnd 



1 Jetzt noch übliche dialektische Wendung, Akkusativ mit 
Nominativform, oder vielmehr, die Hundart unterscheidet die zwei 
Formen nicht. 



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— 14 — 

mei Illing das ein yeder der Ellenden Herberg meister. oder 
Schaffner, Nun und Ewigklich, alle Jor viermallen. Nämlich 
zu den vier frone vaslenn, alwegen uff den Sambstag. Einen 
priester, Er sige geistlich, oder weltlich, bestellen. Der uff den 
selben tag. In der Kürchen zu Horburg, Ein sele meß lesen, 
By der selben sele meß, Seilentend die Fun ff mennschen, so als 
vorstat, Do hyn zegönde verordnet, von onfanng bis zu Ennde 
blybenn, Ir yetwederes Ein meß frymen (= Trumen, fördern). 
Des glichen zu opffer gon, mit andacht, für sin und alle Cristglö- 
bigen sollen bitten. Es sölte sich, ouch, der priester vor dem 
offertorium am althar urnb kerren unnd des Volk Hermanen, svn 
des gedachten Batten Schrotyscnn, als Stifter, dieser guthatt, 
seiner, vordem und nochkomen, seien, Zubilten. Disem priester 
sölte man geben, achtzechen pfenning Rappen, unnd den Fünf! 
armen mennschen, Zu den vier pfenningen noch ein pfenning, 
für das meß frömen unnd opffern. Deßglichen sölte Es, uff den 
Zinstag der wochenn, Dar Inne die Fronvastenn gevallenn mit 
der ineß In bysyn der Fünf! armen mensehenn, mit meß frymen, 
opffern, Unnd Hermanunge, des Volkes, Zu Sannt Anna, Ouch 
gehalten werden. Darfür dem priester Ein Schilling pfenning 
I Uppen, Unnd den Fünff armen menschen, zu den pfenningen, 
Denn mann Innenn vvochenlich gebe, für das meß frymen, unnd 
opffern, noch Einen pfenning. Unnd das solches nu und öwigk- 
lich, dester Statlicher, gehalten nit verschlud (sie) werden 
mechte, ouch die gedachte Ellende Herberg, solcher ausgäbe, 
der mug unnd arbeit Ergetzt. 

So hette der gedacht, Bat schrotysen, Ime diß almuses 
unnd diser Zit der Ellenden Herberg, Einer Frigen uffrechten 
redlichen erberlichcn onwiderruffenliehen gobe von seinen Eignen 
Händen zu der Elenden Herberg Händen gegeben. Die Zwölff 
guldin geltes und zinses, So Er bißhar Jerlichen alwegen uff 
Sannt Marlins von unns als der Stat Colmar vallen gehapt, 
Nämlich für yeden guldin dry Zechenthalben Schilling, Stunden 
wider köwffig Mit druwhundert guldin In gold, noch besag Eins 
brieffs, unnder unnserm Ingesigele ufgericht, Denn er zu der 
nießung Ime als pflegern zu seinen Habhafften Händen, In^e- 
antwurt, mit dem befelch, unns mit Höchstem Vlyß bytlieh an- 
zekeren, Im solche sine Slifftung und gotzgabe ze bewiligen, 
Doran unnd dorob zu synde , Das dise Slifftung, nun unnd 
övvigklich Stät blvbe, unnd gehandthabt werde, Unnd daß nun 
fürther zu öwigeu lagen Einem yeden der Ellenden Herberg 
meister oder Schaffner, So veste der von unns gesetzt, vor unns 
alls dem Ratte lyblich zu got, und an die Hei'gen schweren 
tinnd besonnder der pflegere, So ye zu Zeytten gesetzt, ge- 
treuw uff sehen, zu disem almusen, zu haben, Alle dewyl 



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- 15 - 



sy pflegermeister oder schaflner blybent, Das Iruwlich und un- 
ableßlich wie obstat ußzetheylen, unnd ausgetheylt werden ver- 
schaffen, unabbruchig by lrer seien Heyl, alle geferden, und 
argenlist Har Inne ganntz ausgescheiden. Diwyl wir der meister 
unnd der Rat zu Colmar obgenant, des vorgenannten Batt 
schrot ysen Ernnstliche bil unnd begeren, verharret, die golzgobe, 
die ZwölfT guldin Zins, unnd die Houptversehribung, zu der 
Ellenden Herberg Hamiden erberlich unnd fryg gegeben unnd 
yberantwurt, Habennt wir unns berottenlich dauon underredt, 
unnd nohe dem uns solch sein begere, unnd fürnemen Ein 
loblich Erlich, unnd gut werk syn beducht, Das wir zu furdern, 
billich nach Höchstem vermögen geneigt, Darumb In ansehen, 
unnd betracht desselben, das wir nit allein zu furdern geneigt, 
sunder alle gutthatten, Die hie Im Zyt den menschen, und 
allen Crislglübigen sollen, tröstlich, sein mögen, ze uffen, unnd 
aus Cristlicher Ordnung und uflsatzung schullig unnd pflichtig. 
So haben wir gehöllen unnd gehellen ouch in unnd mit Crafft 
dis bricfls. Dem obgenannten meisler, Cünrat wickram Schult- 
heis und yetzigen von unns gesetztenn pflegere, der Ellenden- 
herberg, Eegerürte Zwölfl* guldin geltes, Innamen der Ellenden- 
herberg von fylgemeldten Batten Schrolysen anzenemen, Als 
Er ouch gethun, unnd die funtT Ersten armen menschen, ufT 
Sambstag nehst nach Sannt Martins tag, In noch geschribenen 
Jore gen Horburg, und die anderen funff zu Sannt annen uff 
Zinstag darnach wie das oberzalter Stiftung vermag k, Zegönde 
und ze belonende verschaflet. Wir habent unns ouch, dahy ver- 
pflicht, und In versambleltem Rat, Ein Helligklich zugesagt, für 
unns und unser nachkomenn, die Eegerürten Stiftung und 
almusen nun öwigklich, von der gemeldten Ellenden Herberg 
wegen, unnd von der selben Zinsen und gefellen wie vorstat, 
ohne allen ab bruch us gericht und volzogen werden, verschaffen, 
Ein getreuw uflf sehen, darzu ze haben, daß es Erberlich, Er- 
stattet, ußgetheylt, und Jerlich verrechnet werde, unnd ob sich 
über kurtz oder lang begeben, also das die Zwölfl guldin gelts, 
abgelöset. Sollen und wollen wir, darob und daran syn. Das 
solches Houptgut so förderlichst, möglich, Der Eegemeldten 
Ellendenherberg, gegen obgeschribenen almusen ze neyßen (sie), 
widrumb angelegt werden, Inn alleweg getruwlich, Erberlich, 
und ungefärlich. Unnd des zu warer vester öwiger, I'rkundt, 
So habent, Wir der meister und der Rat, obgenant, unnser 
Stat Colmar, Secret Ingesigelle thun Henncken, ann disen brieft, 
Der gebenn Ist, uff Dornnstag nechst nach Sannt Symon unnd 
Judas, der Zweyer Zwölflbotten tag, Inn dem Jor vonn goltes 
gepurt, gezall, Tusennt fünflliunndert, und Sechzechenn Jore. 



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III. 



Die Schicksale der bischöflichen 
Stadt Rufach 

nach dem dreißigjährigen Kriege. 

Von 

Theobald Walter. 1 

Wohl wenige Städte unseres engern Heimatlandes haben 
so sehr unter der Not des dreißigjährigen Krieges zu leiden ge- 
habt als gerade Rufach, der Hauptort der straßburgisch-bischöf- 
lichen Mundatlande im obern Elsaß. Seine festen Mauern und 
Türme in des Landes Mitte, die außerdem einen ansehnlichen 
Wohlstand bargen, und seine vorzügliche Lage an einer der 
Hauptheerstraßen längs der Vogesenhöhen weckten aber auch 
allzusehr die Begehrlichkeit der zahlreichen fahrenden Kriegs- 
völker. Fünf wilde Erstürmungen von Feindeshand mußte die 
Stadt in der kurzen Zeit von 1633—35 über sich ergehen lassen 
und noch mehr der schrecklichen Plünderungen. Von 1636 an 
wurde sogar ob des großen Elendes kein Gemeinwesen mehr 
geführt ; die Stadt blieb an ein Jahrzehnt ein weites, ödes 
Ruinenfeld. * Und wie der Spätherbst des Jahres 1648 den lange, 
lange ersehnten Frieden brachte, da führte er bekanntlich dem 
französischen Könige die schönsten Gebiete des Elsaß als Sieges- 
beute zu. Rufach verblieb zwar mit den übrigen bischöflichen 
Besitzungen seinem angestammten Herrn, dem Bischöfe von 

1 Nach einem am 11. November 1906 in der Generalversamm- 
lung des literar.-hist. Zweigvereins des V.-C. gehaltenen Vortrage. 

2 Vgl. Th. Walter, Rufach zur Zeit des dreißigjährigen Krieges, 
Gebweiler 1897. 



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- 47 - 



Slraßburg, unter der Oberhoheit des deutschen Kaisers; aber 
das Städtchen war entvölkert, sein alter Wohlstand vollständig 
dahin. 

Leider fühlten die Bürger einstweilen sehr wenig von den 
Segnungen des Friedens. Die Einquartierungen und Durchzüge 
fremder Kriegsvölker, die die letzte Brotkrume einforderten, 
den letzten Sparpfennig wegrauhten, dauerten ununterbrochen 
weiter, und der Bischof verlangte trotz des unsäglichen Elendes 
Summe um Summe als Schätzung und Steuer. So entrichteten 
Rufachs Bürger in der kurzen Zeit vom 27. Mai bis zum 31. 
Juli 1649 über 1(300 % an Quarliergeld, und wie der Stadt- 
kasten erschöpft und die notleidende Bürgerschalt bereits ge- 
zwungen war, zum eigenen Unterhalte nach Anleihen Umschau 
zu halten, da kam am 0. August von Zabern aus der strenge 
Befehl, binnen 10 Tagen den zweiten Termin zu den sog. Frie- 
densgeldern mit 1000 fl. zu bezahlen ; und noch waren die Be- 
drängten auf der Suche nach Geld in Colmar, Mülhausen und 
Basel, da erließ der Kommandant der französischen Besatzung 
in Colmar bei Androhung militärischer Exekution 
die Aufforderung an die Stadt ergehen, umgehend die längst 
fälligen Rationen zu liefern. 1 

Die beginnenden fünfziger Jahre brachten kaum eine Er- 
leichterung. Die Händel um die Feste Breisach, die der hinter- 
listige Charlevoix noch immer in Händen hielt, führten die 
Lothringer ins Land, und fast schien es, als sollte all der Kriegs- 
jammer von neuem beginnen. Verloren doch Rufachs Bürger 
am 8. April 1652 beinahe ihre gesamten Zugtiere, 24 Ochsen 
und 6 Pferde, durch Raub teils an die Lothringer, teils an die 
französischen Söldner des Generalleutnants von Rosen.* 

Mit Besorgnis folgten zudem die Bürger den Anfängen der 
Franzosenherrschaft in den benachbarten ehemals österreichischen 
Vorderlanden jenseits der Lauchwälder, und Unbehagen erfüllte 
ihre Seele. — Sollte nicht doch noch das einst so stolze deut- 
sche Vaterland aus seiner Ohnmacht aufwachen und ihnen Herd 
und Heim erretten aus tiefer Not und seltsamer Zwitterstellung! 

Da kam im Mai des Jahres 1653 die Kunde über den Rhein : 
Ein neuer König ist uns geworden. Ferdinand IV., des Kaisers 
Sohn, ist auf dem Reichstage zu Regensburg feierlich gekrönt 
und seinem allzunachgiebigen Vater als Stütze zugesellt worden. 
— Welch ein Jubel herrschte in Rufachs Mauern, als der Bischof 
die frohe Botschaft übermitteln ließ! Die Doppelhaken und 
Mörser donnerten von den Höhen der Isenburg und von der 



> Stadtarchiv Rufach, BB 44. 

* Bezirksarchiv in Straßburg-. Zabern. 

2 



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— 18 - 



Stadt Türmen nach den französischen Vogleilanden hinüber, alle 
Glocken erklangen in feierlichem Chore, die Salutrufe erfüllten 
Platz und Gassen, und Geistlichkeit und Volk durchzog in fest- 
lichem Gewände lobsingend die Straßen der Stadt.« 

Allein alle Hoffnung erwies sich bald als eitel. Sank doch 
der Neugekrönte schon nach Jahresfrist in die stille Gruft, ohne 
irgend etwas zu des Reiches Wohl gewirkt zu haben. Das Fest 
aber war das letzte, das Rufachs Rürger auf viele Jahre hinaus 
zu Ehren eines deutschen Fürsten feiern sollten. 

Noch wehrte indes Bischof Leopold mit kräftiger Hand den 
verschiedenen Anmaßungen der französischen Nachbarn. Mit 
eindringlichen Worten empfahl er im Januar 1661 dem neuer- 
nannten Obervogten von Rufach Wilhelm Egon von Fürstenberg 
in seiner Bestallung .... sonderlich wegen der 
jetztmahls in der Nähe von denen frantzösi- 
sehen aufgerichten neuen Regierung zu 
Ensisheim, so bißhero sich nicht weniger 
Eingriff und Neuerung gen unsere Herr- 
schaft Obermundat a n g e m a ß e t «ja 

auf der Hut zu sein. 

Und dennoch ließen sich die Reibereien zwischen beiden Ver- 
waltungen nicht vermeiden. Erkühnten sich die französischen 
Beamten doch im folgenden Jahre schon wieder, gestützt auf 
einen Erlaß des Kaisers Rudolf vom 7. April 1577, allerlei 
rechtliche Handlungen unbekümmert um die bischöfliche Ver- 
waltung unter dem Adel innerhalb der Mundalgrenze vorzu- 
nehmen ; und wie Amtschaflner und Landschreiber in Ensis- 
heim zum Proteste vorsprechen wollten, wurde ihnen dort be- 
deutet, daß sie sofort Stadt und Land des französischen Königs 
zu verlassen hätten, wofern sie nicht Bekanntschaft mit dem 
Thür n machen wollten. s 

Im November 1662 starb Bischof Leopold im fernen Wien 
und erhielt zwei Monate später den ersten Fürstenberger, Franz 
Egon, des eben erwähnten Obervogten Bruder, zu seinem Nach- 
folger ; Rufach war damals wieder ein Gemeinwesen von 1766 
Seelen. » 

Die Stellung, die der Neuerwählte der französischen Re- 
gierung gegenüber einnahm, ist bis heute noch nicht zur Genüge 



1 Stadtarchiv Kut'ach, BB 44. 

2 Bezirksarchiv Colmar, Mundat * v A. 

3 Bezirksarchiv Colmar, Mundat * E. 

4 Bezirksarchiv Colmar, Mundat. 302 Bürger. 310 Frauen, 7f>0 
Kinder, li»4 Hintorsiiii, 13* Knechte und 00 Mägde. 



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— 19 - 

aufgeklärt. Doch scheint sicher zu sein, daß er schon im ersten 
Jahre seiner Verwaltung dem französischen Könige gewisse Zu- 
geständnisse, die Oberhoheit über die bischöflichen Territorien 
betreffend, gemacht hat. Leider lassen sich in den Archivbe- 
ständen von Straßburg, Colmar und Rufach keine diesbezüglichen 
Urkunden nachweisen. 

Bald nach der Wahl begab sich eine Abordnung der Mun- 
dutleute unter Rufachs Führung nach Zabern, um dem neuen 
Oberherrn ihre Glückwünsche darzubringen und zugleich den 
von jeher üblichen Bestätigungsbrief der althergebrachten Mun- 
datvorrechte zu erbitten. Der Empfang war gnädig; der ersehnte 
Freiheitsbrief aber wurde für spätere Zeiten in Aussicht gestellt, 
folgte indes niemals. 1 

Es kamen dann die bewegten Tage, in welchen in den 
nahen Reichsstädten und geistlichen Gebieten große Aufregung 
und Betrübnis ob der französischen Bestrebungen herrschte, in 
welchen Colmar und die Reichsvogtei Kaysersberg vergewaltigt 
und der Fürstabt von Murbach dem französischen Könige preis- 
gegeben wurden ; Rufach blieb indes merkwürdigerweise inner- 
halb seiner Mauern vollständig unbelästigt. Zwar brachte die 
Niederlage der Kaiserlichen und Brandenburger bei Türkheim 
das Städtchen noch einmal in Kriegsnot, als im Januar 1675 
die Kanonen des Brigadier Lancon die verlassenen Dragoner des 
Regiments Börnsdorf zur Uebergabe der kaum verteidigungs- 
fähigen Isenburg zwangen. Aber, sagt das alte Stadturbar be- 
zeichnend, die frantzosen haben guet hordter 
g e h a 1 t e n , vndt ist derStadt vndt bürge r- 
Schaft kein Leith geschehen.« 

So waltete denn der vom Bischof auf Lebenszeit ernannte 
Schultheiß nach wie vor seines Amtes als Haupt der städtischen 
Justiz und Polizei. Fünfzehn Ratspersonen, wovon fünf auf Leb- 
zeiten ernannt waren, fünf aber jährlich durch ein öffentliches 
Wahl verfahren neu gewählt werden mußten, bildeten wie von 
altersher den Gerichts- und Verwaltungskörper und hatten selbst 
den Blutbann in den Händen. Die Bürgerschaft verfügte wie 
von jeher fast uneingeschränkt über Wälder und Allmende und 
erfreute sich der Befreiung außerordentlicher Frohnden und 
Lasten. So flössen die Jahre ruhig dahin ; schien es doch, als 
ob selbst der bischöfliche Herr sich wenig mehr um seine Mun- 
datleute kümmerte, da er sie, früheren Gepflogenheiten ent- 
gegen, keines Besuches mehr würdigte und keinen Obervogten 
mehr zum üblichen Schwörtage entsandte. Selbst der Beschluß 

1 Bczirksarchiv Colmar. Mundat * C. 

2 Urbarium, S. <w. 



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— 20 — 



der Reunionskarnmern vom 9. August 1680, der öffentlich die 
französische Oberherrschaft über sämtliche bischöfliche Gebiete 
im Elsaß verkündigte, irüble noch keineswegs das stille Wässer- 
lein. Es war leider die verdächtige Ruhe vor wildem Sturme. 

Im September 1082, kurz nachdem der erste Fürstenberger 
verblichen war, erhielt dessen Bruder und Nachfolger auf dem 
bischöflichen Stuhle, der bereits erwähnte Wilhelm Egon, von 
Ludwig XIV. die ersten Patentbriefe für seine elsässisohen Be- 
sitzungen. 1 Und mit welcher besonderen Gunst war da der 
neue königliche Vasall nicht bedacht worden ! 

Vorab rettete er seinen eigenen aus sieben Richtern be- 
stehenden Gerichtshof in Zabern, selbst als Berufungsinstanz 
für die städtischen Gerichte seines Gebietes bei allen Streit- 
werten unter 1000 ü ; desgleichen behielt der Bischof seine her- 
kömmlichen Hohheitsrechte wie die Strafgelder, die Jagd- und 
Fischereigerechtigkeit, das Bei gwerkrecht, das Recht der Juden- 
aufnahme, das Salpeterrecht und die Verfügung über die ver- 
schiedenen Lehensgerechtigkeiten des Bistums. Verloren ging 
bloß das Zollrecht, das schon im Oktober 1680 in ganz Frank- 
reich aufgehoben worden war; dafür wurde ihm als Entschä- 
digung eine Verkaufssteuer auf liegende und fahrende Güter 
zugebilligt. — Aber über seinem Haupte und seinen Landen 
schwebte statt der ausgeschalteten früheren Beichsgerichtsgewalt 
verhängnisvoll das Doppelschwert des neugeschaffenen Co n sei 1 
s o u v e r a i n und der allmächtigen Intendance. 

So willkommen dem Bischöfe trotzdem die Patentbriefe sein 
mochten, so unangenehm waren sie der Bürgerschaft Rufachs 
und der gesamten obern Mundat. Besonders empörend wirkte 
die Bestimmung, die dem Bischof unumschränkte Fronden in 
Hand- und Spanndiensten zubilligten, ihn indes ermächtigte, sie 
in festgelegte, sogar mit Gewalt einzutreibende Geldbeträge um- 
zuwandeln. Wie ein Mann erhoben sich Stadt und Land zu 
feierlichem Proteste, Man ahnte am Bisohofshofe den nahen 
Sturm : die Kläger wurden möglichst hingehalten und unter- 
dessen eine Ergänzungsschrift erwirkt, die am 30. Juli 1684 am 
C o n s e i 1 s o u v e r a i n enregistriert wurde ; und noch ehe 
die Bürger auf dem beschwerlichen, ungewohnten Instanzenwege 
dort angelangt waren, hatten beide Schriftstücke durch Bestä- 
tigung des Intendanten bindende Kraft erhalten. Daher auch 
die Klage im Stadtrate : Weilen aber des Herrn von 
F ü r s t e n b e r g Ö f f i z i a n t e n und F e r m i e r s b e- 
sorgten, daß b e y eine m r e g u I i r t e n Gerichts- 
stuhl der Supplicanten Recht u n d Briefe 

1 Vgl. den Anhang. 



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examinirt würden, g a b t e n sie He in Herrn 
De la G ränge, e I sä «s i sc he Intendanten, 
ihre Bittschrift, aufwelchesieeinOrdo- 
nance vom 4. September 1686 erhalten, in- 
haltend, daß die lettres patentes, so sie von 
ihrer Majestät erhalten, sollten exequirt 
werden, unddaßdie Einwonerderorthen, 
zu dem Bistum gehörig, sollten auf alle 
Weis und Weg zur Bezahlung der Frondienst 
gehalten werden, mildem Zusatz, daß die 
Amtsleüth, Schultheißen und Magistrat 
der Statt .. . . die handth abensollen, daß 
<l ie frondien st richtig lieh abgestattet und 
aufdas verweigern, dieselben mit Gewalt 
dahin anzuhalten.» Der Fronprozeß war mithin ver- 
loren, noch ehe er recht begonnen hatte, und selbst ein Imme- 
diatgesuch an den französischen König vermochte nichts mehr 
an der Sache zu ändern. 

Das war die erste Bekanntschaft der Mundatbewohner mit 
den französischen Gerkhtsverhältnissen, das erste Zusammen- 
prallen alter Volksüberlieferung und alter Herkommen mit den 
gestrengen Satzungen des römischen Rechtes, und die Unge- 
schicklichkeit der Stadtbürger mußte notgedrungen dem geüb- 
ten Zusammenwirken von Beamtenschaft, Intendance und Gon- 
seil souverain erliegen. Wie aber dann im selben Jahre noch 
der Bischof die sog. Schatzungsgelder einfordern ließ, da geriet 
die ganze Mundal in hellen Aufruhr. 2 Doch Gewalt ging vor 
Recht und weiteres Unheil war bereits auf dem Wege. 

Gestützt auf die Patentbriefe und ermutigt durch den glück- 
lichen Ausgang der bisherigen Streitigkeiten rückte nun die 
bischöfliche Verwaltung den Vorrechten der Stadt erst recht 
zu Leibe. Die VVassergerechtigkeiten des Ombaches, die freie 
Hand in Wald und Weide und das Monopol des Eisenhandels 
bildeten die nächsten Streitobjekte. Aber die Stadtbür^er waren 
klüger geworden ; sie benutzten in geschickter Weise ihre Archiv- 
bestände, und so verblieb ihnen diesmal einstweilen der Sieg. 3 

Umfangreicher wurde der Kampf um das Salzrechl. Schon 
1663 hatte der Bischof zwar ohne Erfolg versucht, der schönen 
Einnahme Herr zu werden.* Die neuen Zwistigkeilen begannen 



1 Stadtarchiv Rufach. JJ 7. 

* Bezirksarchiv Colmar. Mundat 0. 
» Urbariura, S. 7Gff. 

* Bezirksarchiv Colmar. Mundat V u. Urbar 74 ff. 

4 



- 22 - 



in dem verhängnisvollen Jahre 1086 und schwebten noch 1708, 
als der Bischof persönlich beim Rate vorsprach, um sich mit 
ihm zu vergleichen, sie schwebten noch 1711, als die Beauf- 
tragten des Intendanten im Verein mit des Bischofes Abgesandten 
ein Uebereinkommen vorschlugen, sie schwebten noch als 1723 
einem neuen Bischöfe neue Patentbriefe verliehen wurden und 
endigten schließlich nach fast fünfzigjähriger Dauer doch zu 
Gunsten der Stadt. Unsummen hatte der Streit verschlungen, 
aber zu gutem Ende geführt. 1 

l'nd dennoch leistete die Stadt 1692 schon willig ihren 
Beitrag zu einem don gratuit von 50 000 flf , das der 
Bischof seinem französischen Oberherrn darbringen wollte. War 
ja die französische Verwaltung damals eifrig bemüht, der 
seit Jahrhunderlen bestehenden Verschuldung der bischöflichen 
Gebiete abzuhelfen und die lästigen Schatzungsgelder endlich 
zu beseitigen. Ein königliches Dekret von 1687 schuf nämlich, 
wohl infolge der schon genannten Empörung von 1686, eine 
sogenannte Schuldentilgungskommission , die aus dem In- 
tendanten De la Grange, dem Prätor Obrecht und dem bischöf- 
lichen Kanzler bestand und die Mittel und Wege zur Abhilfe 
ausfindig machen sollten. Freilich währte es noch eine schöne 
Zeit, bis die Maßnahmen von einem praktischen Erfolge be- 
gleitet waren ; denn erst durch Beschluß vom 11. September 
1699 konnten die Schatzungsgelder vollständig abgetan werden. 
Die Kommission verteilte eine Schuldenlast von 417921 U ver- 
hältnismäßig unter die bischöllichen Städte und Dorfschaften, 
die binnen zehn Jahren ihren Anteil an den Rechner, den 
Amtmann Franz Zoller in Wantzenau, zu entrichten hatten.« 
In Rufach erweckte diese Neuregelung große Freude ; war man 
sich doch dort schon seit Jahrzehnten bewußt, daß die jahraus, 
jahrein erhobenen Schatzungsgelder nicht zweckentsprechend 
verwendet wurden. 

Inzwischen war auch eine andere Persönlichkeit dem Stadt- 
frieden gefahrlich geworden. Es war dies der bischöfliche Ober- 
vogt Job. Christof Fries, der seinen Sitz auf der Isenburg 
droben aufgerichtet hatte. 

Schon vor 1680 hatte er unter dem damaligen Vogte von 
Wangen die Vizelumstelle verwaltet. In den Uebengangszeiten 
führle er sogar mit dem Fiskalprokurator Zaigelius und einem 
gewissen Kielborn ein etwas zweifelhaftes Regiment ; und den- 
noch legte der Bischof 1683 zum Erstaunen der Stadtbürger 

1 Vgl. auch das Urteil gegen die I) o m a i n e du r o i vom i). 
Februar 1736. Urbarium. S. 460. 
« Stadtarchiv Rufach BB. 



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- 23 - 



die einflußreichste Stelle der Mundallande getrost in seine Hunde. 
Das war auch ganz naturlich ; hervorgegangen aus der in der 
Intendance und dem Conseil souverain verkörperten Schule des 
gallisch-römischen Rechtes, war Frieß der geeignetste Vertreter 
für die Bestrebungen von Bischof und Regierung, denen das 
trotzige mit allerlei Vorrechten ausgestattete Städtchen ein Dorn 
im Auge war. Gingen doch auch die übrigen bischöflichen Be- 
amten, die jetzt zielbewußt nach Rufach gesandt wurden, eben- 
falls aus französischer Schulung hervor; ich nenne hier |bloß 
den AmtsschafTner Sylvain GoJbery, den Stammvater der nach- 
mals so berühmten elsassischen Magistrats- und Gelehrten- 
familie. 1 

So lange die Schultheiße Johann Paul Streng (1665-90) 
und Johann Andreas Kansperger (1690—94) noch an der Spitze 
der städtischen Verwaltung standen, ging das Zusammenwirken 
von Vogt und Rat noch leidlich, obschon das seltsame Ver- 
schwinden des alten Stadtbuches bei Slrengs Tode etwas stutzig 
machte 2 und die Streitigkeiten wegen Benutzung der trocken- 
gelegten Stadtgräben, die teils dem Vogt teils der Stadt zustand, 
schon einen bedenklichen Charakter annahmen. Da übertrug der 
Bischof 1695 das Schultheißenamt dem jugendlichen Paul Seitz. 

Der kampfesmutige, unerschrockene Beamte, der außerdem 
über eine genaue Kenntnis der alten Stadl Verfassung verfügte, 
trat von Anfang an allenthalben den Uebergrilfen des Vogtes 
bestimmt entgegen. Doch auch der Vogt war keineswegs der 
Mann, der auch nur um Haaresbreite zurückgewichen wäre. 
Welche Erbitterung aber in seinem Innern herrschte und von 
welchem Geiste er beseelt war, geht nur allzu deutlich aus 
dem M e m o i r e vom Mai 1696 hervor, wo er behauptete : 
. . .en un motpour tout, je pretend estre 
le maitre absolu dans toute l'ober m Un- 
tat h le Rouffach, comme en etant le gran- 
dissirne bailli, et de traiter I es habitants 
comme bon me semblera per fas et nefas, 
taut b i e n q u e mal, ä t o r t et ä t r a v e r s , 
sans qu'aucun s'en puisse plaindre ä 

1 Vgl. Walter, Alsatia superior sepulta, Nr. 35)7. 

* Es geht in Rufach noch immer die seltsame Mär, als sei das 
Stadtarchiv seiner kostbarsten Schätze beraubt. Im Interesse der 
Wahrheit sei indes mitgeteilt, daß unser wertvolles altes Archiv 
eines der vollständigsten des Landes ist, das nur wenig Lücken auf- 
weist, die schon vor zwei Jahrhunderten anerkannt wurden. Die 
alten Stadtvater haben die schone Sammlung stets treu gehütet und 
uns wohl erhalten überliefert. Leider scheint die heutige Verwaltung 
kein Verständnis mehr dafür zu haben; ist doch der jetzige Zustand 
unwürdig und trostlos. 



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- 24 - 



peine «i'elre condamne a u x galer es. . . 
Ü i e u v e u i I I e <j u e c e I a a d v i e n n e et i' e r a 
justice. . .» Ein unheimlicherer Absolutismus ist wohl 
noch selten in so wenig Worten ausgesprochen worden! Und 
doch triel) ihn sein schlauer Gegner in die Enge, his ihm 
schließlich der bischöfliche Herr durch einen Erlaß vom i>5. 
Juni 169(5, durch den er ihm eine Keine seiner angemaßten 
Hechte bestätigte, zu Hilfe eilte.» 

So sollte der Vogt fürderhin die Ratsversammlungcn leiten, 
die Urteile sprechen und bei der Vergebung städtischer Aemter 
den Vorsilz führen, er sollte freies Salz aus dem Salzhause der 
Stadt beziehen und jährlich einen silbernen Ratsbecher von 
28 Sol Gewicht als Weihnachtsgabe erhalten, alles Neuerungen, 
von denen weder die Ratsbriefe noch die früheren Bestallungen 
der Vögte etwas wußten. Der Rat beschloß am 47. Juli ein- 
stimmig , ahn gehöriger Orth die remedu r 
zu suchen, und beauftragte den Schultheißen, einen Pro- 
zeß gegen den Obervogten auf städtische Kosten einzuleiten. 

Der Obervogt seinerseits blieb auch nicht untätig; er er- 
wirkte unterm 13. Februar 1697 beim C o n s e i I s o u v e- 
rain einen Arret, wonach die Stadtverwaltung ihn — 
als das Haubt der Justice vndt Polize — 
anerkennen mußte, desgleichen sollte sie auch keine 
Zusarnmenkunftoder a ssemblee ohne p e r- 
m i s s i o n gedachten Obervogten halten, 
auch i h m e alle rechten, welche ihm ge- 
bühren, absonderlich den silbernen Be- 
cher, drei S e s t e r S a I t z und das nötige 
Brennholtz geben vndt I ü f f e r n . . . Die Stadt- 
väter kümmerten sich nicht, weiter um diese Verfügung, sie be- 
haupteten ihre Rechte und legten Widerklage ein. Zugleich er- 
langte der Schultheiß gleichsam als Vergeltung vom Conseil 
souverain einen Arret wonach alle Freisitzenden der Stadt, 
wozu auch die bischöflichen Beamten gehörten, zu den sog. Heeres- 
kosten von 11 000 G gleich den andern Bürgern ihren Beitrag 
abliefern mußten. 3 Bald sollte die Kluft zwischen Vogtei und 
Stadtverwaltung noch größer werden. 

Seil urdenklichen Zeiten war es nämlich im Rufacher Rate 
üblich, daß, wie schon bemerkt, fünf Mitglieder lebenslänglich 
im Amte blieben, von den übrigen aber jährlich zwei ausscheiden 
mußten. Der Vogt aber, der bis jetzt sowohl seinen Herrn als 



i Stadtarchiv E. FF. 57. 

* Urbarium. S. 24 y ff. — Stadtarchiv R. — BD. 73. 
3 Stadtarchiv R. - BB. 73. 



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— 25 - 



den Conseil souverain hinter sich fühlte, stieß bei der Ratsbe- 
setzung im Januar 1698 allen Ueberlieferungen der Stadt zum 
Trotze vier ältere Mitglieder aus dem Rate, ohne einen andern 
Grund angeben zu können, als den, daß das so sein Wille 
wäre. 

Die fönt' Aeltesten, die von jeher als die Träger der Tra- 
dition die Wahl zu vollziehen hatten, kehrten sieh nicht 
nach den Wünschen des Herrn Vogtes ; sie wählten unentwegt 
zwei neue und bestätigten die übrigen acht sämtlich im Amte. 
Der Vogt versuchte Gewalt anzuwenden; die Aeltern aber pro- 
testierten gegen die Wahlbeeinflussung und wurden schließlich 
auf Betreibung des Vogtes wegen Unbotmäßigkeit ihrer Stellung 
enthoben. Inzwischen hatten sich die wiedergewählten und 
nicht bestätigten Mitglieder an den Conseil souverain 
gewandt und dort ihre Wahl durch Brief und Siegel vollständig 
bestätigt erhalten, zur Freude der Ratsgenossen, zum Aerger 
des Vogtes. 

Doch es kam der Michaelistag 1699, an dem der Schult- 
heiß dem Rate zu seinem großen Leidwesen mitteilen mußte, 
daß ihre früheren Klagen gegen den Vogt und den Arret von 
1096 vom hohen Gerichtshof verworfen worden wären und sie 
diu nicht unbeträchtlichen Kosten samt und sonders zu tragen 
hätten. Abermals stürmische Szenen innerhalb des Rates, der 
unter allen Umständen weiter versuchen will, seine altererbten 
Rechte zu retten und zu wahren. 1 

Dem Vogte Fries konnte hei allen diesen Streitigkeiten 
unmöglich entgehen, daß der Schultheiß Seitz die Seele des 
städtischen Widerstandes war. Er war es auch wirklich, der 
unermüdlich bald nach Colmar, bald nach Straßburg, bald nach 
Zabern, bald nach Paris eilte und dort beredten Mundes die 
Interessen der Stadt vertrat. Ihn unschädlich zu machen, dar- 
aufhin waren daher zunächst seine Bemühungen gerichtet. 
Und siehe da, am frühen Morgen des 8. September 1702 er- 
schienen in der Seitz'schen Wohnung die Hatschiere von Colmar 
und wiesen dem erstaunten Schultheißen einen Haftbefehl des 
Intendanten vor, wonach der Schultheiß sofort in das Gefängnis 
nach Colmar einzuliefern wäre; und willig folgte er den Schergen 
in das Kerkerverließ, in dem er 12 Tage in stiller Ergebung 
und Erwartung ausharrte. Endlich öffneten sich die Pforten 
wieder ; aber in feierlicher Weise wurde ihm eröffnet, daß er 
durch Beschluß des Staatsrates wegen Ungehorsam seines Amtes 
als Schultheiß in Rufach entsetzt wäre. 2 



1 Stadtarchiv R. - BB. 74. 

2 Stadtarchiv R. — BB. 7<>. 



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— 20 - 



Seitz kehrte nach Hufach zurück, versammelte dort am 
27. September seine Ratsverwandten in öffentlicher Sitzung und 
erklärte eben so feierlich, daß kein königlicher Rat über ihn 
zu verfügen hatte, sondern nur sein bischöflicher Herr, der ihn 
ernannt habe; und der ganze Rat gab ihm einstimmig das 
Zeugnis daß er sich jederzeit gegen den 
Rath, wie auch der ganzen h u r g e r s c h a f t 
wohl und recht gehalten, wie auch in der 
repartierung der beschwerdten r e d t I i c h 
gehalten . . . Doch Paris hatte gesprochen, Straßburg mußte 
sprechen. Seitz ward nach wenig Tagen auch vom Bischof 
seines Amtes für verlustig erklärt. Und dennoch blieb der un- 
erschrockene Kämpe auch fernerhin die Triebfeder des städti- 
schen Widerstandes ; konnte doch der Bischof nicht umhin, 
ihm noch im selben Jahre die ebenso einflußreiche Stelle 
eines Stadtschreibers und Notarius in Rutach einzuräumen. 
Humbrecht Marinus Streng, der letzte Rufacher Schultheiß 
von altem Schrot und Korn, trat an seine Stelle. 

Der frühere Stadtschreiber Franziskus Patrysi de Ferrot, 
dem die Stelle eines Landschreibers oder Gyrographen der Ober- 
mundat übergeben worden war und dem das Schicksal der arg 
bedrängten Stadt, der Heimat seiner Gemahlin und seiner Kinder, 
doch zu Herzen ging, trug ihr schließlich abermals, wenn auch 
im Geheimen, seine guten Dienste an. Schon 16ü8 war in ihm 
der Gedanke aufgekommen, es einmal am königlichen Hof zu 
versuchen, ob nicht von dort ein sog. Freiheitsbrief nach Art 
derjenigen der früheren deutschen Kaiser für die Stadt zu er- 
reichen wäre.» Auf sein Betreiben hin wurde 1703 sein Pariser 
Freund Valentin Gotting mit reichlichen städtischen Geldmitteln 
versehen und zugleich mit den umständlichen Vorarbeiten zu 
dem Unfernehmen beauftragt. Aber die französische Regierung, 
die ja von Anfang an den privilegierten elsässischen Städten 
keineswegs hold war, konnte für dergleichen Gunsterzeigungen 
nicht mehr gewonnen weiden. So schrieb denn auch Gotting 
am 23. Januar 1705 aus der damaligen Residenz Marly kurz 
und bündig an seinen Freund Ferrot in Rufach, que l'af- 
faire des Messieurs de Ruffac a manque 
entierement; 1 e roy a d e c I a r e ä M r de 
Barbessie ux qu'il ne vouloit plusdonner 
de ses s ort es de lettres . . . 2 

In Rufach wollte man indes an die Hiobspost nicht glauben. 
Ein Pariser Advokat Mauiourt, der ebenfalls über die Angelegen- 



1 Vgl. Jahrbach des V. C. S. 4 ff. 

2 Stadtarchiv Rufach. AA 2 c. 



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27 — 



heit befragt wurde, wußte allerdings auch keinen weitern Aus- 
weg, als es mit einem wohl dokumentierten Gesuch bei Lud- 
wig XIV. selbst zu versuchen. Aber die Sache ging nur sehr 
langsam vor sich, da alle die schönen städtischen Freiheitsbriefe 
von Wenzeslaus 1384, von Sigismund 1434, von Friedrich III. 
1442 u. a. m. zunächst in das Sekretariat des Consei I sou- 
verain wandern mußten, um dort von den vereidigten Ueber- 
setzern in die seit 1684 vorgeschriebene französische Gerichts- 
sprache übertragen zu werden. Während dieser Zeit wurde 
sogar, unter Berufung darauf, daß Rufach als eines der ältesten 
Bollwerke des Christentums im Elsaß seine Größe und sein An- 
sehen St. Dagobert und St. Arbogast verdanke, der Erzbischof 
von Paris auf die Gefahr, in der die uralten Vorrechte ständen, 
aufmerksam gemacht, und im Namen der ganzen Christenheit 
um eine Vermittelung und Fürsprache beim Könige gebeten. 
Da erfolgte am 27. September 1710 das endgültige Urteil des 
Conseil souverain, durch welches Vogt und Bischof 
in fast allen Klagepunkten gegen die Stadt abgewiesen wur- 
den.* Der Hohe Gerichtshof hatte sich in seinen früheren Be- 
schlüssen durch die die Amtleute betreffenden Erlasse des 
französischen Staatsrates von 1675 und 1686 verleiten lassen, 
Bestimmungen, die für die unmittelbar französischen Teile ge- 
schaffen waren, auch auf die Mundatlande auszudehnen, 
Rufach atmete wieder auf und gab seine Bemühungen in Paris, 
die ohnedies immer noch keine Aussicht auf Erfolg verhießen 
und dabei recht kostspielig waren, vollständig preis. 

Drei Jahre später, am 22. März 1713, starb Fließ und am 
folgenden Tage sein einziger Sohn Heinrich, der schon einige 
Zeit die Nachfolge seines Vaters im Amte übernommen hatte. 
Dieser war die guetigkeit selbsten gewesen 
und männiglichen hattege hofft in itihme 
in Fr i dt und einigkeitzu leben, also vermerkte 
Seitz betrübten Herzens ob der seltsamen Ereignisse in den 
Ratsbüchern der Stadt. 8 

Bereits 1704 hatten bekanntlich die Fürstenberger den 
bischöflichen Stuhl in Straßburg den Ronan eingeräumt. Der 
neue Bischof erschien wieder zeitweilig in Rufachs Mauern und 
gewann sich dort aller Herzen, und friedliche Tage schienen 
abermals in Aussicht zu stehen. Selbst die Zwistigkeiten, die 
die neue Polizei Verordnung von 1708 heraufbeschwor, und die 
1715 zwischen dem neuen Obervogten Scheppelin und der 
wiedererrichteten Schützengesellschaft ausgebrochenen argen 

• Vgl. die Arrest des C. S. vom 10. Sept. 1704, vom 6. März 
1708 und vom 2. Sept. 1710 auf S. 264, 269 und 273 des Urbai iums. 
2 Stadtarchiv R. — BB 85. 



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_ >JS _ 



Händel vermochten nur vorübergehend das friedliche Einver- 
nehmen zu stören,» Da erschien im Mai 1723 der Patentbrief 
Ludwig XV., der dem Bischöfe nicht nur alle alten so lange 
und so heiß umstrittenen Rechte aufs neue bestätigte, sondern 
eine weitere Reihe von Bestimmungen enthielt, die für Rufachs 
Bürger unannehmbar waren. 2 

Ein jährlicher Beitrag zu 8000 U Gerichtskosten wurde ge- 
fordert, das Recht über Zulassung der Juden und die Besetzung 
sämtlicher städtischer Beamtenstellen aufs neue beansprucht, 
die Stadtwälder der bischöflichen Maitrise unterstellt u. a. m. 
Ja, hätte die Stadt den wackeren Seitz noch gehabt ; aber er 
war am 15. Dezember 1721 vom irdischen Kampfplatze ins fried- 
liche Jenseits abberufen worden. So verfloß ein wertvolles Jahr 
ehe alles zum neuen Kampfe bereit war; und diese Zeit brachte 
den wohl im Interesse ihrer amtlichen Stellung erfolgten Abfall 
von Schultheiß und Sladtschreiber. Zwar rief am 18. Juni 172 i 
die große Glocke vom Münsterturme die gesamte Bürgerschaft 
zum Rathausplatze; aber nur drei der ältesten Ratsmitglieder 
waren es, die dem Volke im Auftrage ihrer Genossen die dro- 
hende Gefahr klarlegten und zum heiligen Kampfe anfeuerten.» 
Der Prozeß wurde beschlossen, die Genehmigung des Intendan- 
ten eingeholl und die Advokaten in Colmar mit den nötigen 
Belehrungen versehen. Und nun ein Beispiel der Einfalt unserer 
alten Sladlbürger in Rechtsangelegenheiten. Anfangs September 
1724 erfolgten bekanntlich die Hochzeilsfeierlichkeiten Lud- 
wigs XV. mit des Polenkönigs Tochter, an denen sich jn der 
Bischof von Straßburg in hervorragender Weise beteiligte, 
ü n d t e r währender d i s e r Hochzeitscere- 
monien und Bemühungen unsers gnädigen 
Herrn, sagt ein Schriftstück jener Zeit, h a t d i e S t a d t 
Rufach nicht guth befundten, disen proceß 
wegen vo igen anter Articul (1er fürstlichen 
Patente zu betreiben, damit dieselbe nicht 
für oportun möchte gehalten werden, bis 
solches alles mit der Hochzeit möchte sein 
Richtigkeit haben; aberdises gäbe denen 
fürstlichen procuratoren und Advokaten 
Vrsach, sich unsers Verweilen zu bedienen 
und w i d e r u n s e i n S u r p r i x zu erhalten.*... 
Es erfolgte nämlich wirklich in dieser Zwischenzeit eine Ver- 



1 Bezirksarchiv in Colmar. Mandat 2. 1, F und 10, 2, H. 

2 Vgl Ordonance d'Alsace II. 704 ff. 

3 Urbarium, S. 107 ff. 
« Urbarium, S. 113. 



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- 29 - 



urteilung zur vorläufigen Entrichtung' der bestrittenen Gerichts- 
gelder, Die übrigen streitigen Punkte sollten im Juni 1726 
durch einen Vergleich geregelt werden; aber der Rat forderte 
ungestüm seine alten Rechte ungeschmälert. Die beiden städti- 
schen Archivbewahrer J. P. Gschickt und J. S. Müller erhielten 
den Auftrag, die alten Stadtbriefe genau zu durchforschen, und 
alle Stadtgerechtigkeiten wohl mit Beweismitteln versehen, in 
einem neuen Stadlbuche niederzulegen. • So meisterhaft das 
ungeheure Werk, das uns heute noch erhalten ist, auch durch- 
geführt wurde, erfüllte es seinen Zweck nicht mehr; für die 
französische Regierung war die Zeit gekommen, endgültig mit 
allen diesen städtischen Vorrechten aufzuräumen. 

Als 1737 der Versuch, der Stadt die Wälder zu Gunsten 
des Bischofs zu entziehen, gescheitert war, 2 verhängte die Mai- 
trise 1738 über den ungefügen Rat, der sich ihren Anordnungen 
nicht fügen wollte, eine Geldstrafe von 3000 8 und lüCO 8 
Hospifal.^pende und 1754 eine solche von 4000 8 und eine Spende 
von 400 8. Von 1755 ab konnte nach langen, langen Streitig- 
keiten auch nicht der geringste städtische Beamte mehr ohne des 
Obervogten Beisein und des Intendanten Genehmigung ernannt 
werden usw. usw. Stück um Stück fiel jetzt Recht um Recht 
dahin. Und was war im Laufe der Jahre aus dem Magistrat, 
dem festen Rückgrate der Bürgerschaft geworden? Nachdem 
schon 1717 und 1719 durch Slaatsratsbeschlüsse die Zahl der 
Baustellen von 15 auf 12 bezw. 11 herniedergedrückt worden 
war, erschien 1756 eine neue königliche Ordre, wonach der 
Stadt Rufach nur noch 7 zuerkannt wurden, und von 1761 ab 
durfte der Magistrat mit Einschluß des Schultheißen nur noch 
aus 6 Personen bestehen, darunter drei ältere lebenslänglich 
ernannte. 3 Ja, als 1765 der Schultheiß Bach sein Amt nieder- 
legte, um als Advokat des Conseil souverain nach Colmar über- 
«usiedeln, da zog der Obervogt Junker mit der Regierung Ge- 
nehmigung auch dieses Amt an sich, so daß die Stadt von da 
an keinen eigentlichen Schultheißen mehr besaß. Daß alle diese 
Vorgänge \iel böses Blut machten und von vielen Protesten und 
Prozessen begleitet waren, versteht sich von selbst. 

Durch Beschluß der Nationalversammlung von 28. Dezem- 
ber 1790 wurde die bisherige Verwaltungsform der Gemeinden 
endlich vollständig aufgehoben, und die seit 1788' bestehende 



1 Stadt-Buch und Urbariura von Ruffach, ein Folioband in Per- 
gamentdecke von 553 Seiten. — Geben in Ruffach den 2 8. 
August 1 7 27. 

- Bezirksarchiv Colmar, Mandat 2. 4. L. 

3 Stadtarchiv R. — BB. 124 und Bezirksarchiv Colmar. Mun- 
dat 10. 4. F. 



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- 30 — 



M ii n i z i p a I v e r s a ni m I u n mil ihrem Syndikus 
in einen Munizipal rat mit einem M a i r e an der Spitze 
umgeschaffen. Der Magistrat von Hufach aher tagte allen An- 
feindungen zum Trotz als gerichtliches Institut unbeirrt weiter, 
bis er durch die am 14. Februar 1791 erfolgte Wahl des Frie- 
densrichters Voche seines Amtes vollständig entsetzt wurde, und 
auch dann noch wich er erst der Gewalt. 

Hiermit hatte die 1100 jährige ImmunitasDago- 
b e r t i ihr Ende erreicht, aber auch die Macht und das An- 
sehen Hufachs sind damit zugrabe gegangen. Die Triebfeder 
des machtigen Stadlwesens im Mittelalter war eben die auf be- 
sondere Vorrechte gestützte Verfassung, die jenen so ausgepräg- 
ten und so oft bewunderten Bürgersinn schuf. Das wußte die 
französische Regierung wohl ; deshalb hat sie bei dem bereits 
durch Prozesse zerrütteten Stadtwesen schließlich dort ihre 
Hebel angesetzt und durch das Brechen der althergebrachten 
Formen auch den germanischen ßürgersinn niedergezwungen 
und unterdrückt. Hufach erholte sich von diesem Schlage nicht 
mehr. Die in langem vergeblichen Streite ermatteten Bürger 
vermochten sich unter den neuen Verhältnissen nicht zurecht 
zu linden. Trauernd um die längstentschwundenen Glanztage 
ihrer Väter, verträumten sie die wertvolle Gegenwart und ver- 
loren schließlich jeglichen Mut zu neuem frohen Wirken ; und 
so sank die alte stolze Hauptstadt der bischöflichen Lande im 
obern Elsaß nach und nach zu einem stillen, ländlichen Ge- 
meinwesen hernieder, dem schwerlich noch eine bessere Zu- 
kunft, ein erneutes Aufblühen, beschieden sein wird. Tempora 
mutantur. 

Anhang. 

Lettres Patentes portant conflrmation des Droits 
de l'Eveche de Strasbourg. — Septembre 1682. 

Louis Par La Grace De Dien Hoy De France Et De Navane, 
ä tous presens et avenir, Salut, incontinent apres que la Ville 
de Strasbourg s'est soümise ä nötre obeissance, feu nötre tres- 
cher et bien ame Cousin l'Eveque de Strasbourg Nous auroil 
presentö une Requete, par laquelle ii Nous auroit conjoincle- 
ment avec son Chapitre, tres -humblement supplie de le faire 
joüir des memes Droits et Hevenus dont joüissoient ses Prede- 
cesseurs Eveques de Strasbourg, dans les Terres dependantes 
dudit Evöche, situees en nötre obeissance en de ca du Hhin : 
Et d'autant que pendant le terns necessaire pour l'examen de la- 
dite Requete, il a passe de cetle vie en une plus heuteuse, 



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— 31 - 



nötre tres-cher et bien ame Cousin le Prince Guillaume de 
Fürstemberg son Frere, ä present Eveque dudit Strasbourg, 
depuis peu eleu avec nötre agrement ä ladite dignite d'Eveque 
par ledit Cbapitre, Nous ä conjointement avec iceluy tres-hum- 
blement supplie de le vouloir faire joüir et ses Successeurs au- 
dit Eveche, des susdits Droits. Et etant bien aise de le traiter 
favorablement en consi(de)ralioi) du zele et de l'aflection qu'il 
ä toujours fait paroitre pour nötre service et de l'attaehement 
qu'il a eu et temoigne avoir aux interets de nötre Gouronne, 
et luv donner des marques de nötre bienveillance et de l'estime 
que nous faisons de sa personne. Scavoir Faisons que pour ces 
causes, et de nötre grace speciale, pleine puissance et authorite 
Royale, Nous avons par ces Presen'es signees de nötre main, 
dit, declare et ordonne, disons, declarons et ordonnons, vou- 
lons et Nous plait, que nötre dit Cousin l'Evöque de Strasbourg, 
et ceux qui luy succederont audit Eveche, joüissent dans les 
Terres et Lieux dependans d'iceluy Eveche situes dans nötre 
obeissance, les Droits cy-apres specifies. 

I. Scavoir, que le Conseil de Saverne exerce sa Jurisdic- 
tion, ainsi qu'il a fait par le passe, et selon l'usage, coütüme 
et Constitution du Pays, connoisse, lors qu'il y aura nombre de 
sept Juges, de tous les difierents qui arriveront entre les Habi- 
tans du Bailliages qui dependent dudit Evöche, et les terminent 
en dernier ressort, quand il ne sera queslion que de la somine 
de cinq cens Livres, et que ce qu'il ordonnera, soit execule par 
Provision jusqu'ä la somme de mil Livres, saut' Pappel en nötre 
Conseil Souverain d'Alsace seant ä Brisac, pour le fond et pour 
la provision des Proces ou il s'agira de plus grande somme. 

II. Que ledit Sieur Eveque et ses Successeurs audit Evöch6, 
seront maintenus dans la possession et faculte en laquelle ont ele 
leurs Predecesseurs Evöques de Strasbourg, de pouvoir achepter 
d.u sei par tout ou bon leur semblera, de le faire vendre et 
debiler aux Habitans des lieux dependants dudit Eveche et 
dudit Cbapitre au meme prix qu'il est debite par nos Fermiers 
dans la haute Alsace. 

III. Que pour les dedommager des Droits «le peage sup- 
primes par Arröt de nötre Conseil du 3. Octobre 1080 il leur 
sera loisible de prendre et percevoir le trentieme dcnier de toules 
les venles des immeubles et le cinqantieme de toutes celles des 
meubles, qui se teront dans les Terres dudit Eveche et dudit 
Cbapitre de Strasbourg. 

IV. Qu'en outre pour leur tenir lieu de corvee illimitees, 
que les Ev«»ques de Strasbourg s'etoient mis en possession d'im- 
poser sur leurs Stijels, Nous leur avons accorde la faculte de 
joüir de douze corvees par an, des Habitans aUi Pays dependant 



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— 3-2 — 



dudit Eveche, chacune corvee racbetable de dix Sols, de sept 
corvees de cheval de somme, ou de chariols etans dans les Vil- 
lages; Chacune corvee de cheval racbetable de quinze Sols, et 
celle de chariot altele de quatre chevaux racbetable de soixante 
Sols, et s'il ya moins de chevaux a proportion. Moyennant les- 
quels Droits de corvees ledit Sieur Eveque. ny ses Successeurs 
audit Eveche, et leurs Ofliciers, ne pourront sous quelque pre- 
texte que ce soit, exiger aucunes corvees desdits Habitans, pas 
meme en les payant les faire marcher conlre leur gre. 

V. Comme aussi qu'il ne pourra etre fait aucune imposition 
par lesdits Sieurs Eveques, ou leurs Ofliciers sous pretexte de 
remboursement des Dettes de KeDgagement du Bailliage d'Ober- 
kirch, ny celle dite des mois Romains, pour le payement des 
gages des Ofliciers de la Chambre de Spire, non plus que pour 
le payement des Garnisons, ny aussi de continuer a lever Celles 
qui se faisoient sur la viande et sur le pain, foin et avoine, et 
(|ii'a la reserve de ce qui est regle cy-dessus a l'egard du Droit 
de corvee, ils ne puissent faire d'autres levees dans les Terres 
dudit Eveche situees en deca du Rhin, que de ceux qui se le- 
voient en l'annee 1600. 

VI. Voulons et entendons que les mineraux d'or et d'argent 
qui se trouveront tatit dans le Rhin que dans les montagnes de 
lelendue dudit Eveche, appartiennent auxdils Sieurs Eveques des- 
quels nous leur avons fait et laisons don par cesdites Presentes. 

VII. Entendons aussi que ledit Sieur Eveque et ses Succes- 
seurs audit Eveche jouissent »In Droit de congedier les Juifs do- 
micilies et etablis dans les Terres dudit Eveche et de ceux qui 
pourroient venir s'y etablir cy-apres ; Et de recevoir ce qui a 
accoütume d'elre pay6 pour ce eilet annuellement par lesdits 
Juifs, qui est, scavoir pour cbaque famille douze Escus par an, 
et pareille somme de douze Escus pour la reception de cbaque 
Juif dans lesdites Terres, moyennant quoy ils seront exempts 
de toutes Charges ordinaires. 

VIII. Accordons pareillement auxdits Sieurs Eveques lesamen- 
des et contiscations, lesquelles leurs Predecesseurs Eveques ont joüi. 

IX. Nous leur accordons aussi la faculle de reünir ä I' Eve- 
che de Strasbourg les Fiel's qui ont ele alienes par leursdits 
Predecesseurs Eveques, ä mesure qu'ils viendront ä vacquer; 
Et ä l'egard de ceux qui ne sont pas de nature a y devoir £tre 
reunis, voulons qu'ils en disposent en faveur de telles personnes 
qu'ils aviseront bon etre, pourvü qu'ils soient nes nos Sujets, 
et ne soient pas engages dans aucun senke etranger. 

X. Voulons en outre, que lesdits Sieurs Eveques joüissenl et 
disposent du Droit de cbasse, peche et forets, de meme qu'en 
ont joüi ou dispose les Eveques dudit Strasbourg jusqu'ä present. 



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Z 



— 33 — 



XI. Les maintenons pareillement dans la possession de juger 
des differents qui sont survenus, ou pourroient survenir entre 
les Vassaux dudit Eveche pour raison de )a joüissance et suc- 
cession des Fiefs seulement dependans dudit Eveche, comme 
aussi des differents de Vassaux avec les Sujets qui dependent 
desdits Fiefs, ainsi qu'il s'est pratique cydevant, sauf l'appel 
en nötre Conseil Souverain d'Alsace. 

XII. Leur accordons aussi la facultä de faire tirer le Sal- 
petre dans les Terres dudit Eveche, jusqu'ä ce qu'aulrement 
nous ayons ordonne, et ä la charge toutes fois, que le Fermier 
desdits Salpetres ne le pourra vendre qu'a celuy qui aura ordre 
de Nous pour en fournir les Magasins de nos Places d'Alsace. 

XIII. Quant aux foires et marches deja etablis dans les 
Terres dudit Eveche, nous avons trouve bon de les maintenir, 
sans neantmoins qu'il en puisse etre etabli d'autres par ledit 
Sieur Eveque, ny ses Successeurs audit Eveche, que de nötre 
consentement et en consequence de nos Lettres Patentes. 

XIV. Voulons et entendons, que lesdits Sieur Eveques et 
leurs Sujets joüissent du debit du fer dans lesdites Terres, tout 
ainsi qu'ils ont fait par le passe. 

XV. Et Gnalement, Nous avons maintenu et maintenons 
ledit Sieur Eveque et ceux qui luy succederont audit Eveche, 
dans la possession ou ont ete jusqu'ä present les Eveques de 

. Strasbourg leurs Predecesseurs, de pouvoir faire contraindre par 
execution de Jugemens du Conseil de Saverne, les Habitans 
dudit Eveche au payement de toutes les rentes, revenus et au- 
tres redevances qu'ils doivent aux Eveques de Strasbourg. 

Si Donnons en Mandement ä nos Arnes et Feaux les Gens 
tenans nötre Conseil Souverain d'Alsace, seant ä Brisac, que 
les presentes ils ayent ä faire enregistrer, et du contenu en 
icfelles jouir et user nötredif Cousin le Sieur Eveque de Stras- 
bourg et ses Successeurs audit Eveche, pleinement et paisible- 
ment, cessant et faissant cesser tous troubles et empöchemens ä 
ce contraires; Car Tel Est Nostre Plaisir, et afin que ce soit 
chose ferme et stable de toujours, Nous avons fait mettre nötre 
scel ä cesdites presentes sauf en autres choses nötre Droit et 
l'autruy en toutes. 

Donne ä Versailles au mois de Septembre l'An de grace 
1682 et de nötre Regne le 40. Signe Louis et plus bas par le 
Roy Le Tellier, et ä cöte Visa Le Tellier. 

Registre es Registres du Conseil Souverain d'Alsace le 28 
November 1682. 

Ordonnances d'Alsace, I 154 fif. 



3 



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IV. 



Das Susannenspiel 
des Samuel Israel von Straßburg 

von 1603. 

Herausgegeben von 

Dr. Alfred Schaar. 



Susanna 

Von 

Samuel Israel. 

Aufgeführt am 7. August 1603 zu Münster im Elsaß. 
Gedruckt zu Basel bei Johann Schröter 1607. 



Samuel Israels von Straßburg Komödie von cSusanna» 
Exemplar der Kgl. Bibliothek in Berün. Signiert Y q. 2146. Basler 
Druck von 1 6 0 7. 8» 48 Blätter. 

Zusätze des Herausgebers sind in eckige Klammern einge- 
schlossen oder klein gedruckt || bedeutet Zeilenschluß. 



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Biatt a Ein Schone / 1. 
gantz Newe Comoedia von / 

der Fromen Keuschen vnd Gotts- / 
förchtigen SVSANNA / inn 
Teütsche Reymen Gestelt / 
Durch / 

Samuel Israel von Straßburg \ 

Jetziger zeit Schul: vnd Kirchendiener / 
zu Münster in S. Gregory / 
Thal. / 

Gehalten daselbst zu Münster den 
7. Augusti Anno 1603. 

[Titelholzschnitt. ] 

Burghof, einen Brunnen, einen Baum und eine Zisterne enthal- 
tend. Am Rande der letzteren sitzt die zum Baden sich bereitende 
Susanna, während ihr die entgegeneilende Magd noch Tücher und 
ein Salbenkästchen zuträgt. Oben aus einem Fenster des Schlosses 
schaut ein Harfe spielender, mit der Krone geschmückter Mann 
(König David?) heraus in den Hof. 



Getruckt zu Basel / 
Bey Johann Schröter / 1607. 



Blatt 1 (A) Rückseite leer. Enthält nur den Biblio- 
thekstempel («Ex Bibl. Regia Berolin>). 



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Zier-Kopfleiste. 



2. (Aij.) 



Den Ehjnvesten / Wolge- Ii 
lehrten / Fursichtigen Er&araen Ii 
vnnd Weysen / II 
Herren Zach a- 1| 
ri£ Nitschelmen Vogt: Her- Ii 
ren Friderich Zeiningern Barger- 1| 
meistern : Herren Petro Schneyder / 1| 
Statt schreybern / Herren Matheo Mo- || 
sern / vnnd einem gantzen Ersamen Ii 
Raht / der Statt Münster in || 
S. Gregorij thal. Ii 
Meinen Insonders großgünstigen gebie- U 
tenden Herren vnd respectiue \\ 
gefattern / etc. II 

Gnad vnd jsegen von Gott || dem Vatter vnsers 
Herren H vnd Heylands Jesu Christi / |; sampt wfinschung 
aller wol- II fahrt an Leib vnd Seel zuuoran. Ehrn- 1| vest / 
Wolgelehrt / auch Fürsichtig / Er- II sam / Weyß / Groß- 
ä günstige liebe Herren / || sehr recht vnd wol ist die 
Comoedia von || den lieben alten Speculum vitae ein 
spie- II gel des lebens genennt worden / dan so wir i| ein 
Comoediam oder Tragoediam fftr || äugen spielen sehen / 
werden wir nit allein die form vnd weyß / sondern 

10 auch darneben || den nutzen / so darauß entspringt zum 
höch- 1| sten rühmen vnd vns gefallen lassen / dar- 1| durch 
alle stend in der Welt / sampt jhrem ]| vorhaben / doch 
in einer mehr als in der an- 1| dem vfFgeffthrt vnd gewie- 
sen werden / wie || dan auch in dieser gegenwertigen 
Comoe- II dia, etliche wie die Namen haben mögen /|| jhr 
hellscheinend Speculum haben / wel- || ches nicht vnbillich 
ein speculum pudi- \\ citiae ein spiegel der zueht vnnd keusch- 
heit II mag genennt werden. Wiewol aber die- II se materia 
von Susanna vnd Daniel wie || zuuermuthen / vnd auch 

20 etliche darfftr hal- |l ten / kein geschieht / sonder viel 
mehr wie Ju- il dith vn Tobias ein schön geistlich gedieht 
sein soll j sintmal die Namen solches mit Ii sich bringen / 
als / Susanna heist ein Ko- 1| sen / das ist / ein fromm 



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— 38 - 

Land / oder armer || haaff vnder den Dornern : Deß- 3. l.Aiij.) 
25 gleichen* || Daniel heist ein Richter vnd so fort an : ist '! 
anch gar schftn za deaten aaff Poiicey / Oe- Ii eonrnney 
oder fromen haaifen der gleu- II bigen / also daß sie wol 
ein $peculum vitc II kan genennt werden. II 

Dem sey nun allem wie jm woll / sie sey II gleich 
30 ein gedieht oder geschieht / so ist sie II doch so seh&n 
vnd lieblich / das man ein son- }| dern lost vnd frewd 
darob bekomen solte / || wo sie auff ein Theatrum ge- 
bracht wirdt. I! Ich will der großen nntzbarkeit so man II 
auß solchen vnnd dergleichen actionibus \\ empfecht / ge- 
^schweygen / vnd es andern / so II solches schon besser 
an tag geben vorbehal- 1! ten haben / allein ist es zum 
höchsten loblich || vnd rahmlich / wo solche actione* 
vnnd || frewdenspiel gehalten werden. II 

Die weil dann Großgftnstig Herren / II diese gegenwer- 
40 tige Comoedia kortz ver- [| schienener zeit v[o]n einer Er- 
samen Barger- II schafft allhie vnd andern ehrlichen Leuten II 
ist agiert vnnd gespielt worden / anch mit II frolichem 
zuschawen vnnd bescheidenheit || abgangen: So bin ich 
zwar / propter |j zoilos et Momos nit willens gewesen / 
45 die- 1| selbige zu publicieren vnd in Track zuaer- Ii fertigen: 
Jedoch solches hindan gesetzt / II hab ich Ehrliebenden 
Leuten / so es vielfal- II tig an mich begert / willfahren / 
vnd E. E. || W. gantz vnderth&nig dedicieren vnnd II zu- 
schreyben wollen / gantz dienstlich bit- 1| tend / sie woll[n] 
«» dieselbige loco muneris von II mir Gftnstig annemmen / 
vnd forthin wie || bißher / raeine Großg&nstige patroni 
vnd n befftrderer sein vnd bleiben / solches in raög- II 
licher willfahrung zu beschulden / will ich II vnuerdrosseo 
vnnd gantz dienstwillig mich || finden lassen. Eiemit E. 
55 E. W. zum heil II vnd wolfahrt Statt vnnd Thals / Gott II 
dem Allmachtigen zu langwiriger gesund- II heit befehlend / 
Geben den 20. May Anno II 1600. Jahrs. II 

E. E. W. || 

00 Vnderth&niger vnd dienst- II williger II 

Sam u el Israel v o n II 
Straßburg. I| 



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[Zier-Kopfleiste. | 



Einen Bauerntanz darstellend. Links der Spielmann, ein 
blasender Pfeiffer, rechts daneben drei tanzende und springende 

Bauernpaare. 



4. (Aiiij. 



Ad lectorem. 

Es möchte sich ohn allen zweiffei der Gün- H stige Leser 
verwundern vnnd befrembden / II anß was vrsach dieser 
Materi mehr zugesetzt II wirdt / dann in H. Schrifft / daruon 
gelesen || wirdt /so hab ichs einig vnd allein (sonderlich II 
den Engel, Bauren / vnd anders mehr betref- II fend) iüustru- 

^tionis causa herbey gesetzt / dieweil II es nimmer lähr 
abgehen kan / da nit in solchen |( Sachen intermedia ein- 
geführt werden / Vt misceantur || tristia laetis. Darmit 
dann nun solche || action als bey einfeltigen / jedoch Ehr- 
lichen || Leuten ein desto bessern fortgang bekommen il 

10 mochte (wie dann auch GOTT lob geschehen /) || So ist 
mir sonderlich hierin behülfflich gewe- || sen / der Ehrn- 
hafft vnd Fiirgeacht Johannes II Ochs von Col- 
mar/ qui facetijs suis Gnatonem II Terentianum supe rosse 
creditur. Wirdt also / || wie ich gentzlich verhoff / der 

15 Gunstige Leser || mir 'solches nit vbel deuten / sonder 
als ein ge- II ringe arbeit gefallen lassen. Leb wol. II 



A uthor. 



•3^ 



Volgen die Personen. || 4 b - 

des Spiels. |! 

Prologus Johannes Ochs. 

Raphael Peter Hemraerlin. 

Susanna Ludwig Meyting. 

Syrus ein bott / Matheus Fels. 

Abra magt / Andreas Ries 

Achab I g a ^ en J Hans Münsch. 

Midian | ) Jacob Hemraerlin. 

Philergus knecht / Johannes Xitschelm. 

Joachimns Johannes Geyger. 

Beniamin I , I Salomon Schneyder. 

^ \ Joachimi Kinder . . . . { n . . 0 u j 

Rebecca | | Fndench Schandeney. 

Helkvas 1 I Andreas Ranscher. 

. J } Susanne Eltern [ „ wi • u » v -* 

Anna | Hans Vlnch Erhart. 

Justitia Johannes Arnos Schneyder. 

Veritas Jörg Schandeney. 

Corydon ein baur Johannes Ochs. 

Cleophas Richter Anthonius Meiting. 

Eubulus i I Lux Keyser. 

Sophron Rahtg herren Adam Bartt. 

Simeon | i Abraham Gerhart. 

Osyas [ Geörg Leinhals. 

Scriba Andreas Wetzel. 

Daniel Hans Bierson. 

Dimius Nachrichter Wolff Karg. 

Rufus I . I Matheus Fels. 

Lurco \ 8eine Knecht i Hans Stimler. 

Soldaten. 

Hans Jacob Saa» 

Elias Zeininger. 

Diebolt Wetzel. 

Georg Brotbecker. 

Matheus Moser der Jünger. 

Argumentatores : 

Wilhelm von Blickspurg. 

Bernhart Murbach. 

Nicolaus Ries. 

Mathias Schandeney. 

Thoman Jager. 



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[Zier-Kopfleiste. | (A v.) 



PROLOGVS. 

> 

Edel / Ehrnvest / vnd Achtbar Herrn 

Die zu vns komen nach vnd ferrn / 
Aach Ehra: vnd Tugentreiche Frawen 

Jungfrawen vnd all die jr schawen / 
5 Wcs standts ein jeder in gebür 

Also sey er" genannt von mir. 
Wie löblich / rühmlich es allzeit 

Gewesen ist j vnd auch noch heut / 
Da mam die Jugendt nit allein 
10 Sonder die Alten in gemein / 
Beweget hatt zu vbung viel 

Kurtzweil vnd anderem frewdenspiel / 
Ean man auß vielen Büchern fassen 

Die vns die alten hinder lassen. 
1 5 Derhalben wir auch wol bedacht 

Auff diss Theatrum hergebracht / 
Ein Biblische Historiam 

Vnd liebliche Maieriam j 
Den Inhalt derselben will ich 
20 Erzehlen hie fein ordenlich. 
Zu Babylon ein Manne saß 

Des Name Joachimus was / 
Dem GOTT bescheret Tugentreich 

Ein Weib \ From | Gottsförchtig zugleich 
25 Die hieß Susanna / war sehr Schön \ 

In Gottes wort thet wol bestehn / 
Dann sie hat fromme Eltern / die 

In Gottes wort vnderwiesen sie / 
Die hat ein Garten an dem Hauß 
30 Gieng täglich sich zu badn hinauß | 
Zwen Richter waren in der Statt 

Von denen Gott gesaget hat / 
Ihr Richter alle boßheit übt 

Was vnrecht ist euch wol geliebt. 
35 Die warn in lieb entzünd so sehr 

Das sie sich schampten nimmermehr / 
Einsmals bestimpten sie ein zeit 

Auff sie zu lauren alle beyd / 
Versteckten sich im selben Gart 



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40 Ein jeder mit verlangen wart / 
Zu dem Sosanna bald hin kam 

Ein magdt mit jhr hinanß auch uam / 
Die schickt sie bald wider von jhr 
Hieß zuschließen die Garten thür / 
45 Da nun die magdt hinweg war baldt 
Sprangen sie herfür mit gewalt | 
Wolten sie zwingen das sie nun 
Ihr beyder willen wolte thun f 
Aber Susanna schlug« jhn ab 
50 Gar bscheydenliche antwort gab | 
Darauff die alten sagten jhr 

Sie wolten von jhr geben für / 
Sie hetten gfunden in dem Gart 
Ein jungen Gselln so bey jhr wardt / 
55 Weichs auch hernach geschehen war 
Daher Susanna kam in gfahr / 
Dann sie darüber alle beyd 

Schwuren ein öffentlichen Eyd / 
Die sach die sey also beschaffen 
6° Man soll S u s a n n a ernstlich straffen / 
Wie jhr dan auch das vrtheil falt 

Das man sie darumb steinigen solt / 
Was gschah? da man sie führt zum todt 
Ein Jungen Knaben erwecket GOTT / 
t>5 Hieß Daniel / der sie erlost 

Kehrt mit jhr vmb gar wol getrost / 
Verhört die alten auch darneben 

Die jhra kein antwort kondten geben / 
Vnd kam auch öffentlich an tag 
"0 Das da falsch war jhr beyder klag / 
Darauff man sie ohn einig gnad 

Steinigt / vmb solche falsche that / 
Da ward S u s a n n a gelassen frey 
Mit grosser frewd getrost darbey / 
75 Was man nun darauß lehrnen muß 
Wirdt sagen der Epilogus, 
Darumb seyt zu ruh vnd schweyget still 
Horcht wie die sach anfahen will. 



5*5 



Argumentum 



Primi Actus. 

Im ersten Act werdet jhr sehen 
80 Den Engel Raphael her gehn / 
Welcher anzeigt warzu jhn Gott 

Von Himmel auß gesendet hat / 
Neralich das er soll haben acht 

Darmit nit werd zu fall gebracht / 
85 Sasanna das gar keusche hertz 

Ob sie schon muß außstehen schmertz / 
Vmb dieser alten falsche klag 

Kompt entlich die vnschuld an tag / 
Man wird auch sehen im anfang 
90 Wie Su sanna den briefif empfang / 
Welchen jhr Herr hat abgesandt 

Meld daß er komme bald zu land / 
Daruber sie auß fröligkeit 

Erw&let ein bequeme zeit / 
95 Zu baden drauß in jhrem Garten 

Darinn die alten jhrer warten / 
Gedachten sie auß bösem sehr 

Zu bringen vmb keuschheit vnd ehr / 
Begerten an sie auch darzu 
100 Das sie jhr beyder willen thu / 
Aber auß rechtem keuschen muth / 

Sie jhnen das abschlagen thut / 
Vnd streitet da gar ritterlich 

Rufft auch jhr Knecht vnd ÄlSgd zu sich / 
106 Darauff die alten sich bedachten 

Einen gar falschen anschlag machten 
Welches jhr alle solt hören fein 

Wann man rüwig vnd still wird sein. 



Actus I. Seena I. 
Rap h a e 1. 



Hieher komm ich von Gott gesandt 
HO Dem höchsten dem all ding bekandt 
Von welchem ich verordnet bin 

Zn schützen keuschen muht vnd sinn / 
Weichs ich noch heut erweiseu will 

Durch Gottes krafft an disem ziel / 
115 Wie ich vor diesem auch veTricht 

Gottsförchtig Ehlichen verptticht 
Dem Isaac / Rebecca m frumm 

Durch den Knecht Eleasarum / 
Des gleichen dem Tobi e schon 
120 Die Saram ehelich zugethon t 
Wie vns dergleich exempel klar 

Die Heylig schrifft macht offenbar , 
Nun aber bin ich kommen her 

Der sachen zuuerrichten mehr / 
125 Diewcil zwen alte schälek vorhanden 

Su s an n a m zbringen hie zu schänden / 
Das aber jhr ehr vnd keuschkeit 

Bleib vnuerletzt bin ich bereit / 
Zu schützen sie vnd zu bewahren 
130 Darumb will ich mein hilff nit sparen / 
Welch sich wunderlich findet fein 

Durch Daniel den Knaben klein 
Nun will ich nemmen ffir die Hand 

Darzu mich GOTT hat hergesandt. 

Actus I. Seena II. 

Syrus | Susanna | Abra. 
S y r u s. 

135 GOTT grüß euch Fraw gantz tugendreich / 
Ist gut das ich euch antriff gleich 
Hie bring ich bottschafft kompt von fern 

Von J o a c h i m o ewerm Herrn / 
Der laßt euch alle freundtlich großen 
140 Vnd sein zimlichen wolstand wissen. 

