Jahrbuch für
Geschichte,
Sprache und
Literatur
Elsass-Lothri..
Strassburg
(Germany).
Historisch-Littera.
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JAHRBUCH
KÜR
GESCHICHTE, SPRACHE UND LITERATUR
ELSASS-LOTHRINGENS
HERAUSGEGEBEN
VON DEM
HISTORISCH-LITERARISCH EN ZWEIGVEREIN
DES
VOGESEN-CLUBS
XXIII. JAHRGANG.
STR ASS BURG
J. H. ED. H EITZ (H EITZ & MÜNDEL)
1907.
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STANFORD UIMIVEKSITY
LIBRARIES
NOV 2 2 1983
/
Inhalt.
Seite
I. Gedichte von Christian Schmitt I
II. Mittelalterliche Armenpflege von Dr. Aug. Hertz og-
Plantieres . , . . . . . , , . , . , ü
III. Die Schicksale der bischöflichen Stadt Rnfach nach dem
dreißigjährigen Kriege von Theobald Walter . \\\
IV. Das Susannenspiel dos Samuel Israel von Strasburg
von If.Q:'.. Herausgegeben von Dr. Altred Sc ha er .">■!
V. Sagen aus dem krummen Elsali. gesammelt von Lehrern
und Lehrerinnen der Schulinspektion Saarunion, ver-
öffentlicht von Kreissolmlinspektor Monges . . . I0t>
VI. Heinrich Loux 11873 — 11M)7). Lebensumriß von Tli.
K ) ) o r r . , s : : : s , , , , . , . , . , LH
VII. Moscherosch im Dienste der Stadt Stralilutrg von Dr.
,1 o Ii a li ii c s B e i n c )■ t i:>s
VIII. Gedicht eines Bauern aus Zutzendorf 184'.). Mitgeteilt
von Prof. Krug (Buchstvciler) 147
IX. I'as Gleichnis vom verlorenen Sohn in sechs elsässischun
Mundarten. Besorgt von Eduard Halter . . . !.'>!
X. Nachtrage und Berichtigungen /um Worterbuch der
Kb a^ i schen Mundarten , , , , . , . . . . , Hill
XI. Mrlifi und Kinve im Elsali von Dr. Kassel in Hoch
fei den . , , , , , , . , , , , . , , . . , ü£
XIT. Ein Bild Kaiser Friedrich Rotbarts aus dem 12. Jahr -
hundert zu Hagenau von Max 1'. ach, Entgegnung
von II. Le m p f r i d .... :Hl
XIII . Chronik für 1H0H ^
XIV. Sitzungsberichte 25i>
I.
Gedichte.
Von
Christian Schmitt.
1. Die Harfe.
Im Dämmergarten meines Herzens still
Hängt eine Harfe. Hohe, dunkle Bäume
Stehn ragend rings. Sie harrt, ob ihre Traume
Kein Hauch zu lautem Klang mehr wecken will.
Vom Sturmwind aufgewühlt erbebten schrill
Die Saiten. Doch auf friedevolle Räume
Sinkt leis der Abend, und in gold'ne Säume
Legt sich der Landschaft malerisch Idyll.
Und wie die Nacht nun tilgt den späten Schein.
Von unsichtbarem Finger zart entbunden
Erwacht ein Tönen, süß und Avunderfein.
Erschwellend jetzt und Mieder fast verschwunden,
So klagt's und jauchzt, als flösse heiß hinein
Ein höchstes Glück, ein Weh aus tiefsten Wunden.
2. Der sterbende Wald.
Wie rotes Blut verlröpfelt deine Kraft.
Da dir der Sturm das letzte Laub entrafft,
Und wie in Todeskämpfen auf und nieder
Dumpf röchelnd wirfst du die verzerrten Glieder.
Gleich einem zornergrimmten Riesen ringst
Mit der Gewalt du. die du doch nicht zwingst.
Noch kurze Stunden und der fröstelnd bleiche,
Licht lose Himmel starrt auf deine Leiche.
— 0 -
Dann schweigt die Luft. In tiefer, stiller Rast
Ruhst du vom Kampf, den du durchstritten hast.
Die Wolken lösen sich im Flockenschweben,
Das weiße Bahrtuch langsam dir zu weben.
3 Dämmerstunde.
Es geht ein Tag zu Ende,
Still wird der Straße Schwann.
Laß ruhn die müden Hände,
Mein Weib, in meinem Arm!
Allein nicht will ich rasten
Vom heißen Werk der Pflicht;
Auch du hast deine Lasten
Getragen stark und schlicht.
Beim Schein der ersten Sterne
Soll schweifen unser Geist
Hinab zur tiefsten Ferne
Den Weg, den wir gereist.
Durch sonnenvolle Matten
Vom Tal stieg er herauf.
Doch auch durch schwere Schatten
Hat uns geführt sein Lauf.
Das Glück, das wir erstritten,
Kennt nicht der Zeiten Flucht,
Und auch was wir gelitten,
Trug hundertfältig Frucht.
Am Berg auf sanften Auen
Hell rauscht und frisch der Born ;
Den Gipfel kann nur schauen.
Wer Stein nicht scheut und Dorn.
Noch sind auch wir nicht oben;
Der Mühe wartet viel.
Von Wolken dicht umwoben
Sehn wir vor uns das Ziel.
Wenn aber eins im andern
Entzündet Kraft und Mut,
So werden wiVs erwandern.
Und alles fügt sich gut.
Gehfs auch vielleicht felsüber
Gar hart noch manches Jahr,
Wir kämpfen uns hinüber,
Die Seele fest und klar ;
Wenn sich nur aus den Feuern
Der Friede stärkend senkt
l ud ein so süß Erneuern
Uns jeder Abend schenkt.
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Auf dem Bergfriedhof bei Salm.
(Breuschtal.)
Ernste Ruhstatt müder Herzen,
Schattenkühlcs Eiland da,
Wie viel Hoffnung, wie viel Schmerzen
Decktest du für immer zu !
Kindlein, mit dem ersten Lächein
An die Mutter kaum geschmiegt,
Schlummern hier, vom Waldwindfächeln
Zwischen Blumen eingewiegt.
Und, gebettet um der Kleinen
Arme Hügel, reihenweis,
Unter Kreuzen, unter Steinen _
Rasten Mann und Weib und Greis.
An den blauen Tannenkuppen
Uebten sie ihr irdisch Tun ;
Tannen auch in dunkeln Gruppen
Rauschen um die Gräber nun. ■>
Berge, die gesehn das Wallen
Dieser Tapfern, schlicht und klar.
Ragen hoch wie Tempelhallen
Ucber ihrer stummen Schar.
Alle sind in gutem Frieden.
Nie vom Trug der Welt betört,
Lebten sie. Vom Lärm geschieden
Ist ihr Schlaf auch ungestört.
Doch in Not und Miihn wir andern,
Die wir gleiche Wege gehn,
Bleiben sinnend gern beim Wandern
Vor dem Hain der Toten stehn.
Und der Wunsch will uns bewegen,
Dali auch, wie das Los uns fiel,
Unser Pfad so sei voll Segen
Und so selig unser Ziel.
5. Fallende Schlösser.
Baumeister ist Büblein. Hell jauchzend hallt
Sein Werklied aus der Kammer.
Kunstsicher fügt er Stein auf Stein ;
Bald wird das Dach gegiebelt sein.
Ach, aber ach, urplötzlich schallt
Zu Krach und Sturz ein Jammer.
_ 8 —
Vater und Mutter müssen herbei.
Spielmännchen weint bekümmert.
Die Burg, der höchsten Kröuung nah,
Als ßabelbild nun liegt sie da.
Noch ragen stückweis die Mauern frei,
Halb liegen sie Avirr zertrümmert.
Wir trösten den Kleinen. Bald ist's sreschehn.
Aufs neue setzt er die Quader
Und singt und ahnt es nicht, wie viel
Er in der AVeit bei ernstem Spiel
Einst schmerzgestählt wird fallen sehn,
Lächelnd und ohne Hader.
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<
Ii.
Mittelalterliche Armenpflege.
Von
Dr. Aug. Hertzog-Planliere.
Bis zum Ausbruch der französischen Revolution beruhte
die gesamte Armenpflege, sowohl auf dem Lande als auch in
den Städten, auf der in den religiösen Satzungen begründeten
Pflicht zum Almosengeben. Jeder Vermögliche war verpflichtet
solches Almosen zu geben. In den Städten aber, hat sich die
Gemeindeverwaltung schon sehr früh der Armenpflege ange-
nommen, die Almosenspenden durch städtische Beamten bei
den Bürgern sammeln, und durch eigene Almosenämter an die
Bedürftigen austeilen lassen. Zu Colmar war unter anderem,
die ihrem ursprünglichen Zwecke, im XV. Jahrhundert bereits
entfremdete Elendherberg, ein Organ der Almosenverwallung.
Im Archive des Colmarer Bürgerspitales, mit welchem die Klend-
herberg vereinigt worden war, fand ich eine Urkunde vor, die
ein recht anschauliches Bild darbietet, von der Art und Weise
wie man in jenen Zeiten die Armenpflege ausübte, von der
Auflassung, welche sich die Leute damals von der Pflicht des
Almosengebens, als einer reichen Gnadenquelle, gemacht haben
und von der moralischen Wirkung dieser Auflassung auf die
Besitzenden, welche dadurch bewogen, gerne von ihrem Ueber-
flusse mitteilten, um das «öffentliche Almosen» mit den nötigen
Barmitteln zu versehen. Damals genügte der religiöse Sinn
unserer altelsässischen Stadt- und Landbevölkerung noch, um
die Ausübung einer organisierten öffentlichen Armenpflege den
Stadt- und Landbehörden zu ermöglichen. Ob unsere heutige
Bevölkerung in dieser Beziehung den Vergleich mit den Vor-
eitern aushielte, wollen wir nicht untersuchen ; wenn wir aber
die Beweggründe der öffentlichen Armenpflege der heutigen
Zeit mit den Motiven der mittelalterlichen Wohltätigkeit ver-
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... 10 -
gleichen, so werden wir darin einen ganz anderen Geist wahr-
nehmen. Ehen diesen grundlegenden Unterschied soll uns die in
der Anlage mitgeteilte Schenkungsurkunde des Colmarer Bürgers
Beat Sehroteysen dartun. Alle Einrichtungen haben
ihre Zeit, und nur von diesem objektiven Standpunkte aus
müssen wir Nachkommen diese Einrichtungen betrachten.
Solche Organisationen sind unter sich nur so weil vergleichbar,
als sie damals wie jelzt, ähnliche Zwecke verfolgten. Nicht aber
i: t aus dem Vergleich zu schließen, daß was im XVI. Jahr-
hundert und noch früher genügte, heute den Aufgaben einer
geordneten Armenpflege entsprechen müsse und könne.
Erfreulich dürfte es aber für uns Nachkommen immer sein
zu wissen wie unsere Voreltern diese großen Aufgaben der
praktischen Nächstenliebe angefaßt und gelöst haben. Es ist
entschieden eine schöne Seite dieser mittelalterlichen Armen-
pflege, wenn die religiöse Ueberzeugung und die Frömmigkeit
unserer Voreltern genügt haben, um Wohllätigkcitsanslalten
. ins Leben zu rufen, welche vielfach heutzutage noch bestehen,
oder welche doch die Fundamente abgegeben haben , zum
heuligen Baue der öffentlichen Armenpflege. Das sind die
Gründe, die uns bewogen haben, die erwähnte Urkunde
hier im Anhange zu veröffentlichen. Deren Inhalt wird den
Lesern wohl leicht verständlich sein, zur Einleitung in deren
besseres Verständnis sollen hier nur einige Bemerkungen
vorangehen. Die erwähnte Urkunde ist auf einem großen
Doppelquartbogen Pergament, mit großer Sorgfalt und kalli-
graphisch sehr schön ausgeführt. Sprachlich entspricht sie
allen den zeitgenössischen Urkunden und Schriftwerken jener
Zeit, aus Colmar und Umgegend. Inbezug auf deren Hecht-
schreibung sei nur auf die damalige Sitte, möchte lieber sagen
Unsitte, verwiesen die Konsonanten ganz ungebührlich zu ver-
doppeln, so z. B. im Worte «seien» die Seelen, wird «seilen»
geschrieben; statt «menschen» wird «mennschenn» gesetzt;
statt «Hilf* schreibt man «HilfT», noch drastischer ist die Ver-
doppelung «lürifl'a statt «fünf», «Ennde» statt «Ende», «opfTern»
statt «opfern», «sollen» slatt «seilen* für seelen. Diese Bei-
spiele sollen genügen. Das himmlische Heer heißt hier das
«Hymelsche Hör».
Beat Sehroteysen schenkt der Elendherberg ein bestimmtes
Kapital, dessen Zinsen sollen alljährlich als Almosen Verwen-
dung finden, diese Almosen sind aber an eigentümliche Be-
dingungen geknüpft, welche für uns die Urkunde eben wichtig
machen und unsere Aufmerksamkeit fesseln. Zu bestimmten
Zeiten des Jahres sollen einige Arme gewisse Förch- und Bitt-
gänge verrichten, um der Wohltat teilhaftig zu werden. Alle
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- 11 -
Samstag sollten sie nämlich im Sankt Martinsmünster der «Ger-
nermesse» beiwohnen. Der «Gerner» auch «Kärner, Kerner»
geschrieben, ist das Beinhaus, wie ein solches zu jenen Zeiten
noch auf allen Kirchhöfen sich befand ; einige dieser merk-
würdigen Denkmäler haben sich, so zu Kaysersberg, bis in
unsere Tage erhalten.
Der große Platz um das Colmarer Münster herum war
früher ganz Begräbnisstätte; nach und nach nahm jedoch die
Stadt ein Stück nach dem andern von demselben hinweg. Der
Kärner unter der St. Jakobskapelle befand sich auf der
südlichen Seite der Marlinskirche, und wurde 1575 beseitigt ;
die Kapelle wurde zur Wachlstube umgewandelt.
Von da aus sollten die erwähnten Armen eine Wallfahrt
zu unser Lieben Frauen in Horburg machen, und dort bestimmte
Gebete verrichten. Horburg war früher noch bevor der könig-
liche Hof von Colmar eine Kirche besaß, Pfarrkirche dieses
Hofes, wurde demnach die Mutterkirche der nachmaligen Col-
marer Pfarrkirche. Daher auch die rechtliche Verpflichtung der
Tochlerkirche zu gewissen Zeiten des Jahres in Prozession nach
Horburg zu pilgern. Mit der Zeit verdunkelte sich aber die Ur-
sache dieser Bittgänge, und Horburg ward als Wallfahrtsort
der Mutter Gottes weitcrfort das Pilgerziel der Colmarer Bür-
gerprozessionen und der privaten Bittgänge aller Art. So mußten
denn auch auf Wunsch Schroteysens die beschenkten Armen
diese Wallfahrt verrichten.
Von Horburg zurück in der Stadt angelangt mußten sie
in der Barfüßerkirche einkehren. Das ist die jetzige protestan-
tische Pfarrkirche (Langhaus) und die katholische Spitalkapelle
(Chor). Von hier ging es ins Münster und endlich in die Elend-
herberg. Dieselbe lag bis 1502 in der St. Martinsgasse Nr. 1,
wurde damals verkauft; für die Zeit unserer Urkunde kann
ich also nicht angeben wo diese sich befand. Mit 1534 geht die
Elendherberg an das Bürgerspilal über, das deren Verpflich-
tungen übernimmt.
Jeden Dienstag sollten dann fünf andere frommen Armen
einen ähnlichen Bittgang machen; nur statt nach Horburg
wallen sie jetzt zur St. Annenkapelle, auf dem Stadtgraben,
dem jetzigen St. Annenplalze; wohin nach Aufhebung des Mün-
sterbegräbnisplatzes der Gottesacker verlegt wurde. Diese Ka-
pelle ward 1588 bei Erweiterung der Festungsanlagen der Stadt
abgebrochen.
Und, heißt es dann in der Urkunde, das solches nu und
ewiglich, dester slatlicher, gehalten nil «verschlud» (so ist ge-
schrieben) werden mechte, macht Schroteysen die im Text
erwähnte Zuwendung.
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- V2 -
«Verschlud» heißt hier soviel wie « verschleudere». Der
Elsässer sagt heute noch dafür «verschludere». Durch die Zu-
wendung eines bestimmten Kapitals sollte vermieden werden,
daß die Sache sich verzögere, verschleudere, etwa gar nicht
ausgeführt werde. Er gibt also eine Rente von 12 Gulden auf
die Stadt Colmar «Stunden wieder koüftig», d. h. zu jeder Zeit
und Stunde ablösbar und zwar mit 300 Gulden in Gold. Also
handelte es sich hier um eine vierprozentige städtische Renlen-
verschreibung:. Hier ist anzuerkennen daß die Sladt Colmar
damals schon gerade so billigen Kredit fand als sie denselben
heute wohl hat.
Mit diesen wenigen Erläuterungen wird, so glauben wir,
die l'rkunde wohl verständlich, sogar für solche Leser, die nicht
gerade an deren Lektüre gewohnt sein dürften. Wir denken
aber daß der darin behandelte Gegenstand an und für sich
fesselnd genug sein könnte, um hier mitgeteilt zu werden.
Anlage.
Schenkung von Beat Schrotysen an die Ellend-
herberg von Colmar.
Wir Der Meisler unnd der Rate zu Colmar Bekennen
unnd thugen kundt mencklichem mit dem brieff, Das uft hüte
seiner datum, vor unns Inn offenem versamleten Rat komen
unnd erschinen ist. Der furneme Günrat Wickram diser Zeit
unser Schultheiß, als ein gesanter unnd verordnet ter Des Er-
sarnen Balten schrotysen unsere burgers seines vettern, unnd
öffnet do der gedacht Cünrat Wickram, Noch dem unnd Batt
Schrotysenn sin vetler, der Jor alt seines lybs blöd, unnd un-
vermegcklich, Hette Er In mit höchstem vi yß gebet ten, unnd
hermanet Etwas seins turnemens, vor unns ze harofnen, Des
er Inbetracht seines vettern guttem furnemen nit abscblahen
unnd were das seins vettern begeren. Zu vorderst so belle Batt
sein vetler angesehen, das den menschen nach Iren Hineserlenn
(sie) 1 zu nutz unnd trost der Sellen, nutt fruchtbarere Heylsamers
noch bessere, noch volgende were, dann almusen geben, unnd
andere Stiftung gulter wort unnd werkenn, So der mennsch
by Zeytten seines lebens, Hie uff erden furschicken, und ze
besehenen, verschafft. Darumb so hette Er, Dein allmechligenn
Oewigen gott, seiner Hochwirdigen mutier Marien, unnd allem
Hymelschem Höre zu lobe, seiner unnd alier seiner vordem
unnd nachkomenn, ouch deren die yme ye guttes gethun, unnd
1 Soll heißen «Hineferten». Hinfahrt. Tod.
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- 13 —
aller Cristglöbigen seien Heyles willen, uß eigner bewegnuß
furgenomen, unableßlich ze verschaffen. Das uff alle sambstag
fruge, funff armer fromer menschenn, In Sannt Martins mün-
sler zu der meß, die mann nempt die gerner meß, unnd die
selben meß von anetangk bis zu Ende, mit andocht zu hören,
Ir gebet sprechen, fur alle Gristglöbigen seilen, als bald noch
volendung der messe demuttigklich Samentlich mit einander
gon, yenn Horburg, zu unnser liebenn frowen, Ein farf thun,
unnd uff der fart, Hie Zwüschennt Horburg, zum wenigisten
mit ondacht betten Funffzechen patter noster, unnd sovil aue
maria, unnd dem nach zu Horburg In der Kirchen, vor unnser
lieben frowen bildnuß, Einen Roßennkrantz Alles dem allmech-
tigen got, seiner Hochwurdigen mutter, der Junckfrowen mariän,
zu lob, seiner, unnd allen Cristglöbigen mennschenn, seilen zu
trost , Darnach von Horburg wider Haruß unnd versamlet
alhar In die barfüßer Kürchen, Darine abermals, mit andacht
betten, Ein palter noster, und Ein aue maria. Allen Cristglö-
bigen seilen, zu trost, zu leiste von der barfußen Kirchen, wi-
der Inn Sannt martinsmunster , Doselbs glicher wyse Einen
patter noster unnd Ein ave maria betten, Zu Hilff unnd trost
als obstat. Unnd das demnach die selben fünff armer menschen,
für die Ellenden Herberg gungen. Doselbs der Herberg Schaffner
Ir yettwederen geben sölte, vier pfenning Rappen.
Ferner so were syn wil unnd meinung, das alle Zinstag
trug abermals fünff armer fromer menschen In der gerner 1 gon
unnd glich wie vor Erzalt, solche meß von anetangk bis zu
Ennde, ze hören. Unnd ze betten. Demnach mit andacht de-
muttigklich mit einander von Sannt martinsmünster, zu Sannt
Annen uff dem Statgraben gon, und underwegen Ir yettwederes,
mit vlyß betten, Einen Rossenkrantz, unnd In Sannt Annakür-
chen, funffzechen patter noster, unnd funffzechen aue marien
alles dem almechtigen , seiner werden mutler unnd allem
Hi meischen Heere zu lobe, seiner unnd allen Cristglöbigen
seien, zu trost, Unnd so sy Ir gebett volbracht, samentlich
widerumb In die Stal, In der barfüßer kürchen. Darine Ein
patter noster unnd Ein aue maria betten, Do dannen widerumb
Inn Sannt martins minster Doselbs glycher Wyse Ein patter
noster, unnd Ein aue maria betten, allen glöbigen seilen zu
trosft, Denn selbenn fünff menschen yetwederem sölte Ein yetier
der Ellenden Herberg, meisler, oder Schaffner geben. Ein
pfenning Rappen. Es were ouch ferrer syn bitt, Will unnd
1 Jetzt noch übliche dialektische Wendung, Akkusativ mit
Nominativform, oder vielmehr, die Hundart unterscheidet die zwei
Formen nicht.
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— 14 —
mei Illing das ein yeder der Ellenden Herberg meister. oder
Schaffner, Nun und Ewigklich, alle Jor viermallen. Nämlich
zu den vier frone vaslenn, alwegen uff den Sambstag. Einen
priester, Er sige geistlich, oder weltlich, bestellen. Der uff den
selben tag. In der Kürchen zu Horburg, Ein sele meß lesen,
By der selben sele meß, Seilentend die Fun ff mennschen, so als
vorstat, Do hyn zegönde verordnet, von onfanng bis zu Ennde
blybenn, Ir yetwederes Ein meß frymen (= Trumen, fördern).
Des glichen zu opffer gon, mit andacht, für sin und alle Cristglö-
bigen sollen bitten. Es sölte sich, ouch, der priester vor dem
offertorium am althar urnb kerren unnd des Volk Hermanen, svn
des gedachten Batten Schrotyscnn, als Stifter, dieser guthatt,
seiner, vordem und nochkomen, seien, Zubilten. Disem priester
sölte man geben, achtzechen pfenning Rappen, unnd den Fünf!
armen mennschen, Zu den vier pfenningen noch ein pfenning,
für das meß frömen unnd opffern. Deßglichen sölte Es, uff den
Zinstag der wochenn, Dar Inne die Fronvastenn gevallenn mit
der ineß In bysyn der Fünf! armen mensehenn, mit meß frymen,
opffern, Unnd Hermanunge, des Volkes, Zu Sannt Anna, Ouch
gehalten werden. Darfür dem priester Ein Schilling pfenning
I Uppen, Unnd den Fünff armen menschen, zu den pfenningen,
Denn mann Innenn vvochenlich gebe, für das meß frymen, unnd
opffern, noch Einen pfenning. Unnd das solches nu und öwigk-
lich, dester Statlicher, gehalten nit verschlud (sie) werden
mechte, ouch die gedachte Ellende Herberg, solcher ausgäbe,
der mug unnd arbeit Ergetzt.
So hette der gedacht, Bat schrotysen, Ime diß almuses
unnd diser Zit der Ellenden Herberg, Einer Frigen uffrechten
redlichen erberlichcn onwiderruffenliehen gobe von seinen Eignen
Händen zu der Elenden Herberg Händen gegeben. Die Zwölff
guldin geltes und zinses, So Er bißhar Jerlichen alwegen uff
Sannt Marlins von unns als der Stat Colmar vallen gehapt,
Nämlich für yeden guldin dry Zechenthalben Schilling, Stunden
wider köwffig Mit druwhundert guldin In gold, noch besag Eins
brieffs, unnder unnserm Ingesigele ufgericht, Denn er zu der
nießung Ime als pflegern zu seinen Habhafften Händen, In^e-
antwurt, mit dem befelch, unns mit Höchstem Vlyß bytlieh an-
zekeren, Im solche sine Slifftung und gotzgabe ze bewiligen,
Doran unnd dorob zu synde , Das dise Slifftung, nun unnd
övvigklich Stät blvbe, unnd gehandthabt werde, Unnd daß nun
fürther zu öwigeu lagen Einem yeden der Ellenden Herberg
meister oder Schaffner, So veste der von unns gesetzt, vor unns
alls dem Ratte lyblich zu got, und an die Hei'gen schweren
tinnd besonnder der pflegere, So ye zu Zeytten gesetzt, ge-
treuw uff sehen, zu disem almusen, zu haben, Alle dewyl
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sy pflegermeister oder schaflner blybent, Das Iruwlich und un-
ableßlich wie obstat ußzetheylen, unnd ausgetheylt werden ver-
schaffen, unabbruchig by lrer seien Heyl, alle geferden, und
argenlist Har Inne ganntz ausgescheiden. Diwyl wir der meister
unnd der Rat zu Colmar obgenant, des vorgenannten Batt
schrot ysen Ernnstliche bil unnd begeren, verharret, die golzgobe,
die ZwölfT guldin Zins, unnd die Houptversehribung, zu der
Ellenden Herberg Hamiden erberlich unnd fryg gegeben unnd
yberantwurt, Habennt wir unns berottenlich dauon underredt,
unnd nohe dem uns solch sein begere, unnd fürnemen Ein
loblich Erlich, unnd gut werk syn beducht, Das wir zu furdern,
billich nach Höchstem vermögen geneigt, Darumb In ansehen,
unnd betracht desselben, das wir nit allein zu furdern geneigt,
sunder alle gutthatten, Die hie Im Zyt den menschen, und
allen Crislglübigen sollen, tröstlich, sein mögen, ze uffen, unnd
aus Cristlicher Ordnung und uflsatzung schullig unnd pflichtig.
So haben wir gehöllen unnd gehellen ouch in unnd mit Crafft
dis bricfls. Dem obgenannten meisler, Cünrat wickram Schult-
heis und yetzigen von unns gesetztenn pflegere, der Ellenden-
herberg, Eegerürte Zwölfl* guldin geltes, Innamen der Ellenden-
herberg von fylgemeldten Batten Schrolysen anzenemen, Als
Er ouch gethun, unnd die funtT Ersten armen menschen, ufT
Sambstag nehst nach Sannt Martins tag, In noch geschribenen
Jore gen Horburg, und die anderen funff zu Sannt annen uff
Zinstag darnach wie das oberzalter Stiftung vermag k, Zegönde
und ze belonende verschaflet. Wir habent unns ouch, dahy ver-
pflicht, und In versambleltem Rat, Ein Helligklich zugesagt, für
unns und unser nachkomenn, die Eegerürten Stiftung und
almusen nun öwigklich, von der gemeldten Ellenden Herberg
wegen, unnd von der selben Zinsen und gefellen wie vorstat,
ohne allen ab bruch us gericht und volzogen werden, verschaffen,
Ein getreuw uflf sehen, darzu ze haben, daß es Erberlich, Er-
stattet, ußgetheylt, und Jerlich verrechnet werde, unnd ob sich
über kurtz oder lang begeben, also das die Zwölfl guldin gelts,
abgelöset. Sollen und wollen wir, darob und daran syn. Das
solches Houptgut so förderlichst, möglich, Der Eegemeldten
Ellendenherberg, gegen obgeschribenen almusen ze neyßen (sie),
widrumb angelegt werden, Inn alleweg getruwlich, Erberlich,
und ungefärlich. Unnd des zu warer vester öwiger, I'rkundt,
So habent, Wir der meister und der Rat, obgenant, unnser
Stat Colmar, Secret Ingesigelle thun Henncken, ann disen brieft,
Der gebenn Ist, uff Dornnstag nechst nach Sannt Symon unnd
Judas, der Zweyer Zwölflbotten tag, Inn dem Jor vonn goltes
gepurt, gezall, Tusennt fünflliunndert, und Sechzechenn Jore.
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III.
Die Schicksale der bischöflichen
Stadt Rufach
nach dem dreißigjährigen Kriege.
Von
Theobald Walter. 1
Wohl wenige Städte unseres engern Heimatlandes haben
so sehr unter der Not des dreißigjährigen Krieges zu leiden ge-
habt als gerade Rufach, der Hauptort der straßburgisch-bischöf-
lichen Mundatlande im obern Elsaß. Seine festen Mauern und
Türme in des Landes Mitte, die außerdem einen ansehnlichen
Wohlstand bargen, und seine vorzügliche Lage an einer der
Hauptheerstraßen längs der Vogesenhöhen weckten aber auch
allzusehr die Begehrlichkeit der zahlreichen fahrenden Kriegs-
völker. Fünf wilde Erstürmungen von Feindeshand mußte die
Stadt in der kurzen Zeit von 1633—35 über sich ergehen lassen
und noch mehr der schrecklichen Plünderungen. Von 1636 an
wurde sogar ob des großen Elendes kein Gemeinwesen mehr
geführt ; die Stadt blieb an ein Jahrzehnt ein weites, ödes
Ruinenfeld. * Und wie der Spätherbst des Jahres 1648 den lange,
lange ersehnten Frieden brachte, da führte er bekanntlich dem
französischen Könige die schönsten Gebiete des Elsaß als Sieges-
beute zu. Rufach verblieb zwar mit den übrigen bischöflichen
Besitzungen seinem angestammten Herrn, dem Bischöfe von
1 Nach einem am 11. November 1906 in der Generalversamm-
lung des literar.-hist. Zweigvereins des V.-C. gehaltenen Vortrage.
2 Vgl. Th. Walter, Rufach zur Zeit des dreißigjährigen Krieges,
Gebweiler 1897.
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- 47 -
Slraßburg, unter der Oberhoheit des deutschen Kaisers; aber
das Städtchen war entvölkert, sein alter Wohlstand vollständig
dahin.
Leider fühlten die Bürger einstweilen sehr wenig von den
Segnungen des Friedens. Die Einquartierungen und Durchzüge
fremder Kriegsvölker, die die letzte Brotkrume einforderten,
den letzten Sparpfennig wegrauhten, dauerten ununterbrochen
weiter, und der Bischof verlangte trotz des unsäglichen Elendes
Summe um Summe als Schätzung und Steuer. So entrichteten
Rufachs Bürger in der kurzen Zeit vom 27. Mai bis zum 31.
Juli 1649 über 1(300 % an Quarliergeld, und wie der Stadt-
kasten erschöpft und die notleidende Bürgerschalt bereits ge-
zwungen war, zum eigenen Unterhalte nach Anleihen Umschau
zu halten, da kam am 0. August von Zabern aus der strenge
Befehl, binnen 10 Tagen den zweiten Termin zu den sog. Frie-
densgeldern mit 1000 fl. zu bezahlen ; und noch waren die Be-
drängten auf der Suche nach Geld in Colmar, Mülhausen und
Basel, da erließ der Kommandant der französischen Besatzung
in Colmar bei Androhung militärischer Exekution
die Aufforderung an die Stadt ergehen, umgehend die längst
fälligen Rationen zu liefern. 1
Die beginnenden fünfziger Jahre brachten kaum eine Er-
leichterung. Die Händel um die Feste Breisach, die der hinter-
listige Charlevoix noch immer in Händen hielt, führten die
Lothringer ins Land, und fast schien es, als sollte all der Kriegs-
jammer von neuem beginnen. Verloren doch Rufachs Bürger
am 8. April 1652 beinahe ihre gesamten Zugtiere, 24 Ochsen
und 6 Pferde, durch Raub teils an die Lothringer, teils an die
französischen Söldner des Generalleutnants von Rosen.*
Mit Besorgnis folgten zudem die Bürger den Anfängen der
Franzosenherrschaft in den benachbarten ehemals österreichischen
Vorderlanden jenseits der Lauchwälder, und Unbehagen erfüllte
ihre Seele. — Sollte nicht doch noch das einst so stolze deut-
sche Vaterland aus seiner Ohnmacht aufwachen und ihnen Herd
und Heim erretten aus tiefer Not und seltsamer Zwitterstellung!
Da kam im Mai des Jahres 1653 die Kunde über den Rhein :
Ein neuer König ist uns geworden. Ferdinand IV., des Kaisers
Sohn, ist auf dem Reichstage zu Regensburg feierlich gekrönt
und seinem allzunachgiebigen Vater als Stütze zugesellt worden.
— Welch ein Jubel herrschte in Rufachs Mauern, als der Bischof
die frohe Botschaft übermitteln ließ! Die Doppelhaken und
Mörser donnerten von den Höhen der Isenburg und von der
> Stadtarchiv Rufach, BB 44.
* Bezirksarchiv in Straßburg-. Zabern.
2
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— 18 -
Stadt Türmen nach den französischen Vogleilanden hinüber, alle
Glocken erklangen in feierlichem Chore, die Salutrufe erfüllten
Platz und Gassen, und Geistlichkeit und Volk durchzog in fest-
lichem Gewände lobsingend die Straßen der Stadt.«
Allein alle Hoffnung erwies sich bald als eitel. Sank doch
der Neugekrönte schon nach Jahresfrist in die stille Gruft, ohne
irgend etwas zu des Reiches Wohl gewirkt zu haben. Das Fest
aber war das letzte, das Rufachs Rürger auf viele Jahre hinaus
zu Ehren eines deutschen Fürsten feiern sollten.
Noch wehrte indes Bischof Leopold mit kräftiger Hand den
verschiedenen Anmaßungen der französischen Nachbarn. Mit
eindringlichen Worten empfahl er im Januar 1661 dem neuer-
nannten Obervogten von Rufach Wilhelm Egon von Fürstenberg
in seiner Bestallung .... sonderlich wegen der
jetztmahls in der Nähe von denen frantzösi-
sehen aufgerichten neuen Regierung zu
Ensisheim, so bißhero sich nicht weniger
Eingriff und Neuerung gen unsere Herr-
schaft Obermundat a n g e m a ß e t «ja
auf der Hut zu sein.
Und dennoch ließen sich die Reibereien zwischen beiden Ver-
waltungen nicht vermeiden. Erkühnten sich die französischen
Beamten doch im folgenden Jahre schon wieder, gestützt auf
einen Erlaß des Kaisers Rudolf vom 7. April 1577, allerlei
rechtliche Handlungen unbekümmert um die bischöfliche Ver-
waltung unter dem Adel innerhalb der Mundalgrenze vorzu-
nehmen ; und wie Amtschaflner und Landschreiber in Ensis-
heim zum Proteste vorsprechen wollten, wurde ihnen dort be-
deutet, daß sie sofort Stadt und Land des französischen Königs
zu verlassen hätten, wofern sie nicht Bekanntschaft mit dem
Thür n machen wollten. s
Im November 1662 starb Bischof Leopold im fernen Wien
und erhielt zwei Monate später den ersten Fürstenberger, Franz
Egon, des eben erwähnten Obervogten Bruder, zu seinem Nach-
folger ; Rufach war damals wieder ein Gemeinwesen von 1766
Seelen. »
Die Stellung, die der Neuerwählte der französischen Re-
gierung gegenüber einnahm, ist bis heute noch nicht zur Genüge
1 Stadtarchiv Kut'ach, BB 44.
2 Bezirksarchiv Colmar, Mundat * v A.
3 Bezirksarchiv Colmar, Mundat * E.
4 Bezirksarchiv Colmar, Mundat. 302 Bürger. 310 Frauen, 7f>0
Kinder, li»4 Hintorsiiii, 13* Knechte und 00 Mägde.
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— 19 -
aufgeklärt. Doch scheint sicher zu sein, daß er schon im ersten
Jahre seiner Verwaltung dem französischen Könige gewisse Zu-
geständnisse, die Oberhoheit über die bischöflichen Territorien
betreffend, gemacht hat. Leider lassen sich in den Archivbe-
ständen von Straßburg, Colmar und Rufach keine diesbezüglichen
Urkunden nachweisen.
Bald nach der Wahl begab sich eine Abordnung der Mun-
dutleute unter Rufachs Führung nach Zabern, um dem neuen
Oberherrn ihre Glückwünsche darzubringen und zugleich den
von jeher üblichen Bestätigungsbrief der althergebrachten Mun-
datvorrechte zu erbitten. Der Empfang war gnädig; der ersehnte
Freiheitsbrief aber wurde für spätere Zeiten in Aussicht gestellt,
folgte indes niemals. 1
Es kamen dann die bewegten Tage, in welchen in den
nahen Reichsstädten und geistlichen Gebieten große Aufregung
und Betrübnis ob der französischen Bestrebungen herrschte, in
welchen Colmar und die Reichsvogtei Kaysersberg vergewaltigt
und der Fürstabt von Murbach dem französischen Könige preis-
gegeben wurden ; Rufach blieb indes merkwürdigerweise inner-
halb seiner Mauern vollständig unbelästigt. Zwar brachte die
Niederlage der Kaiserlichen und Brandenburger bei Türkheim
das Städtchen noch einmal in Kriegsnot, als im Januar 1675
die Kanonen des Brigadier Lancon die verlassenen Dragoner des
Regiments Börnsdorf zur Uebergabe der kaum verteidigungs-
fähigen Isenburg zwangen. Aber, sagt das alte Stadturbar be-
zeichnend, die frantzosen haben guet hordter
g e h a 1 t e n , vndt ist derStadt vndt bürge r-
Schaft kein Leith geschehen.«
So waltete denn der vom Bischof auf Lebenszeit ernannte
Schultheiß nach wie vor seines Amtes als Haupt der städtischen
Justiz und Polizei. Fünfzehn Ratspersonen, wovon fünf auf Leb-
zeiten ernannt waren, fünf aber jährlich durch ein öffentliches
Wahl verfahren neu gewählt werden mußten, bildeten wie von
altersher den Gerichts- und Verwaltungskörper und hatten selbst
den Blutbann in den Händen. Die Bürgerschaft verfügte wie
von jeher fast uneingeschränkt über Wälder und Allmende und
erfreute sich der Befreiung außerordentlicher Frohnden und
Lasten. So flössen die Jahre ruhig dahin ; schien es doch, als
ob selbst der bischöfliche Herr sich wenig mehr um seine Mun-
datleute kümmerte, da er sie, früheren Gepflogenheiten ent-
gegen, keines Besuches mehr würdigte und keinen Obervogten
mehr zum üblichen Schwörtage entsandte. Selbst der Beschluß
1 Bczirksarchiv Colmar. Mundat * C.
2 Urbarium, S. <w.
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der Reunionskarnmern vom 9. August 1680, der öffentlich die
französische Oberherrschaft über sämtliche bischöfliche Gebiete
im Elsaß verkündigte, irüble noch keineswegs das stille Wässer-
lein. Es war leider die verdächtige Ruhe vor wildem Sturme.
Im September 1082, kurz nachdem der erste Fürstenberger
verblichen war, erhielt dessen Bruder und Nachfolger auf dem
bischöflichen Stuhle, der bereits erwähnte Wilhelm Egon, von
Ludwig XIV. die ersten Patentbriefe für seine elsässisohen Be-
sitzungen. 1 Und mit welcher besonderen Gunst war da der
neue königliche Vasall nicht bedacht worden !
Vorab rettete er seinen eigenen aus sieben Richtern be-
stehenden Gerichtshof in Zabern, selbst als Berufungsinstanz
für die städtischen Gerichte seines Gebietes bei allen Streit-
werten unter 1000 ü ; desgleichen behielt der Bischof seine her-
kömmlichen Hohheitsrechte wie die Strafgelder, die Jagd- und
Fischereigerechtigkeit, das Bei gwerkrecht, das Recht der Juden-
aufnahme, das Salpeterrecht und die Verfügung über die ver-
schiedenen Lehensgerechtigkeiten des Bistums. Verloren ging
bloß das Zollrecht, das schon im Oktober 1680 in ganz Frank-
reich aufgehoben worden war; dafür wurde ihm als Entschä-
digung eine Verkaufssteuer auf liegende und fahrende Güter
zugebilligt. — Aber über seinem Haupte und seinen Landen
schwebte statt der ausgeschalteten früheren Beichsgerichtsgewalt
verhängnisvoll das Doppelschwert des neugeschaffenen Co n sei 1
s o u v e r a i n und der allmächtigen Intendance.
So willkommen dem Bischöfe trotzdem die Patentbriefe sein
mochten, so unangenehm waren sie der Bürgerschaft Rufachs
und der gesamten obern Mundat. Besonders empörend wirkte
die Bestimmung, die dem Bischof unumschränkte Fronden in
Hand- und Spanndiensten zubilligten, ihn indes ermächtigte, sie
in festgelegte, sogar mit Gewalt einzutreibende Geldbeträge um-
zuwandeln. Wie ein Mann erhoben sich Stadt und Land zu
feierlichem Proteste, Man ahnte am Bisohofshofe den nahen
Sturm : die Kläger wurden möglichst hingehalten und unter-
dessen eine Ergänzungsschrift erwirkt, die am 30. Juli 1684 am
C o n s e i 1 s o u v e r a i n enregistriert wurde ; und noch ehe
die Bürger auf dem beschwerlichen, ungewohnten Instanzenwege
dort angelangt waren, hatten beide Schriftstücke durch Bestä-
tigung des Intendanten bindende Kraft erhalten. Daher auch
die Klage im Stadtrate : Weilen aber des Herrn von
F ü r s t e n b e r g Ö f f i z i a n t e n und F e r m i e r s b e-
sorgten, daß b e y eine m r e g u I i r t e n Gerichts-
stuhl der Supplicanten Recht u n d Briefe
1 Vgl. den Anhang.
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examinirt würden, g a b t e n sie He in Herrn
De la G ränge, e I sä «s i sc he Intendanten,
ihre Bittschrift, aufwelchesieeinOrdo-
nance vom 4. September 1686 erhalten, in-
haltend, daß die lettres patentes, so sie von
ihrer Majestät erhalten, sollten exequirt
werden, unddaßdie Einwonerderorthen,
zu dem Bistum gehörig, sollten auf alle
Weis und Weg zur Bezahlung der Frondienst
gehalten werden, mildem Zusatz, daß die
Amtsleüth, Schultheißen und Magistrat
der Statt .. . . die handth abensollen, daß
<l ie frondien st richtig lieh abgestattet und
aufdas verweigern, dieselben mit Gewalt
dahin anzuhalten.» Der Fronprozeß war mithin ver-
loren, noch ehe er recht begonnen hatte, und selbst ein Imme-
diatgesuch an den französischen König vermochte nichts mehr
an der Sache zu ändern.
Das war die erste Bekanntschaft der Mundatbewohner mit
den französischen Gerkhtsverhältnissen, das erste Zusammen-
prallen alter Volksüberlieferung und alter Herkommen mit den
gestrengen Satzungen des römischen Rechtes, und die Unge-
schicklichkeit der Stadtbürger mußte notgedrungen dem geüb-
ten Zusammenwirken von Beamtenschaft, Intendance und Gon-
seil souverain erliegen. Wie aber dann im selben Jahre noch
der Bischof die sog. Schatzungsgelder einfordern ließ, da geriet
die ganze Mundal in hellen Aufruhr. 2 Doch Gewalt ging vor
Recht und weiteres Unheil war bereits auf dem Wege.
Gestützt auf die Patentbriefe und ermutigt durch den glück-
lichen Ausgang der bisherigen Streitigkeiten rückte nun die
bischöfliche Verwaltung den Vorrechten der Stadt erst recht
zu Leibe. Die VVassergerechtigkeiten des Ombaches, die freie
Hand in Wald und Weide und das Monopol des Eisenhandels
bildeten die nächsten Streitobjekte. Aber die Stadtbür^er waren
klüger geworden ; sie benutzten in geschickter Weise ihre Archiv-
bestände, und so verblieb ihnen diesmal einstweilen der Sieg. 3
Umfangreicher wurde der Kampf um das Salzrechl. Schon
1663 hatte der Bischof zwar ohne Erfolg versucht, der schönen
Einnahme Herr zu werden.* Die neuen Zwistigkeilen begannen
1 Stadtarchiv Rufach. JJ 7.
* Bezirksarchiv Colmar. Mundat 0.
» Urbariura, S. 7Gff.
* Bezirksarchiv Colmar. Mundat V u. Urbar 74 ff.
4
- 22 -
in dem verhängnisvollen Jahre 1086 und schwebten noch 1708,
als der Bischof persönlich beim Rate vorsprach, um sich mit
ihm zu vergleichen, sie schwebten noch 1711, als die Beauf-
tragten des Intendanten im Verein mit des Bischofes Abgesandten
ein Uebereinkommen vorschlugen, sie schwebten noch als 1723
einem neuen Bischöfe neue Patentbriefe verliehen wurden und
endigten schließlich nach fast fünfzigjähriger Dauer doch zu
Gunsten der Stadt. Unsummen hatte der Streit verschlungen,
aber zu gutem Ende geführt. 1
l'nd dennoch leistete die Stadt 1692 schon willig ihren
Beitrag zu einem don gratuit von 50 000 flf , das der
Bischof seinem französischen Oberherrn darbringen wollte. War
ja die französische Verwaltung damals eifrig bemüht, der
seit Jahrhunderlen bestehenden Verschuldung der bischöflichen
Gebiete abzuhelfen und die lästigen Schatzungsgelder endlich
zu beseitigen. Ein königliches Dekret von 1687 schuf nämlich,
wohl infolge der schon genannten Empörung von 1686, eine
sogenannte Schuldentilgungskommission , die aus dem In-
tendanten De la Grange, dem Prätor Obrecht und dem bischöf-
lichen Kanzler bestand und die Mittel und Wege zur Abhilfe
ausfindig machen sollten. Freilich währte es noch eine schöne
Zeit, bis die Maßnahmen von einem praktischen Erfolge be-
gleitet waren ; denn erst durch Beschluß vom 11. September
1699 konnten die Schatzungsgelder vollständig abgetan werden.
Die Kommission verteilte eine Schuldenlast von 417921 U ver-
hältnismäßig unter die bischöllichen Städte und Dorfschaften,
die binnen zehn Jahren ihren Anteil an den Rechner, den
Amtmann Franz Zoller in Wantzenau, zu entrichten hatten.«
In Rufach erweckte diese Neuregelung große Freude ; war man
sich doch dort schon seit Jahrzehnten bewußt, daß die jahraus,
jahrein erhobenen Schatzungsgelder nicht zweckentsprechend
verwendet wurden.
Inzwischen war auch eine andere Persönlichkeit dem Stadt-
frieden gefahrlich geworden. Es war dies der bischöfliche Ober-
vogt Job. Christof Fries, der seinen Sitz auf der Isenburg
droben aufgerichtet hatte.
Schon vor 1680 hatte er unter dem damaligen Vogte von
Wangen die Vizelumstelle verwaltet. In den Uebengangszeiten
führle er sogar mit dem Fiskalprokurator Zaigelius und einem
gewissen Kielborn ein etwas zweifelhaftes Regiment ; und den-
noch legte der Bischof 1683 zum Erstaunen der Stadtbürger
1 Vgl. auch das Urteil gegen die I) o m a i n e du r o i vom i).
Februar 1736. Urbarium. S. 460.
« Stadtarchiv Rufach BB.
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- 23 -
die einflußreichste Stelle der Mundallande getrost in seine Hunde.
Das war auch ganz naturlich ; hervorgegangen aus der in der
Intendance und dem Conseil souverain verkörperten Schule des
gallisch-römischen Rechtes, war Frieß der geeignetste Vertreter
für die Bestrebungen von Bischof und Regierung, denen das
trotzige mit allerlei Vorrechten ausgestattete Städtchen ein Dorn
im Auge war. Gingen doch auch die übrigen bischöflichen Be-
amten, die jetzt zielbewußt nach Rufach gesandt wurden, eben-
falls aus französischer Schulung hervor; ich nenne hier |bloß
den AmtsschafTner Sylvain GoJbery, den Stammvater der nach-
mals so berühmten elsassischen Magistrats- und Gelehrten-
familie. 1
So lange die Schultheiße Johann Paul Streng (1665-90)
und Johann Andreas Kansperger (1690—94) noch an der Spitze
der städtischen Verwaltung standen, ging das Zusammenwirken
von Vogt und Rat noch leidlich, obschon das seltsame Ver-
schwinden des alten Stadtbuches bei Slrengs Tode etwas stutzig
machte 2 und die Streitigkeiten wegen Benutzung der trocken-
gelegten Stadtgräben, die teils dem Vogt teils der Stadt zustand,
schon einen bedenklichen Charakter annahmen. Da übertrug der
Bischof 1695 das Schultheißenamt dem jugendlichen Paul Seitz.
Der kampfesmutige, unerschrockene Beamte, der außerdem
über eine genaue Kenntnis der alten Stadl Verfassung verfügte,
trat von Anfang an allenthalben den Uebergrilfen des Vogtes
bestimmt entgegen. Doch auch der Vogt war keineswegs der
Mann, der auch nur um Haaresbreite zurückgewichen wäre.
Welche Erbitterung aber in seinem Innern herrschte und von
welchem Geiste er beseelt war, geht nur allzu deutlich aus
dem M e m o i r e vom Mai 1696 hervor, wo er behauptete :
. . .en un motpour tout, je pretend estre
le maitre absolu dans toute l'ober m Un-
tat h le Rouffach, comme en etant le gran-
dissirne bailli, et de traiter I es habitants
comme bon me semblera per fas et nefas,
taut b i e n q u e mal, ä t o r t et ä t r a v e r s ,
sans qu'aucun s'en puisse plaindre ä
1 Vgl. Walter, Alsatia superior sepulta, Nr. 35)7.
* Es geht in Rufach noch immer die seltsame Mär, als sei das
Stadtarchiv seiner kostbarsten Schätze beraubt. Im Interesse der
Wahrheit sei indes mitgeteilt, daß unser wertvolles altes Archiv
eines der vollständigsten des Landes ist, das nur wenig Lücken auf-
weist, die schon vor zwei Jahrhunderten anerkannt wurden. Die
alten Stadtvater haben die schone Sammlung stets treu gehütet und
uns wohl erhalten überliefert. Leider scheint die heutige Verwaltung
kein Verständnis mehr dafür zu haben; ist doch der jetzige Zustand
unwürdig und trostlos.
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peine «i'elre condamne a u x galer es. . .
Ü i e u v e u i I I e <j u e c e I a a d v i e n n e et i' e r a
justice. . .» Ein unheimlicherer Absolutismus ist wohl
noch selten in so wenig Worten ausgesprochen worden! Und
doch triel) ihn sein schlauer Gegner in die Enge, his ihm
schließlich der bischöfliche Herr durch einen Erlaß vom i>5.
Juni 169(5, durch den er ihm eine Keine seiner angemaßten
Hechte bestätigte, zu Hilfe eilte.»
So sollte der Vogt fürderhin die Ratsversammlungcn leiten,
die Urteile sprechen und bei der Vergebung städtischer Aemter
den Vorsilz führen, er sollte freies Salz aus dem Salzhause der
Stadt beziehen und jährlich einen silbernen Ratsbecher von
28 Sol Gewicht als Weihnachtsgabe erhalten, alles Neuerungen,
von denen weder die Ratsbriefe noch die früheren Bestallungen
der Vögte etwas wußten. Der Rat beschloß am 47. Juli ein-
stimmig , ahn gehöriger Orth die remedu r
zu suchen, und beauftragte den Schultheißen, einen Pro-
zeß gegen den Obervogten auf städtische Kosten einzuleiten.
Der Obervogt seinerseits blieb auch nicht untätig; er er-
wirkte unterm 13. Februar 1697 beim C o n s e i I s o u v e-
rain einen Arret, wonach die Stadtverwaltung ihn —
als das Haubt der Justice vndt Polize —
anerkennen mußte, desgleichen sollte sie auch keine
Zusarnmenkunftoder a ssemblee ohne p e r-
m i s s i o n gedachten Obervogten halten,
auch i h m e alle rechten, welche ihm ge-
bühren, absonderlich den silbernen Be-
cher, drei S e s t e r S a I t z und das nötige
Brennholtz geben vndt I ü f f e r n . . . Die Stadt-
väter kümmerten sich nicht, weiter um diese Verfügung, sie be-
haupteten ihre Rechte und legten Widerklage ein. Zugleich er-
langte der Schultheiß gleichsam als Vergeltung vom Conseil
souverain einen Arret wonach alle Freisitzenden der Stadt,
wozu auch die bischöflichen Beamten gehörten, zu den sog. Heeres-
kosten von 11 000 G gleich den andern Bürgern ihren Beitrag
abliefern mußten. 3 Bald sollte die Kluft zwischen Vogtei und
Stadtverwaltung noch größer werden.
Seil urdenklichen Zeiten war es nämlich im Rufacher Rate
üblich, daß, wie schon bemerkt, fünf Mitglieder lebenslänglich
im Amte blieben, von den übrigen aber jährlich zwei ausscheiden
mußten. Der Vogt aber, der bis jetzt sowohl seinen Herrn als
i Stadtarchiv E. FF. 57.
* Urbarium. S. 24 y ff. — Stadtarchiv R. — BD. 73.
3 Stadtarchiv R. - BB. 73.
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— 25 -
den Conseil souverain hinter sich fühlte, stieß bei der Ratsbe-
setzung im Januar 1698 allen Ueberlieferungen der Stadt zum
Trotze vier ältere Mitglieder aus dem Rate, ohne einen andern
Grund angeben zu können, als den, daß das so sein Wille
wäre.
Die fönt' Aeltesten, die von jeher als die Träger der Tra-
dition die Wahl zu vollziehen hatten, kehrten sieh nicht
nach den Wünschen des Herrn Vogtes ; sie wählten unentwegt
zwei neue und bestätigten die übrigen acht sämtlich im Amte.
Der Vogt versuchte Gewalt anzuwenden; die Aeltern aber pro-
testierten gegen die Wahlbeeinflussung und wurden schließlich
auf Betreibung des Vogtes wegen Unbotmäßigkeit ihrer Stellung
enthoben. Inzwischen hatten sich die wiedergewählten und
nicht bestätigten Mitglieder an den Conseil souverain
gewandt und dort ihre Wahl durch Brief und Siegel vollständig
bestätigt erhalten, zur Freude der Ratsgenossen, zum Aerger
des Vogtes.
Doch es kam der Michaelistag 1699, an dem der Schult-
heiß dem Rate zu seinem großen Leidwesen mitteilen mußte,
daß ihre früheren Klagen gegen den Vogt und den Arret von
1096 vom hohen Gerichtshof verworfen worden wären und sie
diu nicht unbeträchtlichen Kosten samt und sonders zu tragen
hätten. Abermals stürmische Szenen innerhalb des Rates, der
unter allen Umständen weiter versuchen will, seine altererbten
Rechte zu retten und zu wahren. 1
Dem Vogte Fries konnte hei allen diesen Streitigkeiten
unmöglich entgehen, daß der Schultheiß Seitz die Seele des
städtischen Widerstandes war. Er war es auch wirklich, der
unermüdlich bald nach Colmar, bald nach Straßburg, bald nach
Zabern, bald nach Paris eilte und dort beredten Mundes die
Interessen der Stadt vertrat. Ihn unschädlich zu machen, dar-
aufhin waren daher zunächst seine Bemühungen gerichtet.
Und siehe da, am frühen Morgen des 8. September 1702 er-
schienen in der Seitz'schen Wohnung die Hatschiere von Colmar
und wiesen dem erstaunten Schultheißen einen Haftbefehl des
Intendanten vor, wonach der Schultheiß sofort in das Gefängnis
nach Colmar einzuliefern wäre; und willig folgte er den Schergen
in das Kerkerverließ, in dem er 12 Tage in stiller Ergebung
und Erwartung ausharrte. Endlich öffneten sich die Pforten
wieder ; aber in feierlicher Weise wurde ihm eröffnet, daß er
durch Beschluß des Staatsrates wegen Ungehorsam seines Amtes
als Schultheiß in Rufach entsetzt wäre. 2
1 Stadtarchiv R. - BB. 74.
2 Stadtarchiv R. — BB. 7<>.
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— 20 -
Seitz kehrte nach Hufach zurück, versammelte dort am
27. September seine Ratsverwandten in öffentlicher Sitzung und
erklärte eben so feierlich, daß kein königlicher Rat über ihn
zu verfügen hatte, sondern nur sein bischöflicher Herr, der ihn
ernannt habe; und der ganze Rat gab ihm einstimmig das
Zeugnis daß er sich jederzeit gegen den
Rath, wie auch der ganzen h u r g e r s c h a f t
wohl und recht gehalten, wie auch in der
repartierung der beschwerdten r e d t I i c h
gehalten . . . Doch Paris hatte gesprochen, Straßburg mußte
sprechen. Seitz ward nach wenig Tagen auch vom Bischof
seines Amtes für verlustig erklärt. Und dennoch blieb der un-
erschrockene Kämpe auch fernerhin die Triebfeder des städti-
schen Widerstandes ; konnte doch der Bischof nicht umhin,
ihm noch im selben Jahre die ebenso einflußreiche Stelle
eines Stadtschreibers und Notarius in Rutach einzuräumen.
Humbrecht Marinus Streng, der letzte Rufacher Schultheiß
von altem Schrot und Korn, trat an seine Stelle.
Der frühere Stadtschreiber Franziskus Patrysi de Ferrot,
dem die Stelle eines Landschreibers oder Gyrographen der Ober-
mundat übergeben worden war und dem das Schicksal der arg
bedrängten Stadt, der Heimat seiner Gemahlin und seiner Kinder,
doch zu Herzen ging, trug ihr schließlich abermals, wenn auch
im Geheimen, seine guten Dienste an. Schon 16ü8 war in ihm
der Gedanke aufgekommen, es einmal am königlichen Hof zu
versuchen, ob nicht von dort ein sog. Freiheitsbrief nach Art
derjenigen der früheren deutschen Kaiser für die Stadt zu er-
reichen wäre.» Auf sein Betreiben hin wurde 1703 sein Pariser
Freund Valentin Gotting mit reichlichen städtischen Geldmitteln
versehen und zugleich mit den umständlichen Vorarbeiten zu
dem Unfernehmen beauftragt. Aber die französische Regierung,
die ja von Anfang an den privilegierten elsässischen Städten
keineswegs hold war, konnte für dergleichen Gunsterzeigungen
nicht mehr gewonnen weiden. So schrieb denn auch Gotting
am 23. Januar 1705 aus der damaligen Residenz Marly kurz
und bündig an seinen Freund Ferrot in Rufach, que l'af-
faire des Messieurs de Ruffac a manque
entierement; 1 e roy a d e c I a r e ä M r de
Barbessie ux qu'il ne vouloit plusdonner
de ses s ort es de lettres . . . 2
In Rufach wollte man indes an die Hiobspost nicht glauben.
Ein Pariser Advokat Mauiourt, der ebenfalls über die Angelegen-
1 Vgl. Jahrbach des V. C. S. 4 ff.
2 Stadtarchiv Rufach. AA 2 c.
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27 —
heit befragt wurde, wußte allerdings auch keinen weitern Aus-
weg, als es mit einem wohl dokumentierten Gesuch bei Lud-
wig XIV. selbst zu versuchen. Aber die Sache ging nur sehr
langsam vor sich, da alle die schönen städtischen Freiheitsbriefe
von Wenzeslaus 1384, von Sigismund 1434, von Friedrich III.
1442 u. a. m. zunächst in das Sekretariat des Consei I sou-
verain wandern mußten, um dort von den vereidigten Ueber-
setzern in die seit 1684 vorgeschriebene französische Gerichts-
sprache übertragen zu werden. Während dieser Zeit wurde
sogar, unter Berufung darauf, daß Rufach als eines der ältesten
Bollwerke des Christentums im Elsaß seine Größe und sein An-
sehen St. Dagobert und St. Arbogast verdanke, der Erzbischof
von Paris auf die Gefahr, in der die uralten Vorrechte ständen,
aufmerksam gemacht, und im Namen der ganzen Christenheit
um eine Vermittelung und Fürsprache beim Könige gebeten.
Da erfolgte am 27. September 1710 das endgültige Urteil des
Conseil souverain, durch welches Vogt und Bischof
in fast allen Klagepunkten gegen die Stadt abgewiesen wur-
den.* Der Hohe Gerichtshof hatte sich in seinen früheren Be-
schlüssen durch die die Amtleute betreffenden Erlasse des
französischen Staatsrates von 1675 und 1686 verleiten lassen,
Bestimmungen, die für die unmittelbar französischen Teile ge-
schaffen waren, auch auf die Mundatlande auszudehnen,
Rufach atmete wieder auf und gab seine Bemühungen in Paris,
die ohnedies immer noch keine Aussicht auf Erfolg verhießen
und dabei recht kostspielig waren, vollständig preis.
Drei Jahre später, am 22. März 1713, starb Fließ und am
folgenden Tage sein einziger Sohn Heinrich, der schon einige
Zeit die Nachfolge seines Vaters im Amte übernommen hatte.
Dieser war die guetigkeit selbsten gewesen
und männiglichen hattege hofft in itihme
in Fr i dt und einigkeitzu leben, also vermerkte
Seitz betrübten Herzens ob der seltsamen Ereignisse in den
Ratsbüchern der Stadt. 8
Bereits 1704 hatten bekanntlich die Fürstenberger den
bischöflichen Stuhl in Straßburg den Ronan eingeräumt. Der
neue Bischof erschien wieder zeitweilig in Rufachs Mauern und
gewann sich dort aller Herzen, und friedliche Tage schienen
abermals in Aussicht zu stehen. Selbst die Zwistigkeiten, die
die neue Polizei Verordnung von 1708 heraufbeschwor, und die
1715 zwischen dem neuen Obervogten Scheppelin und der
wiedererrichteten Schützengesellschaft ausgebrochenen argen
• Vgl. die Arrest des C. S. vom 10. Sept. 1704, vom 6. März
1708 und vom 2. Sept. 1710 auf S. 264, 269 und 273 des Urbai iums.
2 Stadtarchiv R. — BB 85.
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_ >JS _
Händel vermochten nur vorübergehend das friedliche Einver-
nehmen zu stören,» Da erschien im Mai 1723 der Patentbrief
Ludwig XV., der dem Bischöfe nicht nur alle alten so lange
und so heiß umstrittenen Rechte aufs neue bestätigte, sondern
eine weitere Reihe von Bestimmungen enthielt, die für Rufachs
Bürger unannehmbar waren. 2
Ein jährlicher Beitrag zu 8000 U Gerichtskosten wurde ge-
fordert, das Recht über Zulassung der Juden und die Besetzung
sämtlicher städtischer Beamtenstellen aufs neue beansprucht,
die Stadtwälder der bischöflichen Maitrise unterstellt u. a. m.
Ja, hätte die Stadt den wackeren Seitz noch gehabt ; aber er
war am 15. Dezember 1721 vom irdischen Kampfplatze ins fried-
liche Jenseits abberufen worden. So verfloß ein wertvolles Jahr
ehe alles zum neuen Kampfe bereit war; und diese Zeit brachte
den wohl im Interesse ihrer amtlichen Stellung erfolgten Abfall
von Schultheiß und Sladtschreiber. Zwar rief am 18. Juni 172 i
die große Glocke vom Münsterturme die gesamte Bürgerschaft
zum Rathausplatze; aber nur drei der ältesten Ratsmitglieder
waren es, die dem Volke im Auftrage ihrer Genossen die dro-
hende Gefahr klarlegten und zum heiligen Kampfe anfeuerten.»
Der Prozeß wurde beschlossen, die Genehmigung des Intendan-
ten eingeholl und die Advokaten in Colmar mit den nötigen
Belehrungen versehen. Und nun ein Beispiel der Einfalt unserer
alten Sladlbürger in Rechtsangelegenheiten. Anfangs September
1724 erfolgten bekanntlich die Hochzeilsfeierlichkeiten Lud-
wigs XV. mit des Polenkönigs Tochter, an denen sich jn der
Bischof von Straßburg in hervorragender Weise beteiligte,
ü n d t e r währender d i s e r Hochzeitscere-
monien und Bemühungen unsers gnädigen
Herrn, sagt ein Schriftstück jener Zeit, h a t d i e S t a d t
Rufach nicht guth befundten, disen proceß
wegen vo igen anter Articul (1er fürstlichen
Patente zu betreiben, damit dieselbe nicht
für oportun möchte gehalten werden, bis
solches alles mit der Hochzeit möchte sein
Richtigkeit haben; aberdises gäbe denen
fürstlichen procuratoren und Advokaten
Vrsach, sich unsers Verweilen zu bedienen
und w i d e r u n s e i n S u r p r i x zu erhalten.*...
Es erfolgte nämlich wirklich in dieser Zwischenzeit eine Ver-
1 Bezirksarchiv in Colmar. Mandat 2. 1, F und 10, 2, H.
2 Vgl Ordonance d'Alsace II. 704 ff.
3 Urbarium, S. 107 ff.
« Urbarium, S. 113.
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- 29 -
urteilung zur vorläufigen Entrichtung' der bestrittenen Gerichts-
gelder, Die übrigen streitigen Punkte sollten im Juni 1726
durch einen Vergleich geregelt werden; aber der Rat forderte
ungestüm seine alten Rechte ungeschmälert. Die beiden städti-
schen Archivbewahrer J. P. Gschickt und J. S. Müller erhielten
den Auftrag, die alten Stadtbriefe genau zu durchforschen, und
alle Stadtgerechtigkeiten wohl mit Beweismitteln versehen, in
einem neuen Stadlbuche niederzulegen. • So meisterhaft das
ungeheure Werk, das uns heute noch erhalten ist, auch durch-
geführt wurde, erfüllte es seinen Zweck nicht mehr; für die
französische Regierung war die Zeit gekommen, endgültig mit
allen diesen städtischen Vorrechten aufzuräumen.
Als 1737 der Versuch, der Stadt die Wälder zu Gunsten
des Bischofs zu entziehen, gescheitert war, 2 verhängte die Mai-
trise 1738 über den ungefügen Rat, der sich ihren Anordnungen
nicht fügen wollte, eine Geldstrafe von 3000 8 und lüCO 8
Hospifal.^pende und 1754 eine solche von 4000 8 und eine Spende
von 400 8. Von 1755 ab konnte nach langen, langen Streitig-
keiten auch nicht der geringste städtische Beamte mehr ohne des
Obervogten Beisein und des Intendanten Genehmigung ernannt
werden usw. usw. Stück um Stück fiel jetzt Recht um Recht
dahin. Und was war im Laufe der Jahre aus dem Magistrat,
dem festen Rückgrate der Bürgerschaft geworden? Nachdem
schon 1717 und 1719 durch Slaatsratsbeschlüsse die Zahl der
Baustellen von 15 auf 12 bezw. 11 herniedergedrückt worden
war, erschien 1756 eine neue königliche Ordre, wonach der
Stadt Rufach nur noch 7 zuerkannt wurden, und von 1761 ab
durfte der Magistrat mit Einschluß des Schultheißen nur noch
aus 6 Personen bestehen, darunter drei ältere lebenslänglich
ernannte. 3 Ja, als 1765 der Schultheiß Bach sein Amt nieder-
legte, um als Advokat des Conseil souverain nach Colmar über-
«usiedeln, da zog der Obervogt Junker mit der Regierung Ge-
nehmigung auch dieses Amt an sich, so daß die Stadt von da
an keinen eigentlichen Schultheißen mehr besaß. Daß alle diese
Vorgänge \iel böses Blut machten und von vielen Protesten und
Prozessen begleitet waren, versteht sich von selbst.
Durch Beschluß der Nationalversammlung von 28. Dezem-
ber 1790 wurde die bisherige Verwaltungsform der Gemeinden
endlich vollständig aufgehoben, und die seit 1788' bestehende
1 Stadt-Buch und Urbariura von Ruffach, ein Folioband in Per-
gamentdecke von 553 Seiten. — Geben in Ruffach den 2 8.
August 1 7 27.
- Bezirksarchiv Colmar, Mandat 2. 4. L.
3 Stadtarchiv R. — BB. 124 und Bezirksarchiv Colmar. Mun-
dat 10. 4. F.
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- 30 —
M ii n i z i p a I v e r s a ni m I u n mil ihrem Syndikus
in einen Munizipal rat mit einem M a i r e an der Spitze
umgeschaffen. Der Magistrat von Hufach aher tagte allen An-
feindungen zum Trotz als gerichtliches Institut unbeirrt weiter,
bis er durch die am 14. Februar 1791 erfolgte Wahl des Frie-
densrichters Voche seines Amtes vollständig entsetzt wurde, und
auch dann noch wich er erst der Gewalt.
Hiermit hatte die 1100 jährige ImmunitasDago-
b e r t i ihr Ende erreicht, aber auch die Macht und das An-
sehen Hufachs sind damit zugrabe gegangen. Die Triebfeder
des machtigen Stadlwesens im Mittelalter war eben die auf be-
sondere Vorrechte gestützte Verfassung, die jenen so ausgepräg-
ten und so oft bewunderten Bürgersinn schuf. Das wußte die
französische Regierung wohl ; deshalb hat sie bei dem bereits
durch Prozesse zerrütteten Stadtwesen schließlich dort ihre
Hebel angesetzt und durch das Brechen der althergebrachten
Formen auch den germanischen ßürgersinn niedergezwungen
und unterdrückt. Hufach erholte sich von diesem Schlage nicht
mehr. Die in langem vergeblichen Streite ermatteten Bürger
vermochten sich unter den neuen Verhältnissen nicht zurecht
zu linden. Trauernd um die längstentschwundenen Glanztage
ihrer Väter, verträumten sie die wertvolle Gegenwart und ver-
loren schließlich jeglichen Mut zu neuem frohen Wirken ; und
so sank die alte stolze Hauptstadt der bischöflichen Lande im
obern Elsaß nach und nach zu einem stillen, ländlichen Ge-
meinwesen hernieder, dem schwerlich noch eine bessere Zu-
kunft, ein erneutes Aufblühen, beschieden sein wird. Tempora
mutantur.
Anhang.
Lettres Patentes portant conflrmation des Droits
de l'Eveche de Strasbourg. — Septembre 1682.
Louis Par La Grace De Dien Hoy De France Et De Navane,
ä tous presens et avenir, Salut, incontinent apres que la Ville
de Strasbourg s'est soümise ä nötre obeissance, feu nötre tres-
cher et bien ame Cousin l'Eveque de Strasbourg Nous auroil
presentö une Requete, par laquelle ii Nous auroit conjoincle-
ment avec son Chapitre, tres -humblement supplie de le faire
joüir des memes Droits et Hevenus dont joüissoient ses Prede-
cesseurs Eveques de Strasbourg, dans les Terres dependantes
dudit Evöche, situees en nötre obeissance en de ca du Hhin :
Et d'autant que pendant le terns necessaire pour l'examen de la-
dite Requete, il a passe de cetle vie en une plus heuteuse,
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— 31 -
nötre tres-cher et bien ame Cousin le Prince Guillaume de
Fürstemberg son Frere, ä present Eveque dudit Strasbourg,
depuis peu eleu avec nötre agrement ä ladite dignite d'Eveque
par ledit Cbapitre, Nous ä conjointement avec iceluy tres-hum-
blement supplie de le vouloir faire joüir et ses Successeurs au-
dit Eveche, des susdits Droits. Et etant bien aise de le traiter
favorablement en consi(de)ralioi) du zele et de l'aflection qu'il
ä toujours fait paroitre pour nötre service et de l'attaehement
qu'il a eu et temoigne avoir aux interets de nötre Gouronne,
et luv donner des marques de nötre bienveillance et de l'estime
que nous faisons de sa personne. Scavoir Faisons que pour ces
causes, et de nötre grace speciale, pleine puissance et authorite
Royale, Nous avons par ces Presen'es signees de nötre main,
dit, declare et ordonne, disons, declarons et ordonnons, vou-
lons et Nous plait, que nötre dit Cousin l'Evöque de Strasbourg,
et ceux qui luy succederont audit Eveche, joüissent dans les
Terres et Lieux dependans d'iceluy Eveche situes dans nötre
obeissance, les Droits cy-apres specifies.
I. Scavoir, que le Conseil de Saverne exerce sa Jurisdic-
tion, ainsi qu'il a fait par le passe, et selon l'usage, coütüme
et Constitution du Pays, connoisse, lors qu'il y aura nombre de
sept Juges, de tous les difierents qui arriveront entre les Habi-
tans du Bailliages qui dependent dudit Evöche, et les terminent
en dernier ressort, quand il ne sera queslion que de la somine
de cinq cens Livres, et que ce qu'il ordonnera, soit execule par
Provision jusqu'ä la somme de mil Livres, saut' Pappel en nötre
Conseil Souverain d'Alsace seant ä Brisac, pour le fond et pour
la provision des Proces ou il s'agira de plus grande somme.
II. Que ledit Sieur Eveque et ses Successeurs audit Evöch6,
seront maintenus dans la possession et faculte en laquelle ont ele
leurs Predecesseurs Evöques de Strasbourg, de pouvoir achepter
d.u sei par tout ou bon leur semblera, de le faire vendre et
debiler aux Habitans des lieux dependants dudit Eveche et
dudit Cbapitre au meme prix qu'il est debite par nos Fermiers
dans la haute Alsace.
III. Que pour les dedommager des Droits «le peage sup-
primes par Arröt de nötre Conseil du 3. Octobre 1080 il leur
sera loisible de prendre et percevoir le trentieme dcnier de toules
les venles des immeubles et le cinqantieme de toutes celles des
meubles, qui se teront dans les Terres dudit Eveche et dudit
Cbapitre de Strasbourg.
IV. Qu'en outre pour leur tenir lieu de corvee illimitees,
que les Ev«»ques de Strasbourg s'etoient mis en possession d'im-
poser sur leurs Stijels, Nous leur avons accorde la faculte de
joüir de douze corvees par an, des Habitans aUi Pays dependant
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— 3-2 —
dudit Eveche, chacune corvee racbetable de dix Sols, de sept
corvees de cheval de somme, ou de chariols etans dans les Vil-
lages; Chacune corvee de cheval racbetable de quinze Sols, et
celle de chariot altele de quatre chevaux racbetable de soixante
Sols, et s'il ya moins de chevaux a proportion. Moyennant les-
quels Droits de corvees ledit Sieur Eveque. ny ses Successeurs
audit Eveche, et leurs Ofliciers, ne pourront sous quelque pre-
texte que ce soit, exiger aucunes corvees desdits Habitans, pas
meme en les payant les faire marcher conlre leur gre.
V. Comme aussi qu'il ne pourra etre fait aucune imposition
par lesdits Sieurs Eveques, ou leurs Ofliciers sous pretexte de
remboursement des Dettes de KeDgagement du Bailliage d'Ober-
kirch, ny celle dite des mois Romains, pour le payement des
gages des Ofliciers de la Chambre de Spire, non plus que pour
le payement des Garnisons, ny aussi de continuer a lever Celles
qui se faisoient sur la viande et sur le pain, foin et avoine, et
(|ii'a la reserve de ce qui est regle cy-dessus a l'egard du Droit
de corvee, ils ne puissent faire d'autres levees dans les Terres
dudit Eveche situees en deca du Rhin, que de ceux qui se le-
voient en l'annee 1600.
VI. Voulons et entendons que les mineraux d'or et d'argent
qui se trouveront tatit dans le Rhin que dans les montagnes de
lelendue dudit Eveche, appartiennent auxdils Sieurs Eveques des-
quels nous leur avons fait et laisons don par cesdites Presentes.
VII. Entendons aussi que ledit Sieur Eveque et ses Succes-
seurs audit Eveche jouissent »In Droit de congedier les Juifs do-
micilies et etablis dans les Terres dudit Eveche et de ceux qui
pourroient venir s'y etablir cy-apres ; Et de recevoir ce qui a
accoütume d'elre pay6 pour ce eilet annuellement par lesdits
Juifs, qui est, scavoir pour cbaque famille douze Escus par an,
et pareille somme de douze Escus pour la reception de cbaque
Juif dans lesdites Terres, moyennant quoy ils seront exempts
de toutes Charges ordinaires.
VIII. Accordons pareillement auxdits Sieurs Eveques lesamen-
des et contiscations, lesquelles leurs Predecesseurs Eveques ont joüi.
