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Full text of "Encyklopädie [Enzyklopädie] der evangelische n Kirchenmusik. 1 A - K. - 1888. - VIII, 861 S"

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evangelischen 
Kirchenmusik 






Salomon 
Kümmerle 





109% 








Ti: New York Pipe Lipkarr 
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granted by the Trustees.of 


The Juilliard Musical Foundation 
—900 of New York 


AHeomory of 
Augustus Dfnithard 












































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| *xMFG 


Eneyklopädie 
_—— 


vangeliſchen Kirchenmuſik. 
Bearbeitet und herausgegeben 


— 
8. Rümmerle. 
\ 


Erſter Band. 





Gütersloh. 


Druckund Verlag von €. Bertelsmann. 
1888 


— — 


ME EW YORK. 
PUBLIC LIBRARY | 


458605 A 


ASTOR, LENOX AND 
TILDEN FUUSBATIONG 
RO 108 L 





Wu 
J— han 


Vorwort. 


Das Werk, deffen erfter Band hiemit der Offentlichkeit übergeben 
wird, darf hoffen, eine Luͤcke in der muſikwiſſenſchaftlichen Litteratur 
auszufüllen. Es ift mit demfelben unferes Willens zum erftenmal 
der Derfudy gemacht, den Geſamtwiſſensſtoff über das fpecielle Muſikgebiet 
der evangelifhen Rirhenmufik in der praktiſch-uͤberſichtlichen Sorm 
eines Lexikons encyklopaͤdiſch zu bearbeiten. Den Verfaffer hat feine 
cigene Erfahrung fartfam gelehrt, und die Recenfionen der Cieferungs- 
ausgabe feines Werkes, die ihm zu Geſicht gekommen find, haben es 
ausnahmslos anerfannt, daß ein derartiges Nachſchlagebuch allen denen, 
die fihh von Amtswegen mit evangelifher Kirchenmuſik zu beſchaͤftigen 
haben: den Beiftlichen, Rantoren, Organiften und Echrern, fowie denen, 
die ſich für diefen Teil des Kirchendienftes vorbereiten: den Studierens 
den und Kandidaten der Theologie, Seminariften und Präparanden, 
feit langem ſchon wefentlihe Dienfte hätte leiften Pönnen. Wenn daher 
die Annahme, daß mein Werk in den genannten Kreifen zu jeder Zeit 
einem Bedürfnis entgegen gekommen und willkommen gewefen wäre, 
als eine nicht ganz unberechtigte erfcheinen dürfte: fo möchte ich doch 
noch lieber der Hoffnung leben, daß dasfelbe gerade jest zu befonders 
guter Stunde ans Licht trete. ft doch eben in der Gegenwart eine 
intenfive Bewegung auf dem Gebiete der evangelifhen Kirchenmuſik im 
Gange: nicht nur in Fachzeitſchriften und Dereinsverfammlungen werz 
den die bezuͤglichen Fragen in eingebender Weife erörtert, auch in prak⸗ 
tifpen Derfuchen ift man eifrig beftrebt, dem unverPennbar durch die 
deutfhe evangeliſche Kirche unferer Zeir gehenden Sehnen nach einer 





vw Dorwort. 


mufifalifh reiheren und ſchoͤneren Ausſtattung des Bottesdienftes ge— 
recht zu werden. Noch aber ift freilich das treibende Motiv diefer fo 
erfreulihen Bewegung weit mehr nur das Gefühl eines tiefen Manz 
gels im Kultus, als die klare Erfennmis des Zieles, dem zuzuftreben 
ift, und noch find daher aud die Wege fehr verfhieden, auf denen 
man zu einer Befferung der empfundenen Obelftände zu gelangen fucht. 
Da wird es für die berufenen Pfleger und für alle Sreunde der evanz 
gelifhen Kirchenmuſik zur unerläglihen Pflicht, ſich durch eindringende 
Studien auf diefem Gebiete gründlih zu orientieren und heimiſch zu 
machen. Und eben biezu bietet das vorliegende Werk feine Dienfte an, 
nit in der prätentiöfen Wleinung, für folhe Studien genügen zu 
wollen oder zu Bönnen, vielmehr in der ganz befcheidenen Abſicht, bei 
denfelben nach Vermögen Zandreihung zu thun, indem es einerfeis 
die Refultate der ſeitherigen Arbeiten und Sorfhungen auf dem. Gefamt- 
gebiet der evangelifhen Kirchenmuſik überfihtlih zufammengefaßt:ver- 
mirtelt, und andrerfeirs durch umfaffende Quellennadweife und Litz 
teraturangaben -für weiters und tiefergehende Studien Anregung und 
Singerzeige giebt. 

Daß bei. einem folhen Werke der principielle Standpunkt; 
auf dem es fih aufbaut, die Grundanſchauung von evangeliſcher Kirchen— 
mufiß, auf der feine theoretifhen Auseinanderfegungen und feine hiſto— 
rifhen Darlegungen, beruhen, von bödfter Bedeutung, ja von altes 
entſcheidender Wichrigkeit ift, leuchtet ein. Gerade in ‚diefem Punkte 
aber gehen die Anfichten der zunaͤchſt Beteiligten noch weit auseinander. 
Sür die einen „harrt die Srage nach dem Begriff und den Ausſchlag 
gebenden Merkmalen der Kirchenmuſik überhaupt und der evangelifchen 
Rirdenmufiß insbefondere noch der endgültigen Loͤſung,“ wie einer 
meiner Recenfenten (4. A. Röftlin in der Theol. Litteraturzeirung 1884. 
Yır. 24. ©. 588) es ausgefproden hat. Shr andere — und fie find 
zur Zeit wohl noch die überwiegende Mehrzahl unter den deutſchen 
evangelifben Kirchenmuſikern — ift diefe Srage zwar. gelöft, ‚aber im 
Sinne der romantifch-Eatholifierenden Anſchauung v. Winterfeld's, nad. 
welder nur die auf der mittelalterlichen Tonalirät berubende reine 
vokalmuſik wahre Kirchenmuſik fein fol, Kin Pleines Haͤuflein mar: 


Vorwort. v 


iind bis zur Stunde diejenigen, welde „in der durch Sebaftian Bach 
tepräfentierten ¶ Form der Kirchenmuſik den charakteriſtiſchen Ausdrud 
mangelifch=Eirchlicher Kunft und den Anknuͤpfungspunkt für Neu—⸗ 
bildungen auf diefem Gebiete“ fehen. Ich ſtehe auf deren Standpunkt 
und" mein. Buch ruhet auf ihrer Brundanfhauung von evangelifcher 
Rirhenmufit. Don einer andern, etwa von der jest noch Iandläufigen, 
Eonnte ich, wenn ich anders meiner innerften Überzeugung treu bleiben 
wollte, nicht ausgehen. Und ih muß mir nun eben gefallen laffen, 
wenn bei mandıen meiner Ausführungen „der Liturg wie der Muſiker 
(die von der v. Winterfeld'ſchen Obfervanz nämlich) ein beſcheidenes 
Sragezeichen machen,“ wie der obengenannte Beurteiler meint; ich muß 
mir felbft gefallen laffen, wenn mir von ebendemfelben der Vorwurf 
von. „das perſoͤnliche Urteil allzu rafh und zu kuͤhn generalifierenden 
Ausjprüden“ gemacht wird. Andrerfeits darf ich mich dann aber auch 
freue, wenn ein anderer Recenfent (Sriedr. Spitta in Oberkaſſel bei 
Bonn, in der Vierteljahrsſchr. für Muſikwiſſenſchaft 1885. IL S. 286) 
mein Werk gerade darum der „befondern Beachtung und Unterftägung 
wert“ erklaͤrt, weil die „einheitliche Grundanſchauung“, von der es 
durchdrungen ift, ibm als eine ſolche erſcheint, „welde einer gefunden 
Sortentwicklung der evangelifhen Rirhenmufiß nicht hindernd im Wege 
ſteht, fondern geeignet ift, eingewurzelten Irrtuͤmern nach und nad 
den Boden zu entziehen.” Wie dem num auch fein mag, fo balte ich 
doch gerne an dem Glauben feit, daß mein Buch immerhin geeignet 
fein werde, aud denen wefentlihe Dienfte zu leiften, die feinen princiz 
piellen Standpunkt nicht teilen. 

Binſichtlich der Yusführung braucde ich wohl Faum an die ganz 
befondern Schwierigkeiten zu erinnern, die bei einem Werke von der 
Art des meinigen zu überwinden waren. Hatte es doch auf feinem 
fpeciellen Bebiet Peinerlei Vorgang, nicht einmal den rein äußerlihen 
der alphabetiſchen Anorönung des weitfhichrigen Stoffes. Wenn ihm 
unter diefen Umftänden nur eine fehr relative Vollendung zu erreichen 
beſchieden fein wird, fo teilt es diefes Schickſal mir allen Büchern von 
lexikaliſcher Form, von denen Eaum je eines geliefert werden dürfte, 
das alle Wuͤnſche befriedigt, und in dem nicht der eine dies, der andere 


vI Dorwort. 


das vermißt, worüber er gerade Auskunft zu fuchen veranlaßt ift. Daß 
ich aber in Bezug auf die Läden und Mängel meines Buches, für 
deren Yufzeigung ich dem weiter oben bereits genannten Recenfenten 
(Sriedr. Spitta) nur dankbar fein Pann, und die mir felbft mehr als 
irgend jemand bewußt find, durdaus nicht gleichgültig bin, wird ſchon 
der zweite Band, deffen Drud bereits begonnen hat, zeigen. In dem 
felben werden diefe Lüden, wie fie in der Choralkunde, Biographie zc. 
gerügt worden find, ausgefüllt fein, und aucd was von folden im 
erften Bande zurüdgeblieben ift, fol in einem Nachtrag zum ganzen 
Werke vollftändig nachgeholt werden. Wegen ber im vorliegenden erften 
Band fehlenden Ehoräle bemerke ih noch befonders, daß diefes Fehlen 
nicht etwa ein zufälliges ift, fondern daß nach dem urfprüngliden (jetzt 
aber in etwas erweiterten) Plane nur die oͤkumeniſchen Rirchenmelodien 
zu behandeln beabfihtigt war. Das etwas langfame Erfcheinen des 
Werkes bängt teilweife mit der Erweiterung feines Planes zufammen; 
noch mehr aber ift es auf Rechnung des Umftandes zu fehreiben, daß 
uns deutfhen Schulmeiftern eben nicht vergönnt ift, einem folden 
Werke unfre ganze Zeit und Kraft zu widmen, daß wir vielmehr im= 
mer nur unfre Nebenſtunden biefür übrig haben. Doch wird manchem 
Intereffenten damit ein Gefallen gefhehen, wenn ih nun verfprechen 
Bann, daß die weiteren Lieferungen in regelmäßiger und thunlich ras 
ſcher Solge werden erſcheinen koͤnnen. 

Ob ich zu meiner Arbeit innerlich berufen und aͤußerlich genuͤgend 
ausgeruͤſtet war, das iſt eine Srage, die zu beantworten mir nicht zus 
fteht; fie muß vielmehr von dem Werke felbft und feinen billigen Be: 
urteilern entfchieden werden. Jh Fann nur in aller Befcheidenheit 
fagen, daß ich von frühefter Jugend an in dem Stoffe meines Buches 
gelebt babe. Vom erften Erwachen des Bemwußtfeins an bat mich das 
evangelifhe Kirchenlied und feine Weife umtönt. Wein Vater, ein 
einfachzfrommer Bauersmann, ift jeden Worgen mit dem Gefang eines 
Rircenliedes auf den Lippen aufgeftanden und jeden Abend mit einem 
folden zu Bette gegangen; an jedem Sonntagmorgen hat er die 
Perikope vorgelefen und ein entfprechendes Lied dazu gefungen. Don 
ihm find mir die Kernlieder unfrer evangelifhen Kirche ins Gedaͤchtnis 


Vorwort. VII 


geprägt worden und daher als unverlierbares geiftiges Eigentum mit 
mir durchs wwechfelvolle Leben gegangen. Und als ih in meinem 
mölften Lebensjahre anfing, das Orgelfpiel zu erlernen, und in einem 
Winkel der Grgelempore in der Kirche meines württembergifchen 
zeimaidorfes das alte Störl’fche Choralbuch fand, da ließ es mir weder 
Aube noch Raſt, bis ic die Hieroglyphen feiner altertuͤmlichen Noten⸗ 
fhrift zu entziffern vermochte. Seitdem bin ich den Studien über 
mwangelifhe Kirchenmuſik treu geblieben, und aud dann, als mid 
mein Beruf auf ganz andere Wiſſens- und Thätigkeitsgebiete führte, 
babe ich diefen Studien den größten Teil meiner Mußeftunden ges 
widmet‘, ohne noch eine beftimmte Verwertung derfelben im Auge zu 
baben. &o darf ih, wie unvolllommen und mangelhaft immer mein 
Buch, die Srucht diefer Studien, erfheinen mag, doch mit gutem Ge— 
wiffen fagen, daß ein ſchoͤn Stüd ehrlicher, mit treugemeintem Sleiß 
und beftem Willen getbaner Arbeit in demfelben ftedt, — ein Stuͤck 
Zebensarbeit, das wohl Baum unternommen und gethan worden wäre, 
wenn allein nur Beift und Verftand und nicht auch das Zerz daran 
Anteil gehabt hätte. 

Eines freilich darf ich dabei nicht vergeffen: es ift nicht meine Ar- 
beit allein, die bier vorliegt, und vielen Mitarbeitern nah und fern, 
beFannten und unbeBannten babe ich von Herzen zu danken für ihre 
mir mittelbar ober unmittelbar geleiftere Beihuͤlfe. Es ift wahr, was 
©. 3. v. Schubert einmal gefagt bat: bei Beiner Arbeit, wie bei der 
des Büderfchreibens drängt fih uns fo fehr die Erfahrung auf, daß 
das eine Beftimmung des Lebens und feiner Muͤhen iſt, dem einzelnen 
zu zeigen, wie wenig defien fei, was er in und von fich felber und 
wie viel deffen, was er von außen empfangen habe, damit er hiedurch 
Demut lerne und Liebe. Wenn aber diefe Erfahrung bei jeder littera— 
rifben Arbeit gemacht werden muß, wie viel mehr bei der Sammelz 
arbeit eines Werkes wie das vorliegende. Die Aufgabe eines ſolchen 
encyklopaͤdiſchen Buches ift cs ja gerade, die Refultate der bis zur Zeit 
feines Erſcheinens auf dem betreffenden Bebiete gethanen Befamtarbeit 
in überfichtlicher Weife darzuftellen, und cs beruht daher fein Wert zu 
einem großen Teile eben auf der Umficht und Treue, mit der es diefer 


va Vorwort. 


Aufgabe gerecht wird, In wie weit bei meinem Werke ‘das rebliche 
Wollen in bdiefer Zinficht dem Vollbringen entfprict, das mag das nadı- 
fihtige Urteil der Sachkundigen Elarlegen. Den Rundigen wird auch 
das, was ich als Erträgnis eigener Sorfhung und felbftändiger Arbeit 
binzurhun Eonnte, Überall nicht verborgen bleiben. — 

Und nun fei mir geftattet, mit einem Worte des Begründers der 
evangelifhen Kirchenmuſik, unferes D. Martin Cuther, zu fchließen, 
einem Worte, das mic unter dem Drude meiner mühevollen Arbeit, 
bei dem immer wieder ſich geltend machenden Gefühle der Mangelbaftig: 
Reit derfelben und des geringen Maßes der mir verliehenen Kraft, oft 
getröfter und aufgerichter hat und das in mehr als einer Beziehung 
vortrefflih gerade auf ein Werk wie das meinige ſich anwenden läßt. 
Dies Lurherwort heißt: „Was wollen ‘wir bier lange predigen und 
ſchulmeiſtern zum voraus? Laſſet uns lieber zum Wer fehreiten und 
angreifen fröhlich! Jhr aber wollet aufhorchen und nachthun, fo wir 
gut Ding aufweifen; fehlen wir aber und treffen eins faͤlſchlich, fo 
mögen die andern es feiner faffen, damit wir auch was haben aufzu: 
merken und nachzuthun. Muß doc einer des andern harren und 
braucht einer des andern, und darf Feiner fagen: fiehe, bier bin id 
und habs alleine! Alfo auch wir.” 


Im Sebruar 1888. 


Der Derfaffer. 


A. 


Abblaſen, eine ſchöne alte Sitte im deutſchen Städten und Fleden, nad 
welcher der Stadtmufitus mit feinen Gejellen und Lehrjungen täglich morgens, mit- 
tags und abends, oder doch an Sonn- und Feſttagen vom Krane des Turmes der 
Haupttirche oder des Rathauſes Herab einen Choral!) mit Zinfen und Poſaunen 
dies. Auch vaterlandiſchen und Lofalen Feften wurde durch Abblaſen eines Chorals 
eine kunſtleriſche Weine gegeben, und bei Trauerfällen in angeſchenen Familien 
Heinerer Städte eine fogenannte Trauermufit (der Choral in (angfamerem Tempo 
und mit tieferer SIntonation geblajen) gemiacht. „Der Arbeiter im Felde hielt 
eine Weile den Pflug an, wenn die feierlichen Töne in die Stille der Morgen- 
landſchaft HineinfGallten; in der Werfftatt ward es auf Minuten ruhig, und mandjem 
verzagenden Herzen find bei diefer Muſik urplöblich die rechten Gedanlen des Troſtes 
aufgefeudhtet.” Detzt hat man diejes ſchöne Herfummen meift abgehen Laffen, ohne 
daran zu denfen, weld einen „tüchtigen Hebel zur muſikaliſchen Erziehung des Volles 
man mit der Turmmuſik mutwillig weggeworfen.“) Am Häufigften dürſte das 
Abblaſen noch in württemnbergiigen Städten und größeren Dörfern anzutreffen fein. 
Hier hat es dann freilich aud zu einem bedauerlichen Mißbrauche Beranlaffung 
gegeben: man nahm das Poſaunenquartett vom Turme herunter auf den Orgelchor 
umd fie durch dasjelbe den Gemeindechoral (neben der Orgel) begleiten, wodurd 
miht nur die Singenden „zum Geſchrei erzogen wurden, damit das Singen dem 
Blaſen nichts nachgebe, fondern auch die unerquicliche Verfcleppung des Gemeinde: 
gelanges erhalten, ja vermehrt“ wurde?) 








Auth andere Stüce, fogenannte Turmfonaten wurden abgeblofen; bei Kempe, Friedr. 
Sämeiber als Menich und Künfiler. Deifau 1859. find im Verzeichnis der Werle Schneiders 
12 Zurmfonaten für wei Tromp. u. drei Pof. aufgefühtt. — Bol. au Chr. C. Rolle, Neue 
Baßrnefmengen zur Aufnahme der Mufil, Berlin 1784. ©. dl. N 

) Dan fehe die treffliche Auseinanderjegung der Bedeutung eines „echten und gerechten 
Turmäorals” von B. 9. Wiehl in dem Abfmitt „Geiftiche Gaffenmufit“ feiner Kuftur- 
asien. Stuttg. 1862. &. 336. und Palıner, Cvang. Snmnolozie 1865. ©. 331. 

3) Bol. Grüneifen, Die wang. Gottesdienftordnung in den oberdeutſchen Landen. Stuttg 
1858. ©. 91- 92. 

Rümmerke, Encntt. d. evang. Rirgenzufi, I. 1 





2 Abfirakten. A capella, alla capella. 


Abſtrakten find Teile der Traftur der Orgel, die fih als Berbindungsglieder 
der Klabiaturen mit den Spielventifen unmittelbar an erſtere anſchließen und in ihrer 
Geſamtheit Abſtrattur genannt werden. Die einzelne Abftrafte ift ein Stäbchen von 
leichtem, gewöhnlich gefpaltenem Tannenholz, nidt ganz I em breit und wenig 
über I mm did, oder aud rund und von Lindenholz') — die Pedalabftratten 
felfverftändlich entſprechend ftärter — und mittelft eines mit einem Schrauben 
gewinde verfehenen Drahtes und einer Schraubenmutter von Sohlleder an jede ein- 
zelne Tofte der Klaviatur angefhraubt. Au ihrem entgegengefegten Ende befindet 
ſich ein durch fie gezogener und mit Pergament überleimter Draht, der einen Hafen 
bildet, mit dem die Abftralte entweder in die Schleife (Oſe) eines Wintels oder 
eines Wellenarmes eingehängt iſt. Diefen Draht und feine Befeftigung, die nener- 
dings durch an beiden Enden der Abftrafte übergeleimten Zwirn nod dauerhafter 
gemacht wird, nennen die Orgelbauer den Beſchlag oder das Beſchläg der Ab— 
ftratten. Ie an der Stelle, wo die Manualabſtratten durch die Gabeln der Gabel- 
toppel (vgl. den Art.) durchgehen, ift in denfelben ebenfalls ein mit Schrauben- 
gewinde verfehener Draht eingejegt, der an feinem obern Ende ein Mütterden hat, 
durch welches die Gabel der Koppel wirkt. Nach der Entfernung der Klaviaturen 
dom Wellenbrett, und wo ein Spieltiſch (vgl. den Art.) vorhanden ift, nad deſſen 
Lage richtet ſich die Länge der Abftrakten, die, wo fie längere horizontale Wege zu 
durchlaufen haben, durch hölzerne Reden mit Traghätgen geführt werden müffen. 
I großen Orgelwerten und bei entfernt liegendem Spieltiſch find außerdem oft mehr- 
fache Überfegungen ber Abſtralten mittelft hölzerner oder metallener Wintel (vgl. 
den Art.), in die fie mit dem Beſchlägdraht eingehängt werden, notwendig.?) 


A cappelln, alla eappolla, bezeichnet uriprünglid den Gefangftil, der von 
den Sängern der päpftlicen Kapelle zu Rom ausiclieklid gepflegt wurde, d. h. den 
reinen Votalſtit, der durchaus ftrenge Behandlung der Diffonanzen, wie überhaupt 
ſtrilte Befolgung der Regeln des Kontrapunftes verlangte. Vgl. P. Martini, Saggio 
fond. di Contrapp. 1773—75 II. S. 192. Die niederländifgen Meifter mittel 
alterlicher Tonkunft bildeten diefen Stil aus, die fogenannte römifge Schule der 
Kirgenmufit führte ihn auf die Höhe feiner Entwidlung, und namentlich der Meifter 
diefer Schule, Paleftrinn, Hat in feinen Werten Haffifhe Dufter desjelben Hinter 
laſſen. — Im der älteren Kantate der evangelifhen Kirche unterfcieden die Muſiker 


1) Bal. unge, Die Orgel und ihe Bau. 1875. S. 176. 9. Büdeler, Die neue Drgel 
im Anden. 1876. S. 43 hält jedod Weißtannendolz für beffer als Lindenfolz, weil «8 fidh 
weniger wirft und dem LBurmfcaß weniger außgejegt if, ale dies. 

2) Über eine nee, aus GEnglond importierte pneumatiihe Zraktur, bei der Abftraften, 
Bellen, Wintel u, f. w. fortfallen, vgl. eine Mitteilung von Säfag und Söhne zu Shweidnitg 
in Enterpe 1875. ©. 125 f. und Urania 1875. &. 155. 156. Cine „Befäreibung der 
Megmel’fgen pnenmatifcen Traftur” bei Wangemann, Geld. der Orgel. 1881. ©. 43740. 


Accentns ecelesinstiei. Accidentalen. Ach Gott nnd Herr. 3 





des 17. Jahrhunderts einen ſchwächer beſehten und einen vollen Chor, und nannten 
teren capellu. Bgt. Prätorins, Synt. mus. I. S. 113. Auch Se. Bach 
folgt in feinen äfteften Rantaten noch jeitweiſe diefem Brauche, z. B. in der Mühl: 
Inafer Ratswedhfelfantate zum 4. Febr. 1708. Ausg. der Bach-Geſ. XVII. 
. vgl. Spitte, Bad) 1. S. 342. — Dept wird obig: Bezeichnung, aller: 
dings fireng genommen mißbrauchlich, auf jedes Geſangſtüct ohne obtigate Inſtru- 
mentafbegleitung angewendet, gleichbiel ob dagfelhe im firengen aber freien Stil 
geſcrieben, ob es geiſtlichen oder weltlichen Inhalts fei. 





Accentus ecclesinstich, Kirenaccente, die für den lirchüichen Lefevortrag 
des Siturgen (modus legendi choraliter) beftimmten einfachen Recitationsformeln; 
dgl. den Art. „Liturgiſcher Gefang.“ 





Areidentalen, Acidentien, signa accidentia, die zufälligen chromatiſchen 
"er Erhöhungs- und Crniedrigungszeigen: #5 mit Bezug auf die ältere evan- 
oekiſhe Kirchenmuſit dgl. im rt. „Berjegungszeiden”. 


Ach Gott und Herr, Choral, der in zwei Formen vorfommt: a) in einer 
älteren, dorifch, bei Iohann Deep, Geiftl. Palmen und Kirchengeſ. Nurnb. 1607, 
und bei Joh. Herm. Schein, Kantionat. Yeipz. 1627. Blatt 427. Nr. 240: 











Pre — 23 


AG Gott und Herr, wie groß und fhrer find mein be gang · ne Cün den; 
































Fe ee == een 
































da il miermand,der helrfen Tan, auf dies fer Melt zu fin den. 


b) in neuerer Lesart in Dur, von Döring. Ghoraltunde 1865. S. 120 im 
polniſchen Kantional des Petrus Artomins von 1638 gefunden; im deutſchen evan- 
gelifcien Kirchengeſang eriheint diefe zweite Form zuerft in Chriftoph Peter, Andachts- 
Zymbeln. Freyberg in Meißen 1 ©. 573. Mr. 177, und in Gottfried Bor 
gefius, Neu Leipz. GB. 1682. ©. 518. Sie heißt: 


der ee Ge 3 






































AG Gott und Her, wie grofi und ſchwer find mein be gang · ne Sün-den; 


« 

F ————— ] 

= + ? == 
da it miemmamd, der felefen Bann, im die ſer Melt zu fin» den. 















































Durch diefe Umwandlung Hat aber die Melodie von ihrem eigentämlichen Wefen 
umd Bert umendlic viel und vielleicht mehr eingebit, als die meiften andern 
1* 





4 Ach Gott vom Himmel fich darein. 


Melodien, denen man das Charatteriſtiſche dadurch abftreifte, daß man fie nad den 
Gefegen der modernen Tonalität behandelte, ohne den alten Kirchentonarten, denen 
fie urſprünglich angehören, Rechuung zu tragen. Neuere Bearbeiter von Ch.BB. 
Haben diefen Übelftand dadurch anerfannt, daß fie ihm auf verfciedene, mehr oder 
weniger glücliche Weife zu befeitigen ſuchten. So giebt, um nur einige anzuflihren, 
3. 8. Chr. 9. Rind, CB. fr w. Kirchen. 1836. Nr. 144 u. 145, zwei Har- 
monifierumgen, indem er unter Nr. 145 Melodie und Harmonie einfah aus Dur 
in Moll überträgt; A. Mühfing, Ch. B. Magdeb. 1842, Hat ohne Anderung der Me- 
lodie eine zweite, dem Tert augenieffenere Harmonifierung, und A. G. Ritter, Bollft. 
Ch.B. 1848, ftellt neben die neue die ältere Form aus dem Cant. sacrum. Gotha 
1648. Hier fteht Teil II. Mr. 111 and nod eine wertvolle Parallelmelodie von 
Melchior Frand (vgl. den Art.); fie heißt: 








Ds 




















Ah Gott und Herr, wie groß und fer find mein’ be» gan-gne Siin-den;, 





4 


























SS) 
— ar 
da iſt niemand, der hel- ſen tann, auf die-fer Welt zu fin - den. 








Im der Mitte der Kantate „Ih elender Menſch, wer wird mid erlöfen von 
dem Leibe Diejes Todes?“ zum 19. Sonntag nad; Trinitatis hat Seh. Bad) die 
zuerft gegebene Melodie in ihrer ſpäteren Tirdenüblihen Form, mit der vierten 
Strophe des Liedes („Sole denn fo fein, daß Straf und Bein“) als Text, zu 
einem vierſtimmigen Sage benugt, „der an modulatorif—er Kühnheit das Unglaub- 
liche wirtlich madt“ (Spitto, Bad II. &. 506). Bol. Ausg. der Bach Gef. X. 
Nr. 48, 


Ad Gott vom Himmel fich darein, eine der Urmelodien der evangeliihert 
Kirche. Das Lied, nah dem 12. Pfalm 1523 von Luther gedichtet, erſchien erft- 
mals im fogenannten Achiliederbuch, Wittenb. 1524, jedoch noch ohne eine eigene Weife, 
mit Borzeihnung der Melodie „Es ift das Heil ung tommen her.” Dagegen findet 
ſich unfre Melodie: ı 


— — — 
= — 
Be SFr — 
Ach Gott vom Himmel ſieh dar cin und laß did des er + bar men, 
Wie we- nig find der Heil»gen dein, » ver-laf-fen find wir Ar « men. 


ee ——— 


Dein Wort man läßt nicht Ga « ben wahr, der Glaub ift aud er + for ſchen gar 





















































Ad) Gott vom Himmel fich darein. 5 








—— — 
m 


bi ale Im Menefäen + Kin 


noch im felben Jahre 1524 in den beiden Erfurter Endiridien: „Eyn Endieidion 
oder Hamdbudfein, eynem yplichen Chriften fat nuplic bey fih zu haben . . . .” 
Am Schluß: „Gedrudt zu Erffurd, yn der Permenter Gafien, zum Ferbefaße. 
MDXXIT.“ Nr. 12 und: „Encieidion Oder eyn Handbuchlein geyftlicher Gefenge 
vnd Palmen..." Am Schluß: „Gedruckt zu Erffordt zeum Schtwargenn Horne, 
bey der Kremer bruden.“ MDXXII. Jar. Bl. IVb. Nr. 12 — und dann in 
folgenden G.BB. der Reformationgzeit: Klugſches G. B. 1535. Bl. 42b. Ausg. 
von 1553. Bl. 54a. Babftihes G.B. 1545. I. Teil. Nr. 22. — Da 
Rittelmeyer, Die evang. Kirhenliederdicter des Etſaß. Jena 1856, recht habe, 
wenn er nad) Döring, Choraltunde. S. 32, Anm. für die Weiſe, die ſich allerdings 
auch fon im Straßb. Teutſch Kirchen ampt. Bogen C. DL. 1 findet, Strafe 
burger Urſprung in Anſpruch nimmt, ift nad) dem erften Auftreten derſelben num 
wahrfceinfich; auch von Luther, dem man fie noch öfters zugefchrieben findet, kann 
fie, wie Glävede, Gefangbucführer. Roftof 1872. ©. 584 richtig bemerft, nicht 
wohl fein, da fonft Walther nicht im jelben Iahre für fein Cherbücein eine neue 
Melodie für das Lied erfunden haben wiirde. — Diefe Waltherſche Weile (g k 
Ag abeag hypodoriſch) ging im Straßb. Gros Kirchen GB. 1560 auf das 
Lied „Der Herr ift mein getreuer Hirt“ über und hat fih mit Diefem in Nord 
deutſchland und in den Württemb. Ch-BB. von 1711 u. 1744 erhalten; fie heißt: 



























































[a ⸗ 
Der Herr ift mein getren —er Hi hätt mid in feiner oe 
(Da - rum mir garmictsmangeln wird? am irgend einem Bu + fe. 

















— * ee 
Er Läßt mi weidn ohn Un- ter: ff, da wäßfet das wohlfhmedend Gras 
— —— 

— — — 


fei ones Beil » ja» men Mor 



































Zwei weitere Melodien, die in der Reſormationszeit zu unfrem Liede hervor- 
traten, aber bald auf andere Lieder Übergingen, verzeichnet aurmiann bei Koch VIII. 
=. 526. — Eine treffliche Choralfantate zum zweiten Sonntag nad Trinitatis 
über „AG Gott vom Himmel fich darein“ von Joh. Seh. Bach ift nad den Orig 
nalen veröffentlicht in der Ausg. der Bach Geſ. l. Nr. 2. KM. Leipzig, Peters. — 
Diefelbe ift durch einen miotettenartigen Choralchor eingeleitet, der aud als felbftändige 
Motette verbreitet wurde. Vol. Spitte, Bah I. ©. 429 u. 430. ©. 438. Auch) 








6 Ach Gott, wie mandjes Herzeleid — Achtfüßig, Achtfußton. 


Et, Bachs Choralgeſ. I. Nr. 149 teilt dieſen Choralthor mit. Außerdem benutzte 
Bad) die Delodie dochmals als einleitenden Choralfag der Kantate „Schan licher 
Gott, wie meine Feind“ zum Sonmtog nah dem Neujahr (2. Ian. 1724). Bol. 
Spitte, a. a. ©. II. ©. 230. Daß Mogart für den Geſang der Geharnifhten 
im zweiten Finale der Zauberflöte (Part. ©. 286 ff.) unfere Melodie benugt Hat, 
it befannt. 


Ad Gott, wie mandes Herzefeid, zwei Choralfantaten von Seh. Bad: 
Nr. 1 C-dur, zum Sonntag nad; dem Neujahr (4. San. 1733); fie erhielt wegen des 
durchgeheuden Gegenfages von Klage und Troft in ihrem Inhalt den Titel „Dia: 
logus“, und benußt die erfte Strophe des obigen Liedes im erften Sag, die zweite 
Sirophe von „OD Deſu Chrift, meins Lebens Licht⸗ im Schlußchoral. Vgl. Spitta, 
Bach 1. ©. 293. Ausg. der Bach-Geſ. XIE, Nr. 58. — Nr. 2 A-dur, zum 
zeiten Sonntag nah Epiphanias über den Choral „D Deſu Chriſt, meins Lebens 
Licht,“ mit Stropge 18 („Erhalt mein Herz im Glauben rein“) von „Ad Gott, 
wie mandjes Herzeleid" als Schlußchoral. Ausg. der Bach Geſ. I. Nr. 3. 


Ad Herr mich arınen Sünder, Choralfantate zum dritten Sonntag nad 
Trinitatis von Seh. Bad, mit dem Choral „Herzlich thut mid verlangen“ zu 
Strophe 6 („Ehe fei ins Himmels Throne“) aus dem im Titel genannten Liede als 
Säluf. Dies Wert ift im Original is jet mod niht wieder aufgefunden und 
mur aus einer Abſchrift von 1803 bekannt. 


Ach ich ehe, jet da ich zur Hochzeit gehe, Kantate auf den 20. Sonn- 
tag nach Trinitotis (3. November 1715 zu Weimar) von Seh. Bad, über 
das Evangelium vom Könige, der feinem Sohn Hochzeit machte, Matth. 22, 1—14. 
Den Schlußgoral bildet eine von Bad aus den Weifen: „Herr id habe mif- 
gehandelt” und , Jeſu, der du meine Seele“ herausgebildete Melodie zur fiebenten 
Strophe von „Alle Menſchen müffen fterben“. (Vgl. den Art.) Cpitte, Bach I. 
©. 548. 11. ©. 595. Ert, Bachs Choralgeſ. II. Nr. 159. ©. 121. 


Ad; lieben Chriſten jeid getroft, Choraltantate "zum 17. Sonntag nad) 
Trinitatis von Seh. Bad, zu dem Choral „Wo Gott der Herr nicht bei ung hält“ 
mit dem im Titel genannten Licde, deſſen achte Strophe („Der Himmel und auch die 
Erden”) den Tert des Schlußchorals bildet. Ausg. der Bach Geſ. XXIV. Nr. 114. 


Adhtfühig, Ahtfußton, find techniſche Ausdrüde im Orgelban, von denen 
erſterer die theoretiſche, nur mehr oder weniger annähernd wirtliche Länge einer Gat- 
tung offener Sabialfimmen, — der zweite die Tongröße der mit diefen am folder 
übereinftimmenden Gedadte und Rohrwerle der Orgel bezeichnet. Man net: 
1. aptfüßige Stimmen alle offenen Labial. oder Flötenſtimmen, deren tieffter 
Ton, das große C, durch eine Pfeife hervorgebracht wird, die ohne den Pfeifenfuß 
nur vom Kern an gerechnet, einen Pfeifenförper von theoretiſch adt Fuß (2,4 m) 





Ad, was foll id) Sünder machen. 7 


Länge Hat. Für die wirffiche Länge der Pfeifentörper ift ſelbſtverſtändlich die Menſur 
der einzelnen Regifter don abjolut bedingendem Einfluß. Alle Pfeifen, welche zur 
Reihe einer O-pfeife von acht Fuß Fänge gehören, bilden zufammen ein adtfühiges 
Regifter, eine adtfüßige Stimme. Weil dieſe Regiſter an Tongröße mit der menſch- 
lichen Stimme übereinfommen, nannte man fie früher auch Aquale oder ÄAqual- 
fimmen (vgl. den Art.). — Man nennt: 2. Stimmen oder Regifter im 
Ahtfugton: a) die gededten Stimmen oder Gedadte, welde die Tou— 
größe einer offenen Stimme von acht Fuß Pfeifenlänge haben, und deren Bau auf 
die aluſtiſche Thatjache fih gründet, daß eine gededte Pfeife von beftimmter Länge 
eine Oltave tiefer ftimmt, als eine offene von gleicher Länge (vgl. den Art. Gedadt) 
und daher ein Gedadt mit Atjußton nur einen Pfeifenförper von vier Fuß Länge 
verlangt; b) die Rohrwerke oder Zungenftimmen, welde ebenfalls die Ton: 
größe eines achtfüßigen offenen Regiſters Haben. Weil diefe Stimmen entweder gar 
feine (z. B. Äoline, Physhermonite), oder dad nur fehr wenig ihrer Tongröße 
entiprehende Pfeifenförper (Heine Schallbecher, wie die Regale) Haben, fo fünnen fie 
nur mach ihrer Tongröße bezeichnet werden. — Eine Orgel, in der die größte Pfeife 
des Hauptmanuatregifters (Prinzipal) acht Fuß Länge hat, nennt man ein acht: 
füßiges Wert; die alten Orgelbauer nannten ein ſolches eine Halbe Orgel. 


Ad, was ſoll ih Sünder machen, Choral: 


FE>S — — 


Ad, mar fol ih Sün-der wia-chen, ach, was joll ih fan-gen an? 


— F——— some: 


mein @e wif- ſen Magt mich am und Ge» gin, me aufs zus mas dei; 





















































— 
dies iſt meine Zu» ver-fiht: mei - nen Der ſum Taf ih nicht! 

der ſich zuerſt als weliliche Weife zu dem Tert „Sylvins ging durch die Matten" 
in Enod; Gläfers (Brof. der Rechte zu Helmftädt, geb. 1628, geit. 1668) „Schäffer: 
Lelufigung, oder zur Fehr und Crgeglichfeit angeflimmter Hiethenlieder, Erſtes und 
anderes Bud. Nebenft zugehörigen Melodeyen, ausgefärtiget von Enoch Gläfern, aus 
Shlefien.” Altorf. 1653. Zweites Bud. Nr. 28, dann mit Tathofifhem geifl- 
fen Tert und als „Öelannte Melodie“ bezeichnet in Joh. Angelus’ „Heilige Seelen 
if“ 1657 findet. Im dem enangeliffien Firchengefang fam diefe Weile durch 
Johann Flitner, der fie 1661 in feinem „Himmlifc; Luftgärtlein" Teit V mit dem 
kefondern Titel: „Suscitabulum Musicum, d. i. Mufitaliifes Wederlin“ x. 
Greifiswald 1661. Zugabe ©. 463, für fein obenftchendes Lied verwendete und 


— — = 
+ —— ip X zeit De Bier 





























8 Ad) wie nichtig, ad) wie Nüd)tig. 


mit einem dreiflimmigen Tonfag verfah. Ihm wurde fie deswegen, nachdem man 
fie längere Zeit Andreas Hammerfhmidt zugeignet hatte, nad) v. Winterfelds Bor- 
gang’ allgemein als Erfinder zugeichrieben (noh Döring, Cheraltunde S. 103 
Hat: „won ihm twmahrfgeinlich" und weift auf Fudw. Ext, Cuterpe 1852 Hin) 
Bis man neuerdings ihre eigentliche Quelle fan. 


Ach wie nichtig, ach wie flüchtig, oder urſprünglich, wie auch noch Sch. 
Bad) hat „Ad wie flüchtig, ah wie nichtig“, Choral, deſſen Weife vom Dichter 
des Fiedes Dicael Frank (ol. den Art.) jelbft erfunden und mit deinfelben im einem 
Einzeldeud „Drei qriſtliche Lieder," Koburg 1652, zuerſt veröffentlicht wurde, 
Die Melodie heißt: 




















ES — — 
— 2 


Ach wie mid» tig, ach wie flüch- tig iſt der Mengen Le» ben; 


— == 


wie ein Ne bel bald ent + fle + Get, und aud wie- der bald ver-ge : Get, 


Be Ze 


ſo 7 — Ges ben, ſe het! 



























































Frank nahm fie mit dem Liede in fein „Geiftfihes Harpffenſpiel“, Kob. 1657, auf 
und von da ging fie im die Kirchen· G. BB. und in den allgemeinen Kirchengebrauch 
über. Die erften G. BB., welche fie enthalten, find: das Fineburger 6.8. 1661. 
Nr. 370. S. 349, und Joh. Crügers Praxis piet. mel. Ausg. 1661. Nr. 530. 
©. 815.1) — Seh. Bad) hat das Lied und feine Melodie in einer trefflihen 
Choraltantate für den 24. Sonntag nad) Trinitatis behandelt mit Strophe 13 
„A wie flüchtig, ach wie nihtig find der Menſchen Sachen“ als Schlufceral. Bl. 
Ausg. der Bad: Gef. V. Jahrg. Kirchen-Kant. Bd. LIT. Nr. 26. — Eine Bearbeitung 
diefer Kantate von Robert Franz erſchien in Bart, UA. u. Stn. bei Lendart in Leipzig. 





— 








1) Noch immer find mianche Forſcher in Zweifel, ob die Melodie wirtlich Frant angehört; 
Ert, EB. Berl. 1809. ©. 241 fagt mr: „angeblid von Frant gediätet und Tomp.,” 
Döring, Ehoraltunde 1865. S. 110 jhreißt fie nadı Winterfelds Vorgang beflimmt ihm zu; 
Jelob u. Rifter, CB. 1. S. 369 Haben: „joll ſhon in Mid. Frants Geil. Harpfienfpiel. 
Kob. 1657, vorlommen;“ Fer, Kirgenlieder:Ler. I. &. 29 behauptet: „Die von Frant felbft 
feinem Side beigegebene Melodie it nit in firhfigen Gebraud; gelommen. Die jet übliche 
Delodie in vom Joadjim v. Burd“ — afıte jedod irgend weigen Berveis Hiefür beiyubringen, 
was doch am jo notwendiger geweſen wäre, als die Mel. dann urſprünglich einem älteren Fiede 
angehört Haben müßte. — Duch Faift, Württ. Ch. B. 1876. 5. 45 u. 2ela ift Grant ale 
Erfinder ſiher fefgeftelt. 

















Actus tragieus. Acuta. Adam von Fulda. 9 


Actus tragiens — „Gottes Zeit ift die allerbefte Zeit,“ Kantate von 
doh. Sch. Bach, die feit ihrem Belanntwerden mit vollem Recht eines feiner bes 
fieteften Werte geworden ift. Nach Spitta, Bach I. ©. 451—52 ergiebt ſich 
mans dem Inhalt ihre Beſtimmung für die Totenfeier eines wahrſcheinlich ſchon 
bejahrten Mannes . . . Vieleicht galt die Kantate dem legten Rektor der Weimari- 
iten Schule vor deren Reorganifation, dem Mag. Philipp Großgebauer, deſſen Tod 
in dus Jahr 1711 fält," wäre alfo in diefem Jahr zu Weimar Tomponiert 
morden. — Ausgaben: Kirchenmuſit zu vier Singftn. von Joh. Sch. Bach. 
Herausgeg. von X. B. Marz. Part. Bd. U. Nr. 6. Bonn, Simrod. — Bear 
beitung von Robert Franz. Breslau, Leuckart. I. Serie der Kantaten. Nr. 10. 
Part, Stn., Kl-A. — Ausg. der Bach-Geſellſch. 23. Jahrg. 1876. Kr. Bd. 11, 
Fr. 106. — Kl. A. von Hugo Ulrich. Leipz. Peters. 


Aenta (sc. miscella) ift der Iateinifhe Name für eine Mirturftimme der 
Orgel, den „Scharf“. Vol. den Art. 


Adam von Fulda, Adamus a Fulda, ein für die Muſilgeſchichte wert: 
voller Sceiftfteller, der um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts blühte. Er 
ſchtieb eine Abhandlung „De musica“, die er unter dem 9. November 1490 einem 
Iuriflen Ionhim Lautaler widmete und die Gerbert in feine Script. ecdlesiast. 
Tom. II, &. 329—381 aufnahm. Glarean, der A, „Francum germanum* 
nennt, Hat ung im Dodecachordon. 1547. lib. III, ©. 261—263 eine vier- 
fnmige Motette „O vera lux et gloria® von ihm aufbewahrt und rühnt diefelbe 
als — elegantissime compositam ac per totam germaniam can- 
ti “ Ein Urteil Über diefe Mottete vgl. bei Ambros, Geſch. d. Muf. II. 
©. 300. "air Bezug auf ein Kirchenlied: „Ach hülp my leidt vnn ſinnlick Mag,“ 
ſowie hinſichtlich der Unterzeichnung der Schmalkaldiſchen Artilel wird dieſer Adam 
don Fulda noch immer mit Adam Kraft (Crato) genannt Adam von 
Fulda, einem namhaften heſſiſchen Theologen der Reformationgzeit, verwechſelt.) 
Diefer war 1493 zu Fulda geboren und ftarb am 9. September 1858 zu Mar- 
burg. Das obengenannte Lied dichtete er mac einem weltlichen Kunſtliede um (vgl. 
Badernagel, Kirchenl. I, S. 1081. Nr. 1314, 1315. Derſ. Bibliogr. S. 104 
%. S. 466); es ging in viele G.-BB. der Neformationsgeit über, konnte ſich aber 
feiner Hinftlihen Form wegen nicht halten und verſchwand mit Ablauf des 16. Jahr- 
Ber, 














3) Beide find [Son bei Walter, Muf, ter, 1782, Dann bei Gerber, Neues der. I. ©. 18. 
&äiling L ©. Bernedorf I. S. Fetis L 1860, ©. 13, 14. Mendel I. ©. 34 u. 
3 Demmer, Wlg. deutfhe Bingr. I. &. d4 vermeifet; die neueren folgten dabei wahrfärinic) 
Ara Vorgang Gödeles im „Grundriß”. — Über Adam Kraft ugf, man: Gruft Rante, 
Des Marburger ©.-B. von 1549. Darb. 1862. Vorrede S. NLII fr. und Koch, Geſch 
MAR. L 1866, ©. 289-9, 





il) Adjuvanten. Adlung. Äoline, Alaväoline. 


Ajusanten find Gehülfen des Kantors und Organiften, die in Heineren 
Städten oder Landgemeinden als Sänger oder Anftrumentafiften bei der Kirchen- 
mufit mitwirlen. Namentlich in Thüringen und andern mitteldeutſchen Landen if 
«8 althergebrachte Sitte, daß mufiffundige Gemeindeglieder fih beim Kirchenchor mit- 
helfend beteiligen, wofür fie an manden Orten aud eine Belohnung erhalten. Bgl. 
Spitta, Bad) I. ©. 221. IL. ©. 138 f. u. ©. 867. Anm. 





Adlung, Mag. Iatob, Profeffor am Gymmnaſium und Drganift an der Prediger 
fire zu Erfurt, ein mufitalifher Schriftſteller, deffen Werte namentlid für die ältere 
Geſchichte des Drgelbaues von Wert find. Er war am 14. Januar 1699 zu 
Vindersieben bei Erfurt geboren, deſuchte ITIL—1720 die Schulen zu Erfurt, 
und ftudierte 172123 am der dortigen, 1723—27 an der Umiverfität zu Jene 
Philologie, Philoſophie und Theologie. Schon als Knabe hatte er bei feinem Bater, 
der Kantor u. Organift in Bindersteben war, auch mufifalifhe Studien gemacht, 
die er dann in Erfurt namentlich unter der Leitung des Drganiften Neidardt, der 
ihm 1711 in fein Haus aufgenommen Hatte, jowie in Iena eifrig fortfegte. Im 
Dezember 1727 wurde ihm als Nachfolger Heinrich Buttſtetts der angeſehene Orr 
ganiftendienft an der Predigerfirhe zu Erfurt übertragen; daneben gab er Mufil: 
unterricht und baute Klaviere. As aber am 21. Oftober 1736 fein Haus abbrannte 
und dabei auch feine Mufilalien, Bücher, Danuftripte und fein Inftrumentenmadier: 
wertzeug zu Grunde gingen, wendete er ſich mehr der Lehrthätigkeit zu, habilitierte 
ſich 1741 an der Univerfität und übernahm 1744 auch eine Profeffur am Rate 
gymnafium. Diefe Ämter und feinen Organiftendienft behielt er bis an feinen Tor, 
der am 5. Juli 1762 erfolgte. Seine beiden Hauptwerte find: „Anleitung zur 
muſilaliſchen Gelahrtheit.“ Erfurt 1758. 8°. 2. Ausg. von Joh. Adam Hiller. 
Leipz. 1783, und „Musica mechanica organoedi“ mit Anmerkungen heransgeg. 
von Joh. Lorenz Albrecht. Berl. 1768, 4°, 


Holine; Klabäoline, ein erft in neuerer Zeit aufgelommenes und häufiger 
verwendetes Drgelregifter, das feinen Namen wohl daher hat, daß es die fäufelnden 
länge der fogenannten Aolsharfe nachahmen fol. Es wird auf zweierlei Art ge 
baut: a) ale Zungenftimme, die eine weicher intonierte Physharmonita 
(dgl. den Art.) iſt, und daher wie diefe einfhlagende Zungen von Argentan ohne 
Schallbeher hat, und mit 16 und 8 Fußton vorfommt;!) b) als Labiatftimme 
mit Körpern von Zinn und jo gebaut und intoniert, daß fie die feinfte und zartefle 


H Im der Orgel im Dom zu Bremen ſehte Joh. Friedr. Schulze 1850 eine „Bäys 
Garmonita 8°“ im UW. und eine „Aoline 8°“ im OW., unterfcheidet beide alfo nicht it 
Beug auf Tongröße, fondern mur.in Bezug auf Intonation; Haas in der Orgel des Miün- 
fiers zu Bafel hat „Phnsharmonifa 16°“ umd „Physharmenifa 8°“ nebeneinander, ohne letztere 
Stimme als „Holine” zu bezeichnen. 


Aoliſch. 1 


unter den Stimmen mit Zinnförpern darſtellt.) Als Yabialftimme fommt fie faft 
ausſchließlich unr mit 8 dußton vor. — 

Horiih, aeolius modus, mit feinem Plagalton Hypoäofifch der neunte und 
gehmte Kirchenton. Diefer Modus, der Typus der modernen Molltonart, wurde erſt durch 
Glarcan 1547 in das Syftem der Kirchentöne eingeführt. Zwar war er in der 
Praris längft vorhanden,2) aber er galt als transponiertes Doriih, obwohl er von 
diefem weſentlich verfhieden ift, weil er nicht Die erfte, fondern die zweite Quarten- 
gattung (mit dem Halbton zwiicen der 5. und 6., mit zwiſchen der 6. und 7. 
Stufe, wie das Doriſche) Harz?) allein da aud im Doriſchen in manchen Füllen die 
große Sert um eine halbe Tonftufe erniedrigt (d. h. 4 in D verwandelt) wurde,*) 
io derſchwand dieſer Unterſchied für die ausführenden Sänger, und die Tonreihe des 
Doriſchen wurde dadurch der des Koliſchen gleich. Glarean aber wies nun nad, daß 
auch auf dem Tone a als Grundton ein eigener authentiſcher Modus errichtet und aus 
demjelben ein Plagalton abgeleitet werden Tnne. Danıit war das Holifce als neuer, 
für ſich beftehender Kirchenton feſtgeſtellt, galt aber namentlich in feiner Verwendung 
als Modus in der Pfalmodie nod lange als Tonus peregrinus (irregularis).') 


1) So wird fie hauptſächtich von Walder und feinen Schülern gebaut und it unter den 
Stimmen mit Zinntörpern Pendant zu „Harmonifa“ (vgl. den Art.) unter den Stimmen mit 
Holzlörpern. 

®) @farean, Dodecach. Lib. II. cap. XVII. De acolis modo. &. 104 meint fogar, 
dafı das Aoliſche eigentlich der mahre ältefte Kirchenton fi: „modus Aeolius . . . vetus qui- 
dem, sed multis annis nomine exulans“ und weiter: „ut cum primi Eeclesiastici Romae 
santus ad vulgi aureis demodulandos conceperint, hunc modum primum usurparint.“ 

*) Glarean a. 0. O. ©. 104. 105 macht ansbrüclih hieranf aufmertſam- „. . . mon 
tam facit diapente re-la cum Dorio communis, quippe quae utrosque coneludit modos, 
quam diatesseron mi-la, superne huic modo (sc. Acolio) annexa, mire auribus grata, 
cum in Doris sit re sol... .. Finalis ejus est in A, quanquam etiam D, si quidem 
in b clavi est fa, quod nunc usus obtinnit, ut in aliis quoque modis. Fa tamen res 
efficit, ut apud ignaros, quo pacto modorum systemata natura distinguerentur creditus 
sit hie modus Dorius, et vulgus cantorum etiam num in ea est opinione.“ 

9) Byt. bei Ambros, Geſch der Mufit IL. 3.90 eine Stelle aus des Fra Angelico da 
Picitono Fior angelico di musica, ap. 48, wo Selonders der Anfang der Hymne „Avo 
maris stella“ als Beilpiel für dieſe Veränderung des Doriſchen angeführt wird. 

°) Lutas Loſſius, Erotem. mus. pract. 1590 fagt hierüber: „Est adhus Tonns qui 
vocatur peregrinus, non quod Peregrinorum sit, sed eo quod in concentibus nostris 
rarus admodum et peregrinus sit, ta dietus, quia non nisi in Psalmo: In exitu 
sra@l, ejusque Antiphona: nos qui vivimus usurpatur“ — und Sethus Calvisius, 
Exereit, mus. duae. Lips. 1500. S. 33: 7... vulgo Peregrinus Tonus, quae 
appellatio ipse contigisse videtur ex versu nono Psalmi sexagesimi primi: Extranens 
factus sum fratribus meis, et flis matris meae peregrinus. In vulgaribus enim 
Musieis libellis hie versus intonationi hujus Modi olim subseribi et exempli loco pro- 
‚poni solitus fuit.“ Vol. über den Tonus peregrinus auch Wollersheim, Theor. prakt. An 
weifung zut Etlernung des gregorianiſchen oder Ehorafgejangs. 2. Aufl. Paderborn 1808, 
©. 132. 152 und Yaberl, Magister choralis. 3. Aufl. Regensburg 1870. $ 32. 




















12 Ägnale, Äqualfimmen. 


Seine Tonreihe ſtellt ſich in ihren beiden Hauptformen, authentifd und plagal und 
deren Verſetungen nach Glarcan, Dodetachordon. 1547. S. 83 folgendermaßen dar: 


a) Aeolius regularis. 


























1. Aeolius auth. 2. Aeolius auth. transpositus. 
a eier 
— 
— AG 


b) Hypoaeolius regularis. 
1. Acolius_plag. 2. Aeolius plag. transpositus. 


— — Fee 


Doch ift Gier gleich zu bemerten, daß beim Koliſchen die Lage der Tonite 
für plagale Melodien an ſich ſchon ganz bequem ift und daher Verjegungen kaum 
notwendig waren, die denn aud in der Prayis nur in wenigen Fällen vorfamen. — 
Der Final: oder Schlußton der Tonart ift A, ihre Dominante E; ihre darakte 
tiftifchen Melodietöne find die Heine Terz, die e8 mit dem Dorifhen gemein Hat, 
und die eine Sert, durd die es fid von dieſem unterſcheidet. Bezüglich feines 
harmoniſchen Inhalts Hat das Aoliſche: auf der Tonifa den Dreiffang ac e, auf 
der Terz c e 8, auf der Quart d f a, auf der Quint e g h, und auf der Ser 
f 8 6, im ganzen drei weiche und zwei harte Dreillänge. IS befonders caratte— 
riſtiſche Modulation Hat es die vom Tonitadreiflang nad) dem großen Dreillang der 
Septime, und unterſcheidet fih dadurch ſowohl vom Doriſchen, ala vom modernen 
A-moll, die beide dieſe Modulation nicht Haben können, weil fie die Septime bei 
auffteigender Bewegung erhöhen. — Bon Choräfen, die der äoliſchen Kirchentonart 
angehören, jeien beifpielsweife genaunt: „Exhalt uns Herr hei deinem Wort" — 
„Here ih habe mißgehandelt — „Nun fomu der Heiden Heiland“ — „Nun fis 
der Tag geendet hat” (gewöhnlich von a auf g verfeßt) — „Verleih uns Frieden 
anadiglich — „D Traurigkeit” u. a. 



































Äquale, Aqualftimmen, find ſolche Orgelfiimmen, die der menſchlichen 
Stimme an Tonhöhe oder Tongröße gleich find, d. h. die adıtfüßigen Stimmen. 
Bol. Matthefon, Bolt. Kapellmeifter. 1740. ©. 465. Anm. Im älteren Drget 
werten findet fih die Tongröße der adtfühigen Regifter gewöhnlich mit diefem 
Wort, ftatt mit „acht Fuß” angegeben, 3. B. Aqualprinzipal, Aqualgemshorn, ftatt 
Prinzipaf acht Fuß, Gemshorn acht Fuß u. ſ. w. Eine Orgel, die in ihrem Haupt 
manual ein Prinzipaf 8° (alfo ein Kaualprinzipat) Hatte, hieß daher Aqual 
prinzipal-Weri oder Halbwert (vgl. den Art.). Vgl. Prätorius, Synt. mus. 
I. cap. X. 


Ärgre dic) o Seele nicht. Äußere Stimmen. Agnus Dei. 13 


Argre dich o Seele nicht, Kantate zum 7. Sonntag nad Trinitatis (11. 
Iuli 1723) von Seb. Bad; ein zweiteiliges Werl, „das an innerem Gehalt Über 
die meiften vorhergehenden Kantaten hervotragt; die Reitative find ausdrudevoll, 
zum Zeil tief ergreifend, die drei Arien überbieten einander an Tiejfinn und Innig- 
keit.“ Vgl. Spitta, Bach II. ©. 189. 190. Der Schlußchoral ift „Es ift das Heil 
uns fommen her“ mit der Strophe „Ob fihs anließ ale wollt er nit" ale Tert. 


Hußere Stimmen, Aubenftimmen, heißen in jedem mehrftimmigen Tonftiid, 
jei es für Gefang oder für Inftrumente geſchrieben, die höchſte und die tieffte der 
beteiligten Stimmen, denen gegenüber alle andern verwendeten Stimmen Mittel- 
ftimmen genannt werden. Im Volalhor für gemifcte Stimmen bilden Sopran 
und Boß, in dem für Mannerchor der erſte Tenor und zweite Baß, in Inftrumentaf- 
tompofitionen die höchſte melodiefüßrende Stimme und der Grundbaß die äußeren 
immen. Die neuere homophone Duft hat namentlich im Choral den Sopran 
als eine der Außenftimmen zur melodieführenden gemadit, während in der erjten 
Zeit des evangelif—en Kirchengeſangs bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts (Lutas 
Sfionder 1586) die von der polyphonen Volalmuſit Herftammende Weife beibehalten 
und dem Tenor die Melodie gegeben wurde. Weil die melodiſchen und harmoniſchen 
Fortjchreitungen der Auenftinmen bemerfbarer find, als die der Mittelftinmen, fo 
waren fie von jeher an ftrengere Regeln gebunden, als diefe, und die alten Kirchen- 
tomponiften haben befonders Gei ihrer Melodiebildung diefe Regeln forgfältig beobadhtet ; 
ihre Choräle find daher mit wenigen Ausnahmen!) frei von jeder unregelmäßigen 
Fortfgreitung, jedem unfangbaren und namentlich dem Gemeindegefang unbenuemen 
Intervall. Die neueren Choralfomponiften dagegen Gaben darauf nicht immer ger 
mügend acht gehabt, und Melodiefcritte, wie fie z.B. in den in Wirttemberg viel: 
gejungenen Stnedtfjen Chorülen vortommen, find weder lirchlich, noch einem ſchönen 
Gemeindegefang günftig. — Beim Chorgefang ift das numerifde Verhältnis der 
Auenftimmen zu den Mittelftimmen wohl zu beahten, und es find die Außen- 
ftimmen ſtets fo zu befegen, daß fie von den Mittelftimmen nicht gededt werden. Auch 
bei der Aufftellung des Chores, bei der jelbftverftändlig vor allem die Raum- 
verhäftniffe maßgebend find, mäffen die Außenſtimmen fo aufgeftellt werden, daß ihr 
Standort ein hervorragender, atuftifch günftiger fei.?) 


Agnus Dei, der Anfang der Tertesworte des legten Hauptabſchnitts der 
Meffe in der Fatholifhen Kirche und daher in den Kirchentonwerten Über den Me: 











') As foldie Ausnahmen konnen z. B. gelten: der Tonfäritt gis! — c*, wie er in den 
Eiioräfen „EHrift unfer Herr zum Jordan kam“ und „Derzlich lieb Hab id} di, o Herr“ in 
Seth. Ealvifins Tomfägen 1697 vortommt, in neueren BB. aber dur, Verwandlung des 
gis im g Sefeitigt it. 

>) Ob daher Chorauffellungen, wie fi 3. 8. Merling, Der Gefang in der Säule. 188. 
©. 35 u. 86 giebt, die rißtigen feien, in mindeftene fraglich. 


14 M. Agricola. 


tert, den mufifolifchen Meffen, der Name des legten (fünften) Hauptſatzes derjelben. 
Der Tert iſt dem Worte Johannis des Täufers, Ev. Joh. 1, 29: „Siehe, das 
ift Gottes Lamm, welhes der Welt Sünde trägt,“ nachgebildet und fand frühe Auf 
nahme in die Kirchliche Liturgie. Schon in der griehijch-morgenländifgen Kirthe 
benugt, führte Gregor d. Gr. die lateiniſche Mberjegung: Agnus Dei, qui tollis 
peccata mundi, miserere nobis! dona nobis pacem! (in der Missa pro de- 
functis, dem Requiem: „dona eis vequiem!*) in die römiſche Kirche ein, we 
das Agnus Dei anfangs vom Priefter gefungen wurde. Papſt Sergius I. (687 
bis TON) nahm es in die Meffe auf und verordnete, daß es während der Admini— 
ftration der Hoftie vom Klerus und Volt gemeinſchaftlich gefungen werde; und Papit 
Habdrian J., zu Karls d. Gr. Zeit, übertrug es dem Chor allein, dem es dann 
verblieben ift. Die dreimalige Wiederholung lam im 12. Jahrh. auf. — Im der 
evangelifchen Kirche erſcheint das Agnus Dei ſchon im erften Jahrzehnt der Kirchen: 
derbefferung, zunächſt niederdeutfch, als liturgiſches Projaftüct in den Kirchenordnungen 
und zwar erftmals in der Braunſchw. K. D. von Bugenhagen 1528. Bl. P. VIIla 
und Q. Ib. Vgl. den Art. „Chrifte, du Lamm Gottes." Über. die liedmäßige 
Bearbeitung des Agnus Dei und feine Melodie vgl. die Art. „Decins” und „O 
Lamm Gottes unſchuldig 








Agricola, Martin, Kantor und Mufikdireftor zu Magdeburg, ein bedeutender 
Muftfgriftfteller des 16. Jahrhunderts, auch Tonfeger ebangeliſcher Choralmelodien, 
war am 6. Januar 1486) zu Sorau in der Nieder-Faufig geboren. Da feine 
Eitern arm waren, jah er ſich gezwungen, fein Talent für die „edle Fraw Mufitn“ 
(— wie er ſelbſt fagt) auf autodidattiichen Wege auszubilden. 1510 wandte er fih, 
um feinen Unterhalt zu ſuchen, nad Magdeburg, wo er zunächſt Privatunterriht 
in der Mufit und den Wiffenfhaften erteilte, bis er 1524 au der neueingerichteter 
Domſchule als erfter evangelifcher Kontor angeftellt wurde. Als folder ftarb er am 
10. Suni 1556. — Mehrere feiner Tonfüge über evangelifhe Kircenmelodien finder 
ſich in den Sammlungen von Georg Rhaw, Wittenb. 1544 (3 Nru.) und Wolf: 
gang Figulus, Wittenb. 1574 (1 Nr.). — Bon feinen Tonwerken wurden gedrudt: 

1. Melodiae scholasticae . ... Magdeb. 1512. — 2. Eyn kurhe deudſche 

Muffe... Wittend. 1528. Musiea choralis deudſch. daf. 1533. — 

4. Deudſche Mufita vnd Gejangbüdlein . . . Nürnberg 1540. — 

Ungleich wichtiger aber find feine muſiktheoretiſchen Schriften, in denen er 
an Kraft und Neichtum der Sprache feinem Beitgenofjen Luther nachſtrebt, und 


') Dies Datum giebt Koh. Geſch d. Kircienf. 1. 1866. S. 461 gang befinunt, ohne jedet 
feine Quelle zu nennen; während v. Dommer, Alg. deutſche Biogr. I. S. 50 mur fügt 
boren um 1486.“ (ir. Gehring bei Grove, Dietionary, I, &. 44 hat: „born about 150 
Sorall (?) in Lower Silesin® und fügt bei: „the assertion of his biographer Caspar 
that Agricola reached the age of seventy has misled all following writers as 1o the 
date of his birth.“ 

















3. Agricola. 6. 2. Agricola. 5 


die zu dem wichtigſten Quellenwerlen für die Muſilgeſchichte jener Zeit gehören. 
Auf feine „Musica instrumentalis“ gründet fih, neben Birdungs „Mufila 
getutfcht” (1511) faft einzig unfre Kenntnis der Mufilinftrumente des 15. 
und 16. Jahrhunderts") und auch für die Geſchichte der Entwicklung der Noten- 
ſchrift find feine Büder umentbehrlid) fir die bezügliche Forkhung.?) — Die 
twigtigften diefer Bucher find: „Musica instrumentalis deudjd.” Wittenb. 
1528 (meitere Ausgaben 1529. 1532 u. 1545). — „Musica figuralis deudſch, 
mit ihren zugehörenden Erempeln.“ *) Winenb. 1532, — „Rudimenta 
musices.* Wiitenb. 1539. — „Scholia in musicam planam.“ Wittenb. 
1540. — 





Agricola, Iohann, Motettenfomponift, war 1570 zu Nürnberg geboren und 
wurde um 1600 Säuftollege am Auguftinergymmafium zu Erfurt, wo er fid noch 
1611 befand. Bon ihm erjchienen: 1. Motetten mit 4-8 Stimmen. Nürnberg 
1601. 4°. — 2. Cantiones de praecipuis festis . .. dal. 1601. 4°. — 
3. Motettae novae. daf. 1611. 4°. 


Agricola, Georg Ludwig, Kapellmeifter und Komponift, der am 25. Oftober 

1643 zu Grogen-Forra bei Sondershauſen geboren war. Er erlangte feine wiflen- 

ſcaftliche und mufitaifdje Bildung auf den Gymnaſien zu Eifenad) und Gotha, ſowie 

auf den Univerfititen Leipzig und Wittenberg. In der hraktiſchen Mufit übte er ſich 

in der Kapelle zu Sondershaufen und wurde dann als Wolfg. Karl Briegels Noch 

folger 1670 Kopellmeiſter in Gotha („auff Friedenftein”), wo er jedod) ſchon am 
20. Februn 1676 ſiarb, erft 33 dahre alt.) — 

Bon feinen Kompofitionen wurden aufer zwei Inftrumentalwerfen (Sonaten, 

Pröfudien x.) gedrudt: 1. Buß- und Kommunionlieder wit fünf und mehreren 

Stimmen gefept. Gotha 1675. 4°. — 2. Deutfche geyftlice Madrigalien mit 
ze bis fehs Stimmen. Gotha 1675. Fol. 


*) Bol. v. Bofielervsti, Geſch. d. Infrumentafmuf. im 16. Jahrh. Berl. 1878. S. 54 fj. 
©. 59 fi. 77 fi. 82 fi. 87 fi. 90. 94. 98. 109. 

3) Mattefon, Epforus. 1727. ©. 124 ſcreibt A. irrtümlich das Berdienft zu, „Die alte 
Tabulatıre abgefäafit” zu Haben, und Gerber, N. der. 1. &. 20. Säilling 1. ©. 90. 
Bernedorf 1. &.94. gens I. ©.31. Mendel 1. S. 73. Kornmüller, der der fir. Ton- 
fumt21870. ©. 14 Gaben ihm ſammunich nacgeihrieben. Allein obwofl X. Mus. instr. Kap. V. 
BL. 28 1. 29 für die Abfhaffaug der Sautentabulatur ſpricht, fo will er dafür nicht etwa die 
Notenföeift, fondern mur die beffere Orgeltabulatur angewendet wiffen; beide Tabulaturen 
waren ad; noch lange nad) ihm im Gebrand), und mod; Marpurg, Krit. Briefe 1759. I. 
©. 498 muß Magen: „Schade mur, daß die Pantenfpieler in Abſicn auf ihte Tabufatur noch 
immer Scparatifien bleiben und ſich nicht zur neuen Sepreibart der Noten belehren wollen. . .* 

>) Dies überfept Fetis 1. S. 31 in läcerlihem Mipverändnis mit „avec des exemples 
pour former Voule.“ 

4) Bat, den feiner Leitenpredigt angehängten Lebenslauf. Gotha 1677, mitgeteilt von 
Spitta, Monatsh. für Muflgefh. 1871. ©. 35-38. 


16 IR. Ahle. 


Ahle, Johann Rudolf, bedeutender Kirchenlomponiſt, welcher namentlich der in 
der erften Häffte des 17. Iahrfunderts entftandenen geiſtlichen Arie Aufnahme in 
den Gemeindegefang verſchaffte. Er war am 24. Dezember 1625 in der Reihe 
ſtadt Mühlhauſen in Thitringen geboren und kam 1643, achtzehn Jahre alt, auf 
das Gymnaſium zu Göttingen, wo er den berühmten Neltor Georg Andreas Fabricius 
zwei Jahre lang zum Lehrer Hatte. 1645 bezog er die Univerfität Erfurt, und 
machte ſich Hier auch als Mufiter einen Namen, fo daß ihm ſchon 1646 das chen 
erledigte Kantorat an der St. Andreaskirche dafelbft angeboten, und als er fih 
weigerte, dasfelbe anzunehmen, förmlich) aufgedrumgen wurde. Mit viel Fleiß und 
Treue unterzog er ſich feinem Beruf umd fhrieb, um ſich einen tüchtigen Sängertior 
heranzubilden, eine Anweifung zum Singen (Compendium pro tenellis. Erfurt 
1648). Ende 1654) berief ihn der Rat feiner Vaterſtadt Mühlhauſen als Nadı- 
folger Joh. Voderrodts zum Organiften an der Hauptliche zu St. Blaſien dafelbft. 
1656 wurde er Mitglied des Nates und 1661 wählten ihn feine Mitbiirger zum 
Vürgermeifter, als welder er dann „treufic mit jedem ihm anvertrauten Pfunde 
wucherte, jo daß die bei ihm ſich findende eigentümliche Verbindung zwiſchen tüchtigen, 
gefunden prattiſchem Sinne für die Verwaltung öffentlidjer Angelegenheiten und 
zwifcien warmer Liebe zur Kunft, der Verein ächt Hünftlerifchen Selbftgefühls mit 
ungeheugjelter Demut, Ahle als eine der liebenswürdigſten Erfgeinungen jeiner Zeit 
darftellt." Er ftarb am 8. Juli 1673, erſt 48 Jahre alt, zu Miühlhaufen. — 
AUS Kirchenlonwoniſt ſehr fruchtbar, Hatte A. zunächſt das von Hammerfchmidt ge 
ſchaffene geiftlice Konzert mit Erfolg und fünftlerifher Einſicht weiter gepflegt, 
ſich aber dann von diefer größeren Kunftform ab und der geiftligen Arie mit 
Vorliebe zugewandt. Diefe war weſentlich ein- oder mehrftimmiges Strophenlied, 
mit infteumentaler Begleitung und inftrumentalen Vor- und Nacfpielen, von durch 
aus Heiner, kurzatmiger muſilaliſcher Form; es zeigt fih in derjelben das für die 
Botalmuſit der damaligen Zeit Überhaupt charalterifüſche Streben, dem Tertesworte 
im Ausdrud der Gefühle einer fubjettiv.empfindfangen Frömmigkeit foviel als möglid) 
nachzugehen und diefem Streben entſprechend, die ſüßeinſchmeichelnde Melodie in den 
Vordergrund zu ftellen, während die Kunſt des vielſtimmigen Satzes, der har 
moniſchen Ausgeftaltung der Melodie mehr und mehr zurüdgedrängt wurde und nad) 
und nad) verſchwand. Wenn bei diefer Rihtung, von A. fo wenig, als von irgend 
einem feiner Zeitgenoffen, die friſche fräftige Urfprünglichfeit der in einer großen, 
begeifterten Zeit entftandenen alten Sirdemmeife mehr erreicht werden fonnte, fo 
wußte er in feinen von reicher Erfindung getragenen Melodien doch noch einen 
allgemeiner ergreifenden Ton anzufchlagen, der es erflärlid macht, wie von den 120 
Liedſaben, die ſich in feinen Mufitwerken finden, nicht nur eine ganze Anzahl in den 

*) @pitta, Bad) I. &. 331-838 Hat geftätst auf amtlide Dofumente verſchiedene ſeither 
umlaufende irrige Angaben über beide Ahle beritigt. 1049-54 war Johann Boderrodt 
Drganift an St. Blafien. K 


J. R. Ahle. 17 


Gemeindegefang übergehen, fondern aud 27 namentlich in Muhlhauſen und dem 
übrigen Thüringen ſich is Heute in demfelben erhalten, und drei derfelben Eigentum 
der gefamten deutſchen evangefifgen Kirche werden lonnten.) Diefe drei Melodien 
find: „Es ift genug! fo nimm, Herr, meinen Geiſt“ („Gott ift getreu! fein 
Herz" 2) — „Seele, was ift ſchönres wohl” („Ruhe ift das befte Gut“) — „da, 
er 8, das Heil der Welt“ („Liebfter Ieju wir find hier”) — vgl. die beireff 
Art. — Eine weitere Seite zu Ahies Künftlertum „bilden feine Bisher unbefannt 
gebliebenen Leiftungen in der Orgelfompofition, denen feine Fertigkeit als Orgelfpieler 
entſprochen Haben wird. In den Orgelhorälen, die meiftens motettenhaft behandelt 
erfheinen, geht es freilih mod ziemlich planlos und wiltürlih her, wie es die 
damalige Kindheit diejes Kunftzweiges erwarten läßt. Hin umd wieder zeigen fid) aber 
ſchon deutliche Anfäge der Pochelbelſchen Form, und es if belehrend und intereffant 
zugleich, zu beobadıten, wie hier einem deutlich vorſchwebenden Ideal nachgeirrt wird, 
das, nachdem es einmal enthüllt war, jo einfad) und felbftverftändlic erſcheint, wie 
jede echte Wahrheit. Auch Mples Fugen find merfordige Hiftorifhe Dentmale. Die 
Form der Quimenfuge ift bei ihnen nod) nicht zum vollen Durchbruch gelommen: 
bieweilen beantwortet ſich das Thema erft in der Ottade und darnach in der Quinte, 
welche fetere Lage dann wieder eine Beanttwortung in der Oftave nach fih zieht; 
es kommt aud wohl eine ganze Weile ausſchließlich Oftavenbeantwortung vor. Enge 
führangen gleich am Anfange find beliebt, die Tonart ſchwankt zwiſchen alt und neu, 
die Pedalverwendung iſt unregelmäßig und jet ſehr geringe techniſche Fertigteit 
voraus. Im der Polyphonie ift die Zweiſtimmigkeit vorherrf_hend, und es werden 
fo geführte Partien gern in höherer und tieferer Berfegung wiederholt. Trop aller 
Unentroidelteit find diefe Orgeltompoſitionen ein Zeugnis von ernſter und ein- 
dringender Beihäftigung mit dem Gegenftande und tragen ein unverfenndar inſtru- 
mentales Gepräge.“?) 
Bon den Werken 4.8 find hier aufzuführen: 1. Geiſlliche Dialogen mit 
2, 3, 4 und mehr Stimmen. Erfurt 1648. — 2. Thüringifger neu- 
gepflanzter Luftgarten (26 geiftl. Stüde). 2 Teile. Mübfh. 1657-58. — 
3. Fünf Zehen neuer geiftlicher Arien mit 1,2, 3, 4 aud mehr Stimmen x. 
1. Zehn, Muhhlh. 1660. 2. Zehn, 1660. 3. Zehn, Sonderöh. 1662. 
4. Zehn, 1662. 5. Zehn, 1669. — 4. Zehn neue geiftliche mufitafiiche 
Konzerte. Mühl. 1663. — 5. Fünfzehn neue geiftlihe Andachten. Muhlh. 
1662. — 6. Fünfzig neue geiftlie Andachten. Mühlh. 1664. (Eine Ge 
famtausg. von Nr. 5 u. 6 erigien 1676.) — 7. Zehn geiftlihe CHorftüde. 


*) v. Binterfeld, Der wangeliie Kirchengeſang II. &. 206-828 giebt ein „uollfändigen, 
mit Liebe ausgeführtes Bild“ der Tätigteit MS als Kirhentomvonift, in dem er freilich eigent- 
fißen Gemeindegefang und tirchtichen Chorgefang niht immer genügend auseinanderfält, 

2) Bgl. Spitta, 0. 0. DO. &. 337. Die Orgelmerle As befigt A. ©. Nitter in Magde: 
Surg, der fie aus einem Tabufaturbude von 1675 fopierie. Cpitta gebührt das Berdienf auf 
diefe Seite von A. Thätigleit zuerft aufmerffam gemadit zu Haben. 

Xüsımerte, Lncnll.d. ang. Rircenmuft. 1. 2 





18 3.6. Ahle. 8. Albert. 


Sondersh. 1664. — 8. Zehn geiftiche mufitafiffe Konzerte. Condersh. 
1665. — 9. Geiftlihe Frühlingstuf. 12 neue geiflie Konzerte. Müblh. 
1666. — 10. Neuverfaste Chormufit in 15 geifllihen Motetten. Dühlg. 1668. 


Ahle, Johann Georg, der Sohn des vorigen, war 1650 geboren und unter 
der Leitung feines Vaters in der Muſit, für die er befondere Unfagen zeigte, aber 
auch in den Wiſſenſchaften gebildet worden, fo daß er jhon von 1672 an als Stelle 
vertreter feines Vaters im Drganiftenamte fungieren und 1673 deſſen Nachfolger 
werden kounte. 1680 wurde er von Kaiſer Leopold I. „wegen feiner Tugend und 
herrlichen Geſchidlichteit, ſonderlich aber jeiner vortreffligen Wiffenfhaft in der edlen 
teutfchen Poeſie, wie aud feiner wahren und anmutigen Art in der belobten Mufic 
und deren netten Compofition halber“ (Gerber, N. Ler. I. ©. 35) zum faiferlicen 
Voeten gekrönt. Nacdem er als einer der fleißigften Mufiffgriftfteler und Kom 
poniften feiner Zeit eine bedeutende Anzahl von theoretif_en und praftifcen Mufit: 
werfen (die jedoch bei dem großen Brande zu Mühfhaufen 1689 zum Teil voll- 
fündig zu Grunde gingen) veröffentlidt hatte, ſiarb er am 2. Dezember 1706 
und Iohann Sebaſtian Bad wurde fein Nachfolger als Organift (17078). — 
Auch Dohann Georg A. ift zwar ein bedeutendes Talent als Komponift nicht ab- 
zufpregen, wenn er auch nicht mehr an feinen Bater hinanreicht. Seine Behandlung 
der geiftlicien Arie Hatte aber laum noch lirchlichen Wert, um fo weniger als er 
aud allerlei weltlichen Schmud, aus damaligen Tanzformen entlehnt, für diefelbe 
nicht verſchmähte, und fie überhaupt nidt mehr „al® Glied der Gemeinde und um 
mit derfelben dem Gefühl der Gemeinde ein Stimme zu verleihen" ſchuf, jondern 
in rein fubjettiver Empfindung aus den Heinften Formen bildete. Nimmt man noch 
dazu, daß die geiſtliche Arie an ſich {hm „neder formell noch ideell die Bedingungen 
einer reiheren Entwiclung in fih trug", jo wird «8 erllärlich, daß die Bahn, auf 
der er ſich bewegte, zulegt im Sande verlaufen mußte. — Was er als DOrganift 
geleiftet, entzieht fi dis jegt der Beurteilung, da man feine Drgeltompofitionen 
von ihm fennt. — 


Albert, oder Alberti,') Heinrid, bedeutender Liederfomponift des 17. Yahr- 
Hunderts, Drganift zu Königsberg und Mitglied des dortigen Simon Dachſchen 
Dichterbundes. Er war am 28. Juni 1604 zu Lobenftein im Boigtlande geboren 
und follte auf der Univerfität Leipzig die Rechtswiſſenſchaft ftubieren, wendete ſich 
jedoch bald der Muſit, feiner Tieblingstunft, zu. Um fid in derfelben meiter aus- 






H So nennt ihn ſhon Walther, Mut, er. 1792, S. 22; feit Gerber, R. Ler I. ©. 47 
folte die ſaiſth fein; Ygl. Schilling I. ©. 124; Bernsdorf I. ©. 164, Mendel I. ©. 141, 
bis man neuerdings 3. ®. im Königeberger Taufbud; bei den Geburtseinträgen feiner Rinder 
„Henricus Alberti“ gefunden und eruiert Get, daß er felbfl im Stammdud Valentin Thilos 
1632 mit „Henricus Alberti, Lobensteinensis variscns“ untergidinete, Wal. Hollenberg, 
Deutfche Zeitfr. für Heißt. Wifenfä. u. Hrifl. Leben. Verlin 1859. Nr. 36 u. Rod. Grid. 
d. 8.2 I. ©. 191 Ann. 





5. Albert. 19 


pöilden, ging er nach Dresden, two der berühmte Heinrich Sch, fein Oheim, fein 
Lehrer wurde, Nachdem er unter deffen Leitung feine Studien vollendet hatte, wandte 
er fh 1626 nach Königsberg in Preußen, wo er fid als Tonfeger anfangs teil: 
weiſe unter den Einfluß des Johann Stobäus (vgl. den Art.) begab, in feiner 
räteren Zeit aber faft nur noch die Liedform pflegte. Durch die fhönen Gefänge, 
die er zu weltlichen und geiftlichen Liedern ſchuf, zog er die Aufmerfjamkeit der 
Geildeien Königsbergs auf ſich, fo daß man ihm 1632 die angefehene Organiften- 
felle on der dortigen Domfirche übertrug, die er bis 1646 inne Hatte.') Ein 
früber Tod machte ſchon am 6. Oftober 1651 feinem reihen und erſprießlichen 
Birten ein Ende.) — Seine „Arien,“ 192 deutfche geiftliche und weltliche Lieder, 
mit wenigen Ausnahmen don ihm ſelbſt fomponiert, find ihrem Inhalte nad) teils 
Gelegenheitsftüde: Hodzeits- und Grablieder, Huldigungsgefänge an hohe Berfonen 
oder für feine Freunde (Opig, Dach, Roberthin u. a.) im der Weife wie jene Zeit 
8 fiebte, teils Lieder allgemeinen religiöſen und weltlichen Charalters; — ihrer 
Nufit nad) Lieder, einftimmig mit Generalbaß, oder drei und fünfftimmig, mit 
infenmentafen Bor, Zwifhen: und Nachſpielen verfehen, — und ihr Komponiſt 
Kata, wenn nicht geradezu „der Bater der noch jeht gebräuchlichen Liedform," fo 
doh „ein Picderfomponift fat ſchon nad) modernem Begriff“ genannt werden. — 
Aus diefen „Arien“ gingen meun Melodien in den Kirhengefang der evangelifcen 
Kirhe über, und eine derfelben: „Gott des Himmels und der Erden“ 
(Arien V. Nr. 4 vgl. den Art.) wird demfelben für immer angehören. Die 
übrigen find: 

„Was wilt du armes Leben“ (Arien II. Nr. 4. Reinhard-Ienfen, 
„B. für die ev. Kirchen der Prov, Preußen. 1828, Nr. 126). — „I 
bin ja Herr in deiner Mat,“ (Arien VII. Nr. 12, vgl den Art). — 
„Einen guten Kampf Hab id" (Arien I. Nr. 3. Reinhard-Ienfen, 








) „Drganift an der Thumdbtirche in der Churflirfll. Stadt Kneiphoff Königsberg” Heift 
© 1989-46; von 1647 ab erfgeint fein Name ohne diefen Titel. Bgl..Monateh. für Dufit- 
sit 1872. ©. 220, 

¶ Walther, a. 0. O. und Matthefon, Ehrenpforte 1740. &. 1-5 geben 1061 als As 
Toehaht · als Todestag Hat Walther den „10, Dftober,” während Heerwagen, Litteraturgeſch. 
28.2. 1. ©. 66 den „6. Oltober 1051” giebt, was von Cofad in Piers Cv. Kalender, 
1861. S. 196— 208 beflätigt wird. Dei Gerber, a. a. O. findet fih zuerft 1608 als Todes. 
ie %6 und ihm folgen dann Rambach, Antl. II. S. 370. Schilling I. S. 124. Erid u. 
Srater, Eneytf. IT. S. 361 u. 0., mod; neueftens Kurtz, Kehrh. der Kirchengeſch. II. 1874. 
u. Fiſcher, Kirchenlieder-Lex. TI. ©. 426. — Dommer, Allg. deutihe Biogr. I. 1875. 
&.210 fagt: „fein Todesjahe in nicht fiher anzugeben, doch muß er 1055 oder 1656 geflorben 
kin, denn aus dem I. 1655 kennt man noch Gelegenfeitstieder von iym“ — allein fäon auf 
S Titel des VIE Teils der Arien, Ausg. von 1654 fleft: „Im Verlegung des Autheris 
Write.“ Dr. Gehring bei Grove, Dietion. I. 1878, &. 48 führt dies ebenfalls an, bringt 
sr dann gleichwohl als ganz neues Datum den „27. Jumi 1657“ ale As Todestag, ohne 
jeige Quellenangabe. 

2 














20 9. Albert. 


ChB. Nr. 18. Jalob- Richter, Ch-B. I. Nr. 96). — „Ih ſteh in 
Angft und Rein“ (Arien IV, Ir. 5. Winterfeld, Ev. 8.0. 1. Nr. 69. 
Reinhard-Senfen, CH.B. Nr. 164). — „Schöner Himmelsjaat” (1649, 
Grabtied für Urfula Iacobi; Keinhard-Ienjen, — 174). — „Mein 
Dantopfer Herr id} bringe“ (Mrien I. Mr. 5. Winterjeid II. Nr. 64. 
Reinhord-Ienfen, Ch. B. Anh. Nr. 58. Iatob-ticter, ChB. II. Nr. 979). — 
„D Ehrifte, Säuggerr deiner Glieder” (Arien V. Nr. 5. Winter: 








feld II. Nr. 67. Reinhard-Ienjen, Ch.B. Anh. Mr. 89). — „Unfer 
Heil {ft Tommen (rien IV. Nie. 7. Meinhard-denfen, Ch-®. An. 
Nr. 4) — 


In denfelben zeigt fih A. „als gluclicher Erfinder anſprechender Liedweiſen für 
den geiftlichen Gemeindegefang;“ ihre harmonifce Ausftattung und Behandlung im 
Stile feiner Königsberger Vorgänger liegt ihm nicht mehr beſonders an, und wo er 
fie verfuht, (mie z. B. bei „Gott des Himmels und der Erden“), bleibt ex 
hinter Eccard und Stobäus weit zurüc,“ weil bei einem kirchlichen Tomvert „jeine 
gefunde Urfprünglichteit, natüclige Wärme und Iunigfeit des Gefühle“ laum er- 
fegen fonnte, „was an Stärke der Vildfraft und freier Beherrſchung des Kontra- 
punlts ihm abging.“ ?) 

Sein Arienwerf, das in verfhiedenen Ausgaben und Nacdruden weit ver⸗ 
breitet wor, iſt betitelt: „Arien etliger teils geiftlicer, teils weltlicer, zur 
Andait, guten Sitten, teufcer Ficbe und Chrenluft dienender Lieder zum 
Singen und Spielen geleget 8 ericien 163850 in folgenden ein- 
zelnen Teilen: I. Teil 1638, 7 geiftl. u. 20 welt. Gef. 2. Ausgabe 1642. 
4. Ausg. 1652. — II. Teil 1640, 5 geif. u. 13 weltl, Gef. — „feinem 
hochgeehrten Heren Oheim,“ Heinrich Schüg, gewidmet. — 2. Ausg. 1645. 
3. Ausg. 1651. — III. Zeil 1640, 11 geifl. u. 19 weltl. Gef. % Ausg. 
1645. 3. Ausg. 1651. — IV. Teit 1641, 8 geiftl. u. 16 weltt. Gel. 
2. Ausg. 1645. 3. Ausg. 1651. — Eine Gefamtausgabe diefer 4 Teile in 
Forttur erfhien 1642. — V. Teil 1643, 8 geiftl. u. 18 weltl. Gej. 

9. 1651. — VI. Teil 1645, 10 geiftl. u. 14 weltl. Gef. 4. Ausg. 
VII. Zeit 1648, 12 geifl. u. 12 weltt. Gef. 2. Ausg. 1650. 3. 
Au 1654. — VII. Teil 1650, 13 geil. u. 12 welt. Oef. 2. Ausg. 1604.) 











3) Melodie und Tonfat difer Teen Sr. find von Anteine Voeſſet zu dem frangöfifdien 
Side „Du plus doux de ses traits amour blesse man coeur;“ beide eiguete A. feinem 
deutfäjen Siede an. Vol. v. Winterfeld, Zur Geſch heil. Tontunf I. &. 18. 

%) Daß er fein befondert finrler Kontrapuntift war, erflärt X, felöf damit, daß. er , weder 
von Jugend auf in diefer Kunft (er Dufi) erzogen, woch jemals die Abfiht gehabt, darvon 
Bofeffion zu magen.“ Bat. v. Dommer, Yandb. der Muftgeff. 1868, S. 327. Anm. 9. 

®) Darnadj entgäft die Sammlung im ganzen 193 Men, während W. Zappert, Muf. 
Wochenbi 1870, S. 17 nad} dem Gy. der Lönigf, Bist. zu Berlin nur 190 Men. zähft, da 
dort Teil VIT 25, Teil VEIT aber dur 21 Men. entpäft. Pier mag zugleih nod) bemerkt fein, 
daß Tappert, a. a. ©. ©. 3, 17 u. 18 den noch allgemein verbreiteten Irrtum, als wäre die 
urfprngtice Melodie zu „Anngen von Tara” von deinrich Albert, durd, die Mitteilung 
befeitig, daß in allen Ausgaben (geifjwiel ob Driginaf oder Raddrud) diefe Melodie — Zeit V 
Nr. 21 in der Überfgrift ausbeiclid) al8 „Aria incorti Autoris“ bejeißnet iR. 


3. $. Alberti. 2a 


Sämtlihe act Teile erſchienen dann im einer Geſamtausgabe in Partitur. 

Königsberg, 1652. Fol.) 

And; die Vorreden zu den verihiebenen Teilen der Arien find noch jet leſens⸗ 
wert; A. giebt ung in denfelben „von feinen Wünfhen und Beſtrebungen Reden- 
fSait, teilt. viel Unterrichtendes mit, und verftäckt nod) die ſchon durch feine Melodien 
eingeflößte Zuneigung zu ihm durch Beſcheidenheit, Einſicht und Achtung vor allem 
Hüheren.”?) 

Ein Tobias Albertus, auch Alberti genannt, entftammte mögliherweife 
derelben Familie, wie unjer Heinrich Albert, er war 1609-—11 Kantor zu Mühl: 
erg geweſen und wirfte darauf als folder unter befonderer Anerlennung 1614—18 
zu Torgau?) — 


Alberti. dohann Friedrich, hervorragender Orgamift und Tonfeger, der am 
N. danuar 1642 zu Tönningen in Sälesroig geboren war. Er befuhte das Gym 
neſun zu Straffund umd ftudierte dann zu Roftod Theologie, zu Leipzig Redhts- 
wifenfhaft. Im Leipzig trieb er unter der Leitung feines Landsmanns Werner 
Fabricius, Orgamift am St. Nitofni, mit Eifer und Erfolg and mufttatifche 
Stadien, bildete fih zum tühtigen Orgamiften aus und wurde als folher am Dom 
zu Merfeburg angefelt. Von hier ging er 1676 mad Dresden umd madite bei 
dem Kapellmeifter Vincenzo Albricci, den er ſchon in Stralfund lennen gelernt Hatte, 
mod weitere Studien in feiner Kunſt, um dann in Merfeburg eine jo Bedeutende 
igteit als Kirchenlomponiſt zu entfalten, daf er fih den Ruf erwarb, neben 
feinem Altersgenofien Ioh. Chriftoph Bach u. ar, einer der beiten Meifter feiner 
ganzen Zeit zu fein. 1698 mußte er infolge eines Schlaganfalle, der feine rehte 
Seite lahmte / fein Ymıt aufgeben, flarb aber erft am 14. Iumi 1710. — Bon 
feinen fihfiden Volelwerlen mar bis jebt nichts wieder aufzufinden, dagegen haben 
ait verfhiedene Drgeltompofitionen von ihm erfalten.‘) — 


) Der verdiente Kantor Ambrofius Brofe zu Breslau beforgte eine Pandausgabe der ſeche 
rien Teile der Albertfäen Arien in zwei Oltavbänden, Leibz. und Brieg, 1657 — „weil Die 
iin Sieder oder Arien des H. Albert zwar vor I1 Jahren in Öffentlichen Drud und in 
Aefio zu Finden gewelen, die Eremplaria aber ganz abgangen, wie auch da man faft feine mehr 
fafaft werden mag, und dod) von vielen Leuten geliit und, wiewohl vergeblid) gefuchtewerden.“ 

# Bol. Borrede zu C. Band, Deutſqher Liederfranz aus dem XVIL Jah. für 1 Singft. 
nit Bianof. Leipzig 1865, wo verfchieene Gefänge Ms und einiger andern der Gegentvart neu 
jinglid) gemacht find. 

*) gl. Bertram, Chronil der Stadt Mühlderg. Torgau 1865. ©. 42 und Dr. Otto 
eusert, Die Pflege der Muſit in Torgan. 1868. ©. 17 

) Spitte, Bad} I. &. 98 u. 99 beipricit einige Liefer „vortrefffihen“ Drgelflüde, die ihm 
einer Handferift Walthers vorlagen. G. W. Körners „Orgelvirtnog” Nr. 05 enthält eines 
eielten, — Mad Fötis, Biogr. des mus. I. &. 50. 51, der ihn unter dem Namen „Albert“ 
erfüßet, ſoll fih ein „Libera me“ von ihm auf der Vibtiothel zu Paris befinden. Bat. auch 
Berhefon, Ehrenpforte 1740, S. 6 fi. umd Fürftenan, Geſchitte der Mufit am Hofe zu 
Tun. 18.143, 




















7 Alla breve. Allein Gott in der Höh fei Ehr. 


Alla breve, eine Taftart, in der die gejamte ältere Choralmufif, die älteren 
und noch viele neuere Werte der kirchlichen Figuralmuſit geſchrieben find. Der Name 
derfelben fommt aus der Menfuralmufit her, in welder die vier größeren Noten- 
arten — Marima, Longe, Brevis und Semibrevis — ſowohl in dreieitiger als 
aud in zweizeitiger Menfur, d. h. fo gemeffen wurden, daß die größere Noten- 
gattung die nächft Heinere ſowohl dreimal — Tempus perfectum, — als aud) 
zweimal — Tempus imperfectum — enthielt. Im älteren Allabreve-Tatt 
wurde die Brevis als Tafteinheit (Taetus, Schlag) angenommen; derfelbe Hatte 
als Tattzeichen für das Tempus perfectum (die Brevis drei Semibredes, 
==000) ven Kreis Q — für das Tempus imperfectum (die Brevis 
zwei Semibreveg, I = > 2) den nad rechts offenen Halbfreis C. Diefe Weiſe 
erhielt fih an manden Orten in Deutſchland bis ins 16. Sahrhundert hinein, 
während die Niederländer ſchon felher zu der bequemeren Taftweife übergegangen 
waren, nad welcher die Semibrevis als Talteinheit — Taetus oder Schlag — 
galt. Wolte men in den fo diminuierten Taltatten eine doppelt fo ſchuelle Be- 
wegung, fo wendete man ſchon im 17. Iahrundert den Allabreve-Taft an, der 
fo genannt wurde, weil dabei nicht wie gewöhnlich nad) der Semübrevis, ſondern 
nad) der Brevis — alla breve 4 — die Bewegung gemefen wurde. Die Talt- 
zeichen aber blieben dieſelben, nur wurden fie für den Allabreve-Taft mit einem 
fenfredten Strich durchſtrichen: OG- — Die Formen des modernen Allabreve- 
Tattes find: 

@) gerade, zueitefige, und diertiige, 3 und 3 Loft begeichnet mit (2, C4, 
oder nur (& für 2 und $ Tal, (5 2. Menbeefohn in „Tu es Petrus‘) 

DR ungerade, Dretiige und ſechoteilige, 3, $ und $ Tatt, bezeichnet mit (5 3, 
32,8 

Sept wird der Allabreve-Taft nicht aflein in der Kirhenmufit, fondern aud) 
1 den Formen des freien Mufiftils mit beigegebenen Tempobezeichnungen (5. B. 
ia breve non troppo u. dgl.) verwendet und fein eigentficher Charakter, der 
ia Heinien (Der Generalbaß, Dresden 1728. &. 332—33) „ernfte, würde- 
volle und markierte Bewegung, bei mäßiger Gefhtindigteit” verlangt, hat ſich 
diemlich verwiſcht. 


Allein Gott in der Höh ſei Ehr, Choral: 


— — See 


NAl-Iein Gott in der Höh fei Chr und Dantfür fei » me Gna » de, 
\ Darum dap nun und nim-mermehruns rl ren Tan kein Sa » de. 









































— — f — 























Ein Wohl-ge-faln Gott am ums Hat, nun iR groß Fried ohn Un « ter» Tafı, 

















Allein zu dir, Herr Jeſu Ehrift. 23 





— — 











al Seid Hat nun ein En - dei 


deſſen Tert ohme Melodie ſich zuerſt niederdeutſch in folgenden G. BB. findet: im 
fogen. Speratus-Bud 1526, Bl. Giiij. (vgl. Mügen, Geiftl. Lieder I. ©. 230), 
— im Sluterſchen GB. Roftod 1531, Bl. Lijb. und im Waltherſchen G.B. 
Magdeb. 1534, Bl. Miiij. (vgl. Wadernagel, Kirchenl. II. S. 5ü5—56 
Nr. 615. 616. 617). — Hocdeutih und zugleih mit der Melodie treffen wir 
das Lied zuerft im Bal. Schumannſchen GB. Leipz. 1539, Bl. 87, ferner im 
folgenden älteſten G.⸗BB. der Reformationgzeit: Magdeb. G.-B. (Lotther) 1540. 
Dt. 88a.; Kugelmann, Concentus novi trium- vocum. Augsb. 1540; Bal. 
Babſiſches ©.-B. 1545. I. Teil, Nr. 61. — So fange man Hans Kugelmanns 
(ogl. den Art.) eben angeführtes Wert al älteſte Quelle der Melodie anfah, wurde 
diefelbe vielfad ihm als Erfinder zugefcrieben, ſpätere Forſchungen ergaben, daß 
fie wahrigjeinlic vom Dichter des Liedes, Nilolaus Decius (vgl. den Art.), 
felbft nad; der aftfiturgifchen Weife des „et in terra pax hominibus bonae 
voluntatis“ im Gloria ad Kyrie magnum dominicale mit Heinen Anderungen 
für taft- und liedmäßige Ausgeſtaltung auf fein deutſches Lied übertragen fei. Val. 
Tuer, Schat des ev. Kirchengeſ. II. ©. 384. Cuterpe, 1855. ©. 80-84. — 
Seh. Bach Hat diefen Choral in mehreren Kantaten als Schlußchoral gelett,. fo 
3. B. in „Du Hirte Israels, höre“ mit dem Tert: „Der Herr ift mein ger 
treuer Hirt” — und in der Santate des letzteren Namens mit der 5. Strophe 
(„Der Herr ift mein getreuer Hirt, dem ich mid; ganz vertraue”) als Tertunterlage, 






























Allein zu dir, Herr Jeſu Chriſt, Choral: 
——— — 























a fein zu dir, Here Je > fü Chriſt, mein Hofjemung ficht auf 
36 weiß, daß du mein Trö + fer bill, fein Zroft mag mir fon 


Bere 


ME Som An⸗be⸗ ginn iR nichs ersform, auf Er- den 











— 









































— — 


— — * 


tem Helfen fan, ih ruf dich an, 


















mar fein Menſch ge «born, der mir aus Ni 


Peer —— 


zu dem ich mein Ber- tan + en han. 



































4 Alle Alenfchen müſſen erben. 


Die Bis jetzt älteſte Duelle der Melodie ift ein Einzeldrud von 1541, den 
Badernagel, Bibliogr. S. 177 beſchreibt; im Kirchengeſang erſcheint fie zuerft im 
Val. Babſtſchen G.B. von 1545. II. Teil. Nr. 21. Traditionell gilt als Er— 
finder derfelben der Dichter des Liedes Dr. Johann Schnefing (Chiomufus); allein 
diefe Tradition dürfte um fo weniger begründet fein, als dieſer aud als Dichter 
nicht abſolut ſicher iſt. Vol. darüber: Cunz, Geſch des Kircheul. I. ©. 233. 
Nittelmeyer, Die ev. Kirchenliederdichter des Elſaß. ©. 37. 38. Mügell, Geiftt. 
Lieder, ©. 94. Wadernagel, Kirchenl. IT. &. 176, Nr. 204. Koch Geſch. des 
Kirchenl. L ©. 377. IV. ©. 551. VII. ©. 219 (Saurmann). — Eine 
Choraltantate über die Melodie auf den 13. Sonntag nad Trinitatis von 
Io. Seh. Bad zwiſchen 1735 m. 1744 in Leipzig Yomponiert, iſt nad den 
Originalen herausgegeben: Ausg. der Bach-Geſ., VIL. Iahrg. Kri-K. IV. Bd. Nr. 33. 
Im Shhlußchoral diefer Mantate, mit der 4. Stropge des Liedes („Chr fei Gott in 
dem höchſten Thron“) als Tertunterlage, erſcheint fie mit einem trefflichen, reichen 
Tonſatz gefmildt, 





Alle Menſchen müſſen fterben, Choral: 








I — It = =] 
EB ———— — 
(die Meiigen müf-fen fler-ben, al les Fleiſch ver » geht wie Heu; 
Basda Te» bet muß ver-der-ben, fell e8 am ders der- den nem. 









































I — — 
— Ze et} 
Dierfer Leib der muß ver- werfen, wenn er am-ders [ol ge + ue- ſen 









































; —— 
—— — 


der fo gro-fen Dert lich leit, die den From- men ift be- reit. 





Das zur Leichenfeier des Kaufmanns Paul von Heußberg in Leipzig am 
1. Juni 1652 von dohann Georg A binus gedihtete Lied foll der Komponiſt 
Dohann Rofenmäller (ugl. den Art.) der Tradition zufolge für diefe Gelegen- 
heit mit vorflehender Melodie verfehen haben. Doch entbehrt diefe Tradition jeglicher 
Begründung. Die Melodie erſcheint erfimals in Johann Crügers Praxis piet. 
melica. 19. Ausg. Berl. 1678. ©. 1150. Pr. 660 und im Sünehurger ©.-8. 
von 1686. Dod; lautet der Schluß Hier noch fo: 








— ⸗ 
die dem Frommen iſt be reit. 














Alle Menſchen müffen erben. 3 


und erft in der 24. Ausg. der Prax. piet. mel. Berlin 1690. ©. 1355. Nr. 1016 
findet ſich derfelbe von Jakob Hinge") (vgl. den Art.) wie oben geändert. Und 
dies, ſowie der weitere Umſtand, daf am Ende der Tenor- und Baßſtimme in diefer 
Ansgabe des Chorals Jakob Hinge mit „I. H.“ unterzeihnet ift, hat Veranlaſſung 
gegeben, aud ihm für den Komponiften zu haften, Diele Annahme wird aber 
dadurch Hinfällig, dab „I. H.“ im felben Bude S. 1359 u. ©. 1388 aud bi 
Melodien (Mel. Bulpius „Chriftus der ift mein Leben“ u. Heinr. Alberts „Gott 
des Himmels und der Erden“) unterzeichnet ift, deren Urfprung zweifellos ift und 
Hinge daher durch feine Unterjhrift nur die Harmonifierung für fih in Anſpruch 
nehmen zu wollen ſcheint. 


Eine zweite, mehe in Siddeutfcland gebräuhlie Melodie ift: 





11* 




















x = = — 
zz — -S 

= 

Ie-f, meines Rerbens Le-ben, ge + fü, meine Lords Tod, 

Der du Dich für mid ge» geoben im die fefe fie Ser-lem- net, 


— — + = 
— 


in das äußer- ſie Ver-der -ben, nur daß id nicht möchte fler- benz 


Br = 


iau · ſend, tam-fend-mal fei dir, Tieb-fter Je + fü, Dant da- für. 
















































































Cie war nach Riederer, Abhandlung vom deutſchen Gefange. Nürnb. 1759, 
S. 260 urfprüngfic weltlich und findet ſich im Kirchengeſang erſtmals im Darm- 
ftäbdter Kantionaf, 1687. &. 537 zu dem Liede verwendet. Mit ihr verwandt ift 
eine Melodie, die im Lüneburger GB. 1686, S. 132, Nr. 228 bei „eu, heil 
den alten Schaden“ lebt; ihr erfter Teil ftimmt faſt ganz mit der vorftehenden 
überein; fie ift mit der Namenshiffer „F. F.“ unterzeichnet, was nah I. Zahn 
und Bode, Euterpe 1875, ©. 61-64 u. ©. 104-105 den Kantor Friedrich 
Fund (vgl. den rt.) zu Luneburg, und nicht, wie Ext, Choralbud 1863. S. 242 
meint, Friedrich Fabricius als ihren Erfinder bezeicnet.?) 


*) Hinges Tonſatz vgl. bei Scioeberlein-Wicgel, Schatz des liturg. Chor- u. Gemeindegef. 
II. 1868. Ar. 253, S. 874, 

*) Ro& eine dritte Weife iR Gier anuflren, weil ie von Seh. Bath Gerrührt. Sie 
erfdint am Säluß der von ihm für den 20. Sonntag nad Trinitatis (3. Nov. 1715) zu 
ZBeimar geifriebenen Rontate,Xd ich fehe, jegt da id) zur Hochzeit gefe,“ mit der 7. Strophe 
zuraftes Sieden ale Tert und Beift: 





% 


Alles iſt an Gottes Segen, Choral: 


Alles if an Gottes Segen. 