Susanna. 

Wie wol frewt mich die bottschafft dein 
Die du mir jetzt bracht S y r e mein / 



Von Joachim o meinem Herrn 
So dissmal ist. von vns noch fern / 
i»3 Aber das er zu dieser stund . it , 
So wol auff ist / frisch .vnd gesund / 

Vnd das er kommen werd zu hauß 
Daß frewet mich wol vberauß. 

Syras. 

Er hatt sich schon gerüst zuhandt 
kv) Da er mich von jhni weg gesandt / 
Vnd frewt sich auch von hertzen w ol 
Das er heim zu euch kommen soll. 

Abra. 

Ich hör wol vnser Herr werd kommen ? 

S u s a n na. 

Mit frewden hab ich es vernommen / 
155 Darumb so wöllen wir gehn hinein , 

Vnd alle ding verrichten fein / . 
Auch will ich nachmittag hinauß 

In Garten mein / zu baden drauß 
Vnd dann hernach deß Herren mein 
160 Daheimen fein gewertig sein / 
Darmit wann er zum hauß eingang 

Mit höchster frewd ich jhn empfang / 
Dir aber S y r e will ich lohnen 

F6rs botten Brot nim hin drey Kronen. 

S y r u s. 

»ö5 Gar großen danck darf Ar ich sag 

Will dran gedencken all mein tag / 
Gott wöll euch geben seinen segen 
Behüten jetzt vnd alle[r] wegen. 

Actus I. Seena III. 

Achab / Midian. 
A c h a b. 

Ach wie wird doch je lenger je mehr 
i"° Mein hertz im leib gekrencket 9ehr / 9 
Wegen der großen liebes brunst 

Die doch vieleicht möcht sein vmbsonst / 
Dann ich S u s a n n a tut wunderlich 

Von hertzen lieb gantz inniglich 
175 Vnd weiß nit wie ichs möge schicken / 

Mein hertz vnd gmiit recht zu erquicken / 
Dann sie sonst fromm / keusch vnd gerecht 

Muß sorgen das sie mirs abschlecht. 



- 46 - 

Vnd wann mir dises nun geschieht 
1» Weiß ich weiter zu schaffen nicht / 
Darumb darffs das ich mich wol bedenck 
Zu suchen mittel vnd gelenck. 

Midi an. 

Mich wundert sehr was doch Ach ab 
So stetigs hie zu schaffen hab 
185 Wann ich her komm / so sich ich jhn 
Nit weiß ich was er hatt im sinn / 
Vieleicht dasjenig jhm auch ist 

Was mir sehr anligt vnd gebrist / 
Will zu jhm / vnd sehn ob ich kau 
190 Erfahren was jhm liget an. 
Ein guten tag mein lieber man. 

A c h a b. 

Habt danck mein lieber Midi an 
Wo her so früh / vnd so allein 
Thut gar niemand hie bey euch sein? 

M i d i a n. 

193 Niemand ist bey mir dann ich auch 
Allein zu gehn hab im brauch. 

A c hab. 

Wie kompts daß jhr so trawrig secht 
Mich dunckt es sey euch nit fast recht? 

Midian. 

Eben diß wolte ich klagen 
200 Von euch dasselbig auch erfragen. 

A c h a b. 

Nit ohn vrsach mein Midian 

Dann mir sachen gelegen an / 
Die nit wol hie zu melden sind 

Nit weiß ich wie ich hülffe find. 
206 f Dann ich die sachen nimmermeh 

Eröffnen darff das that mir weh / 
Kans im geringsten nit vergessen 

Jtfaß also trawrig in mioh fressen. 

Midian, 

Es ist mir solches hertzlich leyd 
2io Vnd wann ich wüste allbereit / 
Das ich etwas für mein person 

Könt helffen euch wolts nit vmbgohn / 
Wiewol mir selber viel ligt an 
Weichs ich auch schier nit sagen kan / 



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215 Doch glaub ich euch gar wol darbey 
Das euch was angelegen sey. 



A c h a b. 

Ach Mi dian ich bitt euch doch 

Wann jhr diese meine Sachen hoch / 
Wolt heimlich bey euch lassen bleiben 
220 Vnd darauß keinen schertz nit treiben 
Auch niemand kein wort daruon sagen 
Wolt ich euch meinen zustand klagen. 

M i d i a n. 

Frölich solt jhr mir trawen diß 
Dan ichs verschweigen will gewiß. 

A c h a b. 

225 Ich schäm mich solchs zu sagen schier / 

Mi dian. 
Klaglich solt jhrs ansagen mir. 

Acha b. 

Ich lieb von gantzem hertzen mein 
Ein Weibsbild holdselig vnd rein 
Das ich schier nit kan leben mehr 
230 Bin auch darumb spatziert hieher / 
Vnd hab gedacht sie werd etwan 

Begegnen mir / vnd außer gahn / 
Das ich doch nach meins hertzen willen 
Den augenlust nur möchte fallen / 
235 Mein M idian / ach zürnet nit / 

Das ich vor euch raein hertz außschüt. 

Midian. 

Warumb wolt ich zürnen darab. 

Ein fründtlich bitt ich an euch hab 
Das jhr mir wolt versagen nicht 
240 Wer die sey / die euch so anficht. 

A c h a b. 

Sie ist euch sonsten wol bekant 

Geziert mit tugend vnd verstand 
Vnd ist wie jhr wißt auff dißmal 
Susanna J o a c h im i gmahl. 

Midian. 

245 0 Ach ab was fftr wunder ding 

Hör ich von euch / die nit gering. 



— 48 — 

Acha b. 

Ey guter vnd vertrawter gstalt 

Sagt ich euch dieses an so bald 
Drumb wie jhr mir verheißen han 
250 So werd jhrs bey euch bleiben lau. 

Midi an. 

Jetzt ists an mir das ich auch klag 

Vnd auch mein heimlich leyden sag / 
Ich bin auch gleiciier gstalt jetzund 

Mit liebes pfeylen sehr verwundt / 
-55 Aber das ich euch nit betrüb 

Susanna in ich auch hertzlich lieb 
Habs auch getrieben schon gar lang 

Heimlicher weyß ichs in mich zwang 
Bin auch darumb jetzt gangen her 

Zu sehn ob sie vieleicht da wer / 
Darumb laßt bey euch bleiben fest 

Schweigt darzu still / das ist das best. 
So wftlln wir sehn wie wir allbeyd 

Empfangen mochten große frewd / 
-'05 Dann ich för gwiß vernommen schon 

Das sie werd heüt in Garten gohn / 
Vnd baden da nach jhrem brauch 10. (Bij.) 

So ist jhr Mann abwesend auch / 
Vnd können wir also die sach 
-To Mit fug anstellen allgemach / 

A c h a b. 

Ich raht das wir am ersten fein 

Giengen all beyd in Gart hinein 
Verstecken vns daselbst mit fleiß 

Gantz still vnd heimlich gleicher weiß / 
275 Wann sie dan nun wird gar allein 

Alda in jhrem Garten sein / 
So wolln wir springen gschwind herfftr 

Gütlich erzeigen gegen jhr / 
Vnd vnser hertzen offnen gantz 

Zucht vnd schäm schlagen in die schantz / 
Bitten das sie nach vnserm will 

Die groß lieb vnd begird erfftll / 
So wölln wir vns erquicken recht. 

31 i d i a n. 

Wie wann sies aber vns abschlecht ? 
A c h a b. 

-*5 So wollen wir brauchen gewalt 

Oder anfahen der gestalt | • 
Wann sie nit thut nach vnser bgir 



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49 - 



So wollen wir sagen von jhr | 
Wir haben sie gefunden fein 
290 ßey eira Jüngling im Gart allein. 

Mid i an. 
Fftrwar die sach gefalt mir wol 

Mein hertz wird erst der lieb recht vol[lJ. 
Wir wollen vns machen bereit 

In[m] Gart verstecken alle beyd. 

Actus I. Seena HU. 

Susanna / Abra / Midlan / Achab. 

Sunanna. 
295 Ach wie ein außerweite zeit 

Laßt vns Gott sehen allbereit / 
Wie warm scheint vns die liebe Sonn 

All weit empfindet frewd vnd wohn / 
Jetzt hört man im wald vberall 
aoo Der Vöglein lieblich gsang vnd schall / 
Die Gärten grün, die Brünlein kalt 

Bringen der frewden manigfalt 
Diß alles sich ich nit so gern 
Als die zukunfft meins lieben Herrn 
305 Auff den ich jetzund fftr vnd fftr 
Wart mit verlangen vnd begir / 
Darum b will iu den Garten ich 

Erlustigen vnd reinigen mich / 
Du Abra geh nur wider heim 
3io Verschließ die Gartenthür gar fein 
Korn bald wider auff mein beger 
Vnd bring Balsam vnd Seyffen her. 

Abra. 

Es soll werden gar wol verricht 
Ihr sollet daran zweifflen nicht. 

Susanna. 

315 Wann mein Herr vieleicht kompt zu hauü 
So kom zu mir eylend herauß / 
Vnd will ich dich gar wol geweren 11. (Biij.) 

Ein gutes bottenbrot verehren 

Abra. 

Wolt Gott das er daheimen wer schon 
3*- > o Ich wolt euch bringen frewd vnd won 
Aber ich will sehn was ich thu 
Den Garten schließen fleißig zu. 

M i d i a n. 
0 Achab schawt das Schöne bild 
Solt eim nit werden das hertz erfült? 

4 



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50 



A c h a b. 

325 Kompt her laßt vns lauffen herbey 
Ablegen alle schamm vnd schew 
Vieleicht so wird sie sich ergeben 
Wir wollen lustig mit jhr leben. 

S u s a n n a. 

Wen höre ich hierin bey mir 
390 igt nit verschlossen recht die thür? 
0 weh / thut jhr hierinnen sein 

Ich hab vermeint ich sey allein. 
Auff nichts guts gehet jhr da vmb 
Das merck ich wol / drumb sagt warumb 
335 ihr euch versperret in den Gart 

Vnd gwißlich [mich] zu tödten wart. 

Achab. 

0 nein Susanna liebe Fraw 
Frftndlich seind wir herkommen schaw 

In allem gutem sind wir beyd 
340 Zu euch herkommen allbereit / 

Etwas begeren wir an euch 
Vnd wollen es anzeigen gleich. 

S u s a n n a. 

Wann jhr etwas bey mir zu thon 
So könnet jhr zu mir heim gohn / 
345 Hierauß gib ich euch kein bescheyd 
Sag ich außtrucklich allen beyd. 

Midian. 

Ach schönes vnd holdseligs bild 

Ich bitt stelt euch doch nit so wild / 
Dan wir seind hie in freundligkeit 
3-to z u dienen eoch seind wir bereit. 

Susanna. 
Kein dienst beger ich von euch beyden. 

Midian. 
Wir können aber euch nit meyden. 
Achab. 

Ach mein Susan na setzt euch her 
Ich will euch sagen mein beger. 

S u s a n n a. 

355 Mit euch will ich nichts zschaffen han 
Ich bitt jhr wolt mein müßig gahn / 
Habt jhr etwas zu richten auß 
So find ihr mich in meinem hauß. 



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- 51 



M i d i a n. 

Ach secht zu Fraw wir seind allein 
360 In diesem Gart verschlossen fein / 
Ynd seind in ewerer lieb entbrand 

Thut vnsern willn es ist kein schand / 
Niemand kan vns sehen hierinn 12. (Biiij.) 

0 das jhr wüsten vnser sinn. 

Susanna. 

365 Was sagt jhr dauon Midi an 

Gedenckt das Gott wol sehen kan 
Wie dörfft jhr mir doch solchs zumnthen 

Die jhr zu fürdernng des. guten 
Erwehlet seyt vom höchsten Gott 
370 Zu weysen andre[n] sein gebott / 
Ihr wisset wie Gott allezeit 

Gestrafft hat die vnreinigkeit J 
Wie sonderlich zu S o d o m gescheht! 
Ich bitt wolt in euch selber gehn / 
375 Vnd mein verschonen in der sach 
Darauß entstand groß vngemach. 

Achab. 

Ihr mußt es machen nit so groß 
Dann heilige Leut auch solcher moß / 

Gethan haben / die sich hernach 
380 Mit Gott versöhnet allgemach / 

Wie David der gar heilig mann 
Vnd andre mehr haben getban. 

S u s a n n a. 

0 Achab laßt euch sein geseit 
Dann auff Gottes barmhertzigkeit / 
385 Sündigen / ist die gröste sünd 

Wers thut zweyfache straff empfind. 

Midian. 

Ich mag dauon nit hören viel 

Folgt jhr vns jetzt an diesem ziel / 
Wo jhr nit werd zu willen bald 
390 So wollen wir anlegen gwalt. 

S u s a n n a. 

Ach du mein lieber frommer Gott 
Steh du mir bey in dieser noth. 

Midian. 

Das sag ich dir bey meiner trew 
Die sach wolln wir anstellen frey / 
395 Werd jhr es weiter vns abschlagen 
So wollen wir öffentlich sagen / 



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— 52 - 

Wir haben beyde hie bey euch 

Ein Jüngling- fanden auch zu gleich 
Treyben mit euch vuzucht vnd schand 
400 Dcßhalb die magdt von euch gesandt / 
Darurab bedenckt euch albereit 
Ich sorg es werd euch werden leydt. 

S u s a n n a. 

Ach lieber vnd getrewer Gott 

Wie komm ich doch in solche noth / 
Was angst vnd gfahr kompt mir daher 
0 Gott nach dir verlangt mich sehr / 
Wie soll ich es doch fangen an? 

Hierinn ich mir nit rahlen kan. 
Thu ich dann solchs so bin ich todt 

Versündig mich an meinem Gott 
Schlag ich es ab / vnd thu es nicht 

So werd ich durch euch hingericht / 
Doch ist viel besser die vnschuld 
Darbey behalten Gottes huld / 
Vnd sterben in der Menschen hend 

Dann das durch mich werd Gott geschend / 
Ach lieber Gott, wo ist mein gsind 13. (Bv.) 

Das es mich nur noch lebend find / 
Abra / lauff eylend her zu mir 
Philerge / wo bist? gang herfftr. 

A c h a b. 

Laufft / laufft all Menschen da herbey 
Secht was wundcrs geschehen sey ; 
Secht die Ehbrecherin doch hie 
Erger hat mans gesehen nie. 

Actus I. Seena V. 

Philcrtfus / Abra / Susanna i Midian / !' Achab. !' 

Ph i 1 e r g u s. 

4*-» Mich dunckt ich hab klaglich gehört 
Ruffen die Fraw im Garten dort / 
Mein Abra / laß vns eylends gehn 
Vieleicht so ist jhr was geschehn. 

Ab r a. 

Das wer mir in der warheit leydt. 

S u s a n n a. 
430 Ach laufft herbey jhr lieben leut. 

P h i 1 e r g u s. 
Hör / hör es ist vorhanden noht 



403 



410 



415 



4'JO 



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- 53 - 



Ich merck das jhr von hertzen goht / 
Was ist euch Fraw, das jhr so schreyt? 

Susauna. 
Ach secht jhr nit die alten beyd ? 

Midian. 

435 0 du meiu allerliebster Knecht 

Du kompst hie gar eben recht / 
Hie niagstu sie wol greiffen an 

Dann sie was großes hat gethan / 
Ein Jüngling war allein bey jhr / 
440 Im Garten hie den funden wir / 
Welchen wir wollen greiffen an 

Aber durch sterck er vns entran / 
Ein sach hatt er mit jhr verricht 
Die ich auß schäm mag sagen nicht / 
445 Gar wunderlich kompt es mir für 

Das ich doch nie gemerckt an jhr. 

P h i I e r g u s. 

ßedenckt euch baß ehe jhr das sagt 

Fürwar gar falsch ist das jhr klagt / 
Ich raht euch das jhrs bleiben lan 
4»o Mann weiß wol wie jhr sach thut stahn. 

Susanna. 

0 trewer Gott, o steh mir bey 
Dann du weist wol wie die sach sey 

Laß mein vnschuld kommen an tag 
Zu schänden mach jhr falsche klag 
4»» Was wird sagen mein lieber Herr / 
Wann er wirdt hören diese m&hr. 

A ch a b. 

Das steht euch zur nntwort allein 

Ihr wißt daa es also thut sein 
Derhalb wollen wirs zeygen an 14. 
4*>° Das jhr solch sach verwftrcket han / 
Vnd möcht jhr euch bedencken eben 

Was jhr da wolt fftr antwort geben. 

S u s a n n a. 

Die sach will ich befehlen Gott 
*- Der wirdt mich nit lassen zu spott / 
46» Philgerge [1. Philerge] komm wir wollen gehn 
Vnd sehn wie es daheim thut stehn. 

MVSICA. 



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Argumentum. 



II. Actos. 

Im andern Act mit großer plag: 

S as a n n a fahrt zu Gott jhr klag / 
Verlangt sie auch in diesem fahl 
470 Nach jhrem lieben Ehegemahl / 
Indessen bald die alten beyd 

Verbinden sich zusam mit Eydt / 
Darauff so kompt gegangen her 

Joachim der frewt sich gar sehr / 
475 Wirt bald gewahr daß seine Kind 

Entgegen jhm gegangen sind. 
Vernimpt auß jhren Worten schlecht 

Daß es daheim nit zugeht recht / 
Empfangt sein Kinder, geht zu hauß. 
480 Nach jhm so kompt sein Knecht herauß / 
Facht mit A c h a b ein hader an 

Thut aber ohne streich abgahn / 
S u 8 a n n e Eltern klagten auch 

Der jetzigen Welt bösen brauch / 
435 Nun schweiget still ist voser bger 

Secht wie S u s a n u a kompt daher. 



Actus II. Seena I. 



S Dsanna. 

Ach Gott, Vatter im Himmelreich 

Warhafftig / gnädig auch zugleich / 
Dem alle ding wol seind bekandt 
490 Erretter vor vnfall vnd schand / 
Du hertzen kftndiger allein 

Dir ist bewußt die vnschuld mein / 
Die man mich zeuget vnuerschampt 

Das ich nur werd zum todt verdampt / 
495 Nun aber Herr du höchster Gott 

Ach steh mir bey in dieser noht / 
Verlaß mich nit, das bitt ich dich 

Darmit mein vnschuld eigentlich 
An tag mächt kommen gantz vnd gar 
500 Vnd ich errett werd auß gefahr / 
Dann ich niemals gehöret han 

Das du die deinen hast verlahn 
Vnd will also vertrawen dir 

Du werdest trewlich helffen mir. 

505 Nun wart ich mit verlangen groß 

Auff mein Haußwirth ohn vnderloß f 
Ich meint er solle kommen schier 

Ach das jhn Gott gesund heim fuhr / 
Ich warte sein all augenblick 
510 Das ich doch wider mich erquick 
In dieser großen trftbsal mein 
Wil drinnen sein gewertig sein. 

Actus II. Seena II. 

Midian / Achab 
Midian. 

Wie steht die sach. mein Achab frumb? 

Achab. 

Ich weiß schier nit da geh ich vmb / 
515 Bin vnlustig, erschlagen gar 

Gedenck selbs bey mir jmmerdar 
Wo doch die sach Werd hingelangen 
Die wir beyd haben angefangen. 



- 5(3 - 



Midian. 

Da gilts gleich sie ist gfangen an 
o2 ° Gott geb wie es ferner wirt gahu / 
Wir haben es gebrocket ein 

Massens außfressen auch allein \ 
Dramb müssen wir vns selber treyben 

Darmit wir beyd bestendig bleiben. 

A c h ä b. 

525 Was dann anlanget mein person 

Will ich mit reden wol bestohn / 
Vnd wann mans von mir wirt begeren 
Wolt ich ein Eyd darzu auch schweren. 

M i d i a n. 

Das gfalt mir wol, ich lob euch drumb 
330 Dann da müssen wir nit sein stumm. 

A c h a b. 

Habt jhr seyther noch nichts vernommen 
Ob J oachimus heim sey kommen | 

Dann wann er zu hauß kommet an 
So wirt ein newes fewr entstahn. 

Midian. 
335 ich kans nit wissen dann allein 

Das sie heint seiner gwertig sein / 
Zu dem vor jhm erschrick ich nicht 

Weil wir die sach recht angericht / 
Er ist allein vnd vnser zwenn 
540 Das recht muß vns billich ergehn. 
Wann sie schon viel wirt reden do 

Den Weybern glaubt man nit also / 
Dann das jhr proprium fürwar / 
Viel reden / klappern jmmerdar / 
345 Bißweilen redens auch darneben 

Das man jhn kein gehör mag geben | 
Derhalben sorg ich dieses nicht 
Im gringsten es mich nit anlicht. 

A c h a b. 

Ich möcht wol wissen, wann man dann 
Ein rechtstag werde stellen an. 

Midian. 

Das kan ich euch nit eigentlich 

Anzeigen / doch so wolte ich / 
Das wann jhr solchs erfahren han 
Mich gleichfalls] es auch wissen lan. 



550 



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555 Ich wils verrichten, glaubet mir, 

Wolt selbs das wir bald kämen für / 
Darumb so bleibet auch standhafft 
Das vnser Sachen haben krafft | 
Jetzt muß ich wider gehen hin 
560 Dann ich jemands gewertig bin. 



Actos II. Seena III. 

Joachimus. 

GOTT sey gelobt in Ewigkeit 

Das ich erlebt die frölich zeit / 
Vnd ich wider gsund kommen hin 

Da ich hinweg gescheyden bin / 
565 Von meinem lieben Ehgemahl 

Weichs ich nun wider auff dißmal J 
Will sehen an mit großer frewd 

Wann sie nur noch ist bey gsundheit / 
Ich weiß daß sie gewaltiglich 
570 Auff mein zukunfft wirt frewen sich / 

Dann jhr Hertz | Sinn \ Gemuht vnd Weyß 

Hab ich erkant mit gautzem fleiß | 
Mein Reyß ich gar frewdig zubracht 

Wann ich an mein Susannam dacht / 
575 Dann sie ist mir von Gott beschert 

Wirt billich drumb von mir geehrt / 
Vnd danck auch Gott vmb solche gab 

Die ich von jhm empfangen hab / 
Dann ich nur diesen trost allein 
580 Auff dieser Welt die Haußfraw mein j 
Die mir in widerwertigkeit 

Freundtlich kan geben ein bescheyd / 
Nit stoltz ist sie, deß frew ich mich 

Wie mancher Mann muß sehn fftr sich / 
585 ich sags förwar vnd ist gewiß 

Habens auch viel erfahren diß 
Das ein Weyb ehr- vnd Tugentsam 

Behaltet stets ein guten nam / 
Was ich beger, begert sie auch 
590 ist mir gehorsam nach gebrauch / 
Fürwar wann mich jetzt mein gesicht 

Auß blödigkeit bedrftget nicht / 
So sie[h] ich mir entgegen gehn 

Mein Kinder / ich will bleiben stehn / 
595 Vieleicht so werdens auff mich warten 

Oder zur Mutter in den Garten. 



58 



Actos II. Seena IUI. 

Benjamin / Rebecca / Joachimus. |j 

Beniamin. 

Rebecca komm wir wollen gehn 
Hinaaß / ob wir den Vatter sehn / 

Rebecca. 

Hastn die Mutter auch gefragt? 

Das sie nit etwann ab vns klagt / 
Daun du weist wol das wir jhr fein / 

Als Kinder sollen ghorsam sein / 
Wie sie vns das hat fein gelehrt 

Drumb vns das Christ- Kindlein beschert. 

Ben« -a-Hi i n. 

605 Freylieh hab ich sie gefragt darumb 
Wir soln sehn, ob der Vatter kumb. 

Rebecca. 17. (C.) 

Wio kompts, das vnser Mütterlein 
So stetigs weint, liebs Brüderlein? 

Beniamin. 

Ieh weiß es nit, denck selbs offt dran 
6io Wer jhr doch hette leyds gethan. 

Joachimus. 

O was hör ich von meinen Kinden 
Soll ich mein Haußfraw weinend finden? 

Vieleicht mag es geschehn darumb 
Das ich zu hauß so langsam kumb. 

Beniamin. 

615 Sie geht als vmb vnd schreit mit klag 

Ach Gott bring mein vnschuld an tag / 
Vnd falt als auff den boden nider 
Biß das sie zu jhr selbs kompt wider. 

Rebecca. 

Heut that sie mich von hertzen küssen 
620 Das ich drüber hab weynen müssen. 

Joachimus. 

Ach Oott ich muß jetzt wol verstehn 

Das es nit recht daheim wirt gehn 
Doch will ich nur stracks gehen fort 

Zu meinen lieben Kindern dort / 



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625 Muß sie ein wenig vorhin fragen 
Was sich jrgent hab zugetragen. 

Benjamin. 

Schaw, ich glaub vnser Vatter kumm 
Der Mann, der zu vns geht herurab. 

Joachimus. 
Ihr lieben Kind, was macht jhr do ? 

Beniamin. 

630 Ach Vatter wie bin ich so fro / 
Das jhr wider heim kommen sein 
Gott Willkomm lieber Vatter mein. 

Rebecca. 

Ach mein hertzlieber Vatter frumm 
Seit mir auff dißmal auch willkumm. 

Joachimus. 

635 Gott sey mit euch jhr Kinder mein 

Was macht daheim das Mütterlein? 

Beniamin. 

0 lieber Vatter ich weiß nicht 

Es ist etwas, das sie anficht / 
Verlangt sie auch nach euch so sehr 
640 Vnd auch drumb sind wir gangen her. 

Joachimus. 

Kompt her wir wollen gehn zu jhr 
Der liebe Gott woll helffen mir / 

Das vnser sachen stehen wol 
Ach wie ist mir mein hertz so voll / 
645 Gott steh mir bey vnd helff mir nun 
Wolan wir wollen zu jhr gohn. 



Actus II. Seena V. 

Philerjjus / Achab. || 

[Philergus.] 

0 wie ein großes hertzen leyd 

Find vnser Herr jetzt allbereit / 
Wie vbel ghebt sich doch das Weib 18. (Cij.) 

650 ihr hertz will gar auß jhrem Leib. 
Fürwar wann ich sie thu ansehn 

Mein äugen mir auch vbergehn / 
Dann ich weiß wol das sie hierinn 

Vnschuldig ist, hat keuschen sinn / 



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663 Verflucht Seyen die alten gar 

Die sie gebracht in solch gefahr / 
Waramb richten sie doch solchs an? 
Gott wirts nit vngerochen lan. 

A c h a b. 

Was balgt der doch mit jhm allein 
<w> Muß jhm ein wenig aaffhorchen fein. 

P h i 1 e r g o 8. 

Ich hoff Golt werd jhr gbett erhören 
Vnd solchem falschen anschlag wehren / 

Die beyde stürtzen in groß schand 
So sie gar wol verdienet hand / 
665 Wolt Gott ich dörffts an jhnen rechen 
Wolt sie warhaiftig beyd erstechen. 

A c h a b. 

Ho ho / ich bin noch weit von dir 
Ich muß mich warlich 6ehen fftr / 

Will zu jhm hin vnd sprechen an / 
6"0 in friindtligkeit wie ichs wol kan / 

Wo nauß Phile rge? ein guten tag, 
Wie gehts dir? was hast für ein klag? 

Phi le rgus. 

Was gehts dich vnd ein andern an 
Was ich allhie zu schaffen han. 

A c ha b. 

67f> Ey soltu mich so kautzen drumb ? 

Kenst mich nit? ich bin Achab fruinb / 
Dem Volck ein Eltester gar gut / 
Drumb man mich billich ehren thut. 

P hi 1 e r g u s. 

Darnach frag ich im gringsten nicht 
680 Ein anders jetzt mein hertz anficht / 
Mancher der führt ein glatten schein 

Ist doch ein schalck im hertzen sein / 
Wie man der Gsellen gar viel find 

Will drumb nit sagen wer sie sind. 

Achab. 

685 Wie / meinstu mich ? bald thu mirs sagen 
So will ich ein schantz mit dir wagen / 
Ich merck gar wol du meinest mich / 
Wie ich verstehe eygentlich. 



61 - 



P h i le r gu ß. 

Es geht euch hie nicht änderst dan / 
690 Wie Cato ein vers zeiget an / 

Conscius ipse sibi, de se putat omnia dici. 
Wer etwas böses hat gethon 
Der meint man sag nur stets dauon. 

A c h a b. 

Hab ich dann etwas böß gethan? 

Phil ergus. 

69r» Was fragt jhr lang / was gehts mich an / 
Habt jhr was gthon / so wist jhrs wol 

Meint jhr das ichs euch sagen soll f 
Ich hoff ich woll noch selbs mit lauffen 19. (Ciij.) 

Wann man dich alten wirt ersauffen. 

A ch ab. 

70o Was sagstu? 

Ph i 1 er gu s. 

Ich sag ich wolt gar dapffer lauffen 
Wann mich die Bauren wolten rauffen. 

Ach ab. 

Schaw zu Philerge / das du fein 
Gestehest aller reden dein / 
7*> Dann wann man halten wirt Gericht 
So will ich dein vergessen nicht. 

P hilerg us. 

Jetzt geht er weg der heyloß Mann 

Sein falsche sach zu faheli an / 
Vor jhm laß ich nit grawen mir 
7io Wann er es schon wirt bringen für. 
Aber ich hoff das blat werd sich 

Vmbwenden noch des tröst ich mich. 
Nun muß ich wider gehn hinein 

Vnd sehen zu der Sachen mein. 

Actus II. Seena VI. 

Helky(i)as / Anna. 

IHclkyas.] 

713 Ach lieber Gott was kümmernuß 

Müssen wir Menschen steh[c]n vß / 
Was hertzenleyd vnd große noht 

Müssen wir warten früh vnd spat / 
Ach Gott deß vnlcydlichen schmertz 



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— 02 — 



720 Wie wirt gequelet doch mein hertz / 
Das ich die schand erlebet han 

Die meiner Tochter angethan / 
Die ich doch stets zu Gottes ehr 

Erzogen hab in guter lehr / 
723 Hat mir gefolgt / biß sie alsdan 

Joachim gnommen zu eim Mann / 
Der sie doch jederzeit auch wol 

Bericht / wie sie Gott ehren soll / 
Aber der teüffel hat kein ruh 
730 Biß er die frommen feilen tha / 
Doch wirt Gott sehen auch darinn 

Deß tröst ich mich von hertzen mein / 
Er werd gleich wie die Sonn so klar 

Ihr vnschuld machen offenbar. 

Anna. 

735 Diß ist auch jederzeit mein trost 
Das Gott die seinen nit verlost / 
Verlaß mich auch allein auff jhn 

All andre hoffnung ist dahin. 
Gott wirt die falschen zeugen wol 
740 Straffen, dann er ist warheit voll / 
Ach Gott wie ist sie doch so sehr 
Betrübt vnd bkiiramert stets je mehr. 

H e 1 ky as. 

Wie daurt mich Joachimus doch 
Der sich auch sehr bekümmert noch 
745 Vnd thut jhm in dem hertzen weh 
Der schwere zustand in der Eh(e). 

Anna. 20. (Ciiij.) 

Mein tag het ich dem Mi d i a n 

Solchß nit vertrawt das ers gethan \ 
Dann er sich in der zeit ließ mercken / 
750 From / auffrecht / gut / in wort vnd wercken. 

He 1 kya s. 

Es heißet jetzt zu dieser zeit 

Schaw fleißig du auff ander Leut / 
Vertraw nit leichtlich jederman 

Du weißest dann wol was er kan / 
755 Für bösen Leuten hüte dich 

Denck nit das jetz was bleib heimlich 
Gott weiß vnd siehet alle ding 

Wie klein vnd gring sichs auch anneng / 
Wider die Göttlich Mayestet 
760 Soll nichts arge« werden geredt. 



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- 63 — 



Anna. 

Darneben ist kein besser haab 

Dann daß man guts gewissen hab. 

Das gröste vnglück das da kan / 
Aaff Erd ein Menschen vbergan / 
765 Ist dieses / das 7.11 mancher frist 

Ein Mensch des andern teuffei ist. 

H e lky as. 

War ists | dann man jetzt sichet schon 

Was vns soll werden angethon / 
Gott geht mit seinen seltzam vmb 
770 Sie haben hie kein eygenthamb / 
Ins ewig Reich gehören sie 

Dann sie seind ja nur frembdling hie f 
Drumb ists nit wunder das sie han 
In dieser Welt kein platz noch plan / 
775 Deß müssen wir vns trösten steht 
Dieweil es vns trübselig geht / 
Ich hoff Gott werd vns lassen nit 

Dann es ist nit sein brauch vnd sitt / 
Wir wollen vns an Gott fest halten 
7» Sein gnad vnd warheit lassen walten. 



Actos II. Seena VII. 
Raphael. 

Dem Herren singt ein newes lied 

Die vberschwencklich Gottes gftt 
Die gmein der heyligen soll fein 

Gott loben vnd die gnade sein 
785 Israel soll sich frewen schon 

Dessen / das er an vns gethon / 
Die Kinder Z i 0 n in gemein 

Sollen von hertzen frölich sein 
Sie sollen preysen Gottes nam 
"93 Mit paucken / reyhen lobesam / 
Dann er ein wolgefallcn hat / 

An seinem Volck | er sucht auch raht / 
Dem elenden auff erden hie 

Eeinr ward von jhm verlassen je / 
795 Die Heilgen sollen frölich sein 

Preysen vnd rfthmen Gott allein / 
Ihr Mund soll auch erhöhen Gott 

Mit jhren Uppen frft vnd spat / 
Vnd solln in jhren henden haben 
800 Gar scharffe Schwerter bey sich tragen / 



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— 64 - 



Darmit sie ernstlich vben räch 21. (C v.) 

Vnder den Heyden straffen schmach / 
Vnd das sie jhr König: allsant 

Mit ketten binden starcker hand / 
806 Die gwaltigen / Edlen vnd reichen 

Mit eysern fesseln auch dergleichen / 
Das sie jhnen das recht anthon 

Darnon man find geschrieben schon 
Ein solche ehr vnd großen lohn 
810 Werden die heyigen han daruon. / 
Dem allein Allmächtigen Gott, 

Dem Ewigen Herrn Z e b a o t h 
Sey preyß vnd Ehr / sterck / macht / gewalt / 

Lob vnd danck / heyl / krafft / manigfalt / 
815 Jetzand / forthin vnd alle zeit / 

Ja gar biß in die ewigkeit. 

MVSICA. 



2* 



N 



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Argumentum. 



III. Actos. 

Im dritten Act herrlich vnd schön 
Zwo tugendten herauß[er] gehn / 
Die warheit vnd gerechtigkeyt 
820 Klagen der Welt boßhafftigkeit 
Darauff dann znm exempel klar 

Ein Baur vnd Rahtsherr machens war / 
Gar augenscheinlich wirt man sehn 
Wie es heut pflege zuzugehn / 
825 Vnd wie das gelt auch jmmerzu 

Die blinde Welt verführen thu. / 
Man wirt auch sehen widerumb 

Wie die S u s a n n a keusch vnd frumb 
In jhrem Creutz vnd trftbsal schwer 
830 Zu Gott r&ffet je lenger je mehr 
Auch wie sie Ritterlichen kempfft 

Mit Gottes wort die trübsal dempfft 
Darzu jhr dann der Engel gut 

Macht gleichsam einen helden muth / 
835 Das sie sich wider thut erlaben 

Merckt auff, jhr werd viel lehren haben. 



3^ 



Acta« HI. Seena I. 

Justitia / Veritas. 

[Justitia.] 

Mein liebe Schwester Veritas 

Hie het ich dir zu klagen was / 
All beyd seind wir von Gott gesandt / 
840 Dem höchsten Herren in allem Landt / 
Doch aber nicht wir beyd allein / 

Dann noch mehr vnsrer Schwestern sein / 
Der Menschen Hertzcn einzunemmen / 
Was vns zu wider / weg zu demmen / 
845 Weichs ich mit frewden gfangen an / 
An allem orth mein bests gethan / 
Nun aber komm ich trawrig wider / 

Dann man will mich gar trucken nider / 
Bey grob vnd klein in aller Welt / 
850 ich weniger als nichts mehr gelt / 

Ja man thut nicht mehr an mich dencken / 

Ich gschweig die Sachen nach mir lencken / 
Das thut mir in dem Hertzen weh / 
Das ich kein statt soll haben meh / 
855 Gott der selbs ist die Gerechtigkeit / 
Ist solches auch von Hertzen leyd. 

Veritas. 

Justitia ach Schwester mein / 
Laß mich hierüber leydig sein / 
Du weist das Gott zu jeder frist / 

Selber die ewig warheit ist f 
Noch will man mich mit nichten leiden / 

Muß allenthalben trawrig scheiden / 
Der Teuffei ist mein widerstandt / 

Der will eynnemmen gar das Landt / 
Vnd wird der Lugenvatter gnennt / 
Zeucht seine Kinder auff behend / 
Der macht mit seinem hauffen Kind / 

Das ich kein statt vnd platz mehr findt / 
In allen Händlen vnd Gericht / 

Will man mir nimmer glauben nicht j 
Drumb will ich wider gehn zu Gott / 

Der mich vnd dich außgesendet hat / 
Bey dem wird man mich jeder zeit 
Finden / vnd bleib in ewigkeit. 



860 



865 



870 



Justitia. 



875 Bey etlichen wirds zwar betracht / 

Wie man von vns ein Sprichwort gmacht / 
Fides die ist geschlagen todt / 

Justitia die leydet noht / 
Vnd Pietas die ligt im stro f 
880 Humüitas schreyt mordio / 
Saperbia ist anßerkohrn / 

Patientia hat den streit verlohrn. 
Veritas ist gehn Himmel gflogen 
Trew vnd ehr vber Land gezogen / 
883 Die frombkeit laßt man beulen gohn 
Tyrannis die besitzt den thron / 
Inuidia ist worden loß / 

Vnd Charitas erkalt vnd bloß / 
Tagend die ist deß Land[s] vertrieben 
890 Boßheit vnd vntrew drinnen blieben. / 

Veritas. 

Ach Gott es ist die warheit gantz 
Mann schlecht vns doch nur in die schantz 

Wir wollen wider [zu] Gott zu hauß 
Der vns von jhm gesendet auß / 
895 Wer vns von Gott begert vnd bitt 
Dem werden wir versaget nit. 

Actus IH. Seena II. 

Corydon / Midian. 

[C o r y d o n.] 

Nun geh ich vmb heut diesen tag 

Vnd sich ob ich nit finden mag / 
Ein frommen Hann, der mir geb raht J 
900 Einr sach / so sich begeben hatt / 
Zwischen mir vnd dem Nachbarn mein 

Der thut mit mir so vneins sein / 
Will mir gebieten für das Recht 

Vmb einer Sachen die gar schlecht / 
905 Wan ich nur find den Midian 

Der ist mit mir ein guter Mann j 
Der müst mir rahten in der sach 

Das ich nit komm in vn gern ach / 
Zwölff Thaler müsten mich nit dauren / 
910 Ein ander mal wolt ich drumb trawren / 
Dort sich ich schon den Midian 

Muß dapffer lauffen vnd zu jhm gahn / 
Midian / Midian / wartet doch 



- 68 - 

Der alte geck hört es nit noch / 
915 Mi d i an | Midi an / noch hört ers nit / 
M i d i a n / horch das dich der rütt schfttt. 

M i d i a n. 

Was hastu für ein Gottlos gschrey 
Meinst das ich deinet willn da sey ? 

C or y d o n. 

Ey Jnncker ich wolt euch was sagen 
920 Mit mir hat sich was zugetragen. 

Midi an. 

Machs nur bald her / vnd nit viel wort / 
Dann ich geschwind muß gehen fort. 

Corydon. 

Zwischen meim Nachbauren vnd mir / 
Ist so was seltzams gangen ffir 
925 Zum nehr mal da ich truueken war 

Vnd heim gieng in der finstre gar / 
Da fand ich auff dem weg ein Pferd 

Ist nit wol 30 Gulden werth / 
Vnd war ich eben zimlich mbd 
930 Hab weiter können kommen nit / 
Ich sali darauff vnd ritt daruon 

Habs also bey mir lassen stöhn / 
Dann niemand hatt gefragt darnach / 
So hab ich nit viel wegens gmacht / 
935 Hab gdacht weß ist / der wirts wol holen / 

Midian. 
Ich merck wol du hasts gestolcn? 

Corydon. 

Nein Juncker, solchs mein nachbfar] auch sagt 
Hats schier der gantzen Welt geklagt / 

Darumb o lieber Midian 
940 Hab ich euch jetzt wolln sprechen an / 

Vmb einen raht was ich soll thon 
Wan ich so für gericht werd stöhn / 

Dan er mich fordern wirt fftr recht / 
Vmb dieser sach gering vnd schlecht / 

Midian. 

945 0 Corydon ich raht dir nicht 

Du würst heut mit dem sträng gericht / 

C orydo n. 

Ey nein / so bleib der teuffei hie 
Ich will gehn lauffh ich weiß wol wie. 



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MicH a n. 

Wart Corydon hör noch ein wort / 
Co rydo n. 

950 Nein / nein / ade ich muß jetzt fort. 

Mid ia n. 
Ich will dir geben einen raht / 

Corydon. 
Das ich vieleicht köm auff das rad? 

M i d i a n. 

Dein leben will ich dir erretten 
Wan dir was gschieht an dein statt tretteo. 

Corydon 

955 Wolan so will ich euch vertrawen 

Ihr werdet mich freundtlich anschawen. 

Midian. 
Es fehlt mir aber sonst noch was 

C o rydon. 
Drumb Midian / sagt was es sey ? 

Mi dian. 

Ich hett auch ein Verehrung gern 
%o Ehe solchs verricht wirdt vor den Herrn. 

Corydon. 

Was muß ich euch dann daruon geben 
Wann jhr errettet mir mein leben ? 

Midian. 

Mancher der thut mir gar wol lohnen 
Doch nim ich von dir 20 Kronen. 

Corydon. 

965 Ey Midian / das wer zuuiel 

Fiinffzehen ich euch geben will. 

Midian. 

Wolan ich wills nemmen von dir 
Ein andrer hett mehr geben mir / 

Weill dir aber ist angst vnd bang 
970 Will ich dich nit auffhalten lang / 

Darumb gib geltt vnd zahl inirs her 
So will ich folgen deim beger / 



— 70 



Mich dunckt sie seyen nit all gut / 
Dan diese nur zwen Gülden thut. 

Corydon. 

975 Wann sie falsch wer / wolts euch nit geben 
Das solt jhr mir vertrawen eben. 

Midian. 

Wolan ich nun zufrieden bin 
Ich hab das mein geh jetzt nur hin. 

Corydon. 

Ey das wer gar vnbillich doch 
90». Ich will euch eine geben noch / 
Ey Midian / ey wartet do 

Ich will euch zahlen dar noch zwo / 
Ach wolt jhr mich also betriegen. 

Midian. 

0 ich hab noch gar kein vernügen. 
985 Wann du wilt 20. geben mir 

So will ich warlich helffen dir. / 

Co ryd on. 

Seht hin noch fünff, jetzt habt jhrs gar 
Gedenckt das ich auch arm fiirwar. 

Midian. 

Wolan jetzt will ich dirs ansagen 

Wann dein nachbur wirt ab dir klagen / 
Als wann du jhm das Pferdt gestolen 

So must auch reden vuuerholen / 
Wann du vor dem Gericht thust stehn 

Must nit freuen[t]lich vmb dich sehn / 
Must auch nit forchtsam aldo stöhn 

Mann meint sonst du habsts gethon / 
Sonder fein lieblich sich vmb dich 

Darumb so gib achtung auff mich / 
Ich will dirs jetzund zeigen fein 25 (D.) 

Also must heben den Kopff dein / 
Du machsts nit recht, heb vbersich / 

Die äugen nit gar vndersich / 
Den Hut nim fein in deine hend 
Darmit man den dieb nit recht kent. 

Corydon. 
1005 Ey Midian ich bin kein dieb. 

Midian. 

Ich sagts nit wann mir nit werst lieb / 
Du must auch weiter achtung geben 



990 



995 



1000 



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- 71 - 



Den hut nit an die Ohren heben / 
Vnnd merck fein anff was jener sagt 
1010 Wann er hat genug geklagt / 
So fang anch deine antwort an 

Sag / die sach thut nit also stahn / 
Dann wie du kommen bist zum Pferd t 
Sey es gelegen auff der Erdt / 
1015 Da habst du dich geförcht gar sehr 
Vnd nit gewist was dieses wer 
Seyst auch darüber gfallen mit macht 

Das .dir das Hertz im Leib gekracht / 
Einsmals ehe du wärest gerüst / 
1020 Da sey es mit dir auffgewischt / 
Vnd hab dich gstolen von dem ort 

Geschwind mit dir gelauffen fort / 
Du habst nit können steygen ab 
In einem solchen starcken trab j 
1025 So wolstu darauff protestieren 

Das dich das Pferdt hab thun entführen / 
Vnd bgerest weiter auch darzu 

Das man dem Pferdt sein recht anthu / 
Mann soll sich fleißig drauff bedencken 
1030 Vnd das Pferd an den Galgen hencken / 
Du habst es noch in deinem Hauß 

Gefangen vnd kan nit kommen auß / 
Vnd wann du solchs wirst bringen für 
Will ich dapffer zustimmen dir. 

C o r y d o n. 

1035 Fürwar der raht gefalt mir wol 

Kein Gelt darfftr mich dauren soll. 

M i d i an. 

Ich will nun jetzund gehen hin 

Bedenck dich fein / in deinem Sin / 
Zu guter nacht ich muß gehn fort 
1040 Gedenck fleißig an meine wort. 



Actus III. Seena III. 

C o r y d o n. 

Das muß mir sein ein gschmitzter Mann 
Der mit der sach vmbgehen kan / 

Vieleicht hat ers vor mehr probiert 
Auch etwann eim das sein entfahrt 
1045 Er kan den schalck gar wol verdecken 
That 20 Kronen mir abschrecken / 

Wann michs nit hüfft fürwar ich sag 



— 72 - 

Von standen an ich auff jhn klag / 
Wann man mich henckt so muß er mit 
1050 Oder ich will anch sterben nit / 

Das halb hab ich vergessen schier 26. (Dij.) 

Das er hat angezeigt mir / 
Dann er der schelmerey so voll 
Daß einer nit kan mercken wol / 
1055 \ un will ich wider gehn hinein / 
Vnd sehen zu den Sachen mein / 
Darmit wann man mich fordert hin 

Ich auch darzu staffieret bin / 
Sonst dorfft es kosten mir mein haut 
1060 Oder müst essen Galgenkraut. 



Actos III. Seena IV. 

Helkyas / Joachimus. 

[Helkyas.] 

0 Joachime wie gehts zu 
Was würckt der teüffel f&r vnruh / 

Ach wie wirt ewer Hertz mit pein 
Ohn vnderlaß beschweret sein / 
1065 Dann ichs an mir selbs mercken kan 
Wie es euch wirt zu hertzen gahn. 

Joachimus. 

Ach lieber Vatter ich weiß schon 
Das ich vor leyd [fast] muß zergohn / 

Wo soll ich auß / wo soll ich ein? 
1070 Veriamert ist das Hertze mein 

Ach das sey Gott im Himmel klagt 
Die Schwermut mir das Hertz abnagt / 

Doch will ich mich auff Gott verlahn 
Der woll mir helffen vnd beystahn. 

Helkyas. 

1075 Gott hatt die seinen in der hand 

Laßt sie gerahten in kein schand / 
Wann er ein wenig schon zueicht 

So laßt er sie doch fallen nicht / 
Dann das Creutz vnd daß leyden groß 
10«) Ist zu der Seligkeit die stroß / 

Wann sie schon zeitlich müssen sterben 

Wirt doch jhr Seel keins wegs verderben / 
Dann wann sie ist gerecht gewesen 

Soll sie in Gottes hand genesen. 



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— 73 — 

Joachimus. 

Mein sach hab ich auff Gott gestelt 

Der machts auch wie es jhm gefeit / 
Will hin za meiner Haußfraw gahn 

Ihr zusprechen vnd zeygen an / 
Daß sie sich faß mit dem Gebett / 

Gilt gleich wie es darnach mehr geht / 
Ich bitt jhr wollet mit mir hin / 
Zu trösten jhren betrabten sinn. 

Actus III. Seena V. 

Susanna / Raphael. 

[Susanna.] 

Herr Gott du trewer Heyland mein 
Wie komm ich rar das Angsicht dein / 
1095 Vnd schrey auß meines Hertzen grund 
Du wollst mich hören zu der stund / 
Laß mein Gebett kommen för dich 
Neig deine Ohren das bitt ich. 

Raphael. 

Ruff du an den getrewen Gott 
1100 Er wirt dich gwiß erhören / 

In dieser deiner großen noht 27. (Diij.) 

Gnedige hilff gewehren / 
Darfur du jhn / auß Hertz vnd Sinn 
Solt Ewiglichen preysen. 

S u s a n n a. 

Mein Seele ist deß jammers voll 

Alls wann sie zu der Hellen soll / 
Vud bin auch denen gleich geacht 

Die in die Hell fahren mit macht / 
Vnd wie ein Mensch das schon gefeit 
Kein trost weiß in der gantzen Welt. 

Raphael. 

Z i o n spricht sonst gantz vnbedacht 

Der Herr hat mich verlassen / 
Kan auch ein Mutter vnbetracht 
Ihr Kind nit z'Hertzen fassen / 
1115 Vnd ob sie schon / dasselb gethon 
Will Gott mit nicht vergessen. 

S u s a n n a. 

Vnder den todten lige ich 
Verlassen gantz elendiglich / 



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1085 



1090 



1105 



1110 



- 74 - 

Ach das du nit gedencket dran 
1120 Das sie samptlich von dir verlan / 
Da hast mich in die grub gelegt 

Mit großer finsternuß bedeckt / 
Dein grim truckt mich je lengr je mehr / 

Dein flut gantz grausam rauschen her. 

Raphael. 

1125 Förch te dich nicht gantz wundersam / 
Hab ich dich schon erlöset 
Hab dich geruffen bey deim nara 

Du bist mein, sey getröstet / 
Ob du wirst schon durchs Wasser gohn / 
1130 So will ich bey dir bleiben / 

Vnd durch das Feür / gantz vngeheür 
Will alles von dir treiben. j 

S u s a n n a. 

Mein Freund hast von mir gtrieben hin 

Ein grewel ich jhn worden bin ,' 
1135 Ich lig gefangen jammerlich 

Kan nit darauß j erbarme dich ( 
Vnd rftfife dich so trewlich an ( 

Breit mein [1. dein?] hand auß { wolst mir beystahn. 

Raphael. 

Gott hat ein Becher in der Hand 
luo Mit starckem Wein geschencket / 
Schenckt auß demselben allen sant 

Mit vnderscheid bedencket \ 
Die Gottloß rott / sich sauff zu todt 

Der fromm bleib vngekrencket. 

■ 

S u s a n n a. 

1145 Wiltu vnder den todten danu 

Dein Wunderzeichen lassen gahn | 
Oder werden die verstorbenen 

Zu dancken auß dem grab auffstehn ) 
Wirt man im grab dein g&t erzehlen 
U50 im verderben dein trew erwöhlen 
Mögen dann dein wunder allsant 

In finsternuß werden erkant? 
Oder dein Grechtigkeit ergahn 

Im Landt da man nit dencket dran. 

Raphael. 28. (Diiij.) 

1155 Gott hat dich schön gezogen an 

Mit heils Kleidern geschmucket J 
Der Grechtigkeit Rock angethan 



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Das schandtkleydt vndertrucket / 
Daß du vorauß | in Gottes Hauß 
1160 Der Lebendigen Rinden 

Solt loben Oott | so wirst ohn spott 

Daß ewig Leben finden. 

Susanna. 

Aber o Herr zu dir schrey ich 
Laß mein Gebett kommen fftr dich | 
1165 Warumb verstost die Seele mein, 

Verbirgst vor mir das Antlitz dein? 

Raphael. 

Der Herr harret doch allezeit 

Das er gnadig erscheine f 
Hat sich auffgmacht vnd ist bereit 
H70 Daß er sich erbarm deine: 

Ein Gott ist er f des Grichts gar schwer 

Wol allen die sein harren. 

Susanns. 

Ich bin Ohnmächtig vnd eüendt 
Daß ich verstoßen an dem endt | 
11/5 ich leyd dein schrecken so ich hab 
Daß ich auch schier verzag darab. 

Dein grim der helt vber mich 

Dein schreck mith trncken grausamlich. 

Raphael. 

Daß Rohr das schon zerstoßen ist 
1190 Wirt er nit brechen lassen: 

Daß glimmend dacht so schier verlöscht 
Wirt er erst recht auffblasen. 

■ 

Susanna. 

Taglich vmbgeben sie mich all 
Vmbringen meine Seel zumal. 
1185 Du machst daß meine freundt allsandt f 
Von mir abziehen jhre hand | 
Drumb daß ich so verlassen bin f 
Vnd auch mein Leben schier dahin. 

Raphael. 

Mit frewden wirstu schöpften doch 
1190 Wasser auß den heyl Bruunen J 
Wirst zur selben zeit sagen noch 
Dem Herren danck \ besunnen | 
Frew dich nur sehr | je lengr je mehr 
Gott wirt dich wol erretten. 



Sus an n a. 



1195 Wolan Gott dir gib ich die raach 
Nach deinem willen du es mach / 
Ich bfehl mich in dein trewe hat 
Sag Amen | auß getrostem muth. 

Raphael. 

Back dich f Back dich du böser geist 
1200 Back dich geschwind wie Gott das heist 
Korn her in dein Heilisch hanß, 
Hie wirstu gar nichts richten auß. 

MVSICA. 



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Argumentum. 29. (Dv.) 

IV. Actus. 

Im vierten Act merckt | wie ich sag | 

Haben die Alten ein Rahtschlag j 
1305 Wie sie vor Gricht nit wolln erschrecken | 

Sonder den Schalck gantz höflich decken / 
Indeß die Richter kommen her 

Susanna wirt aufF jhr beger, 
Oeholet hin | die fangen an f 
1210 Zu klagen f was sie hab gethan. 
Wie sie groß vnzucht vberauß j 

Getrieben / in jhrem Garten drauß J 
Schweren darzu es sey so bschaffen 

Mann soll sie nach dem Gsetz fein straffen | 
1215 Auff diese anklag vnuerschampt j 

Wirt S u s a n n a zum todt verdampt. 
Da meinten schon die Alten zwen / 

Es sey nach jhrem sinn geschehn / 
Aber Gott wills zulassen nit 
1320 Schickt jhr hilff auff die erste bitt 
Daruon weiter im fiinfften Act / 

Hernach soll werden angesagt. 



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Actus IV. Seena I- 



Midian I Achab. 

[Midi an.] 

Mein Achab nun müssen wir dann 
Ynser sach endtlich fangen an / 
1225 Es graußt mir schier / doch acht ichs nicht f 
Wann wir schon kommen für Gericht \ 

Mein Maul das will ich gar nit sparen \ 
Daß werdet jhr an mir erfahren. 

Achab. 

Ich hör wie sie so kläglich leb 
1230 Auch auß dermaßen vbel gheb. 

Midian. 

Ja ich glaubs \ dann man kan wol dencken j 
Das es sie wirt gar vbel krencken / 

Doch frag ich alles nicht darnach 
Sie muß noch besser an die sach. 

Achab. 

1235 ich weiß wol wie es gehen wirt 

Wann man vns vnd sie hat gehört / 
So werden sie an vns begereu / 

Daß wir auch ein Eydt sollen schweren f 
Wie wirts dann gehn J mein Midian 
1240 Wie werden wir das greiffen an? 

Midian. 

Wann man dasselb begeren thet 

Zehen Eydt schwur ich an der stett j 
Es gehe mir recht wie es woll 

Dises euch nit bekümmern soll. 
1245 Es wirt vns darumb nichts gcschehn 

Weichs jhr zwar selber werdet sehn / 
Seyt jhr nur frisch vnd vnuerzagt 

Die sach die muß nur sein gewagt. 

Achab. 

Schawt zu die Richter kommen schon 
1250 Wir wollen auch gleich mit jhn gohn | 
Yns setzen wie es sich gebort 

Vnd hören was da wirt gerührt \ 
Wann wir sehn | wie es will ergehn j 

So wölln wir Kläger bald auffstehn. 



Actos IV. Seena II. 

[Corydon /] Cleophas 1 Eubulus / Simeon / Sophron / || Osyas / 
Achab / Midian / Soldat. || 

Corydon. 

1255 Ein guten tag jhr Herren all 

Gott sey mit vns hie auff dißmal. 

Eubulus. 

Daß gebe Gott vns alln zu gut | 
Der halte vns in seiner hut. 

C 1 e o p ha s. 

Ohn zweiffei habt jhr schon vernommen 

Weßhalb wir jetzt zusammen kommen j 
Nemlich zu halten ein Gericht 

Doch öffentlich vnd heimlich nicht | 
Derhalb so thn ich melden an ' 

Frey öffentlich vor jederman 
Wo jemandt ist / der etwas hat 

Zu klagen hie an diser statt 
Dem solls gegundt sein allbereit 

Doch daß er brauch bescheydenheit / 
Mit reden j antwort vnd dergleichen 

Mit aufftretten / vnd hindan weichen / 
Wer hierinn etwas ftbertritt 

Dem wirt es nach gelassen nit. 
Zehen pfundt Silbers soll der geben 
So dem gebott thut wider streben. 

Achab. 

1275 ^ Herr Richter vnd jhr guten freundt / 
Die samptlich hie versamlet seind, 
Ich vnd mein freundt Herr Midian 

Hetten etwas zu bringen an. 
Wann man vns wolt geben gehör 
1280 So wolten wir es sagen her. 

Cleophas. 
Das soll euch schon erlaubet sein. 

Die Rahtsherren. 
Gefalt vns allen in gemein. 

Achab. 

So bgeren wir daß man her hol 
Susannam Joachimi Gmahl 
1285 Was wir haben von jhr zu klagen 

Daß wolln- wir in jhr beysein sagen. 



- 80 - 



C 1 e o p h a 6. 

Du Soldat | geh eyllend fort | 
~^fag das sie her komm an das ort J 
Vnd bring auch Joachimum mit 
1290 Vnd komm bald her, verzeihe [1. verwehe] nit. 

Sold at. 

Es soll gschehn was jhr bfohln han 
Will mich bald wider finden lan. 

Cleophas. 

Setzt euch nur nieder biß sie kommen 
Vnd die sach werde fnrgenommen / 
i'J93 ist sonst weiters vorhanden nicht 31. 
Daß es hie zwischen werd verriebt. 

C o ry d on. 

Herr Richter f hie hett ich zu klagen auch 
Drumb hört mich fein wie hie der brauch. 

Cle o phas. 

Ey ja ( sag her was ist es dann / 
1300 Vnd mach es kurtz, saum dich nit lang. 

Co r y do n. 

Zum nehr mal war ich trunekens Wein 

Wie dann jetz solchs der brauch will sein 
Vnd aßen ein dick Habermuß / 

Daß mirs wehe that am lincken Fuß f 
1305 Da wolt ich eylendts heim bey nacht | 

Vnd nam auch keines wegs nit acht j 
Stieß mich dardurch an zehen hart / 

Daß mir der fersen bluten wardt / « 
Als ich nun nider sitzen thu 
1310 Vnd will den schaden binden zu / 
So fiel ich eben auff ein Pferdt 

Weichs schlieff / vnd lag still auff der Erdt I 
Wuscht mit mir auff eins mals behendt 

Ist stracks mit mir hinweg gerent j 
1315 Es lieff so eylends mit mir forth 

Daß ich kondt reden nit ein wort f 
Drumb es mich hat dariurch gesteln ( 

Das klag ich euch jetz vnuerholn j 
Derhalb jhr Richter euch bedenckt | 
1320 Vnd solches Pferdt an Galgen henckt. 

Cleophas. 

Muß warlich dieses Bauren lachen 
Mit seiner so schweren schmach sachen. 



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— 84 



C o r y d o n. 

Horcht ich muß euch noch mehr klagen 

Vnd euch von meinem Nachburn sagen 
1325 ich weiß nit ob jhr jhn anch kent 

Wirt sonst deß Honsels Peter gnent | 
Vnd ist ein dicker Keib wie du 

Hat ein weit groß Maul wie ein Kuh j 
Gesicht auch nur mit einem Aug / 
1330 Sonst hat er ein Schon Junge Fraw. 
Hat ein grawen Barth j zimlich reich 

Sicht fast dem Alten Herren gleich. 

Mi di a n. 

Was sagstu hie du grober knopff J 
Verachtestu mir meinen Kopff? 
1335 Mein Weißen Barth j vnd mein Gesicht? 

Cory d o n. 

Ey nein j ich sags nur zu eim bricht. 
Vnd mein Nachbur hat am selben mal 

Verlohren auß seim eignen Stall, 
Sein Schwartzen Schimel J die Münchecht studt 
1340 So im Mistbären ziehen thut 

Jetz sagt er ich jhn gstolen han J 

Meint jhr ich sey ein solcher Mann 
Darumb so bitt ich 

Midian. 

Was teüffels doch | wann hats ein end 
1345 Meinst das wir sonst nichts zschaffen hend. 

Druinb mach dich forth | vnd halt das Maul 32. 
Mit diser deiner Sachen faul. 

C o r y d o n. 
Ey horchen doch mich noch ein wort / 

Midian. 
Du böser lecker mach dich fort. 

Cory d on. 

1350 So gib mir meine Kronen wider 

Oder ich halt dich soust nit für bider. 
Vnd wan du schon fährst Schilt vnd Helm 

So bistu doch ein alter Schelm j 
Der teuffei wird dich degradieren 
. 1355 Ja gar biß in d'Hell hinein führen. 
Ach Gott ist das nit zu[m] erbarmen 

Das man so vngern hilfft den Armen 
Der alt dieb hat mir abgenommen 



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- S2 — 



Zwentzü: Kronen in einer summen. 
Daß er mir wöll in meinen Sachen 

Dienea vnd sie richtig machen. 
So liltzt er mir vorm gantzen Gricht 

Heise das die Sachen eim geschlicht? 

0 deß alten argen hobwicht. 
1Jrv "' Kan ich jhn allein erdappen 

Ich will jhm hauwen solche schlappen 
Daß er soll suchen an seim Hut 

Ein gantze stand biß er verblat. 

Sophron. 

Dort sich ich sie jetz kommen schon 
1 r Aach J 0 a c h i m u m mit jhr gohn. 



1380 



Actos IV. Seena III. 

Susanca Joachimus Cleoph.»* Mi- di.m Achab Eabulus 
Simeon Sophron 0>y.i> Dimias Ruffu> Larco. [Corydon.] 

'S a s a n n a.] 

0 Herr Gott deß die Raache ist 1 
Erscheine mir zu dieser trist | 
Erheb dich da Richter gerecht 
Schaw an wie ich doch werd geschmecht 
l3 >" Wie lang soll der gottlose hauff 

Richten vnd haben seinen lauff. 
Ach schaw mich an, verlaß mich nit j 
Darumb ich dich von hertzen bitt | 
Wolan in Gottes nam komm ich | 
Will mich einstellen ghorsauilich. 

Joachimus. 

Herr Richter vnd jhr allesandt 

Wie jhr nach vns geschicket hand. 
So kommen wir gehorsam her / 

Za h6ren ewer aller bger. 

C \ e ü p Ii a >. 

1395 Recht ist es f dann wir öffentlich 
Jetzand da sein zu halten Gricht 
Darumb wer etwas von euch zu klagen j 
Wirt es hie iregenwertig sagen. 

M i d i a n. 

Stelt sie hieher vnd schafft darzu f 
1 ' Das sie rlen Schleyer vom Gsicht thu ? 



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83 



Dann sie den Schalck verdecken können 33. (E.) 

Vnd sieh auff anders bald besinnen f 
Drumb thu jhn ab ( vnd bleib da stehn f 

Daß man dir in das Gsicht könn sehn. 

Susanna. 

1395 Was plagt jhr mich doch Midi an ( 
Soll ich so vnz&chtig da stahn. 

M i di a n. 

Freylich gar züchtig sonst du bist / 

Ist nur -schadt ! das es nit wahr ist / 
Ihr Achab bringt die Sachen an f 
uoo Was wir von jhr zu klagen han. 

Achab. 

Herr Richter I vnd jhr in gemein j 

Wann es euch thet gefellig sein \ 
So wolt ich bringen an die sach | 

Vnd euch hernach befchln die Raach. 

Cl eop has. 

i-ws Sagts nur bald her \ fein kurtz vnd gut | 
So ists vns lieb \ vnd wol zu muht. 

Achab. 

Gestern giengen wir beyd allein f 

Wegen deß warmen Sonnenschein \ 
In Joachimi Garten auß 
lJio Spatzieren | vns zu lustigen drauß | 
Sihe da kam Susan na dar I 

Mit jhrer Magt in Gart förwar \ 
Wir saßen in dem Garten still f 
Gedachten was da werden will | 
1415 Vnd fieng bald an zu baden sich \ 
Da sahen wir gar eigentlich ; 
Kommen daher ein Jangling schon \ 

Gantz wolgestalt | schön apgethon / 
Gedachten was er wßll verrichten 
i-»2o Bald vergaß er allr Ehr vnd züchten 
Trieb mit jhr schand vnd laster vil f 

Die nit zu reden an dem ziel. 
Da wir nun solches wurden gwahr | 0 
So lieffen wir von stund an dar f 
i-*25 Da sprang er mit gewalt daruon 

Trat die Thür auff f vnd ließ vns stöhn. 
Dann er war starck vnd also khnn | 

Daß wir nit kundten meistern jhn f 
Deß halb können wir jhn nit kennen 
1430 Auch wolt sie jhn mit nichten nennen J 



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- 84 - 



Diß alles ist gewiß vnd wahr 

Auch wie die helle Sonn so klar \ 
Nun möcht jhr euch wol sehen für 

Vnd daß Gesatz vorhalten jhr / 
143"> Auch ein Exempel Statuiren 

Wie es sich fein je will gobürcn 
Darneben auch solch vngefell / 

Außrotten gar von Israel 
Damit wir auch nit lohn empfangen 
U40 Wie es zu Sodom ist ergangen. 

Cleophas. 

Fürwar das wer ein böses ding j 
Die sach ist warlich nit gering. 

M i d i a n. 

Was Achab sagt mein mcinung ist | 
Gib jhm auch zeugnuß zu der frist. 

Cleophas. 34. (Eij.) 

i«5 Billich ist / daß man sie auch hör 
Susan na sag dein meynung her 
Bistu gestendig dise that f 
So man auff dich geklaget hat. 

S n s a n n a. 

Ach jhr Herren vnd Richter mein / 
itfo Uic sach thut warlich änderst sein. 
Wann sie in jhr gewissen gehn | 
So werden sie änderst verjehn. 
Was sie vom Garten melden hie f 
Daß bin ich auch gestendig je 
i^" 1 Aber daß ich hab solchs gethan \ 
Wio sie von mir gezeiget an 
Dasselb gesteh ich nimmermehr 

Vnd 8olt man mich drumb peinigen sehr 
Dann mein Magd hab ich druiub abgesandt / 
146:» paß sie mir bringe aller handt. 
Seyffen, Balsam vnd anders mehr | 

So zu dem baden fein gehör. 
Da sah ich niemand ( dann allein 
Das sie zwen thaten drinnen sein. 
146') Was sie nun hatten in dem sinn / 
Ich gantz vnd gar vnwissend bin. 

M i (1 i a n. 

Wann ichs nit hett gesehen klar 

So meint ich jetz jhr red sey war J 
Wie darffstu aber leugnen diß 
1470 Da du doch weist { das es gewiß. J 



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- 



— 85 — 

S u s a n n a. 

Ich leugne solchs billich | dann jhr 

Gar hefftig zugesetzct mir 
Begert zu bringen vmb mein Ehr 

Dali werd jhr leugnen nimmermehr. 

C 1 e u p h a s. 

U75 Damit man nun zur sachen thu 
Vnd beyden theilen schaffe ruh 
So trettet alle sampt hindan 
Was recht sein wurd J daß soll ergahn. 

Ihr lieben vnd getrewen mein f 
14t» Nun hört jhr wie die sach thut sein j 
Wie hefftig sie da wurd verklagt j 

Wie schandtlich ding von jhr gesagt | 
Sie beyd stimmen gar vberein f 
Daß habt jhr ghöret in gemein. 
14H5 Drumb Rahtet alle fleißig zu | 

Wie meint jhr das mans machen thu? 

E u b u 1 u s. 

Mein Raht wer das man sie all beidt ( 

Ließ Schweren öffentlich ein Eydt / 
Wegern sie sich ab solcher that | 
i-WO So muß man weiter suchen Raht. 
Thun sie es aber williglich 

So darff man nit besorgen sich. 
Schweren sie nun eiu falschen Eydt 

So nemmens auff jhr Seelen beyd. 

Cle o p has. 

1495 Herr Simeon nun thut herbey 

Was dauon euwer meynung sey. 

S i in e o n. 3ö. (Eiij.) 

Weil man begert meins Rahts hierin 
So duncket mich in meinem sinn | 
Es wer nit noht / daß sie all beyd 
1500 Sölten drumb Schweren einen Eydt. 
Dann daß Gesatz außweyset klar 

Daß ein sach werde offenbar 
Auß z weyer oder dreyer Mündt 
So hört man eygentlich vnd rund. 
1305 Sie zweu die haben glauben vil 

Wann es nit wer sie schwigen still. 
Vnd nit wer etwas an der that | 

Die sie hiezu beweget hatt. 
Darumb meint ich man ließ es bleiben 
151° Mau dörffte auff den Eydt nit treiben. 



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86 - 



Cleoph as. 

Herr Sophron rahtet auch hierinn 
Wes duncket euch in ewerem sinn. 

Sophron. 

Was vor Eubu lu s vorgebracht 
Dasselb ich auch für Kimlich acht 
1513 Daß man sie beyd recht thu verhören 
Vnd einen Eydt darneben Schweren 
Als dann kan man die sach anstellen j 

Ein recht billiches Vrthel feilen j 
Solchs sag ich auß einfältigkeit. 
1520 Doch respectier ich ander Leuth. 

Cl e op ha s. 

Nun Herr Osya f was duncket euch 
In diser vnsern sach zugleich? 

Osya s. 

E u b u 1 u s | vnd auch Sophron beyd J 
Die haben geben gut bescheydt \ 
1525 ihr raeynung auch die meine sey j 
Darumb ich jhnen falle bey. 

C 1 e o p h a s. 

Nun laßt sie wider kommen her 
Damit man sie ferner verhör. 

Pausando. 

Wolan auff ewer beyder klag | 
1530 Haben wir ghalten ein Rahtschlag J 
Vnd ist also worden erkandt f 

Von den Richtern hie allen sandt | 
Daß wann die sach so bsch äffen ist / 
Vnd jhr es alles richtig wüst f 
1535 So solt jhr hie zugegen beyd 

Frey öffentlich Schweren ein Eydt. 

A c h a b. 

Ich meint wir hetten glaubens vil 
Daß es nit bdörfft an disem ziel. 

M idia n. 

Es gilt mir gleich wann jhrs begert | 
1540 Solt jhr werden von mir gewehrt. 

A c h a b. 

So sey es auch die meynung mein ( 
Ich will dessen vrbüttig sein. 



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- 87 



Cleo pha s. 

So leget auff jhr Haupt die hend | 
Vnd sprecht mir nach an disem end. 
1545 Wir Ri chter zwen au ß Israel 36. (Eiiij.) 

Achab vnd Midian. 
Wir Richter zwen auß Israel 

Cleo p ha s. 
Schweren bey vnser Leib vnd Scel 

Achab vnd Midian. 
Schweren bey vnser Leib vnd Seel 

Cl c o p h as. 
Vnd darzu bey dem Höchsten Gott j 

Achab vnd Midian. 
1550 Vnd darzu bey dem Höchsten Gott / 

C le o phas. 
Der alle ding erschaffen hat. 

Achab vnd M i d i a n. 
Der alle ding erschaffen hat. 

C 1 e o p h a s. 
Daß wir im Garten gsehen hand 

Ach ab vnd Midian. 
Daß wir im Garten gsehen hand 

C l e o p ha s. 

1555 Susanuam treibn vnzucht vnd schand. 

Achab vnd Midi an. 
Sasannara treibn vnzucht vnd schand. 

C 1 e o p h a s. 

Wann solchs nit wahr ist j so wÄll Gott / 

Achab vnd Midian. 
Wann solchs nit wahr ist { so wöll Gott / 

C 1 e o p h a s. 
Vns straffen mit dem ewigen todt. 

Achab vnd Midian. 
1560 Vns straffen mit dem ewigen todt. 



v 

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— 88 — 



Osy as. 

Der Schwur ist vber alle maß / 
Vor Gott gar schröcklich vnd gar grob j 

Darauff soll man das Vrthel sprechen 
Wer vnrecht hat j den wöll Gott rechen. 

Cleophas. 

1565 Hierauff sprich ich daß Vrthel nun / 

Wie Moses solchs befilcht zu thun. 
Dann also steht Geschriben klar / 
Wann ein Weib wurde offenbar. 
Die einem Mann vermählet sey j 
1570 Vnd bricht die Ehe ohn allen scheuw. 
So soll man sie zu einem spott 

Mit Steinen werffen beyde todt. 
Derhalben alles Volck zusamen | 
Einhelliglich wöll sprechen Amen. 

Die Richter. 

Amen. Amen. 

S u s a n n a. 

0 du mein Barmhertziger Gott / 

Ach schaw doch an die große noth. 
Du weist daß ich vnschuldig bin / 

Vnd kennest mein gemüth vnd sinn. 
Kora mir zu hilft mein Gott vnd Herr | 37. (Ev.) 

Schick mir dein g waltig hilff daher. 
Du weisest alle heymlichkeit | 
Vorab daß dise Zeugen beyd. 
Wider mich fälschlich klagen hie | 
Daß ich doch hab begangen nie. 
Ach soll ich dann jetz in den todt j 
So muß es doch erbarmen Gott. 

Si me o n. 

Nempt sie gschwindt hin jhr Hencker all f 

Was steht jhr da gaffen zumal. 
1590 Bindet sie vnd fahrt jraraer fort 

Laßt sie nur machen nit vil wort. 
Vnd jhr zwen zeugen sollen fein | 

Auff sie werffen den ersten Stein. 

M i d i a n. 
An vns soll es ja manglen nit. 

S u s a n n a. 

1&95 Ach schont doch meiner ich euch bitt. 
Laßt mich ein wenig gehen heim ( 



1580 



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— 89 - 



Zu segnen vor / die Freunde mein. 
Mein liebs Gemahl vnd Liebe Kind / 
Mein Eltern vnd mein Haußgcsind. 

C 1 e o p h a s. 

1600 Eya | laßt sie nur jmmer gchn / 

Geht aber mit / daß jhr zu sehn 
Wann es zeit ist so fahret forth [ 
Damit jhrs machet auff ein orth. 
Ach wie daurt mich doch die Matron 
1605 Wolt Gott sie kam mit fug dauon. 

Corydon. 

Ach Gott, ach Gott f ach lieber schaw 

Wie daurt mich doch die Fromme Fraw f 
Ich weiß daß sie vnschuldig ist | 

Daß sag ich hie zu diser frist. 
1610 Dann sie sich stäts in jhrer jugeud J 

Geflissen hat der Zucht vnd Tugend. 
Da doch hergegen der M i d i an 

Sein lebtag nie nichts guts gethan. 
Dann er mich newlich bschissen hat / 
1615 0 leg er drausen auff dem rad f 
Wolt gern auff meine 20 Kronen 

Verzeihn J vnd [mit] dem Heneker lohnen. 
Das er jhm vnd seinem gesellen 

Die Köpffe thet heraber feilen. 
1620 Aber ich weiß daß sie noch Gott 

Straffen wirdt mit schandlichem todt. 
Nun will ich recht auch gehn zu hauß 

Vnd meinen gscheffcen warten auß 
Dann wann ich solt allhie zusehn 
1625 Mein äugen wurden vbergehn. 
So vbel daurt mich dises Weib 

Darumb ich bey jhrem end nit bleib. 

MVSICA. 



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Argumentum. 



V. Actos. 

Der letste Actus kompt herbey 

Da jhr noch werdet sehen frey. 
1633 Nach dem daß Vrtheii gangen auß f 

Ward Susan na auß jhrem hauß 
Geführt / daß mans tödt zu der frist J 

Wie das Vrtheii ergangen ist. 
Da sie dann auß betrübtem niuth | 
1635 Die jhrigen fein segnen thut. 
Aber der Wunderbare Gott j 

Der die seinen nicht in der noth 
Sterben laßt / ward gar bereit / 

Ließ sehen sein Barmhertzigkeit. 
1640 Dann als man sie gefahret forth ( 

Vnd sie nit machen ließ vil wort, 
Auch mit jhr gangen nit gar ferr \ 

Kam Daniel geloffen her. 
Der sie errettet von dem todt / 
1645 Weil er gesendet war von Gott. 
Hieß sie mit jhr wider vmbkehren f 

Er wöll die Alten recht verhören. 
Weichs auch geschehen also bald 

Aber jhr vnrecht vnd gewalt 
1650 Ward offenbar vor jederman j 

Derhalb wurdens gegriffen an. 
Zum todt Verurtheilt alle beyd j 

Den sie Susan nae zubereit. 
Wurden gesteinigt zu eim spott 
1655 Also zu straffen pfleget Gott. 