IX. Nous leur accordons aussi la faculle de reünir ä I' Eve-
che de Strasbourg les Fiel's qui ont ele alienes par leursdits
Predecesseurs Eveques, ä mesure qu'ils viendront ä vacquer;
Et ä l'egard de ceux qui ne sont pas de nature a y devoir £tre
reunis, voulons qu'ils en disposent en faveur de telles personnes
qu'ils aviseront bon etre, pourvü qu'ils soient nes nos Sujets,
et ne soient pas engages dans aucun senke etranger.
X. Voulons en outre, que lesdits Sieurs Eveques joüissenl et
disposent du Droit de cbasse, peche et forets, de meme qu'en
ont joüi ou dispose les Eveques dudit Strasbourg jusqu'ä present.
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Z
— 33 —
XI. Les maintenons pareillement dans la possession de juger
des differents qui sont survenus, ou pourroient survenir entre
les Vassaux dudit Eveche pour raison de )a joüissance et suc-
cession des Fiefs seulement dependans dudit Eveche, comme
aussi des differents de Vassaux avec les Sujets qui dependent
desdits Fiefs, ainsi qu'il s'est pratique cydevant, sauf l'appel
en nötre Conseil Souverain d'Alsace.
XII. Leur accordons aussi la facultä de faire tirer le Sal-
petre dans les Terres dudit Eveche, jusqu'ä ce qu'aulrement
nous ayons ordonne, et ä la charge toutes fois, que le Fermier
desdits Salpetres ne le pourra vendre qu'a celuy qui aura ordre
de Nous pour en fournir les Magasins de nos Places d'Alsace.
XIII. Quant aux foires et marches deja etablis dans les
Terres dudit Eveche, nous avons trouve bon de les maintenir,
sans neantmoins qu'il en puisse etre etabli d'autres par ledit
Sieur Eveque, ny ses Successeurs audit Eveche, que de nötre
consentement et en consequence de nos Lettres Patentes.
XIV. Voulons et entendons, que lesdits Sieur Eveques et
leurs Sujets joüissent du debit du fer dans lesdites Terres, tout
ainsi qu'ils ont fait par le passe.
XV. Et Gnalement, Nous avons maintenu et maintenons
ledit Sieur Eveque et ceux qui luy succederont audit Eveche,
dans la possession ou ont ete jusqu'ä present les Eveques de
. Strasbourg leurs Predecesseurs, de pouvoir faire contraindre par
execution de Jugemens du Conseil de Saverne, les Habitans
dudit Eveche au payement de toutes les rentes, revenus et au-
tres redevances qu'ils doivent aux Eveques de Strasbourg.
Si Donnons en Mandement ä nos Arnes et Feaux les Gens
tenans nötre Conseil Souverain d'Alsace, seant ä Brisac, que
les presentes ils ayent ä faire enregistrer, et du contenu en
icfelles jouir et user nötredif Cousin le Sieur Eveque de Stras-
bourg et ses Successeurs audit Eveche, pleinement et paisible-
ment, cessant et faissant cesser tous troubles et empöchemens ä
ce contraires; Car Tel Est Nostre Plaisir, et afin que ce soit
chose ferme et stable de toujours, Nous avons fait mettre nötre
scel ä cesdites presentes sauf en autres choses nötre Droit et
l'autruy en toutes.
Donne ä Versailles au mois de Septembre l'An de grace
1682 et de nötre Regne le 40. Signe Louis et plus bas par le
Roy Le Tellier, et ä cöte Visa Le Tellier.
Registre es Registres du Conseil Souverain d'Alsace le 28
November 1682.
Ordonnances d'Alsace, I 154 fif.
3
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IV.
Das Susannenspiel
des Samuel Israel von Straßburg
von 1603.
Herausgegeben von
Dr. Alfred Schaar.
Susanna
Von
Samuel Israel.
Aufgeführt am 7. August 1603 zu Münster im Elsaß.
Gedruckt zu Basel bei Johann Schröter 1607.
Samuel Israels von Straßburg Komödie von cSusanna»
Exemplar der Kgl. Bibliothek in Berün. Signiert Y q. 2146. Basler
Druck von 1 6 0 7. 8» 48 Blätter.
Zusätze des Herausgebers sind in eckige Klammern einge-
schlossen oder klein gedruckt || bedeutet Zeilenschluß.
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Biatt a Ein Schone / 1.
gantz Newe Comoedia von /
der Fromen Keuschen vnd Gotts- /
förchtigen SVSANNA / inn
Teütsche Reymen Gestelt /
Durch /
Samuel Israel von Straßburg \
Jetziger zeit Schul: vnd Kirchendiener /
zu Münster in S. Gregory /
Thal. /
Gehalten daselbst zu Münster den
7. Augusti Anno 1603.
[Titelholzschnitt. ]
Burghof, einen Brunnen, einen Baum und eine Zisterne enthal-
tend. Am Rande der letzteren sitzt die zum Baden sich bereitende
Susanna, während ihr die entgegeneilende Magd noch Tücher und
ein Salbenkästchen zuträgt. Oben aus einem Fenster des Schlosses
schaut ein Harfe spielender, mit der Krone geschmückter Mann
(König David?) heraus in den Hof.
Getruckt zu Basel /
Bey Johann Schröter / 1607.
Blatt 1 (A) Rückseite leer. Enthält nur den Biblio-
thekstempel («Ex Bibl. Regia Berolin>).
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Zier-Kopfleiste.
2. (Aij.)
Den Ehjnvesten / Wolge- Ii
lehrten / Fursichtigen Er&araen Ii
vnnd Weysen / II
Herren Zach a- 1|
ri£ Nitschelmen Vogt: Her- Ii
ren Friderich Zeiningern Barger- 1|
meistern : Herren Petro Schneyder / 1|
Statt schreybern / Herren Matheo Mo- ||
sern / vnnd einem gantzen Ersamen Ii
Raht / der Statt Münster in ||
S. Gregorij thal. Ii
Meinen Insonders großgünstigen gebie- U
tenden Herren vnd respectiue \\
gefattern / etc. II
Gnad vnd jsegen von Gott || dem Vatter vnsers
Herren H vnd Heylands Jesu Christi / |; sampt wfinschung
aller wol- II fahrt an Leib vnd Seel zuuoran. Ehrn- 1| vest /
Wolgelehrt / auch Fürsichtig / Er- II sam / Weyß / Groß-
ä günstige liebe Herren / || sehr recht vnd wol ist die
Comoedia von || den lieben alten Speculum vitae ein
spie- II gel des lebens genennt worden / dan so wir i| ein
Comoediam oder Tragoediam fftr || äugen spielen sehen /
werden wir nit allein die form vnd weyß / sondern
10 auch darneben || den nutzen / so darauß entspringt zum
höch- 1| sten rühmen vnd vns gefallen lassen / dar- 1| durch
alle stend in der Welt / sampt jhrem ]| vorhaben / doch
in einer mehr als in der an- 1| dem vfFgeffthrt vnd gewie-
sen werden / wie || dan auch in dieser gegenwertigen
Comoe- II dia, etliche wie die Namen haben mögen /|| jhr
hellscheinend Speculum haben / wel- || ches nicht vnbillich
ein speculum pudi- \\ citiae ein spiegel der zueht vnnd keusch-
heit II mag genennt werden. Wiewol aber die- II se materia
von Susanna vnd Daniel wie || zuuermuthen / vnd auch
20 etliche darfftr hal- |l ten / kein geschieht / sonder viel
mehr wie Ju- il dith vn Tobias ein schön geistlich gedieht
sein soll j sintmal die Namen solches mit Ii sich bringen /
als / Susanna heist ein Ko- 1| sen / das ist / ein fromm
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— 38 -
Land / oder armer || haaff vnder den Dornern : Deß- 3. l.Aiij.)
25 gleichen* || Daniel heist ein Richter vnd so fort an : ist '!
anch gar schftn za deaten aaff Poiicey / Oe- Ii eonrnney
oder fromen haaifen der gleu- II bigen / also daß sie wol
ein $peculum vitc II kan genennt werden. II
Dem sey nun allem wie jm woll / sie sey II gleich
30 ein gedieht oder geschieht / so ist sie II doch so seh&n
vnd lieblich / das man ein son- }| dern lost vnd frewd
darob bekomen solte / || wo sie auff ein Theatrum ge-
bracht wirdt. I! Ich will der großen nntzbarkeit so man II
auß solchen vnnd dergleichen actionibus \\ empfecht / ge-
^schweygen / vnd es andern / so II solches schon besser
an tag geben vorbehal- 1! ten haben / allein ist es zum
höchsten loblich || vnd rahmlich / wo solche actione*
vnnd || frewdenspiel gehalten werden. II
Die weil dann Großgftnstig Herren / II diese gegenwer-
40 tige Comoedia kortz ver- [| schienener zeit v[o]n einer Er-
samen Barger- II schafft allhie vnd andern ehrlichen Leuten II
ist agiert vnnd gespielt worden / anch mit II frolichem
zuschawen vnnd bescheidenheit || abgangen: So bin ich
zwar / propter |j zoilos et Momos nit willens gewesen /
45 die- 1| selbige zu publicieren vnd in Track zuaer- Ii fertigen:
Jedoch solches hindan gesetzt / II hab ich Ehrliebenden
Leuten / so es vielfal- II tig an mich begert / willfahren /
vnd E. E. || W. gantz vnderth&nig dedicieren vnnd II zu-
schreyben wollen / gantz dienstlich bit- 1| tend / sie woll[n]
«» dieselbige loco muneris von II mir Gftnstig annemmen /
vnd forthin wie || bißher / raeine Großg&nstige patroni
vnd n befftrderer sein vnd bleiben / solches in raög- II
licher willfahrung zu beschulden / will ich II vnuerdrosseo
vnnd gantz dienstwillig mich || finden lassen. Eiemit E.
55 E. W. zum heil II vnd wolfahrt Statt vnnd Thals / Gott II
dem Allmachtigen zu langwiriger gesund- II heit befehlend /
Geben den 20. May Anno II 1600. Jahrs. II
E. E. W. ||
00 Vnderth&niger vnd dienst- II williger II
Sam u el Israel v o n II
Straßburg. I|
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[Zier-Kopfleiste. |
Einen Bauerntanz darstellend. Links der Spielmann, ein
blasender Pfeiffer, rechts daneben drei tanzende und springende
Bauernpaare.
4. (Aiiij.
Ad lectorem.
Es möchte sich ohn allen zweiffei der Gün- H stige Leser
verwundern vnnd befrembden / II anß was vrsach dieser
Materi mehr zugesetzt II wirdt / dann in H. Schrifft / daruon
gelesen || wirdt /so hab ichs einig vnd allein (sonderlich II
den Engel, Bauren / vnd anders mehr betref- II fend) iüustru-
^tionis causa herbey gesetzt / dieweil II es nimmer lähr
abgehen kan / da nit in solchen |( Sachen intermedia ein-
geführt werden / Vt misceantur || tristia laetis. Darmit
dann nun solche || action als bey einfeltigen / jedoch Ehr-
lichen || Leuten ein desto bessern fortgang bekommen il
10 mochte (wie dann auch GOTT lob geschehen /) || So ist
mir sonderlich hierin behülfflich gewe- || sen / der Ehrn-
hafft vnd Fiirgeacht Johannes II Ochs von Col-
mar/ qui facetijs suis Gnatonem II Terentianum supe rosse
creditur. Wirdt also / || wie ich gentzlich verhoff / der
15 Gunstige Leser || mir 'solches nit vbel deuten / sonder
als ein ge- II ringe arbeit gefallen lassen. Leb wol. II
A uthor.
•3^
Volgen die Personen. || 4 b -
des Spiels. |!
Prologus Johannes Ochs.
Raphael Peter Hemraerlin.
Susanna Ludwig Meyting.
Syrus ein bott / Matheus Fels.
Abra magt / Andreas Ries
Achab I g a ^ en J Hans Münsch.
Midian | ) Jacob Hemraerlin.
Philergus knecht / Johannes Xitschelm.
Joachimns Johannes Geyger.
Beniamin I , I Salomon Schneyder.
^ \ Joachimi Kinder . . . . { n . . 0 u j
Rebecca | | Fndench Schandeney.
Helkvas 1 I Andreas Ranscher.
. J } Susanne Eltern [ „ wi • u » v -*
Anna | Hans Vlnch Erhart.
Justitia Johannes Arnos Schneyder.
Veritas Jörg Schandeney.
Corydon ein baur Johannes Ochs.
Cleophas Richter Anthonius Meiting.
Eubulus i I Lux Keyser.
Sophron Rahtg herren Adam Bartt.
Simeon | i Abraham Gerhart.
Osyas [ Geörg Leinhals.
Scriba Andreas Wetzel.
Daniel Hans Bierson.
Dimius Nachrichter Wolff Karg.
Rufus I . I Matheus Fels.
Lurco \ 8eine Knecht i Hans Stimler.
Soldaten.
Hans Jacob Saa»
Elias Zeininger.
Diebolt Wetzel.
Georg Brotbecker.
Matheus Moser der Jünger.
Argumentatores :
Wilhelm von Blickspurg.
Bernhart Murbach.
Nicolaus Ries.
Mathias Schandeney.
Thoman Jager.
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[Zier-Kopfleiste. | (A v.)
PROLOGVS.
>
Edel / Ehrnvest / vnd Achtbar Herrn
Die zu vns komen nach vnd ferrn /
Aach Ehra: vnd Tugentreiche Frawen
Jungfrawen vnd all die jr schawen /
5 Wcs standts ein jeder in gebür
Also sey er" genannt von mir.
Wie löblich / rühmlich es allzeit
Gewesen ist j vnd auch noch heut /
Da mam die Jugendt nit allein
10 Sonder die Alten in gemein /
Beweget hatt zu vbung viel
Kurtzweil vnd anderem frewdenspiel /
Ean man auß vielen Büchern fassen
Die vns die alten hinder lassen.
1 5 Derhalben wir auch wol bedacht
Auff diss Theatrum hergebracht /
Ein Biblische Historiam
Vnd liebliche Maieriam j
Den Inhalt derselben will ich
20 Erzehlen hie fein ordenlich.
Zu Babylon ein Manne saß
Des Name Joachimus was /
Dem GOTT bescheret Tugentreich
Ein Weib \ From | Gottsförchtig zugleich
25 Die hieß Susanna / war sehr Schön \
In Gottes wort thet wol bestehn /
Dann sie hat fromme Eltern / die
In Gottes wort vnderwiesen sie /
Die hat ein Garten an dem Hauß
30 Gieng täglich sich zu badn hinauß |
Zwen Richter waren in der Statt
Von denen Gott gesaget hat /
Ihr Richter alle boßheit übt
Was vnrecht ist euch wol geliebt.
35 Die warn in lieb entzünd so sehr
Das sie sich schampten nimmermehr /
Einsmals bestimpten sie ein zeit
Auff sie zu lauren alle beyd /
Versteckten sich im selben Gart
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40 Ein jeder mit verlangen wart /
Zu dem Sosanna bald hin kam
Ein magdt mit jhr hinanß auch uam /
Die schickt sie bald wider von jhr
Hieß zuschließen die Garten thür /
45 Da nun die magdt hinweg war baldt
Sprangen sie herfür mit gewalt |
Wolten sie zwingen das sie nun
Ihr beyder willen wolte thun f
Aber Susanna schlug« jhn ab
50 Gar bscheydenliche antwort gab |
Darauff die alten sagten jhr
Sie wolten von jhr geben für /
Sie hetten gfunden in dem Gart
Ein jungen Gselln so bey jhr wardt /
55 Weichs auch hernach geschehen war
Daher Susanna kam in gfahr /
Dann sie darüber alle beyd
Schwuren ein öffentlichen Eyd /
Die sach die sey also beschaffen
6° Man soll S u s a n n a ernstlich straffen /
Wie jhr dan auch das vrtheil falt
Das man sie darumb steinigen solt /
Was gschah? da man sie führt zum todt
Ein Jungen Knaben erwecket GOTT /
t>5 Hieß Daniel / der sie erlost
Kehrt mit jhr vmb gar wol getrost /
Verhört die alten auch darneben
Die jhra kein antwort kondten geben /
Vnd kam auch öffentlich an tag
"0 Das da falsch war jhr beyder klag /
Darauff man sie ohn einig gnad
Steinigt / vmb solche falsche that /
Da ward S u s a n n a gelassen frey
Mit grosser frewd getrost darbey /
75 Was man nun darauß lehrnen muß
Wirdt sagen der Epilogus,
Darumb seyt zu ruh vnd schweyget still
Horcht wie die sach anfahen will.
5*5
Argumentum
Primi Actus.
Im ersten Act werdet jhr sehen
80 Den Engel Raphael her gehn /
Welcher anzeigt warzu jhn Gott
Von Himmel auß gesendet hat /
Neralich das er soll haben acht
Darmit nit werd zu fall gebracht /
85 Sasanna das gar keusche hertz
Ob sie schon muß außstehen schmertz /
Vmb dieser alten falsche klag
Kompt entlich die vnschuld an tag /
Man wird auch sehen im anfang
90 Wie Su sanna den briefif empfang /
Welchen jhr Herr hat abgesandt
Meld daß er komme bald zu land /
Daruber sie auß fröligkeit
Erw&let ein bequeme zeit /
95 Zu baden drauß in jhrem Garten
Darinn die alten jhrer warten /
Gedachten sie auß bösem sehr
Zu bringen vmb keuschheit vnd ehr /
Begerten an sie auch darzu
100 Das sie jhr beyder willen thu /
Aber auß rechtem keuschen muth /
Sie jhnen das abschlagen thut /
Vnd streitet da gar ritterlich
Rufft auch jhr Knecht vnd ÄlSgd zu sich /
106 Darauff die alten sich bedachten
Einen gar falschen anschlag machten
Welches jhr alle solt hören fein
Wann man rüwig vnd still wird sein.
Actus I. Seena I.
Rap h a e 1.
Hieher komm ich von Gott gesandt
HO Dem höchsten dem all ding bekandt
Von welchem ich verordnet bin
Zn schützen keuschen muht vnd sinn /
Weichs ich noch heut erweiseu will
Durch Gottes krafft an disem ziel /
115 Wie ich vor diesem auch veTricht
Gottsförchtig Ehlichen verptticht
Dem Isaac / Rebecca m frumm
Durch den Knecht Eleasarum /
Des gleichen dem Tobi e schon
120 Die Saram ehelich zugethon t
Wie vns dergleich exempel klar
Die Heylig schrifft macht offenbar ,
Nun aber bin ich kommen her
Der sachen zuuerrichten mehr /
125 Diewcil zwen alte schälek vorhanden
Su s an n a m zbringen hie zu schänden /
Das aber jhr ehr vnd keuschkeit
Bleib vnuerletzt bin ich bereit /
Zu schützen sie vnd zu bewahren
130 Darumb will ich mein hilff nit sparen /
Welch sich wunderlich findet fein
Durch Daniel den Knaben klein
Nun will ich nemmen ffir die Hand
Darzu mich GOTT hat hergesandt.
Actus I. Seena II.
Syrus | Susanna | Abra.
S y r u s.
135 GOTT grüß euch Fraw gantz tugendreich /
Ist gut das ich euch antriff gleich
Hie bring ich bottschafft kompt von fern
Von J o a c h i m o ewerm Herrn /
Der laßt euch alle freundtlich großen
140 Vnd sein zimlichen wolstand wissen.
Susanna.
Wie wol frewt mich die bottschafft dein
Die du mir jetzt bracht S y r e mein /
Von Joachim o meinem Herrn
So dissmal ist. von vns noch fern /
i»3 Aber das er zu dieser stund . it ,
So wol auff ist / frisch .vnd gesund /
Vnd das er kommen werd zu hauß
Daß frewet mich wol vberauß.
Syras.
Er hatt sich schon gerüst zuhandt
kv) Da er mich von jhni weg gesandt /
Vnd frewt sich auch von hertzen w ol
Das er heim zu euch kommen soll.
Abra.
Ich hör wol vnser Herr werd kommen ?
S u s a n na.
Mit frewden hab ich es vernommen /
155 Darumb so wöllen wir gehn hinein ,
Vnd alle ding verrichten fein / .
Auch will ich nachmittag hinauß
In Garten mein / zu baden drauß
Vnd dann hernach deß Herren mein
160 Daheimen fein gewertig sein /
Darmit wann er zum hauß eingang
Mit höchster frewd ich jhn empfang /
Dir aber S y r e will ich lohnen
F6rs botten Brot nim hin drey Kronen.
S y r u s.
»ö5 Gar großen danck darf Ar ich sag
Will dran gedencken all mein tag /
Gott wöll euch geben seinen segen
Behüten jetzt vnd alle[r] wegen.
Actus I. Seena III.
Achab / Midian.
A c h a b.
Ach wie wird doch je lenger je mehr
i"° Mein hertz im leib gekrencket 9ehr / 9
Wegen der großen liebes brunst
Die doch vieleicht möcht sein vmbsonst /
Dann ich S u s a n n a tut wunderlich
Von hertzen lieb gantz inniglich
175 Vnd weiß nit wie ichs möge schicken /
Mein hertz vnd gmiit recht zu erquicken /
Dann sie sonst fromm / keusch vnd gerecht
Muß sorgen das sie mirs abschlecht.
- 46 -
Vnd wann mir dises nun geschieht
1» Weiß ich weiter zu schaffen nicht /
Darumb darffs das ich mich wol bedenck
Zu suchen mittel vnd gelenck.
Midi an.
Mich wundert sehr was doch Ach ab
So stetigs hie zu schaffen hab
185 Wann ich her komm / so sich ich jhn
Nit weiß ich was er hatt im sinn /
Vieleicht dasjenig jhm auch ist
Was mir sehr anligt vnd gebrist /
Will zu jhm / vnd sehn ob ich kau
190 Erfahren was jhm liget an.
Ein guten tag mein lieber man.
A c h a b.
Habt danck mein lieber Midi an
Wo her so früh / vnd so allein
Thut gar niemand hie bey euch sein?
M i d i a n.
193 Niemand ist bey mir dann ich auch
Allein zu gehn hab im brauch.
A c hab.
Wie kompts daß jhr so trawrig secht
Mich dunckt es sey euch nit fast recht?
Midian.
Eben diß wolte ich klagen
200 Von euch dasselbig auch erfragen.
A c h a b.
Nit ohn vrsach mein Midian
Dann mir sachen gelegen an /
Die nit wol hie zu melden sind
Nit weiß ich wie ich hülffe find.
206 f Dann ich die sachen nimmermeh
Eröffnen darff das that mir weh /
Kans im geringsten nit vergessen
Jtfaß also trawrig in mioh fressen.
Midian,
Es ist mir solches hertzlich leyd
2io Vnd wann ich wüste allbereit /
Das ich etwas für mein person
Könt helffen euch wolts nit vmbgohn /
Wiewol mir selber viel ligt an
Weichs ich auch schier nit sagen kan /
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215 Doch glaub ich euch gar wol darbey
Das euch was angelegen sey.
A c h a b.
Ach Mi dian ich bitt euch doch
Wann jhr diese meine Sachen hoch /
Wolt heimlich bey euch lassen bleiben
220 Vnd darauß keinen schertz nit treiben
Auch niemand kein wort daruon sagen
Wolt ich euch meinen zustand klagen.
M i d i a n.
Frölich solt jhr mir trawen diß
Dan ichs verschweigen will gewiß.
A c h a b.
225 Ich schäm mich solchs zu sagen schier /
Mi dian.
Klaglich solt jhrs ansagen mir.
Acha b.
Ich lieb von gantzem hertzen mein
Ein Weibsbild holdselig vnd rein
Das ich schier nit kan leben mehr
230 Bin auch darumb spatziert hieher /
Vnd hab gedacht sie werd etwan
Begegnen mir / vnd außer gahn /
Das ich doch nach meins hertzen willen
Den augenlust nur möchte fallen /
235 Mein M idian / ach zürnet nit /
Das ich vor euch raein hertz außschüt.
Midian.
Warumb wolt ich zürnen darab.
Ein fründtlich bitt ich an euch hab
Das jhr mir wolt versagen nicht
240 Wer die sey / die euch so anficht.
A c h a b.
Sie ist euch sonsten wol bekant
Geziert mit tugend vnd verstand
Vnd ist wie jhr wißt auff dißmal
Susanna J o a c h im i gmahl.
Midian.
245 0 Ach ab was fftr wunder ding
Hör ich von euch / die nit gering.
— 48 —
Acha b.
Ey guter vnd vertrawter gstalt
Sagt ich euch dieses an so bald
Drumb wie jhr mir verheißen han
250 So werd jhrs bey euch bleiben lau.
Midi an.
Jetzt ists an mir das ich auch klag
Vnd auch mein heimlich leyden sag /
Ich bin auch gleiciier gstalt jetzund
Mit liebes pfeylen sehr verwundt /
-55 Aber das ich euch nit betrüb
Susanna in ich auch hertzlich lieb
Habs auch getrieben schon gar lang
Heimlicher weyß ichs in mich zwang
Bin auch darumb jetzt gangen her
Zu sehn ob sie vieleicht da wer /
Darumb laßt bey euch bleiben fest
Schweigt darzu still / das ist das best.
So wftlln wir sehn wie wir allbeyd
Empfangen mochten große frewd /
-'05 Dann ich för gwiß vernommen schon
Das sie werd heüt in Garten gohn /
Vnd baden da nach jhrem brauch 10. (Bij.)
So ist jhr Mann abwesend auch /
Vnd können wir also die sach
-To Mit fug anstellen allgemach /
A c h a b.
Ich raht das wir am ersten fein
Giengen all beyd in Gart hinein
Verstecken vns daselbst mit fleiß
Gantz still vnd heimlich gleicher weiß /
275 Wann sie dan nun wird gar allein
Alda in jhrem Garten sein /
So wolln wir springen gschwind herfftr
Gütlich erzeigen gegen jhr /
Vnd vnser hertzen offnen gantz
Zucht vnd schäm schlagen in die schantz /
Bitten das sie nach vnserm will
Die groß lieb vnd begird erfftll /
So wölln wir vns erquicken recht.
31 i d i a n.
Wie wann sies aber vns abschlecht ?
A c h a b.
-*5 So wollen wir brauchen gewalt
Oder anfahen der gestalt | •
Wann sie nit thut nach vnser bgir
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49 -
So wollen wir sagen von jhr |
Wir haben sie gefunden fein
290 ßey eira Jüngling im Gart allein.
Mid i an.
Fftrwar die sach gefalt mir wol
Mein hertz wird erst der lieb recht vol[lJ.
Wir wollen vns machen bereit
In[m] Gart verstecken alle beyd.
Actus I. Seena HU.
Susanna / Abra / Midlan / Achab.
Sunanna.
295 Ach wie ein außerweite zeit
Laßt vns Gott sehen allbereit /
Wie warm scheint vns die liebe Sonn
All weit empfindet frewd vnd wohn /
Jetzt hört man im wald vberall
aoo Der Vöglein lieblich gsang vnd schall /
Die Gärten grün, die Brünlein kalt
Bringen der frewden manigfalt
Diß alles sich ich nit so gern
Als die zukunfft meins lieben Herrn
305 Auff den ich jetzund fftr vnd fftr
Wart mit verlangen vnd begir /
Darum b will iu den Garten ich
Erlustigen vnd reinigen mich /
Du Abra geh nur wider heim
3io Verschließ die Gartenthür gar fein
Korn bald wider auff mein beger
Vnd bring Balsam vnd Seyffen her.
Abra.
Es soll werden gar wol verricht
Ihr sollet daran zweifflen nicht.
Susanna.
315 Wann mein Herr vieleicht kompt zu hauü
So kom zu mir eylend herauß /
Vnd will ich dich gar wol geweren 11. (Biij.)
Ein gutes bottenbrot verehren
Abra.
Wolt Gott das er daheimen wer schon
3*- > o Ich wolt euch bringen frewd vnd won
Aber ich will sehn was ich thu
Den Garten schließen fleißig zu.
M i d i a n.
0 Achab schawt das Schöne bild
Solt eim nit werden das hertz erfült?
4
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50
A c h a b.
325 Kompt her laßt vns lauffen herbey
Ablegen alle schamm vnd schew
Vieleicht so wird sie sich ergeben
Wir wollen lustig mit jhr leben.
S u s a n n a.
Wen höre ich hierin bey mir
390 igt nit verschlossen recht die thür?
0 weh / thut jhr hierinnen sein
Ich hab vermeint ich sey allein.
Auff nichts guts gehet jhr da vmb
Das merck ich wol / drumb sagt warumb
335 ihr euch versperret in den Gart
Vnd gwißlich [mich] zu tödten wart.
Achab.
0 nein Susanna liebe Fraw
Frftndlich seind wir herkommen schaw
In allem gutem sind wir beyd
340 Zu euch herkommen allbereit /
Etwas begeren wir an euch
Vnd wollen es anzeigen gleich.
S u s a n n a.
Wann jhr etwas bey mir zu thon
So könnet jhr zu mir heim gohn /
345 Hierauß gib ich euch kein bescheyd
Sag ich außtrucklich allen beyd.
Midian.
Ach schönes vnd holdseligs bild
Ich bitt stelt euch doch nit so wild /
Dan wir seind hie in freundligkeit
3-to z u dienen eoch seind wir bereit.
Susanna.
Kein dienst beger ich von euch beyden.
Midian.
Wir können aber euch nit meyden.
Achab.
Ach mein Susan na setzt euch her
Ich will euch sagen mein beger.
S u s a n n a.
355 Mit euch will ich nichts zschaffen han
Ich bitt jhr wolt mein müßig gahn /
Habt jhr etwas zu richten auß
So find ihr mich in meinem hauß.
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- 51
M i d i a n.
Ach secht zu Fraw wir seind allein
360 In diesem Gart verschlossen fein /
Ynd seind in ewerer lieb entbrand
Thut vnsern willn es ist kein schand /
Niemand kan vns sehen hierinn 12. (Biiij.)
0 das jhr wüsten vnser sinn.
Susanna.
365 Was sagt jhr dauon Midi an
Gedenckt das Gott wol sehen kan
Wie dörfft jhr mir doch solchs zumnthen
Die jhr zu fürdernng des. guten
Erwehlet seyt vom höchsten Gott
370 Zu weysen andre[n] sein gebott /
Ihr wisset wie Gott allezeit
Gestrafft hat die vnreinigkeit J
Wie sonderlich zu S o d o m gescheht!
Ich bitt wolt in euch selber gehn /
375 Vnd mein verschonen in der sach
Darauß entstand groß vngemach.
Achab.
Ihr mußt es machen nit so groß
Dann heilige Leut auch solcher moß /
Gethan haben / die sich hernach
380 Mit Gott versöhnet allgemach /
Wie David der gar heilig mann
Vnd andre mehr haben getban.
S u s a n n a.
0 Achab laßt euch sein geseit
Dann auff Gottes barmhertzigkeit /
385 Sündigen / ist die gröste sünd
Wers thut zweyfache straff empfind.
Midian.
Ich mag dauon nit hören viel
Folgt jhr vns jetzt an diesem ziel /
Wo jhr nit werd zu willen bald
390 So wollen wir anlegen gwalt.
S u s a n n a.
Ach du mein lieber frommer Gott
Steh du mir bey in dieser noth.
Midian.
Das sag ich dir bey meiner trew
Die sach wolln wir anstellen frey /
395 Werd jhr es weiter vns abschlagen
So wollen wir öffentlich sagen /
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— 52 -
Wir haben beyde hie bey euch
Ein Jüngling- fanden auch zu gleich
Treyben mit euch vuzucht vnd schand
400 Dcßhalb die magdt von euch gesandt /
Darurab bedenckt euch albereit
Ich sorg es werd euch werden leydt.
S u s a n n a.
Ach lieber vnd getrewer Gott
Wie komm ich doch in solche noth /
Was angst vnd gfahr kompt mir daher
0 Gott nach dir verlangt mich sehr /
Wie soll ich es doch fangen an?
Hierinn ich mir nit rahlen kan.
Thu ich dann solchs so bin ich todt
Versündig mich an meinem Gott
Schlag ich es ab / vnd thu es nicht
So werd ich durch euch hingericht /
Doch ist viel besser die vnschuld
Darbey behalten Gottes huld /
Vnd sterben in der Menschen hend
Dann das durch mich werd Gott geschend /
Ach lieber Gott, wo ist mein gsind 13. (Bv.)
Das es mich nur noch lebend find /
Abra / lauff eylend her zu mir
Philerge / wo bist? gang herfftr.
A c h a b.
Laufft / laufft all Menschen da herbey
Secht was wundcrs geschehen sey ;
Secht die Ehbrecherin doch hie
Erger hat mans gesehen nie.
Actus I. Seena V.
Philcrtfus / Abra / Susanna i Midian / !' Achab. !'
Ph i 1 e r g u s.
4*-» Mich dunckt ich hab klaglich gehört
Ruffen die Fraw im Garten dort /
Mein Abra / laß vns eylends gehn
Vieleicht so ist jhr was geschehn.
Ab r a.
Das wer mir in der warheit leydt.
S u s a n n a.
430 Ach laufft herbey jhr lieben leut.
P h i 1 e r g u s.
Hör / hör es ist vorhanden noht
403
410
415
4'JO
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- 53 -
Ich merck das jhr von hertzen goht /
Was ist euch Fraw, das jhr so schreyt?
Susauna.
Ach secht jhr nit die alten beyd ?
Midian.
435 0 du meiu allerliebster Knecht
Du kompst hie gar eben recht /
Hie niagstu sie wol greiffen an
Dann sie was großes hat gethan /
Ein Jüngling war allein bey jhr /
440 Im Garten hie den funden wir /
Welchen wir wollen greiffen an
Aber durch sterck er vns entran /
Ein sach hatt er mit jhr verricht
Die ich auß schäm mag sagen nicht /
445 Gar wunderlich kompt es mir für
Das ich doch nie gemerckt an jhr.
P h i I e r g u s.
ßedenckt euch baß ehe jhr das sagt
Fürwar gar falsch ist das jhr klagt /
Ich raht euch das jhrs bleiben lan
4»o Mann weiß wol wie jhr sach thut stahn.
Susanna.
0 trewer Gott, o steh mir bey
Dann du weist wol wie die sach sey
Laß mein vnschuld kommen an tag
Zu schänden mach jhr falsche klag
4»» Was wird sagen mein lieber Herr /
Wann er wirdt hören diese m&hr.
A ch a b.
Das steht euch zur nntwort allein
Ihr wißt daa es also thut sein
Derhalb wollen wirs zeygen an 14.
4*>° Das jhr solch sach verwftrcket han /
Vnd möcht jhr euch bedencken eben
Was jhr da wolt fftr antwort geben.
S u s a n n a.
Die sach will ich befehlen Gott
*- Der wirdt mich nit lassen zu spott /
46» Philgerge [1. Philerge] komm wir wollen gehn
Vnd sehn wie es daheim thut stehn.
MVSICA.
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Argumentum.
II. Actos.
Im andern Act mit großer plag:
S as a n n a fahrt zu Gott jhr klag /
Verlangt sie auch in diesem fahl
470 Nach jhrem lieben Ehegemahl /
Indessen bald die alten beyd
Verbinden sich zusam mit Eydt /
Darauff so kompt gegangen her
Joachim der frewt sich gar sehr /
475 Wirt bald gewahr daß seine Kind
Entgegen jhm gegangen sind.
Vernimpt auß jhren Worten schlecht
Daß es daheim nit zugeht recht /
Empfangt sein Kinder, geht zu hauß.
480 Nach jhm so kompt sein Knecht herauß /
Facht mit A c h a b ein hader an
Thut aber ohne streich abgahn /
S u 8 a n n e Eltern klagten auch
Der jetzigen Welt bösen brauch /
435 Nun schweiget still ist voser bger
Secht wie S u s a n u a kompt daher.
Actus II. Seena I.
S Dsanna.
Ach Gott, Vatter im Himmelreich
Warhafftig / gnädig auch zugleich /
Dem alle ding wol seind bekandt
490 Erretter vor vnfall vnd schand /
Du hertzen kftndiger allein
Dir ist bewußt die vnschuld mein /
Die man mich zeuget vnuerschampt
Das ich nur werd zum todt verdampt /
495 Nun aber Herr du höchster Gott
Ach steh mir bey in dieser noht /
Verlaß mich nit, das bitt ich dich
Darmit mein vnschuld eigentlich
An tag mächt kommen gantz vnd gar
500 Vnd ich errett werd auß gefahr /
Dann ich niemals gehöret han
Das du die deinen hast verlahn
Vnd will also vertrawen dir
Du werdest trewlich helffen mir.
505 Nun wart ich mit verlangen groß
Auff mein Haußwirth ohn vnderloß f
Ich meint er solle kommen schier
Ach das jhn Gott gesund heim fuhr /
Ich warte sein all augenblick
510 Das ich doch wider mich erquick
In dieser großen trftbsal mein
Wil drinnen sein gewertig sein.
Actus II. Seena II.
Midian / Achab
Midian.
Wie steht die sach. mein Achab frumb?
Achab.
Ich weiß schier nit da geh ich vmb /
515 Bin vnlustig, erschlagen gar
Gedenck selbs bey mir jmmerdar
Wo doch die sach Werd hingelangen
Die wir beyd haben angefangen.
- 5(3 -
Midian.
Da gilts gleich sie ist gfangen an
o2 ° Gott geb wie es ferner wirt gahu /
Wir haben es gebrocket ein
Massens außfressen auch allein \
Dramb müssen wir vns selber treyben
Darmit wir beyd bestendig bleiben.
A c h ä b.
525 Was dann anlanget mein person
Will ich mit reden wol bestohn /
Vnd wann mans von mir wirt begeren
Wolt ich ein Eyd darzu auch schweren.
M i d i a n.
Das gfalt mir wol, ich lob euch drumb
330 Dann da müssen wir nit sein stumm.
A c h a b.
Habt jhr seyther noch nichts vernommen
Ob J oachimus heim sey kommen |
Dann wann er zu hauß kommet an
So wirt ein newes fewr entstahn.
Midian.
335 ich kans nit wissen dann allein
Das sie heint seiner gwertig sein /
Zu dem vor jhm erschrick ich nicht
Weil wir die sach recht angericht /
Er ist allein vnd vnser zwenn
540 Das recht muß vns billich ergehn.
Wann sie schon viel wirt reden do
Den Weybern glaubt man nit also /
Dann das jhr proprium fürwar /
Viel reden / klappern jmmerdar /
345 Bißweilen redens auch darneben
Das man jhn kein gehör mag geben |
Derhalben sorg ich dieses nicht
Im gringsten es mich nit anlicht.
A c h a b.
Ich möcht wol wissen, wann man dann
Ein rechtstag werde stellen an.
Midian.
Das kan ich euch nit eigentlich
Anzeigen / doch so wolte ich /
Das wann jhr solchs erfahren han
Mich gleichfalls] es auch wissen lan.
550
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555 Ich wils verrichten, glaubet mir,
Wolt selbs das wir bald kämen für /
Darumb so bleibet auch standhafft
Das vnser Sachen haben krafft |
Jetzt muß ich wider gehen hin
560 Dann ich jemands gewertig bin.
Actos II. Seena III.
Joachimus.
GOTT sey gelobt in Ewigkeit
Das ich erlebt die frölich zeit /
Vnd ich wider gsund kommen hin
Da ich hinweg gescheyden bin /
565 Von meinem lieben Ehgemahl
Weichs ich nun wider auff dißmal J
Will sehen an mit großer frewd
Wann sie nur noch ist bey gsundheit /
Ich weiß daß sie gewaltiglich
570 Auff mein zukunfft wirt frewen sich /
Dann jhr Hertz | Sinn \ Gemuht vnd Weyß
Hab ich erkant mit gautzem fleiß |
Mein Reyß ich gar frewdig zubracht
Wann ich an mein Susannam dacht /
575 Dann sie ist mir von Gott beschert
Wirt billich drumb von mir geehrt /
Vnd danck auch Gott vmb solche gab
Die ich von jhm empfangen hab /
Dann ich nur diesen trost allein
580 Auff dieser Welt die Haußfraw mein j
Die mir in widerwertigkeit
Freundtlich kan geben ein bescheyd /
Nit stoltz ist sie, deß frew ich mich
Wie mancher Mann muß sehn fftr sich /
585 ich sags förwar vnd ist gewiß
Habens auch viel erfahren diß
Das ein Weyb ehr- vnd Tugentsam
Behaltet stets ein guten nam /
Was ich beger, begert sie auch
590 ist mir gehorsam nach gebrauch /
Fürwar wann mich jetzt mein gesicht
Auß blödigkeit bedrftget nicht /
So sie[h] ich mir entgegen gehn
Mein Kinder / ich will bleiben stehn /
595 Vieleicht so werdens auff mich warten
Oder zur Mutter in den Garten.
58
Actos II. Seena IUI.
Benjamin / Rebecca / Joachimus. |j
Beniamin.
Rebecca komm wir wollen gehn
Hinaaß / ob wir den Vatter sehn /
Rebecca.
Hastn die Mutter auch gefragt?
Das sie nit etwann ab vns klagt /
Daun du weist wol das wir jhr fein /
Als Kinder sollen ghorsam sein /
Wie sie vns das hat fein gelehrt
Drumb vns das Christ- Kindlein beschert.
Ben« -a-Hi i n.
605 Freylieh hab ich sie gefragt darumb
Wir soln sehn, ob der Vatter kumb.
Rebecca. 17. (C.)
Wio kompts, das vnser Mütterlein
So stetigs weint, liebs Brüderlein?
Beniamin.
Ieh weiß es nit, denck selbs offt dran
6io Wer jhr doch hette leyds gethan.
Joachimus.
O was hör ich von meinen Kinden
Soll ich mein Haußfraw weinend finden?
Vieleicht mag es geschehn darumb
Das ich zu hauß so langsam kumb.
Beniamin.
615 Sie geht als vmb vnd schreit mit klag
Ach Gott bring mein vnschuld an tag /
Vnd falt als auff den boden nider
Biß das sie zu jhr selbs kompt wider.
Rebecca.
Heut that sie mich von hertzen küssen
620 Das ich drüber hab weynen müssen.
Joachimus.
Ach Oott ich muß jetzt wol verstehn
Das es nit recht daheim wirt gehn
Doch will ich nur stracks gehen fort
Zu meinen lieben Kindern dort /
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625 Muß sie ein wenig vorhin fragen
Was sich jrgent hab zugetragen.
Benjamin.
Schaw, ich glaub vnser Vatter kumm
Der Mann, der zu vns geht herurab.
Joachimus.
Ihr lieben Kind, was macht jhr do ?
Beniamin.
630 Ach Vatter wie bin ich so fro /
Das jhr wider heim kommen sein
Gott Willkomm lieber Vatter mein.
Rebecca.
Ach mein hertzlieber Vatter frumm
Seit mir auff dißmal auch willkumm.
Joachimus.
635 Gott sey mit euch jhr Kinder mein
Was macht daheim das Mütterlein?
Beniamin.
0 lieber Vatter ich weiß nicht
Es ist etwas, das sie anficht /
Verlangt sie auch nach euch so sehr
640 Vnd auch drumb sind wir gangen her.
Joachimus.
Kompt her wir wollen gehn zu jhr
Der liebe Gott woll helffen mir /
Das vnser sachen stehen wol
Ach wie ist mir mein hertz so voll /
645 Gott steh mir bey vnd helff mir nun
Wolan wir wollen zu jhr gohn.
Actus II. Seena V.
Philerjjus / Achab. ||
[Philergus.]
0 wie ein großes hertzen leyd
Find vnser Herr jetzt allbereit /
Wie vbel ghebt sich doch das Weib 18. (Cij.)
650 ihr hertz will gar auß jhrem Leib.
Fürwar wann ich sie thu ansehn
Mein äugen mir auch vbergehn /
Dann ich weiß wol das sie hierinn
Vnschuldig ist, hat keuschen sinn /
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663 Verflucht Seyen die alten gar
Die sie gebracht in solch gefahr /
Waramb richten sie doch solchs an?
Gott wirts nit vngerochen lan.
A c h a b.
Was balgt der doch mit jhm allein
<w> Muß jhm ein wenig aaffhorchen fein.
P h i 1 e r g o 8.
Ich hoff Golt werd jhr gbett erhören
Vnd solchem falschen anschlag wehren /
Die beyde stürtzen in groß schand
So sie gar wol verdienet hand /
665 Wolt Gott ich dörffts an jhnen rechen
Wolt sie warhaiftig beyd erstechen.
A c h a b.
Ho ho / ich bin noch weit von dir
Ich muß mich warlich 6ehen fftr /
Will zu jhm hin vnd sprechen an /
6"0 in friindtligkeit wie ichs wol kan /
Wo nauß Phile rge? ein guten tag,
Wie gehts dir? was hast für ein klag?
Phi le rgus.
Was gehts dich vnd ein andern an
Was ich allhie zu schaffen han.
A c ha b.
67f> Ey soltu mich so kautzen drumb ?
Kenst mich nit? ich bin Achab fruinb /
Dem Volck ein Eltester gar gut /
Drumb man mich billich ehren thut.
P hi 1 e r g u s.
Darnach frag ich im gringsten nicht
680 Ein anders jetzt mein hertz anficht /
Mancher der führt ein glatten schein
Ist doch ein schalck im hertzen sein /
Wie man der Gsellen gar viel find
Will drumb nit sagen wer sie sind.
Achab.
685 Wie / meinstu mich ? bald thu mirs sagen
So will ich ein schantz mit dir wagen /
Ich merck gar wol du meinest mich /
Wie ich verstehe eygentlich.
61 -
P h i le r gu ß.
Es geht euch hie nicht änderst dan /
690 Wie Cato ein vers zeiget an /
Conscius ipse sibi, de se putat omnia dici.
Wer etwas böses hat gethon
Der meint man sag nur stets dauon.
A c h a b.
Hab ich dann etwas böß gethan?
Phil ergus.
69r» Was fragt jhr lang / was gehts mich an /
Habt jhr was gthon / so wist jhrs wol
Meint jhr das ichs euch sagen soll f
Ich hoff ich woll noch selbs mit lauffen 19. (Ciij.)
Wann man dich alten wirt ersauffen.
A ch ab.
70o Was sagstu?
Ph i 1 er gu s.
Ich sag ich wolt gar dapffer lauffen
Wann mich die Bauren wolten rauffen.
Ach ab.
Schaw zu Philerge / das du fein
Gestehest aller reden dein /
7*> Dann wann man halten wirt Gericht
So will ich dein vergessen nicht.
P hilerg us.
Jetzt geht er weg der heyloß Mann
Sein falsche sach zu faheli an /
Vor jhm laß ich nit grawen mir
7io Wann er es schon wirt bringen für.
Aber ich hoff das blat werd sich
Vmbwenden noch des tröst ich mich.
Nun muß ich wider gehn hinein
Vnd sehen zu der Sachen mein.
Actus II. Seena VI.
Helky(i)as / Anna.
IHclkyas.]
713 Ach lieber Gott was kümmernuß
Müssen wir Menschen steh[c]n vß /
Was hertzenleyd vnd große noht
Müssen wir warten früh vnd spat /
Ach Gott deß vnlcydlichen schmertz
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— 02 —
720 Wie wirt gequelet doch mein hertz /
Das ich die schand erlebet han
Die meiner Tochter angethan /
Die ich doch stets zu Gottes ehr
Erzogen hab in guter lehr /
723 Hat mir gefolgt / biß sie alsdan
Joachim gnommen zu eim Mann /
Der sie doch jederzeit auch wol
Bericht / wie sie Gott ehren soll /
Aber der teüffel hat kein ruh
730 Biß er die frommen feilen tha /
Doch wirt Gott sehen auch darinn
Deß tröst ich mich von hertzen mein /
Er werd gleich wie die Sonn so klar
Ihr vnschuld machen offenbar.
Anna.
735 Diß ist auch jederzeit mein trost
Das Gott die seinen nit verlost /
Verlaß mich auch allein auff jhn
All andre hoffnung ist dahin.
Gott wirt die falschen zeugen wol
740 Straffen, dann er ist warheit voll /
Ach Gott wie ist sie doch so sehr
Betrübt vnd bkiiramert stets je mehr.
H e 1 ky as.
Wie daurt mich Joachimus doch
Der sich auch sehr bekümmert noch
745 Vnd thut jhm in dem hertzen weh
Der schwere zustand in der Eh(e).
Anna. 20. (Ciiij.)
Mein tag het ich dem Mi d i a n
Solchß nit vertrawt das ers gethan \
Dann er sich in der zeit ließ mercken /
750 From / auffrecht / gut / in wort vnd wercken.
He 1 kya s.
Es heißet jetzt zu dieser zeit
Schaw fleißig du auff ander Leut /
Vertraw nit leichtlich jederman
Du weißest dann wol was er kan /
755 Für bösen Leuten hüte dich
Denck nit das jetz was bleib heimlich
Gott weiß vnd siehet alle ding
Wie klein vnd gring sichs auch anneng /
Wider die Göttlich Mayestet
760 Soll nichts arge« werden geredt.
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- 63 —
Anna.
Darneben ist kein besser haab
Dann daß man guts gewissen hab.
Das gröste vnglück das da kan /
Aaff Erd ein Menschen vbergan /
765 Ist dieses / das 7.11 mancher frist
Ein Mensch des andern teuffei ist.
H e lky as.
War ists | dann man jetzt sichet schon
Was vns soll werden angethon /
Gott geht mit seinen seltzam vmb
770 Sie haben hie kein eygenthamb /
Ins ewig Reich gehören sie
Dann sie seind ja nur frembdling hie f
Drumb ists nit wunder das sie han
In dieser Welt kein platz noch plan /
775 Deß müssen wir vns trösten steht
Dieweil es vns trübselig geht /
Ich hoff Gott werd vns lassen nit
Dann es ist nit sein brauch vnd sitt /
Wir wollen vns an Gott fest halten
7» Sein gnad vnd warheit lassen walten.
Actos II. Seena VII.
Raphael.
Dem Herren singt ein newes lied
Die vberschwencklich Gottes gftt
Die gmein der heyligen soll fein
Gott loben vnd die gnade sein
785 Israel soll sich frewen schon
Dessen / das er an vns gethon /
Die Kinder Z i 0 n in gemein
Sollen von hertzen frölich sein
Sie sollen preysen Gottes nam
"93 Mit paucken / reyhen lobesam /
Dann er ein wolgefallcn hat /
An seinem Volck | er sucht auch raht /
Dem elenden auff erden hie
Eeinr ward von jhm verlassen je /
795 Die Heilgen sollen frölich sein
Preysen vnd rfthmen Gott allein /
Ihr Mund soll auch erhöhen Gott
Mit jhren Uppen frft vnd spat /
Vnd solln in jhren henden haben
800 Gar scharffe Schwerter bey sich tragen /
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— 64 -
Darmit sie ernstlich vben räch 21. (C v.)
Vnder den Heyden straffen schmach /
Vnd das sie jhr König: allsant
Mit ketten binden starcker hand /
806 Die gwaltigen / Edlen vnd reichen
Mit eysern fesseln auch dergleichen /
Das sie jhnen das recht anthon
Darnon man find geschrieben schon
Ein solche ehr vnd großen lohn
810 Werden die heyigen han daruon. /
Dem allein Allmächtigen Gott,
Dem Ewigen Herrn Z e b a o t h
Sey preyß vnd Ehr / sterck / macht / gewalt /
Lob vnd danck / heyl / krafft / manigfalt /
815 Jetzand / forthin vnd alle zeit /
Ja gar biß in die ewigkeit.
MVSICA.
2*
N
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Argumentum.
III. Actos.
Im dritten Act herrlich vnd schön
Zwo tugendten herauß[er] gehn /
Die warheit vnd gerechtigkeyt
820 Klagen der Welt boßhafftigkeit
Darauff dann znm exempel klar
Ein Baur vnd Rahtsherr machens war /
Gar augenscheinlich wirt man sehn
Wie es heut pflege zuzugehn /
825 Vnd wie das gelt auch jmmerzu
Die blinde Welt verführen thu. /
Man wirt auch sehen widerumb
Wie die S u s a n n a keusch vnd frumb
In jhrem Creutz vnd trftbsal schwer
830 Zu Gott r&ffet je lenger je mehr
Auch wie sie Ritterlichen kempfft
Mit Gottes wort die trübsal dempfft
Darzu jhr dann der Engel gut
Macht gleichsam einen helden muth /
835 Das sie sich wider thut erlaben
Merckt auff, jhr werd viel lehren haben.
3^
Acta« HI. Seena I.
Justitia / Veritas.
[Justitia.]
Mein liebe Schwester Veritas
Hie het ich dir zu klagen was /
All beyd seind wir von Gott gesandt /
840 Dem höchsten Herren in allem Landt /
Doch aber nicht wir beyd allein /
Dann noch mehr vnsrer Schwestern sein /
Der Menschen Hertzcn einzunemmen /
Was vns zu wider / weg zu demmen /
845 Weichs ich mit frewden gfangen an /
An allem orth mein bests gethan /
Nun aber komm ich trawrig wider /
Dann man will mich gar trucken nider /
Bey grob vnd klein in aller Welt /
850 ich weniger als nichts mehr gelt /
Ja man thut nicht mehr an mich dencken /
Ich gschweig die Sachen nach mir lencken /
Das thut mir in dem Hertzen weh /
Das ich kein statt soll haben meh /
855 Gott der selbs ist die Gerechtigkeit /
Ist solches auch von Hertzen leyd.
Veritas.
Justitia ach Schwester mein /
Laß mich hierüber leydig sein /
Du weist das Gott zu jeder frist /
Selber die ewig warheit ist f
Noch will man mich mit nichten leiden /
Muß allenthalben trawrig scheiden /
Der Teuffei ist mein widerstandt /
Der will eynnemmen gar das Landt /
Vnd wird der Lugenvatter gnennt /
Zeucht seine Kinder auff behend /
Der macht mit seinem hauffen Kind /
Das ich kein statt vnd platz mehr findt /
In allen Händlen vnd Gericht /
Will man mir nimmer glauben nicht j
Drumb will ich wider gehn zu Gott /
Der mich vnd dich außgesendet hat /
Bey dem wird man mich jeder zeit
Finden / vnd bleib in ewigkeit.
860
865
870
Justitia.
875 Bey etlichen wirds zwar betracht /
Wie man von vns ein Sprichwort gmacht /
Fides die ist geschlagen todt /
Justitia die leydet noht /
Vnd Pietas die ligt im stro f
880 Humüitas schreyt mordio /
Saperbia ist anßerkohrn /
Patientia hat den streit verlohrn.
Veritas ist gehn Himmel gflogen
Trew vnd ehr vber Land gezogen /
883 Die frombkeit laßt man beulen gohn
Tyrannis die besitzt den thron /
Inuidia ist worden loß /
Vnd Charitas erkalt vnd bloß /
Tagend die ist deß Land[s] vertrieben
890 Boßheit vnd vntrew drinnen blieben. /
Veritas.
Ach Gott es ist die warheit gantz
Mann schlecht vns doch nur in die schantz
Wir wollen wider [zu] Gott zu hauß
Der vns von jhm gesendet auß /
895 Wer vns von Gott begert vnd bitt
Dem werden wir versaget nit.
Actus IH. Seena II.
Corydon / Midian.
[C o r y d o n.]
Nun geh ich vmb heut diesen tag
Vnd sich ob ich nit finden mag /
Ein frommen Hann, der mir geb raht J
900 Einr sach / so sich begeben hatt /
Zwischen mir vnd dem Nachbarn mein
Der thut mit mir so vneins sein /
Will mir gebieten für das Recht
Vmb einer Sachen die gar schlecht /
905 Wan ich nur find den Midian
Der ist mit mir ein guter Mann j
Der müst mir rahten in der sach
Das ich nit komm in vn gern ach /
Zwölff Thaler müsten mich nit dauren /
910 Ein ander mal wolt ich drumb trawren /
Dort sich ich schon den Midian
Muß dapffer lauffen vnd zu jhm gahn /
Midian / Midian / wartet doch
- 68 -
Der alte geck hört es nit noch /
915 Mi d i an | Midi an / noch hört ers nit /
M i d i a n / horch das dich der rütt schfttt.
M i d i a n.
Was hastu für ein Gottlos gschrey
Meinst das ich deinet willn da sey ?
C or y d o n.
Ey Jnncker ich wolt euch was sagen
920 Mit mir hat sich was zugetragen.
Midi an.
Machs nur bald her / vnd nit viel wort /
Dann ich geschwind muß gehen fort.
Corydon.
Zwischen meim Nachbauren vnd mir /
Ist so was seltzams gangen ffir
925 Zum nehr mal da ich truueken war
Vnd heim gieng in der finstre gar /
Da fand ich auff dem weg ein Pferd
Ist nit wol 30 Gulden werth /
Vnd war ich eben zimlich mbd
930 Hab weiter können kommen nit /
Ich sali darauff vnd ritt daruon
Habs also bey mir lassen stöhn /
Dann niemand hatt gefragt darnach /
So hab ich nit viel wegens gmacht /
935 Hab gdacht weß ist / der wirts wol holen /
Midian.
Ich merck wol du hasts gestolcn?
Corydon.
Nein Juncker, solchs mein nachbfar] auch sagt
Hats schier der gantzen Welt geklagt /
Darumb o lieber Midian
940 Hab ich euch jetzt wolln sprechen an /
Vmb einen raht was ich soll thon
Wan ich so für gericht werd stöhn /
Dan er mich fordern wirt fftr recht /
Vmb dieser sach gering vnd schlecht /
Midian.
945 0 Corydon ich raht dir nicht
Du würst heut mit dem sträng gericht /
C orydo n.
Ey nein / so bleib der teuffei hie
Ich will gehn lauffh ich weiß wol wie.
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MicH a n.
Wart Corydon hör noch ein wort /
Co rydo n.
950 Nein / nein / ade ich muß jetzt fort.
Mid ia n.
Ich will dir geben einen raht /
Corydon.
Das ich vieleicht köm auff das rad?
M i d i a n.
Dein leben will ich dir erretten
Wan dir was gschieht an dein statt tretteo.
Corydon
955 Wolan so will ich euch vertrawen
Ihr werdet mich freundtlich anschawen.
Midian.
Es fehlt mir aber sonst noch was
C o rydon.
Drumb Midian / sagt was es sey ?
Mi dian.
Ich hett auch ein Verehrung gern
%o Ehe solchs verricht wirdt vor den Herrn.
Corydon.
Was muß ich euch dann daruon geben
Wann jhr errettet mir mein leben ?
Midian.
Mancher der thut mir gar wol lohnen
Doch nim ich von dir 20 Kronen.
Corydon.
965 Ey Midian / das wer zuuiel
Fiinffzehen ich euch geben will.
Midian.
Wolan ich wills nemmen von dir
Ein andrer hett mehr geben mir /
Weill dir aber ist angst vnd bang
970 Will ich dich nit auffhalten lang /
Darumb gib geltt vnd zahl inirs her
So will ich folgen deim beger /
— 70
Mich dunckt sie seyen nit all gut /
Dan diese nur zwen Gülden thut.
Corydon.
975 Wann sie falsch wer / wolts euch nit geben
Das solt jhr mir vertrawen eben.
Midian.
Wolan ich nun zufrieden bin
Ich hab das mein geh jetzt nur hin.
Corydon.
Ey das wer gar vnbillich doch
90». Ich will euch eine geben noch /
Ey Midian / ey wartet do
Ich will euch zahlen dar noch zwo /
Ach wolt jhr mich also betriegen.
Midian.
0 ich hab noch gar kein vernügen.
985 Wann du wilt 20. geben mir
So will ich warlich helffen dir. /
Co ryd on.
Seht hin noch fünff, jetzt habt jhrs gar
Gedenckt das ich auch arm fiirwar.
Midian.
Wolan jetzt will ich dirs ansagen
Wann dein nachbur wirt ab dir klagen /
Als wann du jhm das Pferdt gestolen
So must auch reden vuuerholen /
Wann du vor dem Gericht thust stehn
Must nit freuen[t]lich vmb dich sehn /
Must auch nit forchtsam aldo stöhn
Mann meint sonst du habsts gethon /
Sonder fein lieblich sich vmb dich
Darumb so gib achtung auff mich /
Ich will dirs jetzund zeigen fein 25 (D.)
Also must heben den Kopff dein /
Du machsts nit recht, heb vbersich /
Die äugen nit gar vndersich /
Den Hut nim fein in deine hend
Darmit man den dieb nit recht kent.
Corydon.
1005 Ey Midian ich bin kein dieb.
Midian.
Ich sagts nit wann mir nit werst lieb /
Du must auch weiter achtung geben
990
995
1000
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- 71 -
Den hut nit an die Ohren heben /
Vnnd merck fein anff was jener sagt
1010 Wann er hat genug geklagt /
So fang anch deine antwort an
Sag / die sach thut nit also stahn /
Dann wie du kommen bist zum Pferd t
Sey es gelegen auff der Erdt /
1015 Da habst du dich geförcht gar sehr
Vnd nit gewist was dieses wer
Seyst auch darüber gfallen mit macht
Das .dir das Hertz im Leib gekracht /
Einsmals ehe du wärest gerüst /
1020 Da sey es mit dir auffgewischt /
Vnd hab dich gstolen von dem ort
Geschwind mit dir gelauffen fort /
Du habst nit können steygen ab
In einem solchen starcken trab j
1025 So wolstu darauff protestieren
Das dich das Pferdt hab thun entführen /
Vnd bgerest weiter auch darzu
Das man dem Pferdt sein recht anthu /
Mann soll sich fleißig drauff bedencken
1030 Vnd das Pferd an den Galgen hencken /
Du habst es noch in deinem Hauß
Gefangen vnd kan nit kommen auß /
Vnd wann du solchs wirst bringen für
Will ich dapffer zustimmen dir.
C o r y d o n.
1035 Fürwar der raht gefalt mir wol
Kein Gelt darfftr mich dauren soll.
M i d i an.
Ich will nun jetzund gehen hin
Bedenck dich fein / in deinem Sin /
Zu guter nacht ich muß gehn fort
1040 Gedenck fleißig an meine wort.
Actus III. Seena III.
C o r y d o n.
Das muß mir sein ein gschmitzter Mann
Der mit der sach vmbgehen kan /
Vieleicht hat ers vor mehr probiert
Auch etwann eim das sein entfahrt
1045 Er kan den schalck gar wol verdecken
That 20 Kronen mir abschrecken /
Wann michs nit hüfft fürwar ich sag
— 72 -
Von standen an ich auff jhn klag /
Wann man mich henckt so muß er mit
1050 Oder ich will anch sterben nit /
Das halb hab ich vergessen schier 26. (Dij.)
Das er hat angezeigt mir /
Dann er der schelmerey so voll
Daß einer nit kan mercken wol /
1055 \ un will ich wider gehn hinein /
Vnd sehen zu den Sachen mein /
Darmit wann man mich fordert hin
Ich auch darzu staffieret bin /
Sonst dorfft es kosten mir mein haut
1060 Oder müst essen Galgenkraut.
Actos III. Seena IV.
Helkyas / Joachimus.
[Helkyas.]
0 Joachime wie gehts zu
Was würckt der teüffel f&r vnruh /
Ach wie wirt ewer Hertz mit pein
Ohn vnderlaß beschweret sein /
1065 Dann ichs an mir selbs mercken kan
Wie es euch wirt zu hertzen gahn.
Joachimus.
Ach lieber Vatter ich weiß schon
Das ich vor leyd [fast] muß zergohn /
Wo soll ich auß / wo soll ich ein?
1070 Veriamert ist das Hertze mein
Ach das sey Gott im Himmel klagt
Die Schwermut mir das Hertz abnagt /
Doch will ich mich auff Gott verlahn
Der woll mir helffen vnd beystahn.
Helkyas.
1075 Gott hatt die seinen in der hand
Laßt sie gerahten in kein schand /
Wann er ein wenig schon zueicht
So laßt er sie doch fallen nicht /
Dann das Creutz vnd daß leyden groß
10«) Ist zu der Seligkeit die stroß /
Wann sie schon zeitlich müssen sterben
Wirt doch jhr Seel keins wegs verderben /
Dann wann sie ist gerecht gewesen
Soll sie in Gottes hand genesen.
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— 73 —
Joachimus.
Mein sach hab ich auff Gott gestelt
Der machts auch wie es jhm gefeit /
Will hin za meiner Haußfraw gahn
Ihr zusprechen vnd zeygen an /
Daß sie sich faß mit dem Gebett /
Gilt gleich wie es darnach mehr geht /
Ich bitt jhr wollet mit mir hin /
Zu trösten jhren betrabten sinn.
Actus III. Seena V.
Susanna / Raphael.
[Susanna.]
Herr Gott du trewer Heyland mein
Wie komm ich rar das Angsicht dein /
1095 Vnd schrey auß meines Hertzen grund
Du wollst mich hören zu der stund /
Laß mein Gebett kommen för dich
Neig deine Ohren das bitt ich.
Raphael.
Ruff du an den getrewen Gott
1100 Er wirt dich gwiß erhören /
In dieser deiner großen noht 27. (Diij.)
Gnedige hilff gewehren /
Darfur du jhn / auß Hertz vnd Sinn
Solt Ewiglichen preysen.
S u s a n n a.
Mein Seele ist deß jammers voll
Alls wann sie zu der Hellen soll /
Vud bin auch denen gleich geacht
Die in die Hell fahren mit macht /
Vnd wie ein Mensch das schon gefeit
Kein trost weiß in der gantzen Welt.
Raphael.
Z i o n spricht sonst gantz vnbedacht
Der Herr hat mich verlassen /
Kan auch ein Mutter vnbetracht
Ihr Kind nit z'Hertzen fassen /
1115 Vnd ob sie schon / dasselb gethon
Will Gott mit nicht vergessen.
S u s a n n a.
Vnder den todten lige ich
Verlassen gantz elendiglich /
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1085
1090
1105
1110
- 74 -
Ach das du nit gedencket dran
1120 Das sie samptlich von dir verlan /
Da hast mich in die grub gelegt
Mit großer finsternuß bedeckt /
Dein grim truckt mich je lengr je mehr /
Dein flut gantz grausam rauschen her.
Raphael.
1125 Förch te dich nicht gantz wundersam /
Hab ich dich schon erlöset
Hab dich geruffen bey deim nara
Du bist mein, sey getröstet /
Ob du wirst schon durchs Wasser gohn /
1130 So will ich bey dir bleiben /
Vnd durch das Feür / gantz vngeheür
Will alles von dir treiben. j
S u s a n n a.
Mein Freund hast von mir gtrieben hin
Ein grewel ich jhn worden bin ,'
1135 Ich lig gefangen jammerlich
Kan nit darauß j erbarme dich (
Vnd rftfife dich so trewlich an (
Breit mein [1. dein?] hand auß { wolst mir beystahn.
Raphael.
Gott hat ein Becher in der Hand
luo Mit starckem Wein geschencket /
Schenckt auß demselben allen sant
Mit vnderscheid bedencket \
Die Gottloß rott / sich sauff zu todt
Der fromm bleib vngekrencket.
■
S u s a n n a.
1145 Wiltu vnder den todten danu
Dein Wunderzeichen lassen gahn |
Oder werden die verstorbenen
Zu dancken auß dem grab auffstehn )
Wirt man im grab dein g&t erzehlen
U50 im verderben dein trew erwöhlen
Mögen dann dein wunder allsant
In finsternuß werden erkant?
Oder dein Grechtigkeit ergahn
Im Landt da man nit dencket dran.
Raphael. 28. (Diiij.)
1155 Gott hat dich schön gezogen an
Mit heils Kleidern geschmucket J
Der Grechtigkeit Rock angethan
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Das schandtkleydt vndertrucket /
Daß du vorauß | in Gottes Hauß
1160 Der Lebendigen Rinden
Solt loben Oott | so wirst ohn spott
Daß ewig Leben finden.
Susanna.
Aber o Herr zu dir schrey ich
Laß mein Gebett kommen fftr dich |
1165 Warumb verstost die Seele mein,
Verbirgst vor mir das Antlitz dein?
Raphael.
Der Herr harret doch allezeit
Das er gnadig erscheine f
Hat sich auffgmacht vnd ist bereit
H70 Daß er sich erbarm deine:
Ein Gott ist er f des Grichts gar schwer
Wol allen die sein harren.
Susanns.
Ich bin Ohnmächtig vnd eüendt
Daß ich verstoßen an dem endt |
11/5 ich leyd dein schrecken so ich hab
Daß ich auch schier verzag darab.
Dein grim der helt vber mich
Dein schreck mith trncken grausamlich.
Raphael.
Daß Rohr das schon zerstoßen ist
1190 Wirt er nit brechen lassen:
Daß glimmend dacht so schier verlöscht
Wirt er erst recht auffblasen.
■
Susanna.
Taglich vmbgeben sie mich all
Vmbringen meine Seel zumal.
1185 Du machst daß meine freundt allsandt f
Von mir abziehen jhre hand |
Drumb daß ich so verlassen bin f
Vnd auch mein Leben schier dahin.
Raphael.
Mit frewden wirstu schöpften doch
1190 Wasser auß den heyl Bruunen J
Wirst zur selben zeit sagen noch
Dem Herren danck \ besunnen |
Frew dich nur sehr | je lengr je mehr
Gott wirt dich wol erretten.
Sus an n a.
1195 Wolan Gott dir gib ich die raach
Nach deinem willen du es mach /
Ich bfehl mich in dein trewe hat
Sag Amen | auß getrostem muth.
Raphael.
Back dich f Back dich du böser geist
1200 Back dich geschwind wie Gott das heist
Korn her in dein Heilisch hanß,
Hie wirstu gar nichts richten auß.
MVSICA.
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Argumentum. 29. (Dv.)
IV. Actus.
Im vierten Act merckt | wie ich sag |
Haben die Alten ein Rahtschlag j
1305 Wie sie vor Gricht nit wolln erschrecken |
Sonder den Schalck gantz höflich decken /
Indeß die Richter kommen her
Susanna wirt aufF jhr beger,
Oeholet hin | die fangen an f
1210 Zu klagen f was sie hab gethan.
Wie sie groß vnzucht vberauß j
Getrieben / in jhrem Garten drauß J
Schweren darzu es sey so bschaffen
Mann soll sie nach dem Gsetz fein straffen |
1215 Auff diese anklag vnuerschampt j
Wirt S u s a n n a zum todt verdampt.
Da meinten schon die Alten zwen /
Es sey nach jhrem sinn geschehn /
Aber Gott wills zulassen nit
1320 Schickt jhr hilff auff die erste bitt
Daruon weiter im fiinfften Act /
Hernach soll werden angesagt.
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Actus IV. Seena I-
Midian I Achab.
[Midi an.]
Mein Achab nun müssen wir dann
Ynser sach endtlich fangen an /
1225 Es graußt mir schier / doch acht ichs nicht f
Wann wir schon kommen für Gericht \
Mein Maul das will ich gar nit sparen \
Daß werdet jhr an mir erfahren.
Achab.
Ich hör wie sie so kläglich leb
1230 Auch auß dermaßen vbel gheb.
Midian.
Ja ich glaubs \ dann man kan wol dencken j
Das es sie wirt gar vbel krencken /
Doch frag ich alles nicht darnach
Sie muß noch besser an die sach.
Achab.
1235 ich weiß wol wie es gehen wirt
Wann man vns vnd sie hat gehört /
So werden sie an vns begereu /
Daß wir auch ein Eydt sollen schweren f
Wie wirts dann gehn J mein Midian
1240 Wie werden wir das greiffen an?
Midian.
Wann man dasselb begeren thet
Zehen Eydt schwur ich an der stett j
Es gehe mir recht wie es woll
Dises euch nit bekümmern soll.
1245 Es wirt vns darumb nichts gcschehn
Weichs jhr zwar selber werdet sehn /
Seyt jhr nur frisch vnd vnuerzagt
Die sach die muß nur sein gewagt.
Achab.
Schawt zu die Richter kommen schon
1250 Wir wollen auch gleich mit jhn gohn |
Yns setzen wie es sich gebort
Vnd hören was da wirt gerührt \
Wann wir sehn | wie es will ergehn j
So wölln wir Kläger bald auffstehn.
Actos IV. Seena II.
[Corydon /] Cleophas 1 Eubulus / Simeon / Sophron / || Osyas /
Achab / Midian / Soldat. ||
Corydon.
1255 Ein guten tag jhr Herren all
Gott sey mit vns hie auff dißmal.
Eubulus.
Daß gebe Gott vns alln zu gut |
Der halte vns in seiner hut.
C 1 e o p ha s.
Ohn zweiffei habt jhr schon vernommen
Weßhalb wir jetzt zusammen kommen j
Nemlich zu halten ein Gericht
Doch öffentlich vnd heimlich nicht |
Derhalb so thn ich melden an '
Frey öffentlich vor jederman
Wo jemandt ist / der etwas hat
Zu klagen hie an diser statt
Dem solls gegundt sein allbereit
Doch daß er brauch bescheydenheit /
Mit reden j antwort vnd dergleichen
Mit aufftretten / vnd hindan weichen /
Wer hierinn etwas ftbertritt
Dem wirt es nach gelassen nit.
Zehen pfundt Silbers soll der geben
So dem gebott thut wider streben.
Achab.
1275 ^ Herr Richter vnd jhr guten freundt /
Die samptlich hie versamlet seind,
Ich vnd mein freundt Herr Midian
Hetten etwas zu bringen an.
Wann man vns wolt geben gehör
1280 So wolten wir es sagen her.
Cleophas.
Das soll euch schon erlaubet sein.
Die Rahtsherren.
Gefalt vns allen in gemein.
Achab.
So bgeren wir daß man her hol
Susannam Joachimi Gmahl
1285 Was wir haben von jhr zu klagen
Daß wolln- wir in jhr beysein sagen.
- 80 -
C 1 e o p h a 6.
Du Soldat | geh eyllend fort |
~^fag das sie her komm an das ort J
Vnd bring auch Joachimum mit
1290 Vnd komm bald her, verzeihe [1. verwehe] nit.
Sold at.
Es soll gschehn was jhr bfohln han
Will mich bald wider finden lan.
Cleophas.
Setzt euch nur nieder biß sie kommen
Vnd die sach werde fnrgenommen /
i'J93 ist sonst weiters vorhanden nicht 31.
Daß es hie zwischen werd verriebt.
C o ry d on.
Herr Richter f hie hett ich zu klagen auch
Drumb hört mich fein wie hie der brauch.
Cle o phas.
Ey ja ( sag her was ist es dann /
1300 Vnd mach es kurtz, saum dich nit lang.
Co r y do n.
Zum nehr mal war ich trunekens Wein
Wie dann jetz solchs der brauch will sein
Vnd aßen ein dick Habermuß /
Daß mirs wehe that am lincken Fuß f
1305 Da wolt ich eylendts heim bey nacht |
Vnd nam auch keines wegs nit acht j
Stieß mich dardurch an zehen hart /
Daß mir der fersen bluten wardt / «
Als ich nun nider sitzen thu
1310 Vnd will den schaden binden zu /
So fiel ich eben auff ein Pferdt
Weichs schlieff / vnd lag still auff der Erdt I
Wuscht mit mir auff eins mals behendt
Ist stracks mit mir hinweg gerent j
1315 Es lieff so eylends mit mir forth
Daß ich kondt reden nit ein wort f
Drumb es mich hat dariurch gesteln (
Das klag ich euch jetz vnuerholn j
Derhalb jhr Richter euch bedenckt |
1320 Vnd solches Pferdt an Galgen henckt.
Cleophas.
Muß warlich dieses Bauren lachen
Mit seiner so schweren schmach sachen.
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— 84
C o r y d o n.
Horcht ich muß euch noch mehr klagen
Vnd euch von meinem Nachburn sagen
1325 ich weiß nit ob jhr jhn anch kent
Wirt sonst deß Honsels Peter gnent |
Vnd ist ein dicker Keib wie du
Hat ein weit groß Maul wie ein Kuh j
Gesicht auch nur mit einem Aug /
1330 Sonst hat er ein Schon Junge Fraw.
Hat ein grawen Barth j zimlich reich
Sicht fast dem Alten Herren gleich.
Mi di a n.
Was sagstu hie du grober knopff J
Verachtestu mir meinen Kopff?
1335 Mein Weißen Barth j vnd mein Gesicht?
Cory d o n.
Ey nein j ich sags nur zu eim bricht.
Vnd mein Nachbur hat am selben mal
Verlohren auß seim eignen Stall,
Sein Schwartzen Schimel J die Münchecht studt
1340 So im Mistbären ziehen thut
Jetz sagt er ich jhn gstolen han J
Meint jhr ich sey ein solcher Mann
Darumb so bitt ich
Midian.
Was teüffels doch | wann hats ein end
1345 Meinst das wir sonst nichts zschaffen hend.
Druinb mach dich forth | vnd halt das Maul 32.