⸗ 

















— 
Al-les iſt an Got- tes Se-gen und am ſei-ner Gnad ge—le gem, 











—— 











— 
auf Gott Die Hoffnung fet + zet, 





#: 


«ber al» les Geld und Gut; wer 
































mem: 
* —* 
be Hält gang un - der- let jet 





eis nen frei-en Hel . den mut. 


der ſich zuerſt in Balth. Königs , Harmoniſchem Liederſchatz· Franff. a. M. 1738. 
©. 254 findet, Eine andere Lesart hat Ich. Seh. Bad „Bierft. Choralgefänge.” 
U. Zeit. 1769. Nr. 132. „Beide Lesarten von König und Bad bemeifen“ 
(nad) Spittas Meinung, Bach II. ©. 595. Anm. 22) „deutlich, daß fie nur 
Varianten älterer Urformen find.“ Nach Häuffer wäre bie Melodie eine der 
geiftfihen Arien von Johann Rudolf Ahle in einer Bearbeitung Georg Bernhard 
Beutlers von 1699 — während Winterfeld jagt, Ahles Weife Habe feinen Anklang 
gefunden und fei bafd mit andern vertauſcht worden. — Späteren Urjprungs find 
gwei weitere Melodien, die mit dem Liede da und dort im Kirchengebraucht find. 
Die erfte derſelben aus Joh. M. Hillers Ch-®. 1793 (ogl. Yatob u. Richter, 
Ch.B. I. Wr. 232. ©. 206 — Zahn, Euterpe 1878, ©. 27) heißt: 


















































A a 
= 

————— — 

sah ih ba be ſchon er blit · tet al » fe die > fe Herr« lich + keit! 


Ngetegumd werd ih [Gön ge + fhmüdet mit dem ei + fen Him -mels -Heid; 























— — Pe m ze! 3 3 








mit der glfd onen Ch» ren + frame ſich ih 


da 


re) 


vor Got «tes Thro» me, 
































Beeren 


ſchau⸗e 


fol she Fran «de 


an, die fein En de nehmen tann. 





Sub. Etl, Base Chorafgefänge II. Nr. 159 ertlärt fie „der Melodie „Iefu, der du meine 
Seele" (von 1643, ugl. den Art.) nadigebildet;" Spitta, der Bad I. ©. 548 nah „un 
enifcieden fäht, ob die fonf: unbelannte Melodie von Bad erfunden fei, oder nid,” dann 
Do. II. ©. 595. Anm. 22 — Ad „von Bade Urheberfcaft dur haus überzeugt“ ertlärt, läßt 
fie aus der Zufammenfämelgung der Melodien „Herr id Habe mißgehandelt” und „ef de 
dur meine Seele” Geruorgegangen fein.“ 


Alles iſt an Gottes Segen. 27 
— — — 
Al les iR am Got-te® Se-gen und an ſei mer Gnad ge > Te « ge, 


& See 


über alsles Geld und Gut; wer auf Golt die Hoffnung fet = jet, der behält ganz 
ES ES 




















































































































See 


un /ver— let- zet ei nen freisen SHel + dem-mut, 


Die zweite, für welche nad Zahn, a. a. O. Georg Peter Weimars Ch.B. 
Gotha 1803 die ältefte Ouelle fein dürfte (vgl. M. ©. Hilde, ChB. 1820. 
Nr. 17. Blüher, «Ch-B. 1825, Nr. 155. Ext, Eh.-B. Nr. 18. Yatob und 
Richter I. Nr. 231) lautet: 








£ * E = — Dar 
Ez —— —— — — 


M Les {Man Got-tes Sergen und an firmer Gnad ge le- gen, 













































































= ei 
® Free 
über al-Tet Geld und Gut; wer auf Gott die Hoffnung fet - jet, der be - hält ganz 

= u 











® Beet ———— — 

um» ver lett zet eiemen frei» en Hel-den-mut. 

Eine newe Melodie von With. Ortloph, Stadtfantor der proteſtantiſchen Kirche 
im Münden, bringt defien in Gemeinfcaft mit 3. Zahn, I. ©. Herzog und 
Fr. Gau beorbeitetes „Evangelifdes Choralbuch Münden 1844. Nr. 5. ©. 3 
(008 fogen. Manchener Ch.-B.); fie Heißt: 


+- — 
Be — — 
© 


A-tes iſt am Got-tes Sergen umd am fei- mer Gnad ge + fe» gem, 


—— * | 
& = — — * 


über af» les Geld und Gut; wer auf Gott die Ookf nung fet + zet, 


BE — — = = — = 
E ==: 


der be halt gang un »ver+Tete get eismen frei» en Gel-den- mut, 








































































































28 Alles nur nad) Gottes Willen. — Alt, Altfchlüffel. 


Ale nur nach Gottes Willen, Kantate zum 3. Sonntag nad, 
Epiphanias von Sch. Bad, mit einem „in herrlicher Breite dahinwallenden, von 
Inrigfeit überquellenden Eingangschor;“ das ganze Werl durGweht „eine vertrauene- 
feige, lindliche Innigkeit von rührender Gewalt." Bol. Spitta, Bach II. ©. 246 
bis 247. Den Schlußchoral bildet „Was mein Gott will, das gſcheh allzeit.” — 
Ausg. der Bach-Geſ. XVIII. Nr. 72. 


Alles was aus Gott geboren, Kantate zum Sonntag Ofuli (22. März 
1716) von Seh. Bad); die achte der Weimariſchen Rantaten, die jedod im Original 
nur nod in Bruhftücen vorhanden, und fpäter ganz in die Kantate „Ein fefte 
Burg ift unfer Gott“ (vgl. den Art.) Übergegangen iſt. Bgl. Spitte, Bach I. 
©. 555-557. II. ©. 300. J 


Alſo Hat Gott die Welt geliebt, Kantate zum Pfingftfeft, (1735) von 
Sch. Bad, „ebenfo gehaltreich wie durchaus eigentümlih;* fie enthält die berühinte 
Arie „Mein gläubiges Herze“ — übertragen aus der Gelegenheitsmufit: „Was mir 
behagt, ift mur die muntre Jagd.“ — Vgl. Spitta, Bad) II. S. 549—550. 
Ausg. der Bach-Geſ. XVI. Nr. 68. 


Art, Altſchlüſſel. Der Name des At, der zweithöchften unter den vier Haupt: 
arten der menſchlichen Stimme, ſtammt vom Lateinifhen altus, Hod, und wurde 
diefer Stimme im Mittelalter gegeben, als der Tenor in den Gefängen noch die 
Melodie, den Cantus firmus ausführt. Da war der Alt die erfle der Melodie 
oder dem Tenor in der Höhe gegenüber ftehende Stimme, und dies um fo mehr, 
als man in jener Zeit ihn von Männern fingen ließ, denen man entweder auf un- 
natürliche Weife, durch Kaftration, eine ungebrogene Stimme erhalten, oder aber 
auf naturlichem Wege durch Ausbildung der Kopfftinme, oder des Falfetts, das 
Singen diefer Stimme ermöglicht Hatte. Solche Atfänger hießen Alti naturali, 
Tenori acuti, oder Falfettiften,!) und wenn aud ihre Stimmen nicht die 
eigentliche Klangfarbe des Alt Hatten, fo war diefer Ausweg in der damaligen Zeit 
einerſeits geboten, weil namentlich in den Kirchenchören Frauen die Mitwirkung ver: 
boten war,?) — andrerfeit® fonnte er leichter eingeſchlagen werden, als jegt, weil die 





H Racı Fetis, La musique mise A la portöe de tout Ic monde. 8. Aufl. Paris, 1847. 
S. 365 finden fi Falfetiften noch jeht in Tonfoufe und feiner Umgegend und follen fi) deren 
Stimmen nur dadurch von weibligen Altflimmen unterkfeiden, daß fie eitvas tiefer feien, 
als diefe. 

2) € war Mattgefon, Neueröffnetes Oräieftre 1713. S. 206, der zuerft energiſch für 
die Zufaffung von Frauenftimmen auf den Kirhendior eintrat; er nannte Die dagegen erfobenen 
Bedenten „ftrupuleus und Geudjferifd,“ und ging Weifnaditen 1715 glei; mit der That voran, 
indem er drei Opernfängerinnen zur Mittsirtung Gerangog. Doch fgeint der Erfolg feiner 
Neuerung ein nicht eben rafger gewefen zu fein, da er „Critica musica“ 1725 II. &. 320 
no&mals für Dieelbe ſyrechen muß. 


Altargefang. 3. M. Altenburg. 2 


Gefangftüde viel tiefer gefegt waren. Im modernen Gefang werden nur noch die 
notilißen Aliſtimmen des weiblichen Geſchlechts, und zwar im Sologefang aus: 
ſeließlich, im Chören, befonders in Kirchenchören, aud die von Snaben verwendet.) 
— Der Ambitus der Altftimme erftredt ſich im ganzen von f oder g — f? oder 
g*, und es werden bezüglich desfelben zwei Arten des Alt unterfhieden: der tiefe 
Alt, mit einem Umfang von f, g — d?, es?, e*, — und der hohe Alt, der 
fh nad Umfang — a — f?, g? — umd Klangfarbe dem Mezzo-Sopran nähert. — 
Die Noten für den Alt werden gegemvärtig im Violinſchlüſſel gefcrieben, nur in 
Bartituren und namentlid) in folhen für Kirhenmufit, Hat man ieilweiſe die alte 
Notierung im Alt Glüffel beibehalten, oder aber die im Diskantſchlüſſel angenommen 
G- B. Mendelsfogn). Der Atfhlüffel bezeichnet das eingeftrichene c = € als auf 
der dritten Pinie des Notenfuftens ftchend, jo daß die Notenreihe ohne Verwendung 
von Hilfelinien um vier Töne tiefer reicht als beim Diskant, und um fehs Töne 
tiefer als beim Viofinfhlüffel. Das Zeichen des Altſchlüſſels it: 


HE oder: J 




















{og a 
«6 war bei den Alten damit der natürliche Stimmumfang des Alt begremgt, wie er 
bei der gewöhnlichen Altftimme im Vruftsegifter gegeben it. 
Im der Inftrumentalmufit werden allgemein nod die Viola und die Altpoſaune 
in diefem Schläffel notiert. 


Altargefang, liturgiſcher, in der evangelifen Kirche vgl. den Art.: „Liturgifcher 
Sefang.“ 


Wıtenburg, Mag. Johann Michael, namhafter Kirentonfeger, war am 
Trinitatisfefte 1584 zu Mad), einem Dorfe bei Erfurt, geboren, madjte aud feine 
Studien wahrſcheinlich in Legterer Stadt und wurde ſchon 1600 Scultollege an der 
Reglerfgule, 1601 Kantor an St. Andreas dafelbft, wo er 1607 zum Reltor der 
Andreasſchule vorüdte. 1609 übernahm er ein Pfarramt zu Hörsgehofen und 
Dorpah in der Nähe von Erfurt, ging 161 als Prediger nad Trögtelborn und 
1621 in gleiger Eigenſchaft nach Großen-Sömmerda. Im die Zeit feiner Amts 
führung am fegteren Orte fallen die ärgften Drangjale des dreißigjährigen Krieges, 
unter denen A, den feine Zeitgenoffen al einen „andüßtigen, eremplarifcen und 
geiftreicgen“ Prediger rühmen, foviel zu (eiden hatte, daß er 1637 ſich gepwungen 
ſah, nad) Erfurt zu flüchten. Hier wurde er Dialonus an der Auguftinerfiche und 


Es ift bekannt, daß im Berliner Dom chor, ſowie in dem neuerdings zu Ruf ger 
fangten Salzburger Kirchen hor, fowie in einigen andern nad) dem Muſter diefer 
gebildeten Kirchenchöre, Sopran und Alt nur von Knabenftimmen gefungen werden. Auch in 
England fingen in Oratorienchören noch gegenwärtig Männer den At. 


30 3. M. Altenbnrg. 


1638 Paftor zu St. Andrens. Als folder ſtarb er am 12. Februar 1640.) — 
A. Hatte fih von Jugend auf neben der Theologie mit beſonderer Vorliebe und 
ernftem Fleiße auch dem Studium der Mufit gewidmet und fid zum tidtigen Ton- 
feger ausgebildet. Er gehört in feinen Kirchenwerlen, aus denen mehrere Melodien 
in den Gemeindegeſang übergegangen find und die aud die Gegenwart nad; wertvoll 
genug gefunden hat, fie durch neue Ausgaben dem lirchlichen Chorgefang teilweiſe 
wieder mugbar zu maden, — mit mehreren feiner Zeitgenoffen jener Übergangs: 
periode in der Geſchichte der evangeliſchen Kirgenmufit an, in welcher die alten Ton- 
orten mit ihren Harmonien allmählich in Bergeffenheit geraten, die alte breite 
Motettenform allgemach einfhrumpft und das moderne Tonfyftem und mit ihm die 
Viedform ſich herausbildet. A., den zmar einer feiner Beitgenoffen den Orlandus 
Laſſus Thüringens nennt, ſteht als Tonfeger ganz im Banne diefer Übergangszeit, 
da die Tonfeger neues bringen follten, und die Mittel dazu noch nicht genfigend 
ausgebildet Waren, — da fie an den Geſangbuchsreimen feſthalten und doch freie 
motettenartige Chöre bilden wollten. Welche Schwierigkeiten das unentfiedene 
Stqhwanlen zwifcen Motetten- und Liedform den damaligen Tonfegern madıte, zeigt 
am deutlichiten Johann Eccard, obwohl er gerade diefe Schwierigteiten zum Teil 
überwand. Weniger war A. der Mann, fie zu überwinden; zwar wird man ihm 
zugeftchen müffen, daß er ſich in feinen Werten in der Geſellſchaft der befen deutſchen 
Tonfeper feiner Zeit wohl ſehen laſſen kann; dagegen darf auch nicht verſchwiegen 
werden, daß er in feiner oft ungelenten Modulation und nur ſchwer flüffigen 
Stinmenführung über einen gewiſſen ſchulmeiſterlich- pedantiſchen Dilettantiemns fih 
nicht immer zu erheben vermodte.) — Von feinen im Drud erſchienenen 11 lirch- 
lichen Muſitwerlenꝰ) iſt hier als das bedeutendfte zu nennen: 

„Ehriftlihe, üüebliche und Andehtige, Newe Kirchen: und Hauß- 
Gefenge x. Mit 5, 6 und 8 Stimmen componiret von Mag. Midael 
Altenb: pastore Tröchtelbornensi. Erfurt, 1620. 1621. 4°. I. Teil, 
1620. 15 Tonfäge zu 5 Stimmen. II. Teil, 1620. 26 Tonfüge zu 5, 
6 u. 8 Stimmen. HI. Zeit, 1621. 22 Tonfäge zu d, 6 u. 8 Stimmen ‘) 





H Die Daten aus As Leben bei Rambach, Anthol. II. S. 234. v. Winterfeld, Ev. 
8.0.11. ©. 87. Koh, Geſch des KL. I. S. 115-117 u. 248-249. u. a. waren bis 
jet fehr derſchicden umd wenig genan; die vorflehenden giebt nad Motfämann, Erfortia lit. 
5. Fort. ©. 000 f. Mb. Auberfen in den Monateh. für Mufgefä. XI. Iahrg. 1870, 
M. 11.8. 185 fi. — 

2) Bol. die ausfüßrlige Charalterihit Ms vom Gtandpuntte v. Winterfelds in deſſen 
Ev. 8-0. II. ©. 87 fi. — Allg. muf, Zeitg. 1870. Mr. 36. ©. 293-284. 

>) Diefe fümtlihen 11 gedructen Werte As find genau beſchrieben von A. Auberlen, 
a. a. D. ©, 186-195. 

) Son in das Cant, sacr. Goth. I. II. 1646. 1047 fanden 16 Tonfäge aus diefem 
Werte As Aufnahme. — Neuerdings find außer durch v. Winterfeld, Fr. Commer u. a-, 
durch ©. W. Teffner „Geifliche Muft aus dem 16. und 17. Jahrg. 2. Lieferung. „Mid. 
Altenburg, 11 vier: und fünffimmige Gefänge.“ Bart. Magdeburg 1870. Heinrigsgofen. Fol. — 





3. Chr. Altnical. 3 


Daraus find die folgenden drei Melodien in den Gemeindegefang übergegangen 
und haben ſich bis heute darin erhalten: 
Ieju_ du Gottes Lämmeélein. 
ecahcfde 
Herr Gott nun ſchleuß den Himmel auf (vgl. den Art.). 
chedefde 
Herr Gott Bater, ih glaub an did. 
dachahcis d.ı) 


Altnickol. Iohann Chriſtoph, ein tühtiger Organift der Bachſchen Schule, 
war um 1720 geboren und erhielt feine Schulbildung in der Thomasſchuie zu 
Feipzig, wo er einer der legten Schüler Seb. Bade in der Mufit war. Bon 
1745 am verwendete ihm fein großer Lehrer als Baffift beim Kirchenchor der 
beiden Haupttirhen,‘) und 1747 wurde er, nachdem ein Verſuch Wilhelm Friede 
mann Bachs, ihn 1746 als feinen Nachfolger mad) Dresden zu bringen, mißlungen 
war,?) Drganift und Scultolege zu Niedermiefa bei Greiffenberg. Als dann 
1748 die Organiftenfiele zu St. Wenzeslaus in Naumburg vafant wurde, erhielt 
er auf Bade Verwendung, — welcher ihn als feinen „ehemaligen lieben Eoolier,“ 
der „bereits ein Orgelwert geraume Zeit unter Händen gehabt, und die Wiffenfhaft, 
jolches gut zu fpielen und zu dirigieren, befige,” aud von „ganz befonderer Geidid- 
lihteit im der Rompofition, im Singen und auf der Biofine fei," empfahl‘) — 
diefe Stelle. Nun vermählte er fih am 20. danuar 1749 mit Juliane Frieder 
rite, der 1726 geb. Toter Seh. Bachs,) und der erſte Sprößling diefer Che 
erhielt (4. Oft. 1749) den Namen des Großvater. A. fand dann and am 
Sterbebette feines Meiſters. „Mit ihm Hatte Bad noch wenige Tage vor feinem 
Tode gearbeitet. Ein Orgelchoral aus alter Zeit ſchwebte vor feiner fierbenebereiten 
Seele, dem er die Vollendung geben wollte. Cr diltierte und Altnidol ſcqhrieb. 
„Wenn wir in höhften Nöten fein“ Hatte er den Choral früher bezeichnet; jegt 
f6öpfte er die Stimmung aus einem anderen Liede: er fie ihn überfhreiben „Bor 
deinen Thron tret id hiemit“ (Bgl. Spitta I. S. 759—760). Vaß der legte 
ferner durch Aufnahme von 14 Nummern bei Schoeberlein-Wiegel, Schatz des liturg. Chor- 
und Gemeindegef. ıc. Göttingen 1872. ®d. I. Nr. 01. 02. 77. 109. 110. 120. 180. 217. 
236. 3b. III. Ar. 339. 340. 389. 305. 396 — dem lirchlichen Chorheſang der Gegenwart 
wieder zugänglich, gemadit worden. 

3) Bol. die Originale der erſten bei Schoeberlein - Migel a. a. O. I. Mr. 180. ©. 512, 
der zweiten daſ. Ar. 120. S. 274, der dritten bein. Winterfeld, Ev. KoG. II. Notenbeilage ©. 24. 

2) Bol. Spitta, Bad) I. &. 500 u. ©. 727. Anm. 77. 

H Bol. Bitter, Bachs Söhne II. S. 171 und ©. 356, wo ein Attenfüd über diefe An - 
gelegenheit mitgeteilt ift. 

9) Die beiden bepiglicien Briefe Bache vom 24. und 31. Juli 1748 veröffentlichte Feiedr. 
Brauer in der Euterpe 1864. Ar. 3. S. 41-4. 

>) Wozu Bad feinen Better Joh. Elias Bad in Schweinfurt in einem Brief von 2. Nov. 
1748 einladet. Bgl. Lindner, Zur Tonlunſt, 1804. S. 07 Anm. Spitta II. S. 767-758. 











32 Amalia, Prinzeffin von Preußen. 


Schuler Bade, der erft im Mai 1750 bei ihm eingetreten Johann Gottfried 
Mütgel (vgl. den Art.), als ihm der- Tod nad; zwei Monaten ſchon den Meifter 
entriß, feine Studien bei unfrem U. fortjegte und, wie bezeugt wird,) „mit vielem 
Nugen ffir feine Kumft“ bei ihm fid) aufhielt (noch Mitte 1751), ſpricht fehr für 
deffen Bedeutung als Mufiler. Cr ftarb nad ehrenvollem Wirken zu Naumburg 
am 24. Juli 1759. — J — 

Bon ihm finden ſich auf der k. Bibl. zu Berlin mod folgende Werte 

im Mitr. aufbewahrt: Halleluja für 4 Stimmen u. Ord. — die Motette 

„Nun danfet alle Gott” für 5 Stimmen; — 2 Santtus für 4 Stimmen 

und Orgel. — Fugen und Sonaten für Orgel und Klavier. — Seine fleifigen 

und zuverläffgen Äbſchriften einzelner Werte Bachs bieten nod jet der Bach 
geiellfcaft ein wichtiges Material bei ihren Editionen. 

Amalia, Prinzeffin von Preußen, die mufiftundige Schwefter Friedrichs d. Gr. 
war am 9. November 1723 zu Verlin geboren. Unter Kirnbergers Leitung bildete 
fie ſich zu einer von ihren Zeitgenoffen anerfannten Klavierfpielerin und einer form- 
gewandten Komponiftin aus, wurde 1744 Kondjutorin, 1755 Abtiſſin des Stiftes 
Quedlinburg, und ftarb zu Berlin am 30. März 1782. Auf ihre Veranlafjung 
ſchrieb Ramler feine Paffions-Rantate „Der Tod Iefu“, die durch die Mufit 
Chr. H. Grauns fo befannt geworden ift. Die Prinzeffin ſchrieb ebenfalls eine 
Mufit zu derfelben, die zwar der Graunſchen gegenüber nicht aufzutommen vermochte, 
aus der aber eine Melodie als Choral in den Kirchengeſang übergegangen iſt. Es 
iſt dies die Melodie der Anfangöſtrophe der Kantate: „Du deffen Augen floffen* 
Gamlers Geiftl. Kantaten. Berl. 1760. ©. 21; vgl. Rambach, Anth. V. 
©. 80) die fautet: 


——— — 


Du deh- ſen Au-gen flof = ſen, ſo bald fie Bi» omfahn zur 


BEE SE et ef 
are + wel» that ent-fälof »fen fi fei «nem Fol « Te nahm! Bo 

— = * 
SS 
in das Thal, die Hög-Te, die, Je» fin, did verbirgt? Wersfol » ger ſei · ner 


Fe 
E>SSHSsssHe 




































































































































































Sees fe, habt ihr ihn ſchon er» würgt 
Durch Hinzudichtung von ſechs weiteren Strophen geftaltete A. H. Niemeyer, 
G. B. für Höhere Säulen, Halle 1785, ©. 69, daraus ein Paffionslied, mit dem 


') Bat. Gerber, X. 8er. 1. S. 980. Burney, Tageb. einer muf. Reifex. III ©. 208 fi. 
und Spitia, Bach II. ©. 128. 





Ambitns. 33 


die Melodie in firhliden Gebrauch kam. Diefe lehtere erſcheint zuerft bei Luhnau, 
&.8. 1, S. 200. Nr. 167, mit der Überfhrift: „Ihre Königl. Hoheit die Prin- 
ziftn Amalia von Preußen, 1782,“ dann bei Knecht u. Chriſtnann, Württ. Ch.-2. 
von 1799; Wärtt. CH.-B. von 1844. Anhang (Bierft. Choralmel. S.41.Nr. 56); 
Et, Ch-B. 1863. ©. 29. Nr. 40 und Jatob u. Richter, Ch-B. I. ©. 63. 
Nr. 65 geben diefelbe zu dem Liede Chr. Fr. Neanders (1724—1802) „Chrift, 
alles was Did) fränfet.” — Noch ift Gier anzufügen, daß fid die Prinzeffin A. eine, 
namentlich in Bezug auf ältere Kirenmufil, auferordentlid wertvolle Bibliothet 
geſammelt hatte, die fie dann dem Joachimisthalſchen Gymnaſium in Berlin vermachte; 
iebt iſt diejelde als „Amalienbibfiotfel” mit der Königl. Bibl. vereinigt. 


Ambitus, Umfang, in der Mufil Tonumfang. Man bezeichnet mit diefem 
Kumftausdrud: 

1. Den Umfang des ganzen Tonreihes Biß zu den Örenzen der mufir 
taliſhen Beflimmbarleit des Tones nad) oben und unten. Im der aften Zeit und 
His auf Guido von Arezzo im 11. Jahrhundert Betrug der Ambitus des ver- 
wenbdeten Tonfoftems nur» 15 Töne oder zoei DOftaven, von Aal; kurz vor 
Guido war zunäft als Erweiterung nad; unten & (das jogen. Gamma graecum) 
Hinzugefommen, bald nad ihm noch FED C nad unten und b! hi c? de e® 
mach oben, ſo daß num 20 Töne vorhanden waren; der Niederländer Guill. Dufay 
(aeft. 1432) foll Bis auf 34 Töne gelommen fein.) Die neuere Zeit fat den 
Ambitus des in Anwendung befindfigen Tonfyftems bis auf mehr als acht Oftaven 
erweitert, fo daß die Orgel jebt die Töne von „Cr, dem tiefften Tone eines Re- 
difters von 32 Fuß, bis P, dem f® eines einfühigen Repifters, entfält. 

2. In der Fugenlehre findet der Ausdrud Ambitus ebenfalls mehrfache 
Anmendung. Man begeitjnet damit: a) den Kreis der Tonarten, im melde eine 
regelrecht gebaute Fuge ausweichen und innert welcher fie Caläffe Bilden darf. 
Frühere Beftimmungen darfber vgl. bei Datthefon, Neueröffnetes Ord. 1713. I. 
©. 147; b) den Umfang der Oftov innerhalb welcher der Comes dem Dux zu 
antworten hat, fo dak wenn lebterer 3. B. mit CB authentifh beginnt, erfterer mit 
8 © plagafifd) und mit etwa mit g d zu antworten Sat. 

3. Seine wigtigfte Anwendung fand das Wort Ambitus aber in der mittel- 
alterlichen Muſillehre in Bezug auf den Tonumfang der Melodie. Die ütteften 
Kirhengefänge durften nad) dem Zeugnis Ölarcans (Dodecach, lib. I. Kap. 14. 
S. 34) den Umfang einer Quime Taum überfhreiten; fpäter, als im Gregoria- 
nifgen Gefang zu den vier autfentifchen Kirhentönen die vier plagalifgjen hinzu 
gefommen waren, enmeiterte man den Umfang bis zur Oftav und nuterfied chen 


') Rad Mams v. Fulda Angabe in feiner Särift De musica bei Gerbert, Script. 
eceles. IL. ©. 342, — obtohf die uns belannten Bolaftverte Dufays den Umfang von 21 
Tönen nict Überferitten. By. Baini-Kandler, Paleftrinn. 1894. ©. 153. Anmert. 2 (vom 
Kiefewetter). 

Rümmerle, Encpfl. d. vang. Ricdenmufll. I, 3 


34 Ambrofianifcher Geſaug. 


nach ihm die authentiſchen (Grundton bis Dftav) von den plagalen (Unterquarte Bis 
Dberquinte) Oftavgattungen. Bis zum 12, Jahrhundert war der Tonumfang der 
Melodien fchon bis auf zehn Töne gefliegen; dod durften die über die Oftav hinaus- 
gehenden Töne mur nad) beftimmten Regeln beigefügt werden.‘) Ie nachdem eine 
Melodie den ihr geftatteten Umfang ganz oder nur teilweife benußte, oder aber über- 
ſchritt, Hieg fie perfect, imperfect oder plusqguamperfect.?) (Bgl. den Art. 
„Cantus“.) Almähfig erweiterten fi die der Melodie früher geftedten Grenzen; 
im 16. Dahrhundert verwendete man bereits 10—12, einzelne Tonſeber aud) ſhon 
13—15 Töne?) Mit der Erweiterung des Ambitus kamen dann aud die zur 
Darftellung auf dem Notenfyftem nötigen verfciedenen Schlüffel, und noch fpäter 
die Hüffsfinien in Gebrauch. 

4. Noch wird der Ausdrud Ambitus in zwei weiteren Beziehungen gebraucht. 
Dan nennt: 2) den Ambitus einer Tonart die Gefamtheit aller derjelben eigenen 
Alfordverbindungen; namentlich bei den alten Kirchentonarten bie jede berfelben 
caralteriſierenden, fie don den andern unterfheidenden Allorde; b) den Ambitus 
einer Tonleiter die ſamtlichen ihr Leitereigenen Intervallg und Intervallverbindungen. 

Ambrofianifher Gejang, Cantus Ambrosianus, heißt die ältefte Gefangs- 
weife der abendlandiſchen Kirche Cie hat ihren Namen daher, daß der Tradition 
zufolge der Kirgenvater Ambroſius ihr Begründer gewefen und fie um 380 in der 
Mailändifhen Kirche eingeführt Haben foll. — Nadflänge diefes altehrwürdigen 
Kircengefanges Haben fi; zweifelsohne auch in einigen Choralmelodien der evan- 
gelifcen Kirche — wie z. B. in „Nun komm, der Heiden Heiland,“ „Komm, Gott 
Schöpfer Heiliger Geift,“ „Here Gott dich loben wir" — erhalten, und es wäre 
darum die nähere Kenntnis desfelben auch für die Geſchichte des evangelifchen Kirdhen- 
gefanges von Hohem Imtereffe. Allein mit welcher Liebe die Hiftorifche Forſchung 
aud von jeher bemüht war, Weſen und Weife des Ambrofianifhen Gejanges zu 
ergründen: fie fonnte zu wirilichen Reſultaten niit gelangen, da von authentifcjen 
Duellen, wie Aufzeichnungen in Ritual und Singbüdern, längſt aud die legte 
Spur verſchwunden ift. Dies erflärt ſich (eiht daraus, daß nad Einführung des 
Gregorianiſchen Gefanges kirchliche und weltliche Machthaber vereint beftrebt waren, 
die Ambrofianifce Gefangsweie nad) Thunlichteit zu beſchränken, ja fie, des einbeit- 
fijen Brauches im Kirchengeſang wegen, womöglich ganz zu befeitigen; wie man 

3) Vol. Tonale Bernardi bei Gerbert, a. a. O. II. S. 266. Die Belimmungen, welche 
weiteren Töne jede Kircjentomart benußen Dunfte, führt Fortel, Geſch d. Muf. II. ©. 172 an 

?) Rad; einer Andentung bei Martin Ageicofo, Gin Luck dendich Dufica. 1523. BI. 28 
Bis 32 glaubt Antony, Lehrb. des gregor. Gef. 1829. ©. 19, daß man diefe Venennungen 
ehemals als Überfäriften den Gefängen beigab, um weniger geübten Sängern das finden 
der ridjtigen Tonhöge zu erleichtern. 

3) Dod Hat fih) der gröfefte Meifter dieſer Zeit, Paleftrina, in feinen llaſſiſcen Kirchen 
werfen mit 9—10 Zönen Melodieumfang begnügt. Val. Kiefewetter, Uber den Umfang der 
Stimmen in den alten Mufikwerten. lg. muf- ig. 1820. 








Ambrofianifher Gefang. 35 


denn von Karl d. Or. weiß, daß er im feiner energifgjen Weife die Ambrofianifdien 
Mefbücher, deren er habhaft werden Tonnte, einfad) verbrennen ließ und die den 
Ambrofionifgen Gefang noch Tennenden und pflegenden Priefter und Sänger „über die 
Berge ins Eril" ſchiate — In der Mailändifgen Kirche, die den Ambrofianifcen Ritus 
in Begug auf die derſchiedene Einteilung und Ordnung der liturgiſchen Gefangsftäde, 
ſowie deren Zuteilung an den cefebeierenden Priefler und die Affifienten bis Heute 
feRgehaften Hat, mögen zwar Erinnerungen an den Yinbrofianifcen Gefang noch 
eben, allein fie zeigen fo wenig wefentlicje Verſchiedenheit vom regorianifcen, daf 
fih Schiuffe auf das Weſen des erfteren iaum darauf bauen faffen. So lamet 5.8. 
Gloria und Credo bei beiden folgendermaßen: 


Gloria: a) Römiſch 
Deere — — — == 
Glo - ri-a in ex-cel-sis De -. 


b) Mailändifg. 


ne en nn — 






































Glo - ri-a inex - cl - sis De- o. 
Credo: a) Römiſch. b) Mailändifh. 
SIE Be — — 




















Cre-do in u-nım De - um. Cre-do in u-num De-um.ı) 


Bei diefem Mangeln authentiſcher Ritualbücher, mußten die erhaltenen Zeug 
niſſe after Säheiftfteller über diefen Gefang um fo widtiger erſcheinen, aber aud 
fie geben nur allgemeine Andeutungen über deffen Eigentümficfeiten. Zunäft 
wurde Sefanptet, daß der heil. Ambrofins felöft in einem Briefe an feine Schtefter 
Dorcellina das Berdienft für ſich in Anſpruch nehme, die Tomalität und die Weife 
der Ausführung der Pfalmen, Geſange und Hymnen in der Mailindifgen Kirche 
geordnet zu Haben. Allein von den zoei Briefen desfelben am feine Schweſter, die 
einzig nod; vorhanden find, enthält der eine gar nichts von Geſang und Mirhen- 
mufit und auch der zweite ergiebt Teinerfei Begrlndung für diefe Behauptung.?) — 

3) Bgl. zu 2) Guidettis Directorium chori. Ad usum omnium Ecclesiarum. Romae 
1589 — mit dem der Geutige Brauch noch übereinfimmt; zu b) Missale Ambrosianum 
Caroli Cajetani Cardinalis, novissime impressum. Mediolani A. D, 1831 — und 
Camillo Perago, Sacerdote, Regola del Canto fermo Ambrosiano. Milano. 1622. 40.— 


Forte, Alg. Lit. der Muf. ©. 290. 

») Feue, Biogr. des Mus. I. ©. 85 fagt: „Saint-Ambroise nous apprend dans une 

lettre & sa soeur, Sainte-Marcalline, qu’il regla Ini-möme la tonalits et le mode 

Wexöcution des pseaumes, des cantiques et des hymnes quon y (in der von ifm 
3 


36 Ambrofianifder Gtſang. 


Die einzige zeitgenöffifcie Nachricht über den Ambrofianifgjen Gefang ift uns durch 
den Heil. Auguftinus erhaften. Er erzählt, daß Ambrofins, als Gegner der Arioner 
von der Kaiferin Iuftina verfolgt, ganze Nächte mit feiner Gemeinde in der Kirche 
durchwoacht und bei diefer Beranfaffung die Einrichtung getroffen Habe, Hymnen umd 
Pſalmen „secundum morem orientalium“ abzufingen, „damit ſich nidt 
das Volt in Gramesüberbruß verzehre.*!) Daraus fliegen num die einen’ ohne 
weiteres: „er verfaßte Hymnen nad Art der im Orient gebräugficen (chythmijch- 
ſtrophiſchen) und Gieß fie im der Weife des Morgenlandes (d. 5. mit gricchiſchen, 
meift dem diatoniſchen Klanggeſchlechte angehörigen muflfalifgen Weifen verſehen) in 
feiner Kirche fingen“?) — während andere dies Beftreiten und das „secundum 
morem orientalium® fo erflären: „man fang nah der Gewohnheit der 
orientaliſchen Kirche, wo man die Feute während der Bigilien mit Gefang wad und 
in der Stimmung erhielt; nicht aber: man fang diefelben Hymnen und nad) den 
Manieren der orientafifhen Fire") Auf die erftere Erflärung der Stelle des 
Augufinus, auf fpätere Zeugniffe Oddos v. Clugny, Guidos d. Arezzo u. a., 
ſowie auf den Gegenfag, in welchen der Gregorianifche Gefang zum Ambroſianiſchen 
tent, gründen ſich nun folgende Vermutungen über die Eigentümlicfeiten des lebteren. 
Es fol die Ambrofianifche Melodie entſprechend dem proſodiſch regelmäßigen Bau 
feiner Hymnen von fireng metrifcher Gliederung und Silbenmeffung und darin mit 
der antit griechiſchen verwandt gewefen fein. Denn Guido d. Arezpo, der mufifalifche 
Ree Anbrofanifgen Geſanges noch gelamnt zu Haben fein, führt Dieelben ale 


erbauten Kirde) chantait,“ — und Th. Helmore Sei Gran, Diet, I. &. 00 folgt ihm. Der 
gweite der beiden fragligen Briefe — libr. V, 33 — emäßlt den Streit um die Herausgabe 
der Bafılica an die Xrianer: „eircumfusi erant milites, qui basilicam custodiebant. Cum 
fratribus psalmos in ecolesia basilica minore diximus . . sequenti die lectus 
est de more liber Job... .“ 

3) Die Stelle bei August. Conf. 1, 7 fautet: „Non longe coeperat Mediolanensis 
Eeelesia genus hoc consolationis et exhortationis celebrare, magno studio fratrum 
eonciventium vocibus et cordibus, nimirum annns erat aut non multo amplius, cum 
Justina Valentiniani regis pueri mater, hominem tuum Ambrosium persequeretur 
hneresis sune causa, quae fuorat seducta ab Arianis, Excubabat pi plebs in Ec- 
mori parata cum Episcopo suo, servo tuo. Ibi mater mea, ancilla tua, solli- 
eitudinis et vigiliarum primas tenens, orationibus vivebat. Non adhuc frigidi a calore 
Spiritus ui exeitabamur tamen civitate adtonita atque turbata. Tunc hymni et 
psalmi ut canerentur secundum morem orientalium partium, ne populus moeroris 
tacdio contabesceret, institutum est, et ex illo in hodiernum retentum, multis jam 
ac paene omnibus gregibus tuis, et per cetera orbis imitantibun.“ 

9) Bot. Dr. . Thierfelder, Tonhalle 1869. ©. 483 und Mendels Muf. ter. I. S. 107. — 
Ebenfo erflärt Fetie a. a, D. diefe Stele und baut darauf äfnfige Sälüffe. 

3) Bol. Ambros, Gef. der Muf. IL. S. 14 Anm, der nod) bemertt: „wo Hätte St. Am- 
bros während jener wenigen Stunden der Blofade der Kirde Zeit gehabt, den Leuten in der 
Gile die fremden orientalifen Hymnen zu Iehren?“ — und fegen wir Hinzu — mo bfeißt 
da das „psalmos diximus“ des Amnbrofins felhft? 














Ambrofianifcher Grfang. 37 


Beifpiele metrifhen Neumengefanges an, in denen Neuma (Motengruppe, Takt) dem 
Reuma, Diftinftion (Periode, Abſchnitt) der Diftinftion entfproden Habe, fo daß fie 
bei aller Mannigfaltigfeit doch zufammenftimmten und gleihfam eine „unähnliche 
Ahnlichteit· darftelten.) — Darnad; wären feine Hymmenmelodien in dreiteifigem 
Talte mit viertafttigen Perioden oder Berfen, von denen je vier ſich zu einer Strophe 
zuſammenſchloſſen, gebildet geweſen, etwa nad dem Schema: 
Deus creator omnium v4 u — u 2 u — oderin Noten: „N 
Polique rector vestius v-u— u tu— 7 
Diem decoro umine -— 8 
Noetem soporis gratia. . -— A 


Um aber der Monotonie ſolch gleihmäßigen Wethſels von Länge und Kürze 
zu entgehen, verwandte er melismatifde Neumen, fepte flatt eines langen Tones 
zwei und mehr Hürzere Teiltöne desfelben auf eine Gilde, 3. B. 

vu — vv dev —-vo-vo vo 
De-us cre-a-tor om-ni-um De - us cre-a -tor om- ni-um 


NN NAN-O AUNINIEND 
und ſuchte überdies den Reiz fol melismatiffen Gefanges noch dadurch zu erhöhen, 
daß er ſich nicht am die firenge Diotonit band, fondern Halbtöne und dromatifde 
Drmamente, wie fie in der driechiſchen Kirche ſich Dis Heute erhalten Haben, ein: 


fügte, 3. B. 
Bee 


Baren dies wirllich die Eigentümlichteiten des Ambroſianiſchen Gefanges, fo 
würde derfelbe zunäct der Annahme entfpreden, „der Geſang der erften qhuiſttichen 
Zat fei Bolksgefang gemefen, gegründet auf Art und Weiſe der gleidgeitigen 
antiten Tontunſt, aber durbrungen, gehoben und gelragen vom neuen chriftlichen 
Seife — und es würde ferner erflärkid erfheinen, wie er eine fo tiefe und 























1) Bal. Guido, Mitroleg. Rap. 15, bei Gerbert, Ceript. I. S. 253. — Dog er Am 
trofianifcie Melodien nod) gelannt Haben muß, folgt daraus, Daß er Neugierige mit den Worten 
„. „ sicut apud Ambrosium si curiosus sis, invenire licebit“ darauf vermeif. 

2) Dies if die Anfiit Dr. Thierfelders, die er in der Differtation „De christianorum 
psalmis et hymnis usque ad Ambrosii tempora,“ 1808, in der Tonfalle 1809. ©. 497 
bie 499 und in Mendels 2er. L 1870. S. 197 fi. vertritt. 

%) So will getis a. 0. D. S. 85, geflügt auf eine Stelle in einem Oddo v. Elugny 
sngelßriebenen Traftat bei Gerbert Script. I. ©. 275, wo «8 heißt: „. ... Sancti quoque 
Ambrosü, peritissimi in hac arte (der Mufil, symphonia nequaguam ab hac discordat 
regula (nämfid; dem Greg. Gef.), nisi in quibus eam nimium delicatarum vocum per- 
vertit laseivia.“ 





38 Ambrofianifher Gefang. 


ergreifende Wirkung auf den Hörer machen konnte, daß Auguſtinus bis zu Thränen 
gerührt wurde und ihn noch Guido v. Arezzo als wunderfüß („perduleis“) daral- 
terifieren konnte.i) Allerdings fütt aud der Gegenfag, in den der Gregorianifhe 
Gefang zum Ambrofianifgen trat, die Annahme, daß zur Zeit des Iepteren eine 
beſondere geiſtliche Weife der weltlichen noch nicht entgegengefeßt war und daß wir, 
hätten wir weltliche Melodien aus der Zeit des Ambrofins, vielleicht beffer als durch 
einen bloßen Hinlid nad) dem griechiſchen Morgenlande die Gejangsweife dieſes 
großen Viſchofs begreifen mitrden.2) Exft Gregor d. Gr. war es, der, allen Reiz 
der Melodie und des Rhythmus in feinem Cantus planus verfämähend, mit Be- 
wußtſein und Abſicht einen Gegenfag zwiſchen geiftlidjer und weitlicher Muſit 
ftatuierte.?) 

Gregor foll zwar bei den Ambrofianifhen Melodien, die er zweifelsoßne in 
feinen Gefang aufgenommen Hat, zunädft mur deren zu große Ausdehnung auf ein 
geringeres Maß beigränft haben,‘) allein damit Hat ex ſich ſchwerlich beguigt, fonft 
Hütten nicht anbere, die den Ambrofianifcen Gefang noch gehört Haben, einen jo 
tief gehenden und fehe fühlbaren Unterſchied zwiſchen beiden Gingweifen, die noch 
fange nebeneinander fortbeftanden haben müffen, gefunden.) — Daß Ambrofius 
feine Hymnen in antiphoniſcher Weife fingen Meß, wird beſtimmt bezeugt (vgl. den 
Art, „Antipfon“), daß er für diejelben die vier authentifhen Kirhentöne, die 
nad; ihm auch Ambrofianifge Kirchentöne heißen (vgl. den Art. „Authen- 
#5“), aus dem griechiſchen Tonfyftem ausgewählt und feftgeiegt habe, wie die 
Überlieferung will, und wie noch immer da und dort feftgehalten wird, ) — iſt eine 
Annahme, für deren Richtigkeit jede beſtimmtere Verengung fehlt. Wohrſcheinlicher 
erſcheint 68, daß ſich diefe Tonreifen in den vom Unfang des 4. Jahrhunderts am 


Bol. Ambros a. a. O. ©. 11. — Die angeführte Stele des Augufinus ſicht Conf. 
ib, IX. Say. 6. 

9) Bol. Wadernagel, Das deutſche Kirchenl. 1841. Vorr. S. XIV, wo er noch jagt: 
Die Ambrofianife Gelangäieife war gewiß der weltligen nahe verwandt; ſie Gatte Rhymes 
gleich diefer, auch deren Fiebfihteit und Süße“ 

*) Bol. Shletterer, Gef. der geil. Dichtung u. lirchl. Tont. I. S. 101 und Palmer, 
Evang. Hymnol. S. 301. 

+) Sat. Joannes do Muris, Summa musica, Kap. IIT, bei Gerbert Seript. III, „Pro- 
lixum eum non fecit, quemadmodum sanctus Ambrosius dietus est cantım suum 
modul 

>) Bol. Radulf v. Tongern, De Canon. observ. X propos. 12, bei Fortel, Gef. der 
Muf. I. ©, 182; er findet den Ambr. Gef. „omnino allum a romano, solennem et 
fortem cantum, dagegen den gregor. „magis plane, dulcoratus et ordinatus.“ 

*) &o fagt Beipmann, Geſch. der griech. Muf. 1856. S. 85: „Aus den Trümmern 
griechicher Theorien fand der verdienftolle Bifgof zu Mailand, St. Ambrofins, vier Tropen 
Heraus und gebrauäte Diefe Diatonifchen Tonfeitern als Grundlagen der von ihm eingeführten 
Kirgengefänge.” 





Ambrofienifder Lobgefang. Ambrofins. 39 


gegrimbeten Singſchulen nad und nad, oder aber fon in Byzanz fefgeftellt haben?) 
und fie Ambrofins in Mailand nur in Gebrauch brochte. — 


Ambroſianiſcher Lobgeſang, Hymnus Ambrosianus, — Te Deum — 
vgl. den Art. „Herr Gott, dich loben wir.” 


Ambrofins, Biſchof von Mailand, war um das Jahr 333 zu Trier, wo 
fein Bater al römiſcher Statthalter von Gallien refidierte, geboren. Nach deffen 
im 3. 350 erfolgten Tode kam Ambrofius mit feiner Familie nad Rom, wo er, 
um fih für eine ſtaatsömänniſche Laufbahn auszubilden, Rechtswiſſenſchaft ftudierte 
und ſich fpäter als Advotat und Redner einen Namen madte. Im I. 370 wurde 
er zum Pröfeten von Ligurien und Ämilien ernannt; als folder Hatte er feinen 
Regierungsfig in Mailand, wo er fid) durd) die trefflice Verwaltung feines Amtes 
bald die algemeinfte Achtung erwarb. Die Liebe und Ahtung, die er beim Volle 
genoß, führte bei der zwiſchen Nikiern und rianern ftreitigen DMailändifgen 
Bifgofsrwahl im I. 374 dazu, daß Ambrofins, obwohl er erft Kotechumene und 
nod nicht einmal getauft war, zum Biſchof gewählt wurde. Lange fträubte er fih, 
dies Hohe Amt zu übernehmen; nachdem er e8 aber übernommen Hatte, wibmete er 
ſich demfelben aud) fein ganzes übriges Leben lang mit der volften Hingabe feiner 
machtigen Perjönlihfeit, die in ihrer mildernften Würde und ihrem unerfcrodenen 
Geregtigfeitsfinn von altrömiſchem Geiſte getragen erſcheint. Cr wurde eine Zierde 
des Bifhofsftuhles zu Mailand und ein gewaltiger Lehrer der abendländiſchen Kirche, 
der er im Kultus, Lehre und Leben auf lange hinaus eine beftimmmte Richtung ger 
geben hat. Am 4. Aprit 397 farb er zu Mailand. — Die Bedeutung des 
Heil. Ambrofins für den Kirchengeſang und die Liturgie der abendländifchen Kirche 
ift bereits im vorangehenden Artifel Gefprogen worden. Das befte, was er feiner 
Kirhe Hinterlaffen Hat, find feine Hymnen, durch die er mit Hilarius von Poitiers 
der Begründer der lateiniſchen Kirchenliederdichtung geworden ift. Doch ift nicht 
mehr feftzuftellen, welde Hymnen ihm in Wirllichteit angehören und welde nur 
„Ambrofiana” d. H. nad; feinen Vorbilde gedihtete find; die Zahl der ihm zur 
geicricbenen ſchwanit zwifgen 10 und 20. €. E. Koch, Geld. des Kirgent. I. 
©. 47. 48 5. B. ſchreibt ihm „nad den bewährteſten Zeugniffen“ 21 zu; Dr. 9. 
Chr. Fr. Bähr, Chriftl. Dichter und Geſchichtsſchreiber Roms, 1836 — meint: 
„Zwölf Hymnen find als echt anzufehen und gehören unftreitig zu dem beften, was 
die Griftfihe Sprit aufzuweifen hat. . . ihre Tiefe und Immigfeit erflärt es, wie 
Ambrofins Muſter und Vorbild des Kirgenliedes für die fpätere Zeit werden Tonnte, 
und feine Fieder zum Teile ſelbſt aus der lathoiiſchen in die proteftantifhe Kirche 

1) Erneres nimmt Ambros 0, a. O. S. 13 am, lehteres fälicht Ed. Selle, Die yäpf- 
liche Sängerjgule in Rom. Bien 1872. S. 52 aus den griechiſchen Bezeichnungen. Bol. 
auſh Forlel, Geſch. d. Muf. II. ©. 188, 





40 €. N. Ammerbad). 


übergegangen find." Bpl. das Verzeichnis der Ambroſianiſchen Hymnen und der 
„Ambrofiona* bei Sihletterer, Geſch. der geiftl. Dihtung u. lirchl. Tontunft 1. 
©. 104— 107. 

Ammerbad), Elias Nifofaus,!) Organift zu Leipzig, der um 1540 zu Ammer- 

bad) in Sachſen geboren war. Cr erzähft felbft, wie er dom Jugend auf, ja von 
Natur „eine ſonderliche Luſt und Liebe, Anmutung und Inkfination zu der Kunft 
der Mufit in ſich befunden“ — und wie er, um ſich in derfelben auszubilden, ſich 
in fremde Sand zu fürtrefflihen Meiftern begeben, aud viel darüber verfaht, er= 
litten vnd ausgeflanden“ Habe. Nach feiner Heimfehr wurde A. um 1570 Organift 
am der Thomaslirche zu Leipzig und veröffentlichte als folder die beiden folgenden 
Orgelwerke: 1. „Orgel oder Inftrument-Tabulatur zc. Anno 1571.” 98 Bl. in 
#. Du. 4°. Zweite Ausg. bei Ulrich Neuber in Nürnberg 1583. — 2. „Ein 
New künſilich Tabulatur Bud; x. Im Jar 1575. Nürnberg bei Dietrich Gerlach. 
Fol. — Das erfigenemmte if} ein Schulwert, vom Verfafler ausdrüdlih „der Iu- 
gend und den anfahenben diefer Kunft zum beften in Drug verfertiget,” und Tann 
füglic als einer der erften Verſuche einer Orgelſchule angeſehen werden. Es befteht 
aus zwei Theilen, von denen der erfte eine „Kurke Anfeitung vnd Inftruction für 
die anfahenden Discipel der Drgellunft" —, der zweite 89 in Drgeltabulatur ges 
feßte Stüde — nämli: 44 Choräfe und weltliche Lieder, 15 „gemeine gute deutfche 
Denge," 14 ausländifge Tänze, — 12 „tolorierte Stüdlein* (geiftl. und weltl. 
Gieder) und 7 fünfftimmige größere Tonſätze — enthält. Etwas größere Anfprüce 
macht das zweite Wert, als „ein größer und ünftficer Bud,“ in dem „fehe gute 
Moleten (25 Nen., 8 fehöft., 15 fünfft., 2 vierft.) und licbliche deutfhe Tenores 
(von 15 geifll. und welt. Liedern) vornehmer Componiften“ (e8 find vertreten: 
Drlandus Laſſus mit 17, Scandeli mit 5, Clemens non papa mit 2, Meyland, 
Jachet, Gaftrig und Crequillon mit je 1 Nr. und 12 Nr. von Ungenannten) 
„auf die Orgel und Inftrument abgefegt, beydes, den Organiften und der Jugend 
dienſilich · — X. gehörg mit diefen Werfen zu den „Koforiften“, jenen „beutfcjen 
Orglern, die fid) als ehrliche Handwerker darftelen,“ und von denen Ambros tref- 
fend fagt: „aus dem Boden, den die braven Männer treufleifig im Schweiße des 
Angefihts Kearbeiteten, ging am Ende die Kunft eines Sebaſtian Bach auf der 
Orgel hervor.“ ?) 
1) Er feto fAreibt auf dem Titel feines erflen Wertes 1571: „. . . durch Etiam Nico 
laum, fonft Ammerbad genandt” — auf dem Titel des zweiten: „. . . durch Cüam Ricolaum 
Amorbad,“ Gerber, N. 2er. I. ©. 89 führeibt . Amerboch · und verffiedene pätere Haben ihm 
naßgefcjrieben, 

*) Bgl. Ambros, Gejg. d. Muſ. IE. S. 437 f. — Uber die „Koloriſten“ vgl. die Ab, 
Handlung von A. G. Ritter, Allg. muf. Ztg. 1869. S. 297—299. 305-307. 313-316. — 
Bon eigenen Kompofitionen As ift bis jegt mihts belannt, mit welchem Recht er bei Schilling, 
ter. I. ©. 180, ein „großer, vielliht der größte Rontcapunftift des 16. Jahrhunderts” genannt 
Ät, muß dafingefielt bleiben. Bgl. auch Beder, Hansmufit, S. 26. 











€. u. A. Ammerbach. 3. 6. u. 3. M. Anding. 4 


Ammerbach, Euſebius, Organift und Orgelbauer zu Augsburg, der im Jahr 
1581 für Iafob Fugher dajeldft die Orgel in der Ct. Ulrighölepelle baute, ein 
Bert, das als eines der befleingerigteten der damaligen Zeit galt, und ihm mit 
Keät den Ruf „eines gefhidten Mannes" einbradte. Am diefer Orgel fungierte 
& dann auch als Organift. 


Ammerbach, Anton, ein weiterer Organift diefes Namens, lebte um dieſelbe 
‚Zeit im Dienfte des Herzogs von Braunſchweig. Etwas Näheres über ihm ift nicht 
befannt. — Welcher von den drei vorftehenden derjenige Ammerbach iſt, den Kiefe 
wetter, Die Berdienfte der Niederländer um die Tonkunſt, 1829. S. 58 ohne 
Vornamen, aber als einen deutſchen Tonfeger anfühtt, der in den Jahren 1540 
bis 1560 ſich belannt mochte, ift fraglich. Beer, Hausmufil. ©. 26. Anm. 2 
Hält für wahrſcheinlich, daß es der Augsburger Eufebins A. fei. 


Anding, Iohann Gottfried, Kantor und Mufikdireltor zu Lüneburg, war am 
4. September 1789 zu Ober-Schönau bei Schmaltalden geboren. In feiner ur 
gend don 1805 am zunäcft in Thüringen, dann in Karlshaven als Lehrer thätig, 
wirkte er darauf 6i8 1824 als Kantor zu Clausthal im Harz und wurde 1824 
als Maffenlehrer der Serta des Gymnaſiums, fowie als Kantor und Mufildireftor 
nad; Fümeburg berufen. Diefer Stadt widmete er feine ganze fpätere Thätigteit, 
namentlich auch als Leiter der Kirchenmuſil in ſämtlichen proteftantifen Kirchen der- 
jelben. Unter vielen Ehrenbezeugungen feierte er am 21. Iuni 1855 fein fünfzig: 
fähriges, 1865 fein ſechigiähriges Dienftjubiläum dafelbft, und ftarb am 11. Sehr. 
1866. Bon feinen Werken find hier anzuführen: 

Choral⸗ — grää zum Gebrauch für die Kirgen und Säulen 
in Lüneburg. 3. Küneb, Engel. — Op. 4. 6 Motetten und das 
Voterunfer für A on Ei Bahn. — Op. 5. 6 Motetten fr ©. 4. T. 
u B. Leipz. Peters. 


Anding, Dohann Michael, Mufldireltor am Seminar zu Hildburghauſen, 
war am 25. Wuguft 1810 zu Oueienfeld bei Meiningen geboren und erlangte feine 
Bildung als Lehrer und Mufifer 1825—1828 im Seminar zu Hildburghaufen, 
wo namentlich die Organiſten I. C. Nüttinger (cin Schüler Kitiels in Erfurt) 
und I. G. Meifter feine mufifalifgen Studien leitete. 1829—1842 war er an 
mehreren Orten als Lehrer tHätig, feit 1843 wirkte er erfolgreih, als erſter Mufit- 
fefrer am oben genannten Seminar, als welher er 1869 den Titel eines herzogl. 
Mufikdirektors erhielt und, nachdem er mehrere Jahre im Ruheſtande gelebt Hatte, 
am 9. Auguft 1879 flach. — Bon feinen Werken find Hier zu verzeichnen: 

Bierftimmiges Choralbud nad; den älteten und neueften Quellen 
für Orgel, Harmonium, Klavier und Gängerdöre bearbeitet und Herausgegeben. 

Hildburghaufen. 18671868. Gadew. XL u. 474 ©. gr. 2, Dies ift 

fein bedeutendftes Wert, am dem er über 30 Jahre fammelte, fichtete und 


42 3. Andre. Angelica. 


arbeitete. Im demfelben erfheinen einige neue Choralmelodien, bei denen 
jedoch) midt bemertt if, ob fie von 9. felbft Tomponiert find: wir nennen die 
jenigen derfelben, Die bereits in ein weiteres Ch.-®. Aufnahme fanden: 
2. Das ift ein teures Wort, G-dur, dgfisg ah. Jatob u. Richter 
I. 570. 
Nr. 393b. Wer bin id) von Natur. C-moll, gasgc dh. daf. II. 1243. 
Nr. 414. Geheimnis voller Lieb. G-dur, gdgahg. daſ. IL 705. 
Nr. 526. Gott ift die Liebe ſelbſt. F-dur. fe dc ba. daj. I. 721. 
Handbüglein für Orgelfpieler, enthaltend eine Befhreibung aller Teile 
einer Orgel und eine Anweifung zum firhlicen Orgelfpiel ıc. Mit 2 Tafeln 
Abbildgn. m. Rotenbeiſpin Hildburgh. 1853. Neffelring. 2. Aufl. VII u. 
166 ©. gr. 8°. 3. Aufl. 1872. VIII u. 170 ©. — Mehrere Hefte Drgel- 
de. Erfurt, Körner. — Drgelftüde, Motetten x. in verigiedenen Samm- 
ungen. 


Andre, Julius, der Hier als fruchtbarer Orgelfomponift anzuführen ift, war 
am 4. Juni 1808 als der Sohn des befannten Theoretilers und Komponiften 
Anton Andre zu Offenbach geboren. Im der Mufiftheorie ein Schüler feines Ba- 
ters, im Mlavier- und Orgelfpiel Aloys Schmitts in Frankfurt aM., Hinderten ihn 
nur Gefundheitsrüdficten, fi ganz der Muſit zu widmen. Cr wurde Mitarbeiter 
der Andreſchen Muſikalienhandlung und Iebte als folher meift zu Frankfurt; hier 
ſtarb er aud am 17. April 1880. Im feinen Orgelmerten zeigt er ſich als der 
Nindigen Säule angehörig; auf deren Standpunkt ift ex ftehen geblieben und 
die Bewegung, die durd) dem wiedererftandenen Bad) in der Drgeltompofition ente 
fanden, ift an ihm ſpurlos vorübergegangen. — 

Seine Orgelftüde erfhienen in 25 Heften (Op. 9. 14. 15. 16. 19. 21. 

23. 26. 28. 30. 31. 35. 37. 39. 40. 42, 49. 51. 53. 55. 60. 61. 65. 

67. 68) Sei Andre in Offenb,, Schott in Mainz. Yugener in London. — 

Anleitung zum Selbftunterriht im Pedalfpielen, mit Mufifbeilagen und Appli 

Yatur für das Pedal. Offenb. Andre. — Kurzgefahte, theoretifd-praftifche 

Drgelfgule. Op. 25. Offenb. Andre. 2. Aufl. — 


Angelica, sc. Vox, eine Zungenftinmme der Orgel von zarter Intonation 
und flötenartiger Klangwirkung, daher fie manchmal and (wie z. B. in der von 
M. Ibach Söhne in Barmen 1864 erbauten Orgel zu Bergen op Zoom in Hol: 
(and) Flaut-angelica genannt wird. Ihre Konfteuktion kommt mit den ähn- 
lichen Stimmen, wie Voix c#löste oder Vox humana, ziemfid überein, auch fteht 
fie wie diefe gewöhnlich im 8 Fußton im Ehomwert größerer Orgeln. Cine Vox 
angelica im 16 Fußton findet ſich z. B. im Unterwert der von Doachim Wagner 
1735 erbauten, von Buhholg 1851 teparierten Orgel der Parochiallirche zu Berlin. — 
Nach Adlung, Anl. zur Muf. Gel. ©. 467. Anm. wäre diefe Stimme von einem 
Drgelbaner Ray zu Mulhauſen im Elſaß erfunden und von einem Orgelbauer 
Stumm in Sufgbad;. in befonders trefflicher Weiſe gebaut worden. 


2. Anger. Auſchlag. 43 


Anger, Louis, Organiſt in Lineburg, war am 5. Geptember 1813 als der 
Sohn eines Bergmanns zu St. Andreasberg bei Mausthal im Harz geboren und 
erhielt, da er ein bedeutendes Talent für Mufit zeigte, den erſten mufifalifcjen Unter: 
richt don einem alten Kantor feines Geburtsortes. Bon 1830 ſuchte er weitere 
Ausbildung in Mausthal, und 1833 kam er nad Weimar und genoß hier den 
Unterricht Dummels im Mavierfpiel und Töpfers in Kompoſitionslehre und Orgel: 
viel. Nach vollendeten Studien ließ fih A. 1836 als Mufifiehrer in Leipzig nieder, 
und von Bier wurde er 1842 als Drganift an die Iohannislirhe zu Lüneburg 
berufen. Diefer Stadt gehörte dan feine ganze ſpätere Wirtſamteit als fertiger 
Drganift, treffliger Konzertdirigent umd überaus fleifiger Mufillehrer an. Nachdem 
ex in Anerfenmung feiner erfolgreigen Thätigteit 1868 zum Königlichen Mufifdireltor 
ernannt worden war, fiarb er zu Lüneburg am 18. Januar 1870. — 

Bon feinen wertvollen Kompofitionen, von denen jedoch nur Op. 1—12 

im Drud erfeienen, find Hier zu nennen: Op. 4. Sortmadt Gedicht dv. Platen. 

Für Soloftn., Chor u. Dr. Leipzig. Wiiftling . 6. Bräludium und 

Fuge für Orgel. Leipz. Peters. — ln Lüneb. 1866. — 

Choralbud;, vierftimmig für Gefang und Orgel. Lüneb. 1870. — 





Anſchlag, nennt man bei den Tafteninftrumenten das Niederbewegen der Tafteı 
durch die auf fie miederfallenden oder auf fie drüdenden Finger. Beim Orgelfpiel 
wird dadurd) ein am jeder Tafte Hängender, mehr oder weniger Tompligierter Medja- 
nismus in Bewegung gefeßt, der Das Öffnen der Ventile und damit das Erllingen 
des Tones bewirft. Der Ausdrud Anſchlag ſcheint fih vom Spielen der alten 
Drgelmerte herzuſchreiben, deren Mechanit fo fhtwerfällig war, daß die 56 Zoll 
breiten Taften mit anfehnlichem Kraftaufwand wirklih nieder gefchlage n werden 
mußten, woher noch jegt die Redensart „die Orgel fhlagen” im Munde des Volles 
rührt.) — Es find zwei Hauptbezichungen, in denen das Wort Auſchlag gebraudt 
wird. Man begeichnen damit: 

1. die Thätigkeit des Spielers, die in ihren phyfilden und pfychiſchen 
Momenten vor allem beim Klavierſpiel von derfelben umfofienden Wichtigteit if, 
wie die Bogenführung bei den Streihinfteumenten, Keim Orgelfpiel aber nur in 
ungleich befcränkterem Sinne Bedeutung hat. Was zunächſt die Handhaltung 
beim Anfclag betrifft, fo Haben ſich Befanntermafen zu verjdjiedenen Zeiten ver- 
ſchiedene Arten derfelben geltend gemacht, ohne daß fie dem Haupterfordernis derfelben, 
nämlid; der abfoluten Bewegungefreiheit aller Finger zu genügen vermochten. Erſt 
die moderne Art der Handhaltung — die Finger feiht nad der innern Handfläche 


‘) Einer andern Anfiht über das „Orgel fälagen“ iſt P. Anfelm Säubiger, der in dem 
Artitel „Hitorife Irrtümer im Page der Tonkunft“ in den Donatsh. f. Mufitgeid. I. 
Nr. 9. &. 127—130 nadzumeifen fut, daß die Orgel fon im 5. u. 6. Jahrn gefpielt und 
nicht „geidlagen“ wurde. 





44 Anſchlag. 


zu eingebogen, und dns Handgelenk etwas höher als die Gelenke der mittleren Finger 
gehalten — erweift ſich der aufs Höchſte entwidelten Spieltehnit auf Klavier und 
Drgel volftändig entfprediend. — Der Anſchlag felbft, der beim Klavier cin 
wirllicher Anſchlag ift, da der frei Über. der Tafte ſchwebende Finger auf Diefebe 
miederfallen muß, ſtellt ſich bei der Orgel nur als ein Niederdrüden der Tafle durh 
den dieſelbe vorher fon leicht berührenden Finger dar. — Da beim Orgelfpiel 
weder die Bildung des Tones, noch das Hervorbringen einer größeren oder gerin- 
geren Klangfülle in der Hand des Spielers liegt, au die Tonfgattierungen des 
Crescendo und Deerescendo entweder ganz ausgefäloffen, oder aber, wie bei vielm 
neueren Orgelwerken, nur durch mechaniſche Vorrichtungen (Echolaſten, Kollektidtritte) 
gu bewirlen find: fo dürften fih die Anforderungen an einen guten Drgel- 
anfhlag auf folgende Punkte reduzieren: ruhiges, gleihmäßiges Niederdrücten der 
Taften, deutliche und füdenlofe Verbindung der Töne untereinander (Legatoſpieh, 
ſowie präcife Einhaltung der Zeitdauer, des Notemvertes der Töne. Dennod if 
auch Hier ein ſeeliſches Moment, das durd die Finger auf die Taften wirft, nidt 
ganz ausgefäoffen, und es vermag daher der Künftfer feine Individualität in ger 
wiſſem Sinne aud auf der Orgel zur Geltung zu bringen. 

2. eine Eigenfhaft des Infiruments, die ganz don der mechaniſch- 
techniſchen Einrichtung desfelben abhängig ift und aud mit dem Ausdrud Spielart 
bezeichnet wird. Man fagt daher, ein Inſtrument habe einen leichten, ſchweren, 
egalen u. ſ. w. Anſchlag, je nachdem der Spielende einen größeren oder geringeren 
Kraftaufwand nötig Hat, um die Taften niederzubewsegen.!) — Es ift oben ſchon 
angedeutet worden, wie ſchwerfällig der Mechanismus der Orgel, und demzufolge 
auch ihr Anſchlag früher war. Bei der jehigen Hohen Vollkommenheit ihrer med: 
niſchen Einrichtungen ift derfelbe zwar relativ leicht geworden; allein bei dem bedeu- 
tenden Luft» und Federdrud, der namentlich bei der Verwendung der Koppelungen 
auf die Ventile drücdt, ift der Widerftand, der beim Niederdrüden der Taften zu 
überwinden iſt, immer nod ein ſehr erheblicher und die neuere Orgelbautegnif mußte 
daher befondere Mittel und Wege ſuchen, denfelben möglichft zu paralyfieren. Ein 
ſolhes Mittel beſteht in einem jeder einzelnen Tafte gegebenen Vleieinguß don genan 
bemeffenem Gewicht; ein anderes in dem durch verfchiedenes Anſchrauben der Klaves 
an die Abſtralten bewirlten tieferen Fall der Taften, der dann freilich vom Spieler 
wieder eine befondere Angewöhnung fordert. Das wirtſamſte diefer Mittel aber ift 
unftreitig der pmeumatifche Hebel (vgl. den Art.), deffen Erfindung durch den 
engliſchen Drgelbauer Charles Barker (vgl. den Art), als einer der wichtigſten 
Fortföritte der neueren Orgelbautechnit angefehen werden darf, da durch denfelben der 
Anfhlag auf der Orgel an Leichtigkeit demjenigen auf dem Pianoforte nahezu gleid) wird. 

Y) Bot. Wiener Blätter füc Theater u. Mufil. 1872, Mr. 13. S. 50, die intereffanten 
Beobaditungen fiber den Kroftaufrwand beim Mfavierfpiel, die Prof. Hans Schmidt in Wien 
gelegentlich eines Konzertes von A. Rubinflein angeftellt Hat. 


Anfpradıe. 45 


Anfpradje, Intonation, bezeichnet im weiteften Sinne das Exflingen des Tones 
auf einem Iuftrument, nachdem der zu feiner Erzeugung dienende Mechanismus 
(Miederdrücen der Taften, Anziehen der Regifterzüge, Streichen, Blaſen) in Thätig 
teit gefegt ift, in Bezug auf das Wann und Wie feines Erſcheinens. — Wenn 
auf der Orgel durch Anziehen eines Negifterzuges für eine ganze Stimme, durch 
Niederdrüden der Tafte für eine einzelne Pfeife der Medanismus in Bewegung 
gelegt if, der dem tomerzeugenden Winde den Zutritt geſtattet und damit die Be: 
dingungen für das Ertlingen des Tones giebt: fo erfolgt diejes Erllingen entweder 
fefort und der Ton kommt in nad; Höhe, Klangfülle und Klangcharalter gewünſchter 
Beife zu Gehör, dann fagt man: eine Regifter, eine Pfeife hat eine gute, prä- 
cife Anfprade. Dder aber der Tom erjgeint erft nad einem kleineren oder 
größeren Zeitzwifenraume und überdies z. B. eine Oftave höher (Überbiafen) und 
nicht in der gewunſchten Fülle und Rundung oder mit anderem Klangcharatter, dann 
fprigt man von unfihrer, langfamer, ſchwerer, ſchlechter Anfprage; — 
oder endlich: der Ton ommt gar nicht zum Erklingen, ein Regifter, eine Pfeife 
ſpricht nicht an. Der feptere Fall wird bei einem am ſich Mangfähig gebauten 
Regifter dann eintreten, wenn die Dedanit des Regifterzeuges nit wirlen lann, 
weil ihre Leitung unterbrochen, oder die Schleiſe verquollen iſt, — bei einer Pfeife 
aber dann, wenm ihr Ventil nicht beweglich oder die Aoftraftur unterbroden ift, 
wenn ferner ein anderes mechaniſches Hindernis wie teilweiſe oder vollfländige Ber- 
ftopfung der Kernipalte durch Berbiegung, Staub u. dgl. vorliegt, oder wenn endlich 
deren Konftruttion verfehlt, der Aufihnitt etwa zu groß oder die andern Menfur- 
verhäftniffe falſch genommen find. Solche Konftcuftionsfehler bewirken, menn fie 
auch nicht in dem Grade vorhanden find, daß fie die Anfprade ganz verhindern, 
doch gewöhnlich folhe Mangel derfelben, die ald Iangfame, unfigere, [were 
Anfprage bezeichnet werden. Hier kommen dann freific aud noch Momente in 
Betrucht, die im Charafter und der durch denfelben geforderten Bauart mancher 
Stimmen ſelbſt liegen. So ſprechen die eigentümfic gebauten Gambenftimmen oft 
fangfam, die engmenfurierten Flötenſtimmen unſicher und mit Neigung zum Über- 
blaſen — das ja übrigens bei einigen von ihnen aud gewollt ift — an, und 
die großen Zungen der 16- und 32fügigen Rohrwerle, mamentfih der neuer- 
dings befiebter werdenden freiſchwingenden (durhfälagenden), find nur Langfamer 
in Säwingung zu verfegen, aud wenn ihnen der Wind in entfpregender Denge 
umd Digtigfeit zugeführt wird. — Die promptefte Anſprache ift den offenen Labial- 
ftimmen von Prinzipalmenfur eigen. — Die neuere Drgelbaufunft {ft in anerlennens- 
werteſter Weife beftrebt, die Anfprade aud der in dieſer Rücſicht ſchwierigſten 
Stimmen immer mehr zu verbeffern; durch genauefte Beachtung der Menfurverhält- 
niffe, durch größete Sorgfalt in der Windbefhaffung, Windführung und Wind- 
verteifung, und durch verſchiedene anderweitige mehanifhe Vorkehrungen Hat fie die- 
felbe bereits auf eine Stufe der Volllommenheit gebracht, die die frühere Zeit nicht 


46 Anthem. 


tannte und die in gut gebauten Werfen nicht eben viel mehr zu wünfden übrig 
faffen dürfte. Gfeictwoht bleibt aber fir den Orgelfpieler die Aufgabe beftchen, bei 
der Wahl und Difhung der Regifter vor allem and die Art der Anfpradje derfelben 
im ge zu behollen und in Erwägung zu ziehen. 


Anthem, der aus Antiphor, Antienne, Ant-Oymn („a corruption of An- 
tiphon“ meint Hawtins) entftandene Name, mit dem die Biſchöfliche Kirche Eng- 
lands diejenigen Gefangftfide bezeichnet, welde als lirchlich vorgefgriebener Teil der 
Liturgie vom Chor im Gottedienft, in dem fie nad) der dritten Kollette eintreten, 
auszuführen find.) Dit dem Anthem Hat fih der Chor in der engliſchen Kirche 
eine fefte liturgiſche Stellung errungen und ift dadurch gegenfiber der Heimatlofigkeit 
des deutfehen Kirchenchores im Kultus der evangelifgjen Kirche wefentfich im Vorteil. — 
Als Tert verwendet das Anthem Pfalmverfe und andere Bibeliprüde, oder auch 
Stellen aus der Liturgie und zwar ausſchließlich in engliſcher Sprache, ganz ent- 
ſprechend den Grundfägen‘ der engliſchen Kirche, die in ihrem Ritus weit ftrenger 
als die deutſche das einfache Bibelwort feftzupaften gewußt hat. — Die geſchichtliche 
Entwidlung des Anthems, das die Engländer in feinen beften Werten mit Recht 
als die Blüte ihrer Kirhenmufit anfehen, und deffen äftefte Spuren in dem erften 
Regierungsjahren der Königin Clifabeth nachweisbar find,*) ift von der Motette im 
ihrer alten polyphonen Form ausgegangen und hat dann alle Wandelungen der 
Volalmuſit mit durchgemacht. Im der erften Periode diefer Entwidlung, die bis 
1625 reichend angenommen wird und in der Komponiften wie Chriſtopher Tye 
(Sfühte von 1550 an), Tomas Tallis (geft. 1585) und fein großer Schüler 
Billiom Byrd (1538—1623), Robert White (geft. 1581) und Orlando Gibbons 
(den die Engländer gerne ihren „Balefttina“ nennen, 1583—1625) als die Haupt 
vertreter des Anthenis anzufehen find, war dasfelbe, wenn man von feinem englifchen 
Tert abfieht, mod ganz Motette für 4- und mehrftimmigen Chor, oder „Full An 
tem” nach der englifgen Bezeichnung. Gibbons, der überhaupt den Übergang zur 
nächſten Periode bildet, führte als eine neue Form das „Full Anthem with 
3) Allerdings, wie Defterlen, Der Gottesdienft der engl. u. deutfcen Kirche. Göttingen 
1863. ©. 62 beinertt, ofme daf; dies durd) den Zufammenhang des Gottesdienftes irgend ge: 
fordert würde, vielmehr als Yonpertartige Unterbredjung desfelben flörend wirtend. Auch vie 
Engländer felöft füglen dies teitweife, dedweden verlangt Dr. Jeih, the Choral Service of 
the Church, 1848. 8°. vom Anthem als „a preseribed part of the service,“ dafı e8 min- 
deflens „should harmonise with some portion of the service of the day.“ 

*) Das Wort „Antem“ erſcheint zuerfl in Days Sammlung von 1500; die erfle Nas 
tigt von feinem twictfigen Gebrand) in der Kirdie datiert ebenfalls von 1560, wo Geridjte 
wird, daß in der Tünigl. Kapelle am „Mid-lont“ Conntag „Service concluded, a good 
Anthem was sung,“ und feit der lehien Nevifion des „Common Prayer Book“ 1652 
nimmt es feine jehige Stellung im Gottesdienfl ein. Val. Dr. Mont, bei Grove, Diet. ai 
Mus. I. 1878, ©. 10. 


Anthem. 47 


Verses® ein, bei weldem Abſchnitte vom vollen Chor und mit Begleitung der 
Orgel, andere Abſchuitte („Verses“) aber von einem dem Hauptchor gegenüber 
aufgeftellten Heineren Chore oder Quartett mit Begleitung von Violen — den Une 
füngen des Drcefters — gefungen wurden.!) Im diefer Form ftimmt das Anthem 
ganz mit der äfteren deutfhen Sirdenfantate überein. — Die zweite Beriode 
tigt von 1625—1720. Es wird im derſelben das Anthem nicht mur in den 
beiden eben genannten Formen fortgeführt, fondern es fommt noch das „Verse- 
Anthem“, beftehend in Chören, Coloftücen, Duetten, Terzetten und mit Ordefter- 
begleitung dazu, fo zwar, daß die Chöre anfangs noch immer das Hauptgewicht 
Hatten, und erft bei jpäteren Komponiften®) die Solonummern mehr in den Bor- 
dergrund treten und die Chöre öfters mar noch Einleitung und Schluß bilden. 
Künftler wie Henry Purcell (1658—1695), John Blow (1648—1708), Velham 
Humphrey (1647—1674), Michael Wiſe, Ieremiah Clarke (1650 —1707), Wiliem 
Eroft (1677—1727) und vor allen Händel?) brachten in Diefer Periode das 
Anthem auf die Höhe feiner Entwidlung. Die genannten Hauptformen des 
„Full Anthem*, des „Full Anthem with Verses“ und des „Verse-Anthem“t) 
blieben nun feftftegend und aud) die dritte Periode feit 1720 bis zur Gegen« 
wart Hat diefelben eifrig und nicht ohne Glüͤck gepflegt, wenn fie auch die volle 
Höge der zweiten nicht mehr zu erreichen vermocht Hat. Maurice Greene (geft. 1755), 
Biliem Boyce (1710-1779), William Hayes (17071777), Imathan Bat: 
tisgill 1738—1801), Thomas Attwood (1737—1838), und noch bis in die 
Gegenwart hereinreichend Walmisley, die beiden Smart und Sterndale Bennett find 
Hervorragende Komponiften dieſer Periode auf dem Gebiete des Antpens. — Frühe 


H Im der „Collection of the Sacred Compositions of Orlando Gibbons“ welche 
Dufeley herausgegeben Get, finden ſih 12 folder „Anthems with Verses“; näßer Liegen uns 
einige Werie Mendelsfohns, die er in der Form des Anihems geſchrieben Yat. In den drei 
Diotetten, Op 69, in das Jubilate Deo Ar. 2 ein „Full Anthem®, das „Nunc dimittis“ 
Nr. 1, das „Magnificat“ Nr. 3 — fowie das Tedeum für Sofoftn., Cor u. Orgel — find 
„Full Anthems with Verses“, wäßtend Mendelsfohns größere Palmen für Solofin., Chor 
m. Drh, } 8. Op. 31. 42. 46 die Form des „Berfe-Anthem" darftellen. 

*) Ramentfid) Seney Burcell, der felöt ein treffliher Sänger war, färeibt man die Aus - 
bildung des Antfems mit Sologefängen zu. 

3) Ober Händels fogen. „Chandos-AntGem&“, deren er 1717-1720 12 (5 dreiſt, 6 vierſt 
u. 1 fünf.) für den Herzog von Ehandos zu Cannons bei London färieb, vgl. Chryſander, 
Händel 1. &. 459. Mattfefon, Ehrenpf, S. 98. Anm. ud) feine für befondere Gelegen- 
Heiten geijriebenen „Zuneral- u. Koronation - Anthems“ find ausgezeichnete Werke der Gattung. 

+) Dr. Jebb, a. a. D. Garalterifiert Die drei Gormen fo: „Full anthems, properly so 
called, which consist of chorus alone, and the full anthem with verses; these vorses“ 
howerer, which form a very subordinate part of the compositions, do not consist 
of solos or duets, but for the most part of four parts, to be sung by one side of 
the choir. In the verse anthem the solos, duets and trios have the prominent place: 
and in some the chorus ia a mere introduction or finale.“ 


48 Anthes. 


{on begann man auch andere Werle als Anthems zu bearbeiten. Henry Aldrich 
(1647--1710) arrangierte Motetten von Paleftrina, Chöre von Gariffimi und 
andern Dielienern; Hugh Bond (geft. 1792) Stüde aus Händelfgen Oratorien, 
aus Älteren Meſſen m. dgl. umd in meuerer Zeit wurde noch vielmehr in dieſer 
Weiſe angeeignet: Bachſche Motetten, Auszüge aus den Dratorien von Haydn, 
Spohr, Mendelsſohn, aus Meſſen und andern, auch weltlichen Muſikwerten von 
Haydn, Mozart, Beeihoden u. a., ſelbſt Stüde von Gounod fanden Gnade bei den 
englijden Kirenmufitern. — Die wihtigften Sammlungen von Anthems find: 


1. Day, Certain Notes set forth in four and five Parts, to be 
sung at the Morning and Evening Prayer and Communion. 2. Edi- 
tion. 1560. — 2. Barnavd, Selected Church Musie, consisting of 
Services and Anthems etc. 1641. Part. von John viſhop im Br. Mus., 
18 vier, 14 fünf, 5 fehef. Ant). u. 12 mit „Verses“. Vol. Burney, 
Hist, of Mus. III. &. 366. — 3. Boyce, Cathedral Music, being a 
collection in score of the most valuable and useful compositions for 
that service by the several English masters of the last two hundred 
years. 3 Vols. 1760-1778. Weitere Ausg. 1780 u. 1849. 26 Full 
A. 41 Verse Anth. — 4. Arnold, Cathedral Music, being a Collec- 
tion in score of the most valuable and useful compositions for that 
service by the English masters of the last two hundred years: 
selected and revised. Lond. 1791 ff. 4 Vols. Fol. 18 Full Anth. 
13 Anth. mit Verses. 8 Verse-Anth. — 5. Page, Harmonia Sacra, 
a collection of Anthems in score, selected from the most eminent 
masters of the 16th. 17th. and 18th. centuries. Lond. 1800. 3 Vols. 
Fol. 11 Full A., 24 Full A. mit Verses. 39 Verse-Anthems. — 
6. Twenty-two Anthems of the Madrigalian era, edited for the Mu- 
sical Antiquarian Society by Dr. Rimbault. Lond. Fol. — 7. Oufeley, 
Collection of Anthems for certain Seasons and Festivals of the 
Shurch of England, br various Composers. Lond. Novello. 2 Vols. 
L 1-29. II. Nr. 30—48. 





Anthes, Friedrich Konrad, ift am 2. Mai 1812 zu Weilburg in Naffan ats 
der Sohn des Semtinaelehrerg dohaun Adam A. geboren. Cr fudierte Theologie 
und wurde zuerft Hülfsgeiflicher zu Herborn, dann Pfarrer zu Hniger und Ader: 
Bad); mußte jedoch anhaltender Kräntlicteit wegen ſhon 1857 in Peufion treten 
und lebt feitdem zuelidgegogen in Wiesbaden. Er ſchrieb über edang. Kirchengeſang 
die wertvollen Schriften: 

„Die Tonkunft im wangelfgen Kultus, mit einer Geſchichte der lirchlichen 

Mufil.” Wiesbaden 1846. 49, — md 

„Milgemein fohlie Bemerkungen zur Verbeſſerung des Evang. Kirchen: 

gefange.“ Wish. 1846. 8°. 
deren hiſtoriſcher Teil jegt zwar veraltet iſt, die aber in ihrem praftifcen Teit 
(„Bon den einzelnen Zeiten der frhlihen Muſit: Choral-, Chor, Altergefang, 


Anticipation. 49 


Kirhenmufil") grundlich Durchdachtes und treffend Wiedergegebenes über den Gegen- 
fand enthalten. 


Antieipatiom Heißt der Eintritt einzelner oder mehrerer Töne eines Aftords 
mod während der vorhergehende erflingt. Zu Bade und Händels Zeiten war «6 
fche gebräugfih namentlich beim Ganzihlug vor Schluß der Dominantyarmonie 
einen Ton des folgenden, am häufigften des Tonilaaltordes zu anticipieren. 
Beifpiele: 
Dad, Mattäuspaften. Händel, Meſſias. 




























































t 
Teer 
= 8 — 

fü m gm 
2 
>r 
— 



















































































Auch der Choral folgte dieſem Gebrauch, wie der Schlußſat von „Ale Menſchen 
müffen fterben* nad; der Anderung von Ialob Heinge 1690: 














und Vachs Choräle an vielen Stellen zeigen; 3. B. „Ales ift an Gottes Segen“ — 
Vierft. Choralgef. II. XL. Ber. u. Leipz. 1769. Nr. 132. 3. u. 6. Zeile: 





















































Rümmerle, Enchti. d. ang. Rirhenmuft. I. 


50 Antiphon. 


Antiphon, Cantus antiphonus, vox reciproca,!) Wedjelgefang, eine Ge 
fangeweife der alten Kirche, mad welcher Die Pfaulmen deroweiſe von verjgiedenen 
Shören gefungen wurden. Spuren antiphonenarligen Gefanges Laffen fih fon im 
Zeinpelgefange der älteften Völter nadeifen; au die Iuden fangen folde Weifel- 
gefänge und bei den Tferapeuten, einer zu Chrfti Zeit in Mlegandeia blühenden 
jübifgen Selte waren fie noch der Erzählung des Philo*) bei ihren refigiöfen Zur 
fommentünften allgemein übid. Bon ihnen feinen fie danm fon in ſche früher 
Zeit and in die apoftolifce Kirche Herlibergenommen worden zu fein. Die erfte 
Einführung des antiphoniſhen Pjalmengefangs in der fgrifgen Kirche färeiben die 
einen ſchon dem Bifcof Ignatius von Intiocien (um das Jahr 90), der damit 
den Gefang der Engel, den er im Traume gehört, nadahmen faffen twollte,) — 
andere erft dem Flavianus (381-388 Viſchef von Antiodin) und dem Diodorus 
Bresbyter in Antiodien und 378-394 Bifgof von Tarfus) zu‘) Im der griedhie 
fen Kirche rißtete der Heil. Chryfoftomus (398-404 Biſchof von Konflantinopel) 
den antipfonifcen Pfalmengefang ein,) und in der Inteinifcen Kirche des Abend- 
landes waren e8 Hauptfählic, der Biſchef Ambrofius von Mailand und der Bifhof 
Damafus von Kom, durd; welde Wehelgefünge eingeführt wurden.) — Bald 
fing man jedoch an, nicht nur die Berfe der Palmen von zwei Chören abwechſeind 
fingen zu laffen: man mahm auch andere paffende Vibelfprüde und fang fie am 
Anfang, oder zwifden den einzelnen Verfen des jedesmaligen Bfalms. Diefe Spruche 
Sieen Dann Antphonen; jeder Blelm erfiet in Der Bolge feine eigene Anipken, 


1) Der Mind; Aurelianus Reomenfi bei @erbrt, Script. eccle. I. S. 00 jagt hierüber: 
Antiphona dieitur vox reciproca, eo quod a choris alternatim cantetur: quia seilicet 
chorus, qui eam incepit ab altero choro iterum eam cantandum suseipiat, imitans in 
hoc Seraphim de quibus seriptum est: Ft clamabant alter ad alterum: Sanctus, 
sanctus, sanctus Dominus Deus Sabaoth! 

2) gl. die Erzähfung des Philo bei Saalſchütz, Geſchichte und Würdigung der Mufit 
bei den Hebräern. 1829. ©. 45. 46. 

#) Aus der Zeit des Ignatius berichtet ſhon Pfinius, Epist. Lib. X. Kap. 97 — in 
dem berühmten Brief an Trajan über die Ehriften, daß fie in Wechſelgeſängen Gott lobten, — 
und Sofrates, Hist. eceles. Lib. VI. Xap. 8 fagt vonIgnatius: Vidit aliquando angelos 
'hymnis alternatim decantantis sanctam Trinitatem celebrantes, et canendi rationem, 
quam in illa visione auimadverterat, eoclesiae Antiochenae tradidit. 

+) Bot. Theodoret, Hist. eccles. Lib. IT. cap. 24. Isti duo admirabiles viri Fia- 
vianus et Diodoras, noctu et interdiu ad pietatis studium omnes sedulo excitarant. 
Hi primi psallentium choro in duas partes diviso, hymnos Davidicos, alternis canen- 
dos tradiderunt. Quae res, primum incoepta Antiochiae ubique pervasit etad ultimas 
orbis terrae oras pervagata est. 

®) Bal. Neonder, Johannes Chryſoſtomus. Berl. 1849, 2. Aufl. und bei Gerbert a. a D.: 
roperta autem sunt primum a Graceis a quibus et nomina sumpserunt, 

9) Bat. Kur. Reom. bei Gerbert a. a. D.: „apud latinos autem auctor eorum bea- 
tissimus exstitit Ambrosius Mediolanensis antistes a quo hunc morem suscepit omnis 
oceidentalis ecclesia.“ — August, Confess. lib, IX. cap. 7. 











An Waferüffen Babylon. 51 


die in zweierlei Beziehung für denfelben Bedeutung gewann: fürs erfte nämlich 
ſpricht diefelbe „den Grundton aus, der ſich durch den folgenden Pfalm hindurch- 
sieht, giebt den Gefihtspunft am, von welchem aus die Kirche die Palmen nach 
iseer typifcen und meffionifchen Beziehung auffaßt*!) — fürs zweite Hat fie für 
ihren Pfolm auch eine mufilelifhe Bedeutung; fie ſümmt im Tone, der Tonart, 
mit demfelben überein, regelt feine Imtonation, fo daß der Pfalmton erft durch fie 
und das zur Oftergeit an ihrer Stelle gefungene Halleluja und deſſen Klauſel feinen 
eigentlichen Abſchluß und fein richtiges Final erhält.) — Außer diefen eigentlichen, 
zu den Pfolmen gehörigen Antipfonen, die zwar auf) für den liturgiſhen Pfalmen . 
gefang (dgl. den Art.) der evangelifhen Rirde von Wichtigteit find,) giebt man 
mod, einigen andern, mehr felbftändigen Gefängen den Namen Antiphon, obwohl er 
ihnen in feiner eigentficien Bedeutung nicht zufommt, da fie in Wicilichteit Hymnen 
Heineren Umfangs darftellen. Einige von diefen find für uns desiwegen von ganz 
beſonderem Intereffe, weil ihre Melodien die Grundlage mehrerer Choräle der evan- 
geüſchen Kirche Bilden. Von folgen nennen wir: Veni sancte spiritus — Komm 
eifiger Geift, Here Gott; Media vita in morte sumus — Mitten wir im 
&ben find; Da pacem Domine — Verleih uns Frieden gnädiglich. — Außer 
diefen Hat die kacholiſche Kirche nach vier Marianifce Antipfonen (Alma Redemp- 
toris; Ave Regina; Regina coeli und Salve Regina*) als felfländige Ge- 
fünge. — Anh die alte unſprungliche Weife des antiphonifcien Geſanges hat ſich 
in der firdfigen Kunftmufit erhalten; fo wird 3. B. das Miserere, wie es in der 
püpfligen Kapelle zu Rom aMjährlid; zur Aufführung tommt und in der mufile- 
fifden Welt belannt genug it (am berüfmteften ift die Kompofition Gregorio A: 
legrie) in antipfonenartiger Eimihtung gelungen; ebenfo zeigt die ältere Kirchen- 
Tontate der deutfcgen evangelifcen Fire, ſowie das ältere Anthem der engliſchen 
Kirche den antipfonifchen Wehfel zeifcen Heinem und großem Chor. — 


An Waflerflüffen Babylon, Choral: 


— — + > 
zes Zz>SI — — 


KAn Woh-ſer- flif · ſen Ba- ba - fon, da fa-fen wir mit Gicmerge 
TAI wir ge-dadjten am Zi- om da meinten wir vom Ser «jet. 















































2) Bal. P. U. Kornmüler, Leriton der kirchl. Tonkunft. Briren 1870, S. 32. 

*) Bgl. Iuf. W. Lyra, Die liturg. Altarweiſen des lutheriſchen Hauptgattesdienftes. 
Göttingen 1873. ©. 48. 49 und Notenbeif. S. 69-74, wo diefer Zuſammenhang von Antie 
vhon md Palm madgewiefen iſt. 

3) Bol. Naumann, Nadllänge. 1872. S. 295—335, ſowie deſſen beſondere Schrift „Aber 
Sinfügrung des Pfalmengefange in die evang. Kirde." Bert. 1870. Außerdem die begüg- 
figen Säriften von Feiedr. Hommel, Armtnecht, Maydorn u. A. 

+) Die erfle und dritte dieſer Antipfonen von Hermanns Kontratius. pl. P. Anf. 
Schubiger. Die Sängerigule St. Gallens. 1858. ©. 85. 





Pr 


5 6. Chr. Apel. 






























































N — 
— — — — zz 
FT Bir Hinsgen auf mit färwerem Mut die Drsgefn und die Harn gut 

— — — — 


























an ih- re Bium und Wei- den, die drinnen find in ih - rem Land, 


Bez ers 


—— 
da muhlen wir viel Schmad; und Snd Mg: Kid von ihe nen fi > = ben. 






























































der von Anfang an als „Melodin sunvissima“ (Badius) und „eine fehr ſchöne 
DMelodey" (Gadr. Wimmer) anerfannt wurde. Cr ift fühdeutfhen Urfprungs und 
findet ſich zuerft in: „Das dritt theil Straßburger Kirgen amp.” Straßb. Wolff 
Köpphel. 1525, dann in: „Pfalmen gebett, und Kirchen Übung.“ Straßb., Wolff 
Köppel. 1530. BI 44a. in „Das Gros Kirchen Geſangbuch.“ Straßb. 1560. 
1. Teil. Ne. 102, fowie in „Das Newer vnd gemehret Gefangbiihlein, darinn 
Palmen Hymnen x. Straßb. 1566, bey Thiebold Berger. ©. 238. Im „Gros 
Kirhen Gefangbud” von 1560 ift zuerft Wolfgang Dachſtein (vgl. den Art.) 
als Dichter des Liedes genannt und ihm wird aud die Melodie noch bis in die 
meuefte Zeit (vgl. Döring, Choralt. S. 38; Fiſcher, Kirchenliederletr. I. ©. 44), 
jedoch ohne irgend welche Begründung zugefhrieben. Im fat ſämtlichen neueren 
Gefang: und Choralbüchern ift unfre Melodie dem Paul Gerhardtigen Paffionstied 
„Ein Lammlein geht und trägt die Schuld" (vgl, den rt.) beigegeben. 


Abel, Georg Chriftian, Organiſt zu Kiel, ein begabter Jünger der Bachſchen 
Säule, war am 21. Ianuor 1775 zu Tröhtelborn bei Erfurt geboren und erhieu 
den erften Untereicht in der Mufit und namentlich im Orgelfpiel von feinem 
Vater, der dafelbft Kantor und Drgamift war. Bon 1790 am befudte er das 
Gymnafium zu Erfurt und ſebte daneben feine Deuffludien bei Kittel fort, der ihn 
zum grůndlichen Kontrapunftifien und treflichen Orgelfpieler ausbildete. 1796 wurde 
er Orgamift am der Thomastirhe zu Erfurt, 1802 an der Alerheifigen- und 1804 
am der Nifofeifirhe zu Kiel, MS Bertreter ernfler Kunſt entfaltete er hier in 
Kongertfanl und Fire eine bedeutende Wirffamfeit, wurde 1818 Univerfitätsmufit- 
Bireftor umd gab aud den Dufifunterriht am Königl. Schullehreefeminax dafelif. 
Durd) fein tefflihes Choralbuch Hat er fih um die fiploolle Geftaftung und Ber 
Handlung des Gemeindegefanges in Stilestwig-Galftein cin bleihendes Verdienſt er- 
worden. Cr ftarb qu Kiel am 31. Anguft 1841. — Otto Iafn, der fein Seller 
in der Dufil war, hat ihm in feinen „Öefammmelten Auff. über Mufit“ 1866. 
S. 1 ff. ein ſchönes Dentmal gefegt. Bon ifm erfien: 


Apfelregal. G. 9. F. Armbruf, 53 


1. Bolftändiges Choralmielodienbuch zu dem Schleswig Holſteiniſchen .:B. 
Kiel, 1817. 2. Aufl. 1830. — 2. Volftändiges Choralbud zum Schleswig 
Holfteinifhen G.-B., für Orgel mit und ohne Pedal, fürs Pianoforte, ad) 
für 4 Singftimmen Harmonifd; bearbeitet. Kiel, 1832. (Borr. vom 10. De. 
1832) — mit 177 Nummern, darunter 20 von ihm lomponierte, Die 
v. Biere, Zur Gef. heil. Tnt. I, ©. 317 vergeignet; e& find folgende: 

3b. Anbetung, Yubel und Gejang. 

— 38 Auferftehn, ja auferftehn wirft du. 

» 2b. Befig id mur ein ruhiges Gewiffen. 

365. Des Cwigen und des Sterblihen Sohn. 

„ 386. Die Himmel rüfmen des Ewigen Ehre. 

„ 45b. Du Magft und fühleft die Beihwerden. 

„ 566. Es jauchze Gott und preife. 

» 63. Gelobet feyft du Iefır Chrift von aller. 

n 685. Gott des Himmels und der Erden. 

„ 855. I bins vol Buverfiht. 

„ 101. Laßt Gott ung preifen. 

„ 1U6b. Mein Leben ift ein Prüfungsftand. 

„ 125b. D großer Gott der Maß. 

„ 1316. © fiehfter Iefu, was Haft du verbrochen. 

„ 143. Stäche Mittler, flärte fie. 

n 144. Tief anbetend. 

» 156. Was forgft du ängftlid für dein Leben. 

„ 1645. Wenn zur Volführung deiner Pflicht. 

„ 1b. Die wohl ift mir, o Freund der Seelen. 

„ 176. Wo tönt der Plalm, der did, erreicht. 

v. Binterfed, a. a. D. ©. 3TI-3S1 giebt eine genaue Beſchreibung 
des CH.B. 


Apfelregal, Knopfregaf, eine jept gänzlic) abgegangen Zungenflimme der. 
Drgel aus der Familie der Regale, die ihren Namen daher hatte, daß auf ifrem 
Korpus — einem Heinen Regale — ein hohler, kugelförmiger, mit Heinen Shall: 
Gern durchbrochener Knopf befefigt war. Sie wurde gewöhnlich im de, feltener 
im 8-Bußton gebaut, und war von dumpfer Mlangfarbe und fanfter, ſtiller Intomation. 


Armbruft, Georg Heinrich Friedrih, Organiſt zu Hamburg. Er war am 
17. März 1818 zu Harburg geboren, beſachte kurze Zeit das dehrerſeminar zu 
Hannover und kam 1833 nad Hamburg, wo er fih bei Iof. Friedr. Schwente 
und Iatob Schmitt zu einem tüctigen Orgel: und Mavierfpieler ausbildet. 1851 
wurde er zum Organiften an der Petriir;e gemählt und 1856 übernahm er die 
Leitung der ein Jahr zubor von Ferd. v. Ahada gegründeten Bahgefellift, die fich 
die fplgemäge Aufführung der Bachſchen Kirchenwerte zur Aufgabe gemacht Hatte!) 

1) Die Rot über X: und die Samburger Badgefelfcoft bei Fetis, Biogr. des mus. I. 
1860. S. 139 it falſch. Der Berfoffer läßt die Hamburger Geſellſchaft gleiche Zwece, wie die 


54 Anberlen. 


und mod; jegt defteht. A. flarb am 3. Mai 1869 zu Hamburg, wo fein 
Sohn, Karl Friedrich A. (geb. 30. März 1849 zu Hamburg, 1867— 1869 
Schüler Faißts am Ronfervatorium in Stuttgart) ifm als Orgamift folgte. — 
Bom älteren A. ift hier anzuführen: Chriftlihies Hausbud. 114 Chorült 
zum Hausgottesdienfte ı. Hamburg, 1857. 2. Ausg. 1872. qu. 4°. dut 
Squberth. 


Auberlen, Name einer twilrttembergifhen Lehrer: und Kantorenfamilie, die 
ihren Sig feit der Mitte des vorigen Jahrhunderis zu Fellbach, einem großen 
Dorfe bei Stuttgart Hat, und aus der mehrere Glieder ſich im ehrenwerter Weile 
auf dem Gebiete der evangeliſchen Kirchenmuſik bethätigt Haben. Als ſolche find 
zu nennen: Georg Daniel AÄ., von 1760 an Säulmeifter in Fellbach, von dem 
bezeugt wird, daß er „ein vortrefflicher Drganift war, dem nicht leicht ein anderer 
zur Seite geftellt werden konnte.“ Cr ließ ſich ein Pedaltlaviford fertigen, damit 
fich feine Zöglinge, die er zum Lehramt und zu Organiften bildete, ſobald als 
möglid; auch auf dem ‚Pedal üben fonnten. Als Komponift ſchrieb er viele Orgel: 
fiüde und einen ganzen Jahrgang Kirchenlantaten, vor denen verfchiedene nod im 
Mötr. vorhanden find. 1784 fiarb er zu Fellboch. Sein Sohn: Samuel Gottlob 
A., war om 23. Nov. 1758 geboren und erlangte in der ftrengen Schule feine 
Vaters die Grundlage feiner mufifalifhen Bildung. Ein wedfelvolles Leben 
führte ihm im die verſchiedenen Stellungen eines Muſillehrers in Zürid, eins 
Hofmufilus in Stuttgart, eines Mufifdireftors in Zofingen, Schaffhauſent) und 
Winterthur, des Seminarmufiflehrers in Bebenhaufen, des SKonzertmeifterg am 
Hofe der Herzogim-Witwe Franzisla zu Kirchheim u. T. und endlich von 1817 
an des Muſikdireltors und Drganiften am Münfter in Ulm, als welder er 
1828 farb. A. Hat aufer vielen größeren und Heineren Mufihwerken, Liedern, 
Kantaten und Deotetten, ein Choralbud; für Zürid Herausgegeben. Cine von ihm 
Tomponierte Chorafmelodie „Ihr Himmel öffnet euch“ iſt zu Langbeders Lied „Wie 
wird mir fein, wenn id did Iefum fehe,” noch jegt im Scheffh. ©.-8. 1841; 
bei Kocher, Zionsgarfe I. 1855, im Drei Kant. G.-B. Nr, 346 und kei 
Szadrowsth, Ch-B. Nr. 346. ©. 140 zu finden; fie Heißt: 


Bahgefellfäaft in Leipzig verfolgen. Die dort erwähnte Polemik zwifden A. und C. ©. P- 
Grädener vom 3. 1850 bezog fid Lediglich auf die Art und Weife der Aufführung Bacıjder 
Werte, ob mit erweiterter Iuflrumentation oder niht. M. fhrieb bei biefer Gelegenheit eine 
„Berteidigung der Hamburger Batgefeliäinft gegen die Angriffe des Herrn €. ®. B. Gräbener.“ 
Hab, 1856. Säuberik. 29 ©. 8. 


*) In Scaffganfen Görte RM. v. Weber gelegentlich des 4. Jahresfefles der „Helvetifcen 
Mufitgefelfgaft” vom 21.25. Aug. 1811 eine Ouvertüre von A, die er aber „als Hüd 
mittelmäßig und abgedrofgien“ haratteriftert. Bgl. Schweiz. Mufilsig. 1881. ©. 152. 


Anberlen. Auf Ehrifi Himmelfahrt allein, 55 


— 


Wie wird mir fein, wenn ih dich Je-fu fe + he, in 
Wenn ich ver » Märt vor deismemThrome fie » de, die 











































































































ie wind mir fein, 0 Ger, ich fh oe 























ES 
— — — — 
— — 

















nicht, nur Thränen rinnen mir vom An- ge ſicht. 


Ein Better des vorigen, Nikolaus Ferdinand A., war am 11. März 
1755 zu Kirchheim u. T. geboren und fam 1784 ala Nadhſoiger des Georg Daniel 
A. nah Felbah. Cr beſaß eine bedeutende Fertigkeit im Klavier-, Biolin- und 
Drgelfpiel, und das Studium der mufitheoretiigen Schriften von Bogler, Knecht 
w. a. war feine Siebfingsbefcäftigung. 1799 Beteifigte er ſich bei der Herausgabe 
des Knechtſhen CH-B., in das aud) ſechs von ihm Tomponierte Choräle Aufnahme 
fanden, von denen folgende drei ſih mod) im Württ. Ch. B. 1828 erhielten: 

Nr. 182, ©. 66: Nach einer Priifung Kurzer Tage. 1797. 

G-dur.hededchceh. 
Nr. 199, ©. T1: Erheb, o Seele deinen Sinn. 
C-dur. dahgfogahec, 
Nr. 227, ©. 30: So Iemand ſpricht: ich Liebe Gott. Nach einer Ode 
von ©. Ph. €. Bad; in einem Choral verwandelt. 1794. 
Asdur.asesdeschbe. 

Mit befonderem Erfolg unterrichtete er junge Lehrer in der Muſit und unter 
feinen Schülern war aud Fried. Silcher. — Sein Son: Wilhelm Aman- 
dus A, war am 24. Oktober 1798 zu Fellbach geboren und folgte feinem Bater 
1828 im Amte, das er bis 1872, in den fegten Jahren als Oberlehrer, führte. 
Er Hat mamentlih auf dem Gebiete des Sqhulgeſangunterrichtes Hervorragendes 
geleiftet und ift Daneben aud auf dem Welde der Kirdenmufk durch Herausgabe 
von Choraffemmlungen, ſowie durch Kompofition von Dotetten, geilen Liedern, 
Begräbnisgefängen in erfolgreicher Weife tätig geweſen. 





Auf Chrifti Himmelfahrt allein — Kantate zum Himmelfahrtsfeft 1735 
von Seb. Bad, mit einer Choralfantafie am Anfang und dem Schlußchoral, O Gott 
du frommer Gott” zu der Strophe „Alsdann fo wirft du mich gu deiner Rechten 
fellen.” Ausg. der Bach-Geſ. XXVI Nr. 128. 


56 Auf dieſen Tag bedenken wir. Auſerſtehn, ja auferſtehn wirft du. 
Auf diefen Tag bedenfen wir, Choral: 


— — — — 


gut die-fen Tag be-den-ten mir, daß Chriftgen Him-mel gfah - ven, 
und dan-ten Gott in döch- ſer Bgier, mit Vin er wol be- wah » ten 















































— —— — 


uns ar-me Sünder Hier auf Erd, die mir von wegen wiancher Gfährd 










































































——— —— ———— 

ohn Hoffnung Han fein Tro » fle: Hal⸗le Mn ja, Hal-le-lu jal 
zu dem Himmelfahrtslied des Dr. Johann Zwick (1496—1542) von füddeutfchem 
Urfprung, deſſen ältefte Duelle nad Tuchers Zeugnis bei Zahn, Euterpe 1878. 
©. 173 das Straßb. G.«B. von 1537 ift, während dFiſcher, Kichenlieder-Ler. 
1. ©. 49 im Froſchauerſchen ©.-B., Zürih 1540 (wo nad) Jalob und Richter, 
Ch.B. II. ©. 487. Nr. 535 die Weile ſich ebenfalls finden fol) die Melodie des 
erften Pſalms als vorgeſchrieben angiebt, und die obenftehende mirolydiſche Weiſe 
erft im Straßb. ©.-8. von 1560 erſcheinen läßt. Bol. auch Wadernagel, Kirchen- 
lied II. Nr. 682. 