Drumb seyt ein kleine weil noch still 

Vnd sehet wie sichs enden will. 



Actus V. Seena I. 



Achab | Dimius Rufus ; Lurco ; Susanna || Anna i Joachimus 
Helkyas | [| Bcniarain Rebecca. || 

[A c h a b.] 

Förth forth mit jhr es ist nun zeit j 
Was sollen wir lang warten heut. 
1660 ihr Hencker fahret forth mit jhr j 

Dimius. 
Wo seyt jhr Knecht \ trettet herfftr. 

Rufus. 

Ich bin schon da vnd wol gerfist I 

Lurco. 

An mir auch gar kein mangei ist. 

S u 6 a n n a. 

Nun wünsch ich euch vil guter nacht f 
1665 Ich muß nun forth mit aller macht. 
Ach liebe Mutter secht mich an 
Vmb vnschuld muß ich in todt gan. 

Anna. 

Mein Hertz will mir im Leib verspringen i 
Als wann der todt thet mit mir ringen. 
1670 Ach liebe Tochter trauw auff Gott 
Laß dich auff jhn mitten im todt. 

S u s a n n a. 

Ach Joachime liebstes Hertz | 
Schawt ist dann dises nit ein schmertz 

Daß man mich von euch reißt mit gwalt \ 39. 
1675 Die wir der Freuden manigfalt. 

Gehabt haben in vnserm leben / 
Nun will man mich in todt hin geben. 

Joachimus. 

Ach lieber Schatz könt ich mit fug 
Doch lenger mit dir reden gnug. 
1690 Doch ist dir mein Hertz wol bekandt. | 

Susanna. 

Ach gebt mir noch einmal die Hand. 
Vil hundert tausend guter nacht j 



— 92 — 



Ich bitt das jhr mein trew betracht f 
Denckt auch vnd thut guts vnsern Kinden 
1685 So wftrdt sich glück vnd heil stets finden. 
Jetzund so gehet hindersich f 

Damit jhr nit bekümmern mich. 
Kompt lieber Vatter auch zu mir 

Daß ich euch segne nach gebär. 
1690 Danck euch Gott ewer thewren lehr 

Die jhr mir gebn | vnd anders mehr. 
Nun gscgne euch der liebe Gott 

Jetz muß ich leyder in den todt. 

H e 1 k yas. 

Der lieb Gott dir Barmhertzig sey 
1695 Der w611 dir allzeit stehen bey. 

S usanna. 

Wo seyt jhr lieben Kinderlin / 

Ach du hertzlieber Beniamin. 
Rebecca I vnd Joachim kleiu 
Der liebe Gott wöll bey euch sein. 
i"oo Gehorchet ewerem Vatter stäht / 

Vnd rafft Gott an mit dem Gebett. 

Beniamin. 

0 Mutter wohin wolt jhr dann f 
Wann jhr wolt ich will mit euch gahn. 

S u s a n n a. 
Zu Gott will ich | mein liebes Kind 

Rebecca. 

1705 Ach Mutter kompt auch wider gschwind. 

H el ky as. 

0 ich glaub ich muß gar vergehn | 
Es ist auch vmb mein leben gschehn. 

D i m i u s. 

Wolan wir wollen jetz forth eylen f 
Die sach thut sich zu lang verweilen. 
1710 Nun kommet her | wir wollen forth J 
Damit es komme auff ein orth. 

A c h a b. 

Als nur forth / was ist das gmacht ? 

Susanna. 

Nun allen Menschen ein gute nacht. 
Himmel vnd Erdt gesegne Gott 



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- 93 - 



Jetz will ich gehen in den todt. 
0 Gott nirab mich in deine hend 
Korn mir zu trost am letsten end. 



Actos V. Seena II. 40. 

Daniel 1 Achab Miüian | Dimius. || 
[Daniel.] 

Was soll das sein f daß gestatt ich nicht | 
Dali Susanna solt werden grient. 
1720 ich selber will vnschuldig sein 

An disem Blut / geht wider heim. 

Midian. 

Was hastu da fftr ein geschrey I 
Droll dich hinweg komm nit herbey. 

Daniel. 

So gebt mir die Susann am her J 
1725 Vnd laßt sie loß j ist mein beger. 
Dann sie falsch angeklaget war j 
Von disen Alten gantz vnd gar. 

Achab. 

Wirstu nit bald hinweg da weichen 
Will ich dich mit der Ruhten streichen. 

Daniel. 

1730 Schaw zu fftrwar ich dir daß sag 

Daß dich Gott nit mit ruhten schlag. 

Achab. 

Fahrt dapffer forth | jhr henckersknecht J 

Daniel. 

Stehet jhr still J es ist nit recht. 
Ihr thoren groß von Israel f 
1735 Was verdampt jhr die arme Seel. 
Euwer äugen seind gar verblendt / 

Das jhr kein vnderscheid nit kent / 
Was warheit oder logen ist / 

Ihr habt verdampt zu diser frist, 
i"40 Auß Israel ein Frawe fromm 

Darumb kehret bald widerumb. 
Vnd kommet alle fftr Gericht / 

Die sach muß besser sein geschlicht. 

Dimi o s. 

Wolan wir wollen wider kehren j 
i" 45 Vnd recht ein besser Vrthel hören. 



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— 94 — 



M i d i a n. 



Ich wolt sie wer schon hingericht | 
So dörfft es dessen alles nicht. 



Actos V. Seena 11 f. 

Cleophas Daniel | Ach.ib Midi.™ Eu- II bulus Simeon 
Sophron Osyas. I! 

[Ci eo p has.] 

Was ist daß / das jhr wider kehrt 
Habt jhr den außspruch nit gehört? 

Daniel. 

1750 ihr lieben Herren in gemein 

An dem Blut will ich vnschuldig sein 
Derhalben ich eoch trewlich bitt J 
Wolt mein Jugent verachten nit. 
Dann j wiewol dise alte[n] zwen / 
1755 Vor euch seind in großem ansehn { 

Ist auch nit gnug daß sie Eydt Schweren j 
Mann soll sich dran mit nichten kehren. 
Mann maß den handel bsehen baß 41. (F.) 

Damit man rechte Kundschafft faß. 
i'6o Wann es euch [bliebt so wolt ich sie 
Attff andre weiß verhören hie. 

C 1 e o p h a s. 

So komm setz dich da zu mir her 
Wir folgen dir auff dein beger. 

A c h a b. 

Wolt jhr Herren so torecht sein 
1765 Vnd horchen auff dem Knaben klein. 

C 1 e o p h a s. 

Sey du zu ruh, laß dichs nit jrren / 

Du solt hierinnen nichts verwirren. 
Verwahret auch die beyde[n] Mann / 

Damit keiner entweichen kau. 
1770 Dir Daniel sey zu der stundt 

Zu haltten / daß Gericht gegundt. 

Daniel. 

So thut sie von einander beyd / 

Daß ich jeden in Sonderheit. 
Verhören kan / du Midi an / 
1775 Bleib hie / hör was ich zeige an. 



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95 — 



Du falsches Hertz / meinstu das Gott 
Zu aller zeit werd sein dein spott. 
Jetzund treffen die sünde[n] dich 

Die du geübet stettiglich. 
Daß gute hastu zugedeckt / 

Das böse aber auffgeweckt. 
Drumb sag mir an die warheit klar 

Vnd mach es hie fein offenbar 
Hastu gesehen treiben schand 

Susann am / so sag es zuhand, 
Was für ein Baum gewesen scy / 
Da zu jhr kam der Jüngling frey. 

M i d i a n. 

Ich meine es gienge dich nicht an / 
Aber ichs doch wol sagen kan. 
1790 Ich fand sie vnder einer Linden. 

Daniel. 

Der Engel Gottes wirt dich finden. 
Du leugst in deinen halß fürwar 

Du wirst doch noch zerscheittert gar. 
Daß Vrthel das ist gangen schon 
1/95 Vom Richter in dem Höchsten Thron. 
Sein Diener wirt verdammen dich 

Das wirst erfahren eygentlich. 
Nun bringt den andern auch hierein 

Damit jhr hört die antwort sein. 

E u b ul us. 

isoo i c h bsorg das Blat werd sich vmbwenden 

Simeon. 

Ich will gern sehn wie sichs will enden. 

Achab. 

Soll er da sitzen aoff dem Stul 
Ich meint man schickt jhn in die Schul. 

C 1 e o p h a s. 

Dieses jetzund dich nit angeht / 
1305 Gib du ihm antwort auff sein red. 

Daniel. 42. (Fij.) 

Komm her du Ehruergeßner Mann 

Du böse art von Canaan. 
Die Schöne hat dich da bethört / 
Dein falsches Hertz so gar verkehrt 
isio Also habt jhr ohn allen fehl 

Gethan den Kindern Israel. 



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1780 



1785 



— 96 — 



Daß sie auß forcht vnd großer pein / 
Euch musten st&ts zu willen sein. 

Das hat dise Fraw nit gethan / 
1315 Die jhr da fälschlich klagten an. 

Hastu vnzucht sie treiben sehn / 
Vndr welchem Baum ist das geschehn ? 

Ac h a b. 
Ich sah sie vnder einer Eychen | 

Daniel. 

Der Engel Gottes wirt dich zeichen. 
1830 Dann deine lugen wirt fürwar 

Dich bringen vmb das leben gar. 
Dann Midi an ein Lind genant / 

Vnd du ein Eych / nun secht die schandt. 
Damit sie beyd behafftet sein 
1825 Ihr lieben Richter ingemein. 

C 1 e o p h a s. 

Nun greiffet dise Alten an 
Genugsam wir verstanden han. 

Daß jhr klag falsch vnd vngerecht. 
Vntrew sein eigen Herren schlecht. 
1330 Was meint jhr daß sie habn verwürckt? 

Sophron. 
Daß sie ohn alle gnad erwürgt. 

C 1 e o p h a s. 

Da stelt sie her zusammen beyd 
Damit sie hören jhren bescheid. 

M i d i a n. 

Wo wollet jhr mit mir doch hin 
1833 Gar nie ich falsch gewesen bin. 

C 1 e o p h a s. 

So h6rt was Moses Gsatz außweist / 

Damit man sich deß Rechten fleist. 
Wann jemand falsche Zeugnuß sagt / 

Die wider seinen Nächsten klagt, 
1840 Der soll daselbst des tod[e]s sterben 

Vmb seiner missethat verderben. 
Der Mensch sey gantz vnd gar verflucht / 

So falsche Zeugnuß gibt vnd sucht. 
Derhalben alles Volck zusammen 
1845 Einhelliglich soll sprechen Amen. 



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97 



Die Richter. 

Amen Amen. 

C 1 e o p h a s. 

Sein Seel soll außgerottet werden 

Von allem Volck auff diser Erden. 
Vnd spreche alles Volck zusammen 
1850 Hie vber dise Zeugen Amen. 

Die Richter. 
Amen / Amen. 

A c h a b. 

Ach secht doch an das Alter mein / 
Ich bitt wolt mir genedig sein. 

3Iidian. 43. (Fiij.) 

Erbarmet euch doch vber mich 
1855 ich bitt euch gantz demütiglich. 

Osyas. 

Kein gnad ist hie zu hoffen mehr 
Darumb du weiter nichts beger. 

Daniel. 

Hetstu verschonet discr Frawen / 
So kftnt man dich mit gnad anschawen. 

C 1 e o p h a s. 

1860 Löset die Fromm Susanna m auff 
Vnd bind die beyd vbr einen häuft. 
Führt sie jetz fort / zu einem spott 
Vnd werfft sie mit den Steinen todt. 

D anie 1. 

Wolan jhr Herren Gott sey mit euch. 

C 1 e o p h a s. 
1865 Per selb sey mit dir auch zugleich. 

0 s y a s. 

Wer wolt jhn doch vertrawet han 
Daß sie ein solchs hetten gethan. 

Sop hron. 

Fürwar ich hett jhn guts vertrawt / 

Mein Leib vnd leben auff sie bawt. 
1870 Aber nemmen sie jetz den lohn 

Vmb jhr vnrecht daß sie gethon. 
Nun wollen wir Gott mit dem Gebett 

Loben / das er sie hat errott. 

7 



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— 98 — 
Actus V. Seena I. 

Diraius [ Midlan Corydon Achab [ || Lurco | Rufus. || 

[D i m i ns.] 

Jetz will ich gehn fein dapflfer eylen 
1875 Vnd dir geben die besten Beulen. 
Ihr Knecht nun trettet dapffer her. 

M i d i a n. 
0 Meister du truckst mich gar sehr. 

D i mi u s. 

Wart M i d i a n thut dir das we[he] ? 
Ich will es mit dir brauchen mehe. 

Corydon. 

1380 Ey dörfft ich dich trucken vnd machen 
Es mftsten dir all Glider krachen. 
Wart / wart ..' es wirt bald änderst gelten / 
Darff dich jetz wol Kronendieb schelten. 

Achab. 

Nun sehet mich jhr Menschen all 
1885 Wie ich gerahten in vnfall 
Durch raeine große missethat 

Die mich dahin beweget hat. 
Nempt ein Exempel all ab mir 

Daß sich keins vberseh hinfftr. 
HW> Liebt die Warheit die Edle Tugend, 

Befleißt euch darzu in der Jugend. 
Kein Menschen nimmer zu betriegen 

Fliecht schelten vnd das böse liegen. 
Nun hab ich mich daß vbersehn / 44. (Fiiij.) 

1895 jf u ß dise große schandt außstehn. 
Darumb bettet auch fftr mich Gott 

Daß er mir helffe in dem todt. 
Vnd gebe mir daß Ewig Leben 

Darin die Engel Gotte3 schweben. 

Diraius. 

1*0 Du magst wol Betten Mi dian 

Daß dir Gott wöll dein Sund nachlahn. 

31 i d i a n. 

Ach lieber sag mir nichts dauon 
Ich kan vnd mag nit Betten nun. 

L u r c o. 

0 Mi dian / wiltu nit Betten 
VKk> Man wirt dich bald mit Füßen tretten. 



♦ 

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- 99 - 

M i d i a n. 

Lieber sag: mir von Betten nicht 
Der bitter todt mich jetz anficht. 

Di ra i u s. 

Nun knyet nider albereit 
Hie wolln wir nemmen den abscheid. 

A c h a b. 

1910 0 Gott hilff mir in meiner noht / 

Stehe mir bey im Leben vnd Todt 
Ach Gott mein Sünd mir nit behalt 
Die ich begangen manigfalt. 

Di mi us. 
Ihr zwen werfft auff den Midi an. 

Ruf u 8. 

i*>i5 Wiltu dann Gott nit raffen an. 

C o ry d o n. 

Wart ich will dich lehren Betten 
Vnd dich jetz mit Füßen trotten 

Lug wie ich dich jetzund verehr 
Mit disem Stein / mein Kronen verzehr. 

M i d i a n. 

19_x> 0 we / o we { o höret auff. 

D i m i u s. 
Fort / fort \ werffet nur dapffer drauff. 

Acha b. 

0 Gott an meinem letsten end 
Befehl ich mein Seel in dein hend. 

L u r c o. 

Der Midian ist schier dahin 
1925 Doch werff ich noch ein bar auff jhn. 

Co ry do n. 

Daß sich der Baur auch nit thu sparn 
So soll ers mit dem Stein erfahren, 
puff puff puff. 

A c h a b. 

0 Gott erbarm dich mein 
1930 Vnd thu mir gnädig sein. 



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- 100 



Ruf u s. 

Fürwar Achab der daurt mich gar 
Aber der Midi an nit ein haar. 

D i m i us. 

Wolan h&rt auff, sie seind nun satt 
Sie ligen schon Todt an der statt. 

Sie werden keine Frawen mehr 
Bringen beydes vmb glimpff vnd Ehr. 



■ 



1. Chorus. 



Actus V. Seena V. 45. (F. v.) 

In dieser Jetsten Seena sagen sie GOTT 
Danck f&r die wunderbarliche Erlösung 

Susanne J da zvven Chor abge- 
theilt gegen einander 
Singen. 

J oachimus. 
S u 8 a n n a. 
H e 1 k y a s. 
Anna. 
Benjamin. 
Rebecca. 
P h i 1 e r g u s. 
A b r a. 

1 Raphael. 

2. Cliorus. I Daniel. 

I Chorus Angelorum. 

1. Chorus. 

Herr Gott wir thun dich loben 

Du Vatter aller güt / 
Im Himmel hoch dort droben 
1940 Das du vns hast behüt. 

2. Chorus. 

Also pfleget» Gott zu machen / 

Gant/ wunderlich allzeit | 
Im sind bekant all Sachen 

Wie man erfahren heut. 

1. Chorus. 

* 9 -* 5 Vns hast fürwar gerissen 

Auli großer angst vnd schreck / 
Zu hoffen dich beflissen 
Den todt getrieben weck. 

2. Chorus. 

Es steht als in sein Henden 
1950 Er sieht bißweilen zu j 

Einsmals so kan ee wenden 
Dem grechten schaffen ruh. 

1. Chorus. 

Den anschlag der Gottlosen 
Hastu gemacht zu nicht / 



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— 102 - 



1955 Dein Volcklein außerkosen 

Ein Aug aaff sie gericht. 

2. Chorus. 

Ob sie bißweilen sincken 
Vnd kommen in vnfall 
Laßt sie GOTT- nit ertrincken { 
i960 Hilfft jhnen alln zu mal. 

1. Chorus. 

Du hast gemacht zu schänden 

Die vns verfolget han / 
Wir seind auß jhren banden 

Massen vns bleiben lan. 

2. Chorus. 4«. 

1965 Wann man von Hertzen Bettet 

Vnd Gott vrab hilff anschreyt { 
So wirt man fein errettet 
Wie er solchs selbs gebeut. 

1. Chorus. 

Die zeit so lang wir leben 
1970 Wolln wir vergessen nicht / 

Das du dein gnade geben 
Gezeigt dein Angesicht. 

2. Chorus. 

Billich soll man GOTT preysen 
Wann er erhöret hatt / 
1975 Zo andrer zeit wirt weysen / 

Widrnmb sein große gnad. 

1. Chorus. 

Dein sey allein die Ehre 

Dein se}' der preyß allzeit / 
Vns größer frewd beschere 
1980 Dort in der Ewigkeit. 

2. Chorus. 

Da wirt die frewd erst werden 

Vollkommen vberal 
Ledig von alln beschwerden 

Ewig ins Himmels Saal. 



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EPILOGVS. 



1985 DieActionistnunvollend 

Diß Spiel laufft frölich zu eim end / 
Darbey so habt jhr all gesehn 

Gleichsam in einem Spiegel schön / 
Viel Schöner Lehren / die zugleich 
1990 Antreffen beydes Arm vnd Eeich / 
Was einem Menschen ansteht wol 

Vnd widerumb anch meyden soll / 
Dann kein Mensch selber wissen kau 
Was jhra mag vbel stehen an: 
1995 Aber an andern in der Welt 

Kan er wol sehn was jhnen fehlt / 
Derhalb hatt man deß nutzes viel 

Wo man helt solche Frewden Spiel | 
Dann jeder kan darinnen sehn 
2000 Was jhm am basten thut anstehn / 
Drumb wolln wir die Comoediam 

Die vns zugegen Lehrt allsam / 
Die Schön vnd Liebliche History 
Welch dient zu Gottes Lob vnd Glory / 
2005 Führen in die Zehen Gebott 

Da werden wir ohn allen spott / 
Genugsam vns bespieglen können / 

Lehrnen / besehen vnd ersinnen | 
Was wir solin meydn vnd vnderlohn 
2010 Hergegen aber sollen thon / 
ti) Erstlich in dem andern Gebott 

Falsch Schweren hat verbotten Gott / 
Weichs die zwen Alten vbergaagen 47. 
Mit falschem Schwur an Gott gelangen / 
2015 Der wider jhr gewissen gschach 

Susanne nur zum [1. zu] schand vnd schmaoh / 
Derhalb sie Gott gestraffet hatt 
Vmb solche große missethat | 
Dann es ein gar schröckliche Sand 
2020 Hüt dich darfür o Menschen Kind. / 
[2] Ferner in diesem Spiegel schön 

Das Sechst Gebott sich lasset sehn / 
Darinnen Gott Er[n]stlich verbeut / 
Den Ehebruch vnd die Vnkeuschheit / 
2025 Weichs diese Alte[n] nit bedacht 

Dasselb auch gleicher weiß veracht / 
Dann sie der Teüffcl angefochten 
Vnzucht zu treiben sie gedochten 



104 — 



Mit der S usanna Keusch vnd Framm 
2033 Gott bhät sie, strafft die bcyde^n] drumb | 
Dieweü sie Gott rafft trewlich an 
Er woll sie doch nit fallen lan. 
Darumb sieht man hierin gar schon 
Was solche Lieb gibt f&r ein lohn : 
2035 Dann Gott der Herr die große Sünd 

Gar hart zu straffen hatt verkiind. / 
Werden wir vns bespieglen baß 
[3] So werden wir noch finden was / 
Als nämlich das Achte Gebott / 
i»40 Darinnen vns verbeüttet Gott 

Wir sollen kein falsch Zeugnuß geben 
Wider den Nächsten hie im leben \ 
Augenscheinlich habt jhr gesehn 
Das es in diesem Spiel geschehu / 
•J045 Wie die Gottlosen Alten beyd 

Auß rechtem Teüffelischem neyd / 
Bey der Weltlichen Oberkeit 
Sich vnderstanden albereit 
Die Fromm Susanna m zuuerklagen 
2050 Vnd böse ding von jhr zu sagen / 
Daß doch wider jhr gwissen war 
Hernach auch wurde offenbar. / 
Hie frag ich nun euch allgemein 
Ob diß laster nit gmein thut sein? 
2055 Bey vns Christen zu dieser zeit 

Weichs man erfahren muß noch heut 
Das jeder tracht stäts je mehr 

Den Nächsten zbringen vmb sein Ehr j 
Drumb laß[t] vns nur bespieglen woll 
20b0 Wir werden sein der Matery vol[l] / 
Das wir den fleck abwischen schön 

Der vns so vbel an thut stehn. 
Wir wolln all Gott[e]s Kinder sein 
Ein Vatter haben ingemein / 
20t>5 Drumb müssen wir auß rechtem muth 

Als Brüder / einander wünschen gut / 
So wirt es vnser Vatter loben, 
Wirt jhm gefalln im Himmel droben. 
[-11 Nun kompt herbey das Z e h e n d Gbott / 
-wo Darinn hat auch verbotten Gott 
Daß gar niemand gelüsten soll 

Gegen seins Nächsten Ehegmahl. 
Welches auch heut begangen ist 
Von den Alten / die hatt gelust 
2075 Wider Susannam Tugentreich 
Ist neben andern sünd zugleich. 
[ä| Entlich thut dieses Spiel auch lehren 48. 
Ein Oberkeit vnd jedem Herren 



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- 105 — 



So sitzen thut im Raht vnd Gricht / 
Daß er sich laß bestechen nicht / 
Wie gschehen ist vom Midi an 

Der gschencke von dem Baursman nam / 
Sonder mit allem Heiß bedenck 

Daß er nit zweit auff dseitten schwenck / 
Vnd zeige gunst nur einer part 

Auff dander aber tring zu hart f 
Das steht eim Richter vbel an 

Gott wirts nit vngestraffet lan. 
Darumb jhr Richter betrachtets wol 

Daß keiner nit ansehen sol[l] f 
Gunst / neyd / haß / feindschafft / Gelt vnd Gab 

Dann Gott hatt gar kein gfallen drab ,' 
Sondern schafft eim jeden sein Recht 

Dem Herren so wol als dem Knecht / 
Dem Reichen als dem Armen, 

So wirt sich Gott ewer erbarmen. 
In Summa dieser Spiegel klar 
Macht vns alles so offenbar / 
Daß wo vns ernst zu reinigen ist 
Können wirs darauß jeder frist. 
Wir könten noch der lehren viel 

Nemmen auß disem schönen Spiel, 
Aber jhr habts selbs wol gesehn 
Was vns am besten an thut stehn. 

_'i05 Hiemit so dancken wir mit Heiß 

Reichen vnd Armen gleicher weiß / 
Das jhr vns alle sampt zu Ehr 
Hierzu demütig geben ghör / 
Wo wir solches zu jeder zeit 
L'iio Gegen euch in gebürligkeit 

Verdienen können J so wolln wir 

Vns rinden lassen mit begir. 
Allein wir bitten euch darneben 
Wo etwas nit zugangen eben | 
- 115 So wolt jhrs vns nit vbel deütten 

Besser wirt es zu andern zeiten. / 
Gott woll zugegen jederman 

Mit seinen Gnaden schawen an / 
Viel Glück vnd Heyl hie zeitlich geben / 
-12° Nach diesem auch das Ewig Leben \ 

Wers begert Sprech in Christi Nammen / 
L-i--] Von grund seins Hertzens mit mir Amen. 

ENDE. 

[Schluß-Zierleiste. | 



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V. 



Sagen aus dem krummen Elsaß, 

gesammelt von Lehrern und Lehrerinnen der Schul- 
- inspektion Saarunion, 

veröffentlicht von 

Kreisschulinspektor Menges. 

II. Aus dem Kanton Drulingen. 

108. Die vier Maibrüder. 

Eine alte Sage erzählt von vier Hambacher Mannern, 
daß sie ganz besonders gute Freunde waren. Jeden Abend, 
Sommer wie Winter, gingen sie zueinander cmaien» und saßen 
oft bis spät in die Nacht hinein beisammen. Sie machten 
untereinander aus, daß derjenige unter ihnen, der zuerst stirbt, 
wiederkommen und erzählen müsse, wie es im Jenseits aussehe 
und zugehe. 

Bald darauf starb einer der vier Freunde, und saßen ferner- 
hin die drei anderen beisammen. Eines Abends, als sie sich 
wieder erzählten, ging plötzlich die Tür auf und der Abge- 
schiedene trat ein. «rNun will ich euch sagen, wie es dort 
zugeht: Wenig Worte und ein strenges Gericht!» Und rasch 
verschwand er. Voller Angst gingen die drei Maibrüder aus- 
einander. 

Mitgeteilt von Lehrer Wickersheimer zu Waldhambach. 

109.*Die Wunderkohlen. 

Es war in alter Zeit, als man noch nichts von Streich- 
hölzern wußte und es oft recht mühsam war, Feuer anzuzünden. 



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— 107 — 

Da sah wohl die Hausfrau am frühen Morgen zunächst über 
die Nachbarhäuser hin. Und wo ein Kamin rauchte, kam sie 
mit dem «Scherme» (Scherben) und holte sich Kohlen zum 
Anfachen ihres Hausfeuers. 

Einmal wollte eine Frau sich auch Kohlen holen. Da sah 
sie ihren Garten hinauf und erblickte auf der Erde glimmende 
Kohlen und dachte, sie kämen von einem Weidfeuer her. Als 
sie hin kam, war kein Mensch dabei. Sie nahm davon und 
trug sie heim. Aber das Feuer kam nicht zum Brennen. 
Und so ging sie ein zweites Mal hinauf in den Garten, um 
Kohlen zu holen. Diesmal war ein schwarzer Mann dabei, der 
ihr sagte : «Nehmt jetzt noch einmal Kohlen, soviel ihr braucht ; 
kommt aber nicht wieder.» 

Auch jetzt wollte das Feuer auf dem Herde nicht brennen. 
Da stieß die Frau den Fluch aus : Wenn dich nur der Teufel 
hätte! Sofort gab es ein heftiges Gepolter, und alle Kohlen 
waren verschwunden. Aber als sie genauer zusah, lag ein nagel- 
neues Goldstuck an ihrem Platze. Die gute Frau wollte jetzt 
noch einmal nach dem Kohlenfeuer im Garten sehen, fand aber 
keine Spur mehr davon. 

Mitgeteilt von Lehrer Wickersheimer zu Waldhambach. 

110. Der Reiter vom Mtihlberg. 

Vor vielen Jahren diente ein Hambacher Mädchen in 
der Neumühle. Es war gehalten, den Schweinen noch abends 
recht spät gegen 11 Uhr das Mastfutter zu bringen. Die 
Schweineställe lagen hinter dem Hause am Mühlberg, daß 
man von dort über den Hügel hinblicken konnte. 

Eines Abends bemerkte das Mädchen einen Reiter, der 
verkehrt auf dem Pferde saß, rasch querfeldein über den Mühl- 
berg ritt und im nahen Grünewald verschwand. Zitternd kam 
es ins Haus und erzählte der «Bas» (Hausfrau), was es eben 
bemerkt hatte. Die Hausfrau aber sagte: «Den Reiter hab ich 
schon oft gesehen. Laß du den nur reiten !» 

Von da an brachte das Mädchen den Schweinen das Mast- 
futter gleich mit der Abendtränke. Und wenn die Hausfrau in 
der Stube ihm spät sagte : «Geh und bring den Schweinen das 
Futter!» so ging das Mädchen in die Küche und hielt sich 
dort eine gute Weile auf. Aber zu den Schweineställen wäre es 
nicht mehr gegangen. 

Mitgeteilt von Lehrer Wickersheimer zu Waldhambach. 



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— 108 — 



111. Das Räuberhaus im Grünewald. 

Vor mehr als hundert Jahren stand im Grünewald bei 
Dieme ringen ein Haus, in dem sich Räuber aufhielten. 
Eines Tages kam einer dieser Gesellen zu einer Frau nach 
Diemeringen und verlangte von ihr, sie sollte mitgehen und 
im Walde ein Mahl zubereiten. Die Frau wollte anfangs 
nicht ; denn der Wald war verrufen, und sie fürchtete sich 
vor dem Manne. Auch hatte er ihr strengstens verboten, zu 
reden von allem, was sie sehen oder hören würde. Endlich ließ 
sich die Frau durch Drohungen einschüchtern und ging mit. 

Im Walde angekommen, bereitete sie ein Essen für 30 Per- 
sonen. Als die Nacht hereinbrach, kamen wilde Gesellen und 
zechten die ganze Nacht hindurch. Am frühen Morgen wurde 
die Frau in das Dorf zurückgebracht, nachdem man ihr noch- 
mals die strengste Verschwiegenheit auferlegt hatte. Erst als 
die Räuber die Gegend verlassen hatten und ihr Haus zerfallen 
war, erzählte die Frau das Geheimnis ihren Angehörigen. 
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheini, früher zu Diemeringen. 



112. Die Glucke und der verborgene Schatz. 

In der Nähe des Gemeindewaldes von Diemeriugen 
liegt die Nachlweide. Dort erschien in früheren Zeiten an dem- 
selben Platz jeden Abend eine Gluckhenne mit ihren Küchlein. 
An dieser Stelle soll ein Schatz vergraben sein. Jedesmal wenn 
die Glucke hinkam, hörte man lautes Kettengerassel. Wer zu 
dieser Zeit den Ort betrat, mußte das Leben lassen. 

Um den Schatz heben zu können, schmiedeten einige 
Diemeringer den folgenden Plan. Wenn die Glucke erschien, 
wollten sie einen Kreis um sie bilden. Da es aber niemand 
wagte, in die Mitte dieses Kreises zu treten, überredete ein 
Bauer seinen Knecht dazu und versprach ihm eine große Be- 
lohnung. Der Knecht willigte ein, da er von den schreck- 
lichen Folgen noch nichts gehört halte und man sie ihm ab- 
sichtlich verschwieg. 

Um die bestimmte Zeit kam die Glucke mit ihren Jungen. 
Man bildete einen Kreis um sie, und der Knecht stellte sich in 
die Mitte. Da hörte man plötzlich ein donnerähnliches Getöse. 
Die Erde öflnete sich und verschlang den Knecht. Die andern 
aber liefen mit großem Geschrei davon. Der Schatz ist heute 
noch dort vergraben. 

Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeriogen. 



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109 - 



113. Die verzauberten Aepfel. 

Eine Frau von Diemeringen ging einmal durch die 
Hintergasse. Hier traf sie ein Kind an und fragte es, ob es 
auch Aepfel essen möchte. Als das Kind ja sagte, schenkte 
sie ihm zehn schöne, rotbackige Aepfel. Das Kind legte sie 
in seine Schürze und ging nach Hause. Als es dort die Aepfel 
heraus nehmen wollte, waren es lauter junge Kätzchen. 
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeriugen. 

114. Das Dorftier von Diemeringen. 

In Diemeringen erscheint in der Hegel einmal im 
Jahre ein Hund mit langen, schwarzen Haaren und herab- 
hängenden Ohren. Die Leute nennen ihn das Dorftier. Wenn 
dieses Tier in einem Jahre zehnmal kommt, so gibt es Krieg. 
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen. 

115. Die ertrunkene Grafentochter. 

Im Banne von Dieme ringen befindet sich ein tiefer 
Brunnen. Nach der Sage ist in ihm eine Grafentochter er- 
trunken. Sie war in einen jungen Mann verliebt. Aber der 
Vater wollte nicht in die Heirat einwilligen. Da stürzte sie 
sich mit ihrem Geliebten in den Brunnen. Als man die beiden 
Leichen herauf holen wollte, fand man im Brunnen keinen 
Grund. 

Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheini, früher zu Diemeringen. 

116. Der Teufel mit dem Buch. 

Einmal gingen mehrere Männer von Diemeringen nach 
Weislingen. Sie mußten durch einen Wald, in dem sich der 
Teufel aufhalten sollte. Als sie davon redeten, sagte einer: 
«Es gibt gar keinen Teufel, sonst wäre er schon gekommen.)» 
In diesem Augenblick stand der Teufel vor ihm und hatte ein 
dickes Buch bei sich. Als die andern ihn sahen, erschraken 
sie und liefen eiligst davon. Nur der eine blieb zurück, der 
an keinen Teufel glaubte. Der Teufel hielt ihm das Buch hin 
und sprach: «Schreibe deinen Namen in dieses Buch!» Da be- 
kam auch der Mann Angst und schrieb: «Ich schreibe in Gottes 
Namen . . . .* Plötzlich verschwand der Teufel. Der Mann 
aber kam erst nach drei Tagen abgemattet nach Diemeringen 
zurück. 

Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen. 



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110 — 



117. Das kristallene Schloß. 

Am Salzwasser bei Diemeringen stand früher ein 
kristallenes Schloß. Darin wohnten fromme Schwestern, die 
mit keinem Manne reden durften. Auch war ihnen das Hei- 
raten verboten. Nun lernte eine von ihnen einen jungen Mann 
kennen und verliebte sich in ihn. Da sie einander nicht hei- 
raten durften, aber auch nicht voneinander lassen wollten, 
stürzten sich beide fest umschlungen in ein tiefes Loch am 
Salzwasser. Sie schwammen dreihundert Meter unter der Erde 
bis in einen Brunnen an der Hauptstraße. Dieser warf sie tot 
ans Land. Von nun war das Wasser des Brunnens untrinkbar, 
und er wurde zugeworfen. 
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen. 

118. Der Galgeirhübel bei Mackweiler. 

Westlich von Mackweiler standen früher an der Bann- 
grenze zwischen Mackweiler und Diemeringen drei große Birn- 
bäume. Der letzte wurde noch nicht lange beim Erweitern der 
Straße gefällt. An diesen Bäumen hängte man in der alten Zeit 
die Räuber und Mörder auf. Die zwei letzten, die hier ihr 
Leben lassen mußten, waren ein Zigeunerpaar, das einen Mord 
begangen hatte. Heute noch nennt man den Platz den Galgen 
und den ganzen Hügel den Galgenhübel. 

Hier ist es in der Nacht nicht geheuer. Es erscheint da 
manchmal eine schwere, schwarze Gestalt, springt den Vorüber- 
gehenden auf den Rücken und läßt sich von ihnen bis nach 
Mackweiler tragen. Das geschah einem Maurer von Mackweiler, 
der vor zwanzig Jahren in Lorenzen arbeitete und spät nach 
Hause ging. Er konnte unter der schweren Last nur mit großer 
Mühe vorwärts kommen. Bald darauf wurde er von dem 
Schrecken krank und starb nach einigen Tagen. 

Mitgeteilt von Lehrerin Jakob zu Mackweiler und von Lehrer 

Aron zu Lorenzen. 

119. Der Hexentanz am Mackweiler Galgen. 

Einst ging ein Musikant mit seiner Geige spät in der Nacht 
von einer Kirchweih nach Hause. Sein Weg führte ihn an dem 
Mack weiler Galgen vorbei. Da kam ein schön gekleideter Herr 
zu ihm und fragte ihn, ob er zum Tanz aufspielen wolle, es 
sollte ihm reichlich mit Gold gelohnt werden. Der Musikant 
willigte ein und ging mit dem Herrn. Nach einer Weile kamen sie 



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— III — 



an einen schönen Platz, wo viele Damen und Herren warteten. 
Nun spielte er auf, und es wurde getanzt. Zwischen den Tänzen 
trank man guten Wein aus goldenen Bechern. Zur Belohnung 
schenkte jedes Tänzerpaar dem Musikanten ein großes blinkendes 
Goldstück. 

Als es anßng zu dämmern, brachten sie ihm ein großes 
Buch, in das er unterschreiben sollte. Er schrieb den Spruch 
hinein: «Das Blut Jesu Christi, macht uns rein von allen 
Sünden.» Kaum hatte er fertig geschrieben, so war alles ver- 
schwunden. £Und er saß allein unter dem Galgen. Die Becher 
waren Pferde- und Kuhklauen, die Goldstücke in seiner Tasche 
Pferdemist. Das große Buch aber lag noch neben ihm. 

Kr nahm es mit und brachte es den Richtern von Dieme- 
riogen. In dem Buche standen die Namen aller derer, die bei 
dem Tanze gewesen waren. Auf Befehl der Richter sollten sie nun 
alle verbrannt werden. Schon hatte man damit angefangen. 
Da fand es sich, daß auch die Frau des Amtsrichters dabei 
gewesen war. Als nun die Reihe an sie kam, hörte man mit 
dem Verbrennen auf. 

Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Olwisheim, früher zu Künsdorf. 

120. Die weiße Jungfrau bei Mackweiler. 

Am Ostende von Mackweiler liegen auf einem Hügel 
die Grundmauern einer römischen Villa mit erhaltenem Bade. 
In mondhellen Nächten sieht man hier eine wunderbar schöne 
Jungfrau umherwandeln. Ihr goldiges Haar ist aufgelöst und 
umhüllt ihre ganze Gestalt. Dreimal geht sie gewöhnlich um 
das alle Gemäuer, setzt sich dann auf die Trümmer und singt 
traurige, klagende Weisen. Wer diesem Gesang lauscht, bleibt 
bis zum andern Morgen wie gebannt auf dem Platze stehen. 

Mitgeteilt von Lehrerin Jakob zu Mackweile*. 

121. Der unterirdische Gang in Mackweiler. 

Von der römischen Villa in Mackweiler soll ein unter- 
irdischer Gang bis zur evangelischen Kirche führen. Bei einem 
früheren Umbau der Kirche konnte man deutlich die Spuren 
einer Doppel mauei- sehen. Dieser Gang war in Zeiten der 
Gefahr wohl eine Zufluchtsstätte für die Bewohner der Villa. 
Nach dem Glauben der Bevölkerung hört man am Vorabend 
eines Krieges oder einer andern geschichtlichen Begebenheit 
ein lautes Jagen und Laufen in dem unterirdischen Gange. 

Mitgeteilt von Lehrerin Jakob zu Mackw eiler. 



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122. Das weiße Pferd am Totenberg. 

Am Totenberg* bei Mackweiler wurde früher jede Nacht 
um die zwölfte Stunde ein weißes Pferd gesehen, das im Gros 
weidete. Einmal wollten Leute das Tier genauer betrachten 
und machten daher das Fenster auf. Da lachte der Schimmel 
dreimal und verschwand. Von dieser Zeit an wurde er nicht 
mehr gesehen. 

Mitgeteilt von Lehrerin Bader zu Diemeringen. 



123. Die weiße Frau beim Totenberg. 

Einst wollten drei Männer beim Mondschein von Dieme- 
ringen nach Betlweiler fahren. Bei dem Totenberg ging ein 
Rad aus dem Wagen. Sie stiegen ab, holten das Rad und 
fügten es wieder an den Wagen. Sie fuhren nun rascher, 
aber das Rad ging noch öfter aus dem Wagen. Da drohte einer 
und sagte: «Wenn ich den nur hätte, der uns das macht!» 
In diesem Augenblick lief eine weiße Frau in den Wald und 
lachte. Jetzt blieb das Rad nicht mehr am Wagen und sie 
fuhren mit drei Rädern nach Hause zurück. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

124. Der Mann mit dem Licht. 

a) Eine Frau von Drulingen ging nachts nach Rexingen 
Da begegnete ihr im Walde ein Mann, welcher sie fragte, 
wohin sie denn wolle. Als sie es sagte, lachte er höhnisch und 
bemerkte: «Da habt ihr euch aber gut verirrt; kommt, ich will 
euch leuchten.» Er ging mit seinem Lichte voraus, und die 
Frau folgte ihm. Aber sie wurde von dem hellen Schein so 
verblendet, daß sie bald nichts mehr unterscheiden konnte. 
Nun verschwand der Mann. Erst nach drei Tagen konnte die 
Frau wieder ihre Augen gebrauchen. Als sie sich umsah, be- 
fand sie sich mitten im Walde. 

Mitgeteilt von Lehrerin Forrler, früher zu Drulingen. 

b) Früh morgens, ehe es Tag war, ging ein Mann von R e- 
x i n g e n nach Pfalzburg. Als er in den Bann von Ottweiler 
kam, sah er ein Licht, das sich ihm näherte. Plötzlich stand 
vor dem Wanderer ein Mann von übermenschlicher Größe und 



' Der Name des Berges kommt wahrscheinlich von den keltischen 
Gräbern her, die man auf dem bewaldeten Berge findet. 



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— 113 



halte eine Sense auf dem Kücken. Der Rexinger stützte sich 
vor Angst auf seinen Stock und fragte die Riesengestalt, was 
das für ein Licht wäre. Dieser gab ihm harsch zur Antwort : 
«Das sieht man öfters da.» Nun ging das Licht dreimal um 
den Mann herum und verschwand dann mit der Riesengestalt. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen. 

c) Wo von der Landstraße Saarunion-Drulingen der Weg nach 
Thal abzweigt, steht ein Straßenwärterhäuschen. Hier soll es 
nicht geheuer sein. So ging einst ein Mann, der in Saarunion 
auf dem Markte war, in der Nacht heim nach Berg. Als er 
an die Holzmatt kam, die rechts am Wege liegt, kam er vom 
Wege ah. Nachdem er einige Zeit vergeblich nach dem richtigen 
Wege gesucht hatte, fing er an z # u rufen. Da stand auf ein- 
mal ein Männlein vor ihm mit einem Licht in der Hand. Das 
leuchtete immer vor ihm her. Ging der Mann nach rechts, so 
ging auch das Männlein nach rechts; ging er nach links, so 
ging es auch dahin. Nach langem Hin- und Hersuchen fand 
er den Weg. Da klatschte das Männlein in die Hände, lachte 
und verschwand. Der Mann soll totmüde und schweißtriefend 
nach Thal gekommen sein. Leute von hier haben ihn nach 
Berg bringen müssen. 

Mitgeteilt von Lehrerin 3Iuller zu Reipertsweiler. 

125. Der Ruf an der Teichelmattquelle. 

Die Leute vpn Tha l erzählen, daß in der Nähe der Teichel- 
mattquelle, die zwischen Rimsdorf und Thal auf einer Wiese 
entspringt, früher eine grausame Tat begangen wurde. Der 
Täler soll noch nach seinem Tode keine Ruhe und keine Rast 
gefunden haben und noch jetzt in der Nacht dort umherirren. 
Einst gingen zwei Männer von Rimsdorf nach Thal und kamen 
an dieser Wiese vorbei. Da hörten sie ein ängstliches Rufen. 
Sie vernahmen die Worte: Halber geschunden, halber geschoren, 
kommst du hierher, so bist du verloren. Den Männern kam 
die Geschichte ein. Sie getrauten sich nicht, dahin zu gehen, 
woher die Worte kamen. Eilends verfolgten sie ihren Weg 
weiter. 

Mitgeteilt von Lehrerin Müller /.u Reipertsweiler. 

- 

126. Die zwei Hunde im Bannholz. 

Ein Mann von T h ajl , der täglich nach Saarunion zur 
Arbeit ging, bestellte seine Frau auf seinem' Heimwege in den 

8 



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— AU - 

Bannholzwald. Dort wollten sie ein Tuch voll Laub mitnehmen. 
Die Frau kam frühzeitig auf den Platz, auf dem sie sich treffen 
wollten. Sie setzte sich an einen Baum. Kaum hatte sie sich 
niedergelassen, so saßen zwei große Hunde neben ihr und 
schauten sie mit feurigen Augen an. Die Frau erschrak so sehr, 
daß sie sich im Augenblick nicht rühren konnte. Endlich stand 
sie leise auf und entfernte sich. Ihr Mann begegnete ihr vor 
dem Walde. Sie erzählte ihm von ihrer Gesellschaft. Und 
ohne Laub mitzunehmen, gingen sie nach Hause. Man erzahlt, 
an jener Stelle seien schon viele Menschen ums Leben ge- 
kommen, und wenn die Frau den Hunden etwas zu leide getan 
hätte, hätte auch ihr letztes Stündlein geschlagen gehabt. 

Mitgeteilt von Lehrerin Müller zu Reipertsweiler. 



127. Der schwarze Mann. 

Ein Mann ging von Bett weil er nach Durstel. Da hörte 
er plötzlich jemand mit festen Schritten hinter sich hergehen. 
Als er sich umwandte, sah er in einiger Entfernung eine 
schwarze Gestalt. Er rief sie an, bekam aber keine Antwort. 
Da ging er weiter. Die unheimliche Erscheinung folgte ihm. 
Am ersten Hause in Durstel stellte sich der Mann unter den 
Schuppen, um zu sehen , wer vorüber gehe ; aber es kam 
niemand. Als er wieder auf die Straße trat, war die Gestalt 
verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bettweiler. 



128. Der Bauer und die Hexe. 

Ein Bauersmann von Bettweiler |fuhr mit einem zwei- 
spännigen Wagen nach dem Nachbarsdorfe. Es war sehr 
früh am Morgen. Da sah er am Straßenrand eine alte bucke- 
lige Frau stehen. «Was machst du da, alte Hexe?» schrie 
er sie an. «Dein Wagen muß, bis der Tag anbricht, hier 
stehen bleiben,» antwortete sie und verschwand. Alle Mühe, 
die Pferde weiter zu bringen, war vergeblich. Nun kehrte 
er ins Dorf zurück, um Vorspann zu holen. Als er mit den 
Pferden des Nachbars zum Wagen kam, waren seine Pferde 
arn hinteren Teil desselben angespannt. Er entfernte sie \om 
Wagen, bespannte ihn mit des Nachbaispferden und kehrte 
nach Hause zurück. Da ging eben die Sonne auf. 

Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bcttweiler. 



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- 115 — 



129. Der Jüngling und die weiße Frau am 

Brunnen. 

Ein Jüngling von B et t weile r ging mit dem Wasserkrug 
an den Dorfbrunnen, um Trinkwasser zu schöpfen. Da erschien 
ihm eine holde weibliche Gestalt und lud ihn ein, ihr zu folgen. 
Sie führte ihn in einen hellerleuchteten Kleiderladen und 
schenkte ihm ein hübsches Gewand. An dem Tag, an welchem 
der Jüngling das Kleid anzog, fing er an zu kränkeln. Mit der 
Haltbarkeit des Gewandes schwand auch seine Gesundheit. Und 
in der Woche, in welcher das Kleid den ersten Riß zeigte, 
starb er. 

Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bettweiler. 



130. Der geheilte Wilderer. 

Ein armer Mann von Bettweiler, der gern wilderle, 
ging einst in den Wald, um Besenreiser zu holen. Da erhob 
sich vor ihm ein fliegender Hase. Schnell legte er seine Büchse 
an und schoß. Indem er losdrückte, erhielt er einen Schlag 
über den Rücken, daß er betäubt zur Erde fiel. Als er sich 
erholt hatte, suchte er nach dem Hasen. Dieser aber war ver- 
schwunden. Von nun gab er das Wildern auf. 

Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bettweiler. 

131. Die feurigen Kohlen. 

Einst ging ein Mann von Bettweiler in der Nacht nach 
Durstel. Als er an den Seenesberg (einen Teil des Lubergs) 
kam, wollte er eine Pfeife Tabak rauchen. Da bemerkte er an 
einer Hecke einen Haufen glühender Kohlen. Er ging hinzu, 
nahm eine und legte sie auf die Pfeife. Am andern Morgen 
fand er ein Goldstück in seiner Pfeife. Da ging er in der 
folgenden Nacht den nämlichen Weg und sah die Kohlen 
wieder. Er bückte sich und wollte jetzt alle mitnehmen, bekam 
aber eine solche Ohrfeige, daß er den Berg hinabrollle. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

132. Der weiße Mann im Rohr. 

Zwischen Bettweiler und Durstel ist ein Wiesental, das 
heißt Rohr. Von diesem Tal erzählen sich die Leute allerlei 
Geschichten. Einst gingen zwei Männer in der Nacht von Bett- 



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- 41(5 - 



woiler nach Durstel. Als sie in das Kohr kamen, sahen sie 
einen weißen Mann neben ihnen hergehen. Er drückte einen 
Karren vor sich her, der mit Steinen heladen war. Als sie 
nahe an das Dorf Dnrstel nn den Rohrberg kamen, lud er die 
Steine nehen der Straße ab und verschwand. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

133. Der Rohrbrunnen. 

Vor dem Dorfe Durstel, rechts von der Straße nach 
Hexingen, ist ein Laufbrunnen, welcher Hohrbrunnen genannt 
wird. Bei diesem soll es in der Nacht nicht ganz richtig 
sein. Eines Nachts ging ein Mann von Berg, der in Durstel 
war, nach Hause. Als er zum Rohrbrunnen kam, sah er viele 
junge weiße Ziegen, welche über den Brunnentrog sprangen. 
Als er eine fangen wollie, waren sie alle verschwunden. 

Einst ging ein Mann in der Nachl von Hexingen nach 
Durstel. Da er an den Rohrbrunnen kam, lief ihm ein 
schwarzer Hund entgegen und sperrte seinen Rachen auf, 
als ob er den Mann verschlingen wollte. Da der Mann ihm 
mit seinem Stock einen Hieb geben wollte, war er verschwunden 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 



134. Der habsüchtige Bauer. 

Früher soll, in Durstel ein Bauersmann gelebt haben, 
welcher sehr habsüchtig war. Wenn er hinausfuhr, sein Feld 
zu pflügen, so riß er den Grenzstein aus der Furche und setzte 
ihn in das Feld des Nachbars. Dann wurde so gepflügt, daß der 
Stein wieder in der Furche war. So wurde sein Feldstück immer 
größer. Nach seinem Tode mußte er zur Strafe einen großen 
Stein auf dem Felde herumtragen. Er rief immer: «Wo soll 
ich ihn hintragen?» Da sprach ein Mann: «Wo du ihn geholt 
hast.» Da sprach er: «Jetzt gehe ich schon 300 Jahre so um- 
her und bin nun endlich erlöst.)« 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 



135. Der unehrliche Wirt. 

Früher soll in D urstel ein Wirt gewohnt haben, welcher 
immer eine weiße Zipfelmütze trug. Wenn er jemand Wein 
verkaufte, so goß er zuerst eine Portion Wasser in das Glas. 
Er war daher als Weinpantscher überall bekannt. Als er ge- 



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— 117 



slorben war, testen sie ihn in einen Sarg und setzten ihm 
seine weiße Mütze auf. Am Begräbnistage, als der Sarg vor 
ilem Hause stand und sich viele Leute dort versammelt hatten, 
öffnete er oben ein Fenster und riet herab : «Zwei Schoppen 
Wasser und zwei Schoppen Wein gibt auch ein Maß.» Noch 
lange soll er in diesem Hause gehört worden sein. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach au Durstel. 

136. Der ungläubige Mann. 

In Durstel wohnte früher ein Mann, der an keinen Gott 
glaubte. Er hatte fast immer eine Zipfelskapp auf dem Kopfe. 
Als er gestorben war, bekam er seine Mütze mit ins Grab. 
Nach seinem Tode mußte er zur Strafe für seinen Unglauben 
mit der Mütze auf dem Kopf unter den Schuppen des Dorfes 
umhergehen. Mehrere Männer aus Adamsweiler gingen einst 
in der Nacht durch Durstel. Einer von ihnen sah ihn und 
rief: «Seht ihr ihn dort sitzen?» Als sie unter den Schuppen 
gehen wollten, verschwand der Mann und ist seitdem nicht 
mehr gesehen worden. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

137. Die goldenen Nüsse. 

Ein Mädchen hatte auf dem Felde bei Durstel Nüsse 
gesucht und schon viele in sein Körbchen gesammelt. Da kam 
ein alter Mann zu ihm und hatte ein ßetlelsäcklein anhängen. 
Er sprach : «Gib mir ein paar Nüsse, daß ich meinen Hunger 
ein Wenig stillen kann.» Das Mädchen gab ihm von den Nüssen, 
bis es nur noch drei im Körbchen hatte. Mit diesen ging es 
heim. Als es dort darnach schaute, waren sie golden. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

138. Die Kutsche im Katharinenwald. 

Heute noch findet man im Katharinenwald bei Durstel 
l'eberreste eines früheren Klosters. Es hieß Katharinenkloster 
und hat dem Wald seinen Namen gegeben. An dem Platz 
liegen viele große Sandsleine. Auf einem solchen saß einmal 
ein Mann und ruhte aus. Auf einmal fuhr ihm eine Kutsche 
über die Hand. Darin saß eine schöne, weißgekleidete Dame. 
Zu gleicher Zeit hörte der Mann eine schöne Musik. Die 
Kutsche aber hatte ihm an der Hand nicht weh getan und 
verschwand gleich darauf. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 



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- 118 — 

139. Das Gespenst im Jungholz. 

Wenn man von Durstel nach der Schwattermühle gehl, 
kommt man an einem Wald vorbei, der das Jungholz heißt. 
Wie alte Leule erzählen, erschien früher auf diesem Wege oft 
ein Gespenst entweder in der Gestalt eines Hundes oder einer 
Ziege oder eines andern Tieres. Wollte man das Tier fangen, 
so verschwand es plötzlich. Viele behaupten, es wäre der 
Teufel, der in dem Jungholz hause. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

140. Die schwarze Katze. 

In der Nähe des Steinbacherhofes bei Durstel liegt ein 
kleiner Wald, Hinterwald genannt. Dorthin waren eines Abends 
Leute aus Durstel gefahren, um auf einem Acker Klee zu holen. 
Es wurde spät, bis sie nach Hause zurückkehrten. Da lief eine 
schwarze Katze mit ihnen und wollte sich immer auf ihre Füße 
Selzen. Der Fuhrmann gab ihr mit seinem Fuß einen tüchtigen 
Stoß, daß die Katze weit weg geschleudert wurde. Als die 
Leute gleich darauf zurückschauten, lief eine Person hinter eine 
Hecke und lachte. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

141. Das weiße Kind am Brückel beim 
Steinbacherhof. 

Zwischen Durstel und dem Steinbacherhof führt die 
Straße über eine Brücke, genannt das Holter Brückel. Einst 
wollten Leute in der Nacht von Lohr nach Waldhambach fahren. 
Als sie an diese Brücke kamen, wurde das Pferd scheu. Sie 
sahen ein kleines, schneeweißes Kind unter die Brücke laufen, 
welches laut lachte. Da wollten sie ihren Hund unter die 
Brücke schicken ; aber er lief fort und heulte. Sie wollten 
weiter fahren; aber als sie auf die Brücke kamen, fing der 
Wagen an zu krachen, und das Pferd blieb stehen, sie konnten 
es nicht mehr vorwärts bringen. Da kehrten sie um, fuhren 
zurück und nahmen einen andern Weg nach Hause. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 

142. Der wilde Jäger. 

In Adamsweiler soll früher ein Oberförster mit Namen 
Entel gewohnt haben. Dieser ritt auf einem Fuchs in den Wal- 



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düngen umher, die er zu hüten hatte. Nach seinem Tode wollen ihn 
noch viele Leute in dem Kerbholz gesehen haben, wie er umher- 
ritt. Viele wollen jetzt noch im genannten Wald seinen Jagdruf 
hören und auch, wie der Fuchs mit seinen Hufen an die 
Bäume schlägt. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 



143. Der schwarze Hund in Adamsweiler. 

Vor langer Zeit stand in Adams w eiler neben dem 
Kirchhof ein Wirtshaus. In dasselbe kam eines Tages ein vor- 
nehmer Reisender mit einem schwarzen Hündchen. In der 
Nacht wurde der Reisende in dem Wirtshause totgeschlagen 
und soll unter dem Haus begraben sein. Sein Hündchen wollte 
nicht mehr aus dem Hause. Seit jener Nacht soll in dem Haus 
ein Gespenst sein. Bald brach in dem W T irtshause Feuer aus. 
Das Haus brannte nieder, und auch der Hund verbrannte. So, 
sagte die Frau, jetzt haben wir doch einmal Ruhe vor dem 
Hund und dem Gespenst. Aber der Hund läuft noch immer 
in der Nacht dort um die Häuser herum, und viele Leute 
wollen ihn schon gesehen haben. 

Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel. 



144. Der Schimmel bei Adamsweiler. 

Ein Mann und eine Frau von Adamsweiler gingen 
einmal des Nachts in den Wald, um Laub zu holen. Als sie 
mit vollgestopften Säcken wieder auf die Straße kamen, be- 
merkten sie einen Schimmel, der neben ihnen her ging und 
nicht wich. Erst als der Mann seinen Sack fallen ließ, ver- 
schwand der Schimmel. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen. 



145. Der verschobene Grenzstein in Aßweiler. 

Im Aßweiler Bann rückte ein Mann einen Grenzstein 
auf seinem Felde, um dieses zu vergrößern. Er tat es in der 
Nacht. Als er am andern Abend wieder hinkam, lag am Mark- 
steine ein Hündchen. Es rief : 

«Wau, wau, wau, 
ich dich zerhau!» 



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— 120 — 

Am andern Abend war es wieder da. Als er am dritten Abend 
hinkam, lag ein großer Metzgerhund dort, der zerriß ihn. 

Wer später in der Nacht dort vorüberkam, verirrte sich. 
Man hörte oft einen Mann rufen : 

«Wo setz ich ihn hin 
zu meinem Gewinn?» 

Da ging einst ein Betrunkener dort vorbei. Auf jene 
Frage gab er die Antwort : 

«Setz ihn dahin, 
wo du geholt ihn.» 

Seit jener Zeit ist es ruhig an diesem Orte. 
Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Olwisheim, früher zu Rimsdorf. 

146. Die Frau am alten Kirchhof. 

Um die evangelische Kirche zu Aßweiler lag früher der 
Kirchhof. Eine Treppe führte zu ihm hinauf. Von ihr sah 
man nachts manchmal eine alte Frau mit einem Pack Schriften 
kommen. Grüßte man sie, so gab sie keine Antwort. Folgte 
man ihr, so bog sie schnell in ein Seitengäßlein ein und 
verschwand. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler. 

147. Das Dorftier von Aßweiler. 

Ganz in der Nähe des Schuihauses von Aßweiler, wo 
jetzt ein Pumpbrunnen steht, war früher ein Keltenbrunnen. 
Zu verschiedenen Zeiten in der Nacht sahen Leute früher auf dem 
Rande des Brunnens ein schwarzes Tier sitzen, so groß wie 
ein Kalb. Sagten sie etwas zu ihm, so sprang es ihnen auf 
den Rücken und ging nicht eher herunter — die Leute mochten 
so laut schreien, wie sie wollten — bis sie einen Fluch aus- 
stießen. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler. 

148. Das weiße Fräulein im Schlosse. 

Als früher im Schlosse von Aßweiler noch Grafen 
wohnten, kam jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr 
von Norden her, durch die Luft geflogen, begleitet von einem 
heftigen Winde, ein weißes Fräulein auf einem Schimmel sitzend. 
Es flog gleich ins Schloß. Nun fing darin ein furchtbarer Lärm 
an. Nach ungefähr einer Stunde verließ es das Schloß wieder 
in der nämlichen Richtung, von wo es gekommen. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler. 



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149. Von der Frau zum Hasen. 

An der Straße von Aßweiler nacli Drillingen liegt in der » 
Nähe von Aßweiler eine sumpfige Wiese, Saueretzel genannt. 
Dort sali man in früheren Jahren an» Abend spät oft eine Frau 
mit einer Hacke auf der Achsel. Näherten sich ihr die Leute, 
so lief sie nach der Straße, kroch in einen Dohlen und kam 
auf der andern Seite in Gestalt eines Hasen zum Vorschein, 
der im Felde verschwand. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler. 

150. Die weiße Frau. 

Einst weidete ein Mann von Aßweiler im Hinterwalde 
die Herde. Da kam eine weißgekleidete Frau zu ihm und sagte: 
« Morgen früh, wenn es Tagglock läutet, kommst du zu mir in 
das Kirschgartchen. Du brauchst keine Hacke und keine Schaufel 
mitzubringen. Du wirst genug bekommen. Wenn du nicht 
kommst, so passiert dir ein Unglück » Der Mann ging am 
andern Morgen nicht hin. Später ist er erfroren. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler. 

151. Die verwunschene Frau. 

Im Wald zwischen Aßweiler und Drulingen erschien 
früher alle Jahre eine schöne Frau. Sie saß auf einer Kiste 
und sang traurige Weisen. Eines Tages begegnete ihr ein Vater 
mit seinem Sohne. Die Frau sagte zu ihnen : «Ach, wenn 
mich nur jemand erlösen möchte!» Da fragte der Mann, womit 
sie erlöst werden könnte. Sie antwortete : «Hier sitzt eine Kröte; 
wenn ihr jemand einen Kuß gibt, bin ich erlöst.» Aber niemand 
wollte der Kröte einen Kuß geben. Da verschwand die Frau 
und -ward nie wieder gesehen. 
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen. 

152. Die Marte-Fricks-Hütte. 

In der Nähe von Büst war in einer Schlucht bis vor 
wenigen Jahren eine Felsenhöhle zu sehen. Das Volk nannte 
sie die Marte-Fricks-Hütt. Hier soll der letzte katholische 
Meyer (Bürgermeister) von Büst, Martin Frick, mit seiner 
Tochter eine Zeitlang gehaust haben. Noch waren die Türangeln 
am Eingang zur Höhle vorhanden. Heute ist diese aber nicht 
mehr zu sehen, sondern unter dem Schutt eines Steinbruchs 
l>egraben. 

Mitgeteilt von Lehrer Klein zu Büst. 



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422 — 



153. Der Mettinger Wald. 

Zwischen Mitlernacht und ein Uhr kommen aus dem 
Meltinger Wald oft laut klagend und jammernd zwei über- 
menschlich große Wesen, Mann und Frau, und gehen gegen 
Sie weiler zu. Beide sind in weiße Mäntel gehüllt und von 
einem Hunde begleite!. Sie schreiten langsam und Hand in 
Hand über die Frohmatt der Schalbacher Höhe zu und ver- 
schwinden endlich. 

In dunkeln Herbstnächlen kommt aus dem Mettinger Wald 
der wilde Jäger. Er trägt ein grünes Kleid und einen großen 
Schlapphut auf dem Kopfe. Gewöhnlich ist er von zwei Hunden 
begleitet. Seine Rufe «Hüdada» sind bis ins Dorf hörbar. 

Mitgeteilt von Lehrer Beck zu Sieweiler. 

154. Auf der Klostermatt. 

Auf der Klostermatt bei Sie weiler sieht man in stillen, 
mondhellen Sommernächten oft zwei weiße Frauen- Manchmal 
bemerkt man dort auch eine Prozession Klosterfrauen, und 
man vernimmt ihr Beten und Singen. 

Mitgeteilt von Lehrer Beck zu Sieweiler. 

155. Der Goldkessel. 

Ein frommer Jüngling aus Wey e r weidete einmal das Vieh 
auf einer dortigen Wiese. Da kam eine weiße Frau auf ihn 
zu. Er aber fürchtete sich nicht; denn er hatte schon oft von 
Erscheinungen gebannter Leute gehört. Die Frau sagte zu 
ihm: «Guter Knabe, komm morgen wieder an diese Stelle; 
du wirst dann dein Glück machen, und ich werde erlöst sein.» 
Der Knabe tat, wie ihm gesagt war, und kam am andern Tage 
wieder. Da sah er an der nämlichen Stelle einen großen Kessel 
voll Gold. In der Aufregung rief er nun seine Kameraden 
herbei. Da geschah ein furchtbarer Knall, und der Kessel 
samt dem Gelde war verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrerin Forrler. früher zu Drulingen. 

156. Wilde Tiere als Irrleiter. 

Zwei Mädchen gingen einmal von Weyer nach D r u 1 i n g e n. 
Auf halbem Wege begegnete ihnen eine weiße Frau und fragte 
sie: «Wo geht ihr hin?» Sie antworteten: «Nach Drulingen». 
Da verschwand die Frau. Als die Mädchen zurückkehrten und 



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wieder an die Stelle kamen, waren Rehe und andere wilde 
Tiere dort versammelt. Diese führten die Mädchen irre. Sie 
kamen nach Böst und Hangweiler. Erst am andern Morgen um 
G Uhr gelangten sie wieder nach Hause. 

Mitgeteilt von Lehrerin Forrler, früher zu Drulingen. 

157. Die feurige Katze. 

Von Hangweiler ging ein Mann nach Drulingen, um 
einen kleinen Hund zu holen. Außen an Mettingen sah er eine 
feurige Katze. Die ging um ihn herum, bis fast an Drulingen 
an, wo sie verschwand. Als er auf dem Heimweg wieder an 
den Platz kam, wo sie verschwunden war, versteckte sich das 
Hündchen und heulte. Da bemerkte er die Katze wieder hinter 
sich. Erjagte sie fort. Aber sie lief immer um ihn herum, bis 
er bald zu Hause war. Als er den Hund heim gebracht hatte, 
ging er wieder zurück, um zu sehen, was die feurige Katze 
wäre. Nach einer kurzen Strecke wurde es ihm schlecht (un- 
wohl). Er setzte sich nieder. Da saß auch die Katze vor ihm. 
Plötzlich verschwand sie mit lachenartigem Geheul. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen. 

158. Das Mutterschwein. 

In Drulingen sagte man früher, daß es am Grenzhot 
(zwischen Sieweiler und Mettingen) nicht geheuer sei. Einmal 
ging des Nachts ein Mann hier vorbei. Plötzlich sah er ein 
Schwein mit Jungen. Die Tiere gingen neben ihm her, bis es 
12 Uhr schlug. Dann verschwanden sie. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen. 

159. Der bewaffnete Ritter im Wolst. 

Vor vielen Jahren kehrte ein Mann von Ey weil er spät 
in der Nacht heim. Er mußte am Wolst vorbei, einem großen 
Walde, der zwischen Eyweiler und der Straße liegt, die nach 
Saarunion führt. Es war heller Mondenschein. Da sah er am 
Waldesrande einen bewaffneten Ritter. Die ganze Rüstung glit- 
zerte wie reines Gold. Der Ritter bewegte sich langsam nach 
der ungefähr 10 m langen Seeb (Wasserlache) hin, die an der 
Waldecke liegt und immer größer und breiter wurde. Der Mann 
konnte den Ritter ganz gut sehen. Nach einer Weile hörte er 
ein Gepolter. Dann war der Ritter verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion. 



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160. Der Mann ohne Kopf. 

Eine Frau aus Myweiler ging spät in der Nacht vom 
«Slüwwe* (Kunkelstube) heim. Als sie au* dem Haus heraus- 
trat, sah sie auf der Straße einen kohlschwarzen Mann auf- 
und abgehen. Sie meinte, es wäre der Büttel, welcher Y2 blasen 
wollte, und fragte: «Bekumm ich e Kamrad?» Sie erhielt aber 
keine Antwort. Der Mann ging nun der Frau voraus, blieb aber 
bald stehen. Als sie wieder zu ihm kam, fragte sie zum zwei- 
tenmale: < Bekum rn ich e Kamrad?» Jetzt erst sah sie, daß es 
ein Mann ohne Kopf war. Da wurde er auf einmal ganz feurig 
und «spützte» Feuer. Dann war er verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunioo. 

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161. Der weiße Vogel. 

Vor langer Zeit wollte einmal ein Mann von Ey weiter 
♦•inen Brunnen aufgraben. Da fand er einen Korb voll Geld. 
Als er es seiner Frau zeigte, schlug ihr jemand in das Gesicht, 
so daß sie in der Nacht starb. Bisher hatte man in der Nähe 
des Brunnens spät am Abend immer einen weißen Vogel ge- 
sehen. Als aber die Frau tot war, war der weiße Vogel ver- 
schwunden. 

.Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion. 

162. Der Mann mit der weißen Zipfelskapp. 

Vor vielen, vielen Jahren sah man des Nachts bei Ey wei- 
ter in der Nähe des Weyerer Waldes auf einer Mauer oft einen 
schwarzen Mann, der eine weiße «Zipfelskapp» auf dem Kopf 
hatte. Ein Mann ging einmal von einem Begräbnis von Weyer 
durch den Wald heim nach Eyweiler. Als er an der Mauer 
vorbeikam, rief ihm der schwarze Mann zu : «Nimm mich mit 
und frag' mich heim!» Er ging aber vorüber, ohne sich um 
ihn zu bekümmern. Bald darauf begegnete ihm eine Kutsche, 
vor die ein weißes Pferd gespannt war. Sie blieb vor ihm ste- 
hen, als ob er sich hinein setzen sollte. Er tat es aber nicht. 
So begegneten ihm noch 30 Kutschen nacheinander. Die letzte 
war ganz feurig. Darin saß der schwarze Mann mit der weißen 
Zipfelmütze. 

Mitgeteilt vou Lehrer Ahl zu Saarunion. 

163. Der wilde Jäger. 

\or Zeiten o'\n$ einmal ein Mann aus dem Eicheltal spät 
in der Nacht beim durch den Kleinwald von Eyweiler. Als 



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er an die «Küpp» (Holzschlag) kam, wollte er ein Stück Holz 
auf die Schulter nehmen. Da hörte er aus der Ferne des Waldes 
plötzlich Hundegebell. Es kam immer näher und wurde stärker. 
Auf einmal meinte der Mann die Hunde ganz in seiner Nähe 
zu hören ; aber er konnte sie nicht sehen. Aus dem Innern des 
Waldes vernahm er deutlich den Ruf «Hüdada, Hüdada». Dann 
liefen die Hunde in den Wald zurück. Aber sie kamen immer 
wieder und umschwärmten ihn, so daß er ihr Aechzen und 
Schnaufen hören konnte. So ging es fort, bis er aus dem Walde 
wieder auf die Straße kam. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion. 

164. Der schwarze Mann. 

Zwei Männer von Eyweiler holten einmal im Großwald 
Holz und kehrten gegen Abend heim. Als sie in die Nähe des 
Dorfes kamen, bemerkten sie in einem Feldweg einen großen 
schwarzen Mann. Sie meinten, es wäre der «Jajer» (Förster), 
und einer von ihnen ging herzhaft auf ihn zu. Als er aber in 
seine Nähe kam, spie die Gestalt Feuer aus. Der zurückgeblie- 
bene Kamerad rief nun : «Hans, komm schnell zurück !» Da 
wich der Mutige langsam zurück. Die schwarze Gestalt war 
aber verschwunden. Auch andere Leute wollen sie auf dem 
nämlichen Platz schon gesehen haben. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion. 

165. Die Gespensterkutsche. 

Weit hinten im Wald von Eyweiler wurden nachts an 
einem Platz oft Bäume umgehauen. Da ging der Förster ein- 
mal mit vier starken Männern in den Wald, um auf die Frevler 
zu passen. Sie konnten aber niemand sehen, trotzdem der Mond 
hell schien. Endlich um Mitternacht hörten sie ein furchtbares 
Gepolter und sahen die «Schneis» (Waldweg) eine große Kut- 
sche mit zwei Rappen herunterkommen. Darin saß ein großer 
schwarzer Mann mit feurigen Augen. Die Männer konnten kein 
Wort reden, so sehr erschraken sie. Im Galopp sprengten die 
Rappen an ihnen vorüber. Da war auf einmal nur noch die 
Kutsche zu sehen. Aber der feurige Mann und die Pferde waren 
verschwunden. 

Eine ähnliche Kutsche sah auch einmal der Büttel (Ge- 
meindediener) des Dorfes, als er um Mitternacht zwölf blasen 
wollte. Sie sauste mitten im Dorf an ihm vorüber und ver- 
schwand in einem Garten. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion. 



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166. Das unsichtbare Gespenst. 

Ein Mann ging im hohen Sommer von Esch wei ler ganz 
spät am Abend heim nach Eyweiler. Als er auf die «Großwind» 
kam, war es schon linsler. Da war es ihm nicht mehr möglich, 
vorwärts zu kommen, er konnte sich anstrengen, wie er wollte. 
Eine ganze Stunde mußte er auf Händen und Füßen liegen. 
Er meinte, er wäre verhext und könnte sich nicht mehr auf- 
richten. Auf einmal hörte er ein Geräusch, wie wenn ein Vogel 
vorbei flog; aber sehen konnte er nicht s. In diesem Augenblick 
\ermochte er sich wieder aufzurichten und ungehindert weiter 
zu geben. Da schlug es in Eyweiler 12 Uhr. 

Mitgeteilt von Lehrer Ahl ru Saarunion. 

167. Der wilde Jäger. 

Vor alten Zeiten waren die Buben von Hirschland mit 
dem Vieh in der Kohlmatt nahe beim Wald auf der Weide. 
Da machten sie sich ein schönes Feuer und setzten sich dar- 
um. Plötzlich hörten sie etwas im Wald, wie wenn es ein Jagd- 
lärm wäre. Das Geräusch kam immer näher. Und auf einmal 
s;ihen sie den wilden Jäger auf einem Schimmel und mit zwei 
Hunden. Dreimal ritt er durchs Feuer. Dann sahen sie nichts 
mehr. Voller Angst liefen sie heim und erzählten alles. 

Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Dmlingen. 

168. Das geisterhafte Pferd. 

In Hirschland hütete vor vielen Jahrenein Hirt die 
Säue im Eichwalde an einem Kirchweihtage. Als er gegen Abend 
heimfuhr, konnte er einige nicht ünden und ließ sie im Walde 
zurück. Zu Hause angelangt, schickte er seinen Sohn vom Tanze 
weg hinaus, die Säue zu suchen. Unter Fluchen und Schelten 
machte sich dieser aut den Weg. Unterwegs sprach er zu sich: 
«Wenn ich jelzt ein Pferd hätte, würde ich bald in der Ober- 
matt (einer Waldinsel) sein», in deren Nähe er die Schweine 
vermutete. Als er noch eine Strecke weit und über einen 
Graben gegangen war, stand da ein gesatteltes Pferd im Wege, 
welches mit dem Fuße den Boden scharrte, und ein Hund saß 
daneben. Da lief ihm- aber «die Katze doch den Rücken hin- 
auf», wie er so dastand und die beiden Tiere betrachtete. Auf 
das Pferd aber setzte er sich doch nicht. Plötzlich krachten die 
Bäume im Wald und die Erlen am Graben um ihn her, als 
würde alles in tausend Stücke zerschlagen. Indem er sich um- 



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wandle und nach Hause zurücklief, vernahm er noch ein hölli- 
sches Gelächter hinter sich her. Für diese Nacht war ihm aher 
das Tanzen vergangen. Am andern Morgen war die Erscheinung 
verschwunden, und die Schweine wurden wohlbehalten im 
Walde zusammengetrieben. 
Mitgeteilt von Lehrer Bieber zn Koßweiler, früher zu Hirschland. 

169. Der Geist in der weißen Nachtweid. 

Vor vielen Jahren kauften einige Bürger von Hirsch I and 
die Feldgewanu «die weiße Nachtweid». Da die Kaufsumme 
nach Straßburg bezahlt werden mußte, die Reise dahin aber 
sehr beschwerlich war, übergaben sie das Geld einem Manne, 
damit er es abliefere. Nun war aber dieser Mann ein Schelm. 
Er unterschlug die ihm anvertraute Summe, machte sich einige 
fröhliche Tage und kam erst wieder, als er den letzten Pfennig 
ausgegeben hatte. 

Bald kam aber seine Untreue an den Tag. Wohl oder übel 
mußten die Käufer das Gut zum zweitenmale bezahlen. Daß sie 
den Mann, der sie um so viel Geld gebracht, haßten, liegt auf 
der Hand. 