Mit diser deiner Sachen faul.
C o r y d o n.
Ey horchen doch mich noch ein wort /
Midian.
Du böser lecker mach dich fort.
Cory d on.
1350 So gib mir meine Kronen wider
Oder ich halt dich soust nit für bider.
Vnd wan du schon fährst Schilt vnd Helm
So bistu doch ein alter Schelm j
Der teuffei wird dich degradieren
. 1355 Ja gar biß in d'Hell hinein führen.
Ach Gott ist das nit zu[m] erbarmen
Das man so vngern hilfft den Armen
Der alt dieb hat mir abgenommen
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- S2 —
Zwentzü: Kronen in einer summen.
Daß er mir wöll in meinen Sachen
Dienea vnd sie richtig machen.
So liltzt er mir vorm gantzen Gricht
Heise das die Sachen eim geschlicht?
0 deß alten argen hobwicht.
1Jrv "' Kan ich jhn allein erdappen
Ich will jhm hauwen solche schlappen
Daß er soll suchen an seim Hut
Ein gantze stand biß er verblat.
Sophron.
Dort sich ich sie jetz kommen schon
1 r Aach J 0 a c h i m u m mit jhr gohn.
1380
Actos IV. Seena III.
Susanca Joachimus Cleoph.»* Mi- di.m Achab Eabulus
Simeon Sophron 0>y.i> Dimias Ruffu> Larco. [Corydon.]
'S a s a n n a.]
0 Herr Gott deß die Raache ist 1
Erscheine mir zu dieser trist |
Erheb dich da Richter gerecht
Schaw an wie ich doch werd geschmecht
l3 >" Wie lang soll der gottlose hauff
Richten vnd haben seinen lauff.
Ach schaw mich an, verlaß mich nit j
Darumb ich dich von hertzen bitt |
Wolan in Gottes nam komm ich |
Will mich einstellen ghorsauilich.
Joachimus.
Herr Richter vnd jhr allesandt
Wie jhr nach vns geschicket hand.
So kommen wir gehorsam her /
Za h6ren ewer aller bger.
C \ e ü p Ii a >.
1395 Recht ist es f dann wir öffentlich
Jetzand da sein zu halten Gricht
Darumb wer etwas von euch zu klagen j
Wirt es hie iregenwertig sagen.
M i d i a n.
Stelt sie hieher vnd schafft darzu f
1 ' Das sie rlen Schleyer vom Gsicht thu ?
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83
Dann sie den Schalck verdecken können 33. (E.)
Vnd sieh auff anders bald besinnen f
Drumb thu jhn ab ( vnd bleib da stehn f
Daß man dir in das Gsicht könn sehn.
Susanna.
1395 Was plagt jhr mich doch Midi an (
Soll ich so vnz&chtig da stahn.
M i di a n.
Freylich gar züchtig sonst du bist /
Ist nur -schadt ! das es nit wahr ist /
Ihr Achab bringt die Sachen an f
uoo Was wir von jhr zu klagen han.
Achab.
Herr Richter I vnd jhr in gemein j
Wann es euch thet gefellig sein \
So wolt ich bringen an die sach |
Vnd euch hernach befchln die Raach.
Cl eop has.
i-ws Sagts nur bald her \ fein kurtz vnd gut |
So ists vns lieb \ vnd wol zu muht.
Achab.
Gestern giengen wir beyd allein f
Wegen deß warmen Sonnenschein \
In Joachimi Garten auß
lJio Spatzieren | vns zu lustigen drauß |
Sihe da kam Susan na dar I
Mit jhrer Magt in Gart förwar \
Wir saßen in dem Garten still f
Gedachten was da werden will |
1415 Vnd fieng bald an zu baden sich \
Da sahen wir gar eigentlich ;
Kommen daher ein Jangling schon \
Gantz wolgestalt | schön apgethon /
Gedachten was er wßll verrichten
i-»2o Bald vergaß er allr Ehr vnd züchten
Trieb mit jhr schand vnd laster vil f
Die nit zu reden an dem ziel.
Da wir nun solches wurden gwahr | 0
So lieffen wir von stund an dar f
i-*25 Da sprang er mit gewalt daruon
Trat die Thür auff f vnd ließ vns stöhn.
Dann er war starck vnd also khnn |
Daß wir nit kundten meistern jhn f
Deß halb können wir jhn nit kennen
1430 Auch wolt sie jhn mit nichten nennen J
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- 84 -
Diß alles ist gewiß vnd wahr
Auch wie die helle Sonn so klar \
Nun möcht jhr euch wol sehen für
Vnd daß Gesatz vorhalten jhr /
143"> Auch ein Exempel Statuiren
Wie es sich fein je will gobürcn
Darneben auch solch vngefell /
Außrotten gar von Israel
Damit wir auch nit lohn empfangen
U40 Wie es zu Sodom ist ergangen.
Cleophas.
Fürwar das wer ein böses ding j
Die sach ist warlich nit gering.
M i d i a n.
Was Achab sagt mein mcinung ist |
Gib jhm auch zeugnuß zu der frist.
Cleophas. 34. (Eij.)
i«5 Billich ist / daß man sie auch hör
Susan na sag dein meynung her
Bistu gestendig dise that f
So man auff dich geklaget hat.
S n s a n n a.
Ach jhr Herren vnd Richter mein /
itfo Uic sach thut warlich änderst sein.
Wann sie in jhr gewissen gehn |
So werden sie änderst verjehn.
Was sie vom Garten melden hie f
Daß bin ich auch gestendig je
i^" 1 Aber daß ich hab solchs gethan \
Wio sie von mir gezeiget an
Dasselb gesteh ich nimmermehr
Vnd 8olt man mich drumb peinigen sehr
Dann mein Magd hab ich druiub abgesandt /
146:» paß sie mir bringe aller handt.
Seyffen, Balsam vnd anders mehr |
So zu dem baden fein gehör.
Da sah ich niemand ( dann allein
Das sie zwen thaten drinnen sein.
146') Was sie nun hatten in dem sinn /
Ich gantz vnd gar vnwissend bin.
M i (1 i a n.
Wann ichs nit hett gesehen klar
So meint ich jetz jhr red sey war J
Wie darffstu aber leugnen diß
1470 Da du doch weist { das es gewiß. J
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-
— 85 —
S u s a n n a.
Ich leugne solchs billich | dann jhr
Gar hefftig zugesetzct mir
Begert zu bringen vmb mein Ehr
Dali werd jhr leugnen nimmermehr.
C 1 e u p h a s.
U75 Damit man nun zur sachen thu
Vnd beyden theilen schaffe ruh
So trettet alle sampt hindan
Was recht sein wurd J daß soll ergahn.
Ihr lieben vnd getrewen mein f
14t» Nun hört jhr wie die sach thut sein j
Wie hefftig sie da wurd verklagt j
Wie schandtlich ding von jhr gesagt |
Sie beyd stimmen gar vberein f
Daß habt jhr ghöret in gemein.
14H5 Drumb Rahtet alle fleißig zu |
Wie meint jhr das mans machen thu?
E u b u 1 u s.
Mein Raht wer das man sie all beidt (
Ließ Schweren öffentlich ein Eydt /
Wegern sie sich ab solcher that |
i-WO So muß man weiter suchen Raht.
Thun sie es aber williglich
So darff man nit besorgen sich.
Schweren sie nun eiu falschen Eydt
So nemmens auff jhr Seelen beyd.
Cle o p has.
1495 Herr Simeon nun thut herbey
Was dauon euwer meynung sey.
S i in e o n. 3ö. (Eiij.)
Weil man begert meins Rahts hierin
So duncket mich in meinem sinn |
Es wer nit noht / daß sie all beyd
1500 Sölten drumb Schweren einen Eydt.
Dann daß Gesatz außweyset klar
Daß ein sach werde offenbar
Auß z weyer oder dreyer Mündt
So hört man eygentlich vnd rund.
1305 Sie zweu die haben glauben vil
Wann es nit wer sie schwigen still.
Vnd nit wer etwas an der that |
Die sie hiezu beweget hatt.
Darumb meint ich man ließ es bleiben
151° Mau dörffte auff den Eydt nit treiben.
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86 -
Cleoph as.
Herr Sophron rahtet auch hierinn
Wes duncket euch in ewerem sinn.
Sophron.
Was vor Eubu lu s vorgebracht
Dasselb ich auch für Kimlich acht
1513 Daß man sie beyd recht thu verhören
Vnd einen Eydt darneben Schweren
Als dann kan man die sach anstellen j
Ein recht billiches Vrthel feilen j
Solchs sag ich auß einfältigkeit.
1520 Doch respectier ich ander Leuth.
Cl e op ha s.
Nun Herr Osya f was duncket euch
In diser vnsern sach zugleich?
Osya s.
E u b u 1 u s | vnd auch Sophron beyd J
Die haben geben gut bescheydt \
1525 ihr raeynung auch die meine sey j
Darumb ich jhnen falle bey.
C 1 e o p h a s.
Nun laßt sie wider kommen her
Damit man sie ferner verhör.
Pausando.
Wolan auff ewer beyder klag |
1530 Haben wir ghalten ein Rahtschlag J
Vnd ist also worden erkandt f
Von den Richtern hie allen sandt |
Daß wann die sach so bsch äffen ist /
Vnd jhr es alles richtig wüst f
1535 So solt jhr hie zugegen beyd
Frey öffentlich Schweren ein Eydt.
A c h a b.
Ich meint wir hetten glaubens vil
Daß es nit bdörfft an disem ziel.
M idia n.
Es gilt mir gleich wann jhrs begert |
1540 Solt jhr werden von mir gewehrt.
A c h a b.
So sey es auch die meynung mein (
Ich will dessen vrbüttig sein.
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- 87
Cleo pha s.
So leget auff jhr Haupt die hend |
Vnd sprecht mir nach an disem end.
1545 Wir Ri chter zwen au ß Israel 36. (Eiiij.)
Achab vnd Midian.
Wir Richter zwen auß Israel
Cleo p ha s.
Schweren bey vnser Leib vnd Scel
Achab vnd Midian.
Schweren bey vnser Leib vnd Seel
Cl c o p h as.
Vnd darzu bey dem Höchsten Gott j
Achab vnd Midian.
1550 Vnd darzu bey dem Höchsten Gott /
C le o phas.
Der alle ding erschaffen hat.
Achab vnd M i d i a n.
Der alle ding erschaffen hat.
C 1 e o p h a s.
Daß wir im Garten gsehen hand
Ach ab vnd Midian.
Daß wir im Garten gsehen hand
C l e o p ha s.
1555 Susanuam treibn vnzucht vnd schand.
Achab vnd Midi an.
Sasannara treibn vnzucht vnd schand.
C 1 e o p h a s.
Wann solchs nit wahr ist j so wÄll Gott /
Achab vnd Midian.
Wann solchs nit wahr ist { so wöll Gott /
C 1 e o p h a s.
Vns straffen mit dem ewigen todt.
Achab vnd Midian.
1560 Vns straffen mit dem ewigen todt.
v
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— 88 —
Osy as.
Der Schwur ist vber alle maß /
Vor Gott gar schröcklich vnd gar grob j
Darauff soll man das Vrthel sprechen
Wer vnrecht hat j den wöll Gott rechen.
Cleophas.
1565 Hierauff sprich ich daß Vrthel nun /
Wie Moses solchs befilcht zu thun.
Dann also steht Geschriben klar /
Wann ein Weib wurde offenbar.
Die einem Mann vermählet sey j
1570 Vnd bricht die Ehe ohn allen scheuw.
So soll man sie zu einem spott
Mit Steinen werffen beyde todt.
Derhalben alles Volck zusamen |
Einhelliglich wöll sprechen Amen.
Die Richter.
Amen. Amen.
S u s a n n a.
0 du mein Barmhertziger Gott /
Ach schaw doch an die große noth.
Du weist daß ich vnschuldig bin /
Vnd kennest mein gemüth vnd sinn.
Kora mir zu hilft mein Gott vnd Herr | 37. (Ev.)
Schick mir dein g waltig hilff daher.
Du weisest alle heymlichkeit |
Vorab daß dise Zeugen beyd.
Wider mich fälschlich klagen hie |
Daß ich doch hab begangen nie.
Ach soll ich dann jetz in den todt j
So muß es doch erbarmen Gott.
Si me o n.
Nempt sie gschwindt hin jhr Hencker all f
Was steht jhr da gaffen zumal.
1590 Bindet sie vnd fahrt jraraer fort
Laßt sie nur machen nit vil wort.
Vnd jhr zwen zeugen sollen fein |
Auff sie werffen den ersten Stein.
M i d i a n.
An vns soll es ja manglen nit.
S u s a n n a.
1&95 Ach schont doch meiner ich euch bitt.
Laßt mich ein wenig gehen heim (
1580
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— 89 -
Zu segnen vor / die Freunde mein.
Mein liebs Gemahl vnd Liebe Kind /
Mein Eltern vnd mein Haußgcsind.
C 1 e o p h a s.
1600 Eya | laßt sie nur jmmer gchn /
Geht aber mit / daß jhr zu sehn
Wann es zeit ist so fahret forth [
Damit jhrs machet auff ein orth.
Ach wie daurt mich doch die Matron
1605 Wolt Gott sie kam mit fug dauon.
Corydon.
Ach Gott, ach Gott f ach lieber schaw
Wie daurt mich doch die Fromme Fraw f
Ich weiß daß sie vnschuldig ist |
Daß sag ich hie zu diser frist.
1610 Dann sie sich stäts in jhrer jugeud J
Geflissen hat der Zucht vnd Tugend.
Da doch hergegen der M i d i an
Sein lebtag nie nichts guts gethan.
Dann er mich newlich bschissen hat /
1615 0 leg er drausen auff dem rad f
Wolt gern auff meine 20 Kronen
Verzeihn J vnd [mit] dem Heneker lohnen.
Das er jhm vnd seinem gesellen
Die Köpffe thet heraber feilen.
1620 Aber ich weiß daß sie noch Gott
Straffen wirdt mit schandlichem todt.
Nun will ich recht auch gehn zu hauß
Vnd meinen gscheffcen warten auß
Dann wann ich solt allhie zusehn
1625 Mein äugen wurden vbergehn.
So vbel daurt mich dises Weib
Darumb ich bey jhrem end nit bleib.
MVSICA.
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Argumentum.
V. Actos.
Der letste Actus kompt herbey
Da jhr noch werdet sehen frey.
1633 Nach dem daß Vrtheii gangen auß f
Ward Susan na auß jhrem hauß
Geführt / daß mans tödt zu der frist J
Wie das Vrtheii ergangen ist.
Da sie dann auß betrübtem niuth |
1635 Die jhrigen fein segnen thut.
Aber der Wunderbare Gott j
Der die seinen nicht in der noth
Sterben laßt / ward gar bereit /
Ließ sehen sein Barmhertzigkeit.
1640 Dann als man sie gefahret forth (
Vnd sie nit machen ließ vil wort,
Auch mit jhr gangen nit gar ferr \
Kam Daniel geloffen her.
Der sie errettet von dem todt /
1645 Weil er gesendet war von Gott.
Hieß sie mit jhr wider vmbkehren f
Er wöll die Alten recht verhören.
Weichs auch geschehen also bald
Aber jhr vnrecht vnd gewalt
1650 Ward offenbar vor jederman j
Derhalb wurdens gegriffen an.
Zum todt Verurtheilt alle beyd j
Den sie Susan nae zubereit.
Wurden gesteinigt zu eim spott
1655 Also zu straffen pfleget Gott.
Drumb seyt ein kleine weil noch still
Vnd sehet wie sichs enden will.
Actus V. Seena I.
Achab | Dimius Rufus ; Lurco ; Susanna || Anna i Joachimus
Helkyas | [| Bcniarain Rebecca. ||
[A c h a b.]
Förth forth mit jhr es ist nun zeit j
Was sollen wir lang warten heut.
1660 ihr Hencker fahret forth mit jhr j
Dimius.
Wo seyt jhr Knecht \ trettet herfftr.
Rufus.
Ich bin schon da vnd wol gerfist I
Lurco.
An mir auch gar kein mangei ist.
S u 6 a n n a.
Nun wünsch ich euch vil guter nacht f
1665 Ich muß nun forth mit aller macht.
Ach liebe Mutter secht mich an
Vmb vnschuld muß ich in todt gan.
Anna.
Mein Hertz will mir im Leib verspringen i
Als wann der todt thet mit mir ringen.
1670 Ach liebe Tochter trauw auff Gott
Laß dich auff jhn mitten im todt.
S u s a n n a.
Ach Joachime liebstes Hertz |
Schawt ist dann dises nit ein schmertz
Daß man mich von euch reißt mit gwalt \ 39.
1675 Die wir der Freuden manigfalt.
Gehabt haben in vnserm leben /
Nun will man mich in todt hin geben.
Joachimus.
Ach lieber Schatz könt ich mit fug
Doch lenger mit dir reden gnug.
1690 Doch ist dir mein Hertz wol bekandt. |
Susanna.
Ach gebt mir noch einmal die Hand.
Vil hundert tausend guter nacht j
— 92 —
Ich bitt das jhr mein trew betracht f
Denckt auch vnd thut guts vnsern Kinden
1685 So wftrdt sich glück vnd heil stets finden.
Jetzund so gehet hindersich f
Damit jhr nit bekümmern mich.
Kompt lieber Vatter auch zu mir
Daß ich euch segne nach gebär.
1690 Danck euch Gott ewer thewren lehr
Die jhr mir gebn | vnd anders mehr.
Nun gscgne euch der liebe Gott
Jetz muß ich leyder in den todt.
H e 1 k yas.
Der lieb Gott dir Barmhertzig sey
1695 Der w611 dir allzeit stehen bey.
S usanna.
Wo seyt jhr lieben Kinderlin /
Ach du hertzlieber Beniamin.
Rebecca I vnd Joachim kleiu
Der liebe Gott wöll bey euch sein.
i"oo Gehorchet ewerem Vatter stäht /
Vnd rafft Gott an mit dem Gebett.
Beniamin.
0 Mutter wohin wolt jhr dann f
Wann jhr wolt ich will mit euch gahn.
S u s a n n a.
Zu Gott will ich | mein liebes Kind
Rebecca.
1705 Ach Mutter kompt auch wider gschwind.
H el ky as.
0 ich glaub ich muß gar vergehn |
Es ist auch vmb mein leben gschehn.
D i m i u s.
Wolan wir wollen jetz forth eylen f
Die sach thut sich zu lang verweilen.
1710 Nun kommet her | wir wollen forth J
Damit es komme auff ein orth.
A c h a b.
Als nur forth / was ist das gmacht ?
Susanna.
Nun allen Menschen ein gute nacht.
Himmel vnd Erdt gesegne Gott
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- 93 -
Jetz will ich gehen in den todt.
0 Gott nirab mich in deine hend
Korn mir zu trost am letsten end.
Actos V. Seena II. 40.
Daniel 1 Achab Miüian | Dimius. ||
[Daniel.]
Was soll das sein f daß gestatt ich nicht |
Dali Susanna solt werden grient.
1720 ich selber will vnschuldig sein
An disem Blut / geht wider heim.
Midian.
Was hastu da fftr ein geschrey I
Droll dich hinweg komm nit herbey.
Daniel.
So gebt mir die Susann am her J
1725 Vnd laßt sie loß j ist mein beger.
Dann sie falsch angeklaget war j
Von disen Alten gantz vnd gar.
Achab.
Wirstu nit bald hinweg da weichen
Will ich dich mit der Ruhten streichen.
Daniel.
1730 Schaw zu fftrwar ich dir daß sag
Daß dich Gott nit mit ruhten schlag.
Achab.
Fahrt dapffer forth | jhr henckersknecht J
Daniel.
Stehet jhr still J es ist nit recht.
Ihr thoren groß von Israel f
1735 Was verdampt jhr die arme Seel.
Euwer äugen seind gar verblendt /
Das jhr kein vnderscheid nit kent /
Was warheit oder logen ist /
Ihr habt verdampt zu diser frist,
i"40 Auß Israel ein Frawe fromm
Darumb kehret bald widerumb.
Vnd kommet alle fftr Gericht /
Die sach muß besser sein geschlicht.
Dimi o s.
Wolan wir wollen wider kehren j
i" 45 Vnd recht ein besser Vrthel hören.
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— 94 —
M i d i a n.
Ich wolt sie wer schon hingericht |
So dörfft es dessen alles nicht.
Actos V. Seena 11 f.
Cleophas Daniel | Ach.ib Midi.™ Eu- II bulus Simeon
Sophron Osyas. I!
[Ci eo p has.]
Was ist daß / das jhr wider kehrt
Habt jhr den außspruch nit gehört?
Daniel.
1750 ihr lieben Herren in gemein
An dem Blut will ich vnschuldig sein
Derhalben ich eoch trewlich bitt J
Wolt mein Jugent verachten nit.
Dann j wiewol dise alte[n] zwen /
1755 Vor euch seind in großem ansehn {
Ist auch nit gnug daß sie Eydt Schweren j
Mann soll sich dran mit nichten kehren.
Mann maß den handel bsehen baß 41. (F.)
Damit man rechte Kundschafft faß.
i'6o Wann es euch [bliebt so wolt ich sie
Attff andre weiß verhören hie.
C 1 e o p h a s.
So komm setz dich da zu mir her
Wir folgen dir auff dein beger.
A c h a b.
Wolt jhr Herren so torecht sein
1765 Vnd horchen auff dem Knaben klein.
C 1 e o p h a s.
Sey du zu ruh, laß dichs nit jrren /
Du solt hierinnen nichts verwirren.
Verwahret auch die beyde[n] Mann /
Damit keiner entweichen kau.
1770 Dir Daniel sey zu der stundt
Zu haltten / daß Gericht gegundt.
Daniel.
So thut sie von einander beyd /
Daß ich jeden in Sonderheit.
Verhören kan / du Midi an /
1775 Bleib hie / hör was ich zeige an.
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95 —
Du falsches Hertz / meinstu das Gott
Zu aller zeit werd sein dein spott.
Jetzund treffen die sünde[n] dich
Die du geübet stettiglich.
Daß gute hastu zugedeckt /
Das böse aber auffgeweckt.
Drumb sag mir an die warheit klar
Vnd mach es hie fein offenbar
Hastu gesehen treiben schand
Susann am / so sag es zuhand,
Was für ein Baum gewesen scy /
Da zu jhr kam der Jüngling frey.
M i d i a n.
Ich meine es gienge dich nicht an /
Aber ichs doch wol sagen kan.
1790 Ich fand sie vnder einer Linden.
Daniel.
Der Engel Gottes wirt dich finden.
Du leugst in deinen halß fürwar
Du wirst doch noch zerscheittert gar.
Daß Vrthel das ist gangen schon
1/95 Vom Richter in dem Höchsten Thron.
Sein Diener wirt verdammen dich
Das wirst erfahren eygentlich.
Nun bringt den andern auch hierein
Damit jhr hört die antwort sein.
E u b ul us.
isoo i c h bsorg das Blat werd sich vmbwenden
Simeon.
Ich will gern sehn wie sichs will enden.
Achab.
Soll er da sitzen aoff dem Stul
Ich meint man schickt jhn in die Schul.
C 1 e o p h a s.
Dieses jetzund dich nit angeht /
1305 Gib du ihm antwort auff sein red.
Daniel. 42. (Fij.)
Komm her du Ehruergeßner Mann
Du böse art von Canaan.
Die Schöne hat dich da bethört /
Dein falsches Hertz so gar verkehrt
isio Also habt jhr ohn allen fehl
Gethan den Kindern Israel.
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1780
1785
— 96 —
Daß sie auß forcht vnd großer pein /
Euch musten st&ts zu willen sein.
Das hat dise Fraw nit gethan /
1315 Die jhr da fälschlich klagten an.
Hastu vnzucht sie treiben sehn /
Vndr welchem Baum ist das geschehn ?
Ac h a b.
Ich sah sie vnder einer Eychen |
Daniel.
Der Engel Gottes wirt dich zeichen.
1830 Dann deine lugen wirt fürwar
Dich bringen vmb das leben gar.
Dann Midi an ein Lind genant /
Vnd du ein Eych / nun secht die schandt.
Damit sie beyd behafftet sein
1825 Ihr lieben Richter ingemein.
C 1 e o p h a s.
Nun greiffet dise Alten an
Genugsam wir verstanden han.
Daß jhr klag falsch vnd vngerecht.
Vntrew sein eigen Herren schlecht.
1330 Was meint jhr daß sie habn verwürckt?
Sophron.
Daß sie ohn alle gnad erwürgt.
C 1 e o p h a s.
Da stelt sie her zusammen beyd
Damit sie hören jhren bescheid.
M i d i a n.
Wo wollet jhr mit mir doch hin
1833 Gar nie ich falsch gewesen bin.
C 1 e o p h a s.
So h6rt was Moses Gsatz außweist /
Damit man sich deß Rechten fleist.
Wann jemand falsche Zeugnuß sagt /
Die wider seinen Nächsten klagt,
1840 Der soll daselbst des tod[e]s sterben
Vmb seiner missethat verderben.
Der Mensch sey gantz vnd gar verflucht /
So falsche Zeugnuß gibt vnd sucht.
Derhalben alles Volck zusammen
1845 Einhelliglich soll sprechen Amen.
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97
Die Richter.
Amen Amen.
C 1 e o p h a s.
Sein Seel soll außgerottet werden
Von allem Volck auff diser Erden.
Vnd spreche alles Volck zusammen
1850 Hie vber dise Zeugen Amen.
Die Richter.
Amen / Amen.
A c h a b.
Ach secht doch an das Alter mein /
Ich bitt wolt mir genedig sein.
3Iidian. 43. (Fiij.)
Erbarmet euch doch vber mich
1855 ich bitt euch gantz demütiglich.
Osyas.
Kein gnad ist hie zu hoffen mehr
Darumb du weiter nichts beger.
Daniel.
Hetstu verschonet discr Frawen /
So kftnt man dich mit gnad anschawen.
C 1 e o p h a s.
1860 Löset die Fromm Susanna m auff
Vnd bind die beyd vbr einen häuft.
Führt sie jetz fort / zu einem spott
Vnd werfft sie mit den Steinen todt.
D anie 1.
Wolan jhr Herren Gott sey mit euch.
C 1 e o p h a s.
1865 Per selb sey mit dir auch zugleich.
0 s y a s.
Wer wolt jhn doch vertrawet han
Daß sie ein solchs hetten gethan.
Sop hron.
Fürwar ich hett jhn guts vertrawt /
Mein Leib vnd leben auff sie bawt.
1870 Aber nemmen sie jetz den lohn
Vmb jhr vnrecht daß sie gethon.
Nun wollen wir Gott mit dem Gebett
Loben / das er sie hat errott.
7
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— 98 —
Actus V. Seena I.
Diraius [ Midlan Corydon Achab [ || Lurco | Rufus. ||
[D i m i ns.]
Jetz will ich gehn fein dapflfer eylen
1875 Vnd dir geben die besten Beulen.
Ihr Knecht nun trettet dapffer her.
M i d i a n.
0 Meister du truckst mich gar sehr.
D i mi u s.
Wart M i d i a n thut dir das we[he] ?
Ich will es mit dir brauchen mehe.
Corydon.
1380 Ey dörfft ich dich trucken vnd machen
Es mftsten dir all Glider krachen.
Wart / wart ..' es wirt bald änderst gelten /
Darff dich jetz wol Kronendieb schelten.
Achab.
Nun sehet mich jhr Menschen all
1885 Wie ich gerahten in vnfall
Durch raeine große missethat
Die mich dahin beweget hat.
Nempt ein Exempel all ab mir
Daß sich keins vberseh hinfftr.
HW> Liebt die Warheit die Edle Tugend,
Befleißt euch darzu in der Jugend.
Kein Menschen nimmer zu betriegen
Fliecht schelten vnd das böse liegen.
Nun hab ich mich daß vbersehn / 44. (Fiiij.)
1895 jf u ß dise große schandt außstehn.
Darumb bettet auch fftr mich Gott
Daß er mir helffe in dem todt.
Vnd gebe mir daß Ewig Leben
Darin die Engel Gotte3 schweben.
Diraius.
1*0 Du magst wol Betten Mi dian
Daß dir Gott wöll dein Sund nachlahn.
31 i d i a n.
Ach lieber sag mir nichts dauon
Ich kan vnd mag nit Betten nun.
L u r c o.
0 Mi dian / wiltu nit Betten
VKk> Man wirt dich bald mit Füßen tretten.
♦
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- 99 -
M i d i a n.
Lieber sag: mir von Betten nicht
Der bitter todt mich jetz anficht.
Di ra i u s.
Nun knyet nider albereit
Hie wolln wir nemmen den abscheid.
A c h a b.
1910 0 Gott hilff mir in meiner noht /
Stehe mir bey im Leben vnd Todt
Ach Gott mein Sünd mir nit behalt
Die ich begangen manigfalt.
Di mi us.
Ihr zwen werfft auff den Midi an.
Ruf u 8.
i*>i5 Wiltu dann Gott nit raffen an.
C o ry d o n.
Wart ich will dich lehren Betten
Vnd dich jetz mit Füßen trotten
Lug wie ich dich jetzund verehr
Mit disem Stein / mein Kronen verzehr.
M i d i a n.
19_x> 0 we / o we { o höret auff.
D i m i u s.
Fort / fort \ werffet nur dapffer drauff.
Acha b.
0 Gott an meinem letsten end
Befehl ich mein Seel in dein hend.
L u r c o.
Der Midian ist schier dahin
1925 Doch werff ich noch ein bar auff jhn.
Co ry do n.
Daß sich der Baur auch nit thu sparn
So soll ers mit dem Stein erfahren,
puff puff puff.
A c h a b.
0 Gott erbarm dich mein
1930 Vnd thu mir gnädig sein.
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- 100
Ruf u s.
Fürwar Achab der daurt mich gar
Aber der Midi an nit ein haar.
D i m i us.
Wolan h&rt auff, sie seind nun satt
Sie ligen schon Todt an der statt.
Sie werden keine Frawen mehr
Bringen beydes vmb glimpff vnd Ehr.
■
1. Chorus.
Actus V. Seena V. 45. (F. v.)
In dieser Jetsten Seena sagen sie GOTT
Danck f&r die wunderbarliche Erlösung
Susanne J da zvven Chor abge-
theilt gegen einander
Singen.
J oachimus.
S u 8 a n n a.
H e 1 k y a s.
Anna.
Benjamin.
Rebecca.
P h i 1 e r g u s.
A b r a.
1 Raphael.
2. Cliorus. I Daniel.
I Chorus Angelorum.
1. Chorus.
Herr Gott wir thun dich loben
Du Vatter aller güt /
Im Himmel hoch dort droben
1940 Das du vns hast behüt.
2. Chorus.
Also pfleget» Gott zu machen /
Gant/ wunderlich allzeit |
Im sind bekant all Sachen
Wie man erfahren heut.
1. Chorus.
* 9 -* 5 Vns hast fürwar gerissen
Auli großer angst vnd schreck /
Zu hoffen dich beflissen
Den todt getrieben weck.
2. Chorus.
Es steht als in sein Henden
1950 Er sieht bißweilen zu j
Einsmals so kan ee wenden
Dem grechten schaffen ruh.
1. Chorus.
Den anschlag der Gottlosen
Hastu gemacht zu nicht /
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— 102 -
1955 Dein Volcklein außerkosen
Ein Aug aaff sie gericht.
2. Chorus.
Ob sie bißweilen sincken
Vnd kommen in vnfall
Laßt sie GOTT- nit ertrincken {
i960 Hilfft jhnen alln zu mal.
1. Chorus.
Du hast gemacht zu schänden
Die vns verfolget han /
Wir seind auß jhren banden
Massen vns bleiben lan.
2. Chorus. 4«.
1965 Wann man von Hertzen Bettet
Vnd Gott vrab hilff anschreyt {
So wirt man fein errettet
Wie er solchs selbs gebeut.
1. Chorus.
Die zeit so lang wir leben
1970 Wolln wir vergessen nicht /
Das du dein gnade geben
Gezeigt dein Angesicht.
2. Chorus.
Billich soll man GOTT preysen
Wann er erhöret hatt /
1975 Zo andrer zeit wirt weysen /
Widrnmb sein große gnad.
1. Chorus.
Dein sey allein die Ehre
Dein se}' der preyß allzeit /
Vns größer frewd beschere
1980 Dort in der Ewigkeit.
2. Chorus.
Da wirt die frewd erst werden
Vollkommen vberal
Ledig von alln beschwerden
Ewig ins Himmels Saal.
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EPILOGVS.
1985 DieActionistnunvollend
Diß Spiel laufft frölich zu eim end /
Darbey so habt jhr all gesehn
Gleichsam in einem Spiegel schön /
Viel Schöner Lehren / die zugleich
1990 Antreffen beydes Arm vnd Eeich /
Was einem Menschen ansteht wol
Vnd widerumb anch meyden soll /
Dann kein Mensch selber wissen kau
Was jhra mag vbel stehen an:
1995 Aber an andern in der Welt
Kan er wol sehn was jhnen fehlt /
Derhalb hatt man deß nutzes viel
Wo man helt solche Frewden Spiel |
Dann jeder kan darinnen sehn
2000 Was jhm am basten thut anstehn /
Drumb wolln wir die Comoediam
Die vns zugegen Lehrt allsam /
Die Schön vnd Liebliche History
Welch dient zu Gottes Lob vnd Glory /
2005 Führen in die Zehen Gebott
Da werden wir ohn allen spott /
Genugsam vns bespieglen können /
Lehrnen / besehen vnd ersinnen |
Was wir solin meydn vnd vnderlohn
2010 Hergegen aber sollen thon /
ti) Erstlich in dem andern Gebott
Falsch Schweren hat verbotten Gott /
Weichs die zwen Alten vbergaagen 47.
Mit falschem Schwur an Gott gelangen /
2015 Der wider jhr gewissen gschach
Susanne nur zum [1. zu] schand vnd schmaoh /
Derhalb sie Gott gestraffet hatt
Vmb solche große missethat |
Dann es ein gar schröckliche Sand
2020 Hüt dich darfür o Menschen Kind. /
[2] Ferner in diesem Spiegel schön
Das Sechst Gebott sich lasset sehn /
Darinnen Gott Er[n]stlich verbeut /
Den Ehebruch vnd die Vnkeuschheit /
2025 Weichs diese Alte[n] nit bedacht
Dasselb auch gleicher weiß veracht /
Dann sie der Teüffcl angefochten
Vnzucht zu treiben sie gedochten
104 —
Mit der S usanna Keusch vnd Framm
2033 Gott bhät sie, strafft die bcyde^n] drumb |
Dieweü sie Gott rafft trewlich an
Er woll sie doch nit fallen lan.
Darumb sieht man hierin gar schon
Was solche Lieb gibt f&r ein lohn :
2035 Dann Gott der Herr die große Sünd
Gar hart zu straffen hatt verkiind. /
Werden wir vns bespieglen baß
[3] So werden wir noch finden was /
Als nämlich das Achte Gebott /
i»40 Darinnen vns verbeüttet Gott
Wir sollen kein falsch Zeugnuß geben
Wider den Nächsten hie im leben \
Augenscheinlich habt jhr gesehn
Das es in diesem Spiel geschehu /
•J045 Wie die Gottlosen Alten beyd
Auß rechtem Teüffelischem neyd /
Bey der Weltlichen Oberkeit
Sich vnderstanden albereit
Die Fromm Susanna m zuuerklagen
2050 Vnd böse ding von jhr zu sagen /
Daß doch wider jhr gwissen war
Hernach auch wurde offenbar. /
Hie frag ich nun euch allgemein
Ob diß laster nit gmein thut sein?
2055 Bey vns Christen zu dieser zeit
Weichs man erfahren muß noch heut
Das jeder tracht stäts je mehr
Den Nächsten zbringen vmb sein Ehr j
Drumb laß[t] vns nur bespieglen woll
20b0 Wir werden sein der Matery vol[l] /
Das wir den fleck abwischen schön
Der vns so vbel an thut stehn.
Wir wolln all Gott[e]s Kinder sein
Ein Vatter haben ingemein /
20t>5 Drumb müssen wir auß rechtem muth
Als Brüder / einander wünschen gut /
So wirt es vnser Vatter loben,
Wirt jhm gefalln im Himmel droben.
[-11 Nun kompt herbey das Z e h e n d Gbott /
-wo Darinn hat auch verbotten Gott
Daß gar niemand gelüsten soll
Gegen seins Nächsten Ehegmahl.
Welches auch heut begangen ist
Von den Alten / die hatt gelust
2075 Wider Susannam Tugentreich
Ist neben andern sünd zugleich.
[ä| Entlich thut dieses Spiel auch lehren 48.
Ein Oberkeit vnd jedem Herren
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- 105 —
So sitzen thut im Raht vnd Gricht /
Daß er sich laß bestechen nicht /
Wie gschehen ist vom Midi an
Der gschencke von dem Baursman nam /
Sonder mit allem Heiß bedenck
Daß er nit zweit auff dseitten schwenck /
Vnd zeige gunst nur einer part
Auff dander aber tring zu hart f
Das steht eim Richter vbel an
Gott wirts nit vngestraffet lan.
Darumb jhr Richter betrachtets wol
Daß keiner nit ansehen sol[l] f
Gunst / neyd / haß / feindschafft / Gelt vnd Gab
Dann Gott hatt gar kein gfallen drab ,'
Sondern schafft eim jeden sein Recht
Dem Herren so wol als dem Knecht /
Dem Reichen als dem Armen,
So wirt sich Gott ewer erbarmen.
In Summa dieser Spiegel klar
Macht vns alles so offenbar /
Daß wo vns ernst zu reinigen ist
Können wirs darauß jeder frist.
Wir könten noch der lehren viel
Nemmen auß disem schönen Spiel,
Aber jhr habts selbs wol gesehn
Was vns am besten an thut stehn.
_'i05 Hiemit so dancken wir mit Heiß
Reichen vnd Armen gleicher weiß /
Das jhr vns alle sampt zu Ehr
Hierzu demütig geben ghör /
Wo wir solches zu jeder zeit
L'iio Gegen euch in gebürligkeit
Verdienen können J so wolln wir
Vns rinden lassen mit begir.
Allein wir bitten euch darneben
Wo etwas nit zugangen eben |
- 115 So wolt jhrs vns nit vbel deütten
Besser wirt es zu andern zeiten. /
Gott woll zugegen jederman
Mit seinen Gnaden schawen an /
Viel Glück vnd Heyl hie zeitlich geben /
-12° Nach diesem auch das Ewig Leben \
Wers begert Sprech in Christi Nammen /
L-i--] Von grund seins Hertzens mit mir Amen.
ENDE.
[Schluß-Zierleiste. |
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V.
Sagen aus dem krummen Elsaß,
gesammelt von Lehrern und Lehrerinnen der Schul-
- inspektion Saarunion,
veröffentlicht von
Kreisschulinspektor Menges.
II. Aus dem Kanton Drulingen.
108. Die vier Maibrüder.
Eine alte Sage erzählt von vier Hambacher Mannern,
daß sie ganz besonders gute Freunde waren. Jeden Abend,
Sommer wie Winter, gingen sie zueinander cmaien» und saßen
oft bis spät in die Nacht hinein beisammen. Sie machten
untereinander aus, daß derjenige unter ihnen, der zuerst stirbt,
wiederkommen und erzählen müsse, wie es im Jenseits aussehe
und zugehe.
Bald darauf starb einer der vier Freunde, und saßen ferner-
hin die drei anderen beisammen. Eines Abends, als sie sich
wieder erzählten, ging plötzlich die Tür auf und der Abge-
schiedene trat ein. «rNun will ich euch sagen, wie es dort
zugeht: Wenig Worte und ein strenges Gericht!» Und rasch
verschwand er. Voller Angst gingen die drei Maibrüder aus-
einander.
Mitgeteilt von Lehrer Wickersheimer zu Waldhambach.
109.*Die Wunderkohlen.
Es war in alter Zeit, als man noch nichts von Streich-
hölzern wußte und es oft recht mühsam war, Feuer anzuzünden.
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— 107 —
Da sah wohl die Hausfrau am frühen Morgen zunächst über
die Nachbarhäuser hin. Und wo ein Kamin rauchte, kam sie
mit dem «Scherme» (Scherben) und holte sich Kohlen zum
Anfachen ihres Hausfeuers.
Einmal wollte eine Frau sich auch Kohlen holen. Da sah
sie ihren Garten hinauf und erblickte auf der Erde glimmende
Kohlen und dachte, sie kämen von einem Weidfeuer her. Als
sie hin kam, war kein Mensch dabei. Sie nahm davon und
trug sie heim. Aber das Feuer kam nicht zum Brennen.
Und so ging sie ein zweites Mal hinauf in den Garten, um
Kohlen zu holen. Diesmal war ein schwarzer Mann dabei, der
ihr sagte : «Nehmt jetzt noch einmal Kohlen, soviel ihr braucht ;
kommt aber nicht wieder.»
Auch jetzt wollte das Feuer auf dem Herde nicht brennen.
Da stieß die Frau den Fluch aus : Wenn dich nur der Teufel
hätte! Sofort gab es ein heftiges Gepolter, und alle Kohlen
waren verschwunden. Aber als sie genauer zusah, lag ein nagel-
neues Goldstuck an ihrem Platze. Die gute Frau wollte jetzt
noch einmal nach dem Kohlenfeuer im Garten sehen, fand aber
keine Spur mehr davon.
Mitgeteilt von Lehrer Wickersheimer zu Waldhambach.
110. Der Reiter vom Mtihlberg.
Vor vielen Jahren diente ein Hambacher Mädchen in
der Neumühle. Es war gehalten, den Schweinen noch abends
recht spät gegen 11 Uhr das Mastfutter zu bringen. Die
Schweineställe lagen hinter dem Hause am Mühlberg, daß
man von dort über den Hügel hinblicken konnte.
Eines Abends bemerkte das Mädchen einen Reiter, der
verkehrt auf dem Pferde saß, rasch querfeldein über den Mühl-
berg ritt und im nahen Grünewald verschwand. Zitternd kam
es ins Haus und erzählte der «Bas» (Hausfrau), was es eben
bemerkt hatte. Die Hausfrau aber sagte: «Den Reiter hab ich
schon oft gesehen. Laß du den nur reiten !»
Von da an brachte das Mädchen den Schweinen das Mast-
futter gleich mit der Abendtränke. Und wenn die Hausfrau in
der Stube ihm spät sagte : «Geh und bring den Schweinen das
Futter!» so ging das Mädchen in die Küche und hielt sich
dort eine gute Weile auf. Aber zu den Schweineställen wäre es
nicht mehr gegangen.
Mitgeteilt von Lehrer Wickersheimer zu Waldhambach.
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— 108 —
111. Das Räuberhaus im Grünewald.
Vor mehr als hundert Jahren stand im Grünewald bei
Dieme ringen ein Haus, in dem sich Räuber aufhielten.
Eines Tages kam einer dieser Gesellen zu einer Frau nach
Diemeringen und verlangte von ihr, sie sollte mitgehen und
im Walde ein Mahl zubereiten. Die Frau wollte anfangs
nicht ; denn der Wald war verrufen, und sie fürchtete sich
vor dem Manne. Auch hatte er ihr strengstens verboten, zu
reden von allem, was sie sehen oder hören würde. Endlich ließ
sich die Frau durch Drohungen einschüchtern und ging mit.
Im Walde angekommen, bereitete sie ein Essen für 30 Per-
sonen. Als die Nacht hereinbrach, kamen wilde Gesellen und
zechten die ganze Nacht hindurch. Am frühen Morgen wurde
die Frau in das Dorf zurückgebracht, nachdem man ihr noch-
mals die strengste Verschwiegenheit auferlegt hatte. Erst als
die Räuber die Gegend verlassen hatten und ihr Haus zerfallen
war, erzählte die Frau das Geheimnis ihren Angehörigen.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheini, früher zu Diemeringen.
112. Die Glucke und der verborgene Schatz.
In der Nähe des Gemeindewaldes von Diemeriugen
liegt die Nachlweide. Dort erschien in früheren Zeiten an dem-
selben Platz jeden Abend eine Gluckhenne mit ihren Küchlein.
An dieser Stelle soll ein Schatz vergraben sein. Jedesmal wenn
die Glucke hinkam, hörte man lautes Kettengerassel. Wer zu
dieser Zeit den Ort betrat, mußte das Leben lassen.
Um den Schatz heben zu können, schmiedeten einige
Diemeringer den folgenden Plan. Wenn die Glucke erschien,
wollten sie einen Kreis um sie bilden. Da es aber niemand
wagte, in die Mitte dieses Kreises zu treten, überredete ein
Bauer seinen Knecht dazu und versprach ihm eine große Be-
lohnung. Der Knecht willigte ein, da er von den schreck-
lichen Folgen noch nichts gehört halte und man sie ihm ab-
sichtlich verschwieg.
Um die bestimmte Zeit kam die Glucke mit ihren Jungen.
Man bildete einen Kreis um sie, und der Knecht stellte sich in
die Mitte. Da hörte man plötzlich ein donnerähnliches Getöse.
Die Erde öflnete sich und verschlang den Knecht. Die andern
aber liefen mit großem Geschrei davon. Der Schatz ist heute
noch dort vergraben.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeriogen.
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109 -
113. Die verzauberten Aepfel.
Eine Frau von Diemeringen ging einmal durch die
Hintergasse. Hier traf sie ein Kind an und fragte es, ob es
auch Aepfel essen möchte. Als das Kind ja sagte, schenkte
sie ihm zehn schöne, rotbackige Aepfel. Das Kind legte sie
in seine Schürze und ging nach Hause. Als es dort die Aepfel
heraus nehmen wollte, waren es lauter junge Kätzchen.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeriugen.
114. Das Dorftier von Diemeringen.
In Diemeringen erscheint in der Hegel einmal im
Jahre ein Hund mit langen, schwarzen Haaren und herab-
hängenden Ohren. Die Leute nennen ihn das Dorftier. Wenn
dieses Tier in einem Jahre zehnmal kommt, so gibt es Krieg.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen.
115. Die ertrunkene Grafentochter.
Im Banne von Dieme ringen befindet sich ein tiefer
Brunnen. Nach der Sage ist in ihm eine Grafentochter er-
trunken. Sie war in einen jungen Mann verliebt. Aber der
Vater wollte nicht in die Heirat einwilligen. Da stürzte sie
sich mit ihrem Geliebten in den Brunnen. Als man die beiden
Leichen herauf holen wollte, fand man im Brunnen keinen
Grund.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheini, früher zu Diemeringen.
116. Der Teufel mit dem Buch.
Einmal gingen mehrere Männer von Diemeringen nach
Weislingen. Sie mußten durch einen Wald, in dem sich der
Teufel aufhalten sollte. Als sie davon redeten, sagte einer:
«Es gibt gar keinen Teufel, sonst wäre er schon gekommen.)»
In diesem Augenblick stand der Teufel vor ihm und hatte ein
dickes Buch bei sich. Als die andern ihn sahen, erschraken
sie und liefen eiligst davon. Nur der eine blieb zurück, der
an keinen Teufel glaubte. Der Teufel hielt ihm das Buch hin
und sprach: «Schreibe deinen Namen in dieses Buch!» Da be-
kam auch der Mann Angst und schrieb: «Ich schreibe in Gottes
Namen . . . .* Plötzlich verschwand der Teufel. Der Mann
aber kam erst nach drei Tagen abgemattet nach Diemeringen
zurück.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen.
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110 —
117. Das kristallene Schloß.
Am Salzwasser bei Diemeringen stand früher ein
kristallenes Schloß. Darin wohnten fromme Schwestern, die
mit keinem Manne reden durften. Auch war ihnen das Hei-
raten verboten. Nun lernte eine von ihnen einen jungen Mann
kennen und verliebte sich in ihn. Da sie einander nicht hei-
raten durften, aber auch nicht voneinander lassen wollten,
stürzten sich beide fest umschlungen in ein tiefes Loch am
Salzwasser. Sie schwammen dreihundert Meter unter der Erde
bis in einen Brunnen an der Hauptstraße. Dieser warf sie tot
ans Land. Von nun war das Wasser des Brunnens untrinkbar,
und er wurde zugeworfen.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen.
118. Der Galgeirhübel bei Mackweiler.
Westlich von Mackweiler standen früher an der Bann-
grenze zwischen Mackweiler und Diemeringen drei große Birn-
bäume. Der letzte wurde noch nicht lange beim Erweitern der
Straße gefällt. An diesen Bäumen hängte man in der alten Zeit
die Räuber und Mörder auf. Die zwei letzten, die hier ihr
Leben lassen mußten, waren ein Zigeunerpaar, das einen Mord
begangen hatte. Heute noch nennt man den Platz den Galgen
und den ganzen Hügel den Galgenhübel.
Hier ist es in der Nacht nicht geheuer. Es erscheint da
manchmal eine schwere, schwarze Gestalt, springt den Vorüber-
gehenden auf den Rücken und läßt sich von ihnen bis nach
Mackweiler tragen. Das geschah einem Maurer von Mackweiler,
der vor zwanzig Jahren in Lorenzen arbeitete und spät nach
Hause ging. Er konnte unter der schweren Last nur mit großer
Mühe vorwärts kommen. Bald darauf wurde er von dem
Schrecken krank und starb nach einigen Tagen.
Mitgeteilt von Lehrerin Jakob zu Mackweiler und von Lehrer
Aron zu Lorenzen.
119. Der Hexentanz am Mackweiler Galgen.
Einst ging ein Musikant mit seiner Geige spät in der Nacht
von einer Kirchweih nach Hause. Sein Weg führte ihn an dem
Mack weiler Galgen vorbei. Da kam ein schön gekleideter Herr
zu ihm und fragte ihn, ob er zum Tanz aufspielen wolle, es
sollte ihm reichlich mit Gold gelohnt werden. Der Musikant
willigte ein und ging mit dem Herrn. Nach einer Weile kamen sie
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— III —
an einen schönen Platz, wo viele Damen und Herren warteten.
Nun spielte er auf, und es wurde getanzt. Zwischen den Tänzen
trank man guten Wein aus goldenen Bechern. Zur Belohnung
schenkte jedes Tänzerpaar dem Musikanten ein großes blinkendes
Goldstück.
Als es anßng zu dämmern, brachten sie ihm ein großes
Buch, in das er unterschreiben sollte. Er schrieb den Spruch
hinein: «Das Blut Jesu Christi, macht uns rein von allen
Sünden.» Kaum hatte er fertig geschrieben, so war alles ver-
schwunden. £Und er saß allein unter dem Galgen. Die Becher
waren Pferde- und Kuhklauen, die Goldstücke in seiner Tasche
Pferdemist. Das große Buch aber lag noch neben ihm.
Kr nahm es mit und brachte es den Richtern von Dieme-
riogen. In dem Buche standen die Namen aller derer, die bei
dem Tanze gewesen waren. Auf Befehl der Richter sollten sie nun
alle verbrannt werden. Schon hatte man damit angefangen.
Da fand es sich, daß auch die Frau des Amtsrichters dabei
gewesen war. Als nun die Reihe an sie kam, hörte man mit
dem Verbrennen auf.
Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Olwisheim, früher zu Künsdorf.
120. Die weiße Jungfrau bei Mackweiler.
Am Ostende von Mackweiler liegen auf einem Hügel
die Grundmauern einer römischen Villa mit erhaltenem Bade.
In mondhellen Nächten sieht man hier eine wunderbar schöne
Jungfrau umherwandeln. Ihr goldiges Haar ist aufgelöst und
umhüllt ihre ganze Gestalt. Dreimal geht sie gewöhnlich um
das alle Gemäuer, setzt sich dann auf die Trümmer und singt
traurige, klagende Weisen. Wer diesem Gesang lauscht, bleibt
bis zum andern Morgen wie gebannt auf dem Platze stehen.
Mitgeteilt von Lehrerin Jakob zu Mackweile*.
121. Der unterirdische Gang in Mackweiler.
Von der römischen Villa in Mackweiler soll ein unter-
irdischer Gang bis zur evangelischen Kirche führen. Bei einem
früheren Umbau der Kirche konnte man deutlich die Spuren
einer Doppel mauei- sehen. Dieser Gang war in Zeiten der
Gefahr wohl eine Zufluchtsstätte für die Bewohner der Villa.
Nach dem Glauben der Bevölkerung hört man am Vorabend
eines Krieges oder einer andern geschichtlichen Begebenheit
ein lautes Jagen und Laufen in dem unterirdischen Gange.
Mitgeteilt von Lehrerin Jakob zu Mackw eiler.
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122. Das weiße Pferd am Totenberg.
Am Totenberg* bei Mackweiler wurde früher jede Nacht
um die zwölfte Stunde ein weißes Pferd gesehen, das im Gros
weidete. Einmal wollten Leute das Tier genauer betrachten
und machten daher das Fenster auf. Da lachte der Schimmel
dreimal und verschwand. Von dieser Zeit an wurde er nicht
mehr gesehen.
Mitgeteilt von Lehrerin Bader zu Diemeringen.
123. Die weiße Frau beim Totenberg.
Einst wollten drei Männer beim Mondschein von Dieme-
ringen nach Betlweiler fahren. Bei dem Totenberg ging ein
Rad aus dem Wagen. Sie stiegen ab, holten das Rad und
fügten es wieder an den Wagen. Sie fuhren nun rascher,
aber das Rad ging noch öfter aus dem Wagen. Da drohte einer
und sagte: «Wenn ich den nur hätte, der uns das macht!»
In diesem Augenblick lief eine weiße Frau in den Wald und
lachte. Jetzt blieb das Rad nicht mehr am Wagen und sie
fuhren mit drei Rädern nach Hause zurück.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
124. Der Mann mit dem Licht.
a) Eine Frau von Drulingen ging nachts nach Rexingen
Da begegnete ihr im Walde ein Mann, welcher sie fragte,
wohin sie denn wolle. Als sie es sagte, lachte er höhnisch und
bemerkte: «Da habt ihr euch aber gut verirrt; kommt, ich will
euch leuchten.» Er ging mit seinem Lichte voraus, und die
Frau folgte ihm. Aber sie wurde von dem hellen Schein so
verblendet, daß sie bald nichts mehr unterscheiden konnte.
Nun verschwand der Mann. Erst nach drei Tagen konnte die
Frau wieder ihre Augen gebrauchen. Als sie sich umsah, be-
fand sie sich mitten im Walde.
Mitgeteilt von Lehrerin Forrler, früher zu Drulingen.
b) Früh morgens, ehe es Tag war, ging ein Mann von R e-
x i n g e n nach Pfalzburg. Als er in den Bann von Ottweiler
kam, sah er ein Licht, das sich ihm näherte. Plötzlich stand
vor dem Wanderer ein Mann von übermenschlicher Größe und
' Der Name des Berges kommt wahrscheinlich von den keltischen
Gräbern her, die man auf dem bewaldeten Berge findet.
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— 113
halte eine Sense auf dem Kücken. Der Rexinger stützte sich
vor Angst auf seinen Stock und fragte die Riesengestalt, was
das für ein Licht wäre. Dieser gab ihm harsch zur Antwort :
«Das sieht man öfters da.» Nun ging das Licht dreimal um
den Mann herum und verschwand dann mit der Riesengestalt.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen.
c) Wo von der Landstraße Saarunion-Drulingen der Weg nach
Thal abzweigt, steht ein Straßenwärterhäuschen. Hier soll es
nicht geheuer sein. So ging einst ein Mann, der in Saarunion
auf dem Markte war, in der Nacht heim nach Berg. Als er
an die Holzmatt kam, die rechts am Wege liegt, kam er vom
Wege ah. Nachdem er einige Zeit vergeblich nach dem richtigen
Wege gesucht hatte, fing er an z # u rufen. Da stand auf ein-
mal ein Männlein vor ihm mit einem Licht in der Hand. Das
leuchtete immer vor ihm her. Ging der Mann nach rechts, so
ging auch das Männlein nach rechts; ging er nach links, so
ging es auch dahin. Nach langem Hin- und Hersuchen fand
er den Weg. Da klatschte das Männlein in die Hände, lachte
und verschwand. Der Mann soll totmüde und schweißtriefend
nach Thal gekommen sein. Leute von hier haben ihn nach
Berg bringen müssen.
Mitgeteilt von Lehrerin 3Iuller zu Reipertsweiler.
125. Der Ruf an der Teichelmattquelle.
Die Leute vpn Tha l erzählen, daß in der Nähe der Teichel-
mattquelle, die zwischen Rimsdorf und Thal auf einer Wiese
entspringt, früher eine grausame Tat begangen wurde. Der
Täler soll noch nach seinem Tode keine Ruhe und keine Rast
gefunden haben und noch jetzt in der Nacht dort umherirren.
Einst gingen zwei Männer von Rimsdorf nach Thal und kamen
an dieser Wiese vorbei. Da hörten sie ein ängstliches Rufen.
Sie vernahmen die Worte: Halber geschunden, halber geschoren,
kommst du hierher, so bist du verloren. Den Männern kam
die Geschichte ein. Sie getrauten sich nicht, dahin zu gehen,
woher die Worte kamen. Eilends verfolgten sie ihren Weg
weiter.
Mitgeteilt von Lehrerin Müller /.u Reipertsweiler.
-
126. Die zwei Hunde im Bannholz.
Ein Mann von T h ajl , der täglich nach Saarunion zur
Arbeit ging, bestellte seine Frau auf seinem' Heimwege in den
8
Digitized by^Google J
— AU -
Bannholzwald. Dort wollten sie ein Tuch voll Laub mitnehmen.
Die Frau kam frühzeitig auf den Platz, auf dem sie sich treffen
wollten. Sie setzte sich an einen Baum. Kaum hatte sie sich
niedergelassen, so saßen zwei große Hunde neben ihr und
schauten sie mit feurigen Augen an. Die Frau erschrak so sehr,
daß sie sich im Augenblick nicht rühren konnte. Endlich stand
sie leise auf und entfernte sich. Ihr Mann begegnete ihr vor
dem Walde. Sie erzählte ihm von ihrer Gesellschaft. Und
ohne Laub mitzunehmen, gingen sie nach Hause. Man erzahlt,
an jener Stelle seien schon viele Menschen ums Leben ge-
kommen, und wenn die Frau den Hunden etwas zu leide getan
hätte, hätte auch ihr letztes Stündlein geschlagen gehabt.
Mitgeteilt von Lehrerin Müller zu Reipertsweiler.
127. Der schwarze Mann.
Ein Mann ging von Bett weil er nach Durstel. Da hörte
er plötzlich jemand mit festen Schritten hinter sich hergehen.
Als er sich umwandte, sah er in einiger Entfernung eine
schwarze Gestalt. Er rief sie an, bekam aber keine Antwort.
Da ging er weiter. Die unheimliche Erscheinung folgte ihm.
Am ersten Hause in Durstel stellte sich der Mann unter den
Schuppen, um zu sehen , wer vorüber gehe ; aber es kam
niemand. Als er wieder auf die Straße trat, war die Gestalt
verschwunden.
Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bettweiler.
128. Der Bauer und die Hexe.
Ein Bauersmann von Bettweiler |fuhr mit einem zwei-
spännigen Wagen nach dem Nachbarsdorfe. Es war sehr
früh am Morgen. Da sah er am Straßenrand eine alte bucke-
lige Frau stehen. «Was machst du da, alte Hexe?» schrie
er sie an. «Dein Wagen muß, bis der Tag anbricht, hier
stehen bleiben,» antwortete sie und verschwand. Alle Mühe,
die Pferde weiter zu bringen, war vergeblich. Nun kehrte
er ins Dorf zurück, um Vorspann zu holen. Als er mit den
Pferden des Nachbars zum Wagen kam, waren seine Pferde
arn hinteren Teil desselben angespannt. Er entfernte sie \om
Wagen, bespannte ihn mit des Nachbaispferden und kehrte
nach Hause zurück. Da ging eben die Sonne auf.
Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bcttweiler.
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129. Der Jüngling und die weiße Frau am
Brunnen.
Ein Jüngling von B et t weile r ging mit dem Wasserkrug
an den Dorfbrunnen, um Trinkwasser zu schöpfen. Da erschien
ihm eine holde weibliche Gestalt und lud ihn ein, ihr zu folgen.
Sie führte ihn in einen hellerleuchteten Kleiderladen und
schenkte ihm ein hübsches Gewand. An dem Tag, an welchem
der Jüngling das Kleid anzog, fing er an zu kränkeln. Mit der
Haltbarkeit des Gewandes schwand auch seine Gesundheit. Und
in der Woche, in welcher das Kleid den ersten Riß zeigte,
starb er.
Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bettweiler.
130. Der geheilte Wilderer.
Ein armer Mann von Bettweiler, der gern wilderle,
ging einst in den Wald, um Besenreiser zu holen. Da erhob
sich vor ihm ein fliegender Hase. Schnell legte er seine Büchse
an und schoß. Indem er losdrückte, erhielt er einen Schlag
über den Rücken, daß er betäubt zur Erde fiel. Als er sich
erholt hatte, suchte er nach dem Hasen. Dieser aber war ver-
schwunden. Von nun gab er das Wildern auf.
Mitgeteilt von Lehrer Artopoeus zu Bettweiler.
131. Die feurigen Kohlen.
Einst ging ein Mann von Bettweiler in der Nacht nach
Durstel. Als er an den Seenesberg (einen Teil des Lubergs)
kam, wollte er eine Pfeife Tabak rauchen. Da bemerkte er an
einer Hecke einen Haufen glühender Kohlen. Er ging hinzu,
nahm eine und legte sie auf die Pfeife. Am andern Morgen
fand er ein Goldstück in seiner Pfeife. Da ging er in der
folgenden Nacht den nämlichen Weg und sah die Kohlen
wieder. Er bückte sich und wollte jetzt alle mitnehmen, bekam
aber eine solche Ohrfeige, daß er den Berg hinabrollle.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
132. Der weiße Mann im Rohr.
Zwischen Bettweiler und Durstel ist ein Wiesental, das
heißt Rohr. Von diesem Tal erzählen sich die Leute allerlei
Geschichten. Einst gingen zwei Männer in der Nacht von Bett-
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woiler nach Durstel. Als sie in das Kohr kamen, sahen sie
einen weißen Mann neben ihnen hergehen. Er drückte einen
Karren vor sich her, der mit Steinen heladen war. Als sie
nahe an das Dorf Dnrstel nn den Rohrberg kamen, lud er die
Steine nehen der Straße ab und verschwand.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
133. Der Rohrbrunnen.
Vor dem Dorfe Durstel, rechts von der Straße nach
Hexingen, ist ein Laufbrunnen, welcher Hohrbrunnen genannt
wird. Bei diesem soll es in der Nacht nicht ganz richtig
sein. Eines Nachts ging ein Mann von Berg, der in Durstel
war, nach Hause. Als er zum Rohrbrunnen kam, sah er viele
junge weiße Ziegen, welche über den Brunnentrog sprangen.
Als er eine fangen wollie, waren sie alle verschwunden.
Einst ging ein Mann in der Nachl von Hexingen nach
Durstel. Da er an den Rohrbrunnen kam, lief ihm ein
schwarzer Hund entgegen und sperrte seinen Rachen auf,
als ob er den Mann verschlingen wollte. Da der Mann ihm
mit seinem Stock einen Hieb geben wollte, war er verschwunden
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
134. Der habsüchtige Bauer.
Früher soll, in Durstel ein Bauersmann gelebt haben,
welcher sehr habsüchtig war. Wenn er hinausfuhr, sein Feld
zu pflügen, so riß er den Grenzstein aus der Furche und setzte
ihn in das Feld des Nachbars. Dann wurde so gepflügt, daß der
Stein wieder in der Furche war. So wurde sein Feldstück immer
größer. Nach seinem Tode mußte er zur Strafe einen großen
Stein auf dem Felde herumtragen. Er rief immer: «Wo soll
ich ihn hintragen?» Da sprach ein Mann: «Wo du ihn geholt
hast.» Da sprach er: «Jetzt gehe ich schon 300 Jahre so um-
her und bin nun endlich erlöst.)«
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
135. Der unehrliche Wirt.
Früher soll in D urstel ein Wirt gewohnt haben, welcher
immer eine weiße Zipfelmütze trug. Wenn er jemand Wein
verkaufte, so goß er zuerst eine Portion Wasser in das Glas.
Er war daher als Weinpantscher überall bekannt. Als er ge-
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slorben war, testen sie ihn in einen Sarg und setzten ihm
seine weiße Mütze auf. Am Begräbnistage, als der Sarg vor
ilem Hause stand und sich viele Leute dort versammelt hatten,
öffnete er oben ein Fenster und riet herab : «Zwei Schoppen
Wasser und zwei Schoppen Wein gibt auch ein Maß.» Noch
lange soll er in diesem Hause gehört worden sein.
Mitgeteilt von Lehrer Bach au Durstel.
136. Der ungläubige Mann.
In Durstel wohnte früher ein Mann, der an keinen Gott
glaubte. Er hatte fast immer eine Zipfelskapp auf dem Kopfe.
Als er gestorben war, bekam er seine Mütze mit ins Grab.
Nach seinem Tode mußte er zur Strafe für seinen Unglauben
mit der Mütze auf dem Kopf unter den Schuppen des Dorfes
umhergehen. Mehrere Männer aus Adamsweiler gingen einst
in der Nacht durch Durstel. Einer von ihnen sah ihn und
rief: «Seht ihr ihn dort sitzen?» Als sie unter den Schuppen
gehen wollten, verschwand der Mann und ist seitdem nicht
mehr gesehen worden.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
137. Die goldenen Nüsse.
Ein Mädchen hatte auf dem Felde bei Durstel Nüsse
gesucht und schon viele in sein Körbchen gesammelt. Da kam
ein alter Mann zu ihm und hatte ein ßetlelsäcklein anhängen.
Er sprach : «Gib mir ein paar Nüsse, daß ich meinen Hunger
ein Wenig stillen kann.» Das Mädchen gab ihm von den Nüssen,
bis es nur noch drei im Körbchen hatte. Mit diesen ging es
heim. Als es dort darnach schaute, waren sie golden.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
138. Die Kutsche im Katharinenwald.
Heute noch findet man im Katharinenwald bei Durstel
l'eberreste eines früheren Klosters. Es hieß Katharinenkloster
und hat dem Wald seinen Namen gegeben. An dem Platz
liegen viele große Sandsleine. Auf einem solchen saß einmal
ein Mann und ruhte aus. Auf einmal fuhr ihm eine Kutsche
über die Hand. Darin saß eine schöne, weißgekleidete Dame.
Zu gleicher Zeit hörte der Mann eine schöne Musik. Die
Kutsche aber hatte ihm an der Hand nicht weh getan und
verschwand gleich darauf.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
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139. Das Gespenst im Jungholz.
Wenn man von Durstel nach der Schwattermühle gehl,
kommt man an einem Wald vorbei, der das Jungholz heißt.
Wie alte Leule erzählen, erschien früher auf diesem Wege oft
ein Gespenst entweder in der Gestalt eines Hundes oder einer
Ziege oder eines andern Tieres. Wollte man das Tier fangen,
so verschwand es plötzlich. Viele behaupten, es wäre der
Teufel, der in dem Jungholz hause.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
140. Die schwarze Katze.
In der Nähe des Steinbacherhofes bei Durstel liegt ein
kleiner Wald, Hinterwald genannt. Dorthin waren eines Abends
Leute aus Durstel gefahren, um auf einem Acker Klee zu holen.
Es wurde spät, bis sie nach Hause zurückkehrten. Da lief eine
schwarze Katze mit ihnen und wollte sich immer auf ihre Füße
Selzen. Der Fuhrmann gab ihr mit seinem Fuß einen tüchtigen
Stoß, daß die Katze weit weg geschleudert wurde. Als die
Leute gleich darauf zurückschauten, lief eine Person hinter eine
Hecke und lachte.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
141. Das weiße Kind am Brückel beim
Steinbacherhof.
Zwischen Durstel und dem Steinbacherhof führt die
Straße über eine Brücke, genannt das Holter Brückel. Einst
wollten Leute in der Nacht von Lohr nach Waldhambach fahren.
Als sie an diese Brücke kamen, wurde das Pferd scheu. Sie
sahen ein kleines, schneeweißes Kind unter die Brücke laufen,
welches laut lachte. Da wollten sie ihren Hund unter die
Brücke schicken ; aber er lief fort und heulte. Sie wollten
weiter fahren; aber als sie auf die Brücke kamen, fing der
Wagen an zu krachen, und das Pferd blieb stehen, sie konnten
es nicht mehr vorwärts bringen. Da kehrten sie um, fuhren
zurück und nahmen einen andern Weg nach Hause.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
142. Der wilde Jäger.
In Adamsweiler soll früher ein Oberförster mit Namen
Entel gewohnt haben. Dieser ritt auf einem Fuchs in den Wal-
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düngen umher, die er zu hüten hatte. Nach seinem Tode wollen ihn
noch viele Leute in dem Kerbholz gesehen haben, wie er umher-
ritt. Viele wollen jetzt noch im genannten Wald seinen Jagdruf
hören und auch, wie der Fuchs mit seinen Hufen an die
Bäume schlägt.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
143. Der schwarze Hund in Adamsweiler.
Vor langer Zeit stand in Adams w eiler neben dem
Kirchhof ein Wirtshaus. In dasselbe kam eines Tages ein vor-
nehmer Reisender mit einem schwarzen Hündchen. In der
Nacht wurde der Reisende in dem Wirtshause totgeschlagen
und soll unter dem Haus begraben sein. Sein Hündchen wollte
nicht mehr aus dem Hause. Seit jener Nacht soll in dem Haus
ein Gespenst sein. Bald brach in dem W T irtshause Feuer aus.
Das Haus brannte nieder, und auch der Hund verbrannte. So,
sagte die Frau, jetzt haben wir doch einmal Ruhe vor dem
Hund und dem Gespenst. Aber der Hund läuft noch immer
in der Nacht dort um die Häuser herum, und viele Leute
wollen ihn schon gesehen haben.
Mitgeteilt von Lehrer Bach zu Durstel.
144. Der Schimmel bei Adamsweiler.
Ein Mann und eine Frau von Adamsweiler gingen
einmal des Nachts in den Wald, um Laub zu holen. Als sie
mit vollgestopften Säcken wieder auf die Straße kamen, be-
merkten sie einen Schimmel, der neben ihnen her ging und
nicht wich. Erst als der Mann seinen Sack fallen ließ, ver-
schwand der Schimmel.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen.
145. Der verschobene Grenzstein in Aßweiler.
Im Aßweiler Bann rückte ein Mann einen Grenzstein
auf seinem Felde, um dieses zu vergrößern. Er tat es in der
Nacht. Als er am andern Abend wieder hinkam, lag am Mark-
steine ein Hündchen. Es rief :
«Wau, wau, wau,
ich dich zerhau!»
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Am andern Abend war es wieder da. Als er am dritten Abend
hinkam, lag ein großer Metzgerhund dort, der zerriß ihn.
Wer später in der Nacht dort vorüberkam, verirrte sich.
Man hörte oft einen Mann rufen :
«Wo setz ich ihn hin
zu meinem Gewinn?»
Da ging einst ein Betrunkener dort vorbei. Auf jene
Frage gab er die Antwort :
«Setz ihn dahin,
wo du geholt ihn.»
Seit jener Zeit ist es ruhig an diesem Orte.
Mitgeteilt von Lehrer Aron zu Olwisheim, früher zu Rimsdorf.
146. Die Frau am alten Kirchhof.
Um die evangelische Kirche zu Aßweiler lag früher der
Kirchhof. Eine Treppe führte zu ihm hinauf. Von ihr sah
man nachts manchmal eine alte Frau mit einem Pack Schriften
kommen. Grüßte man sie, so gab sie keine Antwort. Folgte
man ihr, so bog sie schnell in ein Seitengäßlein ein und
verschwand.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler.
147. Das Dorftier von Aßweiler.
Ganz in der Nähe des Schuihauses von Aßweiler, wo
jetzt ein Pumpbrunnen steht, war früher ein Keltenbrunnen.
Zu verschiedenen Zeiten in der Nacht sahen Leute früher auf dem
Rande des Brunnens ein schwarzes Tier sitzen, so groß wie
ein Kalb. Sagten sie etwas zu ihm, so sprang es ihnen auf
den Rücken und ging nicht eher herunter — die Leute mochten
so laut schreien, wie sie wollten — bis sie einen Fluch aus-
stießen.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler.
148. Das weiße Fräulein im Schlosse.
Als früher im Schlosse von Aßweiler noch Grafen
wohnten, kam jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr
von Norden her, durch die Luft geflogen, begleitet von einem
heftigen Winde, ein weißes Fräulein auf einem Schimmel sitzend.
Es flog gleich ins Schloß. Nun fing darin ein furchtbarer Lärm
an. Nach ungefähr einer Stunde verließ es das Schloß wieder
in der nämlichen Richtung, von wo es gekommen.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler.
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149. Von der Frau zum Hasen.
An der Straße von Aßweiler nacli Drillingen liegt in der »
Nähe von Aßweiler eine sumpfige Wiese, Saueretzel genannt.
Dort sali man in früheren Jahren an» Abend spät oft eine Frau
mit einer Hacke auf der Achsel. Näherten sich ihr die Leute,
so lief sie nach der Straße, kroch in einen Dohlen und kam
auf der andern Seite in Gestalt eines Hasen zum Vorschein,
der im Felde verschwand.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler.
150. Die weiße Frau.
Einst weidete ein Mann von Aßweiler im Hinterwalde
die Herde. Da kam eine weißgekleidete Frau zu ihm und sagte:
« Morgen früh, wenn es Tagglock läutet, kommst du zu mir in
das Kirschgartchen. Du brauchst keine Hacke und keine Schaufel
mitzubringen. Du wirst genug bekommen. Wenn du nicht
kommst, so passiert dir ein Unglück » Der Mann ging am
andern Morgen nicht hin. Später ist er erfroren.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Aßweiler.
151. Die verwunschene Frau.
Im Wald zwischen Aßweiler und Drulingen erschien
früher alle Jahre eine schöne Frau. Sie saß auf einer Kiste
und sang traurige Weisen. Eines Tages begegnete ihr ein Vater
mit seinem Sohne. Die Frau sagte zu ihnen : «Ach, wenn
mich nur jemand erlösen möchte!» Da fragte der Mann, womit
sie erlöst werden könnte. Sie antwortete : «Hier sitzt eine Kröte;
wenn ihr jemand einen Kuß gibt, bin ich erlöst.» Aber niemand
wollte der Kröte einen Kuß geben. Da verschwand die Frau
und -ward nie wieder gesehen.
Mitgeteilt von Lehrer Weil zu Rosheim, früher zu Diemeringen.
152. Die Marte-Fricks-Hütte.
In der Nähe von Büst war in einer Schlucht bis vor
wenigen Jahren eine Felsenhöhle zu sehen. Das Volk nannte
sie die Marte-Fricks-Hütt. Hier soll der letzte katholische
Meyer (Bürgermeister) von Büst, Martin Frick, mit seiner
Tochter eine Zeitlang gehaust haben. Noch waren die Türangeln
am Eingang zur Höhle vorhanden. Heute ist diese aber nicht
mehr zu sehen, sondern unter dem Schutt eines Steinbruchs
l>egraben.
Mitgeteilt von Lehrer Klein zu Büst.
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153. Der Mettinger Wald.
Zwischen Mitlernacht und ein Uhr kommen aus dem
Meltinger Wald oft laut klagend und jammernd zwei über-
menschlich große Wesen, Mann und Frau, und gehen gegen
Sie weiler zu. Beide sind in weiße Mäntel gehüllt und von
einem Hunde begleite!. Sie schreiten langsam und Hand in
Hand über die Frohmatt der Schalbacher Höhe zu und ver-
schwinden endlich.
In dunkeln Herbstnächlen kommt aus dem Mettinger Wald
der wilde Jäger. Er trägt ein grünes Kleid und einen großen
Schlapphut auf dem Kopfe. Gewöhnlich ist er von zwei Hunden
begleitet. Seine Rufe «Hüdada» sind bis ins Dorf hörbar.
Mitgeteilt von Lehrer Beck zu Sieweiler.
154. Auf der Klostermatt.
Auf der Klostermatt bei Sie weiler sieht man in stillen,
mondhellen Sommernächten oft zwei weiße Frauen- Manchmal
bemerkt man dort auch eine Prozession Klosterfrauen, und
man vernimmt ihr Beten und Singen.
Mitgeteilt von Lehrer Beck zu Sieweiler.
155. Der Goldkessel.
Ein frommer Jüngling aus Wey e r weidete einmal das Vieh
auf einer dortigen Wiese. Da kam eine weiße Frau auf ihn
zu. Er aber fürchtete sich nicht; denn er hatte schon oft von
Erscheinungen gebannter Leute gehört. Die Frau sagte zu
ihm: «Guter Knabe, komm morgen wieder an diese Stelle;
du wirst dann dein Glück machen, und ich werde erlöst sein.»