Auferftehn, ja auferftehn wirft du — dies beliebte Gedicht Klopſtods, 
das in feinen „Geiftligen Liedern” I. Teil, 1758. ©. 80 erfimals gedrudt erfchien, 
hat im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von Melodien Hervorgerufen. Die ältefte 
derfelben ift die von Ch. 9. Ozaun unmittelbar nad dem Exfheinen des Liedes 
erfundene, weitbelannte Arie: g ea|ghc|dTed|c h— as „Geifll. 
Oden von einigen Tonkünſtlern in Berlin.“ 1758. S. 34—35. Ihr folgte die 
in Norddeutfchland in kirchlichem Gebrauch ſtehende Weife: 

ES = 


ze * —— 
Dt —— —— 


Auf · ex · ſehn, je auf» er- ftehn wirft du, mein Staub nad; tur » zer Muh; 
2 = = 
: + — 
Ba — — 2 i ! ri 
Un-Rerb-fihs Le - ben wird,der dich fu, dir ge-ben. Halle -Tu + jat 


von C. Phil. Em. Bad. Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamb. 
GB. 1781. S. 14, die dann in Kühnaus Ch. U. Teil, 1790. ©. 225. 
Nr. 200 aufgenommen, ſich bald verbreitete, auch das Berner Ch.B. 1854. ©. 45. 
Nr. 164 enthält fie. — In Säddeutſchland ſchufen Juſt. Heine. Nneht_(c eg 


ce acfaag) und Mag. Fr. Chriſtmann (d chd ededceh) mi 














































































































Anferfichn, ja auferfichn wirft du. 37 


weitere Weifen, die Seide 1793 entſtanden und im Württ. Ch.B. von 1799 
göruct wurden aber feine Verbreitung fanden. Dagegen erlangte in Rorddeutfiland 
ine zweite Weife: 

’ = = 


ze ——— 


Auf-er- fen, ja anf » er- Ref wirft du, mein Staub nad} fur -jer Ruß; un“ 


8 = = 
— — E 
U Rerbrfihe ge=ben wird der did fünf Dir ge=ben. Bal-le + fu + jal 


Eingang in den Kinhengeſang. Sie dürfte Iofann Georg Beutler (ogl. den Art.) 
eis Erfinder zugehören, in defien „20 viert. neue Choralmelodien“ Meifen 
0.9. &. 20 fie fih findet; aufgenommen wurde ie zuerft in die Ch-BB. von 
op. EHrit. Kittel, Altona 1803. ©. 16. Nr. 15 u. €. ©. Umbreit, Gotha 1811. 
&.40. Nr. 79, and im Ciberfelder ©® 1857 if fie dem Liede beigegeben. — 
Cine weitere Weile von I. DB. Gtobler, Ctodilantor und Reftor zu Bayreutf 
(ft. 1819) iſt in der proteſtantiſchen gitche Bayerns im Gebraud; fie Heißt bei 
Kuyriy, Ken II. Mr. 147. ©. 9: 

f —— —— — 



























































































































































Auf · er- ſehn, ja auf - et · ſehn wirft du, mein Staub nad; kurzer Ruhl 








= + 
—— 


un / ſeth/ liha Le ben wird der dich ſhuf die ge» ben. Hal +Te - fu-jal 
Noch eine andere von Dr. Kont. Kocher (vgl. den rt.) 1825 für das Württ. 
35.8. von 1828 (Nr. 113. ©. 64) fonponiert, erlangte in Württemberg audſchließ- 
ih Geltung. Sie heißt im Wirt. Ch. B. von 1844 Nr. 51 (Chor.-Mel, Nr. 69. 
2. 50): 
























































23 


3 = FE — 
— — 
Auf - crx. ſehn, ja auf -er-Rehmmirft du, mein Staub nach fur » zer 












































23 23 Ey 


Besseren = 


Ruh; um » Merbsfihe Le » ben wird der dih ſchuf dir ge = den. Hal 



























































— 


le lu- jat Halle > Tu > jal 





























58 Auf meinen lieben Gott. 


Auf meinen lieben Gott, Choral, deſſen Melodie urfprünglih dem welt: 
lichen Liebe „Venus, du und dein Kind feid alle beide blind“ angehörte, mit dem fie 
ih in „Kurgweifige Teutſche Feder zu dreyen Stimmen, nad) Urt der Neapolitanen 
oder Welſchen Bilonellen . . . newlich durch . . . Dalobum Regnart Tomponiert. . . 
Nürnberg 1574, Nr. 8 (fpätere Ausgaben von 1578. 1580. 1595) erftmals 
findet. Im der Ausg. von 1578 Heißt fie im Original: 


Kantus. 
+ — 
F — 
Ber mus du und dein Kind, ſeid al» Te bei- de blind, und pflegt auch 
+ — — 
ern — — — — 
zu vor-blen-den, wer ſich zu euch tut wen · den, wie ich wol hab er -fü-ren 








































































































— — 
in meinen jun· gen ja + vom. 

Mit dem Liede „Man ſpricht, wen Gott erfreut“ kam fie umgebildet in den 
Rirhengefang, bei Barth. Gefins „Geiftl. deutſche Lieder,“ Frantfurt a. O. 1605 
und noch im Koburger ©.B. 1621, findet fie ſih als „Zom“ („Venus du und 
dein Mindt") zu diefem Kiede bezeichnet Dem diede „Auf meinen lieben Gott,“ 
dem fie dann geficben it, eignete fie zuerft Meldior Bulpius „Ein ſchön geiftfis 
Geſangbuch . . . Iena 1609. ©. 525 zu. Sie heiht in ihrer lirchlichen Umbildung: 


+ n + 
Eee ee 


Auf meisnen Üie-benGott trau ih in Ang und Rot; er Tann mid) all 












































——— —— 


zeit ret ten, aus Trüb ⸗ ſal Angſt, und Nö-ten, mein Um-gfüd kann er wen · den, 










































































feht alle in fei»nen dan ·den 


Nach v. Winterfelds Vorgang, Evang. Kirchengeſ. I. S. 239 wird irrtüm⸗ 
licher Weiſe Iopann Hermann Schein noch da umd dort als Erfinder diefer Melotie 
genannt, fo 3. ®. bei d. Dommer, Handb. der Mufilgefö. 1868. ©. 325. u. 9. 
Sch. Bad; Hat die Weile mehrfoch als Schlußchoral von Kantaten benuft, ein oder 
zweimal mit Strophen aus obigem Liebe — Fantate „IH Habe meine Zuverfiht” 
Strophe 1 („Auf meinen lieben Gott"); Kantate „Bringet dem Herrn Ehre feinet 
Namens," Strophe 6 („Amen! zu aller Stund“ — fo vermutet Ext, Baht 


Auſſchnitt. Auftakt. 5 


Choralgeſange I. Nr. 13, während Spitta, Bach II. S. 995 die fegte Strophe 
von „Wo foll id) fliehen hin“ dem Gang der Dichtung gemäßer Häft); dann mehr 
fach zu Strophen aus „Wo fol ich fliehen Hin" — Kantate „Wo fol ich fliehen 
Hin“ mit Strophe 11 („Führ and mein Herz und Sinn“), Kantate , Erforſch mich 
Gott“ mit Strophe 9 („Dein Blut der edle Saft”), Kantate „Was foll ih ans 
dir machen, Ephraim” mit Stropfe 7 („Mir mangelt zwar ſchr viel"). — 


Auffchnitt oder Mund Heißt die Öffnung im Korpus der Pfeifen ſämtlicher 
Labialſtimmen der Orgel, die ſich unmittelbar Über der Kernfpalte befindet und die 
Fortpflanzung der beim Durchgang durch die Kermfpalte entftandenen tonerregenben 
Schwingungen auf die im Pfeifenförper mod ruhende Luftſäule vermittelt. Die 
Form und Größe diefer Öffnung ift meben der Menſur des Korpus und dem 
Bindzufluß von weſentlich beftimmendem Einfluß auf Ouafität und Charakter des 
Tons. Die Form des Aufſchnitts ift bei vieredigen, hölzernen Pfeifentörpern die 
eines Redteds, deffen längere Seite (Höhe des Auffhnitts) dem Langédurchſchnitt 
der Pfeife parallel ift; bei chlinderförmigen Pfeifen, deren Form entfprehend, anders. 
Die Größe des Aufſchnitts, die durch die verſchiedenen Arten der Bärte (vgl. den 
Art.) teilweiſe modifiziert wird, richtet ſich genau nad; der Menfur des Pfeifentörpers. 
Die je nach dem zu ergielenden Toncharatter gewöhnlich angenommenen Größenver- 
haltniſſe des Auffhnitts find: 

Höhe zur fihten Breite =1:4,1:3,2:3. 

Breite des Aufſchnitts zur lichten Breite des Korpus: 

bei offenen, vieredigen Holgpfeifen = 1: 4 
bei Gedadten 1:3 
bei chlindriſchen Pfeifen =1:4,2:7. 

Negifter mit enger Menfur, ſchmalem Auffgnitt und ftartem Windzuflug haben 
ſcharfen, reicgenden Ton; fhmaler Auffänitt bei ſtartem Wind bewirkt bei eng 
menfurierten Stimmen das Überbiafen, die Bildung der Harmonifgen Obertone, wie 
3. B. bei Duintatön und Nachthorn, welche die Oberquinte mithören (affen. Auch 
die Flache des Auffhnitts Hat Einfluß auf den Ton und foll möglichſt glatt und 
eben gearbeitet werden. 


Auftakt, in der immer mit Tatteinteifung verfehenen neueren Mufil ein über 
den erften ganzen Talt der Melodie vorgeſchobener, ein- oder mehrgliedriger, ſchlechter 
Tatueil (Arfie), dem die erfie Hauptmote der Melodie mit dem Tattaccente (Thefie), 
folgt, und defien Betrag im Schlußtalte entweder abgezogen, oder dur; Paufen zu 
einem ganzen Talte ergänzt wird. Die alte evangelifche Kirchenweiſe, wie die ger 
famte alte Pufil, fernen den Kuftalt in diefer Weife nicht: die Gefangbüder und 
Rantionale ſeben entweder die zur Bervollftindigung des Taftes nötigen Paufen dem 
leichten Taftteile voran, oder fle verlängern bei Melodien in jambiſchem Peremafe 


6 Ausgleihungsbälge, Regulatoren. 


die erfte auf der kurzen Silbe ſtehende Note um das doppelte (oft nad; mehr) ihres 
Wertes ;ʒi) z. B.: 


1. Rum un euch liebe Chriflengmein. 
Eiſench. ©.-2. 1861. Nr. 92 — — 
gar 8-8. 152. BESFESEZESHS 
Dr. Bien, Beil. 0.8. = EFF 
—* gen — = 


ig, Peltriug, Mus. Sion. — 
— + — 




































































2. Aus meines Herzens Grunde. 
Eiſenach GB. 1.4. 1-4 — 5 


* — 


Sein, Kant. 1a21. BZ = — 
=—= — 


3. Alein Gott in der Höh ſei Ehr. 
Eiſenach G.B. Nr. 51. =SBESESSSITS 


9. ©. Hafler, 1608, Ferm ren 
Barth. Gefius, 1601. & 


Da 

















































































































zz 








= ze 














Die Praris der gegenwärtigen Choralblcher in Bezug auf den Auftakt ifi 
verfieden. Gewöhnlich werden einer umd zwei vorgeffohene Töne als Auftakt im 
modernen Sinn befandelt, bei dreien aber der Takt in der alten Weife mit vor: 
gefegten Pauſen ergänzt (z. ®. bei Ert 1863, Jatob und Rigter 1873 u. a.), 
doch findet man felbft drei vorgeffobene Töne als modernen Auftaft genommen 
(4. 8. Warn. CB. 1844). 


Ausgleihungsbälge, Negulatoren im Gebläfe der Orgel, vgl. den Art. 
„Gebtäfe.“ 


') d. Tuther bepeiinet foldje Verlängerung ale „jambifd; lange Anfangsnoten“ und Mendel, 
Berner €5.-8. 1854. Vorr. &, III, meint „diefelbe verfeihe in der That der Melodie eine eigen. 
ümtihe Rufe und Frcfihe Wirde, und nehme dennod der Darauffofgenden Note Iren gebüßrenben 
Accent teinestwege.” 


Aus der Tiefe rufe ich ıc. — Ans tiefer Not ſchrei ich zu dir. 61 


Aus der Tiefe rufe ich Herr zu dir, Kantate über den 130. Pſalm und 
die 2. und 5. Strophe des Liedes „Herr Jeſu ChHrift du höchſtes Gut“ von 
Seh. Bad. Sie ift die zweite der drei älteſten Weiniariſchen Kantaten, aus fünf 
großen Sägen beftchend. Bgl. Spitta, Bad I, ©. 444—451. 


Aus meines Herzens Grunde, Choral: 

























































































—e N + 
— — — = —— 
— Her zens Grun + de fag id die gob und Dant, 
Im die-fm Mor» gen- fm = de, da «zu mein Ber ben-iang 

= + 
0 Gott in dei » memZhron, dir zu Sob, Preis und Gheren, 
— — E 
— — — = * F 





























durch Ehri-fum um » ſern Hs ren, deinn ein» ge— Bor « men Sohn. 


Das Lied erſchien zuerft in einem „Hamıb. Gefangbülgfein" 1892, (Wadern. V. 
Pr. 248) und im „Rem Chriflid; Pjahnıbud,“ Greifswald 1592 (Mügell II. 
S. 463 ff. Wadern. V. Re. 252) und Midael Prätorius, Musae Sionae 1610 
nannte Iohann Mathefius als Verfaſſer deffelden; ihm folgten viele G.-BB und 
Hymnologifdie Schriften und fo Sildete ſich nicht nur die Tradition über den Diäter,') 
fondern aud; die über den Erfinder der Melodie: man glaubte dies Knne Niemand 
anders fein, als der Kantor des Datfefius im Ionhimsthal, Nitofaus Hermann 
(ogl. den Art). Allein die Melodie ift wahrſcheinlich weitfide Bolksweife zu dem 
Terte „Herzlich thut mich erfreiven, die frölich Sommerzeit,"?) ein Maien. und 
Liebestied, das Iohann Walther geiffih umdistete. Zu diefer Umdictung ift die 
Melodie erftmals verwendet bei Wolder, New Rutedismus Geangbüchlein, Hamb. 
1598. ©. 222. Pr. 101; gleihgeitig erfheint fie and bei Aug. Nörminger, 
Tabulaturhuch im Dffe. 1598. Teil I. Nr. 73. — Die erfien Kirdengefangbüder, 
die fie aufgenommen Haben, find: Das Eislebener ©.-8. 1598. S. 353. Nr. 180 
und Barth. Gefins, Deutfeje Geifl. Lieder. Frantf. 1601. Bl. 1852, (Baden. V- 
Nr. 253). — 


Aus tiefer Not ſchrei ich zu Dir. Diefes Lied hat im ebangeliſchen Kirchen: 
gelang zwei Melodien, von denen die erfte Wittenberger Urfprungs und zu demfelben 


1) Iedod; findet es fi) weder in feinen befannten Originaftverfen, noch in ſpäteren Samm- 
Tungen feiner Lieder, — und auch fein Biograpf, Mag. Joh. Balıh. Mattfefius (Dresden 1705. 
©. 202) fan mr der Tradition folgend fagen: „Aus meines Herzens Grunde“ wird ihm 
aud) inegemein, daß er der Autor fei, zugeläjrieben.“ 

?) Aus Bicinia Gallica Latina et Germanica. Viteb. 1545 abgedrudt bei Wadernagel, 
Das deutſche Kircheul. 1841. ©. 848. 


62 Aus tiefer Not ſchrei ich zu dir. 


mehr in Norddeutſchland gebräudfic if. Die zweite Melodie iſt Ctrahburger 
Urfprungs und eignet dem diede mehr im Sübdeutfehland, während fie in Nord- 
deutfehfand meift auf das Lied „Herr, wie du-willt, fo ſchits mit mic" Hbergegangen 
if. Die erfte diefer Melodien Heift: 











—— 
Zee zz rzs 


Mus tie » fer Not färei ih zu dir, Herr Gott, er - gor mein Ru 
Deingnärdig Operen fehe zu mir umd meir mer Ditt fie öf 


















































——————— —— 


Denn fo du willt das je - hen an, was Sund und Un- recht iR gerthan 


— — = 


wer Tann, Herr, vor die bfei + ben. 
































und ihre älteften Quellen!) find die folgenden G-BB der Reformationszeit: Johann 
Baltgers Chor-Gefangbügfein, Wittenb. 1524. Nr. 4. — Zwidauer O8. 1525. 
Dt. IVa. — Wi, Beiß, GB. der Böhm. Brüder 1531. Dt. LXITa. (hier mit 
dem Legt „Aus tiefer Not Laßt ums zu Gott”). — glugſches ©.-B. Wittens. 1535. 
Bl. 495. — Luthers Begräbnisgefänge, Wittenb. 1542. Bi. LIIa. — Bal. 
Babſtſhes ©-B. Leipz. 1545. I. Teil. Nr. 28. — Süddeutfgj: im Straßb. ©.8. 
von Thiebold Berger 1566. ©. 125. — Niebderdeutfh: im Magdeb. Endieidion 
von 1576. Dt. XXV. 

Seh. Bath Hat unfeen Choral in der Kantate „us tiefer Not ſchrei ih zu 
die” zum 21. Sonntag nad Trinitatis behandelt. Cr benugt die erfle Strophe zu 
einem einfeitenden Choralchor, der päter aud) als Motette verbreitet wurde. Bol. 
Spitte, Bad) II. S. 429-430. Zum Schlußhorel verwendet er die 5. Strophe 
„Ob bei ums ift der Cünden viel.“ Ausg. der Bach Geſ. VII. Nr. 38. Der 
Anfangscor auch bei Ext, Bas Choralgef. I. Nr. 150. 

Die zweite Melodie erfhien zuerft im Straßburger „Teutf Kirchen ampt“ 
1525. St. Cla. Nr. 4 — dann in „Palmen gebett, und firfen übung . . - 
Straßb. Koppel 1580. Bl. 436. und im GB. von Thiebold Berger, Straf. 
1666. ©. 233. 


1) A. W. Ambros, Geſch. der Muf. IIL S. 375 fat feine Verwunderung darüber aus · 
geiprogen, daß nod) Niemand es bemerkt Habe, daß dieſe Weife aus einem Lied „Mens Tran- 
erns iR” von Paulus Hoffhaymer, dafı fih in Georg Forflers „Ausbund fhöner Teutjeer 
Siedfein“ 1689. Mr. 91 findet, entflanden fi. Doch hat E. Dreher, Monatsfefte für Mufitgeig- 
1. 1869. S. 61 mafgeieien, daß beide, Die drei erflen Töne und etwa die Schlußzeile, abge 
tefpet, Teinerlei Agnlicteit miteinander Gaben. 


Aus tiefer Not ſchrei ich zu dir. 63 


Das erfte katholiſche deutſche ©.-8. von Mich. Behe, Leipz. 1537. St. A Ile. 
vermendet fie zu dem Tert „Unfre Zuflucht, 0 Gott, Bf du,” das Bahflice 
6.8. 1545. II. Teil. Rr. 6 zu „Auf did, Herr, ift mein Trauen feif,” und 
das G. V. der Bögen. Brüder 1566, zu „Öleid) wie der Hirfe; zum Baffer eilt," — 
Im ihrer urfpränglihen chythmifgen Form Heißt fie in diefen G.-BL.: 


Be SSSSS22B — 

€ ⸗ F#+ * ⸗ A] 
[Ans tie» fer Not laßt uns zu Gott von gan-zem Ger »zem  fdhreisen, 
Bit» ten, daß er aus feiner Gnad uns mollvom DM «bei freisen, 



















































































Bıirear — 


umd al + fe Sund und Difefer that, die um+fer Fleiſch be» gan · gen Hat, 




















= m = 
als ein Ba-ter ver zei - - dem 

Eine andere rhythmiſche Geftaltung erhielt fie in den fpäteren Rantionalen ; 

dieſelbe lautet 3. B. in einem Tonfag von Gotthard Erytfräus in feinen „Pfahmen 
vnd Geiſtlichen Liedern,“ Nurnb. 1608 fo: 

— — — J— 


Har, wie du wilt, fo ſcita mit mir, im erben und im Sutr / ben 
A: Tein zu dir  Meftmein Be gier, laß mid,Hert,nidt ver + der « ben! 


re — 


&r-Galt mid, nur in dei- ner Huld, fonft mie dur willt; gieb mir Ge- duld, 






































































































































—— — = 
denn dein Wi if der be» > fe) 
Auch diefe zweite Melodie Hat Sch. Bad) mit dem Tert „Herr wie du willft 
fo ſchids mit mir” als Schlußchoral der Kantate „IH ſieh mit einem Fuß im 
Grabe,“ einem Werke „vol Todesernft und Glaubensinnigkeit· zum 3. Sonntag 
nad Epiphanias (22. Ian. 1730) verwendet. 








H Im Bezug auf Das Berhäftnis beider Melodien zum urfprängliden Terte meint v. Winter- 
feld, Zur Gefä;. Seit. Tontunfl. 1850, 1. ©. 18 „daß die zweite Melodie ſih dem ganzen Liede 
viel gfüdfier anfäließe, als die erfle, die nur den Ton der erflen Stropfe aufs treffendfle 
anfäfage.” — Dod läßt fih wohl Über die Vereätigung diefer Anfiht freiten. 


64 Aulhenliſch. 


Authentiſch werden diejenigen ſechs Kirchentonarten genannt, bei denen die 
Dftav, die aus der Verbindung einer volllommenen Quinte (Diapente) und einer 
voltommenen Duarte (Diatesseron) befteht, Harmonifch fo geteilt if, daß die 
Quinte unten und die Quarte oben fiegt und die Dominante (Duinte) ale Medium 
harmonicum erfgeint; ihr Ambitus im Cantus perfectus erftret fi vom 
Grundton bis zur Dftave. Es find folgende: 




























































































B B f 
Aral) SE 1. Siogenton. 
— 
— —— 
een) = ; FE 11. Kirgenton. 
> 
di — — 
—2 — — V. Kirchenton. 
— — — 
(trend) —— — VII. Sirhenten. 
— 
Aoliſch. IF IX. Kicchenton. 
Doriſch XI. Rirdenton. 








Die vier erſten dieſer Tomarten find der Tradition zufolge von dem Bifcef 
Amdrofins von Mailand (vgl. den Art) um 375 n. Chr. aus den Trümmern 
der griechiſhen Tonarten ausgemähft und in den Ambrofianifgen Kirgen- 
gelang (ogl. den Art.) eingeführt worden. Sie hießen anfangs einfah Protus, 
Deuterus, Tritus, Tetrardus sc. Tonus — der erfe, zweite, dritte und vierte 
Tom. As dann Öregor der Große (vgl. den Art.) für dem von ihm ein 
gerichteten Gregorianifgen Kirhengefang (vgl. den Art.) jedem der vier 
Amdrofianiföen Töne feinen Plogalton eigab, erhielten die vier urfprünglichen Töne 
die Begeihmung anthentifhe‘) („authentici, id est auctoriales® fagt Her- 


*) Dod findet fih eine firengere Unterſcheidung zwiſchen authentiſchen und plagalen Ton: 
arten erft bei viel fpäteren Scheiftfielern, etwa von Guido d. rey30 an, der an einer Stelle 
bei Gerbert, Seript, IL. ©. 56 fagt: „ . . . consilium fait, ut quisque tropus partiretur 
in duos, ut gravia gravibus, acuta convenirent acutis. Et acuti authentici: graves 
voro graeco plagae, Intine subjugales vel laterales vocantur.“ 


Sad). 65 


manus Contractus), entweder als durch die Autorität des Biſchefs Ambroflus 
eingeführte, oder als authentifc vom griechiſchen Tonartenfoftem abgeleitete Töne. — 
Die beiden legten, Aoliſch und Joniſch mit ihren Plagalen wurden, wenn fie auch 
icon früßer belannt gewefen ſein mögen,!) doch erft durch Olarean (Dodelachordon 
1547. &. 83) in der erften Hälfte des 16. Jahrhunderts dem Syſtem der Kirchen 
tonarten eingefügt, fo daß man mun im ganzen zwölf derſelben zählte. Die 
Dftavgattung H — f — h, Hyperacolifc, und ihre Blngale F— h— f, Hyper 
phrygiſch, die man Tonus in si nannte, fielen, obwohl Gefänge in denfelben 
vorfamen,®) wegen des falſchtönend auftretenden Teilungstones f weg. Auch das 
vWydiſche, das an demfelben Fehler feidet, war zwar im mittelalterligen Kirchengefang 
ſehr gebräuclic, im evangelif—en Kirchengeſang des 16. Jahrhunderts verſchwand 
&, teogdem man frühe ſchon angefangen hatte, das unmelodiige-h in b zu ver- 
wandeln. 


B. 


Bad. Dieſer in der Geſchichte mufikeliſcher Kunſt ohne gleichen daſtehenden 
Familie gebüßret in unfrem Buche der Ehrenplahze es ifl ja der größefte Angehörige 
derjelben, Johann Sebaftian Bad, der Angelpunft in der Geſchichte der evangeüſchen 
Kirhenmufit. „Durd Generationen hindurch hatte die Bachfamitie diejenige Mufit 
gepflegt und vertreten, melde dem auf das Überſinnliche gerichteten Geifte des 
Deutſchen am meiften entfpricht, und daher auch von ihm zur höchſten Vollendung 
geführt werden follte: die inftrumentale Mufit und die an ihr fih vorzugsweife 
entwidelnde proteftantifg-tirglige Tontunft. Bon Geſchlecht zu Geſchlecht 
hatte ſich Die ſtets vergrößerte Summe mufitalijher Erfahrungen und Gewöhnungen 
fortgepflanzt, war allmählich zu einem Teil des Bachſchen Weſens geworden und 
tonnte fo den fruchtbaren Boden bilden, für die glüdlige Entfaltung eines Genies 
von umübertroffener Größe."?) — Das Badhgeſchlecht ift nad den Ergebniffen von 
Boiipp Spittas Forfgungen ein grund / deutſches und war in den thilringifpen Dörfern 


3) Altere Seifteller, wie Ouchald (Opuscula de Musica bei Gerbert, Seript. I. &. 127) 
im 10., Hermanns contractus (bei Gerbert II. S. 56) im 11., und fetbft Adam von Fulda 
(De Musica. 1490. bei Gerbert III. ©. 356) am Ende des 16. Jahrhunderts, wiffen von 
diefen Tonarten noch nicte. 

260 ;. 2. die Offertorien Perfice gressus am Sonntag Septuagefimä, Domine 
exaudi am Mitttood in der Karwode, Intonuit am Dienſtag, Erit vobis am Freitag nad) 
Oftern u. a. Val. Blicd in der Euterpe, 1877. ©. 151. 

») Bal. Spitta, Bad) I. ©. 179. Bon den aus der Badifamilie Hervorgegangenen Dufit- 
werten fagt ©. ®. Fint bei ing, Muft, er. I. &. 887 mit vollem Recht : „Sollte die 
Welt einmal alle die teefflidien Meiflerwerte diefer großen Familie beifammen fehen, fie würde 
Raumen über den Reihtum und das Ausland würde deutſche Kraft und Tiefe bewundern.” 

Rümmerle, Encofl, d. ang. Kircenmuft. 1. 5 





66 Ioh. Ludw. Badı. 


Gräfenrode, Rodhaufen, Molsdorf und Wechmar in der Umgegend von Arnſtadt und 
Gotha fon vor der Reformation angefeffen. Die direlten Vorfahren Sebaſtian Bache 
ſtammten aus Wechmar, wo 1561 ein Hans Bad als Mitglied der Gemeindevor- 
mundfhafts-Behörde genannt wird. Sein Sohn ift vielleicht Beit Bach, der zwifcen 
1550 und 1560 in Wechmar geboren ift, ſpäter das Bäderhandivert erlernte, dann in 
die Fremde ging und ſich in Ungarn an einem nictgenannten Ort niederließ. Bor 
1597 kehrte er von dort, wo er als Proteftantt Berfolgungen ausgejegt war, in fein 
Heimatsdorf nad) Thitringen zurü,") trieb fein Bädergewerbe fort, pflegte aber Daneben 
auch die Mufit und fpielte den „Eytheingen“ (die alte guitarrenartige Cithara) fo 
eifrig, daß er denfelben fogar mit in die Muhle nahm „und unter währenden Mahlen 
darauf gefpielet.“ Er farb am 8. März 1619 und hinterließ mehrere Söhne, 
von denen der ältere, Hana Bad, um 1580 zu Wechmar geboren, als Stamm- 
Halter das Handwerk des Vaters erlernen follte, „weil er aber eine ſonderliche Nei- 
gung zur Muſit gehabt," dem Stadtpfeifer in Gotha in die Lehre gegeben und fo 
der erfte aus der Familie wurde, der die Mufit zum Lebensberufe erwählte. Nach 
Wechmar zurüdgefehrt, verheiratete ex fih mit Anna Schmid, der Tochter des dor- 
tigen Gaftwirts, übernahm die Güter des Vaters, beihäftigte id) daneben auch mit 
Teppichmachen und zog in den benachbarten Städten und Dörfern umher, um dem 
Stadtmuſilanten zu helfen und zugleich den Luſtigmacher zu pielen.*) Doch ftarb 
er ſchon am 26. Dezember 1626 wahrfgeinlih an der Peft, und hinterließ drei 
Söhne Iohann, Ehriſtoph und Heinrich, auf die fein mufifalifger Sinn 
überging und von denen die drei Hauptzweige der Familie fih herleiten. Nad 
diefen drei Hauptzweigen follen im folgenden die für uns wihtigften Angehörigen 
der Familie aufgeffhrt werden. Zuvor aber Haben wir mod) eines Nebenzweiges 
zu gebenten, aus dem mehrere tüchtige Muſiler hervorgegangen find. Unter Beit 
Bass Söhnen wird auf ein Lips Bag genannt, der am 10. Oltoher 1620 


DJ Simtiße Siograpken und kLerilas fießen bis zum Erfheinen des Spittaſchen Wertes 
(1873) Beit Bad ans Ungarn abflammen und von Preßburg nad Thüringen auswandern. 
Diefe irrige Meinung veranlafte auch die Aufnagme einer Stammtafel der Bachfamilie im 
mBefreibung der Königl. ungar. Saupt:, Frey: und Krönungsftadt vrecburg Herausgeg. 
bei Joh. Matıh. Korabinsty. Breeb. 1784. I. ©. 3 u. 110, umd nod) Geute behauptet 3. ®. 
Brodhaus’ Konfero..Ler. 12. Aufl. 1875. vd. II. ©. 641: „Die Familie Bade ftammt aus 
Vreßburg in Ungarn“ umd Frant, Xi. Tontünfller-Ler. 6. Aufl, Leipzig 1878, ©. 10 füreibt 
ogar: „Iofann Sebafian Bade Bater, Johann Ambrofus Bad, verlieh Ungarn wegen der 
Religion und ging nach Thüringen.*! 

*) Gin Hoffenitt6ilonie, das €. Pi. € Bad noch defaß, Melt ihn mit Shele und 
Narrenfappe die Geige fpielend dar, und daneben flefen die Berfe: 

Hier hu geigen Hanfen Baden, 
Wenn du es hörſt. fo muſtu lachen. 
Er deigt altichwohl nach feiner Art 
Und trägt eimn hubichen Hans Vachens Bart.” 
Bol. Gerber, Neues Ler I. ©. 201. Bitter, Bad 1. S. 9. Spitte I. ©. 9. 


30h. Bad). 67 


Rarb. Deffen Sohn Wendel (geboren 1619, geft. 18. Dez. 1682) lebie in dem 
Dorfe Wolfsbehringen als Landwirt und Binterlieg einen Cohn Iatob Ba, 
geboren 1655, zuerft gantor in Steinbach, dann von 1694 an in Ruhla, wo er 
1718 farb. Sein Sohn war: 


Bach, Johann Ludwig, Rapeldirettor in Meiningen, der bedeutendfte Muſiter 
dieſer Nebenfinie und ein eigenartig begabter und umfaffend gebildeter Künftler, den 
Sebaftion Bad jo wert hielt, daß er fh viele feiner Kompofitionen eigenhändig 
fopierte. Er war 1677 in Ruhla geboren, wurde 1708 Hoftantor, 1711 Kapell, 
Direktor des Herzogs von Meiningen und farb 1741. Bon feinen Werfen find noch 
eine Orcefterfuite von 1715, adıtzehn Kirdenfantaten, die zwifden der älteren und 
fpäteren Kantate die Mitte Halten, und eine Anzahl Motetten vorhanden. Im Bezug 
auf legtere jagt Spitta: „Die Originalität und überragende Bedeutung diefer Ar- 
beiten wird erft völlig Mar, wenn man fie mit den zwitterhaften und flauen DMo- 
tetten anderer damaliger Komponiften vergleicht; id wüßte nad Sebaftian Bach nie- 
manden zu nennen, der Hierin dem Meininger an die Seite zu fegen wäre.“ ) 1718 
führte er, eine Paffionsmufit feiner Kompofition auf und ein Iahrgang Kirchentan- 
taten, der um diefelbe Zeit erſchien, und 1719 die dritte Auflage erlebte, ift pam 
oder doch größftenteils fein Werk. Seine Söhne: Samuel Anton (1713—1781) 
und Gottlieb Friedrich (1714—1785) erben das Talent des Baters und 
waren als Hoforganiften zu Meiningen angeftelt, ebenfo der Som des lehzteren, 
Iohann Philipp, der 1846 im Alter von 95 Jahren in Meiningen flarb. 


I Der ättefte Sohn des „Spielmannes” Hans Bad, Johann Bad), war 
am 26. November 1604 zu Wechmar geboren und erfernte die Gtadtpfeiferfunft bei 
dem Stadtmufitus Hoffmann in Suhl, bei dem er ſich fünf Iahre ala Lehrinabe 
und zwei Jahre als Gefelle aufhielt. Ob er dann, wie die Genealogie wil, nad; 
Schweinfurt gegangen und dort Drganift geworden fei, ift mindeſtens zweifelhaft, da 
ex fhon 1628 als „Spielmann” zu Wechmar erfheint. Am 6. Juli 1685 ver- 
Heiratete er fih mit Barbara Hoffmann, der Tochter feines Lehrherren und trat noch 
im ſelben Jahre die Stelle eines Direktors der Ratsmuſit zu Erfurt an. Durch 
ihn, der 1647 auch die Organiftenftelle an der Predigertiche dafelbft übernahm und 
am 13. Mai 1673 im 69. Lebensjahre farb, wurde Erfurt neben Arnſtadt und 
Eiſenach einer der Mittelpunfte der großen Bachfamilie.) — Er hinterließ drei 

)%. a. D. 5.509. Diefe Motetten befinden ih in Seb. Bachs Ablcriften auf der 
Königl. 1, andere auf der Amalienbibt. des Joachimsthalſchen Gym. zu Berlin; die Part. 
einer dreiteiligen Trauermuſil auf den Tod des Herzogs Ernft Ludwig von Meiningen, 1724, 
befigt ebenfalls die Königl. Bibl. in Berlin. 

2) Afung, Anleitung zur mufil. Gelahetheit. 1758. ©. 089. Anm. f. erzählt, dafı noch 
zu feiner Zeit alle Rats, und Kirgenmufifer zu Erfurt „die Bade“ genannt wurden, obgleid, 
{&on feit längerer Zeit fein Bad) mehr ein foldjes Amt verwaltet Hatte, — ein Beweis, wie 
die Thätigleit des Erfurter Zweiges der Familie dort förmlich zur Tradition geworden war. 

* 











68 3.8. Sad. 3. €. Bach. 


Söhne, von denen der ältefte, Johann Chriſtian Bad, am 25. Auguſt 1640 
geboren war und zuerft beim Vater in Erfurt als Mufiler lebte, dann 1665 alt 
Stadtpeifer nach Eifenad) ging, 1668 nad Erfurt zurücktehrte und 1673 im dir 
Stelle feines Vaters dafelbft eintrat. — Der zweite Sohn Johann Bas, Io: 
Hann Agidins Bad, war am 9. Februar 1645 zu Erfurt geboren. und zuert 
als Muſitus daſelbſt thätig; 1671 wurde er an Stelle feines nad Eiſenach ab- 
gegangenen Vetters Ambrofius Bach (dem Vater Sebaſtians) Bratſchiſt in der Rats: 
anfil, und 1682 folgte er dem älteren Bruder im Amte des Vaters als Rats— 
mufitdireftor und Organift der St. Midaclistirge. Er farb 1717 im Hohem Mer 
zu Erfurt. Sein Sohn ift: 


Bach, Dohann Bernhard, der als trefflicher Orgelfpieler und tüchtiger Komponifi 
zu den Hervorragendjten Mufifern feiner Zeit und feiner Familie gezählt werden muß. 
Er ift am 23. November 1676 zu Erfurt geboren, war zuerit Organift an der 
Kaufmannstirche dafelbft und muß fih hier einen befondern Ruf erworben Haben, 
der ihm 1699 nicht nur eine angefehene Organiftenftelle in Magdeburg, fondern 
aud 1703 die Nachfolgerſchaft des hochbedeutenden Johann CHriftoph Bach zu Eifenad; 
verichaffte, wo er zugleih als Kammermufitus in der Kapelle des Herzogs Johann 
Wilhelm von Sadjjen-Eifenad; “fungierte und folge Anerkennung fand, daß ihm fein 
anfanglich niedriger Jahrgehait 1723 faft ums doppelte erhöht wurde. Er ftarb zu 
Eifenad am 11. Juni 1749. — Bon feinen Werten find noch 4 Ordefterjuiten 
und eine Anzahl von Choralbenrbeitungen für Orgel erhaften.‘) Im den letzteren, 
die Gerber als „sehr gut ausgeführte Choralvorfpiele" haralteriſiert, zeigt er fid im 
allgemeinen als Nadfolger Pochelbels, der aber doch im einzelnen mandes Eigen- 
tümliche Hat. Auch gegen ihm zeigte Seh. Bad eine befondere Wertfhägung dadurd, 
daß er verſchiedene feiner trefflihen Orgefterjuiten eigenhändig abſchrieb. — Cein 
einziger Sohn ift: . 


Bad, Johann Ernſt, der, obwohl er eigentlich Advofat war, zu den beſten 
Kirchentomponiften feiner Zeit gehört. Er war am 1. September 1722 zu Eiſenach 
geboren, lam um 1735 auf die Thomasſchule zu Feipzig, wo er ein Schüler Se- 
boftion Bachs in der Muſit wurde und fpäter auch feine juridiſchen Univerfitäts- 
ſtudien abfolvierte. Zwar fie er ſich dann als Advolat in Eiſenach nieder, wendete 
ſich aber mehr und mehr zur Deufil und wurde 1748 feinem Bater als Gehilfe im 
Organiſtendienſt beigegeben, nad; deffen Tode zu feinem Nadfolger auf Lebenszeit, 
und 1756 foga zum ſachfenweimariſchen Kapellmeifter ernannt, als weldier ex jedod 


9) Die Oräeferfuiten 6efigt die Königl. Bibl. zu Berlin aus Seb. Bade Nachlaß; die 
Orgelwerle finden ſich zerfirent in den vom Joh. Gottfr. Walther gefammelten und geſchriebenen 
5 Bon, Choralbearbeitungen auf den Bibl. zu Berlin u. Königsberg, der 5. vd. im Privat: 
befig. Einen diefer Bde. 246 S. ſtart befaß früher Gerber, vgl. Neues Ler. I. S. 208. Spitta I. 
©. 25. Anm, 28. 


Ehr. Sad. 6 


Amt und Wohnfig in Eiſenach beibefielt. Er farb am 28. danuar 1777.) — 
Bon feinen Werfen nennt Gerber „eine Menge Pinlmen, Magnifitats, 2 Paffions- 
mufiten, eine große Trauermufit x. und Lieder,“ als ungedrudt, auch Habe er „viele 
Sinfonien für einen Hof geſchrieben, melde ſih aber alle gleich fehen follen.“?) 


I. Der zweite Sogn Hans Bade, EHriftoph Bad, der Großvater Johann 
Sebaſtians, war am 19. April 1613 zu Wechmar geboren, erlernte ebenfalls zuerft 
„Musicam instrumentalem“ und trat dann als Kammerdiener in die Dienfte des 
Herzogs zu Weimar. 1640 finden wir ihm zu Prettin, wo er wahrſqheinlich als 
Stadtpfeifer thätig war und fih mit Marin Magdalena Grabfer verheiratete. 1642 
trat er als Mitglied in die Ratsmuſit zu Erfurt, 1653 oder 1654 wurde er Hofe 
und Stadtmufilus zu Arnſtadt, wo fein jüngerer Bruder, Heinrich, Organiſt war, 
und flach dafelbft am 14. September 1661, erſt 48 Jahre alt. — Bon feinen 
Söhnen war Georg Chriftoph der äftefte. Derfelbe war am 6. September 
1642 zu Erfurt geboren, wurde zuerft Schufmeifter und Organift zu Heinrichs bei 
Suhl, 1668 Kantor zu Themar bei Meiningen, endlich 1688 Kantor zu Schwein- 
furt, mo er am 24. April 1697 als Stammvater des fräntiſchen Zweiges der 
Bachſamilie) ſtarb. — Die beiden jüngeren Söhne Chriftoph Bade, Iohann 
Ambrofius und Johann Chriſtoph find als Zwilinge am 22. Februar 1645 
zu Erfurt geboren umd wurden zunäct beide die Schuler ihres Vaters, mit dem fie 
1653 oder 1654 nad) Arnſtadt überfiedelten. Beide waren einander fo ähnlich, daß 
wenn fie zufammen waren, ihre eigenen Frauen fie nur an der Meidung zu unter- 
ſcheiden vermochten; fie Liebten ſich gegenfeitig auf das zärtlichfte und wenn einer 
von ihnen framf wurde, ward es auch der andere. Im Sprade, Neigungen und 


') &o nad Spina I. ©. 848 nicht wie bei Gerber, 9. Ler. I. S. 211 „um 1781". 
Sein Sohn Johann Georg (1751—179%) war Hofadvolat, Vürgermeifter und Organift zu 
Sienad;; deffen Enfel: Karl Chrifiian Leonhard, geb. 1811, Rümmereiverwalter zu Eifenadi, 
umd Karl Friedrich, geb. 1830, Minifteriafbeamter zu Weimar find mod am Leben. Die 
Todter eines der beiden Tepteren il die Mavierfpielerin Fanny Bad. 

*) Bon biefen Werten wurden neuerdings gedrudt: Fantafie u. Fuge für Mlavier. Paner, 
Alte Klaviermufit. Leipzig, 1867. Senf. II. Folge. Heft 3. — Fuge in F-dur für Orgel. 
Körner, Drgel-Birtuoe. Nr. 194. — 2 Sonaten für Alavier, F-dur und G-dur in der alten 
Sanımlung von Haffner. Nürnb. o. I. (1767). V. Nr. 3. VI. 1. Andere befinden fi im 
Mftr. anf der Königl. Cibt. in Berlin (2 Kirdienlantaten; der 18. Palm; Kyrie u. Gloria; 
Sonate A-dur u. Fant. u. Fuge A-moll) und im Privatbefik Spittas (Trauermufit; Deutſches 
Wegnifilat) und Afe. Dörffels in Leipzig (Magnifitat F-dur). — 

3) Bon feinen Söhnen war der ältehe, Johann Balentin, am 6. Juni 1669 zu 
Zhemar geboren, wurde am 1. Mai 1694 Stadtmufifus und Obertliemer zu Schweinfurt u, 
farb am 12. Auguft 1720. Deffen Söhne waren: Johann Lorenz, geb. 10. Sept. 1695, Orga 
mift zu Sahın in Franten, gefl. am 14. Dez. 1779; Johann Elias, geb. am 12. Febr. 1705, 
Aubierte Theologie in Leipgig und war [päter Kantor ud Infpeltor des Gymnafiums zu 
Sämweinfurt, flarb am 30. Nov. 1755. Zmei an ihn gerichtete Briefe Seb. Bade find er- 
Selten. Bgl. Spitto II. ©. 756-758. gindner, Zur Tonkunf. Berl. 1864. ©. 65-89, 














0 3. Chr. Bad. 


Gefinnung, im Styl und Vortrag ihrer Mufit waren fie einander völlig gleich und 
auch den Tod des einen überlebte der andere nur kurze Zeit, als ob beim Exlöfchen 
des einen Lebens aud der Inhalt des andern erfhöpft gewefen wäre’) Iohann 
Chriſtoph wurde 1671 Hofmufitus des Grafen Ludwig Günther zu Schwarzburg 
in Menftobt und ſtarb als folder, nachdem er viele Umannehmficfeiten in feinem 
Beruf und allerlei Not und PVelümmernis in feiner Familie zu erfahren gehabt 
Hatte, am 25. Auguſt 1693, in einem Alter von nur 48 Jahren. Cr hinterließ 
ls äfteften Sohn, Iohann Ernft Bad, geboren am 8. Auguft 1683. Der: 
felbe Hatte ein nicht unbedeutendes muſilaliſches Tatent und fudierte 1700— 1703 
zu Hamburg, gerade zu der Zeit, als Sehaftian Bad in Mineburg wer und von 
da ebenfalls nah Hamburg kam. Er wurde 1707 Sebaſtians Nachfolger als Orga: 
niſt zu Arnſtadt, wo er 1739 flarb. — Iohann Ambrofius Bad, der Vater 
Sebaſtians, war am 12. April 1667 als Nachfolger feines Vetters Johann Chriſtian 
(dem älteften Sohne Johann Bade, vgl. oben), der nad; Cifenad; gegangen war, 
als Biofinift in die Ratomuſit zu Erfurt eingetreten und Hatte ſich dann am 8. April 
1668 mit Elifabeth Lämmerhirt, der am 24. Februar 1644 geborenen Tochter des 
Ratsverwandten und Kürfhners Valentin Lämmerhirt dafelbft vermählt. Dieſer 
Ehe entjproffen im ganzen acht Kinder, ſechs Söhne und zwei Töchter, von denen 
jedoch nur drei Söhne und eine Tochter, den Vater überlebten. Diefer fiedelte im 
Dtober 1675 als Hof- und Stabtmufitus nad) Eiſenach über, wo er am 29. oder 
30. Januar 1695 flarb und am 31. Januar begraben wurde. — Die drei Söhne 
des Ambrofins Bach find: 


Bach, Johann Chriſtoph, der ältefte, befannt als der erſte Lehrer feines jün- 
geren Bruders Sebaſtian. Cr war am 16. Juni 1671 zu Erfurt geboren und 
erlangte feine muſitaliſche Bildung zunäct unter der Leitung des Daters, von 1686 
bis 1689 aber in der trefflichen Schule Johann Pachelbels, der damals Organift 
in Erfurt war. Frühe ſchon wurde er Organift am der Thomasfirde dafelbft; weil 
jedoch die ihm unterftelite Orgel eben fo gering geweſen fein foll, wie die Beſoldung 
des Drganiften, folgte er nad; kurzer Zeit feinem Vater nad; Eiſenach, von wo aus 
er einige Zeit aud den Drganiftendienft des greifen Heinrich Bad in Arnſtadt ver: 
fah. Am 17. Iuni 1690 trat er dann als Organift und Schuliollege zu Ohrdruf 
ein, hatte aber aud Hier nur ein geringes Einfommen, fo daß er zu wiederholten 
Malen um Aufbefierung bat, die ihm jedoch erft gerwährt wurde, als er 1696 einem 
Ruf nad Gotha zu folgen Miene machte. Nachdem er im Dftober 1694 durch 
feine Berheiratung mit Johanna Dorothea vom Hof einen Hausftand gegründet, war 
es ihm, als der Vater 1695 ſtarb, möglich, den 1Ojährigen jüngften Bruder, Io- 
Hann Sebaftian, zu fih zu nehmen. Vier Jahre verlebte der Knabe im Haufe des 
älteren Bruders und genoß deſſen Unterricht im Klavier- und Orgelipiel, während 


») Bgl. Bitter I, ©. 25. Opitta I. ©. 255. 


30h. Iak. Bad. a 


er zugleich im dem rühmlich befannten Lyceum zu Ohrdruf den Grund zu einer 
tüdhtigen allgemeinen Bildung legte und in dem tüdtigen Schuldor unter des Kantors 
Elias Herda Leitung fih zum Sänger ausbildete. Johann Chriſtoph ſcheint durch 
eine gedrädten Samilienverhätniffe etwas vergrämt!) und darum ein ftrenger Lehrer 
gewefen zu fein, wie die befannte Erzählung von dem weggenommenen Orgelbude 
amdeutet,?) ein Lehrer, deſſen Einfluß auf die Entwidlung des Schülers nicht unter- 
idägt werden darf.) Um Oftern 1700 verlieh Iohann Cebaftion das Haus des 
Bruders und Ohrdruf und ging nad Lüneburg, jedod nicht — wie bis jept allgemein 
angenommen wurde — weil dieſer geftorben war,*) fonbern weil es ihn drängte, 
fein mufifalifhes Talent weiter zu bilden und er die Kraft in ſich fühlte, jegt auf 
eigenen Füßen zu flehen. Johann Chriſtoph Bach farb am 22. Februar 1721; 
fünf feiner Söhne wurden Kantoren und Drganiften in Ohrdruf und Umgegend 
und von einem derfelben leben noch jest Nachtommen in Ohrdruf. 


Der zweite Sohn des Johann Ambroſius, Johann Jakob Bad, war am 
9. Februar 1682 zu Eiſenach geboren, Hatte „hei feines Vaters Suceffore (in Er⸗ 

%) Bie ans den fortwährenden Magen über „unmmgänglice Not“, „beiätverlices Haus - 
weien“, „ſchwache Leibestonftitution“, „tägliche Laſt der Schule“ zc. in feinen Eingaben hervor- 
geht. Bal. Muſit. Wochenbl. I. 1810. Ar. 27. S. 417 f., wo auch feine Befoldungsverhält- 
niffe mitgeteilt find. 

2) Bei Mihler, Mufil. Bist. IV. 1. &. 161 zuerſt, und ihm nad} von allen Biograpfen 
erzählt. 

>) Namentlich die Handferift Johann Ehrifopfe, tie Fe die Akten zu Oßrbruf mehrfach; 
zeigen, hat eine auffallende Ahnliteit mit der Johann Sehaftians, fo daß Hier der Einfluß 
des älteren Bruders auf den jüngeren'ganz unverlennbar ift. Bol. Mufit. Wochenbl. a. a. O. 
©. 418. Spitta I. S. 184. Anm. 7 meint dagegen, „daß man ihm eine große Bedeutfamteit 
für Sebaftians Entwidlung nicht beilegte.“ 

+) Wiibler, a. a. O. und dortel, Bachs Leben 1802. ©. 4. 5. haben zuerſt Sebaſtians 
Sqeiden aus Ohrdruf mit dem Tode des Bruders in irrtümliche Verbindung gebradit; fie 
faffen dies Ereignis „vermutlid 1698 oder 1609" eintreten. Ihnen haben dann fämt- 
liche Biographen, mit alleiniger Ausnahme Hilgenfeldts, Badjs Leben 1850. ©. 17., der die 
richtige Angabe macht, nachgeſchrieben. Bitter, der Hilgenfeldts Angabe kennt, Hält gleihmohl 
1. ©. 39 die faljge Annahme feft, und Dr. W. Ruſt bei Dendel, Ley. I. S. 396 ſucht die- 
jelbe noch zu fügen, indem er jagt: „Die Zeit (vom Joh. Ehriftope Ableben) iſt nicht mehr 
mit Sicherheit anzugeben, ift aber um deswillen fo früh anzufegen, da Johann Sehaftian bei 
feinem Auszug aus dem bisherigen Aſyl noch im Bollbefit feiner fhönen Sopranftimme war.” 
Feris, Biogr. des Mus. I. &. 187 f. will Gerber verdeffern und färeibt: E. L. Gerber, 
qui P’appelle (nämlich Joh. Chriftopg 8.) Jean-Bernard dit qu’il mourut en 1742 
(aber Gerber, N. 2er. I. S. 201 ſpricht von Johann Bernhard, dem Sohne Johann Chriſtophs, 
feine Angabe if aljo ganz rihtig), e'est une erreur dvidente; car Jean-Schastien, son 
frere, perdit par sa mort l’asile qu’il avait chez lui, à l’äge de quinze ans: ce fut 
done en 1701 que Jean-Christophe Bach cessa de vivre.“ — P. Kornmüller, Reg. der 
tirchl. Tont. 1870. ©. 39 verwechſelt Johann Ehriftoph B. mit dem gleihnamigen Bruder 
des Baters und macht ihn daher zum „Ontel“ Sebaftians, 


72 Ioh. Feb. Badı. 


furt) die Stadtpfeiferfunft erlernet“ und war dann 1704 als Hautboift in ſchwediſche 
Dienfte getreten!) „Hatte die Fatalität mit feinem gnädigften Könige Carolo XII. 
nach der unglüdfihen Pultawaſchen Bataille das türtifhe Bender zu erreichen. Allwo 
er in die 8-9 Jahre lang bei feinem König ausgehalten; und fodann (1713) ein 
Jahr vor des Königs retour die Gnade genoffen, als königlicher Hof und Kammer - 
muſikus nah Stodholm in Ruhe zu gehen.“ Bon Bender ging er zunädft nadı 
Konftantinopel, um bei Pierre Gabriel Buffardin, der dort beim frangöfifgen Ge- 
fandten ſich auffielt, noch Unterricht auf der Flöte zu mehmen.?) Ob er den Rüd- 
weg nad; Schweden über Deutſchland nahm und feine Verwandten in Thüringen 
beſuchte, ift unbelannt. 1722 ftarb er zu Stodfolm, erft 40 Jahre alt, „vermutlich 
dur) die übermäßigen Anftrengungen des ruſſiſchen Feldzugs gebroden.“ 

Der jüngfte der drei Söhne des Johann Ambrofius Bach, der größfte 
Meiſter der ganzen Vadfamilie und der alle um eines Hauptes Länge überragende 
Shorfügrer der Muſilerſchar der deutſchen evangelifhen Kirche i 


Bach, Iohann Sebaſtian, geboren am 21. März 1685°) zu Eiſenach. Seine 
ſicherlich früße ſich zeigende Begabung fand, der Bachſchen Familientradition ent- 
ſprechend, ihre erfte Pflege durch den Bater, der als Biolinfpieler ihn wohl haupt» 
ſachlich auf diefem Inftrument unterrichtet hat. Daneben denten wir und den Knaben, 
dem die Natur eine fhöne Sopranftimme mitgegeben, gerne auch beim Schülerchor 
Eiſenachs tätig und mit demfelben, wie 200 Jahre früher Luther, fingend die 
Strafen durhgiehen. Schon 1694 raubte ihm jedoch der Tod die Mutter,t) und 
wicht ganz ein Jahr darauf auch den Vater. Den völlig verwaiften zehnjährigen 
Kmoben nahm nun der ältere Bruder Johann Chriſtoph, der furz zuvor zu Ohrdruf 
ein Haus gegründet hatte, 1695 zu fi, erteilte ihm weiteren Unterricht in der 





*) Zum Abſchied des Bruders fhrieh Seh. Bach jenes merlwürdige „Capriccio sopra ia 
lontananza del suo fratello dilettissimo* — ein Werliien, das in der gefamten Baden 
Litteratur einzig dafteht. ES if abgebrudt bei Beer, Yansmufil. 1840. Rr. 2. ©. 112-128. 

9) Yufforbin wurde fpäter Kammermufiter in Dresden und als foldher Lehrer des be- 
rümten Ouang. Im Dresden lernte er and Seh. Bad; Tennen und ergähtte ihm jetbR den 
Aufenthalt feines Bruders in Konflantinopel. au. die Bochſche Genealogie und Fiirftenau, 
Gefä. der Mufit am Hofe zu Dresden. II. ©. 9 

*) &o nad) der allgemeinen traditionellen Sarah; urunbtic Beglaubigt iR nur der 
23. März 1085 ale fein Tauftag. Da ferner der gregorianifde Kalender im evangefifdien 
Deutfeland erf feit 1701 eingefüßet iR, fo iR jet der 31 März als der wirkliche Geburtstag 
Bachs anzufehen. Die Angabe des Geburtstages mit „16. Mai 1685* bei Bitter, Vach I. 
&. 36 Tann nur ein (freilich fonderbares) Berfchen fein, das Gier nicht anzuführen wäre, wenn 
8 nicht z. 8. Reißmann, Tonhalle 1869. Ar. 11. ©. 166 und P. Kormmüller, Ser. der 
firäf. Tonfunft 1870. &. 39 gleich nahgejrieben Hätten. 

) Am 3. Mai 1694 wurde fie begraben; am 27. November deflßen Jahres ſchloß Lob. 
Ambr. Voch eine zweite Che mit Barbara Magareta Bartholomäi, ber Wime eines Aenftädter 
Geifligen; zwei Monate darauf Mach auch er und die Familie löste ſich auf. 













30h. Seb. Sad. 73 


Ruf, hauptſächlich im Mavier- und Orgelfpiel, und führte ihn zuerft in die Werke 
keines Meifters Pachelbel ein. Daß der Schüler vafche Foriſchritte machte, beweift 
die belannte Erzählung, nad) welcher er, um feine Lernbegierde zu befriedigen, ein 
Notenheft mit Stüden damals berühmter Meifter,!) das der Bruder, weil er deſſen 
Ochali vielleicht noch als zu ſchwer fllr ihn erachiete, ihm nicht geben wollte, heim- 
56 wegnahm und nachts bei Mondfchein abſchrieb. Im Lyceum zu Ohrdruf legte 
© auf) den Grund feiner allgemeinen wiflenfhaftlihen Bildung und mag bis zur 
senfirmation bis Selunda gelommen fein; im dortigen Schtilerchor wird er and 
fine Sopranftimme weitergebilbet und beim Aurrendefingen verwertet haben. Mittlere 
mäle wor aber die Familie des Bruders zahlreicher und defien Haus ihm wohl 
awes enge geworden; überdies regte fih der Drang nad) weiterer Ausbildung und 
Utung feiner Kräfte in dem ins Sünglingsalter eintretenden immer mehr, und fo 
fiigte er denn der guten deutfhen Sitte, nad) der Konfirmation die erften jelbftän- 
ige Chritte ins Leben zu verfügen: er verließ im Fruhling 1700 nach vier- 
fhrigem Aufenthalt das Haus des Bruders und Ohrdruf, um nad; Norden zu 
wundern. Mufitafifch tüchtig vorgebildet, fo daß er als Sänger wie als Inftru- 
mertalift bereits etwas leiften fonnte, wandte er ſich mit Empfehlungen des Kantors 
Haba in Ohrdruf derſchen, und in Begleitung feines Witersgenoffen Georg Exd- 
mern!) nach Lüneburg und wurde dort am 3. April 1700 in den Chor der 
elisfhule als Distantift aufgenommen,”) als welher er zugleih die Klaſſen 
fer Schule (Gymnaſium) durchzumachen Hatte und, wie angenommen wird, einen 
jrejährigen Kurfus im Prima vollendete. Hier fand er nun erwünſchte und reichliche 
Geegenet, ſich mufialifh und wifienfhaftlih weiter zu bilden: als Chorfänger 
tete er die Schäte der Kirhenmufit auf praftifgem Wege kennen; die reiche 
Üihliothel des Midaelistirhen-Chores') bot Gelegenheit zu theoretifhen Studien, 
And anferdem fonnte er als Orgel» und Kladierſpieler, ſowie als Viofinift das Vor: 
5D und die Beihlllfe von Künftlern wie Georg Böhm (vgl. den Art.) und Johann 
dıtob Liw (vgl. den Art.), die beide feine Thüringiſchen Tandsleute waren, mit 
keten Gawinn für feine künſtleriſche Ausbildung” benügen, obwohl er weder zu dem 








86 enthielt Klavierflüce von Froberger, Joh. €. Fiſcher (imem der fertigften gladier- 
Bier finer Zeit, gef. um 1720 als Kapellmeifter des Markgrafen von Baden-Durladi), Ich. 
Kater Re, Joh. Batelbel, Nil. Bruns, Burtefude, Bögm u. A. Bol. Mibler, Mufit. 
EL IV. 1 &. 161 u. Fortel, Bachs Lehen. ©. 4. 5. 

¶ Dice fein Jugendfreund Iebte fpäter ala Laiferlic-ruffilher Hofrat und Refident zu 
Tamig, mo er am 4. Oft. 1730 geflorben if. Mit ihn blieb Bad aud wihrend feines 
rären Febens im briefficher Verbindung. Bgl. Syitta, Bat I. Borr. S. X. S. 520. 155 
Lim IL S. 82-81. 

> 89l. Junghans, Johann Sehaftian Bad als Schuler der Partitularſchule zu St. 
Bigerlis in Füneburg. 1870, 42 ©. 40. 

5 Den Katalog dieſer Libfiothe, die leider jeft verloren gegangen it, verzeidnet Jung - 
Wm10D. S. 20-20. 


24 30h. Seb. Badı. 


einen noch zu dem andern in wirflihem Schülervechättniffe Rand. Eines eigentlichen 
Lehrers bedurfte er auch nicht: denn „was bei jedem Genie die einzige Aufgabe des 
Lehrers fein fann, die fpielenden und ziellos ſich aufſchwingenden Kräfte der früheften 
Iugend mit ruhiger Hand eine Weile zuſammenzuhalten, - bis fie ſich ſelbſt fühlen 
gelernt haben, das erfeßte bei Bach die Herkunft und die Richtung des ganzen Ge 
ſchlechts ... Wenn die befte Quelle, welche wir über fein Leben befigen (der Ne- 
trofog), ung berichtet, daß er die Kompoſition größtenteils nur durd das Betradten 
der Werte der damaligen berühmten und gründlichen Komponiften und durch eigenes 
Nochſinnen erlernt Habe, fo dürfen wir nicht nur von der volftändigen Richtigkeit 
diefer Bemerkung überzeugt fein, fondern fie aud) auf feine virtuofe Ausbildung über- 
tragen. Sein eminente® techniſches Talent Hatte, nachdem er einmal die Anfangs- 
ftufen überfheitten Hatte, nur nötig, die Leiſtungen bedeutender Künftler prüfend zu 
betrachten, um für ſich daraus zu gewinnen, was er gebrauden Tonnte. Der rajt- 
loſe Fleiß des Genies, der, viel mehr eine Naturgewalt, als das Ergebnis fittlid- 
bewußter Forderung, unwiderſtehlich vorwärts drängt, ließ ihm zur Löſung felbit- 
geftelter Aufgaben fogar des Nochts nicht ruhen.“ ij Und nicht mır in Füneburg 
ſuchte Bach zu lernen: die Ferien benüßte er jeweilen zu Wanderungen nad; Hamburg, 
um dort Johann Adam Reinten (vgl. den Art.), den Meiſter der alten nordiſchen 
Drganiftenfgule zu Hören und feine Weile kennen zu lernen, und nad Gelle, um 
ſich in der dortigen Kapelle, melde feit der Mitte des 17. Jahrhunderts einen großen 
Ruf Hatte, mit dem dort herrſchenden frauzöſiſchen Style in der Inftrumentalmufit, 
deſſen bedeutendfter Vertreter François Couperin war, vertraut zu maden.?) So 
lebte er mit volfter Hingabe feinen mufialifhen Studien, bis er Dftern (8. Aprit) 
1703 feine erfte Anftellung als Biolinift in der Privattapele des Herzogs Johann 
Ernft zu Weimar, eines Bruders des regierenden Herzogs erhielt, eine Stelle, die 
er „fiherfich nur aus äußeren, d. h. Eriftenggründen“ annahm) um fie ſchon nad) 
vier Monaten, am 14. Auguft 1703 mit der des Drganiften an der Neuen Kirche 


') Kal. Spitta, a. 0. O. 1. S. 190-101. Miler, a. a. O. S. 167. Derfelbe beridtet 
a ©. ©. 161 wie Bad) während des Xufentjalts in Lüneburg feine Sopranflimme durd; 
die Dutation verloren Gabe; in den Denfmälern berühmter Deutfcer S 81 werden befonders 
feine Studien auf der Bioline Gervorgeboben. 

2) „Bieleiät war die Berfämelzung, tele das deutſche Weſen mit dem frangöfifcen Stit 
Überfaupt eingehen Tonnte, in Böhme Künflerperföntichteit im weientlien j&on vollzogen, fo 
dab Badı die franzöfiftien Elemente vorzugemeife durch deffen Vermittlung in fi aufgenommen 
Haben wird.“ Spitta, a. a. ©. I. S. 199—200. Da es auf den Ferienwanderungen mit: 
unter aud) galt, Entbefrungen zu ertragen, zeigt eine allerdings nid beglaubigte Erzählung bei 
Kühnan, Die blinden Tontünftler. Berl. 1810. S. 5—6. 

3) Hier fand er Anregung durch den Violinvirtuofen Johann Yaul Weſthokf, der alt 
Kammermufitus und Kammerfetretär in Weimar lebte und 1705 flarb, und durch den Organiften 
Johann Effler, der von Gehren, wo er Miharl Bas (vgl. unten) Borgänger geivefen, 1673 
gunädt am die Predigertircie zu Erfurt, dann hieher berufen worden mar. 





30h. Seb. Bach. 5 


zu Arnſtadt zu vertauſchen.) Hier wurde er ſehr gut aufgenommen und mit ver- 
Hältnismäßig anſehnlichem Gehalt angeftellt; da in dies Amt überdies nur wenig 
in Anfprud nahm und wöchentlich nur dreimal zur Kirche rief, fo blieb ihm alle 
Muße zum Studieren und Komponieren, und es traten nun aud (mie der Nefrolog 
jagt) „die erften Früchte jeines Fleißes in der Kunſt des Drgelipielens und in der 
Kompofition" zu Tage.) No aber war die Zeit des Lernens nit worüber, noch 
galt es (wie Händel und Mottheſon kurz zuvor 1703 bereits gethan), den größeften 
Deeifter der mordifhen Drganiftenfhule und berühmten Organiften der Marienkirche 
zu Labect, Dietric; Burtehude (vgl. den Art.), zu Hören, feine Weife kennen zu 
fernen und bei ihm neue und bedeutfane Kunfteleniente im fih aufzunehmen. Co 
machte fid denn Bach Ende Dftober 1705, naddem er fih einen dierwöchentlichen 
Urfaub erbeten, zu Fuß auf den Weg nad Tübed; und fo mächtig war die An- 
siehungsfraft, die der nordiſche Meifter und das unter feiner Leitung blühende mufis 
taliſche Leben der Hanfeftadt auf den Iernbegierigen Künftler übte, daß er feinen 
Urlaub um des Vierfache überſchritt und erft im Februar 1706 wieder nad Arn- 
ſtadt zurüdtehrte. „Die Einwirkung von Burtehudes Mufit läßt fih denn auch 
an einigen formalen Erſcheinungen durch Bachs ganzes Leben verfolgen; ideal ging 
fie bald in dem gewaltigen Strom eigener Originalität unter.“ Seine Urlaubs- 
überfhreitung z0g Bad) verdriehfige Weiterungen mit dem Arnflädter Konfifterium 
zu, das fid außerdem noch über feine etwas zu freie Begleitung des Gemeindegefange, 
ſowie Darüber beklagte, daß er fih mit dem Schülerchor „nicht fomportieren wolle" :?) 
und dies mag ihn mit veranlagt Haben, einer Berufung auf die damals namhafte 
Drganiftenftelle an der Blafiusfirhe zu Müplgaufen zu folgen, die ihm unter dem 
15. Juni 1707 übertragen wurde und auf der er den beiden Ahle (Vater und 


*) Die Angabe der Genealogie und des Nehrologs, weder bis jet alle Leritas gefolgt 
Find und nach welder Bad; erft 1704 na Nenfladt gelommen märe, if, wie Syitta, a. a. D. 
1. ©. 759-100 nacgetiefen bat, ſatſch — Die Disyotion der Orgel, die dem jugendlichen 
Drganiften Hier anvertraut war, vgl. bei Spitta, a. a. O. I. ©. 220-221; fie wınde feit 
1862 durch ein neues, großes Orgeltverf von 60 ling. Sin. auf 3 Man. und 2 Bed., in dem 
jedoch die alte Baforgel volfländig erünlten if, erfebt, einem Werte, das als „Ehrendentmal 
Bas“ dur die Bemühungen des Organiflen Heine. Bernh. Stade zu Arnfadt aus Beiträgen 
der Freunde Vathſcher Kumft in ganz Deuticland erbaut und am 1. Juli 1878. vollendet 
wurde. Bol. Euterpe 1861. Nr. 2. ©. 30. 31. 1862. Mr. 7. S. 117-118 u. 1879. Mr. 8. 
©. 127—128. 

*) Zunäßft das ©. 72 Anm. 1 genannte Capriccio zum Abfhiede des Bruders Johann 
Iafob; dann ein „Capriccio in honorem Joh. Christoph. Bachii (Ohrdruf).“ Ausg. 
Beters I. Heft 18. Nr. 8; ein Präludium und Fuge C-moll. Ausg. Peters V. Heft 4. 
Mr. 5, und eine Fuge C-moll. dof. V. Heft 4. Nr. 9. Auch eine der feüfeften Nrbeiten auf 
dem Gebiete der tonzertierenden Kirdenmufit, Die fpäter in Die Kantate „Denn du wirft meine 
Seele nit in der Höle Laffen,“ Ausg. der v. Geſ. IL. Nr. 15 überging, entftand in Arnfatt. 

) Bal. die Altenftüde in diefer Angelegenheit von 21. Febr. und 11. Nov. 1706 bei 
Spitia a. a. O. 1. ©. 318-314 u. & 328—324. 


76 30h. Seb. Bach. 


Sopmfolgte. Damit war der erft 22jährige bereits in feine Meiſterzeit eingetreten ; 
und weil „mach echt deutfcer Sitte zum Meifler auch eine Meifterin gehört“, fo 
verheiratete er fih num am 17. Oftober 1707 mit feiner Bafe, Maria Barbara 


Bach, der jüngften Tohter Micael Bachs (vgl. den Art.) aus Gehren,!) mit der er | 


ein überaus glüdfices häusliches Leben führte. Mit jugendlichem Feuer und echter 
Künftferbegeiflerung widınete er fid) in Muihhauſen feinem Beruf, als deſen „Endzwed“ 
ex felbß die Herftellung einer „regufierten Kirchenmuſit zu Gottes Ehren" bezeichnet ; 
keine Roften ſcheuend, [hoffte er „einen guthen apparat der auferlehenften Firden 
Stüde” om, entwarf einen Plan zur Reparatur der Orgel der Bloſiustirche, in dem 
ex fih als einen gendficen Renner der Orgelbautechnit dofumentiert?) und deſſen 
Ausführung er auf ausdrädficen Wunfh des Rates noch von Weimar aus über- 
machte: er durfe daher mit vollem Rechte (in feinem Enttoffungsgefud;) von ſich rüh: 
men, daß er gerne „aller Ohrt feiner Beftallung mit luſt nadfommen“ fei. Aber 
diefe Kuft folte auch in Müßlhaufen Bald durch „Widrigteiten und Berdrieglicteiten” 
gedämpft und ihm der dortige Aufenthalt fo entleidet werden, daß er ſchon unter Dem 


25. Jani 1708 feine Entlaffung an den Rat einreichte, um einem fehr vorteilhaften - 


Rufe al Hoforganift und Kammermufilus nach Weimar zu folgen,?) wo er Hoffte, 
feinen „endzwed wegen der Wohlgufaßenden Kircenmufic ohne verdrieplichteit anderer“ 
erreichen zu Tönnen.t) Und wirklich, fand er in Weimar den für feine künſtleriſchen 
Intentionen denkbar günftigften Boden. An der Seite eines fo würdigen Kunft- 
und Amtsgenoffen wie Johann Gottfried Walther (vgl. den Art.), der ſich befonders 
durd fein muſilaliſches Leriton einen Namen in der Muſikgeſchichte gemacht Hat, der 
aber aud) ein tütiger Drgelfpieler und auf dem fpeciellen Gebiete des Orgelchorals 
nad Bad einer der tüdtigften Meifter war, — außerdem getragen und befeuert 
von der regen Anteilnahme eimes der kirchlichen Kunft ſehr geneigten Fürften, ent- 
%) Diefe feine erfle Gattin war am 20. Oftober 1684 als die füngfte Tochter Michael 
Bade zu Gehren geboren; die Trauung fand in der Kirche zu Dornheim, einem 7 Stunden 
von Arnfadt entfernten Dorfe ſau und wurde durch den dortigen Prediger Joh. Lorenz Stanber 
voflgogen, der mit den Vache verwandt war. Bol. die Atenflüde darüber bei Spitta a. a. D. 
1.©. 335-330. Aus dieſer Ehe gingen 7 Kinder hervor, von denen 3 frühe flachen, 4 aber 
die Mutter überfebten, unter Diefen Wilgefen Friedemann und Karl Philipp Emanuel Bad 

%) Diefe „Dispofition der neuen reparatur des Orgelwerted ad D: Blasii iſt mitgeteilt 
bei Spitta a. a. O. I. ©. 351353. 

») Nadidem er, wie Forkel, Bade Lehen. 1801. ©. 6 mitteilt, ſhon in Arnſtadt und 
Mübfgaufen 1706 u. 1707 verfdiedene Verufungen auf andre Organiflenfelle abgelehnt Hatte. 

4) Über alles Angeführte ſpricht er ſich felhR in feiner Demiffionseingabe an den Rat zu 
Müßtgaufen, vgl. bei Spitta, a. a. D. I. &. 372-873, ganz freimitig aus. — In Mühl: 
Haufen hatte Voch die fogen. Hatsmahf-Kantate „Gott in mein König,“ Badi.Gef. XVIIL. 
©. 3-54. Mr. TI gelrieben und am 4, Febr. 1708 aufgeführt; aud die Trauungsfantate 
„Der Herr dentet an une“ Bad-Gef. KIT. 1, ©. 73-94 (nad Spitta I. &. 369 ff. wohl 
file die Dochzeit des ſchon genannten Pfarrers Stauber, 5. Jumi 1708) if wohrigeintih in 
Muhlhanſen entftanden. 





Yoh. Seb. Bad). 7 


fiftete Bach nun feine glängendfte Wirkfamteit als Drgelfpieler, als der er bald die 
suumfränktefte Gewalt Aber fein mächtiges Inftrument, die hochſte techniſche Leiftungs- 
fihigleit auf demfelben fih angeeignet Hatte, und durd feine eminente Kunſt des 
Regiſtrierens eine faft umerjhöpfliche Menge neuer Mangmifhungen zu finden wußte, 
„ft eigenartig bis zum Befremden, aber niemals flillos und raffiniert.”') Diefer 
Tätigkeit Bachs als Drgelfpieler ging eine nicht minder fruchtbare als Drgel- und 
Knvierfomponift zur Seite: eine anfehnfige Zahl von Chorafbearbeitungen („zum 
Teil fo außerordentlich groß und fühn, daß fie aud von den Peiftungen der fpäteren 
Feipziger Zeit kaum übertroffen werden“), freien Toftaten, Präfudien, Fugen u. |. w.ꝰ) 
entftanden in Weimar als bereits vol ausgereifte Erftlingsfrüdte desjenigen Kunſt - 
zweigs, auf deſſen Gebiet ihn feine amtliche Stellung zuerft wies und in dem feine 
volle Originalität zuerft zur Erſcheinung fam. Daneben findierte er die Italiener: 
ritt mur den großen Drgelmeifter Frescobaldi, fondern auch die inftrumentalen 
Kımmernmfihiverfe eines Corelli, Albinoni, Vivaldi u. a. und fuchte aus denfelben 
keionders in formaler Hinfiht Nugen zu ziehen, indem er ihre „Errungenſchaften 
auf fein eigenes Wirkungsfeld, d. h. auf die Drgel, das Kladier und die Kirchen- 
Iontate in jelbftändiger Weife übertrug.“ Von 1712 an wendete er fih dann mit 
Entfgiedenheit der Kompofition der Kirchenkantate zu. Der Kirchenlantate in ihrer 
neueren Form, in der fie für die evangelife Kirchenmiuſit im allgemeinen und für 
Babe Kunſtlerthätigleit im befondern fo überaus wichtig geworden ift, Hatte eim 
Yıbrgong Kantatenterte, den Erdmann Neumeifter im Iahr 1700 veröffentlichte, 
unter heftigen Kämpfen und oft erbitterten theologiſchen und mufifalifhen Gtreitige 
ten die Bahn gebrochen (opf. den Art. „Kirchentantate“). Bach hatte bereits 
über drei folder Werte im älteren Kantatenftil gef rieben (darunter den berlihmten 
„Actus tragicus: Gottes Zeit ift die allerbefte Zeit”); jegt fomponierte er zunächſt 
fünf der Neumeifterfchen Terte,”) und ließ diefen Rantaten 1715 und 1716 noch 
el weitere über Terte von Galomo Frand, dem Weimariſchen Konfiftorialfetretär 
und Vibliothelar, der zugleich zu den beſten und fruchtbarſien geiftfigen Dichtern 





Y Bl. hierüber die Bemerlungen im Nelrolog bei Mihler, a. a. O. ©. 103: „Das 
Tchtgefallen feiner gnädigen Herrigaft an feinem Spiel feuerte ihn an, alles möglide in 
er Kumf, die Orgel zu handhaben, zu verfuden.“ Ebendaf. &. 178 mird dann noch befonders 
Fin virzofes Pedalfpiel Hervorgehoben. Fortel, Wadis Leben. 1801. ©. 6. 20. Gerber, 
A fer. 1. ©. 90. 

3 Comet cronologiſche Anhaltspunkte es irgend gefatten, diefe Werte in die Weimarer 
Fa ju verlegen, verzeinet fie Spitta, a. a. O. I. in den Anm. zu Geite 307406 
ad im Anhang S. 795—796, unter Verweiſung auf die befannte Ausg. von €. F. Peters 
1a Big, 

Nimlich: „Uns iſt ein Kind geboren“ 1712; „Gleid) wie ber Regen und Schuet vom 
Summe file" 1713; „Ich weiß daß mein Erlöſer febt“ 1714; „Rum fomm der Heiden 
deland· 1714; „Wer mid) fiebet, der wird mein Wort halten” 1716. 


ws doh. Seb. Bad). 


einer Zeit gehörte, folgen.) Cr mannte fie, Hierin mod der Gewohnheit des 
17. Dahrhunderts folgend, Conzerti, und nur in befonderen Fällen, wenn der Tert 
diofogifierende Form Hatte, Dialoghi, und ſchrieb bis 1717 im ganzen deren 21. 
Bon Weimar aus machte er gewöhnlich im Herbft jeden Iahres eine Ferieureife, um 
fih an Höfen und in größeren Städten als Orgelvirtuofe?) Hören zu laſſen, aud 
gelegentlid) die eine oder andere jeiner Kantaten aufzuführen und bedeutende ze 
Drgefmwerte kennen zu fernen. So war er im Herbft 1713 im Halle, wo in der 
Viebfrauentirche eben eine neue große Orgel (mit 63 Ming. Stm. 1713—16 von 
Cuncius [ogl. den Art.)) erbaut wurde; die Ausfiht, dies großartige Werl in die 
Hand zu befommen, mag ihn dann aud) veranlaßt Haben, fi um die durch Zachaue 
Tod (1712) erledigte Organiftenftelle dafelöft zu bewerben.) Doch zeriälugen Pr 
die Verhandlungen, weil man ihn in Weimar nicht ziehen laſſen wollte und unter | 
namhafter Befoldungserhöhung 1714 auch noch zum Songertmeifter der Hoflapelle 
und damit zum Mittelpunkt diefes Kunftinftituts madte. Ende 1714 finden wir 
ihn zur Prüfung einer neu reflaurierten Orgel in Kaffe, wo namentlich; der Erbprin; 
Friedrich (nahmaliger König von Schroeden) ihm hohe Ehre erwies; bald daranf in 
Leipzig, wohin es ihm ohne Zweifel zog, um Kufnans Betanntfcaft zu machen, und 
wo er am 2. Dezember 1714 (dem 1. Adventsfonntag) in einem Gottesdienft den 
Drganiften vertrat und feine Kantate „Nun komm der Heiden Heiland“ aufführte; 
an Oſtern 1716 wieder in Halle, wo er mit Kuhnau und Chrift. Friedr. Rolle die 
nun fertige Orgel der Liebfrauenkirche zu prüfen und abzunehmen Hatte, und im 
Herbft desfelben Jahres beſuchte er wahrſcheinlich feinen Vetter Johann Ludwig Badı 
(vgl. oben ©. 67) im Meiningen, den er ala Kunſtler fehr hoch ſhätte. Am meiften 
Ehre aber brachte ihm und durd ihm der deutſchen Kunſt im Herbſt 1717 eine 
Reife nad Dreöden, wo er mit mehreren bedeutenden Mufitern der dortigen Hof 
tapelle befannt war. Diefe Freunde (namentlich der Konzertmeifter Bolumier) mögen 


1) Es find: die befannte „Ih hatte viel Befimmernis“ 1714; „Himmelstönig fei mil 
tommen“ Palmfonntag 3715; „Der Himmel lacht, die Erde jubilieret” Oflern 1715; Barın 
herziges Herze der ewigen Liebe“ 1715; „Komm du füße Todesſtunde“ 1715; „Ad ich jehe. 
jetzt da ich zur Hochzeit gehe" 1715; „Nur jedem das Seine“ 1715; „Bereitet die Wege“ 
1715; „Tritt auf die Gfaubenebahn“ 1715; „Dein Gott wie fange, adj lange” 1716; „Alles 
was aus Gott geboren“ 1716; „Wadet, betet” 2, Avent 1716; „Herz und Mund und That 
und geben” 4. Advent 1716. 

H Ober Bade einzig daftefende Virtuoſität auf der Orgel, vermöge deren er nach dem 
Netroiog — vgl. Mipler, a. a. D. ©. ITI und Forkl, a. a. D. ©. 22 — „der Märkte 
Drgeffpiefer gewefen, den man jemals gefabt,“ fehe man das Zeugnis/Konftantin Bellermanns 
von 1743 bei Spitta I. ©. 801-802. 

3) Bgl. feine beiden bezüglichen Briefe vom 14. Januar und 19. März 1714, in deren 
lebiem ex mit edfem Stolge feine von den Halleſchen Rirenvorflehern angegrifjene Künftferehre 
energifd) wahrt, bei Spitta I. ©. 510-515. Weiteres Über die Angelegenheit aud bei Ekreu- 
fander, Händel I. S. 22—23 und in deffen Iahrbb. für mufit. Biffenfä. IL S. 236 fi. und 
im Netrolog bei Migler, a. a. D. ©. 168. 





30h. Seb. Bad. 79 


Bad veranlagt Haben, den berühmten frangöfifhen Organiften und Mavierjpieler 
Iran Louis Marhand,!) der eben in Dresden anweſend war, bei Hofe ſehr gefeiert 
wurde umd dewegen dielleicht etwas anmaßend auftrat, zu einem muſikaliſchen Wett: 
fireit Herauszufordern. Cr that es „durch ein höflihes Handſchreiben, in welchem er 
ſich erbot, alles was ihm Marhand Mufitalifhes aufgeben würde, aus dem Stegreife 
auszuführen, und fi von ihm wieder gleiche Vereitwiligteit verfprad.“ Marhand 
nahm die Herausforderung zwar an, entzog fid aber dann, weil er die Überfegenheit 
des dentfchen Meeifters fürchtete, dem Wettftreit dadurch, daß er am dazu beftimmten 
Tage „bey früher Tageszeit mit der geſchwinden Poft aus Dresden verfhwand.“ *) 
Bar der Name Bachs ſchon vorher ein berühmter geweſen, fo mußte diefes Ereignis 
den Glanz deselben noch wefentlich fteigern. Dieſe wachfende Berühmtheit des Meifters 
verfammelte in Weimar aud einen Sreis von Cchillern?) um ihn, denen er ein 
treuer und gewiſſenhafter Lehrer war, der regen Fleiß von allen nicht nur verlangte, 
fondern mit feinem Beifpiel hierin voran ging, und namentlich im Choralfpiel darauf 
hielt, daß der Schüler „Die Lieder nicht nur fo obenhim, fondern nad dem Affelt 
der Worte fpiele.“*) Im Weimar wor am 1. Degember 1716 der Hoftapellmeifter 
Drefe geftorben und Bad, der durch Namen und feitherige Thätigleit das größte 
Anrecht auf die erledigte Stelle Hatte, mußte ſich, als micht er, fondern der 
als Muſiter unbedeutende Sohn Drefes diejelbe erhielt, hierdurch ſchwer gehräntt 
fühlen. So ſchied er denn von Weimar umd folgte im November ITIT der Ber 
rufung des jungen, mufifliebenden Fürften Leopold von Anhalt als Hoftapellmeifter 


1) Mardond war nad) fetis, Biogr. univ. des Music. V, S. 445-446 am 2. Febr. 
1669 zu Lyon geb., fpäter Orgamift an den Kathedraffichen zu Nevers, zu Aurerre und an 
der Lönigl. Kapelle zu Berfailles; er Aarb am 17. Februar 1732. Über feine Werke, deren Bor- 
Küge Bad) vol erfonnte und die auch D.S Landsleute hochhielun (vgl. Ca Borde, Essni sur In 
musique III. &. 450) urteift Fotis ſehe Hart, nennt fie „oeuvres miserables“ und meint: 
„M. pourait avoir une exöcution brillante, mais ses iddes sont triviales, son harmonie 
pauyre et incorrecte; ;l n’avait d’ailleurs que des notions fort incomplötes du style 
fugu& ete;“ in Deutfäland fügt man ihm mehr Gereftigteit widerfahren. Bat. Gerber, 9. 
2er. I. ©. 870-871. 

*) Den oft erzäßften Borgang berichten zuerft: Birnbanm bei Seide, Krit. Musicus 
1745. &. 981-982 u. lung, Anleitg. zur mul. Gelafrth. &. 690-091 einfad und durd 
aus glaubmoürdig; im Netrofog bei Mihler ©. 163—104 und nod mehr bei Marpurg, Legenden 
einiger Mufifgeifigen. 11780. ©. 292 ff., dem au) fetis, a. a, D. II. ©. 189 und V. , 
©. 445 folgt, fpielt bereits die Phamafie eine Rolle. Pgl. Fürftenau, Zur Geſch der Muft 
u. des Theaters in Dresden. 1862. II. ©. 121—125, u. Spitta L ©. 575577 u. B15—818. 

®) Bon diefen find anzufüren: Johann Martin Scubart, der fon in Wühfhaufen zu 
feinen Füßen foß; Johann Kasvar Vogler; Johann Tobias Krebs; Johann Gottlob Ziegler; 
Johann Bernhard Bad, von Ofrdruf, fein Neffe, und Johann Säneider, der in Köthen Bas 
Untereiäht genof,. 

+) Dies begengt der ebengenannte Jof. Gottl. Ziegler in feinem Bewerbungsfäreiben um 
die Organiftenflele der Sichfrauenticde zu Halle’ vom 1, Gebr. 1746. Bel. Chryſander, Iahrbb. 
für mu. Biffenfg. U. ©. 211-242. 














80 Joh. Seb. Bach. 


nach Köthen. Hier, wo er bald in das freundlichſte Verhältnis zu feinem Flurſten 
feat, wiefen ihn feine dienſllichen Berpfligtungen ganz auf das Gebiet der Sanımer- 
mufil, und da er Teinerlei lirhliche Aufgaben und nicht einmal eine Orgel zur Ber- 
fügung Hatte, ſehen wir ihm denn auch feine Haupttfätigfeit mit außerordentlichem 
Erfolg diefer Mufitgettung zuwenden.') Daneben fuchte und fand er neue Mittel 
zur moglichſt vollfommenen Ausführung namentlich der hier geſcheffenen Mlavierwerte: 
ex bildete ſich eine neue Technit der Handhaltung und des Anfclags auf dem Klavier, 
und wendete beim Vortrag feiner Klavier: und Drgelwerle einen von ihm gefundenen 
neuen Fingerfag an, bei dem er befonders den Daumen emanzipierte uud überhaupt 
ale fünf Finger gleichberechtigt malte. Außerdem führte er mittelft einer neuen 
Stinmmethode die gleichſhwwebende Temperatur, mit der ſich ſhon Werkmeifter, Neid- 
Hardt, Sorge u. a. theoretiſch beſchäftigt Hatten, in die Praris ein.?) Und weil ihm die 
damaligen Inftrumente zur Darftellung feiner Werte nicht immer genügten, fo erfanz 
er neue: er erfand das Cautenklaviepmbel, das die „langfülle der Orgel mit der 
Ausdrudefäbigfeit des Mavicords vereinigen‘ folte, und zur Ausführung feiner reich 
figurierten Bäffe die Viola pomposa.”) Erwünſchte Anregung und Abwechelung in 
das Stillleben im Heinen, einfamen Köthen bradten (wie in Weimar) mehrfache 
Reifen: fo 1717 mad) Leipzig, wo Bach im Auftrage der Umiverfität die neue don 
Johann Scheibe erbaute Drgel der Paulinerficdie zu prüfen Hatte, ein bedeutendes 
Bert von 54 Ming. Str, das er wohl fpäter während der Leipziger Zeit als 





') Bon hier entftandenen Werfen nennen wir: „Mavierbüdjlein vor Wilhelm Friedemann 
Bad“ angefangen am 22. Jan. 1720; die „Inventionen und Sinfonien“ je 19 Nr. B.:@ei- 
IM; 6 Biofinfoli, nemlich 3 Sonaten (G-moll, A-moll, C-dar) u. 3 Suiten oder Partiten 
(#-moll, D-moll, mit der berlüfinten Ciaconna u. F-dur) ; 6 Suiten für Bioloncell (G-dur, 
D-moll, C-dur, Es-dur, C-moll, D-dur (legtere fir die Viola pomposa); 6 Conaten für 
Biofine und Klavier (H-moll, A-dur, E-dur, C-moll, F-moll, G-dur) 8... IX. ©. 68 
Bis 172; Gute (Trio) für Biofine und Klavier (A-dur) B.Ge. IX. ©. 48 fi; 3 Somaten 
für Gamba und Mavier (G-dur, D-dur, G-moll) B. Geſ. IX. S. 175 fi. 189 ff. 208 fi; 
3 Biolin-Konzerte (E-dur, A-moll, D-moll) B-Geſ. XVIL; die 6 „Brandenburgifcen 
Konzerte (Concerts à plusieurs instruments) ®.-@ej. XIX. Nr. 1-6, unter dem 24. März 
1721 dem Markgrafen Ehriftien Ludwig v. Brandenburg gewidmet; die „Franzofiſchen Suiten” 
B.Geſ. XIN. 2. ©. 89— 197; den erfien Teil des „Wohltemperierten Maviers“ 1722. u. a. 

2) Bgt. Marpurg, Verſuch Über die mufil. Temperatur. Berl. 1776. ©. 213, der nad 
Kirnberger berichtet, Bad; fei ganz von ſich aus daranf gefommen, alle großen Terzen {darf zu 
nehmen, oder ettoas Über ſich ſhweben zu laſſen, um die fogen. große Dieſis auszugleigen. 
Nat; Fortel 0. 0. O. S. 17 Halte er eine folge Fertigleit im Stimmen, daß er nie mehr ale 
eine Biertelftunde brauchte, um einen Flügel oder ein Klavichord zu flimmen. 

3) Erferes Gatte, um ihm mehr langfüle und Tondauer zu geben, neben einem Chor 
Meffingfaiten im 4 Fußton noch 2 höre Darmfaiten; er erfand es um 1740 und lieh es 
durch den Orgelbauer Hildebrand ausführen. gl. Adlung, Mus. mech. org. II. &. 139. 
Die Viola pomposa war ein zwifden Bratjcie und Bioloncell die Mitte Haftendes Inftrument 
mit 5 Saiten, © G da e fiinmend. Val. Gerber, A. er. I. ©. 90 u. 491 fi, IT. Anfang 
©. 80. 








Ioh. Zeh. Bach. 8 


Konzertinftrument benügt Haben wird.) Im Herbft 1719 finden wir ihm in Halle, 
wo er vergebens die Belanntſchaft eines großen Kunft- und Zeitgenoffen Händel zu 
magen fuchte,?) und im Mai 1720 ging er im Gefolge feines Fürften nad) Karls: 
dad. As er im Juli von da zurüdtehete, traf ihn die erſchutternde Kumde von dem 
turz vorher plöblich und unvorhergeſehen erfolgten Tode feiner gelichten Gattin (am 
7. Iuli 1720 Hatte man fie, die noch nicht 36 Jahre zählte, begraben), die ihm 
13 Jahre treu zur Seite geſianden Hatte. Im der Arbeit am neuen Kompofitionen, 
die er bei einem ſchon früher in Ausficht genommenen Veſuche in Hamburg dort 
aufzuführen gedadhte,?) ſuchte ex ſich männlich über feinen herben Verluſt zu tröften. 
Im November 1720 war er in Hamburg, (ie fid dort vor dem greifen Reinten, dem 
Magiſtrate und vielen Bornehmen der Stadt zwei Stunden lang auf der Orgel der 
Katharinentirche Hören,‘) madte die Belanniſchaft Mattheſonse) und bewarb fih, 
angezogen durch eine prächtige Orgel®) und die Ausfit, mit dem Prediger und 
geiftlichen Dichter Erdmann Neumeifter am derfelben Kirche zu wiren, um Die er: 
ledigte Drganiftenftelle an der St. Dakobilirche daſelbſt, ohne dieſelbe zu erhalten, 
da fie an Iohann Joachim Heitmann für 4000 Mark Courant in aller Form ver- 
kauft wurde.) Am 23. November 1720 hatte Bad von Hamburg weg „nad 


*) Die Orgel war am 4. Nov. 1717 fertig geworden, am 16. Dez. fand die Prüfung 
Aattz dem Bericht Bachs giebt Spitta II. S. 119—122, die Dispofition daf. ©. 117—119, 
Bat. auch Mufl. Wogendt, 1870. I. &. 336-330. 

*) Händel war von England Herüber gelommen um Sänger und Sängerinnen zu engagieren, 
und Hielt ſich vor der Heimtehe einige Zeit bei feinen Verwandten in Halle auf, am aleifen 
Tage jedodi, als Bad dort aufam, war er abgereifl. Rod einmal, im Juni 1720 fudite Bad 
von Leipzig aus eine Zufammenfunft mit Händel, aber wieder vergeblich; Liefer Dedauerte, aus 
Mangel an Zeit wicht nad; Leipzig iommen zu Fönmen, ud wird daher „immerhin das Urteil 
über fi ergehen Iaffen müffen, ohne Teilnahme für Bade Sinflergröße am dieſem vorüber: 
gegangen zu fein.“ Bal. Spitta a. a. D. 1. ©. 021 f. Chryfander, Händel II. S. 18. Ann. 
u. ©. 232 f. Forlel a. a. O. ©. 47. 

>) Es in die Kantate „Wer fi) ſelbſt erhöhet“. Bad-Gef. X. Nr. 47; audı.die Kantate 
„Das ift je geroißfich wahr“, Die jedod aus älteren Stüen herausgearbeitet if, füllt in diefe Zeit. 

) Reinten foll nad; einer fa! Stunde dauernden Improvifation Badjs über den 
oral „An Bafferflüffen Babylon“ ihm vol Berounderung gefagt Gaben: „IH dachte, diefe 
Kumft (d. $. die Kumfı der Ehoralbehandfung in der „motettenartig breiten Meife* der Meifter 
der nordiſchen Organiftenfufe) wäre geftorben, ich fehe aber, daß fie in Ihnen noch Seht.” Ba. 
Nigler a. a. D. &. 165-100. 

#) Diefer fpriät von Bad an verffiedenen Stellen feiner Schriften, fo 3. 8. im „Be- 
(hüten Orgeftre" 1724. ©. 392; „Aufl. Patriot” 1728. ©. 310; „Boll. Kapellm. 1739. 
S. 412 u. a. a. D., ofme jedoch immer ein unbefangenes Urteil Über ihn zu zeigen, da feine 
maßfofe Citelteit Diefes in Gedenffißier Weile trüben mußte. 

©) Diefelbe entfält 60 Ming. Stn. auf 4 Man. u. Ped,, und wurde 1686-1093 von 
Arp. Sänitger (vgl. den Art) erdaut und 1865-1866 von 9. €. R. Wohfien renoviert, 
Bal. Euterpe 1866. S. 1576. Signale 1370. ©. 865. 808. 

?) Bol. Über die ganze Angelegenheit das Urteil Matthefons und Reumeifters im Mufil. 
Patrioten 1728. S. 316, ſowie Signale 1870. S. 867—868 u. Spitta I. S. 630-632. 

Kiimmerle, Encatl, d. wang. Rirhenmuflt. 1. 6 











#2 Ioh. Seb. Bad. 


feinem Furſten reifen müffen“, und am 3. Dezember 1721 ſchloß er feine zweite 
Ehe mit der fürflih köthenſchen Hoffängerin Anna Magdalena Wilken, die 
ihm nicht nur eine neue ſchöne und friedliche Haäuslichteit bereitete, fondern 
Hervorragenden mufitalifhen Befähigung und Bildung auch an feiner Künſtlerthätigteit 
mehr als nur genießend Anteil nahın.‘) Bald nahte nun auch die Zeit, die den 
Meifter feiner eigentlichen Beſtimmung, der evangelifchen Kirchenmufin zurückgeben 
und auf den Schauplag feiner veihften und grofartigften Thätigkeit, nad) Leipzig, 
führen follte. Zwar wurde es ihm nicht leicht, die forgenfreie und ehrenvolle Stet- 
fung in Kötgen zu verlafien, „aus einen Kapellmeifter ein Kantor zu werden“ (mie 
ex felbft fogt); allein die Abnahme des Dufitintereffes bei feinem Fuͤrſten, die Sorge 
für die Höhere Ausbildung der heranmadzfeuden Söhne, und die Empfindung, daß 
bei feiner feitherigen amtlichen Thätigteit nur ein Teil feines küuſtleriſchen Wefens 
zur Geltung gefommen: dies alles veranlafte ihn nad) längerem Zögern, im Mei 
1723 das Kantorat an der Thomasfgule und die Damit verbundene Dufitdirektors- 
ftele an den beiden Hauptlirchen (St. Tomas u. St. Nitolai) zu Leipzig zu über 
nehmen, während er dabei Köthenfcher „Rapellmeifter von Haus aus“ blieb und dem 
dortigem Hofe eine treue Anhänglichteit bewahrte.*) „Was der Köthener Aufenthalt 
für ihn Hatte fein können, war er gewefen: durch eine mehr als fünfjährige faft 
ausihließliche Beſchaftigung mit der inftrumentalen Kammermufit hatte er feinen 
Genius an der reinften und umuittelbarften Quelle der Tontunft weiter gekräftigt, 
um num gerades Weges jene allerhöchſten Ziele zu erreichen, für welde er geboren 
war.“ — Unter dem 5. Mai 1723 vom Pate, unter dem 13. Mai vom Stonfi- 
forium in Leipzig Tonfirmiert, führte Bad) am erften Sonntag nad Trinitatis (30. 
Mat) mit dem ihn unterftellten Thomanerhor, der damals aus 55 Alumnen be: 
fand, feine erfte Kirchenmuſit dafelbft auf und wurde am folgenden Tage (Deontag 
den 31. Mai) in fein Amt an der Thomasfhule feierlich eingeführt. Seine Stelung 
in Leipzig war zwar im Anfang nicht fehr befriedigend: die Thomasſchule lag im 





») Ana Magdalena Witten war als die Toter des herzogl. Weifenfelfiihen Hof- un? 
Feld-Erompeters Johann Kaſpar Willen im I. 1700 geboren, zur Zeit ihrer Verheitatung 
alfo 21 Jahre alt. Sie fhenlte Balz im ganzen mod 13 Kinder, von denen jedod nur 3 
Söhne und 3 Töchter den Vater überlebten. Diefe 3 Söhne find: Gottfried Heinrich 1724 bie 
1263; Johann Chriſtoph Friedrich, der „Büceburger“ (vgl. den Art,); Johann Ehriftian, der 
„Londoner Bach“ (vpf. den Art.); die 3 Züchter: Efifabeil; Juliane Friederife, geb. 1726, ver 
mahlt den 20. Jan. 1749 mit dem Drganiften Altnickol (vgf. den rt), dem fie 3 Kinder 
gebar; Witte feit dem 25. Zuli 1759, ZTodesjahr unbefannt; Johanna Karoline 1737—1781, 
und Regina Sufanna 1742, + den 14. Dez. 1809 zu Leipzig. Anna Magdalena Bach, dir 
nach des Gatten Tode als „Umofenfrau“ der öffentlichen Wohlthätigkeit anheim fiel — warum 
die Söhne ihe nicht Haffen, ift nicht mehr fetzuftelien — far zu Seipig am 27. Febr. 1760. 

2) Er ſchrieb 3. ®. 1726 für den Geburtstag der Flrflin die Kantate „Steigt frenbig in 
die Luft·, und auf den frühen Ted des flrflen 1728 eine trefifiche Trauermufil. Bgl. Mortel, 
a. 0. D. ©. 36, 


Joh. Seb. Bad. 83 


Argen, der Nat umd das Konfiftorium befehdeten ſich und machten, ohne Ahnung 
von Bachs Größe, zu der fie übrigens nie gekommen find, ihm fein Amt faner, 
jo daß er fid) bitter über feine „wunderliche und der Muſit wenig ergebene Obrig 
feit“ beflagen muß. Gleichwohl Hob ihn feine Funftbegeifterung und fein freudiger 
Schaffensdrang über alle Widerwärtigfeiten weg und es entftand nun bis 1730 eine 
Reihe der bedeutendften Kirenmerke, in denen er mit fühner umd rüdfihtslofer 
Geniatität aller vorhandenen Kunfttypen ſich bemächtigte, um im reiten Augenblic 
den wunderbarften Gebraud von denfelben zu machen. Daher findet fih denn auch 
im diefen Werfen „der umbegrenzte Geflaltenreidtum wieder, welcher dem Künſiler 
daraus erwuche, daß er die inſtrumentalen Formen in ungeahnter Weife für feine 
Kirenmnfit zu verwenden wußte. Wir fehen ihn Teile der Kammerfonate ohne 
weiteres Äbertragen und als Inftruntentafeinfeitung dem zweiten Teil der Kantate 
„Die Himmel erzählen die Ehre Gottes" voranftellen. Er fhmilzt Elemente des 
erften italieniſchen Konzertfages mit Chorformen zuſammen, wie im „Magnifitat* 
umd der Weihnahtsmufit „Dazu ift erſchienen der Sohn Gottes”; ganze Rantaten 
gießt er in die Formen des Konzerts („Erfrente Zeit im menen Bunde”) oder der 
Orcefterpartie („Höchfterwünfchtes Freudenfeft“); er Tombiniert die franzöfiihe Duvers 
türe mit dem frei erfundenen Chor, felbft mit dem Choral („reife Ierufalem, den 
Herrn“), zwingt die Gigue, einem firhlicen Zwiegefang zu dienen („Ürgre did), 
9 Seele, niht“) und den Paſſacaglio einen Klagechor zu bauen („Weinen, Klagen“); 
in der Santate „Die Elenden follen effen“ ftellt er mit den Mitten der weltlichen 
Inftrumentalmufit eine Choralfantafie her und in der Micaclisnnfit „ES erhub ſich 
ein Streit” kontrapunttiert er eine Choralmelodie durch einen Siciliano. Auch das, 
was auf dem Gebiete des Drgeldorals von ihm umd feinen Vorgängern irgend 
aefhpaffen war, verfteht er für die kirchliche Bolalmuſitk auszunngen. Dit mächtiger 
Hand zwingt er Orcheſter und Chor zur Geftaft der Choralfantafie zufammen; von 
dem infteumentalen Choral fordert er, das regelloſe Necitativ zu begleiten, zu züigeln 
und mit der heiligen Stimmung der chriſtlihen Gemeinde zu durchdringen („Du 
wahrer Gott und Davidsfohn“). Dazwifhen dann immer wieder die altbefannten 
Formen der Arie, des Ariofo, des Recitativs und des einfachen Chorals, aber mit 
ftets neuem Inhalte aus dem Born einer unerſchöpflichen Erfindungsfraft gefült, 
vertieft, großartig ausgeweitet, auch wohl durch geiftreiche, tief poetiſche Vezfige unter 
einander oder mit jenen neu geſchaffenen Formen verfnüpft.” Befonders find es 
noch „die reichlich angewendeten, mädhtig und fühn geftalteten Chorbilder“, durch die 
ſich die Leipziger Kantaten dieſer Zeit in ſtart hervortretender Weiſe von den frlie 
heren unterfgeiden.!) 








*) Bol. Spitta IL. S. 266-267. — Nach dem Netrofog bei Mihler a. a. D. &. 108 

Hat Boch im ganzen 5 volfländige Jahrgänge von Kirenfantaten auf ale Sonn- und Feft: 

tage Fomponiert. Da nun für das Leipziger Kirdenjahr (unter Abzug der 6 Faflen- und 3 

feten Adventsjonntage, an denen eine Kirhenmufil war, und Zuählung von 3 Marienfeften, 
6” 





84 30h. Seb. Sad). 


Im den fünf Jahrgängen feiner Kirhentantaten hat Bad) auf den beiden Grund- 
fäulen evangelifcher Kirchenmuſit, dem Gemeindelied (unfrem Choral) und der Orgel 
muſit, die der deutfchen evangelif gen Kirche ausfhlicklid, eigene Kirchenmuſit aufgebaut 
und auf die Höhe ihrer Vollendung geführt. Wohl fand er das Gebilde der älteren 
Kicchenfantate bereits vor, aber in mod) taftender Unficerheit der Form und mit 
fußjektio-weigfichem, pietiftifgeperfönlichem Empfindungsgefalt, die diefe Kunftform 
taum als wirkliche evangeliiche Kirchenmiuſit erſcheinen ließen. Mit fühner, rüdfigte 
loſer Genialität geiff er, von den der Orgelmufil eigenen Formen ausgehend, allt 
lebensfähigen und der Fortbildung würdigen Elemente der mufitalifhen Formenwelt 
feiner Zeit auf, um fie geläutert und erneuert in die für ihn centrale Kunftform, die 
Kirgenfantate, überzuführen. Im ihrem volftändig neuen Styl find daher feine 
Kantaten „die evangelifdje Kirchenmuſit in ihrer veinften und vollendetften Blüte, 
ebenfo wie der Mann felbſt mit feiner unermeßlich reichen, glaubenstrogigen und 
ſtreitfrohen, zugleich aber innigen, demütigen und kindlichen Empfindungsweife neben 
Luther der gewaltigfte Held des germanifch-reformatorifgien Proteftantismus ift. Aufe 
innigfte Hängen fie wit dem Gottesdienft zufammen: fie ſchließen ſich der Bedeutung 
des jedesminligen Sonn- oder Fefttages an und führen in ihrer Art den Inhalt der 
Gvangeliums oder der Epiftel aus, und die fymbolifhe Auffaffung des Chorals if 
für fie von Grund aus maßgebend."!) Aus ihm entwideln fid nicht nur die fpeciel 
fogenannten Choralfantaten, in denen ſich „Die vollſtändigſte poctifcmufttalifce 
Entfaltung eines beſtimmten Kirchenliedes“ darftellt, defien erſte und legte Stropfe 
in ihrer Originalgeftalt als Anfangsher und Schlußchoral den Rahınen bildet, in 
den die andern Mufikformen (Necitativ, Arie, Duett u. |. w.), deren Terte im feichter 
Umbildung gleichfalls dem jedesmaligen Kirchenliede entftammen, eingeſchloſſen find,’ 
— fondern auch die freier gebildeten Stantaten, denen Zuſammenſtellungen von Bibel: 
fprügen, Kirchenliedſtrophen und freie Dichtungen als Tertunterlage dienen.) Gleichen 


des Neujahrs:, Epiphanias⸗, Himmelfahris-, Johannis., Michaeti · und Reformationsiees) 
59 Kantaten nötig waren, fo hätte er im gamen 5 >< 59 = 295 Stirdentantaten geſchrichen 
von denen Leipzig (unter Abzug der 29 früger entflandenen) 266 angehören wlrden; diefe auf 
die 27 Jahre der Leipziger Wirtfomfeit verteilt, ergiebt im Duchfämitt 10 Kantaten jährlid. — 
Belannt Gievon find, wenn man die 6 Rantaten des Weihnaqhisoratoriums umd bie größeren 
Fragmente mitzääft, bie jet gegen 210. Im der Ausg. der vach Geſ. find in 14 Bon. 140, 
ober die 6 Men. des Weißnadtsoratoriums mitgerednet, 146 gedrudt; 60 weitere Kirchen— 
tantaten werden in den folgenden Jahrgängen nod zur Veröffentlichung fommen. 