Jahre vergingen, und als der Ungetreue starb, war nur noch 
einer der Betrogenen am Leben. Als die Nachricht durch das 
Dorf ging, der Schmiedhenrich sei gestorben (so wurde nämlich 
der Betrüger genannt), da fluchte ihm der Betrogene und sprach : 
«Wenn er nur im Grabe keine Ruhe fände und immer in der 
weißen Nachtweid gehen müßte !» 

Nicht lange nachher ging ein Hirschlander, der an der 
Eschweilerstraße wohnte, spät in der Nacht von Bärendorf nach 
Hause. Da er dachte : «Wenn ich über das Feld gehe, so schneide 
ich den Bogen durch das Dorf ab und bin eher daheim», ver- 
ließ er bei den Reben die Straße und ging quer über die Aecker. 
So kam er auch an der weißen Nachtweid durch. Plötzlich 
stand der Schmiedhenrich vor ihm, angetan in seiner alten 
Tracht: weiße Joppe, Kniehosen, Schnallenschuhe, auf dem Kopf 
den Nebelspalter. Drohend rief er dem Wanderer zu : «Tret* 
aus meinen Fußstapfen weg !» Da der Angeredete sich vor 
Schrecken nicht rührte, erhielt er eine so heftige Ohrfeige, daß 
er zurücktaumelte und einige Zeit ohnmächtig liegen blieb. Voll 
Angst und Schrecken kam er heim und wurde schwer krank. 
Im Fieber hörte er immer den Schmiedhenrich rufen : «Tret* 
aus meinen Fußstapfen weg !» 

Seither ist der Geist noch einigemal in der weißen Nacht- 
weid gesehen worden. Daher wagt es niemand mehr, den Ort 
zur Nachtzeit zu betreten. 

Mitgeteilt von Lehrer Leininger zu Hirschland. 



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170. Der Schimmel in der Glintsch. 

Einst ging ein Hirschlander Musikant von der R a u w e i I e r 
Kirl) in der Nacht heim. Da sah er nicht weit vom Wege in 
der Gewann Glintsch einen Schimmel weiden. Kaum hatte das 
Pferd den späten Wanderer erblickt, so trabte es eilig auf ihn 
zu und stellte sich so vor ihn hin, als wollte es ihn zum Auf- 
sitzen auffordern. Dem Mann stiegen die Haare zu Berg. Schnell 
wollte er um das Pferd herumgehen und seinen Weg fortsetzen. 
Wohin er sich aber wandte, immer stand das Pferd vor ihm. 
In seiner Angst fing der Musikant an zu beten. Da verschwand 
der Schimmel. Seitdem haben schon viele Leute von Rauweiler 
und Hirschland das Pferd des Nachts um 12 I hr gesehen. 

Mitgeteilt von Lehrer Leininger zu Hirschland. 

171. Das Dorftier als Brunnen Wächter. 

In Rau weiler gab es bis in die Mitte des 19. Jahrhun- 
derts nur wenige Brunnen. Es waren meistens Zieh- oder Ketten- 
brunnen mit zwei Eimern. Erst in neuerer Zeit wurden Pump- 
brunnen hergestellt. Trotzdem tritt in trockenen Herbsten öfters 
Wassermangel in dem hochgelegenen Dorf ein. Früher muß 
das bei der geringen Anzahl von Brunnen viel häufiger gewesen 
sein. 

Um diesen Wassermangel nicht zu vergrößern, soll sich 
früher von zehn Uhr abends bis zum Tagesanbruch neben dem 
Brunnengehäuse ein Ungeheuer, das Dorftier, gelagert haben. 
Wer sich in dieser Zeit dem Brunnen näherte, um Wasser zu 
schöpfen, erhielt von dem Tier derbe Schläge ans Bein, bis er 
sich entfernte Wenn der Tag graule, verschwand das Dorftier. 
Dann konnte jedermann ungestört Wasser holen. 

Mitir« teilt von Lehrer Kohler zu Bürbach. 

172. Der Förster Barthel. 

Zwischen Bä r e n d o r f und Finstingen lag früher der Spo- 
renwald. Der Förster Barthel hatte ihn zu bewachen. Dieser 
war gegen die armen Holzsammler sehr streng und brachte 
manchen von ihnen in das Gefängnis. Darum freuten sich alle, 
als er starb. 

Aber der Barthel blieb auch nach seinem Tode noch Hüter 
des Waldes. Auf einem stolzen Schimmel ritt er in seinem 
Revier umher. Ihm folgten zwei weiße Hunde, die er oft durch 
«Hudada, Hudada» zu sich heran rief. Von Bärendorf sah man 



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in mancher Nacht ein großes, helles Licht da und dort im 
Walde aufblitzen, das Barthel auf seinen nächtlichen Ritten bei 
sich hatte. Wenn die Bärendorfer abends spät von Finstingen 
heim gingen, begegnete ihnen Barthel sehr oft und wünschte 
ihnen einen guten Abend. Die Fuhrleute, die mit Salz von Saar- 
alben nach Straßburg fuhren, sahen ihn häufig in den Sand- 
gruben bei Rommelüngen umherreiten. 

Ein Mann aus Helleringen wollte einmal im Sporenwald 
trotz des bestehenden Verbotes seine Pfeife anzünden, bekam 
aber dabei eine derbe Ohrfeige. Gleichzeitig hörte er in der 
Nähe des Bartheis «Hudada». Und als er nach diesem umschaute, 
sah er ihn auf seinem Schimmel zwischen den Baumen des 
Waldes verschwinden. 

Mitgeteilt von Lehrer Lazarus zu Weyersheim, fiüher /.u 

Bärendorf. 

173. Bas Herdenmännel in der Sulzermatt. 

Die Wolfskircher trieben früher ihre Pferde auf die 
Nachtweide. So hielt einmal ein Pferdehüter drunten in der 
Sulzmatt mit zwei Pferden. Diese wurden plötzlich ungeduldig 
und wollten davon laufen. Er konnte sie nur mit Mühe halten. 

Da stieg auf einmal ein kleines Männlein aus der Isch auf. 
Das sprach zu dem Bauer : «Ich will dir helfen deine Pferde 
hüten 1» Er war es zufrieden. Das Männlein sprang nun jedem 
Pferd an den Hals und würgte beide zu Tode. Dann verschwand 
es wieder, so schnell wie es gekommen war, in den Wassern 
der Isch. Voll Grausen lief der Hüter davon. 

Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen. 

174. Die weiße Frau auf dem Schimmel. 

Am Adelsbrunnen, der am Wege von Postdorf nach Wol fs- 
kirchen sich befindet, stand früher ein Schloß. Daher wird 
die Gewann der Grafenhof genannt. Von ihm führte ein Weg, 
der Herrenweg, der heute angebaut wird, talabwärts um den 
Hügel herum, auf dem Wolfskirchen liegt. 

Einst fuhren die Herren vom Grafenhof um Mitternacht 
diesen Weg in einer Kutsche. Auf der Brücke, welche über den 
Burbach führt, kam ihnen eine kleine weiße Frau auf einem 
Schimmel entgegengeritten. Statt ihnen auszuweichen, ritt die 
weiße Frau in die Kutsche hinein, so daß sie umfiel. Mit Mühe 
konnten die Herren vom Grafenhof sich erheben und weiter 
fahren. Von der weißen Frau und ihrem Schimmel sahen sie 
nichts mehr. 

Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen. 

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175. Der Name Wolfskirchen. 

Da, wo sich heute die Kirche von Wolfskirchen er- 
hebt, stand früher ein großes Gebüsch. Darin lag einmal eine 
Wölfin mit ihren Jungen. Die Anwohner verjagten Wölfin und 
Junge und bauten eine Kirche dahin. Daher bekam sie den 
Namen Wolfskirche, bei der Wolfskirchen. 

Von andern Leuten wird erzählt, in der früheren kleinen 
Kirche, die vor 1789 an der Stelle der jetzigen stand, hätte eine 
Wölfin einmal Junge geworfen. 

Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen. 
176. Der Hühnerhühl bei Wolfskirche n. 

- 

Am Weg von Wolfskirchen nach Eschweiler liegt 
hart an der Banngrenze die Gewann Hühnerbühl. Davon erzählt 
die Sage folgendes. Hier stand einst ein großer Bauernhof, auf 
dem sehr viele Hühner gehalten wurden. Der einsame Besitzer 
des Hofes bemerkte eines Tages, daß ihm mehrere Hühner 
fehlten und daß ihre Zahl von Tag zu Tag abnahm. Darum 
beschloß er aufzupassen, wer der Räuber seiner Hühner sei. 

Mit einem großen Bengel begab er sich in der Nacht in 
den Hühnerstall auf die Lauer. Da kam ein Wolf herbeigeschli- 
chen und wollte schon das schönste Huhn ergreifen. Der Bauer 
aber holte zum Schlage aus. Doch der Wolf wich behende aus 
und sprang ihm an die Kehle. Unter den wütenden Bissen des 
Tieres mußte der Mann sein Leben lassen. 

Still und eingeschüchtert kamen am andern Morgen die 
Hühner aus ihrem Stalle, als trauerten sie über ihren toten 
Herrn und Beschützer. Traurig scharrten sie unter ihm ein 
Loch in die Erde und bedeckten den Leichnam mit einem Hügel 
oder Bühl. Er heißt bis heute der Hühnerbühl. 

Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen. 

177. Das gesattelte Pferd am Winelsbrunnen. 

Ein Mann von Wolfsk irchen ging einmal nach Pisdorf 
zu. Er war sehr müde und wünschte sich ein Pferd. Als er so 
darüber nachdachte und am Winelsbrunnen vorbei ging, kam 
ihm ein gesatteltes Pferd entgegen und blieb vor ihm stehen. 
Er setzte sich darauf. Da lief es mit ihm in die Saar, warf ihn 
ab in das Wasser und sprang dann an das Ufer. Der Mann 
hörte es noch mit den Händen klatschen. 

Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen. 



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178. Die Hansjörgenmühle. 

Vor vielen Jahren kam am helllichten Tag ein fremder 
Mann mit einem brennenden Kienspan an die Otterbach) einem 
Nebenflüßchen der Saar, das die Gemarkung des unterelsässi- 
schen Dorfes Diedendorf von der des lothringischen Dorfes 
Niederstinzel trennt. Hier baute er sich eine Mühle. Er nannte 
sich Hansjörg, und seine Mühle hieß die Hansjörgenmühle. 
Lange lebte er als einsamer Müller an dem Wässerlein, bis das 
Anwesen in einer Nacht verbrannte. 

Von dieser Zeit an hat man den Bewohner der Mühle nie 
mehr gesehen. Aber nachher bewegte sich allnächtlich vom ver- 
fallenen Gemäuer aus ein Licht in östlicher Richtung den Berg- 
kegel hinauf, auf dem Diedendorf liegt, ging quer über die 
Dorfstraße und verschwand jenseits des Dorfes im Reckerswald. 

Mitgeteilt von Lehrer Brohm zu Diedendorf. 

179. Die versenkten Glocken und der 
feurige Mann. 

Im Westen von B Urbach liegt die Allmend Rothecke, 
ein mit Steingeröll bedeckter und mit Gebüsch bewachsener 
Bergabhang. Hier sollen in einem tiefen Brunnen zwei Glocken 
versenkt sein aus der Zeit, da das Dorf viel größer war, ehe 
es in einem Kriege zerstört wurde. 

Unterhalb der Rothecke liegt eine sumpfige Wiese. Auf 
ihr ging früher in den Winternächten oft ein feuriger Mann. 
Wer sich ihm näherte und, ohne ein Wort zu sagen, Hut oder 
Mütze auf das Feuer legte und am andern Morgen unangeredet 
an die Stelle ging, der fand dort viel Geld. Wer aber den feu- 
rigen Mann anredete, erhielt eine heftige Ohrfeige, daß ihm 
Hören und Sehen verging. Aber Geld fand er am andern Mor- 
gen keins. 

Mitgeteilt von Lehrer Kohler zu Burbach. 

180. Das verhexte Ferkel. 

Ein alter Weber, der außerhalb des Dorfes P i s d o r f 
wohnte, ging einmal in einer mondhellen Nacht um 2 Uhr in 
das Dorf, um Hanf zu hecheln. Als er an dem Kirchhof vor- 
bei kam, lief ein kleines Ferkel über die Straße. Da er glaubte, 
es sei jemand aus dem Stall entkommen, lief er ihm nach, um 
es zu fangen. Er konnle es nicht erhaschen, mußte ihm aber 
immer wieder nachlaufen. So verfolgte er es vier Stunden lang. 



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Als der erste Schlag der Morgenglocke ertönte, griff er noch 
einmal nach ihm. Da hatte er einen Pferdemist in der Hand. 
Das Ferkel aber war spurlos verschwunden. 

Mitgeteilt von Lehrer Geyer zu Pisdorf. 

181. Der Schimmel an der Burbacher Lach. 

Im Jahre 1711 ging ein Mann mitten in der Nacht von 
Wolfskirchen nach Bockenheim (Saarunion) und kam zwischen 
Pisdorf und Wolfskirchen an der Burbacher Lacli vorbei. Da er 
sehr müde war, dachte er : W T enn ich nur reiten oder fahren 
könnte ! Als er so dachte, hörte er etwas hinter sich traben. 
Er schaute um sich und sah einen Schimmel mit einem Sattel 
auf sich. Dieser kam vertrauensvoll zu ihm, und der Mann setzte 
sich darauf. 

Anfangs ging der Schimmel gut. Als er über die Brücke 
der Burbacher Lach ritt, fing das Pferd plötzlich an zu galop- 
pieren und lief der Saar zu. Beim Sandplatz, der sich an der 
Saar befand, warf der Schimmel den Mann ab, daß er in die 
Saar fiel. In dem Augenblicke hörte er ein Klatschen, als ob 
ein Mensch in die Hände schlug, und der Schimmel war plötz- 
lich verschwunden. 

Noch von anderen Leuten ist der Schimmel an dieser Stelle 
gesehen worden. Sehr oft soll von den Fuhrwerken, die in der 
Nacht hier durchfuhren, die Pferde scheu gemacht haben. 

Mitgeteilt von Lehrer Geyer zu Pisdorf. 

182. Der Hexenplatz im Reckers Wald. 

Im Bürgerwald von Pisdorf heißt der Teil, der sich bis 
an die Saar erstreckt, der Beckerswald. Hier geht eine Furt 
durch die Saar, die zur Römerzeit als Uebergang benutzt wurde ; 
denn eine Römerstraße führte von Saaralben über Harskirchen 
hier durch nach Saarburg. 

Nahe an dieser Furt befindet sich im Reckerswald ein un- 
gefähr 2 Ar großer Hügel, der im Volksmunde der Hexenplatz 
heißt. Er ist ganz kahl. Trotzdem er schon mit verschiedenen 
Baumarten angepflanzt wurde, gedeiht auf ihm kein Baum , und 
kein Strauch. Sie verdorren alle. Zur Regenzeit steigt von dem 
Platz ein Rauch auf, als ob dort ein Feuer wäre. 

Einst sah ein Förster von dem 2 km entfernten Forsthaus 
auf diesem Hexenplatz mitten in der Nacht ein großes Feuer 
brennen. Als beherzter Mann hängte er seine Flinte um und 
ging an die Stelle. Da sah er eine alte Frau aus einem Nach- 



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- 133 — 



bardorfe, die Holz herbeischleppte und ein lustiges Feuer unter- 
hielt. Als er sie fragte, was sie hier mache, antwortete sie : 
«Ich mache mir Asche zum Buchen» und verschwand plötzlich. 

Mitgeteilt von Lehrer Geyer zu Pisdorf. 

183. Das Licht und die Bienen. 

Dem Dorf Zo Hingen gegenüber, auf der anderen Seite 
der Saar, wird des Nachts oft ein Licht gesehen. Ein Zollinger 
Weber wachte einmal des Nachts zwischen 44 und 42 Uhr auf 
und ging ans Fenster. Da bemerkte er das Licht auch, wie es 
ganz still auf einem Platze stand. Nach und nach wurde es un- 
ruhig, verließ plötzlich seinen Platz und näherte sich auf großen 
Umwegen dem Dorfe. Es kam an einen Bienenstand, verweilte 
dort einige Zeit und ging dann wieder auf demselben Wege 
nach dem früheren Platze zurück, wo es verschwand. Am an- 
dern Morgen ging der Weher zu dem Eigentümer des Bienen- 
hauses und verkündigte ihm, was er gesehen. Dieser antwortete, 
er habe dies schon öfters bemerkt, und das Lichtlein hätte ihm 
jedesmal viel Honig gebracht. 

Mitgeteilt von Lehrer Stahl zu Sundhofen, früher zu Zollingen. 



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VI. 

Heinrich Loux (1873-1907). 

Lebensumriß 

von 

Th. Knorr. 

In der Nacht vom 49. auf den 20. Januar kurz nach 
Mitternacht ist der unterelsässische Maler und Zeichner Hein- 
rich Loux einem langwierigen Leiden erlegen. Sein vorzeitiger 
Tod ist für die Kunst unseres Landes ein schmerzlicher Verlust, 
sie ist um eine ansprechende Künstlerpersönlichkeit ärmer ge- 
worden. Die Wärme der Empfindung, mit der er alles erfaß le, 
was ihn anzog, um es künstlerisch zu gestalten, läßt uns er- 
kennen, was er der elsässischen Kunst war und noch hätte 
werden können. 

Loux gehörte zu den jüngeren elsässischen Künstlern. Er 
wurde am 20. Februar 1873 in Auenheim unweit Sesenheim 
geboren, wo sein Vater Lehrer war. Dieser stammte aus einer 
alten Lehrerfamilie in Fouday im Steintal, und war der dritte 
in der Familie, der jeweils dem väterlichen Berufe gefolgt war. 
Von dieser Ansäßigkeit im französischen Sprachgebiet rührt 
ohne Frage auch die seltsame Schreibweise des Namens her. 
Seine Jugendzeit verlebte er im elterlichen Hause, zuerst in 
Auenheim und dann in Sesenheim, wohin der Vater Loux nach 
wenigen Jahren versetzt wurde. Dieser wirkte in Sesenheim 
27 Jahre, und für seine beiden Söhne wurde der Ort dadurch, 
daß sie auch während des Besuchs des protestantischen Gym- 
nasiums in Straßburg zu Hause wohnten und jeden Morgen 
in die Stadt fuhren, zur Heimat. Im Gymnasium war Heinrich 
J^oux von Herbst 1885 bis 1889, dann verließ er es und nahm 



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an dem Unterricht des Zeichenlehrers Weissandt teil, der in 
Straßburg eine gutbesuchle Abendschule unterhielt. Von 1890 
ab gehörte er dann der neu gegründeten Straßburger Kunst- 
gewerbeschule als Schüler an. Er galt damals für einen der 
für die Zukunft aussichtsreichsten Zöglinge der Anstalt und be- 
zog als solcher im Juli 1893 die Münchener Kunstakademie. 
Dort arbeitete er unter verschiedenen Lehrern, vorzugsweise 
auch unter Professor Nikolaus Gysis, dessen Lehrtätigkeit auch 
anderen elsässischen Künstlern zugute gekommen ist. 

Unter seinen Sludiengenossen schloß sich Loux arn innig- 
sten an den Oberbayer A. Hudler an, der als Bildhauer nach- 
mals so bedeutende Erfolge errang. Um sieben Jahre alter als 
der Maler und mit der gleichen tuberkulösen Anlage mußte er 
im vorigen Jahre gerade um die Zeit aus dem Leben scheiden, 
als Deutschland seiner Kunst die verdiente Anerkennung ent- 
gegenzubringen anfing. 

Nach etwa dreijähriger Studienzeit kehrte Loux in seine 
Heimat zurück und blieb zunächst wieder im Eltemhause in 
Sesenheim. Gegen Ende der neunziger Jahre kam er nach 
Straßburg und verblieb dort, mit Ausnahme eines Jahres, welches 
er im Dienste der bekannten Fayence-Fabrik Utzschneiderund Co. 
in Saargemünd zubrachte, bis zu seinem frühen Tode. 

Die elsässische Kunst verliert in Heinrich Loux einen Ver- 
treter, dem es frühzeitig gelungen ist, sich ein eigenes Dar- 
stellungsgebiet zu schaffen. Wer der Kunst unseres Landes 
nahe steht, weiß, worin seine künstlerische Persönlichkeit ihren 
Ausdruck fand. Das elsässische ßauerndorf und das Bauernleben, 
mit allem was dazu gehört, hatte es ihm von klein auf ange- 
tan. Einmal als Gegenstand : als unverdorbene, scheinlose Ar- 
chitektur, als altvaterische Hauseinrichtung, die das «Gefühl 
der Sitte, der Ordnung und Zufriedenheit» atmet, dann als 
naives , an die Scholle gebundenes Bauernleben mit seinen 
sauern Wochen und frohen Festen. Mit dieser Neigung zum 
Bauerntum ging Hand in Hand und fand seinen künstlerischen 
Ausdruck der Sinn für die alte bodenständige Kultur mit ihren 
ungefügen hausgewerblichen Anlagen, welche heutigen Tages 
fast alle durch leistungsfähigere technische Hilfsmittel außer 
Betrieb gesetzt sind. In dieser Hinsicht hat die Kunst von 
H. Loux ein gewisses «antiquarisches» Interesse. Das könnte, 
wenn sie weiter nichts zu bieten hätte, ein Vorwurf sein, aber 
es ist keiner, da er's verstanden hat, die «Antiquität» durch 
Beseelung mit warmem Leben dem Beschauer menschlich nahe 
zu bringen. 

Das Bauerntum ist seine Knabensehnsucht und seine Ju- 
gendliebe gewesen. Er erzählte gern, wie er sich daheim in 



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- 136 — 



der dörflichen Schule inmitten der Bauernjungen beinahe ge- 
drückt und hintangesetzt gefühlt habe, wenn er sie sprechen 
hörte von Feldarl>eit und Ernte, von Aeckern und Wiesen. 
Der Lehrersohn hatte nichts von all diesem. Er sah die Bau- 
ernbuben nicht ohne ein Gefühl von Sehnsucht die Pferde zur 
Schwemme reiten oder neben dem Ochsenwagen hergehen. So 
beschäftigte das Bauernleben früh sein kindliches Staunen und 
drängte später zu künstlerischer Ausprägung. 

Seine Arbeiten tragen in Kostüm und Landschaft einen 
unverfälscht elsässischen Charakter. Den Fachwerkbau des 
Bauernhauses hat er wiedergegeben wie kaum ein anderer. 
Doch hal>en seine Werke neben diesem örtlichen Charakter 
noch eine Eigentümlichkeit, die verstehen läßt, warum er sich 
auch in andere, nicht geradezu im Elsaß wurzelnde Bilder mit 
der gleichen Innigkeit vertiefen konnte. Viele seiner Bilder er- 
innern teils an Ludwig Richter, teils an Schwind. Nicht in 
der Behandlungsweise ; wer in den neunziger Jahren in Mün- 
chen studierte, dessen Grundlagen waren zu verschieden von 
denjenigen jener älteren Meister, um diesen in der «Mache» 
ähnlich zu sein. Doch ist seinen Arbeiten durchgehends ein 
gewisser «romantischer» Zug, eine halb unbewußte Verklärung 
kleinstädtischen Lebens aus der «guten allen Zeit» eigen. Für 
diese Stimmung aber ist gerade das Elsaß mit seinen zahl- 
reichen alten Städtchen, seinen Burgen und seinen Reben- 
hügeln ein besonders geeigneter Landstrich, so daß sich der 
Elsässer auch von denjenigen Bildern heimatlich berührt fühlen 
darf, deren Schauplatz ebensogut sonstwo am Rhein liegen 
könnte. 

Anläßlich seines Todes hatte das Elsässische Kunsthaus im 
Februar dieses Jahres eine Sonderausstellung von Arbeiten seiner 
Hand veranstaltet. Vieles was gleich aus dem Atelier des Malers 
in Privatbesitz gelangt war, kam auf diese Weise nochmals ans 
Tageslicht der allgemeinen Oeflentlichkeit. 1 Die Saargemünder 
Fayencerie stellte auch die zahlreichen Originale zu dem von 
Loux entworfenen Tafelservice aus. Mehr vielleicht als seine 
Bilder, die doch nur in vergleichsweis wenigen Händen bleiben, 
werden diese Teller und Schüsseln seinen Namen im Volke le- 
bendig halten. Der Gegenstand des bildlichen Schmucks dieser 
Geschirre ist auch wieder das elsässische Bauerndorf. Die Dar- 
stellungen sind nicht alle gleichwertig, aber es sind Stücke 
darunter, die wegen ihrer Intimität zum besten gehören, was 
die einheimische Kunst auf diesem Gebiete hervorgebracht hat. 



1 Inzwischen erschien eine Loux- Mappe mit 30 Reproduk- 
tionen in Lichtdruck; Verlag Eis. Kunsthaus, Straßburg. 



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— 137 — 

Diese Kollektivausstellung gewährte einen guten Ueberblick 
über die Tätigkeit des Verstorbenen, obgleich natürlich auch 
manches gute Stück aus Privatbesitz nicht zu beschaffen ge- 
wesen war. Sie enthielt charakteristische Arbeiten aus den 
verschiedenen Darstellungsgebieten, die er am meisten bevor- 
zugte, alle nach seiner Art mit einer innerlich erlebten Stirn- 
mung überstrahlt, bald heiter, bald trübe, wie es seiner nach- 
denklichen Natur gerade zu Mute war, als er daran malte. 
Denn so heiter und friedlich er im allgemeinen in die Welt 
sah, so waren ihm auch die Stunden nachdenklichen Ernstes 
vertraut genug; er war einer von den in Kunst und Leben 
nicht so gar seltenen, die weit mehr gekämpft und gelitten 
haben, als ihr Stolz merken ließ. 



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VII. 

Moscherosch 
im Dienste der Stadt Straßburg 1 . 1 

Von 

Dr. Johannes Beinert. 

Nachdem Hans Michael Moscherosch, der bekannte Sati- 
riker, als Amtmann zu Finstingen (1635 -1042) 8 Jahre voller 
Entbehrungen und Kriegsgefahren zugebracht hatte, zog er «als 
ein ausgeplünderter Mann» nach Straßburg. Hier vollendete er 
den zweiten Band seiner Gesichte, die bald ein angesehenes 
und vielgelesenes Buch wurden, weil sie mit den Waffen des 
Spottes und des Witzes die eingerissene Volksverderbnis be- 
kämpften. Zugleich bemühte sich Moscherosch, in der Stadt 
Straßburg selbst eine sichere Anstellung zu erlangen. 

Vergebens versuchte er, die vorübergehende Verwendung 
als schwedischer Kriegssekretär in Benfeld zu einer dauernden 
zu machen. Der Kanzler Oxenstierna gab seine Bestätigung 
nicht hierzu. Am 15. März 1645 wurde nun Moscherosch laut 
Protokoll der XXI zum Frevelvogt oder Fiskal der Stadt Straß- 
burg erwählt,» eine Woche später legte er seinen Diensteid ab. 

Elf volle Jahre stand er diesem verantwortungsvollen Amte 
vor und konnte jetzt viele der in seinen Strafschriften nieder- 
gelegten Ansichten verwirklichen. 

1 Anläßlich der Denkmalsweihe in M. Geburtsort Willstätt. 

2 Vgl. über die Finstingcr Zeit L. Pariser, Beiträge zu einer 
Biographie von H. M. Moscherosch, Diss. München 1891 und Schlosser, 
Moscherosch und die Burg Geroldseck, in Mitteil. d. Gesch. f. Er- 
haltung der gesch. Denkmäler im Elsaß, 1893. 

3 E. Martin, J. M. Moscherosch, im Jahrb. d. Ges. f. lothr. Ge- 
schichte etc. III. 1891, Anhang. 



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— 139 — 

Nicht viel ist über die Tätigkeit Moscheroschs in Straßbur- 
gischen Diensten bekannt, und diese Zeilen können auch nur 
ein weniges zu seiner Biographie in diesen Jahren beitragen. 

In der zweiten Hälfte des Jahres 1645 treffen wir den ehe- 
maligen Finstinger Amtmann als Gesandten der Stadt am Hofe 
Ludwig XIV. Zugleich hatte er eine politische Angelegenheit 
der Herzogin-Witwe von Württemberg zu erledigen. Die Kriegs- 
greuel ruchloser Kommandanten im Elsaß und die Quertreibe- 
reien der Bischöflichen veranlaßten Straßburg, in ernsthafte 
Verhandlungen mit dem Pariser Hofe zu treten und einen 
sicheren Vertrauensmann zu entsenden. 

Bisher waren die Anliegen der Stadt von den politischen 
Anwälten Beck und Polhelm, dem Residenten der Land- 
gräfin von Hessen, mitvertreten worden. Diese aber schickten 
stets vielversprechende Briefe, ohne die Wünsche der Stadt 
wirklich ernst zu nehmen und ließen sich für ihre Dienste 
recht gut bezahlen. Besonders Beck mußte der Stadt wenig 
zuverlässig erscheinen ; auf der einen Seite schmeichelte er in 
Briefen mit den angenehmsten Aussichten, während er sich 
andererseits über den Geiz der Slraßburger und die geringe 
Bezahlung lustig machte. 

Die Stadt beschloß daher, Moscherosch nach Paris zu sen- 
den. Sie ließ sich aber nichtsdestoweniger von den obengenann- 
ten Diplomaten Berichte über die allgemeine Lage und den Gang 
der Verhandlungen Moscheroschs zustellen. 

Am 9. Juli 1645 wird Moscherosch mit einer Vollmacht 
an Polhelm nach Paris entsandt, in der es heißt: 

«Demnach Bringer dießes unser Gantzley vertrauter . . . 
Johann Michael Moscherosch von der verwittibten 
Herzogin von Würlemberg milt unserer Permission an königl. 
franzößischen Hof verschickt, haben wir Ihne ohne recommen- 
dation an den Herrn nicht gehen, sonder zugleich mitt etwas 
commission chargieren wollen . . . Als ersuchen wir Ihne mitt 
sonderlichem fleiß, er wolle ihm glauben zustellen, sich auch 
hinwiderumb in einem undt andern vertraulich außlassen.j* 1 

Die Instruktion für Moscherosch lautete dahin : 

Er soll nach seiner Ankunft in Paris bei Herrn Polhelm 
vorsprechen, Komplimente im Namen der Stadt ausrichten und 
beim Ueberreichen obigen Schreibens andeuten, 

daß er Befehl habe «im Vertrauen zu erkündigen, was die 
Bischöffliche aigenlich am königl. Hoff wider dieße Statt 
gesucht quo nomine und ob es allain im nahmen des Herrn 
Rheingraflen oder auch zugleich des Capitelß, wie der ßiscböflf- 



1 Stadtarchiv, AA, 1094. 



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*- 140 - 



liehen Räthe geschehen, wie auch was dem Rheingräfl. Seere- 
tari Schneider für eine resolution ertheilt worden.» 1 

Falls dergleichen Ränke weiter gegen die Statt gesponnen 
werden, so soll er (Moscherosch) Polhelm um Rat und gute 
Gedanken fragen und in acht nehmen, was am Hof und bei 
dem französischen Ministerium dagegen zu tun wäre. 

Ein weiterer Klagepunkt betrifft die Kriegsführung der 
französischen Heere im Elsaß. Moscherosch soll den Zustand 
des Landes ausführlich schildern: wie die Kommandanten und 
Kommissarien darin hausen, wie das Land durch das vergan- 
gene Winterquartier von einem einzigen Regiment so übel zu- 
gerichtet worden sei, wie die Befehlshaber noch die Kontribution 
und den Magazinzehnten erhöhen und auf ein Unerschwingliches 
herauftreiben, so daß zu befürchten sei, daß der Bauersmann 
die meisten Güter entweder öd liegen lasse oder gar davon laufe. 

Moscherosch sollte darüber nicht bloß bei Polhelm, sondern 
auch bei dem königlichen Ministerium vorstellig werden. Er 
hatte sogar den Befehl, die Kommandanten und die königlichen 
Kommissarien anzuklagen und mit der Wahrheil keineswegs 
zurückzuhalten. 

Zuletzt sollte sich Moscherosch im Namen der Stadt gegen 
die grausame Mißhandlung des Dorfes D e t t w e i 1 e r durch 
französische Soldaten wenden. 

Türennische Truppen hatten nämlich beim Durchmarsche 
Dettweiler sehr ruiniert und verderbt. Die Leute wandten sich 
an den Herzog von Enghien um Schadenersatz ; es war noch 
nichts eingetroffen. Daher wollte man am königlichen Hof für 
sie einkornmen, damit der verderbliche Zustand der armen 
Untertanen in «consideration und Erbärmde» gezogen werde. 

Als einziges Mittel gegen solche schädliche Handlungen 
forderte man ein «General salvagardi» der Dorfschaften der Stadt 
Straßburg und eine Befreiung von Winterquartier und Kriegs- 
steuer, wie es Polhelm bereits nachgesucht hatte, aber darauf 
nur eine gute Vertröstung erfolgt war. 

Mit dieser Instruktion ausgestattet trat Moscherosch die 
Reise nach Paris im Juli noch an. Am 5. August berichtet 
Beck in einem Brief an die Stadt, daß der Gesandte noch 
immer nicht angekommen sei. Der Inhalt des Briefes, der über 
die ganze Angelegenheit handelt, ist folgender : 

«L'envoye dont vous faictes mention dans votre derniere 
(lettre) ä Monsieur de Polhelm n'est pas encore arrive. (Vergl. 
Vollmacht und Brief vom 9. Juli.) L'on vous donnera advis de 
lout ce qu'il se passerait par deca lors qu'il y sera venu. Pour 

i Ebenda. 



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141 



ceux de l'Evesche ü ne vous faut pas (vous) mettre en peine 
tandisqu'ils ne vous disent rien et que vous jouissez de la 
possession.» 1 Beck tröstet weiter, daß der erste Schlag alles 
brechen werde und der bischöfliche Abgesandte nichts erreichen 
könne, was gegen ihren (der Stadt) Vorteil ist. 

Am 18. August war Moscherosch bereits in Paris einge- 
troffen und wurde jetzt von Polhelm empfangen. Beck berichtet 
aber, daß Herr «Mousscheros» bei dem Besuch von nichts an- 
derm als von der Angelegenheit der Herzogin von Württemberg 
gesprochen habe. 

Bald darauf verhandelte Moscherosch ein zweites Mal mit 
Polhelm und eröffnete ihm, daß der Rat der Stadt bereit wäre, 
einen Entschluß des Hofes in den laufenden Dingen herbeizu- 
führen. Polhelm wurde durch Moscherosch veranlaßt, bei dem 
König Ludwig selbst deswegen um Audienz nachzusuchen. Beck 
berichtet dies in einem weiteren Brief vom 26. August 1645,* 
indem er hinzufügt, daß der neue Gesandte zu dem Grafen 
Friedrich von Württemberg sagte, daß er nur wegen den An- 
gelegenheiten der Stadt Straßburg gekommen wäre, während 
er doch bei Polhelm zuerst das Gegenteil behauptete. Beck 
macht hiermit auf die Wahrhaftigkeit Moscheroschs einen deut- 
lichen Angriff; aber der biedere Philander bediente sich hier 
einer diplomatischen List, wie er sie nur zu ernsthaft in seinem 
Gesicht «Hofschule» bespöttelte und verdammte. 

Die politischen Verhandlungen Moscheroschs scheinen sich 
sehr in die Länge gezogen zu haben, denn die ganze nächste 
Zeit herrscht Schweigan über den Fortgang der Angelegenheit. 
Es ist sogar zweifelhaft, ob der erhoffte Erfolg erzielt wurde. 

Noch im Dezember 1645 befand sich Moscherosch in Paris, 
und unterdessen scheint sich die Rivalität zwischen Beck und 
ihm in offene Feindschaft verwandelt zu haben. Denn anders 
wäre es nicht zu verstehen, wie Beck in einem Brief an den 
Magistrat Moscherosch dadurch zu verdächtigen suchte, daß er 
enthüllte, Moscherosch befände sich stets in Geldnot und hätte 
von dem Sekretär und Interpret des Königs, namens Bernhard, 
12 Pistolen geliehen und dafür ihm verschiedene Versprechungen 
gemacht. Beck schreibt am 16. Dezember 1645 : 

«Monsieur Moscherosch a emprunte de luy 12 pistoles 
et je crois que pour les obtenir plus aysement, i 1 luy 
a fait quelque promesse de le recommander 
ä Mess. de Strasbourg.» 



i A. 0. 
* A. 0. 



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Ende des Jahres 1645 scheint Moscherosch wieder nach 
Straßburg zurückgekehrt zu sein, denn gleich im nächsten Jahre 
erließ er als Fiskal der Stadt neue Polizeiverordnungen. Welchen 
Eindruck Paris auf ihn bei diesem zweiten Besuch machte, 
können wir uns leicht auf Grund seiner satirischen Auslalle in 
den spateren Ausgaben der Gesichte denken. Glücklicherweise 
ist noch ein Brief vorhanden, den er aus jener Zeit an seinen 
Dichterfreund Harsdörffer in Nürnberg schrieb. Moscherosch 
beginnt, indem er sich entschuldigt, daß er das Französische 
gebraucht : 1 

«Estant ici en cour parmy tant d'honnorables compagnies 
de Francais, je croyais les desobliger, si je ne me servois aussy 
. . . de leur langue, de laquelle la plupart je me traitte comme 
de la meilleure viande de ma table. Gar de l'Allemande, vous 
s?avez qu'elle nous sert de pain d'ordinaire» . . . Nach dieser 
Einleitung kommt er auch auf die erste Sitzung bei Polhelm am 
18. August zu sprechen. Er schildert sie folgendermaßen : 

«La these fut battue et debattue quelque temps . . . Moy 
petit ho m ine pour de grandes parolles, je me 
t e n o i s c o y (ruhig) la comme le souris qui sent 
le chat. L'un d'eux, nomme Paul, l'autre estait resident du 
Parlement d'Angleterre ... Je faisais l'endormy de ce coste 
lä, laissais aller ma cabane oü le gouvernail de mon Patron (le 
Resident de Madame la Landgrave de Hesse — Polhelm) me 
guidait.» 

Wir sehen daraus, daß Moscherosch solche politische Un- 
terhandlungen ziemlich ungewohnt und. peinlich gewesen sein 
müssen, da die höfische Kurmacherei und die Redensarten niemand 
mehr zuwider waren als unserm Philander. Von der Machtfülle 
des Königs von Frankreich und dem Glanz des Hofes war 
Moscherosch bezaubert worden. Er stimmt am Schluß des 
Briefs folgende Hymne an, die den Eindruck seiner Pariser 
Zeit wiedergibt : 

«Mais sur tout, je me dois estimer heureux d'y avoir veu 
le Roy Louys XIV, le Roy tres chrestien, ce grand Roy sans 
pareil en victoires : qui fait esperer ä son peuple un monde 
hors de son monde et ä son Royaume la Monarchie la plus ac- 
complie et parfaite que Von scaurait voir avant le Jugement du 
Monarque du ciel et de la Terre.» 2 

In Straßburg angelangt, suchte Moscherosch alsbald durch 
vernünftige Maßregeln der Volksverderbnis zu steuern. Die vielen 



1 Abgedruckt in Centuria Epigrammatum, Frankf. 1665, S. 102. 
« Die Namensform der Unterschrift ist französisiert zu «Mou- 
scheroche>. 



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Polizeiordnungen der folgenden Jahre sind teils Wiederholungen 
früherer Verbote ; leicht erkennt man dagegen die Neuerungen 
als dem Geiste des Satirikers entsprungen. Selbst wenn Mo- 
scherosch nicht den eigenen Namen darunter setzte, so können 
wir mit Vorbehalt doch einige bedeutsame Verordnungen für 
Moscherosch vindizieren, weil er doch für die Abfassung der- 
selben verantwortlich w r ar. Manche tragen außerdem den hand- 
schriftlichen Hinweis : Moscherosch fecit. 

Ein Mandat vom 2. September '1646 schränkt die üppigen 
Hochzeitsmahle ein, wegen der «annoch gegenwertigen betrüb- 
ten Kriegsläufften». Die eingeschränkten Hochzeitsfestlichkeiten 
lassen überdies noch einen weiten Spielraum. Nicht mehr als 
zweihundert Personen dürfen eingeladen werden ; zur Zunft- 
stube darf nicht mehr in Kutschen oder gedeckten Wagen ge- 
fahren werden. Die Reichen fünften oder sechsten Grades dür- 
fen am ersten Festtag nur acht Tische und keine Tafeln decken, 
und vier Tische am zweiten Tag. Der dritle Festtag fällt ganz 
weg. 

Es sollen bei Gab- und Freihochzeiten die «überflüssige und 
verderbliche Traktamenten» so beschnitten werden, wie bei 
unserer lieben Vorfahren Zeiten. Drei Gänge soll das Hochzeits- 
mahl beibehalten, alles weitere wird bei Strafe verboten. Kon- 
fekt von Zucker oder anderes kostbares Gebäck soll nicht auf- 
getragen werden, dafür soll ein einfacher Nachtisch mit Tarte, 
Marzipan, Kuchen und Obst gestattet sein. Wichtig ist beson- 
ders die Empfehlung : «Es soll aber die Mahlzeit mit einem 
Eyfferigen Gebett anfangen, und mit Ernstlicher Danksagung 
zu Gott, auch einer kurzen Abdankung geendet werden I» 
Tanzen und Aufspielen und alle «Winkeltänze», sowie «alle 
üppige leichtfertige Spiele» werden gänzlich verboten. 1 

Wir sehen daraus in welcher Weise Moscherosch für Straß- 
burg segensreich wirken konnte. 

Im Jahre 1650, als er die Ausgabe seiner Gesichte mit 
den neuen Erfahrungen ausstattete, erließ er folgende von ihm 
unterzeichnete Verordnung gegen die 

«Provokation zu Duellen.» 

Darin sind folgende Stellen bezeichnend : 

Daß sich «Goltsvergessene, rachgierige und blutdürstige 
Mannespersonen auß all zu grosser hitz und frechheit dahin 
bewegen lassen, daß sie den . . . schimpft zu rechen, oder ihr 
• . . müthlein zu erkühlen, einander bey vermeintlichem Ver- 
lust der ehren . . . und er dem nichtigen vorwandt cavallieri- 
schen Austrags vor die faust zu kämpft gefordert, dadurch auch, 

1 Archiv der Stadt Straßburg: Ordnungen und Mandate 1646. 



— 144 



wo nicht gar umb seel und leib ; jedenocli wenigst umb Gesund- 
heit . . . oftermahls gebracht haben.» Nach den vorgefallenen 
traurigen «Exempla» wird das Duellieren gänzlich verboten, 
denn es sei der Majestät Gottes im Himmel zuwider, räume 
die Seele dem Teufel ein und greife der weltlichen Obrigkeit vor. 

Der aProvokans» soll dem Fiskus mit 200 Reichstalern 
hinfür verfallen sein. Auch sollen sich die «Studenten-Jungen» 
und Lakaien des Degentragens gänzlich müßigen. 1 

1651 wandte sich Moscherosch mit einem Dekret gegen das 
nächtliche Schwärmen und «Grassieren» in den Gassen. 

«Das nächtliche, unmänschliche graßieren. Jauchzen, Jählen 
und Schreien in Gassen und Häusern (sei) abermahlen (trotz 
der Erlasse 1645 und 1650) ganz beschwerlich eingerissen.» 
Jedermann müsse des Sommers nach 10 Uhr, und Winters 
nach 9 Uhr mit Licht auf der Straße gehen. Moscheroschs 
neuer Zusatz wendet sich im Gegensatz zu früheren Mandaten 
energisch gegen das Tabakrauchen, das er auch in der Hof- 
schule S. 653 f. (1650) geißelt. 

Er (Moscherosch) habe mit besonderem Mißfallen wahr- 
nehmen müssen «wie das bei verwichenem leidigen 
Kriegswesen dieser orten eingeführte unmäss- 
ige Tabactrinken dergestalt überhand genommen, daß 
nicht allein in offenen Gast-Herbergen, Wein- Bier- und Schlaflf- 
häusern, die Gemache mit Rauch und gestank zu des Wurths 
und der übrigen Gäste beschwerlichen ungelegenheit erfüllet, 
sondern auch die Gartnersknechte, Gesinde, Gesellschaften und 
andere nicht ohne grosse Gefahr mit Lundten und Pjppen aufV 
die Gasse, in Häusern, auch gar in Scheuern Ställen und Bethen 
umbzugehen sich frevelich gelüsten lassen.» Er befiehlt jedem 
der sich in Straßburg aufhält und jedem Wirt das «Tabak- 
trinken» gänzlich zu vermeiden.» 

In einem Dekret verbietet er das Schlittenfahren während 
des Gottesdienstes und abends (25. November 1654), 1655 er- 
läßt er einen Befehl «wegen Abstellung üppigen Lebens» zur 
Weihnachtszeit, weil die jungen Leute, die Frohnknechte und 
Dienstboten in den Wirtshäusern zechen und sich keilen, jehlen, 
schreien und raufen. 

Es ist ohne Zweifel, daß ein sittenstrenger Mann wie Mo- 
scherosch seines Am4es mit allem Ernste wartete und der Stadt 



1 Dekret vom 9. Febr. 1650. Unterschrift Moscherosch fecit. Schon 
1583, 1G09 und 1628 entstanden Verordnungen gegen die Duelle, 
die aber alle jene Moscherosch eigentümlichen Zusätze nicht ent- 
halten. Hof- und Staatsbibl. Darmstadt, Hs. Mandata nach Inhalt der 
Polizeiordnung zu Straßburg. 

2 Dekret vom 18. Brachmonat 1651 (Moscherosch fecit). Ebenda. 



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— 145 - 



Straßburg in jenen verderblichen Zeiten erhebliche Dienste lei- 
stete, i 

Deshalb hatte die Stadtverwaltung auch Grund, sich ihm 
dankbar und behilflich zu erweisen. 

In einer merkwürdigen und fast komischen Angelegenheit 
lieh sie ihm gerne ihren Beistand. 

Dem biederen, vom Kriegsgeschick so viel mitgespielten 
Moscherosch waren bereits anno 1634 in Kriechingen die Möbel 
auf folgende Weise abhanden gekommen. Die Kriegsnot zwang den 
Amtmann des Herzogs von Croy, Moscherosch, mit seinen Möbeln, 
die in drei Koffer gepackt waren, und einem Bündel Kalbsfellen 
in die Stadt Metz zu fliehen. Dort ließ er seine Habseligkeiten 
einige Zeit. Aber der allerchristlichste König von Frankreich 
gestattete dem Baron von Courtray die Konfiskation alles Gutes, 
das nach Metz« geflüchtet worden war und den Feinden des 
Königs gehörte. Trotz aller Vorstellungen Moscheroschs, daß er 
kein Franzosenfeind sei, gelangte er nach Jahren nicht mehr 
in den Besitz der Möbel. In dieser Sache schrieb der Magistrat 
an das Gouvernement zu Metz, da Moscherosch eine Person sei, 
die einen Ehrennamen besitze (10.|20. Dezember 1649). 

Die Stadt droht sogar, falls der Baron von Courtray sich 
an den Möbeln vergreife, würde er ihr gerechten Grund geben, 
sich beim französischen Hof zu beklagen. Courtray, der Kapitän 
in Melz war, reagierte nicht. 

Herr von Serignan, Gouverneur von Metz, erklärte sich be- 
reit, den König zu bitten, Courtray eine anderweitige Belohnung 
zu verschaffen, damit die Möbel ausgeliefert werden könnten. 
(30. Dezember 1649.) Es nützte nichts. (Brief vom 27. fanuar 
1650.) Endlich wandte sich die Stadt an den Hof in Paris. 

Brienne Letellier schreibt im Namen der Königin zurück 
(6. Mai 1650). Er habe gerne mit der Königin über den Brief 
(der Stadt Straßburg) gesprochen und sie hätte es wohl recht 
gefunden, daß Moscherosch als Bürger von Straßburg nichts 
gegen den Dienst des Königs unternommen habe. Letellier sandle 
sofort die notwendigsten Eilbriefe, um Moscherosch freie Hand 
über das ihm geraubte Gut zu geben. 

Zwei Botschaften vom 18. Mai 1650, eine an den Grafen 
von Schömberg, Gouverneur und Statthalter in Metz und eine an 



1 Interessant ist vor allem, daß Moscherosch hierbei mit den 
Studenten und Professoren der Universität in Konflikt geriet «wegen 
etlicher Teutscher Versen so er wider die Studenten 
gemacht über die Kleidung». Rektor und Professoren reich- 
ten am 19. Mai 1649 eine Schrift an den Rat ein mit der Beschwerde 
der Studenten. Der gestrenge Fiskal wurde darauf vorgeladen. Siehe 
E. Martin, a. 0., Anhang. 

10 



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_ 146 — 

Courtray enthielten den Befehl der Königin-Redentin, unverzüg- 
lich die Möbel nach ihrer langjährigen Gefangenschaft Mosche- 
rosch wieder auszuliefern. 1 So half die Autorität der freien 
Reichsstadt ihrem verdienstvollen Bürger aus der tragikomischen 
Angelegenheit, indem sie ihm den 1634 gestohlenen Hausrat 
1(550 wieder zugäuglich machte. 

Moscherosch verharrte nooh eine geraume Zeit in Straß- 
burgischen Diensten. Mit Beginn des Jahres 1(550, am 21. 
Januar, gab er seine Stellung als Fiskal der Stadt auf, um 
auf kurze Zeit in hanauische und schließlich für den Rest seines 
Lebens in hessische Amtsstellung zu treten. 

• Am 15. Juli trifft von Letellier ein Bericht ein, daß die be- 
schlagnahmten Möbel freigegeben werden. (E. Martin a. 0., Anhang.) 



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VIII. 



Gedieht eines Bauern 

aus Zutzendorf 1849. 

Mitgeteilt von 
Prof. Krug (Buchsweiler). 

Ueber die Wahl des Präsidenten. 

Aufgesetzt von Georg Hans von Zutzendorf. 

Erster Theil. Eh man nenn und vierzig zählet, 
Wird ein Präsident gewählet ; 
Ein jeder soll es recht bedenken, 
Wem er seine Stimm' thät schenken. 
Wählt den Herrn Cavaignac, 
Der unser Land errettet hat ; 
Dieser tut sich ja bestreben, 
Wagt für uns sein eigen Leben. 
Ware er nicht aufgestanden, 
Wär noch keine Ruh vorhanden. 
Die Kanonen lies (sie) er knallen, 
Daß die Wagges müssen fallen. 
Atta Flinten ließ er krachen, 
Die Wagges hat er hart geschlagen. 
Unaufhörlich wird geschossen, 
Und so vieles Blut vergossen. 
Da die Schlacht vorüber war; isic) 
Jammert ihn der Wittwen Schaar. 
Deren Männer sind begraben. 
Die für uns gestritten haben. 
Herr Cavaignac tat seine Pflicht, 
Und verließ die Wittwen nicht; 
Ein jeder soll noch denken dran, 



- 148 - 



Was der Mann für uns gethan. 
Hätt' er uns nicht treu geschworen, 
Wär das ganze Land verloren. 
Frankreich gehört ein weiser Mann, 
Sonst werden wir wieder übel dran. 
Wer die Gesetze nicht recht kennt, 
Kann auch nicht werden Präsident; 
Dieser soll ja seyn der Mann, 
Der unser Land beglücken kann. 
Regiert's sein Herr, sein lieber Gott, 
So hat's mit uns auch keine Not ; 
Steht ihm der liebe Gott nicht bei, 
So wird sein alles Gold zu Bley. 
Alles steht in Gottes Hand, 
Ins Präsidenten das ganze Land. 
Es ist keine Kleinigkeit, 
Regent zu seyn in dieser Zeit ; 
Wenn ein Land verschuldet war, 
Lebt er täglich in Gefahr; 
Handelt er nicht väterlich, 
Hat er zu befürchten (sie) sich, 
Er mag handeln wie er will, 
Sitzt (sie) sein Leben auf dem Spiel. 
Der, der heut Regent will seyn, 
Kann und darf den Tod nicht schean, 
Lieber sterben als ein Held, 
Als schlecht regieren in der Welt. 

ZweiterTheil Ach ihr lieben, gute (sie) Leut, 
Es ist eine böse Zeit. 
Wenn ein König s'Land verläßt, 
Sind die Börger stets gepreßt; 
Keine Lindrung ist vorhanden, 
x Bis dieß alles überstanden, 

Was das Land bezahlen soll, 
Eher geht es uns nicht wohl. 
Wer die Schulden soll bezahlen, 
Der muß viel Millionen haben 
Frankreich -war in gutem Stand, 
Als Ludwig König ward im Land. 
Dieser wird die Schuld auch haben, 
Daß wir so verschuldet waren. 
Dieser war wohl der reichste Mann 
Und hat uns noch wenig Guts getan. 
Dieser hat uns viel versprochen. 
Und dennoch seinen Eid gebrochen. 
Anfangs nahm er sechs Millionen, 
Hat versprochen uns zu schonen ; 
Steiget aber alle Jahr; 
Bis das Land verschnldct war. 



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— 149 — 



Was derselbe haben wollt, 

Hieß nur Silber oder Gold. 

Wer denselben recht will kennen, 

Darf ihn Landesschinder nennen. 

War er nur schon lang gestorben, 

Ware Frankreich nicht verdorben. 

Lieber ohne König leben, 

Als so viel Millionen geben. 

Ach, wie macht der schlechte Mann, 

Unser Land so übel dran ! 

Gott wird ihn nach dieser Zeit, 

Richten in der Ewigkeit. 

Ach wie viele arme Leut, 

Schmachten auch in dieser Zeit; 

Kein Verdienst ist bei den Armen, 

Die Reichen tun sich nicht erbarmen. 

Leben soll er ja in Ehren, 

Hat Weib und Kinder zu ernähren. 

Besser wird es ja auch nimmer, 

Aber vielleicht noch viel schlimmer; 

Kommen kann es wie es will, 

So hat ein armer Manu nicht viel. 

Es heißt in der ganzen Welt, 

Zum Bezahlen braucht man Geld. 

Was ich noch zu sagen hab : 

Wählt den Herrn Cavaignac. 

Ludwig der Napoleon 

Ist nur des Kaisers Brudersohn. 

Herr Cavaignac ist ein Mann, 

Den jeder Bürger lieben kann. 

ritter Theil Unsre schöne Republik 

Bringt uns wieder neues Glück : 
B'reiheit, Gleichheit, Brudersinn 
Ist für uns der größte Gewinn. 
Wenn es Gottes Wille war, 
Kommt es besser übers Jahr. 
Wenn wir sollen ehrlich leben, 
Muß es eine Ordnung geben. 
Es wird eine Wahrheit seyn, 
Daß ich dieses ganz allein 
Nahm aus meinem Sinn heraus, 
Schre.V es ab in meinem Haus. 
Dieses hab ich erst erdacht, 
Letzten Freitag in der Nacht. 
Sonntag Morgens schreib ich's ab, 
Aas Lieb' für Herrn Cavaignac. 
Wird Regent Herr Lamartine, 
Könnt uns auch das Glücke blühn. 
Wird Regent Napoleon, 



150 



Wollt ich doch er lief davon. 
Kommt es nun an Ledru-Rollin, 
Bin ich ihm treu und liebe ihn. ' 
Wenn ich nun geschrieben hab, 
Wähl ich doch den Cavaignac. 
Dieser ist der beste Mann. 
Der unser Land beglücken kann. 
Ist es nur ein rechter Mann, 
Hab ich eine Freude daran. 
Sey auch einer war (sie!) er scy, 
Soll er seyn dem Land getreu. 
Wer dem Land nicht treu will seyn, 
Der soll brechen Hals und Bein. 
Besser Hals und Bein gebrochen. 
Als den Eid der Treu gebrochen, 
Und ein ganzes Land betrogen 
Wer zum Unheil lebt auf Erden. 
Der soll nicht bedauert werden. 
Regent bleib treu in deinem Land, 1 
Alsdann erlebst du keine Schand ; 
Bleibe fromm und fürchte Gott. 
Darfest (sie) du nicht scheun den Tod. 

Ausgefördert den 2. Dezember von mir eigenhändig: 
geschrieben, Georg Hans von Zutzeudorf. 

Wenn ich Fehler hab gemacht. 
Möcht ich doch nicht seyn veracht, 
Kanns ein andrer besser machen, 
Soll er nur darüber lachen. 



1 «Er bleibe treu in seinem Land» ist die gewöhnliche 
Dativ Umschreibung im Elsas sischen Dialekt. Z. B. Ich 
verzehl die Gschicht in mim Brueder. 



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IX. 



Das 

Gleichnis vom verlorenen Sohn 

in sechs elsässischen Mundarten. 

Besorgt von 

Eduard Halter. 

Lauterburg in der elsässischen Pfalz. 

Sisch emol ä Mann gewässt, un der hat zwee Büwe g'hat. 
Do hat der jüngschl vunnen zum Vatter g'sagt : Vatter, hat'r 
gesagt, geb mer mef Erbteel ; un dr Vatter hat 'sem halt gewe. 
Un nit so arig lang nochher hat der jüngscht Bü alles zamme 
gerammesirt un isch weit fort gange in e fremdes Land, un do 
hat'r alles schnell verbambeschirt g'hat. 

Als'r nord alles hat verdhü g'hat, .<o hat's in dem Land 
a grossi Dheüering gewe, un'r hat ball nix meh zebeisse g'hat. 

Do isch'r hl gange un hat sich bei eme Bauerschmann 
verdingt un der hat'ne nausg'schickt vor d'Sau ze hiete. Do 
hett'r gern sain Bauch g'fillt mit'm Saufutler wu mar als de 
Saü hat ze fresse gewe ; aber kenner hat'sem gewe. Un do 
isch'r in sich gange un hat g'sagt : wie viel Daglähner bei 
meim Vatter henn meh Brod als se esse kenne, un ich ge do 
capüt vor lauter Hunger! I will hämgah" zu meim Vatter un 
will'm sage: Vatter i hab g'sindigt vorm Himmel un vor Dir. 
Un i ihn jetzert nimrni wert def SütT ze heese, nem mi nor an 
als def Daglähner. Un er isch häm zu gange zu seim Vatter. Der 
awer hat'n schun vun weitem kumme sahne, hat Bedauerniss 
mit™ kriegt, isch'm um de Hals g'falle un hat'n geschmutzt. 

Der Bü, awer, hat zü'm g'sagt : Vatler i hab mi versindigt vorm 
Himmel un vor Dir, i bin jetzert nimmi wert def Süh~ ze hee.se. 

Awer dr Vatter sagt zu dene Knecht: bringe mer 's schenscht 



152 — 



Kleed un ziegen 'sem an, gewen'm e Fingerring an se f ~ Hand 
un Schüh an d'Fiess ; un bringen e fettes Kalb un metzlen's, 
nord wenn mer esse uu luschdig seT. Denn der do, mein Bu, 
isch todt gewest un isch widder lewendig wore, er isch ver- 
löre gewest un isch widder g'fünne wore. Awer dr älscht ßü 
isch ufm Feld gewest, un wie'r isch häm kumme, hat'r g'hert 
wie se henn g'sunge un gedanzt; un'r hat äne vun denne 
Knecht gerufe un hatn g'frogt, was do war. Der hat awer 
g'sagt: de! Bruder isch widder kumme, un de! Vatter hat ä 
fettes Kalb gemetzelt, weilFr ne widder g'sund do hat. 

No isch'r zornig wore un hat nit welle neingeh Nord 
isch dr Vatter rauskumme un hat an'm gebettelt. 

Er hat awer g'sagt zum Vatter : guck, Vatter, so viel Johr 
dien ich D'r ün hab noch nie dein Gebott öwertrette, un Du 
hasch m'r noch nie e Geessbekkel gewe, daß i hett kenne mit 
meine Freind esse. Wü awer der alleweil kumme isch, der 
all sein Sach durichgebrocht un verzottelt hat, hasch dü'm e 
fettes Kalb gemetzelt. Er awer sagt zü'm : mach nit so viel 
Gedings, dü bisch jo immer bei mer, un Alles, was i hab isch 
dein. Du sollsch awer luschdig sein un Blässir hawe ; denn 
seller, dei Bruder, isch todt gewest, un isch widder lewändig 
wore ; er isch verlöre gewest, un isch widder g'funne wore. 



E Mann het zwen Siin ghet, un dr jingscht vunnene het 
züem Fadder gseit : Fadder, gimmr dänne Deil vum Güet, wo 
mier züefallt ; un dr Fadder het d'Gieter gedeilt. 

Un nit lang drnöch het dr jingscht Sun alles zamme- 
gnumme-n-un isch furtgwandert, wit furt, in e fremds Land, 
un het dert sin Güet vrdön mid luschdi Läwe. 

Un wo-n-'r alles het vrdön ghet, isch in sällere Gejed e 
grossi Hungersnöt össgebroche, un er het äfange Nöt ze lide. 

No isch'r gange-n-un het si bime-n-Eijedimmer vun sällere 
Gejed vrdunge, un dar hetne-n-uff sin Landgüet gschikkt, d'Söü 
hiete. Dert het'r gern meje sine Büch midde-n-Afall fille, wo 
d' Söü gfresse hänn ; awwer 's het s'em nieme gänn. 

No isch'r insi gk£rt un het g'seit : Wi vill Dälener hänn 
iwwerüss genüe Brod in mim Fadders Hüss ; un ich kumm 
do vor Hunger um. Jez wurri mi ufT de Wäj mache-n-un zue 
mim Fadder gen un sä : Fadder, i ha mi verfeit geye de Him- 



Dr. Picard, Arzt, Lauterburg. 



Schirrain bei Hagenau. 

(Alemannische Sprachinsel.) 




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- 153 - 



mel un g&ye dich ; i bin nimmi wert din Sun gheisse ze were ; 
nemm mi uf ass eine vun dinne Dälener. Un, uflfgebroche,-n- 
isch'r züe sim Fadder gange. Wi'r noch e Platz wit drvun isch 
gsinn, hetne der Fadder sene kumme,-n-isch'm üss Barmher- 
zigkeit ergeye ^ange, ischem an de Hals gschlirzt un hetne 
vrschmutzt. 

Dr Sun het drno züem Fadder gseit : Fadder, i ha mi 
vrfelt geye de Himmel un g£ye dich ; i hin nimmi wört diu 
Sun gheisse ze were. 

Awwer dr Fadder het züe sinne Knächt gseit : g£n glich 
un hole 's beseht Kleid un zijeYm an, un schtekke-n-em e 
Ring an de Finger, un gänn em Schüe, un hole-n-e g'meschts 
Kalb un schlachte's, un drno welle mr esse-n-un is güet düen ; 
denn do, min Sun, isch dod gsinn un 'isch widder Idwendi 
worre, er isch vrlore gsinn, un 'risch widder gfunde worre. 

Dr eldscht Sun, isch grad uffem Feld gsinn, un wier zeruk 
un geye's Hüss kumme-n-isch, hel'r de Gsang un d'Müssi 
ghört ; un'r het eine vun de Knächt grüefe un hetne gfröüt, 
was dess beditt; un dr Knächt he gseit: din Brüeder isch 
kumrae, un dr Fadder het e fetli Kalwe gschlacht't, wil'r'ne 
gsund widder ufTgnumme het. 

Awwer där isch unzefridde gsinn un het nit welle ningön ins 
Hüss. Awwer dr Fadder isch rösskumme un hetne- n-in-gläde. 

Er awwer het züe sim Fadder gseit : lüe do ! vili Jör 
schaffi fir dich, un känni vun dinne Vorschrifte hawwi iwwer- 
trätte, un nie hesch dü mier a nur a Schöf gschenkt, assimi 
mid minne Frind hatt kenne luschdi mache ; awwer jez, wo 
din Sun zrukkumme-n-isch, wo sin ganz Vermeje mid Lumpe- 
mänschcr vrblämbelt het, schlachtsch dü'm e felti Kalwe. 

Do het no dr Fadder züe-n-em gsait : Sun, dü bisch alle- 
wil bi mier, un alles, was min isch, isch a din. 'Sisch awwer 
doch jetz am Platz luschdi ze sinn un sich güet ze düen, wil 
din Brueder dod isch gsinn un widder läwendi worre- n-isch, 
wilr vrldre-n-isch gsinn un widder isch gfunde worre. 

Eduard Halter aus Schirrein bei Hagenau. 
« » 

Geudertheim an der Zorn 

(bei der alten Tribokerhaaptstadt Brumath). 

As isch emol ener gewään, der hett zwdn Büeawe ghett. 
Am e schöne Däöü helt dr jiengscht von denne zwön züem 
Vadder jrsäijt: Vadder, gib mr dess Del von dim Sdch, wi 
minn esch ; an dr Vadder hettne sin Säch gedelt. 



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— 154 — 



Nil lang hengenöcb het dr jiengscht Büe äles zammege- 
numme an esch widd furt gezäöije in d' Fremd. Dert hett'r äles, 
vvas'r heti gliett, durichgebröcht ime Lümpeläwe. 

Wi äles hien esch gewään, wäs'r hett ghet, isch e-n-orri 
diri Zilt kumrne in dr göönze Gäjed, so dass'm öngfange hett 
hefigerli ze gehn. 

Jez isch'r gange an heit si an e Burjersmann öngemöcht von 
dert, wi er esch gewään, der hettne nüsgschikkt, d'Söüj hiete. 

Cs Hunger hett'r gebättelt, as'r sich de Büch feile dorf 
met'm Fräässe, wi d'Söüj bekomme honn; awwer nieme hett's'm 
welle gen. 

Uff emöl isch'r weich worre, an hett gsäit : wi viel Däöüj- 
Jener hett dr Vadder, de honn Brod, so viel as se welle, an 
ech ge hien fir Hunger. Ich will mi uff de Wäj mäche an 
will hörn züem Vadder gehn, an will züem säuje : Vadder, 
ich bin liederli gewään fir em Himmel un fir dier. Ich bin 
göär nimmi wärt, as d'mi fir dinne Sön önlöüjsch. Mach mi 
numme züe em von dinne Däöüjlener. 

Uff dr gschtell isch'r furt un isch züe sim Vadder kumme. 

Schon, wi'r noch widd ewäkk esch gewään, hettne dr 
Vadder gsään, an'r helt'm leid gedön. Ar isch geläöufe an 
isch'm um de Halsch ghäugl an hett'm e härzafte Schmutz gen. 

Awwer dr Büe hett züem gsäijt : Vadder ich bin liederli 
gewään fir'm Himmel' un fir dier ; ich bin göär nimmi wärt, 
as d'mi fir dinne Son önlöüjsch. 

Dödrufl hett dr Vadder züe de Knächte gsäijt : bringe 
'sbescht Kläid häre an düen's'm ön, an gen'm e Fingerring an 
d'Höönd, an Schüej an d'Fiess, an bringe-n-e gemäschts Kälwel 
rüs an melze's. Mr welle-n-äässe an welle luschti sinn ; dann 
do minnr Büe isch död gewään an isch widder läwändi worre, 
är isch verlöre gewään, an mr honn e wedder gfunge. An si 
honn öngfange luschti mitnand ze sin. 

Awwer dr ältscht Sön isch ufTm Fäld gewään, an wi'r 
nöt züem Hüs isch kumme, heltVs ghert, wi se dinne singe- 
n-an jüze. Ar hett e Knächt häre gerüefe, an hett ne gfröüjt, 
was do lös isch. 

Der hett's'm gsäijt: dinnr Brüeder isch kumme, an dinnr 
Vadder hett e gemäschts Kälwel gemetzt, as'ine gsünd widder 
d'hem hett. 

Do isch awwer dr öönder zorni worre an hett met Gewalt 
nit welle ning gen. Uffs letscht isch dr Vadder rüsgange an 
hell ne heisse kumme. 

Awwer dr Sön hett önfange-n-uffzebegääre an hett züem 
Vadder gsäijt : Loss mi gen ! ich hab dr jez so viel Jör haäre 
gschafft an habb dr nie ze leid gelääbt, an mier hesch noch 



- 



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— 155 - 



nit emöl e Hammelsbock gen, as i mi met minne Kamröde- 
n-emöl hält kenne-n-amesiere. Jez, wi der dö komme-n-isch, 
wo sin Säch mit Lümpemenscher durichgebutzt hett, hesch'm 
glich e gemäschts Kalb gemetzt. 

Dr Vadder awwer hett'm dödruf gsäijt : Siesch, Büe, du 
bisch älewil bimr, an äles, was min isch, isch äü din. Dü 
sottsch frö an zefridde sin, dann dö dinner Brüeder isch död 
gewään, an isch widder lawändi worre ; ar isch verlöre gewään, 
an jez isch'r widder gfunge. 

Christian Schmitt, aus Geudertheim. 
♦ • 

Winzenheim im Kochersberg. 

E Mensch het zwen Sen ghet ; an dr jihgscht, ingerne, 
het züem Vöder gsäet: gimmer, Vöder, 's Däl vuen de Gieter, 
wü min jjhert, an drno het'r 's Güet ingerne gedäld. 

An nid lang drnöe, het dr jihgscht Sön olles zammegnumme 
an isch wit iwer Läönd gezööe än dört het'r sin Güet vrdön. 

An wü'r olles vrbutzt het gh£t, was sinn gwään isch, isch 
e grossi diiri Zit in dess nämli Läönd kumme, än'r het öng- 
fäftge Hunger ze lide. 

No isch'r önegänge, än hei sich on e Burjer vuem nämliche 
Läönd ghenkt, der hetne nüss uff de-n-Akker gschikkt fir 
d'Söüe ze hieate. 

An'r het begäärt sinne Büch *middr Oreinel ze fille, wü 
d'Söü e frässe, än 'shet's em nieme gään. 

No hetr insi gschläöüe, än het gsäet : wü vel Däilenner 
het miner Vöder, wü Brod genüe hön, an iech schtörb vor 
Hunger ; iech will mi uffmöche än züe mim Vöder ge c , än 
will züem säöüe : Vöder, iech hö gsindit im Himmel an vor 
dier, än iech bin, vuen jez äwäg nimmi wärt, assi din Sön 
häss, möchmi als äner vuen dine Däilenner. 

An'r het sich uff de Wäj gemöcht än isch züe sim Vöder 
kumme. 

Wü'r noch wit äwäg gewään isch, hetne dr Vöder gsään, 
än'r het gejömert, än isch onne geläöfe, än isch'm uem de 
Hols gfolle, an hetne vrschmutzt. 

No het dr Sön züem gsäet : Vöder, iech hö gsindit im 
Himmel än vor dier, iech bin vuen jez äwäg nimmi wärt, 
£ssi dinner Sön häss. 

Ower dr Vöder hef züe de Knächte gsäet : bringe 'sbescht 
Kläd härre, än düeön's'em ön, än gään'm e Fingerring ön 



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— lo6 — 



d'Hönd, an Schöü« ön d'Feäss, an bringe-n-e gemescht Kälb 
harre, an metzes. 

Mr welle-n-ässe-n-än luschdi sinn. Dann miner Son, do, 
isch düd gewään, dn'r isch widder läwändi worre, 'r isch 
vrlöre gewään, an isch Widder gfutige worre. 

Ower dr elscht Sön isch uffem Faid gewään, an wü'r not 
ons Hüss kumme-n-isch, hel'r se singe-n-än döonse ghert ; 
no hetr äne van de Knächte gerüeöfe an hetne gfröüt, wos 
'sisch. Dar het'm gsäet : diner Brüeödr isch kumme, an diner 
Vöder het e gemescht Kälb gemetzt wäje wi'r gsönd hääm 
kumme-n-isch. No isch'r zorni worre un het nit welle ning- 
gen; no isch dr Vöder erüsskumme an het-ne gebitt. 

Ar helt öwer im Vöder en Antwort gään, an het züem 
gsäet : siesch, wie wiel Jor äch dr diean, ön hob din Gebot 
noch neea iwerdrätte, an dü heschmr noch niea e Schuufbock gään, 
assi mid mine Kamröde luschdi hält kenne sinn. Jez owr, wü 
diner Sön hääm kumme-n-isch, an sin Güet mid Lumbemänschle 
durichgebröchl het, hesch dü'm e gemescht Kalb gemelzt. 

No het'r züem gsäet: rai Sön, dü bisch allewil bi miear, 
an olles, wäs min isch, isch äö din, dü sottsch owr luschdi 
an güeats Müeats sin ; dänn diner Brüeoder do, isch düd ge- 
wään, än isch widr läwändi worre, 'risch verlöre gewään än 
isch wider gfunge worre. 

M. Stieber, Mittelschuldirektor. 

Colmar im Elsaß. 

A Mänsch hett zwai Sen g'hett; un dr jengscht unt'r 
ehna hett züam Vat'r g'säit : ge m'r mi Teil vo dä Giät'r, wo 
rner ghert ; un'r hett nä 'sGüäl geteilt. 

Un net lang d'rnö hett d'r jengscht alles z'sämmä gsaminl't, 
un esch en ä wit's Land gäzoiä; un dert hetfr si Güeät verbutzt. 

Wo-n-r all' 's-is verzehrt ghett helt, esch en sällem Land 
ä grossi Dirong g'se un'r hett ägfangä z'därwä. 

Un'r esch ännä gangä, on hett si äne Bery'r üss sällem 
Land ghängt, dä hettne uff sine Akker g'schegt, d'Soi z'hietä. 

Un'r hett b'gährt sine Büch mel Drawära z'fellä, wo d'Soi 
gträssä hänn ; un niemä hett se-n-m gah. 

Do hett'r en si g'schläüä, un hett g'säit : wie villi Dajlehn'r 
hett mi Vat'r, die Brod en Hüffä hänn, un ich verderb em Hong'r. 

I well mi of de Wäj mache un züe mim Vat'r geh un 
züe-n-m säjä: Vat'r, i hä g'sendi^t em Hemm'l un vor der. 
Un i ben nem wärt, ass i di Sohn hujss ; mach'mi züe eim 
vo dinä Dajlehn'r. 



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- 157 - 



Un'r helt si ofgmacht, un esch züe sim Vat'r kommä. 

Wo-n-r noch witt gse esch, hettne si Vat'r gsäh, un 
'shettne b'eländ, esch glojfä, un esch'm um de Hals gfallä, un 
hett ne g'schmutzt. 

D'r Sohn, awer, hett züe'm g'sait : Vat'r i hä g'sendigt em 
Himm'l un vor der, i ben nem wärt, ass i di Sohn häjss. 

Aw'r dr Vat'r helt züe sine Knächt g'sait : brengä 'sbeschtä 
Kleid härä, un läj'n'm's a, un gä'n'm e Fengerreng an sini 
Hand un Schuä an sini Fiess, un brengä e g'meschts Kalb 
härä, un metzge's ; mr wann ässä un luschtig se. Dänn, nrii 
Sohn do esch tot gse un esch wedder lä wändig worä ; er esch 
verlorä gse, un esch wedder gfondä worä. 

Awr d'r ältscht Sohn esch ofm Faid gse ; un wo-n-'r 
züe'm Hüss kommä esch, hett'r sengä un danzä herä ; un hett 
einä vo de Knächt züe si g'rüöfä un gfrojt, was dass esch. 
Da hett'm aw'r g'sait: di Brüäd'r esch kommä, un di Vat'r 
hett'm e g'meschts Kalb g'metzigt, well er ne wedder gsund hett. 

Do esch'r zornig wörä, un hett net wellä nigeh. Do esch 
si Vat'r ärüsgangä un hett ne gebätä. 

Ar het aw'r züe'm Vat'r g'säit: schoi, so villi Johr dieni 
d'r, un ha di Gebot niä ewerträtlä, un dü hesch mer niä e 
Bock gä, ass i met mine Frend hät kennä luschtig se. Wo 
jez aw'r di Sohn kommä esch, där si Güat met Lumpevolk 
durichgmacht hett, hesch dü em e g'meschts Kalb gmelzigt. 

Ar hett aw'r züe'n'm gsäit : mi Sohn, de besch allewill bi 
mer, un alles, was mi esch, esch o di. Dü sottsch luschtig un 
güäts Müäts se ; dänn di Brüäd'r esch tot gse, un esch wedder 
läwändig wörä ; er esch verlorä gse. un esch wedder g'fundä. 

Schuldirektor Weckser, Colmar. 



Oltingen im Sundgau. 

A Mansch hät zwe Sehn ghä. Un dr jiengscht vonenä hät 
zum Vadder g'sait : Vadder, gimmir dä Teil vo da Gieater, 
wo mir g'hert. Un är hätänä 's Güeat teilt. 

Un net lang hifigenö hat dr jiengscht Sühn alles z'sammegnu 
un isch wit über Fäll zöge ; un dert hät är si Güeat dure- 
brocht mit Prasse. 

Wo är d'rno si Sach alles v'rzehrt gha hät, isch e grossi 
Hungersnot dur säl ganz Lang worde un är hat agfange z'räble. 

Un isch gange un hät sich an e Bearger vo sälem Lang 
ghankt, wü en üf si Acker g'schikkt hät, fer d'Säji z'hieata. 