Der Knabe tat, wie ihm gesagt war, und kam am andern Tage
wieder. Da sah er an der nämlichen Stelle einen großen Kessel
voll Gold. In der Aufregung rief er nun seine Kameraden
herbei. Da geschah ein furchtbarer Knall, und der Kessel
samt dem Gelde war verschwunden.
Mitgeteilt von Lehrerin Forrler. früher zu Drulingen.
156. Wilde Tiere als Irrleiter.
Zwei Mädchen gingen einmal von Weyer nach D r u 1 i n g e n.
Auf halbem Wege begegnete ihnen eine weiße Frau und fragte
sie: «Wo geht ihr hin?» Sie antworteten: «Nach Drulingen».
Da verschwand die Frau. Als die Mädchen zurückkehrten und
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wieder an die Stelle kamen, waren Rehe und andere wilde
Tiere dort versammelt. Diese führten die Mädchen irre. Sie
kamen nach Böst und Hangweiler. Erst am andern Morgen um
G Uhr gelangten sie wieder nach Hause.
Mitgeteilt von Lehrerin Forrler, früher zu Drulingen.
157. Die feurige Katze.
Von Hangweiler ging ein Mann nach Drulingen, um
einen kleinen Hund zu holen. Außen an Mettingen sah er eine
feurige Katze. Die ging um ihn herum, bis fast an Drulingen
an, wo sie verschwand. Als er auf dem Heimweg wieder an
den Platz kam, wo sie verschwunden war, versteckte sich das
Hündchen und heulte. Da bemerkte er die Katze wieder hinter
sich. Erjagte sie fort. Aber sie lief immer um ihn herum, bis
er bald zu Hause war. Als er den Hund heim gebracht hatte,
ging er wieder zurück, um zu sehen, was die feurige Katze
wäre. Nach einer kurzen Strecke wurde es ihm schlecht (un-
wohl). Er setzte sich nieder. Da saß auch die Katze vor ihm.
Plötzlich verschwand sie mit lachenartigem Geheul.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen.
158. Das Mutterschwein.
In Drulingen sagte man früher, daß es am Grenzhot
(zwischen Sieweiler und Mettingen) nicht geheuer sei. Einmal
ging des Nachts ein Mann hier vorbei. Plötzlich sah er ein
Schwein mit Jungen. Die Tiere gingen neben ihm her, bis es
12 Uhr schlug. Dann verschwanden sie.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Drulingen.
159. Der bewaffnete Ritter im Wolst.
Vor vielen Jahren kehrte ein Mann von Ey weil er spät
in der Nacht heim. Er mußte am Wolst vorbei, einem großen
Walde, der zwischen Eyweiler und der Straße liegt, die nach
Saarunion führt. Es war heller Mondenschein. Da sah er am
Waldesrande einen bewaffneten Ritter. Die ganze Rüstung glit-
zerte wie reines Gold. Der Ritter bewegte sich langsam nach
der ungefähr 10 m langen Seeb (Wasserlache) hin, die an der
Waldecke liegt und immer größer und breiter wurde. Der Mann
konnte den Ritter ganz gut sehen. Nach einer Weile hörte er
ein Gepolter. Dann war der Ritter verschwunden.
Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion.
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160. Der Mann ohne Kopf.
Eine Frau aus Myweiler ging spät in der Nacht vom
«Slüwwe* (Kunkelstube) heim. Als sie au* dem Haus heraus-
trat, sah sie auf der Straße einen kohlschwarzen Mann auf-
und abgehen. Sie meinte, es wäre der Büttel, welcher Y2 blasen
wollte, und fragte: «Bekumm ich e Kamrad?» Sie erhielt aber
keine Antwort. Der Mann ging nun der Frau voraus, blieb aber
bald stehen. Als sie wieder zu ihm kam, fragte sie zum zwei-
tenmale: < Bekum rn ich e Kamrad?» Jetzt erst sah sie, daß es
ein Mann ohne Kopf war. Da wurde er auf einmal ganz feurig
und «spützte» Feuer. Dann war er verschwunden.
Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunioo.
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161. Der weiße Vogel.
Vor langer Zeit wollte einmal ein Mann von Ey weiter
♦•inen Brunnen aufgraben. Da fand er einen Korb voll Geld.
Als er es seiner Frau zeigte, schlug ihr jemand in das Gesicht,
so daß sie in der Nacht starb. Bisher hatte man in der Nähe
des Brunnens spät am Abend immer einen weißen Vogel ge-
sehen. Als aber die Frau tot war, war der weiße Vogel ver-
schwunden.
.Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion.
162. Der Mann mit der weißen Zipfelskapp.
Vor vielen, vielen Jahren sah man des Nachts bei Ey wei-
ter in der Nähe des Weyerer Waldes auf einer Mauer oft einen
schwarzen Mann, der eine weiße «Zipfelskapp» auf dem Kopf
hatte. Ein Mann ging einmal von einem Begräbnis von Weyer
durch den Wald heim nach Eyweiler. Als er an der Mauer
vorbeikam, rief ihm der schwarze Mann zu : «Nimm mich mit
und frag' mich heim!» Er ging aber vorüber, ohne sich um
ihn zu bekümmern. Bald darauf begegnete ihm eine Kutsche,
vor die ein weißes Pferd gespannt war. Sie blieb vor ihm ste-
hen, als ob er sich hinein setzen sollte. Er tat es aber nicht.
So begegneten ihm noch 30 Kutschen nacheinander. Die letzte
war ganz feurig. Darin saß der schwarze Mann mit der weißen
Zipfelmütze.
Mitgeteilt vou Lehrer Ahl zu Saarunion.
163. Der wilde Jäger.
\or Zeiten o'\n$ einmal ein Mann aus dem Eicheltal spät
in der Nacht beim durch den Kleinwald von Eyweiler. Als
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er an die «Küpp» (Holzschlag) kam, wollte er ein Stück Holz
auf die Schulter nehmen. Da hörte er aus der Ferne des Waldes
plötzlich Hundegebell. Es kam immer näher und wurde stärker.
Auf einmal meinte der Mann die Hunde ganz in seiner Nähe
zu hören ; aber er konnte sie nicht sehen. Aus dem Innern des
Waldes vernahm er deutlich den Ruf «Hüdada, Hüdada». Dann
liefen die Hunde in den Wald zurück. Aber sie kamen immer
wieder und umschwärmten ihn, so daß er ihr Aechzen und
Schnaufen hören konnte. So ging es fort, bis er aus dem Walde
wieder auf die Straße kam.
Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion.
164. Der schwarze Mann.
Zwei Männer von Eyweiler holten einmal im Großwald
Holz und kehrten gegen Abend heim. Als sie in die Nähe des
Dorfes kamen, bemerkten sie in einem Feldweg einen großen
schwarzen Mann. Sie meinten, es wäre der «Jajer» (Förster),
und einer von ihnen ging herzhaft auf ihn zu. Als er aber in
seine Nähe kam, spie die Gestalt Feuer aus. Der zurückgeblie-
bene Kamerad rief nun : «Hans, komm schnell zurück !» Da
wich der Mutige langsam zurück. Die schwarze Gestalt war
aber verschwunden. Auch andere Leute wollen sie auf dem
nämlichen Platz schon gesehen haben.
Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion.
165. Die Gespensterkutsche.
Weit hinten im Wald von Eyweiler wurden nachts an
einem Platz oft Bäume umgehauen. Da ging der Förster ein-
mal mit vier starken Männern in den Wald, um auf die Frevler
zu passen. Sie konnten aber niemand sehen, trotzdem der Mond
hell schien. Endlich um Mitternacht hörten sie ein furchtbares
Gepolter und sahen die «Schneis» (Waldweg) eine große Kut-
sche mit zwei Rappen herunterkommen. Darin saß ein großer
schwarzer Mann mit feurigen Augen. Die Männer konnten kein
Wort reden, so sehr erschraken sie. Im Galopp sprengten die
Rappen an ihnen vorüber. Da war auf einmal nur noch die
Kutsche zu sehen. Aber der feurige Mann und die Pferde waren
verschwunden.
Eine ähnliche Kutsche sah auch einmal der Büttel (Ge-
meindediener) des Dorfes, als er um Mitternacht zwölf blasen
wollte. Sie sauste mitten im Dorf an ihm vorüber und ver-
schwand in einem Garten.
Mitgeteilt von Lehrer Ahl zu Saarunion.
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166. Das unsichtbare Gespenst.
Ein Mann ging im hohen Sommer von Esch wei ler ganz
spät am Abend heim nach Eyweiler. Als er auf die «Großwind»
kam, war es schon linsler. Da war es ihm nicht mehr möglich,
vorwärts zu kommen, er konnte sich anstrengen, wie er wollte.
Eine ganze Stunde mußte er auf Händen und Füßen liegen.
Er meinte, er wäre verhext und könnte sich nicht mehr auf-
richten. Auf einmal hörte er ein Geräusch, wie wenn ein Vogel
vorbei flog; aber sehen konnte er nicht s. In diesem Augenblick
\ermochte er sich wieder aufzurichten und ungehindert weiter
zu geben. Da schlug es in Eyweiler 12 Uhr.
Mitgeteilt von Lehrer Ahl ru Saarunion.
167. Der wilde Jäger.
Vor alten Zeiten waren die Buben von Hirschland mit
dem Vieh in der Kohlmatt nahe beim Wald auf der Weide.
Da machten sie sich ein schönes Feuer und setzten sich dar-
um. Plötzlich hörten sie etwas im Wald, wie wenn es ein Jagd-
lärm wäre. Das Geräusch kam immer näher. Und auf einmal
s;ihen sie den wilden Jäger auf einem Schimmel und mit zwei
Hunden. Dreimal ritt er durchs Feuer. Dann sahen sie nichts
mehr. Voller Angst liefen sie heim und erzählten alles.
Mitgeteilt von Lehrer Weber zu Dmlingen.
168. Das geisterhafte Pferd.
In Hirschland hütete vor vielen Jahrenein Hirt die
Säue im Eichwalde an einem Kirchweihtage. Als er gegen Abend
heimfuhr, konnte er einige nicht ünden und ließ sie im Walde
zurück. Zu Hause angelangt, schickte er seinen Sohn vom Tanze
weg hinaus, die Säue zu suchen. Unter Fluchen und Schelten
machte sich dieser aut den Weg. Unterwegs sprach er zu sich:
«Wenn ich jelzt ein Pferd hätte, würde ich bald in der Ober-
matt (einer Waldinsel) sein», in deren Nähe er die Schweine
vermutete. Als er noch eine Strecke weit und über einen
Graben gegangen war, stand da ein gesatteltes Pferd im Wege,
welches mit dem Fuße den Boden scharrte, und ein Hund saß
daneben. Da lief ihm- aber «die Katze doch den Rücken hin-
auf», wie er so dastand und die beiden Tiere betrachtete. Auf
das Pferd aber setzte er sich doch nicht. Plötzlich krachten die
Bäume im Wald und die Erlen am Graben um ihn her, als
würde alles in tausend Stücke zerschlagen. Indem er sich um-
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wandle und nach Hause zurücklief, vernahm er noch ein hölli-
sches Gelächter hinter sich her. Für diese Nacht war ihm aher
das Tanzen vergangen. Am andern Morgen war die Erscheinung
verschwunden, und die Schweine wurden wohlbehalten im
Walde zusammengetrieben.
Mitgeteilt von Lehrer Bieber zn Koßweiler, früher zu Hirschland.
169. Der Geist in der weißen Nachtweid.
Vor vielen Jahren kauften einige Bürger von Hirsch I and
die Feldgewanu «die weiße Nachtweid». Da die Kaufsumme
nach Straßburg bezahlt werden mußte, die Reise dahin aber
sehr beschwerlich war, übergaben sie das Geld einem Manne,
damit er es abliefere. Nun war aber dieser Mann ein Schelm.
Er unterschlug die ihm anvertraute Summe, machte sich einige
fröhliche Tage und kam erst wieder, als er den letzten Pfennig
ausgegeben hatte.
Bald kam aber seine Untreue an den Tag. Wohl oder übel
mußten die Käufer das Gut zum zweitenmale bezahlen. Daß sie
den Mann, der sie um so viel Geld gebracht, haßten, liegt auf
der Hand.
Jahre vergingen, und als der Ungetreue starb, war nur noch
einer der Betrogenen am Leben. Als die Nachricht durch das
Dorf ging, der Schmiedhenrich sei gestorben (so wurde nämlich
der Betrüger genannt), da fluchte ihm der Betrogene und sprach :
«Wenn er nur im Grabe keine Ruhe fände und immer in der
weißen Nachtweid gehen müßte !»
Nicht lange nachher ging ein Hirschlander, der an der
Eschweilerstraße wohnte, spät in der Nacht von Bärendorf nach
Hause. Da er dachte : «Wenn ich über das Feld gehe, so schneide
ich den Bogen durch das Dorf ab und bin eher daheim», ver-
ließ er bei den Reben die Straße und ging quer über die Aecker.
So kam er auch an der weißen Nachtweid durch. Plötzlich
stand der Schmiedhenrich vor ihm, angetan in seiner alten
Tracht: weiße Joppe, Kniehosen, Schnallenschuhe, auf dem Kopf
den Nebelspalter. Drohend rief er dem Wanderer zu : «Tret*
aus meinen Fußstapfen weg !» Da der Angeredete sich vor
Schrecken nicht rührte, erhielt er eine so heftige Ohrfeige, daß
er zurücktaumelte und einige Zeit ohnmächtig liegen blieb. Voll
Angst und Schrecken kam er heim und wurde schwer krank.
Im Fieber hörte er immer den Schmiedhenrich rufen : «Tret*
aus meinen Fußstapfen weg !»
Seither ist der Geist noch einigemal in der weißen Nacht-
weid gesehen worden. Daher wagt es niemand mehr, den Ort
zur Nachtzeit zu betreten.
Mitgeteilt von Lehrer Leininger zu Hirschland.
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170. Der Schimmel in der Glintsch.
Einst ging ein Hirschlander Musikant von der R a u w e i I e r
Kirl) in der Nacht heim. Da sah er nicht weit vom Wege in
der Gewann Glintsch einen Schimmel weiden. Kaum hatte das
Pferd den späten Wanderer erblickt, so trabte es eilig auf ihn
zu und stellte sich so vor ihn hin, als wollte es ihn zum Auf-
sitzen auffordern. Dem Mann stiegen die Haare zu Berg. Schnell
wollte er um das Pferd herumgehen und seinen Weg fortsetzen.
Wohin er sich aber wandte, immer stand das Pferd vor ihm.
In seiner Angst fing der Musikant an zu beten. Da verschwand
der Schimmel. Seitdem haben schon viele Leute von Rauweiler
und Hirschland das Pferd des Nachts um 12 I hr gesehen.
Mitgeteilt von Lehrer Leininger zu Hirschland.
171. Das Dorftier als Brunnen Wächter.
In Rau weiler gab es bis in die Mitte des 19. Jahrhun-
derts nur wenige Brunnen. Es waren meistens Zieh- oder Ketten-
brunnen mit zwei Eimern. Erst in neuerer Zeit wurden Pump-
brunnen hergestellt. Trotzdem tritt in trockenen Herbsten öfters
Wassermangel in dem hochgelegenen Dorf ein. Früher muß
das bei der geringen Anzahl von Brunnen viel häufiger gewesen
sein.
Um diesen Wassermangel nicht zu vergrößern, soll sich
früher von zehn Uhr abends bis zum Tagesanbruch neben dem
Brunnengehäuse ein Ungeheuer, das Dorftier, gelagert haben.
Wer sich in dieser Zeit dem Brunnen näherte, um Wasser zu
schöpfen, erhielt von dem Tier derbe Schläge ans Bein, bis er
sich entfernte Wenn der Tag graule, verschwand das Dorftier.
Dann konnte jedermann ungestört Wasser holen.
Mitir« teilt von Lehrer Kohler zu Bürbach.
172. Der Förster Barthel.
Zwischen Bä r e n d o r f und Finstingen lag früher der Spo-
renwald. Der Förster Barthel hatte ihn zu bewachen. Dieser
war gegen die armen Holzsammler sehr streng und brachte
manchen von ihnen in das Gefängnis. Darum freuten sich alle,
als er starb.
Aber der Barthel blieb auch nach seinem Tode noch Hüter
des Waldes. Auf einem stolzen Schimmel ritt er in seinem
Revier umher. Ihm folgten zwei weiße Hunde, die er oft durch
«Hudada, Hudada» zu sich heran rief. Von Bärendorf sah man
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in mancher Nacht ein großes, helles Licht da und dort im
Walde aufblitzen, das Barthel auf seinen nächtlichen Ritten bei
sich hatte. Wenn die Bärendorfer abends spät von Finstingen
heim gingen, begegnete ihnen Barthel sehr oft und wünschte
ihnen einen guten Abend. Die Fuhrleute, die mit Salz von Saar-
alben nach Straßburg fuhren, sahen ihn häufig in den Sand-
gruben bei Rommelüngen umherreiten.
Ein Mann aus Helleringen wollte einmal im Sporenwald
trotz des bestehenden Verbotes seine Pfeife anzünden, bekam
aber dabei eine derbe Ohrfeige. Gleichzeitig hörte er in der
Nähe des Bartheis «Hudada». Und als er nach diesem umschaute,
sah er ihn auf seinem Schimmel zwischen den Baumen des
Waldes verschwinden.
Mitgeteilt von Lehrer Lazarus zu Weyersheim, fiüher /.u
Bärendorf.
173. Bas Herdenmännel in der Sulzermatt.
Die Wolfskircher trieben früher ihre Pferde auf die
Nachtweide. So hielt einmal ein Pferdehüter drunten in der
Sulzmatt mit zwei Pferden. Diese wurden plötzlich ungeduldig
und wollten davon laufen. Er konnte sie nur mit Mühe halten.
Da stieg auf einmal ein kleines Männlein aus der Isch auf.
Das sprach zu dem Bauer : «Ich will dir helfen deine Pferde
hüten 1» Er war es zufrieden. Das Männlein sprang nun jedem
Pferd an den Hals und würgte beide zu Tode. Dann verschwand
es wieder, so schnell wie es gekommen war, in den Wassern
der Isch. Voll Grausen lief der Hüter davon.
Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen.
174. Die weiße Frau auf dem Schimmel.
Am Adelsbrunnen, der am Wege von Postdorf nach Wol fs-
kirchen sich befindet, stand früher ein Schloß. Daher wird
die Gewann der Grafenhof genannt. Von ihm führte ein Weg,
der Herrenweg, der heute angebaut wird, talabwärts um den
Hügel herum, auf dem Wolfskirchen liegt.
Einst fuhren die Herren vom Grafenhof um Mitternacht
diesen Weg in einer Kutsche. Auf der Brücke, welche über den
Burbach führt, kam ihnen eine kleine weiße Frau auf einem
Schimmel entgegengeritten. Statt ihnen auszuweichen, ritt die
weiße Frau in die Kutsche hinein, so daß sie umfiel. Mit Mühe
konnten die Herren vom Grafenhof sich erheben und weiter
fahren. Von der weißen Frau und ihrem Schimmel sahen sie
nichts mehr.
Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen.
9
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130 —
175. Der Name Wolfskirchen.
Da, wo sich heute die Kirche von Wolfskirchen er-
hebt, stand früher ein großes Gebüsch. Darin lag einmal eine
Wölfin mit ihren Jungen. Die Anwohner verjagten Wölfin und
Junge und bauten eine Kirche dahin. Daher bekam sie den
Namen Wolfskirche, bei der Wolfskirchen.
Von andern Leuten wird erzählt, in der früheren kleinen
Kirche, die vor 1789 an der Stelle der jetzigen stand, hätte eine
Wölfin einmal Junge geworfen.
Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen.
176. Der Hühnerhühl bei Wolfskirche n.
-
Am Weg von Wolfskirchen nach Eschweiler liegt
hart an der Banngrenze die Gewann Hühnerbühl. Davon erzählt
die Sage folgendes. Hier stand einst ein großer Bauernhof, auf
dem sehr viele Hühner gehalten wurden. Der einsame Besitzer
des Hofes bemerkte eines Tages, daß ihm mehrere Hühner
fehlten und daß ihre Zahl von Tag zu Tag abnahm. Darum
beschloß er aufzupassen, wer der Räuber seiner Hühner sei.
Mit einem großen Bengel begab er sich in der Nacht in
den Hühnerstall auf die Lauer. Da kam ein Wolf herbeigeschli-
chen und wollte schon das schönste Huhn ergreifen. Der Bauer
aber holte zum Schlage aus. Doch der Wolf wich behende aus
und sprang ihm an die Kehle. Unter den wütenden Bissen des
Tieres mußte der Mann sein Leben lassen.
Still und eingeschüchtert kamen am andern Morgen die
Hühner aus ihrem Stalle, als trauerten sie über ihren toten
Herrn und Beschützer. Traurig scharrten sie unter ihm ein
Loch in die Erde und bedeckten den Leichnam mit einem Hügel
oder Bühl. Er heißt bis heute der Hühnerbühl.
Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen.
177. Das gesattelte Pferd am Winelsbrunnen.
Ein Mann von Wolfsk irchen ging einmal nach Pisdorf
zu. Er war sehr müde und wünschte sich ein Pferd. Als er so
darüber nachdachte und am Winelsbrunnen vorbei ging, kam
ihm ein gesatteltes Pferd entgegen und blieb vor ihm stehen.
Er setzte sich darauf. Da lief es mit ihm in die Saar, warf ihn
ab in das Wasser und sprang dann an das Ufer. Der Mann
hörte es noch mit den Händen klatschen.
Mitgeteilt von Lehrer Kochersperger, früher zu Wolfskirchen.
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— 131 -
178. Die Hansjörgenmühle.
Vor vielen Jahren kam am helllichten Tag ein fremder
Mann mit einem brennenden Kienspan an die Otterbach) einem
Nebenflüßchen der Saar, das die Gemarkung des unterelsässi-
schen Dorfes Diedendorf von der des lothringischen Dorfes
Niederstinzel trennt. Hier baute er sich eine Mühle. Er nannte
sich Hansjörg, und seine Mühle hieß die Hansjörgenmühle.
Lange lebte er als einsamer Müller an dem Wässerlein, bis das
Anwesen in einer Nacht verbrannte.
Von dieser Zeit an hat man den Bewohner der Mühle nie
mehr gesehen. Aber nachher bewegte sich allnächtlich vom ver-
fallenen Gemäuer aus ein Licht in östlicher Richtung den Berg-
kegel hinauf, auf dem Diedendorf liegt, ging quer über die
Dorfstraße und verschwand jenseits des Dorfes im Reckerswald.
Mitgeteilt von Lehrer Brohm zu Diedendorf.
179. Die versenkten Glocken und der
feurige Mann.
Im Westen von B Urbach liegt die Allmend Rothecke,
ein mit Steingeröll bedeckter und mit Gebüsch bewachsener
Bergabhang. Hier sollen in einem tiefen Brunnen zwei Glocken
versenkt sein aus der Zeit, da das Dorf viel größer war, ehe
es in einem Kriege zerstört wurde.
Unterhalb der Rothecke liegt eine sumpfige Wiese. Auf
ihr ging früher in den Winternächten oft ein feuriger Mann.
Wer sich ihm näherte und, ohne ein Wort zu sagen, Hut oder
Mütze auf das Feuer legte und am andern Morgen unangeredet
an die Stelle ging, der fand dort viel Geld. Wer aber den feu-
rigen Mann anredete, erhielt eine heftige Ohrfeige, daß ihm
Hören und Sehen verging. Aber Geld fand er am andern Mor-
gen keins.
Mitgeteilt von Lehrer Kohler zu Burbach.
180. Das verhexte Ferkel.
Ein alter Weber, der außerhalb des Dorfes P i s d o r f
wohnte, ging einmal in einer mondhellen Nacht um 2 Uhr in
das Dorf, um Hanf zu hecheln. Als er an dem Kirchhof vor-
bei kam, lief ein kleines Ferkel über die Straße. Da er glaubte,
es sei jemand aus dem Stall entkommen, lief er ihm nach, um
es zu fangen. Er konnle es nicht erhaschen, mußte ihm aber
immer wieder nachlaufen. So verfolgte er es vier Stunden lang.
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Als der erste Schlag der Morgenglocke ertönte, griff er noch
einmal nach ihm. Da hatte er einen Pferdemist in der Hand.
Das Ferkel aber war spurlos verschwunden.
Mitgeteilt von Lehrer Geyer zu Pisdorf.
181. Der Schimmel an der Burbacher Lach.
Im Jahre 1711 ging ein Mann mitten in der Nacht von
Wolfskirchen nach Bockenheim (Saarunion) und kam zwischen
Pisdorf und Wolfskirchen an der Burbacher Lacli vorbei. Da er
sehr müde war, dachte er : W T enn ich nur reiten oder fahren
könnte ! Als er so dachte, hörte er etwas hinter sich traben.
Er schaute um sich und sah einen Schimmel mit einem Sattel
auf sich. Dieser kam vertrauensvoll zu ihm, und der Mann setzte
sich darauf.
Anfangs ging der Schimmel gut. Als er über die Brücke
der Burbacher Lach ritt, fing das Pferd plötzlich an zu galop-
pieren und lief der Saar zu. Beim Sandplatz, der sich an der
Saar befand, warf der Schimmel den Mann ab, daß er in die
Saar fiel. In dem Augenblicke hörte er ein Klatschen, als ob
ein Mensch in die Hände schlug, und der Schimmel war plötz-
lich verschwunden.
Noch von anderen Leuten ist der Schimmel an dieser Stelle
gesehen worden. Sehr oft soll von den Fuhrwerken, die in der
Nacht hier durchfuhren, die Pferde scheu gemacht haben.
Mitgeteilt von Lehrer Geyer zu Pisdorf.
182. Der Hexenplatz im Reckers Wald.
Im Bürgerwald von Pisdorf heißt der Teil, der sich bis
an die Saar erstreckt, der Beckerswald. Hier geht eine Furt
durch die Saar, die zur Römerzeit als Uebergang benutzt wurde ;
denn eine Römerstraße führte von Saaralben über Harskirchen
hier durch nach Saarburg.
Nahe an dieser Furt befindet sich im Reckerswald ein un-
gefähr 2 Ar großer Hügel, der im Volksmunde der Hexenplatz
heißt. Er ist ganz kahl. Trotzdem er schon mit verschiedenen
Baumarten angepflanzt wurde, gedeiht auf ihm kein Baum , und
kein Strauch. Sie verdorren alle. Zur Regenzeit steigt von dem
Platz ein Rauch auf, als ob dort ein Feuer wäre.
Einst sah ein Förster von dem 2 km entfernten Forsthaus
auf diesem Hexenplatz mitten in der Nacht ein großes Feuer
brennen. Als beherzter Mann hängte er seine Flinte um und
ging an die Stelle. Da sah er eine alte Frau aus einem Nach-
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bardorfe, die Holz herbeischleppte und ein lustiges Feuer unter-
hielt. Als er sie fragte, was sie hier mache, antwortete sie :
«Ich mache mir Asche zum Buchen» und verschwand plötzlich.
Mitgeteilt von Lehrer Geyer zu Pisdorf.
183. Das Licht und die Bienen.
Dem Dorf Zo Hingen gegenüber, auf der anderen Seite
der Saar, wird des Nachts oft ein Licht gesehen. Ein Zollinger
Weber wachte einmal des Nachts zwischen 44 und 42 Uhr auf
und ging ans Fenster. Da bemerkte er das Licht auch, wie es
ganz still auf einem Platze stand. Nach und nach wurde es un-
ruhig, verließ plötzlich seinen Platz und näherte sich auf großen
Umwegen dem Dorfe. Es kam an einen Bienenstand, verweilte
dort einige Zeit und ging dann wieder auf demselben Wege
nach dem früheren Platze zurück, wo es verschwand. Am an-
dern Morgen ging der Weher zu dem Eigentümer des Bienen-
hauses und verkündigte ihm, was er gesehen. Dieser antwortete,
er habe dies schon öfters bemerkt, und das Lichtlein hätte ihm
jedesmal viel Honig gebracht.
Mitgeteilt von Lehrer Stahl zu Sundhofen, früher zu Zollingen.
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VI.
Heinrich Loux (1873-1907).
Lebensumriß
von
Th. Knorr.
In der Nacht vom 49. auf den 20. Januar kurz nach
Mitternacht ist der unterelsässische Maler und Zeichner Hein-
rich Loux einem langwierigen Leiden erlegen. Sein vorzeitiger
Tod ist für die Kunst unseres Landes ein schmerzlicher Verlust,
sie ist um eine ansprechende Künstlerpersönlichkeit ärmer ge-
worden. Die Wärme der Empfindung, mit der er alles erfaß le,
was ihn anzog, um es künstlerisch zu gestalten, läßt uns er-
kennen, was er der elsässischen Kunst war und noch hätte
werden können.
Loux gehörte zu den jüngeren elsässischen Künstlern. Er
wurde am 20. Februar 1873 in Auenheim unweit Sesenheim
geboren, wo sein Vater Lehrer war. Dieser stammte aus einer
alten Lehrerfamilie in Fouday im Steintal, und war der dritte
in der Familie, der jeweils dem väterlichen Berufe gefolgt war.
Von dieser Ansäßigkeit im französischen Sprachgebiet rührt
ohne Frage auch die seltsame Schreibweise des Namens her.
Seine Jugendzeit verlebte er im elterlichen Hause, zuerst in
Auenheim und dann in Sesenheim, wohin der Vater Loux nach
wenigen Jahren versetzt wurde. Dieser wirkte in Sesenheim
27 Jahre, und für seine beiden Söhne wurde der Ort dadurch,
daß sie auch während des Besuchs des protestantischen Gym-
nasiums in Straßburg zu Hause wohnten und jeden Morgen
in die Stadt fuhren, zur Heimat. Im Gymnasium war Heinrich
J^oux von Herbst 1885 bis 1889, dann verließ er es und nahm
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an dem Unterricht des Zeichenlehrers Weissandt teil, der in
Straßburg eine gutbesuchle Abendschule unterhielt. Von 1890
ab gehörte er dann der neu gegründeten Straßburger Kunst-
gewerbeschule als Schüler an. Er galt damals für einen der
für die Zukunft aussichtsreichsten Zöglinge der Anstalt und be-
zog als solcher im Juli 1893 die Münchener Kunstakademie.
Dort arbeitete er unter verschiedenen Lehrern, vorzugsweise
auch unter Professor Nikolaus Gysis, dessen Lehrtätigkeit auch
anderen elsässischen Künstlern zugute gekommen ist.
Unter seinen Sludiengenossen schloß sich Loux arn innig-
sten an den Oberbayer A. Hudler an, der als Bildhauer nach-
mals so bedeutende Erfolge errang. Um sieben Jahre alter als
der Maler und mit der gleichen tuberkulösen Anlage mußte er
im vorigen Jahre gerade um die Zeit aus dem Leben scheiden,
als Deutschland seiner Kunst die verdiente Anerkennung ent-
gegenzubringen anfing.
Nach etwa dreijähriger Studienzeit kehrte Loux in seine
Heimat zurück und blieb zunächst wieder im Eltemhause in
Sesenheim. Gegen Ende der neunziger Jahre kam er nach
Straßburg und verblieb dort, mit Ausnahme eines Jahres, welches
er im Dienste der bekannten Fayence-Fabrik Utzschneiderund Co.
in Saargemünd zubrachte, bis zu seinem frühen Tode.
Die elsässische Kunst verliert in Heinrich Loux einen Ver-
treter, dem es frühzeitig gelungen ist, sich ein eigenes Dar-
stellungsgebiet zu schaffen. Wer der Kunst unseres Landes
nahe steht, weiß, worin seine künstlerische Persönlichkeit ihren
Ausdruck fand. Das elsässische ßauerndorf und das Bauernleben,
mit allem was dazu gehört, hatte es ihm von klein auf ange-
tan. Einmal als Gegenstand : als unverdorbene, scheinlose Ar-
chitektur, als altvaterische Hauseinrichtung, die das «Gefühl
der Sitte, der Ordnung und Zufriedenheit» atmet, dann als
naives , an die Scholle gebundenes Bauernleben mit seinen
sauern Wochen und frohen Festen. Mit dieser Neigung zum
Bauerntum ging Hand in Hand und fand seinen künstlerischen
Ausdruck der Sinn für die alte bodenständige Kultur mit ihren
ungefügen hausgewerblichen Anlagen, welche heutigen Tages
fast alle durch leistungsfähigere technische Hilfsmittel außer
Betrieb gesetzt sind. In dieser Hinsicht hat die Kunst von
H. Loux ein gewisses «antiquarisches» Interesse. Das könnte,
wenn sie weiter nichts zu bieten hätte, ein Vorwurf sein, aber
es ist keiner, da er's verstanden hat, die «Antiquität» durch
Beseelung mit warmem Leben dem Beschauer menschlich nahe
zu bringen.
Das Bauerntum ist seine Knabensehnsucht und seine Ju-
gendliebe gewesen. Er erzählte gern, wie er sich daheim in
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der dörflichen Schule inmitten der Bauernjungen beinahe ge-
drückt und hintangesetzt gefühlt habe, wenn er sie sprechen
hörte von Feldarl>eit und Ernte, von Aeckern und Wiesen.
Der Lehrersohn hatte nichts von all diesem. Er sah die Bau-
ernbuben nicht ohne ein Gefühl von Sehnsucht die Pferde zur
Schwemme reiten oder neben dem Ochsenwagen hergehen. So
beschäftigte das Bauernleben früh sein kindliches Staunen und
drängte später zu künstlerischer Ausprägung.
Seine Arbeiten tragen in Kostüm und Landschaft einen
unverfälscht elsässischen Charakter. Den Fachwerkbau des
Bauernhauses hat er wiedergegeben wie kaum ein anderer.
Doch hal>en seine Werke neben diesem örtlichen Charakter
noch eine Eigentümlichkeit, die verstehen läßt, warum er sich
auch in andere, nicht geradezu im Elsaß wurzelnde Bilder mit
der gleichen Innigkeit vertiefen konnte. Viele seiner Bilder er-
innern teils an Ludwig Richter, teils an Schwind. Nicht in
der Behandlungsweise ; wer in den neunziger Jahren in Mün-
chen studierte, dessen Grundlagen waren zu verschieden von
denjenigen jener älteren Meister, um diesen in der «Mache»
ähnlich zu sein. Doch ist seinen Arbeiten durchgehends ein
gewisser «romantischer» Zug, eine halb unbewußte Verklärung
kleinstädtischen Lebens aus der «guten allen Zeit» eigen. Für
diese Stimmung aber ist gerade das Elsaß mit seinen zahl-
reichen alten Städtchen, seinen Burgen und seinen Reben-
hügeln ein besonders geeigneter Landstrich, so daß sich der
Elsässer auch von denjenigen Bildern heimatlich berührt fühlen
darf, deren Schauplatz ebensogut sonstwo am Rhein liegen
könnte.
Anläßlich seines Todes hatte das Elsässische Kunsthaus im
Februar dieses Jahres eine Sonderausstellung von Arbeiten seiner
Hand veranstaltet. Vieles was gleich aus dem Atelier des Malers
in Privatbesitz gelangt war, kam auf diese Weise nochmals ans
Tageslicht der allgemeinen Oeflentlichkeit. 1 Die Saargemünder
Fayencerie stellte auch die zahlreichen Originale zu dem von
Loux entworfenen Tafelservice aus. Mehr vielleicht als seine
Bilder, die doch nur in vergleichsweis wenigen Händen bleiben,
werden diese Teller und Schüsseln seinen Namen im Volke le-
bendig halten. Der Gegenstand des bildlichen Schmucks dieser
Geschirre ist auch wieder das elsässische Bauerndorf. Die Dar-
stellungen sind nicht alle gleichwertig, aber es sind Stücke
darunter, die wegen ihrer Intimität zum besten gehören, was
die einheimische Kunst auf diesem Gebiete hervorgebracht hat.
1 Inzwischen erschien eine Loux- Mappe mit 30 Reproduk-
tionen in Lichtdruck; Verlag Eis. Kunsthaus, Straßburg.
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Diese Kollektivausstellung gewährte einen guten Ueberblick
über die Tätigkeit des Verstorbenen, obgleich natürlich auch
manches gute Stück aus Privatbesitz nicht zu beschaffen ge-
wesen war. Sie enthielt charakteristische Arbeiten aus den
verschiedenen Darstellungsgebieten, die er am meisten bevor-
zugte, alle nach seiner Art mit einer innerlich erlebten Stirn-
mung überstrahlt, bald heiter, bald trübe, wie es seiner nach-
denklichen Natur gerade zu Mute war, als er daran malte.
Denn so heiter und friedlich er im allgemeinen in die Welt
sah, so waren ihm auch die Stunden nachdenklichen Ernstes
vertraut genug; er war einer von den in Kunst und Leben
nicht so gar seltenen, die weit mehr gekämpft und gelitten
haben, als ihr Stolz merken ließ.
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VII.
Moscherosch
im Dienste der Stadt Straßburg 1 . 1
Von
Dr. Johannes Beinert.
Nachdem Hans Michael Moscherosch, der bekannte Sati-
riker, als Amtmann zu Finstingen (1635 -1042) 8 Jahre voller
Entbehrungen und Kriegsgefahren zugebracht hatte, zog er «als
ein ausgeplünderter Mann» nach Straßburg. Hier vollendete er
den zweiten Band seiner Gesichte, die bald ein angesehenes
und vielgelesenes Buch wurden, weil sie mit den Waffen des
Spottes und des Witzes die eingerissene Volksverderbnis be-
kämpften. Zugleich bemühte sich Moscherosch, in der Stadt
Straßburg selbst eine sichere Anstellung zu erlangen.
Vergebens versuchte er, die vorübergehende Verwendung
als schwedischer Kriegssekretär in Benfeld zu einer dauernden
zu machen. Der Kanzler Oxenstierna gab seine Bestätigung
nicht hierzu. Am 15. März 1645 wurde nun Moscherosch laut
Protokoll der XXI zum Frevelvogt oder Fiskal der Stadt Straß-
burg erwählt,» eine Woche später legte er seinen Diensteid ab.
Elf volle Jahre stand er diesem verantwortungsvollen Amte
vor und konnte jetzt viele der in seinen Strafschriften nieder-
gelegten Ansichten verwirklichen.
1 Anläßlich der Denkmalsweihe in M. Geburtsort Willstätt.
2 Vgl. über die Finstingcr Zeit L. Pariser, Beiträge zu einer
Biographie von H. M. Moscherosch, Diss. München 1891 und Schlosser,
Moscherosch und die Burg Geroldseck, in Mitteil. d. Gesch. f. Er-
haltung der gesch. Denkmäler im Elsaß, 1893.
3 E. Martin, J. M. Moscherosch, im Jahrb. d. Ges. f. lothr. Ge-
schichte etc. III. 1891, Anhang.
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Nicht viel ist über die Tätigkeit Moscheroschs in Straßbur-
gischen Diensten bekannt, und diese Zeilen können auch nur
ein weniges zu seiner Biographie in diesen Jahren beitragen.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1645 treffen wir den ehe-
maligen Finstinger Amtmann als Gesandten der Stadt am Hofe
Ludwig XIV. Zugleich hatte er eine politische Angelegenheit
der Herzogin-Witwe von Württemberg zu erledigen. Die Kriegs-
greuel ruchloser Kommandanten im Elsaß und die Quertreibe-
reien der Bischöflichen veranlaßten Straßburg, in ernsthafte
Verhandlungen mit dem Pariser Hofe zu treten und einen
sicheren Vertrauensmann zu entsenden.
Bisher waren die Anliegen der Stadt von den politischen
Anwälten Beck und Polhelm, dem Residenten der Land-
gräfin von Hessen, mitvertreten worden. Diese aber schickten
stets vielversprechende Briefe, ohne die Wünsche der Stadt
wirklich ernst zu nehmen und ließen sich für ihre Dienste
recht gut bezahlen. Besonders Beck mußte der Stadt wenig
zuverlässig erscheinen ; auf der einen Seite schmeichelte er in
Briefen mit den angenehmsten Aussichten, während er sich
andererseits über den Geiz der Slraßburger und die geringe
Bezahlung lustig machte.
Die Stadt beschloß daher, Moscherosch nach Paris zu sen-
den. Sie ließ sich aber nichtsdestoweniger von den obengenann-
ten Diplomaten Berichte über die allgemeine Lage und den Gang
der Verhandlungen Moscheroschs zustellen.
Am 9. Juli 1645 wird Moscherosch mit einer Vollmacht
an Polhelm nach Paris entsandt, in der es heißt:
«Demnach Bringer dießes unser Gantzley vertrauter . . .
Johann Michael Moscherosch von der verwittibten
Herzogin von Würlemberg milt unserer Permission an königl.
franzößischen Hof verschickt, haben wir Ihne ohne recommen-
dation an den Herrn nicht gehen, sonder zugleich mitt etwas
commission chargieren wollen . . . Als ersuchen wir Ihne mitt
sonderlichem fleiß, er wolle ihm glauben zustellen, sich auch
hinwiderumb in einem undt andern vertraulich außlassen.j* 1
Die Instruktion für Moscherosch lautete dahin :
Er soll nach seiner Ankunft in Paris bei Herrn Polhelm
vorsprechen, Komplimente im Namen der Stadt ausrichten und
beim Ueberreichen obigen Schreibens andeuten,
daß er Befehl habe «im Vertrauen zu erkündigen, was die
Bischöffliche aigenlich am königl. Hoff wider dieße Statt
gesucht quo nomine und ob es allain im nahmen des Herrn
Rheingraflen oder auch zugleich des Capitelß, wie der ßiscböflf-
1 Stadtarchiv, AA, 1094.
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*- 140 -
liehen Räthe geschehen, wie auch was dem Rheingräfl. Seere-
tari Schneider für eine resolution ertheilt worden.» 1
Falls dergleichen Ränke weiter gegen die Statt gesponnen
werden, so soll er (Moscherosch) Polhelm um Rat und gute
Gedanken fragen und in acht nehmen, was am Hof und bei
dem französischen Ministerium dagegen zu tun wäre.
Ein weiterer Klagepunkt betrifft die Kriegsführung der
französischen Heere im Elsaß. Moscherosch soll den Zustand
des Landes ausführlich schildern: wie die Kommandanten und
Kommissarien darin hausen, wie das Land durch das vergan-
gene Winterquartier von einem einzigen Regiment so übel zu-
gerichtet worden sei, wie die Befehlshaber noch die Kontribution
und den Magazinzehnten erhöhen und auf ein Unerschwingliches
herauftreiben, so daß zu befürchten sei, daß der Bauersmann
die meisten Güter entweder öd liegen lasse oder gar davon laufe.
Moscherosch sollte darüber nicht bloß bei Polhelm, sondern
auch bei dem königlichen Ministerium vorstellig werden. Er
hatte sogar den Befehl, die Kommandanten und die königlichen
Kommissarien anzuklagen und mit der Wahrheil keineswegs
zurückzuhalten.
Zuletzt sollte sich Moscherosch im Namen der Stadt gegen
die grausame Mißhandlung des Dorfes D e t t w e i 1 e r durch
französische Soldaten wenden.
Türennische Truppen hatten nämlich beim Durchmarsche
Dettweiler sehr ruiniert und verderbt. Die Leute wandten sich
an den Herzog von Enghien um Schadenersatz ; es war noch
nichts eingetroffen. Daher wollte man am königlichen Hof für
sie einkornmen, damit der verderbliche Zustand der armen
Untertanen in «consideration und Erbärmde» gezogen werde.
Als einziges Mittel gegen solche schädliche Handlungen
forderte man ein «General salvagardi» der Dorfschaften der Stadt
Straßburg und eine Befreiung von Winterquartier und Kriegs-
steuer, wie es Polhelm bereits nachgesucht hatte, aber darauf
nur eine gute Vertröstung erfolgt war.
Mit dieser Instruktion ausgestattet trat Moscherosch die
Reise nach Paris im Juli noch an. Am 5. August berichtet
Beck in einem Brief an die Stadt, daß der Gesandte noch
immer nicht angekommen sei. Der Inhalt des Briefes, der über
die ganze Angelegenheit handelt, ist folgender :
«L'envoye dont vous faictes mention dans votre derniere
(lettre) ä Monsieur de Polhelm n'est pas encore arrive. (Vergl.
Vollmacht und Brief vom 9. Juli.) L'on vous donnera advis de
lout ce qu'il se passerait par deca lors qu'il y sera venu. Pour
i Ebenda.
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ceux de l'Evesche ü ne vous faut pas (vous) mettre en peine
tandisqu'ils ne vous disent rien et que vous jouissez de la
possession.» 1 Beck tröstet weiter, daß der erste Schlag alles
brechen werde und der bischöfliche Abgesandte nichts erreichen
könne, was gegen ihren (der Stadt) Vorteil ist.
Am 18. August war Moscherosch bereits in Paris einge-
troffen und wurde jetzt von Polhelm empfangen. Beck berichtet
aber, daß Herr «Mousscheros» bei dem Besuch von nichts an-
derm als von der Angelegenheit der Herzogin von Württemberg
gesprochen habe.
Bald darauf verhandelte Moscherosch ein zweites Mal mit
Polhelm und eröffnete ihm, daß der Rat der Stadt bereit wäre,
einen Entschluß des Hofes in den laufenden Dingen herbeizu-
führen. Polhelm wurde durch Moscherosch veranlaßt, bei dem
König Ludwig selbst deswegen um Audienz nachzusuchen. Beck
berichtet dies in einem weiteren Brief vom 26. August 1645,*
indem er hinzufügt, daß der neue Gesandte zu dem Grafen
Friedrich von Württemberg sagte, daß er nur wegen den An-
gelegenheiten der Stadt Straßburg gekommen wäre, während
er doch bei Polhelm zuerst das Gegenteil behauptete. Beck
macht hiermit auf die Wahrhaftigkeit Moscheroschs einen deut-
lichen Angriff; aber der biedere Philander bediente sich hier
einer diplomatischen List, wie er sie nur zu ernsthaft in seinem
Gesicht «Hofschule» bespöttelte und verdammte.
Die politischen Verhandlungen Moscheroschs scheinen sich
sehr in die Länge gezogen zu haben, denn die ganze nächste
Zeit herrscht Schweigan über den Fortgang der Angelegenheit.
Es ist sogar zweifelhaft, ob der erhoffte Erfolg erzielt wurde.
Noch im Dezember 1645 befand sich Moscherosch in Paris,
und unterdessen scheint sich die Rivalität zwischen Beck und
ihm in offene Feindschaft verwandelt zu haben. Denn anders
wäre es nicht zu verstehen, wie Beck in einem Brief an den
Magistrat Moscherosch dadurch zu verdächtigen suchte, daß er
enthüllte, Moscherosch befände sich stets in Geldnot und hätte
von dem Sekretär und Interpret des Königs, namens Bernhard,
12 Pistolen geliehen und dafür ihm verschiedene Versprechungen
gemacht. Beck schreibt am 16. Dezember 1645 :
«Monsieur Moscherosch a emprunte de luy 12 pistoles
et je crois que pour les obtenir plus aysement, i 1 luy
a fait quelque promesse de le recommander
ä Mess. de Strasbourg.»
i A. 0.
* A. 0.
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Ende des Jahres 1645 scheint Moscherosch wieder nach
Straßburg zurückgekehrt zu sein, denn gleich im nächsten Jahre
erließ er als Fiskal der Stadt neue Polizeiverordnungen. Welchen
Eindruck Paris auf ihn bei diesem zweiten Besuch machte,
können wir uns leicht auf Grund seiner satirischen Auslalle in
den spateren Ausgaben der Gesichte denken. Glücklicherweise
ist noch ein Brief vorhanden, den er aus jener Zeit an seinen
Dichterfreund Harsdörffer in Nürnberg schrieb. Moscherosch
beginnt, indem er sich entschuldigt, daß er das Französische
gebraucht : 1
«Estant ici en cour parmy tant d'honnorables compagnies
de Francais, je croyais les desobliger, si je ne me servois aussy
. . . de leur langue, de laquelle la plupart je me traitte comme
de la meilleure viande de ma table. Gar de l'Allemande, vous
s?avez qu'elle nous sert de pain d'ordinaire» . . . Nach dieser
Einleitung kommt er auch auf die erste Sitzung bei Polhelm am
18. August zu sprechen. Er schildert sie folgendermaßen :
«La these fut battue et debattue quelque temps . . . Moy
petit ho m ine pour de grandes parolles, je me
t e n o i s c o y (ruhig) la comme le souris qui sent
le chat. L'un d'eux, nomme Paul, l'autre estait resident du
Parlement d'Angleterre ... Je faisais l'endormy de ce coste
lä, laissais aller ma cabane oü le gouvernail de mon Patron (le
Resident de Madame la Landgrave de Hesse — Polhelm) me
guidait.»
Wir sehen daraus, daß Moscherosch solche politische Un-
terhandlungen ziemlich ungewohnt und. peinlich gewesen sein
müssen, da die höfische Kurmacherei und die Redensarten niemand
mehr zuwider waren als unserm Philander. Von der Machtfülle
des Königs von Frankreich und dem Glanz des Hofes war
Moscherosch bezaubert worden. Er stimmt am Schluß des
Briefs folgende Hymne an, die den Eindruck seiner Pariser
Zeit wiedergibt :
«Mais sur tout, je me dois estimer heureux d'y avoir veu
le Roy Louys XIV, le Roy tres chrestien, ce grand Roy sans
pareil en victoires : qui fait esperer ä son peuple un monde
hors de son monde et ä son Royaume la Monarchie la plus ac-
complie et parfaite que Von scaurait voir avant le Jugement du
Monarque du ciel et de la Terre.» 2
In Straßburg angelangt, suchte Moscherosch alsbald durch
vernünftige Maßregeln der Volksverderbnis zu steuern. Die vielen
1 Abgedruckt in Centuria Epigrammatum, Frankf. 1665, S. 102.
« Die Namensform der Unterschrift ist französisiert zu «Mou-
scheroche>.
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Polizeiordnungen der folgenden Jahre sind teils Wiederholungen
früherer Verbote ; leicht erkennt man dagegen die Neuerungen
als dem Geiste des Satirikers entsprungen. Selbst wenn Mo-
scherosch nicht den eigenen Namen darunter setzte, so können
wir mit Vorbehalt doch einige bedeutsame Verordnungen für
Moscherosch vindizieren, weil er doch für die Abfassung der-
selben verantwortlich w r ar. Manche tragen außerdem den hand-
schriftlichen Hinweis : Moscherosch fecit.
Ein Mandat vom 2. September '1646 schränkt die üppigen
Hochzeitsmahle ein, wegen der «annoch gegenwertigen betrüb-
ten Kriegsläufften». Die eingeschränkten Hochzeitsfestlichkeiten
lassen überdies noch einen weiten Spielraum. Nicht mehr als
zweihundert Personen dürfen eingeladen werden ; zur Zunft-
stube darf nicht mehr in Kutschen oder gedeckten Wagen ge-
fahren werden. Die Reichen fünften oder sechsten Grades dür-
fen am ersten Festtag nur acht Tische und keine Tafeln decken,
und vier Tische am zweiten Tag. Der dritle Festtag fällt ganz
weg.
Es sollen bei Gab- und Freihochzeiten die «überflüssige und
verderbliche Traktamenten» so beschnitten werden, wie bei
unserer lieben Vorfahren Zeiten. Drei Gänge soll das Hochzeits-
mahl beibehalten, alles weitere wird bei Strafe verboten. Kon-
fekt von Zucker oder anderes kostbares Gebäck soll nicht auf-
getragen werden, dafür soll ein einfacher Nachtisch mit Tarte,
Marzipan, Kuchen und Obst gestattet sein. Wichtig ist beson-
ders die Empfehlung : «Es soll aber die Mahlzeit mit einem
Eyfferigen Gebett anfangen, und mit Ernstlicher Danksagung
zu Gott, auch einer kurzen Abdankung geendet werden I»
Tanzen und Aufspielen und alle «Winkeltänze», sowie «alle
üppige leichtfertige Spiele» werden gänzlich verboten. 1
Wir sehen daraus in welcher Weise Moscherosch für Straß-
burg segensreich wirken konnte.
Im Jahre 1650, als er die Ausgabe seiner Gesichte mit
den neuen Erfahrungen ausstattete, erließ er folgende von ihm
unterzeichnete Verordnung gegen die
«Provokation zu Duellen.»
Darin sind folgende Stellen bezeichnend :
Daß sich «Goltsvergessene, rachgierige und blutdürstige
Mannespersonen auß all zu grosser hitz und frechheit dahin
bewegen lassen, daß sie den . . . schimpft zu rechen, oder ihr
• . . müthlein zu erkühlen, einander bey vermeintlichem Ver-
lust der ehren . . . und er dem nichtigen vorwandt cavallieri-
schen Austrags vor die faust zu kämpft gefordert, dadurch auch,
1 Archiv der Stadt Straßburg: Ordnungen und Mandate 1646.
— 144
wo nicht gar umb seel und leib ; jedenocli wenigst umb Gesund-
heit . . . oftermahls gebracht haben.» Nach den vorgefallenen
traurigen «Exempla» wird das Duellieren gänzlich verboten,
denn es sei der Majestät Gottes im Himmel zuwider, räume
die Seele dem Teufel ein und greife der weltlichen Obrigkeit vor.
Der aProvokans» soll dem Fiskus mit 200 Reichstalern
hinfür verfallen sein. Auch sollen sich die «Studenten-Jungen»
und Lakaien des Degentragens gänzlich müßigen. 1
1651 wandte sich Moscherosch mit einem Dekret gegen das
nächtliche Schwärmen und «Grassieren» in den Gassen.
«Das nächtliche, unmänschliche graßieren. Jauchzen, Jählen
und Schreien in Gassen und Häusern (sei) abermahlen (trotz
der Erlasse 1645 und 1650) ganz beschwerlich eingerissen.»
Jedermann müsse des Sommers nach 10 Uhr, und Winters
nach 9 Uhr mit Licht auf der Straße gehen. Moscheroschs
neuer Zusatz wendet sich im Gegensatz zu früheren Mandaten
energisch gegen das Tabakrauchen, das er auch in der Hof-
schule S. 653 f. (1650) geißelt.
Er (Moscherosch) habe mit besonderem Mißfallen wahr-
nehmen müssen «wie das bei verwichenem leidigen
Kriegswesen dieser orten eingeführte unmäss-
ige Tabactrinken dergestalt überhand genommen, daß
nicht allein in offenen Gast-Herbergen, Wein- Bier- und Schlaflf-
häusern, die Gemache mit Rauch und gestank zu des Wurths
und der übrigen Gäste beschwerlichen ungelegenheit erfüllet,
sondern auch die Gartnersknechte, Gesinde, Gesellschaften und
andere nicht ohne grosse Gefahr mit Lundten und Pjppen aufV
die Gasse, in Häusern, auch gar in Scheuern Ställen und Bethen
umbzugehen sich frevelich gelüsten lassen.» Er befiehlt jedem
der sich in Straßburg aufhält und jedem Wirt das «Tabak-
trinken» gänzlich zu vermeiden.»
In einem Dekret verbietet er das Schlittenfahren während
des Gottesdienstes und abends (25. November 1654), 1655 er-
läßt er einen Befehl «wegen Abstellung üppigen Lebens» zur
Weihnachtszeit, weil die jungen Leute, die Frohnknechte und
Dienstboten in den Wirtshäusern zechen und sich keilen, jehlen,
schreien und raufen.
Es ist ohne Zweifel, daß ein sittenstrenger Mann wie Mo-
scherosch seines Am4es mit allem Ernste wartete und der Stadt
1 Dekret vom 9. Febr. 1650. Unterschrift Moscherosch fecit. Schon
1583, 1G09 und 1628 entstanden Verordnungen gegen die Duelle,
die aber alle jene Moscherosch eigentümlichen Zusätze nicht ent-
halten. Hof- und Staatsbibl. Darmstadt, Hs. Mandata nach Inhalt der
Polizeiordnung zu Straßburg.
2 Dekret vom 18. Brachmonat 1651 (Moscherosch fecit). Ebenda.
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— 145 -
Straßburg in jenen verderblichen Zeiten erhebliche Dienste lei-
stete, i
Deshalb hatte die Stadtverwaltung auch Grund, sich ihm
dankbar und behilflich zu erweisen.
In einer merkwürdigen und fast komischen Angelegenheit
lieh sie ihm gerne ihren Beistand.
Dem biederen, vom Kriegsgeschick so viel mitgespielten
Moscherosch waren bereits anno 1634 in Kriechingen die Möbel
auf folgende Weise abhanden gekommen. Die Kriegsnot zwang den
Amtmann des Herzogs von Croy, Moscherosch, mit seinen Möbeln,
die in drei Koffer gepackt waren, und einem Bündel Kalbsfellen
in die Stadt Metz zu fliehen. Dort ließ er seine Habseligkeiten
einige Zeit. Aber der allerchristlichste König von Frankreich
gestattete dem Baron von Courtray die Konfiskation alles Gutes,
das nach Metz« geflüchtet worden war und den Feinden des
Königs gehörte. Trotz aller Vorstellungen Moscheroschs, daß er
kein Franzosenfeind sei, gelangte er nach Jahren nicht mehr
in den Besitz der Möbel. In dieser Sache schrieb der Magistrat
an das Gouvernement zu Metz, da Moscherosch eine Person sei,
die einen Ehrennamen besitze (10.|20. Dezember 1649).
Die Stadt droht sogar, falls der Baron von Courtray sich
an den Möbeln vergreife, würde er ihr gerechten Grund geben,
sich beim französischen Hof zu beklagen. Courtray, der Kapitän
in Melz war, reagierte nicht.
Herr von Serignan, Gouverneur von Metz, erklärte sich be-
reit, den König zu bitten, Courtray eine anderweitige Belohnung
zu verschaffen, damit die Möbel ausgeliefert werden könnten.
(30. Dezember 1649.) Es nützte nichts. (Brief vom 27. fanuar
1650.) Endlich wandte sich die Stadt an den Hof in Paris.
Brienne Letellier schreibt im Namen der Königin zurück
(6. Mai 1650). Er habe gerne mit der Königin über den Brief
(der Stadt Straßburg) gesprochen und sie hätte es wohl recht
gefunden, daß Moscherosch als Bürger von Straßburg nichts
gegen den Dienst des Königs unternommen habe. Letellier sandle
sofort die notwendigsten Eilbriefe, um Moscherosch freie Hand
über das ihm geraubte Gut zu geben.
Zwei Botschaften vom 18. Mai 1650, eine an den Grafen
von Schömberg, Gouverneur und Statthalter in Metz und eine an
1 Interessant ist vor allem, daß Moscherosch hierbei mit den
Studenten und Professoren der Universität in Konflikt geriet «wegen
etlicher Teutscher Versen so er wider die Studenten
gemacht über die Kleidung». Rektor und Professoren reich-
ten am 19. Mai 1649 eine Schrift an den Rat ein mit der Beschwerde
der Studenten. Der gestrenge Fiskal wurde darauf vorgeladen. Siehe
E. Martin, a. 0., Anhang.
10
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_ 146 —
Courtray enthielten den Befehl der Königin-Redentin, unverzüg-
lich die Möbel nach ihrer langjährigen Gefangenschaft Mosche-
rosch wieder auszuliefern. 1 So half die Autorität der freien
Reichsstadt ihrem verdienstvollen Bürger aus der tragikomischen
Angelegenheit, indem sie ihm den 1634 gestohlenen Hausrat
1(550 wieder zugäuglich machte.
Moscherosch verharrte nooh eine geraume Zeit in Straß-
burgischen Diensten. Mit Beginn des Jahres 1(550, am 21.
Januar, gab er seine Stellung als Fiskal der Stadt auf, um
auf kurze Zeit in hanauische und schließlich für den Rest seines
Lebens in hessische Amtsstellung zu treten.
• Am 15. Juli trifft von Letellier ein Bericht ein, daß die be-
schlagnahmten Möbel freigegeben werden. (E. Martin a. 0., Anhang.)
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VIII.
Gedieht eines Bauern
aus Zutzendorf 1849.
Mitgeteilt von
Prof. Krug (Buchsweiler).
Ueber die Wahl des Präsidenten.
Aufgesetzt von Georg Hans von Zutzendorf.
Erster Theil. Eh man nenn und vierzig zählet,
Wird ein Präsident gewählet ;
Ein jeder soll es recht bedenken,
Wem er seine Stimm' thät schenken.
Wählt den Herrn Cavaignac,
Der unser Land errettet hat ;
Dieser tut sich ja bestreben,
Wagt für uns sein eigen Leben.
Ware er nicht aufgestanden,
Wär noch keine Ruh vorhanden.
Die Kanonen lies (sie) er knallen,
Daß die Wagges müssen fallen.
Atta Flinten ließ er krachen,
Die Wagges hat er hart geschlagen.
Unaufhörlich wird geschossen,
Und so vieles Blut vergossen.
Da die Schlacht vorüber war; isic)
Jammert ihn der Wittwen Schaar.
Deren Männer sind begraben.
Die für uns gestritten haben.
Herr Cavaignac tat seine Pflicht,
Und verließ die Wittwen nicht;
Ein jeder soll noch denken dran,
- 148 -
Was der Mann für uns gethan.
Hätt' er uns nicht treu geschworen,
Wär das ganze Land verloren.
Frankreich gehört ein weiser Mann,
Sonst werden wir wieder übel dran.
Wer die Gesetze nicht recht kennt,
Kann auch nicht werden Präsident;
Dieser soll ja seyn der Mann,
Der unser Land beglücken kann.
Regiert's sein Herr, sein lieber Gott,
So hat's mit uns auch keine Not ;
Steht ihm der liebe Gott nicht bei,
So wird sein alles Gold zu Bley.
Alles steht in Gottes Hand,
Ins Präsidenten das ganze Land.
Es ist keine Kleinigkeit,
Regent zu seyn in dieser Zeit ;
Wenn ein Land verschuldet war,
Lebt er täglich in Gefahr;
Handelt er nicht väterlich,
Hat er zu befürchten (sie) sich,
Er mag handeln wie er will,
Sitzt (sie) sein Leben auf dem Spiel.
Der, der heut Regent will seyn,
Kann und darf den Tod nicht schean,
Lieber sterben als ein Held,
Als schlecht regieren in der Welt.
ZweiterTheil Ach ihr lieben, gute (sie) Leut,
Es ist eine böse Zeit.
Wenn ein König s'Land verläßt,
Sind die Börger stets gepreßt;
Keine Lindrung ist vorhanden,
x Bis dieß alles überstanden,
Was das Land bezahlen soll,
Eher geht es uns nicht wohl.
Wer die Schulden soll bezahlen,
Der muß viel Millionen haben
Frankreich -war in gutem Stand,
Als Ludwig König ward im Land.
Dieser wird die Schuld auch haben,
Daß wir so verschuldet waren.
Dieser war wohl der reichste Mann
Und hat uns noch wenig Guts getan.
Dieser hat uns viel versprochen.
Und dennoch seinen Eid gebrochen.
Anfangs nahm er sechs Millionen,
Hat versprochen uns zu schonen ;
Steiget aber alle Jahr;
Bis das Land verschnldct war.
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— 149 —
Was derselbe haben wollt,
Hieß nur Silber oder Gold.
Wer denselben recht will kennen,
Darf ihn Landesschinder nennen.
War er nur schon lang gestorben,
Ware Frankreich nicht verdorben.
Lieber ohne König leben,
Als so viel Millionen geben.
Ach, wie macht der schlechte Mann,
Unser Land so übel dran !
Gott wird ihn nach dieser Zeit,
Richten in der Ewigkeit.
Ach wie viele arme Leut,
Schmachten auch in dieser Zeit;
Kein Verdienst ist bei den Armen,
Die Reichen tun sich nicht erbarmen.
Leben soll er ja in Ehren,
Hat Weib und Kinder zu ernähren.
Besser wird es ja auch nimmer,
Aber vielleicht noch viel schlimmer;
Kommen kann es wie es will,
So hat ein armer Manu nicht viel.
Es heißt in der ganzen Welt,
Zum Bezahlen braucht man Geld.
Was ich noch zu sagen hab :
Wählt den Herrn Cavaignac.
Ludwig der Napoleon
Ist nur des Kaisers Brudersohn.
Herr Cavaignac ist ein Mann,
Den jeder Bürger lieben kann.
ritter Theil Unsre schöne Republik
Bringt uns wieder neues Glück :
B'reiheit, Gleichheit, Brudersinn
Ist für uns der größte Gewinn.
Wenn es Gottes Wille war,
Kommt es besser übers Jahr.
Wenn wir sollen ehrlich leben,
Muß es eine Ordnung geben.
Es wird eine Wahrheit seyn,
Daß ich dieses ganz allein
Nahm aus meinem Sinn heraus,
Schre.V es ab in meinem Haus.
Dieses hab ich erst erdacht,
Letzten Freitag in der Nacht.
Sonntag Morgens schreib ich's ab,
Aas Lieb' für Herrn Cavaignac.
Wird Regent Herr Lamartine,
Könnt uns auch das Glücke blühn.
Wird Regent Napoleon,
150
Wollt ich doch er lief davon.
Kommt es nun an Ledru-Rollin,
Bin ich ihm treu und liebe ihn. '
Wenn ich nun geschrieben hab,
Wähl ich doch den Cavaignac.
Dieser ist der beste Mann.
Der unser Land beglücken kann.
Ist es nur ein rechter Mann,
Hab ich eine Freude daran.
Sey auch einer war (sie!) er scy,
Soll er seyn dem Land getreu.
Wer dem Land nicht treu will seyn,
Der soll brechen Hals und Bein.
Besser Hals und Bein gebrochen.
Als den Eid der Treu gebrochen,
Und ein ganzes Land betrogen
Wer zum Unheil lebt auf Erden.
Der soll nicht bedauert werden.
Regent bleib treu in deinem Land, 1
Alsdann erlebst du keine Schand ;
Bleibe fromm und fürchte Gott.
Darfest (sie) du nicht scheun den Tod.
Ausgefördert den 2. Dezember von mir eigenhändig:
geschrieben, Georg Hans von Zutzeudorf.
Wenn ich Fehler hab gemacht.
Möcht ich doch nicht seyn veracht,
Kanns ein andrer besser machen,
Soll er nur darüber lachen.
1 «Er bleibe treu in seinem Land» ist die gewöhnliche
Dativ Umschreibung im Elsas sischen Dialekt. Z. B. Ich
verzehl die Gschicht in mim Brueder.
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IX.
Das
Gleichnis vom verlorenen Sohn
in sechs elsässischen Mundarten.
Besorgt von
Eduard Halter.
Lauterburg in der elsässischen Pfalz.
Sisch emol ä Mann gewässt, un der hat zwee Büwe g'hat.
Do hat der jüngschl vunnen zum Vatter g'sagt : Vatter, hat'r
gesagt, geb mer mef Erbteel ; un dr Vatter hat 'sem halt gewe.
Un nit so arig lang nochher hat der jüngscht Bü alles zamme
gerammesirt un isch weit fort gange in e fremdes Land, un do
hat'r alles schnell verbambeschirt g'hat.
Als'r nord alles hat verdhü g'hat, .<o hat's in dem Land
a grossi Dheüering gewe, un'r hat ball nix meh zebeisse g'hat.
Do isch'r hl gange un hat sich bei eme Bauerschmann
verdingt un der hat'ne nausg'schickt vor d'Sau ze hiete. Do
hett'r gern sain Bauch g'fillt mit'm Saufutler wu mar als de
Saü hat ze fresse gewe ; aber kenner hat'sem gewe. Un do
isch'r in sich gange un hat g'sagt : wie viel Daglähner bei
meim Vatter henn meh Brod als se esse kenne, un ich ge do
capüt vor lauter Hunger! I will hämgah" zu meim Vatter un
will'm sage: Vatter i hab g'sindigt vorm Himmel un vor Dir.
Un i ihn jetzert nimrni wert def SütT ze heese, nem mi nor an
als def Daglähner. Un er isch häm zu gange zu seim Vatter. Der
awer hat'n schun vun weitem kumme sahne, hat Bedauerniss
mit™ kriegt, isch'm um de Hals g'falle un hat'n geschmutzt.
Der Bü, awer, hat zü'm g'sagt : Vatler i hab mi versindigt vorm
Himmel un vor Dir, i bin jetzert nimmi wert def Süh~ ze hee.se.
Awer dr Vatter sagt zu dene Knecht: bringe mer 's schenscht
152 —
Kleed un ziegen 'sem an, gewen'm e Fingerring an se f ~ Hand
un Schüh an d'Fiess ; un bringen e fettes Kalb un metzlen's,
nord wenn mer esse uu luschdig seT. Denn der do, mein Bu,
isch todt gewest un isch widder lewendig wore, er isch ver-
löre gewest un isch widder g'fünne wore. Awer dr älscht ßü
isch ufm Feld gewest, un wie'r isch häm kumme, hat'r g'hert
wie se henn g'sunge un gedanzt; un'r hat äne vun denne
Knecht gerufe un hatn g'frogt, was do war. Der hat awer
g'sagt: de! Bruder isch widder kumme, un de! Vatter hat ä
fettes Kalb gemetzelt, weilFr ne widder g'sund do hat.
No isch'r zornig wore un hat nit welle neingeh Nord
isch dr Vatter rauskumme un hat an'm gebettelt.
Er hat awer g'sagt zum Vatter : guck, Vatter, so viel Johr
dien ich D'r ün hab noch nie dein Gebott öwertrette, un Du
hasch m'r noch nie e Geessbekkel gewe, daß i hett kenne mit
meine Freind esse. Wü awer der alleweil kumme isch, der
all sein Sach durichgebrocht un verzottelt hat, hasch dü'm e
fettes Kalb gemetzelt. Er awer sagt zü'm : mach nit so viel
Gedings, dü bisch jo immer bei mer, un Alles, was i hab isch
dein. Du sollsch awer luschdig sein un Blässir hawe ; denn
seller, dei Bruder, isch todt gewest, un isch widder lewändig
wore ; er isch verlöre gewest, un isch widder g'funne wore.
E Mann het zwen Siin ghet, un dr jingscht vunnene het
züem Fadder gseit : Fadder, gimmr dänne Deil vum Güet, wo
mier züefallt ; un dr Fadder het d'Gieter gedeilt.
Un nit lang drnöch het dr jingscht Sun alles zamme-
gnumme-n-un isch furtgwandert, wit furt, in e fremds Land,
un het dert sin Güet vrdön mid luschdi Läwe.
Un wo-n-'r alles het vrdön ghet, isch in sällere Gejed e
grossi Hungersnöt össgebroche, un er het äfange Nöt ze lide.
No isch'r gange-n-un het si bime-n-Eijedimmer vun sällere
Gejed vrdunge, un dar hetne-n-uff sin Landgüet gschikkt, d'Söü
hiete. Dert het'r gern meje sine Büch midde-n-Afall fille, wo
d' Söü gfresse hänn ; awwer 's het s'em nieme gänn.
No isch'r insi gk£rt un het g'seit : Wi vill Dälener hänn
iwwerüss genüe Brod in mim Fadders Hüss ; un ich kumm
do vor Hunger um. Jez wurri mi ufT de Wäj mache-n-un zue
mim Fadder gen un sä : Fadder, i ha mi verfeit geye de Him-
Dr. Picard, Arzt, Lauterburg.
Schirrain bei Hagenau.
(Alemannische Sprachinsel.)
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- 153 -
mel un g&ye dich ; i bin nimmi wert din Sun gheisse ze were ;
nemm mi uf ass eine vun dinne Dälener. Un, uflfgebroche,-n-
isch'r züe sim Fadder gange. Wi'r noch e Platz wit drvun isch
gsinn, hetne der Fadder sene kumme,-n-isch'm üss Barmher-
zigkeit ergeye ^ange, ischem an de Hals gschlirzt un hetne
vrschmutzt.
Dr Sun het drno züem Fadder gseit : Fadder, i ha mi
vrfelt geye de Himmel un g£ye dich ; i hin nimmi wört diu
Sun gheisse ze were.
Awwer dr Fadder het züe sinne Knächt gseit : g£n glich
un hole 's beseht Kleid un zijeYm an, un schtekke-n-em e
Ring an de Finger, un gänn em Schüe, un hole-n-e g'meschts
Kalb un schlachte's, un drno welle mr esse-n-un is güet düen ;
denn do, min Sun, isch dod gsinn un 'isch widder Idwendi
worre, er isch vrlore gsinn, un 'risch widder gfunde worre.
Dr eldscht Sun, isch grad uffem Feld gsinn, un wier zeruk
un geye's Hüss kumme-n-isch, hel'r de Gsang un d'Müssi
ghört ; un'r het eine vun de Knächt grüefe un hetne gfröüt,
was dess beditt; un dr Knächt he gseit: din Brüeder isch
kumrae, un dr Fadder het e fetli Kalwe gschlacht't, wil'r'ne
gsund widder ufTgnumme het.
Awwer där isch unzefridde gsinn un het nit welle ningön ins
Hüss. Awwer dr Fadder isch rösskumme un hetne- n-in-gläde.
Er awwer het züe sim Fadder gseit : lüe do ! vili Jör
schaffi fir dich, un känni vun dinne Vorschrifte hawwi iwwer-
trätte, un nie hesch dü mier a nur a Schöf gschenkt, assimi
mid minne Frind hatt kenne luschdi mache ; awwer jez, wo
din Sun zrukkumme-n-isch, wo sin ganz Vermeje mid Lumpe-
mänschcr vrblämbelt het, schlachtsch dü'm e felti Kalwe.
Do het no dr Fadder züe-n-em gsait : Sun, dü bisch alle-
wil bi mier, un alles, was min isch, isch a din. 'Sisch awwer
doch jetz am Platz luschdi ze sinn un sich güet ze düen, wil
din Brueder dod isch gsinn un widder läwendi worre- n-isch,
wilr vrldre-n-isch gsinn un widder isch gfunde worre.
Eduard Halter aus Schirrein bei Hagenau.
« »
Geudertheim an der Zorn
(bei der alten Tribokerhaaptstadt Brumath).
As isch emol ener gewään, der hett zwdn Büeawe ghett.
Am e schöne Däöü helt dr jiengscht von denne zwön züem
Vadder jrsäijt: Vadder, gib mr dess Del von dim Sdch, wi
minn esch ; an dr Vadder hettne sin Säch gedelt.
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— 154 —
Nil lang hengenöcb het dr jiengscht Büe äles zammege-
numme an esch widd furt gezäöije in d' Fremd. Dert hett'r äles,
vvas'r heti gliett, durichgebröcht ime Lümpeläwe.
Wi äles hien esch gewään, wäs'r hett ghet, isch e-n-orri
diri Zilt kumrne in dr göönze Gäjed, so dass'm öngfange hett
hefigerli ze gehn.
Jez isch'r gange an heit si an e Burjersmann öngemöcht von
dert, wi er esch gewään, der hettne nüsgschikkt, d'Söüj hiete.
Cs Hunger hett'r gebättelt, as'r sich de Büch feile dorf
met'm Fräässe, wi d'Söüj bekomme honn; awwer nieme hett's'm
welle gen.
Uff emöl isch'r weich worre, an hett gsäit : wi viel Däöüj-
Jener hett dr Vadder, de honn Brod, so viel as se welle, an
ech ge hien fir Hunger. Ich will mi uff de Wäj mäche an
will hörn züem Vadder gehn, an will züem säuje : Vadder,
ich bin liederli gewään fir em Himmel un fir dier. Ich bin
göär nimmi wärt, as d'mi fir dinne Sön önlöüjsch. Mach mi
numme züe em von dinne Däöüjlener.
Uff dr gschtell isch'r furt un isch züe sim Vadder kumme.
Schon, wi'r noch widd ewäkk esch gewään, hettne dr
Vadder gsään, an'r helt'm leid gedön. Ar isch geläöufe an
isch'm um de Halsch ghäugl an hett'm e härzafte Schmutz gen.
Awwer dr Büe hett züem gsäijt : Vadder ich bin liederli
gewään fir'm Himmel' un fir dier ; ich bin göär nimmi wärt,
as d'mi fir dinne Son önlöüjsch.
Dödrufl hett dr Vadder züe de Knächte gsäijt : bringe
'sbescht Kläid häre an düen's'm ön, an gen'm e Fingerring an
d'Höönd, an Schüej an d'Fiess, an bringe-n-e gemäschts Kälwel
rüs an melze's. Mr welle-n-äässe an welle luschti sinn ; dann
do minnr Büe isch död gewään an isch widder läwändi worre,
är isch verlöre gewään, an mr honn e wedder gfunge. An si
honn öngfange luschti mitnand ze sin.