') Bol, Spitta, Die Wiederbelebung protefantiffier Kirgenmufit auf geichichtticher Grund- 
Tage. Deutfäe Rundfgau. VIIL. 1882. Heft 7. ©. 119. 

9) Solher Cgoralfontaten zählt Spitta IT. &. 568 im ganzen 35 auf und befpridt fi 
©. 509-588. Sie gehören fämtlid) der Zeit zwiſchen 1785-1744 an. 

2) Bachs Hauptfäglicfter Tertdiäter, oder eigentlich mır Berjemader, zu Leipyig war 
Ehriftion Friedrid) Henrici, plendonym Picander, Derfelbe war 1700 zu Stolpe_ geboren, 
Hatte in Wittenberg Audiert und febte in Leipgig anfangs ais Literat und Gelegenfeitsdichter, 
wurde dann 1727 Poflbeamter, fpäter Steuereinnehmer, als welder er 1164 flach. Seine 





Joh. eb. Bad). 85 


Stifes mit den Kantaten find auch die größeren Feſtmuſiten, wie das Weihnachts, 
Dfter- und Himmelfahrts-Oratorium!), und Bachs Paffiomen endlich ftellen diefen 
Stil in feiner höchſten Vollendung dar und find zugleich „eine Erneuerung der mittel- 
alterlichen Myfterien aus deren befter Periode, auf einer unvergleichlic Höheren Kunft- 
Äufe, ja die endliche Vollendung derfelden.” Entfpredend den fünf Iahrgängen der 
Kantaten Hat Bach auch fünf Baffionsmufiten geſchrieben, von denen jedoch zwei gänzlich 
verforen gegangen, drei, nämlich die Matthäuspaffion, die Johannespaſſion und die 
Lufaspaffion erhalten find.?) Bon denfelben kommen ffir unfee Zeit nur noch die Do- 
hannes- und Matthäuspaffion in Betracht. Die erftere wurde am Charfreitag (dem 7. 
April) 1724 erſtmals in Leipzig aufgeführt und iſt „ein Wert, das nicht immer klar 
gegliedert, wicht mit dem vollen Reiz der Mannigfaltigteit gefchmüct ift, das aber im 
mãchtigen Umriffen und in einer trüben, unheimlichen Beleuchtung dafteht, welche felt- 
ſam Lontraftiert gegen die Borftellung der Milde und Liebe, die wir mit dem Berfaffer 
des Sohannes-Evangeliums zu verbinden gewöhnt find.” — Die Matthänspaffion, 
deren erfte Aufführung am Eharfreitag den 1. April 1729 (in der Nachmittagsveiper) 
flattfand, die jedoch in der veränderten und ertveiterten Geſtalt, in der wir fie lennen, 
frügeftens im Jahr 1740 zur Darſtellung gelonmmen fein lann, ift die Krone der 


Sammlung Kantatentegte mit den Terten der Matthäuspaſſion und der vaſſien von 1725 er- 
ſchien 1728 unter dem Titel: „Kantaten auf die Sonn: umd Feſttage durch das ganze Jahr, 
verfertiget durch Picondern“ und wurde 1782 in ben dritten Teil feiner gefammelten Gediche 
aufgenommen. Cr war nichts weniger ala ein Dichter in unfrem Sinne des Wortes, aber 
er magjte fließende Berfe, war bis auf einen gewiffen Grad mufitverfländig und in der Hand 
Badjs ein williges Organ. Eblert, Deutſche Rundihau VII 1980. S. 79 vergleiht Bade 
Verhältnis zu ihm mit dem Meyerbeers zu Scribe. 

») Das BWeißnagtsoratorium in 6 Teilen (B Rantaten) if 1734 geſchrieben; veröffentlicht 
Ausg. der Baqh Geſ. XII. 2. — Das Ofteroratorium wurde ea 1730 Loimponiert, vgl. Spitte 
IL &. 818-819. Ausg. der Bach Geſ XXI. 3. — Das Himmelfohrtsoratorium Anag. der 
Bade. II. Nr. 11. 

?) Die Zahl von 5 Paffionsmufiten bezeugt der Nelrofog bei Mipler a. a. D. S. 168 
(„fünf Paffionemufiten, worunter eine preichörige befindlig"). Rach Spittas Auseinander« 
fegungen II. S. 334-347 mären diefe fünf Paffionen der Zeitfotge ihrer Entfchung nach: 
1. Die Lukaspaſſion, ein Heineres Jugenbwert, das in der erften Hälfte der Weimarer 
Zeit um 1710 geſchrieben wurde, als „erler Verſuch eines genialen Anfängers“ zu betrochten 
if, und pwifchen 1792—1734 in Leipzig erneuert umd wieder anfgeführt murde. — Die Jo- 
Hannispaffion, in den erften Monaten des Jahres 1723 zu Kölhen gefährieben, 1724 erf- 
mols zu Seipgig aufgeführt, dann 1727 umd 1736 jedesmal mit Abänderuugen wiederholt. 
Aueg. der Bah-Gef. XIL 1. — 3. Eine Paifion von 1725, zu der nur noch Picanders Tert 
vorhanden it, auf den fid) ihre Griftenzannabıme gründet. Bl. Spitte II. &. 335-337. — 
4. Die Matthäuspaffion 1729. Ausg. der Vach Geſ. IV. — 5. Die Markuspaffion, 
am Charfreitag 1731 aufgeführt; ihr Einfeitungs- u. Schluhher, ſowie die 1. 2. u. 4. Arie 
waren der Trouerode anf die Königin Cheiflione Eberhardine vom I. 1727 entnommen und 
find in dieſer erhalten, — „ein drftiger Erfaß freitich für das ganze an Rectativen, drana- 
tifejen Ehören und Ehoräfen reidje Wert.” Bol. Ruf, Ausg. der vath Geſ. XX. 2. ©. VII. 
fi. u. Spitta II. ©. 394-335. 














86 30h. Seb. Bach. 


Baffionsmufiten. „Sie offenbart eine Selbſtgenügſamleit der Kunft, die zur Erreichung 
der gewvollten Wirkung der Kirche faft nur nod) als flinmunggebenden Hintergrundes 
bedarf. Sie ift aud ein in feltenem Grade vollstümliches Wert. Nicht nur in der 
florfen Aecentuierung des Chorals, nicht nur in der Anknüpfung am gewiffe volts 
tünlie Anſchauungen oder in der treuen Wahrung Liebgewordener ürchlicher Ge— 
bräudpe liegt diefe Eigenſchaft begründet. Sie beruht auf den gefamten Charafter 
der Mufit, die bei all ihrer Tiefe, Weite und Fülle und trog aller an fie gewendeten 
Kunft dennod nirgends die Eingänglichteit und Einfachheit als ihren Grundzug 
verleugnet, Die zugleich mit bemundernswerter Sicherheit diejenige Hauptempfindung 
trifft, welche die ganze Geſchichte von Chrifti Leiden und Sterben durchdringt: die 
verſöhnende Liebe. Mögen aud) Heftige und erfhütternde Affefte in der Matthäus: 
paſſion nicht fehlen, fie dienen mur dazu, den milden Grundton hernach deſto voller 
und eindringlicer wieder hervortreten zu laffen. Begünſtigt durd ein glüdlices 
Zufammentreffen der Umftände hat Bad) in der Matthäuspaſſion ein überragendes 
Deifterwvert gefchaffen, wie es im Laufe der Jahrhunderte mr felten dem Menſchen 
zu erleben gegönnt ift, ein Denkmal zugleich des deutſchen Weſens, das nur mit 
diefem ſelbſt untergehen kann.“) — Die Motetten Bachs endlich, die auch diefe 
türchliche Kunſtform in gänzlich erneuter Geftalt darftellen, find ebenfalls auf feine 
Kantate und feine Orgelmuſit zurficzuführen; „weniger eine felbftändige Kunftgattung, 
als ein Abſenker der Bachſchen Kantate ſtehen fie da.“?) Unter diefer reichen Kumft 
thätigfeit follten, fo mödjte man meinen, die Widerwärtigfeiten faft verſchwunden feir, 
die ihm während diefer Zeit in feinem Amte erwuchſen, und doch bradten fie ihn 
dahin, daß er fih am 30. Oktober 1730, fieben Jahre nach feinem Amtsantritt in 
Leipzig, brieflich an den Jugendfreund Erdmann in Danzig mit der Bitte wandte, 
er wolle ſich nad) einer andern Stelle für ihn umfehen. Otüclicherweife folgte dieſer 
unangenehmften Zeit von 17301734 die behaglichſte und ſchönſte feines Leipziger 
Lebens, herbeigeführt und bedingt namentlich durch die Freundſchaft mit dem Phile: 
logen Johann Matthias Gesner, eines Mannes „von liebenswürdiger Menſchlichleit 
und weitefter Bildung, von Weisheit und feinem Takt,“ der während Diejer vier 
Jahre das Rektorat der Thomasſchule führte. Mit dem Nachfolger Gesners im 





') Bgl. Spitta, Bach IL S. 367 u. ©. 397— 308, 

*) Die Motetten Bacht find: 1. Lobet den Herrn alle Heiden. Palm 117. Bier- 
Aimmig. 1921 in Part. u. Stn. bei Breitt. u. 9. in Leipzig erkhienen. 2. Nun dantet 
alle Gott. Sirach 50, 2120. Sflimmig, mit Antlängen an das Kirchenlied; noch niit ge 
drudt. 3. Zefu meine Freude. 5finmig. Veröffentlicht in „Motetten von Joh. Sed 
Bach“. Leipz, Breitt. u. 9., aud) Lügel, Kirchl. Chorheſ. 1861 fat 3 Stüde daraus. 4. Der 
Geift Hilft unfrer Schwachheit auf. Röm. 3. 26. 27. Sfimmig; zur Beerdigung de 
Rettors Erneſti 1729; gedrudt in der gen. Samıml. Mr. 1. 5. Singet dem Herrn ein 
meues Lied. Pf. 14, 1-3. 150, 2. 6, Sfimmig; daj. Nr. 6. 6, Fürdte dich nicht, 
ich bin bei dir. Jeſ. 41, 10 u. 43, 1. Sftimmig; daf. Ar. 2. 7. Komm Jeſu, tomm, 
mein Leib if müde. Geil. Arientext; Sfimmig; daf. Nr. 4. 









30h. Zeb. Bach. 87 


Reftorate, Johann Auguft Ernefti, einem noch ganz jungen Wanne, geriet jedoch 
Bad, dem eine außterordentliche Zühigfeit und Kraft des Redhtsgefühls innewohnte, 
iofort wieder in einen zwei Jahre dauernden amtlichen Konflitt, in defien Folge feine 
Stellung an der Thomasfgule eine ungünftige geblieben zu fein fGeint. Seine immer 
wachſende Verlihintheit, bei der es in der Damaligen mufitalifgen Welt als befondere 
Ehre und Empfehlung galt, ſich feinen Schüler nennen zu Lönnen, führte dem Meifter 
in Leipzig eine ganze Reihe von Schülern zu, und er entfaltete daher jegt aud feine 
ausgedehntefte Wirkjamteit als Lehrer.') Die ihm cigene Methode beim Kompofitions- 
unterricht Hat Kirnberger der Nachwelt vermittelt, und die für feinen Unterricht ge: 
icriebene Generalbaßlehre ift uns handſchriftlich überliefert.”) — Als Birtuofe ift 
Bach auch von Leihzig aus noch viel gereift: von 1723—1736 wird er öfters in 
Weißenfels gemefen fein, wo er ja „Bodfürftlicer Kapellmeiſter von Haus“ war und 
wo fein Schwiegervater Willen als Angehöriger der Hoftapelle lebte; aud Köthen 
beſuchte er mod. 1727 finden wir ihm zum fegten mal in Hamburg, dan nad; 
1727 in Weimar und Erfurt, wo ſich befonders Adlung ihm anfhloß; am Häufige 
ſten aber Tam er, namentlich nachdem Wilhelm Friedemann Vach 1733 dort Organift 
und er ſelbſt 1736 „Hoftompofiteur“ geworden war, nad) Dresden, wo er in den 
hödften Künftlerkreifen ein folhes Anfehen genoß, daß ihm Daſſe und feine Gattin 
Fauftina foger in Leipzig beſuchten. Dit Veufilfeeunden aus der vornehmen Welt 
Hand Bad mehrfad in freundſchaftlicher Berbindung;*) Muſiter aus aller Herren 
Ländern ſuchten ihn in Leipzig perfünfic auf, fo dah E. Phil. Em. Bad) bezeugen 
tonnte: „es reifete nicht feicht ein Meifter der Muſit durch Leipzig, ohne meinen 
Vater lennen zu lernen und fid vor ihm hören zu Lafien.”*) Das tebhaftefte Inter- 
efje widmete Bad allen Vorgängen in der mufikalifhen Welt feiner Zeit und wurde 











) Bad Schüler in Leipiig waren: Sammel Anton Bach (Meiningen); Johann Ernft 
Bach (Eifenad); Johann Elias Bad (Schweinfurt); dann Heinrich Nitolaus Gerber; Johann 
Tobias Krebs jun; Johann Ludwig Krebs; Johann Karl Krebs; Georg Friede. Einide; doh 
Friede. Agricola; Joh Friedr. Doles; Gottfe. Aug. Homilius ; Joh. Philipp Rirnberger; dann 
die Mavierfpieler Rudolf Straube, Ciriſtoph Trauſchel und Joh Theopfil Goldberg, und als 
tete: oh. EHrifloph Altnidot, Jo. Egriftian Kittel und oh. Gottfried Müthel. Denjenigen 
unter ihnen, die auf dem Gebiete der evangelifcen Kirchenmuſit Bedeutung gewonnen haben, 
find in unfrem Bude eigene Artitel gewidmet. 

2) Sie if abgedrudt als „Des Königlichen Hoff-Eompofiteurs und Capellmeiſters ingleichen 
Directoris Musices wie auch Cantoris der Tomasjchule Herrn Iohann Sebaftian vach u 
geipzig Vorſchriſten und Grundfäge zum vierfiimmigen fpielen des General-Bafı oder Acom- 
dagnement für fine Schelaren in der Mufit." 1738, bei Spitta II. S. 913-950. 

2) &o mit dem livländiſchen Freiherrn v. Kayferling zu Dresden, dem edlen böhmiſchen 
Grofen Spord zu Liſſa und dem Generalmajor v. Bertud, der als Gonverneur der Fetung 
Aggeraguys im Norwegen Icbte. 

9 Bl. Burney, Tagebuch einer mufit. Reife xc. Hamb. 1772—1773, HL. ©. 201 in 
der autobiographiſchen Skispe die €. Ph. Em. Bad) dem englifcen Dufitgefgihtsicreiber ſelbn 
geliefert Hatte. 








88 30h. Seb. Bad. 


dadurch) mehrmals auch in Streitigleiten Kineingejogen, die dieſelbe bewegten!) und 
noch 1747 fieß er ih in die Wiblerſche Mufllafifhe Societät zu Leipzig aufnch- 
men?) — Bon der Mitte der dreifiger Jahre an und gegen 1740 Hin wird nad) umd 
nach der Hang bei Vach fihtbar, den Problemen feiner Kunft, die ſich immer mehr 
vertiefte, auſchließlicher zu (eben. Im der Rirchentantate „zieht er ſich mehr und 
mehr in eine beftimmte Form der Choralfautate zurlid, wird fAweigfamer und, wenn 
er zedet, typiſcher in der Faſſung. Die Verbindung mit dem tatholiſchen Dresdner 
Hofe gab wohl die äufere Veranlaſſung zu den Kompofitionen über den lateiniſchen 
Meffentert,?) die er jedoch aud im proteflantifgen Gottesdienft zu Leipzig verwenden 
Tonnte. Bon denfelben gehört das Magnifilat, eines feiner mäctigfien Werke, der 
erften Leipziger Zeit an, und ihren Höfepunft bezeichnet die H-moll-Defle, deren 
Kyrie und Öforia er am 27. Iufi 1733 nad; dem Tode Friedrich Auguſt II. deffen 
Nachfolger überreichte, um ein „Prädicat vom Dero Hoff-Enpelle" zu erlangen (dem 
Titel eines Hoflompofitenre), und die er dann 1738 vollendete. „Wenn man,“ 
fo ſchreibt Spitta (I. ©. 543), Über dies Rieſenwert, „diefe Meffe unter den 
für ige Berftändnis notwendigen jachlichen Borausfegungen hört, jo if e8 als rauſchte 
der Genius von zwei Iahetaufenden über den Häuptern Hin. Faſi unheimlich berührt 
die Einſaumleit, mit welder die H-moll-Deffe in der Gefhichte daftcht. Wenn auch 
alle findbaren Mittel Herbeigef_afft werden, um die Wurzel von Bachs Kunſtanſchauung, 
den Gang feiner Kunfbildung, Die ihr von außen zugefüßeten Elemente, die von 
feinen perſönlichen Berhäftniffen ausgehenden Anregungen aufzudeden, wenn endlich 
fetöft das allgemeine Weſen der Tonkunft zur Erllirung ſich hitfreich erweiſt, jo 
Bleibt doch ein lebies, das Aufbligen der Ioee zu einer Meffe von folder Tragmeite, 
das abermalige Dervorbrechen des kirchlich reformatorifcjen Geiftes wie ans lange 
angefammelten Quellen, ja das ungweifelhafte Wiedererſcheinen von Anſchauungen des 
Urhriflentums grade nur in diefer einen Künftferperfönliceit unfakfih, wie der 
Grund alles Lebens." — Außerdem gab Bad; in den fpäteren Jahren feines Lebens 
zweien feiner größten Werte, der Iofannes- und Matthäuspaffion die (epte endgültige 
Form, ſchuf noch eine Anzahl feiner mägtigten Orgelwerle und als fein mufitalifdes 











3) Über einen peinfies Aufſchen machenden Angriff Scheibes auf Bad; im „Krit. Mufitue“ 
dgl. den bei Bitter, Bad; I. Anh. S. XLI-LXVI abgedrudten Säriftenwediel. — Den 
vielbefprogjenen (vom Adlung, Marpurg, Gerber, Fetis u. a.) Streit mit dem Reltor Bieder 
mann wegen de& „musice vivere“ und Bade Ynteif an bemfelben Gat am Hacflen dargelegt 
Lindner, Zur Tonkunf. 1864. S. 6494, Bol. auch Ausg. der Bnd-Gej. XI. 2. Bort. von 
Dr. 8. Kuf. 

2) Daß er behufe Aufnahme in diefe Geſellſchan, der Händel feit 1745 und felhR Graun 
feit 1746 angehörten, er noch eine Probe feiner mufitaliihen Kunft ablegen mußte, zeigt deut: 
til, wie wenig feine Dimelt feine Größe begrifi. 

%) Die Gierhergehörigen Werte find: 4 Meffen (Missae breves) in F-dur, A-dur- G-moll 
und G-dur. Bad-Gef. VIII; das Magnifitat in D-dur und 4 Sanctus in C-dur, D-dur, 
D-moll, G-dur. Bad.Gef. XI. 1; die Meffe in H-moll, Bad-Cef. VI. 





Ioh. Seh. Bach. .» 


Uftament die „Kunft der Fuge”, dieſes Meifterftüd des Meifters aller Zeiten auf 
dieſem Gebiete, um, wie er don der Orgel ausgegangen war, an ihr auch deu großen 
Ring feines Schaffens zu fhliegen. — Nod aber war ihm für den Abend feines 
Lebens der jhönfte Erfolg desfelben aufbehatten: fein Beſuch und Spiel bei Friedrich 
d. Gr. im Potsdam. Lange fhon und wiederholt Hatte der Kümig den Wunſch 
ausgeſprochen, den großen Feipziger Meifter zu fehen und zu hören, und Philipp 
Emanuel, der ſeit 1740 in feinen Dienften fand, mußte dem Vater Wunſch und 
Einladung des Königs fibermitteln, der er im Begleitung Wilhelm Friedemanns Folge 
feiftete. Am Sonntag den 7. Mai 1747 traf er in Potsdam ein und wurde mit Hoher 
Auszeichnung empfangen. Der König gab ihm ein eigenes Fugenthema auf, das 
Dach ausführte, erbat ſich dann die Improvifation einer fehsftimmigen Fuge über 
ein von Bad; felbft gewähltes Thema, und entließ ihm unter (aut ausgeſprochener 
Verounderung.!) 

Bad) wor nad den Schilderungen feiner Zeitgenoffen und den von ihm vor- 
handenen Bildern?) ein gefunder, kräftiger Mann, von breitfgultiger Geſtalt, mit 
einem vollen, energiſchen Gefiht, bedeutender Stirn und lebhaften Augen unter 
fiarken, fühn geſchwungenen Augenbrauen.) Doch nicht ange hielt feine Lebens 
fraft jegt mehr vor; eim Augenleiden, das ſchon lange her in immer fteigendem 
Grade ſich fühlbar gemadt hatte, zehrte mit am derfelben und veranlaßte noch in 
jeinem fegten Febensjahre eine gefährliche Operation dur; einen englifdhen Augenarzt, 
die jedod zweimal mißlang und den vollftändigen Verluſt des Augenlichtes zur Folge 
hatte. Merhvürdigermeife lehrte aber die Sehlraft in den lepten zehn Lebenstagen 
(vom 18. Juli an) noch einmal wieder, dod ber Inhalt des fo überreichen Lebens 
war erfhöpft, ein Schlaganfall trat ein, dem fih ein hibiges Fieber gefelte, und 
am Dienftag den 28. Yuli 1750 abends ein Viertel Über acht Uhr legte Bach die 
müde Hülle feines großen Geiftes zur ewigen Ruhe nieder. Am Freitag den 
31. Juli wurde er auf dem Sohannisfirhhofe beerdigt; fein Grab ift jegt nicht 


:) „Zeitgenoffen ſchreiben: als Friedrich d. Gr. den Thomaslantor geſehen und gehört 
Habe, fei er in „fonderbare Bervegung“ geraten. Es Tiegt ein tiefer Sinn in diefer „fonder- 
baren Bervegung“. Sie war die Vewegthen eines großen Mannes, welder ahnt, daß ein 
andrer ebenbürtig großer Mann in gegenüberfiche.” Bat. Niet, Mufil. Charattertöpfe I. 
1857. S. 90. — Mit feiner Ausführung des Aönigfien Themas war Voch felbft nicht zu · 
frieden geweſen; er arbeitete Dasfelbe zu dauſe in vollfommener Weile aus, tief das Wert in 
Kupfer fiehen und widmete es dem großen Könige ale „Mufitafifces Opfer“. 

2) Es waren vier Ölbilder von ihm befannt, darunter zwei von dem fächfifgen Hofmaler 
Hauemann, von denen das eine, auf dem er ein Blau Papier mit einem Kanon in der dand 
Gäft, und das die Tfomasfäufe befigt, das belanntefle if. Das zweite Hausmannfde Bild 
befaß €. Ph. Em. Bad, ein drittes Mittel in Crfurt, ein viertes fam aus dem Befig der 
Pringeffin Amalie an die Amalienbistiotgel in Berlin. 

*) „Wenn man den feften Bau des Kopfes und barinnen die ſchwarzen Augen fichet, da 
Äft eu einem als bräche Feuer aus Felfen“ — fo fhildert nach Miehl a. a. D. ©. 81 ein Zeit- 
gertoffe fein Geſicht. 






90 30h. Seb. Bach. 


mehr genau zu beſtimmen. Die muſilaliſche Welt trauerte um- ihn, im Rate der 
Stadt Leipzig aber fielen bei der Wicderbejegung feiner Stelle Bemerkungen wie: 
„Die Säule brauche einen Kantor und feinen Kapellmeifter; Herr Bad fei zwar ein 
großer Mufitus, aber fein Schulmann gewefen." Die Familie ging auseinander und 
die in Leipzig zurücbleibende Witwe mit zwei Töchtern wurden in ihrer Einfamteit 
und Armut vergefien. 
Die Werte Vadis, die Fortel mit Recht ein unfhäghares National: 
Erbgut des deutjcpen Volles nennt, dem fein anderes Volt etwas ähnliches 
entgegenzufegen habe, waren, mit Ausnahme einer Anzahl Klavier- und Orgel: 
werte, fon feiner eigenen Zeit zu hoch und zu fer, und entjpraden wenig 
deren Kunſigeſchmach deſſen Ideal der fladye, vielgeſchäftige Telemann war. Noch 
weit mehr mußten fie der auf dem Gebiete der Kircenmufit fo unglaublich tief 
fintenden Zeit nad) Bachs Tode ein Buch mit fieben Siegeln fein und voll- 
Rändig in Vergeffenheit geraten, Erſt der neueren und der neueflen Zeit war 
&8 vorbehalten, Diefe Werte wieder aus dem Staube zu ziehen, fie in ihrer 
ganzen Öröße und Bedeutung würdigen zu lernen und der mufitalifgen Welt 
in einer Weife nugbar zu madjen, wie fie jene frühere Zeit and nicht einmal 
entfernt zu ahnen vermoßte. So gehört Bad) wirtlid „zu jenen wunderbaren 
Geiftern, die gleich dem Cid im Tode nod die Schiacht gewinnen. Wie fih 
an dem Studium des gleihfam neu entdedten Shatefpenre die Litteraturredo- 
lution der Cturm- und Drangperiode entzündet, — fo Hat fh in dem 
Studium des neu entdedten Bah eine wenn aud minder triegeriſche Reform 
eingeleitet, auf welcher ein gut Teil unfrer muftalifcen Zukunft beruht.”') Cs 
war daher eine funftgefcichtliche That, als 1850, Hundert Dahre nad des 
Meifters Tode, die Bahgefellfchaft zu Leipzig mit dem Zwede gegründet 
wurde,?) „eine vollfländige Fritifde Ausgabe aller Werke Johann 
Sebaftian Bachs Herzuftellen, dem großen Tonfeger zum Denkmal,“ in einer 
Ausftattung, „die ohne (uririös zu fein, in Format, Drud und Papier ſich 
vor Gewöhnlichem auszeidnen" follte. Der erfte Jahrgang erihien 1851, und 
feitdens find in ungeftörtem Fortgange 23 Jahrgänge in 38 Foliobänden der 
Offentlichleit übergeben worden.) 
Bon diefen Werfen find hier zu verzeichnen: 


’) Bol. ©. ©. Niehl, Muſit Charalterlöpfe. 1. 1857. ©. 87. 88. 

%) Der erfle Aufeuf zur Gründung diefer Gefellfhaft war datiert vom 28. Juli 1850, 
dem Gundertjäßrigen Todestag Bade, und unterzeidwet von &. &. Beder, Breitlopf u. Härtel, 
Moriz Hauptmann, Otto Jahn und Robert Schumann, — denen auch diefe That nidt ver- 
geffen fein foll! — Die Bolenbung der Ausgabe if für 1885, den zweifundertjägrigen Ge- 
Burtstag Baht projeltiert, Dürfte aber laum bis dorthin ermöglicht werden Lönnen. 

>) Eine äußerft intereffante Zufammenfellung über Die Beteiligung bei diefem National: 
unternegmen in feinem Anfang und fjortgang findet fit} bei Findner, Zur Tonkunf, 1864, 
S. 98-102. An der Redattionsarbeit befchäftigen fi: Moriz Yanptmann, ©. W. Debn, 
Rich, €. F. Beder, und vor allem Dr. W. Kuf, der jebige Kantor der Tomasjdjule 

eipgig. — Mer Sedauerlicie Schwierigleiten, die fih dem Unternehmen entgegenftelten, 
giebt das Eirkular des Direlioriums der Gejellfänft vom 3. De). 1856 u. Lindner a. a. D. 
©. 168-161 Andeutungen mit Bezug auf einen die H-moll-Mefje betrefienden Fall, im dem 
der Eharalter &. W. Dehns in wenig günftigem Lichte ericheint. 








Ioh. Feb. Bach. 


9A 


1. Gefangswerte: 


IV. Sabre. Baffionemufirnad dem Evan- | 


geliften Matthäus. 
NIT. Jehig. 1. Sief. Baffionsmufit nach 
dem Gvongeliften Johannes 


V. Zafrg.2. %ief. Weinadts-Oratorium | 


nad dem Evangelien 
1-21 u, Matthäus Kap. 2, 1-12. 

1. Zeit: Am Weihnachrefefte: Jauchzet, froh 
Todet, auf, preifet die Tagel 

2. Zeil: Am 2. Weifmadhtsfeftage: Und es 
waren Hirten in derfelben Gegend. | 

3. Teil: Am 3. Beihnahtsfeftage: Herricher | 
des Himmels erhöre das Lallen. 

4. Zeil: Am Nenjahrstage: Fallt mit Danten, 
fallt mit Loben. fi 

5. Teil: Am Sonntag nah dem Neujahr: | 
Ehre fei dir Gott gefinigen. | 

6. Teil: Am Fer der Erlcheinung Chrifi: 
Her, wenn die folgen Feinde jämanben. | 

XXI. Jahrg. 3. Sief. Ofteroratorium. | 
Kommt, eifet und laufet. 

VL Jahrg. Die Meſſe in H-moll. 

VIE. Jahrg. Bier Meffen in F-dur, A-dur, 

moll und G-dur. 

XI. Zaheg. 1. ih. Magnifilat D-dur; | 
4 Santıns C-dur, D-dur, D-moll, | 
G-dur. 

XI. Jadıg. 1. Lieſt. Trauungstantaten. 
Dem Gereten muß das Lift. 

Der Herr denfet an une. 
Sort it unfre Zuverfiht. 
Drei EHorüle. 
Kiren-Aantaten. 
1. Jahrg. Kantaten ®r. 1. 

Nr. 1. Wie (ön leuchtet der Morgenfeen. 

«2.2 Gott vom Himmel fich darein. 
3. Ach Gott, wie mandjes Herzeleid. i 

Erfte Bearbeitung. 


emos ap. 2, 











«4. Ehrift lag in Todesbanden 
“5.80 fol ich fliehen hin. 
76. Bleib bei une, Denn «6 will Abend | 


werden. 

. Eheift unfer Here zum Jordan lam. 
. Lirbfler Gott, warm werd ich Nerben ? 
. 6 ift das Heil und lommen her. 

. Meine Seele erhebt den Herren. 





Soan 





IL. Jahrg. Kirgen-Kantaren Bd. II. 
Nr. 11. Lobet Gott in feinen Reichen. 
Weinen, Klagen, Sorgen, Zageı. 
Meine Seufger, meine Thränen. 
. Wär Gott nicht mit une diefe Zeit. 
. Denm du wirft meine Seele nicht in 
der Hölle laſſen. 
. Herr Gott dich loben wir. 
. Wer Dont opfert, der preifet mich. 
. Seid wie der Regen und Schnee vom 
Himmel jält. 
. ES erhub fih ein Streit. 
. D Cwigteit, du Donnerwort. 
Erfe Bearbeitung. 
V. Jahrg. Kirgen-Kantaten Bd. III. 
. 34 Gatte viel Belümmerni 
. Iefns nahm zu ſich die Zmölfe. 
Du wahrer Gott und Davids Sohn. 
. Ein ungefärbt Gemüite. 
. Es it midts Gefundes am meinem 
Leibe, 
. A wie flüchtig, ach wie nichtig. 
. Wer weiß, wie nafe mix mein Ende. 
;. Gottlob, num geht das Jahr zu Ende. 
» 29. Wir danfen dir Gott, wir danten bir. 
30. Frene dich erlöfte Schar. 
VII. Jahrg. Kirgen-Kantaten Vd. IV. 
die Erde judilieret. 
. eher Jeſu, mein Verlangen. 
. Alein au dir, Herr Jeſu Chrin. 
. D erviges (eier, o Urfprung der Lich. 
5. Geift und Serie find verwirret, 
Schmeingt freudig eud empor. 
. Wer da glanbet und getauft wird. 
38. Aus tiefer Not [hrei ih zu Dir. 
. Brich dem Hungrigen dein Brod. 
Dazu iR ericienen der Sohn Goties. 
X. Jahrg. Kirgen-Kantaten 80. V. 
41. Jefı nun fei gepreifet 
„82 Am Abend aber beefelbigen Sabbats. 
„ 43. Gott fähret auf mit Jauchen. 
„ 44. Sie werden euch in den vann tun. 
45. 8 if dir gefngt Menfdi, was gut if. 
46. Schauet doch und fehet, ob irgend. 
47. Wer fih felbft erhühet, der foll. 
% 48. 34 efenber Menfh, wer wird mid. 

















62 


Nr. 49. Ich geh und ſuche mit Verlangen. 

m 50. Run it das Seil uud die Sraft. 
XII Sahrs. 2. Lie. Kirgen-Kantaten 
80. VL 

Nr. 51. Jaudhet Gott in allen Landen. 

m 52. Balfge Welt dir trau id; nicht. 

„ 53. Sthlage doch, gewünſchte Stunde. 

m 54. Widerftche doch der Sünde. 

« 55. Ih armer Menſch, ich Sündenknecht. 
56. Id will den Kreuzflab gerne tragen 
57. Selig if der Mann. 

58. Ach Gott wie manches Herzeleid. 

Zweite Kompoftion. 

Ber mid; liebe, der wird mein Wort. 

Erſte Kompofition. 

DO Crigteit, du Donnerwort. 

Zweite Kompoſition. 

X VI. Jahrg. Kirchen -antaten Bd. VII. 

Nr. 61. Nun tomm der Heiden Heiland. 
Erfte Kompofition. 

. Run komm der Heiden Heiland. 
Zweite Kompofition. 

. Chriften, abet dieſen Tag. 

. Sehiet welch eine Liebe Hat uns. 


». 


0. 


. Erfreut end), ihr Herzen. 

. Halt im Gedäßtnis Jeſum Ehrif. 
. Ufo Hat Gott die Welt gelicht, 
99. Lobe den Herrn, meine Gele, 

70. Wadet, bett, feid bereit allzeit 
XVIIL Jahrg. Kirchen» Rantaten 
3b. VIII 

Nr. 71. Gott if mein König. 
72. Alles nur nad, Gottes Willen. 
78. Here wie du will, fo f6ids mit mir. 
» 74. Ber mich febet, der wird. 

Zweite Kompofition. 
. Die Elenden follen effen. 
. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes. 
Du fett Gott deinen Herrn lieben. 
Iefu, der dur meine Seele. 
. Gott der Herr iR Sonn und Shitd. 
. Ein fee Burg if umfer Gott. 
KR. Jasın. 1. Lief. Kirgen-Kantaten. 

80. IX. 

Nr. 81. Iefus ftäft, mas ſoll id) Hoffen ? 
» 82. 34 Habe gmug. 





. Sie werden aus Saba alle lommen. 





Ioh. Seb. Sad). 


89, 
3. 


Erfreute Zeit im neuen Bunde. 
vergnügt in meinem Glide. 
ein guter Hirt, 

Wahrlich id) fage euh 

Vieher habt ihr ni6tS gebeten. 
Siehe ic will viel Fifder ausfenden. 
Was ſoll ich ausdirmadien, Cpfraim ? 
Es reifet eud) ein [hredlid, Ende. 





86, 
87. 
38. 
». 
vo. 


XXII. Jahrg. Kirhen-Kantaten Bd. X. 


Nr. 91. 
m 
”. 
9. 
9». 
os. 
m 
os. 


Gelodet feih dir, Jeſu Ehrift- 

I Hab in Gottes Herz und Sinn. 

Wer nur den lieben Gott läßt walten 

Bas frag id) nach der Welt. 

Ehriftus der if mein Leben. 

‚Herr Ehrift der einig Gottesfohn. 

In allen meinen Thaten. 

Was Gott Hut das ift wohlgethan. 
1. B-dur, 

Was Gott thut das iſt wohlgethan. 
2. G-dur. 

Bas Gott hut das iſt mohlgethan. 
3. G-dur. 

XXIIL Jahrg. Kichen-Kantaten 

Br. XL 

Nimm von uns Herr, dir treuer Gott. 

‚Herr deine Augen ſehen nad; dem 
Glauben. 

Ihr werdet weinen und heulen. 

Du Hirte Iorarl, fü 

Herr, gehe nit ins Gericht. 

Gottes Zeit if die allerbefte Zeit. 

Was will du did) betrüben. 

Es iR euch gut, daß ich hingete. 

109. Ich glaube, lieber Herr. 

110. Unfer Mund fei vol Ladens. 

XXIV. gahra. Kirgen-Kantaten 

8». KIT 

Was mein Bott will, das ofceh allzeit. 

Der Herr ifl mein getreuer Hirt. 

Herr Jeſu Chriſt du höhftes Gut. 

A, lieben CEhriften ſeid getroft. 

Made dich mein Geiſt bereit. 

Du Friedefürſt, Herr Jeſu Chrift. 

Sei Lob und Ehr dem höffen Gut. 

D Zefır Chriſ meins Lebens Licht. 

Breife Jeruſalem den Heren. 

Bott, man lobt did) in der Stille. 


”. 


100. 


Ar. 101. 
102. 


„ 103. 
104. 
105. 
„ 100, 
„ 101. 
„ 108. 








Nr. 11. 
„8, 
„18, 
114. 
„18. 
116. 
u. 
118. 
18. 
120. 











Ioh. Seb. Bach. 93 
XXVL Iabrg. Kirchen - Kantaten | Nr. 181. Ad Herr, mid armen Sünder. 
»0. XIII. „ 132. Wohl dem, der fih auf feinen Gott. 
Rr. 121. Ehriftum wir follen loben fon. „ 138. 34 freue mic in dir. 
122. Das neugeborne Kindelein. „184. Aus der Ziefe rufe id. 
„ 123. Siebfter Immanuel, derzog der. „135. Badet auf zuft uns die Stimme, 
„ 124. Meinen Jeſum aß ic; nißt. 136. Bereitet die Wege, bereitet Die Bahn. 
„125. Mit Fried und Freud fahr ih dahin. |, 137. Warum betrühft du dich, mein Herz? 
„126. Here Ieſu Eeif, wahr'r Menfh. |, 138. Grforie mid Gott und erfahre. 
„ 187. Auf Cheifii Himmelfahrt allein. „ 139. Gin Herz, das feinen Jeſum lebend. 
m 128. Gefobet fei der Herr, mein Gott. 
» 129. Herr Gott, did) loben alle wir. XXVII. Jahrg. Lie. 2 
KRVIIL. gehen Rirhen-Rantaren | Tiematiffes Vereidnis der Kichen-Kantaten 


2». XIV. 
Mr. 130. Lobe den Herren, den mächtigen. 


Nr. 1120. 


1. Orgelwerte: 


Johann Erbafian Bachs Kompoſi— 
Ausgabe von Friedr. Konr. Griepent 


Peters. Edition Peters Nr. 240-247. Bd. 1 
2». I. Ed. P. Nr. 240. 
Re. 1. 6 Somaten für 2 Rlav. u. Bed, Es-dur, 


C-moll, 
G-dur. 

2. Paffacaglia in C-moll. 

3. Baforale in F-dur. 

P. Nr. 241. 10 Präl. u. Fugen. 

u. Fuga in C-dur. 

1. Fuge in G-dur. 

1. Fuge in A-dur. 


D-moll, E-moll, C-dur, 


Bd. 
Ar. 


tionen fürdie Orgel. Kritifg-forrette 
ert und Ferdin. Roitzſch. Leidzig, €. F. 
—8 u. Nr. 2067. vd. 9.1) 


Nr. 8. Präf, u. Fuga in A-moll. 
. Bräf. u. Fuga in E-moll. 


19. Präf. u. Fuga in H-moll. 


Bp. III. Ed. P. Nr. 242. 10 Präf. u. Fugen. 
Pral. u. Fuga in Es-dur. 

Tocata u. Fuge in F-dur. 

. Torcata u. Fuga Doriſch 

Präl. u. duge in D-moll. 

. Bräl, u. duga in G-moll. 

. Fantafia u. Fuga in C-moll. 














u 
u. Fuga in G-moll. 
äl. u. Fuge in F-moll. 
u. Fuge in C-moll. 
u. Fuge in C-dar. 





Drgelwerte, weil in der Ausg. der Bad-Gel. 
nämlid, 





Beil, u. Fuge in C-dur. 
. Tocata u. Fuga in C-dur. 
. Brite u. Zuge in A-moll 

. Peäl. u. Guga in E-moll. 


3) Wir verzeichnen diefe bis jet vollſtändigſte und verbreiteifte Musgabe der Bachſchen 


erR zwei Bände diefer Werte erſchienen find, 


XV. Jahrg. Orgelwerte. Bd. I. 6 Somaten für 2 av. u. Ped.; 8 Präl. u. Fugen, 


1. Folge; 6 Prüf, u. Fugen 2. Folge; 6 Prul. 
XXV. Jahrg. Orgelwerte. Bd. IL. 
Berliner Xutograph in Anordnung 1. gesactn. 





. u. Fugen 3. Golge; 3 Toccaten; Paflacaglia, 
1. Sief. Die Kumft der Fuge. Anhang: Das 
Lief. Pr. 1. Orgelbülein. Mr. 2. 6 Choräle 








(Cie fogenanmten Schüblerigen); Nr, 3. 18 Choräle (Die fogenannten großen mit dem Schwanen- 


liede „Bor deinen Thron tet id”). Anhang: 
a) zwei ältere Ledarten zu Sammlung 1. 
b) 15 ältere Sesarten zu Sammlung IL. 


94 oh. Seb. Bach. 











Bd. IV. Ed. v. Rr. 243. 14 Präl. u. Fugen. 82. VI. ed. P. Mr. 206. 
Re u. Fuga in C-dur. 34 große Choralvorfpiele und eine Barianten- 
u. Fuga in G-dur. Tammfung. 
„3. Bräl, u. Fuge in D-dur. Bd. VL. 2. M. 206, 
— Fe er 38 große Serie und eine Varianten 
— ſammlung.— 
«8. Fuga in C-moll. N 
«7. Buga iu G-moll. BD, VIII. ed. P. Ir. 247. 
"8. Buga in Hmoll, Mr. 1. Konzert in G-dur, 
» 9 Büga in C-moll, „ 2. Konzert in Armoll, 
„ 10. Canzona in D-moll, „ 3. Romgert in C-dur. 
„A. Fantafia in G-dur. 44. Konzert in C-dur. 
„ 12. Fantafin in C-moll. 5.8 Meine Präl. u. Augen 
» 13. Bräfudium in A-moll 6. Alla brere. 
14, Trio in D-moll. Tu. 2 Präludien. 





Fantaſia in G-dur 
10, Fuge in C-dur. 
„4. Brölubiun in G-dar. 
„12. Fuga in G-moll, 


Bd. V. Ed. P. Nr. 244. Choralvorſpiele. ” 
Nr, 1. 56 turze Choralvorfpiele. u 
» 2. Choralvariationen (Bartiten) über: 
Chriſ der du biſ der helfe Tag. 








DO Gott du frommer Gott. BD. IX. ©. P. Nr. 2007. 
Sei gegrüßet Jeſu gütig. Visher Ungedrudtes und Nachträge zu den 
Vom Himmel Hoc, da komm id; ber. übrigen Bänden, 


III. Ehoräte: 

Iogann Sebaſtian Bachs mehrfimmige ‚Chorafgefünge und geiflihe 
Arien. Zum erflen mal unverändert nach authenniſchen Quellen mit ihren urfprünglicen 
Zepten und mit den nötigen funfihiftorifgen Nacrweifungen herausgegeben von Ludwig Ert. 
Yeipgig, €. 5. Peters, 1. Teil. @&, P. N. 21. IV. u. 124 ©. qu. 4%. Ehoräle Ar. 1130. 
— IH. Zeil. &. P. Nr. 22. IV. u. 132 ©. qu. 4%. Ehoräle Nr. 161-319.) 

') Die früheren mangelhaften und vielfah torrumpierten Ausgaben dieſer Ehoräfe fine: 
1. Johann Sebaftian Bade vierftimmige Ehoralgefänge geſammilet von Karl Bhiliyv Emanuel 
Bad. Erfler Teil. Berlin und Leipzig, gedruct und zu finden bey Friedrich Wilhelm Birnficl, 
gonigl. privil. Buchdruder. 1705. 1 Bl. Bor. 50 S. qu. Fol. 100 Ehoräle. — 2. Zweyter 
Zeit (mahrfgeintih von Joh. Bil. Kirnberger Gerausgen.). Berlin u. Leipyig ıc. 1769. ©, 
51—104 (54 8.) qu. Fol. 100 Ehoräle. — 3. Johann Crbaftian Vadis vierfiimmige Coral 
gelänge. Crfler Zeil. Leipzig bey Johann Gottlob Immanuel Wreittopf. 1784. Zweiter Zeil. 
1785. Dritter Teil 1786. Bierter Teil 1787. Hog-Qu. — I. ZI. 18. Borw. u. S. 1-54, 
Coral 1-98; II. Ti. ©. 55-108, Choral 97—194; MI. TI. ©. 109-164. Choral 195 
bis 283; IV. X. ©. 107213. Chorai 284-371; dann S. 214-218 Regifler Über ſanu- 
fige Teile; im ganzen 218 &. mit 371 Chorälen. (Bon Joh. Phil. Kirnberger und €. Pi. 
Em. Bad) Herausgeg.). — 4. 371 vierftimmige Chorafgefänge von Johann Sebaftion Bad 
3. Aufl. Leipzig, bei Breitfopf und Häriel 1832. (1831). Ou. 4% I Bl. Vom, 2 3. Re 
und 211 &. — Dazu als Anhang: (09) Ehoräfe mit beiffertem Bafı von Johann Sebaftian 
Bat;, Gerausgegeben von C. F. Beer. Leipzig, bei Breitfopf und Pärtel. 1932. Du. 4% 
(Die Badıiken Choräle aus dem Schemellifchen G.%. 1736.) — 5. Joh. Seh. Badıs vier 
fümmige Sirdiengeänge, geordnet uud mit einem Vorwort begleitet von C. F. Beer. Bit 


























Ioh. Ich. Bad. 9% 


Unter der faft unfiberjehbaren Menge von Bearbeitungen Badider 
Werte, wie folge neuerdings faft jede bedeutendere Mufitalienhandlung ver- 
öffentlite, nehmen die von Robert Franz vor allen die Beadtung in 
Anfpruh. Sie haben zunädft einen heftigen Streit über die Frage, ob folge 
ergängenden Bearbeitungen bereditigt feien, oder nit? hervorgerufen — vgl. 
möheres darüber im dem Art. „Begleitung“ —, einen Streit, der nod nicht 
zum Austrag gebracht ift und in dem die mufitalifcen Hiftorifer die Veredtir 
gung ebenfo abfolut verneinen, wie die praftifgen Mufiter fie bejahen. Das 
freilich ertennen beide ftreitenden Teile an, daß menn die Berechtigung 
zugegeben werde, Die Bearbeitungen Robert Franz’ in Bezug auf Stilgemäß- 
heit ausgezeichnete, ja muftergüftige feien. Im Gegenfag zu diefen traten 
neuerdings unter der Agide eines Bachvereins zu Yeipgig, von A. Boll- 
land, Iranz Wüllner, dv. Derzogenberg u. a. bearbeitete „Sirchen-Stantaten von 
Ioh. Seb. Bad. Im Kavier-Auszug mit untergelegter Orgelftinme heraus 
gegeben” (Leipg. Wieter-Bied.) ans Licht. — &s werden fo die Werte unfres 
Meifters immer allgemeiner zugänglid); in immer zahlreicher werdenden Auf- 
Führungen werben fie demfelben einen vafd ſich erweiterten Kreis von Ber- 
ehrern; unter dem Namen Bahvereine haben ſich in manden größeren 
Städten eigene Oefangsvereinigungen gebildet, die fih die Pflege Badhlcher 
Berte zur peziellen Aufgabe machen. Seine Paffionen (namentlich die Matthäus: 
Yaffion) werden bereits in einer ganzen Anzahl deutfcher Städte alljährlich, in der 
Karwoce aufgeführt‘) — die Kiren-SKantaten zunäct durd Konzertauffüh- 
Tungen immer mehr befannt, und «8 ift zu Hoffen, daß aud; die Zeit nicht mehr 
allzu ferne fei, da dieſe Werle ihrer eigentligen Veflimmung, dem evangelifdjen 
Gottesdienft wieder zurldgegeben werden. Die Inftrumentalwerfe Bade fhlieh- 
lich bilden bereits allgemein bemüßte Unterrihts- und Bildungsmittel von 
unfciägbarem Werte in unfren Konferuntorien und es ift namentlid, von einem 
grändficgen Studium feiner Drgelwerte au wieder eine Hebung des fo tief 
darniederfiegenden irclichen Drgelfpiels zu erwarten.) 

So fehen wir denn bereits die Crfülung jenes prophetiſchen Wortes 
nahen das ®. 9. Rieht 1860 geichriehen, des Wortes: „unfre gefamte mufi« 
tafifche Entwialung wird „in fonderbare Bewegung” geraten, wenn einmal die 
ganze Fülle der Schöpfungen Bade bei ihr Eingang und Cimvirfung dollauf 
gefunden hat.“ 


Badız Portrait. Leipzig 1843. Verlag von Robert Friefe (1841 u. 1842). gr. 8°. 1 BL. Wib- 
mung, 2 Bl. Borw, 1 Bl. Reg., 279 S. mit 360 Choräfen. 

) Son vor längerer Zeit Tam die Matıhäuspaffion in Wien, 1874 fogar in Paris zur 
Aufführung, und im April 1883 ging der Mufidireltor Stiehl zu Reval, naddem er das Wert 
dort aufgeführt, mit feinem ganzen Perfonal nach Petersburg, um dasfelbe zweimal im der 
dortigen ſawediſchen Kirde unter „faft begeifterter Aufnahme“ zu wiederholen, Bgl. Gignale 
1883. S. 475. 

2) Ad im Ausland werden Bachs Kavier- und Orhelwerte aufs eifrig Audiert und 
Gufav Weber, Sci. Muftztg. XIX. 1870. Ar. 19. ©. 151 behauptet tonm zu viel, wenn 
ex fagt: „Man it in Deutf6land nur zu fehr geneigt, bejonders anf das franzöfifde Orgelipiel 
verädtlich Gerunterzufehen. 8 giebt aber in Paris vielleigt mehr Drganiften, weiche die 8 
Wände Bad) in vollendeter Weiſe und im riftigen Tempo zu Spielen verfehen, als in Deutfdi- 
Hand.“ 





96 30h. Seb. Bad). 


Die wigtigften Schriften über Bachs Feben und Werte find: 
1. Der Netrolog, von Karl Phil. Em. Bad; und Ioh. Friedr. Wgricola 
verfaßt, in Miplers Mufif. Bibfioth. Bo. IV. T. 1. Feipg. 1754. ©. 158 
dis 176, der and zugleid) ein wertvoles Verzeichnis der Werke enthält. Agri 
cola Hat dann außerdem nod) in den Anmerfungen zu Ydlungs Musica mech. 
organ. 1768 wichtige Mitteilungen über feinen Lehrer niedergelegt. — 2. 
Gerber, Tontünftlerleriton I. 1790, ©. 86 ff. und Neues Ser. der Ton. 
1. 1812. ©. 213—223. — 3. Fortel, Über Johaun Sebaftian Bachs 
Leben, Kunfi und Kunftwerte. Leipg. 1802. X u. 69 S. 4°. mit Noten: 
beilagen. 2. Ausg. 1855 — näcft dem Nefrolog die wictigfte Duellenfcrift. 
— 4. Schauer, Yohann Sebaftian Bachs Lebensbild. Jena 1850. VII. 
u. 38 ©. 8°. mit einem fleißigen Berzeihnis der is dahin gedrudten Kom: 
pofitionen Bade. -- 5. Hilgenfeldt, Johann Sebaftion Bads Leben, 
Wirten und Werke. Leipp. 1850. X u. 182 ©. 4°. mit forgfältig gefammelten 
Daten und Urteilen über Bad aus der Pitteratur des vorigen Jahrhunderts. — 
6. €. 2 Bitter, Johann Sebaftian Bad. Berl. 1865. 2 Bde. I. Br. 
XII u. 452 ©. U. ®. IV. 382 ©. u. OXXI CS. Anfang. 8°. „cn 
onderbares Ütterarifges Produtt, deffen Berfffer mit dem wiffenfhaftigen 
Apparate zu operieren fuct, ohne in irgend einer Weife dazu fähig zu fein.“ 
7. Dr. BHilipp Spitta, Yohann Sebaftian Bad). 2 Bde. Leipzig, Breit: 
topf u. Härtel. I. Bd. XXVI u. 856 ©. mit 6 &. Notenbeil. II. ®. 
1880. XIV u. 1014 ©. mit 20 ©. Notenbeil. gr. 8°. — das alles feither 
gefeiftete weit überragende Hauptwverf, dos Bach und feine Zeit im nahezu ab- 
ffiepender Weife behandelt. — 8. Reigmann, Johann Schaftian Bach. Sein 
Leben und feine Werke. Berlin 1880. 8.1) Werke Bachs allein behandeln: 
9. Mofewius, Über die Kirchentantaten und Chorafgefünge Vadis. Berl 
1845. 4°. — 10. Derf., Über die Matthäuspaffion. Berl. 1852. 4°. — 
11. Karl v. Winterfeld, Der evangelifhe Kirdengefang. TIL. Bd. 1847. 
4. — 12. Rob. Franz, Mber Joh. Seh. Bas Magnifitet. Halle 1863. 
8. — 13. Lindner, Zur Tonkunft. Berl. 1864 ©. 95—183; hier ift 
auch ©. 64—94 der Streit mit dem Rektor Biedermann und der Anteil, den 
Bad) an demfelben nahm, Hargelegt. — 14. Karl Debrois van Bruyd, 
Anafyfen des Wohltemperierten Mlaviers. Leipgig 1867. 4°. — Hußerft wert: 
volles Material enthalten auch die Borreden zu den einzelnen Bänden der 
Ausgabe der Bachgefeligaft, welde von dem trefflichen Vochtenner Dr. ®. 
Ruft, jegigem Thomastantor in Feipzig, verfaßt find. Durch Genauigkeit der 
Daten zeichnet fih der Artikel „Bad, Johann Sebaftian“ von v. Lilienkron 
in der „Allgem. deutfehen Biographie" I. ®d. 1875. &. 729—736 aus. — 
Ein Dentmal wurde Ba Haupfäclich durch Mendefsohns Bemühungen 
1843 vor der Thomasfcule in Yeipzig errichtet; ein zweites foll ihm im feiner 
Geburtsftadt Eiſenach gefetst werden. 








1) Bom geringerer Vedeutung in Siographiffer Sinfiht ſind mod: Hilfer, Lebens 
befäreibungen berühmter Mufilgelefrter und Tonfünfler neuerer Zeit. I. ZI. Leipgig. 1784. 
S. 9-29. — Giebigte, Mufeum berißmter Tontünfler. Breslau 1801. ©. 3—30. — 
Kühnmau, Die blinden Tontünfller. Berlin 1810.— Großer, Lehensbefäreibung des Kapel- 
meifters Joh. Seh. Bad. Bresl. 1834. S. 7-64 — fowie die neueren Schriften von Sud 
wig u. Säid. 





W. 8. Bad). 9% 


Bad), Wilhelm Friedemann, der Hallifhe Bad genannt, war am 22. No- 
vember 1710') als das erfte von den 21 Kindern Seh. Bachs und als der ältefte 
jeiner 12 Söhne zu Weimar geboren. Er zeigte von früher Jugend an ein fo 
emimentes mufitalifches Talent, daß bad jedermann etlennen mußte, wie auf ihn 
ganz befonders der Genius feines großen Vaters übergegangen fei, und daß deshalb 
diefer ſelbſt und fpäter aud die Brüder die größeften Hoffnungen auf ihn fegen 
tonnten,*) die leider Bitter getäuſcht werden follten. Mit befonderer Liebe leitete der 
Sater die mufitafifhen Studien diefes „feines hochbegabten, wunderlichen Lieblings“, 
der im Klavier und Orgelfpiel raſch eine bedeutende Stufe der Meiſterſchaſt erftieg”) 
und durch den Unterrigt, den er vom 15. Jahr an durch den SKonzertmeifter Joh. 
Gottl. Graun (ipäter Mitglied der Kapelle Friedrichs d. Gr.) auf der Violine er- 
hielt, auch ein vorzügli—er Violinfpieler wurde. Won feinem 20. Lebensjahre an 
tennte er dem Vater bereits bein Unterricht feiner zahlreihen Schüler afjiftieren.*) 
Aber nicht nur eine umfoſſende muſitaliſche, auch eine gründliche wiſſenſchaftliche Bil- 
dumg follte er erwerben und befuchte daher nach Abfolvierung der Thomasjgule die 
Univerfität Leipzig, wo er beſonders Philoſophie und Mathematik ftudierte, welche 
Studien er als Organifl zu Dresden mod) fortfegte.?) Dies alles, ſowie mehrfache 


) Bellermann, Ag. deutſhe Biogr. I. S. 743 fagt mod), „fein Geburtstag it unbelannt“; 
208) Hatte Spitte, Bad) I. 5, 354. 620 denfelben aus den Kirhentepiftern zu Weimar bereits 
beigebradit. 

2) Bitter, Bache Söhne II. ©. 152 f. fagt Gierüber: „Seh. Bachs Liebe war vorzugeweife 
diefem feinem Crfigeborenen zugewendet, der, wie er glaubte, ihm felbft weit übertreffen würde, 
&r trennte fih nur ungern von ibm und nahm ihm, wenn er auf Reifen ging, mit fih.” 
&o öfters nach Dresden; 1729 fikte er ihm zu Händel mach Hale, um diefen zu fih einzu 
laden. Qgl. Bitter, Bad} II S. 5. Ehrufander, Händel II. S. 232. Hilgenfeldt, Ball, ©. 32. 
NoS 1747 mafın er ihn mit ſih nad) Berlin. — Der Bruder €. Phil. Em. fagte von ihm: 
„Cr lomnte unfern Vater eher erfeßen, ald wir alfe zufammengenommen.” Dal. Ag. muf. 
Big. IL ©. 920. 

>) Sch. Bad ſcricb das „Orgelbüchtein — „um Anfängern im Orgelfpiel und zunächft 
wohf feinem alwmählig beramvadfenden äfteften Sohne Wilhelm Ariedemann zur Durhführung 
eines Chorals mit guten Muflern an die Hand zu gehen." Dal. Syitta, Bad) I. &. 888. — 
Daß er für den 12jährigen Kmaben die „6 Sonaten oder Trios für 2 Aaviere mit oblig. 
Bed.“ {reiben lonnte, wie dies Forlel, Bad. ©. 60 und nad ihm Hilgenfeldt und Bitter, 
Bad I. 3. 14T begengen, beweifl deffen frühe Meifterihaft auf der Orgel, 

©) Nah Marpurg, Hif-teit. Beitr. 1. ©. 493 war et . B. Nicelmann, der, während 
er Sei ©eb, Bad Theorie und Kompofition udierte, von Friedemann Ktlavierunterridt erhielt, 
der ihm Kefähigte, in die Kapelle Friedrichs des Gr. als Eembalift einzutreten. Dal, Bitter, 
Bade Söhne. I. ©. 15 

>) Marpurg a. a. D. 1. ©. 431 berichtet: ,Nach Öffentlicher Bafedittion von der Thomas 
ſchule [gritt er zu den Güßeren Wiffenfeaften auf der Univerftät Leipzig, allwo er unter den 
Brofefforibus Jöger und Ernefi die Philofophie und insbefondere unter Dr. Rüdiger die Ber- 
munfefehre Mudierte. Mber Die Jufitutiones hörte er die Herren Dr. Köfner und Dr. Jocchm 
und bey diefem lebiern Gefonbers die Pandelten, bey dem Herrn Dr, Stieglig Wedfelreit, und 
Hey den Herren Profeforibus Hauffen und Richter die Matgematit, welde er zu Dresden bei 

Rümmerke, Encyfl d. wang. Kichenmufl. 1. 7 














38 W. $. Sad. 


Reifen und „der bevorzugte Berfehr mit dem Vater und die Belanntſchaft mit den 
vielen großen Künſtlern, die deſſen Haus beſuchten, hätte dazu beitragen können, 
Friedemanns Gefihtstreis zu emveitern, feine Anfihten und das Verſtändnis für 
die Aufgabe feines Lebens abzuflären, feiner Bildung einen univerjellen Charakter 
zu geben. Wohl faum Tonnten alle Bedingungen Hieflir in höherem Grade ver- 
einigt werden, als wie fie ſich eben ihm darboten.“ Als Mufiter benlitzte er dieſe 
reichen VBildungsmittel und war bald der größeſte Orgelfpieler feiner Zeit, deſſen 
eminente Fertigleit und Beherrſchung diefes Inftruments allgemein bewundert wurde,!) 
auch als einer der gelehrteften und grůndlichſten Dufittgeoretiter erlangte er Anerfennung 
und fein Kompofitionstalent entwoidelte ſich in vielverfpredender Weiße, Als Menſch 
aber war feine Entwidlung eine um fo unglüdligere: fein Hang zu Sonderbarteiten, 
feine Zerftreutgeit und Rüdfichtslofigleit gegen Menſchen und Pflichten zeigten ſich 
eben fo frühe und wurden zu Charatterfehlern, die, als fpäter noch das Lafter der 
Truntſucht Hinzutrat, ihm verhängnisvoll werden mußten. — Erft 28 Iahre alt 
trat Friedemann 1733 fein erftes muſikaliſches Amt an: die Organiftenftelle an der 
Sophientirche zu Dresden: er veraltete diefe Stelle, noch unter der Leitung des 
Vaters, der ihm Üfters beſuchte, flehend, zur Zufriedenheit feiner Borgejegten.*) 
1747 wurde er als Drgenift und Mufikdiveftor an die Kiebfrauentirche zu Halle 
berufen, wo er von Anntewegen jährlid eine beſtimmte Anzahl von Kirchenmuſiten 
zu fegen und aufzuführen Hatte.) Hier war ihm alfo Gelegenheit geboten, ſich gleich 
feinem Voter eine bedeutende Stellung als Kirchentonſeher zu erwerben: er hat es 
mit vermodit, und es zeigen ſchon Spuren aus feiner Dresdner Zeit, daß er fih 


dein fehr gefficten Kommiffons-Rat und Hofmathematitus Walz fortgefegt ud dabei noch 
die Algebra 5 

*) Bol, Reigardt, Muf. Alman. 1796: „Der Zuhörer trante, indem er dem wunderbaren 
Gange feines Spieles folgte, feinen Augen und Obren nit.“ — Scrwidert, Mnf. Aman. 1782, 
&. 120: „Die Hofeit, Würde und Mad desfelben erregten Heilige Sauer. Seine Bhantafien 
waren fo reich neu and fremdartig Äberrafgend. daß öfters jelöt der gelbtefle Harmonift Müte 
Hatte, feinem Schwunge zu folgen“ — und Forte, Ba. ©. 18 fagt von ihm: „Wenn id) 
ibn auf dem Alavier hörte, war alles zierlich und fein. SHörte ich ihn auf der Orgel, fo über- 
fiten mic) Geilige Schauer. Hier war alles groß und feierlich." 

3) Eedebur, Verl, Tonlünfllerler. 1800. ©. 28. meint zwar, dafı ihn fein Lebendwandel 
gegmungen Habe, Dresden zu verfaffen, allein da ſich Gieflr einerfei Anhaftspunte finden, fo 
ionn dies nur Vermutung fein und das, was Bitter, Base Süfne II. ©. 173 f. ale Grund 
des Weifels anführt, erfheint weit licher. 

») Art. 2 feines Bolationsinfruments fagt auodrüctich, deßz er „erdinarie bey hohen umd 
andern Feſen, ingleichen Über den dritten Sonntag nebft dem Kantore und Corfälifern aus 
Stadt-Nufiis und andern Inſtrumentiſten eine bewegliche und wohltlingend gejete andädhtige 
Dufigue zu erhibieren, egtraordinarie aber die zei Icpteren Hohen Feyertage nebft dem Kan- 
tore und den Säülern, auch zuweilen mit einigen Biolinen und andern Infrumenten Kurze 
Fiqural-Stäte zu mufizieren und alles dergeflnlt zu dirigieren habe, daß dadurch die ein 
gepfarrte Gemeinde’ zur Andagt und Liebe zum Gehör göttliten Wortes deflo mehr ermuntert 
und angefeift werde.“ gl. Bitter a. a. D. 











W. *. Sad). 99 


lieber grubleriſchem Nachdenlen und vornehmen Nichtsthun, als geregelter und ftrenger 
Arbeit Gingab. Diefe Fehler entwvidelten fih in Halle immer mehr, jo dag er aus 
der Zeit feiner dortigen 1Bjährigen Thätigleit nur eine verhältnismäßig unbedeutende 
Anzahl von Kirchenwerlen binterlaffen hat. Bald nad) des Vaters Tode ſcheint dann 
der unglücliche Künftler Schritt für Schritt gefunten zu fein und nach und nad) 
ieden fittlihien Halt verloren zu Haben, den er aud) durch feine am 25. Februar 
1751 erfolgende Berehligung nicht wieder gewann. Neben der Truntjucht Kamen 
nun alle ſchlimmen Cigenfhaften feines Charatters, fein Hang zur Trägheit, feine 
Shrofffeit und fein abftogendes Wefen, fein Cigenfinn und Künfllerftoßz inmer 
mehr zum Vorſchein; damit ging eine Geifpiellofe Bernadläffigung feines Amtes 
Hand in Hand,') die ſchließlich zum Bruche mit feiner Kirgenbehörde führen mußte. 
Diefer Bruch erfolgte denn aud) damit, daß Bach unter dem 12. Mai 1764 feine 
Nefignation einreiäte. Und nun begann er ein wahres Bagabundenleben: mit der 
Geige unter dem Arm ſchloß er ſich wandernden Mufilbanden am, ober lieh ſich in 
Vettlertleidung gegen ein beliebiges Cintrittögeld auf irgend einer Orgel hören. Zu 
einer feften Stellung brachte er «6 nicht mehr, obwohl er 1768 von der Not ge- 
trieben ih nicht entblödete, nochmals um feine frühere Stelle in Halle als Bewerber 
aufzutreten, und obwohl ihm der Großherzog von Heffen den Titel eines Kapellmeifters 
verfiehen Hatte. Auf eine vorteilhafte Berufung als Hoftapellmeiſter nad; Rudotftadt 
gab ex nicht einmal Antwort; ITTL leble er in Vraunſchweig und bewarb fid 
um eime dortige Organifenftelle,2) Die er nicht erhielt, dann wandte er fih nad) 
Göttingen, wo er von doriel viel Freundſchaft erfuhr, und endlich fam er 1774 
nach Berlin, um dafelbft am 1. Juli 1784 in den dürftigften Umftänden®) und 
unter Hinterfoffung einer ungfüdfid gemachten Gattin und Tochter fein durch und 
durch verfehltes Künftferlcben zu beichliegen. 

Die Werte Wilhelm Friedemann Bachs, die ſich größtenteils in der königlichen 
VBibliothet zu Berlin aufbewahrt finden,‘) eigen in einzelnen Zügen wohl die Größe 





1) Über fein Sonderbarleiten, die Bernadjläffigung feines Amtes u. dgl. Haben ſich mehr 
Anefdoten von ihm erhalten, ala von feinem Vater und feinen Brüdern zufammen; man findet 
ſolche bei Marpurg, Legenden einiger Mußitheiligen. 1786. ©. 26. 50, 61. 05. Reichardt, 
Wuf. Alm. 1796. Allg. muf. Ztg. 1800. II. ©. 330. Chryfander, Jahrb. für Muf. Wiſſenſch. 
1 ©. au fi. 

3) Bal. Burney, Muf. Reife. III. S. 259. Anm. wo diefe Stelle als eine „freitic nicht 
wichtige" djaralterifiert wird, Die er aber doch „in feiner Situntion zu fudien Urjad; fand. 

5 Reihardt 0. a. O. fagt: „Freunde der Kunft und des Badfhen Namens haben ihn 
wer als einmal im eigentlichen Berflande vom Dift genommen, anfländig untergebradt und 
mit den Nottvendigleiten des Lebens verforgt. Nie aber gelang e& ihnen, ihn in einem douern 
den Zuflande von Ordnung zu erhalten. Gein Eigenfinn, fein Hochmut von der gemeinften 
Art und fein großer Hang zum Trunte fiefen ihn immer wieder ins Elend zuriidfalfen," und 
„au, die Seinigen lich er in Diürftigteit und Pebensangft machten.“ 

+) Ein fpecielie® Urteil über feine girchenwerte findet man bei Winterfeld, Ev. Kirchengel- 
III. Rad) Plümide, Theotergeſch. Berlins. S. 338 beſchäſtigte er ih 1778 und 1779 mit der 

1* 


100 W. $. Bad. 


feines Genius, nicht minder deutlich aber aud den Leihtfinn und die Zerfahrenheit, 
womit der Komponift diefelben Hingeworfen hat. „An Daffe im Verhältnis zu dem 
Langen Leben gering, an Inhalt nur zum Teil von Bedeutung, ift der Gefamtüber- 
blid über diefelben nicht befriedigend. Was der Nachwelt aufbewahrt worden ift, 
läßt ein ſicheres Urteil darliber zu, ob die Kunft als ſolche durch ihn weiter geführt 
worden fei. Dies Urteil fällt verneinend aus. Das Meifte bewegt fih entweder 
in der alten Bahn der fontrapunktifdien Schule und hat daher neues nicht fürdern 
tönnen, oder es ift in vollendeterer Weife und in fyftematiigem Zufammenhang mit 
dem Fortſchreiten des Dahrhunderts von Emanuel Bad der Welt überliefert worden. 
Die Elemente des Fortſchritis, der Entwidlung neuer Formen, neuer Geftaltungen, 
tiefer Wirkungen, die hie und da zum Vorſchein gefommen waren, hat cr nicht ge 
pflegt und daher haben fie feine Frucht getragen. Seine Künftlernatur mußte jhlich- 
lic) an dem Zwieſpalt zu Grunde gehen, der aus dem fruchtloſen Kampfe gegen die 
notwendigen Bedingungen weiterer Entwiclung, aus dem flarren eigenfinnigen Fort- 
gehen auf der überfommenen Bahn, ohne dem Fortſchritt und der durd die grofen 
Vorgänger ermöglichten feeieren Bewegung in Inhalt und Form das Herz zu öffnen, 
entftehen mußte“) — Als Menſch aber verlam Friedemann Bach, weil er Die alt: 
ehrwürdige, gefunde Vürgerfitte der Väter verließ und das „noble Bagabumdieren 
eines fahrenden Genies der Solidität des feftfüßigen und im Familienleben gerour- 
gelten Bürgertums“ vorzog.?) — Doch „gleitet ein Schunmer verfühnenden Mitleids 


Kompofition einer Oper, in der er verfudien wollte, die Chöre der Alten wieder auf die Bühne 
zu Bringen Das Wert Hfieb aber „tränfficer Umfände des durd) fein großes mufifafifcies 
Genie berügmten Komponifen wegen“ unbeendigt. Mad Marpurg, Hif.frit. Beitr. I. &. 
430 f. Hatte er auch ein theotelifßes Wert „Bon dem Garmonifeien Dreitfange” geichrieben, 
das aber nicht zum Drud Tamm, und nad) Paul, Sandler. der Tont. I. S.31 fol Biedemann in 
Hamburg 1842 eine neue Ausgabe feiner Werie zum Beften der Reftauration der Nitolaiorgel 
dafelbft veranftaftet Haben, von der aber in den Mufilfatalogen nichts zu finden if 

») dorlel a. a. D. findet den Schlüffel zu dem Künfllerifgen Unglüd Friedemann Bade 
in einem Worte Leffings, daS er auf if ammendet; 6 Heißt: „lee, was der Künfller über 
den Punkt, wo fid) jedes Berdienft in den Augen dee Volts zu verwirren und zu verdunteln 
anfängt, hinaus treibt, farm ihm weder Glüd nad, Ehre erwerben.“ 

?) Bgl. Richl, Muf. Charattert, 1. S. 86 f. „Wilgelm Feiedemann Bad) „emanzipierte” 
fi von der Vefgränfigeit der Kantorenverhäftnifie; die Sofieität des fehfüßigen und im Fa- 
milienteben wurgefnden und getveißeten Vürgertums war ihm langweilig, das noble Bagabın- 
dieren eines fahrenden Genies viel anpiefender; des großen Baters Anfprußisfofigleit wandelte 
fi bei ihm im Hodfahrenden Künfllerfog, und wo igm die Begeiflerung ausgegangen war, 
juchte er fie im Weinglos wiedergufinden. Statt Talent und Tfatkcaft zufammenzuraffen, Tieß 
ex beides zerfahren und in Schaum aufgeben. Und fo Hodibegaßt er gewejen, fo flolze Hoff 
mungen der Vater und anfangs auch Die Brüder auf ihn gefeßt, ging dot; fein Talent Hägtic 
zu Grund, umd während feine Werke kaum noch vorhanden find, if faR nur das warnende 
Erempel feiner traurigen Zerfogrenfeit auf die Nadtwelt gelommen. Cr war eben vom Bad 
fäien @eife abgefallen, in dem wir die Krafl und Mamubeit der guten alten Bürgerfitte er- 
bfiden, auf eine Künflerifäje Potenz erhoben.“ 


R. Ph. €. Bad). 11 


über das träurige Lebensbild, das die Nachwelt von ihm zurüd behalten hat, wenn 
man daran denkt, daß er wenigftens in einem Punkte, wenn auch ohne Berehtigung 
das Bermãchtnis feiner großen Familie treu bewahrt Hat.” Vol. Bitter, Bachs 
Söhne. I. ©. 265. 

Die Werke Bachs verzeichnet und befcreibt Bitter a. a. D. I. die 
Kirgenftüde ©. 175 ff. die Inftrumentalwerte S. 230 ff. Berſchiedene der- 
felben wurden bis in die meuefte Zeit in Sammlungen oder in bejonderen 
Heften Herausgegeben. Bon diefen find hier zu nennen: Konzert für Orgel 
mit 2 Don. u. Ped. rögeg. von Oriepenterl. Leipzig, Peters. —— MFuga 
F-dur für Orgel. Erfurt 1856, Körner. — duga G-moll. Körner, Orgel: 
Birt. Nr. 162. — Fuga C-moll. Daſ. Nr. 187. — Trio über „Adein 

i 55 fei Ehe.” Daf. Nr. 163. — Fuge B-dur für Klav. od. 

Org. Ausw. x. Berl. Trautw. II. Nr. 6. — Kongert D-moll für Org. 
Leipz. Breitl. u. 9. — Ein Autograph bei Bitter a. a. O. I. legte Tafel. 


Bad), Karl Philiyp Emanuel, der dritte Sohn Sebaſtian Bachs aus deffen 
erfter Ehe, der „unter feinen Brüdern der bedeutendfie wurde, mochte er auch nicht 
der tafentvolifte fein" und der „mur darim nicht epohemachend in der Geſchichte der 
Tontunſt fih abet, weil er eines folden Vaters Sohn gemefen.”!) Er war am 
14. März 17149) zu Weimar geboren und fam von da mit der Familie 1717 
nach Cöthen und 1723 nad) Leipfig. Hier abfofvierte er die Thomasfhule, ohne 
deß jedoch Die Zeit feines Ein und Austritts noch belannt wäre, erhieit daneben 
vom Bater Mufitunterricht und ſtudierte 1733—1735 an der Univerfltät zu Yeipzig 
und 1735—1738 am der Univerfität zu Franffurt a. D. die Rechtswiſſenſchaft. Im 
lebterer Stadt wendete er ih dann ganz der Mufil zu, leitete eine mufifalifge Ata- 
demie, dirigierte und Tomponierte die Muſiken bei allen vorfallenden öffentlichen 
eierlichteiten und war zugleid, ein beliebler Mavierlehrer.) Nachdem er feine Uni» 
verfitätsftudien vollendet Hatte, ging er 1738 nad Berlin und war eben im Begriff, 
mit dem Sohn einer vornemen fivländifchen Familie eine Reife ins Ausland anzu 
treten, als er von dem damaligen Kronprinzen von Preußen und nadherigen König 
Friedrich II. als Kammercembalift nad Ruppin berufen tourde, um denfelben dann 
bei feinem Regierangsantritt 1740 als Kammermufilus nad) Berlin zu folgen. Hier 
verheiratete er ſich 1744 mit Iohanna Maria Dannemann, der Todter eines Berliner 





1) Bgl. Spitta, Bad) I. ©. 620 u. W. 9. Mehl, Muſit. Charatterlöpfe 1. S. 85. 

*) Diefen Geburtstag giebt er in der Genenfogie ſelbſt an, während die Pfarr-Regifter zu 
Weimar den 8. März 1714 als folden verzeihen. Doch bemerkt Spitta a. a. D. ©. 620. 
Anm. 16, „daß es nicht waheſcheinlich fei, er fei über den Tag der eigenen Geburt im Irrtum 
genuefen.“ 

3) Bat. die von ihm ſelbſt verfaßte biogr. Stigge bei Burnen, Tagebuch einer mufitafiihen 
Reife ıc. überfeht von Ebeling. &. IIL. &. 108 f. — Die Frage, ob €. Ph. Em. Bad) ur 
iprüngtidh zum Juriſten oder zum Pufiter beſtimmt gewefen fei, in noch immer eine offene; 
während Bitter a. a. D. das Teßtere verteilt, ninmt die Mehrzahl der Biograpfen das eifiere 
an; »gl. noch H. Vellerniann, Alg. deutſche Biogr. I. ©. 744. 





102 &. Ph. €. Sad. 


Weinhandlers, veranfafte 1747 den befannten Beſuch feines Vaters in Berlin, und 
blieb im Dienfte des großen Königs, der feine Geſchicüüchteit als Begleiter auf dem 
Cembalo fehr hoch ſchatte, obgleich die ſchleſiſchen Kriege ihm den Aufenthalt in 
Berlin wenig behaglich machten, bis 1767. Im November diefes Jahres fiedelte 
er, nachdem ihm die Prinzeffin Amalia nod zu ihrem Kapellmeiſier ernannt Hatte, 
nach Hamburg über, wo er als Telemanns Nachfolger Kantor am Iohanneum und 
Mufitdireltor der fünf Haupttirchen wurde. Ws folher hatte er am Johanneum 
den Mufituntereiht und die Mufilaufführungen bei Schulfeierlichteiten zu leiten und 
in den unteren Maffen bis Tertin auch, wiffenfhaftligen Unterricht zu erteilen. Da- 
meben lag ihm als Mufildireltor der Hauptlirchen ob, die Kirjenmufilen bei den 
Hauptgettesdienften abwechſelnd in denfelben zu Teiten. Im diefer Stellung, die ihm 
fo zufagte, daß er verſchiedene anderweitige und zum Teil fehr vorteilhafte Be— 
rufungen ausſchlug, blieb er bis an feinen Tod, der am 14. Dezember 1788 in 
feinem 74. Lebensjahre erfolgte. Er hinterließ drei Kinder: eine Tochter und zwei 
Söhne, von denen der eine Iurift, der andere Maler wurde. — Die Hauptbedeu- 
tung Karl Philipp Emmanuel Bachs als Muſiker liegt auf dem Gebiete der Inftru- 
mentalmufif, befonders der Klaviermuſit, wo fein „Berfud; über die wahre Art das 
Ravier zu fpielen“ und feine Klavierfonaten‘) u. f. w. Maffifcen Wert erlangten und 
ihn zum Haupt der äfteren Schule des Mavierfpiels und der Klaviermuſik und zum 
„Berbindungs- und Mittelglied zwiſchen der unnahbaren Größe feines Vaters und 
der glängenden Zufunft der Mufit machten, die mit ihren Runftblüten bald genug 
der Welt eri einen follte." (Er hatte erfannt, „daß in den Werten feines Baters 
die Kunft des Kontrapunttes ihre höchſte Vollendung erreicht hatte, er fih alſo eine 
andere Bahn brechen, namentlid den fiir das Klavier beftimmten Kompofitionen eine 
andere Richtung geben möffe, um denfelben wiederum neues Intereſſe abzugewinnen. 
Darum beichäftigte er fih ganz beſonders mit den Grundſähen des „Acompagne: 
ments", nad welden eine hervortretende Hauptmelodie zwar harmoniſch unterſtützt, 
jedoch nidjt von ebenfo bedeutenden jelbftändigen Stimmen umgeben wird. Die Form, 
welche ex in feinen zahlreichen Mlavierlompofitionen am meiften und glüdlihften be- 
arbeitete, war die der Sonate, und er war es, welcher diefelbe im beharrlicher 
Ausdauer endlich zu einem aus drei Sägen beftehenden Tonftüd geftaltete"?) und 


1) &8 erftiienen neuerdings verfiiedene Ausgaben derfelben: fo Kicius, Aueg. ſämitlicher 
ovierwerte von €. Ph. C. Va mit Hif.-frit. Einleitung. Leipzig, Hof. 1853 begonnen 
8. €. Baumgart, Aavierfonaten, Rondos und freie Phantafien für Kenner und Liebhaber. Vou 
Mündig in 6 Sammign. Brest. Leutart — getreu nad dem Original; Hans v. Bülon, Seche 
auegewähfte Sonaten fürs Mavier allein, beacdeitei und mit einem Borwort heramsgeg. 2 Hefe. 
Leipg. Beter® — „aus der Mavierfpradie des 18. in die des 19. Jahrh, aus dem lavitordi 
fen ins Bionofortiihe überfept“ - gl. Alg. muf. Zig. 1864. ©. 61-64. — Au, ver 
fhiebene andere Iuftrumentaftwerfe Bade wurden neu eiert, 

2) Bol. Weigmann, Gef. des Mlavierfpiels und der Mavierlitteratur. 2. Aufl. Stuttg. 
1879. ©, 57. 58. 














&. Ph. €. Lad). 103 


fie mebft dem Mondo in die moderne Form Hinüberfügrte. Auf ihm Bauten dan 
Haydn und Mozart weiter.‘) — Als Bofaltomponift ift er von ungleid) geringerer 
Bedeutung. „Seine Kirhenftäde, Paffionsmufien, geiftlihe und weltliche Kantaten 
fehen nicht allein weit Hinter den gewaltigen Arbeiten feines großen Vaters zurlid, 
jondern zeigen auch wenig Sinn für volale Klangwirtung und Geflaltung, und 
Können fih daher mit den Bolalwerien eines C. 9. Graun, M. Haffe, Ioh. Gott. 
Naumann u. a. Komponiften des vorigen Jahrhunderts in Teiner Weife meffen.“*) 


Über feine ungemein zahfreihen Kompofitionen hat er ſelbſt einen hand» 
friftlihen thematiſchen Katalog aufgeftelt,") nad welden dann das „Berzeihnis 
des mufitalifgen Nadlafies des verftorbenen Kapellmeifters Karl Phil. Em. 
Bah“. Hamb. 1790. 142 ©. 8%. bearbeitet wurde. Vol. die Aufzählungen 
bei Gerber, Altes Ser. u. N. Ser. I. ©. 198—200 und Yeti, Biogr. des 
Mus. I. ©. 202—204, fowie die vollftändigfte und chronologiſch geordnete 
bei Bitter, Bachs Söhne. 1868. II. ©. 325 fi. — Der handigriftliche Nach- 
{aß Bads ging an den Gefanglehrer Pöldan in. Hamburg und von diefem 
fpäter an die Fönigl. Bibliothek in Berlin über, wo jegt feine Werte fat volftändig 
geſammelt find. — Hier find von feinen geiftlicen Geſangswerlen aufzuführen: 
1. Das große Heiligtum. Oratorium. Yamıb,, Böhme. Nene Ausg. revid. von 
H. M. Söletterer. Wolfenbüttel, Holle. — 2. Die Israeliten in der Wüfte. 
Dratorium. Hamb., Böhme. Neue Ausg. xevid, von H. M. Schletterer. Wolfen: 
büttel, Holle. — 3. Die Auferftehung und Himmelfahrt Jeſu von Namler. Fr 
4 Stimm. mit Orch. Hamb., Böhme, — 4. Heilig mit 2 Chören und einer Ariette 
zur Einleitung, mit Orb. Hamb., Böhme. — 5. opftods Morgengejang 
am Schöpfungsfefte. Daj. — 6. Magnificat ä 4 Voci con Orch. D-dur. 
Bonn, Simrod. — 7. Motette: Gott deine Güte reiht fo weit, für 4 Stim. 
mit Ord. Bonn, Simrod. — Weitere ohlreiche Kirhenmufitwerte, die un- 
gedrudt geblieben find, verzeihnet Gerber. N. Ler. I. ©. 199. — Werner 
Badjs geiftlice Lieder: 8. Heren Profeſſor Gellerts geiftlidie Oden und 
Lieder mit Melodien von . .. Berlin 1758. qu. Fol. IV u. 60 ©. 54 
Lieder mit Mavierbegl. 2. Aufl. 1759. 3. Aufl. 1764. 5. Aufl. 1784.) — 
9. In Balth. Münters x. erfte Sammlung geifliher Lieder. Leip. 1773. 
6 Nen. von ihm (vgl. den Art. „Bach, Yohann Chriftoph Friedrih"). — 
























*) Iofepf Haydn gefland felbft: „Wer mich gründlich Tennt, der muß finden, Dafı id) dem 
Emanuel Bad) fehr vieles verdanfe, daß ic) ihm verftanden und fleißig Audiert habe; er lich 
mir auch felbft einmal ein Kompliment darüber maden.“ al. C. F. Pohl, Joſeph Hayın. 
1.1. ©. 130-139. — Aud) Mozart fol bei feinem Befud) in Leipyig zu Doles gefagt Gaben: 
„Er if der Bater und wir find die Buben. er von ums 10a8 Redtes Tan, hats von ihm 
gelernt, und wer daß nit eingefeht, in ein . ... . Dit dem, mas er madit, dämen wir jeit 
nicht mehr aus; aber wie ers mat, — da feht ihm Teiner dieich · Bol. Roclit, Für Freunde 
der Zontunft. Bd. IV. ©. 309. Anm. 

2) Bol. Vellermann, Ag. deutfäje Tiogr. a. a. O. 

») Bal. Fetis, Biogr. des Mus. I. S. 204, der die Annahme, daß Bad den Katalog 
ſelbſt redigiert habe, auf eine Notiz im „Hamb, Korrefpondenten“. 1790. Nr. 160 gründet. 

9) Neuerdings erſchienen „Geiffihe Oden und Lieder von Gellert nıit Melod. von K. ph. 
Em. Bat; für gem. Chor gejeht von 2. Kotfci. Leipz. 1870. Nieter-Bied. 





104 Ioh. Ehr. Fr. Bad. 


10. Herrn Dr. Kramers überfegte Pſalmen mit Mefodien zum Singen bei dem 
Maviere von . . . Leipzig 1774. qu. Fol. X m. 52 ©. 41 Melod. — 11. 
Heren Chriftoph Chriftian Sturms x. geiſtliche Gefänge mit Melodien zum 
Singen bei dem Klaviere von . . . Erfte Sammlung. Hamb. 1780, VIII 
u. 32 ©. qu. Bel. 30 Met. 2. Aufl. 1781. 3. Aufl. 1792, 12, Dafl. 
Zweite Sammlung. Hamb. 1781. VII u. 32 ©. au. Fol. 30 Mel.) — 
13. Neue Melodien zu einigen Liedern des neuen Hamburger Gejangbuchs, 
mebft einigen Verigtigungen von . . . 1787. M. qu. Bol. 16 ©. 14 Mel. 
mit bez. Baf. Aus diefem Werlchen find die folgenden Melodien in den 
Kiechengefang übergegangen und haben größere oder geringere Verbreitung er— 
tangt, ſich auch jeitdem in Gebraud erhalten: 
Auferftiehn, ja auferftehn wirft du. Daſ. ©. 14. 
(vgl. den Art.) 
Befig ih nur ein ruhiges Gewiffen.?) Daſ. ©. 12. 
D-dur. a fisedah eis d eis h a (Württ. Ch.B. 1876. ii 37 Nr. 39.). 
Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre. Dal. ©. 4. 
D-dur.aadeishhaag fis fis. 
Gott ift mein Lied! er ift der Gott der Stärke. Dal. ©. 8. 
D-dur. aha g fis — fis e fis g fis e d. 
Bas forgft du ängftlid für dein Leben. Daſ. ©. 13. 
H-moll. fis fis g fis h haag. 
Bie groß ift des Allmägtgen Güte. Daf. ©. 3. 
(vgl. den Art.) 
Außerdem bearbeitete der Kantor Nicol. Ferd. Auberlen (vgl. den Art.) noch 
folgende zwei feiner Gellertſchen Oden zu Chorälen 
Du Hlagft und fühleft die Befdwerden. 
G-mol.ddabbebba. 
So jemand fpridt: id liebe Gott. 
As-dur. as cesdeschbe. 
die dann ins Knehtide Ch.B. 1799 Aufnahme fanden; die zweite fait noch 
im Württ. Ch.-®. von 1828. Nr. 227, jegt find beide weggelaffen. K. Ph. 
Em. Bad) fammelte aud) zuerft die befannten vierjtummigen Choralfüge feines 
Vaters und gab fie in zwei Teilen 1765 u. 1769 Heraus. 


Bad), Johann Chriſtoph Friedrich, der Blickeburger Bad) genannt, war als 
der neunte Sohn Sch. Bade am 21. Juni 1732°) zu Leipzig geboren und machte 


%) Eine nene Ausgabe „R. Pi. Em. Bade Geiflice Lieder mit Begleitung des Piancf 
Gerauegegeben von €. ©. Bitter” erfhien 1868 bei Simeod in Berlin in 4 Heften. 43 ©. 
or. mit 26 Liedern: cine „Auswahl aus den geil. Oden xc- von X. Ph. Em. Bad“ Hatte 
Vened. Widmann ſchon 1862 bei Merfeburger in Leipzig Gerausgegeben. 

2) Do ind Diele Melodien „nicht durchweg von ihm felbft fompaniert;“ vgl. Faift, 
Württ. &hB. 1876. ©. 295%; „Beh ich nur 3. 8. findet ih ſhon in „Mel. zum Säles 
wig-Hoff. 8.” 1785 (vgl. Euterpe 1878. S. 173) umd „Gutt if mein Lied“ in nad 
einer Mel. des Bremifcen-©.-®. von 1775 gebildet. Vol. Ert, €4-®. 1809. ©. 240. 

3) Urtundtich fegefellt in nur fein Tanftag, der 23. Juni 1732. Bol. Epitte, Bad) IL 
©. 055, v. Yifientcom, Alg. deutfäe Biogr. L. S. 735 hat „get. 23. Juni 1732" und S. 146 
„geb. 23. Juni 1732”, 























wilh. €. Sr. Sad). 105 


ganz denjelben Bildungsgang durch, wie feine Brüder. Unter des großen Vaters 
Leitung bildete er fih zu einem Mufiler, der, wenn amd fein Talent nicht an das 
feiner älteren Brüder hinanreichte, durch feinen Fleiß diefen Mangel reichlich erſebte 
and namentlich als ausfbender Künſtler feinesgleihen fugte.') Seine Schulbildung 
erlangte ex auf der Thomasfhule und bezog dann die Univerfität Yeipzig um Rechts- 
wifſenſchaft zu ſtudieren. 1756 aber übernahm er, erft 24 Jahre alt, das einzige 
Amt, das er während feines ganzen Lebens beffeidet hat: er wurde Konzertmeiſter 
des Grafen Wilpelm von Schaumburg-Lippe zu Büdeburg. Hier lebte er, nachdem 
© fich ein angenehmes, zufriedenes Hausweſen gegrlindet hatte, ruhig der Mufit — 
nur ein einziges Maf verließ er Büdeburg, um feinen Bruder in London zu ber 
fugen — bis an feinen Tod, der am 26. Januar 1795 erfolgte. Als Komponift 
war er ungemein fleikig und ſoll fih ein für ale Mal die Bormittagsftunden zu 
Kompofitionsarbeiten feftgefegt gehabt haben ) feine Werke aber, die in Dratorien, 
Poffionsmufiten, Sinfonien, Konzerten, Sonaten, Trios, Santaten?) und einer Oper 
(Bogmalion) beftehen und die ihm viele Ehrenbezeugungen von Geiten feines Hofes 
eintrugen, find über den engen Kreis feiner Wirtfamteit niht hinausgedrungen und 
iegt ſamtlich verfholen. Hier find nur nod zu erwähnen feine geiftlihen Melo- 
dieen in: 

Dr. Balthafer Münters x. erfte Sammlung Geiftlicer Lieder. Mit 
Melodieen von verfhiedenen Singtomponiften. Leipzig 1773, in der Dytiſchen 
aa Du. Fol. 52 ©. — Die Nrn. 1.2. 9. Il u. 20 find von 
ihm. 

Dr. Balthaſar Dünters x. zweyte Sammlung Geiſtlicher Lieder. Mit 
Melodien von Joh. Chrift. Friedr. Bad xc. Leipzig in der Dyltiſchen Buch- 
Handig. 1774. Du. Fol. 51 ©. mit 51 Nr. im ganzen 56 Lieder im Style 
der Melodien C. Ph. Em. Bachs zu Gellerts Liedern. 


Sein Son: Wilhelm Ernft Friedrich Bach war zu Vüdeburg am 
Mai 1759 geboren und von dem Kantor Geyer zu Stadthagen und dem Vater 





») Bol. Schwidert, Muft. Am. für Deutſchl. 1782. S. 114 u. 1784. ©. 151, wo er 
als ein ungemein fertiger und gelöhmautvoller Mavierfpiefer gerühmt wird, der fat Tine Schnieri. 
eiten mehr auf feinem Inftrument Tante. 

¶ Bot. Gerber, ML. 1. S. 21 u W. H. Riehl, Muſ. Eharattert, 1. ©. 258, wo 
erzäßte wird, dafı der fiederlice Franz Reubaner „feinen entfiedenften mufitalifcen Antipoden, 
den ehrjamen Büceburger Bach zum muflalifden Ziweitampf“ herausgefordert habe. „Im 
muftalifdien Zweifampfe mag wohl der gelehrte Bad) das Feld befauptet Haben, im focalen 
behauptete es Tcider der vagabunbierende Neubauer.” 

*) Diefe Kantaten find: Ino v. Ramler 1786 und Die Amerifanerin d. Gerflenberg 1787. 
veblere {hreibt Fötis, Biogr. I. &. 205—208 dem Londoner Bad) zu, giebt aber leinerlei 
Gründe für diefe Behauptung an; daher iR wohl Gerders Angabe zuverläffiger. 

) Die übrigen find von X. Pi. Em. Bag, 5 Nrn. — Iof, M. Sqheide, 12 Nrn. — 
Zeh. Ad Hiller, 7 Nm. — Joh. Will. Hertel, Ernft With. Wolff und Joh. deinrich Rolle 
ie 5 Nam. — Georg Benda und Fr. Ludiv. Aem. Kunzen.ie 3 Ren. 





106 Ioh. Chriſtian Bad). Heinr. Bad. 


ſelbſt zum Mufiter gebildet worden. 1774 ging er in Begleitung des Vaters, einer 
Einladung feines Oheims Joh. Chrift. Bad) folgend, nad London und lernte auf 
der Durhreife in Hamburg, wo er mit Beifall in einem Konzert auftrat, aud) feinen 
andern Oheim ©. Ph. Em. Bach kennen. In London, wo er fih naturalifieren 
ließ, bildete er ſich unter des Londoner Bachs Leitung zum tühtigen Slaviervirtuofen 
aus, und wurde ein vielgeſuchter Lehrer feines Inftruments; als dann 1782 der 
Oheim geftorben war, verließ er England, ging nad Paris und gab dort beifälig 
aufgenommene Klavier: und Drgelfonzerte. Über Holland nad) Deutſchland zurüd- 
gelehrt, ließ er ſich in Minden nieder, Dis er 1780 auf Beranlaffung des Königs 
Friedr. Wilhelm IL, den er durch Überreijung einer Huldigungsfantate für ſich ge: 
wonnen Hatte, nach Berlin überfiedelte, wo er Titulartapellmeiſter und Gembalift 
der Königin wurde, welches Amt er aud noch bei der Königin Luiſe begleitete, indem 
er zuglei den königl. Kindern Unterricht erteilte. Nach der Königin Tod trat er 
mit Penſion in den Ruheſtand und lebte fat verſchollen in Berlin; nur noch einmal 
trat er am die Öffentlichkeit, indem er 1843 der Einladung Mendelsfohns zur Ent- 
Hüllung des Bachdenkmals in Leipzig folgte. Am 25. Dezember 1845 ftarb er, 
86 Sabre alt zu Berlin, als der legte Entel Seb. Bad. Von feinen Kompofi: 
tionen wurden mur ein Singfpiel, vier Kantaten, einige Lieder und Inftrumental- 
werfe gedrudt. 

Der elfte und jüngfte von Seh. Bachs Söhnen, der Mailinder oder Tondoner 
Bad, kann hier nur kurz angeführt werden, da er für die Geſchichte der evangeliſchen 
Kirenmufit Teinerlei Bedeutung hat: 


Bad), Johann, Chriſtian, getauft am 7. September 1735 zu Leipzig, kam 
nad) des Vaters Tode 1750 zu dem älteren Bruder K. Ph. Em. nach Berlin, ging 
1754 nach Stalien, wo er Organift am Dom zu Mailand wurde und ließ fich im 
Heröft 1762 zu London nieder, wo er dann als Konzertunternehmer und Mode: 
Tomponift, ſowie als Dufitmeifter der Königin thätig war und am 1. Ian. 1782 ftarb. 


II. Der dritte Sohn Hans Bade, Heinrich) Bad), war am 16. September 
1615 zu Weimar geboren und erlernte dafelbft bei feinem Vater verigiedene In: 
fteumente. Beſondere Neigung zog ihn ſchon frühe zur Orgel, und um Orgelfpiel 
zu Hören (Wechmar hatte vor 1652 feine Orgel), ging der Knabe an Sonntagen 
oft Meilen weite Wege nad) den umliegenden Dorftirchen (Wandersleben, Dühlberg, 
viefleiht bis Gotha). Zu feiner weiteren Ausbildung ſandte ihn der Vater zu 
feinem älteren Bruder Johann Bad, der einige Zeit Organift in Schweinfurt ge: 
weſen, dann von der Wut des Krieges vertrieben, 1620 mit dem Bruder nadı 
Suhl gegangen fein mag, und 1635 als Organift und Direktor der Ratsmuſit nad) 
Erfurt tom, wohin ihm Heinrich ebenfalls folgte und in die Natmufit eintrat. 
1641 berief. ihn Graf Günther von Schwarzburg zum Organiften und Stadtmufitus 
nach Aruſtadt, und diefe Stelle hatte er dann 50 Jahre lang bis an feinen am 


Ioh. Chr. Bad. 107 


10. Juli 1692 erfolgenden Tod inne. Heinrih B. fat unter manderli Nöten 
und Unannehmlichfeiten!) fein einfaches Organiftenamt ein langes Leben hindurch 
treulich verwaltet, unter allen Wehfelfülen des Geihids einen frommen, indlich 
heitern Sinn bewahrt, wie er vom Vater befonders auf ihn übergegangen war. 
Bon feinen Kompofitionen ift leider nur äuferft wenig erhaften,*) fo daß aus den 
jelben ein Bild feiner Künſtlerſchaft laum noch zu gewinnen ift; doch darf er als 
einer der bedeutfameren Fortbildner der von Samuel Scheidt (vgl. den Art.) an 
gebahnten Choralbehandlung auf der Drgel angejehen werden, und als Lehrer feiner 
beiden Söhne, Yohann Chriſtoph und Johann Michael hat er ſich das ſchönſte Dent- 
mal für alle Zeit errihtet, 


Bach, Johann Chriftoph, der ätefte der Brüder und nad Joh. Seb. 
Bach der größefte Mufiler der ganzen Pamilie, war am 8. Dezember 1642 zu 
Arnftadt geboren und wurde ſchon 1665 in feinem 23. Lebensjahr Organift an den 
Kirchen zu Eiſenach, weldes Amt er dann 38 Jahre lang mit Ehren verwaltete. 
Später erhielt er auch noch die Stelle eines Hoforganiften; ob dies aber vor 1677, 
oder nad 1678, während welcher beiden Iahre Johann Pachelbel diefen Poften inne 
Hatte, war, ift bis jege nicht feftgeftellt. Ans feiner Ehe mit Marin Clifabeth 
Bedemann, der Toter des Stadtſchreibers zu Arnftadt, mit der er ſich 1667 ver- 
mahlte, gingen fieben Kinder, vier Söhne und drei Töchter, hervor: am 31. März 
1703 ftarb er, erft 60 Jahre alt zu Eiſenach. Als Komponift ift Johann Chriſtoph 
B. am größten und orignafften auf dem Gebiete der Volalmuſik, auf dem er die 
ganze Kraft feines Hohen Talentes entfaltete, während er in feinen Orgelſtüden weit 
weniger bedeutend erſcheint. Seine kirchlichen Bofalwerfe „find von einer Bedeutfam- 
feit und Bollendung, die den, welcher fi mit dem damaligen, unfiher taftenden 
Runftihaffen vertraut gemadht Hat, befremdend berühren muß, wenn er fih nicht die 
eigenartige Stelung des Meifters zu feiner Zeit Mar gemacht Hat. Ein raſtloſer 

%) Schon im Aug. 1644 muß er eine Bitte um Aushezaßfung feiner Befoldung einreichen, 
die er ſchon früher „ih fol mit weinenden Augen Hatte erbitten müffen,“ vgl. Spitte, Bad I. 
2. 30. Unterm 24. Nov. 1670 erhielt er vom Konfftorium eine Verwarnung wegen Ber- 
nagläffigung feines Diganiflenamtes; am 18. Mat 1872 bittet er um Befoldungserhöhung, im 
Febr. 1692 um Beigabe feines Sohnes Johann Günther als Adiuniten, vgl. Hilgenfelbt, 
Bathe Leben. S. 16 und unter dem 14. Jan. 1692 um Übertragung feines Amtes am feinen 
Sawiegerſohn Chriſtian Herthum, der ihm dann aud am 5. fjebr. 1692 „cum spe 
suecedendi“ fubtitwiert wurde. Bpl. die bezügl. Atenflüde bei Bitter, Bad I. ©. 11-16. 

») Mag. Iof. Gottfe. Oltarius in feinem Leihenfermon auf Hein. Bad. Arnfladt 1892 
— gt. Monatofefte für Muftgefä. 1875. ©. 178. 179 — redet zwar von den Choräten, 
Moteten, Konzerten, Fugen und Prätudien des „Kunfberühit-Grfahrenen” Mannes, aber von 
alledem if faft nichts erhalten: eine Choralbearbeitung für Orgel hat A. @. Mitter, Drgel- 
freund Bd. VI Nr. 14, ein Orgelfid Friedr. Riegel, Praxis organ. 1869. I. Nr. 47 neu 
herauegegeben. 








108 Joh. Chr. Bach. 


Fleiß und großes techniſches Geſchick muß ſich hier mit einer tief und fiat empfin- 
denden mufitafifhen Natur verbunden Haben, die in ihrer Einſamteit die Ideale 
älterer Künfter felbftändig weiter bildete, unbetünmert um Beachtung oder Nicht 
beachtung der Welt, und faft noch mehr ein Vorläufer Händels als Seh. Bachs 
genannt zu werden verdiente, wenn nicht ein Zug ſchwärmeriſcher Innigteit die Stam- 
mesverwandtſchaft mit (eterem ſprechend bewiefe."') Seine Motetten zeigen neben 
ihm eigentümilicher, reicher Weiterbildung des von deutſchen Meiftern wie Schüt und 
Hammerſchmidt angebahnten, in ihrer fließenden und fangbaren Stimmenführung und 
Kontrapunftit namentlich auch den Einfluß der itafienifchen Tonfeger; fie find außer: 
dem merkrofiedig, durch die in ihnen zu Tag tretende bewußte Miſchung des alten Ton- 
foftems mit dem modernen und einen oft überrafcenden Reichtum der Harmonie. 
Durc) dieſelben Hat fih der Meifter hoch Über alle feine deutſchen Zeitgenoffen geftellt 
und ift das bedeutendfle Vorbild Johann Sebaſtian Bachs geworden. Die von ihm 
vorhandenen Motetten) find?: 


. Der Menſch vom Weibe geboren. G-moll, 5 voc. 

. Sei getreu big in den Tod. A-dur, 5 voc. 

. Lieber Herr Golt, wede uns auf. E-moll, 8 voc. 1672 tomp. 

. Der Geredhte ob er gleich flicht. F-dur, 5 voc. 1676 tomp. 

. Herr num lüffeft du deinen Diener. Holifh, 8 voc. 

. Unfres Herzens Freude Hat cin Ende. Dor. transp. 8 voc. „unter 
allen erhaltenen vielleicht die gewaltigfte." 

. Fürchte did) nicht, denn ich habe did) erlöft. A-moll, 5 voc. 

. Ich laffe dich nicht, du fegneft mi) denn. F-moll, 8 voc. 

Er ift erftanden, veſus Chrift. 4 voc.’) 


era auaup- 





Bal. Spitte, Bach 1. S. 42. 

9) Diefe Violtiten befinden fih handſchriſtlich teils im Brivatheſz (Mr. 1. 2.) teils in 
der Königl. Bibl. zu Berlin (Nr. 3. 4. 5. 6. 8.) oder der Amalienbibl. daſelbſt. Neu 
Herausgegeben wurden: von Raue, Kirthenmuſit x. Leipz., Holm, I--TIL: Neun Motetten für 
Singire von Job. Chr. Bat und John Mid. Lad. Heft II. Nr. 4. ©. 2. 1. Nr. 1. II. 
Nr. 9. ©. 19.; bei Bod, Musica sacr. Bd. VII. Nr. 14. ©. 61. &. XVI. Pr. 18. ©. 91. 
Zu „I faffe dich nit“ in mod zu bemerfen: Das Mr. in der Bibl. zu Berl. iR „vielleicht 
Autograpf”. Spitte, a a. ©. I. ©. 93. Anm. 37, zuern wurde bie Motette von Nom 
a. a, DO. I. Mr. 9 unter Joh. Chr. Bachs Namen herausgegeben, Shit aber nahm fie in 
„Motetten von Joh. Seh. Bad“. Leipz . Breitl, u. Hürtel, Heft I. Nr. 3 auf, weil er fie in 
einer Abſchriſt (Univ. Bibt. Königsberg) mit den von diefem Hinzugefügten Strophen des 
Chorals „Warum beträft du dich mein Herz” — vergl. Cxt, Bade Ehoralgefänge. I. Nr. 
121 — gefunden hatte. Daher tommt cs, dafs Diefe Motette feitdem vielfach Seb. Bach zu- 
geiöjrieben wurde. Marz, Kemp-Lehre. TIL. S. 529 fprict Die Antoriäeft zwar Seh. Badı ab, 
aber ebenfo iretiimfih, Joh. Mid). Bad zu. Neuere wie ;. V. Portig, Religion und Kunf. I. 
&. 145. Lüßel, Kichl. Ehorgel. Heft XII. ©. 89-04 u. a. haben Iob. Chrif. Bach wieder 
in fein Reiht eingefeht. 

®) Diefer fürzere Chorgefang if neu gedrudt bei Sander, Heilige Cäcilia Berl. 1818 bit 
1819, I. ©. 24. 