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- 158 



Un är hatt gärn si Büch g' feilt mit Traber, wu d'Säji 
g'fresse hui, un nieme hätem keni gä ! 

Drno isch är in si gange un hat g'sait : wieavil Taglehner 
hat mi Vadder, wo e Hülfe Brot hai, un ich gang hi vor Hunger. 

I will furt un zu mim Vadder goh, un züeanem säge : 
Vadder, i hd g'sündigt geganem Himmel un vor Dir, un i 
hi vo jetzab nimmi wärt, as i di Suhn heiss, halt rni numme 
wiea ein vo dine Taglehner. 

Uu är isch furt un isch zue sim Vadder chu. 

Wo är abher no wit ewäg gsi isch, hätn si Vadder gseh 
un är hät'n dürt, isch glufle, un ischem um e Hals gfalle un 
hätn g'chiesst. 

Dr Sühn abber hat zuem g'sait: Vadder, i hd g'sündigt 
geganem Himmel un vor Dir, un i bi vo jetzab nimmi wärt, 
as i di Suhn heiss, halt mi numme wiea ein vo dine Taglehner. 

Abber dr Vadder hat zu sine Ghnächte g'sait : holet 's 
beschte Chlaid feäre, un läget-n-d, un gänt'm e Ring an d'Hang 
un Schüeä a d'Fieass ; un holet e faist Chälble, un mälzget's ; 
mer wai ässe un luschtig si ; denn do mi Suhn isch tot gsi un 
isch wider läbändig worde, un är isch verlöre gsi un isch 
wider gfunge worde. 

Abber der ältscht Suhn isch ut'm Fall gsi ; un wü är 
nächer zum Hüss chu isch, hat är vo däm Singe un Tanze 
g'hört ; un är hat eim vo de Ghnächte g'rüeafe un hat gfrogl, 
was denn dds isch. Un dä hät'm gsait : di Brüeader isch chü 
un di Vadder hat e gmäschte Chalb g'mälzget as är'n gsung 
wider hat. 

Do isch'r chiebig worde un hat nit welle ine goh. Do 
isch si Vadder üse gange un hät'n hätte drum. 

Abber är hat g'sait : lüeag, Vadder, saitr, tscho so mänk 
Jör hä-n-i dir dieant, un hd allewil g'macht, was du hasch 
wälle, un dü hasch mir ke Bokk gä, äs i hät chänne mit mine 
Friend luschtig si. Jetz abber, wü do di Suhn chu isch, wü 
si Güeat mit Hüeara verputzt hät, hesch dü-n-m a faist Chalb 
gmätzget. 

Abber är hät züe-n-m gesait : hersch, dü bisch allewil bi 
mir, un alles, was mi isch, isch o di. Du abber seltsch lusch- 
tig un güeat z'Müeat si ; denn do di Brüeader isch tot gsi, un 
isch wider läbändig worde ; är isch verlöre gsi, un isch wider 
g'funge. 

Stod. phil. Zürbach, Oltiogen im Sundgau . 



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X. 

Nachträge und Berichtigungen 
zum Wörterbuch der Elsässischen 

Mundarten. 

S. 808 zu «Wecke». Langer Wecken (Läqaweka Dü.), Brotlaib 
in langer Form wie in Straßburg das Roggenbrot 
zu haben ist. In Straßburg dafür der Ausdruck 
«läns Laiwb langes Laibchen. — 

S. 815 zu Gottswille. «Um's Gottswille», Ausdruck des 
Erstaunens, des Schreckens, auch der Verneinung 
wie im Hochdeutschen. — z. B. Ums G. was isc h 
denn g'scha (geschehen) , wenn ein Unglück 
passierte oder bei einem Brand «Ums G. s'wurd 
doch nit b ranne» es wird doch nicht brennen. 
— Der Verneinung : Soll i s Hys f a r k h o i f a ? 
Ums G., was daflks! (Soll ich das Haus ver- 
kaufen? U. G., was denkst du!) Dieser letztere 
Ausdruck ist auch ein viel gebrauchter Ausdruck 
der Verneinung. — 

S. 817 zu Baumwolle. In Dü. nicht Päjwül sondern P oj w ü I 
und Po j wo 1. 

S. 820 zu Wild, befindet sich ein Satz s'« We tt er» is wild 

bei Hochwasser, soll aber unbedingt heißen : S * 

« W ä s e r » ist wild. — 
S. 822 zu Welk. Walti ist in Dü. nicht gebräuchlich, wohl 

aber in Str. und auch in Ruprechtsau. In Dü. 

1 ü m 9 r i k (lummerig). 
S. 839 zu Wüntar. Redensart: Nita Wuntar, sist t'Khya 

Pluntor; si het gestört a nei Lintya/ 

g'frassa. Scherzhaft für: Aha! Darum; — kein 

Wunder ! 



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— ICO — 

S. 847 zu Wirbel; eine Vorrichtung an Halsketten für Tiere 
damit bei Drehung die Kette slels wieder die gleiche 
Lage einnimmt (auch an Uhrketten). 

S. 846 zu Wurst. Zur Befestigung der Ufer wurden früher 
meistens aus langem Holz und Reisig und mit 
Steinen gefüllte und mit starkem Eisendraht zu- 
sammengehaltene sogenannte W ü rst e gebraucht. 
Auch jetzt noch an Stellen, wo ein Durchbruch zu 
befürchten wäre. — 

S. 859 zu Wort, s'letsta Wort hä. Das letzte Wort haben. 

— Wenn jemand stets Recht haben will, sich stets 
zum äußersten wehrt und verteidigt: er tyats nit 
änderst, er myas s'letsta Wort hä. — 

E Wort säja; ein Wort sagen; auf etwas auf- 
merksam machen. — 

I ha gar nix tarfü gwist; hats mar toy 
n u r a i n Wertalagsait. Ich habe gar nichts 
davon gewußt ; hättest du mir nur ein Wörtchen 
gesagt. 

S. 872 zu Waschen, a kwa>sas Lai wal ein gewaschenes 
Laibchen Brot. Ein Brot das durch Abwaschen vor 
dem Backen eine glänzende Oberfläche erhält, (e 
g'wäsches Laiwel). 

S. 878 zu Watte in Dü. allgemein Sidewatt cSeidenwatte» 
für die gewöhnliche Watte. — 

S. 878 zu Watte Waten, ar het tsswimauntswäte 
er hat zu schwimmen und zu waten, d. h. er muß 
alles mögliche tun, sich aufs äußerste anstrengen 
um wirtschaftlich nicht unterzugehen. 

S. 879 zu Wetten. Was willst du wetten? was wit weta? 

was gilt's ? Er het gsait, ar get haim; was 
wit weta, s ' l s nit wür! Er hat gesagt, er 
ginge nach Hause; was gilts, es ist nicht wahr. — 

S. 881 zu Wetter. Ernte wetter( Ar na watar) schönes trockenes 
Wetter ; zur Ernte geeignetes Wetter. — 

Redensart: s'blit noy alla Jür Arna watter 
ewri k ; es bleibt noch jedes Jahr Erntewetter übrig, 
d. h. nach der Ernte ist meistens trockenes Wetter. — 

S. 883 zu Wit (weil). Wit arum khüma weit herum kom- 
men, große Reisen machen. Ironisch: ar is wit 
arum khüma ins Grosmiatars Landar- 
gärta. Er ist weit herumgekommen in Großmutters 
Gemüsegarten. — 

S. 883 Noch zu Wit. Bei Pflanzen z. B. Kartofleln, Tabak 
usw. weit auseinander gepflanzt sein. Die Hart- 



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— 161 - 

epfal sin wit gsetzt. Diese Kartoffeln sind 

weit auseinander gepflanzt. — 
a witi Ritar ein weites (weitmaschiges) Sieb. — 
w i t i W ä j a I a i t a r a weite Wagenleitern d . h . 

Wagenleitern, deren Sprossen weit auseinander 

stehen. — 

a wita Sak ein Sack, welcher mehr weit als 
lang ist. — 

T'Säi steht wit. Die Säge steht weit d. h. die 
• Zahne sind stark nach den Seiten ausgebogen, wo- 
durch der Schnitt größer wird. 

Derselbe Ausdruck für Sense. Je mehr sich die 
Sensenstellung zum Wurf (Stiel) dem rechten 
Winkel nähert desto weiter steht dieselbe, je mehr 
sie davon abweicht desto enger. 
S. 884 zu Wut. In aim Wyat, in einer Wut. Redensart: 
in aim Wyat U ar nuf un h e t älas tsum 
Fan slar nyskheit. Vor Zorn oder Wut ging 
er hinauf und warf alles zum Fenster hinaus. — 
S. 892 zu Zeichnen. Der Sektsaiyner der Sackzeichner; 

früher ein Mann, der gewerbsmäßig von einem Orte 
zum andern hausierend die Getreide- oder Kartoffel- 
säcke mit dem Namen des Eigentümers nebst Ver- 
zierungen versah. — 

(Vielleicht in gewissen Gegenden heute noch, da 
die Art der Zeichnung und der Ruchstaben auf den 
Säcken, die man in der Stadt zu sehen bekommt, 
noch die gleiche ist.) — 
S. 8f>7 zu Abziehen. Aim t'Hyt abtsiaia. Einem die Haut 
abziehen, Redensart. Durch Ritten und Rettein einen 
nötigen zur Hergabe von irgend etwas. Hauptsächlich 
gebraucht im Verhältnis zwischen Kindern und Eltern, 
wenn die ersteren immer nur von den Eltern alles 
haben wollen, selbst wenn dieselben es nicht her- 
geben können ohne selbst Not zu leiden. — 

Ebenso auch y s t s i a i a ausziehen ; auch y s s y k a , 
aussaugen. 

S. 898 zu Verziehen. T'Setzlik fartsiaja, die Setzlinge 
(junge Pflanzen) verziehen, d. h. ein Teil ausreißen, 
damit der Rest mehr Luft und Licht hat. — 
S. 901 zu Zahlen. Redensart von einem, der sich um Schulden 
nicht viel Sorgen macht. 

I. T'älta 'Sulta tsältar nit un t'neja 
I ü s t a r alt w ä r a , Die alten Schulden bezahlt er 
nicht und die neuen läßt er alt werden. — 

11 



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I 



— 162 - 

i 

II. Redensart beim Trinken; wem das letzte aus 
der Flasche eingeschenkt wird, der m y a s t s ä l a (ist 
aber bloß scherzhafte Redensart). — 

S. 901 zu Verzählen. A i in a P ä r Wort fortseid, Einem 
die Meinung sagen. — Täs wurt ar in niame 
fartsela, Das wird er niemand erzählen d. h. 
darüber wird er schweigen. 

S. 905 zu Zahn. Reyatsän, Rechenzahn auch in Du. Auch 
in Ruprechtsau, aber hier noch Bezeichnung für 
einen kleinen Hecht; desgl. Bönasifal-«- Bohnen- 
schote. 

S. 907 zu Zünden. Ein helles rotes Kleid oder Hut, sagt man 
das t s i n t ä wa r das zündet aber (d. h. hat schrei- 
ende Farben). 

Ebenso bei einer Person mit rotem Haar: tar 
oder t i a t s i n t ä w a r. 

S. 908 zu Zunge. Die Lederzunge an Schnürschuhen. 

Ein Straßburger Kalauer: Eine Frau vom Lande 
wollte ihrer Tochter ein Paar Schuhe kaufen ; beim 
anprobieren ließ die Tochter die Lederzunge mit 
dem Fuß in das Innere des Schuhes gleiten. Der 
Schuhhändler bat nun: die Zunge muß heraus, was 
aber der Tochter und auch der Mutter nicht ver- 
ständlich war und von der Tochter deshalb auch 
nicht befolgt wurde; die Mutter, darüber aufgebracht 
lief : streck doch t Lall a r y s , lums L y a t a r , 
d. h. strecke doch die Zunge heraus (aus dem Mund). 

S. 909 zu Zins «Ackerzins». Pachtzins für Feld, Ackerland usw. 

S. 910 zu Zapfen. Redensart. Nach dem E^sen «a Tsäpfa 
l r u f m ä y a » noch einen Bissen Nachtisch essen. — 

S. 916 zu Zättara unrichtig; nur tsattara; wahrscheinlich 
ist bei Einlieferung des Ausdruckes aus s das * ver- 
gessen worden. — 

S. 917 zu Zit. Jets weis i w el Z i t a s i s , Jetzt weiß ich 
wieviel Uhr es ist, d. h. woran ich bin. — Oder ä, 
si s um t es T s i t ! ah es ist um diese Zeit ! eben- 
falls wie vorhin (aha ! so steht es !). — 

S. 925 zu Zwilch in Dü. und Umgegend, grobe Leinwand, 
aber anders gewoben. Gewebe wie Drilch, davon 
auch der Ausdruck dreisehäftig für feinere Gewebe 
wo jedesmal der Zettelfaden über zwei Einschlag- 
taden geht. — 
Zwilch wird zur Herstellung von Säcken verwendet. — 

i 

Obrecht Ruprechtsau). 

i 



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- 163 — 
II. 

1. Herr Prof. Singer an der Universiät Bern teilt gütigst 
folgende Parallele (Abzählreim) zu Zirle mirle II, 914 mit, 
wodurch das elsässische Bruchstück ergänzt wird : 

Schürli, mürli, Gartetürli, 

Hns über Hof, 

Alli vieri grattleti Roß. 

Es geit e Frau i ds Hüenerhus, 

last die beste Hüener drus, 

der Tschippel und der Tschappel, 

spräggelochts Huen : 

wälles soll nie drus und dänne tuen. 

(Züricher, Kinderlied und Kinderspiel im Kanton Bern No. 537). 

2. Zu I, 414 kommt ein Ausdruck Nestkumpfer 
«Nesthäkchen, jüngstes Kind» hinzu, den Adolf Wolf aus Barr 
in seiner Jugendgeschichte (Str. N. X.) gebraucht. 

3. I, 41 haben wir aus einem schriftlichen Beitrage auf- 
genommen : «pulmesquicken pomadisieren». Das Wort ist 
sonst ganz unbezeugt, vielleicht von einem fremden Kopfver- 
schönerer hierher gebracht worden. Eine Vermutung bezüglich 
der Bedeutung möchte ich nicht unterdrücken. Das Grimmsche 
Wörter buch verzeichnet «Bilwißzotte verworrenes Haar, 
Wei ch sei köpf» : offenbar von «Bilwiß Kobold», eigentlich eu- 
phemistisch; Bilewit ist angelsächsisch Beiname für Gott und 
Engel. Unentwirrbare Verzausung wird nicht der eigenen Nach- 
lässigkeit, sondern der Arbeit eines bösen Kobolds zugeschrieben. 
Könnte nicht p u I m e s = p i 1 w i s sein, und pulmes- 
quicken das Wiederbeleben, Ordnen und Herstellen eines 
verworrenen Haarschopfes bedeuten? 

4. Wie mit anderen deutschen Mundarten hat das Elsäs- 
sische auch mit den siebenbürgischen im fernsten Osten manches 
gemeinsam, begreiflich da diese eigentlich aus dem luxembur- 
gisch-kölnischen Sprachgebiet stammen. So sagt man in Sieben- 
bürgen wie bei uns (I, 2) : Seine Eier haben zwei (oder in 
Siebenbürgen sieben) Dotter s. Gustav Kisch, Xösner Wörter 
und Wendungen, Bistritz 1900 S. 11. 

Zu 1, 64 vgl. siebenb. «ärbes-gapöst blatternarbig» 
(Erbsen lassen beim Dreschen Eindrücke in der Tenne zurück). 

Zu I, 379 vgl. siebenb. «(er am) hurtsaln herum- 
schleppen» Zu I, 63: siebenb. af deiner Ur äs et dräi 
firtal of Käld-ärbes, deine Uhr geht schlecht (Bild: du 
kommst zu spät, das Erbsengericht ist schon kalt). Dies letzte 
Beispiel ist besonders merkwürdig, da es natürlich nicht auf 
urgemeinsamen Gebrauch zurückgehen kann, sondern neue 



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— 164 — 



Kullurverhältnisse voraussetzt. Es muß also die Redensart durch 
Zufall, durch einen Wandervogel nach dem Osten übertragen 
worden sein. 

Zu I, 518 Kramanzjes vgl. siebenb. «Kramantes, 
überflüssige Komplimente, Umstände macha». Zu II, 208 vgl. 
siebenb. a äs mät du G ä » s am Protsäs, es sproßt ihm 
kaum der erste Flaum ums Kinn (wie bei den jungen Gänsen). 
Zu II, 106 vgl. siebenb. «bastaln, kleine mühsame Hand- 
arbeit verrichten.» 

Zu I, 98 vgl vgl. siebenb. dau wist dam DrU da 
Urfeich ge (das Kraut fett machen, Goethe). 

Zu II, 749 vgl. siebenb. eiber dn Gä'sdräk farn, 
übertölpeln, verführen». Eis. Guck es 1, 208 erklärt sich viel- 
leicht aus siebenb. * K u k a s n Arrestlokal auf dem Lande 
eig. Guckhaus». 

Martin. 



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XI. 



Meßti und Kirvve im Elsaß. 

Von 

Dr. Kassel in Hochfelden. 

Meminisse juvabit. 

Der vorliegende Aufsalz ist die Frucht langjähriger Forsch- 
ung und Arbeit. Es war für mich stels ein besonderer Reiz, 
dem jährlichen Freudenfeste unserer ländlichen Bevölkerung, 
seinen Wurzeln und vielfältigen Beziehungen nachzuspüren. 

Als nun im Laufe der Zeit der Kreis dieser Untersuchungen 
sich immer weiter ausdehnte, entstand die Notwendigkeif, eine 
räumliche Grenze festzusetzen. Es schien mir am zweckmäßigsten, 
rein äußerlich zu verfahren und dasjenige Gebiet zu behandeln, 
wo die Bezeichnung «Meßti» gebräuchlich ist, und außerdem 
das Gebiet der «Kirwe», das sich nordöstlich daran anschließt. 
Von diesem zusammenhängenden Gebiete, das 449 Ortschaften 
umfaßt, habe ich 370 Ortschaften, größtenteils auf dem Rade, 
besucht und die Erhebungen zugleich mit andern Nachforsch- 
ungen an Ort und Stelle vorgenommen. Aus den andern Ort- 
schaften, meist entlegenen Dörfern südlich der Breusch, er- 
hielt ich schriftliches Material. 

Bei solchen umfangreichen Studien, die bis in die kleinsten 
Einzelheiten hineingehen, ist stets der Weg der persönlichen 
Erhebung vorzuziehen. Gründliche Auskunft auf schriftlichem 
Wege bekommt man erfahrungsgemäß nur in seltenen Fällen. 
Hierdurch zieht sich aber die planmäßige Sammelarbeit natür- 
lich in die Länge. So ist es gekommen, daß ich zur Beschaf- 
fung des Materials 12 — 15 Jahre brauchte und daß manches 
mittlerweile anders geworden ist. Indem ich die Arbeit der 
OefFentlichkeit übergebe, bin ich mir wohl bewußt, daß Män- 



- 166 — 

gel vorliegen, aber auch daß es die Kräfte eines Einzelnen, 
namentlich eines vielbeschäftigten Landarztes übersteigen wurde, 
das gesammelte Material bis zur Drucklegung immerfort auf 
dem Laufenden zu erhalten. 

Etymologie. 

Das Wort Meßti ist abgekürzt aus Meßtag. Urkundlich ist 
Meßtag zuerst 1313 nachgewiesen, u. zw. im Stadtarchiv zu 
Zabern 1 . Diese Bezeichnung wird in den dortigen Akten bis 
zur französischen Revolution gebraucht. Im 16. und 17. Jahr- 
hundert findet sie sich vielfach im Konsistorialarchiv von Ing- 
weiler und im sogenannten Schnallenbuch von Dossenheim, 
sowie in den älteren Kirchenordnungen, ferner in den prote- 
stantischen Kirchenarchiven des 16.— 18. Jahrhunderts. Noch 
1804 steht in einer Deliberation des Gemeinderats von Hoch- 
felden Meßtag. Die Abkürzung Meßti aus Meßlig mag seit dem 
Anfang des 19. Jahrhunderts auch im schriftlichen Verkehr 
allgemein gebräuchlich geworden sein. Wir finden beispielsweise 
«Meßtighaus» in einem Akt des Z iberner Stadtarchivs vom 7. 
Fructidor des Jahres IV (24. August 1796)«. Wohl in allen 
Gemeinderatsprotokollen der letzten 60 Jahre steht Meßti. Ja 
es läßt sich behaupten, daß heute die Mehrzahl der Bevölke- 
rung das hochdeutsche Wort Meßtag gär nicht verstehen würde. 
Aus diesem Grunde wird in der vorliegenden Arbeit für die 
neuere Zeit durchweg das Wort Meßti gebraucht. 

Welchen Sinn ursprünglich «Meßtag» hatte, ob darunter 
der Erinnerungstag der großen Messe zu verstehen war, die aus 
Anlaß der Kirchenweihe gelesen wurde, oder ob es den Tag 
der «Messe» im Sinn von «Jahrmarkt» bezeichnen sollte, also 
vielleicht aus Kirchmeßtag abgekürzt wurde, darüber fehlt je- 
der Anhaltspunkt. Beide Möglichkeiten sind denkbar. Zu Gun- 
sten der letzteren Annahme spricht möglicherweise das mehr- 
fache Vorkommen des Begrifft «Messe» neben «Meßtag* in Be- 
kanntmachungen des Zaberner Stadtrats vom Jahre lb93 : uff 
dieser Meß 3, und von 1602 : Meß, Herbstmeß, Meßfrevel und 
Meßtagfrevel*, Meßwirthütte Auch daß der Meßtagsplatz von 
Znbern in früheren Jahrhunderlen schlechtweg «Meßtag» und 
die in der Nähe befindliche Nikiauskirche «Meßtagskirche» ge- 



1 A. Ada in. Der Zaberner Meßtag in früheren Zeiten. Zabern, 
Gilliot. 1901. S. 4. 
> a. a. 0., S. 8. 
3 a. a. 0., S. 29. 
* S. 7. 
5 S. 13. 



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— 167 



heißen wurde », mag hier ins Gewicht fallen. Hingegen ist in 
der Hanauischen Vermehrten Kirchenordnung von 4659 streng 
unterschieden zwischen Jahrmarkt und Meßtag. 

Das Volk, insonderheit das protestantische Landvolk, hat 
das Sprachgefühl üher die Zusammensetzung des Wortes längst 
verloren. Etwa von Buchsweiler ah nach Süden sagt man Maßti, 
nach Norden Maßti und Mäschti, in Reipertsweüer Mäschlig, 
in Haarberg Mäßtie 2 . Bemerkenswert ist, daß eingewanderte 
Deutsche das Wort Meßti fast stets fälschlicherweise mit dem 
weihlichen Geschlechtswort gebrauchen, indem sie offenbar an 
Messe denken. Das Wort Kirwe ist abgekürzt aus Kirchweihe. 
Im Südosten sagt man Kirwe, im Nordwesten Kerwe, in Ober- 
seebach, Jngolsheim und Hunspach Karwe, in Hatten, Ober- 
und Niederbetschdorf, Schwab weil er, Reimersweiler, Kithien- 
dorf, Oberrödern und Aschbach Kirb, in Stund weiter Karb, 
in Wingen Kirewes. Auch für die Entstehung des Wortes 
Kirwe ist das Sprachgefühl in Volkskreisen erloschen. 

Im Gebiet des Meßti wird das Wort Kirwe nur an der 
Grenze verstanden, und umgekehrt. Ebenso wird nur im süd- 
lichen Meßtigebiet das Wort Kilbe verstanden, nicht aber im 
nördlichen. Andererseits versteht man im anstoßenden franzö- 
sischen Sprachgebiet die Worte Meßti oder Kilbe. Andere Be- 
zeichnungen, wie Kirch weihe, Kirmeß, Messe verstehen die 
Eingeborenen in der Regel nicht. Die Behörden gehn in ihren 
Erlassen und im schriftlichen Verkehr dem Worte Meßti aus 
dem Wege und gebrauchen meistens das Wort Kilbe oder 
Kirmeß. 

Grenzen. 

Die Grenze des Meßligebiets setzt ein am Rhein im Kreise 
Erstein zwischen Krafft und Gerstheim und zieht mit einer 
nach Nordwesten gerichteten Einbuchtung, worin Schäfersheini 
und Meistratzheim liegen, zunächst nach Westen. Die südlich- 
sten Ortschaften des Meßtigebiets sind Kraft, Erstein, Nord- 
hausen, Limersheim, Hindisheim, K rautergersheim, Nieder- 
ehnheim, Bolsenheim, Walf, Burgheim, Zellweiler, Stotzheim, 
St. Peter, Mittelbergheim, Hohwald. Südlich von diesen Ort- 
schaften wird «Kilbe» gefeiert. Sodann wendet sich die Grenze 
nach Norden und Nordwesten und lallt fast genau mit der 
deutsch - französischen Sprachgrenze zusammen. Die letzten 



1 Adam, a. a. 0., S. 4. 

* In der Lautschrift des Eis. Wörterb. von Martin und Lien- 
hart: [Masti, bezw. Masti. Mse'sti, Mae'stiy, Ma?stioJ. 

3 [Kherwa, bezw. Kherwa, Kharwa, Kherp, Kharp, Kherawa.j 



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- '468 - 



Meßtidörfer sind Ratzweiler, Grendelbruch, Schwarzbach und 
Wisch im Elsaß und Harzweiler in Lothringen, Auf der an- 
dern Seile blüht in den Dörfern französischer Zunge die «fete* 
oder «fete du village». Hier wendet sich die Grenze nach Nord- 
osten, umfaßt 24 lothringische Gemeinden , durchquert das 
«krumme Elsaß» und erreicht südlich von Saareinsberg die 
lothringische Bezirksgrenze, mit der sie bis zur Pfalzergrenze 
zusammenfallt. Die letzten Meßtigemeinden sind Harzweiler, 
Hochwalsch, Haselburg, Arxweiler, St. Louis, Waldenburg, 
St. Johann-Kurzerode, Mittelbronn, Weschheim, Wilsberg, 
Eckartsweiler, Ernolsheim, Dossenheim, Neuweiler, Weiters- 
weiler, Sparsbach, Wimmenau, Reipertsweiler, Lichtenberg, 
Rothbach, Offweiler, Oberbronn, Niederbronn, Dambach, Neun- 
hofen. Jenseits feiert man die gemütliche lothringer Kirb 1 . 
Von hier richtet sich die Grenzlinie nach Südosten, durchquert 
den Hagenauer Forst und erreicht nach einem kurzen Umschlag 
nach Nordosten zwischen Neuhäusel und Roppenheim den 
Rhein. Die letzten Ortschaften sind Windstein, Jägertal, Eber- 
bach bei Wörth, Spachbach, Oberdorf, Biblisheim, Walburg % 
Hagenau, Kaltenhausen, Oberhofen, Bischweiler, Rohrweiler, 
Drusenheim, Dalhunden % Stattmatten, Fort-Louis, Neuhäusel. 
In den 42 nördlichsten Ortschaften wird «Maschti» ausgesprochen. 
Die südlichen Grenzdörfer sind Wimmenau, Schillersdorf, 
Zutzendorf, Schalkendorf, Kindweiler, Bitschhofen, Ueberach, 
Niedermodern, Merzweiler, Eschbach, Hinterfeld, Walburg, 
Biblisheim. 

Nordöstlich vom Meßtigebiet erstreckt sich das Gebiet der 
Kirwe bis zur pfälzischen und badischen Grenze. Es umfaßt 
im großen und ganzen den Kreis Weißenburg, jedoch so, daß 
ein Dutzend Dörfer des südlichen Kantons Wörth noch auf das 
Meschtigebiet entlallt, während ebensoviele Gemeinden des 
nördlichen Kantons Bischweiler zum Ki rwegebiet gehören, im 
Ganzen 91 Ortschaften. Innerhalb dieses Kirwegebiets im wei- 
tereu Wortsinne verläuft die sprachliche Grenze zwischen Kirwe 
(Kirb) und Kerwe so, daß die letzten Kirwe-Ortschaften Nee- 
weiler bei Lauterburg, Winzenbach, Eberbach bei Selz, Asch- 
bach, Oberrödern, Kühlendorf, Reimersweiler, Schwabweiler, 
die letzten Kerwe-Ortschaften Lauterburg, Nieder- und Ober- 
lauterbach, Trimbach, Stundweiler und Hofen sind. 

Was die Benennung des Festes betrifft, so ist die Grenze 
im allgemeinen scharf, d. h. in dem einen Dorf sagt man 
Meßti, bezw. Kirwe, im Nachbardorfe anders. Jedoch ist in 
St. Johann- Kurzerode, Hochwalsch, Zittersheim und Nieder- 



« [Kherw.] 




- 169 — 

bronn neben «Meßli» auch «Kirb» im Gebrauch. Indessen be- 
dingt diese scharfe etymologische Grenze nicht auch zugleich 
eine ebenso scharfe Scheidung der Sitten. Allerdings weist das 
Kirwegebiet, das zum Teil durch die wichtige Grenzscheide 
des Hagenauer Forstes vom Meßtigebiet getrennt ist, einige Ver- 
schiedenheiten auf, aber es gibt zahlreiche Uebergange zwischen 
beiden Gebieten und dem Bereiche der Kilbe, der feie und der 
Kirb. Auch Abweichungen, die auf die ehemalige politische 
Zugehörigkeit der einzelnen Dörfer und Gebietsteile begründet 
wären, gibt es nicht. Das ist auch der Grund, weshalb die 
ganze vorliegende Arbeit nicht nach inneren Gesichtspunkten 
bemessen, sondern nach einem untergeordneten sprachlichen 
Einteilungsgrunde abgesteckt wurde. 

Anderseits ist hervorzuheben, daß die Kirwegebräuche des 
Kreises Weißenburg unmittelbar mit denen der Rheinpfalz zu- 
sammenhängen und daß man in einigen katholischen Dörfern 
in der Gegend von Neufreistett in Baden Meßti sagt. Die Fest- 
stellung der genauen Grenze hätte den Rahmen der Arbeit 
überschritten und wurde daher unterlassen. Endlich sei noch 
betont, daß der Meßti nicht nach Frankreich hinübergreift. 

Politisch betrachtet betreffen die vorliegenden Untersuchungen 
die Kreise Weißenburg, Hagenau, Straßburg (Land), Straßburg 
(Stadl), den größten Teil der Kreise Erstein und Molsheim, fast 
die Hälfte des Kreises Zabern, einige Dörfer des Kreises Schlett- 
stadt. und die Gebirgsdörfer deutscher Zunge des Kreises Saar- 
burg in Lothringen. In diesem Gebiete sind die alten Pflanz- 
stätten elsässischer Sitte und Art, das Ackerland i, der Kochers- 
berg* und namentlich das Hanauerlands enthalten. 

Die Wurzeln des Festes. 

Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß das einzige weltliche 
Freudenfest, welches alljährlich von der Gesamtheit der länd- 
lichen Gemeinde gefeiert wird oder wurde, eine kirchliche Be- 
zeichnung trägt. Aus dem klaren Wortbefunde Kirwe = Kirch- 
weihe und Meßti = Meßtag möchte man eigentlich schließen, 
daß ursprünglich in einer besseren Zeit die frommen Dorf- 
insassen den Erinnerungstag an die Kirchenweihe oder den 



1 Der südliche Teil des Kantons Truchtersheim und der westliche 
Teil des Kantons Schiltigheim werden im Volksmund das Ackerland 
genannt. 

* Ehemals bischöflich Straßburgisches Amt, benannt nach der 1592 
von Georg von Brandenburg genommenen und zerstörten Burg Ko- 
chersberg bei Neugartheim. 

3 Die ehemalige Grafschaft Hanau-Lichtenberg. 



■ 

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170 - 



Tag, an dem die große Messe aus Anlaß dieses Ereignisses 
gelesen wurde, in hervorragend festlicher Weise begingen und 
daß diese Kirchweihe, dieser Meßlag etwa im Laufe der Zeit 
verweillicht oder von well liehen Veranstaltungen überwuchert 
wurde, so daß bloß noch der Name verblieb. Auch die viel- 
. gebrauchten Wörter Kirmeß in Holland und Messe im Sinne 
von Jahrmarkt in Altdeutschland lassen dieselbe Ableitung zu. 

Aber es ist zweifellos, daß der Ursprung der kirchweib- 
artigen Volksfeste im grauen Altertum zu suchen ist. Andeu- 
tungen darüber finden sich an mehreren alten Gesetzesstellen 1 . 
Die Kirche fand den heidnischen Brauch vor und gab ihm einen 
christlichen Anstrich, da sie das volkstümliche Fest nicht zu 
zerstören vermochte. So verknüpfte sie das heidnische Fest, 
das wir jedenfalls als «in Dankfest nach eingebrachter Jabres- 
ernte anzusprechen berechtigt sind, mit der Erinnerung an die 
Einweihung der Kirche und die damit gefeierte Kirchen messe. 
Allmählich erfüllte ein christlicher Geist die heidnische Sitte, 
und die Anschauungen des Volkes über ihre Entstehung und 
Bedeutung wurden verändert. 

Diese Verschmelzung heidnischer Sitten mit christlichen 
Festen und Einrichtungen ist zu bekannt und in ihren Wir- 
kungen bis zum heutigen Tage zu offenkundig, als daß sie noch 
einer besonderen Begründung bedürfte. Für die Ueberlragung 
der mit heidnischen Freudenfesten verbundenen Gebräuche auf 
die christliche Kirchweihe gibt es aber einen unmittelbaren 
Beweis, dessen Wichtigkeit nicht genug betont werden kann. 
Papst Gregor der Große (590 —604) nämlich richtete um das 
Jahr 600 an den angelsächsischen Abt Mellitus ein für den 
Bischof Augustinus bestimmtes Schreiben«, worin es u. a. heißt 3 : 
«Und weil sie (die Angelsachsen) an den Festen der Teufel 
viele Rinder zu schlachten pflegen, so ist es durchaus notwen- 
dig, daß man diese Feier bestehen läßt und ihr einen andern 
Grund unterschiebt. So soll man auch auf die Kirchweihtage 
und an den Gedächlnistagen der heiligen Märtyrer, deren Re- 
liquien in denjenigen Kirchen aufbewahrt werden, die an der 
Stätte heidnischer Opferhaine erbaut sind, dort eine ähnliche 
Feier begehn, soll einen Feslplalz mit grünen Maien umstecken 
und ein kirchliches Gastmahl veranstalten. Doch soll man nicht 
ffirder zu Ehren des Satans Tieropfer bringen, sondern zum 



1 M o n t a n u s, Die deutschen Volksfeste. Iserlohn und Elberfeld, 
Bädeker, 1854. I, S. 57. 

* In der lateinischen Urschrift abgedruckt bei Pf ann e ns ch mi d, 
Germanische Erntefeste, Hannover, Hahn. 1878, S. 531 f. 

* Nach der Uebeisetzung von Montanus, a. a. 0., S. 57. 



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Lobe Gottes und um der Sättigung willen die Tiere schlachten 
und dem Geber alles Guten für die Speise danken.» Wenn 
auch diese Auslassung des Hauptes der Kirche nicht allgemeiner 
Art war, so darf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit doch als 
sicher angenommen werden, und so ist gewiß auch im Elsaß 
den heidnischen Opfern ein christliches Mäntelchen umgehängt 
worden. Die kirchliche Bezeichnung hatte nur eine untergeord- 
nete Bedeutung. 

Bis zur Reformation. 

Bis ins späte Mittelalter ist uns über die Kirchweih- und 
Meßtagsgebrüuche, soweit sie das Elsaß betreffen, so gut wie 
gar nichts bekannt». Die Quellen versagen fast vollkommen. 

Daß im Jahre 1313 bereits in Zaber n Meßtag war, wurde 
schon erwähnt. Das älteste Meßtagbuch im dortigen Stadt- 
archiv stammt aus dem Jahre 1484. Ferner sind in der ersten 
Hälfte des 15. Jahrhunderts zwei Meßlage in Pfaffenhofen 
und einer in Uttweiler nachgewiesen *. Weiter wissen wir 
nichts. 

Die allgemeine Zügellosigkeit der Sitten und die Verwelt- 
lichung der Kirche bemächtigte sich auch des Kirchweih- 
festes. Am Ende des 15. Jahrhunderts finden wir es im 
Straßburger Münster, und zwar ist es kein erfreuliches Bild, 
das uns Wimpheling 3 und Maternus Berler da- 
von entwerfen. Der Wortlaut des letzteren (um 1510) möge 
hier folgen * : «Es was vor zitten ein gewonheitt das die men- 
schen die abent der hoch zittlichen festen und heiigen wachten 
bey einander in der kyrchen mit betten, fasten, kertzen brennen, 
in horrung und verkundung desz vortt Gottes zu sterkung des 
glaubens als dan sanct Jeronymus schribt ad Vigilantium. Solche 
gutte gewonheitt kam zu einem mieszbruch, also das nitt mer 
pliben ist dan der nam Vigilie und die werck hyndan gesetzt. 
Nun wasz zu Straszburg eine solche gewonheit das jerlich am 
abent der Kyrchweihung desz oberstem) temples ein grosz volk 



> Die spärlichen Berichte über die Kirchweihe in den andern 
Ländern deutscher Zunge sowie über ähnliche Feste der heidnischen 
Vorzeit s. bei Reimann, Deutsche Volksfeste im 19. Jahrhundert. 
Weimar, 1&39. S. 243; ferner bei Montanus und Pfannen- 
s c h m i d , a. a. 0. 

2 Bezirksarchiv des Unter- Elsaß, E. 2978. 

3 Der lateinische Wortlaut ist abgedruckt beiPfannenschmid, 
a. a. 0., S. 534. 

4 Abgedruckt im Code historique et diplomatique de la ville de 
Strasbourg. Strasbourg, 1848. II, p. 119. 



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usz allen flecken weih und mann in dem tempel zusammen 
kam, do erhupt syech dan ein solche ungestumikeitt mitt 
schwetzen, lachen, suffen und fressen, und so eins ettwen 
entschlieft* so fandt man edlich bosz knaben die hellten der sel- 
bigen menttel oder kleyder mit negel uff die stiel und benck, 
edliche negten under weillen zwey ze sammen. Auch legt man 
ein fasz mitt wein in sanct Catherinen capell und wem wein 
gebrast der fand yn ze kouflen. Und geschach grosz hurry 1 
und bybery* darvon nitt ze schriben. Dar wider predigt der 
heilig doctor Joannes Keyssersberg so hefltig und trefflich das 
solche bose gewonheil ward abe gelhon mit hilff Petter Schott 
ammeisters ...» 

Diese nach heutigen Begriffen unglaublichen Zustände, die 
Charles Spind ler» in seinen «Bilderbogen» dargestellt hat, 
waren in jener Zeit nichts Außergewöhnliches. Die Kirchweih- 
gelage im Straßburger Munster vermochte Geiler zwar abzu- 
schaffen, aber noch 1508 klagt er*: «Also geschieht es den mit 
den Kirchweihen und Jahrmerkten : Dy misbrauchen die Welt- 
lichen zu jrer Seel Verdamniß.» 

Von der Reformation bis zur französischen 

Revolution. 

In die gewaltige Sittenverderbnis des 16. Jahrhunderts 
fällt die Reformation. Besonders war es Luther, der in der 
derben Sprache der damaligen Zeit in Wort und Schrift den 
Kirchweihen zu Leibe rückte. «Auf den Kirchweihen,» so 
schreibt er*, «welchen das Volk nachläuft, sind allenthalben 
Schenken und Krüge, worin es zugeht wie im rechten Babylon ; 
denn also hält man jetzt die Kirchmesse, und so es Abend 
wiid, so kehren sie wieder heim mit vollem Ablaß, das ist 
voll Bier und Wein, voll Unzucht und andern greulichen Lastern 
... Es fehlt selten, daß nicht etliche auf der Kirchmesse er- 
stochen werden oder doch schwer verwundet.» Luther wollte 
daher die Kirchweihfeste ganz ausrotten, «sintemal sie nichts 
anders seien denn rechte Tabern , Jahrmarkt und Spielhöfe 
worden, nur zur Mehrung Gottes Unehre und der Seelen Un- 



i Von mhd. hurren, sich schnell hin und her bewegen. 
» Büberei; vgl. Ch. Schmitt, Wtb. d. Str. Mda. «Bawerii». 
sCharlesSpindler, Elsässer Bilderbogen. Straßburg 1896. 
Bl. 53. 

■* Birlinger, Alemannia II (1875), S. 145, Anm. I. 

*> Walch'sche Ausgabe seiner Werke. Halle. 1740, III, S. 1754. 



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— 173 



Seligkeit.» 1 An einer andern Stelle» nennt er die Kirmessen 
ein Menschenwerk und Dockenspiel, das die Obrigkeit cwegen 
des säuigen Gefräßes, des SolTs und der Unordnung halber» 
abschaffen sollte. 

Ganz im Sinn und Geiste Luthers wurde nun in ganz 
Deutschland die Kirchweihe von der geistlichen und der welt- 
lichen Obrigkeit mit unerhörtem Eifer verfolgt. Zwei und ein 
halbes Jahrhundert lang bieten uns die protestantischen Kir- 
chenordnungen, die Erlasse und Verordnungen das Bild des» 
Kampfes. Wenn sich auch nur vereinzelte Bemerkungen über 
Tanz, Trunk und Spiel und sehr weniges über Sitten findet, 
so erfahren wir doch in anschaulicher Weise, wie die Behör- 
den unablässig auf die Ausrottung von Kirchweihe und Meßtag 
hin arbeiten, wie aber auch das Volk ebenso erbitterten als 
erfolgreichen Widersland leistet. 

Für die evangelischen Gemeinden unseres Gebiets kommen 
folgende Kirchenordnungen in Betracht : Die Straßburgischen 
Kirchenordnungen von 1534, 1598, 1605 und 1670, die Ha- 
nauische Kiichenordnung von 1573 und die Hanauische ver- 
mehrte Kirchen- und Schulordnung von 1659, die Pfalzgräflich 
Zweibrücken - Birckenfeldsche Kirchenordnung von 1721, die 
Na3sauische Kirchenordnung von 1532 und die Nassau-Saar- 
brückenschen Kirchenordnungen von 1586 und 1713. Die Straß- 
burgischen Kirchenordnungen halten im allgemeinen auch Gel- 
tung für die Stadt Weißenburg, das Gebiet der Reichsritter- 
schaft und die Herrschaft Fleckenstein. 

Man pflegt häufig die gute alte Zeil zu loben und als ein 
Muster kirchlicher Zucht und weltlicher Ordnung hinzustellen. 
In Wirklichkeil sah es in der alten Zeit nicht besser als heut- 
zutage aus, sondern eher schlimmer. Die elsässische Landbe- 
völkerung führte überhaupt ein üppigeres, ausschweifenderes 
und unsittlicheres Leben, ihre Sitten waren derber und roher. 
Die Nassauische Kirchenordnung von 1532 erklärt gerade- 
zu, daß «die Kirchwyungen nichts anders sind als rechte 
Tabern *.» 

In der ersten Slraßburger Kirchenordnung von 1534 lesen 
wir*: «Zum Vierden, demnach vff dem land ein großer, vnnd 
den armen leüten ein beschwerlicher Mißbrauch ist, mit den 



i Das. X, S. 261. 

* Wittenberger Hauspostille, zitiert in Montanas, a. a. 0., 

S. 58. 

* Pfannenschraid, a. a. 0.. S. 252. 

4 Ordnung vnd Kirchengebrauch, für die Pfarrern vnnd Kirchen- 
dienern zu Strasburg, vnd derselbigen angehörigen, vff gehabtem 
Synodo fürgenommen. [15.54] S. 25. 



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kirchweihenen vnnd meßtagen, vff welche die Armen leüt, das 
jr mit häuften verschwenden, geübet werden, das es bei den 
Heyden nit erlitten were, dadurch das jung vnd frembd Volck 
höchlich verengeret würt. Soliche Heydnische, ja vihische miß- 
breuch sollen abbestellet, vnd in allen flecken mit namen ver- 
spotten werden, das niemand vberal, weder fremd noch hey- 
misch gestattet werde, vnder den Zeiten, so man vfT soliche 
tag predigt, zu thantzen, zechen, oder ander üppikeyt zu treiben. 
Vnd so man mitler zeit freüntlich zeren, oder auch jungem Volck 
ein thantz erlauben würde, so sollen alweg etliche besonder dapf- 
fere menner verordnet werden, die al wegen darbey seien, vnd 
ein ernstlich einsehen haben, das in dem zechen eins Ersamen 
Rahts Constitution vnd Ordnung, nit vbertretten, vnd im thant- 
zen keyn vnzucht, wie dann das jung landuolck etwann gar zu vil 
vnuerschaiiiet ist, begangen, vnd zu rechter Zeit auch vffgehöret 
werde, damit sie nit biß in die mitnacht vnd länger dantzen, 
vnd dabey alle vnzucht treiben, vnnd dann erst bei nacht 
heym ziehen.» 

Durch die Leiningische Polizeiordnung von 1566 werden 
«die Freß-Kiichweihen bey peen zehen Guldno verboten i. 

1595 ist im Berstetter Kirchenarchiv * berichtet, daß «die 
zu Berstett am fressen sauffen vnd meßtaghalten mehr gelegen 
gewesen als an den Gottesdiensten.» 

Die Straßburger Kirchenordnung von 1605 enthält nichts 
besonderes über die Meßtage. Sie verlangt nur (S. 358), daß 
bei der Kirchenvisitation die Visitatoren auf «vberflüssiges 
Fressen vnd Sauffen, auch vnzüchliges Tantzen bei Hochzeiten, 
oder sonst an andern Orthen vnd zeilen» achten sollen. Ge- 
nauere Auskunft erhalten wir aber durch eine Predigt, die der 
Straßburger Münsterpfarrer Dr. Johannes Schmidt um 
die Mitte des 17. Jahrhunderts in Bezug auf den Schiltigheimer 
Meßtag hielt. Er sagte u. a. folgendes : 3 «Sonntags, Montags 
und Dienstags in den nahgelegenen Orten, aus welchen man 
gleichsam Saufschulen und Saufdörfer gemacht hat, da sind 
unsere Leute zu Gutschen, zu Wagen, zu Roß und zu Fuß in 
großer Menge bei 100 und lOOOden hinausgefahren und haben 
Meßtag oder Bacchus-Fest gehalten mit Wohlleben, Zechen, 
Freßen, Saufen und großer Leichtfertigkeit ; hernach mit zyklo- 
pischem Jölen und Schreien, toll und voll gutenteils des Abends 
heimgezogen ; ja etliche und zwar auch nicht wenig Weibs- 

1 Pfanne nschmid, a. a. 0., S. 252. 

2 Bresch, Aus der kirchlichen Vergangenheit der drei etsässi- 
schen Dörfer Berstttt, Ohvisheim und Eckwersheira. Straßburg, Heitz, 
1878 S 53 

's Stra'ßburger Post 1905, Nr. 81 1. 



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personen sind gar aus der Stadt blieben ; da dann ein jedes 
ehrliebendes Gemüt denken mag, was sie die Nacht über an- 
gestellt und wie sie gehausei. Ich für meine Person hätte mirs 
so grausam nicht eingebildet, wenn ich nicht selbst am Diens- 
tag nach 6 Uhr zu Abend ohngeföhr, da ich nach Gewohnheit 
von einem Tor zum andern gangen und ruhige Gedanken zu 
haben vermeinet, den letzten Akt dieses abscheulichen Spiels 
d. i. den Einzug in diese Stadt gesehen. Nun da ist man mit 
Rossen, Gutschen, Wagen und Kärchen daher geritten und ge- 
rennet, als wenn man auf der Flucht wäre. Wenn dann die 
Wagen hereingebracht worden, sind die Bauersleute wieder 
herausgeritten, als wenn sie unsinnig ; die übrigen sind bei 
ICO und lOOOden, ja bei lOOOden, sag ich, zu Fuß daher ge- 
türmelt, mit Geschrei und Unwesen, daß es nicht zu beschreiben, 
also daß so lang ich bei hiesiger Stadl bin, mir dergleichen 
ganz Epicuräisches Säu- Wesen nicht vorkommen, auch aufs 
höchste darüber bin betrübt worden. Und dies alles ist geschehen 
an unserem Bettag. 0 des elenden Bettags! Da jetzo ein jeder 
leicht denken kann, mit was Andacht man die Predigt gehört 
und die Litanei gesprochen : denn welcher Leute Gedanken 
allbereits hinaus zum Schlemmen, zum Meßlag, zum Huren- 
tanz gestanden.» 

Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts erfahren wir vom 
Fessenheimer Pfarrer R i p p e 1 1 » : «Allein ist zu disen Zeiten 
zu bedauren, daß wegen Interesse mehr die Kirch-Weyh in 
den W r irths-Häuseren bei Schlemmen, und Luderen, Tantzen, 
und Rauffen, als in der Kirch gehalten wird. Ja wiewohl die 
Lutherische wenig auf die Kirch-Weyh hallen, und solche ab- 
geschaffet, so ist dannoch die Einweyhung des Wirths-Hauses 
wegen dem Interesse der Herrschaften überblieben, und ist 
also die Kirch-Weyh aus der Kirch ins Wirts-Hauß meist trans- 
ferirt worden.» 

In der Grafschaft Hanau-Lichtenberg scheint es besonders toll 
zugegangen zu sein. Denn eine der ersten Fragen, die die erste 
hanau-lichtenbergische Synode am 8. April 1546 zu Pfaffenhofen 
behandelte, war die des bisher üblichen Sonntagstanzes, welcher 
auf Grund eines Gutachtens Bucers untersagt wurde *. Und 
1565 wurde verfügt, daß in allen Aemtern der Grafschaft, wo 
keine Jahrmärkte gehalten werden, die Meßtage abgestellt wer- 
den und demnach solche nur noch in Buchsweiler, Neuweiler, 

1 Rippell, Altertum, Ursprung und Bedeutung aller Ceremo- 
nien, usw. Augsburg und Freiburg, Wagner, G. Aufl. 1757, S. 444. 
(1. Aufl., 1723, S. 458). 

2 Rathgeber, Die Grafschaft Hanau-Lichtenberg. Straßburg, 
Trübner, 1876. S. 95. 



17G — 



Pfaffenhofen, Obermodern, Westhofen und Halten verbleiben 
sollen i. 

Es ist schwer, sich aus solchen vereinzelten Auslassungen, 
die fast alle die persönliche Auffassung ihres Verfassers wieder- 
geben, ein geschichtlich treues Bild vom Meßtagsfeste und vom 
Meßtagslreibtn zu machen. Abgesehen von der bereits erwähnten 
Straßburger Kirchenordnung von 1534 erfahren wir aus den 
alten Kirchenordnungen nichts, was die Meßtage und Kirch - 
weihen besonders anginge. Sie schweigen teils vollständig über 
dieses Gebiet, so insbesondere die erste hanauische Kirchen - 
Ordnung von 1573, teils bewegen sie sich in allgemeinen Vor- 
schriften über die Ruhe während des Gottesdienstes, über das 
Verbot des Spielens «oder anderer Unzucht» bei Strafe des 
Turmes 2 , teils über den sittlichen Lebenswandel 8 , teils über die 
Sonntagsheiligung*. In ausführlicher Weise handelt aber die 
Hanauische vermehrte Kirchenordnung über die Meßtage, und 
wenn wir bedenken, daß sie nur 11 Jahre nach dem West- 
fälischen Friedensschluß erschienen ist, so gehen wir in der 
Annahme nicht fehl, daß die gerügten Mißstände noch die 
Folgen des großen Krieges sind. Jedenfalls ist sicher, daß die 
tiefen Wunden, die das lange Kriegswesen der Grafschaft ge- 
schlagen haben, nicht imstande waren, im Volke den Sinn für 
Vergnügungen und Lustbarkeit zu ersticken und daß trotz der 
Entvölkerung und Entsittlichung doch noch ein fester Kern des 
Volkstums und ein gewisser Gemeinsinn geblieben sind. So 
hatte beispielsweise die Behörde 1646 Anlaß, in Dalbronn das 
Tanzen zu verbieten 

Außerdem finden sich in den Kirchenarchiven der ehemals 
hanauischen Dörfer Mittelhausen, Schvrindratzheim, Altecken- 
dorfy Ringendorf, Obermodern und Geuderlheim, die auch 
die Filiale Hohatzenheim, Schalkendorf und Biellenlieim be- 
treffen, eine große Zahl von Dekreten der hanau-lichtenbergi- 
schen und später der hessischen Regierung sowie ausführliche 
Presbyterialprotokolle, die uns ein anschauliches Bild über die 
Zustände in der GrafschaR im 18. Jahrhundert geben. 

Es lohnt sich, auf Grund dieser Quellen näher auf die 
Verhältnisse einzugehn. Die derbe Sprache in den Auslassungen 
jener Zeit, die alles unter dem sittlichen Gesichtswinkel des 



1 Kiefer, Steuern, Abgaben und Gefälle in der ehemaligen 
Grafschaft Hanau Lichtenberg. Straßburg, Noiriel [1891]. S. 31. 
a Straßburgische Kirchenordnung von 1670, S. 372. 

3 Das., S. 376. 

4 Pfalzgräfliche Kirchenordnung von 1721, S. 56, Art. X. 

* Kiefer, Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lichtenberg. Stnaii- 
burg, Heitz, 18!M). S. 345. 



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177 - 



jungen Protestantismus zu betrachten pflegten, darf uns nicht 
weiter befremden. 

Die hanauische Kirchenordnung beklagt zunächst (S. 89), 
daß die Pfarrer an der Entheiligung des Sonntags mitschuldig 
sind, da sie «freventlich . . . mit Meßtag halten, vnd es an- 
dern hierin nicht allein gleich, sondern oflft bevor thun,» daß 
sie ferner «das Kinder-Examen J , sonderlich vmb der Meßtage 
Willen gar vnterlassen» und «welches das allerärgste, daß sie 
insonderheit die Sontägliche Meßtage, nicht allein lassen pas- 
siren, vnd selber halten, sondern auch noch mit gar guten 
vnd geistreichen Predigten, wie sie meynen, zieren vnd ver- 
t heidigen. Vnd dieweilen sie aber, wie man weiß, darinnen von 
solchen Dingen auß der Schriflft vnd andern Büchern groß di- 
centes machen vnd predigen, welche zwar an sich selbst wahr- 
haftig, vnd nicht zu verwerflen seind : Aber aufT das bey vns 
jetztfürgehende wilde, vnehristliche Meßtagwesen sich so wenig 
reimen und schicken, als ein Faust aufT ein Aug ...» Vom 
großen Haufen des Volks aber heißt es (S. 87) : sie «treiben 
allerley Sünd vnd Laster am Sontag, halten Meßtag an jhren 
Orten ; oder lautfen darzu in die nachbarschalTt vmher, gleich 
wie ein Camelin in der Brunst, vnd wie ein wild in der Wüsten 
pfleget, wenn es für großer Brunst lechtzet vnd laufft, das nie- 
mand auffhalten kan . . .» 

Und in weitläufigen lateinischen Auseinandersetzungen ist 
auf die Frage, ob bei aller Frömmigkeit die Jahrmärkte am 
Sonntag gefeiert werden können, gesagt : Nein, denn mit den 
Jahrmärkten sind Zehntausende von Lastern verbunden, wie 
jedermann bekannt ist (S. 97). Welches diese Laster sind, 
ist schon vorher (S. 96 f.) erörtert : es ist das Würfel-, Kegel- 
und besonders das Kartenspiel um Geld oder einen sonstigen 
Gewinn, ferner der Kreistanz oder das gemeine Tanzen, 
welche aus dem Leichtsinn, dem Mutwillen und dem gemein- 
samen Trinken entspringen und der Begleiter und Ursprung 
vieler Laster sind, weil sie die Jünglinge in Gesellschaft der 
Mädchen abseits von der gehörigen Beaufsichtigung schamlos 
machen und verderben und nicht selten unreine Liebe bei bei- 
den Geschlechtern hervorrufen und anreizen. Zum Schluß heißt 
es, das Springen beim Tanz sei der Sprung in die Tiefe der 
Hölle. Die Kirchenordnung schreibt denn auch klar und deutlich 
den Willen des Grafen Friedrich Casimir vor (S. 92): «Wir 
ordnen, setzen, wollen und gebieten, daß hinfüro die Kirchweihen 
und Meßtage an denen Orten, da nicht offene, freye Jahrmärkte 



i = den Religionsunterricht. 

12 



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— 178 — 



gehalten werden, gäntzlich abgestellt vnd abgeschafft seyen. 
Daß auch vnsere Vnterthanen aufl dieselbige Meßtage jhre Freund 
vnd Gaste, nicht insonderheit laden sollen. Es sollen auch vn- 
sere Schuldheißen mit fleiß vorsehen, damit nicht durch die 
junge Gesellen aufl solche Tag Tantze angestellt werden ; deß- 
gleichen sollen die Wurth auch für solche Gesellschaften nicht 
kochen noch zubereiten uff die Meßta^e.» 

Trotz dieser klaren, nicht mißzuverstehenden Vorschriften 
ist aber in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg der Meßtag durch- 
aus nicht abgeschafft worden. Der Kampf um den Meßtag tobte 
viele Jahrzehnte lang auf der ganzen Linie. Zwar ist es nicht 
ausgeschlossen, daß das strenge Gebot der Kirchenordnung von 
1659 allgemein oder in vielen Ortschaften befolgt wurde. Ur- 
kundliche Belage über etwa abgehaltene Meßtage zwischen 1659 
und 1736 lassen sich nicht anführen. Aber das hanauische 
Konsistorium sah sich 1713 und 1733 veranlaßt, scharfe Dekrete 
gegen das Tanzen zu erlassen, welches mit der Zeit einen ganz 
gewaltigen Umfang angenommen hatte. An den höchsten kirch- 
lichen Feiertagen, auch am Karfreitag, sowie in der Advents- 
und Passionszeit wurde damals gerade am unbändigsten getanzt. 
Nach den Berichten der Speziale (nach heutigen Begriffen geist- 
liche Inspektoren) wurde 1720 fast von jedermann am Sonntage 
getanzt. Es ist darum nicht wahrscheinlich, daß die Landge- 
meinden ihre Meßtage aufgegeben haben. 

Durch Dekret vom 29. April 1716 wurde das Tanzen am 
2. und 3. Oster- und Pfingsttag erlaubt, sofern nicht acht Tage 
vorher oder nachher Abendmahlsfeier abgehalten wurde. 1 

Als im Jahre 1736 die Landgrafen von Hessen das hanau- 
ische Erbe antraten, machte sich alsbald ein strengeres Kirchen- 
regiment bemerkbar. Durch hochfürstliches Dekret vom 23. Juni 
1736 wurden die Presbyterien wiedereingeführt, eine Art geist- 
licher Siltengerichte mit kirchlicher und weltlicher Strafgewalt, 
die bereits in der Kirchenordnung von 1659 vorgesehen, aber 
mit der Zeit in Abgang geraten waren. Ueber die Beratungen 
dieser Presbyterien, die unter dem Vorsitz des Pfarrers aus 2 
oder 3 unbescholtenen Bürgern bestanden, führte nun der 
Pfarrer Protokoll, so daß uns für viele Gemeinden ein wert- 
volles Material für die Sittengeschichte und das Volksleben des 
18. Jahrhunderts überkommen ist. 

Die Presbyterialprotokolle enthüllen uns mit einem Schlage 
ein klares Sittenbild. Im Jahre 1736 steht der Meßtag in den 
genannten Dörfern in voller Blüte. Wir müssen daher wohl 
annehmen, daß dies schon längere Zeit vorher der Fall war 



i Pfarrarchiv von Ringendorf. 



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— 179 — 



und daß auch in andern Dörfern der Grafschaft dieselben Zu- 
stände herrschten. Die hanauische Regierung scheint nun, ent- 
gegen der Kirchenordnung, die Meßlage nicht mehr grundsätz- 
lich verboten zu haben, wohl aber legte sie ihnen Schwierig- 
keiten in den Weg und suchte sie auf Umwegen zu unterdrucken. 
Am 13. Juni 1737 erließ Landgraf Ludwig VIII. die «hanauische 
Sabbathsordnung». 1 Nach dieser war es verboten zu tanzen an den 
Sonn- und hohen Festtagen, ferner vom ersten Adventssonntag 
bis nach dem Dreikönigstag und die ganze Fastenzeit hindurch 
sowie am Oster- und Pfingstmontag und Dienstag, wenn das 
hl, Abendmahl am Sonntag vorher gehalten worden war oder 
am Sonntag nachher gehalten werden sollte. Den Musikanten 
war es in demselben Umfange bei 3 fl. Strafe verboten, 
«sich in öffentlichen Wirths- und anderen Häußern, auch 
Gärten, zu lüderlichen Täntzen oder auf andere mißsländige 
Weise gebrauchen zu lassen.» Und um auch diejenigen zu 
treffen, welche, um dem wachsamen Auge der kirchlichen 
Aufseher zu entgehen, in Nachbargemeinden, sogar in katho- 
lischen Dörfern, den Meßtag besuchten, wurde außerdem be- 
stimmt, daß das Tanzverbol sowohl in- als außerhalb der 
Herrschaft galt und daß die Strafe von 3 fl. nach Befinden 
noch erhöht werden konnte,. 

Durch diese scharfen Bestimmungen waren die tanzfreien 
und daher für den Meßtag geeigneten Tage sehr eingeschränkt, 
und man hielt nun den Meßtag an einem sogenannten Apostel- 
tag oder an einem katholischen Feierlag ab. An den Apostel- 
tagen wurden die monatlichen Bettage abgehalten. Die kath. 
Feiertage waren Maria Reinigung, Mariä Empfängnis, Maria 
Heimsuchung. Diese 15 Halbfeiertage wurden nur durch einen 
Morgengottesdiensl gefeiert, nach dessen Beendigung die Leute 
ihren gewohnten Arbeiten nachgehen konnten. Sie bestanden 
bis zum 6. September 1770 2 . Aber schon 1740 wurde durch 
ein Dekret vom 20. September bestimmt, daß das Tanzen auch 
an diesen Halbfeiertagen verboten ist, falls am Sonntag vor- 
oder nachher das hl. Abendmahl gefeiert würde oder werden 
sollte. Dieses Dekret besagt ausdrücklich, daß «die christliche 
Oberkeit gern wünschen möchte, daß das Tantzen als eine zu 



1 Pfarrarchiv von AUeckendorf, auch teilweise abgedruckt im Eis. 
Samstagsblatt von 18G1, S. Hl ff. — Es waren von der hanauischen 
Regierung schon l'A'd (also noch vor der Einführung der Reforma- 
tion), 1(520 und 1GÜ7 Sabbatsordnungen erlassen worden, die sich 
in dem Großherzoglichen Haus- und Staatsarchiv zu Darmstadt be- 
finden und für die vorliegende Arbeit nicht zu beschaffen waren. 

2 Vgl. auch über die allgemeinen Verhältnisse: Kassel, Aus dem 
alten Hanauerlaud im «Ev.-prot. Kirchenboten> 1893, Nr. 24 und 25. 



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— 180 — 



vielen Unordnungen und Gotl mißfälligem Betragen Anlaß ge- 
bende Lustbarkeit ganzlich abbestellt weiden könnte», daß aber 
dieses «in verschiedenem Betracht nicht füglich geschehen mag». 
Und später scheint der Bogen noch straffer gespannt worden 
zu sein, denn dem Wirt Schüler von Hingendorf i , der 1757 
den Meßtag auf den Tag Ludovici abhalten wollte, antwortete 
das Konsistorium, falls an dem Tage kein Bettag sei und nicht 
am Sonntag vor- oder nachher das hl. Abendmahl gefeiert werde, 
dürfe er 2 Spielleute, keineswegs aber den ordentlichen Meßtag 
hallen. 

In den erwähnten Presbyterialprotokollen bilden die Verhand- 
lungen wegen Uebertretung des Meßlagverbots einen fortlaufen- 
den Bestandteil. Die Pfarrer klagen über das Fressen und Saufen, 
Spielen und Tanzen, Huren und Buhlen, Schwören und Fluchen, 
Streiten und Zanken, Schreien und Johlen. Insbesondere sind 
es die Wirte, denen die Abhaltung der Meßtage übel genommen 
wird und die für ihr «Verbrechen» büßen müssen. So stand 
der Wirt Lukas Reichert am 7. Oktober 1738 vor dem Pres- 
bylerium zu AU- und Eckendorf, weil er «nicht allein den 
Meßtag vor der gehaltenen Kirchenlehre 'aufgeführt, sondern 
auch unter derselben solchen mit tantzen, spielen, sauften und 
freßen gehalten», und weil er nach der Kirchenlehre auf dein 
Kirchhof erschien und die Bürgerschaft mit den Worten einlud : 
«Ihr Bürger, ihr wißt, daß der Altdörfer Meßlag heut ist, ihr 
möget ja fleißig kommen, daß ich es nicht noch einmal sagen 
darf!» In Bezug auf den Standpunkt der Wirte und des Pfar- 
rers am Meßtag isi das Presbyterialprotokoll besonders kenn- 
zeichnend, welches Pfarrer König von Mittelhausen am 1. No- 
vember 1740 aus Anlaß des Meßtags verfaßte. 

Der Wirt Leonhard war angeklagt, die Veranstaltungen 
zum Meßlag zu t reifen, «und seine eigenen Söhne sind die 
Meßtagsknaben (Meßtiburschen nach heutigen Begriffen), mithin 
die verführerischen Lockvögel, die andere zur Gottlosigkeit 
reitzen.» Der Wirt und zwei seiner Söhne wurden vor das 
Presbyterium zitiert, wo ihnen der Pfarrer vorstellte, «wie ihr 
Vorsatz lauter Leichtfertigkeit zum Endzweck habe ; dann 
tantzen, ludern, freßen, saullen, spielen und dergleichen, sind 
Dinge, die dem Christenlhumb schnurstracks zuwiederlaufTen. 
Kurtz, es seye dieses eine Handlung, aus welcher unzehlige 
andere Sünden entspringen. Diese mit vielen Worten begleitete 
Vorstellung würckte zwar so viel, daß die Beklagten, sonder- 
heillich aber die gemeldten Söhne frey öffentlich gestunden : 
ja, sie wüßten es wohl, wie dergleichen sündliche Eitelkeiten 

1 Pfarrarchiv von Ringendorf. 



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— 181 — 

keinem Christen geziemen und mit gutem Gewißen nicht kirn- 
ten verübet werden, auch keinen Segen bringen ; gleichwohl 
aber wäre doch dieses eine uberall eingeführte Gewohnheit und 
müßte man über das bey der starken Aufflage des Ohmgeldes 
(eine Weinsteuer) auff allerhand Mittel bedacht seyn, wie man 
einen Pfenning gewinnen möge. Ich replicirte: Tausend Jahr 
sündliche Gewohnheit seye in den Augen Gottes keinen Augen- 
blick recht, und ein sündlicher Gewinn möge notwendig den 
göttlichen Fluch nach sich ziehen. Endlich antworteten die Söhne, 
sie ließen es aufT den Vatter ankommen, vielleicht wird er anderen 
Sinnes. Bald darauf bescheidete ich den Vatter, welcher zwar 
meine nach aller Möglichkeit gethane Vorstellungen nicht miß- 
billigte, gleichwohl aber sich von der Geld Begierde überwinden 
ließ, mit Vorgeben : er würde ja eben deßwegen nicht in die 
Hölle kommen, Gott seye gnadig und es werde schon noch 
Zeit übrig seyn, da man sich bekehren könne. Ich verfluchte 
solch vermeßenes Vertrauen und sagte: Wehe der Seele, die 
auf Gottes Barmberzigkeit hin sündiget und die Gnaden Zeit 
auf solche Art mißbrauchet! Endlich ging dieser gottlose Vatter 
im Zorn fort, nahm meine treuherzige Ermahnung nicht an 
und hielt nach seinem Vorsatz das teuffliche jubilaeum i. e. 
den Meßlag.» Soweit Pfarrer König. Vierzehn Tage nachher 
wurde der Wirt mit seinen drei Söhnen wiederum vorgeladen, 
und diesmal versprachen sie nach Anhörung einer tüchtigen 
Strafpredigt «mit Hand und Mund, dergleichen Gottlosigkeiten 
in ihrem Hauß nicht nur die Zeit ihres Lebens nimmermehr 
zu dulten, sondern auch im übrigen sich eines gollseeligen 
Wandels zu befleißigen». Ob der Wirt und seine Söhne ihr 
Versprechen gehalten haben, läßt sich aus den Prolokollen nicht 
ersehen, da von 1742 bis 1755 die Einträge fehlen. 

Wie sehr der Meßtag trotz aller Verbote in das Volksbe- ' 
wußtsein eingedrungen war, beweist ein Fall in Alteckendorf, 
wo 1737 der herrschaftliche Schultheiß den öffentlichen Vur- 
tanz anführte, und ein anderer Fall, wo 1767 der W r irt Georg 
Sch weyer von Schalkendorf, der zugleich Stabhalter und Kirchen- 
ältester war, den Meßlag hielt, trotzdem Sonntags darauf das 
Abendmahl im Dorf gefeiert, wurde. Daß gerade in dieser letz- 
teren Hinsicht die Pfarrer willkürlich den Meßtag verhindern 
konnten und es auch absichtlich taten, liegt auf der Hand. Die 
Dorfgenossen nahmen aber solche offenbaren Verdrehungen mit 
Entrüstung auf. In dieser Hinsicht ist der Fall des streitbaren 
Pfarrers Kampmann von Scliwindratzlieim geradezu vorbildlich. 

Die dortigen Wirte wollten 1740 auf Ludovici, einen Don- 
nerstag , den Meßtag abhalten. Vorsorglicher Weise hatte aber 
der Pfarrer Sonntags vorher das hl. Abendmahl gefeiert und 



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— 182 — 



beeilte sich nun, an das bochfürst liehe Konsistorium zu berichten 
mit der Bitte, «da Ii man von seyien dieses Collegii diesem L'n- 
fug zeitlich vorzubeugen geruhen werde». Daraufhin wurde der 
Meßtag verboten, aber trotzdem abgehalten, und sämtliche junge 
Leute hatten sich eingefunden. Bei Beginn des Tanzes erschien 
der Schultheiß und las das obrigkeitliche Vertat vor. Aber die 
Gesellschaft störte sich nicht daran, die Wirte stießen sogar 
viele Schmähreden aus. Wirte und « Meßtagsknaben» (die heu- 
tigen Meßtiburschen ) bekamen Geldstrafen. Einige Wochen 
nachher aber verlangte der Pfarrer von den übrigen Bti rschen 
nach der Vnrbereitungspredigt zum hl. Abendmahl, daß sie an 
Eidesstatt geloben sollten, ihr Lvbtag nicht mehr zu tanzen, 
sonst würden sie das hl. Abendmahl sich zum Gericht und 
zu ewiger Verdammnis empfangen. Wenn sie sich übrigens 
dieser l'eppigkeit nicht zu enthalten getrauten, so sei es ihm 
lieber, wenn sie überhaupt nicht mehr zur Kirche gingen. Dar- 
aufhin verließen sämtliche junge Leute bis auf 6 Knaben die 
Kirche. Es wurde an das Konsistorium berichtet. Dieses lobte 
nun zwar seinen «sehr löblichen Eyfler», gab ihm aber doch 
in einer 3> 2 Folioseiten langen Auseinandersetzung Verhaltungs- 
maßregeln für die Zukunft und schließlich den vernünftigen 
Rat, das hl. Abendmahl nicht zu feiern, wenn Tänze in Schwin- 
dratzheim oder der Nachbarschaft bevorstehn. Auch sonst lag 
Pfarrer Kampmann mit den Wirten in stetem Streit. Schließ- 
lich zog er doch den kürzeren, erreichte gar nichts und bezog 
1747 eine andere Pfarrstelle in der Oberlausitz. 

Sehr bemerkenswert ist auch die Auffassung des Pfarrvi- 
kars Ehienpfort von Obermodem, der dem ledigen Spiel mann 
Jakob Pfad von Schalkendorf 17 43 zumutete, «seine zu vielem 
Aergerniß bißhero getriebene Spielmanns-Profession zu quittieren.» 

Aber die Zeiten wurden doch allmählich anders, und der 
Meßtag behauptete sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts 
siegreich. Die Chur-Pfälzische Kirchenordnung von 1763 ent- 
hält über Kirchweihe und Meßtag überhaupt nichts. 1764 wurde 
in Mittelliausen dein Wirt ausdrücklich erlaubt, «mit Billigkeit, 
in der Ordnung und ohne Klage Meß-Tag zu halten".» Am 28. 
Oktober 1766 hielten die drei Wirte von Obermodern wider den 
ausdrücklichen Regierungsbefehl Meßtag mit «Meßtagspurschen 
und Tellerausspielen». Erst am 22. Februar 1767 besprach der 
Pfarrer den Fall im Presbyterium, zu einem Beschlüsse kam es 
jedoch nicht. 1772 suchte Pfarrer Schaller von Obermodern ver- 
geblich, den Meßtag in seinem Filial Schalkendorf zu «inhibiren», 
das Konsistorium erlaubte ihn. Und 1782 erreichte er nur, 
daß der Meßtag, der einige Jahre am Ludwigstage gefeiert 
wurde, wieder auf Simon und Judä verlegt werden mußte. 



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- 183 - 



Wie streng es übrigens dieser Pfarrer mit dem Meßlag nahm, 
erhellt aus einem Eintrag- von 1776, wonach einige fremde 
Burschen, die sich auf Xachbarsmeßtagen bezecht hatten, in 
Obermodern bis gegen Mitternacht auf den Gassen herum - 
schwärmten und «ein unvernünftiges Brüllen von sich hören 
ließen». Sie wurden ihren Pfarrern angezeigt und auch bestraft, 
aber nicht wegen ihrer Teilnahme am Meßtag, sondern wegen 
der nächtlichen Ruhestörung. 

In den veränderten Zeitläuften erlitten auch die Ansichten 
über die Meßtagsfreuden eine allmähliche Wandelung. Die 
alte Kirchenzucht, die sich ehrlich die Bekämpfung des Lasters 
und die Erweckung christlicher Gesinnung zur Aufgabe gestelll 
hatte, hatte sich überlebt. Die sittenrichterlichen Befugnisse 
der Pfarrer und der Presbyterien zerflossen im Lichte der her- 
annahenden Revolution. 

Von der Bekämpfung der Kirch weihfeste durch die katho- 
lische Geistlichkeit in der vorrevolutionären Zeit ist uns nichts 
Wesentliches bekannt, sei es nun, daß die Feste in katholischen 
Ortschaften keinen Anlaß zum Einschreiten boten, sei es daß sie 
in vielen Gemeinden überhaupt nicht staltfanden. Schon 1723 und 
1757 ist bei R i pp el 1 der in Fessenheim Pfarrer war, die Rede 
von «rlutherischen Meßtägen» in einem Zusammenhange, der darauf 
schließen läßt, daß die Meßlage damals eine eigenartige Ein- 
richtung protestantischer Dörfer war. Urkundlich lassen sich 
Meßlage in folgenden katholischen Dörfern nachweisen : Min- 
versheim 1736 2 , Ueberach 1737 s ? Rumerheim 5. September 
1769*, Lichtenberg 1780&, Wingersheim 26. November 1786 6 , 
Hohatzenheim 3. Dezember 1786 ß , Mommenheim 12. Oktober 
17886. Aus dem Zusammenhang läßt sich schließen, daß es 
dabei recht hoch herging. 

Die weltlichen Behörden. 

Der Kampf der weltlichen Herrschaften und Behörden ge- 
gen die Kirchweihfeste und ihre vermeintlichen Auswüchse ist 
alt. In früheren Jahrhunderten, so lange die Herrschaften ent- 
weder geistliche waren oder sich in ihren Handlungen und 
Erlassen von religiösen Erwägungen leiten ließen, hatten die 



1 Rippell. a. a. 0., S. 444. 

2 Pfarrarchiv von Altechendorf, Presbyterialprotokoll vom ö. 
Februar 1737. 

3 Das., Presbyterialprotokoll vom 6. August 1737. 
* Pfarrarchiv von Mittelhausen. 

5 Bezirksarchiv des Unterelsaß, E. 5891. 

6 Notizbuch eines Schreiners, im Besitz der Familie Hornecker 
zu Mütellmusen. 



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— 184 — 



Oberen ein wachsames Auge auf die Feste. So wurde die 
Feier des Meßtags zu Hürtigheim 1685 bei 6 Pfund Strafe 
verboten Ebenso hatten die Herren von Rathsamhausen den 
Meßtag von Quatzenheim unterdrückt, und erst 1700 ließen 
ihn die Oberkirch wieder zu 1 . Ja man sagte den Herren v. 
Rappoltstein nach, daß sie den Meßtag absichtlich in ihrer 
Herrschaft duldeten, um die damit verbundenen Ausschreitungen 
mit hohen Geldbußen belegen zu können. 