Awwer dr ältscht Sön isch ufTm Fäld gewään, an wi'r
nöt züem Hüs isch kumme, heltVs ghert, wi se dinne singe-
n-an jüze. Ar hett e Knächt häre gerüefe, an hett ne gfröüjt,
was do lös isch.
Der hett's'm gsäijt: dinnr Brüeder isch kumme, an dinnr
Vadder hett e gemäschts Kälwel gemetzt, as'ine gsünd widder
d'hem hett.
Do isch awwer dr öönder zorni worre an hett met Gewalt
nit welle ning gen. Uffs letscht isch dr Vadder rüsgange an
hell ne heisse kumme.
Awwer dr Sön hett önfange-n-uffzebegääre an hett züem
Vadder gsäijt : Loss mi gen ! ich hab dr jez so viel Jör haäre
gschafft an habb dr nie ze leid gelääbt, an mier hesch noch
-
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— 155 -
nit emöl e Hammelsbock gen, as i mi met minne Kamröde-
n-emöl hält kenne-n-amesiere. Jez, wi der dö komme-n-isch,
wo sin Säch mit Lümpemenscher durichgebutzt hett, hesch'm
glich e gemäschts Kalb gemetzt.
Dr Vadder awwer hett'm dödruf gsäijt : Siesch, Büe, du
bisch älewil bimr, an äles, was min isch, isch äü din. Dü
sottsch frö an zefridde sin, dann dö dinner Brüeder isch död
gewään, an isch widder lawändi worre ; ar isch verlöre gewään,
an jez isch'r widder gfunge.
Christian Schmitt, aus Geudertheim.
♦ •
Winzenheim im Kochersberg.
E Mensch het zwen Sen ghet ; an dr jihgscht, ingerne,
het züem Vöder gsäet: gimmer, Vöder, 's Däl vuen de Gieter,
wü min jjhert, an drno het'r 's Güet ingerne gedäld.
An nid lang drnöe, het dr jihgscht Sön olles zammegnumme
an isch wit iwer Läönd gezööe än dört het'r sin Güet vrdön.
An wü'r olles vrbutzt het gh£t, was sinn gwään isch, isch
e grossi diiri Zit in dess nämli Läönd kumme, än'r het öng-
fäftge Hunger ze lide.
No isch'r önegänge, än hei sich on e Burjer vuem nämliche
Läönd ghenkt, der hetne nüss uff de-n-Akker gschikkt fir
d'Söüe ze hieate.
An'r het begäärt sinne Büch *middr Oreinel ze fille, wü
d'Söü e frässe, än 'shet's em nieme gään.
No hetr insi gschläöüe, än het gsäet : wü vel Däilenner
het miner Vöder, wü Brod genüe hön, an iech schtörb vor
Hunger ; iech will mi uffmöche än züe mim Vöder ge c , än
will züem säöüe : Vöder, iech hö gsindit im Himmel an vor
dier, än iech bin, vuen jez äwäg nimmi wärt, assi din Sön
häss, möchmi als äner vuen dine Däilenner.
An'r het sich uff de Wäj gemöcht än isch züe sim Vöder
kumme.
Wü'r noch wit äwäg gewään isch, hetne dr Vöder gsään,
än'r het gejömert, än isch onne geläöfe, än isch'm uem de
Hols gfolle, an hetne vrschmutzt.
No het dr Sön züem gsäet : Vöder, iech hö gsindit im
Himmel än vor dier, iech bin vuen jez äwäg nimmi wärt,
£ssi dinner Sön häss.
Ower dr Vöder hef züe de Knächte gsäet : bringe 'sbescht
Kläd härre, än düeön's'em ön, än gään'm e Fingerring ön
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— lo6 —
d'Hönd, an Schöü« ön d'Feäss, an bringe-n-e gemescht Kälb
harre, an metzes.
Mr welle-n-ässe-n-än luschdi sinn. Dann miner Son, do,
isch düd gewään, dn'r isch widder läwändi worre, 'r isch
vrlöre gewään, an isch Widder gfutige worre.
Ower dr elscht Sön isch uffem Faid gewään, an wü'r not
ons Hüss kumme-n-isch, hel'r se singe-n-än döonse ghert ;
no hetr äne van de Knächte gerüeöfe an hetne gfröüt, wos
'sisch. Dar het'm gsäet : diner Brüeödr isch kumme, an diner
Vöder het e gemescht Kälb gemetzt wäje wi'r gsönd hääm
kumme-n-isch. No isch'r zorni worre un het nit welle ning-
gen; no isch dr Vöder erüsskumme an het-ne gebitt.
Ar helt öwer im Vöder en Antwort gään, an het züem
gsäet : siesch, wie wiel Jor äch dr diean, ön hob din Gebot
noch neea iwerdrätte, an dü heschmr noch niea e Schuufbock gään,
assi mid mine Kamröde luschdi hält kenne sinn. Jez owr, wü
diner Sön hääm kumme-n-isch, an sin Güet mid Lumbemänschle
durichgebröchl het, hesch dü'm e gemescht Kalb gemelzt.
No het'r züem gsäet: rai Sön, dü bisch allewil bi miear,
an olles, wäs min isch, isch äö din, dü sottsch owr luschdi
an güeats Müeats sin ; dänn diner Brüeoder do, isch düd ge-
wään, än isch widr läwändi worre, 'risch verlöre gewään än
isch wider gfunge worre.
M. Stieber, Mittelschuldirektor.
Colmar im Elsaß.
A Mänsch hett zwai Sen g'hett; un dr jengscht unt'r
ehna hett züam Vat'r g'säit : ge m'r mi Teil vo dä Giät'r, wo
rner ghert ; un'r hett nä 'sGüäl geteilt.
Un net lang d'rnö hett d'r jengscht alles z'sämmä gsaminl't,
un esch en ä wit's Land gäzoiä; un dert hetfr si Güeät verbutzt.
Wo-n-r all' 's-is verzehrt ghett helt, esch en sällem Land
ä grossi Dirong g'se un'r hett ägfangä z'därwä.
Un'r esch ännä gangä, on hett si äne Bery'r üss sällem
Land ghängt, dä hettne uff sine Akker g'schegt, d'Soi z'hietä.
Un'r hett b'gährt sine Büch mel Drawära z'fellä, wo d'Soi
gträssä hänn ; un niemä hett se-n-m gah.
Do hett'r en si g'schläüä, un hett g'säit : wie villi Dajlehn'r
hett mi Vat'r, die Brod en Hüffä hänn, un ich verderb em Hong'r.
I well mi of de Wäj mache un züe mim Vat'r geh un
züe-n-m säjä: Vat'r, i hä g'sendi^t em Hemm'l un vor der.
Un i ben nem wärt, ass i di Sohn hujss ; mach'mi züe eim
vo dinä Dajlehn'r.
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- 157 -
Un'r helt si ofgmacht, un esch züe sim Vat'r kommä.
Wo-n-r noch witt gse esch, hettne si Vat'r gsäh, un
'shettne b'eländ, esch glojfä, un esch'm um de Hals gfallä, un
hett ne g'schmutzt.
D'r Sohn, awer, hett züe'm g'sait : Vat'r i hä g'sendigt em
Himm'l un vor der, i ben nem wärt, ass i di Sohn häjss.
Aw'r dr Vat'r helt züe sine Knächt g'sait : brengä 'sbeschtä
Kleid härä, un läj'n'm's a, un gä'n'm e Fengerreng an sini
Hand un Schuä an sini Fiess, un brengä e g'meschts Kalb
härä, un metzge's ; mr wann ässä un luschtig se. Dänn, nrii
Sohn do esch tot gse un esch wedder lä wändig worä ; er esch
verlorä gse, un esch wedder gfondä worä.
Awr d'r ältscht Sohn esch ofm Faid gse ; un wo-n-'r
züe'm Hüss kommä esch, hett'r sengä un danzä herä ; un hett
einä vo de Knächt züe si g'rüöfä un gfrojt, was dass esch.
Da hett'm aw'r g'sait: di Brüäd'r esch kommä, un di Vat'r
hett'm e g'meschts Kalb g'metzigt, well er ne wedder gsund hett.
Do esch'r zornig wörä, un hett net wellä nigeh. Do esch
si Vat'r ärüsgangä un hett ne gebätä.
Ar het aw'r züe'm Vat'r g'säit: schoi, so villi Johr dieni
d'r, un ha di Gebot niä ewerträtlä, un dü hesch mer niä e
Bock gä, ass i met mine Frend hät kennä luschtig se. Wo
jez aw'r di Sohn kommä esch, där si Güat met Lumpevolk
durichgmacht hett, hesch dü em e g'meschts Kalb gmelzigt.
Ar hett aw'r züe'n'm gsäit : mi Sohn, de besch allewill bi
mer, un alles, was mi esch, esch o di. Dü sottsch luschtig un
güäts Müäts se ; dänn di Brüäd'r esch tot gse, un esch wedder
läwändig wörä ; er esch verlorä gse. un esch wedder g'fundä.
Schuldirektor Weckser, Colmar.
Oltingen im Sundgau.
A Mansch hät zwe Sehn ghä. Un dr jiengscht vonenä hät
zum Vadder g'sait : Vadder, gimmir dä Teil vo da Gieater,
wo mir g'hert. Un är hätänä 's Güeat teilt.
Un net lang hifigenö hat dr jiengscht Sühn alles z'sammegnu
un isch wit über Fäll zöge ; un dert hät är si Güeat dure-
brocht mit Prasse.
Wo är d'rno si Sach alles v'rzehrt gha hät, isch e grossi
Hungersnot dur säl ganz Lang worde un är hat agfange z'räble.
Un isch gange un hät sich an e Bearger vo sälem Lang
ghankt, wü en üf si Acker g'schikkt hät, fer d'Säji z'hieata.
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- 158
Un är hatt gärn si Büch g' feilt mit Traber, wu d'Säji
g'fresse hui, un nieme hätem keni gä !
Drno isch är in si gange un hat g'sait : wieavil Taglehner
hat mi Vadder, wo e Hülfe Brot hai, un ich gang hi vor Hunger.
I will furt un zu mim Vadder goh, un züeanem säge :
Vadder, i hd g'sündigt geganem Himmel un vor Dir, un i
hi vo jetzab nimmi wärt, as i di Suhn heiss, halt rni numme
wiea ein vo dine Taglehner.
Uu är isch furt un isch zue sim Vadder chu.
Wo är abher no wit ewäg gsi isch, hätn si Vadder gseh
un är hät'n dürt, isch glufle, un ischem um e Hals gfalle un
hätn g'chiesst.
Dr Sühn abber hat zuem g'sait: Vadder, i hd g'sündigt
geganem Himmel un vor Dir, un i bi vo jetzab nimmi wärt,
as i di Suhn heiss, halt mi numme wiea ein vo dine Taglehner.
Abber dr Vadder hat zu sine Ghnächte g'sait : holet 's
beschte Chlaid feäre, un läget-n-d, un gänt'm e Ring an d'Hang
un Schüeä a d'Fieass ; un holet e faist Chälble, un mälzget's ;
mer wai ässe un luschtig si ; denn do mi Suhn isch tot gsi un
isch wider läbändig worde, un är isch verlöre gsi un isch
wider gfunge worde.
Abber der ältscht Suhn isch ut'm Fall gsi ; un wü är
nächer zum Hüss chu isch, hat är vo däm Singe un Tanze
g'hört ; un är hat eim vo de Ghnächte g'rüeafe un hat gfrogl,
was denn dds isch. Un dä hät'm gsait : di Brüeader isch chü
un di Vadder hat e gmäschte Chalb g'mälzget as är'n gsung
wider hat.
Do isch'r chiebig worde un hat nit welle ine goh. Do
isch si Vadder üse gange un hät'n hätte drum.
Abber är hat g'sait : lüeag, Vadder, saitr, tscho so mänk
Jör hä-n-i dir dieant, un hd allewil g'macht, was du hasch
wälle, un dü hasch mir ke Bokk gä, äs i hät chänne mit mine
Friend luschtig si. Jetz abber, wü do di Suhn chu isch, wü
si Güeat mit Hüeara verputzt hät, hesch dü-n-m a faist Chalb
gmätzget.
Abber är hät züe-n-m gesait : hersch, dü bisch allewil bi
mir, un alles, was mi isch, isch o di. Du abber seltsch lusch-
tig un güeat z'Müeat si ; denn do di Brüeader isch tot gsi, un
isch wider läbändig worde ; är isch verlöre gsi, un isch wider
g'funge.
Stod. phil. Zürbach, Oltiogen im Sundgau .
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X.
Nachträge und Berichtigungen
zum Wörterbuch der Elsässischen
Mundarten.
S. 808 zu «Wecke». Langer Wecken (Läqaweka Dü.), Brotlaib
in langer Form wie in Straßburg das Roggenbrot
zu haben ist. In Straßburg dafür der Ausdruck
«läns Laiwb langes Laibchen. —
S. 815 zu Gottswille. «Um's Gottswille», Ausdruck des
Erstaunens, des Schreckens, auch der Verneinung
wie im Hochdeutschen. — z. B. Ums G. was isc h
denn g'scha (geschehen) , wenn ein Unglück
passierte oder bei einem Brand «Ums G. s'wurd
doch nit b ranne» es wird doch nicht brennen.
— Der Verneinung : Soll i s Hys f a r k h o i f a ?
Ums G., was daflks! (Soll ich das Haus ver-
kaufen? U. G., was denkst du!) Dieser letztere
Ausdruck ist auch ein viel gebrauchter Ausdruck
der Verneinung. —
S. 817 zu Baumwolle. In Dü. nicht Päjwül sondern P oj w ü I
und Po j wo 1.
S. 820 zu Wild, befindet sich ein Satz s'« We tt er» is wild
bei Hochwasser, soll aber unbedingt heißen : S *
« W ä s e r » ist wild. —
S. 822 zu Welk. Walti ist in Dü. nicht gebräuchlich, wohl
aber in Str. und auch in Ruprechtsau. In Dü.
1 ü m 9 r i k (lummerig).
S. 839 zu Wüntar. Redensart: Nita Wuntar, sist t'Khya
Pluntor; si het gestört a nei Lintya/
g'frassa. Scherzhaft für: Aha! Darum; — kein
Wunder !
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— ICO —
S. 847 zu Wirbel; eine Vorrichtung an Halsketten für Tiere
damit bei Drehung die Kette slels wieder die gleiche
Lage einnimmt (auch an Uhrketten).
S. 846 zu Wurst. Zur Befestigung der Ufer wurden früher
meistens aus langem Holz und Reisig und mit
Steinen gefüllte und mit starkem Eisendraht zu-
sammengehaltene sogenannte W ü rst e gebraucht.
Auch jetzt noch an Stellen, wo ein Durchbruch zu
befürchten wäre. —
S. 859 zu Wort, s'letsta Wort hä. Das letzte Wort haben.
— Wenn jemand stets Recht haben will, sich stets
zum äußersten wehrt und verteidigt: er tyats nit
änderst, er myas s'letsta Wort hä. —
E Wort säja; ein Wort sagen; auf etwas auf-
merksam machen. —
I ha gar nix tarfü gwist; hats mar toy
n u r a i n Wertalagsait. Ich habe gar nichts
davon gewußt ; hättest du mir nur ein Wörtchen
gesagt.
S. 872 zu Waschen, a kwa>sas Lai wal ein gewaschenes
Laibchen Brot. Ein Brot das durch Abwaschen vor
dem Backen eine glänzende Oberfläche erhält, (e
g'wäsches Laiwel).
S. 878 zu Watte in Dü. allgemein Sidewatt cSeidenwatte»
für die gewöhnliche Watte. —
S. 878 zu Watte Waten, ar het tsswimauntswäte
er hat zu schwimmen und zu waten, d. h. er muß
alles mögliche tun, sich aufs äußerste anstrengen
um wirtschaftlich nicht unterzugehen.
S. 879 zu Wetten. Was willst du wetten? was wit weta?
was gilt's ? Er het gsait, ar get haim; was
wit weta, s ' l s nit wür! Er hat gesagt, er
ginge nach Hause; was gilts, es ist nicht wahr. —
S. 881 zu Wetter. Ernte wetter( Ar na watar) schönes trockenes
Wetter ; zur Ernte geeignetes Wetter. —
Redensart: s'blit noy alla Jür Arna watter
ewri k ; es bleibt noch jedes Jahr Erntewetter übrig,
d. h. nach der Ernte ist meistens trockenes Wetter. —
S. 883 zu Wit (weil). Wit arum khüma weit herum kom-
men, große Reisen machen. Ironisch: ar is wit
arum khüma ins Grosmiatars Landar-
gärta. Er ist weit herumgekommen in Großmutters
Gemüsegarten. —
S. 883 Noch zu Wit. Bei Pflanzen z. B. Kartofleln, Tabak
usw. weit auseinander gepflanzt sein. Die Hart-
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— 161 -
epfal sin wit gsetzt. Diese Kartoffeln sind
weit auseinander gepflanzt. —
a witi Ritar ein weites (weitmaschiges) Sieb. —
w i t i W ä j a I a i t a r a weite Wagenleitern d . h .
Wagenleitern, deren Sprossen weit auseinander
stehen. —
a wita Sak ein Sack, welcher mehr weit als
lang ist. —
T'Säi steht wit. Die Säge steht weit d. h. die
• Zahne sind stark nach den Seiten ausgebogen, wo-
durch der Schnitt größer wird.
Derselbe Ausdruck für Sense. Je mehr sich die
Sensenstellung zum Wurf (Stiel) dem rechten
Winkel nähert desto weiter steht dieselbe, je mehr
sie davon abweicht desto enger.
S. 884 zu Wut. In aim Wyat, in einer Wut. Redensart:
in aim Wyat U ar nuf un h e t älas tsum
Fan slar nyskheit. Vor Zorn oder Wut ging
er hinauf und warf alles zum Fenster hinaus. —
S. 892 zu Zeichnen. Der Sektsaiyner der Sackzeichner;
früher ein Mann, der gewerbsmäßig von einem Orte
zum andern hausierend die Getreide- oder Kartoffel-
säcke mit dem Namen des Eigentümers nebst Ver-
zierungen versah. —
(Vielleicht in gewissen Gegenden heute noch, da
die Art der Zeichnung und der Ruchstaben auf den
Säcken, die man in der Stadt zu sehen bekommt,
noch die gleiche ist.) —
S. 8f>7 zu Abziehen. Aim t'Hyt abtsiaia. Einem die Haut
abziehen, Redensart. Durch Ritten und Rettein einen
nötigen zur Hergabe von irgend etwas. Hauptsächlich
gebraucht im Verhältnis zwischen Kindern und Eltern,
wenn die ersteren immer nur von den Eltern alles
haben wollen, selbst wenn dieselben es nicht her-
geben können ohne selbst Not zu leiden. —
Ebenso auch y s t s i a i a ausziehen ; auch y s s y k a ,
aussaugen.
S. 898 zu Verziehen. T'Setzlik fartsiaja, die Setzlinge
(junge Pflanzen) verziehen, d. h. ein Teil ausreißen,
damit der Rest mehr Luft und Licht hat. —
S. 901 zu Zahlen. Redensart von einem, der sich um Schulden
nicht viel Sorgen macht.
I. T'älta 'Sulta tsältar nit un t'neja
I ü s t a r alt w ä r a , Die alten Schulden bezahlt er
nicht und die neuen läßt er alt werden. —
11
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I
— 162 -
i
II. Redensart beim Trinken; wem das letzte aus
der Flasche eingeschenkt wird, der m y a s t s ä l a (ist
aber bloß scherzhafte Redensart). —
S. 901 zu Verzählen. A i in a P ä r Wort fortseid, Einem
die Meinung sagen. — Täs wurt ar in niame
fartsela, Das wird er niemand erzählen d. h.
darüber wird er schweigen.
S. 905 zu Zahn. Reyatsän, Rechenzahn auch in Du. Auch
in Ruprechtsau, aber hier noch Bezeichnung für
einen kleinen Hecht; desgl. Bönasifal-«- Bohnen-
schote.
S. 907 zu Zünden. Ein helles rotes Kleid oder Hut, sagt man
das t s i n t ä wa r das zündet aber (d. h. hat schrei-
ende Farben).
Ebenso bei einer Person mit rotem Haar: tar
oder t i a t s i n t ä w a r.
S. 908 zu Zunge. Die Lederzunge an Schnürschuhen.
Ein Straßburger Kalauer: Eine Frau vom Lande
wollte ihrer Tochter ein Paar Schuhe kaufen ; beim
anprobieren ließ die Tochter die Lederzunge mit
dem Fuß in das Innere des Schuhes gleiten. Der
Schuhhändler bat nun: die Zunge muß heraus, was
aber der Tochter und auch der Mutter nicht ver-
ständlich war und von der Tochter deshalb auch
nicht befolgt wurde; die Mutter, darüber aufgebracht
lief : streck doch t Lall a r y s , lums L y a t a r ,
d. h. strecke doch die Zunge heraus (aus dem Mund).
S. 909 zu Zins «Ackerzins». Pachtzins für Feld, Ackerland usw.
S. 910 zu Zapfen. Redensart. Nach dem E^sen «a Tsäpfa
l r u f m ä y a » noch einen Bissen Nachtisch essen. —
S. 916 zu Zättara unrichtig; nur tsattara; wahrscheinlich
ist bei Einlieferung des Ausdruckes aus s das * ver-
gessen worden. —
S. 917 zu Zit. Jets weis i w el Z i t a s i s , Jetzt weiß ich
wieviel Uhr es ist, d. h. woran ich bin. — Oder ä,
si s um t es T s i t ! ah es ist um diese Zeit ! eben-
falls wie vorhin (aha ! so steht es !). —
S. 925 zu Zwilch in Dü. und Umgegend, grobe Leinwand,
aber anders gewoben. Gewebe wie Drilch, davon
auch der Ausdruck dreisehäftig für feinere Gewebe
wo jedesmal der Zettelfaden über zwei Einschlag-
taden geht. —
Zwilch wird zur Herstellung von Säcken verwendet. —
i
Obrecht Ruprechtsau).
i
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- 163 —
II.
1. Herr Prof. Singer an der Universiät Bern teilt gütigst
folgende Parallele (Abzählreim) zu Zirle mirle II, 914 mit,
wodurch das elsässische Bruchstück ergänzt wird :
Schürli, mürli, Gartetürli,
Hns über Hof,
Alli vieri grattleti Roß.
Es geit e Frau i ds Hüenerhus,
last die beste Hüener drus,
der Tschippel und der Tschappel,
spräggelochts Huen :
wälles soll nie drus und dänne tuen.
(Züricher, Kinderlied und Kinderspiel im Kanton Bern No. 537).
2. Zu I, 414 kommt ein Ausdruck Nestkumpfer
«Nesthäkchen, jüngstes Kind» hinzu, den Adolf Wolf aus Barr
in seiner Jugendgeschichte (Str. N. X.) gebraucht.
3. I, 41 haben wir aus einem schriftlichen Beitrage auf-
genommen : «pulmesquicken pomadisieren». Das Wort ist
sonst ganz unbezeugt, vielleicht von einem fremden Kopfver-
schönerer hierher gebracht worden. Eine Vermutung bezüglich
der Bedeutung möchte ich nicht unterdrücken. Das Grimmsche
Wörter buch verzeichnet «Bilwißzotte verworrenes Haar,
Wei ch sei köpf» : offenbar von «Bilwiß Kobold», eigentlich eu-
phemistisch; Bilewit ist angelsächsisch Beiname für Gott und
Engel. Unentwirrbare Verzausung wird nicht der eigenen Nach-
lässigkeit, sondern der Arbeit eines bösen Kobolds zugeschrieben.
Könnte nicht p u I m e s = p i 1 w i s sein, und pulmes-
quicken das Wiederbeleben, Ordnen und Herstellen eines
verworrenen Haarschopfes bedeuten?
4. Wie mit anderen deutschen Mundarten hat das Elsäs-
sische auch mit den siebenbürgischen im fernsten Osten manches
gemeinsam, begreiflich da diese eigentlich aus dem luxembur-
gisch-kölnischen Sprachgebiet stammen. So sagt man in Sieben-
bürgen wie bei uns (I, 2) : Seine Eier haben zwei (oder in
Siebenbürgen sieben) Dotter s. Gustav Kisch, Xösner Wörter
und Wendungen, Bistritz 1900 S. 11.
Zu 1, 64 vgl. siebenb. «ärbes-gapöst blatternarbig»
(Erbsen lassen beim Dreschen Eindrücke in der Tenne zurück).
Zu I, 379 vgl. siebenb. «(er am) hurtsaln herum-
schleppen» Zu I, 63: siebenb. af deiner Ur äs et dräi
firtal of Käld-ärbes, deine Uhr geht schlecht (Bild: du
kommst zu spät, das Erbsengericht ist schon kalt). Dies letzte
Beispiel ist besonders merkwürdig, da es natürlich nicht auf
urgemeinsamen Gebrauch zurückgehen kann, sondern neue
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— 164 —
Kullurverhältnisse voraussetzt. Es muß also die Redensart durch
Zufall, durch einen Wandervogel nach dem Osten übertragen
worden sein.
Zu I, 518 Kramanzjes vgl. siebenb. «Kramantes,
überflüssige Komplimente, Umstände macha». Zu II, 208 vgl.
siebenb. a äs mät du G ä » s am Protsäs, es sproßt ihm
kaum der erste Flaum ums Kinn (wie bei den jungen Gänsen).
Zu II, 106 vgl. siebenb. «bastaln, kleine mühsame Hand-
arbeit verrichten.»
Zu I, 98 vgl vgl. siebenb. dau wist dam DrU da
Urfeich ge (das Kraut fett machen, Goethe).
Zu II, 749 vgl. siebenb. eiber dn Gä'sdräk farn,
übertölpeln, verführen». Eis. Guck es 1, 208 erklärt sich viel-
leicht aus siebenb. * K u k a s n Arrestlokal auf dem Lande
eig. Guckhaus».
Martin.
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XI.
Meßti und Kirvve im Elsaß.
Von
Dr. Kassel in Hochfelden.
Meminisse juvabit.
Der vorliegende Aufsalz ist die Frucht langjähriger Forsch-
ung und Arbeit. Es war für mich stels ein besonderer Reiz,
dem jährlichen Freudenfeste unserer ländlichen Bevölkerung,
seinen Wurzeln und vielfältigen Beziehungen nachzuspüren.
Als nun im Laufe der Zeit der Kreis dieser Untersuchungen
sich immer weiter ausdehnte, entstand die Notwendigkeif, eine
räumliche Grenze festzusetzen. Es schien mir am zweckmäßigsten,
rein äußerlich zu verfahren und dasjenige Gebiet zu behandeln,
wo die Bezeichnung «Meßti» gebräuchlich ist, und außerdem
das Gebiet der «Kirwe», das sich nordöstlich daran anschließt.
Von diesem zusammenhängenden Gebiete, das 449 Ortschaften
umfaßt, habe ich 370 Ortschaften, größtenteils auf dem Rade,
besucht und die Erhebungen zugleich mit andern Nachforsch-
ungen an Ort und Stelle vorgenommen. Aus den andern Ort-
schaften, meist entlegenen Dörfern südlich der Breusch, er-
hielt ich schriftliches Material.
Bei solchen umfangreichen Studien, die bis in die kleinsten
Einzelheiten hineingehen, ist stets der Weg der persönlichen
Erhebung vorzuziehen. Gründliche Auskunft auf schriftlichem
Wege bekommt man erfahrungsgemäß nur in seltenen Fällen.
Hierdurch zieht sich aber die planmäßige Sammelarbeit natür-
lich in die Länge. So ist es gekommen, daß ich zur Beschaf-
fung des Materials 12 — 15 Jahre brauchte und daß manches
mittlerweile anders geworden ist. Indem ich die Arbeit der
OefFentlichkeit übergebe, bin ich mir wohl bewußt, daß Män-
- 166 —
gel vorliegen, aber auch daß es die Kräfte eines Einzelnen,
namentlich eines vielbeschäftigten Landarztes übersteigen wurde,
das gesammelte Material bis zur Drucklegung immerfort auf
dem Laufenden zu erhalten.
Etymologie.
Das Wort Meßti ist abgekürzt aus Meßtag. Urkundlich ist
Meßtag zuerst 1313 nachgewiesen, u. zw. im Stadtarchiv zu
Zabern 1 . Diese Bezeichnung wird in den dortigen Akten bis
zur französischen Revolution gebraucht. Im 16. und 17. Jahr-
hundert findet sie sich vielfach im Konsistorialarchiv von Ing-
weiler und im sogenannten Schnallenbuch von Dossenheim,
sowie in den älteren Kirchenordnungen, ferner in den prote-
stantischen Kirchenarchiven des 16.— 18. Jahrhunderts. Noch
1804 steht in einer Deliberation des Gemeinderats von Hoch-
felden Meßtag. Die Abkürzung Meßti aus Meßlig mag seit dem
Anfang des 19. Jahrhunderts auch im schriftlichen Verkehr
allgemein gebräuchlich geworden sein. Wir finden beispielsweise
«Meßtighaus» in einem Akt des Z iberner Stadtarchivs vom 7.
Fructidor des Jahres IV (24. August 1796)«. Wohl in allen
Gemeinderatsprotokollen der letzten 60 Jahre steht Meßti. Ja
es läßt sich behaupten, daß heute die Mehrzahl der Bevölke-
rung das hochdeutsche Wort Meßtag gär nicht verstehen würde.
Aus diesem Grunde wird in der vorliegenden Arbeit für die
neuere Zeit durchweg das Wort Meßti gebraucht.
Welchen Sinn ursprünglich «Meßtag» hatte, ob darunter
der Erinnerungstag der großen Messe zu verstehen war, die aus
Anlaß der Kirchenweihe gelesen wurde, oder ob es den Tag
der «Messe» im Sinn von «Jahrmarkt» bezeichnen sollte, also
vielleicht aus Kirchmeßtag abgekürzt wurde, darüber fehlt je-
der Anhaltspunkt. Beide Möglichkeiten sind denkbar. Zu Gun-
sten der letzteren Annahme spricht möglicherweise das mehr-
fache Vorkommen des Begrifft «Messe» neben «Meßtag* in Be-
kanntmachungen des Zaberner Stadtrats vom Jahre lb93 : uff
dieser Meß 3, und von 1602 : Meß, Herbstmeß, Meßfrevel und
Meßtagfrevel*, Meßwirthütte Auch daß der Meßtagsplatz von
Znbern in früheren Jahrhunderlen schlechtweg «Meßtag» und
die in der Nähe befindliche Nikiauskirche «Meßtagskirche» ge-
1 A. Ada in. Der Zaberner Meßtag in früheren Zeiten. Zabern,
Gilliot. 1901. S. 4.
> a. a. 0., S. 8.
3 a. a. 0., S. 29.
* S. 7.
5 S. 13.
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— 167
heißen wurde », mag hier ins Gewicht fallen. Hingegen ist in
der Hanauischen Vermehrten Kirchenordnung von 4659 streng
unterschieden zwischen Jahrmarkt und Meßtag.
Das Volk, insonderheit das protestantische Landvolk, hat
das Sprachgefühl üher die Zusammensetzung des Wortes längst
verloren. Etwa von Buchsweiler ah nach Süden sagt man Maßti,
nach Norden Maßti und Mäschti, in Reipertsweüer Mäschlig,
in Haarberg Mäßtie 2 . Bemerkenswert ist, daß eingewanderte
Deutsche das Wort Meßti fast stets fälschlicherweise mit dem
weihlichen Geschlechtswort gebrauchen, indem sie offenbar an
Messe denken. Das Wort Kirwe ist abgekürzt aus Kirchweihe.
Im Südosten sagt man Kirwe, im Nordwesten Kerwe, in Ober-
seebach, Jngolsheim und Hunspach Karwe, in Hatten, Ober-
und Niederbetschdorf, Schwab weil er, Reimersweiler, Kithien-
dorf, Oberrödern und Aschbach Kirb, in Stund weiter Karb,
in Wingen Kirewes. Auch für die Entstehung des Wortes
Kirwe ist das Sprachgefühl in Volkskreisen erloschen.
Im Gebiet des Meßti wird das Wort Kirwe nur an der
Grenze verstanden, und umgekehrt. Ebenso wird nur im süd-
lichen Meßtigebiet das Wort Kilbe verstanden, nicht aber im
nördlichen. Andererseits versteht man im anstoßenden franzö-
sischen Sprachgebiet die Worte Meßti oder Kilbe. Andere Be-
zeichnungen, wie Kirch weihe, Kirmeß, Messe verstehen die
Eingeborenen in der Regel nicht. Die Behörden gehn in ihren
Erlassen und im schriftlichen Verkehr dem Worte Meßti aus
dem Wege und gebrauchen meistens das Wort Kilbe oder
Kirmeß.
Grenzen.
Die Grenze des Meßligebiets setzt ein am Rhein im Kreise
Erstein zwischen Krafft und Gerstheim und zieht mit einer
nach Nordwesten gerichteten Einbuchtung, worin Schäfersheini
und Meistratzheim liegen, zunächst nach Westen. Die südlich-
sten Ortschaften des Meßtigebiets sind Kraft, Erstein, Nord-
hausen, Limersheim, Hindisheim, K rautergersheim, Nieder-
ehnheim, Bolsenheim, Walf, Burgheim, Zellweiler, Stotzheim,
St. Peter, Mittelbergheim, Hohwald. Südlich von diesen Ort-
schaften wird «Kilbe» gefeiert. Sodann wendet sich die Grenze
nach Norden und Nordwesten und lallt fast genau mit der
deutsch - französischen Sprachgrenze zusammen. Die letzten
1 Adam, a. a. 0., S. 4.
* In der Lautschrift des Eis. Wörterb. von Martin und Lien-
hart: [Masti, bezw. Masti. Mse'sti, Mae'stiy, Ma?stioJ.
3 [Kherwa, bezw. Kherwa, Kharwa, Kherp, Kharp, Kherawa.j
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- '468 -
Meßtidörfer sind Ratzweiler, Grendelbruch, Schwarzbach und
Wisch im Elsaß und Harzweiler in Lothringen, Auf der an-
dern Seile blüht in den Dörfern französischer Zunge die «fete*
oder «fete du village». Hier wendet sich die Grenze nach Nord-
osten, umfaßt 24 lothringische Gemeinden , durchquert das
«krumme Elsaß» und erreicht südlich von Saareinsberg die
lothringische Bezirksgrenze, mit der sie bis zur Pfalzergrenze
zusammenfallt. Die letzten Meßtigemeinden sind Harzweiler,
Hochwalsch, Haselburg, Arxweiler, St. Louis, Waldenburg,
St. Johann-Kurzerode, Mittelbronn, Weschheim, Wilsberg,
Eckartsweiler, Ernolsheim, Dossenheim, Neuweiler, Weiters-
weiler, Sparsbach, Wimmenau, Reipertsweiler, Lichtenberg,
Rothbach, Offweiler, Oberbronn, Niederbronn, Dambach, Neun-
hofen. Jenseits feiert man die gemütliche lothringer Kirb 1 .
Von hier richtet sich die Grenzlinie nach Südosten, durchquert
den Hagenauer Forst und erreicht nach einem kurzen Umschlag
nach Nordosten zwischen Neuhäusel und Roppenheim den
Rhein. Die letzten Ortschaften sind Windstein, Jägertal, Eber-
bach bei Wörth, Spachbach, Oberdorf, Biblisheim, Walburg %
Hagenau, Kaltenhausen, Oberhofen, Bischweiler, Rohrweiler,
Drusenheim, Dalhunden % Stattmatten, Fort-Louis, Neuhäusel.
In den 42 nördlichsten Ortschaften wird «Maschti» ausgesprochen.
Die südlichen Grenzdörfer sind Wimmenau, Schillersdorf,
Zutzendorf, Schalkendorf, Kindweiler, Bitschhofen, Ueberach,
Niedermodern, Merzweiler, Eschbach, Hinterfeld, Walburg,
Biblisheim.
Nordöstlich vom Meßtigebiet erstreckt sich das Gebiet der
Kirwe bis zur pfälzischen und badischen Grenze. Es umfaßt
im großen und ganzen den Kreis Weißenburg, jedoch so, daß
ein Dutzend Dörfer des südlichen Kantons Wörth noch auf das
Meschtigebiet entlallt, während ebensoviele Gemeinden des
nördlichen Kantons Bischweiler zum Ki rwegebiet gehören, im
Ganzen 91 Ortschaften. Innerhalb dieses Kirwegebiets im wei-
tereu Wortsinne verläuft die sprachliche Grenze zwischen Kirwe
(Kirb) und Kerwe so, daß die letzten Kirwe-Ortschaften Nee-
weiler bei Lauterburg, Winzenbach, Eberbach bei Selz, Asch-
bach, Oberrödern, Kühlendorf, Reimersweiler, Schwabweiler,
die letzten Kerwe-Ortschaften Lauterburg, Nieder- und Ober-
lauterbach, Trimbach, Stundweiler und Hofen sind.
Was die Benennung des Festes betrifft, so ist die Grenze
im allgemeinen scharf, d. h. in dem einen Dorf sagt man
Meßti, bezw. Kirwe, im Nachbardorfe anders. Jedoch ist in
St. Johann- Kurzerode, Hochwalsch, Zittersheim und Nieder-
« [Kherw.]
- 169 —
bronn neben «Meßli» auch «Kirb» im Gebrauch. Indessen be-
dingt diese scharfe etymologische Grenze nicht auch zugleich
eine ebenso scharfe Scheidung der Sitten. Allerdings weist das
Kirwegebiet, das zum Teil durch die wichtige Grenzscheide
des Hagenauer Forstes vom Meßtigebiet getrennt ist, einige Ver-
schiedenheiten auf, aber es gibt zahlreiche Uebergange zwischen
beiden Gebieten und dem Bereiche der Kilbe, der feie und der
Kirb. Auch Abweichungen, die auf die ehemalige politische
Zugehörigkeit der einzelnen Dörfer und Gebietsteile begründet
wären, gibt es nicht. Das ist auch der Grund, weshalb die
ganze vorliegende Arbeit nicht nach inneren Gesichtspunkten
bemessen, sondern nach einem untergeordneten sprachlichen
Einteilungsgrunde abgesteckt wurde.
Anderseits ist hervorzuheben, daß die Kirwegebräuche des
Kreises Weißenburg unmittelbar mit denen der Rheinpfalz zu-
sammenhängen und daß man in einigen katholischen Dörfern
in der Gegend von Neufreistett in Baden Meßti sagt. Die Fest-
stellung der genauen Grenze hätte den Rahmen der Arbeit
überschritten und wurde daher unterlassen. Endlich sei noch
betont, daß der Meßti nicht nach Frankreich hinübergreift.
Politisch betrachtet betreffen die vorliegenden Untersuchungen
die Kreise Weißenburg, Hagenau, Straßburg (Land), Straßburg
(Stadl), den größten Teil der Kreise Erstein und Molsheim, fast
die Hälfte des Kreises Zabern, einige Dörfer des Kreises Schlett-
stadt. und die Gebirgsdörfer deutscher Zunge des Kreises Saar-
burg in Lothringen. In diesem Gebiete sind die alten Pflanz-
stätten elsässischer Sitte und Art, das Ackerland i, der Kochers-
berg* und namentlich das Hanauerlands enthalten.
Die Wurzeln des Festes.
Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß das einzige weltliche
Freudenfest, welches alljährlich von der Gesamtheit der länd-
lichen Gemeinde gefeiert wird oder wurde, eine kirchliche Be-
zeichnung trägt. Aus dem klaren Wortbefunde Kirwe = Kirch-
weihe und Meßti = Meßtag möchte man eigentlich schließen,
daß ursprünglich in einer besseren Zeit die frommen Dorf-
insassen den Erinnerungstag an die Kirchenweihe oder den
1 Der südliche Teil des Kantons Truchtersheim und der westliche
Teil des Kantons Schiltigheim werden im Volksmund das Ackerland
genannt.
* Ehemals bischöflich Straßburgisches Amt, benannt nach der 1592
von Georg von Brandenburg genommenen und zerstörten Burg Ko-
chersberg bei Neugartheim.
3 Die ehemalige Grafschaft Hanau-Lichtenberg.
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170 -
Tag, an dem die große Messe aus Anlaß dieses Ereignisses
gelesen wurde, in hervorragend festlicher Weise begingen und
daß diese Kirchweihe, dieser Meßlag etwa im Laufe der Zeit
verweillicht oder von well liehen Veranstaltungen überwuchert
wurde, so daß bloß noch der Name verblieb. Auch die viel-
. gebrauchten Wörter Kirmeß in Holland und Messe im Sinne
von Jahrmarkt in Altdeutschland lassen dieselbe Ableitung zu.
Aber es ist zweifellos, daß der Ursprung der kirchweib-
artigen Volksfeste im grauen Altertum zu suchen ist. Andeu-
tungen darüber finden sich an mehreren alten Gesetzesstellen 1 .
Die Kirche fand den heidnischen Brauch vor und gab ihm einen
christlichen Anstrich, da sie das volkstümliche Fest nicht zu
zerstören vermochte. So verknüpfte sie das heidnische Fest,
das wir jedenfalls als «in Dankfest nach eingebrachter Jabres-
ernte anzusprechen berechtigt sind, mit der Erinnerung an die
Einweihung der Kirche und die damit gefeierte Kirchen messe.
Allmählich erfüllte ein christlicher Geist die heidnische Sitte,
und die Anschauungen des Volkes über ihre Entstehung und
Bedeutung wurden verändert.
Diese Verschmelzung heidnischer Sitten mit christlichen
Festen und Einrichtungen ist zu bekannt und in ihren Wir-
kungen bis zum heutigen Tage zu offenkundig, als daß sie noch
einer besonderen Begründung bedürfte. Für die Ueberlragung
der mit heidnischen Freudenfesten verbundenen Gebräuche auf
die christliche Kirchweihe gibt es aber einen unmittelbaren
Beweis, dessen Wichtigkeit nicht genug betont werden kann.
Papst Gregor der Große (590 —604) nämlich richtete um das
Jahr 600 an den angelsächsischen Abt Mellitus ein für den
Bischof Augustinus bestimmtes Schreiben«, worin es u. a. heißt 3 :
«Und weil sie (die Angelsachsen) an den Festen der Teufel
viele Rinder zu schlachten pflegen, so ist es durchaus notwen-
dig, daß man diese Feier bestehen läßt und ihr einen andern
Grund unterschiebt. So soll man auch auf die Kirchweihtage
und an den Gedächlnistagen der heiligen Märtyrer, deren Re-
liquien in denjenigen Kirchen aufbewahrt werden, die an der
Stätte heidnischer Opferhaine erbaut sind, dort eine ähnliche
Feier begehn, soll einen Feslplalz mit grünen Maien umstecken
und ein kirchliches Gastmahl veranstalten. Doch soll man nicht
ffirder zu Ehren des Satans Tieropfer bringen, sondern zum
1 M o n t a n u s, Die deutschen Volksfeste. Iserlohn und Elberfeld,
Bädeker, 1854. I, S. 57.
* In der lateinischen Urschrift abgedruckt bei Pf ann e ns ch mi d,
Germanische Erntefeste, Hannover, Hahn. 1878, S. 531 f.
* Nach der Uebeisetzung von Montanus, a. a. 0., S. 57.
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- 171 -
Lobe Gottes und um der Sättigung willen die Tiere schlachten
und dem Geber alles Guten für die Speise danken.» Wenn
auch diese Auslassung des Hauptes der Kirche nicht allgemeiner
Art war, so darf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit doch als
sicher angenommen werden, und so ist gewiß auch im Elsaß
den heidnischen Opfern ein christliches Mäntelchen umgehängt
worden. Die kirchliche Bezeichnung hatte nur eine untergeord-
nete Bedeutung.
Bis zur Reformation.
Bis ins späte Mittelalter ist uns über die Kirchweih- und
Meßtagsgebrüuche, soweit sie das Elsaß betreffen, so gut wie
gar nichts bekannt». Die Quellen versagen fast vollkommen.
Daß im Jahre 1313 bereits in Zaber n Meßtag war, wurde
schon erwähnt. Das älteste Meßtagbuch im dortigen Stadt-
archiv stammt aus dem Jahre 1484. Ferner sind in der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts zwei Meßlage in Pfaffenhofen
und einer in Uttweiler nachgewiesen *. Weiter wissen wir
nichts.
Die allgemeine Zügellosigkeit der Sitten und die Verwelt-
lichung der Kirche bemächtigte sich auch des Kirchweih-
festes. Am Ende des 15. Jahrhunderts finden wir es im
Straßburger Münster, und zwar ist es kein erfreuliches Bild,
das uns Wimpheling 3 und Maternus Berler da-
von entwerfen. Der Wortlaut des letzteren (um 1510) möge
hier folgen * : «Es was vor zitten ein gewonheitt das die men-
schen die abent der hoch zittlichen festen und heiigen wachten
bey einander in der kyrchen mit betten, fasten, kertzen brennen,
in horrung und verkundung desz vortt Gottes zu sterkung des
glaubens als dan sanct Jeronymus schribt ad Vigilantium. Solche
gutte gewonheitt kam zu einem mieszbruch, also das nitt mer
pliben ist dan der nam Vigilie und die werck hyndan gesetzt.
Nun wasz zu Straszburg eine solche gewonheit das jerlich am
abent der Kyrchweihung desz oberstem) temples ein grosz volk
> Die spärlichen Berichte über die Kirchweihe in den andern
Ländern deutscher Zunge sowie über ähnliche Feste der heidnischen
Vorzeit s. bei Reimann, Deutsche Volksfeste im 19. Jahrhundert.
Weimar, 1&39. S. 243; ferner bei Montanus und Pfannen-
s c h m i d , a. a. 0.
2 Bezirksarchiv des Unter- Elsaß, E. 2978.
3 Der lateinische Wortlaut ist abgedruckt beiPfannenschmid,
a. a. 0., S. 534.
4 Abgedruckt im Code historique et diplomatique de la ville de
Strasbourg. Strasbourg, 1848. II, p. 119.
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— 172
usz allen flecken weih und mann in dem tempel zusammen
kam, do erhupt syech dan ein solche ungestumikeitt mitt
schwetzen, lachen, suffen und fressen, und so eins ettwen
entschlieft* so fandt man edlich bosz knaben die hellten der sel-
bigen menttel oder kleyder mit negel uff die stiel und benck,
edliche negten under weillen zwey ze sammen. Auch legt man
ein fasz mitt wein in sanct Catherinen capell und wem wein
gebrast der fand yn ze kouflen. Und geschach grosz hurry 1
und bybery* darvon nitt ze schriben. Dar wider predigt der
heilig doctor Joannes Keyssersberg so hefltig und trefflich das
solche bose gewonheil ward abe gelhon mit hilff Petter Schott
ammeisters ...»
Diese nach heutigen Begriffen unglaublichen Zustände, die
Charles Spind ler» in seinen «Bilderbogen» dargestellt hat,
waren in jener Zeit nichts Außergewöhnliches. Die Kirchweih-
gelage im Straßburger Munster vermochte Geiler zwar abzu-
schaffen, aber noch 1508 klagt er*: «Also geschieht es den mit
den Kirchweihen und Jahrmerkten : Dy misbrauchen die Welt-
lichen zu jrer Seel Verdamniß.»
Von der Reformation bis zur französischen
Revolution.
In die gewaltige Sittenverderbnis des 16. Jahrhunderts
fällt die Reformation. Besonders war es Luther, der in der
derben Sprache der damaligen Zeit in Wort und Schrift den
Kirchweihen zu Leibe rückte. «Auf den Kirchweihen,» so
schreibt er*, «welchen das Volk nachläuft, sind allenthalben
Schenken und Krüge, worin es zugeht wie im rechten Babylon ;
denn also hält man jetzt die Kirchmesse, und so es Abend
wiid, so kehren sie wieder heim mit vollem Ablaß, das ist
voll Bier und Wein, voll Unzucht und andern greulichen Lastern
... Es fehlt selten, daß nicht etliche auf der Kirchmesse er-
stochen werden oder doch schwer verwundet.» Luther wollte
daher die Kirchweihfeste ganz ausrotten, «sintemal sie nichts
anders seien denn rechte Tabern , Jahrmarkt und Spielhöfe
worden, nur zur Mehrung Gottes Unehre und der Seelen Un-
i Von mhd. hurren, sich schnell hin und her bewegen.
» Büberei; vgl. Ch. Schmitt, Wtb. d. Str. Mda. «Bawerii».
sCharlesSpindler, Elsässer Bilderbogen. Straßburg 1896.
Bl. 53.
■* Birlinger, Alemannia II (1875), S. 145, Anm. I.
*> Walch'sche Ausgabe seiner Werke. Halle. 1740, III, S. 1754.
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— 173
Seligkeit.» 1 An einer andern Stelle» nennt er die Kirmessen
ein Menschenwerk und Dockenspiel, das die Obrigkeit cwegen
des säuigen Gefräßes, des SolTs und der Unordnung halber»
abschaffen sollte.
Ganz im Sinn und Geiste Luthers wurde nun in ganz
Deutschland die Kirchweihe von der geistlichen und der welt-
lichen Obrigkeit mit unerhörtem Eifer verfolgt. Zwei und ein
halbes Jahrhundert lang bieten uns die protestantischen Kir-
chenordnungen, die Erlasse und Verordnungen das Bild des»
Kampfes. Wenn sich auch nur vereinzelte Bemerkungen über
Tanz, Trunk und Spiel und sehr weniges über Sitten findet,
so erfahren wir doch in anschaulicher Weise, wie die Behör-
den unablässig auf die Ausrottung von Kirchweihe und Meßtag
hin arbeiten, wie aber auch das Volk ebenso erbitterten als
erfolgreichen Widersland leistet.
Für die evangelischen Gemeinden unseres Gebiets kommen
folgende Kirchenordnungen in Betracht : Die Straßburgischen
Kirchenordnungen von 1534, 1598, 1605 und 1670, die Ha-
nauische Kiichenordnung von 1573 und die Hanauische ver-
mehrte Kirchen- und Schulordnung von 1659, die Pfalzgräflich
Zweibrücken - Birckenfeldsche Kirchenordnung von 1721, die
Na3sauische Kirchenordnung von 1532 und die Nassau-Saar-
brückenschen Kirchenordnungen von 1586 und 1713. Die Straß-
burgischen Kirchenordnungen halten im allgemeinen auch Gel-
tung für die Stadt Weißenburg, das Gebiet der Reichsritter-
schaft und die Herrschaft Fleckenstein.
Man pflegt häufig die gute alte Zeil zu loben und als ein
Muster kirchlicher Zucht und weltlicher Ordnung hinzustellen.
In Wirklichkeil sah es in der alten Zeit nicht besser als heut-
zutage aus, sondern eher schlimmer. Die elsässische Landbe-
völkerung führte überhaupt ein üppigeres, ausschweifenderes
und unsittlicheres Leben, ihre Sitten waren derber und roher.
Die Nassauische Kirchenordnung von 1532 erklärt gerade-
zu, daß «die Kirchwyungen nichts anders sind als rechte
Tabern *.»
In der ersten Slraßburger Kirchenordnung von 1534 lesen
wir*: «Zum Vierden, demnach vff dem land ein großer, vnnd
den armen leüten ein beschwerlicher Mißbrauch ist, mit den
i Das. X, S. 261.
* Wittenberger Hauspostille, zitiert in Montanas, a. a. 0.,
S. 58.
* Pfannenschraid, a. a. 0.. S. 252.
4 Ordnung vnd Kirchengebrauch, für die Pfarrern vnnd Kirchen-
dienern zu Strasburg, vnd derselbigen angehörigen, vff gehabtem
Synodo fürgenommen. [15.54] S. 25.
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174 —
kirchweihenen vnnd meßtagen, vff welche die Armen leüt, das
jr mit häuften verschwenden, geübet werden, das es bei den
Heyden nit erlitten were, dadurch das jung vnd frembd Volck
höchlich verengeret würt. Soliche Heydnische, ja vihische miß-
breuch sollen abbestellet, vnd in allen flecken mit namen ver-
spotten werden, das niemand vberal, weder fremd noch hey-
misch gestattet werde, vnder den Zeiten, so man vfT soliche
tag predigt, zu thantzen, zechen, oder ander üppikeyt zu treiben.
Vnd so man mitler zeit freüntlich zeren, oder auch jungem Volck
ein thantz erlauben würde, so sollen alweg etliche besonder dapf-
fere menner verordnet werden, die al wegen darbey seien, vnd
ein ernstlich einsehen haben, das in dem zechen eins Ersamen
Rahts Constitution vnd Ordnung, nit vbertretten, vnd im thant-
zen keyn vnzucht, wie dann das jung landuolck etwann gar zu vil
vnuerschaiiiet ist, begangen, vnd zu rechter Zeit auch vffgehöret
werde, damit sie nit biß in die mitnacht vnd länger dantzen,
vnd dabey alle vnzucht treiben, vnnd dann erst bei nacht
heym ziehen.»
Durch die Leiningische Polizeiordnung von 1566 werden
«die Freß-Kiichweihen bey peen zehen Guldno verboten i.
1595 ist im Berstetter Kirchenarchiv * berichtet, daß «die
zu Berstett am fressen sauffen vnd meßtaghalten mehr gelegen
gewesen als an den Gottesdiensten.»
Die Straßburger Kirchenordnung von 1605 enthält nichts
besonderes über die Meßtage. Sie verlangt nur (S. 358), daß
bei der Kirchenvisitation die Visitatoren auf «vberflüssiges
Fressen vnd Sauffen, auch vnzüchliges Tantzen bei Hochzeiten,
oder sonst an andern Orthen vnd zeilen» achten sollen. Ge-
nauere Auskunft erhalten wir aber durch eine Predigt, die der
Straßburger Münsterpfarrer Dr. Johannes Schmidt um
die Mitte des 17. Jahrhunderts in Bezug auf den Schiltigheimer
Meßtag hielt. Er sagte u. a. folgendes : 3 «Sonntags, Montags
und Dienstags in den nahgelegenen Orten, aus welchen man
gleichsam Saufschulen und Saufdörfer gemacht hat, da sind
unsere Leute zu Gutschen, zu Wagen, zu Roß und zu Fuß in
großer Menge bei 100 und lOOOden hinausgefahren und haben
Meßtag oder Bacchus-Fest gehalten mit Wohlleben, Zechen,
Freßen, Saufen und großer Leichtfertigkeit ; hernach mit zyklo-
pischem Jölen und Schreien, toll und voll gutenteils des Abends
heimgezogen ; ja etliche und zwar auch nicht wenig Weibs-
1 Pfanne nschmid, a. a. 0., S. 252.
2 Bresch, Aus der kirchlichen Vergangenheit der drei etsässi-
schen Dörfer Berstttt, Ohvisheim und Eckwersheira. Straßburg, Heitz,
1878 S 53
's Stra'ßburger Post 1905, Nr. 81 1.
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personen sind gar aus der Stadt blieben ; da dann ein jedes
ehrliebendes Gemüt denken mag, was sie die Nacht über an-
gestellt und wie sie gehausei. Ich für meine Person hätte mirs
so grausam nicht eingebildet, wenn ich nicht selbst am Diens-
tag nach 6 Uhr zu Abend ohngeföhr, da ich nach Gewohnheit
von einem Tor zum andern gangen und ruhige Gedanken zu
haben vermeinet, den letzten Akt dieses abscheulichen Spiels
d. i. den Einzug in diese Stadt gesehen. Nun da ist man mit
Rossen, Gutschen, Wagen und Kärchen daher geritten und ge-
rennet, als wenn man auf der Flucht wäre. Wenn dann die
Wagen hereingebracht worden, sind die Bauersleute wieder
herausgeritten, als wenn sie unsinnig ; die übrigen sind bei
ICO und lOOOden, ja bei lOOOden, sag ich, zu Fuß daher ge-
türmelt, mit Geschrei und Unwesen, daß es nicht zu beschreiben,
also daß so lang ich bei hiesiger Stadl bin, mir dergleichen
ganz Epicuräisches Säu- Wesen nicht vorkommen, auch aufs
höchste darüber bin betrübt worden. Und dies alles ist geschehen
an unserem Bettag. 0 des elenden Bettags! Da jetzo ein jeder
leicht denken kann, mit was Andacht man die Predigt gehört
und die Litanei gesprochen : denn welcher Leute Gedanken
allbereits hinaus zum Schlemmen, zum Meßlag, zum Huren-
tanz gestanden.»
Gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts erfahren wir vom
Fessenheimer Pfarrer R i p p e 1 1 » : «Allein ist zu disen Zeiten
zu bedauren, daß wegen Interesse mehr die Kirch-Weyh in
den W r irths-Häuseren bei Schlemmen, und Luderen, Tantzen,
und Rauffen, als in der Kirch gehalten wird. Ja wiewohl die
Lutherische wenig auf die Kirch-Weyh hallen, und solche ab-
geschaffet, so ist dannoch die Einweyhung des Wirths-Hauses
wegen dem Interesse der Herrschaften überblieben, und ist
also die Kirch-Weyh aus der Kirch ins Wirts-Hauß meist trans-
ferirt worden.»
In der Grafschaft Hanau-Lichtenberg scheint es besonders toll
zugegangen zu sein. Denn eine der ersten Fragen, die die erste
hanau-lichtenbergische Synode am 8. April 1546 zu Pfaffenhofen
behandelte, war die des bisher üblichen Sonntagstanzes, welcher
auf Grund eines Gutachtens Bucers untersagt wurde *. Und
1565 wurde verfügt, daß in allen Aemtern der Grafschaft, wo
keine Jahrmärkte gehalten werden, die Meßtage abgestellt wer-
den und demnach solche nur noch in Buchsweiler, Neuweiler,
1 Rippell, Altertum, Ursprung und Bedeutung aller Ceremo-
nien, usw. Augsburg und Freiburg, Wagner, G. Aufl. 1757, S. 444.
(1. Aufl., 1723, S. 458).
2 Rathgeber, Die Grafschaft Hanau-Lichtenberg. Straßburg,
Trübner, 1876. S. 95.
17G —
Pfaffenhofen, Obermodern, Westhofen und Halten verbleiben
sollen i.
Es ist schwer, sich aus solchen vereinzelten Auslassungen,
die fast alle die persönliche Auffassung ihres Verfassers wieder-
geben, ein geschichtlich treues Bild vom Meßtagsfeste und vom
Meßtagslreibtn zu machen. Abgesehen von der bereits erwähnten
Straßburger Kirchenordnung von 1534 erfahren wir aus den
alten Kirchenordnungen nichts, was die Meßtage und Kirch -
weihen besonders anginge. Sie schweigen teils vollständig über
dieses Gebiet, so insbesondere die erste hanauische Kirchen -
Ordnung von 1573, teils bewegen sie sich in allgemeinen Vor-
schriften über die Ruhe während des Gottesdienstes, über das
Verbot des Spielens «oder anderer Unzucht» bei Strafe des
Turmes 2 , teils über den sittlichen Lebenswandel 8 , teils über die
Sonntagsheiligung*. In ausführlicher Weise handelt aber die
Hanauische vermehrte Kirchenordnung über die Meßtage, und
wenn wir bedenken, daß sie nur 11 Jahre nach dem West-
fälischen Friedensschluß erschienen ist, so gehen wir in der
Annahme nicht fehl, daß die gerügten Mißstände noch die
Folgen des großen Krieges sind. Jedenfalls ist sicher, daß die
tiefen Wunden, die das lange Kriegswesen der Grafschaft ge-
schlagen haben, nicht imstande waren, im Volke den Sinn für
Vergnügungen und Lustbarkeit zu ersticken und daß trotz der
Entvölkerung und Entsittlichung doch noch ein fester Kern des
Volkstums und ein gewisser Gemeinsinn geblieben sind. So
hatte beispielsweise die Behörde 1646 Anlaß, in Dalbronn das
Tanzen zu verbieten
Außerdem finden sich in den Kirchenarchiven der ehemals
hanauischen Dörfer Mittelhausen, Schvrindratzheim, Altecken-
dorfy Ringendorf, Obermodern und Geuderlheim, die auch
die Filiale Hohatzenheim, Schalkendorf und Biellenlieim be-
treffen, eine große Zahl von Dekreten der hanau-lichtenbergi-
schen und später der hessischen Regierung sowie ausführliche
Presbyterialprotokolle, die uns ein anschauliches Bild über die
Zustände in der GrafschaR im 18. Jahrhundert geben.
Es lohnt sich, auf Grund dieser Quellen näher auf die
Verhältnisse einzugehn. Die derbe Sprache in den Auslassungen
jener Zeit, die alles unter dem sittlichen Gesichtswinkel des
1 Kiefer, Steuern, Abgaben und Gefälle in der ehemaligen
Grafschaft Hanau Lichtenberg. Straßburg, Noiriel [1891]. S. 31.
a Straßburgische Kirchenordnung von 1670, S. 372.
3 Das., S. 376.
4 Pfalzgräfliche Kirchenordnung von 1721, S. 56, Art. X.
* Kiefer, Pfarrbuch der Grafschaft Hanau-Lichtenberg. Stnaii-
burg, Heitz, 18!M). S. 345.
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177 -
jungen Protestantismus zu betrachten pflegten, darf uns nicht
weiter befremden.
Die hanauische Kirchenordnung beklagt zunächst (S. 89),
daß die Pfarrer an der Entheiligung des Sonntags mitschuldig
sind, da sie «freventlich . . . mit Meßtag halten, vnd es an-
dern hierin nicht allein gleich, sondern oflft bevor thun,» daß
sie ferner «das Kinder-Examen J , sonderlich vmb der Meßtage
Willen gar vnterlassen» und «welches das allerärgste, daß sie
insonderheit die Sontägliche Meßtage, nicht allein lassen pas-
siren, vnd selber halten, sondern auch noch mit gar guten
vnd geistreichen Predigten, wie sie meynen, zieren vnd ver-
t heidigen. Vnd dieweilen sie aber, wie man weiß, darinnen von
solchen Dingen auß der Schriflft vnd andern Büchern groß di-
centes machen vnd predigen, welche zwar an sich selbst wahr-
haftig, vnd nicht zu verwerflen seind : Aber aufT das bey vns
jetztfürgehende wilde, vnehristliche Meßtagwesen sich so wenig
reimen und schicken, als ein Faust aufT ein Aug ...» Vom
großen Haufen des Volks aber heißt es (S. 87) : sie «treiben
allerley Sünd vnd Laster am Sontag, halten Meßtag an jhren
Orten ; oder lautfen darzu in die nachbarschalTt vmher, gleich
wie ein Camelin in der Brunst, vnd wie ein wild in der Wüsten
pfleget, wenn es für großer Brunst lechtzet vnd laufft, das nie-
mand auffhalten kan . . .»
Und in weitläufigen lateinischen Auseinandersetzungen ist
auf die Frage, ob bei aller Frömmigkeit die Jahrmärkte am
Sonntag gefeiert werden können, gesagt : Nein, denn mit den
Jahrmärkten sind Zehntausende von Lastern verbunden, wie
jedermann bekannt ist (S. 97). Welches diese Laster sind,
ist schon vorher (S. 96 f.) erörtert : es ist das Würfel-, Kegel-
und besonders das Kartenspiel um Geld oder einen sonstigen
Gewinn, ferner der Kreistanz oder das gemeine Tanzen,
welche aus dem Leichtsinn, dem Mutwillen und dem gemein-
samen Trinken entspringen und der Begleiter und Ursprung
vieler Laster sind, weil sie die Jünglinge in Gesellschaft der
Mädchen abseits von der gehörigen Beaufsichtigung schamlos
machen und verderben und nicht selten unreine Liebe bei bei-
den Geschlechtern hervorrufen und anreizen. Zum Schluß heißt
es, das Springen beim Tanz sei der Sprung in die Tiefe der
Hölle. Die Kirchenordnung schreibt denn auch klar und deutlich
den Willen des Grafen Friedrich Casimir vor (S. 92): «Wir
ordnen, setzen, wollen und gebieten, daß hinfüro die Kirchweihen
und Meßtage an denen Orten, da nicht offene, freye Jahrmärkte
i = den Religionsunterricht.
12
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— 178 —
gehalten werden, gäntzlich abgestellt vnd abgeschafft seyen.
Daß auch vnsere Vnterthanen aufl dieselbige Meßtage jhre Freund
vnd Gaste, nicht insonderheit laden sollen. Es sollen auch vn-
sere Schuldheißen mit fleiß vorsehen, damit nicht durch die
junge Gesellen aufl solche Tag Tantze angestellt werden ; deß-
gleichen sollen die Wurth auch für solche Gesellschaften nicht
kochen noch zubereiten uff die Meßta^e.»
Trotz dieser klaren, nicht mißzuverstehenden Vorschriften
ist aber in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg der Meßtag durch-
aus nicht abgeschafft worden. Der Kampf um den Meßtag tobte
viele Jahrzehnte lang auf der ganzen Linie. Zwar ist es nicht
ausgeschlossen, daß das strenge Gebot der Kirchenordnung von
1659 allgemein oder in vielen Ortschaften befolgt wurde. Ur-
kundliche Belage über etwa abgehaltene Meßtage zwischen 1659
und 1736 lassen sich nicht anführen. Aber das hanauische
Konsistorium sah sich 1713 und 1733 veranlaßt, scharfe Dekrete
gegen das Tanzen zu erlassen, welches mit der Zeit einen ganz
gewaltigen Umfang angenommen hatte. An den höchsten kirch-
lichen Feiertagen, auch am Karfreitag, sowie in der Advents-
und Passionszeit wurde damals gerade am unbändigsten getanzt.
Nach den Berichten der Speziale (nach heutigen Begriffen geist-
liche Inspektoren) wurde 1720 fast von jedermann am Sonntage
getanzt. Es ist darum nicht wahrscheinlich, daß die Landge-
meinden ihre Meßtage aufgegeben haben.
Durch Dekret vom 29. April 1716 wurde das Tanzen am
2. und 3. Oster- und Pfingsttag erlaubt, sofern nicht acht Tage
vorher oder nachher Abendmahlsfeier abgehalten wurde. 1
Als im Jahre 1736 die Landgrafen von Hessen das hanau-
ische Erbe antraten, machte sich alsbald ein strengeres Kirchen-
regiment bemerkbar. Durch hochfürstliches Dekret vom 23. Juni
1736 wurden die Presbyterien wiedereingeführt, eine Art geist-
licher Siltengerichte mit kirchlicher und weltlicher Strafgewalt,
die bereits in der Kirchenordnung von 1659 vorgesehen, aber
mit der Zeit in Abgang geraten waren. Ueber die Beratungen
dieser Presbyterien, die unter dem Vorsitz des Pfarrers aus 2
oder 3 unbescholtenen Bürgern bestanden, führte nun der
Pfarrer Protokoll, so daß uns für viele Gemeinden ein wert-
volles Material für die Sittengeschichte und das Volksleben des
18. Jahrhunderts überkommen ist.
Die Presbyterialprotokolle enthüllen uns mit einem Schlage
ein klares Sittenbild. Im Jahre 1736 steht der Meßtag in den
genannten Dörfern in voller Blüte. Wir müssen daher wohl
annehmen, daß dies schon längere Zeit vorher der Fall war
i Pfarrarchiv von Ringendorf.
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und daß auch in andern Dörfern der Grafschaft dieselben Zu-
stände herrschten. Die hanauische Regierung scheint nun, ent-
gegen der Kirchenordnung, die Meßlage nicht mehr grundsätz-
lich verboten zu haben, wohl aber legte sie ihnen Schwierig-
keiten in den Weg und suchte sie auf Umwegen zu unterdrucken.
Am 13. Juni 1737 erließ Landgraf Ludwig VIII. die «hanauische
Sabbathsordnung». 1 Nach dieser war es verboten zu tanzen an den
Sonn- und hohen Festtagen, ferner vom ersten Adventssonntag
bis nach dem Dreikönigstag und die ganze Fastenzeit hindurch
sowie am Oster- und Pfingstmontag und Dienstag, wenn das
hl, Abendmahl am Sonntag vorher gehalten worden war oder
am Sonntag nachher gehalten werden sollte. Den Musikanten
war es in demselben Umfange bei 3 fl. Strafe verboten,
«sich in öffentlichen Wirths- und anderen Häußern, auch
Gärten, zu lüderlichen Täntzen oder auf andere mißsländige
Weise gebrauchen zu lassen.» Und um auch diejenigen zu
treffen, welche, um dem wachsamen Auge der kirchlichen
Aufseher zu entgehen, in Nachbargemeinden, sogar in katho-
lischen Dörfern, den Meßtag besuchten, wurde außerdem be-
stimmt, daß das Tanzverbol sowohl in- als außerhalb der
Herrschaft galt und daß die Strafe von 3 fl. nach Befinden
noch erhöht werden konnte,.
Durch diese scharfen Bestimmungen waren die tanzfreien
und daher für den Meßtag geeigneten Tage sehr eingeschränkt,
und man hielt nun den Meßtag an einem sogenannten Apostel-
tag oder an einem katholischen Feierlag ab. An den Apostel-
tagen wurden die monatlichen Bettage abgehalten. Die kath.
Feiertage waren Maria Reinigung, Mariä Empfängnis, Maria
Heimsuchung. Diese 15 Halbfeiertage wurden nur durch einen
Morgengottesdiensl gefeiert, nach dessen Beendigung die Leute
ihren gewohnten Arbeiten nachgehen konnten. Sie bestanden
bis zum 6. September 1770 2 . Aber schon 1740 wurde durch
ein Dekret vom 20. September bestimmt, daß das Tanzen auch
an diesen Halbfeiertagen verboten ist, falls am Sonntag vor-
oder nachher das hl. Abendmahl gefeiert würde oder werden
sollte. Dieses Dekret besagt ausdrücklich, daß «die christliche
Oberkeit gern wünschen möchte, daß das Tantzen als eine zu
1 Pfarrarchiv von AUeckendorf, auch teilweise abgedruckt im Eis.
Samstagsblatt von 18G1, S. Hl ff. — Es waren von der hanauischen
Regierung schon l'A'd (also noch vor der Einführung der Reforma-
tion), 1(520 und 1GÜ7 Sabbatsordnungen erlassen worden, die sich
in dem Großherzoglichen Haus- und Staatsarchiv zu Darmstadt be-
finden und für die vorliegende Arbeit nicht zu beschaffen waren.
2 Vgl. auch über die allgemeinen Verhältnisse: Kassel, Aus dem
alten Hanauerlaud im «Ev.-prot. Kirchenboten> 1893, Nr. 24 und 25.
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vielen Unordnungen und Gotl mißfälligem Betragen Anlaß ge-
bende Lustbarkeit ganzlich abbestellt weiden könnte», daß aber
dieses «in verschiedenem Betracht nicht füglich geschehen mag».
Und später scheint der Bogen noch straffer gespannt worden
zu sein, denn dem Wirt Schüler von Hingendorf i , der 1757
den Meßtag auf den Tag Ludovici abhalten wollte, antwortete
das Konsistorium, falls an dem Tage kein Bettag sei und nicht
am Sonntag vor- oder nachher das hl. Abendmahl gefeiert werde,
dürfe er 2 Spielleute, keineswegs aber den ordentlichen Meßtag
hallen.
In den erwähnten Presbyterialprotokollen bilden die Verhand-
lungen wegen Uebertretung des Meßlagverbots einen fortlaufen-
den Bestandteil. Die Pfarrer klagen über das Fressen und Saufen,
Spielen und Tanzen, Huren und Buhlen, Schwören und Fluchen,
Streiten und Zanken, Schreien und Johlen. Insbesondere sind
es die Wirte, denen die Abhaltung der Meßtage übel genommen
wird und die für ihr «Verbrechen» büßen müssen. So stand
der Wirt Lukas Reichert am 7. Oktober 1738 vor dem Pres-
bylerium zu AU- und Eckendorf, weil er «nicht allein den
Meßtag vor der gehaltenen Kirchenlehre 'aufgeführt, sondern
auch unter derselben solchen mit tantzen, spielen, sauften und
freßen gehalten», und weil er nach der Kirchenlehre auf dein
Kirchhof erschien und die Bürgerschaft mit den Worten einlud :
«Ihr Bürger, ihr wißt, daß der Altdörfer Meßlag heut ist, ihr
möget ja fleißig kommen, daß ich es nicht noch einmal sagen
darf!» In Bezug auf den Standpunkt der Wirte und des Pfar-
rers am Meßtag isi das Presbyterialprotokoll besonders kenn-
zeichnend, welches Pfarrer König von Mittelhausen am 1. No-
vember 1740 aus Anlaß des Meßtags verfaßte.
Der Wirt Leonhard war angeklagt, die Veranstaltungen
zum Meßlag zu t reifen, «und seine eigenen Söhne sind die
Meßtagsknaben (Meßtiburschen nach heutigen Begriffen), mithin
die verführerischen Lockvögel, die andere zur Gottlosigkeit
reitzen.» Der Wirt und zwei seiner Söhne wurden vor das
Presbyterium zitiert, wo ihnen der Pfarrer vorstellte, «wie ihr
Vorsatz lauter Leichtfertigkeit zum Endzweck habe ; dann
tantzen, ludern, freßen, saullen, spielen und dergleichen, sind
Dinge, die dem Christenlhumb schnurstracks zuwiederlaufTen.
Kurtz, es seye dieses eine Handlung, aus welcher unzehlige
andere Sünden entspringen. Diese mit vielen Worten begleitete
Vorstellung würckte zwar so viel, daß die Beklagten, sonder-
heillich aber die gemeldten Söhne frey öffentlich gestunden :
ja, sie wüßten es wohl, wie dergleichen sündliche Eitelkeiten
1 Pfarrarchiv von Ringendorf.
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keinem Christen geziemen und mit gutem Gewißen nicht kirn-
ten verübet werden, auch keinen Segen bringen ; gleichwohl
aber wäre doch dieses eine uberall eingeführte Gewohnheit und
müßte man über das bey der starken Aufflage des Ohmgeldes
(eine Weinsteuer) auff allerhand Mittel bedacht seyn, wie man
einen Pfenning gewinnen möge. Ich replicirte: Tausend Jahr
sündliche Gewohnheit seye in den Augen Gottes keinen Augen-
blick recht, und ein sündlicher Gewinn möge notwendig den
göttlichen Fluch nach sich ziehen. Endlich antworteten die Söhne,
sie ließen es aufT den Vatter ankommen, vielleicht wird er anderen
Sinnes. Bald darauf bescheidete ich den Vatter, welcher zwar
meine nach aller Möglichkeit gethane Vorstellungen nicht miß-
billigte, gleichwohl aber sich von der Geld Begierde überwinden
ließ, mit Vorgeben : er würde ja eben deßwegen nicht in die
Hölle kommen, Gott seye gnadig und es werde schon noch
Zeit übrig seyn, da man sich bekehren könne. Ich verfluchte
solch vermeßenes Vertrauen und sagte: Wehe der Seele, die
auf Gottes Barmberzigkeit hin sündiget und die Gnaden Zeit
auf solche Art mißbrauchet! Endlich ging dieser gottlose Vatter
im Zorn fort, nahm meine treuherzige Ermahnung nicht an
und hielt nach seinem Vorsatz das teuffliche jubilaeum i. e.
den Meßlag.» Soweit Pfarrer König. Vierzehn Tage nachher
wurde der Wirt mit seinen drei Söhnen wiederum vorgeladen,
und diesmal versprachen sie nach Anhörung einer tüchtigen
Strafpredigt «mit Hand und Mund, dergleichen Gottlosigkeiten
in ihrem Hauß nicht nur die Zeit ihres Lebens nimmermehr
zu dulten, sondern auch im übrigen sich eines gollseeligen
Wandels zu befleißigen». Ob der Wirt und seine Söhne ihr
Versprechen gehalten haben, läßt sich aus den Prolokollen nicht
ersehen, da von 1742 bis 1755 die Einträge fehlen.
Wie sehr der Meßtag trotz aller Verbote in das Volksbe- '
wußtsein eingedrungen war, beweist ein Fall in Alteckendorf,
wo 1737 der herrschaftliche Schultheiß den öffentlichen Vur-
tanz anführte, und ein anderer Fall, wo 1767 der W r irt Georg
Sch weyer von Schalkendorf, der zugleich Stabhalter und Kirchen-
ältester war, den Meßlag hielt, trotzdem Sonntags darauf das
Abendmahl im Dorf gefeiert, wurde. Daß gerade in dieser letz-
teren Hinsicht die Pfarrer willkürlich den Meßtag verhindern
konnten und es auch absichtlich taten, liegt auf der Hand. Die
Dorfgenossen nahmen aber solche offenbaren Verdrehungen mit
Entrüstung auf. In dieser Hinsicht ist der Fall des streitbaren
Pfarrers Kampmann von Scliwindratzlieim geradezu vorbildlich.