30h. Nik. Badı. 109 


Außerdem ift von feinen Volalwerlen nod anzuführen: die merkwürdige ora- 
torifhe Kompofition „Es erhub fih aber ein Streit” über den myſtiſchen Kampf 
des Erzengels Michael mit dem Satan. Offenb. Joh. 12, 7—12, für 2 fünffl. 
Chöre, 2 Biolinen, 4 Bratihen, Fagott, 4 Trompeten, Paufen, Baß und Orgel.t) 
Seh. Bach führte diefes Wert in Leipzig auf und alle Welt ſoll über deffen Bir- 
fung erftaunt geweſen fein.) — Don Iohann Chrifteph 8.8 Orgelftüden find 
bis jegt nur 44 Choralvorfpiele wieder aufgefunden veorden;°) was Gerber, Neues 
8er. I. ©. 208-209, in einem Sammelbande noch an Oryelſtüden von ihm 
beſaß, ift mit deffen übrigem muſilaliſchem Nachlaß von feinen Erben verſchleudert 
worden. Im dem Sunftzweige jedod), wo er fih „auf mur teilweife bebautem, erſt 
halbdurchdrungenem Boden“ bewegte, zeigt er ſich als noch nicht zum wirklichen 
Orgelftyl durchgedrungen; daher find feine hierher gehörigen „Leiftungen nur ein 
Nebenſchößling feiner Kumft geblieben, dem Blüte und Frucht verfagt waren.“ Gleich- 
wohl ift auch Gier das, „was er in feiner Holiertheit ſchuf, bei genauer Erwägung 
aller Berhältniffe weder feines großen Talentes unwürdig, noch fteht es in Wider 
jpruch mit dem Fobe, das ihm feine ſpäteren Geſchlechtsgenoſſen auch al Orgelmeifter 
zu teil werden fiepen.‘) Auch eine Choralmelodie, die in Norddeutjchland noch ger 
brauchlich if, dürfte, wenn Gerber recht berichtet, unfeem Meifter gehören; es ift: 

„Liebe, die du mid; zum Bilde. hg a dg a fis d; (Bgl. den rt. 

„Komm, o tomm, dur Geift des Lebens“). = 

Bon den vier Söhnen Johann Chriſtoph Bachs wurde der bedeutenöſie 





Bad), Iohanı Nitolaus, geboren am 10. Dftober 1669 zu Eiſenach, feit 
1695 Stadt- und Univerfitätsorganift zu Jena, wo er nach 5Bjähriger Amtefliprung 
84 Iahre alt am 4. November 1753 ftarb. Er galt bei feinen Zeitgenoffen als her» 
vorragender Drganift, ſowie als eine Autorität im Orgelbau; aud Seb. Bad) hielt 
große Stüde auf ihn. Nach dem Zeugnis Adlungs, Muſit. Gelahrth. S. 706, war 


2) Mir. auf der Bibf. zu Berlin. Zetis, Bioge. des mus. I. &. 186% hat Gerber, 
N. ker. ©. 208 ſotſch abgeffriehen, Nr. 1 u. 2 verwedfel, und madit aus dieſem Stud 
„un chant de noces A douze voixt, führt «s aber weiterhin nochmals al „un motet & 
Yingt-deux voix pour la fie de Saint-Michel“ auf. 

2) &o ffreißt 2. Ph. Em. Bad) unterm 20. Sept. 1775 an Fortel — vgl. den Brief 
bei Bitter, vachs Söhne. I. ©. 343 — und Spitte, a. a. D. I. ©. 61 meint: „dies Cr- 
Namen würde wohl Heutzutage auch nicht fehlen.“ 

3) Sie befinden fi in einem um 1700 geffriebenen Heft im Veſibe Spittas. Der Titel 
des Mir. bei Spitta a. a. O. I, ©. 99. Neu gedrudt find drei derfelben: Körner, Pri- 
Tudienbug. IL. Nr. 2, Ritter, Kunf des Orgelip. III. S. 3. Spitta I. Notenbeil. &. 1. — 
Doß in nicht eines diefer Stüde fünfftimmig und e& dürfte daher die befannte Notiz, daß ®. 
„niemals mit weniger als mit fünf notwendigen Stimmen auf der Orgel oder dem Klaviere 
au Spielen pflegte“ — die aus Mifers uf. Bil. IV. 1. ©. 109 in alle Mufillepita über- 
gegangen if, eine Übertreibung fein. 

+) Bol. Spitta, Bad 1. ©. 100. 








110 oh. Michael Bad. 


ex ein fleifiger Suitenfomponift, doch ift von folgen nichts mehr vorhanden; von 
anderen feiner Werke ent man mod): eine Meſſe und ein komiſches Singfpiel „Der 
jenaiſche Wein und Bierrufer“, das für eine Gelegenheitsaufführung der Studenten 
beſtimmt war. — Beſonderen Ruf erwarb ſich Nitolaus B. noch als Berfertiger 
von treffligen Cembalos, deren Mechanismus er durd eigene Erfindungen verbeferte ;") 
namentlich feine Lautenflaviere, die er mit zwei und drei Klaviaturen baute und 
denen er durch Beigabe einer fünften tieferen Oftave aud den Theorbenton zufügte, 
woren befannt und fehe beliebt. — Sein zweiter Bruder: Johann Chriftoph 
Bad, geboren am 27. Aug. 1674, z0g als Stlavierlehrer in die Welt hinaus und 
fiel damit von den Traditionen der Bahfamilie ab. Er lebte in Erfurt und Ham- 
burg, dann in Rotterdam, und um 1730 in England. Vgl. Walther, Muf. Ler. 
©. 63. Sein Todesjahr ift unbefannt. — Der dritte der Brüder: Johann 
Friedrid Bad, 1675 oder 1676 geboren, wurde 1708 als Nachfolger Seh. 
Bachs Drganift an der Blaſiustirche in Muhlhauſen und galt feiner Zeit als ein 
treffficher Orgelfpieler. Leider ergab er ſich dem Trunfe und verfam; er ſtarb 
1730. — Der jüngfte der Brüder endlih: Johann Michael Bach war um 1680 
‚geboren, wurde Drgelbauer und ging dann in die fremde, vielleiht nad Stodholn, 
wo damals Dohann Iatob Bach, der Bruder Sebaftians, als Hofmuſilus lebte. Er 
ift gänzlich verſchollen. 

Der zweite Sohn Heinrich Bachs und jüngere Bruder Johann Chriſtophs, der 
ob zwar weniger hervorragend als diefer, doch zu den bedeutendften älteren Vuſitern 
der Familie gezählt werden muß, ift: 


Bach, Johann Michael, geboren am 9. Auguft 1648 zu Arnftadt und wie 
der ältere Bruder Schüler und aud bald Gchütfe des Baters im Organiftenamt. 
1673 wurde er als Nachfolger Johann Efflers, der auf die Stelle des verjtorbenen 
Iohann Bad an der Predigerfirhe zu Erfurt abgegangen war, nah einer am 
5. Dftober abgelegten Probe, die ihm das Fob „eines flillen, eingezogenen und 
tunfterfahrenen“ Mannes eintrug, Organift zu Gehren bei Arnſtadt, und übernahm 
zugleid das Amt eines Gemeindeſchreibers dafelbft. Am 27. Dezember 1675 ver- 
heiratete er ſich mit Katharina Wedemann, der jüngeren Schweſter von des Bruders 
Iohann Chriftoph Gattin; fünf Töchter waren die Frudt diefer Ehe, von denen 
die jüngfe, Maria Barbara, 1707 die erfte Frau Sebaftian Bags wurde. Zu 
folge einer Nachricht vom Iahr 1686 beſchäftigte ſich Michael B. auch mit dem Bau 
von Klavichorden und Geigeninftrumenten?) und war in diefer Hinfiht Vorbild und 





H Bal. die verfiedenen hierher gehörigen Nochrichten bei Adlung, Mus. mech. org. I. 
©. 174. 187. 44-245. IL. &. 37. 54. 56. 108-109. 196—138. 198 und derf. Anl. zur 
muf. Gel. S. 311. 55 

2) Nat Spitte, Bach I. S. 39-40 befand ſich amı Anfang diefes Jahrh. eine von ihm 





30h. Michael Bad). ui 


vielliht and Lehrer feines Neffen Nitolaus. Erſt 46 Jahre alt ſtarb er im Mai 
1694.) — Als Komponift ſcheint Michael B. am ſtärtſten auf dem inftrumentalen 
Gebiet geweſen zu fein; nad) Walther hat er „arte Sonaten und Klabierſachen ge- 
feet," und mad) Adlung waren feine Choralvorjpiele nod in der zweiten Hälfte des 
vorigen Jahrhunderts im Gebraud.?) Allein während Gerber noch 72 fugierte 
und figurierte Choralvorfpiele von ihm beſaß, in denen er große Mannigfaltigfeit 
umd Abwechslung fand, und von denen keines des Namens Bad ganz unwürdig 
gewefen fein foll, fonnte Spitta nur mod fünf derfelben auftreiben, in denen ſich 
teilweiſe Pachelbelſcher Einfluß geltend macht.) Sie behandeln folgende Choräle: 
„Alein Gott in der Höh fi Ehre“ — „Wenn mein Stündfein vor: 

handen ift” — „Nun freut eud tieben Chriſten gmein“ (mitgeteilt im Mann: 
heimer Orgeljournal I. Heft 7 von Rind) — „Im dich hab id gehoffet, 

Herr“ u. „Dies find die Heilgen zehn Gebot”. 

Verfältnismäßig mehr ift von feinen Votalwerlen auf uns gelommen, freilich 
nicht eben zum Vorteil des Komponiften: denn er zeigt ſich in denſelben zu fehr 
unter dem Einfluß, feiner Zeit und als nicht befonders gewandten Kontrapunftiften, 
der vorwiegend hemophon umd mit öfters ſchwerfälliger und ungelenfer Stimmen: 
führung ſchreibt. Diefe Werte find: 

1. Ach bleib bei uns Here Jeſu Chriſt. Kantate; G-moll, vierft. mit 2 

Biol, 3 Biolen, Fagott m. Orgel — umd 12 Motetten, nemlic: 
. „Sei nun wieder zufrieden, meine Seele.“ A-moll, %, 8 voc. c. B. C. 

für Orgel. 

. Neujahrsmotette. D-dur, 4, 6 voc. 

36 weiß, daß mein Erlöfer tebt. G-dur, *%, 5 voc. mit Choral 
„Ehriftus der ift mein Leben,” 

„Das Blut Iefu CHrifti des Sohnes Gottes.“ F-dur, %, 5 voc. mit 
Choral „Wo foll ich flichen hin.” 
6. Herr, wenn ich mur dich habe. B-dur, ° 

Gott, wie mandes Herzeleid.” 

- Dem Menfhen ift gejegt einmal zu ſterben. E-moll, 4, 8 voc. mit 

Choral „Mein Wallfahrt ih vollendet Hab.“ 

8. Halte, was du Haft, daß niemand. E-moll, %, 8 voc. mit Choral 

„Ieju meine Freude.“ 

9. „Herr du läffeft mid erfahren.” E-moll, 4, 8 voc. mit Choral „Ad 
was foll ich Sünder machen.“ 








»w ® 








5 voc. mit Choral „AG 


gebaute Geige im Veſitz des Geometers Schneider in Gehren, der fie Albert Methfeffel ſchenlte, 
nad} deſſen Tode 1809 fie verſchwunden if. 

?) Bitter, Bad LS. 19 Anm. lennt die Zeit feines Todes nicht, lätt ihn dann aber in der 
feinem Werke über „Bags Söfne” II. S. 388 u. 384-beigegebenen Gtammtafel 1723 flerben, 
obmohl er aus dem am 17. Oft. 1707 ausgeflellten Traufcein Seb. Bade, den zuerft Prof. 
Bio, Niederrhein. Mufilztg. 1956. Nr. 43, dann auch Bitter ſelbſt a. a. D. I. S. 66 mit- 
geteilt Gat, Hätte ſehen Fönnen, dafı ex dort fon als „neyland“ umd „feeligen“ bezeichnet iſt. 

2 Bol. Walter, Mufit. er. S. 64 und Adlung, Muf. Gelahrth. ©. 690. 

*) Bgl. Gerber, N. Lex. 1. ©. 213. Spitta, a. a. O. L 105. 


112 3. 6. Sad. A. W. Sad). 


10. Ad wie ſehnlich wart ich der Zeit. C-dur, %, 8 vor. 
11. Weihnaditsmotelte. Fürchtet eud nicht, ſiehe ich verfündige eud. G-dur, 
*, 8 voc. mit Choral „Gelobet feift du Jeſu Chrift.“ 
12. Nun hab ich überwunden. G-dur, %, 8 voc. 
13. Unfer Leben ift ein Schatten. C-moll, *4. 2 Chöre. 6 u. 3 voc. mit 
Choral „Ad wie nichtig, ad) wie flühtig.*") 
As der legte Sohn Heinrich Bachs und der dritte der Brüder ift noch kurz 
zu erwähnen: 





Bach, Johann Günther, geboren am 17. Juli 1653 zu Arnſiadt; er war 
ebenfalls ein Schüler feines Vaters und tühtiger Orgelfpieler, von dem der Vater 
fagen konnte, daß ex „feine Kunſt ohne eitfen Ruhm fo erlernt, daf er vechoffentlich 
dem lieben Gott und feiner Kirche darin wohl dienen“ fünne. Seit 1682 war er 
dem Bater als Gehllfe beigegeben, Hatte fid) in diefem Jahre auch verheiratet, duch 
enteiß ihn der Tod ſchon am 8. April 1693 feiner Kunft und feiner Familie. 


Bach, Auguft Wilhelm, Orgamift und Direftor des königl. Inflituts für 
Kirgjenmufit zu Berlin, war am 4. Oftober 1796 als der Sohn des Organiſten 
Gottfried Bach (get. 17. Mai 1814) an der Dreifaltigfeitstiche daſelbſt geboren 
und bildete fid) unter der Leitung feines Baters zu einem trefflichen Drgelfpieler 
aus, fo daß er in feinen jüngeren Jahren den erflen Birtuofen auf der Orgel zu: 
gegähft wurde. 1814—1816 war er Drganift an der Gertruden-, von 1816 an 
am der Marienlirche in Berlin; daneben leitete er den Dufil- und Gefangunterrict 
am mehreren höheren Scufanftalten und war feit 1822 aud als Lehrer an dem 
Inflitut für Kirchenmuſit tHätig, deffen Direltion ihm 1832 nad Zelters Tode 
übertragen wurde. An (epterem Inflitut, das nad) einem von ihm ausgearbeiteten 
Plane ermeitert wurde, wirfte er danm Dis zu feinem Hintritt mit großer Liebe und 
unermidlichem Eifer, — wenn ihn aud) zulegt die Kräfte fihtlich verliehen und fein 
Orgelunterricht interimiftifc dem Drganiften A. Haupt Übertragen werden mußte. 
Unter feinen Schülern find zu nennen: Ludwig Thiele, Aug. Haupt, Succo Bater 
u. Sohn, Rudolphi (Organift an St. Nitolai), Ad. Fiſcher (Branffurt a. d. O) 
u. 0. Schon 1826 war 8. Kommiffär fir Orgelbaufierfcläge bei der Oberbau 
deputation geworden und Hat als foldier eine große ‚Zahl von Drgeldispofitionen 
und Überfätägen entworfen; 1833 wählte ihn die fönigl. Alademie der Fünfte zum 
ordentlichen Ditgliede der neugebildeten Sektion für Dufil, und 1858 erhielt cr 

1) Diefe Werte find teils Mitr. — Nr. 1 Königl. Bibl. Berlin: Nr. 3 Univ. Bibl. 
Königsberg; Nr. T—11 Amalienbibl. des Ioahimsihaligen Gymn. Berlin — aufbewahrt, 
teils neu herausgegeben: Nr. 2. 4. 5. 6. 12. 13 bei Naue, Kirhenmufit verſch. Zeiten ge. 
Leipz., Hofm. Heft 13; Nr. 4 bei Bod, Mus. sacr. V. S. 83. Weber, Kirchl. Ehorgef. LU. 
Nr. 11. 18-14. Lügel, Kirchl. Ehorgef. ©. 6. Nr. 5. Weber, a, a. O. Il. &. 17-21; Rr. 
6. Bod, a. a. O. VII. ©. 68. Mr. 12. Bod, a. a. O. VI. ©. 74. 














Gottfr. Bachmann. Dr. 3. 8. Bachmann. 113 


den Titel eines lönigl. Profeffors. B. florb zu Berlin am 15. April 1869.1) — 
Son feinen Werfen find Gier zu nennen: 

1. Choralbud) für das G.B. zum gottesdienftlien Gebraug für rang. 
einden, bearbeitet und mit Genehmigung eines K. Hohen Minifteri der 
giftigen zc. Angelegenheiten Herausgegeben. Berl. 1830. Trautwein. IV. u. 
151 ©. qu. 4%, — 2, Choralbud), Die gebräuglicften Melodien mit hırzen 
und feichten Ztoifcenfpielen enthaltend. Ein Auszug aus dem früher eridie: 
nenen größeren und vollftändigeren Choralbud;. Verl. 1834. Trautwein. X 
u. 62 ©. qu. 4°. 100 Choräle. Dipl. utonia. 3. IX. ©. 215-216. — 
3. Choräle zum Sircenbud) für das töniglic) preußifche Kriegsheer. Berl, 
G. Reimer. ge. qu. 2°. — 4. Der praftifge Organift, enthaltend eine Samm- 
Tung der verfchiedenartigften Präfubien, Choräle nebft Ziwifcenfpielen, Poftludien, 
Fugen und ausgeführten Kompofitionen. 4 Abtign. (4. Abtig. Orgelfide fir 
das Konzert.) Berlin, Trautiv. — 5. Orgeiftüde: Präludien, Fugen, Pof- 
Gudien, variierte Choräte x. 3 Hefte. Leipzig, Breit. ı. Härtel. 


Bachmann, Gottfried, Organift in Zeig, war am 28. März 1763 zu 
Bornig bei Zeig geboren und beſuchte von 1778 am die Schule diefer Stadt, um 
fh für das Studium der Theologie vorzubereiten, erhielt aber gleichzeitig von dem 
Sclogorganiften Fred auch Unterrit in der Mufil. 1785 bezog er die Univerfität 
Leipzig, wo er jedoch bald ganz zur Mufil überging. Nachdem er 1790 noch bei 
Raumana in Dresden Studien gemacht hatte, übernahm er 1791 durch die Verhälimiſſe 
gegwungen Die beſcheidene Organiftenftelle an der Nitolaitiche zu Zeig, in der er 
donn viele Jahre wirlte und am 10, April 1840 ſtarb. B.s bedeutendem und 
ägentümlichem Talente war es nicht vergönnt, in feinen kleinlichen Berhältniffen zur 
vollen Entfaltung zu tommen. Bon feinen zahfreihen Meufihwerfen jeglider Art 
find hier nur zu nennen: 

6 Orgelflüde, Op. 34. Leipzig, Breitt. u. H. 1802. — 12 Orgelftüde. 

1. Sanımfg. Leipzig, Hofmeifter. — 9 DOrgelftüde. 2. Sammlg. Daf. 


Bachmann, Dr. Johann Friedrich, ein Berliner Prediger und bedeutender 
Hymnologe, der ſich durch feine Thätigfeit bei der Bearbeitung des Porftfchen G.-®. 
und des Neuen Berl. G.B., fowie durd feine Forſchungen über Paul Gerhardt 
u. a. um die Geſchichte des Kirchenlieds und Kirchengeſangs weſentliche Verdienſte 
erworben Hat. Cr war am 21. Iuli 1799 zu Droffen in der Neumark geboren 
und wirkte al (angjähriger Prediger an der St. Jalobitirche in Berlin, ſowie als 
Obertonfiftorialrat des Vrandenburgiſchen Provinziaffonfiftoriums dafelöft. Nachdem 
er am 30. Juli 1875 den 5Ojüprigen Gedächtnistag feiner Ordination gefeiert und 
Äh dann in den Ruheſtand Hatte verjegen laffen, ſiarb er zu Kaſſel, wohin er ſich 
zurücgezogen, am 26. Juli 1876. — Seine hymnologiſchen Schriften find: 








3) Er ſtaud in feinem verwandtſchaftlichen Verhältnis zur Familie Joh. Seh. Bache, nach 
Ledebur (Tontünftler-Ler. Berlins) dagegen zu Fr. W. Marpurg. Bol. Alg. muſit. Zeitung. 
1889. &. 133. 

Rämmerte, Gncptt, d. ewang. Kirhenmuft. 1. 8 


114 Kafpar Bachoſen. 


1. Zur Geihihte der Berliner G. BB. Ein Hymmologücer Beitrag. 
Bert, 1856, -— 2. Die O,BB, Berlins, ein Spiegel des Kirälicen Lebens 
der Stadt. Ein Vortrag. Berl, 1857. — 3. Mag. Michael Sciemer, nad 
einem Peben und Dichten. NER einem Anfang Über pleidpetige Berliner 
geiftlige Sänger. Berl. 1859. — 4. Paulus Gerhardt. Ein Vortrag. Berl. 
1863. Gerhardts Geiftlihe Lieder. Hiterifh-teitiihe Ausgabe. 
Verl. 1866. — 6. Das Ofterlied „Jefus meine Zuvercht." Berl. 1874. 














Bachofen, Kafpar, Kantor und Geſanglehrer in Zürich, ein Mann, der durch 
die von ihm erfundenen Melodien auf den Kirchengeſang der deutſchen Schweiz 
von bedeutenden Einfluß wurde. Cr war 1697) als der Sohn eines Schul— 
meifters in Zürich geboren, ftudierte Theologie und wurde 1719 in die Synode 
feines Heimatfantons aufgenommen. Nachdem er am verfciedenen Orten als 
Geiſtlicher thätig geweſen war, berief man ihn als Kantor an die oberen Klaſſen der 
Lateinſchule in Züri, als welcher er 1755 flarb. — Unter feinen zahlreichen Wuſit 
werfen?) ift für ung fein „Muſilaliſches Hallelujah, oder ſchöne und geyſtreiche Ge 
fünge, mit neuen und aumutigen Melodeyen begleitet” das wichtigſie. Es erſchien 
erſtmals um 1728; in dritter Auflage mit 307 dreiftimmigen Liedern, 158 ein— 
ftünmigen Arien und 70 „Fugen“ (d. h. offenen Kanons für 3 Stim.), 1739; 
1743 erſchien die 4., 1750 die 5. Auflage, die dann unverändert blieb, 1776 
als neunte und ſelbſt 1803 nochmals gedrudt ward.?) Das Buch war in der 
ganzen Oftfcoweiz allgemein Beliebt und verbreitet und bildete Bis im die fünfziger 
Yahre unſres Jahrhunderts herein das allgemeine Kirgen- und Hausgefangbud. 
Dasfelbe enthält nur veligiöfe Lieder und „wirkte hauptſächlich durch die unlengbare 

9) Auf dem der Ausgabe des „Nuftaliifen Hallelja" von 1809 beigehebenen Porträt 
88 ſieht „Anfpar Badofen. Gebohren 1697. Geftorben 1755. V. D. M. und Kantor der 
Karofinifgen Schule in Zürich." Darnad) it die Angabe feines Geburtsjahres mit 1692, wie 
fie ſih überall findet, fowie des Pornamens „Joh. Yapt.“ bei Spadrowäly, &6-®. für das 

©.-8. der Kantone Glarus, Graubünden, St. Gallen und Thurgau. Frauenfeld 1873. S 
KIT. XXL arte, 
*) Seine weiteren Mufitwerte find (vgl. 3. 8. das Verzeichnis bei G. Beder, La Musique 
en Suisse. Genf 1874. &. 114-116): „Mufitelifdes Palmbuh“. — Brodes’ „Drdifcer 
Vergnügen in Gott“. Zurich 1740. — Paffionsmufit zu Brodes Digtung. Dat. 1759. — 
.Muſitaliſc wochentliche Ausgaben“. 52 Nrn. in 3 Bdn. Daf. 1748. — Mufitaliſche Ex- 
gesungen, beflehend in angenegmen rien, meiftens zu wei Stimmen, famt einem Generatbag.” 
Def, 1755. -— Eine Anzahl feiner vollstümlicften Arien in 3- u. lim. Sape nahm neuer 
dings noch 3. ©. Bühtold in feinen „Muftalifden Hausfhag". 4 Hefte. Shafthanfen 1855 
Bis 1857 auf. 

H Diefe Ausgabe hat den Titel: „Mufitatiiges Yallelujo, oder ſchöne und geiftreidhe Ge- 
fänge, mit nenen ud anmntigen Melodeyen Gepfeitet, und zur Aufmunterung zum Lob Gottet, 
in Drud übergeben von Sol. Kavar Badiofen, V. D. M. et Cant. der Kirchen und Schulen. 
Zurich, bey David Bürtli.“ — Gr. 8%. 2 Blätter Widmung; 1 Bf. Vorrede vom Werleger, 
unterzeichnet „im März 1803; 980 Sl; 7 &. doppeltes Negifer. Sie enthält 200 geiftlice 
gieder für 1 Stimme nebft Baß und 370 geifl. Lieder für 3 Singfimmen. 














Aichael Bapzien. Barem. 15 


Anmut und ächte Volkotümlichteit feiner Weifen, die fih als kerngeſunde, ſchlichte 
Bollstieder geben, mitunter nicht ohme mande Spielerei, darin der Zopf jener Tage 
hervorgudt, aber durchaus nicht ohne Ernſt und Würde.“!) Die folgende Melodie?) 
von B. ift nad) mehrfachen Umgeftaltungen zu den Liedern: „Auf, auf, ihr Reichs 
genofien" — „Sähwingt heilige Gedanfen” — und „Der Herr führt auf gen 
Himmel“ — im den allgemeinen Kirchengebrauch der deutſchen Schweiz und Württem- 
bergs übergegangen: 






























744 — - 
z 

(da fe führt auf gen Himmel mit fro-Gem Qu-bel + ton, 
Mus die »fer Melt Ge-tümemel em-yor zu eis nem Thron. 





















































Se A 




















Toro · nen, dem Herren Bebn » oth. 


Balg. Blasbalg, Orgelbalg, im Mechanismus der Orgel der Apparat, 
durch dem die zum Anblafen der Pfeifen und Zungen nötige Luft gefammelt oder 
gefhöpft, Tomprimiert (d. h. zu Wind im Sinne der orgeltehniicen Sprache be— 
zeitet) und durch die Windtanäle den Windladen zur Verteilung an die Pfeifen 
zugeführt wird. Wie wichtig diefer Apparat, wie notwendig es fei, daß — um mit 
Sch. Bad zu reden — eine Orgel „gute Lungen“ habe, wird fofort einleuchtend, 
wenn man bedenkt, daß „aus der Kernfpalte einer Orgelpfeife der Wind mit einer 
Geſchwindigleit von 96— 124 Parifer Fuß, alfo mit der Geſchwindigkeit eines hef⸗ 
tigen Sturmmoindes lrömt," und daß die derſchiedenen Pfeifen eines großen Orgel- 
werles von einem Gentiliter bis zu 70 Liter Wind in der Sekunde fonfumieren.) — 


%) Bol. Heine. Weber, in der Geſch. der Schweizet. Voloſchule. Zürid, 1881. L. ©. 207. 
Reujafesblatt der Zürgeritgen Mufitgefeligaft von Pfr. &. Stiertin. 1857. 

2) Sie findet fh im „Muftalifhen Halleluja*, Ausg. 1808, S. 136, 137 in der ur— 
geflalt zu dem Neujahrsgefang „Das alte Jahr vergangen if”, ©t. Galler &.8. 1197. Mr. 1. 
©. 18. 19. Basler ©-B. 1809 u. 1854 im Württemb. CB. 1790. ©. 6, Nr. IV md 
1844. Nr. 130. ©. 145 (im der Form, die durd) die Meinen Noten angezeigt if) und im 
Drei Kant. G-8. Pr. 19. Ch-B. dayu ©. 19 (in der Form, wie fie die großen Noten zeigen). 
Im Württemb. Ch-®. 1799 u. 1844 if fie Johann Schmidtin (vgl. den Art.) zugefdjrieben, 
ein Zertum, dem audh Silher, Geſch. des wang. Kirhengef. Tübingen 1562. S. 30 u. Döring, 
Storaltunde. 1865. S. 174 gefolgt find. Bpl. Feift, Württ, CB. 1876. ©. 2b. . 

3, Bol. Zamminer, Die Mufil und die mufit, Inftrumente in ihrer Beziehung zu den 
Gefegen der Aluftil. Gießen 1855. ©. 244. Ply, La Facture moderne. 18%0. ©. 221. 
An. 2. 












gr 


116 vbalg. 

Die Anforderungen, die an den durch die Bälge zu beſchaffenden Luftſtrom geftellt 
werden müſſen, wenn derfelbe feine Aufgabe in gewünſchter Weife erfüllen fol, laſſen 
fi im allgemeinen dahin formulieren: der Orgelwind muß vor allem in einer fütr 
ale vorfommenden Verbrauchefälle vöklig ausreichenden Quantität, im einer 
den verjcjiedenen Intonationsbedärfniffen aller Orgelregifter durchaus entfpreden 
den Qualität (Dichte, Gefhwindigteit), und in abfolut ruhiger Kontinui 
tät firömen.) Das Streben, diefen Anforderungen in immer dvollfommnerer Weite 
zu genügen, hat die ganze gefchichtliche Entwiclung der Balgeinrichtungen, von den 
primitiven Anfängen an bis zu den ausgebildetften Gebläfen der Gegenwart hervor: 
gerufen. Keiner diefer Anforderungen vermochte natürlich der Heine Handblashalg, 
wie er bei den älteften Embryonen der Orgel Verwendung fand, aud nur entfernt 
zu genfigen, und ebenfo wenig, der etwas größere Schmiedebalg, zu dem man fpäter 
überging. Erſt als man anfing, größeren Werfen eine Anzahl folher Schmiede 
bälge (20-24) beizugeben, mag ein an Quantität genügenderer und an Qualität 
tegelmäßigerer Wind erhältlich geworden fein,*) weil die Unregelmäßigteit des vom 
eingelnen Balg gelieferten Windes eben durch die gleichzeitige Thätigfeit einer größeren 
Anzahl von Bälgen mehr oder weniger ausgeglichen wurde. — Die Zeit der Er- 
findung eine® eigentlichen Orgelbalgs, des Spanbalgs, mit nur einer Falte, die 
durch Faltenbretter (Späne, Ziwidel, Nippen, Seitenbretter) gebildet wird, ift bis 
jegt nicht endgiftig feftgeftelt. Während man in Deutſchland diefe Erfindung meift 
auf das Ende des 16. Jahrhunderts verlegt und fie dem Hans Lobjinger in Nürn: 


') Die Valgeinrichtung, die 3. B. Ladegaſt der Domorgel zu Schwerin gab, liefert bei 
einen größtmöglicgen Windverbrand) von 24—30 Aubitfuß per Schunde, in dieſer Zeit 32—35 
Kubitfuß; vgl. Mafınann, Orgeldauten in Medienburg I. 1975. &. 42. Über die Ouantität 
des Windes, wie fie frangöffche Orgelbauer der Gegemvart ihren Werfen geben vgl, Kegnier, 
WOrgue. Etude XVII. ©. 18. — In Hinfiät der Qualität des Windes begnügten fih 
Ültere Orgelbauer bei größeren Werten mit 259, vgl. Heinrich Drgeldaurevifor. 1877. S. 52. 
53; erft dricdrich Schutze intonierte auf Höhere Windgrade und zwar: ed. 40, HE. 35%, 
DW. 309, U. 25%, und feiner Weile folgen die deuten Orgelbauer im allgemeinen feitdem. 
So verwendet j. 8. Sauer, Orgel der Thomasliche zu Berlin 1870 — mit 51 IL. Stn. 6 
Välge mit 36° Wind für 3 Man, und 4 Bülge mit 40° Wind für Bed, M Bol. (das fchr 
entfernt fieg) und Pneumatit; Yadegaf, Schwerin, Hat für Bed. 37°, für die Man. 300 Mint, 
Mertlin in der Orgel zu Saint-Eutadie in Paris verwendet vier verffiedene Preffionen ven 
9—15° (franz. Mah), vol. Ply a. a. D. ©. 224. 

%) Brötorius, Synt. mus. IT. 1020. Cap. IX. beridte, daß die Orgel im Dom ju 
Hafberflabt 20, die im Dom zu Magdeburg 24 folder Sämiebebäfge gehabt Habe; er zeigt uns 
zugleid; in der Abbildung der Valglammer der Ct. Hgitienliche zu Braunfgtweig — dal. 
„Seiographia Col. XRVI“ — (biefe A6bildg. if} neuerdings mehrfad, reproduziert worden, fe 
bei Grove, Dittion. II. &. 586 u. Wangemann, Geſch. der Orgel. 1881. Anhg. Taf. 12. Fir. 
16), tie diefe Bälge von 10--12 Galcanten in Bervegung gefept wurden. Bgl. anch Matthefer 
im Göttingen’/igen Ephoro. 1727. S. 51 umd Heinrich, Orgelban-Hevifer. 1817. ©. 11, me 
von der 1496 in der GStaditirdie zu Goran berichtet wird: „Sie Hatte 12 Iederne Shmick- 
bätge, weiche 11: Gillen aufgingen.* 








Balg. 17 


berg 1570 (oder gar erft dem Meiſter Henning in Hildesheim im 17. Jahrh.) 
zuigreibt, haben ſich in England Spuren des Spanbalgs ſchon zu Anfang des 
15. Iahrhumderts gezeigt‘) Diefer Balg in Keil: oder Diagomal-Form (Keilbatg, 
Diagonalbalg) blieb der Nornialorgelbalg bis in die Gegenwart herein. Als aber durd) 
die Erfindung der Windivage 1677 eine genauere Beobachtung der Winddichtigkeit 
möglich geworden war, mußte man bald zu der Einſicht gelangen, daß auch er nicht 
imftande war, Wind von abſolut gleichmaßiger Dichte zu liefern.‘) Er wurde näm- 
ih allgemein fo gelegt, daß feine Unterplatte Horizontal und feft blieb, während ſich 
die Oberplatte mit ihren Gewichten beim Aufziehen immer mehr aus der horizon- 
taten Lage entfernen und in eine zunehmend fhiefe oder Diagonale Übergefen mußte. 
Damit waren aber zwei Urſachen für eine bei jeder Bewegung der Oberplatte auf ⸗ 
und” abwärts ſich kontinuierlich und regelmäßig wiederholende Veränderung der 
Binddihte gegeben: fürs erjte verändert die Bewegung der Oberplatte den 
Schwerpunkt des feſtliegenden Gewichtes und es nimmt daher deffen Drud um fo 
mehr ab, je mehr ſich die Oberplatte hebt, und umgefehet; fürs zweite vergrößert 
ſich bei derſelben Bewegung des Balges infolge der fih ändernden Stellung der 
Feltenbretter der Luftraum desjelben im felben Grade, und umgefehrt. Beide Ur- 
jachen aber bedingen notwendig eine Abnahme der Dichtigkeit des Windes je mehr 
Äh der Balg öffnet und eine Zunahme derfelben, je mehr ex ſich ſchließt. Diefen 
Übelftand fucte man ſchen feiher dadurch zu Heben, daß man dem Balg in der 
rebe= oder Kompenfationsfeder ein ausgleihendes Gegengewicht gab; volls 
ftändig gehoben (wenigftens Hinfihtlih der Veränderung des Gewichtdruckes) wurde 
ex jedod) erft mewerdings dadurch, daß man die Unterpfatte diagonal jo feſtlegte, 
deß die Oberplatte bei vollftändig aufgegogenem Balg genau Horizontal fteht, und 
die Gewichte ihren größten Drud am Anfang des Niedergehens üben, wenn die Falten: 
bretter am menigften deüiden, und umgekehrt. — Damit war aus dem Spanbalg 
in Keilform ziemlich alles gemacht, was aus ihm zu machen war; allein die raſch 
vorwärts drängende Entwidlung des modernen Drgelbaus fteigerte namentlich das 
Windbedürfnis der Orgel fo fehr, daß es durd den feitherigen Balg nicht mehr 
befriedigt werden fonnte, wenn er nicht duch Größe und Anzahl Näumlichteiten nötig 
machen folte, die mur in Ausnahmefällen zur Verfügung fichen. So wies das pral- 
tiſche Bedürfnis auf einen Balg Kin, der bei verfültnismäßig geringer Naumerforder- 





3) In den Refmungen der Kathedrale zu Hort hat man nämlich einen Ausgabepoften 
afunden, nad; welgem im 9. 1419 dem Zimmermann John Eouer „For constructing the 
ribs of the bellows 12 d.“ ausbejahft wurden; diefe „ribs“ begeihinen aber nadı der An- 
ist engliſcher Forſcher nichts anderes, als die Seitenbretter des Spanbalge. Voi. Grow, 
Dittion. 1. S. 215. Hopkins and Rimbault, The Organ. 1877. 1. ©. 48, I. ©. 9. Nr. 21. 

2) Die genaueften Unterfudjungen in Bezug auf Diefe Etſcheinung Gaben aufer Töpfer bis 
iegt die franzöfifdien Drgelfcriftieiler gemadt; dgl. 3 ®. Simon, Manuel de l’Organiste 
expert. &. 22. $Yamel, Manuel du Facteur d’Orgues. III. chap. VI. $ 222. ©. 210. 
vhilihert L’Orgue d’Amsterdam. S. 29 u. a. 


118 Balg. 


nis cine möglichſt große Windmaſſe beſchaffe; und diefer Valg wurde aud in zwei 
Formen, dem Parallelbalg und dem Kaſtenbalg gefunden. Der Barallelbalg, 
aud Horizontal- und Laternenbalg genannt, deſſen Oberplatte beim Aufgehen 
die horizontale Sage behält und mit der feftliegenden Unterplatte parallel bleibt, faßt 
eine faft doppelt fo große Maſſe Wind, als ein Keilbalg von gleicher Größe der 
Platten, nimmt weniger Raum ein und ift Überdies leichter zu reparieren, als dieſer. 
Er gilt im Deutfchland meift als eine frangöfifche Erfindung, die hier nicht jelten 
dent mod lebenden bedeutenden Orgelbauer Cavailld:Goll in Paris zugeihrieben wird; 
auch die franzöſiſchen Orgelfhriftfteller nehmen feine Erfindung für ie and in 
Anfprud, datieren fie aber auf des Dom Bédos Zeit zurüd. Doch Hat aud ein 
engliſcher Orgelbauer Cunmuing ſchon 1762 eine Brofglire veröffentlicht, in der er 
einen von ihm erfundenen Horigontalbalg beſchreibt, den er dann 1787 in einer von 
ihm gebanten Orgel verwendete, wie denn um Die gleide Zeit aud der engliſche 
Drgelbauer Samuel Green diefen Balg in mehreren Kirchenorgeln fegte.') So muß 
auch hier unentſchieden bleiben, wer der Erfinder des Parallelbalgs und jein Weiter- 
bildner zum Doppels oder Magazinbalg it; dagegen find als die Erfinder des 
Kaftenbalgs mit Sicherheit die Orgelbauer Marcuſſen und Sohn in Apenrade 
bekannt. Sie erfanden denfelben 1819 und wendeten ihm im der Orgel zu Lieſeby 
am der Schlei zuerft an. Der Kaſtenbalg, der ebenfalls zunächſt den Vorzug hat, 
ein bedeutendes Windvolumen zu faffen, Üiefert dieſen Wind zugleich, ohne befondere 
Vorrichtungen in gewünfchter gleihwäßiger Dichtigleit, ift aber ſchwerer dauerhaft 
herzuftellen, weil bei längerem Gebraud) der innere Kaſten nad und nach weniger 
luftdicht an die Wände des äußeren anſchließt. Auch er ift ſpäter zum Rifton- und 
Stöpfel- oder Stempelbalg, zum Cylinderbalg und der doppelt wirtenden vuftpumpe 





Nach Hopkins and Rimbault, a. a. ©. IL. S. 14. Pr. 41 fat Cumming feinen 
Valg in einer Orgel für den Earl of Bute zuerft gefeht; Saunuel Green verwendete ihn 1787 
in der Orgel in der Thomaslirde zu Ardwid und 1788 in der Orgel der Peterslirche zu 
Stodport, während er ſedoch gleiheitig in andern Werten auch noch Diagonalbälge hat. — Bei 
in, La Facture moderne. &. 35. 36 wird angeflhet, daß Dom Vẽdos in feinem „Diction- 
naire abröge des termes de la facture“ (1770) Abbildungen von Paternengebläfen mit 
Schöpfern gebe, von denen nad) Regnier, L’Orgue, Etude XLY. „la plupart des pröten- 
dues soufilories modernes, brevätdes et vantees en prospeetus, ne sont gutre que la 
copie colossale.“ —- Ob dann der „pauvre horloger anglais, nommö Cummins, 
espöce de genie möcanicien, qui, pour gagne sa vie, ajoutait A son mölier principal 
celni de facteur Corgues,“ der nadı Piy, a. a. D. ©. 37 im Jahr 1814 den Doppel 
Sorigentalbalg mit einer ein: und einer ausnärtsgehenden Falie erfunden Gaben fol, wirtlid, 
ein neuer Erfinder, oder aber nur durch eine Korrumpierung des Nanıens und einen drone- 
lodiſchen Irrtum aus dem fon genannten Cumming — den Hoplins a. a. O. ebenfalls ur- 
fprüngfich „elockmaker by trade® (alfo Turmußrenmadier) fein füßt — entftanden if, vermag 
iS nit zu enifheiden. Den verbefferten Horigontalbafg, als Doppelbatg führte John Mühen 
1827 unter Schafian Crards Vermittlung in frantreid} ein, vgl. Simon, Manuel de l’orga- 
niste, IT. ©. 15. 





Sapzien. Barem. Sariton. 119 


weiter ausgebildet worden und wird hauptfühlih von Walder und feinen Schülern 
n Saddeutſchland als eigentliher Orgelbalg verwendet, während ihn die norddentichen 
Trgelbauer häufiger nur als Schöpfer für den Parallelbalg benügen. — Die Be- 
ireibung der einzelnen Balgarten vgl. man in den Art. „Spanbalg”, „Parallel: 
bag“, „Doppelbalg” und „Kaftenbalg", ihre Verwendung, einzeln oder in Ver— 
bindung mit einander, in dem Yet. „Gebläje“. 








Bapzien oder Bnpziehn, Michael, war nad dem Negifter der Liederdichter 
zum Thorner G. B. von 1716 und nad Kölner, Wolaviographia, Jauer 1725. 
S. 436 im Jahr 1628 geboren und lebte zuerft als Kantor zu Hayn im Fürſten— 
zum Pieguig, dann zu Königsberg, und zufegt von 1669 an am Gymmafium und 
der Marientirche zu Thorn, wo er am 24. Juni 1693 geftorben it. Er ift der 
Dichter der Lieder „Jeſu, der du felbften wohl“ und „Kommt her und ſchaut, lommt, 
iaßt uns doch vom Herzen.“ Zu beiden ſoll er nad Döring, Choraltunde 1865. 
5.99 aud die Melodien erfunden haben, die ſich mit dem erfteren im Bres- 
lauer G. B. 1668, mit dent zweiten in Crügers Prax. piet. mel. 1656, in M. 
Janus Paffionae. Görlig 1663 und im Thorner ©.-B. 1700 finden. 





Barem, eine gededte Labialſtimme in alten Orgeln, „gar fill und gelinde 
intonieret“. Sie wurde, im 8 Fußton gebaut, au Stillgedadt, Aqualgedackt 
genannt und mit bejonderer Einrichtung als Mufiziergedadt (vgl. den Art.) 
gebraudt. Mit 16 Fußton fteht fie als Barem z. B. in der 1707 von Sterging 
gebauten Drgel der Hoftirhe zu Eiſenach mit 58 fl. Stimmen und wird von dem 
daneben ftehenden Sfüßigen Stillgedadt unterjdieden, während in der Dispofition 
äiner 1595 von Heine. Oovag zu Roftod erbauten Orgel, gejagt ift: „Barem ift 
Hgual-Gedatt,” und Schillings Univ. Ver. der Tontunft III. S. 155 behauptet, 
daß auch Gedadt 4° „wenn es zur Begleitung der Kirhenmufiten beftinmmt war" 
Barem genannt wurde, 


Bariton, Baritonſchlüſſel. Der Bariton!) ift eine Art der menichlichen 
Singftimme, die nad) Hangfarbe und Tonumfang eine Dittellage zwiſchen Tenor 
and Baß einnimmt, fo daß fie die höheren Tüne des Baſſes und die tieferen des 
Tenors in einem Ambitus von g, as, a — fis, g umfaßt. Je nachdem fid der 
Bariton mehr dem Tenor oder dem Vaß nähert, unterjheidet man noch Tenor- 

1) Franzöfihe Namen für Bariton waren früher mod Concordant und Basse-taille, 
Ra Fetis, La musique mise & la portöe de tout Je monde. 1347. &. 364 ifi Conkor- 
dant nur noch wenig gebraudt und fagt man jept allgemein Bariton. Zu Basse-taille 
temertt er a. a. D. &. 349 e8 fei „La voix basse moyenne, moins 
ontre, et moins elev& que le bariton. Basse-taille est particulii 
la voix de basse des choeurs. La voix de la basse des solos sappelle basse- 
chantante.* 











ei 


























120 Ch. 3p. Barker, 


Bariton (hohen Bariton) und Bap-Bariton (tiefen Bariton). — In denjenigen 
Partituren der Mufihwerte des 16. und 17. Jahrhunderts, die in den transponierten 
Sqluſſeln, Chiavette oder Chiavi transportati, notiert find, findet ſich die 
Bartie des Baffes im dem jegt wenig mehr gebräudligen Baritonfählüfiel 
notiert, der unfern Baffchläfiel auf der dritten, fintt auf der vierten dinie des 
Notenfoftems darftelt, aljo f als auf der dritten Linie ftehend bezeichnet. In der 
modernen Notenfheift wird die Varitonftinme wur noch im Vaßſchiaffel notiert. 


Barker, Charles Sparfmann, ein trefflicher Orgelbauer von engliſcher Herkunft, 
der aber faft die ganze Zeit feines Lebens in Paris gearbeitet, und fih durch meh- 
tere Erfindungen, von denen die des pueumatiſchen Hebels die widtigfte ift, eine 
bleibende Stelle in der Geſchichte der Orgelbaukunſt gefihert hat. Am 10. Oktober 
1806 zu Bath in Somerfetfhire geboren, widmete er ſich urfprünglid) dem Studium 
der Medizin, ging jedod bald einer beſonderen Neigung folgend zum Drgelbau 
über, erlernte denfelben 1825—1828 in einer Wertſtätte zu London, und gründete‘ 
bald darauf ein eigenes Gefhäft zu Bath. Als der Orgelbauer William Hill 1832 
die große Orgel der Kathedrale zu Hork aufgeftellt Hatte, die das allgemeinite Inter: 
effe erregte, beſichtigte auch B. das Werk, und ihm, dem tiefdenfenden Orgelbauer, 
entging die auffallend ſchwere Spielart desfelben nicht. Er fann auf Abhilfe und 
erfand zunähft Doppelventile (Soupapes à Etrier), die durch Ausgleihung 
und daher Aufpebung des Fuftdrudes zu beiden Seiten der Spielventile bereits eine 
weſentliche Erleichterung der Spielart bewirlten. Doch erkannte er felbft zuerſt das 
Ungenügende feiner Erfindung und verfolgte die Sache weiter. So kam er auf 
den pneumatifihen Hebel (vgl. den Art.), feine zweite und wertvolfte Erfin- 
dung. Da jedoch die englifcen Orgelbauer nichts von derfelben wiffen wollten, er 
ſelbſt aber die zu deren Ausbeutung nötigen Geldmittel nit beſaß, wandte er ſich 
1840 nad; Paris, wo Cavaild-Col, deren große Bedeutung fofort erfennend, fie 
behufs Amvendung in der großen Drgel zu Saint-Denis erwarb. B. blieb in 
Paris und trat als Wertführer in das Orgelbaugeſchäft Daublaine-Gallinet ein, für 
das er 1842—1844 die Orgel in Saint-Euftahe (69 fl. Stim. 4 Man. 2 Ped.) 
baute. Ein unglüdliher Zufall wollte, daß er dies prächtige Wert am 16. Dezember 
1844, laum ſechs Monate nach feiner Eimveihung ſelbſt anzlndete;!) es brannte 

®) Um die Gängen gebliebene Feder eines Spiefventils in Ordnung zu bringen, tar 8. 
am diefem unglüdticen Tage mit einer bremmenden Kerze in die Orgel gegangen. Raum Hatte 
ex die Feder berührt, ala fie auffhneilte und das dich, ohne 8 zu fölfen um- und auf 
die Abficatten warf, die fofort wie Zündhölzgen aufflammten. Wergebens jucte der erfehrodtene 
Mann, den die litife Situation Tonfternierte, zu Löfdjen: das euer geiff rafdı um fidh, — 
mußte fliehen, Müirzte auf die Strafe, warf fi in einen Finfer und fuße nad; feinem %ı 
wo er mit den Rufer „Die Drgel von Seint-Euftage brennt!” zufammenfant. Alle 
ta zu pätz die ganze praditvolfe Orgel bronnte nieder und der Schaden an Orgel und Kirche 
betrug micht weniger als eine Milion Fronten. Vol. Ply, La Facture moderne. 1880. 
©. 130—138 u, Notice deseriptive et historique sur Pegliso Saint-Eustache. I. S. 20- 








Kürpfeife. Bürte. 121 


nieder und B. baute als Gefhäftsführer Ducroquets, der 1846 die Firma Daublaine- 
Salinet am fih gebracht hatte, 180-1854 ein neues Wert für diefe Kirche (68 
. Stim. auf 4 Man. u. Ped.). As das Haus Ducroquet 1855 an die Oefell- 
ihaft Merktin-Schüge überging, blieb B. als Leiter im Parifer Haufe; 1858 aber 
rat er aus und grndete mit einem deutfdhen Orhelbauer Verſchneider ein eigenes 
Seihäft, das jedoch, da er, befländig in erfindeeifhen Grubeleien befangen, zur Leir 
zung deefelben wenig geſchict war, nicht profperierte. Cr erfand mod) eine eleteifche 
Orgelmeshanit, die im wefentlihen auf einer Verbindung des pueumatiſchen Hebeis 
mit dem Cleltromagneten berußt und 1868 hei Gelegenheit der Parifer Ausftellung 
zwar Auffehen erregte, aber feinen Anklang fand. Alteromide und enttäufcht Tehrte 
8. um 1870 in fein Vaterland zurüd und fiarb am 26. November 1879 zu 
Maidftone. 





Bärpfeife, Bärpipe, nad) Adlung, Mus. mech. org. aud Baapfeife 
und Baarpfeife genannt, hieß eine jept gänzlich verſchwundene Zungenfimme der 
Orgel, die im 16- und 8. Fußton vorfam. Sie hatte kurze, mad oben ſtart fih 
erweiternde Pfeifenkörper von ſehr weiter Menfur und — je nachdem diefelben von 
Zinn (auch Blech) oder Holz gefertigt waren — von runder oder vievediger Form. 
Da fie das Brummen des Bären nochahmen folte, Hatte fie einen breiten ſchnarren- 
den Ton; „wie fie (die Värpfeifen) denn aud gar in fi Mingen und mit einer 
brummenden Intonation refpondieren,“ meint Prätorius, der Synt. mus. II. Kap. 8. 
S. 147 dieſes Regifter genau beſchreibt und auf Tab. 33. Fig. 19 —23 fünf ver: 
idiedene Arten desjelben abbildet. Sie wurden nämlich faft von jedem Orgelbauer 
anders tonſtruiert, mit mehr oder weniger phantaftifh geformten Schallförpern, und 
verſchwanden aus den Orgeln wieder, mod) ehe eine einheitliche Kouftruftion derfelben 
jeſtgeſtellt war.!) 





Baͤrte, Pfeifenbärte, Flügel (Alae), Labiumflügel, nennen die Orgelbauer Heine, 
langlich vieredige Platten, die an den dabien verjciedener Orgelregifter angebracht 
find und den Ziel Haben, den Wind, der fih bei feinem Ausftrömen aus der 
Kernfpalte zu fehe zerftreuen und nicht in entfpredjender Menge duch den mehr oder 
minder Hohen Auffgnitt gewiſſer Stimmen in das Korpus der Pfeifen dringen würde, 
zufommenzuhaften und zu leiten. Dadurch haben Die Värte in dreieriei Hinfiht 
Enflug auf den Ton einer Stimme, an der fie angebracht find. Sie Geftimen 
ud, den Erfahrungen der Orgelbauer teihweife: 1. Die Mlangfarbe des Tones, durch 
Vermehrung der Intenfivität desfelben; 2. feine Höhe oder Tiefe, — werden fie 
zufommengedrückt, oder eimwärts nad) der Mundöffnung gebogen, fo wird der Ton 

) Bol. Dr. M. Reiter bei Wangemann, Gefd. der Orgel. 1881. ©. 546-547. In 
diefem Werte find auf S. 19 der Abbildungen, Fig. 19-23 aud) die Abbildungen der Bär: 
Peifen aus Prätorius wiederholt. 


122 30h. Heinr. Hartm. Bäh. 


Höher, werden fie auswärts gebogen, tiefer; 3. die leichtere oder ſchwerere An 
ſprache einer Stimme, eben durch das Zufammenhalten des Windftromes, wie dies 
3. 3. bei fein intonierten Gambenftimmen mit hohem Anfihmitt der Fall it. — 
Je nad) dem Orte, wo die Bärte an einer Pfeife angebracht find, unterſcheidet man 
verſchiedene Arten derjelben, wie Borderbärte, Seitenbärte, Unterleiften- 
bärte, bei denen der Name die Stellung andeutet, oder Schueidebärte, die quer 
über den Aufſchnitt gehen, Kaftenbärte, die am Ober- und Unterlabium ſich 
gegenüberftehen, u. dgl. 


Bätz. Johann Heinrih Hartmann, der, Stammvater einer Familie tüchtiger 
Orgelbauer und Gründer eines Orgelbaugeſchäfts zu Utreht, das, mad) Anzahl, 
Größe und Trefflichteit der aus demfelben Hervorgegangenen Orgelwerke zu urteilen, 
eine hervorragende Stelle in der Geſchichte der Orgelbautunſt einnimmt. — Er war 
am 1. Januar 1709 zu Frankenroda in Thüringen als der Sohn eines Lehrers 
geboren und arbeitete 1720-1733 in der Wertftätte des Orgelbauers Thielemann 
zu Gotha. Dann ging er auf die Wanderſchaft und kam nad Holland, wo er Ki 
Chriſtian Muller (vgl. den Art.) Arbeit fand, dem er die berühmte große Drgel 
zu Harlem bauen Half. Nach Vollendung derjelben gründete er 1733 cin eigenes 
Geſchäft zu Utreht, aus dem eine Anzahl treffliger Orgelwerke für holländiſche 
Kirchen hervorgingen. Bon 1769 an tränfelnd, wollte B. doc fein lebtes Bet 
zu Zierifzee in Zeeland mod vollenden und ſelbſt ftinmen; aber am 5. Dezember 
mußte er, ein Sterbender, von feiner ‚Orgel weggetragen werden, Man brachte ihn 
noch nach Utrecht, wo cr am 13. Dezember 1770 im Schoß feiner Familie ftarb. — 
Er gehört mit Silbermann, Hildebrand, Gabler, Müller, Cliequot u. a. unftreitig 
zu den beften Meiftern des Orgelbaus im vorigen Jahrhundert. — Bon feinen c. 25 
Werfen find als die bedeutendten zu nennen: 

1. Orgel der reform. Kirche zu Gorkun. 1755. 32 HM. Sin. 3 Man. 

Bed. — 2, Orgel der futh. Kirche im Haag. 59 U. Stu. 3 Man. Ped. — 

3. Orgel der reform. Kirche zu Woerden, 27 M. Sin. 2 Man. Ped. — 

4 Orgel der reform. Kirche zu Zierifzee. 1770. 46 fl. Stn. 3 Dan. u. Ro. 

Seine beiden Söhne: Gideon Theodor Bäg, geb. 6. Juni 1751 zu 
Utrecht, geft. dafelbft am 1. Januar 1820, und Chriſt oph Bäg, geft. zwiſcher 
1795 und 1800, fetten das väterliche Geſchäft fort, Hatten aber der Ungunft der 
Zeiten wegen feine Gelegenheit, größere Werfe zu bauen; erft die Söhne Chriftophi 
brachten dasjelbe wieder mehr in Schwung. Dieſe Söhne waren: Jonathan Bätz 
geb. 5. Fehr. 1787, geft. 18. Suli 1849 an der Cholera, und Johann Bäg 
geb. 11. Därz 1790, geſt. 19. Nov. 1836. Namentlich der erftere war es, de 
anfangs nod in Gemeinſchaft mit feinem Oheim Gideon Theodor Bätz, fpäter unte 
der tüchtigen Mitarbeiterichaft C. G. Wittes (vgl. den Art.), der 1826 eingetrete 
war, das Gejhäft mehr und mehr vergrößerte und feinen Ruf mehrte. 1834 tra 
Witte als Teilhaber ein und die Firma lautete von da an „Wäg und Cie.“ ; nat 


Sarmherziges Herze der ewigen Liebe. Baß. 1233 


denathan Bäg’ Tode wurde fie von Witte allein fortgeführt. Aus der Periode 

1920-1848, während welcher Jonathan B. das Geſhäft leitete, find folgende 
größere Orgeliverfe desjelben namhaft zu maden: 

1. Anfterdam, luth. Kirche 1830. — 2. Utrecht, Dom 1831. — 
Utreht, Tath. Kirche 1834. — Paramaribo, Luth. NKirde 1835. — 
5. Anflerdam, Tath. Kirhe 1836. — 6. Delft, reform. Kirhe 1840. — 
T. Batavia, Wilpemstiche 1841. — Anfterdam, Amfielliche 1843. — 


* 


Barmherziges Herze der ewigen Liebe, Kantate zum 4. Sonntag nach 
Trinitatis (14. Juli 17 10 zu Weimar) von Seh. Bach, mit dem Schlußchorai 
„2 ruf zu dir, Herr Jeſu Chriſt,“ den der Komponift „au in die erfte Nummer 
nführt — wo ihn zu zwei über einem Achtel Continuo duettierenden Stimmen 
die Trompete oder Oboe zu blafen fat — und damit wie in einem weiten Bogen 
über Die ganze Kantate ſpannt.“ Voal. Spitta, Bach I. ©. 538. Ausgabe von 
3. P. Schmidt, Kirhengefünge x. von Ioh. Seb. Bad. Berlin, Trautwein. Heft. II. 


Baß; Baßſtimme; Bakjchlüffel. Das Wort Baß, von lateiniſchen basis, 
Grundlage, Fundament, hergeleitet, bezeichnet in der Muſit: 8) die untere, tieffte 
der fogenannten äußeren Stimmen (vgl. den Art.), die Grundſtimme jedes Tonftüde, 
mag dasfelbe für Gefang oder für Iuſtrumente, oder für beides zufanmen geſebt 
fein; b) diejenige Singftinme und die Inftrumente, welche ihrer Natur und tech- 
riſchen Einrichtung nah geeignet find, diefe tieffte Stimme auszuführen, obwohl 
dies, wenn Die eigentliche Vahftimme zeitweilig paufiert, auch andern Stimmen übers 
ragen werden Tan. — Der Baß ift als Träger der Melodie und Harmonie eines 
Tonftüchs die Hauptftimme desfelben, in welcher der gefamte tonlide Stoff (in den 
mittlingenden Obertönen) für die übrigen Stimmen enthalten ift. Daher find auch 
ale Kombinationen der Übrigen Stimmen vom Ba abhängig und es Hat derfelbe auf 
den Geſamicharatter eines Tonftücs den wefentlichten Einfluß.) Seiner Beftimmung, 


') Wie weſentlich der Ausdrud eines Tonflüds durch veränderte Führung des Baſſes mobi- 
Äsiert wird, mag die nadflehende neummal veränderte arm ng der Anfangsgeile der 
Shorafmelodie „DO dab ih taufend Zungen Hätte“, wie fie Silher, Harmonie: und Kompofi 
tionefefre 1851. ©. 123 zu anderem Ziwedt dis Veifpiel giebt, veranffanligen: 





1. 















































144 Baß. 


die Grundlage der Tonverbindungen zu bilden, eutſpricht Die für ihn charalteriſtiſche, 
ruhig abgemeffene, traftvolle Bervegung, die ihren natlrlihen Grund darin hat, daß 
tiefere Töne langſamer ſchwingen, weil fie zu ihrer Erzeugung eine größere Fürper- 
lie Maſſe (Luftfäule, Saite) in Bewegung zu fegen Haben, als Höhere. Seit mit 
der Entwiclung der Infteumentalmufit vom Anfang des 17. Jahrhunderts an die 
Ertenntnis immer mehr durchdrang, daß der harmoniſche Inhalt eines Tonftüds 
durch die Grundſtimme desfelben abfolut bedingt ſei, konnte aud der Gebrauch auf 
Tommen, Mufiftäce nur in ihrer Melodie und den derfelben Geigegebenen bezifferten 










































































































































































Baß. 15 


vaß, d. h. einen Baß über dem der Harmonifce Inhalt mittelft Ziffern angedeutet 
war, aufzuzeichnen. Eine ſolche Baßſtimme hieß Generalb aß (vgl. den Art.) und 
ihre Ausführung auf einem mehrftimmigen Inftrument Generalbagjpielen. Die 
Shoralbücher, die von 1680-1780 für den evangelifhen Kircengefang, allerdings 
ht mehr als eigentlihe Singbücher (Kantionale), fondern als Drgelipielbücer, er- 
itienen, find fämtlid) in diefer Weife notiert, und geben mur die Melodie und einen 
besifferten Baf. "Der durd ein ganzes Tonftüid fortlaufende Baß, der zwar nicht 
immer die Baßſtimme ausſchließlich, ſondern wo diefe Paufen hatte, die aledann 
tieffte Stimme der Stimmenverbindung darftellte, hieß Basso continuo, oder 
suh nur Continuo. — Das Verhältnis der Vaftimme zu den übrigen Stim- 
men ift im allen mehrftimmigen Tonfägen fo zu regeln, daß der Ba immer fo 
durchgreifend hervortritt, um als Grundlage und Träger des ganzen wirken zu 
tönnen. Dies wird aber nicht allein durch die richtige und genügende Belegung 
diefer Stimme erreicht, fondern noch vielmehr durch ihre Rünftlerifge Führung, in 
welcher Hinſicht die Maffifchen deutigen Meifter Bad) und Händel Unübertroffenes 
leiſtet haben. Bon ganz befonderer Wichtigkeit ift eine tuchtige Befegung mit Baß ⸗ 
immen auch für das Pedal der Orgel. Um den Choral der Gemeinde 
zu begleiten, ift der Orgel vor allem ein voller, ftarfer Baß nötig, und er ift es, 
der fie zum Inftrument ber Kirche im allgemeinen, und zum Inftrument der evan 
getifhen Kirche im beſondern, faft allein erhebt. Das haben die deutfchen Meifter 
des Orgelbaus von jeher anerlannt und daher in ihren Dispofitionen darauf ge: 
Halten, in's Pedal, defien Grundlage der 16 Fußton Gildet, immer ungefähr den 
vierten Teil aler Hangbaren Stimmen eines größeren Wertes zu fegen, und aud 
bei Fleineren Werfen bis zu einer gewiffen Grenze hin dieſes jo auszuſtatten, daß 
28 ohne Anwendung der Koppel zur felbftändigen Führung des Baffes geihidt 
ji.) Und daß fie daran vet thun, beweiſen thatſächlich viele Werte ihrer frane 
zoͤiſchen und englifden Kollegen, die das Pedal mehr oder weniger vernadläffigen 
und daher in denfelben aud) nur den Oefamtklang eines großen Harmoniums erreichen, 
weil eben „die höchſte Macht des Drgeltones bedingt ift durd des Baſſes Grunde 
gewalt.“>) Näheres über die Baßſtimmen der Orgel vgl. man in dem Art. „Pedal“. 


>) „Daß bei Sebaftion Bach mie aud) nur ein Aullang am gemeine Mufil vorkommt, 
Get Hanptfägtid, auf) in feinen Bäffen feinen Grund, die immer in wunderbaren mufiiffen 
Gängen fid) bervegen, niemals aber mus zwifgen Tonifa und Dominante hin . und berteip- 
peln.” Sal. Palmer, Evang. Hymnsl. 1865. ©. 351. Anm. 

2) Bol. Baumert, „Wihtige Kegeln für das Entwerfen guter Orgeldispofitinen 2.“ 
Enterye 1875. ©. 161. 

*) &l. Palmer, a. a. O. S. 317. Der Mangel eines durägreifenden Baffes ift darum 
auch der Grumd, warum das neuerdings fo beliebt gewordene Parmonium nie zum eigentlichen 
Kireninfirument werden Tann, “fondern immer nur al& Notbehelj auf den Kreis pietififcher 
Komventitel befränft bfeißen wird. Dgt. Amon, Württeinberg. Kirdenblatt 1864. Mr. 27. 
©. 211-210. 





























126 Baf, Baßſtimme. 


Ba, Bahzftimme als Geſangſtimme ift das tieffte der vier Hauptregiſter d 
menſchlichen Stimme, bei dem man drei Unterarten, den tiefen, den Hohen Baß ur 
den Bariton (ogf. den Art.) unterjceidet. Im Chorgefang wird vom Vaß ein An 
bitus von B F—d! e! ft, d. h. zwei Oftaven verlangt, während für den Sol 
gefang noch weitere Töne in der Höhe und Tiefe Hinzufommen. Dod) ift dem & 
die mittlere und tiefere Stimmlage am angemefjenften und darf derfelbe namentl 
nach der Höhe nicht zu weit gehen und das Falſett kaum amvenden, wenn er ande 
feinem Charakter nicht untren werden will, der männliche Kraft, Feſtigkeit, Ru 
und Würde ausſprechen ſoll. Befonders tiefe Baßftimmen find als Ausnahmen ; 
allen Zeiten vorgefommen.!) Soll die Bafftinme ihrer Beftimmung im Chore en 
ſprechen und dem ganzen als Fundantent und Gtüge dienen, fo muß fie eine dur 
dringende Kraft zu entwideln fähig fein, alſo numerifc fo befegt werden, daß fie nic 
durch die andern Stimmen gededt werden Tann, und das richtige Verhältnis in die 
Hinficht ift wohl, wenn fih die Zahl der Vaffiften eines Chores zur Sängerza 
jeder der Beiden Mittelſtimmen wie 4 : 2 verhüft. Auch bei der Aufftellung d 
Chores gebührt dem Baſſe unter jelbfiverfländliger Berüdfichtigung der gegeben 
Raumverhäftniffe eine aluſtiſch entſprechend günftige Stellung. 

9) Der Geſanglehrer Garcia Hat zuerft die Befauptung aufgefellt, daß die tiefen Ts 
der Bahflimme auf einem eigenen Negifter des Kehllopfes, das er Kontrabafregifter und d 
Pogfiologe Merkel (Anatomie u. Pfyf. des menfäliden Stimm- und Epradorgans. Leip 
1857) Strong nennt, berufen. — As Beifpiele phänomenal tiefer Bäffe nennt ſchon Pr 
torius Synt. mus. TI S. 17, drei Vaffiten in der Berüßmmten DMündener Kapelle des Orie 
dus Faffus, zwei Brüder diſcher und einen Graffer, die in der Tiefe Kontra-F von „13 Fi 
gar flart und mit völliger Stimme" erreiät Hätten. Gin neopofitaniffer Mönd Caſſanus fa 
Kontea-G; von dem dänifen Kapellmeifter Görfter errägft Mattefon, Ehrenpiorte ©. 21, u 
nad; ihm Gerber, N. Ler I. ©. 365-386, doß er 1867 in Hamburg gefungen, einen An 
bitus von 3 vollen Oftaven (a1—Kontra-A) umfaßt und feine Stimme „im Saal mie € 
filter, angenehmer Subbof, aufer dem Saal aber gleich einer Polaune” gelfungen habe. D 
Vai Yudrwig Filher (17451825), für den Mozart die Rolle des Osmin fhrieb, beherrſe 
die Töne von Dı—a? ganz natürfi und gleihmäßig, vgl. v. Wolzogen, Über Theater ur 
Mufil. 1800, ©. 275; wer der Baffıt war, für den Händel (Kantate „Nel africano selre 
die folgende 2 Otaven und eine Gert umfafiende Stelle: 

Eis # 


— — —— 
— 
— — 
= 

reifen fonnte, iR nit mieht belannt, vgl. Cheyfander, dändel. I. ©. 244. — Die girce 
höre im Berliner Dom und in ©t. Petersburg beftgen ümmer einen oder mehrere befondt 
tiefe Bälle, deren Gelang in hohem Grade die Wirkung des Erhabenen und Beierligen heran 
bringt; vol. ©. Engel bei Mendel, Mut, Ser. I. &. 477. — Deutföland erzeugt erfahrungt 
gemäß, mei Baffilen, als anbere Länder, „wozu neÖf der tauheren Lufigegend und Lebenss 
and das Bierrinfen, Bei den Wäffen aber das Gegenteil in beiden Gtüden ud nad) iss 
Dis die Häfige Berfneibung das meife beiträgt“ —- wie Matthefon, Bolt. Kapellmeiter 178 
©. 62 meint, 







































































Saßſchlüſſel. Baſſethorn. Baſſon. Bauer. Sanernflöte. 197 


Baßzſchlüſfel, der Sqchluſſel, in dem die Noten für alle Baßſtimmen geſchrieben 
wıden, Heißt, weil er das Heine f unfres Tonfoftems fefttellt und fein Zeichen 
weheſcheintich aus der gotbifhen Minustel f durch Verſchnörtelung in I: entitanden 
# and F-Thlüffel. Während in der modernen Mufil mur noch der eigentliche 
behſchlaſſel gebräuclic if, Tommt für die ältere Kirchenmuſit außer ihm aud noch 
der Baritonfehlüffel, der Hein f auf der dritten Linie friert, in betracht 
1. Claves signatae. 2. Baßſchluſſel. 3. Barytonſchlüſſel. 





(Gamma.) 

Baſſethorn, eine Zungenftimme der Orgel im 8 Fußton, die das gleihnamige, 
wie die Marinette gebaute Vlasinftrument nadahmen foll. Es ift ähnlich gebaut 
wie Fagottbaß, aber fanfter intoniert, mit einfchlagenden Zungen und Körpern von 
Zinn oder Holz. Man findet es mr im ganz großen Orgelwerlen verwendet, in 
Teutichland ſehr felten. Als Corno di Bassetto 8 fteht e z. B. in der 
„Eolo-Drgan” der Konzertorgel zu Liverpool (vom Willis, 100 il. Stn.), als 
Corno-Bassetto 8° bei Walter in den Orgeln zu Bofton und Ulm im IV, 
Wan., mit 16 Fußton als Corno-Bassetto in der Choir Organ“ der Orgel der 
Rathedrate zu York von Elliot und HL, und als Baſſeihorn 8° bei Weigle, Pedal 
der Drgel der Iohannisfirhe in Stuttgart. 

Baflon, der franzöfiihe Name des Fagott, und bei den franzöſiſchen und 
anchen deutſchen Orgelbauern daher aud der Name des Fagott in der Orgel. 
UL den Art. „Fagott“. 

Bauer, Chryſoſtomus, ein geſchickter Orgelbaner, der in der erften Hälfte des 
Jahrhunderts im Wuritembergiſchen Iebte umd Fi um den Drgelban dadurch 
an ſchã benswertes Verdienft erwarb, daß er einer der erften war, der im größeren 
Orgelwerten die nötige Windwenge durd, Vergrößerung der Orgelbälge, und nicht 
wie es vordem Üüblid geweſen war, durch Vermehrung der Anzahl derfelben zu er- 

ten ſuchte. Nah Adlung, Mus. mech. org. I. ©. 376 erfegte er 1720 in 
Drgel des Domes zu Um die feitherigen 16 Heineren Bälge durch 8 doppelt 
große. 

Banernflöte, Tibia rurestris, Bauernpfeife, Bäuerlein, Feldflöte, eine in 

Drgelmerken vortommende Heine Flötenftimme mit ſehr weiter Denfur und 

ıgenehm Heufender Intonation; fie war gededt und wurde im 4, 2 und ſogar 

Öuitom (ogl. Prätorius, Synt. mus, IL, der fie „Bawerflött, Baf- oder Päurlin“ 

m, und Walter, Muf. Ser. 1732) gebaut und häufig aud im Pedal als 
Bsuernflötbaß disponiert. 





128 3.8. 2. Baumert. D. Sch. A. F. Becker. 


Baumert, Johann Karl Lebereht, Seminarmufiflehrer zu Liegnitz, ift am 
23. Juli 1833 zu Rabiſchau in Schlefien geboren und erlangte feine Bildung als 
Lehrer und Mufiter bie 1854 im Seminar zu Bunzlau unter Mufildireltor Karowe 
Leitung. Nachdem er an mehreren Orten Schleſiens als Lehrer und Kantor gemirkt, 
wurde er 1866 als Mufiflehrer an das Seminar zu Reichenbach berufen und trat 
1874 in gleiher Eigenſchaft an dasjenige in Sagan Über, an dem er ſeitdem mit 
Erfolg wirfte, bis er neueſtens (8. Aug. 1883) an das Seminar zu Liegnitz be> 
rufen wurde. — B. hat als Lehrer und Komponift, als Orgelbaurevifor und als 
Mitglied des ſchleſiſhen Kirhenmufifdereins Schönes auf dem Gebiete lirchlicher 
Dufit geleitet. — Bon feinen im Drud erfgienenen Werten find hier aufzuführen: 

1. Orgelvorfpiele für den lirchl Gebr. 4 Sammlungen Op. 3. 8. 20. 32. 

— Andere Orgelftüide: Op. 18. 19. 29. 33. — 2. Egorwerte: Op. 9. Pfingit- 

mufit. Op. 14. Ban 103 für 4 Mftn. Op. 4. Piatm 121 für Viſin Op. 21. 

Beifnadtstantate. — 3. Op. 17. 180 Choralmelodieen ıc. Cangenfalze. Beyer. 

Ber, David, ein kunſtreicher deutſcher Orgelbaner aus dem Ende des 16. Jahr- 
Hundert. Er febte um 1590 zu Halberftadt, wo er eine Drgel fr die dortige 
St. Mortinsfiche, dann im Auftrag des Herzogs Heinrich Julius von Braunfdveig 
1592—1596 mit noch neun Gehilfen die berfhmte Orgel zu Oröningen baute, ein 
Bert, das feinem Namen eine bleibende Stelle in der Geſchichte des Orgelbaues 
fiherte. Sie hatte 59 Stimmen auf 2 Manualen und Pedal, koſtete 10000 Thlr. (2) 
und wurde 1596 von 53 der bedeutendften deutſchen Organiften, die man zufanmen- 
berief und mit 3000 Thfe. bezahlte, geprüft. Nachrichten Über diefe Orgel finden 
ſich bei Prütorius, Werdmeifter (Organum Gruning. redivivum 1705.), Adlung 
u. a. Drgelfriftftellern; nad denfelben ift die Dispofition mitgeteilt bei Wange 
mann, Geh. der Org. 1881. ©. 158 u. 159. 

Berker, Karl Ferdinand, Organift und treffficher mufithifteriiger Forſcher, war 
am 17. Juli 1804 als der Sohn des feiner Zeit befannten Arztes und belletri— 
ſiſchen Schriftſtellers Gottfried Wilhelm B. zu Leipzig geboren und erhielt eine 
tügtige wiſſenſchaftliche und mufltalifde Bildung auf der Thomasſchule feiner Vater 
ſtadt, mo befonders Schicht fein Lehrer in der Muſit war. Weitere Studien, 
namentlich im Orgelfpiel machte er dann nod unter Friedr. Schneiders Leitung, 
und ſchon 1825 übertrug man ihm die Organiftenftelle an der Petritirche zu Leipzig 
Bald erwarb er fid) den Ruf eines bedeutenden Drgelfpielere, rüdte 1837 auf die 
erfte Leipziger Organiftenftelle, an der St. Nitolaitirche vor, und als 1843 Diendels- 
ſohn das Konfervatorium gründete, berief er B. als Lehrer des Drgeffpiels ax 
dasjelbe. Früher ſchon Hatte ſich B. neben feiner praftifdjen Thätigteit mit befonderer 
Hingabe mufifgefhichtfichen Forfhungen zugewandt, deren CErgebniffe er in mehreren 
Schriften von bleibenden Werte, forvie in der von Rob. Schumann gegründeten 
„Neuen Zeitfchrift für Dufit“ niedergelegt Hat. 1850 beteiligte er fih als einer 
der erſten mit an der Gründung der Boachgeſellſchaft, fir deren Bachaugabe er den 








A. S. Becket. 129 


hitten Band (avierwerfe I.) redigierte. Im Jahre 1856 legte er fein Organiſten- 
amt, ſowie feine Lehrſtelle am Konfervatorium nieder und zog fih, nachdem er noch 
fine wertvolle Sammlung alter Muſitwerke und mufifalifger Schriften an die 
Leipziger Stadtbibfiothel abgetreten Hatte, nad Plagwitz bei Leipzig ins Privatleben 
zuräd. Bon da an enthielt ſich der einft fo fleißige Sammler und Bibliograph, 
Herausgeber alter Tonfüge und nad) allen Seiten hin tätige Mufitgiftoriter mert- 
wirdiger Weife jeder äußern Kundgebung feines Dafeins, und ftarb am 26. Oft. 
1877 im 74. Lebensjahre, mit dem Nubme eines Mannes, deſſen Bücher noch auf 
Dehrzehnte hinaus fr gewiffe Fächer der Dufifgefhicte die einzigen zuverläffigen 
Nathſchiagewerte bleiben werden.!) — Seine auf dem Gebiete evangeliſcher Kirchen» 
mufit erſchie nenen Werte find: 
1. Ratgeber für Organiften, denen ihr Amt amı Herzen liegt. Si 1898. 
Schwidert. 8°. — 2. Sammlung von Choräfen aus dem XVI. 
Iaheh., der Melodie und Harmonie nad) aus den Duellen ange Im 
Dr. ©. Bilroth). Leip. 1831. Tauchnitz. XI u. 80 ©. gr. 8%. — 
3. 69 Choräle mit beziffertem af von Joh. Seh. Bad, ‚rrausgeaeen, 
geip. 1832. Breitt, u. Härtel. VI. u. 39 ©. qu. 4%. — 4. Sehe und 
ſechzig vierſtimmige Choralmelodieen zu C. I. Ph. Spittas Pſalter und Harfe, 
— — teils bearbeitet, Leipz. 1841. Rob. Frieſe. 42 ©. qu. 39.) 
5. Johann Sebaftian Bachs Vierftimmige Kirchengeſänge, geordnet und mit 





1) Serie, Biogr. des mus. 1. ©. 292 f. wor darum nicht berechtigt, geringfdägig auf 
eders Leiftungen berabzufehen und fie zu befpötteln; was Ateibie und Zuverläffigteit anbelangt, 
Hätte er viel von ihm iernen Lnnen. 

2) Hier finden ſich 18 von ®. tomonierte Melodien zu folgenden Liedern von Spitta: 
Ar. €5. Am Grabe ſehn wir fülle. G-dur. hdhagfig _ 

» 35. Yu die jelber frebft du nur vergebene. F-dur. fg a bc d 
. 56. Erhalt in mir den Lebenstrich, das Sehnen. G-dur. g hg d 
Mr. 38. Herr, des Tages Müßen und Veſchwerden. F-dur. ag fg a 
„ 53. Herr, das Böfe willig zu erleiden. G-dur. gahgahcen 
„25. IC glaube, darum rede ig. F-dur.c Fcdcbba. 

» 20. 3% nefme was du mir befimmft. D-dar. fis a fis gahha. 





60. Im der Angft der Welt will id niät Hagen. F-dur. fgabcedede 
55. IR der Weg auch noch fo fang. D-dur. d eis ha gg fin, 
40. Rage nit, beträbtes Kind. G-dur. ha g dc hä. 
„ 82. Laß mich feht ſtehu auf dem einen Grunde. C-dur. g 
7.0.9 felig Haus, mo man did aufgenommen. F-dur. cbagfgachagf. 
Aufgenommen im Drei Kant. GB. Nr. 303. CB. dazu ©. 129 und verändert 
©. 158.) 
„ 58. O Baterhand, die mid) fo treu geführet. Es-dur. es gfesge cbasg 
, 14. Still an deinem Hiebevollen Herzen, A-moll. a gisahchahgise 
„ 45. Bas in dem Herrn du Huf, das wird gelingen. Es- sgfedbedch 
39. Wie if der Abend fo traufih. D-dar. fis aa h TEEN 
766. Wie wird uns fein, werm endlich nad dem ſchweren. F-dur. gagfe dcbagf. 
7 36. Winter if er. Im dem weiten Reihe, D-moll. de fgangabh. 
RümmerlesEnatt, der vang. Rirenmufit, J. 9 


















130 R. S. Beher. 


einem Vorwort begleitet. Leipz. 1843. Frieſe. X. u. 279 ©. gr. 8%. (360 
vierft. Choräle in Partitur.) — 6. Sammlung der vorzüglich gebräuglicen 
Chorale zu dem Hamburgifhen Gejangbude. Für Pinnoforte und Gefang cin- 
gerichtet. Hamb. 1843. Aug. Gran. VI u. 29. ©. qu. Fol. (68 vierft. 
Shoräle). — 7. Evangelifces Choraldud, Einhundertagtunddreißig vierftimmige 
Choräle mit genauefter Verüdfihtigung des neuen Leipziger Geſangbuchs. 
Yeipg. 1844. Sriedr. Sleifher. VII u. 115 ©. au. 8°. 10. Aufl 1877.) 
— 8. Bollftündiges Choralmglodieenbud zu dem neuen Leipziger Geſangbuch 
zum Gebraud in Kirgen und Schulen geordnet und herausgegeben. deipy 


1844. dal. 35 ©. 12%. — 9. Die Choralfonmlungen der verfiedenen 
Ariftlicen Kirchen. Chronologiſch geordnet. Leipy. 1845. daf. VIII. u. 220 ©. 
gr 8%. — 10. Cvangelifches Choralbud) für Kirde, Schule und Haus. 


11. Zeit, enthaltend 162 Choräfe. Leipg. 1847. dal. VIIL u. 100 ©. 
au. 4°. — 11. Paul Gerfardts geiftligie Lieder, Herausgegeben. Peipz. 18D1. 
Biegand. VII. u. 447 ©. gr. 8°. — 12, Einundjehzig Choralmelodieen 
zu den füntlichen Liedern Paul Gerhardts. Vierftimmig gefegt. daf. 1851. 
S. gr. 8%. — 13. Mircengefänge berühmter Meifter aus dem 15. bie 
17. Dahrhundert, für Zingvereine und zum Studium fir Tontünftler heraus 
gegeben. Dresden, 0. I. W. Paul. Part. Heft 1-5. 55 ©. fl. 
(14 Gefänge). — 14. Drgehverle: 12 Mdagios für Orgel. Op. 
6 Trios. Op. 10. — 6 Triog über befannte Choralmelodien. Op. 
12 Tonftüde Op. 12. — Drei: und vierft. Tonftüde. 2 Hefte. Op. 13. — 
Studien für Anfänger im Pedalipiel. 1. Sammlung. Op. 14. — 24 Ton- 
ffüde. Op. 15. — 10 Präfudien. — Orgelarhiv. 48 Orgelftüde aus ver- 
diedenen Inhıhumderten. 4 Hefte (mit U. ©. Nitter), — Gäclin. 100 
Tonftüde für Orgel zum Studium, Konzertvortrag und zum Gebraud beim 
öffentl, Gttesdienfte. 3 Bde. in 18 Heften. Leipg. Hirſch.— Pedalühungen 
für angehende Drgeffpieler x. 2 Hefte. Op. 30. Seipz. Kiftner. — Choral: 
„Kobt Gott ihr Cpriften allzuglei“ mit 35 beziff. Bäffen. Leipz. 1835. 
Schubert. 10 ©. au. 4°. — Choral: „Chrift, der du bift der heile Tag,” 


mit 50 beziff. Bäſſen. Leipz. 1837. Breitf. u. Härte, 7 S. qu. Fol. 




















) Aus diefen Ch.-B. ift die unter Nr. 5. ©. 3 flehende, von B. 1843 Tomponierte 
Melodie in den Kirchengeſang übergegangen; fie Heißt bei Ext, €h.-®. Nr. 5. ©. 3: 



























































ein, und bein Gna-den « an-biid maht une fo fe - fig, daß Leib und 


ha + - u, — 
— * — — 


Se - le dasrürber fröh- lich und dant / bar wird, 









































P. Becker. 3. Becker. Bedos de Celles. 131 


Berker, Paul, von defien Leben nichts weiter befannt ift, als daß er um 
1560 als „der Mufit Befliffener zu Weißenfels“ lebte, Hat zu dem zweiten Teil 
von Ernſt Chriſtoph Homburgs , Geiſtlichen Yiedern“ 50 Melodien mit dreiftimmigen 
Tonfügen erfunden, von denen jedoch Feine in lirchlichen Gebrauch lam. 


Berker, Iohann, geb. am 1. September 1726 (nad; Koch, Geſch. des 8.2. 
VL. ©. 538; Döring, Chorallunde. ©. 197. „1121"), geft. 1803 als Hofe und 
Stodtorganift zu Kaffel; er gab das folgeude Ch-®. für die reformierte Nirde in 
Seffen-Saffel heraus: 

„Choralduch zu dem in Hochfurſil. Heffen-Kaffelfhen Londen eingeführten 

verbejierten Geſangbuche.“ Kaſſel 1771. Seibert. 
Daffelbe enthält 144 Melodien mit beziffertem Baß und hin und wieder beigege- 
denen Zwifhenipielen und ſchließt ſich als Orgelchoralbuch, entgegen dem jeitherigen 
Vrand der reformierten Kirche, den damaligen Cporalbäciern der lutheriſchen 
Kirhe an. 


Bodos de Celles, Don Ican-Francois, Benediftinermönd, einer der funft- 
fertigften und zugleich gelehrteften Orgelbauer des 18. Jahrhunderts und der ber 
deutendfte Schrifiſteller über Orgelbau, der den Stand dieſer Kunft bie auf fei 
Zeit in abfhließender Weiſe dargelegt Hat. Er war 1706 zu Caur in der Didcefe 
Boziers geboren, trat 1726 zu Toulouſe in die Kongregation des heiliges Maurus 
feines Ordens ein und baute dann für verfhiedene Kloſterlirchen desfelben Orgeln, 
durch die er fih einen. ſolchen Namen machte, daß ihn 1758 die Atademie der 
Wiſſenſchaften zu Bordeaur zum Mitgliede ernannte. Von diefer Zeit an fammelte 
er wohl aud ſchon das Material zu feinem berüfmten Werte über Orgelban, das 
ex von 17661778 ausarbeitete und als einen Teil der großen franzöſiſchen 
Enchllopãdie im drei Großfolio-Bänden erſcheinen fie, und das feiner Zeit mit 
Recht als „das ſchätbarſte und ausführlichite* galt, was bis dahin über Orgelbau- 
funft erſchienen war. Vol. Gerber, N. Per. I. ©. 306-307. -- Diefes Wer ift: 

„L’art du facteur d’orgues.“ I. Teil. 1766. 142 ©. 52 Kupfer- 
tafeln; II. Teil. 283 ©.; IM. Teil. 111. ©. 27 Tafeln; IV. Teil. 140 ©: 

53 Tafeln; die Seitenzahlen und die Numerierung der Tafeln ift fortlaufend, 

alfo im ganzen 676 ©. u. 137 Tafeln. Es enthält Dasjelbe eine genaue, 

reichlich duch gut ausgeführte Abbildungen erläuterte Befreiung aller zum 

Drgelbau nötigen Werkzeuge, der Form und Mafverhältnifie der ſämtlihen 

damals gebauten Orgelftimmen, der Windladen, der Medanit der Wellen, Abs 

firatten, Bälge, Windiwage, Abbildungen verfciedener Orgelprofbelte, ſowie eine 

Gefcjichte des Orgelbaues. Daß 8, wie Varbier u. a. wollen, von dem am 

29. Aprit 1797 geftorbenen Benediftiner Sean Frangeis Monniot verfaßt fei, 

hat Fetig!) widerlegt. Von deutihen Schriftftellern über Orgelban ift c8 

') Bol. Feto, Biogr. des mus, I. S. 206. nad dem im Autograpg in feinem Befik 
befindficen Brief des Don BEdos vom 17. Sept. 1703, in dem diefer von der Mübe ſprich, 
die if Die Sommlıng des Materials zu feinem Werte verurfade- 








138 Begleitung. 


fleißig benugt umd mehrfad; überfegt worden.!) — Cine zweite Heinere Schrift 
des Don Bedos ift fein „Outadten über die von ihm geprüfte neue Orgel 
der Kirhe Saint-Dlartin in Tours." 1761.°) 


Begleitung. Im der modernen Muſik mit ihrer durchaus von den harmoni- 
{hen Nelationen der Tonaität beherrſchten melodiihen Erfindung, ift in und mit 
der Melodie immer auch ſchon der gleichſam noch latente harmoniſche Inhalt derſelben 
gegeben, und ihn frei zu machen und darzulegen iſt Die Aufgabe der Begleitung. 
Die Begleitung einer Melodie ift ro der Behauptung Nouffeaus, daß das hierdurch 
entftehende Zufommentlingen vericiedener Tonreihen eine Barbarei fei, die die hoch 
gebildeten Griechen nicht gefannt haben,?) eine jo unbedingte Forderung unfres Gefühls, 
daß wir felbft in den Fällen, in welchen (wie 3. B. beim einftimmigen Gefang- oder 
bei Soloftüden für ein Inftrument) die Dielodie vollkommen allein auftritt, eine harmo— 
niſche Unterlage derfelben ung unwillkürlich hinzu denen und innerlich mithören, wie 
denn auch das muſitaliſch nicht gebildete Volk feine Melodien mit einem fogenannten 
„natürlichen Sehumd“ begleitet und damit gleihfam inftinttmäßig jenem durchaus 

berechtigten Gefühle folgt. Die Aufgabe jeglicher Begleitung ift vor allem eine 
äfthetifhe und erft in zweiter Linie aud eine praltiſche. Jene beſteht darin, der 
Vielodie die entſprechende harmoniſche Unterlage zu gewähren, ihre rhythmiſche Glieder 
rung dadurd) zu markieren, daß fie deren Oruppen und Abſchnitie ſowohl auseinander- 
hält, als verbindet, und ihre dynamifhe Wirkung durch den Wedel der Klangfarbe 
und die Vermehrung oder Verminderung der Klangmaſſe zu heben und zu verftärken ; 
— Ddiefe, die praltiſche aber darin, die Melodie, namentih die Bolalmelodie, bei 
der Ausführung zu unterftügen, fie zu heben und zu tragen. Beiden Aufgaben aber 
wird nur eine Begleitung vollfländig gerecht werden, die im jeder Beziehung das 
richtige kuuſtleriſche Maß einhält und weder durch Überladung und Überfüle die 
Melodie überflutet und zudeckt, nod and durch Dürftigteit und Trodenheit (manche 
älteren Choralbüder ind in Leteren Fehler öfters verfallen) ihren Schwung nieder- 


') Nach Gerber, N. er. I. ©. 307 foll fon Marpurg es in einer „Geſchichte der Orgel 
und der Orgelbaufunft“, die jedod) nicht fertig wurde, zu Überfegen beabficitigt, und ein Prof. 
Halle in feiner „Kumft des Drgelbaus” es teilweife überjegt Haben. Die Einleitung zum IV. Zeit, 
eine Geſch der Orgel und des Drgelbaus enthaltend, Hat M. Vollbeding Überfeht und unter 
dem Titel „Kurzgefahte Gefdiähte der Orgel nad} dem Framönfchen des BEdos de Eelles x.” 
Berl. 1793. Herausgegeben. Ausführlich iR das Wert namentlich auf von Tüpfer berlidfihtigt. 

2) Diefes Gutadhten wurde veröffentfiät im Mercur de France. Janv. 1702. ©. 133 ff. 
und in einer deutſchen Mberfehung des Joh Friedr. Agricola mitgeteilt bei Adinng, Mus. mech. 
org. S. 287 ff. 

5) Vol. Rouffeou, Dietion. de Musique. 1768. 8. 211-242 ad voc. „Harmonie‘: 
„Il est bien dificile de ne pas soupgonner que toute notre harmonie n’est qu’ une 
invention gothique et barbare, dont nous nous ne fussions jamais avists si nous eus- 
sions öt6 plus sensibles aux veritables beautes de Part et A la musique vraiment 
naturelle.* 


Segleitung. 133 


Sält und damit ihre volle Wirkung hindert. Im der edangeliſchen Kirchenmuſit tritt 
fe Begleitung als wichtiges Moment auf: 

1. "beim Gemeindegefang oder Choral; 

2. beim Chorgefang, und 

3. beim Kiturgifgen oder Altargefang. 

Sie wird ausgeführt: Durch die Orgel, eventuell auch durch ein Pofaunen- 

ober weniger volftändiges Ordefter. 

igen Brand; der deutfäen evangelifgen Kicde wird Die 
Melodie des Chorols von der Gemeinde umisono, oder vielmehr in Oftaven ge- 
jungen,!) und die Begleitung dieſes Gefanges mit einer denfelben figenden und 
hebenden Harmonie. Hat der Drganiſt auf der Drgel auszuführen, wobei folgende 
Hauptpunkte für ihm in Vetracht tommen dürften: 

a) die richtige Wahl der Melodie zu dem Liede, das jeweilen gefungen 
werden foll. Diefe Wahl iſt nun allerdings nicht immer frei; denn die ebangeliſche 
Rice befigt zunächft einen gamgen Schat von Liedern, die ifre eigenen Weiſen Haben 
and bei denen Wort und Ton fo trefflich übereinfinmen, daf ſie nimmermehr aus- 
inander geriffen werden dürfen, vielmehr mo dies chon doch geſchehen und in einer 
Gemeinde, die eine oder andere Weile in Vergeſſenheit geraten fein follte, deren 
Refituierung vor allem anzuftreben it. Diefe Licder mit eigenen Weiſen find zu- 
gli in den meiften Fällen diejenigen, die in ſolchen Landestirchen, deren Gottes: 
dienſt den liturgiſchen Charakter, jene „gewviffe Chriſtliche gute ordnung“ bewahrt 
Sat, von der der alte Seineder fprißt,?) als Sonntags: oder Hauptlieder feffchen, 
ie daß auch bier nicht in Frage fommen Tann, „roas man für Chriſlliche Feder alle 
Zontag vnd Feſt, die zu eim jedem Sontags Cuangelio auffs beit ſich ihiden, 
wit der gemein fingen” foll. Es bleiben olfo zur freien Wahl nur ein Teil der Melo- 
dietn zu den fogenannten Predigtliedern übrig, die ja gewöhnlich vom Geifilichen 
ebenfalls frei gewählt werden, und die z. B. in der Württembergifcen Kirche die 
einigen find, welde überhaupt gefungen werden. Und aud bei ihnen find in den 
aeueren G-BB. Melodicen bereits angegeben; leider aber find Diefe Angaben nicht 








Evoſtlin in Viſchers Afgerit TIL. S. 994 made gerade diefe Weile der Ausführung zu 
einem wejentlichen Merkmale des Chorafs, wenn er jagt: „Die Harmonie der Iuftrumentat 
Sgfeitung überlaffend, römt der Choral im Iaren Oftavenzufemmentlang aller Tonzegionen 
megtool und gemeffen einfer, das veinfle WÜId des Zufammengebeus aller individuellen Eu- 
findungen im Ein fie befaffendes Allgemeines, verſchmähend alle fpezielle Judividnalifierung, 
&oß Eine Gefamtlimmung darfelend, in der die perfönligen Gefühle der Einzelnen wie zu 
inem unauffösbaren Guffe verfämofzen find." — Die einerzeit viel ventilierte frage des vier- 
fimmigen Gemeindegefange foll in dem Xet. „Kirgenmufit“ Gefandelt werden. 

9) Bol. feine tefflidie Vorrede zu den „Kirfengefengen“ Yeipyig 1587 bei Wadernagel, 
Titiogr. 1855. ©. 663-868, wo er ein volländiges Vverzeichnis aller Hauptlieder fir die 
is, Feft- und Beiertage des ganzen Kirgenjahres giebt, wie fie zu feiner Zeit in Leipzig 
im Gebrauch, waren, — ein Verzeichnis, das auch jegt noch aller Veachtung wert if. 








134 Begleitung. 


immer mit der nötigen Sorgfalt gemadt, und das Merfeburger G. B. ift mit Zus 
fammenftellung von Liedern und Melodien wie: 

ed: „Voll Freud und frommer Danfbegier" ; 

Del: „Warum betrübſt du did mein Herz" ; 

Feſtlied: „Dir Emiger fei diefer Tag geweihet* ; 
„Herzlicbfter Jeſu, was Haft du verbroden“; 
„Gott ruft der Sonn und jhafft den Mond“ ; 
Wenn mein Stündlein vorhanden ift“; 
„Herr im Himmel, Gott auf Erden“ ; 
(Dantlied nach einer reihen Ernte.) 

Mel.: „Herr ich Habe mißgehandelt” u, dgl. 
nicht allein,) fo daß für den Kantor und Organiften immer nod Fälle genug übrig 
bleiben, im denen er feinen kirchlichen Sinn und Geſchmack bei der Melodieenwahl 
betätigen kann. Für dieje Wahl bietet aber, wenn fie in allen Fällen die richtige 
fein foll, das Versmaß allein keinerlei Si erheit,*) vielmehr darf dabei ein höherer 
Gefichtspunft nimmer außer Acht geloffen werden. Wie vom Geiftlihen verlangt 
wird, daß cr and das Predigtlied mehr als Liturg denn als Prediger wähle,) fo ift 
von Choral nicht minder zu verlangen, daß er mit der jedesmaligen lirchlichen Zeit 
und Handlung ftimme und „man an dem bfoßen Tone ſchon merke, welche Zeit 
und Handlung eben begangen werde.“ Damit hängt dann auf's genaueſie zuſammen, 
Daß er zugleich dem Charakter des Liedes entfprede, meil „das inhaltreicfte Lied, 
das eine unfeſtliche, ordinäre, muſilaliſch ſchwungloſe Melodie Hätte, niemanden zur 
Erbauung werden volirde, da für pofitiv Unpaffendes in diefem Stüde die Gemein 
den, ohne fid des Grundes genau bewußt zu fein, ein deutliches Gefühl haben. “') 
It die Melodie beſtimmt, jo Handelt es ſich für den Organiften darum, für Diefelbe 

b) die rihtige Tonhöhe zu wählen. Es ift Thatſoche, daß in den meiften 

neueren Choralbüdern die Tonfage der Choräle namentlich mit Niüdjiht auf die in 
die Höhe gegangene Stimmung zu hoch ift. Mag man ſich dies nun daraus cr: 
Mlären, daß bei einzelnen Choräfen eine traditionelle Tonhöhe, die fie bein Umſetzen 
aus dem Tenor eines alten polyphonen Tonfages in den Sopran erhielten, einſach 
beibehalten, oder daraus, daß durch den Einfluß der Inſtrumentalmuſik die An: 








) Man vgl. hierüber 3. B. die Andeutungen in Bezug auf das Bayr. G.B. im Münde- 
ner €.-B. 1844. Vorr. S. X. XI. ſowie die vielfad, wiederlehrenden Magen in diefer Rih- 
tung in den Vorreden andrer Eorafbüdier. — Euterpe 1807. ©. 101—108. 

2) Sind doch z. B. für das eine Dietrum „Wer nur den Lieben Gott läht walten” an 
50 verfciedene Melodieen vorhanden. Bgl. Euterpe 1861. ©. 151-154. 

Vol. Lange, Kirchl. Hymmof. 1849. I. S. 95. Palmer, Ev. Hymnol. 1805. ©. 234-238. 

+) Bal. Palmer, a. 0. O. ©. 338; Natorp, Über den Gefang in den Kirchen der Prote 
Nanten. 1817. ©. 17. 18; 9. Yatob, „Mufitalifges Unweſen an heitiger Stätte‘. Euterpe 
1843 in mehreren Artileln; NReinthater, Form und Braud) der deutffen Liederbibet. 180%. 
©. 8. 9; Ludwig, Cuterpe 1965. 9. 148—149; Yaring, Cuterpe 1890. ©. 18-20, u a, 


Begleitung. R 135 


ihauung von dem natürlichen Grenzen der einelnen Gefangftinmen nach und nad) 
verwifht, oder Daraus, daß die Höhere Lage aus Rücſſicht auf die Ausführung durch 
nen Chor gewählt worden fei, oder endlich daraus, daß mande Kantoren und 
Organiften meinen, der Choral in höherer Tonlage „Hinge beffer“ : die Thatfade 
iR vorganden, und ihre übeln Folgen für den Gemeindegefang nicht minder. Diefe 
Folgen aber find: Schreien, ftatt Singen, gewaltſames Hinauftreiben der Stimme, 
Petonieren, Verlegen Hoher Stellen in die tiefere Oftave, unkirchliches Sekundieren 
and unfreiwilliges Stillſchweigen. Sie fünmen nur dadurd) befeitigt werden, daß 
iede Melodie in einer Tonhöhe gefpielt wird, die es allen Stimmgattungen möglid) 
macht, Diefelbe ohne Anftrengung zu fingen. Daß die Tonhöhe am beften eine mitt- 
lere, d. h. die des Mezzoſopran oder Bariton fein wird, ergiebt ſich darnad) von 
jelbft; den Umfang diefer beiden Stimmgattungen haben aber die Alten auf a—h! 
u. € (fir Meygofopran) und auf H—c! u. d! (für Bariton feftgeftellt, — und diefer 
Unfang dürfte aud der für den Gemeindegefang maßgebende fein, ſofern bei der 
Firierung der Tonhöhe eines Choral nicht ſowohl feine äuferften Greuztöne, als 
vielmehr fein ganzer Inhalt und das Vorherrſchen der hohen oder tiefen Töne in 
demfelben hauptfählih in Betracht gezogen wird. Nach diefem Maßſtabe wären 
alſo beifpielsweile Choräle wie „Nun dantet alle Gott“ ftatt in G-dur, in Es-, 
E- oder F-dur, „Wadet auf ruft uns die Stimme“ ftatt in C- oder gar D-dur, 
in As-, A- oder B-dur, „Dir dir Jehovah will ih fingen“ (mit feinem Umfang 
einer Undeeime) fatt in C-dur in As- oder A-dur, „Balet will id) dir geben 
ftott im C-dur, in A- oder B-dur u. ſ. m. zu fingen. Daß von einer folgen 
Transponierung das Bantafiegebilde einer früheren Zeit von der fogenannten Charat: 
teriftif der Tonarten nicht abhalten darf, braucht laum noch bemerkt zu werden; „denn 
heim Gefang an und für fid, wie bei der Orgel, kann eine charatteriſtiſch vericie- 
dene Wirkung der einen oder der andern Tonart rein nur von der Tonhöhe 
hängen, für welche es aber, bei dem Mangel an einer allgemeinen ſeſten Stint- 
mung überhaupt und bei der verfdiedenen Tonhöhe der Orgel insbejondere, ja dod) 
kin abfolutes Maß giebt.*') Ein dritter wichtiger Punft für den begleitenden 
Örganiften iſt 
©) die Harmonische Behandlung des Chorals. Während die Melodie 
keim Choral abfolut feitftehend, ein wirllicher Cantus firmus und unantaftbarcs 
Eigentum der Gemeinde ift, gehört die Harmonie desfelben in das Gebiet der Kunſt 
md ift ein mit der Zeit Wechſelndes, Flüſſiges. Daher Haben auch die Choral- 
Bäcer des vorigen Jahrhunderts die Harmonie in ihren begifferten Bäffen mr an- 
gedeutet und der Ausführung derfelben durd die Organiften volle Freiheit gelajfen, 


9 Bat. Faißt, Württ. €-®. 1876. Bor. S. X, ſowie die eingehende Abhandlung 
Sucos „Die Tonarten der Chorile in Nücfiht auf die Beflimmung des Chorals zum Ge 
meindegefang“ Allg. mufil. Big. 1869. ©. 228-230, 235-236. 244240. 252-254 
31-262. Grt, Ch.B. 1863. Vorr. S. V. VI. Jatob u. Richter, Ch.-B. I. Vorr. ©. XII. 


136 Begleitung. 


eine Freiheit, die von diefen reichlich bengt wurde und auch benügt werden Fonnte, 
weil bei der damaligen Bertrantheit der Gemeinden mit Melodien und Terten ein 
freier, voller und fihrer Gemeindegefang ihnen gegenüber ftand und ſich mit ifrer 
mehr oder weniger reihen Drgelbegleitung zu einem Iebensvollen Kunftganzen ver: 
band.!) Anders wurde die Sache aber, als man in der Zupfzeit anfing, neue Che 
rale um die Wette zu fabrizieren und dem Gemeindegefang zu vetroyieren; fie waren 
in feiner Beziehung dazu angelhan, wirkliches freies Cigentum der Gemeinden zu 
werden, fie führten den Verfall des Gemeindegefanges herbei und fie bildeten zugleich 
die willfommenen Objelte zu allerlei harmoniſchen Experimenten, die jchlicklic in 
einer allgemeinen Berflahung der Choralparmonifierung endigten. Schr bezeichnend 
beginnt gleichzeitig in den Vorreden der Choralbücher jenes Hinarbeiten auf das 
Zurüchdrängen dev Orgel, jene ängſtlichen, endlos variierten Hinweiſungen darauf, 
daß die Orgel mit ihrer harmoniſchen Fülle ſich ja nicht vordränge, ja nicht ver 
gefien folle, daß fie mur zu begleiten Habe, die zulegt darin gipfelten, daß, wenn 
einmal die goldene Zeit des geträumten „erhaben feierliden, fanft rlihrenden, weich 
empfindungsvollen" u. f. w. Kirdengefangs angebrochen fein werde, die Orgel eigent: 
ih ganz entbehrlich ſei.) Die neuere Zeit ift bezüglich der harmoniſchen Vehand- 
fung des Chorals zu befferen Grundfägen zurückgetehrt umd hat die Wichtigleit einer 
guten Harmonifierung flir die edlere Haltung desfelben vol anerfannt. Von einer 
ſolchen Harmonifterung ift man, ſofern der Choral vor allen Kirchengeſang if, in 
erfter Linie Kirchlichteit zu verlangen. Dieſe wird weentlic darin beftehen, 
daß als harmonifges Material nur dasjenige für fie verwendet wird, das feit alter 
Zeit dem firhlichen Tonfag eignete und gieichſam in der Kirche entftanden ift; die 
vorherrſchende Diatonik in dem ganzen Ernft und der Kraft ihrer Konſonanzen, wit 
fie fon vom natürlichen Fortfehritt der Melodie gefordert wird, gehört dem Choral, 
alle weltlich/ leiden chaftlichen, unruhig aufregenden, nur äußerlich wirkenden Harmonieen 
aber (wie 3. B. die ſtarter gefärbten Septinen- und Nonen Altorde mit ihren ver: 
minderten und alterierten Formen) find ihm durchaus ferne zu haften. . As find: 

1) Im welch kunſtreicher Weife z. B. Seh. Bach den Gemeindegefang begleitete iſt ki 
Spitta, Bad) 1. S. 309-313. ©, 584. IL ©. 588 u. 589 zu Iefen, fowie aus den Noten: 
beifpiefen zu Vd. II. S. 15 an dem Choral „Gelobet jeift du Jeſu Chrift“ auch zu erfehen. 
Bol. auferdem mod: Spitta „Die Wiederbelebung proteftant. Kirhenmufit auf gehhigtlige 
Grundlage.” Deutie dtundſchau 1882. Apriffeft. ©. 105-121. 