Wenn die Abhaltung der Kirchweihfestlichkeiten geldliche 
Vorteile einbrachte, so ließen sie die weltlichen Herrschaften 
ruhig gewähren. Sie regelten die Eintreibung der Abgaben und 
liehen ihnen ihren Schutz. Selbst die hanauische Regierung, die 
einen so erbitterten Kampf gegen die Meßtage führte, verschmähte 
es nicht, Meßlagsabgaben zu erheben. Eine ausgesprochen meß- 
tagfreundliche Stellung nahmen die Herren Gayling v. Altheim 
ein, die vor der Revolution das Dorf Büsweiler besaßen. In den 
1780 er Jahren ließen sie die Bauern am Meßtag in den Schloß- 
hof ziehen, und die Schloßherren hatten vielen Spaß daran, wenn 
jene mit ihren Holzschuhen im Sand und im Dreck tanzten. 

Demgegenüber waren die Gemeindevorsteher, die Schult- 
heißen, Meyer, Stabhalter und Bürgermeister, die ja zum Volke 
selber gehörten und seine Anschauungen teilten, stets für die 
Erhaltung des Kirchweihfestes, so lange sie sich nicht mit ihrer 
Gemeinde in Widerspruch setzten. In den Genieinderatssitzun- 
gen vieler Ortschaften, insbesondere auch der hanauischen Dörfer, 
hat es manchen erbitterten Kampf gegeben, bis sich die Bür- 
germeister ins unvermeidliche fügten und zum Nachteil der 
Gemeindeeinkünfte dem Drängen der Pfarrer und ihres Anhangs 
auf Abschaffung der Kirwen und der Meßti nachgaben. 

Unter den Wirren der Revolution und der Napoleonischen 
Zeit litten auch die Kirchweihfestlichkeiten, ohne daß sie jedoch 
ganz eingingen. So wurde 1803 und 1804 in Hochfelden ein 
flotter Meßtag abgehalten. Die große Umwälzung sprengte auch 
die Fesseln der Kirch weihfeste. Die weltliche Obrigkeit selber 
war es, die ihre Hand dazu bot, und nun werden diese Fest- 
lichkeiten durch den Staat lediglich von polizeilichen und wirt- 
schaftlichen Gesichtspunkten aus beurteilt. Der Geist der Re- 
volution weht noch insofern nach, als ein junger Bursche es 
ist, der im brüderlichen Kreise gleichgearteter Dorfgenossen 
sich besondere Freiheiten erringt , der leitet und sorgt und 
dem Feste jenes eigenartige Gepräge verleiht, das es vor allen 
Veranstaltungen des Landvolks so vorteilhaft auszeichnet. 



1 R. Reuß, L'Alsace au 17« siecle etc. Paris, Bouillon, 1897 
1898. II, p. 87. 



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— 185 



Schon 1818 erließ der französische Minister des Inneren 
auf eine Anfrage des Präfekten des oberrheinischen Departements 
aus Anlaß eines besonderen Falles eine Instruktion worin es 
heißt : «Es wäre sehr hart, die Kilben zu verbieten, und es 
könnten hieraus Unannehmlichkeiten entstehen . . . Die Orts- 
behörde hat die Verpflichtung, die Menschenansammlungen und 
die Vergnügungen, die aus ihnen entspringen, zu genehmigen, 
indem sie die nötigen Maßregeln zur Aufrechterhaltung der 
öffentlichen Ordnung trifft. Der Tanz und andere derartige Ver- 
gnügungen sind erlaubt. Verboten sind die Hazardspiele und 
alle Vergnügungen, welche in ihrer Wirkung gefahrlich werden 
oder die öffentliche Sittlichkeit beeinträchtigen können. Die 
Ortsbehörde hat nach den Umständen und Oertlichkeiten zu 
ermessen, ob Menschenansammlungen gefährlich sind. Sie hat 
die Pflicht, sie in diesen seltenen Fällen zu verbieten und zu- 
treffendenfalls der vorgesetzten Verwaltungsbehörde über die 
Gründe zu berichten.» 

' Hierdurch waren die so heiß umstrittenen und vielge- 
schmähten Kirchweihfestlichkeiten staatlich genehmigt, und 
schon aus dem Jahre 1821 wird uns berichtet*, daß der Präfekt 
des Oberrheins, Graf Alexander v. Puymaigre, als er die Dörfer 
bereiste, um für die Regierung Stimmung zu machen, oft bei 
der Kilbe auf den öffentlichen Tanzböden mit der Frau Maire 
oder den weiblichen Anverwandten des Dorfgewaltigen tanzte ; 
denn das sei im Elsaß cur acte de popularite bien place», wie 
er selbst sagte. Er erhielt denn auch leicht den Namen «Bauern- 
präfekt» . 

Für unser Gebiet aber beginnt eine Blütezeit, die ein halbes 
Jahrhundert lang andauerte und diese schönen Volksfeste vieler 
Orlen zu einer idealen Entwicklung brachte. Zwar nahm, wie 
wir gleich sehen werden, die Geistlichkeit beider Konfessionen, 
den Kampf nur zu bald mit Erfolg wieder auf. Aber das Fest 
konnle nicht ganz unterdrückt werden, sondern erreichte den 
Gipfel seiner Ausgestaltung in den 18ö0er Jahren in den pro- 
testantischen Landgemeinden. Den sichersten Hort fand der 
Meßti in den Dörfern der ehemaligen Gratschaft Hanau-Lichten- 
berg, die auch sonst durch ihre kernhaften Sitten im ganzen 
Elsaß ausgezeichnet sind. 

Eine Verfügung allgemeiner Art, die sich mit den Kirch- 
weihfestlichkeiten befaßt hätte, scheint von den französischen 
Verwaltungsorganen bis 1870 nicht erlassen worden zu sein. 



> Recueil des aetcs de la Prefecture du Departement du Haut- 
Rhin, 1818. p. 117. 
* Straßburger Post, 1906, Nr. 704. 



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— 186 - 

Der deutschen Verwaltung war es vorbehalten, in Sachen 
der Kirchweihen Stellung zu nehmen. Infolge einer unten zu 
erwähnenden Eingabe des Direktoriums der Kirche Augsbur- 
gischer Konfession an das Ministerium ließ sich dieses von den 
Kreisdirektionen darüber berichten, auf wieviel Tage sich durch- 
schnittlich die Kilben» in den verschiedenen Gemeinden aus- 
dehnen, insbesondere wie weit der Gebrauch, dritte Kilbetage 
und Nachkilben zu feiern, verbreitet ist ; wieviel Sonntage im 
Jahr in den verschiedenen Gemeinden mit ersten Kilbetagen 
besetzt sind ; ob eine Zusammenlegung der Kilben auf einen 
und denselben Tag in weiteren Kreisen, etwa kantonsweise 
durchführbar erscheint ; welche Bedenken der Untersagung der 
Feier dritter Kilbetage und sogenannter Nachkilben entgegen- 
stehen würden. Die Kreisdirektion Straßburg-Land gab folgende 
zutrellende Antwort. 

Zunächst ist es wohl sehr fraglich, ob der Zweck der 
Anregung, die Landbevölkerung zu größerer Sparsamkeit und 
Sittlichkeit zu erziehen, nicht den gegenteiligen Erfolg haben 
wircj, daß die Landbevölkerung die Vergnügungen, die sie auf 
dem Lande nicht mehr findet, in der Stadt sucht. Dann 
sollte aber auch der althergebrachten Sitte, daß die in der 
weiteren Nachbarschaft wohnenden Verwandten sich bei dieser 
Gelegenheit gegenseitig besuchen, nicht gesteuert werden. Fer- 
ner fallen Gründe der Bevölkerungspolitik, den Verkehr zwi- 
schen den einzelnen Gemeinden nicht zu erschweren, ins Ge- 
wicht. Daneben sprechen auch praktische Gesichtspunkte, wie 
der Mangel an der nötigen Anzahl von Meßti-Unternehmungen 
und die Unzulänglichkeit der Ueberwachung durch die Gendar- 
merie bei den Kilben, gegen die Zusammenlegung. 

Das Ergebnis dieser Rundfrage war ein Erlaß des Mini- 
steriums, der den Kreisdirektoren des Unter-Elsaß durch Ver- 
fügung des Bezirkspräsidenlen vom 24. Juli 4888 mit folgen- 
dem Wortlaut mitgeteilt wurde : «In Ausführung eines Er- 
lasses des Kaiserlichen Ministeriums ersuche ich Sie ergebenst, 
auf die allmähliche Einschränkung des Mißbrauchs einer zu 
weiten Ausdehnung der Kilben und Nachkilben in den Ge- 
meinden Ihres Kreises hinzuwirken. Es handelt sich hierbei nicht 
um die Abschaffung althergebrachter Ortsfeierlichkeilen, sondern 
um die Einschränkung willkürlicher Uebertreibungen derselben, 
soweit diese über das legitime Vergnügen und Ruhebedürfnis 
der Bevölkerung hinausgehn. Sie wollen demgemäß auf die all- 
mähliche Beschränkung der Kilben auf zwei Tage und der 



1 Das Ministerium hat als Sammelname für das Kirohweihfest in 
ganz Elsaß-Lothringen das oberelsüssische «Kilbo gewählt. 



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Nachkilben, soweit letztere überhaupt nachweisbar herkömmlich 
sind, auf einen Tag hinwirken. Als Mittel zur Erreichung 
dieses Zieles bietet sich die Anweisung an die Bürgermeister, 
von der im § 3 meiner Polizei- Verordnung vom 13. Mai 1882 
beireffend die Handhabung der Wirtschaftspolizei, ihnen über- 
tragenen Befugnis zur Verlängerung der Polizeistunde nur so- 
weit Gebrauch zu machen, daß Mitternacht des zweiten Kirch- 
weihtages nicht überschritten wird. Ferner wollen Sie Ihrerseits 
für den Tag der Nachkilbe Verlängerung der Polizeistunde nur 
bis Mitternacht gewähren und den Bürgermeistern untersagen, 
daß sie für den zweiten Nachkilbetag Tanzerlaubnis erteilen. 
Der Bezirkspräsident. I. V. (gez.) Geiseler.» 

Das Ministerium zieht also die notwendigen Folgen aus den 
Verhältnissen der entarteten Meßti und Kirwen. Außer ganz 
vereinzelten Landgemeinden ist so wie so der dritte Tag in den 
letzten Jahren seines Bestehens einfach ein Kneiptag mit vielem 
Unfug, mindestens aber mit überflüssigen Geldausgaben gerade 
derjenigen Burschen und Männer geworden, die das Geld am 
besten brauchen können. Daß durch den Wegfall des dritten 
Meßtitages das Begraben des Meßti, hie und da der Hahnentanz 
und noch andere rauschende Lustbarkeiten rerschwinden muß- 
ten, ist höchst bedauerlich, aber leider waren diese Betäti- 
gungen ländlicher Ausgelassenheit gewöhnlich schon in mut- 
willige und sinnlose Ausschreitungen entartet. Ist doch in 
vielen Dörfern schon am Abend des Meßtimontags nicht mehr 
viel «los»! 

Soweit kann man also mit den Beweggründen, die das 
Ministerium zu seinem Erlaß bestimmt haben, einverstanden 
sein. Besser wäre es aber gewesen, wenn es sich klar darüber 
ausgesprochen hätte, daß Hand in Hand mit der Bekämpfung 
der Auswüchse auch der Schutz und die Pflege der altherge- 
brachten erhaltenswerlen Sitten und Gebräuche der unteren 
Verwaltungsbehörde ans Herz gelegt wird. So gut auch der 
Erlaß gemeint ist, seinem Wortlaute nach wird er von den be- 
troffenen Bevölkerungsschichten als Beschränkung, als Verbot 
aufgefaßt. Die Behörden sollten es sich besser überlegen, ehe 
sie Hand anlegen an solche Feßte, die eine gewisse geschicht- 
liche Berechtiguug haben, die schließlich auch zum elsässischen 
Nationalgut gehören und einen Quell unserer Volkskraft 
bilden. 

Was nun die Ausführung dieses Ministerialerlasses be- 
trifft, so hat allein die Kreisdirektion Zabern noch weitere Be- 
schränkungen vorgenommen, indem sie durch Bekanntmachung 
vom 8. Juni 1900 den Bürgermeistern eröffnete, daß sie am 
ersten Nachmeßtitag eine Verlängerung der Polizeistunde bis 



- 1S8 — 



Mitternacht nur ausnahmsweise dann gestatte, wenn hierfür 
ein Bedürfnis nachgewiesen werde, und daß am 2. Nachmeßti- 
tage, der am besten überhaupt wegfalle, weder Tanzerlaubnis 
noch Verlängerung der Polizeistunde erteilt werden dürfe. 

Im Kreise Weißenburg erteilen die Bürgermeister den 
Wirten für die beiden Hauptkirwetage Tanzerlaubnis und Ver- 
längerung der Polizeistunde nach Wunsch und Bedürfnis. Wenn 
jedoch Streitigkeiten vorkommen, wird früher Feierabend ge- 
macht. In den wenigen Gemeinden, wo ein dritter Hauptkirwe- 
tag stattfindet, wird für den 3. Tag, sowie in allen Gemeinden 
für den Nachkirwe-Sonntag die Polizeistunde von der Kreis- 
direklion stets bis 2 Uhr morgens verlängert. Eine gleiche Er- 
laubnis gibt der Bürgermeister dann auch zum Tanzen. Ein 
zweiter Nachkirwetag findet in keiner Gemeinde des Kreises 
statt. Man wird wohl nicht irren, wenn man in dieser 
verstündigen Behandlung der Kirwe noch die Nachwir- 
kung der segensreichen Tätigkeit des früheren Kreisdirektors 
v. Stichaner auf dem Gebiete der Erhaltung des Volkstums 
erblickt. 

Auch im Kreise Schlettstadt wird in verständnisvoller Aus- 
legung des Ministerialerlasses der Erhallung alter Sitten beson- 
dere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Beschränkung des Meßti 
wird in jenem fast ganz katholischen Kreise durch die Geist- 
lichkeit auch ohne Ministerialerlaß besorgt, und darum ist sicher 
die Umwandlung des Meßti zu einem gehaltvollen Familien- und 
Volksfeste nach altem Brauch seiner gänzlichen Vernichtung 
vorzuziehen. Man kann diesen Bestrebungen nur guten Erfolg 
wünschen. 

Die Kreisdirektionen Hagenau, Straüburg (Land), Erstein 
und Molsheim haben zu dem Ministerialerlaß keine besondere 
Stellung genommen. 

Die Abhaltung der Kirchweihen auf einen Tag in der 
Absicht, die Kirchweihfreuden einzuschränken, wurde übrigens 
schon durch die Nassauische Kirchenordnung von 1532 ange- 
ordnet. Sie wird auch in unseren Tagen von Zeit zu Zeit als 
wirksames Mittel gegen die Vervielfältigung des Meßti empfohlen. 
Im Jahre 4906 hat sogar ein Abgeordneter im Landesausschuß 
denselben Wunsch ausgesprochen, es wurde ihm aber weder vom 
Regierungstische noch von den Abgeordnetenbänken eine Ant- 
wort. Zweifellos wäre ein Gesamtmeßti manchmal von Vorteil 
so z. B. in der Umgegend von Zabern. Dort haben von Ende 
August bis in den November die Arbeiter jeden Sonntag Ge- 
legenheit, die Meßtifreuden zu genießen, und nützen sie oft 
dermaßen aus, daß der Fabrikbetrieb auf dem Zornhof ernste 
Störungen erleidet. 



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— 189 - 



Die geistlichen Behörden im 19. Jahrhundert. 

An der Schwelle des 19. Jahrhunderts war der Zustand 
in katholischen Gemeinden folgender. Nach alter kirchlicher 
Uebung, die durch Papst Paul V. (1605 — 1621) festgelegt wurde, 
fand die Einweihung einer neuen Kirche (dedicatio ecclesiae) 
an einem Sonntage oder an einem Heiliyenfeste statt. Man 
wählte dazu den Totengedächtnistag eines Heiligen, welcher 
dadurch Patron der neuen Kirche wurde. An demselben Tage 
wurde auch die kirchlich vorgeschriebene Krinnerungsfeier an 
die Kirchenein weihung (dies anniversarius ecclesiae) begangen. 
Somit Helen der örtliche Patronslag und das örtliche Kirch - 
weihfest zusammen und wurden von alters her mit weltlichen 
Lustbarkeiten und Gebräuchen umgeben 1 . Diese örtlichen Kirch- 
weihfeste fanden teils an Wochentagen statt, so in Rumersheim 
Dienstag den 5. September 1769 2 , zum Teil wurden sie auf den 
nachfolgenden Sonntag verlegt, so in Wingersheim am 26. 
November 1786, in Hohalzenheim am 3. Dezember 1786, in 
Mommenheim am 12. Oktober 1788». 

Durch ein Indult des Papstes Pius VII., veröffentlicht durch 
Üeschluß des französischen Staatsrats vom 29. Germinal des 
Jahres X*, wurde nun bestimmt, daß außer den örtlichen Kirch- 
weih- und Patronsfesten (festi sanclorum palronorum), die am 
nachfolgenden Sonntag zu begehen sind, noch ein allgemeines 
Kirchweihfesl in ganz Frankreich gefeiert werden soll (anniver- 
sarium didicatiouis templorum quae in ejusdem gallicanae rei- 
publicae territorio erecta sunt), und zwar am Sonntag nach 
der Oktave von Allerheiligen. Das allgemeine Kirchweihfest 
wird noch heute auf diesen Tag rein kirchlich abgehalten. Die 
örtlichen, mit den Patronstagen verbundenen Kirchweihfeste 
blieben bestehen und wurden am Sonntag abgehalten. 

Aber schon in den 1820 er Jahren eröffnete die katholische 
und einige Jahrzehnte später die protestantische Geistlichkeit 
ihren Verfolgungskampf gegen Kirwe und Meßti, und dieser 
Kampf dauert bis zum heutigen Tage an. Ks liegt ja in der 
Natur der Verhältnisse, daß die Vertreter des geistlichen Standes 
sich vermöge ihres Amtes das Meßti- und Kirwetreiben näher 
ansehen. Und diese Festlichkeiten boten in der ersten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts schon allein wegen ihrer übermäßigen Aus- 
dehnung reichlichen Anlaß zur Klage und zur Beanstandung. 

• P f a ii n c n s c h in i d, a. a. 0., S. 24"> f. 
2 Pfarrarchiv von Mittelhausen. 

s Notizbuch eines Schreiners, im Besitz der Familie Hornecker 
zu Mütelhauseit. 

4 L e p c c, Bulletin des Lois etc. Paris, Dupont. T. IX (1Ö3U), 
p. 28t>. 



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— 190 — 

Eine allgemeine Verordnung über ihre Einschränkung oder 
Unterdrückung ist weder durch das Bistum Straßburg noch 
durch die protestantischen Kirchenbehörden erlassen worden«. 
Vielmehr richteten sich die Pfarrer einzig und allein nach den 
allgemeinen Grundsätzen der Moral, und in diesem Sinne 
wurde den katholischen Pfarrern auf Anfrage immer durch 
das Bistum geantwortet. 

Wir müssen nun je nach der persönlichen Auffassung der 
Pfarrer beider Konfessionen zwei Ansichten unterscheiden. 

Nach der einen ist der ganze Meßti, die ganze Kirwe als 
eine Quelle der Sünde, als eine Gott nicht wohlgefällige Ver- 
anstaltung anzusehen und deshalb mit Stumpf und Stiel aus- 
zurotten. Jeder einzelne seiner Bestandteile ist anstößig und 
unsittlich, das viele Essen und Trinken, das Spielen, eine Reihe 
von Gebräuchen wie z. B. das Begraben, ferner und ganz be- 
sonders der Tanz als Ausgangspunkt von allerlei Unsitllichkeiten 
und sittlichen Verfehlungen, ja schon allein das Beisammensein 
der jugendlichen Vertreter beider Geschlechter. Manche geist- 
liche Herren verbieten in der Neuzeit sogar das Karussellfahren. 
Recht zutreffend ist der ablehnende Standpunkt in folgender 
Würdigung der Kleeburger Kirwe durch den dortigen refor- 
mierten Pfarrer E p p e I gekennzeichnet » : «Die Hauptsache 
ist den Leuten nicht die kirchliche Feier, sondern was nach- 
folgt und was dieses Fest in Kleeburg, wie überall, zum Ge- 
genteil von dem gemacht hat, was sein Name besagt, zu einem 
Baals- und Bauchfest, wo das Fleisch seine volle Rechnung 
findet, der Geist aber meistens leer ausgeht oder gar ersäuft 
wird.» 

Diese strenge Haltung, die den Menschen hienieden nur 
auf sein Seelenheil vorbereiten will und jedes das gewöhnliche 
Lebensbedürfnis überschreitende Vergnügen verurteilt und be- 
seitigt, brachte es zustande, daß in zahlreichen katholischen 
Ortschaften in der Zeit zwischen 1825 und 1840 jenes üppige, 
fröhliche Dorflest einging. Die Patronstage wurden ihrer pro- 
fanen Beigabe entkleidet und blieben als rein kirchliche Feste 
bestehen. Sie werden in einem besonderen Abschnitt weiter 
betrachtet werden. Das jetzige Geschlecht weiß in solchen 
Dörfern durch Ueberlieterung oder auch durch eigene Anschau T 
ung bloß noch von dem ehemaligen blühenden weltlichen Meßti 
und dem nachgefolgten rein kirchlichen Patronstage zu erzählen. 
Die Ansichten über den Meßti haben sich dermaßen verschoben, 
daß er vielfach für etwas Schlechtes und Verdammungswürdiges 



i E p p e 1, Kleeburg;. Straßburg, Hottingers Schriftenverlag, 
1891. S. 04 f. 



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- 191 



gehalten wird. So schien der Bürgermeister von Griesheim 
ganz beleidigt, als ich ihn nach dem alten Meßti fragte. So 
lange er im Amte sei, erklärte er mit erhobener Stimme, würde 
er «so was» nicht dulden. Eine Frau von Dottendorf meinte, 
der Meßti sei ein heidnischer Brauch und ein Teufelswerk, 
ebenso eine Weyersheimer Persönlichkeit. Viele Leute schämen 
sich, zu gestehen, daß in ihrem Dorfe überhaupt einmal Meßti 
war, und hierdurch werden die Nachforschungen wesentlich 
erschwert. 

Weniger häufig trifft man die schrofte Ansicht vom ver- 
derblichen Wesen der Kirchweihfestlichkeiten bei protestanti- 
schen Geistlichen, und hier findet sie sich von der Mitte des 
Jahrhunderts ab vorwiegend in den Dörfern der alten Grafschaft 
Hanau-Lichtenberg, die ja auch in früheren Jahrhunderten der 
Schauplatz erbitterten Kampfes gewesen waren. Dort sind nicht 
allein die Pfarrer an der Unterdrückung des Meßti schuld, 
sondern auch die Mehrzahl der Dorfeingesessenen selber, denen 
ihre religiösen Anschauungen vom Pfarrer anerzogen wurden. 
Manche Leute, auch Bürgermeister, sahen mit Bedauern den 
alten Meßti scheiden und hingen begreiflicher Weise mit Zähig- 
keit daran, aber schließlich fanden sie sich doch auch ohne 
Meßti zurecht und waren am Ende auch damit ganz zufrieden. 
In Imbsheim waren die Wünsche der Gemeinde, den Meßti 
beseitigt zu sehen, sogar stärker als die des Pfarrers, und die- 
ser mußte seinem drängenden Kirchenrat und Gemeinderat 
kurzer Hand nachgeben. 

Folgendes mag als Beleg zu den Ansichten dienen, die in 
weitesten Kreisen des Hanauerlands über den Meßti herrschten 
und noch herrschen. Eine jetzt noch lebende alte Frau aus an- 
gesehener Familie hatte als Jungfrau mehrere Meßti mitgemacht. 
Aber plötzlich, so sagt sie, sei eine innere Wandlung mit ihr 
vor sich gegangen, sie sei erleuchtet worden und habe sich aus 
Abscheu vom Meßt it reiben zurückgezogen. Dabei habe sie an 
den Spruch Matth. 11, 21 gedacht und ihm auch öffentlich 
Ausdruck gegeben : «Wehe dir, Ghorazim ! wehe dir, Bethsaida ! 
wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, als bei 
euch geschehen sind, sie hätten vorzeiten im Sack und in der 
Asche Buße getan.» Es war in den 1850 er Jahren, und in 
demselben Jahre wurde zur Genugtuung jener Jungfrau der 
Meßti zum letzten Mal abgehalten. 

Nicht minder kennzeichnend und zugleich ein Beitrag zu den 
religiösen Anschauungen des Hanauers überhaupt ist folgendes 
Vorkommnis. Eine alte Hanauerin hatte vor mehr als einem halben 
Jahrhundert beim Tanz eine zinnene Meßtiplatte gewonnen. Vor 
etwa 10 Jahren kam ein Althändler, dem sie die schön gravierte 



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- 192 - 



Platte verkaufte. Den Erlös von 18 M. hat sie aber nicht etwa 
verbraucht, sondern in eine Schachtel eingewickelt und als Zehr- 
pfennig im Falle der Not beiseite gelegt. Falls sie das Geld 
nicht brauchen sollte, so ist es nach ihrem Ableben für die 
äußere Mission bestimmt. Bis jetzt ist ein Notfall nicht ein- 
getreten, obwohl dies früher öfters geschah. Die Frau erblickt 
in dieser günstigen Aenderung ihrer Verhältnisse den Finger 
Gottes und glaubt recht getan zu haben, indem sie die an- 
rüchige Meßtiplatte veräußerte. 

Die gewaltsame Unterdrückung solcher alteingelebten Feste 
ist in unserer Zeit viel schwieriger als früher. Die Erfahrung 
hat gelehrt, daß immer und immer wieder der Hang zu welt- 
licher Lustbarkeit zutage tritt. Ob aber in denjenigen Dörfern, 
wo es dein pastoralen Eifer gelang, die Kirchweihfreuden zu 
unterdrücken, auch die Sittlichkeit gehoben, die Frömmigkeit 
gefördert, die Menschen gebessert wurden, das ist eine andere 
Frage. 

Der gemäßigte Standpunkt vieler Geistlichen geht dahin, 
daß die Kirchweihfreuden zu dulden sind, so lange sie nicht 
zu Ausschreitungen und sittlichen Schäden führen. D^m per- 
sönlichen Ermessen des Pfarrers ist hier ein weiter Spielraum 
gelassen. Von den protestantischen Geistlichen sind diejenigen, 
die der freieren Richtung angehören, nicht immer auch die, 
welche den Kirchweihfesten Wohlwollen entgegenbringen. Und 
wenn in mancher Gemeinde Kirwe und Meßti nicht beseitigt 
wurden, so lag es nicht immer an den Geistlichen. 

Welche Mittel sie manchmal anwenden, um die Kirchweih- 
testlichkeiten zu vernichten, davon sei hier ein Beispiel erwähnt, 
das seinerzeit auch über die Grenzen des Elsaß hinaus bekannt 
wurde. In Diebolsheim steigerte vor Jahren der katholische 
Pfarrer die Kirchweih, um ihre Abhaltung zu verhindern. Der 
Kreisdirektor von Schlettstadt ließ den Steigpreis an den Ge- 
meinderechner einzahlen, und erteilte dann auf Antrag für den 
nächsten Sonntag und Montag einem Wirt im Dorfe die Er- 
laubnis zur Abhaltung eines öffentlichen Tanzes unter der Be- 
dingung, daß dieses Vergnügen vollständig wie eine Kilbe, mit 
Rösselspiel u. dgl. stattfindet. Seitdem wird das Mittel, die 
Ansteigerung von den Pfarrern nicht mehr versucht. 

Im allgemeinen kann man sagen, daß da, wo Meßti und 
Kirwe verkümmert sind — darüber wird in einem besonderen 
Abschnitt die Rede sein — , den Pfarrer immer wenigstens ein 
Teil der Schuld trifft. 

Es möge hier ein Verzeichnis sämtlicher Kirwen und Meßti 
folgen, die durch die Geistlichkeit unterdrückt wurden. Darin 
sind auch diejenigen Ortschaften enthalten, wo angeblich seit 



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- 193 — 



Menschengedenken das Fest nicht stattfand. Die Ansicht, daß 
es auch dort durch geistlichen Einfluß beseitigt wurde, ist in 
dem oben gesagten begründet, und außerdem haben wir es 
öfters erlebt, daß von mehreren Dorfgenossen der eine behaup- 
tete, ein Meßli habe noch nie stattgefunden, während der an- 
dere bestimmt aussagte, der Pfarrer habe ihn in dem und dem 
Jahre abgeschafft. 

Zunächst die katholischen oder vorwiegend katholischen 
Dörfer. 

Landkreis Straßburg, Kanton Bruraath : seit Menschenge- 
denken nicht in Bilwisheim, Dmnenheim, Kilstett, Kriegsheim, 
Mittelschäffolsheim, Mommenheim (1788 archivalisch nachge- 
wiesen, s. o.), Rottelsheim und Wanzenau ; schon lange nicht 
mehr in Bernolsheim ; zuletzt 1853 abgehalten in Weyersheim, 
1862 in Gambsheim. — Kanton Hochfelden: seit Menschen- 
gedenken nicht in Bossendorf, Friedolsheim, Grassendorf und 
Ringeldorf ; zuletzt abgehalten zu Eltendorf in den 1820 er 
Jahren, in Schaffhausen kurz vor 1830, in Lixhausen 1833, 
in Minversheim, Mutzenhausen und Scherlenheim in den 
1830er Jahren, in Wilwisheim 1838. — Kanton Schiltigheim : 
seit Menschengedenken nicht in Achznheim, Oherschäffolsheim, 
Reichsten, Suffehveyersheim. — Kanlon Truchtersheim : seit 
Menschengedenken nicht in Avenheim, Behlenheim, Dingsheim, 
Dossenheim, Dhrningen, Fessenheim, Griesheim, Gugenheim, 
Udenheim, Kienheim, Kleinfrankenheim, Kattolslieim, Neu- 
gartheim, Offenheim, Osthofen, Pfettisheim, Rohr, Rumers- 
heim (1760 archivalisch nachgewiesen, s. o.), Schnersheim , 
Stützheim, Truchtersheim, Willgottheim und Wiwersheim. 

Kreis Erstem, Kanton Erstein : seit Menschengedenken 
nicht in Hindisheim, Hipsheim und Kraft; in den 1820er 
Jahren abgekommen zu Limersheim. — Kanton Geispolsheim: 
seit Menschengedenken nicht in Düppigheim, Ichtratzheim und 
Lipsheim; zuletzt um 18 16 abgehalten in Wibolsheim, um 
1853 in Fegersheim, 1856 in Dautenheim, 1858 in Holzheim, 
1880 in Geispolsheim. — Kanton Oberehnheim : seit Menschen- 
gedenken nicht in Jnnenheim, Krautergersheim und Meistratz- 
heim, 1865 abgeschafft in Zellweiler. 

Kreis Hagenau, Kanton Hagenau : zuletzt abgehalten um 
1830 in Batzendorf und Wahlenheim, 1832 in Keffendorf, 
1836 in Uhlweiler, zwischen 1835 und 1840 in Wintershausen, 
in den 1830 er Jahren zu Holtendorf und Wittersheim, «schon 
lange nicht mehr» in Berstheim, in den 1840 er Jahren zu 
Nieder schä ff olsheim, um 1850 zu Höchstett und Oftlungen, in 
den 1860 er Jahren zu Morschweiler, um 1870 zu Dauendorf. 
— Kanton Niederbronn : eingegangen zu Kindweiler 1870. 

13 



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— 194 — 



Kreis Mölsheim, Kanton Molsheim : seit Menschengedenken 
nicht in Altdorf, Avolsheim, Dachslein, Ergersheim, Ernols- 
heim, Sulzbad und Wolxheim ; 1 872 abgekommen in Still. — 
Kanton Hosheim: seit Menschengedenken nicht in Bischofsheim 
und Griesheim; «schon lange nicht mehr» in Borsch; zuletzt 
188(3 in Ottrott. — Kanton Wasselnheim: seit Menschengedenken 
nicht in Dahlenheim und Marlenheim ; «schon lange nicht mehr» 
in Bergbieten. 

Kreis SchleMstadt, Kanton Barr: zuletzt abgehalten in Stotz- 
heim 1852, in St. Peter 1854. 

Kreis Weißenburg, Kanton Sulz u. W. : zuletzt 1877 ab- 
gehalten in Schoenenburg. — Kanton Wörth : seit Menschen- 
gedenken nicht in Laubach; zuletzt abgehalten zwischen 1835 
und 1840 in Eberbach, vor 1850 in Biblisheim, um 1860 in 
Hinterfeld und Walburga vor 1870 in Eschbach und Gunstett, 
1887 in Dürrenbach, 189*2 in Hegeney, 1902 in Diefenbach. 

Kreis Zabern, Kanton Maursmünster : seit Menschenge- 
denken nicht in Jettersweiler, Knörsheim, Rangen, Reuten- 
bürg, Schwein heim, Westhausen und Zeinheim ; zuletzt abge- 
halten zu Kleingöft in den 1840 er Jahren, in Hohengöft 1854, 
in Dimbsthal noch nach 1870. — Kanton Zabern : seit Men- 
schengedenken nicht in Littenheim, Lupstein und Waldolwis- 
heim ; eingegangen am Anfang des 19. Jahrhunderts zu Alten- 
heim und Wolschheim, in den 1840 er Jahren zu Steinburg. 

Die eingegangenen Kirwen und Meßti sind also in größerer 
Zahl angehäuft in den Kantonen Wörth, Hagenau, Hochfelden, 
Maursmünster und Truchtersheim, demnach auch im Kochersberg. 

In folgenden protestantischen oder vorwiegend protestanti- 
schen Dörfern wurden Kirwe und Meßti durch geistlichen Ein- 
fluß abgeschafft. 

Landkreis Straßburg , Kanton Hochfelden : Geisweüer, 
Wickersheim und Wilshausen 1853. In Wickersheim trat mit 
der Zeit ein evangelisch-lutherisches Missionsfest an die Stelle, 
das alljährlich eine große Volksmenge von nah und fern an- 
zieht. Abgesehn von einem besseren Essen in der Familie hat 
dieses Fest nur religiöse Bedeutung. — Kanton Schiltigheim : 
eingegangen in Brcuschwickersheim 1858, in Eckboisheim iübti, 

Kreis Molsheim, Kanton Wasselnheim : «schon lange» ab- 
geschafft in Tränheim. 

Kreis Schlettstadt, Kanton Barr : seit Jahren eingegangen 
in Heiligenstein. 

Kreis Weißenburg, Kanton Sulz u. W. : 1877 abgeschafft 
in Hölschloch und Merkweiler. — Kanton Wörth : 1882 ab- 
geschabt in Preuschdorf. 

Kreis Zabern, Kanton Buchsweiler : zum letzten Mal abge- 



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195 — 



halten in Imbsheim 18(38, Nieder- und Obersulzbach 1884, 
Griesbach 1888. — Kanton Zabern : Prinzheim 1875, Hatt- 
matt 1889, Gottesheim 1897. 

Aufrichtiges Wohlwollen der Pfarrer gegen den Meßti ist 
selten, kommt aber vor» in alter wie in neuer Zeit. In den 
1820 er Jahren tanzten zu ßuchsweiler die Pfarrerstöchter mit 
den Vikaren und jungen Pfarrern in der Meßlihütte. Die 
ehrwürdigen Pfarrherren sahen zu und freuten sich über das 
Vergnügen der Jugend. Um dieselbe Zeit tanzte die Etten- 
dörfer Pfarrköchin mit den dortigen Burschen öffentlich in 
Anwesenheit des Pfarrers. In den 1840 er Jahren sah sich 
der JJochstetter Pfarrer den Vortanz auf der Dorfstraße an und 
belustigte sich sehr über seine tanzenden Bauern. Aus den 1850er 
Jahren wird von Weyersheim berichtet, daß der Pfarrer regel- 
mäßig ein Ständchen mit dem Vortanz vor dem Pfarrhaus ent- 
gegennahm und die Vesper früher abhielt, damit die Bauern 
sich eher dem Tanzvergnügen hingeben konnten. Niemals, so 
erzählt man sich, sei die Kirche besser besetzt gewesen als am 
Meßti-Sonntag. 

Aus neuerer Zeit sind namentlich die Verdienste des lang- 
jährigen Mietesheimer Pfarrers August Jäger um die Er- 
haltung der dortigen Sitten und insonderheit des Meßti hekannt 
geworden. 

Das Oberkonsistorium der Kirche Augsburgischer Konfession 
befaßte sich wiederholt mit den Kirchweihfesten. 188*2 klagt 
der geistliche Inspektor Pfarrer Horst aus Colmar über die 
Kilben im Oberelsaß 1 : «Während einer langen Reihe von Sonn- 
tagen, so schreibt er, werden diese in den verschiedenen, nahe- 
gelegenen Dörfern abgehalten, so daß, wenn hie und da ein 
besser gesinnter Bürgermeister das Abhalten der Kilbe unter- 
sagt, die Belustigungssüchtigen in der Nachbarschaft öfters Er- 
satz finden, wodurch der Unfug gemeiniglich noch erhöht wird.» 
Aehnliches berichtet der Pfarrer von Altweiler * und wünscht, 
daß alle Kirchweihen des ganzen Landes auf denselben Tag 
verlegt werden und daß niemals Trink- und Tanzfreiheit für 
ganze Nächte bewilligt wird. 

Auch im Bericht des Pfarrers Krencker, Inspektors der 
Inspektion Lützelstein, wird von einem Pfarrer wie folgt ge- 
klagt 2 : «Nicht nur wird drei Tage und besonders drei Nächte 
in einem Dorf, wo ein solches Fest begangen wird, getanzt, 



1 Amtliche Sammlung der Akten des Oberkonsistoriums und des 
Direktoriums der Kirche Augsburgischer Konfession, B. XXXV11I. 
Straßburg. Heitz. 1S84. S. 151 f. 

* Das., B. XL, 1.SS7. S. (>Ü. 



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UMi 



das Geh! vergeudet, oft in Unmäßigkeit und Unzucht gelebt, 
sondern während acht Wochen oder noch länger, während 
welcher ein Dorf nach dem andern seine «Kirch weihe» feiert, 
zieht die Jugend und auch ältere Leute, Sonntag für Sonntag, 
in die näheren oder ferneren Ortschaften, wo ihnen Gelegen- 
heit geboten wird, solch unbändiges Treiben stets aufs neue zu 
führen. Diesem ausschweifenden Treiben sollten höheren Orts 
Schranken gesetzt werden. Ueberdies wird auch die Erlaubnis 
zum Tanzen öfters als früher gegeben. Hierdurch erwächst 
zwar einem Wirt und einigen Musikanten Vorteil, die Haus- 
haltungen aber leiden not, weil die Söhne das Geld zu solchen 
unnützen Vergnügungen herauspressen. Die Jugend wird somit 
mehr und mehr entsittlicht und verwildert.» 

Wenn auch diese Klagen nicht aus unserem Gebiete stammen, 
so mußten sie doch der geschichtlichen Vollständigkeit halber 
erwähnt werden, weil sie den Ausgangspunkt des im vorigen 
Abschnitt angeführten Ministerialerlasses bildeten. Das Ober- 
konsistorium befaßte sich nämlich am 18. November 1885 mit 
der Angelegenheit und das Mitglied Dr. HöfTel stellte den An- 
trag 1 , das Oberkonsistorium wolle der Regierung den Wunsch 
unterbreiten, daß alle Kirchweihen im Lande an ein und dem- 
selben Tage gehalten werden, wie solches in Württemberg ge- 
schieht. Die Kommission des Generalberichts schloß sich dem 
Antrage an 2 , das Oberkonsistorium war aber der Ansicht, es 
genüge, wenn das Direktorium im Auftrage des Oberkonsistoriums 
die betretfenden Stellen der Inspektionsberichte der Regierung 
zur Kenntnis bringe». Dennoch wurde der Regierung gegen- 
über der W r unsch ausgesprochen, daß die Kirchweihen für 
weitere Bezirke auf einen und denselben Tag verlegt werden 
möchten, und das Direktorium beantragte weiter, daß wenigstens 
die dritten Kilbetage und die Nachkilben untersagt würden. 
l*eber das weitere Schicksal dieser Anträge ist im vorigen Ab- 
schnitt bereits berichtet. 

Im Jahre 1886 befaßte sich auch die Pastoral konferenz, eine 
zeitweise tagende freie Vereinigung evangelischer Pfarrer beider 
Richtungen, mit der Ausartung des Kirchweihfestes. Der Be- 
richterstatter, Pfarrer H o f f m a n n aus Eckwersheirn, drückte 
damals folgende zutreffende und verständige Ansicht aus 4 . «Das 
Volk muß seinen weltlichen Festtag haben, das wird jeder an- 



» Das., S. 71. 

2 Das., S. 99 und 110. 

» Das., S. 110. 

4 Archiv der Strahburger Pastoralkonfcrenz, IX. Band, 4. Lief. 
Straßburg, Heitz, 1*89. S. 392. 



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- 497 - 



erkennen, der mit dem Landvolk in Berührung gekommen ist. 
Man lasse daher dem Landvolke seine Kirmeß als Fest ohne 
religiöse Grundlage, so manches bietend, das wert ist, erhallen 
zu werden, der Volksfreude freien Lauf gewährend I Bildet doch 
das Kirchvveihfest ein Band, das nicht nur die Lebenden unter 
sich vereinigt, indem es nahen Verwandten oder treuen Haus- 
freunden gestattet, sich zu sehn und zu begrüßen, sondern 
auch das jetzige Geschlecht mit den längst vorangegangenen 
Geschlechtern in Brauch und Sitte verbindet. Dazu hat die 
Kirmeß auch ihre poetische Seite, die ich nicht möchte ver- 
schwinden sehn. Ich selie es gern, wenn der Maienbaum feier- 
lich im Walde abgeholt, auf den freien Platze im Dorfe auf- 
gepllanzt und mit Bändern, Leckerbissen und andern Gegen- 
ständen geschmückt wird, welche den Knaben, die solche beim 
Erklettern erhaschen können, zuteil werden; wenn nachmittags 
ein heilerer Zug durch die Straßen, selbst mit Musik, veran- 
staltet wird, der mit einem harmlosen Tanz um den Maien- 
baum endigt ; wenn der gezierte Festhamniel oder der feiste 
Festhahn, Ueherbleibsel der Opfer unserer Väter, ausgelost oder 
ausgespielt wird ; wenn Freunde und Bekannte nach schweren 
Arbeitstagen sich zusammenfinden, um einige gemütliche Stun- 
den, sei es im eigenen Hause, sei es in einer Gartenwirtschaft 
zu verbringen, während die Dorfjugend eines unserer Volks- 
lieder anstimmt !» 

Merkwürdigerweise wurden weder im Bericht, noch in den 
Verhandlungen von der Behandlung des Gegenstandes im Ober- 
konsistoriurn und von der auf dessen Anregung hin durch das 
Ministerium erlassenen Verfügung auch nur ein Wort gesprochen. 
Sondern der Berichterstatter schloß mit folgenden Vorschlägen»: 
Es möge die Pastoralkonferenz erstreben, daß die Kirchweihen 
eines Kantons auf denselben Sonntag verlegt werden, daß ihre 
Dauer eingeschränkt werde, so daß weder Vor- noch Nachkilbe 
stattfänden ; daß das Tanzvergnügen nur bis zu einer gewissen 
Stunde gestattet und ein strengeres Strafmaß, als es bisher üblich 
war, bei Unordnungen, Schlägereien usw. in Anwendung gebracht 
werde. Die Aufgabe der Kirche ist eine bildende und erziehende, 
mithin eine solche, deren Frucht nur langsam heranreift. Er- 
ziehen wir unsere Gemeinden zum Genuß höherer und edlerer 
Freuden als diejenigen, welche die rohe, ausgelassene Lust ge- 
währt, und die Ausschweifungen der Kirchweihen werden immer 
seltener werden, das Kirch weihfest dagegen immer mehr zu 
einem echten Volksfeste sich gestalten. 



i a. a. 0., S. 394 f. 



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— 198 - 



In der Verhandlung wurde auch liier Anstoß genommen 
an dem vielfältigen Besuche auswärtiger Kirchweihen, den einer 
der Redner, Prof. Budde, als Schmarotzer- und Landstreiehei- 
tum bezeichnete. Mehrere Mitglieder sprachen den Wunsch 
aus, die Pastoralkonferenz möge sich ans Direktorium wenden, 
um von den zuständigen Behörden die Verlegung der Kirchweih- 
feste auf einen Tag zu erwirken. Dieser Antrag fand aber 
keinen Anklang. Man einigte sich schließlich dahin, es sei am 
besten, wenn die Pfarrer die im Verlaufe der Diskussion aus- 
gesprochenen Gedanken in ihre Gemeinden brächten und, soviel 
in ihren Kräften steht, die Volksfeste zu veredeln suchlen. 

Der Patronstag. Der Rosenweiler Meßti. 

Bis um die Wende des 19. Jahrhunderts wurden kirchliches 
und weltliches Kirchweihfest, nach heutigen Begriffen Patronstag 
und Meßti oder Kirwe, zusammen gefeiert, und zwar teils an 
einem Wochentage, teils am Sonntag. 

Durch das bereits erwähnte Indult Pius VII. i wurde be- 
stimmt, daß die Patronstage (festi sanctorum patronorum) der 
einzelnen Pfarreien nicht an einem Wochentage, sondern am 
darauffolgenden Sonntag gefeiert werden sollen. 

Aber im Laufe der Jahre kam vielfach die Gewohnheit auf, 
den Palronstag wieder an einem Wochentage abzuhalten, falls 
er auf einen solchen fallt, und in diesem Falle wird das päpst- 
liche Indult dadurch befolgt, daß die Messe des Festes am dar- 
auffolgenden Sonntage und zwar feierlich gesungen wird. Man 
darf wohl die Abhaltung des Patronstages an einem Wochentage 
als ein wichtiges Mittel ansehen, um profane Ansätze zu ver- 
hindern, insbesondere um Budenbesitzer und Tanzvergnügen 
fernzuhalten, die sich an einem Sonntage ungleich leichter an- 
schließen könnten. Die Verlegung des Patronsfestes auf einen 
Sonntag geschieht hauptsächlich mit Rücksicht auf die Feld- 
arbeiten. 

In der Zeit von 1825 bis 1840 entledigte sich der kirchliche 
Patronstag fast allenthalben der weltlichen Kirchweihfreuden 
und blieb nun als ein rein kirchliches Fest in allen katholischen 
Gemeinden bis zum heuligen Tage bestehen. In zahlreichen Ge- 
meinden und zwar, wie wir gesehen haben, fast ausschließlich 
im Gebiete des Meßti, ging dabei das weltliche Kirchweihfest 
überhaupt ein. In den andern wurden Meßti oder Kirwe auf 
einen andern Termin verlegt und so beide Feste getrennt ab- 
gehalten. In vielen von diesen Dörfern ging Meßti oder Kirwe 
später aus verschiedenen Ursachen ein. 

i L c p e c, Bulletiu des Lois etc. Paris, Dupont. T. IX (1H3(>), p. 28G. 



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- 199 — 



Das weltliche Kirchweihfest hat sich neben dem Patronstag 
noch am meisten im Kreise Weißenburg behauptet, wo nur in 
17 von 85 Ortschaften der Patronstag allein, ohne Kirwe gefeiert 
wird (Bremmelbach, Hohweiler y Keffenach, Katzen hausen , 
Lobsann, Memmeishofen, Schönenburg, Niederseebach, Eber- 
bach hei Wörth, Forstheim, Heyeney, Laubach, Eschbach, 
Walburg, Dürrenbach, Biblisheim und Diefenbach ), ferner 
in den Kantonen Bisehweiler, Molsheim, Maursmünstei und in 
den lothringischen Dörfern. 

Nur in wenigen Gemeinden scheinen Meßti oder Kirwe 
und Patronstag noch heute zusammenzufallen, so in Lützelburg, 
Greßweiler und Lauterburg. Zu Oberehnheim wurde bis vor 
wenigen Jahren zugleich mit dem Patronstug eine Art Meßti 
gefeiert, der 2 Tage dauerte und noch einen Naclnneßli nach 
sich zog. 

In einzelnen Ortschaften sind zwischen Patronstag und 
Meßli oder Kirwe noch zeitliche Beziehungen übriggeblieben. 
In Dinsheim wird drei Sonntage hintereinander Meßti, am vier- 
ten Sonnlag Patronstag gefeiert. Zu Oberhaslach findet der 
Antanzmeßti 8 Tage vor, der Hauptmeßti 8 Tage nach dem 
Patronstag statt. In Heinrichsdorf wird gleichfalls am Sonntag 
nach dem Patronstag Meßti abgehalten. So war es früher auch 
in Wilwisheim. Kesseldorf, Schaffhausen bei Selz, Siegen, 
Reimersweiler und Eckartsweiler begehen die Kirwe am Sonn- 
tag nach dem Patronstag, Oberlauterbach am 2: Sonntage nach- 
her. Jn Wörth feiert man Patronstag am Laurentiustage (10. 
August), Kirwe am Sonntag und Montag nach dem 6. Augusf. 

Im allgemeinen ist für den Patronstag ein bestimmter Tag 
festgesetzt. Es würde aber den Rahmen dieser Arbeit weit 
überschreiten, wenn wir die einzelnen Daten und Heiligen hier 
aufzahlen wollten. In Einzelfallen, wenn auf den betreffenden 
Sonntag etwa das Kirchweihfest oder ein anderes weltliches 
Fest angesetzt war, wurde das Patronsfest mit bischöflicher 
Genehmigung verlegt. 

Der Patronstag wird im großen und ganzen als kirchlicher 
Festtag gefeiert. Aber es ist eine alte Erscheinung und beson- 
ders im Wesen der Kirchweihfestlichkeiten begründet, daß sich 
an religiöse Feste leicht Aeußerungen weltlicher Freude ansetzen. 
So wird am Patronstag vielfach den Tafelfreuden eine besondere 
Aufmerksamkeit gewidmet. In den 1870 er Jahren wurde in 
mehreren Dörfern des Kantons Hochfelden aus Anlaß des Pa- 
tronstages geschlachtet und mehrere Tage hintereinander reich- 
lich gegessen und getrunken. Einladungen von Verwandten und 
Bekannten sind allgemein üblich, früher waren auch Protestanten 
gern gesehene Gäste. In Nordheim feiern die wenigen Prote- 



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stallten den Patronstag ihrer katholischen Mitbürger durch ein 
besseres Essen. Auch Wirtshausbesuch findet allgemein statt, 
und es gehört nicht mehr zu den Seltenheiten, wenn dort die 
jungen Leute unter den bescheidenen Klängen einer Ziehhar- 
monika ein schüchternes Tänzchen zwischen den Tischen der 
Wirtschaft wagen. Audi Buden mit Zuckerwaren und Kinder- 
spielzeug, hie und da schon ein Karussell, beginnen sich ein- 
zustellen. So sind die Patronstage, wie ehedem die Kirchweih- 
feste, auf dem besten Wege, wieder zu verweltlichen. 

Den Patronslagen muß ein Fest zur Seite gestellt werden, 
das bis in unsere Zeit hineinragt und im Volksmunde als der 
Rosenweiler Meßti fortlebt. Es bat damit folgendes Bewandtnis. 
Das Dorf Rosentueiler bei Dettweiler, i6li4 durch Reinbold v. 
Rosen gegründet, war im 18. und 19. Jahrhundert der Sammel- 
punkt der zerstreut lebenden Reformierten des Elsaß. Von weit 
und breit eilten sie herbei, bis von Pfaffenhofen, VVimmenau, 
Sparsbach und Johannistal, und hielten in der dortigen, 1085 
erbauten reformierten Kirche Gottesdienst und Abendmahl ab. 
Dies geschah am Sonntag nach Ostern und am letzten Sonntag 
im August, t'nd wenn sie ihre religiöse Pflicht erfüllt halten, 
vergnügten sie sich, aßen und tranken gut und tanzten, und 
zahlreiche Buden waren aus diesem Anlaß errichtet. Seit 1810 
nahm der Rosenweiler Meßti langsam ab. Bisher von Straß- 
burg aus pastoriert, wurde Rosenweiler 1820 Filial von Koß- 
weiler. 1864 starb der letzte Reformierte zu Rosenweiler, und 
der Meßti erlosch von selbst. Das Kirchlein wurde baufällig 
und am 21. August 1905 auf Abbruch versteigert. Jetzt ver- 
sammeln sich die zerstreut lebenden Reformierten des Elsaß in 
Aßweiler in rein kirchlicher Weise. Die wenigen Dettweiler 
Reformierten weiden vom dortigen evangelischen Pfarrer pus- 
toriert. 

Der Rosenweiler Meßti teilte mit den katholischen Patrons- 
tagen das Merkmal, daß in verhältnismäßig junger Zeit ein rein 
kirchliches Fest mit welllicher Lustbarkeit verbunden wurde. 

Ursachen des Abkommens. 

Die Ursachen des Niedergangs und des zeitweiligen und 
gänzlichen Versehwindens von Meßti und Kirwe sind recht 
mannigfaltig und vielseitig. Oft sind es mehrere Umstände, die 
zusammenwirken. 

Der Bekämpfung des Festes durch die Geistlichkeit wurde 
bereits ausführlich gedacht. Die nächste Hauplursache seine* 
Niedergangs liegt im Wandel seines Wesens. Es dient heute 
vor allem als Einnahmequelle für die Gemeinden undjdie Wirte. 



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- 201 — 



Die Fesfgemeinde wird immer weniger als kameradschaftliche 
Trägerin der Sitle, vielmehr vorwiegend als Gegenstand eines 
Geschäfts angesehen und behandelt. 

Auch die Zustände auf dem Lande haben gewechselt. Das 
altväterliche, mehr oder weniger abgeschlossene Dort', die kleine 
Dorfrepublik wird von Jahr zu Jahr seltener. Die günstigeren 
Verkehrsmittel, die besseren Straßen und Wege, die bequemeren 
Eisenbahnverbindungen, die Post und das Fernsprechwesen und 
uicht zulelzt das Fahrrad ermöglichen einen häufigeren Verkehr 
der einzelnen Dörfer unter sich. Der Städter hat bessere Ge- 
legenheit, sich in das Dorlleben zu mischen, und der Dorfbe- 
wohner kann leichter sein Vergnügungsbedürfnis auswärts be- 
friedigen. Dadurch wird der Gesichtskreis des Bauern erweitert. 
Die ländliche Abgeschlossenheit schwindet, und der Bauer ver- 
nachlässigt seine vertrauten Gebräuche, die er dem aufdring- 
lichen Fremden nicht gern erschließt. Die Bevölkerung wird 
mehr durcheinandergeworfen. Außerdem zieht die wachsende 
Landflucht ein dorfenlfremdeles Geschlecht von Arbeitern, klei- 
nen Beamten, gebildeten und halbgebildeten Leuten heran, die 
gegen die bodenständige Sitte gleichgültig sind, ja sich ihrer 
schämen. Schon der heimkehrende Reservist dünkt sich er- 
haben über die heimatlichen Gebräuche. So sinkt notgedrungen 
der Wert des Meßti. 1 Anderseits hat die Erleichterung des Ver- 
kehrs eine Verschiebung des Kaufwesens zur Folge. Hausierer 
und Heisende suchen den Landbewohner in seinem Dorfe auf, 
und die Versandgeschäfte schicken ihm Warenverzeichnisse und 
Waren ins Haus. Infolgedessen ist die Bedeutung der Jahr- 
märkte stetig zurückgegangen. • 

Auch der Bauer selbst hat nicht mehr den gleichen Sinn 
für die überkommene Sitte wie früher. Seine beschauliche Ruhe 
wird öfters durch allerlei Zwischenfälle des Alltagslebens getrübt. 
Er hat infolge der vielen sozialpolitischen Gesetze, die ihn be- 
lasten, infolge der mancherlei Steuern, insbesondere auch der 
Wein- und Branntweinsteuer, einen schweren Stand. Der Rück- 
gang des allgemeinen Wohlstandes auf dein Land war dem Meßti 
besonders verderblich, und die Besserung der Verhältnisse in den 
letzten Jahren hat ihn nicht wieder zu heben vermocht. Ueber- 
haupt steht die Abhaltung des Meßti in engstem Zusammen- 
hange mit den Einnahmen des Bauern, mit dem Ausfall der 
Ernte und der Weinlese, sogar ein außergewöhnlicher Mausfraß 



1 Zur Vermeidung lästiger Wiederholungen wird von hier ab Meßti 
als Sammelbezeichnung für Meßti und Kirwc gebraucht. Falls der 
Meßti im Gegensatz zur Kirwe tritt, wird dies aus dem Zusammen- 
hange ersichtlich sein. 



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202 — 



kann ihn beeinträchtigen. In vielen Dörfern wird vor allem 
unter diesem Gesichtspunkte vom Gemeinderat bestimmt, ol> 
Meßti sein wird oder nicht. Manche halten ihn bloß in beson- 
ders fruchtbaren Jahren ab. Der Zellweiler «Rübenmeßti» wird 
mir abgehalten, wenn die Rüben gut geraten sind. Die 1840er 
Jahre, die nocli heute im Volksmunde die Hungerjahre heißen, 
waren in dieser Hinsicht besonders verderblich, es wurde da- 
mals fast nirgends ein Meßli abgehalten. Hingegen brachten die 
_ beiden folgenden Jahrzehnte mit einer ganzen Reihe guter 
Weinjahre einen erheblichen Aufschwung und einen flotten 
Betrieb des Meßti. Damals hatten die Leute, wie man sagt, 
mehr Geld als heute. Die sauer ersparten Rötgroschen, die 
beim mühsamen Graben der Färberröle verdient wurden, 
machten manchem Dienstknecht ein willkommenes Meßtigeld 
von 30 oder 40 Franken aus. Der Bauernsohn brauchte seine 
10O Franken, und das Geld war da. Heute will man mit 
5 Mark auskommen, mehr wird nicht mehr an den Meßti gekehrt 

Recht kennzeichnend ist folgendes Vorkommnis. Auf dem 
Vendenheimer Meßti 1900 ging ein Mann mit Loiteriezetteln 
herum. Kein einziger Bursche kaufte einen Zettel, 10 Pfennig 
waren ihnen schon zu viel. Früher hätte ein Bursche seiner 
Liebsten ohne weiteres für einige Franken Lose gekauft. 

Im sozialen Zeitaller aber machen sich die Klassenunter- 
schiede bis ins entlegenste Dorf bemerkbar. Das biedere, ehr- 
liche Dorfburschentum ist verfallen. Während ehedem sich alle 
Burschen einer Gemeinde zusammengeselllen und die Maiden i 
ihrem Beispiele folgten, ist dies jetzt nicht mehr der Fall. Zu 
Zeiten des alten Meßli galten alle Burschen als gleich. Wer da 
tehlte, wurde als hochmütig angesehen und war verachtet. Der 
reichste Bauernsohn schämte sich nicht, mit seinem eigenen Knecht 
in völliger und rückhaltsloser Kameradschaft sich den Meßti freu- 
den hinzugeben. Das ist heule anders. Die Spannung zwischen 
dem Bauern und seinen Dienstboten entsteht schon, wenn er 
sie dingt. Der Bauer muß unerhört hohe Löhne ausgeben, um 
überhaupt Dienstboten zu bekommen, und darum sind diese 
ihm ein andauernder Anlaß zu Mißmut und Aerger. Sie stehen 
sich auch in sozialer Hinsicht besser als früher und wissen 
wohl, daß sie als die wirtschaftlich Schwächeren durch die 



1 Nach ländlicher Ueberlieferung wird in der vorliegenden Ar- 
beit das Wort Haide im Sinne von «erwachsene Bauerntuchter* 
gebraucht. Man sagt in der Mundart «das Maide», in der Mehrzahl 
«die Maide(r)». Für den Begriff Mädchen ist die Verkleinerungsform 
Maidel üblich. - Ebenso wird das Wort Bursche im Sinne von «er- 
wachsener Bauernsohn» gebraucht. Im Kirwegebiet sagt man «der 
Bursch». in der Mehrzahl «die Burscht», im Mclkigebiet auch in der 
Einzahl «der Burscht». 



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— 203 - 



Gesetze geschützt werden. In ihrem Aeußeren und in der 
Kleidung sind sie kaum mehr von der Dienstherrschaft zu un- 
terscheiden. Die Dienstboten bilden jetzt vielfach den Haupt- 
stamm des Meßtivolke^ und, was sehr wichtig ist, des Tanzes. 
Dadurch werden die Söhne und Töchter der Bauern abgestoßen, 
es regt und befestigt sich in ihnen ein gewisses Standesbewußt- 
sein, das man früher nicht kannte. Vor Zeiten war Ittenheim 
dafür bekannt, daß ein Knecht oft mit der vornehmsten Bauern- 
tochter tanzte. Das wäre heute ganz unmöglich. 

Früher wurde der Meßtibursch (s. u.) aus den bessergestellten 
Dorfburschen gewählt. Das bringt nun einmal sein oft mit be- 
deutenden Geldgeschäften verbundenes Amt mit sich, und die 
mit Glücksgütern weniger gesegneten Burschen sahen hierin 
keine Zurücksetzung. Auch das ist heute anders. Immer 
größer wird die Kluft zwischen den verschiedenen Dorfklassen. 
Der reiche Bursche verachtet nicht nur den Knecht auf dem 
Meßti, er tanzt auch nicht mehr mit der Tochter des Küh- 
bauern, und so zieht er sich vornehm vom Meßtigetriebe 
zurück. Die Verpflichtungen des Meßtiburschen liegen jetzt 
den weniger angesehenen Burschen, kaum der Schule ent. 
wachsenen Jungen oder Knechten ob. Die Dorfaristokratie hält 
sich nun erst recht vom Meßtitreiben fern. Der stolze Bauem- 
- söhn mag sich einem Knecht nicht unterordnen, das kann 
ihm niemand übelnehmen. 

Früher waren auch die Liebschaften ehrbarer und ernst- 
hafter, bei aller lockeren Auffassung der Moral durch den Bauern. 
Die Zeiten, wo von weither ein Bursche einer Heirat zu lieb 
einen Meßti besuchte, sind vorbei, Der Stand der Meßti ist ge- 
sunken. Unter halbwüchsigen Burschen und Dienstboten mischt 
er sich nicht gern. Genau so verhält es sich mit den Maiden. 

Ein jeder Stand hat das Bedürfnis, sich zu vergnügen und 
in größeren oder kleineren Zwischenräumen einmal recht fröh- 
lich zu sein, zu tanzen und zu singen, zu genießen und zu 
jubeln. Wenn die Gelegenheit hiezu allzuhäufig eintritt, ist die 
Verführung groß, sie zu erfassen. Und diese Gelegenheit zum 
Genuß und zu Fröhlichkeit, ja zur Ausschweifung bietet sich 
mehr denn früher in den Dorfwirtschaften, die bereits eine 
prunkvolle Ausstattung haben und nicht selten Musikmaschinen, 
Orchestrions und sonstige Vergnügungsmittel besitzen. Der 
Bauer spart sein Bedürfnis zu Frohsinn und Lust nicht mehr 
auf die wenigen Tage des Meßti auf : wenn er überhaupt noch 
Sinn zu etwas Außergewöhnlichem hatte, so hat er die Lust 
im Wirtshause schon gebüßt, das Geld ist dahin. Ganz beson- 
ders trifft dieser Umstand für die Dorfjugend zu, insbesondere 
für die Knechte und Taglöhner, die man allabendlich in den 



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— 204 - 



Dorfkneipen bei Bier, Kartenspiel und Zigaretten rauchen an- 
treffen kann. Man darf Iiier in der Tat von Genußsucht 
sprechen. Kommt dann der Meßti heran, so reichen die Gro- 
schen nicht. «Hie isch alle Sonnta Meßli !» sagte mir einmal 
ein Wirt von Afonsweüer, und er hatte in gewissem Sinne Recht. 

Es wäre aber ganz verkehrt, wollte man die Jugend allein 
für den an sich überflüssigen Wirtshausbesuch verantwortlich 
machen. Der Abendmarkt, jener schöne sonntagliche Abend- 
spaziergang der Dorfjugend . ist größtenteils dahin. Früher 
wurde den ganzen Winter hindurch vom frühesten Morgen an 
gedroschen, und abends hatten die Drescher müde Knochen. 
Heute steht man kaum vor Tagesanbruch auf, und in 2—3 
Tai Jen erledigt man mit der Dreschmaschine die frühere Ar- 
beit von ebenso vielen Monaten. Die Barbierstube und die 
Dorfschmiede bleibt kaum den verheirateten Männern als abend- 
liche Plauderslätte vorbehalten. Hingegen machen sich auch in 
kleineren Dörfern allerlei Vereine breit, kirchliche und well- 
liche, Gesang-, Krieger-, Turn- und Radfahrervereine, nicht 
zu vergessen der wackeren Feuerwehr. Die ledigen Burschen 
und viele Männer werden durch all diese Verhältnisse mit ihren 
Familien geradezu ins Wirtshaus getrieben, und nach den vielen 
Vereinsfestlichkeiten im eigenen und im Nachbarsdorfe werden 
sie leicht vergnügungsmüde. Das Bedürfnis nach lebhaft ge- 
steigerter Geselligkeit, der rechte Meßtigeist fehlt. Die Uebung 
von mit einem gewissen Idealismus umgebenen Gebräuchen ist 
nicht mehr erstrebenswert, die Meßtitahigkeit ist aufgezehrt. 

Zweifellos besteht also eine weitverbreitete Gleichgültigkeit 
des Landvolks gegenüber dem Meßti. Es kommt alles ab, hört 
man oft sagen, besonders auch vom Meßti. Die Leute halten 
sich zurück. Einer sayl: Stell mich da hin, der andere: Hol 
mich dort ! Jeder will etwas anderes, immer zu seinem Vor- 
teil. Einen Zusammenhang herzustellen, ist schwer, und so ge- 
schieht dann überhaupt nichts. Es läßt sich nicht leugnen, daß 
der Meßti weitesten Dorfkreisen nicht mehr in Fleisch und 
Blut steckt. So schlief beispielsweise der Meßti von Nordhausen 
Ende der 1860 er Jahre sanft ein, der von Rosenweiler (Kanton 
Rosheim) 1885, der von Furchhausen 1901, der von Zut- 
zendorf 1807. Wohl flackerte dieser 1903 noch einmal auf, ob 
er sich aber wieder einleben wird, ist zweifelhaft. 

Von ganz besonderer Wichtigkeit ist das Verhalten der 
Wirte. Es ist klar, daß der Wirt seinen persönlichen Vorteil 
sucht und suchen muß, denn das ist ja sein tägliches Brot. 
Vor allern gehört zum Meßti ein ordentliches Tanzlokal. Hat 
der Wirt keinen genügenden Raum, so muß er eine Hütte 
aufschlagen. Wenn sich aber dieser kostspielige Bau nicht lohnt, 



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verzichtet er notgedrungen auf das ganze Fest. Und wenn dies 
mehrere Jahre hintereinander geschieht, so geht die Ueberlie- 
ferung verloren. Die vergnügungslustige Jugend verläuft sich 
auf die Nachbarsmeßti, was seine Vorzöge und besonderen Reize 
hat, der einheimische Meßti aber geht ein. In den kleinen 
Dörfern, die ohnedies schon auf die Beteiligung von Fremden 
angewiesen sind, sind diese Verhältnisse besonders ausgeprägt. 
So ging die Kirwe in Ermangelung eines Tanzsaals ein zu 
Memmeishofen 1862, Bremmelbach 1867, Lobsann 1879, 
Retschweiler 1887, Hermersweiler 1893, Spachbach 1897. In 
ßietlenheim verbrannte 1888 das Tanzhaus und wurde nicht 
wieder aufgebaut, auch in Keffenach ging 1876 die Kirwe und 
in Hattmatt 1888 der Meßti ein, weil der Wirt bei einem Uni- 
bau keinen Tanzsaal mehr baute. Der Meßti von Zoebersdorf 
ging in den 1860 er Jahren, der von Uttw eiler und Bischholz 
in den 1880 er Jahren ein, weil er dem Wirt nicht mehr ge- 
nug eintrug. Der mittelbare Anlaß in Bischholz war die Spal- 
tung der Gemeinde in zwei Parteien, von denen die eine nach 
Rothbach auszog und dort mitfeierte. 

Ueberhaupt wird der Meßti nicht selten durch eine mäch- 
tige Dorfpartei nachteilig beeinflußt, namentlich wenn sieh ein 
zweiter Wirt dahintersteckt und gegen den Meßtiwirt Ränke 
schmiedet. Ein Wirt, der selbst eine große Verwandtschaft 
besitzt, kann da viel Unheil stiften. 

Der Tod des einzigen Sohnes des Wirts von Menchhofen 
hatte 1890 den Untergang des dortigen Meßti zur Folge. Weil 
der Wirt ein Grobian war und seine Gäste aus dem Hause 
vertrieb, kam der Meßti von St. Peter 1854 ab. Wegen Ein- 
gehens der einzigen Wirtschaft ging 1852 der Meßti von 7s.se« - 
hftusen y 1882 die Kirwe von Niederseebach ein. 

Von Zeit zu Zeit beruht der Meßti auf einer Kraftprobe 
zwischen den Wirten und der Gemeinde. Lehrreich ist in die- 
sem Betreff Alteckendorf. Der dortige Meßti war 1903 um 
120 M. versteigert worden. Im folgenden Jahre setzte die Ge- 
meinde die Anschlagsumme auf 170 M. fest, die beiden in 
Betracht kommenden Wirte aber verabredeten sich und ver- 
pflichteten sich gegenseitig, nur 100 M. zu geben. Beide Par- 
teien blieben standhaft, und so fiel 1904 der Meßti aus. 1905 
ging die Gemeinde auf 135 M. herab, die Wirte stiegen auf 
120 M. Wiederum wollte keine Seite nachgeben, und wiederum 
«verschnurrte» der Meßti — so pflegt man in diesem Falle 
zu sagen. 1906 ließ der eine W T irt dem andern sagen, er werde 
ihm nicht im Wege stehn, wenn er den Meßti steigern wollte. 
Nun steigerte ihn dieser für 135 M., die Gemeinde blieb Sie- 
gerin. , 



Einige Meßti gingen zugrunde, weil sie durch die Nähe 
größerer Meßti angezogen und gewissermaßen aufgesogen wur- 
den. So kam der Meßti zu Krautweiler wegen Brumaih ab, 
Zehnacker wegen Wasselnheim, Uttweiler wegen Ingweiler 
und Buchsweiler , Bosselshausen 1824 wegen Buchsweiler, 
Handschuhheim wegen Ittenheim und Fürdenheim t lngenheim 
zum Teil wegen Hochfelden, Bolsenheim wegen Erstein 184*2. 
Eschau nimmt wegen des 1903 wieder aufgekommenen Fegers- 
heimer Meßtis schnei! ab. Wegen des Schleithaler Pfingst- 
rennens gingen die Kirwen zu Lampertsloch und Weiler bei 
Weißenburg ein, die beide am Pfingstmontag üblich waren, 
die von Lembach ist stark zurückgegangen. Riedheim wird so 
von Buchsweiler eingenommen, daß nicht nur der dortige 
Meßti aufgegeben wurde, sondern sogar die Schulkinder am 
Buchsweiler Meßli schulfrei haben, als ob es der eigene Meßti 
wäre. 

Die Nähe der Fabriken von BiSchweiler und der Gießereien 
von Zinsweiler beeinträchtigte ferner die Meßi in Gries und 
Gundershofen, während in Pechelbronn, Kutzenhausen und 
Merkweiler wegen der dortigen Oelbergwerke schon lange keine 
Kirwe mehr besteht. Industriell beschäftigte Arbeiter, selbst 
wenn sie auf dem Land wohnen, haben keinen Sinn für ver- 
traute Dorffeste. Das ländliche Moment ist vor dem sozialen 
zurückgetreten. Eine Arbeiteraristokratie gibt es ja nicht. 

Auch die Nähe Straßburgs wirkt zersetzend auf den Dorf- 
gebrauch, namentlich auf den Meßti. Mundolsheim, Lampert- 
heim, Vendenheim, Hanyenbieten, Kolbsheim, Eckboisheim, 
Lingolsheim und die drei Hausbergen haben zu leicht Gelegen- 
heit, in die Stadt zu kommen und zu genießen. Ihr Dorfsinn 
zerfallt allmählich, die Einwohner verlieren die Freude am ide- 
alen Dorfleben. Der Meßti reizt sie schwächer, man pflegt ihn 
weniger sorgsam, er kränkelt immer mehr und sieht einem 
bedauerlichen Siechtum entgegen. 

Anderseits ist manchmal der gediegene, vielleicht etwas zu 
altfränkische Sinn des Bauern, insonderheit in manchen Ha- 
nauerdörfern mit schuldig am Abkommen des Meßti. Auch ist 
in manchen Gemeinden die Sparsamkeit in Geiz ausgeartet und 
der Sinn für Gastfreundschaft erloschen, und so ließ man den 
Meßti als lästige Gelegenheit, zu unnützen Ausgaben und Aus- 
lagen einfach fahren. 

Die Ereignisse von 1870 und 1871 haben begreiflicherweise 
tief einschneidend auf die ländlichen Feste gewirkt. Da zahl- 
reiche junge Leute zu den Waffen einberufen wurden, und 
viele von ihnen auf dem Schlachtfelde blieben, gab es mehrere 
Jahre lang eine gewisse Zurückhaltung. Von Weitersweiler, wo 




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207 — 



der Meßti bei Ausbruch des Kriegs bereits vorbei war, wurden 
7ü junge Männer und mehrere Burschen eingezogen. E< traf sich, 
daß die Mehrzahl der Burschen den Heldentod fürs Vaterland 
starb. Infolgedessen kam der ehemals blühende Meßti überhaupt 
nicht mehr recht auf. Besonders verhängnisvoll waren für den 
Kreis Weißenburg die Schlachten bei Weißenburg und Wörth, 
welche die umliegenden Dörfer naturgemäß in verderbliche Mit- 
leidenschaft zogen. Die Kirwe hat dort zweifellos sehr viel von 
ihrem alten Granz eingebüßt. Weniger war dies im übrigen 
Elsaß der Fall. 

Ohne weiteres erklärlich ist das Fehlen des Meßti zu 
Marienthal, Avenheim, Ftexburg und Xiederhaslach wegen 
der Wallfahrten, sowie der Mangel einer Kirwe in Schirrhofen, 
welches zur Hälfte aus Juden besteht. 

Der Meßti von Wingersheim wurde 1827 und der von 
Forst heim 1874 jählings abgebrochen, weil ein Bursche auf 
dem Tanz erstochen wurde, sie kamen nicht mehr auf. Der 
Säsohheimer Meßti ging 1808, der Ueberacher 1854, die Kirwe 
von Kutzenhausen und Oberkutzen hausen 1874 ein wegen 
mehrerer Schlägereien. 

Wegen der vorgeschrittenen kalten Jahreszeit ging der Meßti 
in Gingsheim und Hohatzeuheim am Anfang des 19. Jahrhun- 
derts ein, er ist «erfroren». In der allgemeinen Feiertagsstim- 
mung des Pfingstmontags verschwand der Meßti von St. Nabor 
18b8. Der Meßti von Kilstett wurde 1 843 aufgehoben, weil 
mehrere Burschen beim Begraben des Meßti christliche Zere- 
monien verhöhnten. 

Der Meßti von Krafft, einem Weiler bei Erstem, wurde 
durch Beschluß des Gemeinderats von Erstein vom 13. Mai 
1 ( J07 aufgehoben wegen der großen Zahl der unehelichen Ge- 
burten, die im Anschluß an dieses Fest seit seiner Einführung 
(19(5) beobachtet wurde. 

Endlich ist hervorzuheben, daß 18i>3 der allgemeine Futter- 
mangel, 1897 im Hanauerland ein fürchterlicher Hagelschlag 
die Abhaltung des Meßti unmöglich machte. Zwar waren nicht, 
alle hanauischen Gemeinden betroffen, aber das ganze Hanauer- 
land verzichtete auf dieses Volksfest aus einem lobenswerten 
Mitgefühl. 1 82*2 ging der Meßti von Xiederehnheim wegen 
mehrjähriger Mißernten ein, 1905 fiel derjenige von Eng weiter 
wegen eines Hagelwetters aus. 

Nicht minder zeugt es von taktvollem Empfinden, daß sich 
die Dorfjugend aus eigenem Antriebe ihres Freudenfestes be- 
gibt, wenn ein Bursche oder ein Maide kurz vorher starb, oder 
wenn sich ein anderes Unglück im Dorf ereignete. 



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— 'JOS — 



Die Neubelebung abgegangener Feste. 

Von allers her haben sich die Wirte eifrig des abgegangenen 
Meßti angenommen, wobei sie in erster Linie natürlich auf 
ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Wenn der Wirt in seinen 
Verhältnissen nicht fest stand, so blieb es gewöhnlich bei dem 
einen Versuche, und der Meßli verschwand um so gründlicher. 