Die dortigen Wirte wollten 1740 auf Ludovici, einen Don-
nerstag , den Meßtag abhalten. Vorsorglicher Weise hatte aber
der Pfarrer Sonntags vorher das hl. Abendmahl gefeiert und
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beeilte sich nun, an das bochfürst liehe Konsistorium zu berichten
mit der Bitte, «da Ii man von seyien dieses Collegii diesem L'n-
fug zeitlich vorzubeugen geruhen werde». Daraufhin wurde der
Meßtag verboten, aber trotzdem abgehalten, und sämtliche junge
Leute hatten sich eingefunden. Bei Beginn des Tanzes erschien
der Schultheiß und las das obrigkeitliche Vertat vor. Aber die
Gesellschaft störte sich nicht daran, die Wirte stießen sogar
viele Schmähreden aus. Wirte und « Meßtagsknaben» (die heu-
tigen Meßtiburschen ) bekamen Geldstrafen. Einige Wochen
nachher aber verlangte der Pfarrer von den übrigen Bti rschen
nach der Vnrbereitungspredigt zum hl. Abendmahl, daß sie an
Eidesstatt geloben sollten, ihr Lvbtag nicht mehr zu tanzen,
sonst würden sie das hl. Abendmahl sich zum Gericht und
zu ewiger Verdammnis empfangen. Wenn sie sich übrigens
dieser l'eppigkeit nicht zu enthalten getrauten, so sei es ihm
lieber, wenn sie überhaupt nicht mehr zur Kirche gingen. Dar-
aufhin verließen sämtliche junge Leute bis auf 6 Knaben die
Kirche. Es wurde an das Konsistorium berichtet. Dieses lobte
nun zwar seinen «sehr löblichen Eyfler», gab ihm aber doch
in einer 3> 2 Folioseiten langen Auseinandersetzung Verhaltungs-
maßregeln für die Zukunft und schließlich den vernünftigen
Rat, das hl. Abendmahl nicht zu feiern, wenn Tänze in Schwin-
dratzheim oder der Nachbarschaft bevorstehn. Auch sonst lag
Pfarrer Kampmann mit den Wirten in stetem Streit. Schließ-
lich zog er doch den kürzeren, erreichte gar nichts und bezog
1747 eine andere Pfarrstelle in der Oberlausitz.
Sehr bemerkenswert ist auch die Auffassung des Pfarrvi-
kars Ehienpfort von Obermodem, der dem ledigen Spiel mann
Jakob Pfad von Schalkendorf 17 43 zumutete, «seine zu vielem
Aergerniß bißhero getriebene Spielmanns-Profession zu quittieren.»
Aber die Zeiten wurden doch allmählich anders, und der
Meßtag behauptete sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts
siegreich. Die Chur-Pfälzische Kirchenordnung von 1763 ent-
hält über Kirchweihe und Meßtag überhaupt nichts. 1764 wurde
in Mittelliausen dein Wirt ausdrücklich erlaubt, «mit Billigkeit,
in der Ordnung und ohne Klage Meß-Tag zu halten".» Am 28.
Oktober 1766 hielten die drei Wirte von Obermodern wider den
ausdrücklichen Regierungsbefehl Meßtag mit «Meßtagspurschen
und Tellerausspielen». Erst am 22. Februar 1767 besprach der
Pfarrer den Fall im Presbyterium, zu einem Beschlüsse kam es
jedoch nicht. 1772 suchte Pfarrer Schaller von Obermodern ver-
geblich, den Meßtag in seinem Filial Schalkendorf zu «inhibiren»,
das Konsistorium erlaubte ihn. Und 1782 erreichte er nur,
daß der Meßtag, der einige Jahre am Ludwigstage gefeiert
wurde, wieder auf Simon und Judä verlegt werden mußte.
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Wie streng es übrigens dieser Pfarrer mit dem Meßlag nahm,
erhellt aus einem Eintrag- von 1776, wonach einige fremde
Burschen, die sich auf Xachbarsmeßtagen bezecht hatten, in
Obermodern bis gegen Mitternacht auf den Gassen herum -
schwärmten und «ein unvernünftiges Brüllen von sich hören
ließen». Sie wurden ihren Pfarrern angezeigt und auch bestraft,
aber nicht wegen ihrer Teilnahme am Meßtag, sondern wegen
der nächtlichen Ruhestörung.
In den veränderten Zeitläuften erlitten auch die Ansichten
über die Meßtagsfreuden eine allmähliche Wandelung. Die
alte Kirchenzucht, die sich ehrlich die Bekämpfung des Lasters
und die Erweckung christlicher Gesinnung zur Aufgabe gestelll
hatte, hatte sich überlebt. Die sittenrichterlichen Befugnisse
der Pfarrer und der Presbyterien zerflossen im Lichte der her-
annahenden Revolution.
Von der Bekämpfung der Kirch weihfeste durch die katho-
lische Geistlichkeit in der vorrevolutionären Zeit ist uns nichts
Wesentliches bekannt, sei es nun, daß die Feste in katholischen
Ortschaften keinen Anlaß zum Einschreiten boten, sei es daß sie
in vielen Gemeinden überhaupt nicht staltfanden. Schon 1723 und
1757 ist bei R i pp el 1 der in Fessenheim Pfarrer war, die Rede
von «rlutherischen Meßtägen» in einem Zusammenhange, der darauf
schließen läßt, daß die Meßlage damals eine eigenartige Ein-
richtung protestantischer Dörfer war. Urkundlich lassen sich
Meßlage in folgenden katholischen Dörfern nachweisen : Min-
versheim 1736 2 , Ueberach 1737 s ? Rumerheim 5. September
1769*, Lichtenberg 1780&, Wingersheim 26. November 1786 6 ,
Hohatzenheim 3. Dezember 1786 ß , Mommenheim 12. Oktober
17886. Aus dem Zusammenhang läßt sich schließen, daß es
dabei recht hoch herging.
Die weltlichen Behörden.
Der Kampf der weltlichen Herrschaften und Behörden ge-
gen die Kirchweihfeste und ihre vermeintlichen Auswüchse ist
alt. In früheren Jahrhunderten, so lange die Herrschaften ent-
weder geistliche waren oder sich in ihren Handlungen und
Erlassen von religiösen Erwägungen leiten ließen, hatten die
1 Rippell. a. a. 0., S. 444.
2 Pfarrarchiv von Altechendorf, Presbyterialprotokoll vom ö.
Februar 1737.
3 Das., Presbyterialprotokoll vom 6. August 1737.
* Pfarrarchiv von Mittelhausen.
5 Bezirksarchiv des Unterelsaß, E. 5891.
6 Notizbuch eines Schreiners, im Besitz der Familie Hornecker
zu Mütellmusen.
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Oberen ein wachsames Auge auf die Feste. So wurde die
Feier des Meßtags zu Hürtigheim 1685 bei 6 Pfund Strafe
verboten Ebenso hatten die Herren von Rathsamhausen den
Meßtag von Quatzenheim unterdrückt, und erst 1700 ließen
ihn die Oberkirch wieder zu 1 . Ja man sagte den Herren v.
Rappoltstein nach, daß sie den Meßtag absichtlich in ihrer
Herrschaft duldeten, um die damit verbundenen Ausschreitungen
mit hohen Geldbußen belegen zu können.
Wenn die Abhaltung der Kirchweihfestlichkeiten geldliche
Vorteile einbrachte, so ließen sie die weltlichen Herrschaften
ruhig gewähren. Sie regelten die Eintreibung der Abgaben und
liehen ihnen ihren Schutz. Selbst die hanauische Regierung, die
einen so erbitterten Kampf gegen die Meßtage führte, verschmähte
es nicht, Meßlagsabgaben zu erheben. Eine ausgesprochen meß-
tagfreundliche Stellung nahmen die Herren Gayling v. Altheim
ein, die vor der Revolution das Dorf Büsweiler besaßen. In den
1780 er Jahren ließen sie die Bauern am Meßtag in den Schloß-
hof ziehen, und die Schloßherren hatten vielen Spaß daran, wenn
jene mit ihren Holzschuhen im Sand und im Dreck tanzten.
Demgegenüber waren die Gemeindevorsteher, die Schult-
heißen, Meyer, Stabhalter und Bürgermeister, die ja zum Volke
selber gehörten und seine Anschauungen teilten, stets für die
Erhaltung des Kirchweihfestes, so lange sie sich nicht mit ihrer
Gemeinde in Widerspruch setzten. In den Genieinderatssitzun-
gen vieler Ortschaften, insbesondere auch der hanauischen Dörfer,
hat es manchen erbitterten Kampf gegeben, bis sich die Bür-
germeister ins unvermeidliche fügten und zum Nachteil der
Gemeindeeinkünfte dem Drängen der Pfarrer und ihres Anhangs
auf Abschaffung der Kirwen und der Meßti nachgaben.
Unter den Wirren der Revolution und der Napoleonischen
Zeit litten auch die Kirchweihfestlichkeiten, ohne daß sie jedoch
ganz eingingen. So wurde 1803 und 1804 in Hochfelden ein
flotter Meßtag abgehalten. Die große Umwälzung sprengte auch
die Fesseln der Kirch weihfeste. Die weltliche Obrigkeit selber
war es, die ihre Hand dazu bot, und nun werden diese Fest-
lichkeiten durch den Staat lediglich von polizeilichen und wirt-
schaftlichen Gesichtspunkten aus beurteilt. Der Geist der Re-
volution weht noch insofern nach, als ein junger Bursche es
ist, der im brüderlichen Kreise gleichgearteter Dorfgenossen
sich besondere Freiheiten erringt , der leitet und sorgt und
dem Feste jenes eigenartige Gepräge verleiht, das es vor allen
Veranstaltungen des Landvolks so vorteilhaft auszeichnet.
1 R. Reuß, L'Alsace au 17« siecle etc. Paris, Bouillon, 1897
1898. II, p. 87.
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Schon 1818 erließ der französische Minister des Inneren
auf eine Anfrage des Präfekten des oberrheinischen Departements
aus Anlaß eines besonderen Falles eine Instruktion worin es
heißt : «Es wäre sehr hart, die Kilben zu verbieten, und es
könnten hieraus Unannehmlichkeiten entstehen . . . Die Orts-
behörde hat die Verpflichtung, die Menschenansammlungen und
die Vergnügungen, die aus ihnen entspringen, zu genehmigen,
indem sie die nötigen Maßregeln zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung trifft. Der Tanz und andere derartige Ver-
gnügungen sind erlaubt. Verboten sind die Hazardspiele und
alle Vergnügungen, welche in ihrer Wirkung gefahrlich werden
oder die öffentliche Sittlichkeit beeinträchtigen können. Die
Ortsbehörde hat nach den Umständen und Oertlichkeiten zu
ermessen, ob Menschenansammlungen gefährlich sind. Sie hat
die Pflicht, sie in diesen seltenen Fällen zu verbieten und zu-
treffendenfalls der vorgesetzten Verwaltungsbehörde über die
Gründe zu berichten.»
' Hierdurch waren die so heiß umstrittenen und vielge-
schmähten Kirchweihfestlichkeiten staatlich genehmigt, und
schon aus dem Jahre 1821 wird uns berichtet*, daß der Präfekt
des Oberrheins, Graf Alexander v. Puymaigre, als er die Dörfer
bereiste, um für die Regierung Stimmung zu machen, oft bei
der Kilbe auf den öffentlichen Tanzböden mit der Frau Maire
oder den weiblichen Anverwandten des Dorfgewaltigen tanzte ;
denn das sei im Elsaß cur acte de popularite bien place», wie
er selbst sagte. Er erhielt denn auch leicht den Namen «Bauern-
präfekt» .
Für unser Gebiet aber beginnt eine Blütezeit, die ein halbes
Jahrhundert lang andauerte und diese schönen Volksfeste vieler
Orlen zu einer idealen Entwicklung brachte. Zwar nahm, wie
wir gleich sehen werden, die Geistlichkeit beider Konfessionen,
den Kampf nur zu bald mit Erfolg wieder auf. Aber das Fest
konnle nicht ganz unterdrückt werden, sondern erreichte den
Gipfel seiner Ausgestaltung in den 18ö0er Jahren in den pro-
testantischen Landgemeinden. Den sichersten Hort fand der
Meßti in den Dörfern der ehemaligen Gratschaft Hanau-Lichten-
berg, die auch sonst durch ihre kernhaften Sitten im ganzen
Elsaß ausgezeichnet sind.
Eine Verfügung allgemeiner Art, die sich mit den Kirch-
weihfestlichkeiten befaßt hätte, scheint von den französischen
Verwaltungsorganen bis 1870 nicht erlassen worden zu sein.
> Recueil des aetcs de la Prefecture du Departement du Haut-
Rhin, 1818. p. 117.
* Straßburger Post, 1906, Nr. 704.
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Der deutschen Verwaltung war es vorbehalten, in Sachen
der Kirchweihen Stellung zu nehmen. Infolge einer unten zu
erwähnenden Eingabe des Direktoriums der Kirche Augsbur-
gischer Konfession an das Ministerium ließ sich dieses von den
Kreisdirektionen darüber berichten, auf wieviel Tage sich durch-
schnittlich die Kilben» in den verschiedenen Gemeinden aus-
dehnen, insbesondere wie weit der Gebrauch, dritte Kilbetage
und Nachkilben zu feiern, verbreitet ist ; wieviel Sonntage im
Jahr in den verschiedenen Gemeinden mit ersten Kilbetagen
besetzt sind ; ob eine Zusammenlegung der Kilben auf einen
und denselben Tag in weiteren Kreisen, etwa kantonsweise
durchführbar erscheint ; welche Bedenken der Untersagung der
Feier dritter Kilbetage und sogenannter Nachkilben entgegen-
stehen würden. Die Kreisdirektion Straßburg-Land gab folgende
zutrellende Antwort.
Zunächst ist es wohl sehr fraglich, ob der Zweck der
Anregung, die Landbevölkerung zu größerer Sparsamkeit und
Sittlichkeit zu erziehen, nicht den gegenteiligen Erfolg haben
wircj, daß die Landbevölkerung die Vergnügungen, die sie auf
dem Lande nicht mehr findet, in der Stadt sucht. Dann
sollte aber auch der althergebrachten Sitte, daß die in der
weiteren Nachbarschaft wohnenden Verwandten sich bei dieser
Gelegenheit gegenseitig besuchen, nicht gesteuert werden. Fer-
ner fallen Gründe der Bevölkerungspolitik, den Verkehr zwi-
schen den einzelnen Gemeinden nicht zu erschweren, ins Ge-
wicht. Daneben sprechen auch praktische Gesichtspunkte, wie
der Mangel an der nötigen Anzahl von Meßti-Unternehmungen
und die Unzulänglichkeit der Ueberwachung durch die Gendar-
merie bei den Kilben, gegen die Zusammenlegung.
Das Ergebnis dieser Rundfrage war ein Erlaß des Mini-
steriums, der den Kreisdirektoren des Unter-Elsaß durch Ver-
fügung des Bezirkspräsidenlen vom 24. Juli 4888 mit folgen-
dem Wortlaut mitgeteilt wurde : «In Ausführung eines Er-
lasses des Kaiserlichen Ministeriums ersuche ich Sie ergebenst,
auf die allmähliche Einschränkung des Mißbrauchs einer zu
weiten Ausdehnung der Kilben und Nachkilben in den Ge-
meinden Ihres Kreises hinzuwirken. Es handelt sich hierbei nicht
um die Abschaffung althergebrachter Ortsfeierlichkeilen, sondern
um die Einschränkung willkürlicher Uebertreibungen derselben,
soweit diese über das legitime Vergnügen und Ruhebedürfnis
der Bevölkerung hinausgehn. Sie wollen demgemäß auf die all-
mähliche Beschränkung der Kilben auf zwei Tage und der
1 Das Ministerium hat als Sammelname für das Kirohweihfest in
ganz Elsaß-Lothringen das oberelsüssische «Kilbo gewählt.
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Nachkilben, soweit letztere überhaupt nachweisbar herkömmlich
sind, auf einen Tag hinwirken. Als Mittel zur Erreichung
dieses Zieles bietet sich die Anweisung an die Bürgermeister,
von der im § 3 meiner Polizei- Verordnung vom 13. Mai 1882
beireffend die Handhabung der Wirtschaftspolizei, ihnen über-
tragenen Befugnis zur Verlängerung der Polizeistunde nur so-
weit Gebrauch zu machen, daß Mitternacht des zweiten Kirch-
weihtages nicht überschritten wird. Ferner wollen Sie Ihrerseits
für den Tag der Nachkilbe Verlängerung der Polizeistunde nur
bis Mitternacht gewähren und den Bürgermeistern untersagen,
daß sie für den zweiten Nachkilbetag Tanzerlaubnis erteilen.
Der Bezirkspräsident. I. V. (gez.) Geiseler.»
Das Ministerium zieht also die notwendigen Folgen aus den
Verhältnissen der entarteten Meßti und Kirwen. Außer ganz
vereinzelten Landgemeinden ist so wie so der dritte Tag in den
letzten Jahren seines Bestehens einfach ein Kneiptag mit vielem
Unfug, mindestens aber mit überflüssigen Geldausgaben gerade
derjenigen Burschen und Männer geworden, die das Geld am
besten brauchen können. Daß durch den Wegfall des dritten
Meßtitages das Begraben des Meßti, hie und da der Hahnentanz
und noch andere rauschende Lustbarkeiten rerschwinden muß-
ten, ist höchst bedauerlich, aber leider waren diese Betäti-
gungen ländlicher Ausgelassenheit gewöhnlich schon in mut-
willige und sinnlose Ausschreitungen entartet. Ist doch in
vielen Dörfern schon am Abend des Meßtimontags nicht mehr
viel «los»!
Soweit kann man also mit den Beweggründen, die das
Ministerium zu seinem Erlaß bestimmt haben, einverstanden
sein. Besser wäre es aber gewesen, wenn es sich klar darüber
ausgesprochen hätte, daß Hand in Hand mit der Bekämpfung
der Auswüchse auch der Schutz und die Pflege der altherge-
brachten erhaltenswerlen Sitten und Gebräuche der unteren
Verwaltungsbehörde ans Herz gelegt wird. So gut auch der
Erlaß gemeint ist, seinem Wortlaute nach wird er von den be-
troffenen Bevölkerungsschichten als Beschränkung, als Verbot
aufgefaßt. Die Behörden sollten es sich besser überlegen, ehe
sie Hand anlegen an solche Feßte, die eine gewisse geschicht-
liche Berechtiguug haben, die schließlich auch zum elsässischen
Nationalgut gehören und einen Quell unserer Volkskraft
bilden.
Was nun die Ausführung dieses Ministerialerlasses be-
trifft, so hat allein die Kreisdirektion Zabern noch weitere Be-
schränkungen vorgenommen, indem sie durch Bekanntmachung
vom 8. Juni 1900 den Bürgermeistern eröffnete, daß sie am
ersten Nachmeßtitag eine Verlängerung der Polizeistunde bis
- 1S8 —
Mitternacht nur ausnahmsweise dann gestatte, wenn hierfür
ein Bedürfnis nachgewiesen werde, und daß am 2. Nachmeßti-
tage, der am besten überhaupt wegfalle, weder Tanzerlaubnis
noch Verlängerung der Polizeistunde erteilt werden dürfe.
Im Kreise Weißenburg erteilen die Bürgermeister den
Wirten für die beiden Hauptkirwetage Tanzerlaubnis und Ver-
längerung der Polizeistunde nach Wunsch und Bedürfnis. Wenn
jedoch Streitigkeiten vorkommen, wird früher Feierabend ge-
macht. In den wenigen Gemeinden, wo ein dritter Hauptkirwe-
tag stattfindet, wird für den 3. Tag, sowie in allen Gemeinden
für den Nachkirwe-Sonntag die Polizeistunde von der Kreis-
direklion stets bis 2 Uhr morgens verlängert. Eine gleiche Er-
laubnis gibt der Bürgermeister dann auch zum Tanzen. Ein
zweiter Nachkirwetag findet in keiner Gemeinde des Kreises
statt. Man wird wohl nicht irren, wenn man in dieser
verstündigen Behandlung der Kirwe noch die Nachwir-
kung der segensreichen Tätigkeit des früheren Kreisdirektors
v. Stichaner auf dem Gebiete der Erhaltung des Volkstums
erblickt.
Auch im Kreise Schlettstadt wird in verständnisvoller Aus-
legung des Ministerialerlasses der Erhallung alter Sitten beson-
dere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Beschränkung des Meßti
wird in jenem fast ganz katholischen Kreise durch die Geist-
lichkeit auch ohne Ministerialerlaß besorgt, und darum ist sicher
die Umwandlung des Meßti zu einem gehaltvollen Familien- und
Volksfeste nach altem Brauch seiner gänzlichen Vernichtung
vorzuziehen. Man kann diesen Bestrebungen nur guten Erfolg
wünschen.
Die Kreisdirektionen Hagenau, Straüburg (Land), Erstein
und Molsheim haben zu dem Ministerialerlaß keine besondere
Stellung genommen.
Die Abhaltung der Kirchweihen auf einen Tag in der
Absicht, die Kirchweihfreuden einzuschränken, wurde übrigens
schon durch die Nassauische Kirchenordnung von 1532 ange-
ordnet. Sie wird auch in unseren Tagen von Zeit zu Zeit als
wirksames Mittel gegen die Vervielfältigung des Meßti empfohlen.
Im Jahre 4906 hat sogar ein Abgeordneter im Landesausschuß
denselben Wunsch ausgesprochen, es wurde ihm aber weder vom
Regierungstische noch von den Abgeordnetenbänken eine Ant-
wort. Zweifellos wäre ein Gesamtmeßti manchmal von Vorteil
so z. B. in der Umgegend von Zabern. Dort haben von Ende
August bis in den November die Arbeiter jeden Sonntag Ge-
legenheit, die Meßtifreuden zu genießen, und nützen sie oft
dermaßen aus, daß der Fabrikbetrieb auf dem Zornhof ernste
Störungen erleidet.
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Die geistlichen Behörden im 19. Jahrhundert.
An der Schwelle des 19. Jahrhunderts war der Zustand
in katholischen Gemeinden folgender. Nach alter kirchlicher
Uebung, die durch Papst Paul V. (1605 — 1621) festgelegt wurde,
fand die Einweihung einer neuen Kirche (dedicatio ecclesiae)
an einem Sonntage oder an einem Heiliyenfeste statt. Man
wählte dazu den Totengedächtnistag eines Heiligen, welcher
dadurch Patron der neuen Kirche wurde. An demselben Tage
wurde auch die kirchlich vorgeschriebene Krinnerungsfeier an
die Kirchenein weihung (dies anniversarius ecclesiae) begangen.
Somit Helen der örtliche Patronslag und das örtliche Kirch -
weihfest zusammen und wurden von alters her mit weltlichen
Lustbarkeiten und Gebräuchen umgeben 1 . Diese örtlichen Kirch-
weihfeste fanden teils an Wochentagen statt, so in Rumersheim
Dienstag den 5. September 1769 2 , zum Teil wurden sie auf den
nachfolgenden Sonntag verlegt, so in Wingersheim am 26.
November 1786, in Hohalzenheim am 3. Dezember 1786, in
Mommenheim am 12. Oktober 1788».
Durch ein Indult des Papstes Pius VII., veröffentlicht durch
Üeschluß des französischen Staatsrats vom 29. Germinal des
Jahres X*, wurde nun bestimmt, daß außer den örtlichen Kirch-
weih- und Patronsfesten (festi sanclorum palronorum), die am
nachfolgenden Sonntag zu begehen sind, noch ein allgemeines
Kirchweihfesl in ganz Frankreich gefeiert werden soll (anniver-
sarium didicatiouis templorum quae in ejusdem gallicanae rei-
publicae territorio erecta sunt), und zwar am Sonntag nach
der Oktave von Allerheiligen. Das allgemeine Kirchweihfest
wird noch heute auf diesen Tag rein kirchlich abgehalten. Die
örtlichen, mit den Patronstagen verbundenen Kirchweihfeste
blieben bestehen und wurden am Sonntag abgehalten.
Aber schon in den 1820 er Jahren eröffnete die katholische
und einige Jahrzehnte später die protestantische Geistlichkeit
ihren Verfolgungskampf gegen Kirwe und Meßti, und dieser
Kampf dauert bis zum heutigen Tage an. Ks liegt ja in der
Natur der Verhältnisse, daß die Vertreter des geistlichen Standes
sich vermöge ihres Amtes das Meßti- und Kirwetreiben näher
ansehen. Und diese Festlichkeiten boten in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts schon allein wegen ihrer übermäßigen Aus-
dehnung reichlichen Anlaß zur Klage und zur Beanstandung.
• P f a ii n c n s c h in i d, a. a. 0., S. 24"> f.
2 Pfarrarchiv von Mittelhausen.
s Notizbuch eines Schreiners, im Besitz der Familie Hornecker
zu Mütelhauseit.
4 L e p c c, Bulletin des Lois etc. Paris, Dupont. T. IX (1Ö3U),
p. 28t>.
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— 190 —
Eine allgemeine Verordnung über ihre Einschränkung oder
Unterdrückung ist weder durch das Bistum Straßburg noch
durch die protestantischen Kirchenbehörden erlassen worden«.
Vielmehr richteten sich die Pfarrer einzig und allein nach den
allgemeinen Grundsätzen der Moral, und in diesem Sinne
wurde den katholischen Pfarrern auf Anfrage immer durch
das Bistum geantwortet.
Wir müssen nun je nach der persönlichen Auffassung der
Pfarrer beider Konfessionen zwei Ansichten unterscheiden.
Nach der einen ist der ganze Meßti, die ganze Kirwe als
eine Quelle der Sünde, als eine Gott nicht wohlgefällige Ver-
anstaltung anzusehen und deshalb mit Stumpf und Stiel aus-
zurotten. Jeder einzelne seiner Bestandteile ist anstößig und
unsittlich, das viele Essen und Trinken, das Spielen, eine Reihe
von Gebräuchen wie z. B. das Begraben, ferner und ganz be-
sonders der Tanz als Ausgangspunkt von allerlei Unsitllichkeiten
und sittlichen Verfehlungen, ja schon allein das Beisammensein
der jugendlichen Vertreter beider Geschlechter. Manche geist-
liche Herren verbieten in der Neuzeit sogar das Karussellfahren.
Recht zutreffend ist der ablehnende Standpunkt in folgender
Würdigung der Kleeburger Kirwe durch den dortigen refor-
mierten Pfarrer E p p e I gekennzeichnet » : «Die Hauptsache
ist den Leuten nicht die kirchliche Feier, sondern was nach-
folgt und was dieses Fest in Kleeburg, wie überall, zum Ge-
genteil von dem gemacht hat, was sein Name besagt, zu einem
Baals- und Bauchfest, wo das Fleisch seine volle Rechnung
findet, der Geist aber meistens leer ausgeht oder gar ersäuft
wird.»
Diese strenge Haltung, die den Menschen hienieden nur
auf sein Seelenheil vorbereiten will und jedes das gewöhnliche
Lebensbedürfnis überschreitende Vergnügen verurteilt und be-
seitigt, brachte es zustande, daß in zahlreichen katholischen
Ortschaften in der Zeit zwischen 1825 und 1840 jenes üppige,
fröhliche Dorflest einging. Die Patronstage wurden ihrer pro-
fanen Beigabe entkleidet und blieben als rein kirchliche Feste
bestehen. Sie werden in einem besonderen Abschnitt weiter
betrachtet werden. Das jetzige Geschlecht weiß in solchen
Dörfern durch Ueberlieterung oder auch durch eigene Anschau T
ung bloß noch von dem ehemaligen blühenden weltlichen Meßti
und dem nachgefolgten rein kirchlichen Patronstage zu erzählen.
Die Ansichten über den Meßti haben sich dermaßen verschoben,
daß er vielfach für etwas Schlechtes und Verdammungswürdiges
i E p p e 1, Kleeburg;. Straßburg, Hottingers Schriftenverlag,
1891. S. 04 f.
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- 191
gehalten wird. So schien der Bürgermeister von Griesheim
ganz beleidigt, als ich ihn nach dem alten Meßti fragte. So
lange er im Amte sei, erklärte er mit erhobener Stimme, würde
er «so was» nicht dulden. Eine Frau von Dottendorf meinte,
der Meßti sei ein heidnischer Brauch und ein Teufelswerk,
ebenso eine Weyersheimer Persönlichkeit. Viele Leute schämen
sich, zu gestehen, daß in ihrem Dorfe überhaupt einmal Meßti
war, und hierdurch werden die Nachforschungen wesentlich
erschwert.
Weniger häufig trifft man die schrofte Ansicht vom ver-
derblichen Wesen der Kirchweihfestlichkeiten bei protestanti-
schen Geistlichen, und hier findet sie sich von der Mitte des
Jahrhunderts ab vorwiegend in den Dörfern der alten Grafschaft
Hanau-Lichtenberg, die ja auch in früheren Jahrhunderten der
Schauplatz erbitterten Kampfes gewesen waren. Dort sind nicht
allein die Pfarrer an der Unterdrückung des Meßti schuld,
sondern auch die Mehrzahl der Dorfeingesessenen selber, denen
ihre religiösen Anschauungen vom Pfarrer anerzogen wurden.
Manche Leute, auch Bürgermeister, sahen mit Bedauern den
alten Meßti scheiden und hingen begreiflicher Weise mit Zähig-
keit daran, aber schließlich fanden sie sich doch auch ohne
Meßti zurecht und waren am Ende auch damit ganz zufrieden.
In Imbsheim waren die Wünsche der Gemeinde, den Meßti
beseitigt zu sehen, sogar stärker als die des Pfarrers, und die-
ser mußte seinem drängenden Kirchenrat und Gemeinderat
kurzer Hand nachgeben.
Folgendes mag als Beleg zu den Ansichten dienen, die in
weitesten Kreisen des Hanauerlands über den Meßti herrschten
und noch herrschen. Eine jetzt noch lebende alte Frau aus an-
gesehener Familie hatte als Jungfrau mehrere Meßti mitgemacht.
Aber plötzlich, so sagt sie, sei eine innere Wandlung mit ihr
vor sich gegangen, sie sei erleuchtet worden und habe sich aus
Abscheu vom Meßt it reiben zurückgezogen. Dabei habe sie an
den Spruch Matth. 11, 21 gedacht und ihm auch öffentlich
Ausdruck gegeben : «Wehe dir, Ghorazim ! wehe dir, Bethsaida !
wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, als bei
euch geschehen sind, sie hätten vorzeiten im Sack und in der
Asche Buße getan.» Es war in den 1850 er Jahren, und in
demselben Jahre wurde zur Genugtuung jener Jungfrau der
Meßti zum letzten Mal abgehalten.
Nicht minder kennzeichnend und zugleich ein Beitrag zu den
religiösen Anschauungen des Hanauers überhaupt ist folgendes
Vorkommnis. Eine alte Hanauerin hatte vor mehr als einem halben
Jahrhundert beim Tanz eine zinnene Meßtiplatte gewonnen. Vor
etwa 10 Jahren kam ein Althändler, dem sie die schön gravierte
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Platte verkaufte. Den Erlös von 18 M. hat sie aber nicht etwa
verbraucht, sondern in eine Schachtel eingewickelt und als Zehr-
pfennig im Falle der Not beiseite gelegt. Falls sie das Geld
nicht brauchen sollte, so ist es nach ihrem Ableben für die
äußere Mission bestimmt. Bis jetzt ist ein Notfall nicht ein-
getreten, obwohl dies früher öfters geschah. Die Frau erblickt
in dieser günstigen Aenderung ihrer Verhältnisse den Finger
Gottes und glaubt recht getan zu haben, indem sie die an-
rüchige Meßtiplatte veräußerte.
Die gewaltsame Unterdrückung solcher alteingelebten Feste
ist in unserer Zeit viel schwieriger als früher. Die Erfahrung
hat gelehrt, daß immer und immer wieder der Hang zu welt-
licher Lustbarkeit zutage tritt. Ob aber in denjenigen Dörfern,
wo es dein pastoralen Eifer gelang, die Kirchweihfreuden zu
unterdrücken, auch die Sittlichkeit gehoben, die Frömmigkeit
gefördert, die Menschen gebessert wurden, das ist eine andere
Frage.
Der gemäßigte Standpunkt vieler Geistlichen geht dahin,
daß die Kirchweihfreuden zu dulden sind, so lange sie nicht
zu Ausschreitungen und sittlichen Schäden führen. D^m per-
sönlichen Ermessen des Pfarrers ist hier ein weiter Spielraum
gelassen. Von den protestantischen Geistlichen sind diejenigen,
die der freieren Richtung angehören, nicht immer auch die,
welche den Kirchweihfesten Wohlwollen entgegenbringen. Und
wenn in mancher Gemeinde Kirwe und Meßti nicht beseitigt
wurden, so lag es nicht immer an den Geistlichen.
Welche Mittel sie manchmal anwenden, um die Kirchweih-
testlichkeiten zu vernichten, davon sei hier ein Beispiel erwähnt,
das seinerzeit auch über die Grenzen des Elsaß hinaus bekannt
wurde. In Diebolsheim steigerte vor Jahren der katholische
Pfarrer die Kirchweih, um ihre Abhaltung zu verhindern. Der
Kreisdirektor von Schlettstadt ließ den Steigpreis an den Ge-
meinderechner einzahlen, und erteilte dann auf Antrag für den
nächsten Sonntag und Montag einem Wirt im Dorfe die Er-
laubnis zur Abhaltung eines öffentlichen Tanzes unter der Be-
dingung, daß dieses Vergnügen vollständig wie eine Kilbe, mit
Rösselspiel u. dgl. stattfindet. Seitdem wird das Mittel, die
Ansteigerung von den Pfarrern nicht mehr versucht.
Im allgemeinen kann man sagen, daß da, wo Meßti und
Kirwe verkümmert sind — darüber wird in einem besonderen
Abschnitt die Rede sein — , den Pfarrer immer wenigstens ein
Teil der Schuld trifft.
Es möge hier ein Verzeichnis sämtlicher Kirwen und Meßti
folgen, die durch die Geistlichkeit unterdrückt wurden. Darin
sind auch diejenigen Ortschaften enthalten, wo angeblich seit
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- 193 —
Menschengedenken das Fest nicht stattfand. Die Ansicht, daß
es auch dort durch geistlichen Einfluß beseitigt wurde, ist in
dem oben gesagten begründet, und außerdem haben wir es
öfters erlebt, daß von mehreren Dorfgenossen der eine behaup-
tete, ein Meßli habe noch nie stattgefunden, während der an-
dere bestimmt aussagte, der Pfarrer habe ihn in dem und dem
Jahre abgeschafft.
Zunächst die katholischen oder vorwiegend katholischen
Dörfer.
Landkreis Straßburg, Kanton Bruraath : seit Menschenge-
denken nicht in Bilwisheim, Dmnenheim, Kilstett, Kriegsheim,
Mittelschäffolsheim, Mommenheim (1788 archivalisch nachge-
wiesen, s. o.), Rottelsheim und Wanzenau ; schon lange nicht
mehr in Bernolsheim ; zuletzt 1853 abgehalten in Weyersheim,
1862 in Gambsheim. — Kanton Hochfelden: seit Menschen-
gedenken nicht in Bossendorf, Friedolsheim, Grassendorf und
Ringeldorf ; zuletzt abgehalten zu Eltendorf in den 1820 er
Jahren, in Schaffhausen kurz vor 1830, in Lixhausen 1833,
in Minversheim, Mutzenhausen und Scherlenheim in den
1830er Jahren, in Wilwisheim 1838. — Kanton Schiltigheim :
seit Menschengedenken nicht in Achznheim, Oherschäffolsheim,
Reichsten, Suffehveyersheim. — Kanlon Truchtersheim : seit
Menschengedenken nicht in Avenheim, Behlenheim, Dingsheim,
Dossenheim, Dhrningen, Fessenheim, Griesheim, Gugenheim,
Udenheim, Kienheim, Kleinfrankenheim, Kattolslieim, Neu-
gartheim, Offenheim, Osthofen, Pfettisheim, Rohr, Rumers-
heim (1760 archivalisch nachgewiesen, s. o.), Schnersheim ,
Stützheim, Truchtersheim, Willgottheim und Wiwersheim.
Kreis Erstem, Kanton Erstein : seit Menschengedenken
nicht in Hindisheim, Hipsheim und Kraft; in den 1820er
Jahren abgekommen zu Limersheim. — Kanton Geispolsheim:
seit Menschengedenken nicht in Düppigheim, Ichtratzheim und
Lipsheim; zuletzt um 18 16 abgehalten in Wibolsheim, um
1853 in Fegersheim, 1856 in Dautenheim, 1858 in Holzheim,
1880 in Geispolsheim. — Kanton Oberehnheim : seit Menschen-
gedenken nicht in Jnnenheim, Krautergersheim und Meistratz-
heim, 1865 abgeschafft in Zellweiler.
Kreis Hagenau, Kanton Hagenau : zuletzt abgehalten um
1830 in Batzendorf und Wahlenheim, 1832 in Keffendorf,
1836 in Uhlweiler, zwischen 1835 und 1840 in Wintershausen,
in den 1830 er Jahren zu Holtendorf und Wittersheim, «schon
lange nicht mehr» in Berstheim, in den 1840 er Jahren zu
Nieder schä ff olsheim, um 1850 zu Höchstett und Oftlungen, in
den 1860 er Jahren zu Morschweiler, um 1870 zu Dauendorf.
— Kanton Niederbronn : eingegangen zu Kindweiler 1870.
13
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— 194 —
Kreis Mölsheim, Kanton Molsheim : seit Menschengedenken
nicht in Altdorf, Avolsheim, Dachslein, Ergersheim, Ernols-
heim, Sulzbad und Wolxheim ; 1 872 abgekommen in Still. —
Kanton Hosheim: seit Menschengedenken nicht in Bischofsheim
und Griesheim; «schon lange nicht mehr» in Borsch; zuletzt
188(3 in Ottrott. — Kanton Wasselnheim: seit Menschengedenken
nicht in Dahlenheim und Marlenheim ; «schon lange nicht mehr»
in Bergbieten.
Kreis SchleMstadt, Kanton Barr: zuletzt abgehalten in Stotz-
heim 1852, in St. Peter 1854.
Kreis Weißenburg, Kanton Sulz u. W. : zuletzt 1877 ab-
gehalten in Schoenenburg. — Kanton Wörth : seit Menschen-
gedenken nicht in Laubach; zuletzt abgehalten zwischen 1835
und 1840 in Eberbach, vor 1850 in Biblisheim, um 1860 in
Hinterfeld und Walburga vor 1870 in Eschbach und Gunstett,
1887 in Dürrenbach, 189*2 in Hegeney, 1902 in Diefenbach.
Kreis Zabern, Kanton Maursmünster : seit Menschenge-
denken nicht in Jettersweiler, Knörsheim, Rangen, Reuten-
bürg, Schwein heim, Westhausen und Zeinheim ; zuletzt abge-
halten zu Kleingöft in den 1840 er Jahren, in Hohengöft 1854,
in Dimbsthal noch nach 1870. — Kanton Zabern : seit Men-
schengedenken nicht in Littenheim, Lupstein und Waldolwis-
heim ; eingegangen am Anfang des 19. Jahrhunderts zu Alten-
heim und Wolschheim, in den 1840 er Jahren zu Steinburg.
Die eingegangenen Kirwen und Meßti sind also in größerer
Zahl angehäuft in den Kantonen Wörth, Hagenau, Hochfelden,
Maursmünster und Truchtersheim, demnach auch im Kochersberg.
In folgenden protestantischen oder vorwiegend protestanti-
schen Dörfern wurden Kirwe und Meßti durch geistlichen Ein-
fluß abgeschafft.
Landkreis Straßburg , Kanton Hochfelden : Geisweüer,
Wickersheim und Wilshausen 1853. In Wickersheim trat mit
der Zeit ein evangelisch-lutherisches Missionsfest an die Stelle,
das alljährlich eine große Volksmenge von nah und fern an-
zieht. Abgesehn von einem besseren Essen in der Familie hat
dieses Fest nur religiöse Bedeutung. — Kanton Schiltigheim :
eingegangen in Brcuschwickersheim 1858, in Eckboisheim iübti,
Kreis Molsheim, Kanton Wasselnheim : «schon lange» ab-
geschafft in Tränheim.
Kreis Schlettstadt, Kanton Barr : seit Jahren eingegangen
in Heiligenstein.
Kreis Weißenburg, Kanton Sulz u. W. : 1877 abgeschafft
in Hölschloch und Merkweiler. — Kanton Wörth : 1882 ab-
geschabt in Preuschdorf.
Kreis Zabern, Kanton Buchsweiler : zum letzten Mal abge-
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195 —
halten in Imbsheim 18(38, Nieder- und Obersulzbach 1884,
Griesbach 1888. — Kanton Zabern : Prinzheim 1875, Hatt-
matt 1889, Gottesheim 1897.
Aufrichtiges Wohlwollen der Pfarrer gegen den Meßti ist
selten, kommt aber vor» in alter wie in neuer Zeit. In den
1820 er Jahren tanzten zu ßuchsweiler die Pfarrerstöchter mit
den Vikaren und jungen Pfarrern in der Meßlihütte. Die
ehrwürdigen Pfarrherren sahen zu und freuten sich über das
Vergnügen der Jugend. Um dieselbe Zeit tanzte die Etten-
dörfer Pfarrköchin mit den dortigen Burschen öffentlich in
Anwesenheit des Pfarrers. In den 1840 er Jahren sah sich
der JJochstetter Pfarrer den Vortanz auf der Dorfstraße an und
belustigte sich sehr über seine tanzenden Bauern. Aus den 1850er
Jahren wird von Weyersheim berichtet, daß der Pfarrer regel-
mäßig ein Ständchen mit dem Vortanz vor dem Pfarrhaus ent-
gegennahm und die Vesper früher abhielt, damit die Bauern
sich eher dem Tanzvergnügen hingeben konnten. Niemals, so
erzählt man sich, sei die Kirche besser besetzt gewesen als am
Meßti-Sonntag.
Aus neuerer Zeit sind namentlich die Verdienste des lang-
jährigen Mietesheimer Pfarrers August Jäger um die Er-
haltung der dortigen Sitten und insonderheit des Meßti hekannt
geworden.
Das Oberkonsistorium der Kirche Augsburgischer Konfession
befaßte sich wiederholt mit den Kirchweihfesten. 188*2 klagt
der geistliche Inspektor Pfarrer Horst aus Colmar über die
Kilben im Oberelsaß 1 : «Während einer langen Reihe von Sonn-
tagen, so schreibt er, werden diese in den verschiedenen, nahe-
gelegenen Dörfern abgehalten, so daß, wenn hie und da ein
besser gesinnter Bürgermeister das Abhalten der Kilbe unter-
sagt, die Belustigungssüchtigen in der Nachbarschaft öfters Er-
satz finden, wodurch der Unfug gemeiniglich noch erhöht wird.»
Aehnliches berichtet der Pfarrer von Altweiler * und wünscht,
daß alle Kirchweihen des ganzen Landes auf denselben Tag
verlegt werden und daß niemals Trink- und Tanzfreiheit für
ganze Nächte bewilligt wird.
Auch im Bericht des Pfarrers Krencker, Inspektors der
Inspektion Lützelstein, wird von einem Pfarrer wie folgt ge-
klagt 2 : «Nicht nur wird drei Tage und besonders drei Nächte
in einem Dorf, wo ein solches Fest begangen wird, getanzt,
1 Amtliche Sammlung der Akten des Oberkonsistoriums und des
Direktoriums der Kirche Augsburgischer Konfession, B. XXXV11I.
Straßburg. Heitz. 1S84. S. 151 f.
* Das., B. XL, 1.SS7. S. (>Ü.
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UMi
das Geh! vergeudet, oft in Unmäßigkeit und Unzucht gelebt,
sondern während acht Wochen oder noch länger, während
welcher ein Dorf nach dem andern seine «Kirch weihe» feiert,
zieht die Jugend und auch ältere Leute, Sonntag für Sonntag,
in die näheren oder ferneren Ortschaften, wo ihnen Gelegen-
heit geboten wird, solch unbändiges Treiben stets aufs neue zu
führen. Diesem ausschweifenden Treiben sollten höheren Orts
Schranken gesetzt werden. Ueberdies wird auch die Erlaubnis
zum Tanzen öfters als früher gegeben. Hierdurch erwächst
zwar einem Wirt und einigen Musikanten Vorteil, die Haus-
haltungen aber leiden not, weil die Söhne das Geld zu solchen
unnützen Vergnügungen herauspressen. Die Jugend wird somit
mehr und mehr entsittlicht und verwildert.»
Wenn auch diese Klagen nicht aus unserem Gebiete stammen,
so mußten sie doch der geschichtlichen Vollständigkeit halber
erwähnt werden, weil sie den Ausgangspunkt des im vorigen
Abschnitt angeführten Ministerialerlasses bildeten. Das Ober-
konsistorium befaßte sich nämlich am 18. November 1885 mit
der Angelegenheit und das Mitglied Dr. HöfTel stellte den An-
trag 1 , das Oberkonsistorium wolle der Regierung den Wunsch
unterbreiten, daß alle Kirchweihen im Lande an ein und dem-
selben Tage gehalten werden, wie solches in Württemberg ge-
schieht. Die Kommission des Generalberichts schloß sich dem
Antrage an 2 , das Oberkonsistorium war aber der Ansicht, es
genüge, wenn das Direktorium im Auftrage des Oberkonsistoriums
die betretfenden Stellen der Inspektionsberichte der Regierung
zur Kenntnis bringe». Dennoch wurde der Regierung gegen-
über der W r unsch ausgesprochen, daß die Kirchweihen für
weitere Bezirke auf einen und denselben Tag verlegt werden
möchten, und das Direktorium beantragte weiter, daß wenigstens
die dritten Kilbetage und die Nachkilben untersagt würden.
l*eber das weitere Schicksal dieser Anträge ist im vorigen Ab-
schnitt bereits berichtet.
Im Jahre 1886 befaßte sich auch die Pastoral konferenz, eine
zeitweise tagende freie Vereinigung evangelischer Pfarrer beider
Richtungen, mit der Ausartung des Kirchweihfestes. Der Be-
richterstatter, Pfarrer H o f f m a n n aus Eckwersheirn, drückte
damals folgende zutreffende und verständige Ansicht aus 4 . «Das
Volk muß seinen weltlichen Festtag haben, das wird jeder an-
» Das., S. 71.
2 Das., S. 99 und 110.
» Das., S. 110.
4 Archiv der Strahburger Pastoralkonfcrenz, IX. Band, 4. Lief.
Straßburg, Heitz, 1*89. S. 392.
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- 497 -
erkennen, der mit dem Landvolk in Berührung gekommen ist.
Man lasse daher dem Landvolke seine Kirmeß als Fest ohne
religiöse Grundlage, so manches bietend, das wert ist, erhallen
zu werden, der Volksfreude freien Lauf gewährend I Bildet doch
das Kirchvveihfest ein Band, das nicht nur die Lebenden unter
sich vereinigt, indem es nahen Verwandten oder treuen Haus-
freunden gestattet, sich zu sehn und zu begrüßen, sondern
auch das jetzige Geschlecht mit den längst vorangegangenen
Geschlechtern in Brauch und Sitte verbindet. Dazu hat die
Kirmeß auch ihre poetische Seite, die ich nicht möchte ver-
schwinden sehn. Ich selie es gern, wenn der Maienbaum feier-
lich im Walde abgeholt, auf den freien Platze im Dorfe auf-
gepllanzt und mit Bändern, Leckerbissen und andern Gegen-
ständen geschmückt wird, welche den Knaben, die solche beim
Erklettern erhaschen können, zuteil werden; wenn nachmittags
ein heilerer Zug durch die Straßen, selbst mit Musik, veran-
staltet wird, der mit einem harmlosen Tanz um den Maien-
baum endigt ; wenn der gezierte Festhamniel oder der feiste
Festhahn, Ueherbleibsel der Opfer unserer Väter, ausgelost oder
ausgespielt wird ; wenn Freunde und Bekannte nach schweren
Arbeitstagen sich zusammenfinden, um einige gemütliche Stun-
den, sei es im eigenen Hause, sei es in einer Gartenwirtschaft
zu verbringen, während die Dorfjugend eines unserer Volks-
lieder anstimmt !»
Merkwürdigerweise wurden weder im Bericht, noch in den
Verhandlungen von der Behandlung des Gegenstandes im Ober-
konsistoriurn und von der auf dessen Anregung hin durch das
Ministerium erlassenen Verfügung auch nur ein Wort gesprochen.
Sondern der Berichterstatter schloß mit folgenden Vorschlägen»:
Es möge die Pastoralkonferenz erstreben, daß die Kirchweihen
eines Kantons auf denselben Sonntag verlegt werden, daß ihre
Dauer eingeschränkt werde, so daß weder Vor- noch Nachkilbe
stattfänden ; daß das Tanzvergnügen nur bis zu einer gewissen
Stunde gestattet und ein strengeres Strafmaß, als es bisher üblich
war, bei Unordnungen, Schlägereien usw. in Anwendung gebracht
werde. Die Aufgabe der Kirche ist eine bildende und erziehende,
mithin eine solche, deren Frucht nur langsam heranreift. Er-
ziehen wir unsere Gemeinden zum Genuß höherer und edlerer
Freuden als diejenigen, welche die rohe, ausgelassene Lust ge-
währt, und die Ausschweifungen der Kirchweihen werden immer
seltener werden, das Kirch weihfest dagegen immer mehr zu
einem echten Volksfeste sich gestalten.
i a. a. 0., S. 394 f.
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— 198 -
In der Verhandlung wurde auch liier Anstoß genommen
an dem vielfältigen Besuche auswärtiger Kirchweihen, den einer
der Redner, Prof. Budde, als Schmarotzer- und Landstreiehei-
tum bezeichnete. Mehrere Mitglieder sprachen den Wunsch
aus, die Pastoralkonferenz möge sich ans Direktorium wenden,
um von den zuständigen Behörden die Verlegung der Kirchweih-
feste auf einen Tag zu erwirken. Dieser Antrag fand aber
keinen Anklang. Man einigte sich schließlich dahin, es sei am
besten, wenn die Pfarrer die im Verlaufe der Diskussion aus-
gesprochenen Gedanken in ihre Gemeinden brächten und, soviel
in ihren Kräften steht, die Volksfeste zu veredeln suchlen.
Der Patronstag. Der Rosenweiler Meßti.
Bis um die Wende des 19. Jahrhunderts wurden kirchliches
und weltliches Kirchweihfest, nach heutigen Begriffen Patronstag
und Meßti oder Kirwe, zusammen gefeiert, und zwar teils an
einem Wochentage, teils am Sonntag.
Durch das bereits erwähnte Indult Pius VII. i wurde be-
stimmt, daß die Patronstage (festi sanctorum patronorum) der
einzelnen Pfarreien nicht an einem Wochentage, sondern am
darauffolgenden Sonntag gefeiert werden sollen.
Aber im Laufe der Jahre kam vielfach die Gewohnheit auf,
den Palronstag wieder an einem Wochentage abzuhalten, falls
er auf einen solchen fallt, und in diesem Falle wird das päpst-
liche Indult dadurch befolgt, daß die Messe des Festes am dar-
auffolgenden Sonntage und zwar feierlich gesungen wird. Man
darf wohl die Abhaltung des Patronstages an einem Wochentage
als ein wichtiges Mittel ansehen, um profane Ansätze zu ver-
hindern, insbesondere um Budenbesitzer und Tanzvergnügen
fernzuhalten, die sich an einem Sonntage ungleich leichter an-
schließen könnten. Die Verlegung des Patronsfestes auf einen
Sonntag geschieht hauptsächlich mit Rücksicht auf die Feld-
arbeiten.
In der Zeit von 1825 bis 1840 entledigte sich der kirchliche
Patronstag fast allenthalben der weltlichen Kirchweihfreuden
und blieb nun als ein rein kirchliches Fest in allen katholischen
Gemeinden bis zum heuligen Tage bestehen. In zahlreichen Ge-
meinden und zwar, wie wir gesehen haben, fast ausschließlich
im Gebiete des Meßti, ging dabei das weltliche Kirchweihfest
überhaupt ein. In den andern wurden Meßti oder Kirwe auf
einen andern Termin verlegt und so beide Feste getrennt ab-
gehalten. In vielen von diesen Dörfern ging Meßti oder Kirwe
später aus verschiedenen Ursachen ein.
i L c p e c, Bulletiu des Lois etc. Paris, Dupont. T. IX (1H3(>), p. 28G.
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- 199 —
Das weltliche Kirchweihfest hat sich neben dem Patronstag
noch am meisten im Kreise Weißenburg behauptet, wo nur in
17 von 85 Ortschaften der Patronstag allein, ohne Kirwe gefeiert
wird (Bremmelbach, Hohweiler y Keffenach, Katzen hausen ,
Lobsann, Memmeishofen, Schönenburg, Niederseebach, Eber-
bach hei Wörth, Forstheim, Heyeney, Laubach, Eschbach,
Walburg, Dürrenbach, Biblisheim und Diefenbach ), ferner
in den Kantonen Bisehweiler, Molsheim, Maursmünstei und in
den lothringischen Dörfern.
Nur in wenigen Gemeinden scheinen Meßti oder Kirwe
und Patronstag noch heute zusammenzufallen, so in Lützelburg,
Greßweiler und Lauterburg. Zu Oberehnheim wurde bis vor
wenigen Jahren zugleich mit dem Patronstug eine Art Meßti
gefeiert, der 2 Tage dauerte und noch einen Naclnneßli nach
sich zog.
In einzelnen Ortschaften sind zwischen Patronstag und
Meßli oder Kirwe noch zeitliche Beziehungen übriggeblieben.
In Dinsheim wird drei Sonntage hintereinander Meßti, am vier-
ten Sonnlag Patronstag gefeiert. Zu Oberhaslach findet der
Antanzmeßti 8 Tage vor, der Hauptmeßti 8 Tage nach dem
Patronstag statt. In Heinrichsdorf wird gleichfalls am Sonntag
nach dem Patronstag Meßti abgehalten. So war es früher auch
in Wilwisheim. Kesseldorf, Schaffhausen bei Selz, Siegen,
Reimersweiler und Eckartsweiler begehen die Kirwe am Sonn-
tag nach dem Patronstag, Oberlauterbach am 2: Sonntage nach-
her. Jn Wörth feiert man Patronstag am Laurentiustage (10.
August), Kirwe am Sonntag und Montag nach dem 6. Augusf.
Im allgemeinen ist für den Patronstag ein bestimmter Tag
festgesetzt. Es würde aber den Rahmen dieser Arbeit weit
überschreiten, wenn wir die einzelnen Daten und Heiligen hier
aufzahlen wollten. In Einzelfallen, wenn auf den betreffenden
Sonntag etwa das Kirchweihfest oder ein anderes weltliches
Fest angesetzt war, wurde das Patronsfest mit bischöflicher
Genehmigung verlegt.
Der Patronstag wird im großen und ganzen als kirchlicher
Festtag gefeiert. Aber es ist eine alte Erscheinung und beson-
ders im Wesen der Kirchweihfestlichkeiten begründet, daß sich
an religiöse Feste leicht Aeußerungen weltlicher Freude ansetzen.
So wird am Patronstag vielfach den Tafelfreuden eine besondere
Aufmerksamkeit gewidmet. In den 1870 er Jahren wurde in
mehreren Dörfern des Kantons Hochfelden aus Anlaß des Pa-
tronstages geschlachtet und mehrere Tage hintereinander reich-
lich gegessen und getrunken. Einladungen von Verwandten und
Bekannten sind allgemein üblich, früher waren auch Protestanten
gern gesehene Gäste. In Nordheim feiern die wenigen Prote-
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- t>00 -
stallten den Patronstag ihrer katholischen Mitbürger durch ein
besseres Essen. Auch Wirtshausbesuch findet allgemein statt,
und es gehört nicht mehr zu den Seltenheiten, wenn dort die
jungen Leute unter den bescheidenen Klängen einer Ziehhar-
monika ein schüchternes Tänzchen zwischen den Tischen der
Wirtschaft wagen. Audi Buden mit Zuckerwaren und Kinder-
spielzeug, hie und da schon ein Karussell, beginnen sich ein-
zustellen. So sind die Patronstage, wie ehedem die Kirchweih-
feste, auf dem besten Wege, wieder zu verweltlichen.
Den Patronslagen muß ein Fest zur Seite gestellt werden,
das bis in unsere Zeit hineinragt und im Volksmunde als der
Rosenweiler Meßti fortlebt. Es bat damit folgendes Bewandtnis.
Das Dorf Rosentueiler bei Dettweiler, i6li4 durch Reinbold v.
Rosen gegründet, war im 18. und 19. Jahrhundert der Sammel-
punkt der zerstreut lebenden Reformierten des Elsaß. Von weit
und breit eilten sie herbei, bis von Pfaffenhofen, VVimmenau,
Sparsbach und Johannistal, und hielten in der dortigen, 1085
erbauten reformierten Kirche Gottesdienst und Abendmahl ab.
Dies geschah am Sonntag nach Ostern und am letzten Sonntag
im August, t'nd wenn sie ihre religiöse Pflicht erfüllt halten,
vergnügten sie sich, aßen und tranken gut und tanzten, und
zahlreiche Buden waren aus diesem Anlaß errichtet. Seit 1810
nahm der Rosenweiler Meßti langsam ab. Bisher von Straß-
burg aus pastoriert, wurde Rosenweiler 1820 Filial von Koß-
weiler. 1864 starb der letzte Reformierte zu Rosenweiler, und
der Meßti erlosch von selbst. Das Kirchlein wurde baufällig
und am 21. August 1905 auf Abbruch versteigert. Jetzt ver-
sammeln sich die zerstreut lebenden Reformierten des Elsaß in
Aßweiler in rein kirchlicher Weise. Die wenigen Dettweiler
Reformierten weiden vom dortigen evangelischen Pfarrer pus-
toriert.
Der Rosenweiler Meßti teilte mit den katholischen Patrons-
tagen das Merkmal, daß in verhältnismäßig junger Zeit ein rein
kirchliches Fest mit welllicher Lustbarkeit verbunden wurde.
Ursachen des Abkommens.
Die Ursachen des Niedergangs und des zeitweiligen und
gänzlichen Versehwindens von Meßti und Kirwe sind recht
mannigfaltig und vielseitig. Oft sind es mehrere Umstände, die
zusammenwirken.
Der Bekämpfung des Festes durch die Geistlichkeit wurde
bereits ausführlich gedacht. Die nächste Hauplursache seine*
Niedergangs liegt im Wandel seines Wesens. Es dient heute
vor allem als Einnahmequelle für die Gemeinden undjdie Wirte.
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Die Fesfgemeinde wird immer weniger als kameradschaftliche
Trägerin der Sitle, vielmehr vorwiegend als Gegenstand eines
Geschäfts angesehen und behandelt.
Auch die Zustände auf dem Lande haben gewechselt. Das
altväterliche, mehr oder weniger abgeschlossene Dort', die kleine
Dorfrepublik wird von Jahr zu Jahr seltener. Die günstigeren
Verkehrsmittel, die besseren Straßen und Wege, die bequemeren
Eisenbahnverbindungen, die Post und das Fernsprechwesen und
uicht zulelzt das Fahrrad ermöglichen einen häufigeren Verkehr
der einzelnen Dörfer unter sich. Der Städter hat bessere Ge-
legenheit, sich in das Dorlleben zu mischen, und der Dorfbe-
wohner kann leichter sein Vergnügungsbedürfnis auswärts be-
friedigen. Dadurch wird der Gesichtskreis des Bauern erweitert.
Die ländliche Abgeschlossenheit schwindet, und der Bauer ver-
nachlässigt seine vertrauten Gebräuche, die er dem aufdring-
lichen Fremden nicht gern erschließt. Die Bevölkerung wird
mehr durcheinandergeworfen. Außerdem zieht die wachsende
Landflucht ein dorfenlfremdeles Geschlecht von Arbeitern, klei-
nen Beamten, gebildeten und halbgebildeten Leuten heran, die
gegen die bodenständige Sitte gleichgültig sind, ja sich ihrer
schämen. Schon der heimkehrende Reservist dünkt sich er-
haben über die heimatlichen Gebräuche. So sinkt notgedrungen
der Wert des Meßti. 1 Anderseits hat die Erleichterung des Ver-
kehrs eine Verschiebung des Kaufwesens zur Folge. Hausierer
und Heisende suchen den Landbewohner in seinem Dorfe auf,
und die Versandgeschäfte schicken ihm Warenverzeichnisse und
Waren ins Haus. Infolgedessen ist die Bedeutung der Jahr-
märkte stetig zurückgegangen. •
Auch der Bauer selbst hat nicht mehr den gleichen Sinn
für die überkommene Sitte wie früher. Seine beschauliche Ruhe
wird öfters durch allerlei Zwischenfälle des Alltagslebens getrübt.
Er hat infolge der vielen sozialpolitischen Gesetze, die ihn be-
lasten, infolge der mancherlei Steuern, insbesondere auch der
Wein- und Branntweinsteuer, einen schweren Stand. Der Rück-
gang des allgemeinen Wohlstandes auf dein Land war dem Meßti
besonders verderblich, und die Besserung der Verhältnisse in den
letzten Jahren hat ihn nicht wieder zu heben vermocht. Ueber-
haupt steht die Abhaltung des Meßti in engstem Zusammen-
hange mit den Einnahmen des Bauern, mit dem Ausfall der
Ernte und der Weinlese, sogar ein außergewöhnlicher Mausfraß
1 Zur Vermeidung lästiger Wiederholungen wird von hier ab Meßti
als Sammelbezeichnung für Meßti und Kirwc gebraucht. Falls der
Meßti im Gegensatz zur Kirwe tritt, wird dies aus dem Zusammen-
hange ersichtlich sein.
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202 —
kann ihn beeinträchtigen. In vielen Dörfern wird vor allem
unter diesem Gesichtspunkte vom Gemeinderat bestimmt, ol>
Meßti sein wird oder nicht. Manche halten ihn bloß in beson-
ders fruchtbaren Jahren ab. Der Zellweiler «Rübenmeßti» wird
mir abgehalten, wenn die Rüben gut geraten sind. Die 1840er
Jahre, die nocli heute im Volksmunde die Hungerjahre heißen,
waren in dieser Hinsicht besonders verderblich, es wurde da-
mals fast nirgends ein Meßli abgehalten. Hingegen brachten die
_ beiden folgenden Jahrzehnte mit einer ganzen Reihe guter
Weinjahre einen erheblichen Aufschwung und einen flotten
Betrieb des Meßti. Damals hatten die Leute, wie man sagt,
mehr Geld als heute. Die sauer ersparten Rötgroschen, die
beim mühsamen Graben der Färberröle verdient wurden,
machten manchem Dienstknecht ein willkommenes Meßtigeld
von 30 oder 40 Franken aus. Der Bauernsohn brauchte seine
10O Franken, und das Geld war da. Heute will man mit
5 Mark auskommen, mehr wird nicht mehr an den Meßti gekehrt
Recht kennzeichnend ist folgendes Vorkommnis. Auf dem
Vendenheimer Meßti 1900 ging ein Mann mit Loiteriezetteln
herum. Kein einziger Bursche kaufte einen Zettel, 10 Pfennig
waren ihnen schon zu viel. Früher hätte ein Bursche seiner
Liebsten ohne weiteres für einige Franken Lose gekauft.
Im sozialen Zeitaller aber machen sich die Klassenunter-
schiede bis ins entlegenste Dorf bemerkbar. Das biedere, ehr-
liche Dorfburschentum ist verfallen. Während ehedem sich alle
Burschen einer Gemeinde zusammengeselllen und die Maiden i
ihrem Beispiele folgten, ist dies jetzt nicht mehr der Fall. Zu
Zeiten des alten Meßli galten alle Burschen als gleich. Wer da
tehlte, wurde als hochmütig angesehen und war verachtet. Der
reichste Bauernsohn schämte sich nicht, mit seinem eigenen Knecht
in völliger und rückhaltsloser Kameradschaft sich den Meßti freu-
den hinzugeben. Das ist heule anders. Die Spannung zwischen
dem Bauern und seinen Dienstboten entsteht schon, wenn er
sie dingt. Der Bauer muß unerhört hohe Löhne ausgeben, um
überhaupt Dienstboten zu bekommen, und darum sind diese
ihm ein andauernder Anlaß zu Mißmut und Aerger. Sie stehen
sich auch in sozialer Hinsicht besser als früher und wissen
wohl, daß sie als die wirtschaftlich Schwächeren durch die
1 Nach ländlicher Ueberlieferung wird in der vorliegenden Ar-
beit das Wort Haide im Sinne von «erwachsene Bauerntuchter*
gebraucht. Man sagt in der Mundart «das Maide», in der Mehrzahl
«die Maide(r)». Für den Begriff Mädchen ist die Verkleinerungsform
Maidel üblich. - Ebenso wird das Wort Bursche im Sinne von «er-
wachsener Bauernsohn» gebraucht. Im Kirwegebiet sagt man «der
Bursch». in der Mehrzahl «die Burscht», im Mclkigebiet auch in der
Einzahl «der Burscht».
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Gesetze geschützt werden. In ihrem Aeußeren und in der
Kleidung sind sie kaum mehr von der Dienstherrschaft zu un-
terscheiden. Die Dienstboten bilden jetzt vielfach den Haupt-
stamm des Meßtivolke^ und, was sehr wichtig ist, des Tanzes.
Dadurch werden die Söhne und Töchter der Bauern abgestoßen,
es regt und befestigt sich in ihnen ein gewisses Standesbewußt-
sein, das man früher nicht kannte. Vor Zeiten war Ittenheim
dafür bekannt, daß ein Knecht oft mit der vornehmsten Bauern-
tochter tanzte. Das wäre heute ganz unmöglich.
Früher wurde der Meßtibursch (s. u.) aus den bessergestellten
Dorfburschen gewählt. Das bringt nun einmal sein oft mit be-
deutenden Geldgeschäften verbundenes Amt mit sich, und die
mit Glücksgütern weniger gesegneten Burschen sahen hierin
keine Zurücksetzung. Auch das ist heute anders. Immer
größer wird die Kluft zwischen den verschiedenen Dorfklassen.
Der reiche Bursche verachtet nicht nur den Knecht auf dem
Meßti, er tanzt auch nicht mehr mit der Tochter des Küh-
bauern, und so zieht er sich vornehm vom Meßtigetriebe
zurück. Die Verpflichtungen des Meßtiburschen liegen jetzt
den weniger angesehenen Burschen, kaum der Schule ent.
wachsenen Jungen oder Knechten ob. Die Dorfaristokratie hält
sich nun erst recht vom Meßtitreiben fern. Der stolze Bauem-
- söhn mag sich einem Knecht nicht unterordnen, das kann
ihm niemand übelnehmen.
Früher waren auch die Liebschaften ehrbarer und ernst-
hafter, bei aller lockeren Auffassung der Moral durch den Bauern.
Die Zeiten, wo von weither ein Bursche einer Heirat zu lieb
einen Meßti besuchte, sind vorbei, Der Stand der Meßti ist ge-
sunken. Unter halbwüchsigen Burschen und Dienstboten mischt
er sich nicht gern. Genau so verhält es sich mit den Maiden.
Ein jeder Stand hat das Bedürfnis, sich zu vergnügen und
in größeren oder kleineren Zwischenräumen einmal recht fröh-
lich zu sein, zu tanzen und zu singen, zu genießen und zu
jubeln. Wenn die Gelegenheit hiezu allzuhäufig eintritt, ist die
Verführung groß, sie zu erfassen. Und diese Gelegenheit zum
Genuß und zu Fröhlichkeit, ja zur Ausschweifung bietet sich
mehr denn früher in den Dorfwirtschaften, die bereits eine
prunkvolle Ausstattung haben und nicht selten Musikmaschinen,
Orchestrions und sonstige Vergnügungsmittel besitzen. Der
Bauer spart sein Bedürfnis zu Frohsinn und Lust nicht mehr
auf die wenigen Tage des Meßti auf : wenn er überhaupt noch
Sinn zu etwas Außergewöhnlichem hatte, so hat er die Lust
im Wirtshause schon gebüßt, das Geld ist dahin. Ganz beson-
ders trifft dieser Umstand für die Dorfjugend zu, insbesondere
für die Knechte und Taglöhner, die man allabendlich in den
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Dorfkneipen bei Bier, Kartenspiel und Zigaretten rauchen an-
treffen kann. Man darf Iiier in der Tat von Genußsucht
sprechen. Kommt dann der Meßti heran, so reichen die Gro-
schen nicht. «Hie isch alle Sonnta Meßli !» sagte mir einmal
ein Wirt von Afonsweüer, und er hatte in gewissem Sinne Recht.
Es wäre aber ganz verkehrt, wollte man die Jugend allein
für den an sich überflüssigen Wirtshausbesuch verantwortlich
machen. Der Abendmarkt, jener schöne sonntagliche Abend-
spaziergang der Dorfjugend . ist größtenteils dahin. Früher
wurde den ganzen Winter hindurch vom frühesten Morgen an
gedroschen, und abends hatten die Drescher müde Knochen.
Heute steht man kaum vor Tagesanbruch auf, und in 2—3
Tai Jen erledigt man mit der Dreschmaschine die frühere Ar-
beit von ebenso vielen Monaten. Die Barbierstube und die
Dorfschmiede bleibt kaum den verheirateten Männern als abend-
liche Plauderslätte vorbehalten. Hingegen machen sich auch in
kleineren Dörfern allerlei Vereine breit, kirchliche und well-
liche, Gesang-, Krieger-, Turn- und Radfahrervereine, nicht
zu vergessen der wackeren Feuerwehr. Die ledigen Burschen
und viele Männer werden durch all diese Verhältnisse mit ihren
Familien geradezu ins Wirtshaus getrieben, und nach den vielen
Vereinsfestlichkeiten im eigenen und im Nachbarsdorfe werden
sie leicht vergnügungsmüde. Das Bedürfnis nach lebhaft ge-
steigerter Geselligkeit, der rechte Meßtigeist fehlt. Die Uebung
von mit einem gewissen Idealismus umgebenen Gebräuchen ist
nicht mehr erstrebenswert, die Meßtitahigkeit ist aufgezehrt.
Zweifellos besteht also eine weitverbreitete Gleichgültigkeit
des Landvolks gegenüber dem Meßti. Es kommt alles ab, hört
man oft sagen, besonders auch vom Meßti. Die Leute halten
sich zurück. Einer sayl: Stell mich da hin, der andere: Hol
mich dort ! Jeder will etwas anderes, immer zu seinem Vor-
teil. Einen Zusammenhang herzustellen, ist schwer, und so ge-
schieht dann überhaupt nichts. Es läßt sich nicht leugnen, daß
der Meßti weitesten Dorfkreisen nicht mehr in Fleisch und
Blut steckt. So schlief beispielsweise der Meßti von Nordhausen
Ende der 1860 er Jahre sanft ein, der von Rosenweiler (Kanton
Rosheim) 1885, der von Furchhausen 1901, der von Zut-
zendorf 1807. Wohl flackerte dieser 1903 noch einmal auf, ob
er sich aber wieder einleben wird, ist zweifelhaft.
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist das Verhalten der
Wirte. Es ist klar, daß der Wirt seinen persönlichen Vorteil
sucht und suchen muß, denn das ist ja sein tägliches Brot.
Vor allern gehört zum Meßti ein ordentliches Tanzlokal. Hat
der Wirt keinen genügenden Raum, so muß er eine Hütte
aufschlagen. Wenn sich aber dieser kostspielige Bau nicht lohnt,
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verzichtet er notgedrungen auf das ganze Fest. Und wenn dies
mehrere Jahre hintereinander geschieht, so geht die Ueberlie-
ferung verloren. Die vergnügungslustige Jugend verläuft sich
auf die Nachbarsmeßti, was seine Vorzöge und besonderen Reize
hat, der einheimische Meßti aber geht ein. In den kleinen
Dörfern, die ohnedies schon auf die Beteiligung von Fremden
angewiesen sind, sind diese Verhältnisse besonders ausgeprägt.
So ging die Kirwe in Ermangelung eines Tanzsaals ein zu
Memmeishofen 1862, Bremmelbach 1867, Lobsann 1879,
Retschweiler 1887, Hermersweiler 1893, Spachbach 1897. In
ßietlenheim verbrannte 1888 das Tanzhaus und wurde nicht
wieder aufgebaut, auch in Keffenach ging 1876 die Kirwe und
in Hattmatt 1888 der Meßti ein, weil der Wirt bei einem Uni-
bau keinen Tanzsaal mehr baute. Der Meßti von Zoebersdorf
ging in den 1860 er Jahren, der von Uttw eiler und Bischholz
in den 1880 er Jahren ein, weil er dem Wirt nicht mehr ge-
nug eintrug. Der mittelbare Anlaß in Bischholz war die Spal-
tung der Gemeinde in zwei Parteien, von denen die eine nach
Rothbach auszog und dort mitfeierte.
Ueberhaupt wird der Meßti nicht selten durch eine mäch-
tige Dorfpartei nachteilig beeinflußt, namentlich wenn sieh ein
zweiter Wirt dahintersteckt und gegen den Meßtiwirt Ränke
schmiedet. Ein Wirt, der selbst eine große Verwandtschaft
besitzt, kann da viel Unheil stiften.
Der Tod des einzigen Sohnes des Wirts von Menchhofen
hatte 1890 den Untergang des dortigen Meßti zur Folge. Weil
der Wirt ein Grobian war und seine Gäste aus dem Hause
vertrieb, kam der Meßti von St. Peter 1854 ab. Wegen Ein-
gehens der einzigen Wirtschaft ging 1852 der Meßti von 7s.se« -
hftusen y 1882 die Kirwe von Niederseebach ein.
Von Zeit zu Zeit beruht der Meßti auf einer Kraftprobe
zwischen den Wirten und der Gemeinde. Lehrreich ist in die-
sem Betreff Alteckendorf. Der dortige Meßti war 1903 um
120 M. versteigert worden. Im folgenden Jahre setzte die Ge-
meinde die Anschlagsumme auf 170 M. fest, die beiden in
Betracht kommenden Wirte aber verabredeten sich und ver-
pflichteten sich gegenseitig, nur 100 M. zu geben. Beide Par-
teien blieben standhaft, und so fiel 1904 der Meßti aus. 1905
ging die Gemeinde auf 135 M. herab, die Wirte stiegen auf
120 M. Wiederum wollte keine Seite nachgeben, und wiederum
«verschnurrte» der Meßti — so pflegt man in diesem Falle
zu sagen. 1906 ließ der eine W T irt dem andern sagen, er werde
ihm nicht im Wege stehn, wenn er den Meßti steigern wollte.
Nun steigerte ihn dieser für 135 M., die Gemeinde blieb Sie-
gerin. ,
Einige Meßti gingen zugrunde, weil sie durch die Nähe
größerer Meßti angezogen und gewissermaßen aufgesogen wur-
den. So kam der Meßti zu Krautweiler wegen Brumaih ab,
Zehnacker wegen Wasselnheim, Uttweiler wegen Ingweiler
und Buchsweiler , Bosselshausen 1824 wegen Buchsweiler,
Handschuhheim wegen Ittenheim und Fürdenheim t lngenheim
zum Teil wegen Hochfelden, Bolsenheim wegen Erstein 184*2.
Eschau nimmt wegen des 1903 wieder aufgekommenen Fegers-
heimer Meßtis schnei! ab. Wegen des Schleithaler Pfingst-
rennens gingen die Kirwen zu Lampertsloch und Weiler bei
Weißenburg ein, die beide am Pfingstmontag üblich waren,
die von Lembach ist stark zurückgegangen. Riedheim wird so
von Buchsweiler eingenommen, daß nicht nur der dortige
Meßti aufgegeben wurde, sondern sogar die Schulkinder am
Buchsweiler Meßli schulfrei haben, als ob es der eigene Meßti
wäre.
Die Nähe der Fabriken von BiSchweiler und der Gießereien
von Zinsweiler beeinträchtigte ferner die Meßi in Gries und
Gundershofen, während in Pechelbronn, Kutzenhausen und
Merkweiler wegen der dortigen Oelbergwerke schon lange keine
Kirwe mehr besteht. Industriell beschäftigte Arbeiter, selbst
wenn sie auf dem Land wohnen, haben keinen Sinn für ver-
traute Dorffeste. Das ländliche Moment ist vor dem sozialen
zurückgetreten. Eine Arbeiteraristokratie gibt es ja nicht.