?) Dies ſprechen die Herausgeber des Württ, Ch.-8. 1828. Borr. S. III. ganz offen und 
umummwunden aus; vgl. aud Koder, Die Tontunſt in der Kirge. 1826. ©. 83. Sie ermar- 
teten diefe goldene Zeit vom vierftimmigen Gemeindepefang; aber and) Die Bertreter des ſoen. 
rhythmiſchen Chorais, die von dieſem alles Heil erwarteten, find zum gleichen Refuftate gelangt; 
aud) das Mindner CD. 1844. Borr. S. XI. if überzeugt, „daß nad) und nad) alle unfee 
Shoräfe (d. h. die rhuchmiſchen) von den Gemeinden fo gelernt werden, daß fie diefelben auf 
ohne Leitung der Orgel fortfingen Lönnten, da der beflimmte Rhhyihmus alle Stimmen zu 
fammenhätt,” 














Begleitung. 137 


der Boftsgefang aber verlangt der Choral zugleid eine edle Popularität der 
Harmonie, die ebenfo weit entfernt ift von allem Küͤnſtlichen und Berfünftelten, wie 
von allem Flachen, Dürftigen und Trivialen, wie ſich ſolches im häufigen Gebrauch 
3 B. des Septimenaklords der zweiten Stufe (dem 9 Atord), im Nachſchlagen 
der Hauptjeptime u. dgl. namentlich in Gadenzen, die deshalb eine befondere Yufe 
merffamteit beanfpruden, nod immer unangenehm genug bemertlih macht. Um vor 
folder Flachheit zu jhügen, darf die Forderung der Popularität nicht dahin gefteigert 
werden, daß die Harmonifierung des Chorals aud auf das dem Voltsgeſang eigene 
„Sekundfingen“ Rüdfist zu nehmen Habe,') vielmehr iſt die Befeitigung dieſes 
durchaus unlirchlichen Setundfingens anzuftreben. — Des weitern wird fh in 
der Harmonifierung des Choral ein lebendiger hiſtoriſcher Sinn und Ge 
ſchmag zu manifeftieren Haben, der, ohne durch unvermittelte Herübernahme der 
düftern und herben Harmonicen mander alten Meifter das Choralbuch zum Anti- 


) Freilich entftehen Gäptige Diffonanzen in Zällen wie fie Meinhardt „Choralgefang und 
Choralſpiel· Euterpe 1965. Nr. 9. &. 150-160 anführt, wenn er erzählt: „Kürzlich hörte 
id} den erften Baffus von „Rum dantet alle Gott“ fo fpielen: 
























































und die Gemeinde fang Hartnädig fo: 























&in anderer Orgauiſt fpielt häufig den erften Baffus von „Herr Jeſu Ehrift, did zu uns wend“ 
mit folgender Harmonifierung: 



































De 


während die Gemeinde fo fingt: 










































































* 


— und dieſe Diſſonanzen find ſicher nicht fo leicht zu nehmen, wie Lehmann, a. a. O. ©. 
151-163 in feiner „Erwiderung“ chut; fie derumieren eben den girchengeſang 


138 Begleitung. 


quitätenfabinet machen zu wollen, doch die Eigentümligjteiten der alten Kirchentonarten 
bei den ihnen angehörigen Chorälen feſthält und fie nit mit modernen Harmonieen 
aufpugt, —die neueren, mehr der fubjeftiven Lyrit angehörenden aber in freierer, 
unfrem jetzigen Harmonieſyſtem entſprechender Weife fegt, und die Harmonifierung über- 
Haupt den Forkfiritten der Kunft in allewege offen hält. — Schon weiter oben wurde 
ja auch für die Harmonifierung des Chorals volle tünftleriige Freifeit in Anſpruch 
genommen; gleichwohl darf nicht verſchwiegen werden, daß die hierher gehörigen Fragen 
in der Praris teilweiſe noch ſchwebend find. Eine diefer Fragen ift die, ob alle 
Strophen eines Liedes mit unverändeter Harmonie begleitet werden mitffen, 
oder ob and) veränderte genommen werden darf. Nun ift allerdings da, wo Landes: 
Horalbüdier eingeführt find (wie z. B. in Bayern, Württemberg, Baden, Medien 
burg) auch die Harmonifierung gleihfem vorgeſchrieben, und die Mehrzahl der Orga: 
miften, namentlich auf dem Lande, wird gut daran thun, aus der Not eine Tugend 
zu machen und beim Safe des betreffenden Choralbuchs zu bleiben;') — und auch 
verfciedene Herausgeber von Einzel:Ch.-BB. weifen jede Veränderung der Harmonie, 
die fid ebenfalls dem Ohr der fingenden Gemeinde einprägen foll, „damit diefe 
nicht bloß ihre Melodie, fondern ihren Choral habe”, auf's Entihiedenfte zu: 
rüd.) Andere find weniger rigoros und geftatten ſchon damit, daß fie die Reprife 
des Aufgefangs nen harmonifiert ausfcreiben,?) eine größere Freiheit und mit Recht. 
Beim bei freierer harmoniſcher Behandlung nur die Ruckſichtnahme auf den Gemeinde: 
gefang vor allem feſtgehalten und dieſelbe immer fo geftaltet wird, daß fie ihm unter: 
fügen kann und nicht etwa unfiher madt;*) wenn ferner das objeftive Weſen des 
Chorals unter allen Umftänden geachtet und nicht durch unkirchliche oder fubiettiv- 
weichliche Harmonieen (tie ſolche feit Ad. Hiller vielfah im den Ch.-BB. graffierten) 

H Doch verwahrt ih 3. B. das Württb. Ch-B. 1844. Vorr. S. IV ausdrücdtih dagegen, 
durdy feine gegebene Yarmonifierung „Organiften von erprobter Tügptigteit im Wege fein zu 
wollen, daß fie nicht, zumal bei öfteren Wiederholungen der Melodie, die den einzelnen 
Verfen, oder einer Gefonderen feier angemefenen Auderungen der Altordenfoige anbringen 
dürften 

" So erllärt z. B. Vierling, Ch-®. Kaffel 1789, Vorr.: „und wenn vierzig Berfe eines 
Liedes gefungen würden, der Organift Hätte fein Recht, aud) nm einen einzigen andern Vah 
zu nehmen,“ und das jagen. Dündener C6.®. 1944. Vor, S. X. Anm. nennt es gar „einen 
Drganiten-Unfug uud eine Geillofe Unftte, jeden Chorafvers mit veränderter Harmonie zu 
begleiten.“ 

Dies chun z. B. Hentfgel, Ert, Jatoh u. Richter u. a. in ifren Ch.BB.. und 2b: 
mann, Enterpe 1965. ©, 162 bemerlt: „Sede, act oder mehr Verſe mit einer fo einfachen 
Harmonie gefpielt und gefungen, mödten {hlichlis die Gemeinde dod wohl ermiden, gleid 
giftig Rimmen; eine andere, Räftigere Harmonie dürfte zur Aöwegjehung nidts fhaden.” 

+) Dahı hierbei frei) eine vorforgliche Adtfaomfeit duch anf anfeinend Meines durdians 
von Nöten iR, fehe man aus einem bei Palmer, Ev. Hymn. 1865. ©. 320 angeführten Bei 
ſpiele das Übrigens beiveit, dad die Gemeinde, die Palmer im Auge Hat, den betreffenden 
Chorat nidt volMändig inne Hat, 




















Begleitung. 139 


keeinträdhtigt wird; wenn endlich die Gejhmadlofigkeit, dem Inhalt der Strophen 
eines Liedes mit der Harmonie in's eimelne nachgehen, einelne Gedanten und 
Vilder oder gar einzelne Ausdruce durch fie malen zu wollen, gemieden wird: fo 
it nicht einzufehen, warum der Orgel nicht geftattet fein fol, etwa im Viren 
and bei einem der Gemeinde ganz geläufigen Choral auch einmal den ganzen Reid: 
tum der Harmonieen zu entfalten und dadurch den Geſang zu einem Gejang im 
hoͤhern Chor zu machen. — Auch die Frage, in welchem Stil die Harmonifierung 
des Chorals auszuführen fei, ift hier noch zu berühren. Daß fie nicht nur eine 
mehanifce Altordunterlage für die Melodie bilden darf, fondern ftlmäßig aus- 
gearbeitet fein muß, iſt von ihr zuerft zu verlangen. Da fie ferner für die Aus- 
führung auf der Orgel beftimmt ift, wird fie auch im Stile diefes Inftrumentes 
gehalten fein müſſen. Nun hat aber die Orgel einen durchaus eigentümlihen Stil 
und es darf nicht, wie manche wollen, von ihr verlangt werden, daß fie bei der 
Begleitung des Gemeindegefangs ihren Stil verleugne und darnach trade, den Ger 
fangftil möglichſt genau nadzuahmen, die zum vierftinmigen Gejang fehlenden Sing: 
fimmen zu erſetzen; das kann fie fo wenig als irgend ein andres Inftrument, denn 
fie verfügt nicht über die Harakteriftifhe Klangfarbe der beſeelten Menfgenftimme. 
Aber fie laun umd foll ihren Stil für die Begleitung melodiſch und fangbar geftalten, 
and im diefem fangbaren Orgetftil ift die Harmonie des Chorals zu Halten.!) — 
Bas nun noch 

d) die Ausführung der Begleitung anlangt, fo verlangt die Praxis 
zunächft hinſichtlich der Regiftrierung, daß diefe nad Stärle oder Schwäche 
immer jo gerwählt werde, wie es der Größe der fingenden Gemeinde entſpricht. weder 
ie fo flart, daß der Gefang durch die Orgel gededt und die Gemeinde zum Schreien 
verleitet, noch aud jo ſchwach, daß die Begleitung von der Wucht der Melodie er- 
druct werde. Höhere künſtleriſche Rüdfiht und das tirchliche Detorum ferner ver- 
fangen, daß immer fo regiftriert wird, wie es dem Charakter einer Melodie und 
ihres Liedes, ſowie der jedesmaligen lirchlichen Zeit und Handlung angemeffen ift. 
Rediſterwechſel während des Gefangs dürfte nur in ſehr befgränfter Weife zuläffig und 
mit feinem Gejhmad auszuführen fein, wenn er nit die Objektivität des Chorals 
antaften und den Vorwurf der Künftelei und Effelthafcherei auf fih Inden will.?) Im 


H Bol Ert, €. 1808. Kom. S. IV. Jalob u. Richter, Ch-®. I. Bor. S. X. 
A. Jatod „Ein Wort über die Ansgleihung des Gefangfifs mit dem Orgelfi“ Euterpe 1867. 
©. 118— 119. 

2) Nicit immer zeigt fih in diefer Beziehung ber gebifdete Gefmad und die Achtung vor 
dem Heiligen, die man gerne überall vorausieyen möchte Es mag mod) hingehen, wenn 3. v. 
Haring, Cuterpe 1906. &. 10 für den Choral „prifus der if mein Leben“ bei Say I u. 2 
Brineipal 84, Gedadt und Flöte oder Gambe 8 nehmen, Sei Say 3 wegen der Steigerung 
der Melodie aber Oftan 4° dazu ziefen will; was foll man aber dozu fagen, wenn Edardt, 
Guterpe 1875. S. 124-125 um denfelben Ehoraf zu den Stropfen von „Ad bleib mit deiner 
Gnade" zu begleiten, ein förmfiges egifrierungsfgema auffelt, in dem der gange Tonfarben- 





140 Begleitung. 


allgemeinen läßt ſich für die Regiſtrierung nur die eine Regel aufftellen: der Drganift 
frage ſich ſelbſt, was er Bei jedem Choral und feinem diede als Mufiter und als 
Shrift fühlt, und darnach regiftriere er. — Über das Tempo, in dem der Choral 
gelungen und gefpielt werden fol, ift in neuerer Zeit viel verhandelt worden und 
namentlich die Vertreter des fogenannten rhythmiſchen Chorals haben unfrem jegigen 
Gemeindegefang Schleppen, Schläfrigeit und Schwungioſigkeit bis zum überdruß 
oft vorgerädt. Nun it allerdings leicht, irgend ein Normaltempo, etwa die Biertel- 
note gleih dem Pulsfchlag eines Mannes, feitzujegen, dasfelbe aber auch dımdyı- 
fügren ift ſchon ſchwieriger und überdies — Faum nötig. Denn es iſt teils in 
äußeren Verhäftniffen, in der Größe der fingenden Gemeinde für die zeitliche und 
in der Größe der Kirche für die räumliche Bervegung der Tonmaſſe, teils aber und 
noch viel beffer innerlich in der „Grundftimmung der feiernden Gemeinde, dem 
Vulsſchlag der Herzen, der gleichſam das innere Teınpo“ bildet, ſchon gegeben, wo immer 
eine Gemeinde verfammelt iſt. Und der Drganift, der auch hier ala Mufifer und 
als Chriſt mitfeiert, braucht dies gegebene Tempo nur fo zu leiten, daß es die rich: 
tige Mitte „zwiſchen umvirdigem und untirchlichent Eilen und Haften und ebenje 
unfirhligen und unfgönem Schleppen“ Halte.') Da, wo die Löblihe Sitte beteht, 
den Choral vor Beginn des Gefanges vorzufpielen, muß dies jelbftverftändlig im 
ſelben Tempo geſchehen, in dem naher gefungen werden fol. — Einige jpeziele 
Aufgaben erwachſen der Begleitung mod bei ehvaigen Mängeln im Gemeinde 
gelang. Sol ein der Gemeinde hoch nicht genügend befanuter Choral ge 
fungen werden, fo ift auf der Orgel die Melodie jo deutlich als möglich hervorzu- 
heben, wie dies auf Drgeln mit zwei Manualen dadurch leicht bewirtt wird, daß 
man mit einem geeigneten Negifter, etwa einer fonoren Zungenftimme, auf dem Haupt: 
manual die Melodie allein, die Begleitung aber auf dem Nebenmanual vorträgt. Ari 
einmanualigen Orgelwerfen kanu man fid) im gleichen Falle auf mehrfache Weife, wir 
durch Berdopplung der Melodietöne durch die Oftave, Unifonofpiel der Melodie, helfen, 
aud find für ſolche Werke neuerdings einige eigene Vorrichiungen — „Melodieen: 
führer“, „Vorfnger“ — erfunden worden, die ſich leiht anbringen laffen.e) Die 








{aß einer dreimanualigen Orgel vom vollen Hauptwert bis zu den Pianiffimoeffetten det 
Edoweris in Anfprud; genommen, oder wenn eben dort verlängt wird, „bei Klagegelängen 
müffe der Ton nad) dem Säluffe Gin immer fäwäger werden — gleidjam ſich in cinr 
andern Welt verfierend!" — Cine gleiche Berirrung zeigt auf ein ſolches Regiftrierungefäeme 
zu „Ein feile Burg if umfer Gott“ — Euterpe 1809, &. 40—48, 

) Bot. Palmer, Ev. Hymn. S. 319-322. Fölfing „Prüfung und Kegutierung einiger 
Wunſche welge man Über den evangeliffen Kirchengeſang auefpredjen Hört.” Euterpe 1867. 
©. 20—24. 

9) Mber Berbopplung der Melodietöne vgl. Euterpe 1864. ©. 189-184; Unifonofpie 
empfiehlt Fred, Württ. 9.8. 1828. Einf. $ 14. S. 13 m. Orgelſpielbuch 1851. ©. 2. 
Einen fogenannten . Wielodicenführer hat der Orgelbauer Fabian in Bromberg erfunden, der 
felbe iR Kreugptg. 18. Aug. 1804 u. Euterpe 1864. Mr. 8. &. 162 beſchrieben; eine ahatick 


Begleitung. 141 


leihen Aushülfsmittel werden gewöhnlich auch gegen die öfters vortommenden Ver— 
anftaltungen und Verſchnörkelungen mander Melodien vorgeſchlagen, dürften aber 
bier laum wirtſam fein; diefe Verunſtaltungen find ſicher nur durd) die Vermittlung 
des Schulgeſangs zu befeitigen. Auch bei ftarkem Detonieren foll wieder Hervor- 
tretenlaffen der Melodie, dann aber auch ſtärkeres Regiſtrieren helfen, und erft wenn 
diefe Mittel den Fehler nicht Heben, fol möglicft unmerfli in die tiefere Tonart 
übergegangen werden.!) Zeigt fid) ein wirklicher Hang zum Cchleppen, wie dies 
beim Meaffengefang leicht vorkommt, fo wird bfoßes Scnellerfpielen und ftärteres 
Regiftrieren nicht immer genfigen, um abzuhelfen; wirtjamer it, wenn damit eine 
beftimmte rhythmiſche Accentuierung, ein wohlberednetes Abheben (nicht Abreißen) 
der Melodie, des Baſſes, oder der Allorde, ein mit Vorſicht ängewendetes Staftato- 
ipiel, wie es auch Bad; manchmal bei feiner Orgelbegleitung amwandte, verbunden 
wird. ) 

Nur lurz ift Hier auch noch zu berühren, daß die evangeliſche Kirche und, ihrem 
Vorgange folgend, and) die Brüdergemeinde, da und dort zur Verherrlichung, nament- 
lich ihrer Feſte neben der Orgel die Begleitung des Gemeindegefangs 
dur Bofaunen zuläßt.) Und wenn diefe Begleitung kunſtmäßig fhön und fo 
ausgeführt wird, daß die Pofaunentöne weih und gebunden zu Gehör kommen und 
vor allem mit der Orgel ftimmen, fo ift gewiß nicht zu leugnen, „daß es ein 
Schmuck des Gottesdienftes fein kann, wenn der mächtige Metallton diejes Inſtru- 
ments ſich mit Gefang und Orgel einigt und die Kraft des Chorals verftärkt." 
Aber die Poſaunen werden in der Kirde nicht immer gut geblafen, und da fie, 
ſttlecht behandelt, "den Anforderungen firhliher Würde und Erbauung wenig ent- 
ipreen, ja dem Gemeindefang direkt ſchaden, indem fie zum Cäreien verleiten, 
„damit das Singen dem Biaſen nit? nachgebe“ — und daß fie in ſolchem Falle 
beffer wegbleiben, das darf ebenfo wenig vergeffen werden.) 

2. Eine wichtige Stelle gebührt der Orgelbegleitung aud beim Chor- 
gelang in der evangelif_pen Kirche. Dit diefer Behauptung treten wir zwar in Gegen 
faß zu der vor nun fünfzig Dahren durch Männer wie Thibaut, v. Winterfeld, 
v. Tuer u. a. aufgebragten Anfhauung, daß neben dem Choral mur der reine a cap- 
pella-Chorgefang die wahre amd wirkliche Kirchenmuſit darftelle, für Die jegliche inſtru- 


Vorrichtung, der „Vorſänger“, von dem Orgelbauer Böldner in Dünnow bei Stolpemlinde er: 
funden, it Guterpe 196%. ©. 159 beifrieben. Beides find ihrem Weſen nach Distantregifler, 
die in geeigneter Weife mit dem vorhandenen Manual verbunden werden. 
"9 Bol. Fred, a. a. O. Anding, Handbüclein fiir Orgelfpieler. 1872. ©. 140. 

2) Bgl."Anding, a. a. D. S. 148. Herzog, Drgelfcjule. Erlangen 1867. ©. 70, 

2) In Garnifonstirhen wird felbft „der fürmilde Hall der Pilitärmufit“ ale Detoration 
des Gottesdienftes nicht verfhmäht. Bgl. Fölfing, Euterpe 1867. ©. 22. 23, 

+) Bol. Kieriber Palner, a. a. D. ©. 330 u. 331. Grineifen, Die evang. Gottesdienf- 
ordnung in den oberdeutf en Landen. Gtuttg. 1860. S. 91. 02. 
















142 Begleitung. 


mentale Begleitung nicht nur überflüffig, fondern vom Übel fei. Aber diefe Anfhanung, 
fo allgemein fie auch heute noch verbreitet fein mag, und obwohl ihr die bis jet 
namhafteften deutſchen evangelijhen Kirchenchöre ihre Entſtehung verdanfen, iſt gleiche 
wohl in ihrem innerften Grunde feine evangelifche fondern eine Iatholifierende. Der 
tatholiſche Kirchenchor hat die Aufgabe mittelft des ruhig-verflärten a cappella-Ge- 
fanges „die Seligteit einer Andacht, die aus Findficer Hingabe an die alljorgende 
Kirche fließt, und die Empfindung des ſtillen Gfüdee, im Himmliſchen zugleich die 
irdiſche Schönheit genießen zu dürfen" — auszudrücen, daher bei ihm das Über- 
gewicht des äuferen Gepränges der tönenden Kunft, des Tones über das Wort. 
Der evangelifce Kirchenchor hat einen höheren Beruf: er ſoll die lauſchende Gefanges- 
luſt von der Oberfläche des finnlicen Wohlgefallens Hinadziehen in die Tiefe der 
eruften Anbetung und Geiftesfeier,) umd dazu bedarf- er hauptſächlich des vergeifti- 
genden Hintergrundes der Orgelbegleitung mit ihrer nachhaltigen Kraft. Damit aber 
die Orgel auch beim Chorgefang ihre richtige Ctelle wieder erhalte, dazu bedarf es 
einer vollen Würdigung ihrer lirchlichen Vedentung. Wenn die Orgelbegfeitung gegen« 
wörtig gewöhnlich nur als Notbeheif beim Chorgefang in den befciränften Verhält- 
niffen Meinerer ſiädtiſchen und Landfirhen dazu in Anjprud genommen wird, daß 
fie durd) einfaches Mitfpielen der Chorſtimmen dem Chor die Ausführung feiner 
Aufgabe, für die er gewöhnlich nur ein geringes Mag von Gefangsfähigfeit und 
ein womöglid) noch geringeres von Gefangsfertigfeit aufzuwenden hat, erleichtere, 
wenn nit gar Überhaupt erſt ermöglihe:*) fo dient fie zwar aud) in diefer beſchei— 
denen Stellung der Kirde und hat im reife der beregten Verhältniſſe laum Ausficht, 
über diefelbe Hinauszufommen; aber ihre wahre und richtige Ctellung ift es nidt.”) 
Die begleitende Orgel muß vielmehr wie bei Bad) der tragende und treibende Unter: 
grund des Chores werden, fie niuß jelbftändig mitreden dürfen aud beim Chor- 
gefang, denn fie allein vermag demfelben wahrhaft enangelifhrtirchlices Gepräge 
aufgubräden. — Die fatholifierende Auſchauung vom Weſen der kirchüchen Chormufit 
kann ſelbſwerſtandlich aud das Orcheſier zur Begleitung derfelben nicht zulaſſen. 
Und wirtlich Haben die Vertreter diejer Anfhauung dasjelbe gänzlich aus der Kirche 
ausgerviefen und ſich dabei auf die päpſtliche Kapelle in Rom, die mır reine Gefangs 
mufit auffühet, und auf die griechiſche Kirche berufen, die weder die Orgel noch 











9) Bal. über diefe Anſchauung der Sache Spittn, Die Wiederbelebung proteſt. Kirchenmuſ. 
Deutfäie Rundfäan 1880, VIIL. 7. S. 111 und Lange, Kirdl. Synm. 1843. 1. &. 9. 

9) Für noch unglinfliger Tiegende Berfäftniffe fhlägt Chr. ©. Nifol in der Vorr. zu feiner 
Sammlung „Dofianna”. Leipz. 1868 als „leidtefle und einfagfte KirKenmufl vor, die Melo- 
dieen der Feftgefänge von Sciülern einftimmig fingen und die Orgel mit der Harmonie beglei- 
tend Gingutreten zu faffen.“ 

9) Auch Marz, Lehre von der mufil. Kompof. Vd. TV. 1860. S. 498-497 ſucht mit dem 
Aufwand großer Beredtfamteit nadzuveifen, daß bie Orgel eigentfid) zur Begleitung der Kirchen: 
mit umtanglich fi. 


Segleitung. 143 


irgend ein andres Inftrument duldet. Wenn die katholiſche Kirche mehrjach der Anficht 
er Männer gefolgt ift, und einzelne deutfche Biſchöſe die Inftrumentalmufit (außer 
dr Orgel) in den Kirchen ihrer Didcefen verboten haben, jo war dies vom latho- 
fügen Standpunkte aus m folgerichtig. Für die evangeliiche Kirche aber liegt die 
Socht weſentlich anders; für fie kann „über die Zuläffigteit und Rechtmäßigleit 
einer Orcheſtermuſit in der Kirche fein Zweifel Geftehen; was für die Zulaffung des 
Chores fpricht, ſpricht auch für die des Ordefters.” Sie braucht jogar laum Bor: 
Gehalte zu machen, wie den, daß „Orcheſtermuſit in der Kirche nicht felbftändig, 
fondern mar gemeinfan mit dem Gefang auftreten ſoll,“ oder deu weiteren, daß ihr 
Gottesdienft Momente habe, deren Charalter der reine Chorgefang ohne Infrumente 
beſer entfprede, als ein Bufammenwirfen beider; fie braucht nicht einmal dem Hft: 
etiter zu folgen und einen Unterſchied zwiſchen „Krdliher Mufit überhaupt und 
heiliger Mufil im befondern“ zu fegen und dann zu verlangen, daß „wo der Cha— 
zafter des Heiligen rein hervortreten ſoll, die Inftrumente ſchweigen müffen; wo 
aber zu pofitiveren Empfindungen fortgegangen werde, Fullung, Verflärtung und 
Charaiteriſierung durch Inftrumentalbegleitung nicht nur zu geftatten, fondern not- 
wendig ſei:“) ihr hat ihr größter Muſiler, Sebaſtian Bach, längft unwiderleglich 
gezeigt, daß alle: Coloftimmen, Chor, Orgel und Orcheſter in vollfter Freiheit zu: 
fonmenwirten dürfen und doch echt evaugeliſche SKirhenmufit maden Können. — Daß 
«3 mit der Inftrumentalbegleitung, wie fie Kantoren Heinerer Kirchen meift zur 
Verfügung Haben, nicht jelten fo beſtellt ift, daß fie im Intereffe der lirchlichen 
Würde beffer ganz wegbleibt und die Orgel für fie eintritt, it faum noch nötig zu 
bemerken. 

Was endlich noch 

3. die Begleitung des liturgiſchen oder Altargeſangs betrifft, fo 
hat es allerdings einen guten geſchichtlichen Grund, wenn auch jegt noch von manden 
daran feftgehalten wird, daß derjelbe durchaus unbegleitet fein ſolle. Urſprünglich 
war er dies im der evangeliſchen Kirche, in der erft viel fpäter als zum Gemeinde 
gefang die Orgelbegleitung au zum Aktargefang auflam. Daß der Geiftlige 
ale fürgeren liturgiſchen Süte (Oruß, Intonationen u. dgl.) ohme Begleitung finge, 
mag auch Regel bleiben, daß aber für die längeren Säge, wie das Baterunfer und 
die Einfegungsworte, die Orgelbepleitung eine wohlthätige und zwedmäßige Unter- 
ftügung fei, wird nicht nur von den Theoretifern anerfanmt, fondern ift dies and) 
fhon längft durd) die Broris. Zur richtigen Ausführung diefer Begleitung gehört 
vor allem eine vorfihtige Negiftrierung, die darauf beredinet iſt, daß „der Fiturg, 
wie man fagt, ſich heraushören kann; eine einzige zarte, beſtimmt anſprechende Labial- 
ſtimme, wie Lieblich Flöte 8’ oder Salicional 8° dürfte in den meiften Fällen hie- 








>) Bgl. hierüber Palnıer, a. a. D. ©. 274-280 und Köfllin in Viſchers Aſthetit ILL. 
&. 1021. 


144 Begleitung. 


für ausreihen." Der Harmonifhe Inhalt derfelben muß einfach und ſtreng kirchlich, 
zugleich aber auch fllgemäß für die Orgel fein, darf alſo nicht nur in einzelnen 
abgeriffenen Aftorden beftehen. Als Beifpiel einer ſolchen filgemäßen Begleitung 
mag der Anfang der Einfegungsworte bei Lyra (vgl. deffen unten angeführte Schrift) 
hier ftehen: 




















⸗ De — 
» fer Herr Je- ſus Chri- ſtus BR a er vera » dem ward. 
= De 2 4 ge a Ye 


z — 
































Für ale Fälle iſt von dieſer Begleitung zu verlangen, daß fie fih „dem Geift- 
lichen fo anſchließe, daß er weder überdedt, noch im pfalmodiſch freien Vortrag ge: 
hemmt wird; der Organiſt muß zu Diefem Zwed diefelbe Kunft verftehen, die ein 
Orcheſter zur Begleitung von Recitativen inne haben muß.” 

Bei Refponforien, Amen, Hallelujah und etwa eingeſchalteten Choralſtrophen, 
wenn fie von der Gemeinde gefungen werden, ift die Verechtigung der Orgel: 
Begleitung nicht mar theoretiſch allgemein zugeftanden, fondern auch in der Praris jegt 
überall Braud); leider hat ſich dabei Da und dort der verwerfliche Migbraud) als Regel 
feitgefegt, fobald die Gemeinde anfängt mit voller Orgel dreinzufahren, während 
auch hier eine der jeweiligen Größe der füngenden Gemeinde ſich anbequemende 
Kegiftrierung das allein rigtige ift. Daß diefe liturgiſchen Stüde, wenn fie vom 
Chor ausgeführt werden, „ohne Begleitung einen beſſern Eindrud machen, als wenn 
dieſe dabei iſt,“ bezweifeln wir. Und felbft, wenn dem wirklich fo wäre, wilrde es 
für die Orgel und ihre kirchliche Stellung durchaus unwürdig fein, dem Chor „nur 
ganz kurz den Ton anzugeben". Auch, Hier ift eine fülmäßige Orgelbegleitung, etwa 
in der Weiſe des folgenden Beifpiels von Lyra: 























== > — ee 

















Sep. 1. Und ein Sit anf meinen Be - 
2 Und feine Barm- er» Mlat fat mod din @n der 
B * = — — 
—— 2 — 








gewiß das Richtigere.) 


1) Bat. Über die Begleitung des liturgiſchen Gefangs z. . Herzog, Orgelfhufe. Erlangen 
1867. 8. W. Palmer, a. a. D. &. 386-380, Anding, a. a. D. ©. 151-158. 9. ®. 
ra, Die Üiturgiigen tarweifen des lutheriſchen Haupigatteedienfle. 1873. Borberiht ©. 
XI. XIV. u. 8.5789. Zahn, Yanblrlein für evang. Kanteren und Organiflen Rürn 
berg 1871 m. 0. 








Begleitung. 185 


Eine erft neuerdings aufgetauchte Frage, welche die muſilaliſchen Kreiſe lebhaft 
bewegt und im dieſem Artitel noch behandelt werden muß, ift die mad) der dem 
Stil und den Intenlionen der Komponiften am beften entfprehenden Begleitung 
älterer Kirhenmufit, namentlich der Bachſchen. Sie ift, feit die Werte des 
Meifters durch die Ausgabe der Bachgeſellſchaft allgemein zugänglich find, eine immer 
wichtigere geworden, und fie wird zu einer brennenden werden, wenn einmal diefe 
Werte (Kantaten, Paffionen u. a.) ihren einzig richtigen Plag, nämlid den im 
wangeliſchen Gottesdienft, wieder zurüderobert haben werden. Zur Zeit, als diefe 
Werke gefäprieben wurden, war die Kunft des Generalbaßipielens (vgl. den Art.) 
eine fo allgemein geübte und zu folder Höhe der Fertigfeit ausgebildete," daß et 
leicht erllärlich ift, wie die Komponiften dazu famen, ihre Begleitungen nicht vol 
auszuſchreiben, fondern in einem bezifferten Baß nur anzudeuten und dem auf der 
Drgel oder dem Flügel Begleitenden die Ausführung diefer Andeutungen mit aller 
Ruhe zu überloffen. Und nit nur Begfeitungen, fondern felbft wichtige Solo 
partieen für die genannten Inftrumente, wurden im diefer abgelürzten Form ge: 
ſchrieben.) Als nun aber etwa feit Haydns Zeit, die Gewohnheit auftam, alle 
obligoten Stimmen einer Kompoſition volftändig auszufhreiben, ging die Kunft des 


1) Über Bade unübertrefflides Generalbaßfpiel fagt Mibler, Muft. Viblioth. IV. &. 48: 
„Wer das delifate im Generalbaß und was fehr wohl alfonpagnieren Geifet, tet vernehmen 
will, darf ſich nur bemüßen, unſern Deren Kavellmeifter Vach allgier zu Gören, weicher einen 
jeden Generalbaß zu einem Solo fo altompagniert, daß man dentet, es fei ein Konzert und 
wäre die Mefoden, fo er mit der reiten Hand madjet, fon vorgero gefeßet worden.“ Gerber, 
«. 2er. 1. ©. 492. Bitter, vach TI. ©. 264. Spitte, vach I. ©. 112-718. 

?) So Recht 3. B. in der Partitur des Orgellomgerts in G-dur von Händel (vgl. Aneg. 
der YändelGei, Jahrgong IX. 1800. Sie. 28. Nr. 1) das erfle Solo für Orgel nur fo ger 
ſchrieben: 



































— 


während es der Komponift wahrſcheinli— 








fo ausgeführt uns will: 

Dee — 
— 

——— me) = 


und die Ausführung nad der Partitur faum feiner Intention entſprechen dürfte. 
Xümmerle, Gncntl. d. ang. Rirdenmuft. T, 1 



























































146 Begleitung. 


Generalbaßſpielens nad) und nad) verloren und man ſah ſich vor die Notwendigleit 
geftelt, die in bezifferiem Baſſe gezeichneten Vegleitungen der alten Werke in irgend 
einer Weiſe auszufüllen, um deren Aufführung möglich zu machen. Das Be 
dürfnis folder Bearbeitung machte ſich zuerft für Händels Oratorieen, die ja nie 
fo vergeffen waren, wie Bachs Kirengefangwerte, und für fie um fo mehr geltend, 
als fie von Rechts wegen nur im Konzertſaal aufgeführt werben Tonnten, wo bis in 
die ſechziger Jahre unfres Jahrhunderts die Orgel als Begleitungsinftrument nicht 
zur Verfügung ftand. Kein geringerer als Mozart hat in Haͤndeiſchen Werten 
(Deffins, Aegandersfeft, Acis und Galathen, Cäcilienode) zuerft die Begleitung für 
entſprechende Inftruntente des modernen Orcheſters ausgeſchrieben, in Wirilichtein die 
felben meu inftrumentiert. Seinem Vorgange folgten mit mehr oder weniger Ge— 
ſchick und Ahtung für die Autorität und die Intentionen Händels: Mendelsjohn,') 
Iynaz Franz Mofel (dieſer am willlürlichſten und pietätlofeften vorgehend), doh. 
M. Hiller und mehrere Engländer. Einen neuen Weg fhlug Mendelsſohn ein, 
indem er dem Händelfhen „Israel in Hgypten“ eine in echt Fünfilerif—em Sinne 
ausgeführte Orgelftimme beigab. Allein die Berechtigung folder Neubearbeitungen 
erſchien den Mufitgiftorifern von Anfang an mehr als zweifelhaft, und dieje Zweifel 
wurden evident gerechtfertigt, als man eine Partitur von Händels „Saul“ auffand, 
in welcher der Meiſter felbft volftändig genaue Angaben für die Anwendung der Orgel 
bei Ausführung dieſes Werts beigeſchrieben Hat, aus denen hervorgeht, daß Men: 
detsfohn feine Intentionen durchaus nicht getroffen Hatte.) Während nun aber bei 
vielen Werten Händels folhe Ausführungen verhältnismäßig leicht find, find fie bei 
Bachs Werten mit ihrer durchaus polyphonen Schreibweiſe ungleich ſchwerer. Um 
fo größer muß daher aud das Verdienft Robert Franz’ erſcheinen, der fid in 
feinen Bearbeitungen Bachſcher Bokalwerle fo vertraut mit des Meifters Weife, fo 
volftändig eingelebt in diefelbe zeigt, daß, fobald einmal die Berechtigung feiner 
Arbeiten überhaupt zugeftanden iſt, ihm auch die Anerkennung gebührt, dabei bis 
jegt Unübertroffenes geleitet zu haben. Für Franz famen im weſentlichen vier Fülle 
in Betracht, in denen eine Ausführung der Begleitung notwendig erfheint. Im 
erften derjelben giebt das Driginal die Melodie und den bezifferten Bag und mit 
demfelben wenigitens eine Andentung der Harmonie. Wollte man hier — fo meint 
Franz — nur mit einfachen Afforden ausfüllen, fo würden dieſe mit bleierner Schwere 
auf Bags Stimmengewvebe faften und keinerlei Stüge an deffen bewegten Bäffen 
Haben; daher erfgeint ihm nur die polyphone Ausführung als die richtige. Co 
giebt 3. B.: 





1) Der jedod feine bezüglichen Arbeiten in einem Brief an Devrient 1833 felhft des- 
avouierte, indem er namentfic; die am Dettinger Tedeum als „Interpofiationen fehr will 
türlicher Wer” bezeichnete, die er als Mißgriffe anfehe und gerne ungeldiehen moachen würde. 

?) Bol. Ausg. der Sändel-Gef. Jahrg. IV. 1861. Kiel. 1. und Chruſanders Jahrbuch für 
mufit. Wiſſenſch. 1. 1864. ©, 408—428 


Begleitung. 


Bad, Matthäuspaffion, Nr. 10. Tatt 98-101: 











































































































—— 
u 











r t. 
re. © Con 











Spez — 











— 


7 


— 
10* 











148 Begleitung. 


und rang führt dies fo aus: 
















































































p Zpebe = 
Ola — — be 
I r 
De ea 
” Vino — babe £ — 
Keezzezue nee 
8 — = = 
Violino TI. rt m = — 
— 
== 
— 




















Ofters der erſcheint bei Bad auch der ziweite Fall, in dem nur ein Baß ohne 
Bezifferung und ohne Melodie gegeben ift. Hier ift die Schwierigfeit für den Be- 
arbeiter noch wefentlic erhöht, und wenn Franz nun aus dem gegebenen Ba 
Motive entnimmt, daraus die begleitenden Stimmen in polyphoner Führung ent: 
widelt und damit die Einheit des Stiles vollfommen wahrt, fo lann feine Aus- 
fügrung nicht anders, denn als meifterhaft bezeichnet werden; z. B.: 

Bad, Maguifilat (. —D feeit mihi magna*) giebt nigts al folgenden Bag: 


* 





R 





Sheet 








2 











IE 
S 





























De >= 








Sräng et Die fo ans: 























—* __Violino I. N =: 



























































Begleitung. 149 


Clar. ie e Clar. ir 




































































Ein dritter Fall ift dann gegeben, wenn Bad) Inftrumente verwendet Hat, 
die im jegigen Orcheſter nicht mehr vorhanden find, wie Viola d’amore, Viola 
da gamba, Oboe d’amore, Oboe da caccia (von ihm auch „Taille“ genannt), - - 
oder aber, wenn er aud) für jegt noch im Gebrauch ftehende Inftrumente, namentlich, 
Vehblasinftrumente, Paſſagen ſchreibt, die, wenn fie je ausführbar waren, dies für 
den heutigen Orcheſtermuſiler nicht mehr find,') und daher umgeſchrieben werden 
aüffen. Franz tut dies im „Mognifilat und der Pfingfttantate „O ewiges Feuer" 
fo, daß er die zu hoch gelegenen Stellen der Trompetenpaffagen an zwei C-Klarinetten 
Überträgt.?) Die. Stelle im erften Chor des „Magnifitat“ lautet bei Bad: 

Tromba 1 in D. i 



























































’) Händel Gat im dalleluja des „Mefias“ Trompetenpaffagen, die bis c* und d? gehen, 
und Bad} geft im „Cum sancto spiritu® der H-moll-Mefie gar dis e*; in beiden Fällen find 
tiefe Hocfiegenden Paffagen zugleid) in rafgen Tempo auszuführen. 

9) Er wählt mit Bedaft Diele Inftrumente, (bivohf für beide Stellen, die in D-dur fehen, 
junäßft A-Marinetten angezeigt gervefen wären), weil die Tonfarbe der C-Stfarinetten derjenigen 
der Soßen Trompetentöne am näften tommt, 





150 Begleitung. 


Franz läßt dies ausführen : 
2 Clarinetti in C. 


Ps 


3 Trombe in D, 


— — 


























will 












































« 
ERSEH HE 
EZ Zu 

Noch ein vierter Fall endlich Hat feinen Grund in der durchaus veränderten 
Zuſammenſehung des modernen Drhefters. Wenn Bachs Orhheſter neben den Blas- 
inftrumenten einen Streicherchor von je 2, höchſtens 3 erften und zweiten Biofinen, 
2 erften und 2 weiten Violas, 2 Cellos und 1 Kontrabag Hatte, fo ift einfeuchtend, 
daß Soloftellen für einzelne Blasinftrumente diefem Streicherchor gegenüber genügend 
Hervortraten, um die beabſichtigte Wirkung zu machen; im modernen Orcheſter mit 
feinen 5060 Streichinſtrumenten aber witrde eine folge Sofoitelle volftändig zu- 
gederft werden, wenn das fie ausführende Iuftrument nicht verſtärlt wird. Im dem 
Chor „Laß ihn kreugigen“ Nr. 59 der Matthäuspaffion z. ®. läßt Bach über den 
Singftimmen und dem Streicherchor eine wichtige Flötenpaffage ausführen, die in 
feinem Orcheſter ganz in der von ihm gewollten Weife vom Gefanittonförper ſich 
abhob, im modernen dagegen volftändig unhörbar wäre, wenn man nit, wie Franz 
tut, die Flöten durch Klarinetten unterftügen laßt, die ih in den höheren Tönen 
der Klangfarbe der Flöten genügend affimilieren und doch diefe entſprechend Heben. — 
Auch diejen Franzen Bearbeitungen gegenüber hat jedoch die hiſtoriſche Kritit die 
Beredtigungsfrage nicht nur geftellt, ſondern auch in verneinendem Sinne beantwortet!) 

















H Ober die eingehenden, freili niit immer mit der wünſchendwerien Objektivität geführten 
Grörterungen der ganzen Beorbeitungsfrage vgl. man vor allem Robert Franz’ wichtigen 
„Offenen Brief an Dr. Eduard Hansfic." Yeiyz. Yeudart; ferner: Aug. Saran, Robert Franz 
und das deutfhe Folls- und Kirenfied. Chendaf. „Wearbeitungen älterer Volalwerte vor 
Robert Franz“ Allg. mufit. Ztg. 1865. Nr. 20-29. S. 417--492. 433-436. 449-450. 
STB-AB1, Schäffer, „Über die Bearbeitung der Bachichen Mattfäuspaffion von Robert Franz.“ 





Beiftriche. 9. Bellermann. 151 


weil er die von Bach vorgeſchriebene Orgelbegleitung auf Ordhefterinftrumente über 
tragen und damit den kirchtichen Charakter der betreffenden Werte nicht volftändig 
gewahrt, fondern im einen mehr tongertmäßigen verwandelt hat. — Um auch dieſe 
bei Franz nod vorhandene Kippe zu umſchiffen, ift neueſtens auf Spittas Antrieb 
durch den Bachverein in Leipzig (einen Gefangverein, der nicht mit der Bachgeſellſchaft 
zu verwechſeln ifi) ein weiterer Verſuch gemadt worden, dahin gehend, Bachſche 
Kirhentontaten fo zu bearbeiten, daß das, was im Original der Orgel beſtimmt ift, 
ihr auch gelaffen, umd nur der für fie vorhandene bezifferte Baß als vollftändige 
Drgelftimme ausgefcrieben wird, was aud durch Mufiler wie Brahms, Wüllner, 
d. Herzogenberg, A. Vollland u. a. in einer Anzahl diefer Kirenfantaten bereits 
geſchthen iſt.) Ob diefer Verſuch von der Praxis als richtig erfannt werden und 
allgemeinen Eingang finden wird, iſt zur Stunde noch nicht zu entjceiden. 


BVeiftriche find gleich unfren Tattſtrichen fentrechte Striche auf dem Notenfuftenn, 
die, feit man anfing die Weiſen des evangeliſchen Kirchengeſangs im einfachen Kontra- 
punft (nota contra notam) zu fegen, mit mehr oder weniger Negelmäßigfeit in 
den Kantionafen verwendet find, um die rhythmiſchen Abfüge der Melodie am Schluſſe 
der Verſe oder Zeilen der Kiedſtrophe zu bezeichnen. Der halbe Beiſtrich der chen- 
falls, jedoch nicht fo Häufig zur Anwendung kam, bezeichnete einen kurzeren Melodier 
abfag, der doppelte Veiftrih den Schluß der Melodie oder des Tonfages. — Die 
Herausgeber alter Choralbenrbeitungen in unfrer Zeit haben den Taft derfelben meift 
mit den neueren Tattftricen verzeichnet und Die alten Beifteiche enttweder ganz befeitigt, 
oder durch andere, Zeichen erjegt.?) 


Bellermann Heinrich, Profeffor der Muſit in Berlin, wo er am 10. März 
1832 geboren wurde, Er beſuchte das unter der Direltion feines Vaters?) ftehende 





Ebendal. 1868. Nr. 1-5. ©. 1-4. 11-19. 25—28. 33-35; die Auseinanderfegungen 
griffen Dr. Jul. Schäfer und Dr. Bh. Spitte, Muft. Wohendl. 1875. Nr. 36-44, und 
mehrere Brofgiren Schäffers, die bei Yendart in Leipzig eridienen ſind. 

') Sie erfienen unter dem Titel „Kirkentantaten von Ich. Seb. Dad. Im Klavier 
Auszuge mit unterlegter Orgeffimme Gerausgegeben vom Vach Vereine zu Leipzig." gr. 8°. 
Leipzig, Rieter-Viederm. ; bie jegt Nr. 1-5. 

3) Beder u. Biliroih, Samınlung von Egoräfen aus dem 16. u. 17. Jahrh. Leipz. 1831 
laſſen die Veiftricie ganz unberlafigtigt; v. Tuger, Schatz 1940 — bezeichnet ihre Stelle durch 
die moderne Fermate, mag aber S. 19 mit diecht darauf aufmertjam, „da man die bei 
gefügten (ermaten nit wie die unfrigen ais eine Verlängerung der betreffenden Mote“ zu de: 
tragiten habe; Ert und Filig, Bier. Coralfäge x. I. Teil. Eifen 1945. S. 100 erfegen den 
Beifeic, weii er als Talıftrih, bei ignen {com verbraudit fi, durch Doppelftrice; v. Winterfed, 
Luthers Geiftl. Lieder. Leipz. 1840. S. 121 u. 125 Hat den Beiſtrich und Fermate. 

Der Bater Heinrich 8 Johann Friedrich 8, geb. 8. März 1795 zu Erfurt, gef. 
am 5. Gebr. 1874 als Oymmafiofdireltor zu Berlin, war ein geleheter Philologe, der mehrere 


























152% 9. Sellermann. Kereitet die Wege, bereitet die Kahn. 


Gymnaſium zum grauen Mofter dafelbft und fludierte daneben bei Eduard Grell 
Mufit. 1853 wurde er als Gefanglehrer am grauen Kloſter angeftellt, 1861 zum 
Königk. Meufifdireftor ernannt und 1866 nad) A. B. Marz’ Tode deſſen Nachfolger 
als auferordentliger Profeſſor der Mufit an der Verliner Univerfität. B. Hat fih 
als Mufitfeheiftfteller befonders mit der mittelalterlihen Mufit befaßt und Schriften 
und Abhandlungen über Gegenftände derfelben veröffentlicht, die ihm zwar mandje 
Angriffe zugezogen Haben, aber gleichwohl von Wert und mittelbar aud geeignet 
find, das Berftändnis der älteren evangeliicen Kirchenmuſit zu fürdern. As Kom: 
ponift folgt B. dem Vorbilde feines Lehrers Grell und pflegt in deſſen etwas farb- 
und reizloſer Weife die „reine Volalitat“ (wie er fih auszudrüden liebt). Bon 
feinen Schriften und Abhandlungen find hier zu nennen: 
1. Die Menfuralnoten und Taftzeihen des 15. und 16. Jahrh. erläutert. 
Berl. 1353. gr. 4°. VII. u. 104 © — 2. Der Rontrapunft oder Ans 
leitung zur Stimmführung in der mufifalijgen Kompofition. Berl. 1862. 
XVIL 1. 367 ©. er. 8%. (Eine Neubenrbeitung und Erweiterung des 
„Gradus ad Parnassum“ von I. I. Fur). — 3. Über die Entwidelung 
der mehrftummigen Mufit. Ein Vortrag. Berl. 1867. 40 ©. gr. 8%. — 
4. Franconis de Colonia Artis cantus mensurabilis caput XI. de 
discantu et ejus speciebus. Tert, Überfegung und Erflärung. Bert. 1874. 
38 ©. gr. 8%. — 5. Erlürung des Difinitorium Tinctoris, in Chryan- 
ders dahrbuch für Muſihwiſſenſchaft. 1. 1863. ©. 55-114 — 6. Das 
Locheimer Liederbud (mit Fr. W. Arnold). daf. II. 1867. S. 1—234. — 
6. Abhandlungen in der Allg. muf. Zeitg. 1869. Nr. 43. 44. Nr. 37. 
1869. Nr. 49. 50. 1870. Nr. 11. 12. 13 u. a. — An Kirdentom 
pofitionen find von B. erſchienen: Op. 1. Der 23. Pam für 6 Stn. 
a cappella. Bert. Bahn. -- Op. 6. Der 98. Vfalm für ©. 4. T. u. 2. 
mit Chor. Daf. — Op. 9. 4 Kirgenlieder für gem. Chor. Berl, Timm, 
Op. 11. 3 Motetten für 4 Singſtn. a cappella. Berl. Trautwein. — 
Op. 12. Die große Dopologie für Aftimmigen Chor mit Orch. Daſ. — 
Op. 14. Motette für ©. A. T. u. B. Berl. Bahn. — Op 1ö. Der 
93. Palm für 8 Singfin. Dal. Op. 16. Motette für 4 Chor und 
4 Sotoftn. Daf. — Op. 17. Der 13. Bat fir gem. Chor a cappella. 
Daj. — Op. 21. 4 Kircenfieder für Aftimmigen Chor. Daf. — Op. 26. 
Der 121. Balm für 4ftimmigen Männergel. Daf. — Op. 27. Palm 100 
für 4 Chor und 4 Soloftn. Verl. Trautwein. — Op. 8. Präludium und 
Fuge über b-a—c—h für Orgel, Berl. Timm. 

















Bereitet Die Wege, bereitet die Bahn, Kantate zum 4. Adventsfonntag 
(22. De. 1715 in Weimar) von Seh. Bad. „Ohne eine Spur von Formalismus 
grůndliche Schriſten Über die Mufil der Griechen veröffentlicht hat. — Der Ahnherr der Familie, 
Konſtantin B., 1896 zu Erfurt geb. und 1763 als Direktor des Gymnafiums zu Minden 
gef, Hat mehrere Oratorien tomponiert; in einem Gymmafial-Programm, 1743. ©. 39 ermähnt 
er Seh. Vache mit hohem Lob, bei Gelegenheit von deffen Reife nad) Kaffel. Bol. auch Alurg, 
Ant. zur muf. Gel, 5. 690. Ann. i, u. Miyler, Muf. Bist. IIL ©. 559-572, 


Bergreihen. 153 


zu verraten, fährt der Meifter (in diefer ſechſen der neun Weimariſchen Kantaten) 
fort, neue und neue Schäge feiner unerfchöpflichen Phontafie zu fpenden.“ Bgl. Spitte, 
Bach I. S. 550-552. Der Choral „Herr Chriſt der einig Gotts Sopn“ flieht 
das Wert würdig und erhebend. 


Bergreipen („Bergkreyen,“ „Reyen“), Bergreihen-Weiſe, nannte 
man im 16. Jahrhundert eine voltstümlice Melodie, nad) der eine gereimte Er- 
hlung (unfre Ballade und Romanze) gefungen wurde; geiftliche Bergreihen befangen 
bibliſche Geſchichten (Hiftorien!) mit Nuhanwendung), weltliche dagegen andere mert- 
mwürdige Begebenheiten. Dabei tritt der Dichter als erzählende Perfon auf, leitet 
feine Erzählung mit einem Prolog ein und fhlieht fie mit einem Cpilog. Aud im 
cwangeliſchen Kirhengefang jener Zeit finden ſich derſchiedene geiſtliche Feder, die in 
der Weife der Bergreihen gedichtet und wahrſcheinlich mit Melodieen derſelben zuerit 
gefungen wurden. As ſolche nennen wir beifpielsweife: 

Luthers „Ein newes Lied wir heben an“ — 

Nil. Hermanns „Es war einmal ein reiger Mann“ — 

„An Ninive der großen Stadt" — 
„Sufanna teufh und zart” — 

Spangenberg „Am dritten Tag ein Hodzeit ward" — 
mit Prolog: 

Nit. Hermanns „Kommt her, ihr fieben Schweſterlein“ 
das der Dichter ausdrüdlich, als einen „chriſtlichen Abendreihen vom Leben und Amt 
Johannis des Täufers“ bezeichnet; mit Epilog: 

Nit. Hermanns „Da nun Elias feinen Fauf“ — 

(Epilog: „Der uns das Fied gefungen hat“ 2) 

') Nil. Herman in Joachimethat gab 3. B. Gernus: „Die Hiforien von der Sintflut, 
Iofeph, Dofe, Helia u. f. w. zu leſen und zu fingen in Reyne gefaffet z.” Wittenberg 1562. 

9) Im dem vorgenannten Bude finder fit auf BL. Gy — die Hiferie „Wie Helias im 
feurigen Wagen gen Himmel fehret” mit dem obigen berühmt gewordenen Gpilog als 5. Strophe: 

„Der vns das Lied gefungen hat 

Was alt und wol betaget. 

Des mals fundt er nicht von der fadt, 

Das Podagra jn plaget. 

Dft feufigt er und bat in feim finn: 

‚Herr, Hol den Tranden Herman hin, 

Do jetst Hellas wonet.” 
Derſelbe wird in den G-8B. bie in den Anfang des 17. Jahrhunderts herein forterfaften; er 
findet ih 3. B. mod bei Meich Bulpins 1609. Mid. Prätorius, Mus. Sion. 1610. Schein, 
Kant, 1627; dagegen Gaben ihn Demantius, Threnm 1020, Trüger 1640 und ihnen folgend 
tie fpäteren ©.-BB. weggelaffen. 


154 A. Bergt. 


Hein. Müllers „Hilf Gott, dag mirs gelinge — 
(Spilog: „Hat Heinrich Miüder gefangen“) 

Während aber in der kirchlichen Dichtung bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts 
dieſe epii-tgrif—e Form der rein lyriſchen vollftändig wid, blieben in der kirchlichen 
Mufit die von folgen Piedern herrührenden Melodien erhalten und wurden zu 
Ehoräfen um: und ausgebildet. Solche Choräfe, die mit größerer oder geringerer 
Wohrſcheinlichteit auf derartige volfsmäßige Formen zurüdgeführt werden, find z. B.: 

Ehriſt unfer Herr zum Iordan fan“ -- 

„Here Chriſt der einig Gott’s Sohn“ (Ich hört ein Fräulein Hagen). 

„Kommt her zu mir, ſpricht Gottes Sohn“ (Was wölln wir aber heben an). 

„Bon Gott will ich nicht laſſen“ (Id ging einmal fpazieren). 

Ach, was ſoll ih Sünder machen“ (Sylvius ging durch die Matten). 
n. 0. — Im einer Zeit geiſllicher Erregung und Belebung, wie dies die Zeit der 
Reformation war, in der das Geiftlihe alle Lebendverhältaiſſe zu durchdringen und 
zu beherrſchen ftrebte, erſcheint «8 dann auch natlrlih, daß „Gaflenhaver, Meuter- 
vnd Bergliedlein chriſtlich moraliter Und fittlih verendert“ wurden mit dem aud- 
geſprochenen Zwede: „Damit die böfe ärgerliche Weiß, unnfige und ſchampare Liedlein 
auf Gaſſen, Feldern, in Häufern und anderswo zu fingen mit der Zeit abgehen 
mödte, wenn man Kriftlice, gute nüge Terte vnd Wort darunter haben könnt” — 
wie Heinrich Knauſt 1571 meint.') Und ſchon bald nad) Beginn der Reformation 
bezeugt ein katholiſcher Schriftfteler, der Jeſuit Tomas a Jeſu (de conversione 
omnium gentium. Lib. VIII. pag. 511), daß man die geiſtlichen Gefänge der 
Evangeliſchen nit bloß in Ringen und Schulen, ſondern aud in Häufern und 
BVerfftätten, auf Märkten, Gaſſen und Feldern erklingen höre. So hat der evan- 
geliſche Kirchengeſang auch „die Weiſen der Volkslieder ihrer alten Beſtimmung 
entzogen und einer neuen, veineren geweiht; fo wuchs das Heilige in das Voltsmäßige, 
und diefes hinein in jenes.” (Winterfeld.) 


Bergt, Auguſt, geboren am 17. Juni 1772 zu Dederan bei Freiberg als 
der Sohn des dortigen Stadtwufilus, von dem er den erften Muſikunterricht erhielt. 
Auf der Kreuzſchule zu Dresden erlangte er jeine Gymnaſialbildung und ſetzte 
daneben auch die Mufilftudien fort. Bon 1790 am beſuchte er, zum Theologen be⸗ 
ſtimmt, die Umiverfität Leipzig, entfhloß ſich aber dann ganz zur Muſik überzugehen 
und bildete ſich in Leipzig namentlich in der Kompofition und im Orgelipiel aus. 
1802 wurde er al Organift an die Petersficche zu Baugen berufen, wo er zugleid 
am Lehrerſeminar als Mufiffehrer wirkte. Er ftarb zu Bautzen am 10. Februar 


') Cr hat umter dem im Tert angeführten Titel eine ganze Sammlung ſolcher Um: 
dichtungen, Frautſurt a. M. 1571 Herausgegeben; eine andere ähnliche Sammlung in wieder 
deuticer Sprache von dein Prediger Hermann Veſpaſius in Stade erffien 1571 zu Lührd. 


S$. W. Berner. 155 


1837. — Bon feinen zahfreihen Kompofitionen find hier folgende Kirhenwerte zu 
verzeichnen: 

Chriſtus durd Leiden verherrlicht. Oratorium. Op. 10, Leipz. Hofm. — 
Herr Gott did) loben wir. Für 4 Singftn. Blasinftr. u. Orgel. Op. 13. Daf. 
— Hymnus („So weit der Sonne Strahlen“) für 4 Sſtn. u. Ord. Op. 17. 
Daf. — Ofteräymaus („Chriftus ift erflanden“) für 4 Sftn. u. Orh. Op. 18. 
Daf. — Te deum laudamus für 4 Sftn. u. Ord. Op. 19. Daſ. — Ger 
Fänge refigiöfen Inhalts für 4 Sfin. ohne Begl. 1. Heft. Daj. — Der 
Staube. Kantate für 4 Sftn. mit Or. Meißen, Gödſche. — Schmedet und 
fehet! Kantate nebft adht Gefthorälen von 9. W. Stolze. Meien, Gödfhe. — 
Neue Choralmelodieen zum Baugener, Dresdner und Zittauer GB. (Mit 
€. €. Hering). Zittau, 1837. Virr. (Enthält auf 15 ©. qu. 4°. 12 vierft. 
Shoräle, 7 von Vergt, 5 von Hering fomponiert). — Die driftlihen Felte. 
Leicht ausführbare Kantaten für 4 Sftn. u. Orh. Nr. 1-10. 4°. Meißen, 
Godſche — Grabgefänge für S. A. T. u. B. (10 Arien und 3 Motetten.) 
Daf. — Unterhaltungen für Orgeffpieler. Dal. — Sämtliche Orgeltompofitio- 
men. Ausgewählt und geordnet von C. Geifgler. Dit B.s Porträt. Daj. — 
Schriften: „Etwas zum Choral und defien Zubehör. Zunähft für Schullehrer- 
feminare.” "Leiyg. 1832. 8°. — „BVriefmwedfel eines alten und jungen Schul: 
meifters über allerhand DMufitalifces.“ Zittau u. Peip. 1838. 8%. (Mit 8.5 
Biographie.) 





Berner, Friedrich Wilgelm, Organift in Breslau, war am 16. Mai 1780 
daſelbſt geboren und wurde von feinem Vater, der ebenfalls Drganift war, in der 
Mufit unterrichtet. Brühe fonnte er öffentlich als Klavierſpieler auftreten und ſchon 
1790 wurde er nod als Schüler Organift an einer Kirche feiner Vaterſtadt. Gleich 
wohl ſtudierte er eifrig weiter, ging 1800 zu dem berfijimten Türk nad) Halle und 
bemugte auch die freundſchaftüche Veihülfe K. M. v. Webers, der 1804-1806 
Thenterfapellmeifter in Breslau war, zu feiner mufitalifhen Fortbildung. Cr wirkte 
dann erfofgreih als Organift an der Cüſabethtirche und Muſitlehrer an der Univerfität 
und dem Lehrerfeminar, und wurde fpäter auch Direltor des Injtituts für Kirchen- 
mufil. Sein Schliler war Ab. Heffe. B. farb zu Breslau am 9. Mai 1827. — 
An Kirchenlompoſitiouen find folgende von ihm erſchienen und zum Teil fehr beliebt 
geworden: 

Kantate zum Bibelfeſt („Dein Licht, Herr ftrahft”). Für 4 Sſtn. mit 

Orch. Bresl. Weinholg. — Kantate zur Beier des allgemeinen Friedens von 

©. ©. Bürde, 4 u. Sftimmig mit Orh. Dal. — 3 Kantatinen religiöfen 

Inhalts für 4 Männer od. 4 Singftn. mit Orch. Daſ. (Nr. 2. „Gott Vater 

fei gepriefen.” Neue Ausg. Brest. Leudart), — Hymne, „Der Herr ift Gott“ 

für 4 Mftn. mit Blasinftr. ad lib. Brest. Oroffer. (Zweite Ausg. neu inftrum. 
von W. Third. Peip. Leudart.) — Palm 150. Für 4 Sftn. mit Ord. 

Brest. Leudart. (Zweite Ausg. für Mor. od. gem. Chor, Soloftn. Or. u. 

Sm Leipg. Lendart). — Theorie der Choralgwifgenfpiele. 4 Hefte. Bresl. 


156 Chr. Bernhard. Bernhard der Dentfche. 


Bernhard, Chriftoph, Kapellmeifter in Dresden, der legte und bedeutendfte 
Schuler von Heinrich Chig, war 1627') als der Sohn eines armen Schiffere zu 
Danzig geboren, und erhielt im dortigen Sängerchor den Unterricht des Kapellmeifters 
Valth. Erben und des Organiften Paul Syfert. Dann ging er zu Schut nad 
Dresden, wo er 1648 „Mufitus und Sänger" in der Kapelle und 1655, nachdem 
er zweimal in Italien gewefen war und Hier namentlich, Cariſſimis Unterricht genoſſen 
Hatte, Vigefapellmeifter wurde. 1664 übernafm er als Thomas Selles Nachfolger 
die Stelle eines Kantors am Johanneum und Muſildireltors der Hauptlirhen zu 
Hamburg, tehrte aber 1674 als Prägeptor der Bringen wieder nad) Dresden zurüd, 
erhielt 1676 aud feine Bizefapellmeifterftelle wieder und wurde 1679 überdies noch 
zum Geh. Kammerier ernannt. Nachdem er 1681 mod wirklicher Kapellmeifter 
geworden, ſtarb er am 14. November 1692 im 65. Lebensjahre. — Bon feinen 
Werken find nur wenige im Drud erjcienen; im Vaftr. befügt die Königl. Bibl. zu 
Berlin eine Anzahl Kirgenftlcde von ihm, die zum Teil zweichörig und mit Im: 
ftrumental- und Orgelbegleitung verfehen find. Hier ift nur zu nennen: 

„Geile Sormanicen, efter Tel, befchend in Gongerten für zuey drep 
vier und fünf Stimmen.“ Dresden 1 Wolig. Seyffart. gr. 4. Er 
war einer der Hauptntitarbeiter bei —— des Dresdener G.B. von 1676. 
Bal Winterſeld, Ev. K.G. II. 540 ff. 








Bernhard der Deutfche, eine jener Perſönlichteiten in der Mufitgejhicte, 
mit deren Namen die Tradition eine wichtige Erfindung unzertreunlid verbunden 
Hat. Bernhard war Organift an der Marlustirhe in Venedig und fol um 1470 
das Drgelpedal erfunden Haben. Nach den Verzeigniffen der Organiſten beider 
Orgeln von San-Marco, wie fie v. Winterfeld und Caffi?) veröffentlicht Haben, 
find zwei Organiften dieſes Namens dort angeſtellt gewefen: Mijtro Bernardino, 
am 3. April 1419 ernannt, und als fein Nachfolger: Bernardo di Stefanine 
Murer vom 15. April 1445 am, und Fetie?) Hat wohl recht, wenn ex den 
zweiten derfelben für Bernhard den Deuticen hält. Bon ihm wird berichtet, daß 
er auf die Idee kam, am den breiten Taften des Voftlaviers der Orgel Seilſchlingen 


+) Nah Walter und Matthefon, Ehrenpforte. S. 18 u. 19 haben alle Lexila 1612 ale 
Geburtsjahr, während Fürſtenau, Zur Geſchichte der Mufit in Dresden. I. S. 3%, nad ardiv. 
Duellen 1627 angiebt, ofne Übrigens „unbedingte Rictigleit zu beanfprude 

) gl. v. Winterft, Gabriefi nd fein Zeitalter. Bel, 1894. I. ©. 108 und Frances 
Caffi, Storia della Musica sacra nella giA cappella ducale di San Marco in Venezia 
dal 1318 al 1797. Benedig 1804 f. 

%) Biogr. des mus. I. 1860. S. 874. Auch v. Dommer in der „Allgem. deuten 
Biogr. IT. 1875. ©. 455 meint, daß dies „mögligerweife unfer E. if,” färeibt übrigens, wohl 
infofge eines Drudfehters „Nured" fatt „Durer; Mnbing, dendinchein fir Orgefrice 
1872. ©. 4 hat gar „Murad“, 








2. Fr. Th. Berthold. 9. Berthold. 157 


zu Befefligen umd diefe, mit den Füßen hineintretend niederzugiehen.‘) Damit war 
allerdings eine für die Entwidlung des Orgelfpiels folgenreihe Erfindung gemadt; 
„man fonnte nun die alte ungefüge Mlaviotur dem Spieler zu Füßen legen und 
ieinen Händen eine leicht zu behandelnde, mit ſchmalen, nicht durd breite Zwiſchen- 
raume getrennten Taften bereiten, jo daß ihm von da an die Löſung höherer und 
felbftändigerer Aufgaben anzuftreben möglich war, als nur die Sänger im Tone zu 
halten. ”*) Allein die neuere Forfhung Hat nachgewieſen, daß das Pedal in Deutſch- 
land ſchon vor 1430 befannt war, und fo Hat mohl der alte Prätorius®) das 
Richtige getroffen, wenn er Bernhard dem Deutſchen nicht die Erfindung, fondern 
nur die Einführung des Pedals in Italien zuſchrieb. Vgl. auch den Art. „Pedal“. 


Berthold, Karl Friedrich Theodor, Organiſt in Dresden, wo er am 18. De. 
1815 geboren wurde. Cr made feine Studien in der Kompofition unter Julius 
Ditos und Reifigers Leitung und im Orgelfpiel war er des berühmten dohann 
Schneider eifriger Schüler. Nachdem er feine Studien abſolviert Hatte, ging er 
1840 als Mufttlehrer nad Chartom in Rußland, kam 1849 nad Petersburg, 
wo er 1852 Drganift und Mufildireftor an der protefiantifhen St. Annalirche 
umd 1861 daneben Profeffor der Kompoſitionslehre bei der Tail. Gängerfapelle 
wurde. Im der Kirchenmiufit entwidelte er während feines Aufenthalts in Rußland 
die bedeutenbfte Thätigleit: er ſchuf einen proteflantifhen Rirhengefangverein und 
bildete einen Chor heran, mit dem es ihm fpäter gelang, große Chorwerte mit Erfolg 
öffentlich aufzufügren. 1864 wurde er als Nachfolger feines Lehrers Johann Schneider 
Drganift am der evangelif en Hoflirche zu Dresden, und als folder ſiarb er am 
28. April 1882. — Bon feinen Werten find hier zu nennen: 


Das Dratorium „Petrus“, eine Frucht des innigften Studiums Bachſcher 
Werte; 2 Motetten für gem. Chor. Op. 33 u. 34. Dresden, Meinhold. 





Berthold, Hermann, lebte als Kantor und Muflfdireltor der Kirche St. Bern- 
hardin zu Breslau, wo er am 20. März 1879 geftorben ft. Bon ihm iſt an 
geiftiger Mufit gedrudt: 





sieae artis virum omnium, qui unquam fuerunt, sine controversia pracstantissimum 
Plures annos Venetiae habuerunt Bernardum cognomento Teutonem, argumento 
gentis, in qua ortus esset: omnia Musicao artis instrumenta scientissime tractavit; 
Primus in Organis auxit numeros, ut et pedes quoque jurarent concentum 
funieulorum attractu: mira in eo artis eruditio, voxque ad omnes numeros acco- 
modata, numinis providentia ad id natus et unus esset, in quo ars pulcherrima omnes 
vires experiretur suus. — Prätorius, Synt. mus. 1..©. 145. Sortel, Geſch der Muf. II. 
S. 724. Sponfel, Orgelhiſtorie $ 22. 

2) Bol. Ambros, Gejg. der Mufit, IT. ©. 439. 

®) &r fagt nämfih, Synt, mus. II. ©. 96 ganz beftimmmt, daß B. um 1470 das Pedal 
‚aus Deutfeplandt gen Benedig in Jialiam gebradit.” 





158 A. ». Bertſch. Beſchränkt ihr Weifen diefer Welt. 


Op. 4. Geiftfihes Chorlied mit Orgel. Brest. Leudart. — Op. 5. Ihr 
¶Voalmen zu Bethlehem. Weihnadjsgef. für Sopranfolo, gem. Chor u. Orgel. 
Daf. — Op. 11. Pfolm 137. Der gefangenen Juden Kiagelied. Für Altfolo, 
Chor u. Orgel. Brest. Hiengfä. — 2 geiftliche Lieder für Soloftn. Chor u. 
Org. 1870. 


Bertſch, Albrecht Peter, Komponift geiſtlicher Lieder, von dem eine Choral- 
melodie zu Gerhardts „Sollt id meinem Gott nicht fingen“ in Württemberg allge: 
mein beliebt wurde. Er war am 21. April 1758 zu Eplingen geboren, lebte dajelbft 
als Prägeptor und Mufildireltor am Lyceum und farb am 12. Auguſt 1820. — 
Die von ihm erfundene Chorafmelodie heißt: 


4 + = — — — 
eg Frese: 
Gott, mein Gott, dir will ich fin-gen, deines Heils will ich mid freun! 
(Denn ih ſeh in al—len Dingen: Got «tes bin id, Gott ift mein! 












































o R = s 
— — — — — 
ie-ben ie, nichts als Lie - ben, Fa le de Barmerejla +, die fo 


= ES 
⸗ — — 


* 
Oft und viel ver» zeiht. Gere ich will dich wig Fierbent Al ler, 


# — 2 
— * 
* = >> F- —— — 
ale ler Engel Schar fünf duz und zählt mein daar. 


Cie ſtammt fpäteflens aus dem Jahr 1807 und wurde erftmals gedrudt in 
„Bierftimmige Gefänge der evang. Kirde." Stuttg. 1825, einer Stimmenausg. 
des Württ. Ch.-®. von 1828, in dem fie ©. 56. Mr. 136 wieder erjdeint; 
aus dem Wirtt. Ch.-B. von 1844. Nr. 198 ging fie dann aud in das 
Drei Kant-ÖB. ©. 43—44. Nr. 22, in Szadromstys Ch.-B. dazu ©. 22 
u. in das Schaffh. G.B. 1841. Nr. 298. ©. 26—29 über. Zwei andere 
geiftfiche Lieder von Vertfd bei Dölfer, Geiftl. Lieder mit Mel. Stuttg. 1876. 
©. 146. Nr. 97 und ©. 166. Nr. 108. 























































































































Beſchränkt ihr Weifen diefer Welt, Choral aus „Des evangelifgen Zions 
muſikaliſche Harmonie, oder Evang. Choralbuch“ von Kornelins Heinrich Dregel. 
Nürnberg 1731, der bei Layriz, Kern II. Nr. 373. ©. 13 heißt: 


= 











re: Se 
Beſchrantt ihr Wei · ſen die + fer Welt die Freundſchaft im- mer auf die 
(Und feug » net, daß w Gott gesfellt zu des men, die ihm nicht er⸗ 









































Beſchränkt ihr Weifen diefer Welt. 


























— = E Eee: = — 








Giti · gen. 
a en: 


it Gott ſchon al «les, und ich nichte, ih Schat- ten, 























— 


— — 











Fee 








e 


der Duell des Pihts, er noch fo Mark, ich 


nos fo blö «de, 











— 2 











Spree 


— 














er noch fo rein, id mad fo ſchuöde, 


= 


er noch fo 


— 
groß, ih noch jo 





























Ge er zer 





E 








= 





Hein: mein Freund ift mein und ih bin fein! 
Eine zweite Weiſe findet ſich zuerft zu „Mein Heiland nimmt die Sünder 

= Hei Thommen, Chriftenfhag. Bajel, 1745 (pl. Zahn, Euterpe 1878. ©. 27), 
bei Chrift. Gregor, Choralbuc, der evang. Brüdergemeinen. 1784. ©. 175. 


217 


a. U. Blüher, Ch-B. 1825. Nr. 303. U. W. Vnd, Ch. 





1530. 


171. Layriz, Kern II. Nr. 256 und Ludwig Erf, Ch.-®. 1863. ©. 158 f. 
192 verwendet diejelbe zu dem Lied: „Noch Heut ijt Gott mein treuer Gott’ 
dem Berliner GB. 1829; fie heißt: 























* 








— — 














od Gent, iR, Gett meinten cr Gott! Soll mis) von ihm die Zrib fl ide 
Rodsfäredt mich, fei» nes Spötters@pott, mod iM er mir ein Onellder ren 
































ift mein Troft, mein Rat, mein Licht, der 





Bet» fen mei + ner 














5 


Bir vere fit, der Breund, dem ich mic) ga 
> m 


























Der = 





3 er ge— de, in Def fen Huld ale 





fin ig Te > be, in dem wmeingam- zes Werfen rubt, 





= 














— — —— 











der nichts mir je zur 














=: — = 














— nut, ber nichts mir je zu - lei» de thutl 


160 -  Befhwertes Herz, leg ab die Sorgen. 


Noch eine Dritte Weife aus dem Straßburger CH.-B. von 1809 Hat das Ch.-B. 
für die evang. Gemeinden Frankreichs. Straßb. 1851. ©. 13: 


Meurer 
f + 2 I 
Ss * =? 2 


Berfhränkt ihr Weir fen die fer Welt die Freund / ſhaft im - mer 
Und Teug «met, daß ſich Gott ge > fellt zu des men, die ihm 


























































































































# gi 

Ei — E==H# pP 
— IM Gott ſchon al les und id nichts; ich 

ee Zi 

Kr Fre 


























Schat · ten, er der Quell des Lichts; ich Erd und Staub, er Ho er » Ha- ben; 


Be — — 


ich arm, er reich an al-Im Gaben; ich ſun-den - voll und 










































































EN 5 
ef + ————— a ae: = 


























ex gang rein: Mein Fremd if mein und id Bin fein. 


Beſchwertes Herz, leg ab Die Sorgen, Choral aus K. H. Dretels Choral- 
buch. Nürnberg 1731, aus dem ihn Layriz, Kern IT. Nr. 150. S. 10 mitteilt 
wie folgt (in ehoas anderer Foſſung auch Elberf. Luth. GB. 1857. Nr. 149. 
©. 13%): 


























Ze 


























—— — 
(Befäwerstes Herz, leg ab die Sorgen, er + be be dich, ge» beugrtes Haupt! 
Es Tomımtder am» ger meh-me Morgen, da Gott zu rmehen Bat er «Taubt, 































































































—— — Ben! 
— —— * —— == 3E J 
da Gott zu ru⸗ Gen hat be-fohelen und felhfl die Ru-Ge ein- gemeibt 
— = + = 
ee} — — — Feet 























auf, du Haft viel ver- lor me Zeit im Dien-fle Got- tes ein - zu » Bo + Im. 


Sonft wird zu diefem Liede, z. V. im Wirkt. Ch.B. 1844, die Melodie „Mein 
Iefu, dem die Serapfinen‘‘ (og. den Art.) verwendet. 


8. Besler. W. T. Beſt. J 161 


Bester, Samuel, ein fleißiger Tonfeger der evangeliſchen Kirde, der am 
15. Dezember 1574 zu Brieg in Schleſien als der Sohn des Neftors der dortigen 
@angelifgen Säule geboren war. Nachdem er feine Studien in Breslau vollendet 
hatte, wurde er 1599 Kantor und 1605 Reltor des Cymnafiums zum heil. Geift 
dafelbft, ftarb aber ſchon am 19. Juli 1625 an einer epidemiſchen Kranfgeit. — 
Seine Kirhenmufitwerle find: 
1. Kirchen: und Hauf-Mufila geiftlicher Lieder. Auff den Choral x. mit 
4 Stimmen geſetzt und komponiert. (Concentus ecelesiastico-domesticus). 
2 Teile. Brest. 1618. 4. Ehliche PBialmen und Geiftliche Lieder in ihrer 
gewöhnlichen Melodey auff 4 Etimmen. 1619.) Mit 119 $iedern. — 
3. Citharae Davidicae Psalmorum selectiorum prodromus etc. 1620. 
Fol. — 4. Mehrere Werke für Paffion und Oftern. Vgl. Fetis I. ©. 395. 
Sein jüngerer Bruder, Simon Bester, war Kantor zu Stechen, und von 
1620 am zu Liegnig, wo er 1638 ſtarb. 


Beſt, Wiliom Thomas, ein englilher Organift der Gegenwart, der bei feinen 
Landoleuten in bedeutendem Anfehen fteht. Er ift am 13. Auguft 1826 zu Carlisle 
geboren und erhielt zwar ſchon als Knabe Unterricht im Klavier: und Orgelfpiel, 
jofte jedoch Civilingenieur und Architekt werden. Aber er fand an diefem Beruf fein 
Gefallen und wendete fih 1840 ganz zur Mufil. Durch Selbſtſtudium ſuchte er ſich 
in allen Teilen des Orgelfpiels zu vervollfommnen und erreichte aud) ein ſchdnes Ziel 
der Fertigkeit, mamentlih auf dem Pedal. Bis 1852 war er Organift in Liverpool, 
dann bie 1855 an mehreren Kirchen in Sonden; 1855 nach Liverpool zuelidgefehtt, 
lebt er feitdem dort als Organiſt an der großen Orgel von St. Georges Hall und 
der Musical Society. Bon feinen zahfreihen Werfen, die wenn fie aud nicht 
immer deutſchen Anforderungen in Bezug auf flilgemäßes Drgelfpiel entſprechen, 
dod) immerhin verdienftvoll find, feien Hier genannt: 

1. The modern School for the Organ. Lond. 1853. — 2. The 

Art of Organ-Playing. Part. I. No. 1—65. Part. II. No. 66—208. 

Lond. 1870 ff. — 3. Arrangements for the Organ from the Scores 

of the Great Masters. 5 Vols. 100 No. Lond. Novelle. — 4. Col- 

lection of Pieces for the Organ. 6 Livr. 36 No. — 5. Originafwerfe: 

Fantasia; Fantasie-Etude E-dur; 6 Concert Pieces; Sonata G-dur; 

3 Preludes and Fugues; 30 progressive Studies, — 6. Handel- 

Album. 5 Vols. Lond. Augener. — 7. Handels Six Organ Concertos. 

— 8. Kirgenmufit: 8 Services, teihweife mit Orgel; 5 Anthems; 3 Hym- 

nen für Chor und Orgel; 80 Chorals. 3. Aufl. Lond. Novello. — 

9. The Psalter, printed and adapted to the ancient ecdlesiastical 








3) Diefe Patmlieder follen nad Döring, Ehoraltunde. S. 134 merhwürdigerweiſe zu Neu 
fradt am Der Hardt erſchienen fein. Auch Schauer, Gef. der Bil-Eiräl. Dicht. u. Tonlunſt. 
1850, S. 496 hat diefen Ort, dagegen nennt er nicht Qeöler als Verfaffer. Fet 
verzeichnet das Wert gar nicht. Rach Döring enibielt es 110, nad Schauer 119 Lieder. 

Kümmerle, Cachti. d. ang. Rirdenmufl, 1. 11 





162 Ch. 5. 2. Senerlein. Joh. 6. 8. Bentler. 


Chant. Lond. Novello. — 10. Chants for four Voices by the Church 
composers of the 17. 18. and 19th centuries, with organ accompa- 
niment. 4°. Dal. 


Beuerlein, Cpriftian Heinrich Ludwig, ift Hier als Komponift einer Chorat- 
melodie zu nennen, die im Wurttembergiſchen im Kirchengebrauch if. Er war amı 
10. September 1773 zu Kirchberg a. d. Jart im Hohenlohiſchen geboren und wirkte 
daſelbſt von 1796-1847 als Schulmeiſter und Kantor; naddem er am 29. Juli 
1846 fein 5Ojühriges Amtsjubilium gefeiert Hatte, trat er in den Ruheſtand und 
farb in hohem Alter am 3. Oftober 1856. — Folgende Melodie, die nad Koch, 
Geſch. des KR. VI. ©. 483 ihm als Erfinder zugehört, wurde,, weil fie im 
Hohenlohiſchen allgemeinen Eingang gefunden, in das Württ. Ch... von 1844. 
Nr. 88h. (Bierft. Choralmel. ©. 130. Nr. 195) aufgenommen : 

















—— 


wir find Gier, dei nem Worste nad zu + de ben; 
Die-fes Kind- fein Tommtzu dir, weil du den Befehl ge + ge» ben: 









































A ee 





























— — 
ſen, de» nen dur dein Reich ver · hei · Ben! 











Brürbe fie zu die 


Nach Faißt, Württ. Ch.-B. 1876. ©. 226 wäre jedod) der Komponift dieſer Melodie 
der Vater des genannten, Joh. Georg Mic. B., „geb. 1743 zu Kirchberg a. d. 
Iart im Hohenlohiſchen, von 1764 bis zu feinem Tod 1815 Shullehrer („Prö- 
zeptor"), Organift und Mufitdirektor dafelbft", gewvefen. Die obige Melodie zu 
dem urfprünglichen Tert „Deine Seel ermuntte di“ Habe er „um 1775“ fomponiert. 


zu 


Beutler, Johann Georg Bernhard, war am 17. Mai 1782 (nad Koch, 
8. VI. ©. 481 „1762°) zu Mühlhauſen in Thüringen geboren und erhielt 
dajelbft von früher Jugend an Unterricht in der Mufit, namentlich im Drgelipiel. 
Später ftudierte er zu Halle Theologie und wurde dann 1807 Konreltor am Gym 
nafium und Organift an der Hauptlirde Beatae Mariae Virg. feiner Baterftadt, 
wo er jedoch ſchon am 14. April 1814 ftarb. Cr gab Heraus: 

Neue chriſtliche Lieder von H. G. Demme. Mit vortreffligen alten 
Melodien deutiger Tonfeger für das Pf. und die Orgel ausgefegt. Gotha 
1799. qu. Fol. VI. und 80 ©. 56 Vieder mit HL vorgedrudten vierft. 
Melodien. 2. Ausg. Gotha 1807. Fol. (vgl. v. Winterfeid, Ev. 8.-©. TIL 
©. 329). — Unter diejen Melodien find 32 von Zoh. Rudolf Ahle, die 
übrigen von Joach. v. Burk, Joh. Eccard und einige (laut Vorrede) von B. 
jelbft. Cine diejer Iepteren, Nr. 45. ©. 65 zu „Ich finge dir mit Herz 
und Mund“ (vgl. den Art.) nahm K. ©. Umbreit, Alig. CH.B. 1811. Rr. 
185. ©. 96. Yudww. Ert, Ch. B. 1863. Nr. 135. S. 111 (©. 253) u. a. auj. 


oh. $. Seyer. Kezifferung. 163 


Eine weitere Choralmelodie, die ihm wahrſcheinlich ebenfalls zugehört, vol. 
im Art, „Auferftehn, ja auferftchn.” — Bon feinen Orgelwerfen finden fih: 
Fuge G-dur, und Fuge über den Namen Bad) bei Körner, Orgelvirtuos. 
Nr. 208. 209. 


Sein Neffe, Benjamin Friedrich Beutler, war am 2. Deyember 1792 
zu Müpfpaufen geboren und dafelbft Schüler feines Oheims, deffen Nachfolger als 
Orgamift er 1814 wurde. Gr farb als Komreltor des Gymmafiums und ftädtifcher 
Mufifdirettor zu Mahlhouſen am 2. Ianuar 1857. — Gemeinfaftlic mit dem 
Organiften Georg Chrift. Hilbebrand Hat er herausgegeben: 
Shorafmelodieen zum Mühlhäufer Geſanghuch x. Muhlh. 1834. 8%. 
XXVI. und 106 ©. 221 Choralmelodieen. 


Beer, Dohann Samuel, Kantor und Mufildirelter in Freiberg, war 1669 
zu Gotha geboren und lebte von 1697 an als Kantor zu Freiberg, wurde dann 
1722 Scultollege zu Weißenfels, worauf er 1728 in feine frühere Stellung nad 
Freiberg zurüdtehrte, die er num bis am feinen Tod, der am 9. Mai 1744 zu 
Karlsbad erfolgte, innehatte. Er gab 1716 und 1719 unter dem Titel „Mufi- 
ialiſcher Vorrat“ ein Orgelchoralbuch in drei Teilen heraus, in dem gewöhnlich zuerft 
der Choral als Allabreve in der zu jener Zeit üblichen Form gegeben ift und dann 
fogenannte „Beränderungen“ über denjelben folgen, die meift aus einem figurierten 
Bag mit der einfachen Melodie, oder Verkräufelungen der Melodie mit einem ein- 
jacen Baß, oder Figurierung der beiden Stimmen beftchen, und zumäcft zu Finger: 
äbungen für Anfänger, dann aber auch dazu beſtimmt find, „daß man einen ſhönen 
variierten Choral manierlic und gefcikt fpielen lerne, wie 8 von wohl erer- 
gierten Orgamiften beim Gottesdienfte fih vergnügt zuhören laſſe.“ Der Bor- 
bericht des Verfaſſers giebt über die Beſchaffenheit des Choralfpiels im beginnenden 
18. Dahrhundert intereffante Auskunft.) — Diefes Choralbuch it: 

Muſilaliſcher Vorrat new-variierter Choral:Gefänge auf dem Klavier, im 

Kanto und Baſſo zum Gebraud fo wohl beym öffentlichen Gottesdienft als 

beliebiger Hauß-Andact. Berfertigt und mitgeteifet von Johann Sammel Beyer, 

Cantore und Chori musiei Directore in Freyberg. Zu finden beym Autore.“ 

Exfter Teil. 1716. II. m. 115 ©. HM. qu. Fol. 33 Choräle (Feftlieder). 

Ander und dritter Teil. 1719. 172 ©. U. qu. Fol. 46 Choräle (Ratedismus- 

und Pfalmtieder; Zeitlieder). IV ©. Regifter u. Errata, 


Bezifferung nennt man die Darftellung 1. des harmoniſchen Inhalts eines 
Tomfiüde, 2. der Melodie eines Liedes durch Ziffern, flatt durch die gewöhnliche 
Noienſchrift. 

1. Die Begifferung, welche den harmoniſchen Inhalt, die Affordfolge 
eines Tonftücs darftellt und ſich nicht mur in allen größeren geiſtlichen und welt- 





) Cine bezügliche Stelle aus dieſem Vorbericht vol. bei Winterfeld, Zur Geld. Keil. 
Zontunf. Leipzig, 1800. ©. 242 148. 


ur 


164 Kibelregal. Biffara, Bifra, Kifar. 


lichen Muſitwerlen des 17. u. 18. dahrhunderts, ſondern auch in ſämtlichen Choral- 
bücern vom Ende des 17. Dis. gegen Ende des 18. Jahrhunderts über der Grund 
oder Baßſtimme, dem Generalba jedes Stüdes und jedes Chorals findet, foll im 
dem Art. Generalbaß näher beſprochen werden. 

2. Die Verwendung der Ziffern zur Darftellung der Melodie, haupt- 
ſachlih beim Liede, aud beim Kirchenliede, zum Zwede, dem nicht mufitaliſch 
Gebitdeten die Auffaffung und inmere Anfhauung der Tonfolge einer Melodie zu 
erleichtern, findet man in dem Art. Tonzifferfrift behandelt. 


Bibelregal, ein 1575 von dem Orgelbauer Roll in Nürnberg erfundenes 
Meines Regalwerk oder tragbares Pofitiv, etwa der Heinften Form des jegt beliebten 
Harmoniums ähnlich. Seinen Namen hatte es daher, daß c&, in feine Blasbälge 
zuſammengelegt, wie eine große Bibel ausfah. Man tonnte es in einem Käfthen 
bequem mit ſich führen und verwendete es wohl ganz fo, wie jetzt das Meine Har- 
monium zur Begleitung des religiöfen und weltlichen Gefanges in Heineren Ber- 
fammCungen. 


Biffara, Bifra, Bifar, — Tibia bifaris, d. h. doppelfpredende Flöte, ift 
eine Labialſtinime 8° und 4° der Drgel, die gegenwärtig fait mar von Walder und 
einigen feiner Schüler disponiert wird, während die norddeutſchen Orgelbauer die ihr 
aähnliche ‚ Unda maris“ (vgl. den Art.), die Frangofen aber die ebenfalls ähnlich 
eingerichtete „Voix celöste* (dgl. den Art.) an ihre Stelle jegen. Die ältere 
Bauart der Biffara, die aud unter dem Namen Piffaro') vorfam und deshalb von 
Adlung für eine Schalmey gehalten wurde, wird fo beſchrieben: „Die Pfeifen 
Haben Principal-Menfur, werden aber unten an den Fußen gededet, und ihnen 
daranf eine jehe Heine Offnung gebohrt. Auf einen jeden Clavem werden deren 
30 geftelfet, abet chvas ungieich geftimmet, daf eine Schreebung herausfommt. 
Es (se. das piffaro) läßt ſich mm durd die zwo obern Oftaven maden. Im den 
zwo untern Oltaven betommt es eine ftille (Flöte, damit man dieſes Regiſter 
durch das ganze Klavier allein fpielen kann, wenn die Drgel nur ein Klavier hat. 
Es muß fehr langfanı gejpielet werden und dienet anſtatt des Tremulants zur 
Trauer, Die Anmuth und Fieblicfeit des Thones läffet fih wohl empfinden, aber 
nicht beſchreiben.“?) Nach ihrer jegigen Einrichtung bei Walder?) u. a, iſt dieſer 
Stimme als charalteriſtiſches Merkmal die Tonſchwebung geblieben, und befteht fie 
unten — C—h, oder auch bis f und fis — aus Holzpfeifen mit doppelten Labien und 

4) Diefe Benennung beruht offenbar auf einem Mißperftäudnis. ber eine Slötenftimme, 
die als Piffero 8° 1. 4’ bei norddeutffen Orgelbauern fid) findet, dgl. den Art. „Biffere“. 

?) So beffreibt die Stimme Sponfel, Orgelhiforie. Nürnb. ©. 100. 

%) Walder Hat die Biffara in feinen großen Werten öfters zweimal, jo Stiftstirdje, Stutt- 
gart Biffara 8° im I. u. II. Man.; Konzertorgel, Bofton, im III. Man. 2fadı 8° u. 4 — 
und im IV. Dan. Yah 4° u. 2. 








6. Sr. Billroth. M. Biſchoff. Bisher habt ihr nichts gebeten 1. 165 


erhäft erſt von C oder g am aufwärts 2 Chöre Zinnpfeifen, von denen der eine 
Chor Sfühig (reip. 4) umd gededt, der andere A-füßig (refp. 2°) und offen if‘) 


Billroth, Dr. Guftav Feiedrih, geboren am 17. Fehruar 1808 zu Lubed, 
ipäter Profeffor der Theologie zu Halle, wo er [Gen am 28. März 1836 ſiarb. 
Er Hat als einer der erflen im feinen „Beiträgen zur wiffenfchaftlicen Kritit der 
Herefchenden Theologie. Leipzig 1831 die Wiederherftelung des Originaltertes der 
wangelifgen Kirchenlieder als unerläßliche Forderung aufgeftelt, und im gleihen Jahre 
geme inſchaftlich mit ©. F. Beder (vgl. den Wet.) die bei diefem näher bezeichnete exfte 
Sammlung alter Choräfe in ihrer urfprüngliden Geſialt Herausgegeben. Auch feine 
„A6Handkung zur Gef). der proteftantifchen Kirchenmuft“. Berl. Mufit-Zeitg. Bd. 7. 
Nr. 51. 52 ift wertvoll. 


Biſchoff (Episcopus), Melchior, Tonfeger und Fiederfomponift der eban 
gefifchen Kirche, war am 20. Mai 1547 als Sohn eines Schufters zu Pöpned im 
Dfterlande geboren. Er wurde zuerft Lehrer an der Stadiſchule zu Kudolftadt, dann 
Kantor zu Altenburg und 1570 Diafonus in feiner VBaterftadt Pößneck. Infolge 
der philippifiigen Streitigleiten 1574 von dort vertrieben, wendete er ſich nad, 
Franken, wo er Pfarrer zu Gedenheim und 1579 zu Thundorff wurde. 1585 
durfte er auf feine frühere Stelle nad Pögned zurüctehren, und 1590 berief ihn 
der Herzog Johann Kaflmir als feinen Hofprediger nad Koburg. 15971599 
lebte er als Spezialfuperintendent zu Eisfeld und kehrte dann als Generaljuperintendent 
nach Koburg zurid, wo er am 19. Dezember 1614 farb. — Im den Koburger 
Gefangbügern von 1630, 1649, 1655 und 1660 finden fid mehrere feiner in 
Nitolaus Hermanns Manier gedicteten Lieder und von feinen Kirchenfompofitionen, 
in denen er fih als tätigen Konteapunftiften dofumentiert, zwei Nummern bei 
Bodenfag „Florilegium Portense* und im Gothaer Cant. sacr. 1646.) 





Bisher Habt ihr nichts gebeten in meinem Namen — Kantate zum 
Sonntag Rogate 1735 von Seb. Bad, mit dem Schlußchoral „Jeſu meine 
Freude" zu Strophe 6 („Muß ih fein betrübet”) des Liedes. Wusg. der Bad: 
Se. XXL. Mr. 87. 


H So nad; Frei im Württ. Orgelfpielbug. 1851. S. 16, während nach Lederle, Die 
Kirgenorgel. Freib. 1982. &. 147 die Biffera auch ganz aus Holzpfeifen mit doppelten 
Labien, alfo ald Doppelflöte gebaut wird. 

3) Den Namen fhreibt Koch II. S. 206 „Bifhoff‘, Fiſcher, Kirgen-Lieder-ter. I. ©. 48 
Biſchoff“ IL. ©. 430 „Bilhof”; Döring, Choraltunde, S. 135 „Bilhof“. 

®) Im Flor. port. Pars I. 1618. Ar. 49. die Motelte „Deus miserentur“ 8 voc., im 
Cant, saer. ein fünfftimmiger Ehoralfag. — Neu Gerausgegeben ift bis jet mur einer feiner 
Tonfäge, nämlich: Auf Teinitatis. Gott Water, Gott Sohn. 6 voc. 1646. bei Lüßel, Ehorgef 
Rr. 22. 5. 28 und bei Schocherlein-Riegel, Schatz UI, Nr. 300. ©. 769. 





166 €. 9. Bitter. Slarren. 


Bitter, Karl Hermann, von 1879—1882 preußiſcher Finanzminiſter, if hier 
wegen feiner Schriften über Joh. Seh. Bad; und feine Söhne als fleifiger Mufifigrift- 
fteller aufzuführen. Er wurde am 27. Februar 1813 zu Schwedt a. d. Oder als 
der Sohn eines höheren preußiſchen SFinanzbeamten geboren. Seine Schulbildung 
erhielt er in Berlin und beſuchte, da er für die Beamtenlaufbahn beftimmt war, von 
1830 am die Univerfitäten zu Berlin und Bonn. 1835 begann er feine amtliche 
Thätigteit als Referendar zu Potsdam, wurde 1838 Aſſeſſor und 1846 Regierungs: 
tat zu Frankfurt a. d. D., von wo er 1850 nad Minden überfiedelte. 1858 zum 
Geheimen Regierungsrat ernannt, lebte er 1860—1868 ala Generalinſpeltor der 
Rheinſchiffahrt zu Mannheim, ging 1869 als Oberregierungsrat nad; Pofen, ver: 
waltete während des deutfh-franzöficen Krieges (Sept. 1870—Iuli 1871) die 
Pröfettur des Bogefen-Departements zu Epinal, wurde 1872 Regierungspräfident 
in Schleswig, — wo er die SchleswigHolſteiniſchen Deufilfefte ins Leben rief, deren 
erſies 1875 unter jeinem Präfidium in Kiel ftatt Hatte, — 1876 Präſident der 
Regierung der Nheinproving; von hier kam er ins Minifterium nad Berlin, wo tr 
1879 zum Finangminifter ernannt wurde. — Yusgeftattet mit einer durd die Ber: 
haltniſſe weſentlich geförderten außergewöhnlichen allgemeinen Bildung, Hat fih 8. 
durch eifriges Selbftftubinm ebenfo bedeutende Kenntniffe in der Mufit und ihrer 
Wiffenfhaft zu eigen gemacht, die ihn befähigten feine Werke über Bad und feine 
Söhne, ſowie über die Geſchichte des Oratorium zu ſchreiben, von denen feine Bat 
Biographie allerdings durch Spittas großes Werk bereits weit überholt ift, während 
die andern ihren Wert behalten werden. — Diefe hier zu nennenden Schriften find: 

1. Johann Sebaftten Bad. Mit Portrait und 6 Küegrppierten F Et 

miles. Berlin 1865. Schneider. 2 Bde. XIL u. 452 ©. u. IV. u. 

gr. 8°, 2. Ausg. 4 Bde. Kaſſel 1881. — 2. Karl Philipp Emanuel und Wie 

Friedemann Bad) und deren Brüder. Mit Portraits und Saffımites, ſowit 

zahlreichen Mufitbeilogen. Berlin 1868. W. Müller. 2 Bde. XI. u. 350 ©. 

1. U. .u. 379 ©. gr. 8°. — Beiträge zur Geſchichte des Oratoriume, Berl. 

1872. Oppengeim. VII. u.504 ©. gr. 8°. mit 48 Seiten Notenbeilagen. — 

4. Geiftlige Lieder von Karl Philipp Emanuel Bad) mit Begleitung des Piano: 

forte bearbeitet, mit einer Vorbemerkung verfehen und Herausgegeben. Berlin, 

Simrod. 4 Hefte. 43 ©. Fol. mit 26 Liedern. — Eine Studie zum Stabat 

mater. Leipz. 1883. 8°. 


Blarren (Plärren), Bullern, find Ausdrüde der Orgelbauer, womit fie be 
finmte Fehler in der Intonation der Orgelftimmen bezeichnen. Blarren wird 
das ſchnarrende Geräufch genannt, das beim Erklingen eines Rohrwerles gehört wird, 
deffen Zungen die dem Windzufluß entfpregende Ciafticität mangelt, weil fie zu 
die find, oder mit ihrem freiſchwebenden Ende zu weit über die Rinne hervorragen. 
Ein weiterer mit Bullern begeichneter Intonationsfehler befteht darin, daß beim 
Anbfofen einer Zunge ein in feiner Höhe oder Tiefe nicht beſtimmbarer Ton, oder 
ein durch ſchnelle Abwechslung von zwei oder mehr Tönen entftehendes Gerauſt 


Bleibe bei uns, denn ı. Bleiches Antlitz ıc. 167 


zum Vorſchein kommt, weil die Zunge zu dünn, oder nicht vollftändig feſtgeſchraubt 
it. — Auch) bei Labialſtimmen zeigt fid) diefer Fehler, wenn die Röhrenwände einer 
Beife zu dünn, oder von fogenannten Sandlöchern durchbrochen, oder in der Naht 
nicht luftdicht gelötet find. 


Bleibe bei uns, denn es will Abend werden — Kantate zum 2. Oſter⸗ 
jiertag (2. April 1736) von Seh. Bad, über das Cvangelium vom Gang der 
zwei Junger nad) Emmans. Schon in der Mitte des Werkes bringt eine Sopran 
finme den Choral „Ad bleib bei uns Herr Jeſu Chrift“ als Cantus firmus, 
and als Schlußchoral ift „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ mit der zweiten 
Strophe („Beweis dein Macht Herr Jeſu Chriſt“) verwendet. Bol. Spitta, Bad). 
11. &. 554—556. Ausg. der Bach Geſ. I. Nr. 6. 


Bleiches Antlig, jei gegrüfzet, Choral. Dies Lied Riſts erfhien gleichzeitig 
mit einer Melodie von Heinrich Pape (vgl. den Art.) in Rifts „Baffions-Andadıten”. 
Hamburg 1648. Nr. 7. Bei Layriz, Kern III. Nr. 374. ©. 14 heißt diefe ur- 
ipränglige Melodie: 



































— 7 — 


A — 
—— ee A 
wel· he Schmerzen Got -1e8 Soh-ne feine Kro-ne ganz voll fharfer Dör-ner gab. 


Eine zweite Melodie bringt dann das Pineburger GB. 1686 (vgl. Bahn, 
Euterpe 1878. ©. 173), die mit der Chiffer , F. 8.“ bezeichnet, d. h. von dent 
dortigen Kantor Friedrich Fund (vgl den Art.) erfunden oder vielmehr nur aus 
der bei bei Joachim Neander 1680 als „befannte Melodie" vorlommenden Weife 
„Meine Hoffnung ftehet fefte" in die nadftehende Form umgearbeitet worden ift; 
diefelbe Hat fih aud) in Königs Harm. Liederſhat 1738. ©. DL erhalten und Heißt 
bei Jakob u. Richter, Ch.B. II. Nr. 547: 








ES 


ee ö ==: Mer = =: 
Gere Heiz 


wel «he Schmerzen Got-tes Soh ne feine Krone ganz voll (far-fer Dör-ner gab. 









































Über einige weitere Umbildungen diefer Melodie, unter denen auch eine ſolche 
von Seb. Bach ſich findet, vgl. den Art. „Meine Hoffnung ftehet fee”. 


168 Blind. Blockſlöte. 


Blind Heißen in der Spraße der Orgelbauer alle Diejenigen Teile der Orgel, 
die obwohl fie nad; Form und Lage den tonerzeugenden Teilen gleich find, gleihwoht 
entweder gar nicht, dber doch nur mittelbar bei der Tonerzenguug mitwirlen. Dabet 
find zu unterſcheiden: 

2) folge Teile, die wirklich mur blinde find. Es gehören zu ihnen : 
blinde Regifterziige,‘) die entweder mar der Symmetrie wegen zur Ausfüllung 
vorhanden und dann feftgemacht find, fo daß fie nicht gezogen werden Können, oder 
aber für fpäter noch aufzuftellende Regifter im voraus eingefegt werden. Im letteren 
Falle trugen fie in äfteren Orgeln Bezeichnungen, wie Nihil, Noli me tangere, 
Fuchsſchwanz (vgl. den Art.) u. dgl. Für ſolche nur vorgefehene Regifter wurden 
Häufig aud ſchon die Windladen beigegeben und biegen dann ebenfalls Blindladen. 
Au blinde Elaves, die mit feiner Pfeife in Verbindung ftanden, fondern nur 
Liten in der Kladiatur auszufüllen Hatten, mußten die alten Orgelbaner ſehen, weil 
fie, um Material zu fparen, in der untern Oftave des Pedals, mandmal auch des 
Manuals einige, beſonders chromatiſche Töne ausliegen (vgl. den Art. „Kurze 
Dftave"). Ferner findet man im Proſpelt (der darum aud Blende hieß) alter 
Orgeln blinde Pfeifen, die ebenfalls der Symmetrie wegen zur Ausfüung des 
Naumes eingefegt wurden. Jetzt verbietet das teure Material (Zinn) diefen Lurus 
von felbft und es werden die Zinnpfeifen der Prinzipafe in den Proſpelt geftellt 
und ihnen der nötige Wind durch Kondukten (vgl. den Art.) zugefüßrt. 

b) fothe Teile, die in Wirklichteit mit blind find, z.B. Regifter- 
züge, die zwar nicht ein Regifter öffnen, wohl aber einen Mechanismus in Bewegung 
jeben, der auf Die Tonerzeugung und Tonqualität von Einfluß ift; jolde find: Tre: 
mulant, Grescendo- und Decrescendozüge, und als rein mechaniſche die Koppeln, Sperr 
ventile, der Ealuant und der Zug für die Kalfantenglode. Vgl. die betreffenden Art. — 
Auch die Züge, welhe Spielereien, wie Adler, Hahnen, Kudude, Nachtigallen, 
Bogelgefang, Sonnen, Sterne, Trompetenengel, Pautenſchlager, Glodenfpiele in 
Tätigkeit fegten und an denen die alten Orgeln faft überreih waren, können noch 
hieher gerechnet werden.?) Vol. aud den Art. „PBrofpelt.“ 


Vlodflöte, Blochflöte, eine ältere Flötenſtimme der Orgel, die ihren Namen 
daher Hat, daß im Unterlabium ihrer mit einem von innen ausgeftoenen Oberfabium 
verfehenen Mundöffnung fih ein verengender Pflod oder Bloc befindet (mie in dem 
belannten Kinderinftrument). Sie ift in ihrer älteren Form eine der Flötenſtimmen, die 

%) Im den älteren Orgeln finden fi} viele folder „Nebenzüge”. So Hatte 3. B. die 1697 
bis 1703 erbaute Orgel der St. Petri- und Panlikiche zu Görlitz bei 57 Ming. Stimmen 
82 Regifterzüge, alfo nicht weniger als 25 blinde; die Orgel der Garnifonstirge zu Berlin 
(1724—1725 erbaut) bei 50 II. Sin. 64 Züge, alfo 14 Nebenzüge. 

9) Die neuere Zeit Hat mit diefen Spielereien geünblih aufgeräumt, doch finde ich . ®. 
in der Diepofition der 1864 von Ladegaft in der Schloßlirche zu Wittenberg aufgeftellten ſchönen 
Digel unter den Nebenzügen aufer dem ZTremulanten aud) noc einen „Stern“, 








A. Klüher. I. Chr. Blumhardt. M. T. W. Blumner. 169 


nach Brätorius, Synt. mus. II. &. 133 „unten ziemmlich weit und oben zugefpiget, und 
alfo mehr, als halb zugedädert fein;“ er hat auf Tafel I. Mr. 35 daf. eine , Plod⸗ 
fioit 2” abgebildet, und bemerkt Seite 138 no, daß manche Orgelbaner irrtüm— 
iherweife au Gemhorn 8° u. 4 fo nennen. — Nach einer neueren Bauart ift 
die Blodflöte eine Füllftimme von Hofflötengarafter, mit offenen oder gededten 
Körpern aus Holz oder Metall, weiter Menſur — 1—1Ns Töne weiter als 
NRormalprinzipal — und voller, etwas breiter Intonation. — Als Terz 315‘ ver- 
wendet Ladegaft eine Blodjlöte im HW. 1. Abilg. der Nikolaiorgel zu Leipzig. 