So wollte der Storchenwirt von Wilwisheim, dessen Ge- 
schäfte schlecht gingen, in den 1840 er Jahren'dem dortigen 
Meßti wieder aufhelfen. Der Versuch mißlang, und der Wirt 
verzog bald nach Zabern. 1854 fand auf Anregung eines Wirts 
in Bosselshausen nach dreißigjähriger Unterbrechung ein Meßli 
statt, 1867 noch ein zweiter. Er vermochte sich aber nicht zu be- 
haupten, und der Wirt wanderte nach Amerika aus. 1868 glaubte 
ein Wirt zu Riedheini, wo wegen der Nähe von Buchsweiler 
noch nie ein Meßti stattgefunden hatte, durch Abhaltung eines . 
solchen seine zerrütteten Verhältnisse autbessern zu können. Es 
gab einen kleinen, mageren Meßti, zwei Jahre nachher hatte 
der Wirt abgewirtschaftet und verschwand. Am Napoleonstag 
1869 versuchte es ein Wirt, den Wicker theimer Meßti wieder 
einzuführen. Er erhielt in der Tat vom Bürgermeister Tanz- 
erlaubnis. Als aber der Wächter kam und Feierabend bot, 
lachte ihn der Wirt aus und befahl: «Als fortgetanzt !» Zwei 
Protokolle waren die Folge, und seitdem wurde in Wickersheim 
nicht mehr getanzt. In Dingsheim wagte es in den 1860 er 
Jahren gar der Bürgermeister, der mit dem Pfarrer verfeindet 
war, diesem zum Trotz einen regelrechten Meßli zu veranslalten. 
Er fand aber wenig Beifall, und die Bürgerschaft wandte sich 
noch mehr von ihm ab. 

Besseren Erfolg haben die Bestrebungen der Wiederein- 
fülirung in den letzten Jahren, da offenbar die Bürgermeister 
den Vorteil der Genieindekasse wahrnehmen und die Wirte 
auch gegen nachteilige Einflüsse der Pfarrer unterstützen. Fast 
jedes Jahr hört und liest man von der Neubelebung längst ab- 
eresrawrener Meßli. Aber wenn auch vom Standpunkte des For- 
schers solche Wiederaufrichtungen zu begrüßen sind, darf doch 
nicht übersehen werden, daß die Ueberlieferung, jener wesent- 
liche Umstand bei der Erhaltung der Sitten, nach langer Unter- 
brechung fast allgemein verloren gegangen ist. Der neuzeitliche 
Meßti, jenes verkümmerte Fest, von dem weiter unten ausführ- 
lich die Hede sein wird, wurde sein Vorbild. Der innere Kern, 
Idealismus, Sitte und Brauch fehlen. Die geschäftliche Idee steht 
im Vordergrund, es ist vor allem auf den Geldbeutel der Teil- 
nehmer abgesehen. Man kann also, strenggenommen, nicht von 
Neubelebung des abgegangenen Meßti, sondern nur von einem 



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— 209 



Meßti in neuem Gewände sprechen. Immerhin ist wieder Meßli, 
und dieser Meßli hat mehr Aussicht auf Bestand, weil die neu- 
zeitlichen Verhältnisse, insbesondere der Verkehr, das Wirt- 
schafts- und das wirtschaftliche Lehen ihm günstig sind. 

So gingen die nachhenannten Meßti ah und wurden wieder 
eingeführt : Kolbsheim 1880—1897, Herlisheim a. d. Zorn 
1875 — 1900 (durch einen großen Umzug mit 5 Musikkapellen), 
Breuschwickersheim 1858—1901, Kilstett 1843—1902, Weyers- 
heim 1853—1902, Eckboisheim 1806-1902, Spachbach-Ober- 
dorf 1897-1902, Wibolsheim 1846-1903, Fegersheim 1853 
—1903. In Monheim fand 1876, in Krafft 1905 überhaupt der 
erste Meßti seit Menschengedenken statt. Die Zahl dieser Dörfer 
ist aber zweifellos größer und wird sicherlich jedes Jahr noch 
steigen. In Dauendorf haben in den letzten Jahren einige 
Pfaüenhöfer Geschäftsleute, besonders Bierbrauer und Metzger 
versucht, den Meßti wieder in Schwung zu bringen. Ob mit 
Erfolg, wird die Zukunft lehren. 

Flotte Meßtidörfer. Der Geist des Festes. 

Der Alkohol. 

In allen Ortschaften, von denen Meßti oder Kirwe nicht 
als abgegangen bezeichnet sind, besteht dieses Fest noch heute. 
Es gilt als Regel, daß auch das kleinste Dorf früher seinen 
Meßti hatte. Heute haben kleine Dörfer überhaupt keinen Meßti 
mehr, oder er findet bloß in größeren Zwischenräumen statt. 

Die höchste Entwickelung^erlebte das Fest Ende der 1850er 
und besonders in den 1860er Jahren. In jenen Jahren, die noch 
vielen Landbewohnern in angenehmster Erinnerung sind und 
die sie noch oft mit Wehmut an die glückliche Zeit der fran- 
zösischen Herrschaft zurückdenken lassen, blühte die Landwirt- 
schaft und hatte der Bauer Bargeld, und so war die unerläßliche 
Grundbedingung für einen flotten Meßti gegeben. Insbesondere 
waren die protestantischen Dörfer der ehemaligen Grafschaft 
Hanau-Lichtenberg der sicherste Hort der Meßtisitte und ihrer 
idealen Ausgestaltung. 

Im allgemeinen hatte damals der Meßti einen festeren Be- 
stand bei der protestantischen Bevölkerung, In den meisten 
katholischen Dörfern scheint es zu einem allseitigen Ausbau 
der Meßtigebräuche überhaupt nicht gekommen zu sein. Aus 
diesem Grunde wird von vielen Katholiken unter dem Meßti 
eine protestantische Sitte verstanden, und wenn in vorwiegend 
katholischen Landstädtchen und Flecken die Bezeichnung Meßti 
üblich ist, so kommt es davon her, daß sich das protestantische 
Landvolk mit Vorliebe daran beteiligt, insbesondere am Tanz. 

U 



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- 210 - 

Die schweren Wunden, die der Krieg vor. 1870(71 dem 
allen Meßti geschlagen hat, heilten nicht mehr ganz aus. Um 
das Jahr 1875 finden wir zwar tasl überall den Meßti wieder, 
aber seine frühere Höhe hat er nicht wieder erreicht. Diejeni- 
gen Dörfer, wo er sich durch den Wandel der Zeiten hindurch 
bis auf unsere Tage verhältnismäßig am reinsten erhalten hat, 
sind Mietesheim, Obermodern, ftüsweiler, Alleckendorf, Hördt, 
Weilbruch, Quatzenheim, lttenheim, Fürdenheim, Enzheim, 
Bläsheim, Klingenthal und die Kirwe zu Gorndorf. Von Dör- 
fern mit vielbesuchtem blühendem Kirch weihfeste, das jetzt 
nur noch in der Erinnerung fortlebt, sind zu nennen : Ober- 
steinbach, Kleeburg, Walburg, Dürrenbach, Morsbronn ^ 
Schweig hausen, Nieder schä ff ohheim, Uhhvtiler, Dauendorf, 
Weyen- heim, Wanzenau, Gambsheim, Weitersweiler, Wicker s- 
heim, Imbsheim, Gottesheim, Prinzheim, Ilattmatt, Gries- 
bach (Kanton Buchsweiler), Uhrweiler, Furchhausen, Still. 
Noch größer aber ist die Zahl der ehedem blühenden Meßti- 
gemeinden, in denen das Fest heute nur noch ein Scheinda- 
sein führt. 

Wenn man den Dauern fragt, warum er Meßti feiert, so 
bleibt er die Antwort schuldig. Er hat keine blasse Ahnung 
davon, daß es ein altgermanisches Erntefest ist, das die Kirche 
mit der Zeit umgedeutet hat. Die Nachkommen derer, die nach 
eingebrachter Jahreserute den Göllern Dankopfer brachten, 
haben nicht mehr das Bedürfnis, die glückliche Einheimsung 
der Feldfrüehte mit Aeußerungen weltlicher Festesfreude zu 
Hingeben. Das protestantische Landvolk empfindet es sogar un- 
angenehm, wenn man von ihm am kirchlichen Ernte-, Herbst- 
und Dankfest ein größeres Opfergehl erwartet, das bekanntlich 
an die>em Tage bestimmungsgemäß dem Thomasstift in Straß- 
burg zu Studien- und Slipendienzwecken zutällt. Kein Mensch 
denkt an diesem Tage daran, auch nur einen besseren Bissen 
zu essen oder ein Glas Wein mehr zu trinken. 

Was die Erinnerung an die Kircheneinweihung betrillt, so ist 
sie bei Protestanten ein unbekannter Heg rill, bei Katholiken ein 
untergeordneter l'mstand. Vielmehr ist der Meßti, man kann 
wohl sagen seit Jahrhunderten ein reines Freudentest. Alles 
andere hat er abgestreift und \<m der Kirche bloß noch den 
verstümmelten Namen behalten. 

Der Meßti ist der lnbegrilt der Freude, des Vergnügens, 
der Lust in jeder Form. Alles was die Sinnenlust reizt, was 
dem Auge, dem Ohr und dem Magen zusagt, lindet auf dem 
Moßü eine üppig blühende Pflegeslätte. Der Trieb zu genießen, 
im l'eherfluß und maßl." zu genießen, tritt allmächtig hervor 
und überwuchert mit Urgewalt die kirchliehe Seite des Festes, 



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— 211 - 

einigermaßen veredelt durch Brauch und Sitte. Dabei ist der 
Bauer nicht empfindlich in der Auswahl seiner Vergnügungen, 
die ihm gewiß zu gönnen sind. Er ißt und trinkt, er bewirtet 
und sitzt zu Gaste, er tanzt und spielt, er liebt und zankt, 
er singt und schreit, er jauchzt und lärmt, er scherzt und 
foppt, er führt derbe, zweideutige und auch unsittliche Reden. 
Sogar Geld ausgeben und Prügel bekommen ist für man- 
chen ein Vergnügen. Der elsässische Landmann hat Freude 
an langen Sitzungen, und da wo es ausgelassen, ja toll zugeht, 
fühlt er sich besonders wohl. 

Manche Gebräuche werden in den Meßli hineingewoben, 
die gar nichts mit ihm zu tun haben und nur den allgemeinen 
Ausdruck des Ergötzens und der Freude bilden, so das Eier- 
sammeln, der Bärentanz, die Vorrechte der Gestellungspflich- 
tigen. So auch der bekannte Meßli von Wangen, mit dem es 
folgende Bewandtnis hat. 

Die Gemeinde hatle aus alter Zeit an die Abtei St. Ste- 
phan den Zehnten in Gestalt von 800 Ohmen Wein zu ent- 
richten. 1700 wurde dieser Zehnte durch Ludwig XIV. auf das 
Haus der Schwestern von der Heimsuchung überlragen. Im 
Laufe der Zeit war es aber der Verschlagenheit der Kloster- 
schaffner gelungen, noch weitere G00 Ohmen als Bodenzins ein- 
zutreiben. Während der französischen Revolution wurden diese 
1400 Ohmen mit der Aufhebung der Naturalsteuern abgeschafft. 
Aber im Jahrel819 erhoben zwei Wucherer auf Grund gefälschter 
Urkunden Anspruch auf die rückständigen Abgaben, indem 
sie diese als noch zu Recht bestehend zu erweisen suchten. 
Es entstand ein Prozeß, den die Gemeinde im Jahre 1830 in 
letzter Instanz gewann. Zum Andenken daran wurde 1834 
der Brunnen bei der Kirche errichtet. Jedes Jahr aber am 3. 
Juli läuft aus dem Brunnen eine Stunde lang Wein statt Wasser. 
Der Bürgermeister hält eine Ansprache, die die Entstehung 
des Festes erläutert. Dann trinkt er nebst dem Gemeinderat, 
der Geistlichkeit und dem Lehrer auf das Wohl der Gemeinde, 
und jedes Schulkind erhält einen Groschenwecken. Der Reihe 
nach trinken die Umstehenden von dem köstlichen Wein, und 
erst dann wird der Meßli wie auch in andern Dörfern gefeiert. 

In geistvoller Weise hat Pf a n nen s eh m i d ' in den 
Kirchweihfesten zahlreiche Anklänge an heidnische Bräuche 
nachgewiesen. Aber es wäre übertrieben, wenn man in jeder 
eigenartigen Veranstaltung gleich ein Ueberbleibsel aus alters- 
grauer Zeil wittern wollte. Vieles ist sicherlich zufällige Erfin- 
dung, Scherz und müßige Zutat. 



i Pf a n n e n s c h m i d. Germanische Erntefeste. Hannover, Hahn, 1 878. 



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— 212 — 



Auch die grobe Sinnlichkeit kommt in der Meßligemeinde 
reichlich auf ihre Rechnung, namentlich wenn man bedenkt, 
daß ihren Stamm die freie, leichtgeschürzte Jugend und viel- 
fach der dienstbare Abkömmling der untersten Volksschichten 
bildet. Wir werden in unseren Aufzeichnungen bis an die 
Grenze des Erlaubten gehn und alles, was sich dem Papier nur 
einigermaßen anvertrauen laßt, gewissenhaft berichten. In dieser 
Beziehung halten wir es mit dem deutsch-amerikanischen Fol- 
kloristen Karl Knorz, der sich wie folgt äußert * : «Wer 
an Zimpferlichkeit leidet, soll sich meinetwegen mit Mathematik 
oder Nationalökonomie, nicht aber mit Volkskunde beschäftigen. 
Wer beim Anhören einer derben Redensart oder einer safti- 
gen Erzählung in moralische Entrüstung gerät und derselben 
durch Worte oder Gebärden unverkennbaren Ausdruck verleiht, 
eignet sich nicht zum Sammler auf unserem Gebiete.» 

Der Inhalt der Freude war zu verschiedenen Zeiten ver- 
schieden. Wollte man heute — um bloß ein einleuchtendes 
Beispiel zu erwähnen — die Tänze wiedereinführen, an denen 
sich unsere Großeltern dereinst ergötzt haben, der Tanzboden 
würde sich bald von selbst leeren. Auch die Anschauungen 
über das, was erlaubt und anständig ist, wechseln, hauptsäch- 
lich unter dem Eintluß und Druck der Religion und ihrer 
Diener. Man muß daher das Volk und seine Ansichten und 
Bedürfnisse verstehen. Insbesondere die Jugend muß ihr Ver- 
gnügen haben. Das ist eine natürliche Aeußerung der rechten 
Lebenslust. Unterdrückt man sie gewaltsam, so läuft man Ge- 
fahr, einen verderblichen Rückschlag auf anderen Gebieten zu 
erzeugen. Die jungen Leute gehen alsdann einfach ins Nach- 
barsdorf oder in die Stadt, wo sie sich ohne Aufsicht vergnügen 
und ihr Geld ausgeben, und wo oft schlimmeres geschieht als 
ein unschuldiger Tanz. 

Der Meßli als der Begriff der höchsten Freude hat Anlaß 
zu mehreren Redensarten gegeben, die die Empfindung des 
Volkes so recht wiedergeben. Da ist Meßti ! sagt man im Sinne 
von «Da gehts lustig zu !» Der Gänsmeßti ist die Versammlung 
schnatternder Gänse, die auf die Weide oder aufs Wasser ge- 
trieben werden. Unter Kalzenmeßli versteht man die nächtliche 
Liebesmusik eines verliebten Katzenpaares. «Er ist am Tag vor 
Meßti gestorben», heißt es von jemand, bei dessen Tod — be- 
sonders unter lachenden Erben — eitel Freude und Jubel herrscht. 

Im alkoholfeindlichen Zeitalter ziemt es sich, auch ein 
Wort über die Bedeutung der geistigen Getränke bei den Kirch- 



• Karl Knorz, Was ist Volkskunde und wie studiert man 
dieselbe ? 3. Aufl. Jena, H. YV. Schmidt, lyoti. S. 5. 



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— 213 — 



weihfestlichkeiten zu sagen. Der verdienstvolle Alkoholgegner 
Pfarrer Dietz von Mundolsheim schreibt »: «Ich erinnere auch 
daran, wieviel Ehre und Sittlichkeit schon auf den Tanzböden 
der Kirch weihfeste zu Grabe getragen wurde, wenn die Sinne 
infolge ubermäßiger Alkohollibationen in des Wortes brutalster 
Bedeutung berauscht waren und leichtsinnige Ellern es an der 
nötigen Aufsicht fehlen ließen. Wie manche liier verführte junge 
Seele hat eine unbewachte Stunde mit Jahren bitteren Herze- 
leids gebüßt : 

Das Scheinglück, das man sich versprach, 
Ließ nichts als Uram und Reue nach.» 

Und ferner«: «Ich gehöre gewiß nicht zu denen, welche 
diese Volksfeste als Teufelsauswüchse in den tiefsten Höllenpfuhl 
verbannen möchten. Sie haben als frohe Feste nach saueren 
Wochen eine gewisse Berechtigung. Wie oft aber gerade das 
bacchanalische Trinken, das die Kehrseite solcher Kilben ist, 
zu blutigen Schlägereien führt, ist männig) ich bekannt.» 

Diesen Aeußerungen kann man im allgemeinen beipflichten. 
Mäßigkeit ziert jeden Menschen, auch den Meßtimenschen. Es 
frägt sich nun: Empfiehlt sich ein alkoholfreier Meßli? Unsere 
persönliche Ansicht ist die folgende. Durch den Genuß geistiger 
Getränke wird zweifellos die Feststimmung und der Genuß am 
Feste erhöht. So lange das Trinken ein Genuß bleibt und nicht 
in das Uebermaß ausartet, ist es nicht vom Uebel, und wir 
möchten es bei unseren Festen nicht missen. Im Trinken steckt 
auch eine wohltätige Anregung, und es läßt sich mit Sicherheit 
annehmen, daß vieles, was wir als poetische Umwebung der 
Feste ansehen und was den Forscher immer wieder anzieht 
und unsäglich fesselt, nicht ohne die Mitwirkung des Weines 
im festlichen Kreise der Meßtigemeinde zustande gekommen 
wäre. Und wie ganz anders gestaltet sich der Verkehr in fröh- 
lich angeregter Gesellschaft ! Wie leicht fließt die Unterhaltung 
dahin und nicht am wenigsten das freudige Gesprach zwischen 
Bursch und Maide. Ohne Alkohol sind Meßti und Kirwe un- 
denkbar. Frömmelnde Nüchterlinge, «Zuckerwasservetter» und 
Mäßigkeitsheuchler gehören weder auf den Meßti noch auf den 
Tanzboden. Und warum sollte man unsere braven Bauern, die 
sich das ganze Jahr hindurch ehrlich abschinden, das versagen 
wollen, was die «höheren» Kreise als selbstverständlich tun, 
was selbst an fürstlichen Tafeln geübt wird? 



1 Pietz, Der Alkoholismus in Elsaß-Lothringen. Straßburg. Heitz, 
1903. S. GÜ. 

2 Dietz, a. a. 0., S. 72. 



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— 214 - 

Vom Standpunkte der Mäßigkeit aus begrüßen wir es, 
wenn heute mehr Bier getrunken wird als Wein, der ungleich 
teurer ist. Aber der Wein richtet noch immer Unheil genug 
an. In dieser Hinsicht sind späte Meßti und Kirwen besonders 
gefährlich, weil es dann schon neuen Wein gibt. Dieses Lieb- 
lingsgetränk des Landbewohners ist ein gar löckisches Getränk. 
Bei späten Kirchweihfesten kommen die Burschen schon oft 
betrunken auf das Tanzhaus. Der wirbelnde Tanz übt dann 
eine schnelle und heftige Wirkung aus, und nicht selten ist 
bald ein Unglück geschehen. 

Wir verkennen auch nichl, daß die Maiden viel mehr 
Kaffee, Fruchtsäfte und Limonade trinken als die Burschen und 
sich dabei recht wohl befinden. Dennoch möchten wir den aus- 
schließlichen Genuß solcher Getränke wegen der fehlenden An- 
regung für die Burschen nicht empfehlen. Für sehr wichtig 
hallen wir aber einen tüchtigen Imbiß in später Abendstunde, 
der denn auch ein wichtiger Bestandtteil des alten Meßti ist 
und außerdem noch durch erhaltenswerte Sitten umrahmt wird. 
Darüber in einem späteren Abschnitt. 

Dauer. Vor-, Haupt- -und Nachmeßti (-Kirwe). 

Erntegans. 

Im 18. Jahrhundert und vorher dauerte das Kirchweihfest, 
ob es nun an einem Wochentage oder am Sonntag abgehalten 
wurde, nur einen Tag. Wenigstens ist uns archivalisch nicht 
zur Kenntnis gekommen, daß das Fest länger gedauert hätte. 
Zutreffendenfalls wären uns bei der bekannten ablehnenden 
Haltung der Geistlichkeit sicher lebhafte Klagen über die 
allzugroße Ausdehnung des Festes erhalten geblieben. Es er- 
streckte sich jedoch mit der Zeit auf 2, 3 und selbst 4 auf- 
einanderfolgende Tage. Wenn aber ein fröhliches und ver- 
trägliches Meßlivolk beisammen war, wenn sich die Musikanten 
lustig, flott und zu Scherz und Kurzweil aufgelegt zeigten, wenn 
außerdem das Wetter und der Jahrgang gut waren, so wurde 
nicht seilen die ganze Woche hindurch gefeiert und jubiliert, 
jede Nacht bis in den hellen Morgen getanzt, und der Nach- 
meßti schloß sich gleich an. Dieser Zustand findet sich in den 
18-0 er Jahren in der überwiegenden Mehrzahl der ländlichen 
Ortschaften beider Konfessionen. Wir gehen wohl nicht fehl, 
wenn wir diese ausgedehnten Lustbarkeiten der Freude des 
Volkes über bessere Zeiten nach so schwerem Kriegsleide und 
so langer Unsicherheit zuschreiben. Es wurde nun mehrere 
Jahrzehnte lang durchweg vier Tage hintereinander Meßti oder 
Kirwe abgehalten. 



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— 215 - 

Neben dieser Ausdehnung auf mehrere aufeinanderfolgende 
Tage wurde im Laufe der Zeit noch eine örtliche Vervielfältigung 
des Festes in der Weise eingeführt, daß man an drei verschie- 
denen Sonntagen Vormeßti, Hauptmeßti und Nachmeßti (hezw. 
-Kirwe) feierte. Diese Grundform findet sich noch rein an 
drei aufeinanderfolgenden Sonntagen in einigen Dörfern im 
Süden des Meßtigebiets, während sie im Norden nicht vorzu- 
kommen scheint. So in Heiligenberg, Oberhaslach, Dinshehn, 
Zellweiler (bis 1865) und im Gebiet der Kilbe. Zu Lingolsheim 
fand bis 1872 an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen Vor- und 
Hauptmeßti und einige Wochen nachher, wieder an einem Sonn- 
tage, Nachmeßti statt. In allen diesen Dörfern kam ein Wo- 
chentag nicht in Frage. Diese Art hat den Nachteil, daß sich 
ordentliche Stände und ein Karussell nicht leicht einfinden, weil 
das Fest zu kurz und keine Zeit ist, gute Geschäfte zu machen. 

Auch die blühenden Meßtidörfer des Nordens, insbesondere 
die des Hanauischen, hatten Vormeßti, Meßti und Nachmeßti 
(bezw. -Kirwe). Jedoch besland der Meßti aus 3 — 4 aufeinander- 
folgenden Festtagen, und außerdem wurde der Vormeßti nicht 
unbedingt 8 Tage vor dem Meßti und der Hauptmeßti nicht 
immer 8 Tage nachher gefeiert. Schon aus wirtschaftlichen 
Gründen war es den beteiligten Personen, insbesondere den 
Wirten lieber, wenn eine längere Pause gemacht wurde. Dann 
konnte man sich etwas ausschnaufen und frische Geldmittel be- 
schatten. 

Unter dem Einfluß der in den früheren Abschnitten dar- 
gelegten Verhältnissen ist der Meßti im ganzen zusammenge- 
schrumpft. Der Hauptmeßti ist von vier oder drei fast allgemein 
auf zwei Tage zurückgegangen und hat sich nur ausnahmsweise 
an drei Tagen behauptet. Die Vorkirwe ist im Kreis Weißen- 
burg ganz abgekommen, man begibt sich dort gleich in die 
Aufregung der Hauplkirwe. Im Meßtigebiet ist teils der Vor- 
meßti, teils der Nachmeßti abgekommen. Ferner beschränkt 
sich schon da* Hauptmeßti hie und da auf einen einzigen Tag. 
Allerdings ist das schon ein Zeichen der Verkümmerung, der 
Anfang vom Ende. Unseres Wissens gibt es keine Ortschaft 
mehr, wo der Hauptmeßti an zwei Tagen und dabei noch ein 
Vor- und ein Nachmeßti staltfände. So ist denn eine reiche 
Abwechselung in der Anordnung der Festlage gegeben, ohne 
daß es für einzelne Ortschaften oder größere Gebiete eine Regel 
«;äbe. Das ist in jedem Einzelfalle die Folge der örtlichen Ver- 
hältnisse und Rücksichten. 

Es mögen hier einige Beispiele folgen. 

Fünf Tage dauert der Meßli noch in labern und Wasseln- 
heim. Es ist jedoch zu bemerken, daß diese Ausdehnung ledig- 



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lieh den verschiedenen damit verbundenen Jahrmärkten zuzu- 
schreiben ist. 

Drei Tage Meßti und ein Tag Nachmeßti: Mutzig, Buchs- 
weiler und Beinheim (davon je ein Tag Jahrmarkt), Lingolsheim, 
Mothern, Münchhausen, Niederlauterbach, Salmbach, Wesch- 
heim. 

Drei Tage Meßti : Brumath und Hochfelden (davon je ein 
Tag Jahrmarkt), Übermodern (1897), Gundershofen, Mietes- 
lieim, Engweiler, Wilsberg. 

Ein Tag Vormeßti und zwei Tage Meßti : Erstein, Burg- 
heim, Goxweiler, Klingenthal, Schillersdorf, Uhrweiler. 

Zwei Tage Meßti und zwei Tage Nachmeßti : Mittelbergheim, 
Hläsheim, Musau, Ruprechtsau, bis vor kurzem in Schill ig- 
heim, Rischheim, Hünheim und früher allgemein im Kreise 
Weißen bürg. 

Zwei Tage Meßli und ein Tag Nachmeßti: Wisch, Gre.ndel- 
bruch, Still, Winzenheim, Dunzenlieim, Weitbruch, Hordt, 
Schweighausen, Kronenburg, Runzenheim, Lauterburg (Jahr- 
markt), Scheibenhand, Wingenbach, Hühl, Eberbach bei Selz, 
Kessel dorf, Kröttweiler, Xiederrödern, Überlauterbach, Schaff - 
hausen bei Selz, Selz (Jahrmarkt), Siegen, Sulz unterm Wald, 
Hohweiler, Humpach, Jngolsheim, Aschbach, Hatten, Hofen, 
Kühlendorf, Leitersweiler, über- und Niederbetschdorf, Über- 
rödern, Rittershofen, Stundweiler, Altenstädt, Kleeburg, Über- 
hofen, Übeneebach, Rjtt, Steinselz, Dreibrunnen, Garburg, 
Haarberg, Walscheid, Harzweiler, Hämmert, Heinrichsdorf, 
St. Johann- Kurzerode, Ariweiler, St. Louis. Diese Form ist 
noch besonders im nördlichen Kreis Weißenburg und in der 
Umgegend von Hatte) t sowie in Lothringen üblich. 

Zwei Tage Meßti : heute im Meßtigebiet die vorherrschende 
Form. Im Kreise Weißenburg feiert man zwei Tage Kirwe in 
der Gegend von Worth und Lembach. 

Ein Tag Meßti und ein Tag Nachmeßti : Dorlisheim, Kolbs- 
heim, Birlenbach, Drachenbronn, Reimenweiler, Surburg, 
Schwabweiler. 

Ein Tag Kirwe : Xeeweiler bei Selz, Kaidenburg, Ried- 
aelz, Schleithal, Mattstall, Gunslett, Überdorf-Spachbach. 

In der Praxis wird der Vormeßti so verstanden und ge- 
handhabt, daß die beteiligten Personen, namentlich der Meßli- 
bursch und die Wirte einen allgemeinen reberblick über die 
Zahl, die Stimmung und den Wert der Teilnehmer, in erster 
Linie der eingesessenen Dorfburschen gewinnen. Er besteht 
aus einem Tanzvergnügen bis tief in die Nacht und wird daher 
auch Antanzmeßli genannt. Hierbei zeigt es sich schon, welche 
Paare Zusammengehn ; und wer dabei zu kurz kommt, hat noch 



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— 217 - 

Zeit, sich bis zum Meßti vorzusehen. Vormeßti wurde in Gries- 
bach (Kanton Niederbronn) bereits am Ostermontag gefeiert (bis 
1882), in Engweiler 6 Wochen, in Buchsweiler 3 Wochen vor 
dem Meßti. Zu Schillersdorf gilt Pfingsten als Antanzmeßti, zu 
Uhrweiler die Erntegans, und es wird dabei bloß von ledigen 
jungen Leuten getanzt. In Grafenstaden galt zu französischen 
Zeiten der Napoleonstag (15. August) als Vormeßti und zwar 
als Freimeßti, d. h. jedermann konnte unentgeltlich einen Stand 
aufschlagen. In Ilothbach bestand der Vormeßti noch 1897 in 
Gestalt eines einfachen Tanzes, zu Morsbronn war er 1892 in 
ein Trinkgelage entartet. Er dürfte heutzutage selten sein. 

Der Nachmeßti ist ebenfalls vorwiegend ein Trink- und 
Tanzvergnügen und wird gewöhnlich 8 Tage nach dem Haupt- 
meßti abgehallen. In liuchsweiler ist dies Vorschrift. In Gar- 
bürg wird der Meßti-Dienstag, in Mutzig der Meßti-Mittwoch 
Nachmeßti genannt. Zu Schwabweiler hieß bis 1862 der Pfingst- 
montag Vorkirb, der Pfingstdienstag Nachkirb, seit 1862 der 
Sonntag vor Pfingsten Vorkirb und der Pfingstmontag Nach- 
kirb. In Oberhaslach heißt der Nachmeßti Austanzmeßti, an- 
klingend an das bekanntere Antanzmeßti. 

Nicht selten wird der Nachmeßti in eine spätere Jahreszeit ver- 
legt, wenn alle Feldfrüchte eingeheimst sind, und dann pflegt das 
Fest wieder mit großem Schwung abgehalten zu werden, weil 
die jungen Leute unterdessen Gelegenheit hatten, sich neue 
Geldmittel zu beschallen. Nicht selten wird von der Kreisdirek- 
tion ein Nachmeßti genehmigt, wenn der Hauptmeßti unter be- 
sonders ungünstigen Verhältnissen, z. B. unter fortgesetztem 
Regenwetter zu leiden hatte, und zwar wegen der Wirte. In 
Dunzenheim wird der Nachmeßti neuerdings mit einem Fest 
der Feuerwehr verbunden. Der Hördter Nachmeßti genießt eine 
besondere Beliebtheit, weil an diesem Tage die. Maiden ihre 
Burschen zehr- und zechfrei halten müssen. 

Da weder der Vormeßti noch der Nachmeßti durch beson- 
dere Gebräuche ausgezeichnet waren, braucht ihrem Untergänge 
keine Träne nachgeweint zu werden. 

In engem Zusammenhange mit dem Meßti stand früher 
die ('Erntegans». Es war ein Fest aus Anlaß des glücklichen 
Einbringens der Ernte und bestand in Essen, Trinken und 
Tanzvergnügen. Manchmal war auch ein Lebkuchen- und Ge- 
schirrstand da. 

"Was zunächst die Ableitung des Wortes betrifft, so wird 
es gewöhnlich mit «Erntekranz» zusammengebracht, also sinn- 
bildlich als Beendigung der Ernte gedeutet. In ländlichen Kreisen 
trifft man nicht selten die Meinung, das Wort sei aufzufassen 
als «Ernte ganz» = ganz fertig. Diese Ansicht kann man wohl 



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- 218 — 

als Volksetymologie abtun. Andere erblicken darin eine Verstüm- 
melung aus «Erntetanz», indem sie an dasjenige denken, was 
heutzutage im Vordergrunde steht. Nach unserer Ansicht ist 
die Auslegung «Erntegans» die einzig richtige. Zunächst ist das 
Verzehren einer Gans als Erntebraten ein alter germanischer 
Brauck Es erscheint uns zweifellos, daß auch im Elsaß in 
früheren Zeiten nach Beendigung der Ernte ein Gänsebraten 
gegessen wurde. Dafür spricht eine Stelle im Alteckendörfer 
Pfarrarchiv, wo in einem Presbyterialprotokoll vom 6. August 
4737 berichtet ist, daß ein Mann aus Minversheim von einem 
Alteckendörfer Wirt «zu der Ernd Ganß eingeladen worden». 
Die Schreibung «Ganß» durch den Pfarrer ist nicht mißzuver- 
stehen. Noch heute spricht man im Hanauischen «Aernegangs», 
und darunter kann bloß eine Gans verstanden werden. Eine 
Verstümmelung aus «Erntekranz» oder «Erntetanz» könnte nie- 
mals «Aernegangs», sondern müßte «Aerneganz» lauten, ganz 
abgesehen davon, daß weder ein sprachlicher noch ein anderer 
Grund zur Abschleifung von «Kranz» oder «Tanz» in «Ganz» 
ersichtlich ist. Auch wäre es nicht gut verständlich, weshalb 
«Aernegangs» mit dem weiblichen Geschlechtswort gebraucht 
wird, wenn es mit «Tanz» oder «Kranz» zusammenzubringen 
wäre. Die einzige Schwierigkeit, die aher nach unserer Ansicht 
keine ist, ist die, daß der Bauer seit langer Zeit keine Gans 
mehr ißt und daß es ihm daher schwer fällt, bei festlichem 
Schmaus und Tanz an eine Gans zu denken. 

Auch Pfannenschmid 1 und Eppel 8 leiten «Ernte- 
yans» von «Gans» ab. 

Stöber * berichtet, daß 1857 der Meßti in den allhanau- 
ischen Gemeinden «Aernteganz» hieß. Unsere Forschungen haben 
dies nicht bestätigen können. Ein Zeitraum von 35—40 Jahren 
wäre aber bei weitem nicht hinreichend, um die Erinnerung 
an eine früher stattgehabte anderslautende Benennung dieses 
hervorragenden Festes im Volksgedächtnis auszulöschen. Somit 
müssen wir wohl die Ansicht Stöbers als nicht zutreffend be- 
zeichnen. Alles, was sich ermitteln ließ, ist, daß in Uhrweiler 
die Erntegans als Vormeßti dient, daß zu Laubach und zu 
Forstheim seit langer Zeit die Erntegans in Gestalt eines bes- 
seren Imbisses statt des Meßti gefeiert und daß in Geudertheim 
die Erntegans nicht an einem besonderen Tage, sondern am 
Meßti abgehalten wird. In Handschuhheim fällt der Meßti 
manchmal aus, wenn die Erntegans in besonders ausgiebigem 
Maße stattfand. 

» Pfannenschmid, a. a. 0., $. :-!00. 

2 Epp e 1 , a. a. 0., S. 50. 

3 S t ober. D. Koehersberg. Mülhausen, Rißler, 1857. S.50, Anm.2. 



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- 219 



Die «Erntegans» wurde in früheren Jahrzehnten fast allge- 
mein abgehalten, und die Vereinigung aller Ernteknechle des- 
selben Haushalts an einem Tisch verlieh ihr ein besonders ver- 
trauliches Gepräge. Heute denkt der Bauer anders. Der Dienst- 
bole und der Taglöhner sind ihm einfach Arbeitskräfte, die ihn 
Geld koslen — zu viel nach seiner Ansicht — , und die ihm 
keine Veranlassung geben, sie dazu noch in überflüssiger Weise 
zu bewirten. So ist die Erntegans allmählich abgekommen. Sie 
ist außer den oben erwähnten Dörfern noch gebräuchlich in 
Weitbruch, Uttweiler und Kleeburg. In Dautenheim ist der 
Erntebraten der Schnitter mit dem Meßti verschmolzen, aber 
der Begriff «Erntegans» ist dort nicht mehr bekannt. Es ist 
das ein zufälliges Zusammentreffen eines neuzeitlichen Ernte- 
brauches mit dem altgermanischen Erntefest. 

In Geaderlheim sagen die Ernteknechte, wenn sie das 
letzte Weizenstück abmähen: «Jetz welle m'r lueje, daß m'r d' 
Aernegauns bekumme.» Sie denken sich aber nichts dabei. 

- 

Der Zeitpunkt des Festes. 

Die Entscheidung, ob in dem betreffenden Jahre ein Meßti 
abgehalten werden soll oder nicht, liegt in den Händen des 
Gemeinderats. Denn der Meßti hängt nicht allein von dem 
guten Willen und der Beteiligung der jungen Leute ab, son- 
dern er ist auch eine Angelegenheit der Eltern und folglich der 
Bürgerschaft. Die jungen Leute, besonders die Maiden, müssen 
ordentliche Kleider haben, die Burschen brauchen einen vvohl- 
gefüllteu Geldbeutel, es sind Verwandle und Bekannte zu be- 
wirten, und dies alles kostet Geld, für eine kinderreiche Familie 
viel Geld. Im Gemeinderat geht es oft heiß her, besonders da 
die Dorfväter sich nicht immer von sachlichen Gesichtspunkten 
leiten lassen. So kommt es wohl manchmal vor, daß als Er- 
gebnis von alleilei persönlichen und untergeordneten Umständen 
zum Erstaunen und Aerger der Gemeinde ein ablehnender Be- 
schluß gefaßt wird. 

Der Zeitpunkt, wann der Meßti stattfindet, ist in vielen Fällen 
durch die Ueberlieferung bestimmt. Man rechnet nach dem Patron 
des Ortes oder nach einem Heiligen oder einem kirchlichen Fest- 
tage. Dies trifft für die katholischen Kirchweihfeste bis zum An- 
fang des 19. Jahrhunderts ausnahmslos zu. Sicherlich haben auch 
manche protestantische Ortschaften aus der katholischen Zeit 
her noch lange, vielleicht bis zum heutigen Tage, an den Hei- 
ligentagen festgehalten. Im 19. Jahrhundert verwickelten sich 
die Verhältnisse. Denn gerade diejenigen Gemeinden, wo den 
Heiligentagen die größte Bedeutung zukommt, nämlich die ka- 



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— 220 - 

Iholischen, stießen, wie wir gesehen haben, den weltlichen 
Kirchweihtag von dem kirchlichen ah und verlegten ihn auf 
einen andern Tag als den durch den Patron des Orls gegebenen. 
Aber merkwürdigerweise wurde dieser wiederum vielfach nach 
einem Heiligen oder nach einem Kirchenfeste festgesetzt. An- 
dererseits besteht sowohl bei Katholiken wie bei Protestanten 
noch häufig die Gepflogenheit, allerlei Verrichtungen des bür- 
gerlichen Lehens nach Heiligentagen zü bemessen. Der Land- 
bewohner denkt dabei, wie auch aus zahlreichen Sprichwörtern 
und Bauernregeln hervorgeht, nicht an einen kirchlichen Zu- 
sammenhang, sondern es ist ihm lediglich um ein festes Datum 
zu tun. 

Eine kleine Auswahl von Kirwen und Meßti, die nach 
Heiligentagen und kirchlichen Festen festgesetzt sind, möge 
hier folgen. 

Ganz oder vorwiegend protestantische Gemeinden : Krött- 
weiler, Sonntag nach Maria Gehurt ; Reimersweiler , Sonntag 
nach Laurentius; Nehweiler bei Wörth, Sonntag nach Verklä- 
rung Christi ; Langensulzbach und Mattstall, Sonntag nach 
Maria Himmelfahrt; Ringendorf, Sonntag nach Bartholomäus; 
Bargheim, 2. Sonntag nach Arbogast ; Goxweilcr, Sonntag 
nach Johanni vor der lat. Pforte. Aus früherer Zeit : Schwind- 
ratzheim, 17-40 und 1757 am Tage Ludovici 1 ; Alteckendorf 
(1737)2 und Übermodern (1738) am Tag Simon und Judä 3 ; 
Schalkendorf (1767) am Tag Petri und Pauli 3. 

Ganz oder vorwiegend katholische Gemeinden : Zaber n y 
Montag nach Maria Geburt (5 Tage), früher am Tage selbst* 
(Patronstag am 4. Sonntag nach der Oktav von Maria Heim- 
suchung) ; Hochfelden, Montag nach Matthäus (3 Tage) (Pa- 
tronstag: Peter und Paul) ; Beinheim t Sonntag nach Lukas 
(Patronstag : Kreuz-Erhöhung) ; Bühl, Sonntag nach Gallus 
(Patronstag : Ulrich) ; Niederrödern, Sonnlag nach Laurentius 
(Patronstag : Sonnlag vor Jakobus) ; Kaidenburg, Sonntag nach 
Martini (Patronstag : Sonntag nach Maria Heimsuchung) ; Gvn- 
stett, Sonntag nach Gallus (Patronstag: Michel). 

Am Ostermontag und -Dienstag findet Kirwe statt in Ober- 
dorf-Spachbach, früher auch in Keffenach (Patronstag : Georg). 
In folgenden Dörfern ist oder war Kirwe am Pfingstmontag und 
-Dienstag : Lembach (Patronstag : Jakobus), Lampertsloch (Pa- 



1 Pfarrarchiv von Schtcindratsheim. 

2 Pfarrarchiv von Alteckendorf. 
s Pfarrarchiv von Obermodern. 

* «Schnallenbuch» von Bosenheim [KU2; S. TL : Maria Geburt 
dz Ist Zubern Mestag. — Im Laufe der Zeit unterlag der Beginn 
ni c h rf ac h e n Schwan k unge n . 



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- 221 



lionstag : Maria Heimsuchung), Diefenbach bei Wörth (Patrons- 
tag: Josef), Schirrhein (Patronstag : Nikolaus), Weitersweiler i 
(Patronstag: Michel); Koßweiler ; am Pfingstsonntag und -Mon- 
tag: Wibolsheim (Patronstag: Trophimus) ; am Sonntag vor 
Pfingsten und am Pfingstmontag : Schwabweüer (Patronstag : 
Sebastian). 

In einer weiteren Reihe von Fällen wird der Meüti nach 
einem bestimmten Sonntag im Monat bestimmt. Hier einige 
Heispiele, die lauter konfessionell gemischte Dörfer betreffen. 

Juli : 3. Sonntag, Harzweiler (Patronstag: Leopold). August: 
?. Sonntag, Surburj (Patronstag: Arbogast); 4. Sonntag, Sulz 
unlerm Wald (Patronstag: Peterund Paul). September: 1. 
Sonntag, Eberbach bei Selz (Patronstag : Ludwig) ; 2. Sonntag, 
Frosch iveiler (Patronsfag: Michel); 3. Sonntag, Holiweiler (Pa- 
trons! ag : Johannes der Täufer). Oktober: 1. Sonntag, Ingols- 
heim (Patronstag : Michel) ; 3. Sonntag, Vendenheim (Patrons- 
lag: Lambert); 4. Sonntag, Birlenbach (Patronstag: Moritz); 
Sonntag vor Allerheiligen, Görsdorf (Patronstag : Martin). No- 
vember : 1. Sonntag, Hunspach ; 3. Sonntag, Drachenbronn. 
Dezember : am 3. Adventssonntag, Biberkirch (Patronstag : Ni- 
kolaus). 

Es läßt sich nicht sagen, daß man bei der Festsetzung des 
Meßti immer auf den Stand der landwirtschaftlichen Arbeiten 
Rücksicht nahm. Schon aus den obigen Angaben erhellt, daß 
Kirchweihfeste über Frühjahr, Sommer und Herbst verteilt 
wurden. Die meisten fanden im Spätsommer und Herbst statt, 
also in der Zeit von etsva Mitte August bis Ende Oktober. Das 
ist ungefähr die Zeit, in der die wichtigsten Jahreserzeugnisse 
eingeheimst sind. Im allgemeinen wird nach dem Ober- Elsaß 
zu der Meßti früher, in Lothringen später gefeiert. In manchen 
Dörfern wartet man bis zur letzten Frist, wo noch öffentliche 
Tanzerlaubnis gewährt wird, so in Waltenheim. Späte Meßti 
sind außerdem diejenigen von Mitlelhausen, Reilweiler, Uhr- 
weiler, Kimceiler, Hanhofen, Morsbronn, späte Kirwen in 
Schaffhausen bei Selz und KaidJnburg. In Biberkirch und 
Dreibrunnen fällt der Meßti in die Adventszeit, es wird alsdann 
nicht öffentlich getanzt. 

Wo ein später Meßti stattfindet, da blüht die Landwirtschaft 
und da nehmens die Bauern ernst mit ihrem Beruf. Die Arbeit 
geht ihnen vor, sie nehmen keine Zeit zum Feiern an, bis Reif 
und Schnee liegen und die Feldarbeit von selbst aufhört. Die 
Wirte haben nicht gern späte Meßtifeste, denn die kalte Zeit 



1 Znm Andenken an die Einweihung der Kirche am Pfingst- 
montag 1525. 



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— . 222 — 

ist weniger zum vielen Trinken geeignet, und außerdem ist im 
Spätherbst wenig Geld mehr unter den Burschen. Die Tänzer 
machen sich aber nicht viel aus den Unbilden der Witteruns. 
Bei offenen Fenstern tanzen sie sich warm und helfen, wenns 
Not lut, mit Wein nach. 

Früher waren die Kirch weih feste bezüglich ihrer Festlegung 
unantastbar. Es war auf den gegenseitigen Vorteil der Gemein- 
den in der Weise Bücksicht genommen, daß in einem kleineren 
oder größeren Umkreis niemals zwei Ortschaften am nämlichen 
Tage feierten. So konnte jedes Dorf seine Pflicht der Gastfreund- 
schaft erfüllen und die Jugend nach Bedürfnis und Lust die 
«fremden» Meßti besuchen. Heute befolgen die meisten Gemein- 
den nicht mehr die alte Ueherlieferung, sondern sie richten sich 
vor allem nach der Zweckmäßigkeit. Natürlich spielt hierbei der 
Stand der Arbeiten eine Hauptrolle. Auch der Vorteil der Ge- 
meinden fällt nicht unwesentlich ins Gewicht : jedes Dorf ist 
bestrebt, möglichst viel «Fremde» anzuziehen. Mag das Nach- 
bardorf es auch so machen, das ist seine Sache ! So ist es viel- 
fach gang und gäbe geworden, den Meßti nach Gutdünken zu 
verlegen oder ihn willkürlich auf einen beliebigen Sonntag an- 
zusetzen. Die alte, geheiligte Ueherlieferung wird rücksichtslos 
durchbrochen. 

So wurde die Kirwe von Niederrödern, die seit 1827 all- 
jährlich am Montag nach Laurentius (10. August) stattfand, 
1904 auf den Montag nach Allerheiligen verschoben, weil sie 
nach der allen Gewohnheit öfters mitten in die Weizenernte 
fiel. Der Mehheimer Meßti, der früher im August abgehalten 
wurde, wird seit einiger Zeit Mitte Oktober gefeiert, und der 
Mielesheimer Meßti, der seit Menschengedenken im August 
stattfand, wurde 1905 auf den 12. November verschoben — 
beide mit Rücksicht auf die Feldarbeiten. 4905 wurde der 
Danzeniteimer Meßli, der sonst 8 Tage vor dem Hochfelder 
gefeiert wurde, wegen der Hopfenernte in den Oktober verlegt. 
Aber nun fiel er mit den jüdischen Feiertagen zusammen, und 
da ging der jüdische Fleischlfeferant zu den einzelnen Hatsmit- 
gliedern und erreichte eine nochmalige Verlegung, ohne daß 
aus der Gemeinde Widerspruch erfolgte. Der Geuderthei)tirr 
Meßti, der sonst nach dem Brumalher stattfand, wird seit 
einigen Jahren zugleich mit dein Brumather gefeiert. Dadurch 
werden die jungen Leute abgehalten, ihr Geld nach auswärts 
zu tragen, sie müssen es im Dorfe seihst ausgeben. Besonders 
häufig erfolgt eine Verlegung des Meßti wegen Einquartie- 
rung. 



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- 223 — 



Vorbereitungen im Familienkreise. 

Zu einem Feste von der Bedeutung des Meßti, wozu sich 
Gäste von nah und fern einstellen und bei dem jeder neidisch 
nach dem Nachbar hinüberschielt, muß vor allen Dingen Haus 
und Hof sauber dastehen. Nicht daß der Dorfbewohner keine 
Reinigung vornähme, wenn kein Meßti stattfände oder falls er 
einmal ausfallt, aber die Gelegenheit wird benützt, ebenso wie 
in den meisten Dörfern schon im Hinblick auf Ostern das Haus 
ein neues Gewand bekommt. 

Die Woche vor Meßti, die Meßlivvoche, wird mit Aufwaschen, 
Scheuern, Putzen und Reinigen des ganzen Gehöfts ausgefüllt. 
Der Maurer tüncht die Wände drinnen und draußen, und nun 
steht das Haus in blendend weißem Anstrich da, von dem sich 
das Fachwerk gefällig abhebt. Wer kleine Ausbesserungen oder 
Neuanschaffungen zu machen hat, der tut dies im Hinblick auf 
den Meßti. Besonders da, wo erwachsene junge Leute sind, 
sieht man auf tadelloses Aussehen des Innern, der Möbel und 
der Küche. Außerdem wird große Wäsche abgehalten, das 
Weißzeug aller Hausgenossen und die Fenstervorhänge frisch 
gebügelt. Eine nicht geringe Ausgabe erfordert der Ankauf 
neuer Kleidungs- und Trachtstöcke für die jungen Leute, ins- 
besondere für heiratsfähige Töchter. Schreiner, Maurer, Schuster, 
Schneider, Näherin und Büglerin haben wochenlang, oft bis 
zum letzten Augenblick vollauf zu tun, und für sie ist daher 
der Meßti tatsächlich ein Eiholungsfest. Das männliche Geschlecht 
ist aber in dieser Woche kaum zu beneiden, namentlich in 
den Häusern, die mit zahlreicher Weiblichkeit gesegnet sind. 
Sie hindern überall, stören überall und können sich meist nur 
noch zum Essen und Schlafen im Haus aufhalten. 

Nicht weniger wird in der Meßtiwoche für die Vorberei- 
tungen auf das leibliche Wohl der Festteilnehmer und ihrer 
Gäste gesorgt. Früher schlachtete man regelmäßig ein Schwein, 
und dies geschieht auch heute noch vielfach, wenn es die Jahres- 
zeit wegen der Hitze nur einigermaßen erlaubt. Häufiger wird 
aber jetzt «angeschafft», d. h. Fleisch vom Metzger gekauft. 
Dazu füllt man in Weingegenden das Meßtifaß. Der Meßliwein 
verdient schon insofern seineu Namen als er die Meßtitage nie- 
mals überlebt. Am Samstag wird den ganzen Tag Mürbekuchen 
gebacken, er heißt danach im Volksmund der Kuchenbachsams- 
tag. Das beliebteste Gebäck ist der Kugelhopf, der in unserem 
ganzen Gebiete mit Ausnahme der Wcißenburger Gegend üb- 
lich ist. Ei* wird aus Mehl, Butter, Zucker und Eiern unter 
Zusatz von Milch, Rosinen und Bierhefe in einer irdenen Form 
hergestellt. Er hat die Gestalt eines abgestumpften Kegels mit 



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S2.4 - 



gerade oder schräg verlaufenden erhabenen Rippen und in der 
Achse eine Vertiefung. An der oberen Fläche wird jede Rippe 
mit einer Mandel belegt und der ganze Kugelhopf noch mit 
Zuckermehl bestreut. Von demselben Teig bäckt man in be- 
sonderen Formen Fische, Karpfen und Lilien (große heraldische 
Lilie). 

Ferner sind überall Kuchen von der Form eines kleinen 
Laibes gebrauchlich. Sie werden aus Weißmehl, Zucker, Eiern, 
Milch und Rierhefe hergestellt, manchmal unter Zusatz von 
Rosinen, und oben mit Eigelb überstrichen. Sie führen ver- 
schiedene Namen. Im allgemeinen heißen sie Kuchen schlecht- 
weg, im Kreis Weißenburg dicker Kuchen und Kirwekuchen, 
auch Weck, im Hanauischen Motz und Mötsch, im Süden 
Mötsche und Mütsche. Aus demselben Teig stellt man im mitt- 
leren Unter-Elsaß den Zimtkuchen her. Er ist flacher als 
der Motz und wird dick mit einem Gemisch von Zimt, Zucker 
und Mandeln bestreut. Aehnlich, nur etwas dicker ist der 
Ropfkuchen in der Weißenburger Gegend. 

Allgemein backt man ferner «Tarten», Torten, die je nach 
der Jahreszeit mit Aepfeln und Zwetschgen oder mit einem 
Aufguß aus Apfel- und Zwetschgenmus unter Zutat von Rosinen 
belegt sind. Man hat Tarten aus gewöhnlichem Teig und aus 
Rlätterteig. Auch Riskuits, gewöhnlich Biskuitkuchen und Ris- 
kuittarten genannt, sind vielfach üblich. 

Ueber der Herslellung dieser verschiedenen Backwerke 
gehen allerdings die Vorräte in Küche und Kammer oft eng 
zusammen. Im Hanauischen werden nicht selten in einer Fa- 
milie 100 Pfund Mehl verbacken. 

Das gewöhnliche Kleingebäck sind die Hirzhörnle. Sie 
werden aus Mehl, Mandeln, Eiern und Zucker hergestellt und 
in frischer Butter braungebacken. Sie haben die Gestalt von 
Hirschgeweihen, werden vielfach auch schlechtweg Hörnle ge- 
nannt. In den Weingegenden dürfen sie auf keinem Familien- 
tisch fehlen, zu einem Krügel Wein stellt man dort stets einen 
Teller voll Hirzhörnle. Im Hanauischen kennt man auch «Ise- 
küechle» (Eisenküchlein), die mit dem oben beschriebenen Teig 
in kleinen Blechformen verschiedener Gestalt hergestellt werden. 

Spritzgebackenes ist eine beliebte Spezialität, die in Koßweiler 
arn Pfingstmontag als sogenannte Strauben gebacken wird. Man 
verwendet dazu Mehl, Eier, Milch und verschiedene geheime 
Zutaten und läßt den Teig durch einen Trichter in heißes 
Schmalz laufen. Dieses Gebäck ist weit und breit so geschätzt, 
daß man den Koßweiler Meßti auch den «Strüwemeßti» nennt. 

Wir haben hier bloß das herkömmliche Volksgebäck er- 
wähnt, das am Meßti auch in den Wirtschaften zu haben ist. 



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225 — 



Natürlich sind in der letzten Zeit die Geheimnisse der städtischen 
Zuckerbäckerei auch schon in die Dorfköche eingedrungen, 
nicht am wenigsten durch die Vermittelung der Wanderhaus- 
haltungsschulen. Man pflegt Verwandten und Freunden, auch 
dem Sohne in der fremden Garnison, der nicht zum Feste er- 
scheinen kann, gleich am Samstag reichliche Mengen von Ku- 
chen und Kleingebäck zu schicken. 

Ein sehr beliebter Kuchen wird am Kuchenbachsamstag 
— und übrigens auch jedesmal, wenn gebacken wird — im 
mittleren und südlichen Unter-Elsaß gegessen. Es ist der Flamm- 
kuchen, Käskuchen, Flammbrüeli, auch kurz Brüeli (von Brühe). 
Gewöhnlicher Brolteig wird in große flache Kuchen ausgewalzt 
und mit «Schmiere» bestrichen. Man versteht darunter ein 
nach dem Geschmack wechselndes Gemenge von weißem Käse, 
Rahm und Milch, welches mit mehreren Butterstückchen be- 
legt oder mit Rapsöl begossen wird. Man schiebt den Kuchen 
auf einem Kuchenbrett in den geheizten Backofen, zwischen 
die rechts und links noch brennenden (flammenden) Holzknüppel, 
wo er nur wenige Minuten bleibt, und zieht ihn dann auf dem 
Kuchenbrett wieder heraus. Es gibt auch Flammkuchen mit 
Aepfelschnilzen, mit frischen Zwetschgen und Zwiebelwürfeln. 
In Lettweiler hieß früher der Meßtisamstag der Käskuchen - 
samstag. 

Nachdem nun alles zum kommenden Meßti bereit ist, wirft 
der Bauer am Sonntag Morgen noch einen Blick in Hof, Scheune 
und Stallungen. Alles ist in Ordnung, es kann «losgehn». 

Die Finanzen des Festes. Das Versteigern 
und Vertrinken. Meßtibursch und Meßtimaide. 

Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß die Herrschaft 
und die örtliche Obrigkeit schon in alter Zeit das Zusammen- 
strömen vieler Menschen, den erhöhten Verbrauch von Nah- 
rungs- und Genußmitteln und, insoweit mit den Kirchweih - 
festlichkeiten Jahrmärkte verbunden waren, das Einbringen und 
Feilbieten von Waren mit Abgaben belegte. Wohl in manchem 
Archiv dürften sich über diese Verhältnisse zerstreute Notizen 
linden. Die uns zu Gebote stehenden Belege sind sehr spärlich, 
obwohl wir unser Augenmerk bei der Durchforschung alter 
Urkunden, insbesondere der Dorfrechnungen im Bezirksarchiv 
des Unter-Elsaß, gerade auf diesen Gegenstand gerichtet haben. 

Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfahren wir, 
daß der Zoll von zwei Meßtagen in Pfaffenhofen* 30 ß 4, 

i Bezirksarchiv des Unter-Elsaß, E. 2978. 

15 



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— 226 — 



nach heutigem Geldwert 1 90—100 M., betrug. In derselben 
Zeit warf der Meßtag zu Uttweiler* an Zoll 1 Pfund ab, nach 
heutigem Geldwert 00—6(3 M. Der Zoll fiel den Herren von 
Lichtenberg zu. 

In Zabem wurden aus Anlaß des Meßtags verschiedene 
Abgaben erhoben, die teils der bischöflichen Herrschaft, teils 
der Sladt zufielen. Von 1531 ab wurde vom Meßlagswein Ohm- 
geld erhoben 3. Durch das ganze 16. und 17. Jahrhundert wurde 
Weg- und Eintrittsgeld, Ständegeld und Hüttengeld erhoben. Ein- 
zelheiten finden sich bei Ad a in Merkwürdigerweise wurden auch 
die Bürger zu einem Beitrag für den Meßtag herangezogen und zwar 
zur Besoldung der Meßtaghüter. Dieser «Meßtagbalzen» betrug 
1546 8 ^ (= 1,20 M.)*, wurde damals schon als eine alte Gebühr 
bezeichnet und bestand noch 1692. Mit den Meßtagseinnahmen 
wurde eine Anzahl bediensteler Personen besoldet. Für uns 
ist es von Wert, daß 1521 und 1539 der Unlerschultheiß und 
der Stadtschreiber für 4 , j2 Tage, die sie auf dem Meßtag zu- 
zubringen hatten, je 9 ß (1521 = 24,84 M., 1539 = 17,64 M.) 
und außerdem noch als Trinkgeld vom Ohmgeld jeder 2 ß er- 
hielten. 1544 bekamen sie jeder 10 ß (= 17,60 M.), 1521 
außerdem noch ein Dutzend Nestel. Dieses Geschenk hieß der 
Meßlagkrarn und wurde später in Geld gereicht. So erhielten 
1018 unter andern der Landschreiber, der Unterschultheiß und 
der Sladtschreiber jeder für ihren Meßtagkram 2 ß (= 1,48 M.) 6 . 
Noch heute nennt man das Geschenk, das man jemandem vom 
Meßti mitbringt, den «Meßtikrom». 

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß der Schult- 
heiß zu Gimbrelt in den Jahren 1610 1613, 1619 und 1621 
«für sein Irten (Zeche, Rechnung) am Meßtag» je 5 ß (= 3,70 M.) 
aus der Gemeindekasse erhielt 7 . Allerdings ist zu bedenken, 
daß im alten elsässischen Dorf alle Dienstleistungen für die 
Gemeinde durch Zahlung von Taglöhnen und Zehrkosten ent- 
schädigt wurden. Der Schultheiß bezog also außer seinem 
kleinen Gehalt (in Gimbrett damals 1 U 10 ß = 22,20 M.) 
noch für seine Reisen, für die Teilnahme an den Jahrgerichten, 
für die Verteilung und Erhebung der Steuern und Gefalle, für 
die Beaufsichtigung der Gemeindearbeilen, für die Besetzung 



» Berechnet nach flanauers Guide monetaire. Rixheim, 
Sntter, 1894. — So auch alle folgenden Berechnungen. 
8 Bc/.irksarchiv des Unter-Elsaß, E. 2978. 
s Adam, Der Zaberner Meßtag. Zabem, Gilliot, 1901. S. 9. 
* a. a. 0., S. 44 ff. 

5 a, a. ()., 8. 42. 

6 a. a. 0.. S. 50 f. 

7 Dorfrechnungen im Gemeindearchiv zu Gimbrett, 1610 — 1710. 



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— 227 — 

der Aemter und die Vereidigung der Neugewählten, für An- 
hörung der Rechnungen und so auch tarn Meßtag» eine nicht 
unbedeutende Xebeneinnahme. Die Zehrkosten wurden alle heim 
Stubenwirt gemacht, sogar «als man mit dem Wurth wegen 
der Jahrs über gethanen Zehrung gerechnet», wurde «gezehrt». 
In den Dorfrechnungen von Uunbrett findet sich die erwähnte 
Ausgabe von 1621 — 1710 nicht mehr. 

Im 17. und 18. Jahrhundert wurde der Meßtagzoll zu 
Westhofen auf dem Michaeli-Markt von 0 Gerichtsleuten ein- 
gesammelt und in die Büchsen empfangen, welche von dem 
Amtmann geöffnet wurden. Der Ertrag floß in die Gemeinde- 
kasse. 1631 ertrug der dortige Meßlag mit Zoll, Standgeld, 
Ohmgeld und Hellergeld 29 g 19 ß 11 4 (= 29J,94 M.), 1701 
nur 9 fl 4 ß (= 50,76 M.) 1 . Ebendort hatte im 18. Jahrhun- 
dert die Herrschaft das Meßtaghellergeld am Jahrmarkt zu er- 
heben, zu den übrigen Zeiten war es der Gemeinde zustandig, 
vom Ohm Wein 1 ß. Im Jahre 1749 wurde es mit dem Metz- 
ger-Akzis verliehen*. Auch in der bereits oben erwähnten Mit- 
teilung Rippells 8 , daß bei der Feier des Meßtags «die Ein- 
weyhung des Wirths-Hauses wegen dem Interesse der Herr- 
schaften überblieben», ist das Interesse der Herrschaften dahin 
zu verstehen, daß diese aus der Einweihung des Wirtshauses, 
d. h. aus dem Aufziehen des Meßtags in das Wirtshaus mate- 
riellen Gewinn hatten. 

Welchen Umfang die Meßtage am Ende des 18. Jahrhun- 
derts angenommen halten, erhellt aus der Tatsache, daß 1791 
die hanauische Verwaltung iu der ganzen Grafschaft an Stand- 
geld von Märkten und Kirchweihen 373 II 4 ß (= 1120,20 M.) 
einnahm, wovon 306 fl 5 ß 7 ^ (= 919,67 M.) aus den beiden 
Aemtern Buchsweiler und Pfaffenhofen eingingen 4 . Wir ersehen 
auch hieraus, daß schon damals, wie auch in der ersten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts, der Meßti in den allhanauischen Dörfern 
seine größte Entwicklung hatte. 

Die französische Revolution beseitigte neben vielen anderen 
Abgaben auch diejenigen, die die alten Herrschaften aus den 
Kirchweihfesten zogen. Die Gemeinden traten allein an ihre 
Stelle und suchten nun aus den Festen aut verschiedene Weise 
Nutzen zu ziehen. In Buchsweiler wurde 18J3 das Standgeld 
wieder aufgenommen, und zwar waren von einem Stand von 
einer Dielenlänge 60 Centimes, von einer halben Dielenlänge 



1 Kiefer, Steuern, Abgaben usw., S. 33. 
* A. a. 0., S. 31. 

SRippell, Altertum, Ursprung und Bedeutung aller t'ere« 
monien, usw. Augsburg und Freiburg, Wagner, <>. Aufl. 17~>7, 8. 114. 
« Kiefer, a. h. 0., S. <»S u. <;«.). 



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- 228 — 



30 Centimes, von den Krämern auf dem Kaufhause aber je ein 
Franken zu entrichten ». In demselben Jahre wurde zu Hoch- 
fehlen der Meßtag für 105 Franken versteigert, die in 2 Ter- 
minen 14 Tage und 6 Wochen nachher zu bezahlen waren 8 . 
1804 erreichte der Steigpreis sogar 275 Franken 3. An dieser 
hohen Summe dürfte wohl das gute Weinjahr schuld gewesen 
sein, das noch heute von alten Leuten als der «große Herbst» 
bezeichnet wird. Zu Zähem wurde die « Bauernhütte» und die 
«Madamenhütte» vermietet, der Mietpreis der ersteren erreichte 
oft 800—1000 Fr., der letzteren sogar 3000 Fr.* Es ist aber zu 
berücksichtigen, daß wir es hier, wie in Hochfelden, neben 
dem Freudenfest für die ländliche Bevölkerung auch mit viel- 
besuchten Jahrmärkten zu tun haben. In Hochfelden wird seit 
Menschengedenken der Meßti nicht mehr versteigert, sondern 
an einen Privatmann verpachtet. Das jährliche Pachtgeld be- 
trägt zur Zeit für 6 Jahre 1930 M. Darin ist das Korbgeld des 
Wochenmarkts und das Standgeld der beiden Meßti (eigentlicher 
Meßti und Püngstmeßti), nicht aber die Tanzabgabe der Wirte 
einbegriffen. 

In ländlichen Gemeinden entrichtete man nach der napo- 
leonischen Zeit bloß eine Tanzsteuer von 3—6 Fr. für die Ar- 
menkasse. Bei flotten Meßti wurde wohl vorübergehend mehr 
erhoben, so in Uhlweiler in den 1820 er und 1830 er Jahren 
30—40 Fr., jeweils für die Dauer des ganzen Festes. Bis 1862 
war das Halten des Meßti in Buchsweiler frei. Nur die Wirte 
bezahlten an den Tanztagen eine kleine Summe, wovon *|s in 
die Stadtkasse, */s in die Armenkasse floß. Im allgemeinen 
waren aber vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis gegen das 
Jahr 1880 die Verhältnisse auf dem Lande so, daß lediglich 
von den Tanzwirten 3—6 Franken oder Mark in die Armen- 
kasse entrichtet wurden. 

In der guten alten Zeit vertrugen sich die vier Faktoren, 
die am Geldwesen des Meßti beteiligt waren, auf das trefflichste. 
Es waren die Dorfburschen, die Musik, die Wirte und die Ge- 
meinde. Die Anschauung, daß der Meßti eine reine Angelegen- 
heit der Burschen sei, wurde von niemand bestritten. Die 
Burschen deckten durch ihre Teilnahme in erster Linie die 
Ausgaben des Festes und machten daher mit Recht auch auf 
das Monopol der Vergnügungen Anspruch. In mehreren Ge- 



» Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 27. Pluvidse XI ( = 
16. Februar 1803). 

* Dessrl. vom 14. Fructidor XI (= 31. August 1803). 

s Desgl. vom 15. Fructidor XII (= 2. September 1804). 

* Klein, Saverne et ses euvirons. Strasbourg, Silbermann, 
1819, p. 213. 



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— 229 - 

meinden des Kreises Weißenburg liaben die Gestellungspflich- 
tigen der Jahresklasse die Kirwe an sich gezogen und besitzen 
die Oberleitung aller Veranstaltungen, so in Niedersteinbach, 
Klimbach, Lembach und Oberhofen (Kanton Weißenburg), 
wohl auch noch in andern Dörfern. Zu Kaltenhausen heißen 
sie geradezu die Meßtiburschen. In Grafenstaden haben sie 
noch heute das Vorrecht beim Ersteigern des Meßti, inachen 
aher nicht immer davon Gebrauch. So lange die Zeitumstünde 
es der Gesamtheit der Dorfburschen erlaubten, sich als die 
kraftvollen Träger des Meßti zu behaupten und dem Meßti als 
ihrer eigenen Sache das nötige Ansehen zu bewahren, so lange 
blühte der Meßti. Als sich dann im Laufe der Zeit die Macht- 
verhältnisse auf dem Dorfe verschoben, sank er allmählich und 
sieht jetzt seinem Untergange entgegen. 

Der Vertreter der Burschen ist der Meßlibursch oder Kirwc- 
bursch. Er tritt dadurch ins Dasein, daß der Meßti versteigert wird. 

Nachdem vom Gemeinderat grundsätzlich beschlossen ist, 
daß ein Meßti sein wird, kommen die Burschen vom 16. Le- 
bensjahre an geraume Zeit vor dem Feste, etwa 2—5 Wochen, 
an einem Samstag- oder Sonntagabend in derjenigen Wirtschaft 
zusammen, wo voraussichtlich Meßti abgehalten werden soll. 
Alles ist vollzählig zur Stelle, oft ist es die einzige Wirtschaft 
des Dorfes. Ein aufgeweckter und zum Scherzen aufgelegter 
Bursche erhebt sich und ruft: «Jetz wurd der Meßti versteijl ! 
Wer bietV?» Nun wird gesteigert und zwar nach Maß Wein 
<1 Maß = 2 Liter). Dabei geht es oft stürmisch, ja gefährlich 
zu, gewöhnlich weiß man aber schon im voraus, wer Meßti- 
bursch wird. In vielen Gemeinden ist man im Laufe der Zeit 
zum Bier übergegangen, in andern steigert man nach Geld, so 
in Dossenheim (Kr. Zabern) (bis 1901). Der Zuschlag erfolgt 
von selbst, wenn niemand mehr bietet, je nach der Anzahl der 
Burschen mit 30 — 80—120 Maß, die sofort getrunken werden. 
In alter Zeit wurde die Qualität des Weines von den Burschen 
vorher angedingt. Gewöhnlich wählte man Zwölfer, d. h. 12 Su 
der Liter, auch wohl Zehner, nicht selten Sechzehner, der 
schon etwas «Extraes» war. Wurde nach Geld gesteigert, so 
wird dies an niemand ausbezahlt, sondern auch sofort in geistige 
Getränke umgesetzt und diese getrunken, z. B. 2 oder 3 Faß 
Bier. Manchmal wird auch eine Kleinigkeit gegessen, Wurst, 
Käse oder Hering. Nachdem auf diese Weise der «Meßlibursch 
gemacht» ist, geht dieser hinaus, um alsbald mit einem mäch- 
tigen Strauß am Hute zu erscheinen. Die Burschen aber trinken 
und singen bis tief in die Nacht, oft bis zum grauenden Morgen, 
«sie versüfle de Meßti». Die Kosten trägt der Meßtibursch. 

Der Meßtibursch oder Kirwebursch hat die oberste Leitung 



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- 230 - 



und den Erlös aus dem ganzen Feste.- Er ist nicht nur General- 
pächter, sondern auch Oberzeremonienmeister. Er sorgt dafür, 
daß alles ordentlich eingeht, damit die Burschen, seine Kame- 
raden, sich sorglos der Festesfreude hingeben können, ohne 
durch unerwartete Geldforderungen gestört zu werden. Außer- 
dem hat er dafür zu sorgen, daß die Gebräuche, insbesondere 
die Tanzsilten, im alten bewährten Rahmen geübt werden und 
daß die aus ihnen erwachsenden Einnahmen richtig eingehen. 
Diese doppelte Aufgabe erfordert viel Umsicht und Entschlossen- 
heit. Der Meßtibursch muß daher ein aufgeweckter, lustiger 
und zugleich selbstbewußter Bursche mit kräftiger Stimme sein. 
Er muß das nötige Ansehen unter den Dorfburschen besitzen 
und über einigen Witz verfügen, um Leben und Zug in dos 
Fest zu bringen. Auch im Trinken muß er seinen Mann stellen 
können, denn sonst verliert er bald die Uebersicht und setzt 
dann von seinem Gelde zu. So machte einmal in den 18ö0er 
Jahren ein Meßtibursch zu Schwindratzheim so schlechte Ge- 
schäfte, daß er eine Kuh verkaufen mußte. 

Bei großen Meßti überstiegen die Anforderungen des Festes 
die Kräfte eines einzelnen, und der Meßtibursch gesellte sich 
einen oder zwei geeignete Kameraden zu, die sich in seine 
Pflichten teilten und nun auch Meßtiburschen hießen. Der ur- 
sprüngliche Meßtibursch behielt die Oberleitung, aber oft waren 
sie untereinander uneinig und bekamen schon während des 
Meßtis Streit. 

Nicht selten sind im Dorfe zwei Parteien, die jede ihren 
Meßli, ihren Meßtiburschen, ihre Wirtschaft, ihren Tanz für 
sich haben. Dies war z. B. in den i860er Jahren öfters der 
Fall zu Dossenlteim (Kr. Zabern) und zu Schwind ratz heim. 
In letztgenanntem Dorfe waren in den 1840 er Jahren sogar 
einmal 3 Meßtiburschen, die ein jeder seine Partei und seine 
Tanzwirtschaft hinter sich hatten. Zu Hördt pflegen sich die 
jungen Leute nach den Altersklassen in drei verschiedene 
«Kameradschaften» zusammenzuschließen, die jede ihre eigene 
Wirtschaft und eigene Musik haben. 

Die Einrichtung des Meßtiburschen als des obersten Leiters 
des Meßtifestes scheint schon alt zu sein. Urkundlich linden 
wir ihn zuerst 1740 in Schwindratzheim » und Mittelhausen* 
als «Meßtagsknaben», dann 176(3 in übermodern* als «Meßtags- 



1 Protokoll des Konsistoriums Buchswciler vom 1. September 
1740 im Pfarrarchiv von Schtcindratzheim. 

2 Presbyterialprotokoll von Mittelhausen vom 1. November 1740 
im dortigen Pfarrarchiv. 

3 Presbyterialprotokoll von Übermodern vom 22. Februar 1767 
im dortigen Pfarrarchiv. 



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- 231 — 



purschen» erwähnt. Welche Verrichtungen er zu versehen hatte, 
darüber fanden sich keine Aufzeichnungen. Aus einer kurzen 
Bemerkung im Pfarrarchiv von Obermodern «, daß 1766 auf 
dem dortigen Meßtage Teller ausgespielt wurden, läßt sich aber 
schließen, daß er schun damals eine umfangreiche Tätigkeit 
entfaltete. Die höchste Entwickelung fand das Amt des Meßti- 
burschen im Hanauerland in den 1860 er Jahren. Der Kirwe- 
bursch im Gebiete der Kirwe scheint nicht die Bedeutung er- 
rungen zu haben, wie der Meßtibursch im Hanauischen. Ful- 
das Ansehen, das dieser genoß, zeugt, daß man in folgenden 
Kirwedörfern die Bezeichnung «Meßtibursch» statt «Kirwebursch» 
angenommen hat : Kühlendorf Schwabweiler, Surburg, Hölsch- 
loch, Preuschdorf, Görsdorf, Langensulzbach und Fröschweiler . 
Außerdem wird im Meßligebiet die Bezeichnung Meßtibursch 
allgemein auch für andere Verhältnisse im Sinne von «gesund 
und fähig zu allen Ausgelassenheiten* gebraucht. Ein Kranker, 
der wieder ganz geheilt, körperlich und geistig frisch ist, ist 
«ein Meßtibursch». 

Die Tage des idealen Meßtiburschen aus der Dorfaristokratie 
sind aber überall schon gezählt. Man ist schon froh, wenn der 
oder jene halbreife Bursche oder Knecht das undankbare Amt 
übernimmt. Immerhin ist aber das Vorhandensein eines Meßti- 
burschen noch ein Zeichen dafür, daß es sich um einen Meßti 
nach ländlicher Art handelt. 

Der Meßtibursch trägt am Hut als Zeichen seiner Würde 
einen mächtigen und weithin sichtbaren Strauß 2 aus künstlichen 
Blumen, Gold- und Silberflittern und gefiirbten Federn. Außer- 
dem hat er im Hanauischen ein (Lein-) Wandfürtüchel, eine 
kurze Schürze, die kaum das Knie erreicht und unten mit 
Spitzen besetzt ist. In Schweighausen trug er früher dazu 
noch rote und blaue Bänder, so daß die französische Trikolore 
entstand. Der Kirwebursche in Görsdorf hat die Schürze mit 
einem roten Bändel eingefaßt. Sie ist ein Geschenk des Kirwe - 
maide, das dafür ein Dutzend Teller bekommt. Der Meßti- 
bursch gesellt sich für die Dauer des Festes als holde Genossin 
das Meßtimaide zu. Gewöhnlich ist es seine Geliebte, und früher 
war es eine große Ehre, Meßtimaide zu sein. Das Meßtimaide 
hatte kein besonderes Amt, es war einfach die ständige Tänzerin 
des Meßtiburschen und genoß mit diesem gewisse Vorrechte 
beim Tanze. In manchen Dörfern, so in Lingolsheim, fand sich 



» Presbyterialprotokoll von Mittelhausen vom 1. November 1740 
im dortigen Pfarrarchiv. 