Auch die Nähe Straßburgs wirkt zersetzend auf den Dorf-
gebrauch, namentlich auf den Meßti. Mundolsheim, Lampert-
heim, Vendenheim, Hanyenbieten, Kolbsheim, Eckboisheim,
Lingolsheim und die drei Hausbergen haben zu leicht Gelegen-
heit, in die Stadt zu kommen und zu genießen. Ihr Dorfsinn
zerfallt allmählich, die Einwohner verlieren die Freude am ide-
alen Dorfleben. Der Meßti reizt sie schwächer, man pflegt ihn
weniger sorgsam, er kränkelt immer mehr und sieht einem
bedauerlichen Siechtum entgegen.
Anderseits ist manchmal der gediegene, vielleicht etwas zu
altfränkische Sinn des Bauern, insonderheit in manchen Ha-
nauerdörfern mit schuldig am Abkommen des Meßti. Auch ist
in manchen Gemeinden die Sparsamkeit in Geiz ausgeartet und
der Sinn für Gastfreundschaft erloschen, und so ließ man den
Meßti als lästige Gelegenheit, zu unnützen Ausgaben und Aus-
lagen einfach fahren.
Die Ereignisse von 1870 und 1871 haben begreiflicherweise
tief einschneidend auf die ländlichen Feste gewirkt. Da zahl-
reiche junge Leute zu den Waffen einberufen wurden, und
viele von ihnen auf dem Schlachtfelde blieben, gab es mehrere
Jahre lang eine gewisse Zurückhaltung. Von Weitersweiler, wo
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der Meßti bei Ausbruch des Kriegs bereits vorbei war, wurden
7ü junge Männer und mehrere Burschen eingezogen. E< traf sich,
daß die Mehrzahl der Burschen den Heldentod fürs Vaterland
starb. Infolgedessen kam der ehemals blühende Meßti überhaupt
nicht mehr recht auf. Besonders verhängnisvoll waren für den
Kreis Weißenburg die Schlachten bei Weißenburg und Wörth,
welche die umliegenden Dörfer naturgemäß in verderbliche Mit-
leidenschaft zogen. Die Kirwe hat dort zweifellos sehr viel von
ihrem alten Granz eingebüßt. Weniger war dies im übrigen
Elsaß der Fall.
Ohne weiteres erklärlich ist das Fehlen des Meßti zu
Marienthal, Avenheim, Ftexburg und Xiederhaslach wegen
der Wallfahrten, sowie der Mangel einer Kirwe in Schirrhofen,
welches zur Hälfte aus Juden besteht.
Der Meßti von Wingersheim wurde 1827 und der von
Forst heim 1874 jählings abgebrochen, weil ein Bursche auf
dem Tanz erstochen wurde, sie kamen nicht mehr auf. Der
Säsohheimer Meßti ging 1808, der Ueberacher 1854, die Kirwe
von Kutzenhausen und Oberkutzen hausen 1874 ein wegen
mehrerer Schlägereien.
Wegen der vorgeschrittenen kalten Jahreszeit ging der Meßti
in Gingsheim und Hohatzeuheim am Anfang des 19. Jahrhun-
derts ein, er ist «erfroren». In der allgemeinen Feiertagsstim-
mung des Pfingstmontags verschwand der Meßti von St. Nabor
18b8. Der Meßti von Kilstett wurde 1 843 aufgehoben, weil
mehrere Burschen beim Begraben des Meßti christliche Zere-
monien verhöhnten.
Der Meßti von Krafft, einem Weiler bei Erstem, wurde
durch Beschluß des Gemeinderats von Erstein vom 13. Mai
1 ( J07 aufgehoben wegen der großen Zahl der unehelichen Ge-
burten, die im Anschluß an dieses Fest seit seiner Einführung
(19(5) beobachtet wurde.
Endlich ist hervorzuheben, daß 18i>3 der allgemeine Futter-
mangel, 1897 im Hanauerland ein fürchterlicher Hagelschlag
die Abhaltung des Meßti unmöglich machte. Zwar waren nicht,
alle hanauischen Gemeinden betroffen, aber das ganze Hanauer-
land verzichtete auf dieses Volksfest aus einem lobenswerten
Mitgefühl. 1 82*2 ging der Meßti von Xiederehnheim wegen
mehrjähriger Mißernten ein, 1905 fiel derjenige von Eng weiter
wegen eines Hagelwetters aus.
Nicht minder zeugt es von taktvollem Empfinden, daß sich
die Dorfjugend aus eigenem Antriebe ihres Freudenfestes be-
gibt, wenn ein Bursche oder ein Maide kurz vorher starb, oder
wenn sich ein anderes Unglück im Dorf ereignete.
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— 'JOS —
Die Neubelebung abgegangener Feste.
Von allers her haben sich die Wirte eifrig des abgegangenen
Meßti angenommen, wobei sie in erster Linie natürlich auf
ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Wenn der Wirt in seinen
Verhältnissen nicht fest stand, so blieb es gewöhnlich bei dem
einen Versuche, und der Meßli verschwand um so gründlicher.
So wollte der Storchenwirt von Wilwisheim, dessen Ge-
schäfte schlecht gingen, in den 1840 er Jahren'dem dortigen
Meßti wieder aufhelfen. Der Versuch mißlang, und der Wirt
verzog bald nach Zabern. 1854 fand auf Anregung eines Wirts
in Bosselshausen nach dreißigjähriger Unterbrechung ein Meßli
statt, 1867 noch ein zweiter. Er vermochte sich aber nicht zu be-
haupten, und der Wirt wanderte nach Amerika aus. 1868 glaubte
ein Wirt zu Riedheini, wo wegen der Nähe von Buchsweiler
noch nie ein Meßti stattgefunden hatte, durch Abhaltung eines .
solchen seine zerrütteten Verhältnisse autbessern zu können. Es
gab einen kleinen, mageren Meßti, zwei Jahre nachher hatte
der Wirt abgewirtschaftet und verschwand. Am Napoleonstag
1869 versuchte es ein Wirt, den Wicker theimer Meßti wieder
einzuführen. Er erhielt in der Tat vom Bürgermeister Tanz-
erlaubnis. Als aber der Wächter kam und Feierabend bot,
lachte ihn der Wirt aus und befahl: «Als fortgetanzt !» Zwei
Protokolle waren die Folge, und seitdem wurde in Wickersheim
nicht mehr getanzt. In Dingsheim wagte es in den 1860 er
Jahren gar der Bürgermeister, der mit dem Pfarrer verfeindet
war, diesem zum Trotz einen regelrechten Meßli zu veranslalten.
Er fand aber wenig Beifall, und die Bürgerschaft wandte sich
noch mehr von ihm ab.
Besseren Erfolg haben die Bestrebungen der Wiederein-
fülirung in den letzten Jahren, da offenbar die Bürgermeister
den Vorteil der Genieindekasse wahrnehmen und die Wirte
auch gegen nachteilige Einflüsse der Pfarrer unterstützen. Fast
jedes Jahr hört und liest man von der Neubelebung längst ab-
eresrawrener Meßli. Aber wenn auch vom Standpunkte des For-
schers solche Wiederaufrichtungen zu begrüßen sind, darf doch
nicht übersehen werden, daß die Ueberlieferung, jener wesent-
liche Umstand bei der Erhaltung der Sitten, nach langer Unter-
brechung fast allgemein verloren gegangen ist. Der neuzeitliche
Meßti, jenes verkümmerte Fest, von dem weiter unten ausführ-
lich die Hede sein wird, wurde sein Vorbild. Der innere Kern,
Idealismus, Sitte und Brauch fehlen. Die geschäftliche Idee steht
im Vordergrund, es ist vor allem auf den Geldbeutel der Teil-
nehmer abgesehen. Man kann also, strenggenommen, nicht von
Neubelebung des abgegangenen Meßti, sondern nur von einem
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Meßti in neuem Gewände sprechen. Immerhin ist wieder Meßli,
und dieser Meßli hat mehr Aussicht auf Bestand, weil die neu-
zeitlichen Verhältnisse, insbesondere der Verkehr, das Wirt-
schafts- und das wirtschaftliche Lehen ihm günstig sind.
So gingen die nachhenannten Meßti ah und wurden wieder
eingeführt : Kolbsheim 1880—1897, Herlisheim a. d. Zorn
1875 — 1900 (durch einen großen Umzug mit 5 Musikkapellen),
Breuschwickersheim 1858—1901, Kilstett 1843—1902, Weyers-
heim 1853—1902, Eckboisheim 1806-1902, Spachbach-Ober-
dorf 1897-1902, Wibolsheim 1846-1903, Fegersheim 1853
—1903. In Monheim fand 1876, in Krafft 1905 überhaupt der
erste Meßti seit Menschengedenken statt. Die Zahl dieser Dörfer
ist aber zweifellos größer und wird sicherlich jedes Jahr noch
steigen. In Dauendorf haben in den letzten Jahren einige
Pfaüenhöfer Geschäftsleute, besonders Bierbrauer und Metzger
versucht, den Meßti wieder in Schwung zu bringen. Ob mit
Erfolg, wird die Zukunft lehren.
Flotte Meßtidörfer. Der Geist des Festes.
Der Alkohol.
In allen Ortschaften, von denen Meßti oder Kirwe nicht
als abgegangen bezeichnet sind, besteht dieses Fest noch heute.
Es gilt als Regel, daß auch das kleinste Dorf früher seinen
Meßti hatte. Heute haben kleine Dörfer überhaupt keinen Meßti
mehr, oder er findet bloß in größeren Zwischenräumen statt.
Die höchste Entwickelung^erlebte das Fest Ende der 1850er
und besonders in den 1860er Jahren. In jenen Jahren, die noch
vielen Landbewohnern in angenehmster Erinnerung sind und
die sie noch oft mit Wehmut an die glückliche Zeit der fran-
zösischen Herrschaft zurückdenken lassen, blühte die Landwirt-
schaft und hatte der Bauer Bargeld, und so war die unerläßliche
Grundbedingung für einen flotten Meßti gegeben. Insbesondere
waren die protestantischen Dörfer der ehemaligen Grafschaft
Hanau-Lichtenberg der sicherste Hort der Meßtisitte und ihrer
idealen Ausgestaltung.
Im allgemeinen hatte damals der Meßti einen festeren Be-
stand bei der protestantischen Bevölkerung, In den meisten
katholischen Dörfern scheint es zu einem allseitigen Ausbau
der Meßtigebräuche überhaupt nicht gekommen zu sein. Aus
diesem Grunde wird von vielen Katholiken unter dem Meßti
eine protestantische Sitte verstanden, und wenn in vorwiegend
katholischen Landstädtchen und Flecken die Bezeichnung Meßti
üblich ist, so kommt es davon her, daß sich das protestantische
Landvolk mit Vorliebe daran beteiligt, insbesondere am Tanz.
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Die schweren Wunden, die der Krieg vor. 1870(71 dem
allen Meßti geschlagen hat, heilten nicht mehr ganz aus. Um
das Jahr 1875 finden wir zwar tasl überall den Meßti wieder,
aber seine frühere Höhe hat er nicht wieder erreicht. Diejeni-
gen Dörfer, wo er sich durch den Wandel der Zeiten hindurch
bis auf unsere Tage verhältnismäßig am reinsten erhalten hat,
sind Mietesheim, Obermodern, ftüsweiler, Alleckendorf, Hördt,
Weilbruch, Quatzenheim, lttenheim, Fürdenheim, Enzheim,
Bläsheim, Klingenthal und die Kirwe zu Gorndorf. Von Dör-
fern mit vielbesuchtem blühendem Kirch weihfeste, das jetzt
nur noch in der Erinnerung fortlebt, sind zu nennen : Ober-
steinbach, Kleeburg, Walburg, Dürrenbach, Morsbronn ^
Schweig hausen, Nieder schä ff ohheim, Uhhvtiler, Dauendorf,
Weyen- heim, Wanzenau, Gambsheim, Weitersweiler, Wicker s-
heim, Imbsheim, Gottesheim, Prinzheim, Ilattmatt, Gries-
bach (Kanton Buchsweiler), Uhrweiler, Furchhausen, Still.
Noch größer aber ist die Zahl der ehedem blühenden Meßti-
gemeinden, in denen das Fest heute nur noch ein Scheinda-
sein führt.
Wenn man den Dauern fragt, warum er Meßti feiert, so
bleibt er die Antwort schuldig. Er hat keine blasse Ahnung
davon, daß es ein altgermanisches Erntefest ist, das die Kirche
mit der Zeit umgedeutet hat. Die Nachkommen derer, die nach
eingebrachter Jahreserute den Göllern Dankopfer brachten,
haben nicht mehr das Bedürfnis, die glückliche Einheimsung
der Feldfrüehte mit Aeußerungen weltlicher Festesfreude zu
Hingeben. Das protestantische Landvolk empfindet es sogar un-
angenehm, wenn man von ihm am kirchlichen Ernte-, Herbst-
und Dankfest ein größeres Opfergehl erwartet, das bekanntlich
an die>em Tage bestimmungsgemäß dem Thomasstift in Straß-
burg zu Studien- und Slipendienzwecken zutällt. Kein Mensch
denkt an diesem Tage daran, auch nur einen besseren Bissen
zu essen oder ein Glas Wein mehr zu trinken.
Was die Erinnerung an die Kircheneinweihung betrillt, so ist
sie bei Protestanten ein unbekannter Heg rill, bei Katholiken ein
untergeordneter l'mstand. Vielmehr ist der Meßti, man kann
wohl sagen seit Jahrhunderten ein reines Freudentest. Alles
andere hat er abgestreift und \<m der Kirche bloß noch den
verstümmelten Namen behalten.
Der Meßti ist der lnbegrilt der Freude, des Vergnügens,
der Lust in jeder Form. Alles was die Sinnenlust reizt, was
dem Auge, dem Ohr und dem Magen zusagt, lindet auf dem
Moßü eine üppig blühende Pflegeslätte. Der Trieb zu genießen,
im l'eherfluß und maßl." zu genießen, tritt allmächtig hervor
und überwuchert mit Urgewalt die kirchliehe Seite des Festes,
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einigermaßen veredelt durch Brauch und Sitte. Dabei ist der
Bauer nicht empfindlich in der Auswahl seiner Vergnügungen,
die ihm gewiß zu gönnen sind. Er ißt und trinkt, er bewirtet
und sitzt zu Gaste, er tanzt und spielt, er liebt und zankt,
er singt und schreit, er jauchzt und lärmt, er scherzt und
foppt, er führt derbe, zweideutige und auch unsittliche Reden.
Sogar Geld ausgeben und Prügel bekommen ist für man-
chen ein Vergnügen. Der elsässische Landmann hat Freude
an langen Sitzungen, und da wo es ausgelassen, ja toll zugeht,
fühlt er sich besonders wohl.
Manche Gebräuche werden in den Meßli hineingewoben,
die gar nichts mit ihm zu tun haben und nur den allgemeinen
Ausdruck des Ergötzens und der Freude bilden, so das Eier-
sammeln, der Bärentanz, die Vorrechte der Gestellungspflich-
tigen. So auch der bekannte Meßli von Wangen, mit dem es
folgende Bewandtnis hat.
Die Gemeinde hatle aus alter Zeit an die Abtei St. Ste-
phan den Zehnten in Gestalt von 800 Ohmen Wein zu ent-
richten. 1700 wurde dieser Zehnte durch Ludwig XIV. auf das
Haus der Schwestern von der Heimsuchung überlragen. Im
Laufe der Zeit war es aber der Verschlagenheit der Kloster-
schaffner gelungen, noch weitere G00 Ohmen als Bodenzins ein-
zutreiben. Während der französischen Revolution wurden diese
1400 Ohmen mit der Aufhebung der Naturalsteuern abgeschafft.
Aber im Jahrel819 erhoben zwei Wucherer auf Grund gefälschter
Urkunden Anspruch auf die rückständigen Abgaben, indem
sie diese als noch zu Recht bestehend zu erweisen suchten.
Es entstand ein Prozeß, den die Gemeinde im Jahre 1830 in
letzter Instanz gewann. Zum Andenken daran wurde 1834
der Brunnen bei der Kirche errichtet. Jedes Jahr aber am 3.
Juli läuft aus dem Brunnen eine Stunde lang Wein statt Wasser.
Der Bürgermeister hält eine Ansprache, die die Entstehung
des Festes erläutert. Dann trinkt er nebst dem Gemeinderat,
der Geistlichkeit und dem Lehrer auf das Wohl der Gemeinde,
und jedes Schulkind erhält einen Groschenwecken. Der Reihe
nach trinken die Umstehenden von dem köstlichen Wein, und
erst dann wird der Meßli wie auch in andern Dörfern gefeiert.
In geistvoller Weise hat Pf a n nen s eh m i d ' in den
Kirchweihfesten zahlreiche Anklänge an heidnische Bräuche
nachgewiesen. Aber es wäre übertrieben, wenn man in jeder
eigenartigen Veranstaltung gleich ein Ueberbleibsel aus alters-
grauer Zeil wittern wollte. Vieles ist sicherlich zufällige Erfin-
dung, Scherz und müßige Zutat.
i Pf a n n e n s c h m i d. Germanische Erntefeste. Hannover, Hahn, 1 878.
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Auch die grobe Sinnlichkeit kommt in der Meßligemeinde
reichlich auf ihre Rechnung, namentlich wenn man bedenkt,
daß ihren Stamm die freie, leichtgeschürzte Jugend und viel-
fach der dienstbare Abkömmling der untersten Volksschichten
bildet. Wir werden in unseren Aufzeichnungen bis an die
Grenze des Erlaubten gehn und alles, was sich dem Papier nur
einigermaßen anvertrauen laßt, gewissenhaft berichten. In dieser
Beziehung halten wir es mit dem deutsch-amerikanischen Fol-
kloristen Karl Knorz, der sich wie folgt äußert * : «Wer
an Zimpferlichkeit leidet, soll sich meinetwegen mit Mathematik
oder Nationalökonomie, nicht aber mit Volkskunde beschäftigen.
Wer beim Anhören einer derben Redensart oder einer safti-
gen Erzählung in moralische Entrüstung gerät und derselben
durch Worte oder Gebärden unverkennbaren Ausdruck verleiht,
eignet sich nicht zum Sammler auf unserem Gebiete.»
Der Inhalt der Freude war zu verschiedenen Zeiten ver-
schieden. Wollte man heute — um bloß ein einleuchtendes
Beispiel zu erwähnen — die Tänze wiedereinführen, an denen
sich unsere Großeltern dereinst ergötzt haben, der Tanzboden
würde sich bald von selbst leeren. Auch die Anschauungen
über das, was erlaubt und anständig ist, wechseln, hauptsäch-
lich unter dem Eintluß und Druck der Religion und ihrer
Diener. Man muß daher das Volk und seine Ansichten und
Bedürfnisse verstehen. Insbesondere die Jugend muß ihr Ver-
gnügen haben. Das ist eine natürliche Aeußerung der rechten
Lebenslust. Unterdrückt man sie gewaltsam, so läuft man Ge-
fahr, einen verderblichen Rückschlag auf anderen Gebieten zu
erzeugen. Die jungen Leute gehen alsdann einfach ins Nach-
barsdorf oder in die Stadt, wo sie sich ohne Aufsicht vergnügen
und ihr Geld ausgeben, und wo oft schlimmeres geschieht als
ein unschuldiger Tanz.
Der Meßli als der Begriff der höchsten Freude hat Anlaß
zu mehreren Redensarten gegeben, die die Empfindung des
Volkes so recht wiedergeben. Da ist Meßti ! sagt man im Sinne
von «Da gehts lustig zu !» Der Gänsmeßti ist die Versammlung
schnatternder Gänse, die auf die Weide oder aufs Wasser ge-
trieben werden. Unter Kalzenmeßli versteht man die nächtliche
Liebesmusik eines verliebten Katzenpaares. «Er ist am Tag vor
Meßti gestorben», heißt es von jemand, bei dessen Tod — be-
sonders unter lachenden Erben — eitel Freude und Jubel herrscht.
Im alkoholfeindlichen Zeitalter ziemt es sich, auch ein
Wort über die Bedeutung der geistigen Getränke bei den Kirch-
• Karl Knorz, Was ist Volkskunde und wie studiert man
dieselbe ? 3. Aufl. Jena, H. YV. Schmidt, lyoti. S. 5.
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weihfestlichkeiten zu sagen. Der verdienstvolle Alkoholgegner
Pfarrer Dietz von Mundolsheim schreibt »: «Ich erinnere auch
daran, wieviel Ehre und Sittlichkeit schon auf den Tanzböden
der Kirch weihfeste zu Grabe getragen wurde, wenn die Sinne
infolge ubermäßiger Alkohollibationen in des Wortes brutalster
Bedeutung berauscht waren und leichtsinnige Ellern es an der
nötigen Aufsicht fehlen ließen. Wie manche liier verführte junge
Seele hat eine unbewachte Stunde mit Jahren bitteren Herze-
leids gebüßt :
Das Scheinglück, das man sich versprach,
Ließ nichts als Uram und Reue nach.»
Und ferner«: «Ich gehöre gewiß nicht zu denen, welche
diese Volksfeste als Teufelsauswüchse in den tiefsten Höllenpfuhl
verbannen möchten. Sie haben als frohe Feste nach saueren
Wochen eine gewisse Berechtigung. Wie oft aber gerade das
bacchanalische Trinken, das die Kehrseite solcher Kilben ist,
zu blutigen Schlägereien führt, ist männig) ich bekannt.»
Diesen Aeußerungen kann man im allgemeinen beipflichten.
Mäßigkeit ziert jeden Menschen, auch den Meßtimenschen. Es
frägt sich nun: Empfiehlt sich ein alkoholfreier Meßli? Unsere
persönliche Ansicht ist die folgende. Durch den Genuß geistiger
Getränke wird zweifellos die Feststimmung und der Genuß am
Feste erhöht. So lange das Trinken ein Genuß bleibt und nicht
in das Uebermaß ausartet, ist es nicht vom Uebel, und wir
möchten es bei unseren Festen nicht missen. Im Trinken steckt
auch eine wohltätige Anregung, und es läßt sich mit Sicherheit
annehmen, daß vieles, was wir als poetische Umwebung der
Feste ansehen und was den Forscher immer wieder anzieht
und unsäglich fesselt, nicht ohne die Mitwirkung des Weines
im festlichen Kreise der Meßtigemeinde zustande gekommen
wäre. Und wie ganz anders gestaltet sich der Verkehr in fröh-
lich angeregter Gesellschaft ! Wie leicht fließt die Unterhaltung
dahin und nicht am wenigsten das freudige Gesprach zwischen
Bursch und Maide. Ohne Alkohol sind Meßti und Kirwe un-
denkbar. Frömmelnde Nüchterlinge, «Zuckerwasservetter» und
Mäßigkeitsheuchler gehören weder auf den Meßti noch auf den
Tanzboden. Und warum sollte man unsere braven Bauern, die
sich das ganze Jahr hindurch ehrlich abschinden, das versagen
wollen, was die «höheren» Kreise als selbstverständlich tun,
was selbst an fürstlichen Tafeln geübt wird?
1 Pietz, Der Alkoholismus in Elsaß-Lothringen. Straßburg. Heitz,
1903. S. GÜ.
2 Dietz, a. a. 0., S. 72.
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Vom Standpunkte der Mäßigkeit aus begrüßen wir es,
wenn heute mehr Bier getrunken wird als Wein, der ungleich
teurer ist. Aber der Wein richtet noch immer Unheil genug
an. In dieser Hinsicht sind späte Meßti und Kirwen besonders
gefährlich, weil es dann schon neuen Wein gibt. Dieses Lieb-
lingsgetränk des Landbewohners ist ein gar löckisches Getränk.
Bei späten Kirchweihfesten kommen die Burschen schon oft
betrunken auf das Tanzhaus. Der wirbelnde Tanz übt dann
eine schnelle und heftige Wirkung aus, und nicht selten ist
bald ein Unglück geschehen.
Wir verkennen auch nichl, daß die Maiden viel mehr
Kaffee, Fruchtsäfte und Limonade trinken als die Burschen und
sich dabei recht wohl befinden. Dennoch möchten wir den aus-
schließlichen Genuß solcher Getränke wegen der fehlenden An-
regung für die Burschen nicht empfehlen. Für sehr wichtig
hallen wir aber einen tüchtigen Imbiß in später Abendstunde,
der denn auch ein wichtiger Bestandtteil des alten Meßti ist
und außerdem noch durch erhaltenswerte Sitten umrahmt wird.
Darüber in einem späteren Abschnitt.
Dauer. Vor-, Haupt- -und Nachmeßti (-Kirwe).
Erntegans.
Im 18. Jahrhundert und vorher dauerte das Kirchweihfest,
ob es nun an einem Wochentage oder am Sonntag abgehalten
wurde, nur einen Tag. Wenigstens ist uns archivalisch nicht
zur Kenntnis gekommen, daß das Fest länger gedauert hätte.
Zutreffendenfalls wären uns bei der bekannten ablehnenden
Haltung der Geistlichkeit sicher lebhafte Klagen über die
allzugroße Ausdehnung des Festes erhalten geblieben. Es er-
streckte sich jedoch mit der Zeit auf 2, 3 und selbst 4 auf-
einanderfolgende Tage. Wenn aber ein fröhliches und ver-
trägliches Meßlivolk beisammen war, wenn sich die Musikanten
lustig, flott und zu Scherz und Kurzweil aufgelegt zeigten, wenn
außerdem das Wetter und der Jahrgang gut waren, so wurde
nicht seilen die ganze Woche hindurch gefeiert und jubiliert,
jede Nacht bis in den hellen Morgen getanzt, und der Nach-
meßti schloß sich gleich an. Dieser Zustand findet sich in den
18-0 er Jahren in der überwiegenden Mehrzahl der ländlichen
Ortschaften beider Konfessionen. Wir gehen wohl nicht fehl,
wenn wir diese ausgedehnten Lustbarkeiten der Freude des
Volkes über bessere Zeiten nach so schwerem Kriegsleide und
so langer Unsicherheit zuschreiben. Es wurde nun mehrere
Jahrzehnte lang durchweg vier Tage hintereinander Meßti oder
Kirwe abgehalten.
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Neben dieser Ausdehnung auf mehrere aufeinanderfolgende
Tage wurde im Laufe der Zeit noch eine örtliche Vervielfältigung
des Festes in der Weise eingeführt, daß man an drei verschie-
denen Sonntagen Vormeßti, Hauptmeßti und Nachmeßti (hezw.
-Kirwe) feierte. Diese Grundform findet sich noch rein an
drei aufeinanderfolgenden Sonntagen in einigen Dörfern im
Süden des Meßtigebiets, während sie im Norden nicht vorzu-
kommen scheint. So in Heiligenberg, Oberhaslach, Dinshehn,
Zellweiler (bis 1865) und im Gebiet der Kilbe. Zu Lingolsheim
fand bis 1872 an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen Vor- und
Hauptmeßti und einige Wochen nachher, wieder an einem Sonn-
tage, Nachmeßti statt. In allen diesen Dörfern kam ein Wo-
chentag nicht in Frage. Diese Art hat den Nachteil, daß sich
ordentliche Stände und ein Karussell nicht leicht einfinden, weil
das Fest zu kurz und keine Zeit ist, gute Geschäfte zu machen.
Auch die blühenden Meßtidörfer des Nordens, insbesondere
die des Hanauischen, hatten Vormeßti, Meßti und Nachmeßti
(bezw. -Kirwe). Jedoch besland der Meßti aus 3 — 4 aufeinander-
folgenden Festtagen, und außerdem wurde der Vormeßti nicht
unbedingt 8 Tage vor dem Meßti und der Hauptmeßti nicht
immer 8 Tage nachher gefeiert. Schon aus wirtschaftlichen
Gründen war es den beteiligten Personen, insbesondere den
Wirten lieber, wenn eine längere Pause gemacht wurde. Dann
konnte man sich etwas ausschnaufen und frische Geldmittel be-
schatten.
Unter dem Einfluß der in den früheren Abschnitten dar-
gelegten Verhältnissen ist der Meßti im ganzen zusammenge-
schrumpft. Der Hauptmeßti ist von vier oder drei fast allgemein
auf zwei Tage zurückgegangen und hat sich nur ausnahmsweise
an drei Tagen behauptet. Die Vorkirwe ist im Kreis Weißen-
burg ganz abgekommen, man begibt sich dort gleich in die
Aufregung der Hauplkirwe. Im Meßtigebiet ist teils der Vor-
meßti, teils der Nachmeßti abgekommen. Ferner beschränkt
sich schon da* Hauptmeßti hie und da auf einen einzigen Tag.
Allerdings ist das schon ein Zeichen der Verkümmerung, der
Anfang vom Ende. Unseres Wissens gibt es keine Ortschaft
mehr, wo der Hauptmeßti an zwei Tagen und dabei noch ein
Vor- und ein Nachmeßti staltfände. So ist denn eine reiche
Abwechselung in der Anordnung der Festlage gegeben, ohne
daß es für einzelne Ortschaften oder größere Gebiete eine Regel
«;äbe. Das ist in jedem Einzelfalle die Folge der örtlichen Ver-
hältnisse und Rücksichten.
Es mögen hier einige Beispiele folgen.
Fünf Tage dauert der Meßli noch in labern und Wasseln-
heim. Es ist jedoch zu bemerken, daß diese Ausdehnung ledig-
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lieh den verschiedenen damit verbundenen Jahrmärkten zuzu-
schreiben ist.
Drei Tage Meßti und ein Tag Nachmeßti: Mutzig, Buchs-
weiler und Beinheim (davon je ein Tag Jahrmarkt), Lingolsheim,
Mothern, Münchhausen, Niederlauterbach, Salmbach, Wesch-
heim.
Drei Tage Meßti : Brumath und Hochfelden (davon je ein
Tag Jahrmarkt), Übermodern (1897), Gundershofen, Mietes-
lieim, Engweiler, Wilsberg.
Ein Tag Vormeßti und zwei Tage Meßti : Erstein, Burg-
heim, Goxweiler, Klingenthal, Schillersdorf, Uhrweiler.
Zwei Tage Meßti und zwei Tage Nachmeßti : Mittelbergheim,
Hläsheim, Musau, Ruprechtsau, bis vor kurzem in Schill ig-
heim, Rischheim, Hünheim und früher allgemein im Kreise
Weißen bürg.
Zwei Tage Meßli und ein Tag Nachmeßti: Wisch, Gre.ndel-
bruch, Still, Winzenheim, Dunzenlieim, Weitbruch, Hordt,
Schweighausen, Kronenburg, Runzenheim, Lauterburg (Jahr-
markt), Scheibenhand, Wingenbach, Hühl, Eberbach bei Selz,
Kessel dorf, Kröttweiler, Xiederrödern, Überlauterbach, Schaff -
hausen bei Selz, Selz (Jahrmarkt), Siegen, Sulz unterm Wald,
Hohweiler, Humpach, Jngolsheim, Aschbach, Hatten, Hofen,
Kühlendorf, Leitersweiler, über- und Niederbetschdorf, Über-
rödern, Rittershofen, Stundweiler, Altenstädt, Kleeburg, Über-
hofen, Übeneebach, Rjtt, Steinselz, Dreibrunnen, Garburg,
Haarberg, Walscheid, Harzweiler, Hämmert, Heinrichsdorf,
St. Johann- Kurzerode, Ariweiler, St. Louis. Diese Form ist
noch besonders im nördlichen Kreis Weißenburg und in der
Umgegend von Hatte) t sowie in Lothringen üblich.
Zwei Tage Meßti : heute im Meßtigebiet die vorherrschende
Form. Im Kreise Weißenburg feiert man zwei Tage Kirwe in
der Gegend von Worth und Lembach.
Ein Tag Meßti und ein Tag Nachmeßti : Dorlisheim, Kolbs-
heim, Birlenbach, Drachenbronn, Reimenweiler, Surburg,
Schwabweiler.
Ein Tag Kirwe : Xeeweiler bei Selz, Kaidenburg, Ried-
aelz, Schleithal, Mattstall, Gunslett, Überdorf-Spachbach.
In der Praxis wird der Vormeßti so verstanden und ge-
handhabt, daß die beteiligten Personen, namentlich der Meßli-
bursch und die Wirte einen allgemeinen reberblick über die
Zahl, die Stimmung und den Wert der Teilnehmer, in erster
Linie der eingesessenen Dorfburschen gewinnen. Er besteht
aus einem Tanzvergnügen bis tief in die Nacht und wird daher
auch Antanzmeßli genannt. Hierbei zeigt es sich schon, welche
Paare Zusammengehn ; und wer dabei zu kurz kommt, hat noch
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Zeit, sich bis zum Meßti vorzusehen. Vormeßti wurde in Gries-
bach (Kanton Niederbronn) bereits am Ostermontag gefeiert (bis
1882), in Engweiler 6 Wochen, in Buchsweiler 3 Wochen vor
dem Meßti. Zu Schillersdorf gilt Pfingsten als Antanzmeßti, zu
Uhrweiler die Erntegans, und es wird dabei bloß von ledigen
jungen Leuten getanzt. In Grafenstaden galt zu französischen
Zeiten der Napoleonstag (15. August) als Vormeßti und zwar
als Freimeßti, d. h. jedermann konnte unentgeltlich einen Stand
aufschlagen. In Ilothbach bestand der Vormeßti noch 1897 in
Gestalt eines einfachen Tanzes, zu Morsbronn war er 1892 in
ein Trinkgelage entartet. Er dürfte heutzutage selten sein.
Der Nachmeßti ist ebenfalls vorwiegend ein Trink- und
Tanzvergnügen und wird gewöhnlich 8 Tage nach dem Haupt-
meßti abgehallen. In liuchsweiler ist dies Vorschrift. In Gar-
bürg wird der Meßti-Dienstag, in Mutzig der Meßti-Mittwoch
Nachmeßti genannt. Zu Schwabweiler hieß bis 1862 der Pfingst-
montag Vorkirb, der Pfingstdienstag Nachkirb, seit 1862 der
Sonntag vor Pfingsten Vorkirb und der Pfingstmontag Nach-
kirb. In Oberhaslach heißt der Nachmeßti Austanzmeßti, an-
klingend an das bekanntere Antanzmeßti.
Nicht selten wird der Nachmeßti in eine spätere Jahreszeit ver-
legt, wenn alle Feldfrüchte eingeheimst sind, und dann pflegt das
Fest wieder mit großem Schwung abgehalten zu werden, weil
die jungen Leute unterdessen Gelegenheit hatten, sich neue
Geldmittel zu beschallen. Nicht selten wird von der Kreisdirek-
tion ein Nachmeßti genehmigt, wenn der Hauptmeßti unter be-
sonders ungünstigen Verhältnissen, z. B. unter fortgesetztem
Regenwetter zu leiden hatte, und zwar wegen der Wirte. In
Dunzenheim wird der Nachmeßti neuerdings mit einem Fest
der Feuerwehr verbunden. Der Hördter Nachmeßti genießt eine
besondere Beliebtheit, weil an diesem Tage die. Maiden ihre
Burschen zehr- und zechfrei halten müssen.
Da weder der Vormeßti noch der Nachmeßti durch beson-
dere Gebräuche ausgezeichnet waren, braucht ihrem Untergänge
keine Träne nachgeweint zu werden.
In engem Zusammenhange mit dem Meßti stand früher
die ('Erntegans». Es war ein Fest aus Anlaß des glücklichen
Einbringens der Ernte und bestand in Essen, Trinken und
Tanzvergnügen. Manchmal war auch ein Lebkuchen- und Ge-
schirrstand da.
"Was zunächst die Ableitung des Wortes betrifft, so wird
es gewöhnlich mit «Erntekranz» zusammengebracht, also sinn-
bildlich als Beendigung der Ernte gedeutet. In ländlichen Kreisen
trifft man nicht selten die Meinung, das Wort sei aufzufassen
als «Ernte ganz» = ganz fertig. Diese Ansicht kann man wohl
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als Volksetymologie abtun. Andere erblicken darin eine Verstüm-
melung aus «Erntetanz», indem sie an dasjenige denken, was
heutzutage im Vordergrunde steht. Nach unserer Ansicht ist
die Auslegung «Erntegans» die einzig richtige. Zunächst ist das
Verzehren einer Gans als Erntebraten ein alter germanischer
Brauck Es erscheint uns zweifellos, daß auch im Elsaß in
früheren Zeiten nach Beendigung der Ernte ein Gänsebraten
gegessen wurde. Dafür spricht eine Stelle im Alteckendörfer
Pfarrarchiv, wo in einem Presbyterialprotokoll vom 6. August
4737 berichtet ist, daß ein Mann aus Minversheim von einem
Alteckendörfer Wirt «zu der Ernd Ganß eingeladen worden».
Die Schreibung «Ganß» durch den Pfarrer ist nicht mißzuver-
stehen. Noch heute spricht man im Hanauischen «Aernegangs»,
und darunter kann bloß eine Gans verstanden werden. Eine
Verstümmelung aus «Erntekranz» oder «Erntetanz» könnte nie-
mals «Aernegangs», sondern müßte «Aerneganz» lauten, ganz
abgesehen davon, daß weder ein sprachlicher noch ein anderer
Grund zur Abschleifung von «Kranz» oder «Tanz» in «Ganz»
ersichtlich ist. Auch wäre es nicht gut verständlich, weshalb
«Aernegangs» mit dem weiblichen Geschlechtswort gebraucht
wird, wenn es mit «Tanz» oder «Kranz» zusammenzubringen
wäre. Die einzige Schwierigkeit, die aher nach unserer Ansicht
keine ist, ist die, daß der Bauer seit langer Zeit keine Gans
mehr ißt und daß es ihm daher schwer fällt, bei festlichem
Schmaus und Tanz an eine Gans zu denken.
Auch Pfannenschmid 1 und Eppel 8 leiten «Ernte-
yans» von «Gans» ab.
Stöber * berichtet, daß 1857 der Meßti in den allhanau-
ischen Gemeinden «Aernteganz» hieß. Unsere Forschungen haben
dies nicht bestätigen können. Ein Zeitraum von 35—40 Jahren
wäre aber bei weitem nicht hinreichend, um die Erinnerung
an eine früher stattgehabte anderslautende Benennung dieses
hervorragenden Festes im Volksgedächtnis auszulöschen. Somit
müssen wir wohl die Ansicht Stöbers als nicht zutreffend be-
zeichnen. Alles, was sich ermitteln ließ, ist, daß in Uhrweiler
die Erntegans als Vormeßti dient, daß zu Laubach und zu
Forstheim seit langer Zeit die Erntegans in Gestalt eines bes-
seren Imbisses statt des Meßti gefeiert und daß in Geudertheim
die Erntegans nicht an einem besonderen Tage, sondern am
Meßti abgehalten wird. In Handschuhheim fällt der Meßti
manchmal aus, wenn die Erntegans in besonders ausgiebigem
Maße stattfand.
» Pfannenschmid, a. a. 0., $. :-!00.
2 Epp e 1 , a. a. 0., S. 50.
3 S t ober. D. Koehersberg. Mülhausen, Rißler, 1857. S.50, Anm.2.
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Die «Erntegans» wurde in früheren Jahrzehnten fast allge-
mein abgehalten, und die Vereinigung aller Ernteknechle des-
selben Haushalts an einem Tisch verlieh ihr ein besonders ver-
trauliches Gepräge. Heute denkt der Bauer anders. Der Dienst-
bole und der Taglöhner sind ihm einfach Arbeitskräfte, die ihn
Geld koslen — zu viel nach seiner Ansicht — , und die ihm
keine Veranlassung geben, sie dazu noch in überflüssiger Weise
zu bewirten. So ist die Erntegans allmählich abgekommen. Sie
ist außer den oben erwähnten Dörfern noch gebräuchlich in
Weitbruch, Uttweiler und Kleeburg. In Dautenheim ist der
Erntebraten der Schnitter mit dem Meßti verschmolzen, aber
der Begriff «Erntegans» ist dort nicht mehr bekannt. Es ist
das ein zufälliges Zusammentreffen eines neuzeitlichen Ernte-
brauches mit dem altgermanischen Erntefest.
In Geaderlheim sagen die Ernteknechte, wenn sie das
letzte Weizenstück abmähen: «Jetz welle m'r lueje, daß m'r d'
Aernegauns bekumme.» Sie denken sich aber nichts dabei.
-
Der Zeitpunkt des Festes.
Die Entscheidung, ob in dem betreffenden Jahre ein Meßti
abgehalten werden soll oder nicht, liegt in den Händen des
Gemeinderats. Denn der Meßti hängt nicht allein von dem
guten Willen und der Beteiligung der jungen Leute ab, son-
dern er ist auch eine Angelegenheit der Eltern und folglich der
Bürgerschaft. Die jungen Leute, besonders die Maiden, müssen
ordentliche Kleider haben, die Burschen brauchen einen vvohl-
gefüllteu Geldbeutel, es sind Verwandle und Bekannte zu be-
wirten, und dies alles kostet Geld, für eine kinderreiche Familie
viel Geld. Im Gemeinderat geht es oft heiß her, besonders da
die Dorfväter sich nicht immer von sachlichen Gesichtspunkten
leiten lassen. So kommt es wohl manchmal vor, daß als Er-
gebnis von alleilei persönlichen und untergeordneten Umständen
zum Erstaunen und Aerger der Gemeinde ein ablehnender Be-
schluß gefaßt wird.
Der Zeitpunkt, wann der Meßti stattfindet, ist in vielen Fällen
durch die Ueberlieferung bestimmt. Man rechnet nach dem Patron
des Ortes oder nach einem Heiligen oder einem kirchlichen Fest-
tage. Dies trifft für die katholischen Kirchweihfeste bis zum An-
fang des 19. Jahrhunderts ausnahmslos zu. Sicherlich haben auch
manche protestantische Ortschaften aus der katholischen Zeit
her noch lange, vielleicht bis zum heutigen Tage, an den Hei-
ligentagen festgehalten. Im 19. Jahrhundert verwickelten sich
die Verhältnisse. Denn gerade diejenigen Gemeinden, wo den
Heiligentagen die größte Bedeutung zukommt, nämlich die ka-
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Iholischen, stießen, wie wir gesehen haben, den weltlichen
Kirchweihtag von dem kirchlichen ah und verlegten ihn auf
einen andern Tag als den durch den Patron des Orls gegebenen.
Aber merkwürdigerweise wurde dieser wiederum vielfach nach
einem Heiligen oder nach einem Kirchenfeste festgesetzt. An-
dererseits besteht sowohl bei Katholiken wie bei Protestanten
noch häufig die Gepflogenheit, allerlei Verrichtungen des bür-
gerlichen Lehens nach Heiligentagen zü bemessen. Der Land-
bewohner denkt dabei, wie auch aus zahlreichen Sprichwörtern
und Bauernregeln hervorgeht, nicht an einen kirchlichen Zu-
sammenhang, sondern es ist ihm lediglich um ein festes Datum
zu tun.
Eine kleine Auswahl von Kirwen und Meßti, die nach
Heiligentagen und kirchlichen Festen festgesetzt sind, möge
hier folgen.
Ganz oder vorwiegend protestantische Gemeinden : Krött-
weiler, Sonntag nach Maria Gehurt ; Reimersweiler , Sonntag
nach Laurentius; Nehweiler bei Wörth, Sonntag nach Verklä-
rung Christi ; Langensulzbach und Mattstall, Sonntag nach
Maria Himmelfahrt; Ringendorf, Sonntag nach Bartholomäus;
Bargheim, 2. Sonntag nach Arbogast ; Goxweilcr, Sonntag
nach Johanni vor der lat. Pforte. Aus früherer Zeit : Schwind-
ratzheim, 17-40 und 1757 am Tage Ludovici 1 ; Alteckendorf
(1737)2 und Übermodern (1738) am Tag Simon und Judä 3 ;
Schalkendorf (1767) am Tag Petri und Pauli 3.
Ganz oder vorwiegend katholische Gemeinden : Zaber n y
Montag nach Maria Geburt (5 Tage), früher am Tage selbst*
(Patronstag am 4. Sonntag nach der Oktav von Maria Heim-
suchung) ; Hochfelden, Montag nach Matthäus (3 Tage) (Pa-
tronstag: Peter und Paul) ; Beinheim t Sonntag nach Lukas
(Patronstag : Kreuz-Erhöhung) ; Bühl, Sonntag nach Gallus
(Patronstag : Ulrich) ; Niederrödern, Sonnlag nach Laurentius
(Patronstag : Sonnlag vor Jakobus) ; Kaidenburg, Sonntag nach
Martini (Patronstag : Sonntag nach Maria Heimsuchung) ; Gvn-
stett, Sonntag nach Gallus (Patronstag: Michel).
Am Ostermontag und -Dienstag findet Kirwe statt in Ober-
dorf-Spachbach, früher auch in Keffenach (Patronstag : Georg).
In folgenden Dörfern ist oder war Kirwe am Pfingstmontag und
-Dienstag : Lembach (Patronstag : Jakobus), Lampertsloch (Pa-
1 Pfarrarchiv von Schtcindratsheim.
2 Pfarrarchiv von Alteckendorf.
s Pfarrarchiv von Obermodern.
* «Schnallenbuch» von Bosenheim [KU2; S. TL : Maria Geburt
dz Ist Zubern Mestag. — Im Laufe der Zeit unterlag der Beginn
ni c h rf ac h e n Schwan k unge n .
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lionstag : Maria Heimsuchung), Diefenbach bei Wörth (Patrons-
tag: Josef), Schirrhein (Patronstag : Nikolaus), Weitersweiler i
(Patronstag: Michel); Koßweiler ; am Pfingstsonntag und -Mon-
tag: Wibolsheim (Patronstag: Trophimus) ; am Sonntag vor
Pfingsten und am Pfingstmontag : Schwabweüer (Patronstag :
Sebastian).
In einer weiteren Reihe von Fällen wird der Meüti nach
einem bestimmten Sonntag im Monat bestimmt. Hier einige
Heispiele, die lauter konfessionell gemischte Dörfer betreffen.
Juli : 3. Sonntag, Harzweiler (Patronstag: Leopold). August:
?. Sonntag, Surburj (Patronstag: Arbogast); 4. Sonntag, Sulz
unlerm Wald (Patronstag: Peterund Paul). September: 1.
Sonntag, Eberbach bei Selz (Patronstag : Ludwig) ; 2. Sonntag,
Frosch iveiler (Patronsfag: Michel); 3. Sonntag, Holiweiler (Pa-
trons! ag : Johannes der Täufer). Oktober: 1. Sonntag, Ingols-
heim (Patronstag : Michel) ; 3. Sonntag, Vendenheim (Patrons-
lag: Lambert); 4. Sonntag, Birlenbach (Patronstag: Moritz);
Sonntag vor Allerheiligen, Görsdorf (Patronstag : Martin). No-
vember : 1. Sonntag, Hunspach ; 3. Sonntag, Drachenbronn.
Dezember : am 3. Adventssonntag, Biberkirch (Patronstag : Ni-
kolaus).
Es läßt sich nicht sagen, daß man bei der Festsetzung des
Meßti immer auf den Stand der landwirtschaftlichen Arbeiten
Rücksicht nahm. Schon aus den obigen Angaben erhellt, daß
Kirchweihfeste über Frühjahr, Sommer und Herbst verteilt
wurden. Die meisten fanden im Spätsommer und Herbst statt,
also in der Zeit von etsva Mitte August bis Ende Oktober. Das
ist ungefähr die Zeit, in der die wichtigsten Jahreserzeugnisse
eingeheimst sind. Im allgemeinen wird nach dem Ober- Elsaß
zu der Meßti früher, in Lothringen später gefeiert. In manchen
Dörfern wartet man bis zur letzten Frist, wo noch öffentliche
Tanzerlaubnis gewährt wird, so in Waltenheim. Späte Meßti
sind außerdem diejenigen von Mitlelhausen, Reilweiler, Uhr-
weiler, Kimceiler, Hanhofen, Morsbronn, späte Kirwen in
Schaffhausen bei Selz und KaidJnburg. In Biberkirch und
Dreibrunnen fällt der Meßti in die Adventszeit, es wird alsdann
nicht öffentlich getanzt.
Wo ein später Meßti stattfindet, da blüht die Landwirtschaft
und da nehmens die Bauern ernst mit ihrem Beruf. Die Arbeit
geht ihnen vor, sie nehmen keine Zeit zum Feiern an, bis Reif
und Schnee liegen und die Feldarbeit von selbst aufhört. Die
Wirte haben nicht gern späte Meßtifeste, denn die kalte Zeit
1 Znm Andenken an die Einweihung der Kirche am Pfingst-
montag 1525.
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— . 222 —
ist weniger zum vielen Trinken geeignet, und außerdem ist im
Spätherbst wenig Geld mehr unter den Burschen. Die Tänzer
machen sich aber nicht viel aus den Unbilden der Witteruns.
Bei offenen Fenstern tanzen sie sich warm und helfen, wenns
Not lut, mit Wein nach.
Früher waren die Kirch weih feste bezüglich ihrer Festlegung
unantastbar. Es war auf den gegenseitigen Vorteil der Gemein-
den in der Weise Bücksicht genommen, daß in einem kleineren
oder größeren Umkreis niemals zwei Ortschaften am nämlichen
Tage feierten. So konnte jedes Dorf seine Pflicht der Gastfreund-
schaft erfüllen und die Jugend nach Bedürfnis und Lust die
«fremden» Meßti besuchen. Heute befolgen die meisten Gemein-
den nicht mehr die alte Ueherlieferung, sondern sie richten sich
vor allem nach der Zweckmäßigkeit. Natürlich spielt hierbei der
Stand der Arbeiten eine Hauptrolle. Auch der Vorteil der Ge-
meinden fällt nicht unwesentlich ins Gewicht : jedes Dorf ist
bestrebt, möglichst viel «Fremde» anzuziehen. Mag das Nach-
bardorf es auch so machen, das ist seine Sache ! So ist es viel-
fach gang und gäbe geworden, den Meßti nach Gutdünken zu
verlegen oder ihn willkürlich auf einen beliebigen Sonntag an-
zusetzen. Die alte, geheiligte Ueherlieferung wird rücksichtslos
durchbrochen.
So wurde die Kirwe von Niederrödern, die seit 1827 all-
jährlich am Montag nach Laurentius (10. August) stattfand,
1904 auf den Montag nach Allerheiligen verschoben, weil sie
nach der allen Gewohnheit öfters mitten in die Weizenernte
fiel. Der Mehheimer Meßti, der früher im August abgehalten
wurde, wird seit einiger Zeit Mitte Oktober gefeiert, und der
Mielesheimer Meßti, der seit Menschengedenken im August
stattfand, wurde 1905 auf den 12. November verschoben —
beide mit Rücksicht auf die Feldarbeiten. 4905 wurde der
Danzeniteimer Meßli, der sonst 8 Tage vor dem Hochfelder
gefeiert wurde, wegen der Hopfenernte in den Oktober verlegt.
Aber nun fiel er mit den jüdischen Feiertagen zusammen, und
da ging der jüdische Fleischlfeferant zu den einzelnen Hatsmit-
gliedern und erreichte eine nochmalige Verlegung, ohne daß
aus der Gemeinde Widerspruch erfolgte. Der Geuderthei)tirr
Meßti, der sonst nach dem Brumalher stattfand, wird seit
einigen Jahren zugleich mit dein Brumather gefeiert. Dadurch
werden die jungen Leute abgehalten, ihr Geld nach auswärts
zu tragen, sie müssen es im Dorfe seihst ausgeben. Besonders
häufig erfolgt eine Verlegung des Meßti wegen Einquartie-
rung.
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- 223 —
Vorbereitungen im Familienkreise.
Zu einem Feste von der Bedeutung des Meßti, wozu sich
Gäste von nah und fern einstellen und bei dem jeder neidisch
nach dem Nachbar hinüberschielt, muß vor allen Dingen Haus
und Hof sauber dastehen. Nicht daß der Dorfbewohner keine
Reinigung vornähme, wenn kein Meßti stattfände oder falls er
einmal ausfallt, aber die Gelegenheit wird benützt, ebenso wie
in den meisten Dörfern schon im Hinblick auf Ostern das Haus
ein neues Gewand bekommt.
Die Woche vor Meßti, die Meßlivvoche, wird mit Aufwaschen,
Scheuern, Putzen und Reinigen des ganzen Gehöfts ausgefüllt.
Der Maurer tüncht die Wände drinnen und draußen, und nun
steht das Haus in blendend weißem Anstrich da, von dem sich
das Fachwerk gefällig abhebt. Wer kleine Ausbesserungen oder
Neuanschaffungen zu machen hat, der tut dies im Hinblick auf
den Meßti. Besonders da, wo erwachsene junge Leute sind,
sieht man auf tadelloses Aussehen des Innern, der Möbel und
der Küche. Außerdem wird große Wäsche abgehalten, das
Weißzeug aller Hausgenossen und die Fenstervorhänge frisch
gebügelt. Eine nicht geringe Ausgabe erfordert der Ankauf
neuer Kleidungs- und Trachtstöcke für die jungen Leute, ins-
besondere für heiratsfähige Töchter. Schreiner, Maurer, Schuster,
Schneider, Näherin und Büglerin haben wochenlang, oft bis
zum letzten Augenblick vollauf zu tun, und für sie ist daher
der Meßti tatsächlich ein Eiholungsfest. Das männliche Geschlecht
ist aber in dieser Woche kaum zu beneiden, namentlich in
den Häusern, die mit zahlreicher Weiblichkeit gesegnet sind.
Sie hindern überall, stören überall und können sich meist nur
noch zum Essen und Schlafen im Haus aufhalten.
Nicht weniger wird in der Meßtiwoche für die Vorberei-
tungen auf das leibliche Wohl der Festteilnehmer und ihrer
Gäste gesorgt. Früher schlachtete man regelmäßig ein Schwein,
und dies geschieht auch heute noch vielfach, wenn es die Jahres-
zeit wegen der Hitze nur einigermaßen erlaubt. Häufiger wird
aber jetzt «angeschafft», d. h. Fleisch vom Metzger gekauft.
Dazu füllt man in Weingegenden das Meßtifaß. Der Meßliwein
verdient schon insofern seineu Namen als er die Meßtitage nie-
mals überlebt. Am Samstag wird den ganzen Tag Mürbekuchen
gebacken, er heißt danach im Volksmund der Kuchenbachsams-
tag. Das beliebteste Gebäck ist der Kugelhopf, der in unserem
ganzen Gebiete mit Ausnahme der Wcißenburger Gegend üb-
lich ist. Ei* wird aus Mehl, Butter, Zucker und Eiern unter
Zusatz von Milch, Rosinen und Bierhefe in einer irdenen Form
hergestellt. Er hat die Gestalt eines abgestumpften Kegels mit
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S2.4 -
gerade oder schräg verlaufenden erhabenen Rippen und in der
Achse eine Vertiefung. An der oberen Fläche wird jede Rippe
mit einer Mandel belegt und der ganze Kugelhopf noch mit
Zuckermehl bestreut. Von demselben Teig bäckt man in be-
sonderen Formen Fische, Karpfen und Lilien (große heraldische
Lilie).
Ferner sind überall Kuchen von der Form eines kleinen
Laibes gebrauchlich. Sie werden aus Weißmehl, Zucker, Eiern,
Milch und Rierhefe hergestellt, manchmal unter Zusatz von
Rosinen, und oben mit Eigelb überstrichen. Sie führen ver-
schiedene Namen. Im allgemeinen heißen sie Kuchen schlecht-
weg, im Kreis Weißenburg dicker Kuchen und Kirwekuchen,
auch Weck, im Hanauischen Motz und Mötsch, im Süden
Mötsche und Mütsche. Aus demselben Teig stellt man im mitt-
leren Unter-Elsaß den Zimtkuchen her. Er ist flacher als
der Motz und wird dick mit einem Gemisch von Zimt, Zucker
und Mandeln bestreut. Aehnlich, nur etwas dicker ist der
Ropfkuchen in der Weißenburger Gegend.
Allgemein backt man ferner «Tarten», Torten, die je nach
der Jahreszeit mit Aepfeln und Zwetschgen oder mit einem
Aufguß aus Apfel- und Zwetschgenmus unter Zutat von Rosinen
belegt sind. Man hat Tarten aus gewöhnlichem Teig und aus
Rlätterteig. Auch Riskuits, gewöhnlich Biskuitkuchen und Ris-
kuittarten genannt, sind vielfach üblich.
Ueber der Herslellung dieser verschiedenen Backwerke
gehen allerdings die Vorräte in Küche und Kammer oft eng
zusammen. Im Hanauischen werden nicht selten in einer Fa-
milie 100 Pfund Mehl verbacken.
Das gewöhnliche Kleingebäck sind die Hirzhörnle. Sie
werden aus Mehl, Mandeln, Eiern und Zucker hergestellt und
in frischer Butter braungebacken. Sie haben die Gestalt von
Hirschgeweihen, werden vielfach auch schlechtweg Hörnle ge-
nannt. In den Weingegenden dürfen sie auf keinem Familien-
tisch fehlen, zu einem Krügel Wein stellt man dort stets einen
Teller voll Hirzhörnle. Im Hanauischen kennt man auch «Ise-
küechle» (Eisenküchlein), die mit dem oben beschriebenen Teig
in kleinen Blechformen verschiedener Gestalt hergestellt werden.
Spritzgebackenes ist eine beliebte Spezialität, die in Koßweiler
arn Pfingstmontag als sogenannte Strauben gebacken wird. Man
verwendet dazu Mehl, Eier, Milch und verschiedene geheime
Zutaten und läßt den Teig durch einen Trichter in heißes
Schmalz laufen. Dieses Gebäck ist weit und breit so geschätzt,
daß man den Koßweiler Meßti auch den «Strüwemeßti» nennt.
Wir haben hier bloß das herkömmliche Volksgebäck er-
wähnt, das am Meßti auch in den Wirtschaften zu haben ist.
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225 —
Natürlich sind in der letzten Zeit die Geheimnisse der städtischen
Zuckerbäckerei auch schon in die Dorfköche eingedrungen,
nicht am wenigsten durch die Vermittelung der Wanderhaus-
haltungsschulen. Man pflegt Verwandten und Freunden, auch
dem Sohne in der fremden Garnison, der nicht zum Feste er-
scheinen kann, gleich am Samstag reichliche Mengen von Ku-
chen und Kleingebäck zu schicken.
Ein sehr beliebter Kuchen wird am Kuchenbachsamstag
— und übrigens auch jedesmal, wenn gebacken wird — im
mittleren und südlichen Unter-Elsaß gegessen. Es ist der Flamm-
kuchen, Käskuchen, Flammbrüeli, auch kurz Brüeli (von Brühe).
Gewöhnlicher Brolteig wird in große flache Kuchen ausgewalzt
und mit «Schmiere» bestrichen. Man versteht darunter ein
nach dem Geschmack wechselndes Gemenge von weißem Käse,
Rahm und Milch, welches mit mehreren Butterstückchen be-
legt oder mit Rapsöl begossen wird. Man schiebt den Kuchen
auf einem Kuchenbrett in den geheizten Backofen, zwischen
die rechts und links noch brennenden (flammenden) Holzknüppel,
wo er nur wenige Minuten bleibt, und zieht ihn dann auf dem
Kuchenbrett wieder heraus. Es gibt auch Flammkuchen mit
Aepfelschnilzen, mit frischen Zwetschgen und Zwiebelwürfeln.
In Lettweiler hieß früher der Meßtisamstag der Käskuchen -
samstag.
Nachdem nun alles zum kommenden Meßti bereit ist, wirft
der Bauer am Sonntag Morgen noch einen Blick in Hof, Scheune
und Stallungen. Alles ist in Ordnung, es kann «losgehn».
Die Finanzen des Festes. Das Versteigern
und Vertrinken. Meßtibursch und Meßtimaide.
Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß die Herrschaft
und die örtliche Obrigkeit schon in alter Zeit das Zusammen-
strömen vieler Menschen, den erhöhten Verbrauch von Nah-
rungs- und Genußmitteln und, insoweit mit den Kirchweih -
festlichkeiten Jahrmärkte verbunden waren, das Einbringen und
Feilbieten von Waren mit Abgaben belegte. Wohl in manchem
Archiv dürften sich über diese Verhältnisse zerstreute Notizen
linden. Die uns zu Gebote stehenden Belege sind sehr spärlich,
obwohl wir unser Augenmerk bei der Durchforschung alter
Urkunden, insbesondere der Dorfrechnungen im Bezirksarchiv
des Unter-Elsaß, gerade auf diesen Gegenstand gerichtet haben.
Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfahren wir,
daß der Zoll von zwei Meßtagen in Pfaffenhofen* 30 ß 4,
i Bezirksarchiv des Unter-Elsaß, E. 2978.
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— 226 —
nach heutigem Geldwert 1 90—100 M., betrug. In derselben
Zeit warf der Meßtag zu Uttweiler* an Zoll 1 Pfund ab, nach
heutigem Geldwert 00—6(3 M. Der Zoll fiel den Herren von
Lichtenberg zu.
In Zabem wurden aus Anlaß des Meßtags verschiedene
Abgaben erhoben, die teils der bischöflichen Herrschaft, teils
der Sladt zufielen. Von 1531 ab wurde vom Meßlagswein Ohm-
geld erhoben 3. Durch das ganze 16. und 17. Jahrhundert wurde
Weg- und Eintrittsgeld, Ständegeld und Hüttengeld erhoben. Ein-
zelheiten finden sich bei Ad a in Merkwürdigerweise wurden auch
die Bürger zu einem Beitrag für den Meßtag herangezogen und zwar
zur Besoldung der Meßtaghüter. Dieser «Meßtagbalzen» betrug
1546 8 ^ (= 1,20 M.)*, wurde damals schon als eine alte Gebühr
bezeichnet und bestand noch 1692. Mit den Meßtagseinnahmen
wurde eine Anzahl bediensteler Personen besoldet. Für uns
ist es von Wert, daß 1521 und 1539 der Unlerschultheiß und
der Stadtschreiber für 4 , j2 Tage, die sie auf dem Meßtag zu-
zubringen hatten, je 9 ß (1521 = 24,84 M., 1539 = 17,64 M.)
und außerdem noch als Trinkgeld vom Ohmgeld jeder 2 ß er-
hielten. 1544 bekamen sie jeder 10 ß (= 17,60 M.), 1521
außerdem noch ein Dutzend Nestel. Dieses Geschenk hieß der
Meßlagkrarn und wurde später in Geld gereicht. So erhielten
1018 unter andern der Landschreiber, der Unterschultheiß und
der Sladtschreiber jeder für ihren Meßtagkram 2 ß (= 1,48 M.) 6 .
Noch heute nennt man das Geschenk, das man jemandem vom
Meßti mitbringt, den «Meßtikrom».
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß der Schult-
heiß zu Gimbrelt in den Jahren 1610 1613, 1619 und 1621
«für sein Irten (Zeche, Rechnung) am Meßtag» je 5 ß (= 3,70 M.)
aus der Gemeindekasse erhielt 7 . Allerdings ist zu bedenken,
daß im alten elsässischen Dorf alle Dienstleistungen für die
Gemeinde durch Zahlung von Taglöhnen und Zehrkosten ent-
schädigt wurden. Der Schultheiß bezog also außer seinem
kleinen Gehalt (in Gimbrett damals 1 U 10 ß = 22,20 M.)
noch für seine Reisen, für die Teilnahme an den Jahrgerichten,
für die Verteilung und Erhebung der Steuern und Gefalle, für
die Beaufsichtigung der Gemeindearbeilen, für die Besetzung
» Berechnet nach flanauers Guide monetaire. Rixheim,
Sntter, 1894. — So auch alle folgenden Berechnungen.
8 Bc/.irksarchiv des Unter-Elsaß, E. 2978.
s Adam, Der Zaberner Meßtag. Zabem, Gilliot, 1901. S. 9.
* a. a. 0., S. 44 ff.
5 a, a. ()., 8. 42.
6 a. a. 0.. S. 50 f.
7 Dorfrechnungen im Gemeindearchiv zu Gimbrett, 1610 — 1710.
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der Aemter und die Vereidigung der Neugewählten, für An-
hörung der Rechnungen und so auch tarn Meßtag» eine nicht
unbedeutende Xebeneinnahme. Die Zehrkosten wurden alle heim
Stubenwirt gemacht, sogar «als man mit dem Wurth wegen
der Jahrs über gethanen Zehrung gerechnet», wurde «gezehrt».
In den Dorfrechnungen von Uunbrett findet sich die erwähnte
Ausgabe von 1621 — 1710 nicht mehr.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurde der Meßtagzoll zu
Westhofen auf dem Michaeli-Markt von 0 Gerichtsleuten ein-
gesammelt und in die Büchsen empfangen, welche von dem
Amtmann geöffnet wurden. Der Ertrag floß in die Gemeinde-
kasse. 1631 ertrug der dortige Meßlag mit Zoll, Standgeld,
Ohmgeld und Hellergeld 29 g 19 ß 11 4 (= 29J,94 M.), 1701
nur 9 fl 4 ß (= 50,76 M.) 1 . Ebendort hatte im 18. Jahrhun-
dert die Herrschaft das Meßtaghellergeld am Jahrmarkt zu er-
heben, zu den übrigen Zeiten war es der Gemeinde zustandig,
vom Ohm Wein 1 ß. Im Jahre 1749 wurde es mit dem Metz-
ger-Akzis verliehen*. Auch in der bereits oben erwähnten Mit-
teilung Rippells 8 , daß bei der Feier des Meßtags «die Ein-
weyhung des Wirths-Hauses wegen dem Interesse der Herr-
schaften überblieben», ist das Interesse der Herrschaften dahin
zu verstehen, daß diese aus der Einweihung des Wirtshauses,
d. h. aus dem Aufziehen des Meßtags in das Wirtshaus mate-
riellen Gewinn hatten.
Welchen Umfang die Meßtage am Ende des 18. Jahrhun-
derts angenommen halten, erhellt aus der Tatsache, daß 1791
die hanauische Verwaltung iu der ganzen Grafschaft an Stand-
geld von Märkten und Kirchweihen 373 II 4 ß (= 1120,20 M.)
einnahm, wovon 306 fl 5 ß 7 ^ (= 919,67 M.) aus den beiden
Aemtern Buchsweiler und Pfaffenhofen eingingen 4 . Wir ersehen
auch hieraus, daß schon damals, wie auch in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts, der Meßti in den allhanauischen Dörfern
seine größte Entwicklung hatte.
Die französische Revolution beseitigte neben vielen anderen
Abgaben auch diejenigen, die die alten Herrschaften aus den
Kirchweihfesten zogen. Die Gemeinden traten allein an ihre
Stelle und suchten nun aus den Festen aut verschiedene Weise
Nutzen zu ziehen. In Buchsweiler wurde 18J3 das Standgeld
wieder aufgenommen, und zwar waren von einem Stand von
einer Dielenlänge 60 Centimes, von einer halben Dielenlänge
1 Kiefer, Steuern, Abgaben usw., S. 33.
* A. a. 0., S. 31.
SRippell, Altertum, Ursprung und Bedeutung aller t'ere«
monien, usw. Augsburg und Freiburg, Wagner, <>. Aufl. 17~>7, 8. 114.
« Kiefer, a. h. 0., S. <»S u. <;«.).
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30 Centimes, von den Krämern auf dem Kaufhause aber je ein
Franken zu entrichten ». In demselben Jahre wurde zu Hoch-
fehlen der Meßtag für 105 Franken versteigert, die in 2 Ter-
minen 14 Tage und 6 Wochen nachher zu bezahlen waren 8 .
1804 erreichte der Steigpreis sogar 275 Franken 3. An dieser
hohen Summe dürfte wohl das gute Weinjahr schuld gewesen
sein, das noch heute von alten Leuten als der «große Herbst»
bezeichnet wird. Zu Zähem wurde die « Bauernhütte» und die
«Madamenhütte» vermietet, der Mietpreis der ersteren erreichte
oft 800—1000 Fr., der letzteren sogar 3000 Fr.* Es ist aber zu
berücksichtigen, daß wir es hier, wie in Hochfelden, neben
dem Freudenfest für die ländliche Bevölkerung auch mit viel-
besuchten Jahrmärkten zu tun haben. In Hochfelden wird seit
Menschengedenken der Meßti nicht mehr versteigert, sondern
an einen Privatmann verpachtet. Das jährliche Pachtgeld be-
trägt zur Zeit für 6 Jahre 1930 M. Darin ist das Korbgeld des
Wochenmarkts und das Standgeld der beiden Meßti (eigentlicher
Meßti und Püngstmeßti), nicht aber die Tanzabgabe der Wirte
einbegriffen.
In ländlichen Gemeinden entrichtete man nach der napo-
leonischen Zeit bloß eine Tanzsteuer von 3—6 Fr. für die Ar-
menkasse. Bei flotten Meßti wurde wohl vorübergehend mehr
erhoben, so in Uhlweiler in den 1820 er und 1830 er Jahren
30—40 Fr., jeweils für die Dauer des ganzen Festes. Bis 1862
war das Halten des Meßti in Buchsweiler frei. Nur die Wirte
bezahlten an den Tanztagen eine kleine Summe, wovon *|s in
die Stadtkasse, */s in die Armenkasse floß. Im allgemeinen
waren aber vom Anfange des 19. Jahrhunderts bis gegen das
Jahr 1880 die Verhältnisse auf dem Lande so, daß lediglich
von den Tanzwirten 3—6 Franken oder Mark in die Armen-
kasse entrichtet wurden.
In der guten alten Zeit vertrugen sich die vier Faktoren,
die am Geldwesen des Meßti beteiligt waren, auf das trefflichste.
Es waren die Dorfburschen, die Musik, die Wirte und die Ge-
meinde. Die Anschauung, daß der Meßti eine reine Angelegen-
heit der Burschen sei, wurde von niemand bestritten. Die
Burschen deckten durch ihre Teilnahme in erster Linie die
Ausgaben des Festes und machten daher mit Recht auch auf
das Monopol der Vergnügungen Anspruch. In mehreren Ge-
» Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 27. Pluvidse XI ( =
16. Februar 1803).
* Dessrl. vom 14. Fructidor XI (= 31. August 1803).
s Desgl. vom 15. Fructidor XII (= 2. September 1804).
* Klein, Saverne et ses euvirons. Strasbourg, Silbermann,
1819, p. 213.
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meinden des Kreises Weißenburg liaben die Gestellungspflich-
tigen der Jahresklasse die Kirwe an sich gezogen und besitzen
die Oberleitung aller Veranstaltungen, so in Niedersteinbach,
Klimbach, Lembach und Oberhofen (Kanton Weißenburg),
wohl auch noch in andern Dörfern. Zu Kaltenhausen heißen
sie geradezu die Meßtiburschen. In Grafenstaden haben sie
noch heute das Vorrecht beim Ersteigern des Meßti, inachen
aher nicht immer davon Gebrauch. So lange die Zeitumstünde
es der Gesamtheit der Dorfburschen erlaubten, sich als die
kraftvollen Träger des Meßti zu behaupten und dem Meßti als
ihrer eigenen Sache das nötige Ansehen zu bewahren, so lange
blühte der Meßti. Als sich dann im Laufe der Zeit die Macht-
verhältnisse auf dem Dorfe verschoben, sank er allmählich und
sieht jetzt seinem Untergange entgegen.
Der Vertreter der Burschen ist der Meßlibursch oder Kirwc-
bursch. Er tritt dadurch ins Dasein, daß der Meßti versteigert wird.
Nachdem vom Gemeinderat grundsätzlich beschlossen ist,
daß ein Meßti sein wird, kommen die Burschen vom 16. Le-
bensjahre an geraume Zeit vor dem Feste, etwa 2—5 Wochen,
an einem Samstag- oder Sonntagabend in derjenigen Wirtschaft
zusammen, wo voraussichtlich Meßti abgehalten werden soll.
Alles ist vollzählig zur Stelle, oft ist es die einzige Wirtschaft
des Dorfes. Ein aufgeweckter und zum Scherzen aufgelegter
Bursche erhebt sich und ruft: «Jetz wurd der Meßti versteijl !
Wer bietV?» Nun wird gesteigert und zwar nach Maß Wein
<1 Maß = 2 Liter). Dabei geht es oft stürmisch, ja gefährlich
zu, gewöhnlich weiß man aber schon im voraus, wer Meßti-
bursch wird. In vielen Gemeinden ist man im Laufe der Zeit
zum Bier übergegangen, in andern steigert man nach Geld, so
in Dossenheim (Kr. Zabern) (bis 1901). Der Zuschlag erfolgt
von selbst, wenn niemand mehr bietet, je nach der Anzahl der
Burschen mit 30 — 80—120 Maß, die sofort getrunken werden.
In alter Zeit wurde die Qualität des Weines von den Burschen
vorher angedingt. Gewöhnlich wählte man Zwölfer, d. h. 12 Su
der Liter, auch wohl Zehner, nicht selten Sechzehner, der
schon etwas «Extraes» war. Wurde nach Geld gesteigert, so
wird dies an niemand ausbezahlt, sondern auch sofort in geistige
Getränke umgesetzt und diese getrunken, z. B. 2 oder 3 Faß
Bier. Manchmal wird auch eine Kleinigkeit gegessen, Wurst,
Käse oder Hering. Nachdem auf diese Weise der «Meßlibursch
gemacht» ist, geht dieser hinaus, um alsbald mit einem mäch-
tigen Strauß am Hute zu erscheinen. Die Burschen aber trinken
und singen bis tief in die Nacht, oft bis zum grauenden Morgen,
«sie versüfle de Meßti». Die Kosten trägt der Meßtibursch.
Der Meßtibursch oder Kirwebursch hat die oberste Leitung
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und den Erlös aus dem ganzen Feste.- Er ist nicht nur General-
pächter, sondern auch Oberzeremonienmeister. Er sorgt dafür,
daß alles ordentlich eingeht, damit die Burschen, seine Kame-
raden, sich sorglos der Festesfreude hingeben können, ohne
durch unerwartete Geldforderungen gestört zu werden. Außer-
dem hat er dafür zu sorgen, daß die Gebräuche, insbesondere
die Tanzsilten, im alten bewährten Rahmen geübt werden und
daß die aus ihnen erwachsenden Einnahmen richtig eingehen.
Diese doppelte Aufgabe erfordert viel Umsicht und Entschlossen-
heit. Der Meßtibursch muß daher ein aufgeweckter, lustiger
und zugleich selbstbewußter Bursche mit kräftiger Stimme sein.
Er muß das nötige Ansehen unter den Dorfburschen besitzen
und über einigen Witz verfügen, um Leben und Zug in dos
Fest zu bringen. Auch im Trinken muß er seinen Mann stellen
können, denn sonst verliert er bald die Uebersicht und setzt
dann von seinem Gelde zu. So machte einmal in den 18ö0er
Jahren ein Meßtibursch zu Schwindratzheim so schlechte Ge-
schäfte, daß er eine Kuh verkaufen mußte.
Bei großen Meßti überstiegen die Anforderungen des Festes
die Kräfte eines einzelnen, und der Meßtibursch gesellte sich
einen oder zwei geeignete Kameraden zu, die sich in seine
Pflichten teilten und nun auch Meßtiburschen hießen. Der ur-
sprüngliche Meßtibursch behielt die Oberleitung, aber oft waren
sie untereinander uneinig und bekamen schon während des
Meßtis Streit.
Nicht selten sind im Dorfe zwei Parteien, die jede ihren
Meßli, ihren Meßtiburschen, ihre Wirtschaft, ihren Tanz für
sich haben. Dies war z. B. in den i860er Jahren öfters der
Fall zu Dossenlteim (Kr. Zabern) und zu Schwind ratz heim.
In letztgenanntem Dorfe waren in den 1840 er Jahren sogar
einmal 3 Meßtiburschen, die ein jeder seine Partei und seine
Tanzwirtschaft hinter sich hatten. Zu Hördt pflegen sich die
jungen Leute nach den Altersklassen in drei verschiedene
«Kameradschaften» zusammenzuschließen, die jede ihre eigene
Wirtschaft und eigene Musik haben.
Die Einrichtung des Meßtiburschen als des obersten Leiters
des Meßtifestes scheint schon alt zu sein. Urkundlich linden
wir ihn zuerst 1740 in Schwindratzheim » und Mittelhausen*
als «Meßtagsknaben», dann 176(3 in übermodern* als «Meßtags-
1 Protokoll des Konsistoriums Buchswciler vom 1. September
1740 im Pfarrarchiv von Schtcindratzheim.
2 Presbyterialprotokoll von Mittelhausen vom 1. November 1740
im dortigen Pfarrarchiv.
3 Presbyterialprotokoll von Übermodern vom 22. Februar 1767
im dortigen Pfarrarchiv.