Blüher, Auguft, war Kantor und Mufildireftor an der Kirche St. Petri und 
Pauli zu Oörlig, wo er am 25. Mai 1839 geftorben ift, und Hat 1825 ein „llger 
meines Ch.®. zum Gebraud in Kirchen und Schulen mit untergelegten Terte und 
begiffertem Baffe dierſtimmig gefegt. Nebft einem Anhange alter und neuer, lateiniſcher 
und deutſcher Oefänge.“ Görlig, gedrudt und im Verlage bei Gotth. Heinze. qu. 4°. 
XVI. u. 328 ©. — herausgegeben. Unter den 352 Choräfen, die das Wert enthält, 
finden ſich 5 von Bl. neu fomponierte. Bol. Cutonin Bd. IV. ©. 225—228. 


Blumhardt, Johann Chriſtoph, ein befanuter wuürttembergiſcher Geiftlicher, 
war am 16. Juli 1805 zu Stuttgart geboren. Nachdem er von 1824—1820 
zu Tübingen Theologie ſtudiert Hatte, wurde er 1880 Lehrer an der Miffionsanftalt 
zu Baſel und 1933 als Chr. Gottl. Barths Nachfolger Pfarrer zu Möttlingen 
hei Kalw im württembergiihen Schwarzwald. Seit 1852 leitete er dann ein Aſyl 
für Gemüts- und Nerventranfe im Bade Boll bei Göppingen und hier ftarb er 
1880. B. Hat herausgegeben: 

Sammlung älterer, meift unbefannter Choräle und Melodien zu Kirchen- 
fiedern, vierfimmig gefegt. I. Abtg. 100 Melodien zu 3—B geiligen 
Liedern. Stuttg. Steintopf. 8%. Hier hat er eine Melodie Nitolaus Haffes 
dogl. den Art.) aus Heine. Müllers Geiftl. Seelenmufit 1659. ©. 410 (Frey: 
finghaufen, ©.:B. Gef. Ausg. 1741. Nr. 246. Jalob u. Richter, Ch.-B. I. 
Nr. 556 ©. 501) zu „Jeſu meine Sonne” von Angelus Sileſius für das 
Krummagherice Fied „Mag aud; die Liebe weinen” bearbeitet, die dann Auf 
mahıne ins Württemb. ChB. 1844. Nr. 6 fand. Sie heißt 

































































n — = — 
ee Fa — 
Mag and; die Lie «be meirmen; es fommt ein Tag des Kern, es 

= 
he + 
z f + t Ta 





























muß ein Morigen-ftern, nach Ddunt-ler Nacht er- ſchei · nen. 


Blumner, Martin Trangott Wilhelm, Direltor der Berliner Singalademie, 
ift am 21. Nov. 1827 zu Fürftenberg im Medfenburg geboren und ftudierte, da er 
zum Geiftligen beftimmt wor, von 1845 an Theologie am der Univerfität zu Berlin, 


170 Erhard Bodenſchah. 


Daneben nahm er bei S. W. Dehn Unterricht in der Kompofition, bei F. W. 

Teſchner im Gefang, trat in die Gingafademie ein und entihlog fih 1847 die 

Mufit als Lebenoberuf zu erwählen. Er wurde bald ein geihägter Lehrer feiner 

Kunft und machte fih aud als Komponift einen Namen, jo daß er am 8. November 

1853 zum zweiten Direktor der Singafademie gewählt, 1860 zum königl. Mufit- 

direltor und 1873 zum tönigl. Profeffor ernannt wurde. Nad Ed. Grells Rüdtritt 

von der Diveltorftelle der Singafademie rildte er in deffen Stelle vor und wirft 

ſeitdem mit ſchönem Erfolg in derjelben. Bon feinen Kompofitionen, in denen er 

ſich als ftrebfamer Finger feines Meiſters Grell zeigt, find hier namhaft zu maden: 

Op. 4. Columbus. Oratorium. — Op. 5. Adoramus te für Sofoftn. 

u. Chor. — Op. 8. Abraham. Oratorium in 2 Teilen. — Op. 16. Das 

Vaterunſer. Für Bftgn. Chor à cappella. — Op. 19. Tedeum., Für Sign. 

Chor u. Soloftn. — Op. 20. 2 Pfalmen für Aftgn. Chor u. Soloft. — 

Op. 21. Motette für gem. Chor ä cappella. — Op. 27. 3 furze Motetten 

für Aftgn. Chor. — Op. 29. Der 23. Palm für 4 Chor- u. 4 Soloftn. — 

Op. 30. Der Fall Ierufalens. Draterium. — Op. 33. Weihnagtslied für 
Eftgn. Chor u. Soloſtn. 


Bodenſchatz, Mag. Erhard, ein trefflicher deutſcher Kirchenlomponiſt und 
Sammler lirchlicher Tonfüge aus dem Anfang des 17. Iahıhunderts. Ex war zu 
Lichtenberg unweit Zwidau um 1570 geboren und „in des Churfürften Chriftian Can- 
torey zu Dresden neben fleißiger und treiolicher Inftitution in anderen freyen Aünften, 
aud nicht weniger im exercitiis musieis informiret vnd vnterrichtet worden.“ *) 
Später bezog er als Gurfürftligher Stipendiat die Univerfität Feipzig, um Theologie 
zu fudieren, erlangte dafelbft die Magiſterwürde und war auch [hen als Kirchen- 
tomponift thütig. Im Jahr 1600 wurde er als Kantor und Lehrer nah Schulpforte 
berufen, und dieſes Amt Hat ihm ohne Zweifel veranlagt, zioei feiner wichtigſten 
Werie, die beiden Florilegien zu fammeln und herauszugeben. Das erfte diefer- 
Sammelwerfe (Florilegium portense ete.) eine große und äuferft wertvolle 
Motettenfammfung mit 265 Tonfägen von nicht weniger ald 93 Tonfegern (und 
darunter die bedeutendften Namen Italiens und Deutſchlande) aus der Wende des 
16. und 17. Jahrhunderts, iſt wohl geeignet, ihm fir alle Zeiten einen Ehren: 
platz in der Geſchichte der evangeliſchen Kirhenmufit zu fißern ) obwohl er in 
übergroßer Beſcheidenheit nur drei feiner eigenen Stüde in das Wert aufgenommen 


1) Diefe Motiz giebt 8. felöfl in der deutſchen Deditation feines Magnificat, Leipz. 1590. 
Bot. Monatsh. für Mufigeig. 1876. S 

2) „Cest au moyen de cette collection, jointe A celles d’Abraham Schade et de 
Donfried qu’on peut faire Phistoire critique de la musique des seizitme et dix-sep- 
tieme sideles en Allemagne“ — folde Wicheigteit legt Fetis, Biogr. des Mus. I. ©. 465 
dem Merle, mit Red bei 











Erhard Bodenfhab- m 


Hat.) Schon 1603 wurde B. Paftor zu Edartöberge in Thüringen, von wo 
er dann ein weiteres wichtiges Werk, das Kantional „Harmoniae angelicae* aus- 
gehen ließ, das ihn in vierftimmigen Tonfügen über Kirhenmelodieen als Meifter des 
einfachen kirchlichen Sapes mit fließender Führung der Stimmen und gründlichen 
Verftändnis der alten Tonarten zeigt.?) Sein letztes Paftorat trat er 1618 zu 
Groß-Ofterhaufen im Amte Sittihenbah unweit Querfurt an, und hier ftarb er 
1636, oder nad) andern 1638. Bon feinen Werten find die folgenden hier zu 
verzeichnen: 
1. Magnificat . . . auff die 12 modos musicales etc. Leipzig 1599. 
4°. — 2. Florilegium portense seleetissimorum Hymnorum quatuor, 
5. 6. 7 et 8 vocum. ete. decantantur. Leipzig, Abraham Sambad, nur 
in Stimmen gedrudt. Pars I. 1603. 8 Stimmbefte. HM. 4°. mit 89 Nrn. 
Pars II. 1606. 8 Stimmbefte und 1 Heft Basso cont. — Zweite Aus- 
gabe: Pars prima continens CXV cantiones selectissimas 4. 5. 6. 
7. 8 vocum, praestantissimorum aetatis nostrae auctorum . . . ad- 
juneta bassi generali ad organum accommodata. Leipzig 1618. — 
Pars secunda, quae exhibet concentus selectissimas centum et 
quinquaginta 5. 6. 7. 8 et 10 partibus.. . Leipzig 1621.°) — 3. Flori- 
legium Hymnorum quatuor vocum qui in Gymnasio Portensi ab alum- 
nis pro feliei in studiis successu et progressu mane vesperique decan- 
tantur. Lipsiae 1606.) — 4. Psalterium Davidis . . . 4 voc. Leipgig 
1605. 8°. — 5. Harmoniae Augelicae Cantionum Ecelesiasticarum, 
Das ift, Englifhe freioden Lieder, Und geiftfiche Kirchen Palmen D. Martini 
Sutheri vnd anderer frommen gottfeligen Chriften . . . Mit Bier Stimmen 

Y) Die 3 Stüde von 8. find: Audi hymnum. 8 vor. I. Nr. 7.— Quam pulchra es, 
5 voc. I. Nr. 50. — I danle dir. 8 voc. II. Nr. 63. 

2) Ob die Melodien: „Es ifi gemißlic am der Zeit‘ — „Der Tag hat ſich geneiget“ 
(Zuder, Schaf II. Rr. 374) — „Id dant dir Gott fir alle Wohltgat —, für die das Buch 
die bie jeßt ältefle Quelle it, B. als Erfinder zugehören, wie v. Winterfeld und Koch II. S 
330 wollen, iſt zweifelhaft. 

®) Gerber, N. er. I. 5. 443 beinertt zu Pars prima: „eine andere mit Generalbaß 
vermehrte Ausgabe erichien davon Leipzig 1618. 40." — daraus mochte Mendel, Muſ. Ler. II. 
S. 65 ein eigenes Werl mit dem originellen Titel „Generalbaß zu nur gedadhten Dotetten“. 
Ein vollſtandiges Infaltsverzeihnis der zweiten Ausgabe beider Zeile giebt Grove, Dictionary 
1. ©. 253—251. 

+) Diefe Sammlung war nad Gerber a. a. O. bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts 
das Sqhutgeſangbuch zu Schulpforta; es erfien in vielen Muflagen, von denen derzeichnet 
werden: Leipg. 1606. Leipz. 1624. Leipg. 1687, dieſe nach Beder, Chorolfommfungen 1845. 
©. 100. 131 BI. 8%. mit 60 vierf. fat. Hymnen in Partitur; Naumburg 1713; Naumb. 
1747, diefe nad Beder 0. a. D. 5 Bl. Inder, 329 ©. 8%. mit 77 fat. Hymnen u. 
70 viert. Mel. in Part, ale Anhang Iateinifde u. deutfdie Gebeie — und ale eine der 
feßten Ausgaben: Hymnorum precumque formulae ac Portensium alumnorum usum 
bibliothecae publicae sumtibus MDCCLXXVIL recusae. Lipsiae, aere Breitkopfiano. 
8%. 186 ©. 78 Hymnen mit 75 vier. Del. in Part. 2 BI. Inder. Bol. Beder, a. a. O. 
©. 121, 











172 Karl Heinrich Bodenfhat. Georg Böhm. 


mann . . Leipzig, Gedrudt durch Abraham Samberg. M. DC. VII. 
tl. inia XC selectissima ... in usum scholasticae juven- 
— ie 1615. 8°. — Aus den beiden Florilegien und den Har- 
moniae Angelicae ift eine Anzahl Tonfäge meu gedrudt worden: bei Winter: 
feld. Ev. 8. II. 3 Nm, Tuher, Shay I. 2 Nen., Cr, Bier 
Shoralf, 1. 4 Men. und Sei Schoeberein.igel, Schap des fiturg. Chor ud 
Gemeindegef. 3 Bde. 18651872, 21 Nrn. nämlih: Bd. I. Nr. 29. Bd. 1. 
Nr. 46. 51. 72. 75. 186. 202. 321. 336. 393. "400. Bd. II. Nr. 181. 
293. 295. 296. 301. 306. 307. 317. 331 und außerdem der Sag eines 
Anonymus. Bd. II. Nr. 306. 


Bodenſchatz, Karl Heinrich, Muſiklehrer am Lehrerſeminar zu Schwabach in 
Mittelfranlen in Bayern; er iſt am 4. Januar 1807 zu Markt-Selbig bei Hof in 
Voigtlande geboren, machte feine muſitaliſchen Studien Hauptfühli unter der 
Leitung des Kapellmeifters Stunz in München, und war dann längere Zeit Ranter 
und Organiſt zu Schmölz bei Kronach in Oberfranten, wo er namentlich I. ©. 
Herzog im Drgelfpiel unterrichtete. Verſchiedene Orgelftüce feiner Kompoſition hat 
G. W. Körner in Erfurt in feine befannten Sammehverte (Neues Orgehjournal; 
Poſtludienbuch 2.) aufgenommen. 











Böhm, Georg, bedeutender Organift und eigenartiger Orgellomponift, ein 
unmittelbarer Vorgänger und teilweiſe noch Zeitgenofie Seb. Bade, auf deffen Ent: 
wicklung ex nicht geringen Einfluß gelibt hat. Er war 1661 in dem Dorfe Gold: 
bad bei Gotha geboren!) und erlangte feine erfte Ausbildung in der Drgeltunft 
in feiner Heimat Thüringen, wo er namentlich auch Pachelbels Weife fennen lerne. 
Später ging er nad) Hamburg, um als Schüler Reinlens feine Bildung unter dem 
Einfluß der norddeutigen Orgelſchule zu erweitern und zu vollenden, und außerden 
den franzöſiſchen Inftrumentafftyl der damaligen Zeit auf ſich wirten zu laſſen und 
feinem deutſchen Weſen zu verſchmelzen. Im September 1698 wurde er Drganift 
an der Johanniskirche zu Lüneburg, und Gier war es, wo Seb. Bad 1700—1703 
feine Kunft fennen fernte und mit offenem Sinn und bedeutendem Gewinn für feine 
Entwidlung der Einwirkung von Böhms eigentümlicher Künſtlerperſönlichteit ſich ir- 
gab.?) Böhm farb hochbetagt 1734 zu Lüneburg?) — Als Komponiſt von Choral: 

) Bel. Walther, Mufit. Ler. 1734. ©. 98 und Junghans, Seh. Bad als Schüler der 
Partitularfgule St. Mihaelie zu Lineburg. 1870. ©. 39. Die Pfarrregifter zu Goldbat, 
die niit immer forgfäftig gefüet wurden, wifen nichs von ihm. pitta, Bad 1. S. 19% 
Anm. 23. 

) Spitto, a. a. D. ©. 207. Anm, 44 glaubt beflimmt, daß Bach die Ehorafpartiten 
über „Ehrift der du biſt der Helle Tag" — „D Gott du frommer Gott" — „Herr Ehrift der einig 
Gotts Sohn“ — „Ad mas joll ich Sünder machen“ — in Lüneburg geſchrieben hat, entgegen 
der „willfürlihen Annahme“ Forkels, Bachs Leben, S. 60, der fie in die Arnftädter Zeit fett. 

) So nad) Junghans a. a. D. ©. 38, während Mattheſon, Bollt. Kapellın. 1739. & 
479 von ihm als einem mod) lebenden ſpricht. Spitta, Allg.“ deutſche Biogr. II. S. 62 it 
geneigt Matthefon zu folgen. 





Georg Böhm. Franz Magnus Böhme. 173 


bearbeitungen für die Orgel erfaßt Böhm den Choral mehr im feiner allgemein 
mufikalifgen, weniger wie Paceldel in feiner wyiſch irchlichen Bedeutung; er gewinnt 
aus den Choralgeilen eine Fülle von Motiven, die er in mannigfaltigfter Weife zu 
benüggen und umzubilden weiß. Er muß, „wenn aud nicht als Erfinder des Prin- 
PS thematifdmotivifher Entwictung des melodifchen Stoffes in der Inſtrumental- 
muſit (dem die Kunſt, aus dem einen muſilaliſchen Gedanfen einen zweiten zu 
erzeugen, übte ſchon der Italiener Frescobaldi), fo doch ale derjenige gelten, der es 
zuerft auf den Choral amvendete; er Hat in Wahrheit eine neue Kunft geſchaffen, 
umd dieſe That, deren nur ein wirffices Talent fähig ift, fihert ihm feinen Blog 
in der Kunſigeſchichte. Er Hat überdies diefe Form mit reicher und feinfinniger 
Erfindungstraft zu handhaben gewußt.” Bon feinen Kompofitionen find handſchriftlich 
erhalten: 
18 Ghoralpartiten — 3 Klavierſuiten in Es-dur, C-moll, A-moll — 
eine Dwverture mit Suite D-dur — Prüludinm und Fuge G-moll!) — 
Jefu teure Gnadenfonne, vierft. Neujahrsgelang; eine Fufas-Boifion von ih 
ift nur mod dem Namen nad) befannt. Gedrudt finden ſich von B. 23 geift- 
liche Melodieen zu Liedern des Hamburger Predigers Heinrich Elmenhorft in 
der Gefamtausgabe derjelben von Joh. Chrifteph douch Füneburg 1700.%) 


Böhme, Franz Magnus, Profeffor am Konfervatorium zu Frankfurt a. M., 
der durd feine gründficen Forſchungen über das deutſche Lied des 12. bis 17. 
Jahrhunderts mittelbar aud die Kenntnis der geſchichtlichen Entwidlung des evan- 
geliſchen Chorals wefentlic gefördert hat, ift am 11. März 1827 zu Willerftebt 
bei Gotha geboren. Zum Lehrer gebildet, war er als folder bis 1857 an ver- 
ſchiedenen Orten thätig, entſchloß ſich aber dann, die Mufil als Lebensberuf zu 
erwählen und ging nad Leipzig, wo er 1857—1859 unter Mor. Hauptmanns 
und Jul. Rieg’ Leitung gründlige Studien machte. Nach Abfolvierung derfelben 
ließ er fih als Muſillehrer in Dresden nieder und 1878 berief ihn Ioadim Raff 
als Profeffor für Harmonielehre, Kontrapuntt und Muſitgeſchichte an das Hodice 
Konfervatorium zu Frantfurt a. M., am dem er feitdem wirkt. Folgende feiner 
Werte find Hier zu verzeichnen: 

Op. 1. Palm 121 für Chor u. Soloftimmen. Dresden, Mefer. — 

Op. 2. Paternoster. Bierft. Chorgej. Daf. — Die hohen fefte in Yiedern, 

50 Weihnachtslieder, Neujahre:, Paffione: und Pfingfgefänge für 1 St. mit 

Pf. bearbeitet und mit Originaltompofitionen vermehrt. Dresden 1866. Bol. 

2 Hefte. qu. 4°. — Das Oratorium. Eine hiſtoriſche Studie. Leipzig 1861. 

Beber. VI u. 66 ©. gr. 89. Altdentices Fiederbud. Boltslieder der Deute 

fen nad Wort und Weife aus dem 12.—17, Iahrh. Gefanmelt und er: 

') €. $. Beer, Ausgewählte Tonflüde für das Bf. Leipz. Friefe S. 18 Hat ein Preflo 
G-moll %4 von Bügm abdeuden faffen, was waßrfeinlidh diefes Präfudinm if. 

%) Bal. €. F. Beer, Chorathammlungen. 1845. &. 42. 43. Beder nennt ihn „Georg 
Böhmer. v. Binterfeld, Ev. 8-6, IL. &. 502. 


174 Köhmifche Brüder. 


Gäutert. Seipzig 1877. Breitf. u. 5. LXXIL u. 832 ©. gr. 8°. Hier in 
Atlg. XV. Pr. 511-660. ©. 616-767 als „wictigfte Abteilung des 
Vortsgefangs“ die geiftlihen Voltslieder „deren viele als Choräle in der 
evangelifgjen Kite fortleben. 


Böhmifhe Brüder, Brüderunität, Unitas fratrum, Jednota 
bratrskd. Das durh Johann Hus (1369—1415) und Hieronymus von Prag 
(geft. 1416) gewecte evangelifche Glaubensleben in Böhmen, war jeit der gewalt 
famen Vernichtung des echt evangeliigen Taboritismus und den Basler Kompaktaften 
(30. Nov. 1433) in dem Tatholifierenden Utraquismus wieder Halb erftorben. Cine 
mene, von einem einfachen Laien in abgelegenen Gebirgsdörfern ausgegangene Ber 
wegung aber gab ihm bald eine neue mädjtige Anregung. Im Dahr 1457 füiftete 
Peter von Cheleichy die Brüderumität, die zwar, wie alles Gute in der Welt, 
von Anfang am die ſchwerſten Berfolgungen, beſonders in der Zeit des Könige 
Wiadislaw (1471—1517) zu erdulden Hatte. Ze mehr fie aber gedrüdt und ver- 
folgt wurde, defto mehr verbreitete fie ſich vermöge der ihr innewöhnenden ſittlichen 
Lebenskraft unter Armen und Reichen, befonders dem Adel in Mähren, fo daß fie 
nad) einem erft Halbhundertjäßrigen Beſtande ſchon über 200 Gemeinden zählte. 
Und während der Utraquismus in jener Zeit nur wenige hervorragende Männer 
aufguweifen hat, gingen aus der verachteten „Jednota bratrskä® eine ganze Reihe 
folger Hervor, von denen außer ihren Gründern Peter von Chelcie, Gregor, DMat- 
thins don Kunewald, Thomas von Prelout und Elias von Chrenow, bejonders noch 
Lutas von Prag und Martin Sloda zu nennen find. Da ſich die Brüder von 
Anfang an auch durch eine eifrige litterariſche Thätigfeit auszeichneten und durch 
ihr flilles, arbeitfames und gewerbthätiges Peben felbft bei ihren Widerſachern ſich 
Ahtung erzwangen: jo mußte ihre immer zahlreicher und mächtiger werdende Ge- 
meinſchaft almählid einen durchgreifenden Cinfluß auf Die religiöfen Zuftände in 
ganz Böhmen und Mähren ausüben. Und dies um fo mehr, als fie, befonders 
unter des trefflichen Luias von Prag Leitung, die ihnen früher anklebenden Einfeitig- 
teiten und Gngherzigfeiten nah und nad) abgeftreift hatten. Sie hätten die czechiſche 
Nation fih unterwerfen mögen, wenn nicht eine andere noch mächtigere und evange- 
tiſch freiere Bewegung ihnen den Rang abgelaufen hütte: der von Luther ausgehende 
und fon ſehr frühe vom benachbarien Sachſen aud nad) Böhmen übergreifende 
Proteftantiomus. Dem reformatoriſchen Auftreten Luthers wurde in Böhmen zuerft 
von allen ebangeliſch Gefinnten unter den Utraquiften und den Brüdern freudig zu: 
geftimmt und viele Böhmen zogen nach Wittenberg, die dortige evangelifce Freiheit 
iennen zu fernen und im ihr Baterland zu verpflanzen. Allein der dadurd ent: 
lebenden Bewegung der Geifter traten namentlid unter der Regierung des von den 
Iefniten geleiteten und gegen alles Cvangelifhe mit wahrer Barbarei wütenden 
Ferdinand I. (geft. 1564) ſchwere Kämpfe entgegen; und die Vrüderunität, die 
nach dem unglüdligen Ausgange des ſchmallaldiſchen Kriege beſonders ſchwere Ber- 


Köhmifche Brüder. 15 


folgungen zu erdulden Hatte, mahm von da an, weil ihr aud die „allzu große 
Freifeit“ des Futhertums mit recht zuſagte, eine etwas rejervierte Stellung zu 
demjelben ein. Auch unter der nun folgenden Regierung des toleranten Marimilian II. 
verbfieben die Brüder in ihrer Befonderheit, wenn fie aud im freundſchaftlichſten 
Verhältnis mit den andern evangelifhen Konfeffionsverwandten lebten. Im diefer 
Zeit erreichten fie ihre höchſte Blüte und feifteten in ihren Crziehungsanftalten, im 
ihrer über alles Lob erhabenen Kralicer Bibel, in ihrem Geſangbuch, in ihren Pre 
digten und in ihrem ganpen geiftlicen Leben Ausgezeichnete. Und als der unter 
Rudolf II. gemagte Berfud, das Evangelium zu unterdrüden gejdeitert und dem 
Koifer 1609 der „Majeflätsbrief” abgerungen war, der die evangeliice Freiheit in 
Böhmen für alle Zeiten ſchirmen follte, da fhien 66, als werde diefes ſchöne Land 
mitten im Herzen von Europa dem SProtefiantismus verbleiben und ein Träger 
feiner Ideen in den flaviihen Dften hin werden. Doch es war nur ein „kurzer 
Traum der Herrlidfeit," ein Traum von nicht viel mehr als zehmähriger Dauer. 
Die Trübfate des dreißigjährigen Krieges brachen herein, die ſchredliche fogenannte 
„Gegenreformation“ vernichtete die Herrſchaft des Evangeliums in Böhmen und die 
Anhänger desfelben mußten in der Auswanderung nad) Preufien, Polen und Sachſen 
Rettung für ihr Leben und ihren Glauben fugen.!) Dieje Yuswanderungen dauerten 
fort und nod 1722 führte der fromme mähriſche Zimmermann Chriftian David ein 
Häuflein der Brüder ans dem Vaterlande und ſuchte für fie auf den Gütern des 
Grafen Zingendorf in der Ober-Laufig eine Zuflugtsftätte. Sie wurden der Samen, 
aus dem die „ernewerte Brüderumität oder Herrnhutiſche Brüderge: 
meinde” erwuͤchs. Und wie diefe in dunffer, trauriger Zeit der evangelifgen Kirche 
in Deutfgland ein Licht und Salz geworden, jo hat auch ſchon die ältere Brüder- 
gemeinde durch ihr Leben und ihr Lied einen bedeutenden Einfluß auf diefelbe geübt. — 
Die bögmifhen Brüder Hatten ſich ſchon auf dem Konzil zu Bafel 1438 die freie 
Predigt und den Gebraud ihrer Mutterfpradje im Gottesdienft errungen; fie waren 
and; die erften, die flir ihren Kirgengefang, dem fie von Anfang an eine her 
vorragende Stellung in ihrem Ritus einäumten, Gefangbüder in der heimiſchen 
Boltsſprache einführten. Die in denjelben enthaltenen Lieder waren teils Überfegungen 
und Umbildungen lateiniſcher Kirchenhymnen, teils auf grund der Gvangelien und 
Epifteln der Sonn-, Feft- und Feiertage von den Brüdern ſelbſt gedichtete Lieder. 
Für die Melodieen, mad denen fie diefe Lieder fangen, laffen ſich, ähnlich wie 
hei denen der deutſchen evangeliſchen Kirche, dreierlei Quellen madweifen, denen fie 
entftammen: einmal find es vorzugsweife aͤltlirchliche Weifen, die zugleich mit ben 
Liedern herübergenommen und für die Terte in der Mutterſprache umgebildet wurden; 
dann dent geiftlicen ſowohl als weltlichen böhmiſchen Vollsgeſang angehörige und 





Bal. B. Czerwenla, Geſchichte der evangeliſchen Kirche in Böhmen. Bielefeld, 1870. 
8%. 80. II. Rap. 1-5. 


176 . Bohmiſche Krüder. 


aus demfelben dem Kirchengebrauch zugebildete, — und endlich neuerfundene, 
originale Melodien. Beide Lieder und Weifen der böhmiſchen Brüder aber find 
von ganz eigentümlichen Charakter und hoher Schönheit. Jene, die Lieder, zeigen 
„echt apoftolifche Einfalt und Kraft, zumal die der älteren Periode, da fie einer 
Gemeinde entfiammen, die fih auf das proftiide Bedürfnis eines Gemeinde- und 
Shriftenlebens nad; Chrifti Geſetz und feiner Apoftel Regel gegründet und geftaltet 
und apoſtoliſche Febensordnung in ihrer ganzen Einfalt über ein Jahrhundert (ang 
im ihrer Mitte zu bewahren gewußt Hat. Nicht hoher Schwung eignet ihnen, aber 
um fo mehr voffstümfiche Klarheit und Wahrheit, ahnungsreihe Sinnigleit und 
Findfiche Innigkeit, wenn gleid bei manchen derfelben bereits die Lehrhaftigteit nicht 
ohne trodene Weitſchweiſigleit fih zeigt") Diefe, die Melodieen, „tragen 
nicht minder das Gepräge hoher Einfalt und Anmut, tiefer Innigfeit und Sinnigkeit, 
feierlicher Würde und Kraft, wie man fie wohl faum irgendiwo vereinigt finden mag. 
Sind fie doch hervorgegangen aus einem Vollsſtamm von überaus reicher mufitafifcher 
Begabung und entftanden unter der Laſt ſchwerſten Drudes und nie raftender Bere 
folgung, gefungen aus der Iubrunft der gläubigen vingenden Seele, die mitten in 
diefer Welt Feindſchaft und Friedloſigleit getreu das eine fefthält was not ift.”?) 
Dem flavifen Vollocharalter entfprediend, herrſcht in diefen Gefängen die weiche 
Tonart bedeutend vor: fie ift ungefähr zwei Dritteifen derfelben eigen und nur ein 
Dritteil gehört der harten, beſonders der jonifgen Tonart an. Vollsmäßige Einfalt 
und Kraft bekundet fih ferner in der uͤnverbrüchlich feſtgehaltenen Cinftimmigteit 
ihres Gefanges, den fie zur Erhöhung der Andacht und feftlihen Freude gerne als 
Behfelgefang behandelten; einzelne Strophen wurden abwechſelnd von Teilen der 
Gemeinde und die Schlußſtrophe von allen, oder der Aufgefang einer Melodie von 
einer Abteilung der Gemeinde, oder dem Liturgen allein, und der Abgefang, den 
fie Responsio nannten, von der ganzen Gemeinde gefungen, wie ſich denn überhaupt 
ein lebendiges Wehfelverfältnis zwiſchen dem Fiturgen und der Gemeinde bei ihnen 
findet. — Das erfte eigene Gefangbuc; der Vöhmiſchen Brüder, das bis jegt be- 
tannt if, war 1501 gedrudt umd enthieht 92 Lieder in cehifger Sprade; ein 
weites mit 400 Fiedern erihien 1505 als ermeuerte Ausgabe eines ſchon früher 
vorhandenen Kantionals. Wichtiger find die von Michael Weihe 1531, und Iofann 
Horn 1544 herausgegebenen Kantionale, welche die böhmiſchen Lieder erftmals in 
deutſcher Überfegung zunädft für die deutſchen Brüdergemeinden zu Fulned in Mähren 
und Sandstron in Böhmen gaben. Das Weißeſche G.-®. erſchien unter dem Titel: 
Ein New Geſengbuchlen M. DXXXL Venite exultemus domino 
Jubilemus d’o salutari nr’o. Psal 94. — Am Ende: Gedrudt zum Jungen 


9) Bal. Herder, Briefe das Stud. der Theol. betr. Weimar 1781, &. IV. S. 302. — 
Rod, Geld. des Kirchenl. II. &. 126, 

2) Bol. Kriebitih, Der proteft. Choral. Euterpe 1865. Pr. 1. S. 4. — Thibaut, Mber 
die Reinheit der Tontunf. 4. Anfl. Heidelb. 1861. ©. 17. 





Bohmiſche Brüder. " 117 


Bungel inn Behmen. Durch Georgen Wylmſchwerer Im Jar M. CCCOCKX. 

Am zwelfte tag des Mergen vollendet. 7 BL. und 26 Bogen. in HM. 4°. — 

Es enthätt 157 Pieder (in 18 Abtlgn.), von denen Weiße jelbft 143 aus 

den 400 Liedern des böhmiſchen Kantionald von 1505 ausgewählt, überjegt 

und fingbar gemadht Hat. Zu den Liedern find 111 Melodien in ſchwarzen 
und weißen Choralnoten beigegeben, wovon 47 aus dem alten Inteinifhen Kirchen: 
gefang überarbeitet, 6 aus dem deutjchen entlehnt, und DR ihrem Urfprung 
nad; nidjt weiter beeichnet find. Dieſe lehteren werden daher als böhmiſche 

Melodien angenommen.) Cinen Auszug daraus mit 92 Liedern gab Katha- 

rina Zelin, die Gattin des Straßburger Pfarrers Matthäus Zell unter dem 

Titel: „Bon Chrifto Iefu, unfrem fälig macher, feiner Menfaerdung, geburt, 

beſchneidung . . . etlih chriſtliche vnd tröftlihe lobgefüng, auß einem vaft herr: 

ihen G’angbud) gezogen. Straßburg. Gedrudt bei Iatob wrälid. 1534 — 

Heraus und wenige Jahre darnad) erjcienen zu Un zwei vollftändige Ausgaben 

desfelben, nemlih: „Cin hübih new Geſangbuch darinnen begrieffen die Kirchen 

ordnung nnd gefeng, die zur Santefron und Fulned im Yohem von der 

Chriſtlichen Bruderjhaft den Picarden, die biß hero für vndriftlid vnd Keter 

gehalten, gebraudt umd teglic Gott zu ehren gefungen werden" . . . Am 

Ende: Gedrudt zu Blm bei Hans Varnier. An. M. D. XXX VII) — eine wei- 

tere Ausgabe von 1539 — und: „Das Picardiic Geſangbuch, oder Kirchenordnung 

der ChHriflihren Bruderſchafft Bicarden genant, darin Die gange jumm des 

Newen Teftaments begriffen. Auffs new corrigiert, vnd etwa gebefiert, wie 

monns im Negifter, und am 36. 34. 40. 64. 66. etc. blat fiht .. . . 

M. D. XXXIX. m Ende: Gedrudt inn der löblichen Neyhftatt Bm inn 

Schwaben, dur Hanfen Zurel. Im verlegung des Erfamen Jacobs Gruner. 

Bad vollendet am fünfften tag des Augftmonats. Im 1539. jar. — 

Diefe verfciedenen Ausgaben, denen 1541 noch eine weitere folgte, find ein 
Beweis, daß das Buch große Verbreitung fand. Als nun aber Futhers Einfluß auf 
die Brüdergemeinde ſich geftend machte und fie feine Lehre vom heiligen Abendmahl 
fatt der Willeffhen, die bis dahin bei ihr gegoften Hatte, annahm, fand man 
in den Liedern des Weißeſchen G.-B. „vom Saframent des Nachtmals einen fon- 
derlichen Sinn, dem unfern fajt ungleih" und beauftragte deshalb Johann Horn 
(fein eigentlicher Name war Johann Roh; er war feit 1518 Prediger zu Jung: 
Bunzlau, 1532 bis zu feinem 1547 erfolgten Tod Biſchof der Brüdergemeine), der 
ſchon an dem G. B. von 1531 mitgearbeitet hatte, dasſelbe nen zu bearbeiten. Er 
unterzog fih mit zwei andern Ülteften diefer Aufgabe und nachdem „etliche Geſeng, 
fonderlid vom Sacrament, hinweg gethan, und andre an die Stell gefegt,* erſchien 
diefe Neubeorbeitung unter dem Titel: 

Ein Gefangbud der Brüder inn Behemen vnd Merheren, Die man auß 

Haß vnd neyd, Bidharden, Waldenfes, x. nenmet. Bon jenen auff ein newes 








1) Bgl. Wadernogel, Bibl. 1855. ©. 121: „gegen 60 Melodien find ihrem Mriprung 
nad} nicht weiter hezeichnet und mögen größtenteils Bägmifde Driginafmelodieen fein.“ 

?) Diefe Jahreszahl nimmt Wadernagel a. a. O. ©. 152 nad D. ©. Shüber, Zweyter 
Begtrag zur Veder · dinorie x. Yeipig 1760. ©. 83 ff. an. 

Kümmerle, Gnefl. d. ewang. Rirdenmufi, I. 12 


1 


8 


Köhmifche Grüder. 


(ſonderlich vom Sacrament, des Nachmahls) gebeſſert, vnd etliche ſhöne newe 
Sefeng Gingu getan. M. D. XLII. Am Ende der Lieder Gedrudt zu 
Nürnberg, durd) dohann Guniher, 1544. Cs Hat einen Umfang von 240 
Dt. 8%. und enthält in 23 Abfnitten („Titten“) 181 Lieder; drei weitere 
Ausgaben desfelben find Defannt geworden, nämlich zwei vom Jahr 1544: 
Nürnberg bei Johann von Berg dnd Blrih; Neuber- und Gerlachifche Druderei 
durch Paul Kauffmann !), eine vom Jahr 1560 umter gleihem Titel, amı 
Ende: Gedrudt zu Nürnberg, dur Johann von Berg, vmd Virich Neuber. 
Im M. D. LX. Iar. 31 Bogen 80. 


In beiden ©.-BB. (dem Weißeſchen u. dem Hornſchen) finden ſich mun zunächft 


folgende 6 Dielodieen des deutfchen Kirchengefangs verwendet: 


Chrift iſt erfianden — zu dem Liede „Chriftus ift erflanden“ ; 

Es fpriät der Unweifen Mund wohl — „D hühfter Gott von 
Erigteit”; 

Nun freut end lieben CHriften gmein — „D glaubig Herz, gebenedey“ ; 

Mitten wir im Leben find — „Wir waren in großem Leid”; 

Maria zart, von edler Art — „O Jefu zart, in never art”; 

Dies find die heilgen zehn Gebot — zum gleichen Pied, 


Dagegen nahm Luther in das fogenannte Babftfäe Geſangbuch von 1545 fot- 


gende Pieder und Melodieen aus denfelben auf: 


Ehriſtus der uns felig madt — die Melodie des alten Patris sapien- 
tia veritas divina bei Horn 1544 mit dem Lied: „Chriftus, wahrer 
Gottesfohn“ (Ausg. 1611. Bl. 48); 

Die Propheten han prophezeit — die Melodie des alten Hymnus 
Vexilla regis prodeunt; 

Es wird fhier der legte Tag herkommen — aud mit dem Liede 
„Ad Gott mag wohl in diefen Tagen (Ausg. 1585. Nr. 18); 

Lobet Gott, o liebe EHriften — die Melodie des Grates nunc omnes 
in Dinlogform, (Sequenz aus dem 9. Yahrh.); 

Beltti Ehr und zeitlih Gut— die Melodie des alten Cedit hyems 
eminus (bei Melh. Bulpius 1609. Nr. 90); 

Nun loben wir mit Innigfeit — von Luther in den „Chriftl. Geſangen 
zum Begräbnis“ 1542 zu „Nun laft uns den Leib begraben“, bei Melchior 
Bulpius 1603 zu „Herr Iefu Chrift, wahr'r Menfh und Gott” verwendet; 

Freuen wir uns all in Eim — die Melodie eignete früher dem Liede 
„As CHriftus mit jeiner Lehe“ ;*) dem Hymnus Salve festa dies angehörig. 

Lobt Gott getroft mit Singen — die Mel. des „Entlaubt ift mın der 
Walde“, bei Futher zu dem Liede „Ich dank bir, lieber Herre“ verwendet; 

Allmähtiger, gütiger Gott — die Melodie vieleicht Original der 
Böhm. Br. 

Dantet dem Herren, denn er iſt freundlich — die Mel. eignete zuerfi 
dem Latein. Tert von Martial: Vitam quae faciunt und dem des Catull: 





Über weitere Ausgaben bei Berg und Neuber vgl. Wadernagel 


%) Bal. Wadernagel a. 0. D. ©. 195, nad) 9. 3. Bauer, Bibl. libr. rar. Nürnb. 1770. 
a. O. &. 300. 301. 
) Mit dem es nad) Tucher, Sag des evang. K. G. II. S. 358 fon 1457 vorlommt, 





Köhmifche Brüder. 179 


Vivamus mea Lesbia}; fie findet fh in 2 Tonfägen bei Senfl, Varia 
carminum genera etc. Nürb. 1534. Nr. 23. 24.1) 
und auch fpäter fanden noch nachſtehende Lieder und Mefodieen der Böhm. Br. durd) 
Vermittlung verfciedener Gefangbüger Aufnahme und größere oder geringere Ber- 
breitung im evangelifcien Kirchengefang : 

As der gütige Gott — (1531. Bl. a. Vb)-- die Mel. des Mittit ad 
virginem, bei Spangenberg, Cant. eceles. 15 

Der Tag brigt an umd zeiget jid — 1531 — Mel, des Ave fuit 
prima salus; Bollsweife?) „Sehr um, fehr um, du junger Cohn”, bei 
Binteifen 1584. Dresd. GB. 1593 (Ausg. 1656. Nr. 272) zu „Butt 
Vater, Herr, wir danken dir“ ; 

Gelobt fei Gott im höchſten Thron — 1531 (1580. Bl. 73) — die 
Det. des Surrexit Christus hodie, bei Bal, Triller 1559 zu „Erfan- 
den ift der Herre Chrift“; 

Lob jei dem allmächtigen Gott — 1531 — die Diel. des Conditor 
alme syderum, bei Zinteifen 1584, Mori v. Heſſen 1612. (1649. 
©. 5b u. Ba); 

Da Chriſtus geboren war — (om 1544, Bf. 40) — die Mel. des 
In natali Domini, aus der Mitte des 15. Jahrh. (Mike. Tönigl. Bibl. 
Verl.), bei Val. Triller 1559. Frautf. G.B. 1569, zu „Singen wir aus 
Hergensgeund“ ; 

Ein Kind ift und geboren heut — 1544 — die Mel. des Nobis est 
natus hodie, bei Bal. Triller 1559; 

Gottes Sohn ift fommen — die Mel. des Ave hierachia, bei Wi 
1531. Bt. a. IVb zu „Menſchenlind merk eben", Horn 1544. Bl. TIL 
auch bei Val. Triller 1559; 

Der Tag vertreibt die finftre Naht — 1531 (1580. UL. 216) — 
im Dresdner 6.8. 1593 (Ausg. 1656. Nr. 601); 

Sündiger Menſch, ſchau wer du bift — 1531 — bei Mid. Prätorius, 
Mus. Sion. 1607; 

Iefus CHriftus unfer Heiland — 1541 (1580. BL. 28) — nad, 
Jesus Christus nostra salus; von Joh. Stobäus 1635 zu „OD wie 
fefig ſeid ihr doch, ihr Frommen“ verwendet; 

Bir glauben all und bekennen frei — 1544 (1580. Dt. 198) — 
bei Zinteifen 1584; Moriz dv. Hefien 1612. 

Die dritte Bearbeitung des deutfchen Kantionals der Brüder beforgte haupt: 

ſãchlich der Pfarrer Michael Tham, der 1571 zu Fulned in Mähren ſtarb; fie er- 
jchien 1566 (angeblich zu Prag) unter dem Titel: 











') Bot. Zahn, Siftorifhe Nachweiſe Über den Urfprung der Kiräienmelodien, Euterpe 
1878, ©. 173. 114. C Ext, Guterpe 1869, ©. 157 weiſt fie aus 1833 nad. 
?) Soll eine aus der Grafſchaft Glatz Rammende ſchleñiſche Bolloweiſe fein; vgl. Hoffmann 
v. F. u. E. Richter, Schleſ. Voltslieder. Nr. 283. Jalob u. Richter, Chotalb. I. Nr. 28. S. 21. 
x 12* 





180 Böhmiſche Brüder. Ioh. Ludw. Köhner. 


Kirchengeſeng darinnen die Heubtartifel des Chriſtlichen Glaubens kurtz 
gefafet und ausgefeget find: jept vom newven Durdfehen, gemehtet, und der 
Ri. Kei, Majeftat, in vnterthenigſten demut zugeſchrieben. Anno Domini 
1566. 4°. Dies fogenannte „große Brüdergefangbud“ enthält im ganzen 
343 Lieder mit 269 Melodien, und zerfält in: „Das erfte Teil der geifte 
lichen Gejenge, von den werden Ihefu Chrifti”, „Das Ander Teil der geift- 
lien Gefenge, von den fürnemften Artiteln Chriftlicher Lere" und den Anhang 
„Geitiche Lieder . . . mad Ordnung der jareit." Mit den Worten: „dieje 
geiftlihen Gefänge (von Hus in Göhmifger Sprage angefangen und von feinen 
Nacfommen gemiehret) ind nicht wenige vor eigen Sahren erflic) von Did. 
Weifen, einem guten Loeten, verdeutiät, darnad) von Joanne Horn wieder 
in Drud verjertiget und jegt abermals von neuem durchgeſehen und mehr denn 
mit 100 Liedern gemehret" — wird diefe Bearbeitung ausdrüdlid als eine 
Fortjegung oder vermehrte Ausgabe der früheren bezeichnet und enthält als 
neue Nen. faft alle Lieder Authers und mehrere der Straßburger und Konftanzer 
Dieter. Weitere Ausgaben derjelben erihienen 1575, 1580, 1583 x. bei 
Katharina Gerlahin und den Vergfcen Erben in Nürnberg. 
Endlich veranftalteten die „Elteſten vnd Diener der Kirchen der Brüder in 
Behmen, Merheren und Polen“ nochmals eine ,volltömmliche Edition” des Buches, 
Die dann bei den nad) Polen ausgemwanderten Brüdern unter dem Titel: 
Kirchengeſeng, darinnen ıc. Gedrudt zu Liſſaw in Groß-Polen durd 
Daniel Vetterum. A. D. 1639. 
zum (egtenmal „gemehret“ erſchien. Aus diefem Kantional, das häufiger als die 
friiheren, weltliche Volteweifen zu geiſtlichen Terten verwertete und auch viele lutheriſche 
Kirchenmelodieen aufnahm, find nod folgende Melodien in den evangelifhen Kirchen- 
gefang übergegangen: 
Die Noͤcht iſt kommen — 1566 (©. 223a), die Mel. der ſapphiſchen 
Ode Ipse cum solis; bei Schein, Kant. 1627. Nr. 90. 

Laßt uns fingen, unfre Stimmen — 1566 (1580. Bl. 2356); bei 
Ioh. Eccard 1603 mit fünfft. Tonfag. 

2ob fei dir gütiger Gott — 1566; bei Joh. Stobäus 1634 zu „Herr 
ich dent am jene Zeit“; Sam. Bester, Brest. 1658. 

Geht Hin und Lehret 1566.) 





Böhner, Johann Ludwig, wurde am 8. Iannar 1787 zu Töttelſtedt bei 
Gotha geboren. Sein Vater, der als Kantor und Organift über 50 Jahre dafelbit 
gewirtt hat, erfannte in dem Sohne frühzeitig ein auferordentlides mufifafifhes 
Talent und gab ihm den erften Unterricht im Klavier- und Orgelfpiel. Bon 1800 
an beſuchte er darauf das Gymnaſium zu Erfurt und genoß Hier den Unterricht 
Io. Chriſt. Kittels, der ihn in die Tiefen der Bachſchen Orgeiwerte einführte, fo 

Nach Döring, Chorallunde 1805. S. 61 geht aus noch vorhandenen handſchriſil. Ch. BB., 
hervor, daß dieſe Weiſe als Kamellied in Preußen 6is zum Anfang dieſes Jahrhunderts ge- 
bräudlic, war. 








9. Böniche. 181 


daß er durch fein Orgelſpiel und feine Drgelfompofitionen bald die Bewunderung 
der Renner erregte. Nachdem er feine Gymnaſialbildung in Gotha zum Abfhluffe 
gebracht Hatte, bezog er die Univerfität Jena, begann aber bereits auch fih durch 
feine Birtuofität auf Klavier amd Orgel bemerllich zu machen. 1810 ging er zu 
Konzertzweden, ſowie behufs weiterer Mufilftudien nad) Wien, wirkte dann während 
acht Jahren als Kapellmeifter am Stadttheater zu Nürnberg, machte noch einige 
Konzertreifen, die ihm nad) Holland und Dänemark führten, und kehrte endlich nad) 
Gotha zurüd, wo er nun einem unftäten Wander- und Bagabundenfeben verfiel. 
Im lebendigen und vollen Bewußtſein feiner Bedeutung als Künſtler war er ftofz 
auf die jelbftgewählte Unabhängigeit vom Zwange irgend einer Berufsftellung oder 
anderswie geregelten Thätigfeit; aber er mußte diefe Unabhängigteit mit Entbehrungen 
und Demütigungen erfaufen unter denen fein reiches Talent verfümmerte und nur 
noch fpärliche umd dürftige Früchte zu erzeugen vermochte. Gleich feinem Geiftes- 
verwandten und Schichſalsgenoſſen, Friedemann Bad, ftarb er geiftig und körperlich 
verlommen am 28. März 1860 zu Gotha. Seine Werte für Orgel und kirchlichen 
Chorgefang find: 
16 Präludien, Fugen und Fantafien. Op. 32. Hildburghaufen, Kefiel: 
ring. Yariat, „God save the king“. Op. 53. Leipzig, Hofmeifter. — 
8 große Orgelftüde. Op. 108. Erfurt, Gebhardi. — Fantafie Es-moll, Nad- 
ſpiei G-moll. Erfurt, Körner. — Drgelftüde. 3 Hefte. Langenfalze, Schul: 
buchhdlg. (2. Aufl. 3 Hefte mit Stüden). — Motette „Breife Ierufalem 
den Herrn“ für 4 Stn. Op. 64. Leipzig, Breitt. u. 9. — Kantate für 4 
Stn. mit Org. Op. 130. Gotha, Berl-Kompt. — Der Herr iſt groß. 
Rantate für gem. Chor mit Orch. Op. 190. Gotha, Ziert. — PBialm Preifet 
ihr Völter“ für 4 Stn,, Chor u. Solo mit Org. Langenſalza, Schulbuchhdig. 









Bönicke, Hermann, war am 26. November 1821 zu Endorf im der Provinz 
Sadfen, wo fein Vater Kantor war, geboren. Cr beſuchte 1832—1839 das 
Gymnaftum zu Onedlinburg und machte dafelbft 1939-1342 auch feine mufifa- 
fifhen Studien unter der Feitung des Drganiften Fr. W. Lieban. Als Diefer fein 
Lehrer 1841 flach, wurde er deſſen Nahfolger als Orgamift an St. Beneditti zu 
Quedlinburg, von wo er 1856 nad Aſchersleben überfiedelte, um dort die Stelle 
eines DOrganiften an der Haupttirche und Gefangfehrers an den höheren Schulen zu 
übernehmen. 1861 folgte er dann einem Nufe als Drganift an die evangelifche 
Stadtpfarrtiche, Gefanglehrer am das Gymmafium und Seminar, ſowie als Mufit- 
direltor beim Mufilverein zu Hermannfladt in Giebenbiirgen. Diefer Stadt blieb 
fein ganzes fpäteres Wirten gewidmet umd hat er fih ein bedeutendes Berdienft um 
das Mufitieben derfelben erworben.) Cr ftarb zu Hermannftadt am 12. De: 
zember 1879. B. war ein feinfühlender, origineller Komponift, wie namentlich 


') Bgl. Algen. muf, Ztg. 1868. Nr. 27. ©. 215, fowie den Netrofog von W. Bethse, 
Organiſt in Halberftadt, Euterpe 1880. S. 29, 30, 


182 Kombarde, Bombardon. 


feine Drgelwerte beweiſen, fand hoch als ausübender Kitnftler im Orgelfpiel und 
war zugleid, ein geborener Lehrer feiner Kunſt. — Bon feinen Werten find hier zu 
nennen: 
Bar. über den Choral „Zeus meine Zuverfit” für die Orgel. Erf. 
Körner. — Motetten für 4 Mftn. Op. 4. Daf. — Fantafle über die Hymne 
„Lobpreifet faut” dom €, 9. 3. &. für Orgel. Leipz. Breitfopf u. 9. Op. 7. 
T Gücifie. Choralvorfpiele und Choralbenrbeitungen fir die Orgel. Op. 13. 
geipg. 1862. Merieb. 4 Hfte. 32 ©. qu. 4°. — Choralvoripiele zum Gebr. 
beim Gottesd. Op. 14. Erf. Kürner. — Die Kunft des freien Orgelipiels. 
Braftifcpe Anleitung zur Erfindung und Fortführung eigener muftlalifcher Ieen. 
Seipzig 1861. Brandfetter. 196 S. gr. 8%. — Drgelftüde zum firglichen 
Gebraud;. Op. 20. Leipz. Merfeb. 





Bombarde, Bombardon, eine ſchöne Zungenftinme der Drgel, deren Name 
von einent alten Hofzblasinftrumente, dem Pommer, (oder der Schalmei), zu dem dieſes 
den Baß bildete, herzuleiten it. Im älteren deutſchen Drgelbau war fie mit 32: 
und 16 Fußton foft auoſchließlich Pedalſtimme und wurde als Erfag für Pofaune, 
die ihr mit 3 Fußton als Berftächmg beigegeben wurde, unter verſchiedenen Namend- 
Torrumpierungen dieponiert.) Sie hatte auffhlagende Zungen und Holgförper von 
engerer Deenfur als die eigentliche Pofaune, und nahm daher mit ihrem weniger 
ſchmetternden, milderen lange eine Art Dittelftelung zwiſchen dieſer und dem Fagott 
ein. Auch in neuerer Zeit Hat man die Bombarde als Pedalſtinime mit 32- und 
16 Fußton beibefaften, fegt fie aber in lebterer Tongröfe auch ins Hauptmanual großer 
Werke, in denen eine 16füpige Trompete zu art, ein 16füßiger Fagott oder Dulcian 
aber zu ſchwach jein milrde. Gebaut wird fie gegenwärtig ſowohl mit aufs 
ſchlagenden- al mit einfhlagenden Zungen. Im erfteren Falle werden aber 
ihre Kellen weicher befedert, als die der Pofaune, aud erhält fie engere Menſur 
als diefe — z. B. Weite des Cı bei Bombarde 16° = 0,543 m. gegen 0,72 m. 
derſelben Pfeife der Bofaune 16°?) und hat daher ihren milderen Mangdaratter 
auch in diefer Bauweiſe bewahrt. Seit jedod die Zungenftimmen mit einfhlagen: 








1) &0 5. B. als „Pommert-Baß 18° im Pedal der Orgel zu St. Bincenz in Breslan, 
um 1665 gebaut, mit 20 Stn.; „Bommert 16% im Pedal der Orgel zu Si. Cifabeth in 
Breslau, 1657 von Chriſt. Erellins erbant, 35 St.; „Bommer* 16° im Pedal der Orgel zu 
Zauer 1663 von Joh. Hoferriäter erbaut, 23. ©t.; „Bombart“ 18° im Pedal der Orgel ju 
Sahweidnih, 1688 von Georg Kioſe aus Brieg erbaut, 35 Stn. — Diefe alle mit Holzlörpern 
und daneben eine Bofanne 8, auch Pofaunen-Baf 8,‘ mit Zinntörpern; ein „Wombart 16° 
von Metall im HD. der Orgel von ©t. Peter und Bauf in Görliß, 1697—1703 von Cafparini 
erbaut 57 Sim. und daneben ein „Gedadt-Bommer 4°; fogar einen „Dom Bardon 32 
Hatte Gabler in Weingarten. 

*) Diefe Menfuren hat Stahlhuth in der Konzertorgel zu Aachen, vgl. Bödeler, Die neue 
Drgel im Kurfousfanl zu Anden. 1876, ©, 62. 





Bombarde, Bombardon. Bordun, Bonrdon. 183 


den Zungen!) mehr in Aufnahme gelommen find, wird die Vombarde von vielen 
Orgelbauern auch in diefer Weile gebaut und bildet dann mit 32: md 16 Fußten 
die Grundlage diefer Gruppe der Zungenflimmen — Fagott 16%, Dulian 16°, 
Oboe &, Klarinette &, Bhysharmonita 8° u. |. w. — meift im Pedal, aber auch 
im Hauptmanual, wenn dies zur Beeftächung des 16füpigen Tonmaßes notwendig 
erfeint.?) — Beit häufiger als bei deutfcen Drgelbauern wird übrigens diefe 
Stimme von den frampöftfdjen verwendet, die ja den Zungenfiimmen überhaupt von 
jeher eime befonders liebevolle Pflege gewidmet haben. Sie disponieren in ihren 
größeren Werfen immer mehrere, oft 4—5 Bombarden?) und unterſcheiden unter 
den Manualen ein befonderes Clavier bombarde (meift das III.) weil durd) einen 
Rolleiozug ale Bombarden- und Trompetenftimmen auf demfelben geipielt werben 
Können. Übrigens bauen fie, wie foſt alle ihre Zungenftimmen, fo and die Bom- 
Garde immer mit auffälagenden Zungen und begreifen unter diefen Namen auch die 
Vofaune, die fie unter ihrem eigenen Namen gar nicht Tennen. . 





Bordun, Bourdon,*) eine der wictigften Grund und Füllſtimmen der 
jel aus der Familie der gededten Labialſtimmen oder Gedadte, die von allen 
ſüigen Stimmen gewöhnlich als erfte disponiert wird, weil fie mit ihrem vollen, 
dien Grundton dem Geſamtorgelllang eine außerordentliche Rundung und Würde 
verleiht. Schon Prätorius fpriht es als ein Charakteriftifum diefer Stimme aus, 
daß fie eine tief und fanft tönende fei, und Adlung nennt fie „ein großes Gedadt, 
fonderfich von 16% und feßt Hinzu: „denm die langen Gedadte nennen die Nieder: 
länder Bordun, wenn fie enger Menſur find.“°) Die Pfeifentörper des B. werden 
meift ganz aus Holz, von manchen in den obern Oftaven auch aus Zinn gefertigt; 
doch find Holztörper behufs der Erzielung des richtigen Tondarafterg und größerer 





) Bon denen fi) Übrigens Spuren fon bei Prätorius, Synt. mus, I. &, 143 finden. 
Bal. Wangemann, Geſch. der Orgel. 1881. ©. 542. 

9) Ins HM. ſehen Bonbarde 16° 3. B. Sauer, Orgel im Dom zu Fulda; Sichlhuih 
in der ebengenanmten Konzertorgel u. a. 

”) So feßt 3. ©. Cavailld«Eoll bei 100 M. Sin. Ped. Kontre-Bombarde 32’ und Bom- 
barde 16°; im I. Man. Bomb. 16°, im IIT. Dan. Bomb. 16° und im V. Man. noch Bonb. 
16%. Augh Iof. Merllin Hat in der Drgef der Kathedrale zu Murcia bei 64 MI. Stu. 4 Bom 
Herden und darunter eine „Trompette-bombarde 8.“ 

*) Der Name tommt in den älteren Werten auf die mannigfachfte Weife torrumpiert vor; 
man findet: Burdo, Barden, „Klein »Barduer 8" (bei Prätorius, Synt. IL. Tab, IL. 
Mr. 4 abgebildet), Carduna, Bardura, Partona, Verdung —; in der Orgel der Stiftsfirde 
zu Sambfpring, 1696 von Andr. Sctweimb aus Einbert erbaut, land „Berduna 18°“ im HB. 
und „Groß-Perduna 32" im Pedal; Bartuna, Pertune, Bordıma. 

5) ®gl. Mus. mech. org. II. S. 76; nad Joh. Sam. Hallens „Kunft des Orgelbaues - 
1789, S. 225 nannte man früher alle gededten Labialftimmen Bordum, wie dies die franzö- 
fifien Drgelbauer noch eute hun, 


184 Kordun, Bourdon. 


Tonfülle jedenfalls günftiger. Gewöhnlich macht man drei Seiten der Körper aus 
Tannenhog, die Border: Labium-) feite aber, ſowie Borfhläge und Kerne aus Eichen- 
Holz. Die Menfur des B. ift verhältnismäßig weit, — in großen Werfen z. B. 
bei Normalprincipal = 7: Bordun 32° = 5, Vordun 16° = 6; in Hleineren bei 
Normalprinzipal = 7: Bordun 16° aud mur = 3 —,) und der Aufſchnitt ziemlich 
ho, die Intonation daher dunkel, faufend, brummend (bourdonnant), aber vol. 
Bordun 16° ift vor allem Manualftimme, und eignet ſich in dieſer Größe 
befonders für Werte mittleren Umfangs, während fie in Heineren von manden weniger 
gerne gefehen wird, weil fie unter Umftänden den Gefamtton undeutlih macht ;*) 
mit 32 Fußton, vie die Stimme in großen Werten ebenfalls fteht, beginnt fie 
gewöhnlich erft auf © oder g, teils aus Nüdfichten auf den Raum, teils weil ihre 
tiefen Töne zu undentlich fein und die Klangmiſchung zu ſehr verdunfefn würden.*) 
Im lehlerer Tomgröße wird der Bordun öfter aud auf aluſtiſchem Wege mittelft 
Bordun 16% und Quinte 10%‘ hergeftellt und foll bei richtiger Iutonation ehr 
vorteilhaft wirten.d) — Als Pedalftimme, als welde unfre Stimme in Heineren 
Werten mit 16 Fußton unter dem Namen Bordunbaß, in großen mit 32 Fußton 
unter den Namen Bordun-Subbag (aud Grand-Bourdon) zuweilen vorfommt, 
muß fie, um als folde wirken zu fönnen, Modifitationen erleiden und erhält weitere 
Menſur (ohne jedoch die des eigentlichen Subbaß ganz zu erreigen) und ſtärlere 
Intonation; ebenfo wird fie in den Fällen, wo fie ans dem Manual fürs Pedal 
entfehnt wird, in der tiefen Dftave nad; und nad) ſtärler intoniert und in der 
Denfur erweitert.') — In Frankreich, wo alle Gedadte Bourdon heißen, wird ein 
weiches Lieblihgedadt 8° unter den Namen Bourdon harmonique, Bour- 
don douce, oder Bourdon Echo öfters als Füllftimme zur Vox humana 
in den Echokaſien gefekt. 


2) Grflere Menſur Hat Ladegaſt, Domorgel Schwerin, vgl. Mafmann, Orgelbauten I. 
©. 61; ichiere empfiehlt Heinrich, Orgelbau-Nevifor 1877. ©. 38. 39 für Meinere Werte. 

3) Trogdem verlangt Heinrich a. a. O. &. 40. 41: „daf feine Orgel ohne Bourdon 16° 
gebaut werden follte.” 

Heiurich, a. a. O. Hält Bordun 32° für „nit praftifh, denn er verduntelt und zuleht 
wird das Gehör fo vermönt, daß e& einen 64 Fuß Haben möhte.“ Cr fat deswegen den 
Bourdon 32° aus feiner Orgel entfernt umd dafür das „ieit wiäigere und nötigere Korneit 
dreifach geiegt.” 

) Den atuffhen Bordun 32° jegt Walder unter dem Namen Grand-Bowdon in feinen 
größeren Werten; dagegen fpridit ſih der Orgelbauer Schiffner in Prag aus, vgl. Wangemann, 
Geſchicte der Orgel. 1981. S. 350-357. Au; von dem Drgelbauer fr. Sauer wird Euterpe 
1872. ©. 201 gefagt, er baue, wenn es nicht gerade gewünſch wird, im Pedal nicht gern 32fühige 
Regifer, weil die tiefen Töne doch nur auf alufifcem Lege am beflen erzeugt werden. 

H Heineih, a. a. O. S. 38. 39 feht fon in Diepoftionen von 7 und 9 I. Stimmen 
Bordum 16°, der fürs Pedal entfehnt wird, verlangt aber, daß Derfelbe fo eingeridtet werde, deh 
er im Pedal als fehender Subbaß 16° gebraudit werden Töne, 








Dem. Sortniansky. L. Bonrgeois. 185 


Bortnianslg, Demetrius, der treffliche ruſſiſche Kirgentomponift, den feine 
Yandsfente gerne den, ruſſiſchen Baleftrina” nennen, ift in unfren Bude aufzuführen, 
weil mehrere feiner Kirhenftüde — „Du Hirte Israels," „Die große Dorologie,” 
ein „Santus” — durd die Vermittlung des Berliner Domchors und feiner Samım- 
lung „Musica sacra“ auch im der deutſchen evangelifhen Kirche Eingang gefunden 
haben und viel gefungen werden. B. war 1752 in dem Dorfe Gloutow in der 
Ufrsine geboren und Hatte feine erfte muftfafifche Bildung in Moeiau erlaugt. Darauf 
ging er nad; Stafien und ftudierte namentlich unter Galuppi in Venedig altitalienifche 
Kirhenmufit. Um 1782 Iehrte er nad Rufland zurüd, wo er als Direltor der 
leiſerlichen Volallapelle viele Jahre lang wirkte und, mit dem Titel eines Stantsrates 
neehrt, am 9. Oktober 1825 zu Petersburg ſtarb. — Seine Werte: 

35 vierftimmige, 10 adtftimmige „Geiflihe Konzerte" und eine drei- 
Rimmige Deffe, erfheinen gegenwärtig (1882) in einer Geiamtausgabe unter 
dem Titel: „Gefammelte Werte von Dmitri Bortnjansty, Zftimmig, Aftimmig, 
26örig (Sftimmig) mit Pianofortebegleitung, hinzugefügt von P. Ticaionsty.“ 
Mostau, P. Iürgenfon. Bart. 10 Bde. Stinmen 10 Bde. — Eine 1822 
von ihm für eine feiner Meſſen tomponierte Melodie, vgl. Euterpe 1860. 
Nr. 8. &. 221 und 1872. ©. 125, findet fih mit Terftegen® „Ih bete an 
Die Macht der Liebe“ mehrfach in geiftlichen Siederbüchern, z. ®. bei Döldter, Geifll. 
Lieder mit Mel. Stuttg. 1876. S. 98 und ift mit dem Liede von Knat: „Dir 
will ich danfen bis zum Grabe“ in das Zürder G.-B. 1855. Nr. 210 und 
in das Drei Kant. ©..8. 1872. Nr. 191. ©. 282 (Spadromsty, Ch.-B. dazu 
©. 104) aufgenommen worden, obwohl fie des lirchlichen Charakters ermangelt, 
ar Geſch. des K.L. VII. S. 461 ſchreibt fie I. G. Tſcherlitziy (vgl. den 

et.) zu. 


Bourgeois, Lonis, ein franzöſiſcher Tonfeger und muſikaliſcher Tgeoretiter der 
orten Hälfte des 16. Iahrhumderts, der fih um den Pfalmengefang der Calviniften 
jedeutendes Berdienft ermorben fat. Cr war um 1510 als der Sohn eines 
Yuilloume Bourgeois zu Paris geboren, wurde frühe fhon mit Calvin und feiner 
%ehre befannt und foll dem großen Neformator um 1541 nad Genf gefolgt fein. 
As Guillaume Franc (vgl. den Art.) 1545 fein Kantorat in Genf verlich und 
ch Lauſanne ging, ernannte der Genfer Rat Bourgeois zu feinem Nachfolger und 
teilte ihm unter dem 24. Mai 1547 das Buürgerrecht der Stadt Genf nebit 
indern Begünftigungen.') Später entftanden Dißhelligfeiten zwiſchen ihm und feinen 
Borgefegten, die nad) und nad) ziemlich ernfter Art geworden fein miffen, da der 
Rat mit der ſehr empfindlichen Daßregel einer teilweiſen Befofdungsentziefung gegen 











') Das Lürgerredit wurde ihm nad; den Protofoflen des Genfer Rates, wie fie Bodet, 
Zist. du Psautier des öglises röformeos, Neufch, 1872. ©. 60 u. 61 im Muszuge mitteilt, 
verliefen „attendu quil est homme de hien et quil sort volontiers pour apprendre les 
nfants;* drei Monate nachter entob man ihm der Bfliten „du guet et des terraulx“ (Wade 
md Straßenreinigung), damit er Tonne „mieux vaquer A son Ötude,“ und ließ ihm „un petit 
»oele & plaque* in feinem Zimmer jehen. 


186 £. Bourgeois. 


ihn vorging.!) Ein neuer Gegenftand des Zwiſtes fam 1551 dazu. Bourgeois 
hatte, wie die Alten des Notes befagen, ohne Erlaubnis („sans licence*) die 
Melodieen einiger Palmen verändert, oder neue Melodien derfelben einführen wollen, 
woflir er fogar mit Gefängnis beftraft wurde?) Wohl fudte er fih nachher die 
Gunft des Stadtrates wieder zu erwerben;) aber feine Stelung in Genf blieb eine 
unangenehme und entleidete ihm nad) und nad) jo ſehr, daß er fid 1557 entſchloß, fie 
aufzugeben und nad) Paris zurüdzufchren. Hier lebte er noch 1561, in welchem 
Jahre er feine unten verzeichneten größeren Tonfäge zu den Pſalmen herausgab. 
Die Zeit feines Todes ift unbefannt; er foll, wie einige wollen, gleih Goudimel 
ein Opfer der Bartholomäusnacht geworden jein. — Bourgeois und Franc gelten 
wenigftens bei den ſchweizeriſchen Forfgern über die Pialmengefänge der reformierten 
Kirche als die beiden erſten Muſiler, die im Yuftrage Calvins Melodien zu den 
Palmen Marots und Bézas teils erfanden, teils aus vorhandenen Boltsmelodieen 
bearbeiteten. Bourgeois fpeciell ſollen nad Riggenbachs Meinung!) die Melodicen 
folgender Palmen angehören: Pfalm 3. 7. 10. 11.12. 25. 45. 46. 51. 101. 110 
und 113, und auch Bovet Hält im fiir den Sänger noch jet gebräuchlicher Pfalm: 
melodieen, während deutſche Forſcher dies nod wicht immer zugeben.) Die ihm zu⸗ 

) Die Urfache diefes bald darauf erfolgenden Abzugs von 50 Gufden if wicht mehr fett 
zufefen. Er bittet um Xuffebung diefer harten Mafregel und um Zufage „par eontem- 
plation do sa pauvret6@ und der Kat giebt ifm „pour cette fois“ und „pour contem- 
plation de ce que sa femme est pröte A accoucher“ zwei Malter Korn. Als er fpäter 
feine Vitte uun Aufbefferung ernewerte, erhielt er den Beſheid „que pour ores Fon n'en 
parlera plus,“ und aud Caloins Dozwiſchentunſt vermochie nichts zu helfen. 

9) Diefe Gefängnisftrafe traf ihn {hen 8 Tage nad) Einreihung feines lebten Bittgefuhe, 
und nur Calving Vermittlung hatte er «8 zu danfen, daf er nad 24 Stunden wieder auf 
freien Fuß gefegt wurde. Wofür er eigentlich dieſe Strafe erhalten, darüber gehen die Mei- 
mungen auseinander. Bovet a. a. D. fagt: „Ces chants introduits par Bourgeois, et que 
hui avaient valu le prison, @aient probablement les nonveaux airs quil avait com- 
pos& pour quelques pseaumes et dont quelques un sont au nombre des plus beaux 
de notre reeneil® —, andre glauben, er Gabe den Verſuch gemadit, feine vierflinmigen Tan- 
fie in der Kirche aufführen zu Iaffen, was Calvin, Inst. Edit. 1560. Libr. II. cap. XX. 
32 aufs frengfte verboten hatte. 

%) Gr fie 1652 eine von ihm gefertigte Tabelle druden, weldie an den girchthüren auf 
gehängt wurde „pour montrer quel pseaumes on doit chanter,“ umd erhielt als Belohnunz 
dafür „soixante sols* aus der Stabifaffe. Cine früßer von ihm gefertigte ähmlihe Tabele 
war unbrandber gervorden, weil die Zahl der Pfafnnmelobieen ih unterbeffen vermehrt hatte 

+) Bol. Donatef. für Muflgefg. 1871. S. 192, wo er ertlärt, daß es „mahegu getoif" 
fei, Daß diefe 12 Pfalwmmelodieen von Vonrgeois Aammen, 

27 Bol. Niggenbadi, „Ausgemühlte Palmen Davids.” Bafel 1808. S. 6%, wo der Ber 
faffer feine obige Annahme zu begründen ſucht. Bovet a. a. O. S 61. Aug bei Riggenbah, 
„Der Kichengefang in Vafel fit der Reformation.“ Bafel 1870. S. &0--68 finden fih „neux 
Auficlüffe üb. die Anfänge des feanzönfgten Pfalmengefangs.“ Faißt, Württ. €0.-®. 1875. &.210a 
giebt zu, da „mod am eheflen dem Louis Bourgeoys ein Anteil an den Pfalmmeifen aus deren 
mittferer Periode yutommen möge.“ 























2. Sourgeois. 8. Krähmig. 187 


geihriebenen Melodieen gehören in Bezug „auf geſangliche Ausgeftaltung und lirchliche 
Bürde und Angemeffenheit des Ausdruds zu den beiten und ſchönſten des reformierten 
Holmbuchs,“ aud feine vier- und fünfftimmigen Tonfäge zu den Pialmmelodieen 
fehen, obwohl fie denen Goudimels gegenüber das Schiejal aller Bearbeitungen 
anderer Meifter teilten und in Bergeffenheit gerieten, an Reinheit und Friſche der 
Harmonie, Gewandtheit und Flug der Stinmenführung den Goudimelſchen wenig 
1ad. Dieſe Tonfäge erſchienen in folgenden Ausgaben: 

1. Cinquante Pseaulmes de David, Roy et Prophöte, traduietz 
en vers francais par Clöment Marot et mis en musique par Loys 
Bourgeoys, ä quatre parties, à voix de contre poinet egal consonante 
au verbe. (Motto:) Tousiours mord envie. Imprimd ä Lyon chez 
Godefroy et Marcelin Beringen, ä la rue mereiere à Venseigne de 
la Foy. M. D. XLVII. (1547). 4° oblong. — Dies find die Tonfäge 
im einfachem Kontrapunft (nota contra notam), mit der Melodie im Tenor 
und ganz ähnlich wie die befannten Tonfüge Goudimels gehaften. Cr. in 
Bibt. Beder in Sana). — 2. Pseaulmes einguante de David composey 
musiealement, ensuyvant le chant vulgaire & eineq parties. Par 
Maistre Jean Louys Bourgeoys. Premier livre contenant XVII 
Pseaulmes. Deuxieme livre cont. XVI Pseaulmes. Troisieme Livre 
cont. XVIII Pseaulmes. En Anvers. Par Hubert Vvaelrant et Jean 
Laet. An M. D.LV. (1555). Diejes Wert enthält feine größeren motetten- 
artigen Tonfäge, Er. tönigl. Vibl. in Münden. —- Rod ein weiteres Palmen: 
wert Bonrgeoig' nennt Fetis, Biogr. univ. des Mus. IL ©. 42 mit dem 
Titel: 3. Quatre-vingts-trois psalmes de David en musique (fort con- 
venable aux instruments) à quatre, cing et six parties, tant ä voix 
pareilles qu’autrement, dont la Basse Contre tient le sujet afın que 
ceux qui voudront chanter avec elle à l’unison ou à l’octave accor- 
dent aux autres parties diminudes; plus le cantique de Simeon, les 
Commandemens de Dieu, les prieres devant et apres le repas et un 
canon & quatre ou cing parties et um autre & huit, par Louys 
Bourgeoys. A Paris, par Antoine Leder. 1561. 8° oblong. — 
Über Bourgeois” theoretifhe Schrift „Le droict chemin de In musique“ 
Genf 1550. vgl. Fetis a. a. OD. — Monatshefte für Mufitgeih. I. 1869. 
Nr. 11. 12. ©. 168—178. Bovet a. a. D. S. 224—227. 


Brähmig, Bernhard, war am 10. Noveniber 1822 zu Hirfhfeld bei Eifter- 
werda im Regierungsbezirk Merjeburg geboren. Als Sohn eines Lehrers und 
Lantors ſelbſt für dieſen Beruf beſtimmt, erhielt er früßgeitig Muſitunterricht, und 
als er 1837 in das (Friedrichftädter Lehrerfeminar zu Dresden eintrat, benubte er 
jede Gelegenheit, ausgezeichnete Muſilwerle im Theater und in den Kirchen zu Hören. 
Nach einjährigen Aufenthalt verlieh er Dresden und fegte im Seminar zu Weißen: 
jels unter Ernſt Hentſchels Leitung feine Studien mit Eifer fort. Nach Vollendung 
derfelben war ex mehrere Jahre als Lehrer thätig, erhielt dann aber 1948 behufs 
weiterer Ausbildung in der Muſit einen einjährigen Urlaub und ging nad Dresden, 
wo er bei Joh. Schneider Unterricht im Drgelfpiel und bei Julius Dtto in der 












188 A. Brandt. Sr. Brauer. 


Kompofition nahm. 1852 wurde er Lehrer und Drganift zu Hohenmölfen bei 
Weißenfels und machte fih nun auf muſitaliſchpädagogiſchem Gebiet einen Namen, fo 
daß er ſchon 1855 als Muſillehrer an die Erziehungsanſtalten zu Droyßig bei Zeig 
berufen umd 1861 in gleicher Eigenſchaft am Lehrerjeminer in Detmold angeftellt 
wurde. Hier ftarb er jedoch ſchon am 23. Dftober 1872, erft 50 Jahre alt. — 
Von feinen zahlreihen im Drud erjhienenen Werten find Gier anzuführen: 

Kirden- und Haushoralbud) mit Terten. Für Andahtsübungen, ſowie 
auch für den unterrichtlichen Gebraud; vierftimmig für Orgel oder für Piano- 
forte. Erfurt 1862. Körner. VI. u. 232 ©. oh 4°. — Evang. Hymnen 
und Motetten für Zftimmigen Frhor. und Solo. 2 Hefte. Leipg Merieb. 
2. Bearbeitg. für Moor. 2 Hefte. — Hymnen und Chorlieder für ©. A. 
T. 8. mit Pf. od. Org. Leipg. DMerfeb. — Zionsllänge. Sammlung ein- 
face lichlicher Fefgefänge. Für 2- u. Sftimmigen Chor bearbeitet und mit 
leichter Orgelbegl. verjehen. Leipz. 1866. Merjeb. V. u. 66 ©. qu. 49. — 
Arhiv für geifll. Dännergefang :c. Leipz. Merfeb. Heft I. 1867. IV. u. 
96 ©. gr. 8%. Heft IL 1868. II. u. 84 ©. gr. 8°. — Thevretiid- 
praftifhe Organiftenfgufe ac. Leipg. Merjeb. I. Kurfus. 1868. Belhreibung 
der Orgel, Elementarftudien u. Tonflüde. I. Kurfus. 1868. Das tirhliche 
Drgelfpiel (Präludium, Choral, Nachſpiel. IM. Kurfus. 1869. Birtuofe 
Studien und Tonftüde. — Große Fantafie und Fuge für Orgel. Op. 1. 
Erfurt, Körner. — Orgelftüce für den gottesdienftlihen Gebraug. Op. 2. daf. 





Brandt, Auguft, war am 3. Juni 1825 zu Eisleben geboren und erhielt 
feine padagogiſche und mufitalife Bildung auf dem Gymnaſium und dem Seminar 
feiner Vaterftadt. 1845 wurde er Lehrer im Merfeburg und Bald Mittepuntt eines 
regen mufifafifcen Lebens in diefer Stadt, was feine Ernennung zum Stadttantor 
zur Folge hatte. Er blieb in diefer Stellung bis er 1872 als H. Kurths Nad;- 
folger zum Geſanglehrer an der Hauptidule in Bremen berufen ward. Doch war 
ihm Hier nur mod fünf Jahre zu wirken vergönnt, denn er ſtarb ſchon am 10. Juli 
1877. — Bon feinen zahlreigen Werken find hier zu nennen : 

1. Choräle u. geiftl. Figuralgef. für 2 ©. u. A. Halle 1861. 2 Hefte 

74 &t. 8°. — 2. Kichl. Feftgef. für 2ft. Kinderhor mit Org. Erfurt 1865. 

205. 8°. — 3. Friedhofstlänge. Für Mor. Leipy. 1870. 48 ©. 8%. — 

4. Motette nach Pi. 145 für Aftgn. Moor. Op. 47. Bremen. — 5. Orgel 

ftüde zum Gebr. beim Gottesd. Leipg. 2 Hefte. 28 ©. 4°. — 6. Prattiche 

Elemientar-Orgelfchule in 2 Rufen. Leipz. 2 Teile. 133 ©. 4%. — 7. 12 

Shoralvorfpiefe für die Orgel. Leipz. 1871. — 


Brauer, Friedrich, Organiſt in Naumburg, ift am 25. September 1806 zu 
Stößen bei Naumburg geboren. Er befuhte 1822—1826 das Seminar zu 
Weißenfels, wo er unter Ernft Hentſchels Leitung den Grund zu feiner mufifalifchen 
Bildung legte, die er durch Selbftftudium zu vervollfommmen immer beftrebt war. 
Nachdem er von 1827 am c. 20 Iahre als Lehrer gewirtt Gatte, wurde er im 
März 1846 zum Drganiften an der Hauptlicche zu St. Wenzel in Naumburg bes 


5. A. Sreidenfein. Brich an du ſchönes Tageslicht. 189 


rufen, und in diefem Inte konnte er am 23. Dezember 1877 fein 5Ojähriges 
Jubiläum unter allgemeiner chrender Teilnahme feiern. — Wolgendes find die Werke, 
die von ihm für Orgel erfhienen find: 
1. Borfpiele zu Hentſchels Evang. Choralbuch. Leipz. Merjeb. 3. Aufl. 
2. Nadfpiel E-dur. Erf. Körner. — 3. Prüludium und Fuge F-dur. daf. 
— 4. Präfudium zu „Derufalem, du Hohgebaute Stadt.” dal. — 5. „Auf 
meinen lieben Gott” Trio (in Beder, Cäcilie). — 6. Exfter Kurjus im Orgel: 
ipiel. Cine prattifce Elementor-Orgelfgpule. Dffend., Andre. — T. Nadıipiel 
E-moll. Daj. — 8. 12 Choralvoripiele. Daf. —- 9. Fuge G-dur. (Im 
B. Schüges Orgelfgule). 








Breidenftein, Dr. Heinrich Karl, Univerfitätsnwfitdireltor in Bonn. Er war 
am 28. Februar 1796 zu Steinau in Heffen geboren und machte urſprünglich 
juridiſche Studien in Berlin und Heidelberg; fpäter wandte er ſich der Muſit zu, 
ließ fih 1821 ale Mufiliehrer in Berlin wieder und wurde am 2. Juni 1823 
zum Mufildireltor an der Univerfität Bonn ernannt, an der er am 25. Februar 
1826 zum auferordentfihen Profeffor vorrlidte. Nachdem er 1873 fein 5Ojähriges 
Zubiläum unter allgemeiner Teilnahme gefeiert hatte, ſiarb er zu Bonn am 12. Juli 
1876. — Br. ift hier zu neunen, weil aus einer von ihm Tomponierten Motette 
(Op. 1. Leipz. Breittopf und Härtel) die nachſtehende Melodie in den Kirchengeſang 
übergegangen und in das Württemb. Ch-B. 1844. Nr. 81. S. 37 fowie in das 
Dr. Kant. G.-B. Frauenfeld 1872. Nr. 204. ©. 299 f. aufgenommen wurde. 
Diefe Melodie Heißt: 


Breeze 


Wenn ich Ihn nur da + de, wenn er mein nur il 





— 



























































































— SIE ee Fe 
& + — — tat 
Herz bie hin zum  Gra » be feirme Treu-e nicht ver + gißt: weiß ich 
a ER — —— — 





















































nictsvon Lei · de, führte nichts als An - dacht, Lieb und Freu- de. 


Ein größeres Wert, „Über Strultur, Behandlung und Geſchichte der Orgel, 
dis Br. drudfertig im Pulte gehabt Haben fol, ift bis jet nicht erfhienen. 


Brich an du ſchönes Tageslicht, ein neuerer Choral, wahrſcheinlich von 
Wichael Gotthard Fiſcher (vgl. den Art), in deſſen Choralbuch. Erfurt 1820, 
©. 58. Nr. 37 er fih zuerft findet, fomponiert. Daraus nahm ihn A. W. Bad) 
in fein Bert. Ch-B. 1830 und Friedr. Layriz in feinen „Rern des deutſchen Kirchen 
Wange. III. 1853. Nr. 375. ©. 14 auf. Im Erhſchen Ch-B. Berl. 1863. 
©. 23. Nr. 33 Heißt er: 


190 Brich den Hungrigen dein Brot. W. A. Briegel. 














Be — — 


Aa an, du fhö-nes Targes-ligt! er-fgein in deinem Purpurdtlei + dei 
Mit dir Geb id mein An»ge » fihtzum Duell des Yihtes under Freu de. 


Bes Fr 


3a, Herr, zeuch mei + men Geift und Sinn zu dei «nem Him« mels- lich « te Hin. 
































f k 











au) 
” 





























Brich den Hungrigen dein Brot, Kantate zum 1. Sonntag nad Trinitatis 
von Sch. Bach, Über das Evangelium vom reihen Mann und armen Lazarus. Das 
Wert begimmt mit einem freien Anfangschor zu Iefins 58, 7. 8 und jchließt mit 
dem Choral „Freu did ſehr o meine Seele“ zur 6. Strophe von , Kommt laft 
euch den Herren Lehren“ („Selig find die aus Exbarmen“) nad Johann Hermann 
bearbeitet (Hannöver. G. G. 1648. Nr. 133 „vieleicht von David Denide — 
Fiſcher, Kirgenl-Ler. I. &. 15). Bgl. Spitta, Bach II. ©. 560-561. Ausg. 
der Bach Geſ. VII. Nr. 39. 


Briegel, Wolfgang Karl, ein fruchtbarer Tonfeger der evangefifhen Kirche 
aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, der durch das von ihm bearbeitete 
und 1687 herausgegebene Darmftädter Kantional don bedeutendem Einfluß auf die 
neuere Entwiclung des Gemeindegefangs geworden ift. Am 21. Mai 1626 in oder bei 
Nürnberg geboren, wurde Br. „meift aufferzogen in Nürnberg, wo er eine ziemliche 
Zeit an der Kapelle als Diskantift auffgewartet.” Später fol er mehrere Jahre 
zu Stettin als Drganift gelebt haben, bis er 1650 oder 1651 als Hoffantor und 
Organift in die Dienfte des Herzogs Ernft des Frommen zu Gotha trat. Hier 
erſcheint er 1658 als „Mufifdireftor auf dem fürftlichen Haufe Sriedenftein“ bei 
Gotha,) und nachdem Herzog Ernft geftorben war, übernahm er Ende 1670%) die 
Stelle eines Hoffapellmeifters in Darmftadt bei dem Landgrafen Ludwig VI. von 
Heffen. Diefe Stele, die er an Neujahr 1671 antrat, verjah er dann bis in fein 
hohes Alter, lebte darauf nod einige Zeit im Ruheſtand, und jtarb am 19. Nov. 
1712, 86%» dahre alt, zu Darmfiadt.?) — Br., der „gleich Händel, Jomelli, 
Georg Benda und K. Ph. Em. Vach ein forpufenter Dann von jovialiſchem Aus 





8. 5. Pohl bei Grove, Diet. 1 ©. 270 Hat wohl infolge eines Dißverftändnifes: 
Musie-Director to Prince Friedenstein in Gotha.“ 

9) Diefe Angabe findet fih in der Yeidjenpredigt ſeines Nachfolners Agricola. Gotha 1677, 
einer Quelle, die Fölfing, Biogr. Über W. &. Vriegel. Darmj. 1853 nicht launie. Lat. 
Monateb, für Mufilgefh. IL 1871. S. 31. 

9) Am 21. Nov. wurde er begraben. Dal. die von Folſing, Euterpe 1861. &. 145 
mitgeteifte Urhunde. Die neueren deritographen wie Feis IL. &. 72, Mendel II. ©. #8, 
v. Dommer, Alg. demſche Biogr. III. &. 328--329 Gaben Fülfings Forfgungen nicht bemupt 
und mm Gerber, N. Ler I. 2. 513 nacgefchrieben. 


W. K. Briegel. Briuget her dem Herrn Ehre feines Namens. 191 


itgen und vieler Febensfraft gewefen,“ hat während feines langen Lebens eine ganze 
Reife von Mufilwerten geichaffen, die, wie fie in feiner Zeit weile Tonzipiert waren, 
auch mit dieſer Zeit vergehen mußten. Auf gleichem Boden mit Ahle ftehend, ſchrieb 
er wie dieſer „geiſtliche Arien und Konzerte, evangeliihe Geiprähe u. dal. auf 
wadrigaliſche Art,“ mit zierlichen, kurzatmigen Melodiephraſen und zwar fließender 
und gemandter, aber ziemlich magerer harmonifder Behandlung derfelben. Zum 
neuen Stil der evangelifcen Kirchenmufit auch nur ahnend dorzudringen, dazu 
raichte die geiſtige Kraft dieſer Männer nicht aus, — diefen neuen Stil zu 
isaffen, bedurfte 6 eines größeren, deſſen Wirken bei Briegels Tode and 
bereits in verheigungsvolfter Weife begommen Hatte, — Johann Sebaſtian Bachs. — 
Seine Arbeit an den Melodien des Darnft. Kantional®, die Br. ſelbſt eine 
„Revifion“ nennt, ift von v. Winterfeld u. a. hart getadelt worden: „er war 
der erfte, der die ändernde Hand am die alten Melodien legte, fie im modernen 
Geſchmack umbildete, ihnen den alten, lebensvollen Rhythmus abftreifte und 
fie in ein neues harmoniſches Gewand Heidete." Alein in Wirtlicfeit trifft 
ihn diefer Tadel nit, da er nichts anderes that, als die Melodien ſo firierte, wie 
fie fih bis zu feiner Zeit geſchichtlich geftaltet hatten, und wie ev fie geben mufite, 
wenn fein Bud) für den damaligen Gemeindegefang brauchbar fein jollte. — Der 
Titel feines Werkes ift: 
„Das große Kantional oder Kirchengeſangbuch, in welchem nicht allein 
D. Mart. Luthers, ſondern auch vieler andrer gottjeliger Lehrer der Griftlichen 
Kirche geiftreiche Lieder begriffen, mit jonderbarem leiße zufanmengetragen, in 
gewöhnliche Melodeyen gefept und auf vielfältiges Verlangen in Drud gebradt. 
Darınftadt 1687 dei Heinrid Müller. — Cs enthält zu 417 Liedern 291 
Melodien mit bezifferten Väffen und ift der Borläufer des Darmftädter ©... 
(Züchten) 1698 und des Freylinghaufenf—hen G.®. von 1704. — Bon den 
12 eigenen Melodien, die er mit „W. X. B.” Bezeihnet, aufnahm, gingen 
verfciedene in die Ch-BB. von Dregel 1731 und König 1738 über.!) Seine 
übrigen Werte verzeihnet Gerber, N. Yer. 1. ©. 513.) 


Bringet ger dem Herrn Ehre feines Namens, Kantate zum 17. Sonntag 
nad) Trinitatis (23. Sept. 1725) von Seh. Bad), mit „befonders ſchwungvollem 
und volfstünlich fräftigem Anfangshor“ und dem Schlughoral „Auf meinen lieben 


) Bon diefen.Melodieen findet ſich nod eine bei Schitt, Eh-B. 1819 und eine bei 
crit, Kern III. Nr. 360. Mber diefelben vgl. aud Schneider, Das mufitalifge Lied. III. 





2.15 
*) Neu gedrudt find folgende Kompoftionen von Br.: „„Ad daßz du den Himmel“ 1660. 
2 voc. c. B. Winterfeld IL. Notenbeifp. 149. — „Du Sciöpfer aller Dinge“ 5 voc 3 Inf. 
daf. n. 152, — „hr uns Herr in Verſuchung nichr· 1690. 4 voc, 5 Iuftr. daf. II. 136. — 
‚Herr wenn ich nur dich habe“ 1055. 5 voc. Gommer &. 80 und Choralvorfpiel „Chrifi lag 
in Todenbanden" Körner, Drgeloirtuos. Nr. 88. 








192 6. Sronner. A. von Bruck. 


Gott” (über deſſen Tert vgl. den Art. S. 58. 59). Spitta, Bad II. ©. 
992--995. 


Bronner, Georg, Organift an der h. Geifttiche zu Hamburg und bedeutender 
frugtbarer Tonfeger. Er war 1666 im Holfteinifhen geboren und ftarb 1724 
zu Hamburg. Dit Keifer, Krieger, Matthefon u. a. ſchrieb er eine Anzahl Opern 
für das Hamburger Theater, das er von 169% an felbftändig verwaltete. Aud auf 
den Gebiete der Kirgenmufit war er als Komponift von Kantaten, Motetten, Orgel- 
ftüden zc. ſehr fleißig und gab eines der erften fogen. „Choralbücher“, d. h. Ehoral- 
partituren oder Zufanmenziejungen der einzelnen Stimmen in zwei Syfteme (Melodie 
und Baß mit Bezifferung) heraus, wie dies zu Ende des 17. und Anfang des 18. 
Jahrhunderts, am Stelle der bis dahin in eimelnen Stimmen gedrudten geiftlichen 
Eioderbücher, Sitte wurde. Dieſes Choralbuch erjgien unter dem Titel: 

„Volltonmenes mufifaliihes Choral-Buch, mit Fleiß eingerichtet nad) dem 

Hamburgifgen Kirhen-Gefang- Bud, in drei Stimmen tomponiert, wie aud mit 

einem Choral- und obligaten Orgelbaf verfehen von Georg Bronner." Hamburg 

1715. qu. 4°. 155 Choräle. — 2. Ausgabe: Hamburg 1721. qu. 4%. 

1 Bl. Privilegium, unterzeihnet: Hamburg, den 25. Auguft, 1715“ 7 Seiten 

Widmung von G Bronner, unterzeihnet: „den 31. Dezember 17155” 16 ©. 

Vorrtde 21 ©. Regiſter; 406 Seiten 161 Chorüle mit doppelten und be- 

gifferten BVäffen, teifweife aud in dreiftimmiger Bearbeitung; 1 Bl. Errata.“ 

Es ift aud) noch dadurd geſchichtlich intereffant, daß es erftmals die Choräle 

in alpfabetifher Ordmung giebt und fi damit vollftändig vom Gejangbud) 

emanzipiert. hat.') 





Bruck, Arnold von, ein bedeutender Tonfeger der Neformationsgeit, der um 
1470 wahrſcheinlich zu Brugg im Kanton Aargau in der Schweiz geboren ift.’) 
Über fein Jugendleben und feine mufitalifgen Studien iſt nichts Verläglices bekannt 
und erſt um 1530 treffen wir ihn als Kapellmeifter des Königs Ferdinand I. in 
Wien und fpäter als Dechant des Stifts zu „Lawbach“ d. i. Laibach.?) Bon feinen 
Werlen find noch gedrudt vorhanden: 


1) Weiteres Über Bromners Leben und Wirten geben: Matihelon im Muſ. Patrioten. 
1728. ©. 144, in der „Ehreupforte” 1740. ©. 220. 288. Ablung, Anl. zur mufil. Gelahetfeit. 
1708. ©. 006. 

2) Bol. Ambros, Geſch. der Mu. DIT. S. 400 u. Publifationen Älterer Muſitwerke. Ber. 
®. IV. ©. 46. Gr if alfo nich, wie Fotic, Biogr. des mus. I. ©. 142 meint, ein (la: 
mänder, der feinen Yamen „von Vrud, de Brud, von Brugge, vom Brud, von Brad,” ital. 
„Arnoldus da Ponte,“ von der Stadt Brügge in Flandern Hat, wie aud noch Dendels 
Duft. Konverf.geg. U. 1872, S. 198 f. behauptet, Diefe irrige Meinung fonnte um fo eher 
auftommen, als man ihn Häufig mit Armoldus Flandeus, der um 1690 Organift zu Tolmeyzo 
im Frioul war („Organista Tulmetanus Eremita“ nennt er fih auf dem Titel feiner 
„Sacrae cantiones“ Benedig 1590), verwedfete. 

») Hans Ditl, der ihm feine Liederfammlung (Niirnberg 1594), in der fih 20 Zonfüge 
Arnolds finden, unter dem 20, Ag. 1534 widmet, fagt: „dem erwirdigen Herrenm Arnolde 


A. von Bruck. 193 





ein fünfftimmiges Paternofter; eine Motette „In civitate Domini; 
4 Hymnen; eine Himmelfagrtsmotette „Ascendo ad patrem;“ eine fehs- 
fimmige Krönungsmotette für König Sigismund „Fortitudo Dei;“ daun 
eine Anzahl Tonfäge über deutſche weltliche Lieder und über c. 30 lutheriſche 
Kirgpentieder.') 


Gleich verſchiedenen andern Meiſtern der Tonkunft (z. B. Laſſus, Senfl x.) 
damaliger Zeit, wurde auch Arnold von der Reformation tief ergriffen, und fo kam 
er gleidy jenen dazu, Kirgenmelodieen der neuen Kirche als Tonfeper zu bearbeiten. 
Seine einihlägigen Tonjüge von denen neun in Hans Otts Piederfammlung 1534 
— und adtzehn bei Georg Rhaw, „Newer deudfcher Gefeng 123" Wittenb. 1644 
inden,*) nehmen „eine eigentümliche Mittelftelung zwiſchen dem einfad Choral: 
mäßigen und dem motettenartig Fugirten ein, die Schreibart derfelben iſt tieffinnig 
und lunſwoll und hat gleichwohl etwas Voltstümfihes und Urgewaltiges.“ — Die 
firdlicen Ctreitigleiten feiner Zeit ſcheinen ihm ſehr zu Herzen gegangen zu fein?) 
und von evangelifcer Seite foll man ihm fein Verbleiben bei der ijatholiſchen Kirche 
übel vermerkt Haben‘) Er trat nämlich in den Genuß feines Laibacher Detanats 
ein, nachdem er, wie aus den Alten des Wiener Archivs hervorgeht, lange ‚Beit, 
Canonicus in herbis geweſen war, und foll dann am 22. September, 1536,,5u 









von Bruck Dechant des Stifte zur Yanbah Römuſcher Aönigliter Majeflt ,. , nperften 
iapellenmaifter meinem günfigen Heren“ und eine Medaille im f. 1. WAHlLtRKAnd für Wien 
mit dem Lrufibilde Aenofds trägt die Umfgrift: Eikon Arnoldi a Bruöki; "R.(othaiörun) 
R.egiae) M.(ajestatis) R. C. (rectoris capellae) Cantorum präsidüs "1856,, „Auf uiber‘ 
Rüdteite ein Kranz von Öfzweigen und darin das Difticon © 
„Omnia quae mundo sunt ornatissima ceasunt, .; 3 
Ingenii solum statque manetque decus.“ u 
Bat. Bergiann, Meoaillen aller berühmter Männer des öfe. Koiferftante. 1. 1@.'&3 und Sauty, 
Medaillen auf Tonkünftler. Tonhalle 1869. S. 659, 
) Enprion, Hitorie der Mugeb. Konf. Gotha 1730.0G,309“hat Sie Not, dehed 
1533 auf „Lutheri Gefänge: „Lem heilger Geift, Perre Gott“ — „Witten wi jun Leich 
find“ — „Gott der Vater wohn uns bei“ — jdöne Melöbien \ befefigete die Hans ot 
unter feinen 121 neuen Liedern (Ar. 9. 12. 13) mit denden“ tofch.” Danach“ mbane 
Ambros, Geſch. der Muſ. II. ©. 402 noch immer für den Erfinder diefer Delodieen halley, 
obwohl deren Urfprung jetzt nicht mehr zweifelhaft is: in® wich ourbt an dam 97 hl 
2) Einen derjelben zu „Aus tiefer Not frei ich zu Dir“ teilt v. Winterfetd, Luthers Deutſche 
geififiche Lieder. Leipz. 1840. S. 107 f. als änbeifpieh Mon uer/ Bungee 
Zingweife in zwei Stimmen eines vierfiimmigen Sabes mit. 
>) In eine feiner Konyoftionen zaftän ievDe@NeleinirtiGeinihe" ben 
Gnade mit, auff dag der riften ritt zur einigteis:pnadjbundentmahsu Andenweiteiie Hp hd, 
diefen Aritt, dieweil du mittler. Bi, ‚fäfshvie)einıJamen;Afb Ace) ahorbentiiteitn Apatre.® ( 

; Aınbros a. 0. D. fült nämlich; dafim, dapıemn Epoıtgebidrt ‚Ic awilfihiifern gurpäpitin 
lich fein” von Kafp. Drhmair, bei Forftes Hiberfanmpkung.nY%. Behihurkılriötb:ifermingifet;s 
weil die Wufil desfelden an die ihm yößkichrichgne: Meobie yaumntirhebiiu mir, ‚price Bist 
Sohn” anklinge. Run if ebeninud Diet Melödicmöshtnnenniginsinn Mader Dilfe Aanähme 
fehr moeifeldaft. incl unTnndon Dot it lan „zunt 

Rümmerke, Encfl, d. evang. Rirhenmufit. 1. 13 





















194 N. Sruhns. Bruunquell aller Güter. 


) während er andern Angaben zufolge in ten Regiſtern der 


Bien geftorben fei 
2) 


Taifertichen Hofmufittapele (vgl. d. Köchel, Die f. I. Hofmufiffapelle. 1869. S 
zu Bien von 1543—1545 od) als „Obrifter Kapellmaifter” verzeichnet it) und 
ihm erft 1546 Petrus Moeſſanus im Amte folgte. 


Bruhns, Nitolaus, ein bedeutender Organift der Burtehudeſchen Schule, aus 
defien Peben jedoch nur nod wenig befannt ift. Er war 1665 zu Schwabftädt im 
Scyleswigihen geboren und machte feine Studien bei Burtehude in Lübech der ihm 
dann einen mehrjährigen Aufenthalt in Kopenhagen verſchaffte; fpäter wurde er 
Organiſt zu Hufum, wo er jedoh ſchon 1697 ſtarb. — Bon feinen Orgelwerten 
hat Franz Commer, Musica snera 1. Nr. 5 u. 6 eine große Fuge mit obfigaten 
zweiſtimmigem Pedal und eine Choralbearbeitung über „Nun fomm der Heiden 
Heiland“ (letztere auch bei Körner, Orgelvirtuos, Nr. 136) veröffentlicht; er zeigt 
ſich in diefen Werken als genialer Schuler feines Meifters Burtehude und als 
würdiger Vorgänger Seh. Bas. Matthefon, Ehrenpjorte 1740. S. 26 ſchil 
dert ihm außerdem als hervorragenden Geiger, der ſich auf doppelgriffiges Spiel 
fo ausgebildet Hatte, daß es ſich anhörte, als ob drei oder vier Geiger in Thätigkeit 
wären. Zuweilen ſetzte er ji mit der Geige vor die Orgel und fpielte mit den 
Füßen eine Pedalffimme zu den vollen Harmoniegängen, welde er jener entlodte, 


Brunnquell aller Güter, Choral, der ſich zuerft in Joh. Crügers „Geift: 
liche Kiren-Delodeyen.” Leipzig 1649 in folgender Form’) und mit Erügers 
Namen „I. C.“* unterzeichnet findet: 





























— — 














— — 


Bere 


Stiller al» fer Schmerzen, def «fen Glanz und Ker. zen mein Ge - mi 
— — 






























































Ich re mei· ne ſchwa ·chen Sai- ten deiene Kraft und Lob aus /brei ten. 


Dieſe Angabe hat Fetis a. a. O. ofme daß er jedoch irgend eine Quelle für dieſelde 
nennt, 

9) Bot. Bubtitationen der Gefellihaft für Muffforidung. Berl. Bd. IV. S. 47 der bie 
grapbifgen Notigen und Ouellennadiweifungen. 

) E. 8. ©. Langbeder, Joh. Crügers Choralmelodieen. Berlin 1835, I. ©. 24, der 
allerdings das ®.-®. von 1649 nicht feibft geſchen Hatte, giebt Gier die oben als zweite Form 
verzeidjnete Melodie und Läft fie von Crüger im ©-®. von 1658 in die erfle umändern, 
während Bode, Die Kirgenmelodieen Joh. Crügers. Monate. für Mufilgeid. 1873. Ar. 5. 
&. 713 die Mel. in der erflen Form im Berl. G. v. 1658 zuerfl ımd die Bepeihinung „I. &“ 
erft in der Prax, piet. Mel. 1666 gefunden hat. 


Bruſtwerk. 195 


Im derſelben Form hat ihm dann noch das Rungeſche Berliner G.-B. 1653. ©. 247. 
Nr. 157 ohne jedod den Komponiften zu nennen,') und Chritoph Peters „Andadts- 
Zymbeln.” Freiberg in Meifen. 1655. ©. 249. Nr. 80, wo der Dichter des Liedes, 
dohaun Frand (1619-1677), aud als Komponift der Melodie bezeichnet wird. — 
Die untenftehende zweite Melodieform erſcheint zum erften Mal in Crügers „Praxis 
piet. melica.“ Wittenb. 1656. ©. 411. Nr. 199, am Ende mit „I. €.“ und 
„Johann Fran“ bezeichnet, während die Ausgabe desfelben Buches von 1661 wieder 
nur die Chiffer „I. Er.“ hat umd die Melodie auch in des Dichters Johann Frand 
„Geifttichem Sion.” Guben 1074. S. 26. Nr. 15 ſelbſt, nur mit „Ioh. Crüg. 
bezeichnet iſt. So ſcheint es, daß Grüger der Erfinder derjelben ift, wenn nicht 
etwa mit Ert, Ch.B. 1863. Nr. 35 u. ©. 244-245 angenommen werden will, 
dab Franck die urfprüngliche Weife felbft erfunden, Crüger aber fie umgeihaffen und 
Franck diefe Umarbeitung als eine von Crüger gleichſam neu erfundene Melodie an 
extannt Habe. Die zweite, nod jet gebräudliche Form lautet: 



































Brunnauell ol » fer Gi» ter, Serrefäer der Ges mltster, les bem- di.+ ger Wind; 
Stil » er al ier Scimerzen, de} «fen Glanz und Kerzen mein Ge > mit ent-gündt; 





LH 
































fee te meisme ſchwa chen Saiten dei- me Kraft und Lob aus-brei-ten. 


Bruſtwerk Heißt in größeren Orgeln eine befondere Abteilung mit eigener 
Maviatur und eigener Negiftergruppe. Ihr Name „Vrufwert“ ftanumt daher, daß 
die Negifter derfelben in der Mitte des Profpeftes, vor der Bruſt des Organiften, 
der an der Orgelbrüftung ftehen. Dasfelbe fan für ſich allein, oder mit den andern 
Abteilungen gefoppelt geipieft werden und es gehört bei den älteren Orgeln mit bei 
ivielsweife 3 Manualen das obere gewöhnlich zum Bruſtwert, das mittlere zum Haupt 
wert und das umtere zum Niücpofitiv (vgl. den Art.) Bei der Dispofition erhält 
das Bruſtwert immer eine Meinere Anzahl Stimmen als das Hauptwert und meift 
folde im 8 und 4 Fußton und von fanfter Imtomation.?) Die neueren Orgei- 
bauer haben nicht felten den Namen umd die gefonderte Aufftellung des Bruftwertes 
aufgegeben; fie fagen (befonders die Süddeutſchen, während die Norddeutſchen noch 
= . 





Nach Langdeder, a. a. D. ©. 25. Anm. fei dies häufig der Mall in diefem Buche, 
wenn Crüger fih in einem feiner früßeren Gefangbüdier als Komponift einer Singweife {han 
nambaft gemadt Hatte.” 

9) Dos fünmen die Orgelbauer in diefer Hinſich nicht überein. So ſeht 3. B. Silber 
mann, Frauentir he in Dresden, bei 48 Il. Stn. „in der Bruft 10 Sin. von defifaten und 
tieslihen Menfnren,” während Gabler, Weingarten, bei 00 M. Stn. ins „IL. Aovier 
zum Brufwerf 10 gravitätiice oder große Stimmen“ disponiert, 

13° 


196 Buchholz. 


mehr am der älteren Weiſe feſthalten) nur noch I, IL, II, IV. Manual und 
disponieren fo, da bei Orgeln mit 2 Manualen die Stimmen des zweiten, bi 
folgen mit 3 oder 4 Manualen die Stimmen des dritten Manuals denen des älteren 
Bruftwerts entfpregen. Bei 3 manualigen Orgeln wird öfters die Echovorrichtung 
mit dem Vruftwert verbunden; im welchem Falle es dann freilich micht Bruftwert 
bleiben Tann, fondern als Oberwerk Höher und weiter zurüdgejegt werden muß. 