2 So auch im Ansbachischen und im Böhmerwald (Hessische 
Blätter für Volkskunde, I (1902), S. 71;. 



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- 232 



der Meßtibursch ohne Meßtimaide, als Hagestolz in den Wogen 
des Meßti zurecht. 

Nun handelt es sich für den Meßtiburschen darum, wieder 
zu dem Gelde zu kommen, das bei der Versteigerung des Meßti 
vertrunken wurde. Dazu kommt noch ein anderer Umstand. 
Das Verhältnis des Meßtiburschen zum Wirt ist nicht in allen 
Füllen das gleiche. Beide haben das gemeinsame Bestreben, 
möglichst viel Geld auf anständige Weise aus dem Feste zu 
ziehen. Aber keiner kann ohne den andern auskommen. Des 
Wirtes Vorteil ist es, daß er den Meßti überhaupt bekommt. 
In großen Dörfern — und gerade da sind ja am meisten Geschäfte 
zu machen — gibt es auch mehrere Wirtschaften, und darum ist 
der Wirt vor allem auf den guten Willen des Meßtiburschen 
und der hinter ihm stehenden Dorfburschen angewiesen. Dazu 
weiß der Wirt den Wert eines Meßtiburschen, der durch sein 
flottes Auftreten die Leute anzieht und festhält, sehr wohl zu 
schätzen. Andererseits muß der Meßtibursch auch mit dem 
Wirte rechnen. Er ist froh, einen Tanzsaal und Räumlichkeiten 
zu bekommen, in denen er bessere Geschäfte machen kann als 
in einer anderen Wirtschaft. In vielen kleinen und doch we- 
sentlichen Dingen ist er von dem Entgegenkommen des Wirtes 
abhängig, so beim Unterbringen des Lebkuchenstandes, beim 
Würfelspiel usw. So kann es kommen, daß der Meßtibursch 
dem Wirte etwas gibt oder umgekehrt, oder auch daß die Vor- 
teile sich ausgleichen. Gewöhnlich erhält der Wirt eine schon 
vorher vereinbarte Summe, die z. B. früher 20 Fr., dann bis 
40 M. und noch mehr betrug. Außerdem hat der Meßtibursch, 
ebenso wie der Wirt, 3—6 Fr. oder Mark in die Armenkasse 
zu zahlen. 

Diesen beträchtlichen Ausgaben stehen bedeutende Rechte 
gegenüber, die zu namhaften Einnahmen führen. Der Meßti- 
bursch hat das ausschließliche Recht, während des Meßti Leb- 
kuchen zu verkaufen, erlaubte Spiele zu veranstalten, die Kon- 
zession an Fremde zum Aufschlagen von Ständen, Buden und 
Karussels zu vergeben, und zwar auf Straßen und öffentlichen 
Plätzen, wo es ihm paßt und wo es zum Vorteil des Meßti ge- 
boten ist. Jedoch darf niemandem die Einfahrt versperrt oder 
das Tageslicht verdunkelt werden. Manchmal sind aber nach 
Ortsgebrauch die Stände — und hier kommt hauptsächlich der 
Lebkuchenstand in Betracht — bloß dann gebührenfrei, wenn 
sie in dem Hof eines Privatmannes oder des Wirtes unterge- 
bracht sind. Sobald sie auf den Straßen aufgeschlagen werden, 
sind sie der Armensteuer verfallen. 

Eine recht ergiebige Einnahmequelle für den Meßtiburschen 
bildet das Würfelspiel. Seine Karneraden unterstützen ihn dabei 



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— 233 



durch lebhafte Beteiligung, und nicht selten mischen .sich ver- 
heiratete Männer unter die Spieler. 

Der Meßtibursch läßt von dem Tage an, wo der Meßti ver- 
trunken wurde, bis zum Festtage selbst jeden Sonnlag in der 
Meßtiwirtschaft würfeln. Dies geschieht nach altem Brauch 
tischweise und geschlossen. Es gilt um Krügel und Teller, und 
zwar wird mit drei Würfeln gespielt. Jeder Bursch setzt zwei 
Su, spater 10 -f, die höchste Nummer gewinnt, der Meßtibursch 
erhält den gesamten Einsatz, den «Stock». Anstalt des Gewin- 
nes, 1 Krügel oder 1/2 Dutzend Teller, wird der Gewinner oft 
mit 8—10 Su abgefunden, wenn er dumm ist, auch mit 4—5 
Su. Warfen zwei Burschen dieselbe Nummer, so mußle jeder 
noch 1 Su oder 5 ^ nachsetzen. Der Meßtibursch geht von 
Tisch zu Tisch, die einzelnen Stöcke wandern alle «ins Krü- 
gel», d. h. in ein wirkliches Krügel, das er mit sich führt. 
So gehn die Sonntage vor dem Meßti bei Spiel und Scherz 
herum, und nicht selten, z. B. in Morsbronn (bis 1882) gibt 
der Meßtibursch am Meßlisonntag nochmals einen gewaltigen 
Freitrunk zum besten. 

Die Bedeutung dieser Spielversammlungen darf nicht unter- 
schätzt werden. Es ist ohne weiteres verständlich, daß bei dieser 
Gelegenheit vor allem von dem bevorstehenden Meßti gesprochen 
wird, daß die Alten ihre Erlebnisse zum besten geben und der 
zum ersten Mal zugelassene jüngste Jahrgang durch den Reiz 
der Neuheit gestachelt, sich mit besonderem Eifer den Meßti- 
gebräuchen und -freuden hingibt. Es ist im Kreise der Dorf- 
burschen hinlänglich Zeit und Muße, alle Einzelheiten des Meßli 
zu besprechen, so daß die Ueberlieferung, dieser wichtigste Um- 
stand bei Erhallung der alten Sitten, in hohem Grade gewähr- 
leistet ist. f)azu bringen die Burschen noch das Gehörte und 
die Kunde von dem Beabsichtigten in ihren Familienkreis, na- 
mentlich zu ihren ledigen Schwestern, die ihrerseits wieder in 
der Vorahnung der seltenen Dorffreuden schwelgen und in den 
letzten Tagen kaum mehr schlafen können. Ueber die Ausgaben 
wird leicht hinweggesehen ; denn der Bursche bringt ja Krügel 
und Teller mit, nicht selten mehrere Stücke, und der Haushalt 
wird hierdurch bereichert. 

Es sei nochmals betont : der hier geschilderte Zustand be- 
trifft im allgemeinen längstvergangene Zeilen. Er kam vielfach 
schon vor 1870 ab, so in Yendenheim^ ferner zu Gumbrechts- 
Iiofen in den 1870 er Jahren, zu Morsbronn 1882, zu Schwind- 
ratzheim 1883, zu Alteckendorf 18ü8, zu Buweiler und Dossen- 
heim 1900. Da oder dort mag er sich etwas länger erhalten 
haben, dürfte aber heule kaum noch anzutreffen sein. 

Im Laufe der Jahre kamen nämlich sowohl die Wirte als 



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V 



— 234 — 

auch die Gemeinden zu der Einsicht, daß mit dem Meßli doch 
noch mehr als bisher zu machen ist, besonders wenn sie sahen, 
daß hei einem flotten Betriebe und großem Fremdenstrom der 
Meßtibursch mühelos seine Taschen füllte. 

Und nun ist es merkwürdig, zu verfolgen, wie Wirt und 
Gemeinde ein jeder seinen Vorteil zu wahren und möglichst 
viel für sich selbst herauszuschlagen sucht. Nunmehr nimmt 
die Gemeinde den Meßti in ihre kräftige Hand und vergibt 
ihn einem Wirte urn eine feste Taxe, die z. B. in Büsweiler in 
den 1890 er Jahren 40 M. betrug, dazu noch 10°/ 0 Zuschlag 
für die Armenkasse. Später läßt die Gemeinde den Meßti zum 
besten der Gemeindekasse meistbietend versteigern. Eine Zeit- 
lang berücksichtigt man noch die geschichtlichen Rechte der 
Dorfburschen, indem man ihnen das Steigerungsrecht vorbehält. 
So haben noch heute die «Conscrits» zu Grafenstaden das Vor- 
recht. Später erweitert die Gemeinde den Kreis der Berechtig- 
ten, sie läßt alle Dorfeingesessenen und dann überhaupt jeden 
zahlungsfähigen Menschen, auch einen Auswärtigen und selbst 
Vereine und Gesellschaften zu. Vielfach überläßt ma^n schon 
den Meßti besondern Unternehmern, welche hinreichende Er- 
fahrung besitzen und mit allem Nötigen ausgestattet sind. In den- 
jenigen Dörfern, wo die Sitte des Geschenklebkuchens im Schwung 
ist, spielen auch die Lebkuchenhändler eine wichtige Rolle. Oft 
geht es bei solchen Steigerungen heiß her, denn das Recht des 
alleinigen Betriebs und des ausschließlichen Verkaufs von Zucker- 
waren und allerlei Gegenständen ist manchmal sehr einträglich. 

Eine allgemeine Regel oder Sitte gibt es heute beim Ver- 
steigern nicht mehr, die Gemeinde läßt sich nur von ihrem 
Vorteil leiten. Es verlohnt sich wohl, einige Einzelheiten aus 
diesem Kampf um den Meßli anzuführen, der die Dorfleiden- 
schaften in hohem Maße aufzustacheln pflegt und nicht selten 
den Anlaß zu Todfeindschaften gibt. Schon manches Gemeinde- 
ratsmilglied und mehr als ein Bürgermeister ist über dem ehr- 
lichen Bestreben, der Gemeinde eine außergewöhnliche Neben - 
einnähme zu erwirken und auf diese Weise Zuschlagspfennige 
zu ersparen, zu Fall gekommen. 

Ist bloß ein einziger Wirt im Dorf, so läßt die Gemeinde 
die Burschen oder sonstige Dorfgenossen steigern. Sind zwei 
oder mehrere Wirte im Dorf ansässig, so kommt es ganz dar- 
auf an, wie sie gegenseitig stehen. Am günstigsten für den Ge- 
meindesäckel ist es, wenn sie schlecht aufeinander zu sprechen 
sind. Dann treiben sie sich in die Höhe, und die Gemeinde 
heimst Johne Mühe einen schönen Gewinn ein. So wurden 
1901 in Büsweiler 110 M. erzielt, 1896 in Kirrweiler 195 M., 
1603 in Bersteit 240 M. und in Ringendorf 295 M., 1899 



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— 235 — 



in Dundenheim 320 ; M., 1900 in Wolfisheim 500 M., in den 
1860 er Jahren zu Buchsweiler 1000 Fr. Halten die Wirte zu- 
sammen und verabreden sie sich, eine gewisse Summe nicht zu 
überschreiten (z. B. 100 M.), so erreichen sie gewöhnlich, daß 
sie den Meßli abwechselnd gegen einen festen Preissatz erhalten. 
Wohl lassen sich die habsüchtigen Wirte ein Hinausschieben 
des Salzes durch die Gemeinde gefallen, aber nicht selten gaben 
sie sich gegenseitig das Wort und nahmen dann den Meßti 
überhaupt nicht an. Das lehrreiche Beispiel von Alteckendorf 
ist bereits oben erwähnt (S. 205). 

Von Vereinen ist es besonders die Feuerwehr, die den 
Meßti zum besten der Vereinskasse öfters übernimmt. So mehr- 
mals die Feuerwehr von Quatzenheim und AJittelberghcim, 
1899 diejenige von Kolbsheim, 1900 die von Iltenheim. 

Bemerkenswert ist, daß in Illkirch-Graf entladen, obwohl 
es schon langst eine politische Gemeinde ist, der Meßti getrennt 
in zwei Abteilungen versteigert wird. Die Stände von Iiikirch 
werden von denen von Grafenstaden abgesondert aufgeschlagen. 
Die katholische Kirche bildet die Scheidelinie. 

In den letzten Jahren kommt immer mehr die Uebung auf, 
auswärtige Unternehmer zuzulassen, und oft gelingt es auf 
diese W T eise, bedeutende Summen herauszuschlagen. So erhielt 
1901 in Weilbrucli ein Budenbesitzer den Zuschlag für 400 M., 
1904 in Vendenheim ein Karussellbesilzer für 425 M. 

Als Beispiel, wie sich die Steigerungsverhältnisse im Laufe 
der Jahre umgestaltet haben, möge Vendenheim dienen. Schon 
vor 1870 wurde der Meßti von der Gemeinde unmittelbar unier 
die Burschen versteigert. Er trug 150 Fr. und später bis 200 M. 
ein. Durch Vergebung der Plätze erzielten aber die Burschen 
doch noch einen Ueberschuß, der später vertrunken wurde. Die 
Wirte hatten dabei nichts zu tun, da überall Tanzerlaubnis war. 
Später einigten sich die Wirte dahin, daß immer nur einer 
tanzen ließ. Durch diese Abwechselung erreichten sie, daß we- 
nigstens alle paar Jahre eine größere Einnahme zustande kam, 
während bei allgemeiner Tanzerlaubnis nach Abzug der Kosten 
keiner viel verdiente. Vor etwa 10 Jahren wurden die Burschen 
die Sache überdrüssig. Das ganze Geschäft war ihnen zu um- 
ständlich, und ihr Geld wurden sie ja schließlich doch los. 
Nun steigerten die Wirte, und der Ertrag war 250 — 300 M. Da 
sie aber zusammenhielten, ließ der Gemeinderat auch Fremde 
als Sieigerer zu. Diese wurden natürlich von den Einheimischen 
in die Höhe getrieben. So erhielt der Karussellbesitzer Schwärt z 
1904 den Vendenheimer Meßti um 510 M. 

Ferner mögen die Bedingungen aus dem Meßti-Versteige- 
rungsprotokoll von Alteckendorf aus dem Jahre 1900 als Bei- 



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— 2.36 - 



spiel aus der Neuzeit hier folgen: « Der Steigerer hat allein das 
Recht, Tauzbelustigungen abzuhalten, erlaubte Spiele zu veran- 
stalten, sowie Stände (Buden) zum Verkauf aufzustellen. Der 
Steigpreis samt Zuschlagspfennigen ist bis zum 11. November 
d. J. an die zuständige Steuerkasse zu enlrichlen. Der Steigerer 
hat 10 Pfennige pro Mark zur Deckung der Kosten zu tragen. 
Der Meßti findet statt Sonnlag den 16. und Montag den 17. 
September. Der Steigpreh erhält einen Ansatz von 135 M., 
und unter diesem Ansatz darf der Zuschlag nicht erfolgen. 
Stempel-, Registrier- und Schreibgebühr trägt der Sieigerer. 
Am Nachmeßli darf keine Tanzbelustigung abgehalten weiden.» 

Gemeinden, in denen sich eine größere Anzahl von Buden 
und Ständen einzufinden pflegt, vergeben die Standplätze manch- 
mal einzeln nach einem festen Preis.>alz. So werden in Dorlis- 
heim 60 Pf. für den Quadratmeter bezahlt, in Ruprechtsau 
aber 12 M. In Djrlisheim erhebt der Meßtihalter von den 
Wirten eine Tanzabgabe von je 15—20 M., ebenso von jedem 
Karussellbesitzer. Schiltigheim läßt seit 1886 die Meßtiplätze 
einzeln versteigern. Während der Meßli durch die Gesamtver- 
steigerung 1884 die Summe von 1320 M. und 1885 eine solche 
von 1450 M. eintrug, stieg er 1886 auf 1723,50 M., 1904 auf 
4052,60 M. und 1906 gar auf 4700 M. Audi in Huprechtsau 
wurden die Plätze einzeln versteigert und ergaben 1906 die 
Summe von I345 M., 1907 eine solche von 1254 M., bis 7,40 M., 
der Quadratmeter. So kommt dem Meßti eine nicht geringe 
volkswirtschaftliche Bedeutung zu. 

In manchen Ortschaften werden die Meßtirechte ohne die 
Tanzerlaubnis versteigert, so in Dalbronn (1900), in Mittelbery- 
heim vor 1880. Die Wirte, die tanzen lassen wollen, bezahlen 
dann eine kleine Summe in die Armenkasse. Seit 1880 wird 
übrigens in Mittelberg heim alles zusammen versteigert und nur 
bei einem Wirte getanzt. In Walscheid ist die Tanzerlaubnis 
bloß einbegriffen, wenn das Angebot eine gewisse Höhe, ge- 
wöhnlich 180 M., erreicht. Andernfalls gilt der Tanz nicht. 
Getanzt wird aber doch, und wenn der Wirt dafür keine Ge- 
bühren erhebt, so läßt man ihn auch stillschweigend gewähren. 

In allen Fällen kommt zum Steigerungspreis noch ein Auf- 
schlag von 10 — 20°j0 für die Armenkasse. Der Steigerer muß einen 
als zahlungsfähig bekannten Bürgen stellen, das Geld ist in der 
Regel binnen 14 Tagen fällig, oft auch später. In Winzenheim 
ist es zu Weihnachten zahlbar unter der Bürgschaft des Meßtiwirts. 

Durch die Umgehung der Dorfburschen bei der Versteige- 
rung ist eine gewaltige Bresche in den alten Dorfmeßti gelegt. 
Die Dorfburschen und der Meßliburseh sind gegenüber den 
Anordnungen der Gemeinde so gut wie ohnmächtig. Der Meßti - 



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— 237 - 



bursch hat als Hauptpachter keinen Raum mehr, ja der stolze 
Name des Meßtiburschen wird schon vielfach den gewöhnlichen 
Meßtisleigerern beigelegt, die ihr Amt lediglich als Geldgeschäft 
aufTassen und ausüben. Derjenige, der den Meßti «hat»oder «hält/>. 
wird Meßlibursch genannt in Birkenwald, Balbronn, Mühlbach, 
Grendelbruch und wohl noch in vielen anderen Gemeinden, 

Man sollte nun meinen, daß die Tage des Meßtiburschen 
gezählt wären. Aber die Sitte des Meßtiburschen erwies sich 
als stark, zäh haften die Burschen daran. Sie wird zum Selbst- 
zweck, nachdem sie als finanzielle Grundlage des ganzen Meßti 
entbehrlich geworden ist. Noch ist ein flotter Meßlibursch 
dem Wirt eine willkommene Hilfe, den Burschen eine gern 
gesehene Erscheinung. Als Veranstalter des Tanzwesens füllt er 
noch seinen Posten aus, wenngleich er sein Amt mehr als früher 
von Wirtes Gnaden annehmen muß. Erfreulicherweise gab es 
1906 auch noch zu Buchsweiler einen Meßtiburschen. 

Als Beispiel dafür, wie es gelang, die längst überflüssig 
gewordene Sitte des Vertrinkens des Meßti nebst der Wahl 
eines Meßtiburschen in die ohnedies sehr verwickelte Finanz- 
gebahrung des Meßti einzufügen, diene der Meßti von Ringen- 
dorf 1895. Der Wirt steigerte ihn für 125 M. von der Ge- 
meinde. Die Burschen, 30 an der Zahl, versammeln sich bei 
ihm kurz vor dem Meßti. Sie versteigern den Meßti nochmals 
unter sich. Ein Bursche erhält ihn für 85 M. und wird Meßli- 
bursch. Davon gibt er dem Wirt gleich 40 M., die übrigen 
45 M. werden in drei Malen vertrunken. Die 85 M. bringt der 
Meßlibursch durch die Einsätze, den Verkauf der Lebkuchen und 
andere Einnahmen auf, von denen weiter unten die Rede sein wird. 

Das Würfelspiel an den Sonntagen vor dem Meßti ist wohl 
jetzt größtenteils aufgegeben. Die Burschen sahen ein, daß sie 
im Grunde genommen ihr gutes Geld, oft 5—6 Mark, vor dem 
Meßti schon ausgegeben hatten, ohne etwas davon zu haben als 
das langweilige Würfelspiel und einige Teller und Krügel, die 
nicht einmal ihnen selbst zugute kamen. 

In vielen Dörfern aber findet sich kein Bursche mehr, der 
das Amt versehen will, und schließlich geht es auch ohne 
Meßtiburschen ganz gut. Den Gemeinden selbst aber kann der 
Vorwurf nicht erspart werden, daß sie selbst den ersten Schritt 
zur Beseitigung des Meßtiburschen getan haben, und daß mit 
seinem Verschwinden der größte Teil der Poesie des alten 
Bauernmeßti zu Grabe getragen wird. 

Andere Gemeinden hingegen, so Kilstett, wo der Meßti seit 
1902 neu eingeführt ist, kümmern sich gar nicht um die finan- 
zielle Seite des Festes und lassen ihn unbegreiflicher Weise 
überhaupt nicht versteigern. 



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Der Kirchweihschutz. Dar Meßtihüter. 

Das Ausrufen. 

Die Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Kirch weih fest 
ist heutzutage eine allgemeine Angelegenheit der Ortspolizei. 
Auch in früheren Jahren sorgten Herrschaft und Gemeinde für 
einen ordnungsmäßigen Verlauf des Festes. Es war dies eine 
Gegenleistung für die von ihnen geforderten Abgahen und lag 
überdies auch in ihrem eigenen Vorteil. So ist in Hochfelden 
1803 bestimmt 1 , daß «die Vorgesetzten alle möglichen Maßregeln 
nehmen werden, daß der Sieigerer in Haltung seiner Spiele 
nicht gehindert werden wird.» 

Die Sorge der Obrigkeit erstreck le sich auf die allgemeine 
Sicherheit, dann auf die Feuersgefahr und die Bettlerplage. 
Diesem Zwecke dienten die Meßtaghüter, über deren Tätigkeit 
auf dem alten Meßtag in Zobern uns Adam* bemerkenswerte 
Einzelheiten gibt. 

Die Meßtaghüter standen unter dem Befehl eines Haupt- 
manns, waren besoldet und wurden vereidigt. Im Jahre 15J5 
hatten sie ihr Augenmerk auf alle Unordnung zu halten, auf 
Schlagereien und Stechereien, Schelten und Fluchen, falsches 
Spiel, Unzucht, Gotteslästerung und aüberflüssig Füllery». Wer 
bei einer dieser Handlungen betroffen wurde, den nahmen sie 
lest und warteten die Entscheidung des Schultheißen ab. Sie 
halten auch auf die Bettler zu achten, die oft in großer Anzahl auf 
dem Zaberner Meßtag erschienen und unter die sich manchmal 
gefährliches Gesindel und Uebelläter mischten, die man zur Be- 
wältigung fesseln mußte. Ferner waren sie bei der Erhebung des 
Eingangszolles behilflich. 1558 lag ihnen auch die Feuerwacht ob. 
1750 war es ihnen erlaubt, Spiele abzuhalten, voo denen sie 
eine Abgabe erhöhen. Sie mußten daher jeder «3 Bäsch gute 
gleichlingc Würfel» halten. Ihr Amt war nicht beneidenswert, 
und es mußten ihnen oft Berittene und Soldaten zur Unter- 
stützung beigegeben werden, so 1670 und 1088. Bei dem Um- 
fang, den der Zaberner Meßtag genommen hatte, gab es 1750 
eine ganze Kompagnie Meßtaghüter unter dem Befehl zweier 
Hauptleute. Damals waren sie mit Gewehr, Pulver, Feuerstein, 
Kugeln, Bandolier und Degen ausgerüstet und taten zur Eröff- 
nung des Meßtags ein jeder «seinen Meßtagsschuß». Ihr Ab- 
zug nach der Beendigung des Meßtags geschah ebenfalls unter 
Schießen und mit viel Geräusch. 



» Gemeinderatsprotokoll vom 11. Fructidor Xt (= ;H. August 
1K03). 

2 Adam, Der Zaberner Meütag. Zabern, Gilliot, 1901. S. 28 ff. 



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Jedenfalls hatten auch andere größere Meßtage ihre Meß- 
taghüter mit denselhen Verpflichtungen. Näheres entzieht sich 
unserer Kenntnis aus Mangel an archivalischen Quellen. 

In Hochfelden gah es 1804 Meßtaghüter, die von der Ge- 
meinde ernannt wurden. Der Steigerer war verpflichtet, sie zu 
befriedigen, insofern sie «bei der Hütung und Haltung der 
Ordnung» beitrugen». 

Auf dem Lande finden wir den Meßtihüter, das ganze 19. 
Jahrhundert hindurch und vielfach noch heute. Er hat ein Ge- 
wehr, aus dem er auch gelegentlich Schüsse abgibt. Mit der 
öffentlichen Ordnung hat er jedoch gar nichts zu tun, sondern 
dient einfach als Ausstattungsperson und wird vom Meßtivolk 
oft als scherzhafte Persönlichkeit aufgefaßt. Gewöhnlich ist es 
ein Aufwärter des Meßtiwirts. Wir werden ihm später noch 
mehrmals begegnen. 

Der tatsächliche Schutz des Kirch weih festes wurde früher hie 
und da äußerlich durch eine feierliche Handlung gekennzeichnet. 
In den katholischen Dörfern Frankens verlas noch 1877 der herr- 
schaftliche Beamte den «Kirchweihschutz», in dem die Leute 
unter Androhung strengster Bestrafung zu Frieden und Einig- 
keit ermahnt wurden 2 . Von einem ähnlichen Brauche finden 
sich im Elsaß nur vereinzelte Spuren. In Zabern verlas der 
Oberschultheiß von allers her und noch 1783 vor dem Beginn 
der Festlichkeiten die «ordinari Meßlagordnung» 3 . Daselbst ver- 
kündete noch 1849 der Bürgermeister auf dem Meßtiplatz das 
Polizeireglement. 

Zu Alteckendorf wurde bis in die 1860er Jahre g"er Meßti 
«ausgerufen». Waren die jungen Leute um den Meßtibaum ver- 
sammelt, so gab ein Musikant einen Trompetenstoß. Dann hielt 
er eine scherzhafte Bede mit drolligen Gebärden und allerlei 
zweideutigen Bemerkungen, die stets große Heiterkeit unter 
dem Meßti volke hervorriefen. Erst nachher erfolgte der Vortanz. 
Wohl handelt es sich hier um eine spöttische und scherzhafte 
Nachbildung des eigentlichen feierlichen Ausrufens. Aber es ist 
ja das Los vieler alter Bräuche, daß sie sich bloß dadurch er- 
halten konnten, daß sie sich dem Lustbarkeitsbedürfnisse des 
Volkes angepaßt und eine Form angenommen haben, die ihre 
ursprüngliche Bedeutung oft gänzlich verwischt. Möglicherweise 
rief in früheren Jahren der Bürgermeister den Meßti aus. Wir 
wissen ja schon*, daß 1737 der herrschaftliche Schultheiß den 

* Gemeiiideratsprotokoll vom i:>. Fructidor XII (= 2. Septem- 
ber 1804). 

* P f a u n e n s c h m i d . a. a. 0., S. 284. 

3 Adam, a. a. U., S. ^8. 

4 S. o. ; S. 181. 



Meßtag «anführte». Hütte der Pfarrer Ph. G. Lang diese Ver- 
anstaltung damals unter dem Gesichtspunkte der Sitten statt 
des Sittengerichts beurteilt, so wäre uns sicherlich eine an- 
schauliche Beschreibung im Alteckendörfer Kirchenarchiv er- 
halten geblieben, die unsere Vermutung bestätigt hätte. Daß 
übrigens früher im Elsaß in weiterem Umfange der Meßti aus- 
gerufen oder verkündet wurde, beweist die noch heute im Ha- 
nauischen und im Kochersbergerlande geläutige Redensart «eim 
de Meßti verkünde od. usrüefe» im Sinne von «jemandem ein- 
dringlich vorhalten, was recht und was nicht recht ist ; ihm 
den Standpunkt klar machen.» 

Eine feierliche Eröffnung der Kirchweihfestlichkeiten durch 
die Ortsobrigkeit findet unseres Wissens heute im Elsaß nirgends 
mehr statt. Der Meßti gilt aber vielfach noch dadurch als be- 
gonnen, daß ihn der Bürgermeister in mehr oder weniger be- 
stimmten Worten beim Empfang des Aufzuges für eröffnet er- 
klärt. In manchen Dörfern, so in Dossenheim und Weiters- 
weiler, war es üblich, daß die Burschen ihn um die Erlaubnis 
der Eröffnung baten. Vielleicht ist dies hie und da noch üblich. 
Doch ist es wohl kaum mehr als eine Höflichkeitsformel. 



(Fortsetzung im nächsten Jahrbuch.) 



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XII. 



Ein Bild Kaiser Friedrich Rotbarts 

aus dem 12. Jahrhundert zu Hagenau, 

von 

Max Bach. 

Heinrich Lempfrid bringt unter obigem Titel im vorigen 

Jahrbuch eine interessante Studie über eine kirchliche Skulp- 
tur, die nach seiner Meinung aus dem Kloster Neuburg bei 
Hagenau stammt. Ueber die angegebene Provenienz will ich 
mich nicht weiter verbreiten, nach den Ausführungen des Be- 
richterstatters ist das wohl möglich, ja wahrscheinlich, doch 
sind die dafür ins Feld geführten Argumente, für mich nicht 
ganz überzeugend. 

Leider muß ich aber die Hauptsache der ganzen Unter- 
suchung, ein Bildnis Kaiser Friedrichs Barbarossa in einer der 
Figuren des Reliefs gefunden zu haben, entschieden verneinen. 

Ich habe mich gerade mit der Persönlichkeit des genann- 
ten Kaisers eingehend beschäftigt und alle auf uns gekommenen 
schriftlichen und bildlichen Denkmale über dessen äußere Er- 
scheinung studiert.* Nicht allein diese, sondern auch alle 
übrigen gleichzeitigen Abbildungen deutscher Kaiser aus dem 
12. Jahrhundert, lassen erkennen, daß die Kaiser niemals 
in geistlicher Tracht erscheinen Die geistliche Tracht auf dem 
Hagenauer Relief läßt sich abe nicht verleugnen ; die Figur 
trägt nicht allein die Mitra, sondern auch die Kasula mit 
dem aufgenähten gabelförmigen Kreuz in Y-Form, wie es 



1 Friedrich Barbarossas Persönlichkeit und Charakter von Max 
Bach. Besondere Beil. d. Württemb. Staatsanzeigers 190G, S. 104 ff. 
Ebenda 1805, Deutsche Kaiserbilder des frühen Mittelalters. 

W 



- 242 — 



Otte nennt; überdies hält sie noch in beiden Händen Attri- 
bute, beziehungsweise Reliquien, welche nur geistlichen Per- 
sonen zukommen. Eine Dalmatika hier anzunehmen ist un- 
statthaft, die kaiserlichen Dalmatiken sind stets unten gerad- 
linig abgeschlossen und haben niemals das nur den Bischöfen 
zukommende gabelförmige Kreuz; außerdem ist die Dalmatika 
ausschließlich den Diakonen eigen. 

Für die Form der Kasula, welche vom 11—13. Jahrhun- 
dert stets nach unten zipfelförmig ausgeschnitten ist, ließen 
sich unzählige Beispiele auf Grabdenkmälern und Siegeln bei- 
bringen ; (vergl. nur die Arbeiten von Bock, Otte und viele 
andere) es gibt aber auch Kasein mit geradlinigem Abschluß, 
z. B. die eherne Grabplatte des Erzbischofs Friedrich 7 1152 
im Dorn zu Magdeburg, 1 diese Kasein ähneln mehr den Dal- 
matiken und haben lange Aermelartige Seitenstücke. Die Kasula 
des dargestellten Bischofs hat wirkliche kurze Aermel, es ist 
daher unrichtig, wenn Lempfrid behauptet, die Seitenschlitze 
der Dalmatika liegen bei der dargestellten Figur hinter den 
nicht sichtbaren Teilen des Gewandes. Eine mit. Aermeln ver- 
sehene Kasula konnte zugleich nicht auch Schlitze haben, 
ebensowenig trifft die Erklärung der unten in der Mitte sich 
ganz zuspitzenden faltigen Kasula zu, indem diese Falten im 
gegebenen Fall, nicht durch die Körperhaltung oder die Weite 
des Gewandes entstehen, sondern durch den schon erwähnten 
Zuschnitt.* Soweit die Abbildungen es erkennen lassen, kann 
auch darüber kein Zweifel sein, daß eine Mitra und keine 
Krone dargestellt ist. Was nun die Gesichtsbildung anbelangt, 
so ist bei dem ruinenartigen Zustand des Kopfes, geradezu 
ausgeschlossen, auf etwaige vorhandene Porträtähnlichkeit 
schließen zu wollen, um so weniger, da wir kein einziges Künst- 
lerporträt des Kaisers haben und alles Vorhandene, sowohl 
Plastiken als Miniaturen Stümperarbeiten sind. Ganz über- 
flüssig ist auch die Frage nach dem Urheber des Reliefs und 
allen daraus zu folgernden Konsequenzen. Die Arbeit ist eine 
in allen Teilen stümperhafte, und ist wahrscheinlich von 
einem gewöhnlichen Steinmetzen gefertigt, der sich um Por- 
trätähnlichkeit absolut nicht kümmerte. 

Was nun die Attribute anbelangt, welche der Bischof in 
beiden Händen hält, so dürfen wir die Auslegung Lempfrids 
akzeptieren, welcher vermutet, das Kreuz beziehe sich auf die 



1 Zeitschr. f. christl. Kunst 1906, S. 371. 

* Allerdings gab es auch glockenförmig zugeschnittene Ka- 
sein, wie diejenige des hl. Bernhard in Brauweiler, zu welcher 13 
Ellen Stoff nötig waren. 



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i>43 — 



Verleihung eines Partikels des Kreuzes Christi an das Klo- 
ster Neuburg, und der andere Gegenstand in der Linken lies 
Bischofs sei als Reliquienkästchen zu deuten. 

Gehen wir zu den beiden anderen Figuren über, welche 
zur Linken des angeblichen Kaisers stehen. Daß die zunächst 
stehende Figur einen Abt vorstellt, geht aus dem Kostüm un- 
zweifelhaft hervor. Charakteristisch sind besonders die zuge- 
nestelten Seitenschlitze des Gewandes, die dazu dienen, die 
Kutte je nach Belieben zu tragen. Der Abt hält mit beiden Hän- 
den einen Gegenstand, der aus den vorliegenden Photographien 
nicht deutlich zu erkennen ist. Lempfrid erkennt darin das 
Modell einer Kirche in basilikaler Anlage, auffallend ist ihm 
und mir die fehlende Spitze und die ausgeschweiften Dach- 
flächen. Könnte darunter nicht auch ein Reliquiar zu ver- 
stehen sein? besonders da, was auf der Photographie nicht 
recht deutlich ist, weder Türen noch Fenster eingehauen sind, 
diese müßten selbst bei einem ruinösen Zustand noch erkenn- 
bar sein ; auch der Umstand, daß das angebliche Kirchen- 
modell von dem Abte durch ein Tuch als Unterlage gehalten 
wird, weist auf einen heiligen Gegenstand hin. Unter den 
vielfach vorhandenen Statuen, die ein Kirchenmodell tragen 
ist mir noch keines begegnet, welches in dieser "Weise ge- 
tragen wird, denn ein Modell kann nicht als heilig gelten. 
Die äußerste Figur wird von Lempfrid als Graf Reinhold von 
Lützelburg, den eigentlichen Stifter des Klosters gedeutet ; auch 
damit irrt, wohl der Verfasser, denn sowohl Kostüm als Ge- 
sichtsausdruck weisen ebenfalls auf einen Kleriker. Der eng 
anliegende Rock mit Kapuze ist demjenigen des Abts ganz 
gleich, nur trägt die Figur einen faltigen Mantel, welcher über 
den rechten Arm gezogen an einem Zipfel mit der linken 
Hand gehalten wird, während die andere Seite um den Ellen- 
bogen des linken Arms geschlungen ist und Armelartig herab- 
hängt. Was der Gegenstand in der erhobenen Hand bedeuten 
soll läßt sich aus der Photographie nicht erkennen. Die scharf- 
sinnige" Auslegung Lempfrids hier ein Eichenblatt zu sehen, 
welches Bezug hat auf den vom Stifter dem Kloster über- 
gebenen Waldbesitz, ist freilich nur dann möglich, wenn wir 
in der Figur wirklich den Grafen Reinhard erkennen wollen. 
Wie schon erwähnt, paßt aber das Kostüm absolut nicht für 
einen ritterlichen Herrn und die Glatze auf dem Haupte ist 
offenbar als Tonsur zu deuten. Daß die Figur anscheinend zu 
dem danebenstehenden Abt in einer handelnden Beziehung 
steht, ist wohl möglich und es scheint auch in der Tat auf 
eine dem Kloster zuzuweisende Gabe hinzuweisen. 

In dem Lempfrid'schen Aufsatz ist dann noch ein wei- 



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- 244 — 



teres Objekt erwähnt, welches mit der Skulptur in Beziehung 
gebracht wird, nämlich das von verschiedenen Schriftstellern 
erwähnte Grabmal des Grafen Reinhold, welches sich im Chor 
der Klosterkirche befand. Dieses Grabmonument war nach der 
Beschreibung des Polen Moreau eine Tumba mit der überlebens- 
großen (?) Figur des Bestatteten, welcher wie Lempfrid angibt, in 
gegürtetem, bis auf die Füße reichenden Leibrocke und im 
Mantel, nicht mit Harnisch, Helm und Schwert, wie die übrigen 
in Neuburg bestalteten Edlen auf ihren Grabsteinen dargestellt 
war. Diese offenbar ganz willkürlich aus den kurzen Wor- 
ten des Elsässer Chronisten Hertzog: «Darauf sein Bild- 
niß gehauen in alter Tracht und Kleidung», von 
Lempfrid gefolgerte nähere Erläuterung, ist in dem ge- 
gebenen Falle ja möglich, aber keinenfalls erwiesen, ebenso- 
wenig kann die Angabe Hertzogs zuverlässig sein, welcher von 
einer aerhabenen» Schrift spricht, welche in dieser frühen 
Zeit nicht üblich war. i Aus der weiteren Angabe Moreaus 
«autrefois d£core de sculplures» ist nicht ohne weiteres auf 
figürliche Darstellungen zu schließen, mit welchen die Seiten- 
flächen des Sarkophags geschmückt gewesen sein sollen. 

Nun sind aber Tumben mit den lebensgroß ausgehauenen 
Steinbildern der Verstorbenen, meines Wissens aus der Zeit 
des 12. Jahrhunderls nicht nachweisbar ; Otte sagt ausdrück- 
lich : «Die älteren (Tumben) sind nur niedrig und umschließen 
zuweilen wirklich den Leichnam» — erst seit dem 13. Jahr- 
hundert tragen die Hochgräber das Bild des Verstorbenen, 
und am Ende des Jahrhunderts kommen dann die Nischen- 
gräber vor, wie eine solche sich Lempfrid für die Tuba des 
Grafen Reinhold denkt. 

Ich glaube daher mit Sicherheit annehmen zu müssen, 
daß das genannte Grabmal erst im 13. Jahrhundert errichtet 
wurde. Dafür lassen sich Beispiele, besonders auch in Klöstern, 
vielfach anführen. Ich erinnere nur an die Tumba des Herzogs 
Friedrich von Schwaben im Kloster Lorch aus dem 15. Jahr- 
hundert. Weiter würde dazu stimmen die erhabene Schrift 
■auf der Piatie, wie eine solche z. B. auf dem Grabstein des 
Grafen Ulrichs von Württemberg und seiner Gemahlin in der 
Stiftskirche zu Stuttgart vom Jahre 1265 vorkommt ; auch dort 
ist der Graf nicht in Rüstung, sondern in langem gegürte.« u 
Rock und umgehängtem Mantel dargestellt. 



1 Eine interessante Tumba des 13. Jahrhunderts ist diejenige der 
Gräfin Adelheid von Egisheim, Mitstifterin des Oehringer Chor- 
herrenstifts. Vcrgl. Die Abbildung bei Bo?en, Die Stiftskirche zu 
Oeh ringen 1880. 




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— 245 — 

Ist das Grabmal aber ein Werk aus der Mitte des 13. 
Jahrhunderts, so ist ganz und gar ausgeschlossen, daß dazu 
die Hagenauer Reliefplatte mit den eben besprochenen Figuren 
gehörte. Abgesehen davon ist aber eine derartige Darstellung, 
die auf die Gründung' und Begabung des Klosters durch den 
Grafen Reinhold sich beziehen soll, auf dessen Tumba anzu- 
bringen, gewiß sehr ungewöhnlich und durch kein Analogon 
zu belegen. 

Wie sollte das Kloster, dessen Waldbesitz stets von den 
Hohenstaufen bedroht wurde, die die Mönche zwangen zu 
ihren Ungunsten ihren Rechten, gegen Tausch des Gutes Seel- 
hofen zu entsagen, dazugekommen sein, gerade ein Barbarossa- 
bild auf dem Grabmal anzubringen, dessen Anwesenheit in 
Hagenau erst 43 Jahre nach dem Tode des Grafen bezeugt ist. 

Die versuchte Ergänzung des Steines auf S. 25 der Ab- 
handlung kann unmöglich zutreffen. Aus dem noch erhaltenen 
Bruchstück geht doch soviel hervor, daß die Bischofsfigur die 
Mitte der Platte eingenommen haben muß, und der Symmetrie 
entsprechend sind hier nur noch zwei Figuren, analog der 
rechten Seite anzunehmen. Eine Madonnenßgur hat hier kei- 
nen Platz, ebensowenig ein zweiter Bischof und nochmals ein 
Modell der Kirche ; auch der Umstand, daß einzelne Köpfe 
über den Rand der Platte hinausreichen verbietet die Annahme 
einer Deckplatte, die, wenn man an ein Tumbenrelief denken 
will, doch unerläßlich ist. 

Die Gründe, die gegen die Verwendung des Reliefs als 
Bestandteil eines Grabdenkmals sprechen, könnten noch ver- 
mehrt werden ; derartige Tumben haben auf den Seitenwänden 
entweder bloße Steinplatten mit architektonischen Füllungen 
oder auch Arkaturen mit Darstellungen von Heiligen. (Vergl. z. 
B. die Tumba von St. Menoux, abgebildet in der Abhandlung 
von Lindner über die Basler Galluspforte.) 

Schwer zu entscheiden ist die ehemalige Bestimmung der 
Skulptur und der Ort, wo dieselbe angebracht war. Ich möchte 
entgegen von Lempfrids Annahme, eine Anbringung über dem 
Hauptportal der Kirche immer noch als das wahrscheinlichste 
befürworten. Der Kunstwert des Reliefs wird von Lempfrid 
offenbar überschätzt, es ist eine rohe Arbeit ohne künstlerische 
Individualität. 

Es tut mir leid Illusionen zerstören zu müssen, die ja 
recht schön ausgedacht, aber kunstgeschichllich unmöglich 
sind, als eifriger Barbarossaforscher wäre mir der Fund eines 
neuen Barbarossabildes von unschätzbarem Wert gewesen, in 
dem vorliegenden Fall muß ich aber darauf verzichten, den 
großen Kaiser im Bilde wiederzuerkennen. 



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246 — 



Entgegnung. 

• 

1. Die von Herrn M. Bach gegen meine Deutung des 
romanischen, nunmehr im Museum zu Hagenau untergebrachten 
Reliefs erhobenen Zweifel bringen, was zunächst dessen von 
mir angenommene einstmalige Zugehörigkeit zum Grab- 
mal des Stifters von Neuburg Graf Reinhold von Lützelburg 
betrifft, nicht kurzweg abzuweisende Einwendungen vor. Zu 
diesen rechne ich indes nicht die Bemerkung über die Un- 
vereinbarkeit einer Barbarossadarstellung auf einem von den 
Neuburger Mönchen herrührenden oder veranlaßten Skulpturen- 
schmuck des Stiftergrabmals ; denn des Klosters Ansprüche 
auf das den Mönchen nach ihrer Aussage von Reinhold ver- 
machte, aber mangels Zustimmung der miterbenden Staufer 
nicht realisierbare Besitzrecht am heiligen Forst wurden durch 
die Verleihung einträglicher Waldnutzungsrechte, vor allem 
aber durch die Aufnahme des Klosters in Reichsschutz, sowie 
die Begabung mit dem kostbaren Reliquienschatz so reichlich 
ausgeglichen, daß Rotbart neben Reinhold als Mitbegründer 
galt und in einer die Gründung selbst verewigenden Dar- 
stellung, wo sie auch immer angebracht sein mochte, mit 
noch mehr Recht seinen Platz finden mußte, als in der Wieder- 
gabe der Gründung von Maulbronn (S. 11 A. 3). Auch nicht 
den Versuch meine Ergänzung als unhaltbar hinzustellen. 
Nicht die eine sitzende, Kreuz und Reliquiar haltende Figur 
bildet den Mittelpunkt des Bildes, sondern wie die von mir 
nachgewiesenen Spuren einer vierten und zwar sitzenden Gestalt 
deutlich erweisen, zwei Figuren, entsprechend der Zweiheit 
der geschilderten Vorgänge, Begabung und Weihe des Gottes- 
hauses, geradeso wie in Darstellungen von Maria Krönung 
Heiland und Gottesmutter zusammen den Mittelpunkt einer 
figurenreicheren Vorführung abgeben. Ferner nicht die Be- 
hauptung, daß, weil einzelne Köpfe über den Rand der Platte 
hillausreichten, die Annahme einer Deckplatte verboten sei. 
Die nur mit einem Amaleurapparate und zwar etwas zu tief 
von unten her gemachte photographische Aufnahme kann 
vielleicht die Vorstellung, als ragten zwei Figuren mit ihren 
Köpfen über den Rand hervor, erregen. In Wirklichkeit liegen 
ihre Scheitel mit dem obern Plaltenrande in derselben Hori- 
zontalen. Der Schädel des Mönches ist sogar einige Millimeter 
abgeplattet, so daß für diese Erscheinung keine andere Er- 
klärung zu finden war, als daß sie durch Auflage einer hori- 
zontalen Platte veranlaßt sei. . 

2. Erwägenswerter scheinen mir zumal nach Bekanntwerden' 
mit dem das mittelalterliche Grab behandelnden Abschnitt in. 



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— 247 — 



dem mir erst nachträglich zugänglich gewordenen Handbuch der 
kirchlichen Kunstaltert iimer von Bergner 1905, S. 292—305 
H. Bachs Bedenken gegen die Annahme eines Nischengrabes, 
Anbringung von Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen 
an der Tumba und die überlebensgroße Figur des Bestatteten 
auf derselben. Zwar ist in den in steter Berührung mit den 
alten Kulturländern gebliebenen Gegenden Westdeutschlands 
die antike Sitte, das Grabmal mit Darstellungen aus dem 
Leben des Verstorbenen zu schmücken, nie ganz außer Brauch 
gekommen (vgl. den Adelochsarkophag in Slraßburg, Eis. 
und Lothr. Kunstdenkmäler, S. 1, T. 78). Der Gedanke die 
Blendarkatur, wie sie der dem 12. Jahrhundert angehörende 
Morandussarkophag in Altkirch aufweist, durch figürliche, die 
Beziehungen des Verstorbenen zur Begräbnisstätte erläuternde 
Darstellungen zu ersetzen war durchaus naheliegend, und der 
Mangel an derartigen Grabmälern aus romanischer Zeit ließe 
sich durch deren Vernachlässigung, Zerstörung oder Ersatz 
durch gotische Monumente bei Gelegenheit von Umbauten 
leicht erklären. Auch die Anwendung von erhabenen 
Buchstaben braucht nicht besonders auffallend zu erscheinen, 
denn sie findet sich ja auch in andern Steininschriiten des 

12. Jahrhunderts (s. Abbild. Kraus II, T. VI). Allein gegen 
die Verwendung der Platte als Tumbaschmuck des Stifter- 
grabmals dürften mit Recht deren Größe und Gewichtsverhält- 
nisse im Vergleich zu den eben ersvähnlen Sarkophagen geltend 
gemacht werden, und die vor der Aufnahme des Bildwerks 
ins Museum vorgenommene vollständige Reinigung und seine 
Aufstellung in angemessener Beleuchtung legen in der Tat die 
Vermutung nahe, daß das Bildwerk mehr auf die Wirkung 
aus der Ferne als aus der Nähe berechnet war. Die Möglich- 
keit, daß Reinholds Grabmal in dem von Hertzog und Moreau 
beschriebenen Aussehen später entstanden sei, stehe ich nicht 
an zuzugeben, und zwar halte ich es — sei es, daß es eine 
Neuschöpfung, sei es der Ersatz eines vorhanden geweseneu 
romanischen Denkmals war — für eine Arbeit des ausgehenden 

13. Jahrhunderts, errichtet nach Vollendung des den alten 
romanischen Chor ersetzenden gotischen Neubaues, des Chores. 
Seine Tumba wird nicht architektonische Verzierungen, sondern 
wirklichen Skulpturenschmuck gezeigt haben, wie das Grabmal 
des Stifters von Limburg im Dome daselbst oder die bekannten 
etwas späteren burgundischen Grabmonumente ; sonst hätte 
der weder über das bauliche Aussehen, noch die Ausstattung 
der Kirche etwas berichtende, sondern nur die Grabstätten 
aufzählende Chronist der Talsache, daß das Grab bildnerisch 
verziert war, keine Erwähnung getan. Scheidet somit Reinholds 



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— 248 



Grabmal für die Frage der Herkunft des romanischen Reliefs 
aus, so kann für dieses nur der von mir gegenüber Moreaus 
Angabe hintangesetzte Platz in Frage kommen : das ist das 
Bogenfeld eines der Eingänge zur Kirche. Da wir über die älteste 
Neuburger Kirchenanlage nicht unmittelbar unterrichtet sind, 
sondern nur durch Rückschlüsse aus den von Neuburg ausge- 
gangenen oder beeinflußten Kirchengründungen zu einer Vor- 
stellung von ihrem Plan gelangen können, so sehe ich, da 
wegen der Maße des Westportales der eigentlichen Kirche hier 
kein Raum für die unverstümmelte Platte war, nur eine Möglich- 
keit, ihr einen Platz am Bau anzuweisen : die Neuburger Kirche 
muß wie Maulbronn und Herrenalb eine westliche Vorhalle 
(Paradies) mit weitem Zugang gehabt haben. Sein Bogen- 
feld schmückte die Darstellung von der Begabung und Weihung 
der Kirche. Bei einem Um- oder Neubau in späteren Jahr- 
hunderten wird man der Platte ihre frühere Stelle über dem 
Westeingange wiedergegeben, doch sie so zurecht gemeißelt 
haben, daß sie nach oben einen der Basis entsprechenden 
horizontalen Abschluß erhalten konnte. 

3. Die Abweisung meiner Deutung der sitzenden Figur 
als der eines welllichen Fürsten und zwar als Kaiser Friedrich 
Rotbart mußte die Grundlagen, auf die sich meine Auslegung 
stützte, als unhaltbar erweisen, insbesondere dartun, daß die 
Kopfbedeckung keine Krone darstellen, und das Obergewand 
sowie die Attribute ausschließlich einer geistlichen Person 
zukommen können. Ich gebe zu, daß bei Betrachtung des 
Originals wie der Abbildung die Erklärung der Kopfbedeckung 
als Mitra die nächstliegende ist : es spricht dafür die Zu- 
spitzung der Vorderseite, die auch nach dem Hinterkopfe zu 
wahrnehmbare nach oben gehende Verbreiterung und der 
giebelartige Zusammenschluß der seitlichen Partien, während 
man beim Vorhandensein einer Krone erwarten würde, daß 
die Rundung des Oberhauptes oder wenigstens die sich ihm 
anschmiegende Fütterung der Krone sichtbar sei. Allein es 
zeigen sich im einzelnen hinsichtlich der Form und Verzierung 
solche Abweichungen von den an das Aussehen einer Mitra 
des 12. Jahrhunderts zu stellenden, aus erhaltenen oder auf 
Bildwerken wiedergebenen Mitren abgeleiteten Forderungen, 
daß ich die Kopfbedeckung für eine Krone halte. Zu den 
angeführten Gründen füge ich hinzu, daß bei einer Mitra der 
Ansatz der Schrägen nicht erst über den Schläfen, sondern über 
dem Ohr beginnt, und der Winkel, unter welchem sie zusammen- 
stoßen, ein rechter sein müßte und sich nicht zu einem 
stumpfen verflachen sollte. Der denkbare Einwand, circulus 



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— 249 — 



und titulus seien durch die in Form von Vertiefungen ange- 
deuteten Edelsteine und Perlen ersetzt, ließe sich nur hören, 
wenn der Verlauf der Linien, in der sie angebracht sind, mit 
dem Verlauf der Linien der Stirn- und Mittclborte sich deckte, 
und diese selbst durch vertiefte Linien wenigstens ange- 
deutet wären. Eine edelsteingeschmückte Mitra hätte darge- 
stellt werden müssen, wie es der Bildner der Bischofsgestalten 
in den ältesten, dem 13. Jahrhundert angehörenden Glasmalereien 
des Straßburger Münsters oder der Maler auf romanischen 
Wandgemälden des Rheinlandes (Giemen T. 55 — 56) oder der 
Steinmetz auf dem frühgotischen Grabsteine Bischof Günthers, 
des Mitstifters von Maulbronn — dem Werke eines Zisterzienser 
Steinmetzen — es tat : der Steinmetz hätte die Steine auf 
der circulus und titulus bildenden Borte aufgesetzt in der- 
selben Weise, wie er den Schmuck des Obergewandes be- 
handelt hat, indem er erst die Mittel- und Saumborte aus dem 
Steine herausarbeitete und so zum Träger der Edelsteine 
machte. Die unmittelbare Anbringung derselben auf der Fläche 
der Kopfbedeckung, der Wechsel zwischen größern und kleineren 
Steinen und Perlen (die letzte Reinigung des Reliefs hat noch 
eine Anzahl kleinerer Vertiefungen hervortreten lassen, welche 
auf der Photographie noch nicht erscheinen) bringen in ge- 
eigneter Weise den Edelstein- und Perlenschmuck zum Aus- 
druck, wie ihn ähnlich, doch in erhabener Arbeit die Kronen 
der Madonna und der Dreikönige in dem romanischen Tür- 
bogenrelief der Goldenen Pforte zu Freiburg i. S. (Bode, S. 48) 
zeigen. 

4. Herrn Bachs Belehrung über Dalmatik und Kasel 
muß ich als nicht ausreichend ablehnen. Von einem aufge- 
nähten gabelförmigen Kreuze in Y-Form als Schmuck des 
Gewandes kann nicht die Rede sein. Die Abbildungen, wie meine 
Angaben S. 6 lassen es außer allem Zweifel, daß die Ver- 
zierung des Obergewandes besteht 4. in der mit einer Dop- 
pelreihe von Edelsteinen geschmückten Einfassung des Kopf- 
durchlasses (Halsausschnitts), 2. der mit einer einfachen Reihe 
von Edelsteinen gezierten Mittelborte und 3. einer gerade so 
gehaltenen Saumborte. Was den Schnitt des Gewandes be- 
trifft, so erklären sich die vielen breiten Falten über den 
Knieen — ich zähle deren sechs — am natürlichsten durch ein 
Aufraffen und Zusammenlegen des Gewandes, dessen seitliche 
Partieen, wenn die Person sich erhöbe, sofort über die Kniee 
herabgleiten müßten und zwar soweit abwärts, daß der Saum in 
wagerechter Linie verlaufen würde. Ein Aermelgewand mit 
verzierter Mittel- und Saumborte konnte unter der gebotenen 



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Berücksichtigung der liturgischen Gewänder des im gleichen 
Lande und in der gleichen Zeit entstandenen Bilderschmuk- 
kes des hortus deliciarum nur als Dalmatik gedeutet werden. 
Daß die hier allerdings regelmüßig wiederkehrenden Seiten- 
schlitze auf dem Relief nicht zu sehen sind, wollte ich als 
Folgeerscheinung der sitzenden Stellung der Figur erklären ; 
ich heharre nicht darauf diese Vermutung gelten zu lassen. 
Es läßt sich das Fehlen der Ausschnitte auch daraus erklären, 
daß ihr Erscheinen im 12. und 13. Jahrhundert nicht all- 
gemein war. (Braun, Die liturgischen Gewänder des Okzidents 
und Orients 1907, S. 262 f.) Wenn für meine Auffassung, 
dies Gewand nicht als Kasel gellen zu lassen, die Beobacht- 
ung mitbestimmend war, daß einen verzierten Saumbesatz die 
Bischofskasein des hortus deliciarum nie aufweisen, und unter 
den drei Papslkaseln ihn nur eine hat, sowie daß in den 
ältesten Straßburger Glasgemälden nur Papstkasein ihn zeigen, 
so haben mich Braun (S. 210 f., 221) und die Nachprüfung mei- 
ner Beobachtungen an Straßburger und Baseler Bischofssiegeln 
des 12. Jahrhunderts belehrt, daß Kasein mit verzierten Saum- 
besätzen auch am Oberrhein getragen wurden : ja, die mit 
Mittel- und Saumborte verzierte Kasel auf dem Siegel Bischof 
Heinrichs von Straßburg (1183) stimmt in der zwischen den 
Knieen gleichfalls spitz zulaufenden Partie derartig mit dem 
Gewände der Neuburger Figur überein, daß ich auch letzteres 
unbedenklich für eine Kasel ausgeben würde, wenn es nicht 
Aermel hätte. Kein Schlitz zum Durchlassen des Armes, son- 
dern ein ausgebildeter Aerrnel ist es, in welchem der rechte 
Arm steckt. Da es nicht möglich ist, sich die Aermel als zu- 
gehörig zu einem unter dem besatzverzierten Obergewand ge- 
tragenen Kleidungsstück zu denken, eine Kasel mit Aermel 
aber es niemals gegeben hat, so war das Gewand als Dalma- 
tik festzustellen. Die Aermel, welche H. Bach an der Kasel 
Erzbischof Friedrichs von Magdeburg auf dessen Grabplatte er- 
kennen will, sind die Aermel der unter der Kasel sowohl an 
den Armen, als auch unterhalb der Kniee mit aller Deutlich- 
keit wahrnehmbaren Dalmatika mit dem verzierten Seiten- 
ausschnitt. Ein Blick nur auf die nächste Seite der zitierten 
Zeitschrift mit der Abbildung der Grabplatte Erzbischof Wich- 
rnanns hätte ihn vor dem Irrtum bewahrt. 

Bei Beantwortung der Frage, ob ein liturgisches Gewand, 
das in seiner untern Partie einer Kasel gleicht, in seinerobern 
Hälfte hingegen das wesentlichste Merkmal der Dalmatik zeigt, 
als Kasel oder Dalmatik anzusprechen sei, konnte die Ent- 
scheidung nur die Annahme der letzteren zulassen: man müßte 
denn das Neuburger Relief als eines von den Bildwerken an- 




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251 — 



zusehen gezwungen sein, in welchem die kirchliche Gewand- 
ung «nicht unbesehen als gute Münze und unverfälschtes Ab- 
bild der Wirklichkeit hinzunehmen» (Braun S. 175) und eine 
Aermelkasel auf Kunstlerlaune und Künstlerfreiheit zurück- 
zuführen sei, eine Annahme, welche durch das sonst überall 
hervortretende Streben des Neuburger Steinmetzen nach Wieder- 
gabe der Wirklichkeit (S. 3 ff. 23 f.) ausgeschlossen ist. 

5. Das Kreuz in den Händen einer weltlichen fürstlichen Per- 
sönlichkeit kann, wie der Hinweis auf die Darstellung der 
Kaiserin Kunigunde in den oberrheinischen Diözesen dartat, 
nur deren Beziehungen zu der in Frage kommenden Kirche 
ausdrücken. Hier ist sein Träger der Geber des Kreuzes; es ist 
also Kaiser Friedrich, nicht der Regionarbischof dargestellt. 
Hinsichtlich seiner Gestalt habe ich berichtigend zu bemerken, 
daß die Erhebungen und Vertiefungen an den Balken nicht 
von der Zertrümmerung eines vorhanden gewesenen Christus- 
leibes, sondern von der Beschädigung des Kreuzes selbst her- 
rühren. Wie die bei der gründlichen Reinigung hervorgetre- 
tene runde Vertiefung im Schnittpunkte der Kreuzesarme zeigt, 
sollten Edelsteine den Schmuck bilden. 

6. Den von mir versuchten Nachweis, daß die Barbarossa- 
darstellung auf dem Neuburger Relief Anspruch auf Lehens- 
wahrheit habe, kann ich nicht durch die Behauptung von der 
Wertlosigkeit der von H. Bach untersuchten Barbarossabilder 
für abgetan halten. Gegen die Auffassung, welche mittelalter- 
lichen Bildern historischer Persönlichkeilen alle Porträtähnlich- 
keit absprechen will, erhebt die besonnene Forschung in neu- 
erer Zeit mit Erfolg Einspruch. Vielleicht dürfen wir von Max 
Kemmerich, der in seinem reich und vornehm illustrierten 
Aufsatz «Wie sah Kaiser Otto III. aus ?» (Christliche 
Kunst 1907, S. 213) ein Muster gegeben, wie derartige 
Untersuchungen zu führen sind, die Anwendung seiner Methode 
auf die Frage nach der Porträtähnlichkeit der Bilder der 
staufischen Herscher erwarten, die der Bewertung der Neu- 
burger Barbarossadarstellung gerechter werden wird alsH. Bach. 

7. Die Deutung des giebelartigen Gegenstandes in den 
Händen des Mönches als Modell einer Kirche ist gesichert 
durch die erst infolge der gründlichen Reinigung möglich ge- 
wordene Feststellung, daß eine Spitze vorhanden war, die ab- 
geschlagen ist. Dagegen hatte die Ausschweifung der Vorder- 
kanten der Dachflächen nicht, wie ich frageweise vermutete, 
den Zweck, den noch unvollendeten Bau anzudeuten, sondern 



■ 



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— 252 — 



diente dem Steinmetzen als Ausdrucksmittel perspektivischer 
Verkürzung, die er auch bei der Darstellung des Reliquiars 
handhabte, indem er ihm statt der Form des Rechtecks die 
des Parallelogramms gab. Gegen die Annahme als Kirchen- 
modell kann nicht geltend gemacht werden, daß die Unter- 
legung eines Tuches den Gegenstand als heiligen charakteri- 
siere. Man braucht nur in einem illustrierten Werke über 
mittelalterliche Kunst zu blättern, um sich zu überzeugen, 
daß allerlei unheiligen Gegenstanden, wie Kirchenmodellen, 
Büchern, Bildern, Schalen, das die Hand bedeckende Ober» 
gewand als Unterlage dient. Der Bildner hätte also den Abt 
als Unterlage für das Modell das Mönchsobergewand verwenden 
lassen können ; allein um der dadurch eintretenden, nichts 
weniger als schönen und nicht eben leicht wiederzugebenden 
Darstellung der Gewandfalten zu entgehen, griff er zu dem 
Mittel, dem Modell ein eigenes Tuch unterzulegen. Ich wollte 
das lieber annehmen, als die Ansicht vertreten, der Steinmetz 
habe dem Beschauer zugemutet, die Unterlage als den von 
hinten nach vorne geschobenen Teil des weiten Mönchsgewan- 
des anzusehen. Uebrigens ist ein besonderes Tuch als Unter- 
lage für einen profanen Gegenstand auch nicht ohne Beleg: 
auf dem Bilde von der Huldigung der Nationen im Evangeliar 
Ottos III. (Heyck I, S. 323) tragt Roma die Schale mit 
den Gaben auf einem über beide Hände gelegten Tuche. 

8. Wenn Herr Bach die von mir als Laie und zwar als 
Graf Reinhold gedeutete Figur zu einem Mönche machen will, 
tut er dem Bilde Gewalt an. Die von mir konstatierte Licht- 
ung der Haare auf dem Scheitel ist keine Tonsur, weder die 
corona, wie sie der gegenüberstehende Mönch hat, noch der 
moderne modicus titulus in capitis apice, sondern eine kahle 
Stelle des Kopfes. Das durch sie, wie durch die dünnen 
Strähne angedeutete spärliche Vorhandensein des Haupthaares 
sollte im Gegensatz zu dem vollen männlichen Haarwuchs des 
Kaisers den gealterten Mann andeuten. Der reichere Falten- 
wurf — ich zähle bei ihm über den Füßen 12, beim Mönch 
nur 6 Falten — sowie die Bekleidung mit dem Mantel und 
die Art, wie er umgeworfen ist und gehalten wird, charakteri- 
sieren den vornehmen Laien, den in der Figur anzunehmen, 
uns auch der kurz gehaltene Bart zwingt. 

9. Wenn etwas in meiner Deutung der Gruppe Zweifeln 
begegnen konnte, so war es die Vermutung, der beschädigte 
Gegenstand in Reinholds Händen sei ein Eichenzweig gewesen. 
Durch die Beseitigung aller Ablagerungen auf dem Steine ist 




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oberhalb der rechten Hand Reinholds auf der Platte eine durch 
gewaltsame Beschädigung erzeugte Vertiefung zutage getreten, 
über welche der in seiner Hand befindliche Gegenstand sich 
erstreckte. Die Möglichkeit, daß es eine Pergamentrolle war, 
ist nicht ausgeschlossen. Die absichtliche Entfernung dieses 
Gegenstandes, sowie die Beschädigung der Attribute in den 
Händen der beiden andern Figuren hängen vielleicht doch mit 
einer revolutionären, gegen das Eigentumsrecht des Klosters an 
Grund und Boden gerichteten Bewegung, ich meine die Vor- 
gänge d. J. 1789fiK), zusammen. Die Vermutung, daß Reinhold 
durch einen Zweig den Mönchen Eigentum übertrug, vermag 
ich nachträglich durch den Hinweis auf zwei bildliche Dar- 
stellungen von Uebert ragung von Wald oder Waldgerechligkeit 
durch Ueberreichung eines Zweiges zu stützen : ein romanisches 
Relief im Museum zu Colmar (Kraus II, S. 3i<2, T. VI) stellt 
einen Laien dar, welcher einer weiblichen Gestalt (Vorsteherin 
eines Frauenklosters?) einen oben dicht belaubten Zweig über- 
gibt, und ein an der Südseite der ehemaligen Benediktiner- 
kirche in Walburg eingemauertes, von dem Schmucke des 
durch den Umbau von 1453—1456 beseitigten romanischen 
Portals herrührendes Relief zeigt einen Mann in kurzer Tunika 
mit einem blattlosen bis auf den Boden herabgehenden Baum- 
zweig in beiden Händen, wohl nur der Rest einer größern 
Skulpturenreihe, welche ähnlich, wie die Portalausschmückung 
in Andlau Begabungen des Klosters vorführte, und von der 
zwei weitere interessante Fragmente noch erhalten sind. 

10. Als Entstehungszeit des Reliefs halte ich, wenn auch 
seine Bestimmung eine andere geworden, die Zeit um 1160 
aufrecht und stütze noch meine Ansicht durch den Hinweis 
auf zwei weitere Bildwerke, welche der Mangel einer Abbildung 
leider nicht zu durchschlagender Geltung kommen läßt. Die 
den beiden Pfeilern des Triumphbogens der Georgskirche in 
Hagenau vorgelagerten Halbsaulen setzen unten auf einem 
W T ulst und einer an den Ecken mit Tierköpfen verzierten 
Plinthe auf, die auf Nacken und Schultern je eines etwa 
0,50 m messenden, hockenden Steinmetzen lasten. Diese selbst 
stellen ihre Füße auf ein romanisches Kclchkapitäl als Ab- 
schluß nach unten auf. In Behandlung der Gesichter, des 
Haares und der Gewandung sowie in realistischer Wieder- 
gabe der Funktionen und des Gesichtsausdrucks sind diese 
beiden Skulpturen dem Neuburger Relief in hohem Grade 
ähnlich. Da die romanische Vierung zum ältesten Teile des 
1149, wenn nicht schon 1143 begonnenen Baues gehört — das 
erste Säulenpaar des Langschiflfes entbehrt noch des charakte- 



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ristischen Eckblattes, das erst vom zweiten Paare an ständig 
erscheint — so sind die Steinmetzenbilder nicht viel später 
als 1150 anzusetzen. 

11. Bei der Beurteilung des künstlerischen Wertes der Neu- 
burger Skulptur mußte ihr Verhältnis zu Bildhauerarbeiten der 
gleichen Zeit und des gleichen Landes maßgebend sein ; von 
diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, erscheint sie mir trotz 
ihrer Mängel nach wie vor als eine achtungswerte Leistung 
des 12. Jahrhunderts. 

H. Lempf ri d. _ 



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XIII. 



Chronik für 1906. 

8. Januar : stirbt zu Straßburg Max v. Schraut, Wirklicher 
Geheimerat und Unterstaatssekretär, geb. 3. Jan. 1845 in Würz- 
burg, hochverdient um die Kunst in Elsaß-Lothringen. 

41. Februar: stirbt zu Bitsch Joseph Knepper, Oberlehrer 
am bischöflichen Gymnasium, geb. 6. März 1864 zu Oelde in 
Westfalen (studierte nach dem Besuch des Gymnasiums in 
Warendorf anfangs Medizin, dann Germanistik und Geschichte 
in Münster und Freiburg, und promovierte zu Münster 1889 
mit einer Untersuchung über Tempora und Modi bei Walther 
v. d. Vogelweide ; war 1895 — 98 an der bischöfl. Anstalt in 
Zillisheim tätig ; Mitarbeiter an unserem Jahrbuch ; veröffent- 
lichte : Nationaler Gedanke und Kaiseridee bei den elsässischen 
Humanisten, Freiburg 1893, Jakob Wimpfelings Leben und 
Schriften, Jrb. 1902, Das Schul- und Unterrichtswesen in Elsaß- 
Lothringen bis zum Jahre 1530, Straßburg 1905). 

5. März : stirbt in Baden-Baden Max v. Putfkamer, Wirk- 
licher Geheimerat und Staatssekretär a. D., geb. 28. Juni 1831. 

G. März: wird in Straßburg das 50jährige Jubiläum des 
Konservatoriums für Musik gefeiert (eröffnet im Dez. 1855). 

9. — 12. Mai : Kaiser Wilhelm II. in Straßburg und auf der 
Hohkönigsburg. 

12.— 19. Mai : der Kaiser in Lothringen. 

29. Juni: stirbt in Straßburg Curt Mündel, Ehrenpräsident 
des Vogesenklubs, geb. 24. Dez. 1852 zu Glogau. 

6. Juli: Gründung der «Wissenschaftlichen Gesellschaft» in 
Straßburg. 



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XIV. 



Sitzungsberichte. 

i. Vorstandssitzung 

am 11. November 1906, vormittags 10 J /» Uhr, im germanistischen 
Seminar der Universität. 

Anwesend die Herren v. Borries, Kassel, Lienhart, Luthmer, 
Martin, Menges, Renaud, Waller, Wiegand. — Entschuldigt 
die Herren Francke, Lempfrid, von Schlumberger, Stehle. 

Der Vorsitzende, teilt den Austritt des von Straßburg verzo- 
genen bisherigen Mitgliedes Herrn Lyzealdirektors a. D. Francke 
mit und bittet um Vorschläge betr. der in der allgemeinen 
Sitzung zur Wahl zu empfehlenden Ersatzmänner für Herrn 
Francke und den verstorbenen Vereinskassierer Herrn C. Mündel. 
Er berichtet sodann über die wenig günstige Finanzlage des 
Vereins und erörtert die Mittel und W T ege, wie der augenblick- 
liche Fehlbetrag wieder allmählich gedeckt werden könnte. 

Der Schriftführer berichtet über das namens des Gesamt - 
Vorstandes an den Vorsitzenden des Volksliederausschusses, 
Herrn Prof. Dr. Henning, gerichtete Schreiben, laut welchem 
letzlerer gebeten wurde, in der Novembersitzung über den augen- 
blicklichen Stand der Arbeiten am Volksliederbuch nähere Mit- 
teilungen zu machen. Während der sich anschließenden Erörte- 
rung erscheint Hen Prof. Henning und setzt die Gesichtspunkte 
auseinander, nach wichen die Vorarbeiten zur Herausgabe des 
Liederbuches erledigt werden müssen : zunächst komme es dar- 
auf an, neue Mitarbeiter zu gewinnen, eifrig zu sammeln, auch 
die Singweisen, und dann kritisch zu sichten; für einen öffent- 
lichen Aufruf sei er vorderhand noch nicht. Einem Vorschlage 
des Vorstandsmitgliedes Herrn Dr. Kassel entsprechend einigle 
man sich schließlich .1 von einer weiteren Beratung abzu- 



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sehen und die Liederkommission zu ersuchen in der November- 
sitzung 1907 ausführlicher über ihre Tätigkeit zu berichten. Das 
Vorstandsmitglied Herr Kreisschulinspektor Menges wird an 
Mündels Stelle in die Kommission gewählt. 

Die für das nächste Jahrbuch bereits vorliegenden Beiträge 
werden zur Beurteilung an einzelne Vorstandsmitglieder verteilt. 

Es folgt darauf um 11 Uhr die 

Allgemeine Sitzung. 

Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit einem kurzen 
Nachruf für den verstorbenen Schatzmeister des Vereins, Herrn 
Gurt Mündel, in dem er die Verdienste des Dahingeschiedenen 
um die Vereinsangelegenheiten hervorhebt sowie den schweren 
Verlust, welcher dem Verein durch seinen Tod erwachsen ist. 
Zu Ehren des Verstorbenen erheben sich die Versammelten von 
ihren Sitzen. 

Aus dem sich anschließenden Geschäftsbericht ergibt sich, 
daß die Milgliederzahl ungefähr die gleiche ist wie im Vorjahre, 
und deshalb sollen vom nächsten Jahrbuch auch wieder 3000 
Abzüge gemacht werden. Die Finanzlage ist auch in diesem 
Jahre nicht günstig, der Abschluß weist einen Fehlbetrag von 
rund 1000 M. auf. Allerdings dürfe eine kleine Einnahme er- 
wartet werden durch den Verkauf von alten Hestbeständen des 
Jahrbuchs, die zum herabgesetzten Preise von 50 Pfg. für das 
Exemplar an Mitglieder des Vereins abgelassen werden sollen. 
Im übrigen sei darauf Bedacht zu nehmen, den nächsten Band 
des Jahrbuches weniger umfangreich zu gestallen. 

Die Rechnungslage wurde von den zwei Milgliedern HH. 
Geh. Regierungsrat Hering und Dr. Teichmann geprüft und für 
richtig befunden. 

Vor der Neuwahl des Vorstandes empfiehlt der Vorsitzende 
der Versammlung an Stelle des ausgeschiedenen Mitgliedes Ly- 
zealdirektors a. D. Francke den Amtsrichter Herrn Beemelmans 
in Ensisheim und für das verstorbene Mitglied Mündel den 
Schatzmeister des V.-C., Herrn Notar Dr. Huber in Straßburg 
zu wählen. Die Versammlung ist mit dem Vorschlage einver- 
standen und wählt außerdem durch Zuruf den alten Vorstand 
aufs neue, nachdem Herr Geheimrat Hering demselben den 
Dank der Anwesenden ausgesprochen hatte. 

Zum Schluß hielt Herr Th. Walter aus Rufach den ange- 
kündigten Vortrag % lieber die Schicksale der bischöflichen Stadt 

Rufach nach dem westfälischen Frieden». 

• 

Schluß der allgemeinen Sitzung: 12 " Uhr. 

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2. Vorstandssitzung 

am (>. März 11)07, nachmittags 3 Uhr, im germanistischen Se- 
minar der Universität. 

Anwesend die Herren Beemelmans, v. Borries, Euting, 
Huber, Kassel, Lempfrid, Lienhart, Marlin, Renaud, Chr. 
Schmitt, Walter, Wiegand. — Entschuldigt die Herren I.uth- 
mer, Menges, von Schlumberger. 

Der Vorsitzende teilt mit, daß zur Deckung eines Teiles 
der Unkosten des Jahrbuchs von Sr. Durchlaucht dem Fürsten 
S-tatthalter ein erhöhter Beilrag von 600 M. bewilligt worden sei. 

An den ausführlichen Kassenbericht des Schatzmeisters, 
Herrn Notars Dr. Huber, schließt sich ein längerer lebhafter 
Meinungsaustausch in bezug auf den Kostenpunkt bei der Her- 
stellung des Jahrbuchs. Der Vorsitzende wird beauftragt, über 
die Möglichkeit einer Ermäßigung bis zur nächsten Sitzung ein- 
gehende Untersuchungen anzustellen. 

Die eingelaufenen Beiträge werden vorgelegt und besprochen 
und der Umfang des Jahrbuchs sowie die Daten für die Chronik 
festgestellt. 

Schluß der Sitzung: 4»o Uhr. 



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DATE DUE jßQg 
























































































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