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purschen» erwähnt. Welche Verrichtungen er zu versehen hatte,
darüber fanden sich keine Aufzeichnungen. Aus einer kurzen
Bemerkung im Pfarrarchiv von Obermodern «, daß 1766 auf
dem dortigen Meßtage Teller ausgespielt wurden, läßt sich aber
schließen, daß er schun damals eine umfangreiche Tätigkeit
entfaltete. Die höchste Entwickelung fand das Amt des Meßti-
burschen im Hanauerland in den 1860 er Jahren. Der Kirwe-
bursch im Gebiete der Kirwe scheint nicht die Bedeutung er-
rungen zu haben, wie der Meßtibursch im Hanauischen. Ful-
das Ansehen, das dieser genoß, zeugt, daß man in folgenden
Kirwedörfern die Bezeichnung «Meßtibursch» statt «Kirwebursch»
angenommen hat : Kühlendorf Schwabweiler, Surburg, Hölsch-
loch, Preuschdorf, Görsdorf, Langensulzbach und Fröschweiler .
Außerdem wird im Meßligebiet die Bezeichnung Meßtibursch
allgemein auch für andere Verhältnisse im Sinne von «gesund
und fähig zu allen Ausgelassenheiten* gebraucht. Ein Kranker,
der wieder ganz geheilt, körperlich und geistig frisch ist, ist
«ein Meßtibursch».
Die Tage des idealen Meßtiburschen aus der Dorfaristokratie
sind aber überall schon gezählt. Man ist schon froh, wenn der
oder jene halbreife Bursche oder Knecht das undankbare Amt
übernimmt. Immerhin ist aber das Vorhandensein eines Meßti-
burschen noch ein Zeichen dafür, daß es sich um einen Meßti
nach ländlicher Art handelt.
Der Meßtibursch trägt am Hut als Zeichen seiner Würde
einen mächtigen und weithin sichtbaren Strauß 2 aus künstlichen
Blumen, Gold- und Silberflittern und gefiirbten Federn. Außer-
dem hat er im Hanauischen ein (Lein-) Wandfürtüchel, eine
kurze Schürze, die kaum das Knie erreicht und unten mit
Spitzen besetzt ist. In Schweighausen trug er früher dazu
noch rote und blaue Bänder, so daß die französische Trikolore
entstand. Der Kirwebursche in Görsdorf hat die Schürze mit
einem roten Bändel eingefaßt. Sie ist ein Geschenk des Kirwe -
maide, das dafür ein Dutzend Teller bekommt. Der Meßti-
bursch gesellt sich für die Dauer des Festes als holde Genossin
das Meßtimaide zu. Gewöhnlich ist es seine Geliebte, und früher
war es eine große Ehre, Meßtimaide zu sein. Das Meßtimaide
hatte kein besonderes Amt, es war einfach die ständige Tänzerin
des Meßtiburschen und genoß mit diesem gewisse Vorrechte
beim Tanze. In manchen Dörfern, so in Lingolsheim, fand sich
» Presbyterialprotokoll von Mittelhausen vom 1. November 1740
im dortigen Pfarrarchiv.
2 So auch im Ansbachischen und im Böhmerwald (Hessische
Blätter für Volkskunde, I (1902), S. 71;.
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- 232
der Meßtibursch ohne Meßtimaide, als Hagestolz in den Wogen
des Meßti zurecht.
Nun handelt es sich für den Meßtiburschen darum, wieder
zu dem Gelde zu kommen, das bei der Versteigerung des Meßti
vertrunken wurde. Dazu kommt noch ein anderer Umstand.
Das Verhältnis des Meßtiburschen zum Wirt ist nicht in allen
Füllen das gleiche. Beide haben das gemeinsame Bestreben,
möglichst viel Geld auf anständige Weise aus dem Feste zu
ziehen. Aber keiner kann ohne den andern auskommen. Des
Wirtes Vorteil ist es, daß er den Meßti überhaupt bekommt.
In großen Dörfern — und gerade da sind ja am meisten Geschäfte
zu machen — gibt es auch mehrere Wirtschaften, und darum ist
der Wirt vor allem auf den guten Willen des Meßtiburschen
und der hinter ihm stehenden Dorfburschen angewiesen. Dazu
weiß der Wirt den Wert eines Meßtiburschen, der durch sein
flottes Auftreten die Leute anzieht und festhält, sehr wohl zu
schätzen. Andererseits muß der Meßtibursch auch mit dem
Wirte rechnen. Er ist froh, einen Tanzsaal und Räumlichkeiten
zu bekommen, in denen er bessere Geschäfte machen kann als
in einer anderen Wirtschaft. In vielen kleinen und doch we-
sentlichen Dingen ist er von dem Entgegenkommen des Wirtes
abhängig, so beim Unterbringen des Lebkuchenstandes, beim
Würfelspiel usw. So kann es kommen, daß der Meßtibursch
dem Wirte etwas gibt oder umgekehrt, oder auch daß die Vor-
teile sich ausgleichen. Gewöhnlich erhält der Wirt eine schon
vorher vereinbarte Summe, die z. B. früher 20 Fr., dann bis
40 M. und noch mehr betrug. Außerdem hat der Meßtibursch,
ebenso wie der Wirt, 3—6 Fr. oder Mark in die Armenkasse
zu zahlen.
Diesen beträchtlichen Ausgaben stehen bedeutende Rechte
gegenüber, die zu namhaften Einnahmen führen. Der Meßti-
bursch hat das ausschließliche Recht, während des Meßti Leb-
kuchen zu verkaufen, erlaubte Spiele zu veranstalten, die Kon-
zession an Fremde zum Aufschlagen von Ständen, Buden und
Karussels zu vergeben, und zwar auf Straßen und öffentlichen
Plätzen, wo es ihm paßt und wo es zum Vorteil des Meßti ge-
boten ist. Jedoch darf niemandem die Einfahrt versperrt oder
das Tageslicht verdunkelt werden. Manchmal sind aber nach
Ortsgebrauch die Stände — und hier kommt hauptsächlich der
Lebkuchenstand in Betracht — bloß dann gebührenfrei, wenn
sie in dem Hof eines Privatmannes oder des Wirtes unterge-
bracht sind. Sobald sie auf den Straßen aufgeschlagen werden,
sind sie der Armensteuer verfallen.
Eine recht ergiebige Einnahmequelle für den Meßtiburschen
bildet das Würfelspiel. Seine Karneraden unterstützen ihn dabei
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durch lebhafte Beteiligung, und nicht selten mischen .sich ver-
heiratete Männer unter die Spieler.
Der Meßtibursch läßt von dem Tage an, wo der Meßti ver-
trunken wurde, bis zum Festtage selbst jeden Sonnlag in der
Meßtiwirtschaft würfeln. Dies geschieht nach altem Brauch
tischweise und geschlossen. Es gilt um Krügel und Teller, und
zwar wird mit drei Würfeln gespielt. Jeder Bursch setzt zwei
Su, spater 10 -f, die höchste Nummer gewinnt, der Meßtibursch
erhält den gesamten Einsatz, den «Stock». Anstalt des Gewin-
nes, 1 Krügel oder 1/2 Dutzend Teller, wird der Gewinner oft
mit 8—10 Su abgefunden, wenn er dumm ist, auch mit 4—5
Su. Warfen zwei Burschen dieselbe Nummer, so mußle jeder
noch 1 Su oder 5 ^ nachsetzen. Der Meßtibursch geht von
Tisch zu Tisch, die einzelnen Stöcke wandern alle «ins Krü-
gel», d. h. in ein wirkliches Krügel, das er mit sich führt.
So gehn die Sonntage vor dem Meßti bei Spiel und Scherz
herum, und nicht selten, z. B. in Morsbronn (bis 1882) gibt
der Meßtibursch am Meßlisonntag nochmals einen gewaltigen
Freitrunk zum besten.
Die Bedeutung dieser Spielversammlungen darf nicht unter-
schätzt werden. Es ist ohne weiteres verständlich, daß bei dieser
Gelegenheit vor allem von dem bevorstehenden Meßti gesprochen
wird, daß die Alten ihre Erlebnisse zum besten geben und der
zum ersten Mal zugelassene jüngste Jahrgang durch den Reiz
der Neuheit gestachelt, sich mit besonderem Eifer den Meßti-
gebräuchen und -freuden hingibt. Es ist im Kreise der Dorf-
burschen hinlänglich Zeit und Muße, alle Einzelheiten des Meßli
zu besprechen, so daß die Ueberlieferung, dieser wichtigste Um-
stand bei Erhallung der alten Sitten, in hohem Grade gewähr-
leistet ist. f)azu bringen die Burschen noch das Gehörte und
die Kunde von dem Beabsichtigten in ihren Familienkreis, na-
mentlich zu ihren ledigen Schwestern, die ihrerseits wieder in
der Vorahnung der seltenen Dorffreuden schwelgen und in den
letzten Tagen kaum mehr schlafen können. Ueber die Ausgaben
wird leicht hinweggesehen ; denn der Bursche bringt ja Krügel
und Teller mit, nicht selten mehrere Stücke, und der Haushalt
wird hierdurch bereichert.
Es sei nochmals betont : der hier geschilderte Zustand be-
trifft im allgemeinen längstvergangene Zeilen. Er kam vielfach
schon vor 1870 ab, so in Yendenheim^ ferner zu Gumbrechts-
Iiofen in den 1870 er Jahren, zu Morsbronn 1882, zu Schwind-
ratzheim 1883, zu Alteckendorf 18ü8, zu Buweiler und Dossen-
heim 1900. Da oder dort mag er sich etwas länger erhalten
haben, dürfte aber heule kaum noch anzutreffen sein.
Im Laufe der Jahre kamen nämlich sowohl die Wirte als
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— 234 —
auch die Gemeinden zu der Einsicht, daß mit dem Meßli doch
noch mehr als bisher zu machen ist, besonders wenn sie sahen,
daß hei einem flotten Betriebe und großem Fremdenstrom der
Meßtibursch mühelos seine Taschen füllte.
Und nun ist es merkwürdig, zu verfolgen, wie Wirt und
Gemeinde ein jeder seinen Vorteil zu wahren und möglichst
viel für sich selbst herauszuschlagen sucht. Nunmehr nimmt
die Gemeinde den Meßti in ihre kräftige Hand und vergibt
ihn einem Wirte urn eine feste Taxe, die z. B. in Büsweiler in
den 1890 er Jahren 40 M. betrug, dazu noch 10°/ 0 Zuschlag
für die Armenkasse. Später läßt die Gemeinde den Meßti zum
besten der Gemeindekasse meistbietend versteigern. Eine Zeit-
lang berücksichtigt man noch die geschichtlichen Rechte der
Dorfburschen, indem man ihnen das Steigerungsrecht vorbehält.
So haben noch heute die «Conscrits» zu Grafenstaden das Vor-
recht. Später erweitert die Gemeinde den Kreis der Berechtig-
ten, sie läßt alle Dorfeingesessenen und dann überhaupt jeden
zahlungsfähigen Menschen, auch einen Auswärtigen und selbst
Vereine und Gesellschaften zu. Vielfach überläßt ma^n schon
den Meßti besondern Unternehmern, welche hinreichende Er-
fahrung besitzen und mit allem Nötigen ausgestattet sind. In den-
jenigen Dörfern, wo die Sitte des Geschenklebkuchens im Schwung
ist, spielen auch die Lebkuchenhändler eine wichtige Rolle. Oft
geht es bei solchen Steigerungen heiß her, denn das Recht des
alleinigen Betriebs und des ausschließlichen Verkaufs von Zucker-
waren und allerlei Gegenständen ist manchmal sehr einträglich.
Eine allgemeine Regel oder Sitte gibt es heute beim Ver-
steigern nicht mehr, die Gemeinde läßt sich nur von ihrem
Vorteil leiten. Es verlohnt sich wohl, einige Einzelheiten aus
diesem Kampf um den Meßli anzuführen, der die Dorfleiden-
schaften in hohem Maße aufzustacheln pflegt und nicht selten
den Anlaß zu Todfeindschaften gibt. Schon manches Gemeinde-
ratsmilglied und mehr als ein Bürgermeister ist über dem ehr-
lichen Bestreben, der Gemeinde eine außergewöhnliche Neben -
einnähme zu erwirken und auf diese Weise Zuschlagspfennige
zu ersparen, zu Fall gekommen.
Ist bloß ein einziger Wirt im Dorf, so läßt die Gemeinde
die Burschen oder sonstige Dorfgenossen steigern. Sind zwei
oder mehrere Wirte im Dorf ansässig, so kommt es ganz dar-
auf an, wie sie gegenseitig stehen. Am günstigsten für den Ge-
meindesäckel ist es, wenn sie schlecht aufeinander zu sprechen
sind. Dann treiben sie sich in die Höhe, und die Gemeinde
heimst Johne Mühe einen schönen Gewinn ein. So wurden
1901 in Büsweiler 110 M. erzielt, 1896 in Kirrweiler 195 M.,
1603 in Bersteit 240 M. und in Ringendorf 295 M., 1899
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in Dundenheim 320 ; M., 1900 in Wolfisheim 500 M., in den
1860 er Jahren zu Buchsweiler 1000 Fr. Halten die Wirte zu-
sammen und verabreden sie sich, eine gewisse Summe nicht zu
überschreiten (z. B. 100 M.), so erreichen sie gewöhnlich, daß
sie den Meßli abwechselnd gegen einen festen Preissatz erhalten.
Wohl lassen sich die habsüchtigen Wirte ein Hinausschieben
des Salzes durch die Gemeinde gefallen, aber nicht selten gaben
sie sich gegenseitig das Wort und nahmen dann den Meßti
überhaupt nicht an. Das lehrreiche Beispiel von Alteckendorf
ist bereits oben erwähnt (S. 205).
Von Vereinen ist es besonders die Feuerwehr, die den
Meßti zum besten der Vereinskasse öfters übernimmt. So mehr-
mals die Feuerwehr von Quatzenheim und AJittelberghcim,
1899 diejenige von Kolbsheim, 1900 die von Iltenheim.
Bemerkenswert ist, daß in Illkirch-Graf entladen, obwohl
es schon langst eine politische Gemeinde ist, der Meßti getrennt
in zwei Abteilungen versteigert wird. Die Stände von Iiikirch
werden von denen von Grafenstaden abgesondert aufgeschlagen.
Die katholische Kirche bildet die Scheidelinie.
In den letzten Jahren kommt immer mehr die Uebung auf,
auswärtige Unternehmer zuzulassen, und oft gelingt es auf
diese W T eise, bedeutende Summen herauszuschlagen. So erhielt
1901 in Weilbrucli ein Budenbesitzer den Zuschlag für 400 M.,
1904 in Vendenheim ein Karussellbesilzer für 425 M.
Als Beispiel, wie sich die Steigerungsverhältnisse im Laufe
der Jahre umgestaltet haben, möge Vendenheim dienen. Schon
vor 1870 wurde der Meßti von der Gemeinde unmittelbar unier
die Burschen versteigert. Er trug 150 Fr. und später bis 200 M.
ein. Durch Vergebung der Plätze erzielten aber die Burschen
doch noch einen Ueberschuß, der später vertrunken wurde. Die
Wirte hatten dabei nichts zu tun, da überall Tanzerlaubnis war.
Später einigten sich die Wirte dahin, daß immer nur einer
tanzen ließ. Durch diese Abwechselung erreichten sie, daß we-
nigstens alle paar Jahre eine größere Einnahme zustande kam,
während bei allgemeiner Tanzerlaubnis nach Abzug der Kosten
keiner viel verdiente. Vor etwa 10 Jahren wurden die Burschen
die Sache überdrüssig. Das ganze Geschäft war ihnen zu um-
ständlich, und ihr Geld wurden sie ja schließlich doch los.
Nun steigerten die Wirte, und der Ertrag war 250 — 300 M. Da
sie aber zusammenhielten, ließ der Gemeinderat auch Fremde
als Sieigerer zu. Diese wurden natürlich von den Einheimischen
in die Höhe getrieben. So erhielt der Karussellbesitzer Schwärt z
1904 den Vendenheimer Meßti um 510 M.
Ferner mögen die Bedingungen aus dem Meßti-Versteige-
rungsprotokoll von Alteckendorf aus dem Jahre 1900 als Bei-
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spiel aus der Neuzeit hier folgen: « Der Steigerer hat allein das
Recht, Tauzbelustigungen abzuhalten, erlaubte Spiele zu veran-
stalten, sowie Stände (Buden) zum Verkauf aufzustellen. Der
Steigpreis samt Zuschlagspfennigen ist bis zum 11. November
d. J. an die zuständige Steuerkasse zu enlrichlen. Der Steigerer
hat 10 Pfennige pro Mark zur Deckung der Kosten zu tragen.
Der Meßti findet statt Sonnlag den 16. und Montag den 17.
September. Der Steigpreh erhält einen Ansatz von 135 M.,
und unter diesem Ansatz darf der Zuschlag nicht erfolgen.
Stempel-, Registrier- und Schreibgebühr trägt der Sieigerer.
Am Nachmeßli darf keine Tanzbelustigung abgehalten weiden.»
Gemeinden, in denen sich eine größere Anzahl von Buden
und Ständen einzufinden pflegt, vergeben die Standplätze manch-
mal einzeln nach einem festen Preis.>alz. So werden in Dorlis-
heim 60 Pf. für den Quadratmeter bezahlt, in Ruprechtsau
aber 12 M. In Djrlisheim erhebt der Meßtihalter von den
Wirten eine Tanzabgabe von je 15—20 M., ebenso von jedem
Karussellbesitzer. Schiltigheim läßt seit 1886 die Meßtiplätze
einzeln versteigern. Während der Meßli durch die Gesamtver-
steigerung 1884 die Summe von 1320 M. und 1885 eine solche
von 1450 M. eintrug, stieg er 1886 auf 1723,50 M., 1904 auf
4052,60 M. und 1906 gar auf 4700 M. Audi in Huprechtsau
wurden die Plätze einzeln versteigert und ergaben 1906 die
Summe von I345 M., 1907 eine solche von 1254 M., bis 7,40 M.,
der Quadratmeter. So kommt dem Meßti eine nicht geringe
volkswirtschaftliche Bedeutung zu.
In manchen Ortschaften werden die Meßtirechte ohne die
Tanzerlaubnis versteigert, so in Dalbronn (1900), in Mittelbery-
heim vor 1880. Die Wirte, die tanzen lassen wollen, bezahlen
dann eine kleine Summe in die Armenkasse. Seit 1880 wird
übrigens in Mittelberg heim alles zusammen versteigert und nur
bei einem Wirte getanzt. In Walscheid ist die Tanzerlaubnis
bloß einbegriffen, wenn das Angebot eine gewisse Höhe, ge-
wöhnlich 180 M., erreicht. Andernfalls gilt der Tanz nicht.
Getanzt wird aber doch, und wenn der Wirt dafür keine Ge-
bühren erhebt, so läßt man ihn auch stillschweigend gewähren.
In allen Fällen kommt zum Steigerungspreis noch ein Auf-
schlag von 10 — 20°j0 für die Armenkasse. Der Steigerer muß einen
als zahlungsfähig bekannten Bürgen stellen, das Geld ist in der
Regel binnen 14 Tagen fällig, oft auch später. In Winzenheim
ist es zu Weihnachten zahlbar unter der Bürgschaft des Meßtiwirts.
Durch die Umgehung der Dorfburschen bei der Versteige-
rung ist eine gewaltige Bresche in den alten Dorfmeßti gelegt.
Die Dorfburschen und der Meßliburseh sind gegenüber den
Anordnungen der Gemeinde so gut wie ohnmächtig. Der Meßti -
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bursch hat als Hauptpachter keinen Raum mehr, ja der stolze
Name des Meßtiburschen wird schon vielfach den gewöhnlichen
Meßtisleigerern beigelegt, die ihr Amt lediglich als Geldgeschäft
aufTassen und ausüben. Derjenige, der den Meßti «hat»oder «hält/>.
wird Meßlibursch genannt in Birkenwald, Balbronn, Mühlbach,
Grendelbruch und wohl noch in vielen anderen Gemeinden,
Man sollte nun meinen, daß die Tage des Meßtiburschen
gezählt wären. Aber die Sitte des Meßtiburschen erwies sich
als stark, zäh haften die Burschen daran. Sie wird zum Selbst-
zweck, nachdem sie als finanzielle Grundlage des ganzen Meßti
entbehrlich geworden ist. Noch ist ein flotter Meßlibursch
dem Wirt eine willkommene Hilfe, den Burschen eine gern
gesehene Erscheinung. Als Veranstalter des Tanzwesens füllt er
noch seinen Posten aus, wenngleich er sein Amt mehr als früher
von Wirtes Gnaden annehmen muß. Erfreulicherweise gab es
1906 auch noch zu Buchsweiler einen Meßtiburschen.
Als Beispiel dafür, wie es gelang, die längst überflüssig
gewordene Sitte des Vertrinkens des Meßti nebst der Wahl
eines Meßtiburschen in die ohnedies sehr verwickelte Finanz-
gebahrung des Meßti einzufügen, diene der Meßti von Ringen-
dorf 1895. Der Wirt steigerte ihn für 125 M. von der Ge-
meinde. Die Burschen, 30 an der Zahl, versammeln sich bei
ihm kurz vor dem Meßti. Sie versteigern den Meßti nochmals
unter sich. Ein Bursche erhält ihn für 85 M. und wird Meßli-
bursch. Davon gibt er dem Wirt gleich 40 M., die übrigen
45 M. werden in drei Malen vertrunken. Die 85 M. bringt der
Meßlibursch durch die Einsätze, den Verkauf der Lebkuchen und
andere Einnahmen auf, von denen weiter unten die Rede sein wird.
Das Würfelspiel an den Sonntagen vor dem Meßti ist wohl
jetzt größtenteils aufgegeben. Die Burschen sahen ein, daß sie
im Grunde genommen ihr gutes Geld, oft 5—6 Mark, vor dem
Meßti schon ausgegeben hatten, ohne etwas davon zu haben als
das langweilige Würfelspiel und einige Teller und Krügel, die
nicht einmal ihnen selbst zugute kamen.
In vielen Dörfern aber findet sich kein Bursche mehr, der
das Amt versehen will, und schließlich geht es auch ohne
Meßtiburschen ganz gut. Den Gemeinden selbst aber kann der
Vorwurf nicht erspart werden, daß sie selbst den ersten Schritt
zur Beseitigung des Meßtiburschen getan haben, und daß mit
seinem Verschwinden der größte Teil der Poesie des alten
Bauernmeßti zu Grabe getragen wird.
Andere Gemeinden hingegen, so Kilstett, wo der Meßti seit
1902 neu eingeführt ist, kümmern sich gar nicht um die finan-
zielle Seite des Festes und lassen ihn unbegreiflicher Weise
überhaupt nicht versteigern.
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- 238 —
Der Kirchweihschutz. Dar Meßtihüter.
Das Ausrufen.
Die Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Kirch weih fest
ist heutzutage eine allgemeine Angelegenheit der Ortspolizei.
Auch in früheren Jahren sorgten Herrschaft und Gemeinde für
einen ordnungsmäßigen Verlauf des Festes. Es war dies eine
Gegenleistung für die von ihnen geforderten Abgahen und lag
überdies auch in ihrem eigenen Vorteil. So ist in Hochfelden
1803 bestimmt 1 , daß «die Vorgesetzten alle möglichen Maßregeln
nehmen werden, daß der Sieigerer in Haltung seiner Spiele
nicht gehindert werden wird.»
Die Sorge der Obrigkeit erstreck le sich auf die allgemeine
Sicherheit, dann auf die Feuersgefahr und die Bettlerplage.
Diesem Zwecke dienten die Meßtaghüter, über deren Tätigkeit
auf dem alten Meßtag in Zobern uns Adam* bemerkenswerte
Einzelheiten gibt.
Die Meßtaghüter standen unter dem Befehl eines Haupt-
manns, waren besoldet und wurden vereidigt. Im Jahre 15J5
hatten sie ihr Augenmerk auf alle Unordnung zu halten, auf
Schlagereien und Stechereien, Schelten und Fluchen, falsches
Spiel, Unzucht, Gotteslästerung und aüberflüssig Füllery». Wer
bei einer dieser Handlungen betroffen wurde, den nahmen sie
lest und warteten die Entscheidung des Schultheißen ab. Sie
halten auch auf die Bettler zu achten, die oft in großer Anzahl auf
dem Zaberner Meßtag erschienen und unter die sich manchmal
gefährliches Gesindel und Uebelläter mischten, die man zur Be-
wältigung fesseln mußte. Ferner waren sie bei der Erhebung des
Eingangszolles behilflich. 1558 lag ihnen auch die Feuerwacht ob.
1750 war es ihnen erlaubt, Spiele abzuhalten, voo denen sie
eine Abgabe erhöhen. Sie mußten daher jeder «3 Bäsch gute
gleichlingc Würfel» halten. Ihr Amt war nicht beneidenswert,
und es mußten ihnen oft Berittene und Soldaten zur Unter-
stützung beigegeben werden, so 1670 und 1088. Bei dem Um-
fang, den der Zaberner Meßtag genommen hatte, gab es 1750
eine ganze Kompagnie Meßtaghüter unter dem Befehl zweier
Hauptleute. Damals waren sie mit Gewehr, Pulver, Feuerstein,
Kugeln, Bandolier und Degen ausgerüstet und taten zur Eröff-
nung des Meßtags ein jeder «seinen Meßtagsschuß». Ihr Ab-
zug nach der Beendigung des Meßtags geschah ebenfalls unter
Schießen und mit viel Geräusch.
» Gemeinderatsprotokoll vom 11. Fructidor Xt (= ;H. August
1K03).
2 Adam, Der Zaberner Meütag. Zabern, Gilliot, 1901. S. 28 ff.
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Jedenfalls hatten auch andere größere Meßtage ihre Meß-
taghüter mit denselhen Verpflichtungen. Näheres entzieht sich
unserer Kenntnis aus Mangel an archivalischen Quellen.
In Hochfelden gah es 1804 Meßtaghüter, die von der Ge-
meinde ernannt wurden. Der Steigerer war verpflichtet, sie zu
befriedigen, insofern sie «bei der Hütung und Haltung der
Ordnung» beitrugen».
Auf dem Lande finden wir den Meßtihüter, das ganze 19.
Jahrhundert hindurch und vielfach noch heute. Er hat ein Ge-
wehr, aus dem er auch gelegentlich Schüsse abgibt. Mit der
öffentlichen Ordnung hat er jedoch gar nichts zu tun, sondern
dient einfach als Ausstattungsperson und wird vom Meßtivolk
oft als scherzhafte Persönlichkeit aufgefaßt. Gewöhnlich ist es
ein Aufwärter des Meßtiwirts. Wir werden ihm später noch
mehrmals begegnen.
Der tatsächliche Schutz des Kirch weih festes wurde früher hie
und da äußerlich durch eine feierliche Handlung gekennzeichnet.
In den katholischen Dörfern Frankens verlas noch 1877 der herr-
schaftliche Beamte den «Kirchweihschutz», in dem die Leute
unter Androhung strengster Bestrafung zu Frieden und Einig-
keit ermahnt wurden 2 . Von einem ähnlichen Brauche finden
sich im Elsaß nur vereinzelte Spuren. In Zabern verlas der
Oberschultheiß von allers her und noch 1783 vor dem Beginn
der Festlichkeiten die «ordinari Meßlagordnung» 3 . Daselbst ver-
kündete noch 1849 der Bürgermeister auf dem Meßtiplatz das
Polizeireglement.
Zu Alteckendorf wurde bis in die 1860er Jahre g"er Meßti
«ausgerufen». Waren die jungen Leute um den Meßtibaum ver-
sammelt, so gab ein Musikant einen Trompetenstoß. Dann hielt
er eine scherzhafte Bede mit drolligen Gebärden und allerlei
zweideutigen Bemerkungen, die stets große Heiterkeit unter
dem Meßti volke hervorriefen. Erst nachher erfolgte der Vortanz.
Wohl handelt es sich hier um eine spöttische und scherzhafte
Nachbildung des eigentlichen feierlichen Ausrufens. Aber es ist
ja das Los vieler alter Bräuche, daß sie sich bloß dadurch er-
halten konnten, daß sie sich dem Lustbarkeitsbedürfnisse des
Volkes angepaßt und eine Form angenommen haben, die ihre
ursprüngliche Bedeutung oft gänzlich verwischt. Möglicherweise
rief in früheren Jahren der Bürgermeister den Meßti aus. Wir
wissen ja schon*, daß 1737 der herrschaftliche Schultheiß den
* Gemeiiideratsprotokoll vom i:>. Fructidor XII (= 2. Septem-
ber 1804).
* P f a u n e n s c h m i d . a. a. 0., S. 284.
3 Adam, a. a. U., S. ^8.
4 S. o. ; S. 181.
Meßtag «anführte». Hütte der Pfarrer Ph. G. Lang diese Ver-
anstaltung damals unter dem Gesichtspunkte der Sitten statt
des Sittengerichts beurteilt, so wäre uns sicherlich eine an-
schauliche Beschreibung im Alteckendörfer Kirchenarchiv er-
halten geblieben, die unsere Vermutung bestätigt hätte. Daß
übrigens früher im Elsaß in weiterem Umfange der Meßti aus-
gerufen oder verkündet wurde, beweist die noch heute im Ha-
nauischen und im Kochersbergerlande geläutige Redensart «eim
de Meßti verkünde od. usrüefe» im Sinne von «jemandem ein-
dringlich vorhalten, was recht und was nicht recht ist ; ihm
den Standpunkt klar machen.»
Eine feierliche Eröffnung der Kirchweihfestlichkeiten durch
die Ortsobrigkeit findet unseres Wissens heute im Elsaß nirgends
mehr statt. Der Meßti gilt aber vielfach noch dadurch als be-
gonnen, daß ihn der Bürgermeister in mehr oder weniger be-
stimmten Worten beim Empfang des Aufzuges für eröffnet er-
klärt. In manchen Dörfern, so in Dossenheim und Weiters-
weiler, war es üblich, daß die Burschen ihn um die Erlaubnis
der Eröffnung baten. Vielleicht ist dies hie und da noch üblich.
Doch ist es wohl kaum mehr als eine Höflichkeitsformel.
(Fortsetzung im nächsten Jahrbuch.)
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XII.
Ein Bild Kaiser Friedrich Rotbarts
aus dem 12. Jahrhundert zu Hagenau,
von
Max Bach.
Heinrich Lempfrid bringt unter obigem Titel im vorigen
Jahrbuch eine interessante Studie über eine kirchliche Skulp-
tur, die nach seiner Meinung aus dem Kloster Neuburg bei
Hagenau stammt. Ueber die angegebene Provenienz will ich
mich nicht weiter verbreiten, nach den Ausführungen des Be-
richterstatters ist das wohl möglich, ja wahrscheinlich, doch
sind die dafür ins Feld geführten Argumente, für mich nicht
ganz überzeugend.
Leider muß ich aber die Hauptsache der ganzen Unter-
suchung, ein Bildnis Kaiser Friedrichs Barbarossa in einer der
Figuren des Reliefs gefunden zu haben, entschieden verneinen.
Ich habe mich gerade mit der Persönlichkeit des genann-
ten Kaisers eingehend beschäftigt und alle auf uns gekommenen
schriftlichen und bildlichen Denkmale über dessen äußere Er-
scheinung studiert.* Nicht allein diese, sondern auch alle
übrigen gleichzeitigen Abbildungen deutscher Kaiser aus dem
12. Jahrhundert, lassen erkennen, daß die Kaiser niemals
in geistlicher Tracht erscheinen Die geistliche Tracht auf dem
Hagenauer Relief läßt sich abe nicht verleugnen ; die Figur
trägt nicht allein die Mitra, sondern auch die Kasula mit
dem aufgenähten gabelförmigen Kreuz in Y-Form, wie es
1 Friedrich Barbarossas Persönlichkeit und Charakter von Max
Bach. Besondere Beil. d. Württemb. Staatsanzeigers 190G, S. 104 ff.
Ebenda 1805, Deutsche Kaiserbilder des frühen Mittelalters.
W
- 242 —
Otte nennt; überdies hält sie noch in beiden Händen Attri-
bute, beziehungsweise Reliquien, welche nur geistlichen Per-
sonen zukommen. Eine Dalmatika hier anzunehmen ist un-
statthaft, die kaiserlichen Dalmatiken sind stets unten gerad-
linig abgeschlossen und haben niemals das nur den Bischöfen
zukommende gabelförmige Kreuz; außerdem ist die Dalmatika
ausschließlich den Diakonen eigen.
Für die Form der Kasula, welche vom 11—13. Jahrhun-
dert stets nach unten zipfelförmig ausgeschnitten ist, ließen
sich unzählige Beispiele auf Grabdenkmälern und Siegeln bei-
bringen ; (vergl. nur die Arbeiten von Bock, Otte und viele
andere) es gibt aber auch Kasein mit geradlinigem Abschluß,
z. B. die eherne Grabplatte des Erzbischofs Friedrich 7 1152
im Dorn zu Magdeburg, 1 diese Kasein ähneln mehr den Dal-
matiken und haben lange Aermelartige Seitenstücke. Die Kasula
des dargestellten Bischofs hat wirkliche kurze Aermel, es ist
daher unrichtig, wenn Lempfrid behauptet, die Seitenschlitze
der Dalmatika liegen bei der dargestellten Figur hinter den
nicht sichtbaren Teilen des Gewandes. Eine mit. Aermeln ver-
sehene Kasula konnte zugleich nicht auch Schlitze haben,
ebensowenig trifft die Erklärung der unten in der Mitte sich
ganz zuspitzenden faltigen Kasula zu, indem diese Falten im
gegebenen Fall, nicht durch die Körperhaltung oder die Weite
des Gewandes entstehen, sondern durch den schon erwähnten
Zuschnitt.* Soweit die Abbildungen es erkennen lassen, kann
auch darüber kein Zweifel sein, daß eine Mitra und keine
Krone dargestellt ist. Was nun die Gesichtsbildung anbelangt,
so ist bei dem ruinenartigen Zustand des Kopfes, geradezu
ausgeschlossen, auf etwaige vorhandene Porträtähnlichkeit
schließen zu wollen, um so weniger, da wir kein einziges Künst-
lerporträt des Kaisers haben und alles Vorhandene, sowohl
Plastiken als Miniaturen Stümperarbeiten sind. Ganz über-
flüssig ist auch die Frage nach dem Urheber des Reliefs und
allen daraus zu folgernden Konsequenzen. Die Arbeit ist eine
in allen Teilen stümperhafte, und ist wahrscheinlich von
einem gewöhnlichen Steinmetzen gefertigt, der sich um Por-
trätähnlichkeit absolut nicht kümmerte.
Was nun die Attribute anbelangt, welche der Bischof in
beiden Händen hält, so dürfen wir die Auslegung Lempfrids
akzeptieren, welcher vermutet, das Kreuz beziehe sich auf die
1 Zeitschr. f. christl. Kunst 1906, S. 371.
* Allerdings gab es auch glockenförmig zugeschnittene Ka-
sein, wie diejenige des hl. Bernhard in Brauweiler, zu welcher 13
Ellen Stoff nötig waren.
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i>43 —
Verleihung eines Partikels des Kreuzes Christi an das Klo-
ster Neuburg, und der andere Gegenstand in der Linken lies
Bischofs sei als Reliquienkästchen zu deuten.
Gehen wir zu den beiden anderen Figuren über, welche
zur Linken des angeblichen Kaisers stehen. Daß die zunächst
stehende Figur einen Abt vorstellt, geht aus dem Kostüm un-
zweifelhaft hervor. Charakteristisch sind besonders die zuge-
nestelten Seitenschlitze des Gewandes, die dazu dienen, die
Kutte je nach Belieben zu tragen. Der Abt hält mit beiden Hän-
den einen Gegenstand, der aus den vorliegenden Photographien
nicht deutlich zu erkennen ist. Lempfrid erkennt darin das
Modell einer Kirche in basilikaler Anlage, auffallend ist ihm
und mir die fehlende Spitze und die ausgeschweiften Dach-
flächen. Könnte darunter nicht auch ein Reliquiar zu ver-
stehen sein? besonders da, was auf der Photographie nicht
recht deutlich ist, weder Türen noch Fenster eingehauen sind,
diese müßten selbst bei einem ruinösen Zustand noch erkenn-
bar sein ; auch der Umstand, daß das angebliche Kirchen-
modell von dem Abte durch ein Tuch als Unterlage gehalten
wird, weist auf einen heiligen Gegenstand hin. Unter den
vielfach vorhandenen Statuen, die ein Kirchenmodell tragen
ist mir noch keines begegnet, welches in dieser "Weise ge-
tragen wird, denn ein Modell kann nicht als heilig gelten.
Die äußerste Figur wird von Lempfrid als Graf Reinhold von
Lützelburg, den eigentlichen Stifter des Klosters gedeutet ; auch
damit irrt, wohl der Verfasser, denn sowohl Kostüm als Ge-
sichtsausdruck weisen ebenfalls auf einen Kleriker. Der eng
anliegende Rock mit Kapuze ist demjenigen des Abts ganz
gleich, nur trägt die Figur einen faltigen Mantel, welcher über
den rechten Arm gezogen an einem Zipfel mit der linken
Hand gehalten wird, während die andere Seite um den Ellen-
bogen des linken Arms geschlungen ist und Armelartig herab-
hängt. Was der Gegenstand in der erhobenen Hand bedeuten
soll läßt sich aus der Photographie nicht erkennen. Die scharf-
sinnige" Auslegung Lempfrids hier ein Eichenblatt zu sehen,
welches Bezug hat auf den vom Stifter dem Kloster über-
gebenen Waldbesitz, ist freilich nur dann möglich, wenn wir
in der Figur wirklich den Grafen Reinhard erkennen wollen.
Wie schon erwähnt, paßt aber das Kostüm absolut nicht für
einen ritterlichen Herrn und die Glatze auf dem Haupte ist
offenbar als Tonsur zu deuten. Daß die Figur anscheinend zu
dem danebenstehenden Abt in einer handelnden Beziehung
steht, ist wohl möglich und es scheint auch in der Tat auf
eine dem Kloster zuzuweisende Gabe hinzuweisen.
In dem Lempfrid'schen Aufsatz ist dann noch ein wei-
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teres Objekt erwähnt, welches mit der Skulptur in Beziehung
gebracht wird, nämlich das von verschiedenen Schriftstellern
erwähnte Grabmal des Grafen Reinhold, welches sich im Chor
der Klosterkirche befand. Dieses Grabmonument war nach der
Beschreibung des Polen Moreau eine Tumba mit der überlebens-
großen (?) Figur des Bestatteten, welcher wie Lempfrid angibt, in
gegürtetem, bis auf die Füße reichenden Leibrocke und im
Mantel, nicht mit Harnisch, Helm und Schwert, wie die übrigen
in Neuburg bestalteten Edlen auf ihren Grabsteinen dargestellt
war. Diese offenbar ganz willkürlich aus den kurzen Wor-
ten des Elsässer Chronisten Hertzog: «Darauf sein Bild-
niß gehauen in alter Tracht und Kleidung», von
Lempfrid gefolgerte nähere Erläuterung, ist in dem ge-
gebenen Falle ja möglich, aber keinenfalls erwiesen, ebenso-
wenig kann die Angabe Hertzogs zuverlässig sein, welcher von
einer aerhabenen» Schrift spricht, welche in dieser frühen
Zeit nicht üblich war. i Aus der weiteren Angabe Moreaus
«autrefois d£core de sculplures» ist nicht ohne weiteres auf
figürliche Darstellungen zu schließen, mit welchen die Seiten-
flächen des Sarkophags geschmückt gewesen sein sollen.
Nun sind aber Tumben mit den lebensgroß ausgehauenen
Steinbildern der Verstorbenen, meines Wissens aus der Zeit
des 12. Jahrhunderls nicht nachweisbar ; Otte sagt ausdrück-
lich : «Die älteren (Tumben) sind nur niedrig und umschließen
zuweilen wirklich den Leichnam» — erst seit dem 13. Jahr-
hundert tragen die Hochgräber das Bild des Verstorbenen,
und am Ende des Jahrhunderts kommen dann die Nischen-
gräber vor, wie eine solche sich Lempfrid für die Tuba des
Grafen Reinhold denkt.
Ich glaube daher mit Sicherheit annehmen zu müssen,
daß das genannte Grabmal erst im 13. Jahrhundert errichtet
wurde. Dafür lassen sich Beispiele, besonders auch in Klöstern,
vielfach anführen. Ich erinnere nur an die Tumba des Herzogs
Friedrich von Schwaben im Kloster Lorch aus dem 15. Jahr-
hundert. Weiter würde dazu stimmen die erhabene Schrift
■auf der Piatie, wie eine solche z. B. auf dem Grabstein des
Grafen Ulrichs von Württemberg und seiner Gemahlin in der
Stiftskirche zu Stuttgart vom Jahre 1265 vorkommt ; auch dort
ist der Graf nicht in Rüstung, sondern in langem gegürte.« u
Rock und umgehängtem Mantel dargestellt.
1 Eine interessante Tumba des 13. Jahrhunderts ist diejenige der
Gräfin Adelheid von Egisheim, Mitstifterin des Oehringer Chor-
herrenstifts. Vcrgl. Die Abbildung bei Bo?en, Die Stiftskirche zu
Oeh ringen 1880.
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— 245 —
Ist das Grabmal aber ein Werk aus der Mitte des 13.
Jahrhunderts, so ist ganz und gar ausgeschlossen, daß dazu
die Hagenauer Reliefplatte mit den eben besprochenen Figuren
gehörte. Abgesehen davon ist aber eine derartige Darstellung,
die auf die Gründung' und Begabung des Klosters durch den
Grafen Reinhold sich beziehen soll, auf dessen Tumba anzu-
bringen, gewiß sehr ungewöhnlich und durch kein Analogon
zu belegen.
Wie sollte das Kloster, dessen Waldbesitz stets von den
Hohenstaufen bedroht wurde, die die Mönche zwangen zu
ihren Ungunsten ihren Rechten, gegen Tausch des Gutes Seel-
hofen zu entsagen, dazugekommen sein, gerade ein Barbarossa-
bild auf dem Grabmal anzubringen, dessen Anwesenheit in
Hagenau erst 43 Jahre nach dem Tode des Grafen bezeugt ist.
Die versuchte Ergänzung des Steines auf S. 25 der Ab-
handlung kann unmöglich zutreffen. Aus dem noch erhaltenen
Bruchstück geht doch soviel hervor, daß die Bischofsfigur die
Mitte der Platte eingenommen haben muß, und der Symmetrie
entsprechend sind hier nur noch zwei Figuren, analog der
rechten Seite anzunehmen. Eine Madonnenßgur hat hier kei-
nen Platz, ebensowenig ein zweiter Bischof und nochmals ein
Modell der Kirche ; auch der Umstand, daß einzelne Köpfe
über den Rand der Platte hinausreichen verbietet die Annahme
einer Deckplatte, die, wenn man an ein Tumbenrelief denken
will, doch unerläßlich ist.
Die Gründe, die gegen die Verwendung des Reliefs als
Bestandteil eines Grabdenkmals sprechen, könnten noch ver-
mehrt werden ; derartige Tumben haben auf den Seitenwänden
entweder bloße Steinplatten mit architektonischen Füllungen
oder auch Arkaturen mit Darstellungen von Heiligen. (Vergl. z.
B. die Tumba von St. Menoux, abgebildet in der Abhandlung
von Lindner über die Basler Galluspforte.)
Schwer zu entscheiden ist die ehemalige Bestimmung der
Skulptur und der Ort, wo dieselbe angebracht war. Ich möchte
entgegen von Lempfrids Annahme, eine Anbringung über dem
Hauptportal der Kirche immer noch als das wahrscheinlichste
befürworten. Der Kunstwert des Reliefs wird von Lempfrid
offenbar überschätzt, es ist eine rohe Arbeit ohne künstlerische
Individualität.
Es tut mir leid Illusionen zerstören zu müssen, die ja
recht schön ausgedacht, aber kunstgeschichllich unmöglich
sind, als eifriger Barbarossaforscher wäre mir der Fund eines
neuen Barbarossabildes von unschätzbarem Wert gewesen, in
dem vorliegenden Fall muß ich aber darauf verzichten, den
großen Kaiser im Bilde wiederzuerkennen.
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246 —
Entgegnung.
•
1. Die von Herrn M. Bach gegen meine Deutung des
romanischen, nunmehr im Museum zu Hagenau untergebrachten
Reliefs erhobenen Zweifel bringen, was zunächst dessen von
mir angenommene einstmalige Zugehörigkeit zum Grab-
mal des Stifters von Neuburg Graf Reinhold von Lützelburg
betrifft, nicht kurzweg abzuweisende Einwendungen vor. Zu
diesen rechne ich indes nicht die Bemerkung über die Un-
vereinbarkeit einer Barbarossadarstellung auf einem von den
Neuburger Mönchen herrührenden oder veranlaßten Skulpturen-
schmuck des Stiftergrabmals ; denn des Klosters Ansprüche
auf das den Mönchen nach ihrer Aussage von Reinhold ver-
machte, aber mangels Zustimmung der miterbenden Staufer
nicht realisierbare Besitzrecht am heiligen Forst wurden durch
die Verleihung einträglicher Waldnutzungsrechte, vor allem
aber durch die Aufnahme des Klosters in Reichsschutz, sowie
die Begabung mit dem kostbaren Reliquienschatz so reichlich
ausgeglichen, daß Rotbart neben Reinhold als Mitbegründer
galt und in einer die Gründung selbst verewigenden Dar-
stellung, wo sie auch immer angebracht sein mochte, mit
noch mehr Recht seinen Platz finden mußte, als in der Wieder-
gabe der Gründung von Maulbronn (S. 11 A. 3). Auch nicht
den Versuch meine Ergänzung als unhaltbar hinzustellen.
Nicht die eine sitzende, Kreuz und Reliquiar haltende Figur
bildet den Mittelpunkt des Bildes, sondern wie die von mir
nachgewiesenen Spuren einer vierten und zwar sitzenden Gestalt
deutlich erweisen, zwei Figuren, entsprechend der Zweiheit
der geschilderten Vorgänge, Begabung und Weihe des Gottes-
hauses, geradeso wie in Darstellungen von Maria Krönung
Heiland und Gottesmutter zusammen den Mittelpunkt einer
figurenreicheren Vorführung abgeben. Ferner nicht die Be-
hauptung, daß, weil einzelne Köpfe über den Rand der Platte
hillausreichten, die Annahme einer Deckplatte verboten sei.
Die nur mit einem Amaleurapparate und zwar etwas zu tief
von unten her gemachte photographische Aufnahme kann
vielleicht die Vorstellung, als ragten zwei Figuren mit ihren
Köpfen über den Rand hervor, erregen. In Wirklichkeit liegen
ihre Scheitel mit dem obern Plaltenrande in derselben Hori-
zontalen. Der Schädel des Mönches ist sogar einige Millimeter
abgeplattet, so daß für diese Erscheinung keine andere Er-
klärung zu finden war, als daß sie durch Auflage einer hori-
zontalen Platte veranlaßt sei. .
2. Erwägenswerter scheinen mir zumal nach Bekanntwerden'
mit dem das mittelalterliche Grab behandelnden Abschnitt in.
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dem mir erst nachträglich zugänglich gewordenen Handbuch der
kirchlichen Kunstaltert iimer von Bergner 1905, S. 292—305
H. Bachs Bedenken gegen die Annahme eines Nischengrabes,
Anbringung von Darstellungen aus dem Leben des Verstorbenen
an der Tumba und die überlebensgroße Figur des Bestatteten
auf derselben. Zwar ist in den in steter Berührung mit den
alten Kulturländern gebliebenen Gegenden Westdeutschlands
die antike Sitte, das Grabmal mit Darstellungen aus dem
Leben des Verstorbenen zu schmücken, nie ganz außer Brauch
gekommen (vgl. den Adelochsarkophag in Slraßburg, Eis.
und Lothr. Kunstdenkmäler, S. 1, T. 78). Der Gedanke die
Blendarkatur, wie sie der dem 12. Jahrhundert angehörende
Morandussarkophag in Altkirch aufweist, durch figürliche, die
Beziehungen des Verstorbenen zur Begräbnisstätte erläuternde
Darstellungen zu ersetzen war durchaus naheliegend, und der
Mangel an derartigen Grabmälern aus romanischer Zeit ließe
sich durch deren Vernachlässigung, Zerstörung oder Ersatz
durch gotische Monumente bei Gelegenheit von Umbauten
leicht erklären. Auch die Anwendung von erhabenen
Buchstaben braucht nicht besonders auffallend zu erscheinen,
denn sie findet sich ja auch in andern Steininschriiten des
12. Jahrhunderts (s. Abbild. Kraus II, T. VI). Allein gegen
die Verwendung der Platte als Tumbaschmuck des Stifter-
grabmals dürften mit Recht deren Größe und Gewichtsverhält-
nisse im Vergleich zu den eben ersvähnlen Sarkophagen geltend
gemacht werden, und die vor der Aufnahme des Bildwerks
ins Museum vorgenommene vollständige Reinigung und seine
Aufstellung in angemessener Beleuchtung legen in der Tat die
Vermutung nahe, daß das Bildwerk mehr auf die Wirkung
aus der Ferne als aus der Nähe berechnet war. Die Möglich-
keit, daß Reinholds Grabmal in dem von Hertzog und Moreau
beschriebenen Aussehen später entstanden sei, stehe ich nicht
an zuzugeben, und zwar halte ich es — sei es, daß es eine
Neuschöpfung, sei es der Ersatz eines vorhanden geweseneu
romanischen Denkmals war — für eine Arbeit des ausgehenden
13. Jahrhunderts, errichtet nach Vollendung des den alten
romanischen Chor ersetzenden gotischen Neubaues, des Chores.
Seine Tumba wird nicht architektonische Verzierungen, sondern
wirklichen Skulpturenschmuck gezeigt haben, wie das Grabmal
des Stifters von Limburg im Dome daselbst oder die bekannten
etwas späteren burgundischen Grabmonumente ; sonst hätte
der weder über das bauliche Aussehen, noch die Ausstattung
der Kirche etwas berichtende, sondern nur die Grabstätten
aufzählende Chronist der Talsache, daß das Grab bildnerisch
verziert war, keine Erwähnung getan. Scheidet somit Reinholds
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Grabmal für die Frage der Herkunft des romanischen Reliefs
aus, so kann für dieses nur der von mir gegenüber Moreaus
Angabe hintangesetzte Platz in Frage kommen : das ist das
Bogenfeld eines der Eingänge zur Kirche. Da wir über die älteste
Neuburger Kirchenanlage nicht unmittelbar unterrichtet sind,
sondern nur durch Rückschlüsse aus den von Neuburg ausge-
gangenen oder beeinflußten Kirchengründungen zu einer Vor-
stellung von ihrem Plan gelangen können, so sehe ich, da
wegen der Maße des Westportales der eigentlichen Kirche hier
kein Raum für die unverstümmelte Platte war, nur eine Möglich-
keit, ihr einen Platz am Bau anzuweisen : die Neuburger Kirche
muß wie Maulbronn und Herrenalb eine westliche Vorhalle
(Paradies) mit weitem Zugang gehabt haben. Sein Bogen-
feld schmückte die Darstellung von der Begabung und Weihung
der Kirche. Bei einem Um- oder Neubau in späteren Jahr-
hunderten wird man der Platte ihre frühere Stelle über dem
Westeingange wiedergegeben, doch sie so zurecht gemeißelt
haben, daß sie nach oben einen der Basis entsprechenden
horizontalen Abschluß erhalten konnte.
3. Die Abweisung meiner Deutung der sitzenden Figur
als der eines welllichen Fürsten und zwar als Kaiser Friedrich
Rotbart mußte die Grundlagen, auf die sich meine Auslegung
stützte, als unhaltbar erweisen, insbesondere dartun, daß die
Kopfbedeckung keine Krone darstellen, und das Obergewand
sowie die Attribute ausschließlich einer geistlichen Person
zukommen können. Ich gebe zu, daß bei Betrachtung des
Originals wie der Abbildung die Erklärung der Kopfbedeckung
als Mitra die nächstliegende ist : es spricht dafür die Zu-
spitzung der Vorderseite, die auch nach dem Hinterkopfe zu
wahrnehmbare nach oben gehende Verbreiterung und der
giebelartige Zusammenschluß der seitlichen Partien, während
man beim Vorhandensein einer Krone erwarten würde, daß
die Rundung des Oberhauptes oder wenigstens die sich ihm
anschmiegende Fütterung der Krone sichtbar sei. Allein es
zeigen sich im einzelnen hinsichtlich der Form und Verzierung
solche Abweichungen von den an das Aussehen einer Mitra
des 12. Jahrhunderts zu stellenden, aus erhaltenen oder auf
Bildwerken wiedergebenen Mitren abgeleiteten Forderungen,
daß ich die Kopfbedeckung für eine Krone halte. Zu den
angeführten Gründen füge ich hinzu, daß bei einer Mitra der
Ansatz der Schrägen nicht erst über den Schläfen, sondern über
dem Ohr beginnt, und der Winkel, unter welchem sie zusammen-
stoßen, ein rechter sein müßte und sich nicht zu einem
stumpfen verflachen sollte. Der denkbare Einwand, circulus
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und titulus seien durch die in Form von Vertiefungen ange-
deuteten Edelsteine und Perlen ersetzt, ließe sich nur hören,
wenn der Verlauf der Linien, in der sie angebracht sind, mit
dem Verlauf der Linien der Stirn- und Mittclborte sich deckte,
und diese selbst durch vertiefte Linien wenigstens ange-
deutet wären. Eine edelsteingeschmückte Mitra hätte darge-
stellt werden müssen, wie es der Bildner der Bischofsgestalten
in den ältesten, dem 13. Jahrhundert angehörenden Glasmalereien
des Straßburger Münsters oder der Maler auf romanischen
Wandgemälden des Rheinlandes (Giemen T. 55 — 56) oder der
Steinmetz auf dem frühgotischen Grabsteine Bischof Günthers,
des Mitstifters von Maulbronn — dem Werke eines Zisterzienser
Steinmetzen — es tat : der Steinmetz hätte die Steine auf
der circulus und titulus bildenden Borte aufgesetzt in der-
selben Weise, wie er den Schmuck des Obergewandes be-
handelt hat, indem er erst die Mittel- und Saumborte aus dem
Steine herausarbeitete und so zum Träger der Edelsteine
machte. Die unmittelbare Anbringung derselben auf der Fläche
der Kopfbedeckung, der Wechsel zwischen größern und kleineren
Steinen und Perlen (die letzte Reinigung des Reliefs hat noch
eine Anzahl kleinerer Vertiefungen hervortreten lassen, welche
auf der Photographie noch nicht erscheinen) bringen in ge-
eigneter Weise den Edelstein- und Perlenschmuck zum Aus-
druck, wie ihn ähnlich, doch in erhabener Arbeit die Kronen
der Madonna und der Dreikönige in dem romanischen Tür-
bogenrelief der Goldenen Pforte zu Freiburg i. S. (Bode, S. 48)
zeigen.
4. Herrn Bachs Belehrung über Dalmatik und Kasel
muß ich als nicht ausreichend ablehnen. Von einem aufge-
nähten gabelförmigen Kreuze in Y-Form als Schmuck des
Gewandes kann nicht die Rede sein. Die Abbildungen, wie meine
Angaben S. 6 lassen es außer allem Zweifel, daß die Ver-
zierung des Obergewandes besteht 4. in der mit einer Dop-
pelreihe von Edelsteinen geschmückten Einfassung des Kopf-
durchlasses (Halsausschnitts), 2. der mit einer einfachen Reihe
von Edelsteinen gezierten Mittelborte und 3. einer gerade so
gehaltenen Saumborte. Was den Schnitt des Gewandes be-
trifft, so erklären sich die vielen breiten Falten über den
Knieen — ich zähle deren sechs — am natürlichsten durch ein
Aufraffen und Zusammenlegen des Gewandes, dessen seitliche
Partieen, wenn die Person sich erhöbe, sofort über die Kniee
herabgleiten müßten und zwar soweit abwärts, daß der Saum in
wagerechter Linie verlaufen würde. Ein Aermelgewand mit
verzierter Mittel- und Saumborte konnte unter der gebotenen
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Berücksichtigung der liturgischen Gewänder des im gleichen
Lande und in der gleichen Zeit entstandenen Bilderschmuk-
kes des hortus deliciarum nur als Dalmatik gedeutet werden.
Daß die hier allerdings regelmüßig wiederkehrenden Seiten-
schlitze auf dem Relief nicht zu sehen sind, wollte ich als
Folgeerscheinung der sitzenden Stellung der Figur erklären ;
ich heharre nicht darauf diese Vermutung gelten zu lassen.
Es läßt sich das Fehlen der Ausschnitte auch daraus erklären,
daß ihr Erscheinen im 12. und 13. Jahrhundert nicht all-
gemein war. (Braun, Die liturgischen Gewänder des Okzidents
und Orients 1907, S. 262 f.) Wenn für meine Auffassung,
dies Gewand nicht als Kasel gellen zu lassen, die Beobacht-
ung mitbestimmend war, daß einen verzierten Saumbesatz die
Bischofskasein des hortus deliciarum nie aufweisen, und unter
den drei Papslkaseln ihn nur eine hat, sowie daß in den
ältesten Straßburger Glasgemälden nur Papstkasein ihn zeigen,
so haben mich Braun (S. 210 f., 221) und die Nachprüfung mei-
ner Beobachtungen an Straßburger und Baseler Bischofssiegeln
des 12. Jahrhunderts belehrt, daß Kasein mit verzierten Saum-
besätzen auch am Oberrhein getragen wurden : ja, die mit
Mittel- und Saumborte verzierte Kasel auf dem Siegel Bischof
Heinrichs von Straßburg (1183) stimmt in der zwischen den
Knieen gleichfalls spitz zulaufenden Partie derartig mit dem
Gewände der Neuburger Figur überein, daß ich auch letzteres
unbedenklich für eine Kasel ausgeben würde, wenn es nicht
Aermel hätte. Kein Schlitz zum Durchlassen des Armes, son-
dern ein ausgebildeter Aerrnel ist es, in welchem der rechte
Arm steckt. Da es nicht möglich ist, sich die Aermel als zu-
gehörig zu einem unter dem besatzverzierten Obergewand ge-
tragenen Kleidungsstück zu denken, eine Kasel mit Aermel
aber es niemals gegeben hat, so war das Gewand als Dalma-
tik festzustellen. Die Aermel, welche H. Bach an der Kasel
Erzbischof Friedrichs von Magdeburg auf dessen Grabplatte er-
kennen will, sind die Aermel der unter der Kasel sowohl an
den Armen, als auch unterhalb der Kniee mit aller Deutlich-
keit wahrnehmbaren Dalmatika mit dem verzierten Seiten-
ausschnitt. Ein Blick nur auf die nächste Seite der zitierten
Zeitschrift mit der Abbildung der Grabplatte Erzbischof Wich-
rnanns hätte ihn vor dem Irrtum bewahrt.
Bei Beantwortung der Frage, ob ein liturgisches Gewand,
das in seiner untern Partie einer Kasel gleicht, in seinerobern
Hälfte hingegen das wesentlichste Merkmal der Dalmatik zeigt,
als Kasel oder Dalmatik anzusprechen sei, konnte die Ent-
scheidung nur die Annahme der letzteren zulassen: man müßte
denn das Neuburger Relief als eines von den Bildwerken an-
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zusehen gezwungen sein, in welchem die kirchliche Gewand-
ung «nicht unbesehen als gute Münze und unverfälschtes Ab-
bild der Wirklichkeit hinzunehmen» (Braun S. 175) und eine
Aermelkasel auf Kunstlerlaune und Künstlerfreiheit zurück-
zuführen sei, eine Annahme, welche durch das sonst überall
hervortretende Streben des Neuburger Steinmetzen nach Wieder-
gabe der Wirklichkeit (S. 3 ff. 23 f.) ausgeschlossen ist.
5. Das Kreuz in den Händen einer weltlichen fürstlichen Per-
sönlichkeit kann, wie der Hinweis auf die Darstellung der
Kaiserin Kunigunde in den oberrheinischen Diözesen dartat,
nur deren Beziehungen zu der in Frage kommenden Kirche
ausdrücken. Hier ist sein Träger der Geber des Kreuzes; es ist
also Kaiser Friedrich, nicht der Regionarbischof dargestellt.
Hinsichtlich seiner Gestalt habe ich berichtigend zu bemerken,
daß die Erhebungen und Vertiefungen an den Balken nicht
von der Zertrümmerung eines vorhanden gewesenen Christus-
leibes, sondern von der Beschädigung des Kreuzes selbst her-
rühren. Wie die bei der gründlichen Reinigung hervorgetre-
tene runde Vertiefung im Schnittpunkte der Kreuzesarme zeigt,
sollten Edelsteine den Schmuck bilden.
6. Den von mir versuchten Nachweis, daß die Barbarossa-
darstellung auf dem Neuburger Relief Anspruch auf Lehens-
wahrheit habe, kann ich nicht durch die Behauptung von der
Wertlosigkeit der von H. Bach untersuchten Barbarossabilder
für abgetan halten. Gegen die Auffassung, welche mittelalter-
lichen Bildern historischer Persönlichkeilen alle Porträtähnlich-
keit absprechen will, erhebt die besonnene Forschung in neu-
erer Zeit mit Erfolg Einspruch. Vielleicht dürfen wir von Max
Kemmerich, der in seinem reich und vornehm illustrierten
Aufsatz «Wie sah Kaiser Otto III. aus ?» (Christliche
Kunst 1907, S. 213) ein Muster gegeben, wie derartige
Untersuchungen zu führen sind, die Anwendung seiner Methode
auf die Frage nach der Porträtähnlichkeit der Bilder der
staufischen Herscher erwarten, die der Bewertung der Neu-
burger Barbarossadarstellung gerechter werden wird alsH. Bach.
7. Die Deutung des giebelartigen Gegenstandes in den
Händen des Mönches als Modell einer Kirche ist gesichert
durch die erst infolge der gründlichen Reinigung möglich ge-
wordene Feststellung, daß eine Spitze vorhanden war, die ab-
geschlagen ist. Dagegen hatte die Ausschweifung der Vorder-
kanten der Dachflächen nicht, wie ich frageweise vermutete,
den Zweck, den noch unvollendeten Bau anzudeuten, sondern
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diente dem Steinmetzen als Ausdrucksmittel perspektivischer
Verkürzung, die er auch bei der Darstellung des Reliquiars
handhabte, indem er ihm statt der Form des Rechtecks die
des Parallelogramms gab. Gegen die Annahme als Kirchen-
modell kann nicht geltend gemacht werden, daß die Unter-
legung eines Tuches den Gegenstand als heiligen charakteri-
siere. Man braucht nur in einem illustrierten Werke über
mittelalterliche Kunst zu blättern, um sich zu überzeugen,
daß allerlei unheiligen Gegenstanden, wie Kirchenmodellen,
Büchern, Bildern, Schalen, das die Hand bedeckende Ober»
gewand als Unterlage dient. Der Bildner hätte also den Abt
als Unterlage für das Modell das Mönchsobergewand verwenden
lassen können ; allein um der dadurch eintretenden, nichts
weniger als schönen und nicht eben leicht wiederzugebenden
Darstellung der Gewandfalten zu entgehen, griff er zu dem
Mittel, dem Modell ein eigenes Tuch unterzulegen. Ich wollte
das lieber annehmen, als die Ansicht vertreten, der Steinmetz
habe dem Beschauer zugemutet, die Unterlage als den von
hinten nach vorne geschobenen Teil des weiten Mönchsgewan-
des anzusehen. Uebrigens ist ein besonderes Tuch als Unter-
lage für einen profanen Gegenstand auch nicht ohne Beleg:
auf dem Bilde von der Huldigung der Nationen im Evangeliar
Ottos III. (Heyck I, S. 323) tragt Roma die Schale mit
den Gaben auf einem über beide Hände gelegten Tuche.
8. Wenn Herr Bach die von mir als Laie und zwar als
Graf Reinhold gedeutete Figur zu einem Mönche machen will,
tut er dem Bilde Gewalt an. Die von mir konstatierte Licht-
ung der Haare auf dem Scheitel ist keine Tonsur, weder die
corona, wie sie der gegenüberstehende Mönch hat, noch der
moderne modicus titulus in capitis apice, sondern eine kahle
Stelle des Kopfes. Das durch sie, wie durch die dünnen
Strähne angedeutete spärliche Vorhandensein des Haupthaares
sollte im Gegensatz zu dem vollen männlichen Haarwuchs des
Kaisers den gealterten Mann andeuten. Der reichere Falten-
wurf — ich zähle bei ihm über den Füßen 12, beim Mönch
nur 6 Falten — sowie die Bekleidung mit dem Mantel und
die Art, wie er umgeworfen ist und gehalten wird, charakteri-
sieren den vornehmen Laien, den in der Figur anzunehmen,
uns auch der kurz gehaltene Bart zwingt.
9. Wenn etwas in meiner Deutung der Gruppe Zweifeln
begegnen konnte, so war es die Vermutung, der beschädigte
Gegenstand in Reinholds Händen sei ein Eichenzweig gewesen.
Durch die Beseitigung aller Ablagerungen auf dem Steine ist
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oberhalb der rechten Hand Reinholds auf der Platte eine durch
gewaltsame Beschädigung erzeugte Vertiefung zutage getreten,
über welche der in seiner Hand befindliche Gegenstand sich
erstreckte. Die Möglichkeit, daß es eine Pergamentrolle war,
ist nicht ausgeschlossen. Die absichtliche Entfernung dieses
Gegenstandes, sowie die Beschädigung der Attribute in den
Händen der beiden andern Figuren hängen vielleicht doch mit
einer revolutionären, gegen das Eigentumsrecht des Klosters an
Grund und Boden gerichteten Bewegung, ich meine die Vor-
gänge d. J. 1789fiK), zusammen. Die Vermutung, daß Reinhold
durch einen Zweig den Mönchen Eigentum übertrug, vermag
ich nachträglich durch den Hinweis auf zwei bildliche Dar-
stellungen von Uebert ragung von Wald oder Waldgerechligkeit
durch Ueberreichung eines Zweiges zu stützen : ein romanisches
Relief im Museum zu Colmar (Kraus II, S. 3i<2, T. VI) stellt
einen Laien dar, welcher einer weiblichen Gestalt (Vorsteherin
eines Frauenklosters?) einen oben dicht belaubten Zweig über-
gibt, und ein an der Südseite der ehemaligen Benediktiner-
kirche in Walburg eingemauertes, von dem Schmucke des
durch den Umbau von 1453—1456 beseitigten romanischen
Portals herrührendes Relief zeigt einen Mann in kurzer Tunika
mit einem blattlosen bis auf den Boden herabgehenden Baum-
zweig in beiden Händen, wohl nur der Rest einer größern
Skulpturenreihe, welche ähnlich, wie die Portalausschmückung
in Andlau Begabungen des Klosters vorführte, und von der
zwei weitere interessante Fragmente noch erhalten sind.
10. Als Entstehungszeit des Reliefs halte ich, wenn auch
seine Bestimmung eine andere geworden, die Zeit um 1160
aufrecht und stütze noch meine Ansicht durch den Hinweis
auf zwei weitere Bildwerke, welche der Mangel einer Abbildung
leider nicht zu durchschlagender Geltung kommen läßt. Die
den beiden Pfeilern des Triumphbogens der Georgskirche in
Hagenau vorgelagerten Halbsaulen setzen unten auf einem
W T ulst und einer an den Ecken mit Tierköpfen verzierten
Plinthe auf, die auf Nacken und Schultern je eines etwa
0,50 m messenden, hockenden Steinmetzen lasten. Diese selbst
stellen ihre Füße auf ein romanisches Kclchkapitäl als Ab-
schluß nach unten auf. In Behandlung der Gesichter, des
Haares und der Gewandung sowie in realistischer Wieder-
gabe der Funktionen und des Gesichtsausdrucks sind diese
beiden Skulpturen dem Neuburger Relief in hohem Grade
ähnlich. Da die romanische Vierung zum ältesten Teile des
1149, wenn nicht schon 1143 begonnenen Baues gehört — das
erste Säulenpaar des Langschiflfes entbehrt noch des charakte-
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ristischen Eckblattes, das erst vom zweiten Paare an ständig
erscheint — so sind die Steinmetzenbilder nicht viel später
als 1150 anzusetzen.
11. Bei der Beurteilung des künstlerischen Wertes der Neu-
burger Skulptur mußte ihr Verhältnis zu Bildhauerarbeiten der
gleichen Zeit und des gleichen Landes maßgebend sein ; von
diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, erscheint sie mir trotz
ihrer Mängel nach wie vor als eine achtungswerte Leistung
des 12. Jahrhunderts.
H. Lempf ri d. _
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XIII.
Chronik für 1906.
8. Januar : stirbt zu Straßburg Max v. Schraut, Wirklicher
Geheimerat und Unterstaatssekretär, geb. 3. Jan. 1845 in Würz-
burg, hochverdient um die Kunst in Elsaß-Lothringen.
41. Februar: stirbt zu Bitsch Joseph Knepper, Oberlehrer
am bischöflichen Gymnasium, geb. 6. März 1864 zu Oelde in
Westfalen (studierte nach dem Besuch des Gymnasiums in
Warendorf anfangs Medizin, dann Germanistik und Geschichte
in Münster und Freiburg, und promovierte zu Münster 1889
mit einer Untersuchung über Tempora und Modi bei Walther
v. d. Vogelweide ; war 1895 — 98 an der bischöfl. Anstalt in
Zillisheim tätig ; Mitarbeiter an unserem Jahrbuch ; veröffent-
lichte : Nationaler Gedanke und Kaiseridee bei den elsässischen
Humanisten, Freiburg 1893, Jakob Wimpfelings Leben und
Schriften, Jrb. 1902, Das Schul- und Unterrichtswesen in Elsaß-
Lothringen bis zum Jahre 1530, Straßburg 1905).
5. März : stirbt in Baden-Baden Max v. Putfkamer, Wirk-
licher Geheimerat und Staatssekretär a. D., geb. 28. Juni 1831.
G. März: wird in Straßburg das 50jährige Jubiläum des
Konservatoriums für Musik gefeiert (eröffnet im Dez. 1855).
9. — 12. Mai : Kaiser Wilhelm II. in Straßburg und auf der
Hohkönigsburg.
12.— 19. Mai : der Kaiser in Lothringen.
29. Juni: stirbt in Straßburg Curt Mündel, Ehrenpräsident
des Vogesenklubs, geb. 24. Dez. 1852 zu Glogau.
6. Juli: Gründung der «Wissenschaftlichen Gesellschaft» in
Straßburg.
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XIV.
Sitzungsberichte.
i. Vorstandssitzung
am 11. November 1906, vormittags 10 J /» Uhr, im germanistischen
Seminar der Universität.
Anwesend die Herren v. Borries, Kassel, Lienhart, Luthmer,
Martin, Menges, Renaud, Waller, Wiegand. — Entschuldigt
die Herren Francke, Lempfrid, von Schlumberger, Stehle.
Der Vorsitzende, teilt den Austritt des von Straßburg verzo-
genen bisherigen Mitgliedes Herrn Lyzealdirektors a. D. Francke
mit und bittet um Vorschläge betr. der in der allgemeinen
Sitzung zur Wahl zu empfehlenden Ersatzmänner für Herrn
Francke und den verstorbenen Vereinskassierer Herrn C. Mündel.
Er berichtet sodann über die wenig günstige Finanzlage des
Vereins und erörtert die Mittel und W T ege, wie der augenblick-
liche Fehlbetrag wieder allmählich gedeckt werden könnte.
Der Schriftführer berichtet über das namens des Gesamt -
Vorstandes an den Vorsitzenden des Volksliederausschusses,
Herrn Prof. Dr. Henning, gerichtete Schreiben, laut welchem
letzlerer gebeten wurde, in der Novembersitzung über den augen-
blicklichen Stand der Arbeiten am Volksliederbuch nähere Mit-
teilungen zu machen. Während der sich anschließenden Erörte-
rung erscheint Hen Prof. Henning und setzt die Gesichtspunkte
auseinander, nach wichen die Vorarbeiten zur Herausgabe des
Liederbuches erledigt werden müssen : zunächst komme es dar-
auf an, neue Mitarbeiter zu gewinnen, eifrig zu sammeln, auch
die Singweisen, und dann kritisch zu sichten; für einen öffent-
lichen Aufruf sei er vorderhand noch nicht. Einem Vorschlage
des Vorstandsmitgliedes Herrn Dr. Kassel entsprechend einigle
man sich schließlich .1 von einer weiteren Beratung abzu-
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sehen und die Liederkommission zu ersuchen in der November-
sitzung 1907 ausführlicher über ihre Tätigkeit zu berichten. Das
Vorstandsmitglied Herr Kreisschulinspektor Menges wird an
Mündels Stelle in die Kommission gewählt.
Die für das nächste Jahrbuch bereits vorliegenden Beiträge
werden zur Beurteilung an einzelne Vorstandsmitglieder verteilt.
Es folgt darauf um 11 Uhr die
Allgemeine Sitzung.
Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung mit einem kurzen
Nachruf für den verstorbenen Schatzmeister des Vereins, Herrn
Gurt Mündel, in dem er die Verdienste des Dahingeschiedenen
um die Vereinsangelegenheiten hervorhebt sowie den schweren
Verlust, welcher dem Verein durch seinen Tod erwachsen ist.
Zu Ehren des Verstorbenen erheben sich die Versammelten von
ihren Sitzen.
Aus dem sich anschließenden Geschäftsbericht ergibt sich,
daß die Milgliederzahl ungefähr die gleiche ist wie im Vorjahre,
und deshalb sollen vom nächsten Jahrbuch auch wieder 3000
Abzüge gemacht werden. Die Finanzlage ist auch in diesem
Jahre nicht günstig, der Abschluß weist einen Fehlbetrag von
rund 1000 M. auf. Allerdings dürfe eine kleine Einnahme er-
wartet werden durch den Verkauf von alten Hestbeständen des
Jahrbuchs, die zum herabgesetzten Preise von 50 Pfg. für das
Exemplar an Mitglieder des Vereins abgelassen werden sollen.
Im übrigen sei darauf Bedacht zu nehmen, den nächsten Band
des Jahrbuches weniger umfangreich zu gestallen.
Die Rechnungslage wurde von den zwei Milgliedern HH.
Geh. Regierungsrat Hering und Dr. Teichmann geprüft und für
richtig befunden.
Vor der Neuwahl des Vorstandes empfiehlt der Vorsitzende
der Versammlung an Stelle des ausgeschiedenen Mitgliedes Ly-
zealdirektors a. D. Francke den Amtsrichter Herrn Beemelmans
in Ensisheim und für das verstorbene Mitglied Mündel den
Schatzmeister des V.-C., Herrn Notar Dr. Huber in Straßburg
zu wählen. Die Versammlung ist mit dem Vorschlage einver-
standen und wählt außerdem durch Zuruf den alten Vorstand
aufs neue, nachdem Herr Geheimrat Hering demselben den
Dank der Anwesenden ausgesprochen hatte.
Zum Schluß hielt Herr Th. Walter aus Rufach den ange-
kündigten Vortrag % lieber die Schicksale der bischöflichen Stadt
Rufach nach dem westfälischen Frieden».
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Schluß der allgemeinen Sitzung: 12 " Uhr.
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2. Vorstandssitzung
am (>. März 11)07, nachmittags 3 Uhr, im germanistischen Se-
minar der Universität.
Anwesend die Herren Beemelmans, v. Borries, Euting,
Huber, Kassel, Lempfrid, Lienhart, Marlin, Renaud, Chr.
Schmitt, Walter, Wiegand. — Entschuldigt die Herren I.uth-
mer, Menges, von Schlumberger.
Der Vorsitzende teilt mit, daß zur Deckung eines Teiles
der Unkosten des Jahrbuchs von Sr. Durchlaucht dem Fürsten
S-tatthalter ein erhöhter Beilrag von 600 M. bewilligt worden sei.
An den ausführlichen Kassenbericht des Schatzmeisters,
Herrn Notars Dr. Huber, schließt sich ein längerer lebhafter
Meinungsaustausch in bezug auf den Kostenpunkt bei der Her-
stellung des Jahrbuchs. Der Vorsitzende wird beauftragt, über
die Möglichkeit einer Ermäßigung bis zur nächsten Sitzung ein-
gehende Untersuchungen anzustellen.
Die eingelaufenen Beiträge werden vorgelegt und besprochen
und der Umfang des Jahrbuchs sowie die Daten für die Chronik
festgestellt.
Schluß der Sitzung: 4»o Uhr.
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DATE DUE jßQg
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1
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STANFORD, CALIFORNIA 94305