Buchholz, Firma eines altrenomierten Orgelbaugeſchäftes in Berlin, das 
1799 von Johann Simon B. gegründet wurde. Diefer war am 27. September 
1758 zu Schloß Wippach bei Erfurt geboren und hatte ſich feine Kenntniffe im 
Orgelbau bei Rietz in Magdeburg, Grüneberg in Alt-Stettin und Marz in Berlin 
erworben. Er baute im ganzen über 30 meift größere Werke, unter denen ala her: 
vorragend genannt werden: 

Die Orgel zu Barth in Pommern mit 42 H. Stn.; die zu Teeptom 
mit 28 ©t.; die Orgel der Domfirde zu Berlin, fein größtes Wert, nad 
dem Plane des Mufikdireftors Tſchodert 1817 erbaut, und die der Marien: 
kirche zu Stargard, fein letztes Wert. 

A 24. Februar 1825 ftarb er zu Berlin und hinterlieh das Geſchäft feinen 
Sohue Karl Auguft B., der am 13. Auguft 1796 zu Berlin geboren war. 
Unter feiner ſachlundigen Leitung nahm es einen auferordeutligen Auffchwung, um 
jo mehr als er in feinen zahfreihen und zum Teil fehr anſehnlichen Drgelwerten 
mehrere von ihm gemachte Erfindungen, wie die der Teilförmigen Schleifen, der 
Dftavfoppel, der Doppelventile, und in der 1850 erbauten Orgel der Petrifinche 
zu Berlin die kurz zuvor in England erfundene und von ihm verbefferte pneumatiice 
Maſchine erftmals in Deutſchland mit Erfolg amwandte.)) Seine Verdienſte um 
die Orgelbaufunft fanden auch dadurch Anerfennung, daß er 1851 von der Afademie 
der Künfte in Berlin zum Mitgliede ernannt wurde. 1850 wurde fein Sohn, 
Karl Friedrig B., der im väterlichen Gefhäfte gelernt und zu weiterer Ans- 
Bildung namentlich auch franzöſiſche Werkftätten befugt Hatte, zunächſt Teilhaber und 
bald darauf Chef der Firma. — Die bedeutendften Buchholzfchen Orgelierke, 
namentlich in Verlin, find: 

1. Die Orgel der Nilolaifirhe, 1846, mit 50 MH. Stn. 3 Man. und 
Bed. — 2. Die Orgel der Georgenlirge, 1848, mit 42 HM. Stn. 3 Man. 
Ped. — 3. Die Orgel der Petrifiche, 1850, mit 60 Hl. St. 4 Man. Per. 
— 4. Die Orgel der Barogialtirge, 1851, mit 41 M. Stu. 3 Dan. Bed. — 


M Mit Vorliebe folgte er den Traditionen Sidermannfher Bauweiſe, namentlich Hinfihtlih 
der auffdjlagenden Rohrwerle, denen er volle Norpuslänge gab; in der Petriorgel zu Berlin bat 
die Trompete 8° des HW. von Hein fis an aufwärts fogar übergroße Körper, wird alfo an 
nähernd zur Trompette harmonique der Frangajen. Val. Signale 1808. 5. 210. — Nat 
Heineid), Orgelbau-Revifor 1877. ©. 15 litten jedod feine frügeren Werte auch an den Fehler 
der Sitbermannihen: fie waren fhrwindfüdtig, weil er zu enge Kröpfe und Rropfventite maste 
und damit den Wind nicht aus den Balgen ließ. 





A. S. F. Bukow. I. von Burck. 197 


5. Die Orgel der neuen Synagoge, mit 45 I. Stn.').— 6. Die Orgel der 
Dberticche zu Franffurt a. D. 1834. — 7. Die Orgel zu Rronftadt, 1839, 
63 HM. Stn. 4 Man. Pd. — 


Buckow, Karl Friedrich Ferdinand, ein namhafter Orgelbauer, der beſonders 
in der fegten Zeit feiner Thätigfeit für den Orgelbau in Öftreid eine nicht zu 
unterjägende Bedeutung gewann, war 1801 zu Danzig geboren und machte daſelbſt 
in der Werfftätte des Orgelbauers Wegner feine Lehrzeit durh. Bis 1825 arbeitete 
er darauf fünf Jahre lang als Gehülfe bei Grineberg in Alt-Stettin, einem würdigen 
Schüler der Sibermann-Wagnerihen Schule, und machte, um fih in feiner Kumft 
zu vervollkommnen, bis 1828 noch Reifen durch England und Frantreich. Eben 
war er im Begriff einem Rufe des Orgelbauers Fogier in Dubfin zu folgen, als ihm 
der ehremvole Auftrag wurde, die berühmte Orgel der Peter-Paufstirhe zu Göriitz 
zu reftanrieren. Cr fieß ſich nun bleibend in Hirſchberg in Schlefien nieder, wo er 
im Ganzen 54 Orgelwerle jeder Größe gebaut hat, und fpäter königl. Orgelbau- 
revident wurde, auch den Titel eines f. preußiſchen und f. t. öſtreichiſchen Hoforgel- 
baners erhielt. 1856 durch Vermittlung des Profeffors der Harmonielehre am 
Konfervatorium und der Organiſtenſchule des Vereins zur Beförderung der Kirden- 
muſit zu Wien, Eduard Köhler, nad Oſtreich berufen, führte er in Wien, Prag 
und Komorn einige ſchöne Werte aus, deren Vorbild den dortigen Orgelban weſentlich 
förderte.*) Er flarb am 16. Mai 1864 zu Komorn, wo er eben fein 54. Wert 
aufftellte. — 

Seine bedeutenderen Werte, außer den Reperaturbauten zu Görlig 1828 
und in der Gnadentirche zu Hirfgberg 1829, find: die Drgel der Pater: 
Paulslirhe zu Liegnig 1839, 42 fl. Stn. 3 Man. Ped. — die Orgel der 
Kirhe zu Erdmannsdorf 1840, 19 HM. Stn. 2 Man. Ped. — die Drgel 
der Domlirche zu Glogau 1844; — die Orgel der evang. Kirche zu Hainau 
1845; — die Orgel der Piariftenfiche zu Wien 1858, 34 HM. Stn. 3 Man. 
u. Bed., — die Orgel der Siaditirche zu Hoyerswerda 1860, 29 fl. Stn. 
2 Man. Ped. und die Orgel der k. i. Hoffapelle zu Wien 1863, 16 fl. Str. 
2 Man. Bd.) 


Burd, Joachim dom, ein bedeutender Kircenfomponift aus dem legten Viertel 
des 16. und dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Sein Familienname ift Moller 


') And) die Orgel der Marienfirge, 1119—1723 von Joachim Wagner erbaut, die Abt 
Vogler 1800 nad) feinem Simplififationsfuflem Gatte umbanen und dur den Drgelbauer 
Feienhagen von den 2559 Pfeifen 1555 hatte herausnehmen und die bleibenden 1001 Pfeifen 
vielfad zu andern Megifteen Hatte umarbeiten laffen, Nellte Buchholz 1820 wieder her. Lal. 
Euterpe 1873 ©. 104. 105. 

2) Bot. Allg. mufit. Big. 1968. ©. 68-70 u. dal. 1864. ©. 392. ſowie Euterpe 1809. 
3.2. 

9) Seine Berle verzeichnet von Op. 150 voländig Kloß, Die neue Orgel der Piariflen- 
fire zu Wien. 1869. ©. 9. Bgl. auch Cuterpe 1861. ©. 156, 


198 3. von Burck. 


(Müller, Mofitor)!) und von Burd, (von Burgk, a Burge) bezeichnet feinen Ge- 
burtsort, die Stadt Burg bei Magdeburg, wo er 1540 oder 1541 geboren wurde?) 
Über feine früheren Lebensverhältniſſe ift nichts ſicheres belauut. Vielleicht machte er 
feine muſilaliſchen Studien gleichzeitig mit Nitolaus Selneccer in Dresden; dann 
bezog er die Univerfität zu Erfurt, wo cr Ludwig Helmbold kennen lernte, deſſen 
Freund und Sänger er fpäter wurde. Nach vollendeten Studien ſcheint er um 
1565 als Natsmufitus nad Muhlhauſen, an die Stätte feiner lebenslänglichen 
Wirlſamleit gelommen zu fein, ?) wo er ſchon 1566 Organiſt an der chen erbauten 
Orgel der Sanft BlafinssKirhe wurde‘) 1569 erhielt er aud das Kantorat 
dieſer Kirche und damit die Aufgabe, die unter den Wirren des Interims in Verfall 
geratene lirchliche Mufit Müpfgaufens wiederherzuftellen. Er errichtete den feiner 
Zeit berlihmten Schülerhor und ſchrieb für denjelben eine Reihe von Chorwerten, 
meift über die deutſchen und lateiniſchen Gedichte Helmbolds, der ihm 1571 nah 
Mühlgaufen folgte und 1586 Superintendent dafelbft wurde, — und teilweiſe in 
Gemeinjcjaft mit Johann Eccard, der ohne Zweifel noch eine Zeitlang fein Schiller 
geweſen iſt. „Mit beiden Männern, Helmbold und Burd, beginnt eine neue Wen: 
dung des evangeliſchen Kirchenlieds und der proteſtantiſchen Kirchenweiſe: das Lid 





1) Die Vermutung, daß der Name „von Bird“ nur den Geburtsort Joadims bezeichne, 
fein Familienname aber ein anderer fei, ift durch mehrere Atenftüde — ein Teflament vom 
26. Mai 1566; eine Urkunde über eine Teftamentseröffnung vom 28, Nov. 1568; ein Suno- 
dalprotofolf vom 9. Iufi 1988 — welche Spitta und Neltor Knauth im Natsarhin zu Mit 
Haufen gefunden Gaben, beflätigt worden. In diefen Mrfunden unterzeidinet er fi eigenbäntis, 
oder wird angeführt als „Zoadjinus Moller von Burd, Organift und Musicus Mulhusinus“ 
up „Jonchimus Muellerus A Burglc, scriba consistorialis“ — vgl. Spitta in den Ne- 
nated. für Mufitgeff. II. 1870. S. 68-67. derf. Bach I. ©. 331. II. ©. 310. Am. Koh 
1. ©. 354. Anm. V. ©. 656. 

2) Beutler u. Hildebrand, Choralmelod. für das Mülh. 6-2. 1834. S. 101 ſehen 15 
als Bis Geburtsjahr; ihnen folgen Schilling, Ser. Suppl. Bd. 1841. 5. 67; Minterfel I. 
S. 309 (mit dem Beifaß „waßrideintic“); Beter, Coralfammfungen 1815. ©. 9 und ne 
Mendet, Ler. II. 1872... 236. — Spitto in den Monatsfeften für Muftgefä. II. 1870. 
S. 179. 180 findet nad) Angaben bei Matth. Zimmermann, Carm. lat. Jona 1611 pag. 315, 
da; „Moller volle 69 Jahre alt war, als er am 24. Mai 1610 ſarb; daf, da wir feinen 
Geburtstag nicht ennen, die Mögficteit nicht ausgeläfoffen ii, daß er ſthon 1540 geboren 
wurde; dod werde eine metbodifche Forfhung immerhin das Jahr 1541 als das feiner Geburt 
endgütig feitzuhaften Haben.“ 

9) Gerber, Neues Ler. I. S. 571 bemertt zwar, daß B. auf feinem Offie. sacros. eoenae 
Dom. Erfurt 1580 — „Mufildireltor zu Briedrihierode” genanut werde, und meint dan: 
„vielfeiht war er dies, ehe er die Amter in Mühlgaufen erhieft;” allein er hat falſch geleſen; 
das genannte Wert if nur „Scholae Fridrichrodanae dedicatum.“ . 

+) Sitte a. a. D. S. 66 glaubt annehmen zu Dürfen, daß es ſchon 1506 die Blafins- 
Kirdje war, an der unfer Meifter den Orgeldienft verfah; Koh U. S. 355 läßt ihn 19 
‚smnäcift als Natsoftuar” Anfteltung in Mihlgaufen finden, dann V. &. 857 aud als Dr- 
ganift, „vielleiht an einer Mebenlire, Gevor er 1560 (als Drudfehler bat Koch bier „L66%) 
alß folder an die Hauptfirdje Ta.“ 




























3. von Burd. 19 


des lehrhaften Pfarrherrn und die Weife des prattiſchen Schultantors und Schul. 
sordirigenten."!) Die Kirchengeſangwerle B.s wurden ſehr beliebt, in mehrfachen 
Ausgaben gedrudt und mod bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts am Feittagen 
beim Gottesdienft in Mühlhaufen gefungen.?) Aus ee haben Melodien zu 
folgenden —— Aufnahme im Gemeindegeſang gefunden: 1. Amen, Gott Vatr 
und Sohne. — 2, Herr Gott, erhalt ung ie und für, 1755. 
Id weiß, Bar mein Erlöfer lebt. 1575. — 4. Nun ift es Zeit zu 
fingen Hell. 1575. — 5. Uns ift ein Kind geboren. 1575. — 6. Es 
fchn für Gottes Throne. 1594. — 7. Höret, ihr Eltern, Chriſtus 
ipricht. 1596. — 8. Nun laßt ung Gott dem Herren. 1575 (? vgl. den 
Art.) — Daß B. auch als Organift eines bedeutenden Rufes ſich erfreute beweift 
der Umſtand, daß er mehrfach zur Prüfung neuerbauter Orgelwerke nad auswärts 
berufen wurde.) Und nicht nur als Mufiter genof er hohes Anfehen, aud als 
Bürger wußte er fh das Vertrauen feiner Mitbürger in foldem Grade zu erwerben, 
daß fie ihn, nachdem er ſchon vorher das Amt eines seriba consistorialis verwaltet 
Hatte, zum Natsheren erwählten. ®. farb am 24. Mai 1610 mit dem Ruhme 
eines Mannes, „auf deffen Anregung man zum großen Teil den lebendigen mufin- 
lüſchen Stun zuräczuführen hat, welher Mühlhaufen lange auszeihnete."') Sein 








') Sal. 5. u Teſchner, Johannes Ecatds Geiflihe Lieder auf den Choral. deipz. Breitt, 
1. 9. Som. 

) No 1 J der Konretior Joh Georg Bernh. Veutler in Mühlhauſen den „Nenen 
Stift, Liedern“ von Demnie. Goiha 1799. 2. Ausg. 1809 eine Anzahl der sftgn. Tonfäbe 
2 bei. Bol. Binterfeld II. S. 324 und auch die Khoratmelodieen zum Niübtt. ©.d. von 
ni. Fr. Veutler u. ©. Chr. Hildebrand 1834. 8%. enthalten noch eine Anzahl Melodieen 
von ihm, 

3) Nr. 1 im Cant. sacr. Goth. I. 1646. Pr. 97. Layri, Kern III. Nr. 307. Jalob 
u. 8, Ch.B. I. Rr. 529. — Nr. 2 im Cant. sacr. Goth, II, 1655. ©. 2. Layriz II. 
Ar. 437. — Pr. 3 Cont, sacr. Gotha. III. 1657. Winterfeld 1. Notenbeiſp. 95. Layciz TIL. 
Mr. 162. Jatob u. R. U. Rr.816 ‚Ich fahr und weiß gottlob wohin“ (Zahn, Euterpe 1879. 
©. 59). — Rr. 4. Crüger, Prax. piet. mel. 1648. &. 115. Cant, sacr. Both, I. 1651. 
interfeld I, 95. Layeiz II Ar, 517. — Nr. 3. ans „Bwanbig Deutffe tilin 15 
Re. 15. Melk. Bulyint, 6.8. 1009. Cant. sacra. Gül, L. 1651. & 28 (vd 5. Dill, 
Sulpi). — Wr. 0. aus „Drenfg Geitt, &ider auf die Ahr 1604 dei Yrälorius, Mus. 
Sion. VI. 1609. Cant sacra. Goih. I. 1646. Pr. 117 u. 1651. S. 504. Winterfeld 1. 97. 
Iat. u. R. II. Nr. 076. — Nr. 7 aus Crepundia sacra, 1596. Nr. X. Cant. saor. Goth 
11. 1655. ©. 96. („4 4 Jonch. a Burckt). Winterfeld I. 96. 

9 &o war er 1500 unter den 58 Organiflen, Die die Orgel der Schlohtirche zu Grö- 
ningen bei Halberftadt zu prüfen Gatten. gl. Walther, Muf. der 1732. ©. 119. Mertmeifter, 
Org. Gröning. 1705. $ 12. Wangemann, Geſch. der Org. 1891. &, 161. Ebenſo prüfte er 
mit Heinr. Gompenius 1603° die renovierte Orgel der St. Andrensliccie zu Sendersfanfen. 
al. Zimmermann, Car, lat. 1611. &, 501, Spitta in den Monatsh. für Mufitgeld. II. 
©. 176, 

) Bol. Spitte, eb. Bach I. S. 331. 
































200 3. von Burck. 


Nachfolger als Organift an Santt Blafien wurde fein Schwiegerſohn Johann Heyden: 
reich. Seine Kirchenwerle find: 

1. Harmoniae sacrae ... . Nürnb. 1566. 4%. — 2. Cantiones 
sacrae. 4 vocum. Dühlh. 1569. 4°. — 3. Das Symbolum Apostoli- 
cum Nicaenum .. . mit 4 Stn. Mühtg. 1569. 4%. — 4. Odae sacrae 
XLI. 2 Tle. Erfurt 1572 u. 1575. — Hebdomas. Odae XLVI. 
Lud. Helmb. 1580. — 6. Odae catecheticae. XL. Votum Helmboldii. 
— 7. Odae sacrae XX. de quibusdam creatoris operibus. M. Lud. 
Hemd. — 8. Dreygig Geiflie Lieder auff die Fer durhs Iahr . ... Er- 
fürt 1584. — 9. Crepundia Sacra. Chriſtüche Siedlein, an St. Gregor, 
der Schuler Feſttag . . - Mahlh. 1596. — Die ſechs letzteren Sammlungen 
(Or. 4-9) erfhienen vereinigt in den Werte: Odarum sacrarum M. Ludo- 

ich i; Theologi et Poetae CL. p. m. ete. pars 

. Odas sacras. XLI. II. Hebdomada. Od. XLVI. 
Dias Cntecheticas. XL. IV. Od. sacr. de quibusd. creatoris oper. 
. V. Dreyfig geiftlihe Feſt Lieder. Vl. Crepundia sacra. Suavibus 
üis ad imitationem Italicorum Villanescarum, exornata studio 
















ühlhus. illustriss. Prince. ac Domini D. . . Georg. 
Frieder. March. Brandeb. ete. Chori Musiei Vicemagistri etc. p. m. 
Aliquoties separatim antea; nune vero etiam conjunctim, jussu et 
sumptu amplissimi Senatus Reip. Imper. Mühlhusinae; in Scholae 
Muhilhusinae usum edita. Ex offieina Typographica Joannis Stangii, 
Anno M. DC. X! 4°. Iedes der 6 Hefte Hat, fein eigenes Titelblatt 
und entfalten fie: 2 S. Widmung, 87 ar paginierte &, EL geifl. 
Dien; — 4 ©. Widmung („28. März 1530”), ©. 46 fat. Oden; — 
83 ©. 40 lat. Oden; — 38 ©. 20 lat. Den — 90 Ylätter, 30 geift. 
Lieder; — 42 Blätter, 7 lat. 14 deutſche Lieder‘) — 10. Officium Saero- 
sanctae Coenae Dominicae, super Cantiuneulam: Quam mirabilis etc. 
Ex _primo libro Odarum Joachimi & Burck, ab ipso Authore com- 
positum, et scholae Fridrichrodanae dedicatum. Erfurt 1580. — 11. 
XL teutfche Fiedlein vom Heil. Eheftande, mit 4 Stimmen. I. TI. Mütlg. 
1583. — 12. XLI tiedfein vom Heil. Eheflande, mit 4 Stimmen. II. TI. 
Müglg. 1596.%) — 13. XL teutfce Geiftfiche diediein M. ud, Helmboldii . . - 
Mühfg. 1599. — 14. Paffion Chrifti, nad den 4 Evangeliften auf den 
teuihen Tert. mit 4 Stimmen zufommengefegt. Erfurt 1890.) — 15. Die 


') Bol. über Diele Sammfung: Draudii Bibl, class. und larpurg, Krit. Briefe II. S. #4. 

*) Im diefem II. Teil Nr. 6 ein Hohzeitstied, das ®. auf feine eigene Hochzeit Tom- 
poniert hat. Es if üferfärieben: D. Joachimi a Burck, Musici & Senatori Mulhus. cum 
Anna virgin. filia Christoph. Fabri, Senatoris Mulhus. 2. Decemb An. 1583. — Aus 
dem Text der 3. Strophe geht hervor, dafı dies feine zweite Berehelihung war. Bgl. Monate: 
Heft für Muftgeiä. V. 1873. ©. 12. 

») Walther, a. a. O. läßt dieſe Paffıon ſchon „Erfurt 1550% erſcheinen, was offenbar ein 
Drudfehler iR, der nad Spitte, a. a. D. II. &. 310 in „1590“ umjuändern fein bücfte, weit 
dieo zu einer Angabe Johann Viachetde fimmen würde, der in der Vorrede feiner 1503 zu 
Erfurt gedrudten Paffion bemerkt, daß ihm die „vor eilichen Jahren“ erfhienene Paſſion 
Joadime v. Vurd als Mufter gedient Habe. 
























Aalth. Burkard. Joach. Burmeiſter. Erato Küthner. 1 


Hifterie des Leidens Jeſa Chrifi, aus dem Evangelien Luta, von 5 Sin. 
Müpt. 1597. qu. 4°.) 


Burkard, Matthias, ein jüngerer ftrebfamer Orgelbauer zu Heidelberg. Am 
2. November 1838 zu Mannheim geboren, erlernte er feine Kunft 18531858 
in der Werkflätte des Orgelbauers Schlimbach in Speyer, bei dem er fpäter auch 
als Gehilfe thätig war, nachdem er als folcher längere Zeit bei v. Boit in Durlach 
gearbeitet hatte. 1863 gründete er fein eigenes Gefhäft zu Heidelberg, das er 
feitdem zu anfehnlicher Höhe gebracht Hat. Außer einer größeren Anzahl von Um 
bauten und Reparaturen hat B. bis jegt an 20 meue Orgelwerke aufgeftellt, in 
denen er augſchließlich Kegelladen und Stöpfelbälge (eigener Konftruftion) zur An- 
wendung bringt. Seine größeren Werte find: 
1. Orgel der St. Peterotirche zu Heidelberg, 26 M. Stn. 2 Man. Ped. 
1870. — 2. Orgel der ev. Kirche zu Rußfeim, 26 fl. Stu. 2 Dan. Bed. 
1876. — 3. Orgel der ev. Kirche zu Ladenburg, 22 M. Stn. 2 Man. Bed. 
1877. — 4. Drgel der ev. Kirche zu Lahr, 28 M. Stn. 2 Man. Bed. 1880. 


Burmelfter, Mag. Joachim, ein gelehrter Muſitſchriftſteller und Tonfeper 
eangelifcer Kirgenmelobieen. Er war um 1565 als der Sohn des Perlftiders 
Joachim B. zu Luneburg geboren und ſtudierte an der Univerfität zu Noftod, wo 
er im Juli 1586 immatrifuliert wurde. Später wirkte er als Kantor und Schul: 
tollege zu Roftod, und gab dafelbft zwifcen 1599 und 1606 mehrere mufttlifche 
Schriften, ſowie die folgende Sammlung von Tonfüyen zu Kirchenliedern Heraus: 

Biolmen Dr. Martin Lutheri und anderer, mit Melodieen. Rofted 1601. 

— Aus diefem Werfe find 7 vierftimmige Tonfge von ihm neu gedrudt bei 

Shöberleiniegel, Shag des fiturg. Chor- und Gemeindegef. ®d. I. 1865. 

Mr. 41. 44. 47. 49, 59. 66. 80, 

Vüthner,*) Erato, ein „feißiger und geſchicter Kirhentomponift", der 1616 
zu Sonneburg in Thheingen geboren, anfangs Kantor und Drganift an der Sal 
datortirche in einer der Vorſtädte Danzigs, dann Kantor und Mufifdireltor an der 
Katgarinentirde dafelbjt war, wo er 1679 flarb. Bon feinen geitficen viedweiſen, 
die jedoch nicht in lirchlihen Gebrauch lamen, finden fih vier mit. dreiftinmigen 
Tonfögen verfehene in Georg Neumeris uf. Poetiſchem Luftwald. Teil I. Yena 
1657. Bier 6- bis Sftimmige Tompofitionen von ihm, die fämtlic 1661 erſchienen 
find, bewahrt (mad) Döring) die Vibl. der Darientirhe zu Elbing. 

) Aus zerlen 8.8 find bis jegt außer den ſchon amgefüßrten Tonfägen noch neu 
gedrudt: in Musica sacra. Berl. Bod. Bd. XI. Nr. 22-26. S. 78—86. Commer, Mus. 
sacr. III. &. 3 eine Nr. Andre, Lehrb. der Tonfegt. I. Anhang Nr. 8. und bei Schorberlein- 
Riegel, Schatz des Titurg. Chor- u. Gemeindegef. 1865—1872, II. u. IlI. folgende 30 Tonſätze: 
Bd. II. Nr. 53. 54. 83, 103. 117, 124. 141. 233, 280. 292. 293. 309, 315. 326. 367. 372, 406. 
Bd. IM. Rr. 92. 93, 220. 309. 321. 322. 327. 330. 350, 351. 352. 353. 354. 

?) Der Name wird verfgieden geſchrieben; Gerber, Neues Ler. I. S. 547 ſchreibt, Bütner“, 
Rod IV. ©. 147 „Bythner“ ; fo wie oben hat ihn Döring, Choralkunde 1865. S. 97, 

















202 Ioh. Heinr. Buttſtedt. Franz Vollr. Enttfledt. 


Buttſtedt.) Iohann Heinrich, Organiſt ud Lehrer zu Erfurt, war am 25. 
April 1666 im dem Dorfe Bindersteben bei Erfurt geboren und Hatte fih ale 
Drgeffpieler und Komponiſt unter der Leitung Johann Pachelbels?) Kugl. den Art.) 
der von 1675—1690 Organiſt am der Predigerlirche zu Crfurt mar, gebildet, 
1684 wurde B. Drganift an der Regler, 1687 an der Kaufmannslirche, und 1691 
der Nachfolger feines Meifters Pachelbel an der Predigertirche daſelbft, in welchet 
Stelle er am 1. Dezember 1727 ſtarb. — B. war ein in feiner Art tüchtiger 
Meifter des Orgelipiels und bemerfenswerter Komponift von Choralbearbeitungen 
und Fugen für fein Imftrument. Als um die Wende des 17. und 18. Jahr: 
Hundert der erbitterte fitterarifche Kampf um die alte und neue Kirchenlantate ent- 
brannte, fühlte aud) er fid berufen, mit feiner Schrift „Ut re mi etc.“ eine Lanze 
in diefen Kampf zu tragen. Als Mufiter alten Schlages ſuchte er, der mit der 
Feder wenig umzugehen wußte, die verlorene Sache der älteren Kantate und der 
älteren Mufitlehre und Mufikpraris überhaupt gegen das „Neueröffnete Ordeftre* 
des flilgervandten Matthefon zu Halten: und dies ließ ihn als Reaktionär im wenig, 
günftigem Pichte erſcheinen. — Seine gedrudten Werte find: 

1. „Alein Gott in der Höh fei Chr”, von 2 Bar. nebſt dem ſchlechten 

Choral. Ef. 1705. — 2. „Wo Gott zum Haus nicht giebt fein Gunft“, 

von 3 Bar. daf. 1706. — 3. Mufitalifhe Kunft- und Vorratsiammer. daſ. 

1713. Fol. und Leipz. 1716 (4 Präludien u. Fugen, eine Arie mit 12 Var. 

und 2 Partiten enthaltend). — 4. „Zeuch ung div nad, fo lauffen wir“, 

ein deutſches Kirchenftüd à 4 voei, 1 Viol., 2 Viole, VO, et Cont. Ei. 

1719. Fol. — 5. 4 Meffen. daj. 1720. — Im Mile. beſaß Gerber von 

ihm: mehrere figur. Choräle, 4 Fugen und eine Ciaconne mit 20 Berände 

rungen. — Neu heransgegeben find: Fuga für Orgel- und Drgeldiorat, „Bon 

Himmel Fam der Engel Schar", bei Körner, Drgel-Birtuos. Nr. 135 und 

153. — Die obengenannte Schrift ift: „Ut re mi fa sol la, tota Musica 

et Harmonia aeterna etc.“ Erfurt, o. 3. (1717 gedrudt), 23 Bogen 4°. 

mit einigen Supfertafeln. 





Buttſtedt, Franz Vollrath, ein Enfel des vorigen, der 1735 zu Erfurt ger 
boren umd dafelbft and) zum Dufiter und Gefonders zum Organiften gebildet wor- 
den war. Als folder wurde er 1760 nad) dem Städtchen Weifereheim im Hohen 
lohiſchen berufen, von wo er 1780 uach Rothenburg am der Tauber überficdelte. 
Hier wirkte er als Mufifdirektor und Organift an der St. Jalobetirche bis im fein 
Hohes Alter und farb dann 1814, 79 Jahre alt. B. lomponierte aufer Klavier 
und Orgelfiüden, die feiner Zeit belicht waren (ogl. Hillers Nachrichten. 
Bd. 1. &. 135) für das Rothenburgiſche Choralbuh, das er 1787 in neue 

') So ſchreibt den Namen Spitta I. S. 116 u. a. a, Stellen; Gerber, N. Per. I. ©. 
588 Hat „Buttftett”, während er feines Enlels Namen „Buttſtedt“ ſchreibt, ihm find dann die 
fpäteren gefolgt. 

*) In feiner genannten Schrift S. 87 nennt B. den Pachelbel „feinen fel. Lehrmeiſter 
Herr Pagelbel“, 


Dieterich Gurtehnde. 203 


Beorbeitung herausgab, 36 eigene Choräle, von denen manche im Fräntiſchen und 
Hohenlohiſchen meitere Verbreitung erlangten. Einer derjelben zu Gellerts Lied 
3as ſorgſt du angſtlich für dein Sehen“ wurde ins Bayriſche Ch.B. von 1920 
fgenommen und ging, auf Vahles Neujahrstied „Der du das Los von meinen 
Tagen“ übertragen, aud ins Württemb. Ch. B. 1844. Nr. 75. ©. 81, ins Basler 
GB: 1854. Nr. 18. ©. 20 u. ins Drei Kant. © 














— F 2 
aus dio men &e - gemehän-den nimmt, 

Burtehude, Dieterih, einer der größeften Orgelipieler und Orgeltomponijten 
vor Seh. Bad, war von Geburt ein Däne und 1637 zu Helfingör auf der Inſel 
Zeeland geboren. Sein Vater, Yohann B. (geb. 1602, get. bei dem Sohne zu 
Tübet am 22. Jan. 1674), war 32 Jahre lang Organift an der Olailirche dafelbit 
gervefen umd ihm verdanft umfer Meifter wahrſcheinlich feine muſitaliſche Erziehung 
und feine Ausbildung im Drgelipiel,') in dem er jedoch fpäter der virtuoſen Rich: 
tung der Sweelintſchen Schule folgte. 1667 kam er nad Fübed, wo er durd) fein 
Spiel bald allgemeine Aufmerkjamfeit erregte?) und unter dem 11. April 1668 als 
Nachfolger Tunders, der am 5. November 1667 geftorben war, zum Drganiften 
an der Marienkirche dafelbft gewählt wurde.?) Damit hatte er eine der erften Orga- 
niftenftellen im Deutſchland erlangt: denn nicht nur die Drgel, die ihm anvertraut 
war, war eim großes, ſchönes Wert von 54 Hingenden Stimmen auf 3 Mannalen 
und Pedal‘) auch die Befoldung war eine für die damalige Zeit bedeutende.) B. 


3) Walter, Auf, 2er. 1732. ©. 182 nennt zwar Johann Theile ols feinen Lehrer; da 
diefer aber neun Jahre jünger war als B., jo fann dies nur eine irrtümfige Angabe fein. 

?) Eine Stelle in feinem Hodzeitscarmen — er vermählte fih nämlich am 3. Aug. 1069 
mit Ana Margareta Tunder, der Toter feines Vorgängers —, das ih noch auf der Statt: 
bibl. zu Füheet befindet, deutet dies an. 

9) Dgl. Iimmertfaf, Veföreibung der großen Orgel in der St. Marientirche zu Lübed. 
Crf. und Leipz. Körner. 1859. ©. 44, 

+) Die Befäreibung und Dispofition diefes Wertes, das erſt 1854 durch eine neue große 
Drgel erfet wurde, findet man bei Miedt, Mufil. Handitg. Hamb. 1721. in &. 180 und dar- 
mad bei Jimmerthal a. a. D. &. 6 u. Spitta, Bat) 1. ©. 850. 

3) Sie betrug 709 Hart als Drganifl, 226 Marl als Wertmeifter nebft vielen Sporteln 
und Acidentien. 


204 Dieterich Surtehnde. 


entfaftete in Fübed eine außerordentliche muſilaliſche Thätigfeit, nicht nur als Organift, 
fondern namentlich auch durch Einrichtung der berühmten „Abendmufiten“, großer, geiſt- 
licher Konzerte, die von 1673 an jedes Jahr an den fünf Sonntagen vor Weihnachten 
in ſeiner Kirche ftatt Hatten und durchs ganze 18. Jahrhundert hindurch Bis in den 
Anfang des 19. herein ſich erhielten.) Für dieſelben bildete er tüchtige Sänger und 
Infteumentaliften, ſchrieb eine Anzahl von „Abendmufiten”, die in 9 Teilen 1673 bis 
1687 in Sübee erihienen, und machte ſich einen folhen Namen, daß von alen Seiten 
Schüler ihm zueilten und (ernbegierige Mufiter (z. B. Händel und Mattheſon, 1703 
Seb. Bach 1705) zu ihm gingen und kurzere oder längere Zeit lernend bei ihm 
ſich aufhielten.?) Auch die gleichzeitigen und fpäteren Schriftfteller find einſtimmig 
in feinem Lobe.) Nach einem überaus reichen Künſtlerleben und mit dem Rufe eines 
¶Welt berühmten Organiften und Komponiften”t) farb Burtehude 70 Jahre alt am 
9. Mai 1707 zu Fübed. — Burtehude als Drgelfpieler ift der große Vorgänger 
des größeren Joh. Seh. Bach umd der Meifter der nordifgen Organiftenfhufe. 
Diefe führt ihren Urfprung auf den niederländifchen Meifter Joh. Peter Sweelint 
zurüict und Hat deffen virtwofenhafte Richtung beibehalten und mit Gtüd und Geſchick 
weitergebildet. Die unbefangene Freude an reihen Klangfarben, das Suden nach 
neuen und eigentümlichen Klangwirkungen find darafteriftifce Merlmale der nor- 
diſchen Schule, und aud B. verleugnet diefelben nit. Cr ift Virtuoſe auf feinen 
Inſtrument in vollem Sinne des Wortes und zeigt den reinen, wirklichen Orgelſtil 
und glänzende Technit; in feinen Choralbencbeitungen liebt er es der eigentünlichen 
Klangwirlung twegen, die Melodie öfters vom Pedal mit aftfüßigen oder acht und 
vierfüßigen Stimmen vortragen zu laſſen; in den freien Orgelſtüden — Toccaten, 
Fugen u. f 1. — verwendet er gerne zwei an Tonftärle und Klangfarbe verſchie- 
dene Manuale und führt das in vollem Umfange und mit Verftändnis feiner Be: 
deutung gehandhabte Pedal nicht jelten zweiftinmig, läßt es auch da und dort in 


')-Ober dieſe „Abendmufiten” finden fih Mitteilungen in Kon. v. Oöbelns „Das beglüdte 
und gefgmücte Lübed“ S. 114 und bei Mattgefon, Bolt. Kapellm. 1739. S. 216, die Mufi- 
fafienfommfung derfelben ſchenlte die Stadt Führt 1914 der Gelelicaft der Muſitfreunde zu 
Wien. Lat. €. F. Pohl, Die Gefelid. der Muffe. Wien 1871. ©. 114. 115. 

”) Bon folgen Scütern find zu nennen: Nitolaus Bruhns wol. den Art), Daniel Erik, 
Georg Dietrich Leiding (vgl. den Art.), über den Befud Händele und Mattbefons vgl. Walther, 
zu Lerit. und Dlatthefon, Ehrenpforte, S. 91; über den Vachs Mipfer, Muf. Bibl. IV. 1. 

©. 162. Korkel, Bad ©. 6. Spitta, a. a. ©. 

®) Mattbefon, Große Generalbaßfäufe 1731. 5. 42 zähft ihn mit Werdmeifter, Froberger 
und Bachelbel zu den wenigen Dufitern, die „obgleih nur Organiften“, verfländigen Leuten 
doch zu zeigen wußten, daß fie mehr fonnten, „als die Eymbelicelen anziehen“, und noch 
Säubart, Ideen zu einer ANHetit der Tont, Wien 1808 fpendet ihm Üüherfänengliches Lob. 

+) Vol. bei v. Höveln a. a. D., citiert in Molleri Cimbria Litterata 1744. Tom. IL 
Pag. 132 f., welch leeres Wert die twigtigfe Duelle Über B.s Leben ift. Nach demfelben 
Gat neuerdings Iimmerthat eine fleißig zufaunmengeftefte Stizze : „Dietrich Bnptehube. Hiforifäe 
tige” Tübed 1877. Kaibel. 20 S. 8%. herausgegeben. 




















Dieterich Buxlehude. 205 


güöngenden Solopartieen Hervortreten. — As Komponift ift B. auf dem Gebiete 
der reinen, Durch feine poetifde Idee beeinflußten Inftrumentatmufit am größeften.') 
„So intereffant und geiftreid feine Choralbearbeitungen find, jo erträgt er 
auf dieſem Gebiete dod feinen Vergleich mit Pachelbel und feiner Schule. Hier 
tüdet er Pachelbels muſilaliſchen Gegenpol: diefer wurde epochemachend durch feinen 
Orgelhoral und das, was fid aus der eindringenden Beſchäftigung mit den volts- 
timfihen Melodieen ergab, namentlich, die ausdrudsvole Bildung muſilaliſcher The- 
men; — jener hat durd feine großen, von einem reihen Geifte erfüllten Tonftüde 
wenigftens von Bachs Talent eine Hauptfeite mächtig gefördert, eine Seite, die man 
jegt faft als die undergänglichere anfehen möchte, weil fie ausfhlichlid auf das Wefen 
der Muſit gegründet if.” Bis „Präludien führen meift ein gangartiges Motiv 
mitatoriſch durch ale Stimmen in ftrömendem Flufſe und mit reichlicher Beteiligung 
des Pedals durch. Auch in der Fuge Hat das Pedal ein entſcheidendes Wort mit- 
zureden; der Fuge Hat er durd) eine eben fo eigentümliche, wie bedeutfame Anlage 
zu reicher Entwidlung Raum verſchafft. Gewöhnlich nämlich wird das Fugenthema 
im Berlaufe einmal oder mehrfach umgebildet, und fo immer neuen Duchführungen 
zu Grunde gelegt; eine Oefamtfuge befteht in folgen Fällen aus mehreren Einzel- 
fugierungen, weldje als felbftändige Säge durch Heinere Zwifcenftücte verbunden zu 
werden pflegen, in denen es hauptſächlich auf Entfaltung von Bravour abgejehen iſt. 
Diefe Neugeftaltungen, in denen das erfte Thema nur als Motiv eines andern gilt, 
deuten auf eines der erſten Formprincipe der modernen Sonate hinüber, ohne doch 
ſich von dem natürlihen Boden der Fugenform zu entfernen. Der bergende Schoß, 
in dem ſich die Form entwidelte, war die Toccate; man kann ihren Aufrif in 
den Frobergerſchen Toccaten ſchon ganz deutlich wahrnehmen. Auch in feiner Zeit 
fieht 8. jelöftverftändtih mit ihr nicht allein, muß aber trogdem als Hauptvertreter 
und Bollender diefer Richtung gelten, ſchon weil er un die meiften Proben davon 
giebt, aber aud eine Erfindungstraft beweift, die den genialen Kopf kennzeichnet. 
Er erjegt hierdurch, was feinen Orundthemen oft an ſchöner, belebter Geftaltung 
fehlt. Den Komponiften jener Zeit fand vielfad ein warmer, ja überquellender 
Gefühlsausdrud zu Gebote und B. ift gleihfals durch und durd don dieſem Ele 
ment getränft, aber feine Art, es zum Ausdrud zu bringen ift eine andere, ihm 
eigentümliche. Die vor» Badifhe Epoche ift in ihrer Jugendlichteit eine Zeit 
muſilaliſcher Romantit und B. ift nad) der inftrumentalen Seite der größte Roman- 
tifer. Der Reichtum der Erfindung, die völlige Einheitlichteit des Gedanfenmaterials, 
die eigentünnfiche Harmonit, der wohlüberlegte Wechſel und Fortjejritt der Stimmungen, 
die hohe lontrapunttiſche Kunft, und die ſirahlende, alle Mittel der Orgel entfeffelnde 
Technit, machen mande von B.s Kompofitionen zu wahren Meifterftücen deutfcher 
Orgelmufit.* Weniger bedeutend wie als Inftrumental-, erſcheint B. als Bolal 


) Schon Matthefon, Bolt. Kapellın. 3. 109 fagt, daßz 3 8 Hauptflärke in feinen „Klavier. 
fadhen” geiegen Habe, und bedauert, daß davon „wenig oder nichts“ gedrudt jei. 


206 Dieterich Burtehude. 


tomponift in feinen für die libedifhen Abendmufilen geſchriebenen Kirhenfan- 
taten. Er ſieht im denfelben ganz auf dem Boden der älteren Kirchenlantate, wie 
fie zwiſchen 1670-1700 Herrfhend war und auf einer Bufammenfaffung vorher 
im einzelnen kultivierter Formen kirchlicher Tontunft beruhte. Die gebräudlichften 
muſilaliſchen Formen derfelben waren: die ein- und mehrftimmige Arie, das Arioso 
®. h. das ältere Necitativ), der mehrſtimmige fonzertierende Chorgefang und ſchüch- 
terne Verſuche in einigen der Orgeltunft entlehnten Geſtaltungen. Dieſe Formen 
reihte man im Abwechslung an einander und ſchidte nad) Belieben ein einleitendes 
Inftrumentafftüc voran. Co interefjant B.8 hierher gehörige Werte an ſich ſowohl, 
wie al$ Vertreter ihrer Gattung find, der Vokalfomponift B. bleibt weiter hinter 
dem Imftrumentaltomponiften zur und während er in den Orgeljugen zuweilen die 
verfäplungenften fontrapunftijcen Pfade wandelt, wagt er ſich in den Kautaten kaum 
über die einfahften Kombinationen hinaus.) — Die Werke B.s find: 
1. Orgelwerke in der Ausgabe: Dieterih Burtehudes Orgeltompofi- 
tionen. Herausgegeben von Philipp Spitta. Leipzig 1876-1877. Yreitt. 
und 9. 2 Bde. Fol. J. Bd. XXI S. Vorw. u. Kommentar. 122 ©. 24 
Nen. 1 Paffacaglio, 2 Ciaconnen, 13 Präfudien u. Fugen, 3 Toccaten und 
2 Ganzonen. TI. Bd. XIII u. 126 ©. 42 Choralbearbeitungen. Ausſchließ ⸗ 
lich auf handfchriftliche Vorlagen gegründet, geht in diefer Ausgabe jedem BL. 
al Vorwort eine Unterfuhung über die betreffenden Quellen und ein tritifdher 
Kommentar voraus, welder dem Wotenterte parallel läuft.?) — 2. Botal- 
fompofitionen: 5 Hodzeitsarien,’) — Strephenlieder mit Ritornellen und 
Sembatobegleitung — und 20 Kirchenniuſilen in Kantatenform.‘) 


) Kal. Spitta, vach 1. ©. 252-308, wo auf Grund eingehendfter Quellenſtudien über 
den Deifter und feine Werte ein vollfläntiges und mit Liebe entworfenes Bild feiner Kinftler 
{haft gegeben if. 

9) Früher fhon waren einzelne Werte B.s neu Gerausgegeben worden: S. W. Dehn, XIV 
Shoralbearbeitungen für die Orgel von Dieterih Buztefude. Fin. 0, I. C. F. Beier. — 
©. @. Krner, Geſomtauegade der Haffhhen Orgellompofitionen von Dieterig Bunchude. 
1. Heft. Grfurt 0. I. (weitere Hefte find nicht erfhienen). — Herm. Kreifhimar, Drei große 
Orgelſmie von D. Burtehude. Revidiert und zum Komert- und Schulgebraud; heransgegeben. 
geipgig, Forberg. Gingelne Stüde erfäienen bei Buebh, Gefd. der Muf. überfept von Micarlis. 
geipg. 1822. II ©. 677 fi. — Commer, Mus. sacr. I. Mr. 5 u. 8. Die zu 8.8 Eebjeiten 
in Füber gedrudten Werte verzeichnet Gerber, N. % . 590 nad) Molleri, Cimbr. lit., 
Walther, Ler. ©. 123 und Matthefon. Bol. auch Spitta a. a. O. L ©. 258. Anm. 14. 
Diefelben find jedod nit mehr vorganden. 

3) Sie befinden fh in Stimmen auf der Stadtbibl. zu Lübed und find datiert: Nr. 1 
2. Iumi 1673. Mr. 2. März 1675. Nr. 3. 8. Yuli 1695. Nr. 4. 14. März 169%. 
7. Sept. 1705. 

+) Handigeiftfich, zum Teil vielleiht von B. ſelbſt geſchrieben oder mit eigenbändigen Be 
merfungen verfehen, in einem Molioband auf der Stadtbibl. zn Fiber. Vol Spitta a. a. ©. 
1. ©. 290 und Anh. 9. Pr. 18, ©. 103-104. 











vom 
Nr. 








207 
€. 


C — ift der Name des Grundtones der Tonart C-dur, welde nad) moderner 
Anſchauung die einzig vollfommen diatoniſche, d. h. ohne Anwendung diromatifcer 
Intervalle darftellbare, ift, und von der die andern elj Durtonleitern nur Transpofi- 
onen find. In der Muſit des 16. Jahrhunderts entfpradh diefer Tonart das Joniſche 
vgl. den Art.). — Seine gegenwärtige Stellung als unterer Grenzton der ganzen 
im Gebrauch befindlichen Toureihe hat C jeit dem Anfang des 16. Jahrhunderts — 
angeblich durch Giuſeppe Layarino — befommen; «8 tat in diejer Hinfiht an die 
Stelle des A bei den Griechen und des 7’ (Gamma graeeum) im Mittelalter, 
and es erflärt ſich daher auch, warum die Reihenfolge der Buchſtaben inı mufitatiichen 
Aphabet derjenigen im ſprachlichen nicht mehr entipricht, wie dies dod) früher der 
Fall war, fondern aud hier das C das A verdrängt hat. — Die Tüne, welde in 
der gegenwärtigen Muſit im Gebrand find, beginnen in der Tiefe mit dem C, das 
eutfteht, wenn eine Saite oder Luftſäule 16,5 Schwingungen in der Selunde madıt, 
and welches 3. B. durch eine offene Orgelpfeife von 32° theoretiſcher Yänge, oder 
durd) eine gededite von 16° Fänge hervorgebracht wird. Bon dieſem tiefften C an wird 
die ganze Tonreihe in Oftaven, die von C zu C gerechnet werden, geteilt; es find deren 


bis zu dem C, das die Grenze nach oben bildet, zum fünfgeſtrichenen C — 
uud entfteht, wenn eine Saite oder Luftſäule 4224 Schwingungen in der Selunde 
macht, adt,?) die bejondere Namen und Bezeichnungen habe 
























e|&:l:|3: 8,8 
natuen der ‚sed s|laljä 2: 23 
oma. SEE EEE | '—— 20 | Er] 
2.198 Fi 8 & 8 
Erjeichnung 
der 


Oklaven, 





Zahl der 











ji 105 | 328 | 656 | 131,25 1050 | 2100 122 
Adwingungen. | | J Kor 
— 2 — 
———— eu ef orte. 


aanm o⸗u 


| u | | 


) Die nach after Orthographie ſeither gewöhnlich unter €. ſichenden Artlel, wie 3. B 
Canal, Tantate, Cantor Collete x., find der nenen Orthograpfie gemäß unter X. eingereift. 

9) Greifich geht man 5. 8. im neueren Orgelierten nad Über diefe Grenze Ginaus, bis 
1, 8%, 89, eines einfüßigen Regifers, und aud) nad) unten bis Cs; fo hat 3. ©. Fr. Schutze 
im der Domorgel zu Bremen im Bed. einen Pringipalbaß 32° dem er eine „Großquinte 211° 
Heigiebt, wodurch auf ahufifgem Wege der CA Fußton erzeugt wird. 

®) Die Ansdrüde „große, Heine, eingeftridiene, zweigefirichene ee. Oltave”, die aus der 
atten deutfcen Tabulatır Herflommen, finden in dem Artitel „Drgeltabulatur“ ihre Grlärung. 











208 Ealcant. Chriſtoph Caldenbach. 


AUS man im 12. Jahrhundert dazu lam, der Notation der damals gebrauchlichen 
20—21 Töne ein Linienſyftem von 10 Linien zu Grunde zu legen und, um deffen 
Überfiht zu erleichtern, die fünf Claves signatae demfelben vorzufegen, wurde aud) 
© als ein folder Shlüfelten und zwar auf die fehfte Linie gefept und es ent« 
fanden dadurd) die vier C-Cchlüffel: der Tenor-, Alt-, Mezzofopran- und 
Sopran-Shlüffel, über die näheres in den betreffenden Artiteln gegeben wer- 


den fol. 


* 
Claves signamae. c—fi e-a g-a he 












































Zu Ablurzungen wird C in folgenden Fällen angewandt: in Gtimmpeften oder 
Partituren ſchreibt man ſtatt Cantus I. II. (erfter, zweiter Sopran) CI. CII. und 
in kontrapunttiſchen Sägen, namentlich über Choräle ftatt Cantus firmus, C. f. 


. Galcant, (vom Lat. calcare, treten), Bälge-, auch Orgeltreter, der Dann, 
der die Bälge einer Orgel während des Spieles aufguzichen und in regelmäßiger 
Thatigleit zu erhalten hat. Er bewirkt dies dadurch, daß er die Ealcatur- oder 
Balgelaves (Vügel) niedertritt oder zieht. Wenn er damit beginnen fol, giebt 
ihm der Organift ein Zeichen mittelft der Calcanten-Otode, des Ealcanten- 
Rufes oder «-Weders, einer Heinen Olode in der Nähe des Galcanten, welche 
durch einen wiechaniſchen Regifterzug (Bafgregifter), der in Bereid des Organiften 
neben den andern Regiſterzügen angebracht ift, geläntet wird. — Über neuere Ein- 
richtungen im Gebläje der Orgel, welche den Cofcanten erfegen, vgl. den Art. 
„Geblaſe“. 


Caldenbach, Chriſtoph, unter dem Namen „Celadon“ Mitglied des Simon 
Dadfcen Dichterbundes in Königsberg, war am 11. Auguſt 1613 zu Schwiebus 
im Niederſchlefien geboren und Hatte fih auf dem Bädagogium zu Frankfurt a. O. 
nicht nur zum Beſuche der Univerfität vorbereitet, fondern aud) feine muſitaliſchen 
Anlagen ausgebildet. 1633 ging er nad Königsberg, wo er nad) beendigten Studien 
1640 Reltor der altftädtifhen Schule wurde. Nad) feinem Eintritt in den Dad- 
ſchen Dichterbund beſchäftigte er fih neben feinem Schulamte Hauptfägfih mit mufi- 
taliſchen und dichteriſchen Arbeiten. Verſchiedene Gedichte in Heinrich Aberts Arien 
find von ihm, und von den Melodien und Tonfägen, die er zu Gedichten der 
Königsberger Dieter ſchuf, ift die Melodie zu Sim. Dachs Lied „Selge Ewigteit" — 
ge basg — in den evangeliſchen Kirchengeſong übergegangen und z. B. noch 
von Heinrich König in fein großes Choralwert (Franff. a. M. 1738) aufgenommen 


Eallinet. Sethus Ealvifins. 209 


worden. 1656 wurde C. Profeffor der Gefihte und Eloquenz an der Univerfität 
Tübingen, und hier ſtarb er am 16. Yufi 1698.) 


Gallinet, eine namhafte Orgelbauerfamifie aus Ruffach im Oberelfaß, deren 
Angehörige viele Kirchen ihres Landes mit Orgelwerlen verſahen, die des beften Nufes 
genießen. Die beiden, nad; Zahl und Größe der von ihnen gebauten Orgeln zu 
urteilen, bedeutendften Glieder diefer Familie find: Louis Callinet, geboren 
1797 zu Ruffach und fein Vetter, der am 13. Juni 1803 dafelbft geborene 
Ignaz Callinet. — Louis Callinet, einer der beiten Schäfer der älteren fra 
zofiſhen Meiſter, lebte in Paris, und Hatte dort das vom Abbé Cabins gegründete 
Drgelbaugefäft übernommen; 1839 trat er mit demfelben in das Haus Daublaine 
ein, das num die Firma „Danblaine & Gallinet“ annahm. Ws Werkführer dieſes 
Orgelbaugeſchaftes bildete er in deſſen Werkftätten eine ganze Anzahl tüchtiger Orgel- 
bauer und machte fih namentlich durd) feine Zungenftimmen einen Ruf, indem er 
3. B. Trompeten baute, die an Glanz und Rundung des Tones denen von Clicquot 
taum nadftanden. Gr erneuerte die große Drgel von Saint-Sulpiee von Grund 
aus, und als er 1843 nahezu mit diefer Arbeit fertig war, zerftörte er fie in einem 
Anfall von Geiftesftörung wieder. Dies hatte feinen Austritt aus dem Haufe Daur 
blaine zur Folge und Codaillé-Coll nahm ihn in feinen Wertflätten auf, wo er 1846 
fein arbeitövolles Leben endete. 


Calbiſtus, Sethus, ein bedeutender Tonfeper der ebangeliſchen Kirche, gelehrter 
Wufiftheoretifer und berühmter Chronolog feiner Zeit, der deswegen in der wiffen: 
Waftlichen Welt in folgem Anſchen fand, wie faum je ein Mufiter. Er war am 
21. Februar 1556 zu Gorſchleben bei Sachſenburg in Thfiringen geboren „vnd find 
feine Eltern Bawersleute gewefen, alfo daß ſich fein Vater, Jalob Kalwitz, mit feiner 
Hände Arbeit des Sommers mit mehen, ſchueiden vnd arbeiten in Weinbergen, vnd 
des Winters mit Futterſchneiden genehret.” Diefer, fein Bater, ſtarb 1564, von 
welcher Zeit an die Mutter, „fo Elifabeth Krumin geheißen, und noch etliche dreyßig 
Jahr nad) des Mannes Todt gelebet, für eine Hebamme fid Hat gebrauden laſſen. 
Benig Dahr hernach Haben etlige geraten, daß fie dieſen jeren Sohn, als er ing 
vierzehende Jahr gegangen folte laſſen ein Handwerk (ernen. Cr aber hat bey der 
Mutter erhalten, weil er bisher in die Schul gegängen, vnd fait Grammatice 
Ähreiben Lönmen, daß fie jhn ferner bey der Schul iaſſen wolte.“ So lam er 1569 
auf die Schule zu Franfenhaufen, wo er drei Jahre „al ein armer Knab“ ſich 
aufgehalten; 1572 ging er nad; Magdeburg und feine jhöne Stimme, an deren 
Ausbildung er ſchon in Frankenhauſen gearbeitet Hatte, ermöglichte , daß er „als 


') Am 22. Juni 1604 verteidigte er gegen einen Studioſus Clias Walther Thejen, in 
denen die fünffiimmige Meffe „In me transierunt“ von Orlandus Laffus nad den Regeln 
des reinen Sades Fritifdh umterfudt wurde. 

Xümmerte, Encytl. d. ewang. Kirhenmuflt. 1. 14 


20 Sethus Ealvifins. 


ein Current Schiller vnd Muficant feinen Unterhalt ſuchen gekonnt,“ 1579 bezog 
er die Univerfität Helmftädt, vertauſchte fie jedoch ſchon Oſſern 1580 mit der zu 
Leipzig, wo ihm im folgenden Jahre das Kantorat an der Pauliner Kirche über: 
tragen und er „unter die Repetentes ift gerechnet worden.“ Im November 153 
ift er „durch commendation vnd förderung Herrn Dr. Nicolai Selneccers und des 
ganzen Collegii theologiei zu eim Cantore in die Fürſten Schul zur Pforten 
erfordert worden, allermeift, weil er neben der Musica, dern er mechtig, auch einen 
Hebraeum gegeben Hat, welche lectio jhm in gedachter Schul bejohlen vnd auff ⸗ 
getragen worden.” — Dies Amt verwaltete er 12 Jahre lang und beſchaftigte ſich 
meben demfelben beſonders mit hiſtoriſchen und chronologiſchen Studien; „er hat auch 
in der Schul Pforta nit allein die Musicam zum beiten angerichtet, fondern aud 
ein Büdjlein, darinnen die Kunft zu componiren gewiefen wird, Melopoeja genant, 
aufgehen faffen, weldes von vielen jo zur Kunft Luft gehabt, mit begirde auff- 
genommen, vd als eine gute Arbeit fehr commendiet worden,“ Im Mai 1594 
wurde C. vom Rate der Stadt Leipzig zum Schul und Kantordienft an St. Thomas 
berufen „welchem Ampt mit was ruhm und fleiß er demjelben für geftanden, auch 
wafer mafen die Musicam bey der Kirchen aflhie durch jhn angerihtet vnd ver- 
beffert worden, das ift für Augen. Denn er war feiner Kunft medtig, der ſich auf 
gute Muteten vnd das decorum im fingen verftunde, derwegen aud die beften 
Stüde vnd Muteten zu fingen befliffen war, und felbft auch einen guten und ftat- 
lien Componiften gegeben hat.“ An 10. Februar 1595 verheiratete er fih mit 
Magdalena Yung, der Tochter des Hans Jung, Bürgers und Bäders zu Leipzig 
und lebte 21 Iahre mit ihr in friedlicher Ehe, aus der drei Söhne und eine Tochter 
Gervorgingen. 1602 verwundete er ſich durch einen unglüdlichen Zufall jo gefährlich 
an einem nie, daß er ein Jahr lang das Bett hüten mußte und lebenslang „elaudi- 
cans“ war.t) Während dieſes Krantenlagers arbeitete er feine „Chronologia“ aus, 
welche ihm mehrfache Berufungen von Univerfitäten (Sranffurt a.D., Wittenberg) 
einbrachte, die er jedod nicht anmafın. „1596 hat er aud das Geſangbuch Lutheri 
vierftimmig ausgehen laſſen, deßgleigen Bieinia vnd Tricinia sacra tomponirt und 
lebtlich der Jugend zu gut einen Thesaurum latinae lingvae vnd Enchiri- 
dion verfertiget und in Drud kommen laſſen,“ ebenfo eine „neue Bearbeitung der 
Chronologia vorgenommen und den Teil diefes Werts, welcher ſich auf die Chro- 
nika felbft bezieht, zu Ende gebracht und gedachte diefes Wert mit der Isagoge 
Chronologien (Fundamenta der Jahrrechnung) Hänftigen Sommer zu pubficiren, 
als ein Quartan⸗Fieber ihn befiel, welches durch anhaltende Hige in den Paroxismis 
ihn allmalich außgehete" . . . „Sonft war fein Vorhaben, wenn gedachtes Werd 
verfertiget, fo wolte er and) in Musicis noch etwas ſchreiben, dergleichen bisher mie 





') Den Vorgang erzählt Iatob Reimann, Verſuch einer Einleitung in die Hif. Sit. der 
Zeutföen. Halle 1710. ©. 342, vgl. Muf. Wogenbl. 1870. ©. 510. Cine andere Verſion 
nad) Jüder bei Gerber, R. der. I. ©. 610-811. 


Sethus Ealvifins. Bil 


were herfür fonmen, damit wollte er befchlieflen“ . . . „Seines Lebens vnd Wan- 
dels and Chriftenthumbs halben, iſt er ein chrlider auffrictiger frommer Gott- 
fürdtiger Mann gewefen, ohne falſch vnd Gleißnerey, nüchtern, vnd gar fein amans 
humorum, wie man inögemein von den Cantoribus zu halten pfleget, auch ein 
guter Hausvater vnd verftendig zu allen Sachen, wie die wiffen, bie mit jhm find 
vnbgegangen“ . . . „das legte Wort das id von ihm gehöret, war daß er fagte, 
Domino moriar, Ich wil dem Herrn flerben, Bnd das ift alfo geſchehen, am ver- 
gangenen Freytag frue vnb 7 ühr — den 24. November 1615 — nachdem er 
gelebet 59 Johr 9 Monat und 2 Tage.) — „Seth Calviſius ift in feiner voll 
wichtigen Gelehrfamteit, feiner ſchlichten Tüctigteit, feiner anfprudelofen Brauheit 
das Deal eines deutſchen Schulmeifters." (Ambros, Geſch. der Muf. II. ©. 563). 
AUS Kirchentonſetzer Hat er den in feiner Zeit mehr und mehr ſich geltend machenden 
einfahften Choraljag im Contrapunetus nota contra notam dadurd in fruchte 
barer Weife weitergebildet, daß er die der Melodie untergeordneten andern Stimmen 
des vierſtimmigen Sapes mehr als manche feiner Zeitgenofien berüdfichtigte, fie durch 
fangbare und fließende Führung belebte und felbftändiger machte und fo, unbeſchadet 
der Einfachheit des Satzes, als lebendigere Glieder des ganzen zur Geltung brachte. 
Dabei fam ihm feine geindlide Kenntnis der Kirdentonarten, in deren Wefen und 
Gefege er tief eingedrungen war, ganz beſonders zu ſtatten und feine diefen Ton: 
arten angehörigen Choralfäge find dager meiftenteils Mufter eines reinen Sapes. 
Der Erklärung und genauen Feſtſtellung der Regeln und Gefege der Kirchentonarten 
widmete Calbifius als Mufiftheoretifer eine ausgezeichnete Thätigkeit; feine bezüglicen, 
zugleich im gutem Patein geſchriebenen Schriften find daher für das Studium der 
bereits im Verſchwinden begriffenen alten Mufiltheorie von großem Werte und Hatten 
ihon damals einen außergewöhnlichen Erfolg, indem fie fat alle mehrere Auflagen 
erlebten. Nicht geringeres Anfehen genoffen in jener Zeit feine mathematiſchen und 
qronologiſchen Werke, obwohl er fid in Iepteren bisweilen in aftrologifhen Spelu- 
lationen verliert. — Folgendes find feine Hier namhaft zu machenden Kirhenmufit- 
werte: 


1. Hymni sacri latini et germani quorum in illustro ludo qui 
est Portae ad Salam .. . usus est quatuor vocum . . am Gäluß: 
Erphordiae 1594. — 2. Harmonia Cantionum ecelesiasticarum. Kirgen- 
gelenge dud geiftliche Lieder Dr. Futheri und anderer frommen Chriften. Welde 
inm Chriftlicen Gemeinen diefer Yanden auch fonften zu fingen gebreuglic, 
fampt etfigen Hymnis ıc. Mit vier Stimmen fontrapunktsweife richtig gefeßt 
dnd in gute Ordnung zufommengebradt, Durd . . . Leipz. 1597. 12%. In 
Verlegung Iacobi Apels, Buhh. 2. Aufl. 1598. 3. 1606. 4. 1612. 8°. 622 


1) Na} der „Leicpredigt . . „ Beym Begräbnuß .. . Sethi Calvisij .. . dur, Bincen- 
tim Scmud den 27. Novembris 1815," mitgeeift Ag. muſ. Zeitg. 1870. &. 236 f. Dal. 
aud; Stalldaum im Progr. der Thomasjäjufe 1843. &, 50 f. und Oettinger, Bibliogr. biogr. 
1850. ©. 83, 


14* 


212 Cancellen. 


©. 5. 1622.) — 3. Der Phalter Davids geſangweis, vom Herrn D. Cor- 
nelio Bedern feliger verfertiget, jetzo auffs new mit vier Stimmen abgejeget 
durd) . . . Gedrudt in Leipzig bei Michael Sanzenberger, in Verlegung Jacob 
Apels, Buch. 1602. M. 8%. Ausg. 1616. 1618. 1621 (die 150 Palmen 
mit 43 vorgedrudten Melodien, vierft. Diet, u. W. dem T. u. B. gegenüber. 
Bel. dv. Winterfeld, Ev. 8-Ö. U. ©. 220). Außer diefen Choralmwerten 
wurden noch einige Heinere Mufifwerfe von C. gedrudt, verfdhiedene andere: 
Motetten, Hymnen, Pfalmen :c. befinden fih im Mitr. auf der Bibl. der 
Shomasfhule zu Leipzig. Aus diefen Werken find eine Anzahl Tonfäge neu 
gebrudt, bei Veder u. Billroth, Sammlung von Chorälen. Leipzig 1831. 
Nr. 1—20. dv. Winterfeld, Ev. 8-6. I. ©. 62—65, Ert u. Filip, Bierft. 
Choralfäge. I. 1845. Nr. 3. 7. 14. 41. 52. 58. 73. 88. 92, v. Tuder, 
Shab U. Nr. 50. 238. 448 und Säocberlein-Piegel, Cchag des Üiturg. 
Chor: u. Gemeindegef. I. Nr. 53. 76. 118. II. Nr. 23. 274. IM. Nr. 206. 


Gancellen (von cancelli, Gitter), -ſchiede, -jpunde, »bentile. — Iede 
Schleifwindlade (Schleiſlade) der Orgel it ihrer Breite (Tiefe) nad) durch eingefalgte 
dünne Hofzleiften, die Gancellenfhiede Heißen, in fo viele Fächer geteit, als die 
Klaviatur, zu der fie gehört, Taften Hat. Diefe Facher find die Cancel len (Kammern, 
Setrete); fie find fo lang als die Windlade breit oder tief it, müffen dagegen von der 
Höhe (Disfant) nad) der Tiefe Gaß) in dem Verhältnis breiter werden (einen größeren 
Yubifien Raum befommen), als die Pfeifen, welche fie zu bedienen Haben, größer werden 
und alfo mehr Wind bedürfen. Die beiden Flachen der fo in Eancellen geteilten Wind- 
{ade werden num verſchloſſen: die obere, auf welder der Pfeifenftodt ſteht, auf zweierlei 
Urt, entweder durch eine gemeinfame Bededung aller Cancellen mittelft der Funda- 
mentaltafel, des Fundamentalbrettes (vgl. den Art.), oder durd Ver— 
ſpundung jeder einzelnen Gancelle mittelft einer dünnen Holzleifte, einem Brettden, 
das Cancellenſpund Heißt und zwiſchen die obern Kanten der Schiedebretichen 
eingepaßt umd eingeleimt wird; — die untere, nad dem Mindkaften gehende Fläche 
ebenfalls entweder mittelft einer gemeinfamen Holz- oder Pergamenttafel oder jede Cans 
celle einzeln durch einen Spund, fo daß fie nun einen volftändig geſchloſſenen Raum 
darſtellt der, um luftdicht zu fein, mit heißem Leim ausgegoffen, oder mit Pergantent 
ausgelleidet wird. Im untern, nad) dem Windfaften liegenden Verſchluß jeder Cancelle 
wird dann die Öffnung fir den Wind angebradt, die in Bezug auf ihre Größe dem 
Windbedarf der auf der Cancelle flehenden Pfeifen genau entfpredjen muß, und durch 
das Gancellenventil (vgl. den Art. „Bentil”) geöffnet und geſchloſſen werden 
fan. — Im großen Werten, in denen zahlreide Stimmen auf eine Windlade zu 
Rehen Lommen, deren größerer Wind bedarf eine entfpredend große Cancelle, eine 


_. ) Hier finder ſich eine Melodie zu „Herr Jeſu Chriſt wahr'r Menſch und Bott“ — cc 
Ehga hc — melde Koch, Geſch des 88. II. ©. 301. irrtüimfiderneife dem Caloifins 
auffreibt, wärend fie dem 117. Palm der Reformierten angehört. Bol. Döring, Choralt. 
©. 4. 55. 


Cantus. 213 


ebenſolche Cancelenöffnung und ein dieſelbe bededendes Ventil bedingt, teilt man, 
um den der Offnung des Ventils vom Windfaften her entgegenftehenden duftdruc, 
abzufcwächen, die große Cancelle in zwei Heinere — Doppelcancelle — mit 
zwei Ventilen, von denen daß eine ſich ehvas früßer öffnet und damit den Fuftdrud 
auf das andere auffebt. Zum gleichen Ziwed werden bisweilen auf eine einfache 
große Cancelle zwei Ventile — Doppelventile (ol. den Art.) — gemacht. 


Gantus, der Gefang. Von den verſchiedenen in der älteren Kirchenmuſit 
gebrãuchlichen Zufammenfegungen diefes Wortes find folgende die fir uns wigtigften: 

1. Cantus choralis, Chorafgefang, auh Cantus gregorianus, 
gregorianiſcher Gefang (vgl. den rt.), der durch den Papft Gregor d. Gr. in der 
römifg-tathofiien Kirche (Cantus romanus) eingeführte, auf den einftinmigen 
Volalvortrag und die Kirhentonarten gegründete liturhiſche Gefang. Er iſt ein in 
freier Dellamation dem liturgiſchen Worte und deffen ſprachlichem Rhythmus ſich 
anſchließender Gefang, und es beruht auf einem Mifverftändnis, wenn er noch 
immer fo charalteriſiert wird, als bewege er fi „in feierlich langſamen Schritten 
bloß durch die melodifhen Haupttöne, die foſt alle von gleicher Geltung feien,“ 
fort.!) Man unterfeidet bei demſelben dem vom Priefter allein gefungenen Accentus, 
und dem vom Chore der Kleriler ausgeführten Koncentus. Aus letzterem, dem 
Geſang des Chores, entwidelte fih der Cantus figuralis oder Cantus 
mensuralis in mufifaliff-taftmäßig, niöt Bloß fpradrxhytämifdh gemefienen Noten 
und mehrftimnigem Tonfag. Über die Übertragung des Namens Choral auf die 
deutſche evangeliſche Gemeindeweife vgl. man unten unter „Cantus firmus* und 
den Art. „Choral“. 

2. Cantus durus, Cantus # duri, hieß ehemals ein Gefangftäd, dem 
das L IV. und VII. Heragord, ga hc de, im alten Herahordenfgftem zu 
Grunde fag, in dem daher das B-durum (%, unfer h) angewendet wurde, während 
im Cantus mollis, Cantus b molle, auf Grundfage des III. und VI. Her 
achords, fg a bcd, das b molle (d, unfer b) gebraudt und am Schlüſſel 
vorgezeihhnet wurde, und beim Cantus naturalis oder Cantus permanens im 
IE. und V. Heragord, ed eTga, das kritiſche b, diefer „diabolus in musica“ 
der mittelakterlihen Mufillere, gar nicht vorkam.*) 


1) Bol. Blied, Was verfeht man unter Choral? Euterpe 1877. S. 111-118. „Wenn 
ein Gefang der freien Dellamation gleichtommt, fo iR 68 der (gregorianifdje) Chorafgefang.“ 

*) Tincloris im Lib, de nat. et propr. tonoram. Cap. I. fagt Gierüber: Tres autem 
sunt proprietates: 4 durum, per quam in omni loco canitur, cujus clavis est g-ut; 
natura, per quam in omni loco canitur, cujus clavis est c; b molle, per quam in 
omni loco canitur, cujus clavis est f. Dieta natura co quod omnes ejus proprietates 
voces regulariter fixae manent et stabiles instar naturalium unde quidam: „quod 
natura dedit et tollit nemo potest.“ y molle dieitur quare per eam in eo loco cujus 





214 Eantus, 


3. Cantus firmus, feſiſtehender, unveränderficher Gefang, heißt der 
gregorianifche Gefang, fofern er als liturgiiger Gefang der fatholifcen Kirche fur 
alle Zeiten geſetzlich feftfteht und nit geändert werden darf.!) Im befonderer Ber 
giehung nannte man fpäter eine diefem Gefang entnommene Melodie Cantus firmus, 
wenn fie in einem mehrſtimmigen Tonjag von andern Stimmen kontrapunttiſch um . 
woben wurde. Und weil in diefem Falle die einzelnen Töne der gregorianiſchen 
Melodie denen der belebteren Tontrapunktierenden Stimmen gegenüber ala Noten 
von gleihem (meift größerem) Zeitwerte erfhienen, mamnte man den 
Cantus firmus aud Cantus planus. — In der evangefifden Kirchenmuſit 
wurde die lirchliche Gemeindeweife oder der Choral im Sinne der evangelifhen 
Kirche ganz ebenfo zum Cantus firmus und damit zur Grundlage, wie die der 
gregorianifgie in der katholiſchen if. Zunäcft verwendete ihm im diefer Weile die 
evangeliſche Orgelmufit (mit Sam. Scheidt 1624 beginnend und durch Pachelbel 
und feine Schule bis zu Seh. Bad) vorjhreitend) und dann die aus ihr fih ent- 
widelnde Bachſche Kirchenlautate und Baffionsmufit. Und wenn man den unermeßlich 
reihen Shag ewangelifher Kirhenmufit an Choratvorfpielen, Choralfigurationen, 
Shoralfugen u. f. w. für die Orgel, an Choralchören, Choralmotetten und Choral: 
tantaten für den Kirchenchor überblict, in welhen Werten allen eine Choralmielodie 
oder ihre Teile den Cantus firmus bildet, gegen den die andern verwendeten 
Stimmen in den verſchiedenſten Formen tontrapunftieren: fo wird man dem fatho- 
liſchen Schriftfteler, der da meint, der deutiche evangelifge Choral verdiene eigentlich 
den Namen Choral nicht und würde richtiger und zufreffender deutſches 
Kirchenlied genannt werden, laum noch zuftinmen wollen.*) 

4. Cantus perfectus hieß in der Theorie der alten Kirchentöne ein 
Gefang, der die Grenzen feines genau vorgefhriebenen Ambitus ausfüllte; wenn er 


elaris est h rotundum canitur, quod quidem fa molle, id est dulce est... .re- 
spectu mi in ipso interdum loco per & duro canendi . . . und Herman find meint: 
„as Hepadjordum molle giebt einen weidien, das naturale einen mittleren, das durum einen 
Harten Klang,” — während Simon Brabantius de Quercu, Opusc, mus. 1509, den Namen 
B-molle von mobilitas, Bewegliäjeit, Gerfeitet, indem er fagt: Operae pretium est, latere 
neminem”’p E esse duplex: puta b-fa & mi, et dieitur b-fa, b molle, et H mi, g qua- 
drum, ad literarum diserimen. Plerique tamen asserentes et quidem inepte dicunt: 
b molle ideo dic, quod molle canatur; quamquam ascensu semitonium facit et molle 
canitur; tamen desconsu dure canitur, tonumque constituit et per consequens. . 
Sed dieitur b-molle a mobilitate, nam moveri potest et ordinari quocumgue in 
loco, in. aut in spatüs, secundum cantionis exigentiam, 

*) Das Antiphonar, in dem Gregor feine Gefänge aufgezeidmet hatte, „runde bei Sant 
Peter om Altare der Apofiel mit einer Kette befeigt; es folte fortan als Negulativ für allen 
Rirgjengefang dienen und jede vorfommende Abtveihung nad) demfelben berichtigt werden." Dal. 
Ambros, Gef. der Muf. II. S. 45. lied, a..u. D. 

2 Bgt. Bed, a. 0. D. S. 118 — umd dagegen Spitta, Bad 1. S. 107 und an vielen 
andern Stellen. 











Canzone. a5 


dies nicht that, fondern oben oder unten einen oder mehrere Töne unbenügt lich, 
jo nannte man ihn Cantus imperfectus; und wenn er die Grenzen feines 
Ambitus Überfritt, Cantus plusquumperfectus.!) — Ein Gejang, der 
in einem Tonus mixtus fih bewegte, d. h. nicht völlig den Gang eines authen- 
ifcen oder plagalen Modus einhielt, fondern die Gebiete beider berührte und daher 
eine Miſchung derfelben darftellte, wurde Cantus mixtus genannt.) Außerdem 
wird noch ein Cantus commixtus (vermifgter Ton) unterjhieden, der dann 
entfteht, wenn ein Modus in den andern übergeht oder ausweicht.“) — Steigt eine 
Melodie nicht über die Serte oder füllt nicht unter die Terz, fo ift fie weder ausge» 
prägt authentifch, noch plagal und heißt degwegen Cantus neutralis. Cantus 
fietus endlich Heißt ein Gefang, der mit im regulären Syſtem feiner Tonart, 
jondern im transponierten, d. 5. in einer Verfeßung auf einen andern Grundton, 
äinen Tonus fietus, notiert ifl. J 





Canzone nannten die italieniſchen Organiſten und Orgeltomponiften aus dem 
Ende des 16. und dem Anfang des 17. Jahrhunderts Drgelfäge, in denen fie 
damals beliebte Melodien franzöſiſcher Chansons — „Canzoni francese,“ 
„Canzoni alla Francese“ — unter faft ftereotyper Feſthaltung des charatteriſtiſchen 
Aufaugerhythmus derfeiben — 3.8. | III SI ST, | — ats Themen 
u imitatorifchen Bildungen verwendeten. Diefe Stüde, die anfangs mit der Be- 
richnung „Per sonar“ verjehen wurden, um fie von der für Gefang beftimmten 
Gangone zu unterſcheiden, find als die Anfänge der Fugenform anzufehen, wenn auf 
der Begriff „Camzone” nicht bedingte, daß fie notwendig fugenartige Anlage Haben 
maßten,t) vielmehr fugenartige Bildungen ebenjo in den andern Formen damaliger 
Drgeltompofition, dem „Capriceio“, den „Ricercar“, der „Fantasia* vorkommen 





Als man Luther einft bemertie, der Choral „Wir glauben all an einen Gott“ über- 
förete die Grenze feines Modus um einen Ton in der Höhe, antwortete er darauf fehr ſchön: 
„Freitigg will dieſer Gfaube viel fagen, er fingt auch in einem gar hohen Tone.” Bpl. Gerber, 
# 8er. 1. ©. 839 und v. Tuder, Stay II. 8. 419. 

3) Franinus Gafor, Mus. pract. I. 7. fagt hierüber: Mixtus tonus dieitur si au- 
thenticus est quum vel totum gravius sul plagalis attigerit tetrachordum vel duas 
sjus chordas. $aberl, Magister choralis nennt Die Tonart gemift, wenn fie ifren matür- 
lien Ambitus um mehr als einen Ton nad) unten oder oben Überfäreitet. 

®) Frandj. Gafor, a. a. D. Iehet Über denfelben: Commixtus tonus dieitur si authen- 
tieus est, quum in eo species alterius quam sui collateralis r. Sin autem 
fuerit plagalis, dicitur commixtus, quum alterius quam sui ducis ct imparis conso- 
nantes continet formas. al. auf, Tinctoris, Lib. de nat, et propr. tonorun, Cap. 18: 
„ie commixtione tonorum.* 

4 Brätorius, Synt. mus. II. S,.24 Garakterifiert vielmehr die Cangone, indem er fie 
der Somate entgegenfegt mur dahin: „daß die Sonaten gar gravitetifdf und präditig uff Motetten 
art geegt feynd; die Ganzonen aber mit vielen fhwargen Notten früh, frötich und gelämind 
indurch paſſiren.“ 











216 


und nur in einer derfelben, der „Toccata“ ausgefhloffen find. 


Eanzone. 


Die beiden 


Gabrieli (Andrea und fein Neife Giovanni) und die andern venetianifgen Orgel» 
meifter führten die Canzone in die Orgelmufit ein, Frescobaldi und fein Schüler 
Froberger bildeten fie in bedeutfam kaunſtleriſcher Weife weiter.) Als Beifpiel 
fegen wir den Anfang einer „Canzona in sesto tono“ aus den Primo libro 
di Capricei, Canzon francese, e Recercari, fatti sopra diversi sogetti et 


arie“ etc. (Venedig 1626) von Frescobaldi Hieher: derſelbe lautet: 























* — — 


































































































It 












































; 
A A 


Gi 
np: 























er 


Bon“ Frescobaldi angeregt, ſchrich auch Seb. Bad eine ſolche Canyon, „in 
welcher er den itafienif gen Typus möglihft wahrte, aber doch nicht umhin fonmte, 





Weipmann, Geſch des Klavierfpiels. 2. Aufl. 1879. ©. 8. 18, 


1) Bal. Ambros, Gef. der. Muſ. I. ©. 506. II. ©. 538 ff. IV. S. 435 f. und 


Caprictio. Cafpar, Cafpari, Cafparini. 27 


das ganze mit eigenem Geift zu durchdringen. Dem fremdartigen Reize des ſchönen 
Stüdes wird fih nicht leich jemand entziehen." Auch ein Alla-Breve D-dur von 
Bad, das „den italienifhen Drgeltomponiften jener Zeit in Har erfennbarer Weile 
nacgefhaffen“ iſt,) forie ähnliche Arbeiten Bugtehubes, Pachelbelse) u. a. alten 
deutfcjen Drgeltomponiften gehören hicher 


Gapriceio, eine alte Form von Orgele und Mfavierftüden, die in der erflen 
Zeit der Ausbildung eine eigenen Inftrumentafftyls entfland und von den Meiftern 
der Benetianiſchen Schule, von Frescobaldi, Froberger u. a. gepflegt wurde. Prä 
torius, Synt. mus. II. ©. 21 erflärt diefelbe fo: Capriccio seu Phantasia 
subitanea: Wenn einer nad) feinem eignem plefier vnd gefallen eine Fugam zu 
tractieren dor ſich nimpt, darinnen aber nicht (ange immenoriret, fondern bald in 
eine andere fugam, wie es jhme in Sinn kömpt, einfälet.“ 


Gajpar, Gafpari, Gajparint, eine Orgelbauerfamilie aus Soran in der 
Niederlaufig, die von c. 1600-1720 dajelbft eriftierte und aus der mehrere tfd- 
tige Meifter Hervorgegangen find. — Der bedeutendfle Angehörige derfelben und der 
berühmtefte Orgelbauer Deutfhlande und Italiens in der zweiten Hälfte des 
17. JDahrhunderis, Eugen Cafparini, war 1624 zu Sorau geboren, erlernte 
in der Werkftätte feines Vaters die Orgelbaufunft und ging dann, um fi in der- 
felben zu vervollfommnen auf die Wanderf oft. Drei Jahre Hielt er fih in Bayern 
auf und wandte ſich 1644 von da nah Italien, wo er in Pavia ein eigenes Ger 
ÄGäft gründete, aus dem zahlreiche ausgezeichnete Orgelwerle für die Kirchen Ober- 
itafiens Hervorgingen. Cr erlangte ſolchen Ruf dag ihm der Kaiſer Leopold I. nad) 
Bien berief, damit er die dortigen Orgeln repariere, und ihm nad Vollendung diefer 
Arbeit den Titel eines 1. f. Hoforgelbauers verlich.?) Nachdem er 50 Jahre in 
Bavia gelebt Hatte, Tehrte er nad; Deutſchland zurfid und übernahm 1697 in hohem 
Alter noch den Auftrag, eine neue große Orgel für die St. Petri und Paulitirche 
zu Görlig‘) zu bauen. Gemeinfhaftlid) mit feinem Sohne, Adamo Orazio C, 
vollendete er 1703 dieſes Wert, das zu feiner Zeit eines der berühmteften in 


1) Bol. Über beide Stüde Spitta, Bad I. S. 419. 420. Die Canzone Reft Edition 
Beters: Iuflrumentafierte von Seb. Bat. Bd. VI oh. 4. Pr. 10, das Alla-Breve dal. 
®. V. Cab. 8. Rr. 6. 

9) gl, Spitte, Dietrid) Burtchudes Drgeltompofitionen. Bd. I. Rr. 23. 24. ©. 118 u. 
120, zoei „Eanzonetten“ ; eine Canzone Padjelbels bei Commer, Mus sacra, &. 1. &, 137. 

9) Für die faiferlide Kunftenmer zu Wien foll er ein Pofitiv von 6 Stimmen gebaut 
Haben, deffen fämtfidie Pfeifen von Papier waren. Bol. Gerber, N. Ser. I. ©. 000. 

+) Diefe Orgel mit 57 M, Sn. auf 3 Man. uud Ped. —- Peingipaf 32’ im Frofpelt — 
Befrich Chr. Ludw. Borderg, Görlig 1704. Sie enthielt im Profpeft eine Amahl aus 
Hingenden Pfeifen gebifdete Sonnen, die mit einem Chot von Bofaunenengeln zufommen Die 
12facıe Diptur des Pedals enthielten. Bgl. Breslauer Radır. von berüßmten Orgeln. &. 37. 





218 Stephan Eaftendorfer. Eavaills-Loll. 


Deutfchland war und durch das er den deutſchen Orgelbauern lebhafte Anregung 
zur Bervolltommmung ihrer Kunſt gab. ©. erfand nicht nur einen Pad, der die 
Holgpfeifen vor dem Wurmfeaß ſhubte, fondern auch eine neue, außerordentlich 
prattifche Windlade, die auf dem Grundjage bafierend, daR jede Pfeife ihren cigenen 
Wind direft aus dem Windlaften erhalten müffe, eine Bereinigung der Schleif- und 
Kedellade darftelt.t) Leider fand dieſe Windfade, nad) welcher der Neffe des Meifters, 
der fih Cafpari nannte, 1705 eine Orgel in der Kirche zu Halbau und 1715 
eine ſolche in der Schloßfirge zu Soran baute, die beide nad braudbar find, fonft 
feinen Eingang?) — Eugen C. ſtarb hochbetagt am 12. September 1706. Seine 
bedeutendſten Werte aufer der Orgel zu Görlip find: 

Die Orgel in Santa Giuflina zu Padun mit 42 Stn.; — in San 

Giorgio maggiore zu Venedig mit Brinzipal 32° im Profpeft; — in Santa 

Maria Maggiore zu Trient mit 42 Stn.; — in St. Paul zu Epſom in 

Tirol; — in einem Stifte zu Brigen?) — u. a. 

Sein ſchon genannter Sohn war um 1670 zu Padua geboren und ftarb um 
1745 in Shlefien; ex arbeitete anfangs gemeinfhaftlic mit dem Bater, fpäter allein 
und machte jeinem Namen durd den Bau mehrerer größerer Werte für ſchlefſche 
Kirchen alle Ehre. — Deffen Sohn, Iohann Gottlob €. feste das Geſcaft 
fort, ohne ſich jedoch auf der Höhe des Nufes feiner Vorfahren erhalten zu tönnen. 








Gaftendorfer, Stephan, einer der älteften unter den noch befannten deutichen 
Orgelbauern, der 1425 zu Breslau geboren war, und 1466 in der Stadtlirde zu 
Nördlingen eine neue Orgel baute. Bol. Fortel, Geſch. der Muf. IL. ©. 725. — 
Eine weitere Drgel, die er 1483 im Dom zu Erfurt auftellte und bei der feine 
Söhne Kafpar, Melhior und Michael, die nachmals das väterlihe Gefhäft fortſetten, 
feine Ditarbeiter waren, verfah er al einer der erften in Deutjäland mit einem 
Pedal. Bol. Prätorius, Synt. mus. I. &. 111, der „Dinggeddel und Brief” 
über den Bau diefer Orgel felbſt gelefen. 


Eapnill&-Goll, ift die Firma der gegemvärtig bedeutendften Orgelbauwerkftätte 
in Frantreich. — Der erſte Orgelbauer der Familie Cavailld war der Dominilaner- 
mönd Joſeph Cavailis6 zu Toulouſe, der in der erften Hälfte des vorigen Iahr- 
hunderts dort lebte und mehrere Drgeln erbaut hat. Sein Neffe und Schüler 
Jean-Pierre Cavaillé war um 1740 geboren und arbeitete von 1762 am 
meiſt zu Barcelona in Spanien, wo er auch um 1815 farb, — Defien Sohn, 





?) Bol. die Angaben Über die Konftruftion diefer Windlade bei Heintich, Orgelbau-Revifor. 
1877. ©. 7 — fowie umfre Art. „Kegellade“, „Schleiflade“ und „Windlade“. 

?) Dagegen Kat der franzöfiiche Orgelbauer Joſ. Merltin in der Orgel von Soint-Eugäne 
zu Paris 1854 Diefelbe unter dem Namen „Systeme A pistons pour Pintroduction directe 
du vont dans les tuyaus“ wieder verwendet. Wal. H. J. Ply, La Facture moderne. 
yon, 1880. ©. 197. 

3) Diefe Hat Print, Satyc. Komponift. 109. III. S. 223 verzeichnet. 





Eavaille-Eoll. 219 


ominigue Dyacinthe Cavaillö-Coll, war 1771 zu Touloufe geboren 
»5 Bitte den Drgelbau in der Werkftätte feines Vaters erlernt. Er ging ſchon 
188 nad Spanien und baute dafelbft mehrere größere Orgelwerte: zu Buicerda, 
ereelona, Bich u. a. D. in Catalonien und Navarra. 1806 fehrte er nad) Frankreich 
id und etablierte ſich zu Montpellier; dod ging er 1816 nochmals nad) Spanien 
2 arbeitete noch 6 Jahre in Gatalonien. Erſt 1823 ließ er ſich endgiltig in Nimes 
ar und führte daſelbſt noch verihiedene größere Orgelbauten aus. Die fpäteren 
aire feines Lebens verbrachte er bei feinem Sohne in Paris, wo er im Juni 1862 
hohem Alter ftarh. — Diefer fein Sohn, der Begrunder und berühmt gewvordene 
tr des Parifer Etabliffements it: Ariftide Cavaillé-Coll, geboren am 
Februar 1811 zu Montpellier und in der Werlſtätte feines Vaters, in der er 
en von feinen elften Jahr an arbeitete, zum Orgelbauer gebildet. Dem erft 
thehniahrigen Tonnte der Vater bereits die deitung eines größeren Umbaues der 
nel im der Kathedrale zu Ferida in Spanien übertragen, eine Arbeit, die er 
9-- 1831 im gelungenfter Weife durchführte. Won 1831 ab lebte er einige 
ft zu Toulouſe, und iam dann im September 1833 nad) Paris, wo ihm einige 
re fpäter der Bau einer großen Orgel für die Kathedrale zu Saint-Denis über: 
rn wurde, den er bis 1841 ausführte und mit dem er feinen Ruf begründete, 
r Reihe großer Orgewerte fir Paris und andere Städte Frantreichs, für 
hien, England, Amerifa und Auftrafien folgten und trugen feinen Namen durch 
Felt.) — Cavaillé-Coll hat als der weitaus hervorragendfte Orgelbaumeifter 
treichs und begabt mit allzeit thätigem Crfindungsgeift und großem techniſchem 
Köiet im der Ausführung, die Cigentümicfeiten der franzöfiigen Schule des 
helbaus Bis zum Ertrem ausgebildet. Bon jeher war dem franzöfiihen Orgelbau 
rttaliſtiſcher Bug eigen, der ſich befonders in der Vorliebe für die Zungenftimmen 
ferte und dem die Franzoſen um fo ungehinderter folgen fonnten, je weniger fie 
sh Rüdfichten auf den kirhlichen Zweck und die lirchliche Würde der Drgel 
kanden waren. Diefem nationalen Zuge folgend, ift Cavaillé Coll auf Abwege 
Inten und Hat die Grenzen, die der Orgel als kirchlichem Inſtrument geftedt find, 
kricpritten und Diefelbe zum Nonzertinftrument ausgebildet. Über dem Streben 
naturaliſtiſcher Ausbildung des Mlanggepräges der einzelnen Stimmen, befonders 
? Zumgenftimmen zu fogenannten „Rögistres harmoniques“, ift ihm der echte 
tgelton (feine Werke Haben in ihrem Geſamtton mehr den Charakter einer Blech- 
kt), — über der Sucht nach vieljeitigfter Ausdrudsfähigfeit der Stimmen-Kom- 
kationen, der lirchliche Charakter der Orgel fait abhanden gefommen?) und es 
*) in Berzeihnis von über 300 feiner Werte ſehe man bei Philbert, L’Orgue du Palais 
{Industrie d’Amsterdam. 1876. &. I71-10. 
2) Ride nur die Hinfihtlich der Beflimmung der Orgel als Kircheninſtrumient Arengeren 
Drgelbauverftändigen ſprechen ſich gegen die von Cavaitlö-Col eingefäjfagene Nihtung 
29l. Sering, Euterpe 1870. S. 119, ſchon fängft Haben dies auch die franzöfiſchen 


220 -Hörig. 


muß überdies die komplizierte Medanik feiner neueren Werte, wie trefflic fie immm 
gearbeitet fein mag, gerehtfertigten Zweifel in Bezug auf ihre Danerfaftigteit weden. - 
Bon feinen bedeutendften Werfen nennen wir: 
1. Die Orgel der Kathedrale von Seint-Denis. 66 HM. Stu. 4510 Pfeifen 
4 Man. und Ped. 9 Rolleftivtritte. 21. Cept. 1841 eingeweiht. Bag 
L’Orgue de l'eglise royale de Saint-Denis etc. par Adrien de | 
Fage. Paris 1845. — 2. Die Orgel von Saint-Sulpice in Paris. 100 St 
118 Regifterziige, 6706 Pfeifen. 20 Kolleftivtritte, 5 Dan. u. Bed. 186 
vollendet, für 163000 fr. Vgl. Etude sur POrgue monumental d 
Saint-Sulpice et la facture de l’Orgue moderne, Par l’Abb& Lamazoı 
Paris 1864. A, Heffe, Cuterpe 1862. ©. 110—I11. — 3. Die Drg 
von Saint-Vincent-de-Paul in Paris. Bgl. Töpfer, Orgelbau. Teit 1 
S. 1029—1043. — 4. Die Orgel der Madelainelirhe in Paris, 48 Sti 
14 Kolleftingüge; 4 Man. u. Bed. — 5. Die Orgel von Saint-Eugene i 
Paris. — 6. Die Drgel von Saint-Rode in Paris. — 7. Die Orgel i 
der Town · Hall zu Sheffield in England. gl. La grand Orgue de | 
nouvelle Salle de Concert de Sheffield ete. Paris 1874. — 8. Du 
Projett einer Riefenorgel fiir die Peteröticche zu Rom. Vgl. Projet d’Orgu 
monumental pour la basilique de Saint-Pierre de Rome. Bruxelle 
1875. 9. Die Orgel des Induftriepafaftes zu Amfterdam 1876. 46 t 
Stu, 19 Nebenzüge. Bgl. die angeführte Schrift von Philbert. — Folgent 
Sqiften über Drgelbau find von ihm erfhienen: 1. Etudes experimentale 
sur les tuyaux d’orgue. Memvire 1849. — 2. De l’Orgue et de so 
architecture. 1856. 2. Aufl. 1872. — Aud bei Töpfer a. a. D. | 
©. 504-511 finden fid Mitteilungen von ihm. 


sthörig, bezeichnet mit Zahlwöͤrtern, wie ein-, zwei- (oder Doppel:), drei- u. f. n 
hörig, zufammengefegt: 

a) bei Chorgefangwerfen die Anzahl der felbftändigen (tenfen) Chöre aus dene 
fie defichen und nach denen der Gefangförper (die Chorfänger, Choriften) zu dere 
Ausführung zu gruppieren ift. Vereinzelte Verſuche mehrchöriger Säge Hatten al 
Deifter des polyphonen Volalſtiles, wie Antonius Brumel und Adrian Wilları 
früge fon gewagt; aber erft nachdem diefer Stil in Paleftrina „feine Vollendun 
und fhönfte Verklärung“ erreicht hatte, trat das Veftreben, durch Häufung de 
Mittel, die Vorgänger am Wirkung zu überbieten, unter den Tonfegern allgemeine 
hervor, und führte zu jenen Riefemwerten „a quattro a sei e otto chori reali, 
die nad Antimo Tiberatis Zeugnis „con istupore di tutta Roma“ aufgefüht 
wurden und als deren Hauptvertreter Paolo Agoftini (15931629), Drazio Beru 
voli (1602—1672) und Antonio Maria Abbatini (1595—1677) gelten können.‘ 
gel Daujau ſchon 1846 in der Revue de In Musique religieuse, II. 11 
©. 384-389 ſchrieb. 

9) Vgl. Ambros, Geil. d. Duf. IL. Vorr. S. XVIL u. IV. ©. 104-120. „Jet & 
gann die Zeit der (falfeen) Rechnung, die doppelte und dreiſache Zahl der Kunftmittel, wei 
in einfadjer Anwendung ſich fo herrlich bewährt Hatten, werde doppelte und dreifage Wirtz 
hewordringen ·· 





Chor, Chorgefang in der evangelifhen Kirche. 221 


14 die Tonfeger der evangeliſchen Kirche verwendeten für ihre Feſtgeſänge gerne 
ihre Kunftmittel, gingen jedod faum über den Doppelhor hinaus, wie j. 8. 
wurd (Preuß. Feſtlieder), Mid. Prätorius (Mus. Sion.), Hammerihmidt, Doh. 
Aitoph Bad (Motette „Id laſſe did nit") u. a., und nur Seh. Bad) türmt 
ser Einleitung zur Matthäuspaſſion den Rieſenbau von zwei Ordeftern "und 
i Chören fbereinander auf. Neuere Verſuche in mehrhöriger Kompofition, wie 
8. die 16ftimmigen Meffen von Faſch und Grell ftehen ziemlich vereinzelt da; 
zen Hat Mendelsſohn mit feinen doppelförigen Kir—henftüden (Pſalmen, Sprüchen 
.\. m. fur den Domdor in Berlin) ſchöne Wirkungen erzielt. 

b) bei den gemifhten Stimmen der Orgel, nad dem Sprachgebrauch der 
ten Drgelbauer, die Anzahl der Pfeifen, die bei einer folhen Stimme, wenn 
3: Zafte miedergedrüdt wird, gleichzeitig erflingen. So lieſt man in der alten 
irofition Der berühmten Orgel zu Harlem 3. B. „Mirtur 6, 8, 10 Chor,“ 
&o Kornett 4 Chor“, „Scharf 6 u. 8 Chor“ u. ſ. w., umd auch Antony, 
hihichtl. Dorftellung der Orgel. 1832. S. 188 hat dieſe Bezeichnung in der 
woſition der Domorgel zu Münfter noch beibehalten; im meueren Werten ift fie 
wgen allgemein durh „— fah” (vgl. den Art., ſowie die Art. „Gemiſchte 
inmen“ und „Mirtur“) erfegt. 

©) beim Klavier, durch wie viele im Einklang geftimmte Seiten jeder Ton 
ar augeſchlagenen Taſte erzeugt wird — beim modernen Flügel ift die obere 
ktie bis etwa zum großen E oder Es dreihörig, weiter nad) der Tiefe Hin zwei- 
Fig, die tiefften Töne einchörig — und endfic bei andern Caiteninftrumenten, 
8 viele verſchieden geflimmte Saiten ein ſolches Hat; fo ift 3. B. die Violine mit 
Kr vier Saiten vierhörig. 


Ehor, Chorgejang in der evangelifchen Kirche. Das Wort Chor, vom 
iſchen Choros, die im Kreis oder Halbtreis aufgeftellte Menge, Schar, be— 
äcnet nach feiner Grumdbedentung etwas Rundes überhaupt und davon abgeleitet, 
ine Runde, eine Vereinigung von Sängern und Tängern, die im antiten Thenter 
2 Halbfreis aufgeftellt wurden und deshalb Chor Hießen.!) Ieyt wird dieſes Wort 
| der Mufit nod in folgenden Beziehungen angewandt. 

1. Einen Chor nennt man eine nad) beftimmten mufifalifhen Rüdfihten 
grdnete Vereinigung von Stimmen, ſowohl Gefangs- als Inftrumental- 
en, zur gemeinfhaftlicen Aufführung eines Mufitftüids. Schon bei den älteften 
oölfern finden fih ſolche Vereinigungen von Sängern, die bei religiöfen und 
ümtichen Feftlichteiten gemeinſame Geſange ausführten, und namentlich, die Juden 

%) Eine andere Ableitung des Wortes Chor giebt Zfiborus; darnad; würde es vom Intei- 

corona, Krone abflammen, da in den aftgriftliden Kirchen der Sängeror fo um den 
aufgeftellt war, daß er gleihfom einen Kranz, eine Krone, corona eircumstantium, 
denelben bildete. gl. Mag. Cor. Mbreht, Beiträge zur Hiforie der Muft, in Dar- 
frit. Briefen Über die Tontunf, Bd. IH. Bert. 1704. 130. Brief. ©. 9 fi. 









222 Chor, Ehorgefang in der evaugeliſchen Kirche. 


Hatten im ihren Tempel einen ausgebildeten Chorgefang mit feftangeftelltem Sänger 
chor.) Auch bei den Griechen und Römern ftand der Chorgejang in Blüte, um 
von ihnen ging er in den Gottesdienft der chriſtlichen Kirche über, in welcher früh 
fon Spuren von Kirhengefangschören fih finden (vgl. die Art. „Antiponic“ 
„Kantor, Kantorat“). Während aber bis ins 10. Jahrhundert unfrer Zeitrechnun 
die Gefänge, welche von diefen Chören ausgeführt wurden, nur einftimmig waren 
und daher dem, was wir nad) Heutigen Begriffen einen Chor nennen, nicht eutſpracher 
bildete fih von da ab der mehrftimmige Chorgefang aus (dad Organum, um di 
Zeit des Hucbald v. Saint-Amand, 840-930, Discantus und Fauxbourdon] 
der die Einführung der Menfuralmufit (Franco v. Cöln, im legten Viertel de 
12., oder am Anfang des 13. Jahrh.) notwendig bedingte, und fid) in der Folge durt 
die Ausbildung des Kontrapunfts (vom Joannes de Muris um 1330 zuerft gelehrt 
zu vollfommener Polyphonie-unter den Händen der großen niederländifden Meifte 
zur Figuralmufit enttwidelte, die als reine Gefangemufit durch Valeſtrina un 
feine Schule ihre höchſte Blüte erreichte und ihrem muſitoliſchen Weſen nad unver 
ändert aud im die evangeliſche Kirche des erften Jahrhunderts der Meformation her 
Übergenommen wurde. Der ausführende Gefangstörper aber, der in der katholiſcher 
Kirche von jeher der mit priefterlicen Charakter ausgeftattete kleritale Chor gemeict 
war, verwandelte ſich in der edangelifhen in den Schülerchor, neben dem jedoch auf 
andere Vereinigungen, teils an einzelnen Fürftengöfen aus berufsmäßigen Sängert 
und Muſitern zur Pflege des Chorgefangs gebildet wurden, teils als Dilettanten, 
veſellſchaften zum gleichen Zweck freiwillig zufammentraten und unter dem Namet 
„Kantoreien“ belanmt wurden. Mit dem Beginn des 17. Jahrhunderts veranfaft 
zunächſt die Entftehung der Oper, noch viel mehr aber die Ausbildung der Inftru 
mentalmufit überhaupt und der Orgelmufit im befondern, das gänzliche Zurüdtreten 
der pofyphonen, auf das Tonſyſtem der alten Kirhentonarten gegrlindeten Vokafmıfı 
und die Bildung eines wefentlich neuen Gefangftils. Diefer neue Stil, der auf der 
Grundlage der inftrumentalen Muſitformen und der modernen Tonalität erwuche, 
wurde auf dem Gebiete der evangelifcen Kirdenmufit durch die Bachſche Kinder: 
Tantate und Paffionsmufit, auf dem Gebiete der Konzertmufit aber durd dad 
Handelſche Oratorium raſch auf die Höhe feiner Entwidelung geführt. Die Oratorien: 
chöre Händels und des ihm (namentlich in feiner „Schöpfung“) nadftrebenden Handa 
waren es dann auch, die dem ausführenden Chorgefang nad) und nad) eine durdans 
veränderte Geftalt gaben. Denn, während die ältere Botalmufit des 16. Jahrhunderis 
ſich mit einer fehr fragen, öfters nur einfachen Beſehung der Chorftinmen begntigte,‘) 

Y) Nech 1. Chron. 2 organifierte David den mufitalifgen Xempeldienft indem er 2 
Hoffen von Sängern und Inftrumentafiften aus den Leviten beflellte. Bei der Temmpelneit 
des Salomo fand nadj.2. Chron. 5 eine große mufitafifhe Feier fatt. 

?) Palmer, Evang. Hymn. S, 367 Teunt andfiüdte, in denen alte Stiftungen für du 


Kirgendor beftehen, bei melden nur auf einen Sopran, einen Alt u. ſ. w. geredinet if, Sal 
auch Ehlert, Deutſche Rundſchau. 1880. Oft. ©. 14. 





Chor, Chorgefang in der evangelifchen Kirche. 223 


einer Beſetung, die uns jegt als durchaus unzureichend eriheint, die aber bis tief 
ins 18. Jahrhundert hinein im allgemeinen üblich blieb: veranlaßte gegen Ende 
des vorigen Jahrhunderts die Aufführung der Oratorien Händels zuerft in England 
die Bildung großer Chorgefangvereine. Sie fanden in Deutichland bald Nachahmung, 
wo von 1810 an große Mufitfefte in Gang kamen, die überallbin zur Pflege der großen 
Formen der begleiteten Chormufil anregten und Chorvereine in allen größeren und 
jelbft in vielen Heineren Städten ins Leben riefen, die durch ihre Anzahl nicht nur, 
fondern auch durch ihre Leiftungsfähigfeit von hervorragender Bedeutung für die 
öffentihe Muftpflege der Neuzeit geworden find.') 

Die in der modernen Mufilpraris zur Verwendung tommenden Chorgattungen 
find: der gemiſchte Chor, aus Sopran, Alt, Tenor und Baß als Chorftinmen 
beftehend, umd die ültefte nicht nur, fondern and die naturgemäßefte und fnftlerifch 
wertvollite aller Chorformen. Denn der gemiſchte Chor vereinigt die weicheren und 
fianlicheren melodiſchen Klänge der Frauenftimme mit der Fülle, Kraft und Tiefe 
der Mannerſtimmen und erreicht dadurch einen Umfang, Vollllang und Reichtum 
der Tonfarben wie feine andere Chorform; und weil in der Kirche nur das relativ 
Boltommenfte zu Gehör tommen fol, jo it der gemifchte Chor and) der einzig 
wahre Kirchenchor. Über weit beſchränktere Mittel verfügt der Männerchor; und 
wenn er auch innert feiner enggezogenen Grenzen durch die ihm eigene Nundung 
und männliche Kraft des Ansdruds mächtig und ergreifend zu wirken vermag, fo 
ift doch feine Färbung zu Überwiegend dunfel und eintönig, umd feine enge Lage 
der Stimmen madt eine künſtleriſch freie polyphone Stimmfuhrung faft ilujorifd) 
und benimmt ihm überdies die Klarheit und Durdfictigteit des Klanges in hohem 
Grade. Diefe Mängel aber laſſen den Mannerchor für den kirchlichen Chordienft 
zur wenig und mur in Ausnahmefällen brauchbar erfheinen, obwohl ſchon die alten 
Meifter lirchlicher Tonkunft mehrfach Stüde für diefe Stinmnenverbindung („Ad 
aequales*) geſchrieben haben — und au, neuerdings eine Menge Kompofitionen 
und Arrangements für diejelbe gefertigt wurden. An Umfang noch etwas beichränfter 
und von weit weniger Tonfülle ift der Frauen chor, der daher, obwohl er mit 
ihm verwandt ift, an kunſtleriſchem Werte dem Männerchor bedeutend nadhfteht, und 
überdies für den kirchlichen Chorgejang kaum in Betracht fommt. Wichtiger iſt in 
diefer Hinfigt der Knabenchor, der als Schüler chor häufig für den kirchlichen 
Chordienſt verwendet wird. Seine Zujanmenfegung aus Knabenſtimmen mit ihrem 
Herberen, energiſch durchdringenden und völlig leidenſchaftsloſen ang, geben ihm 
einen eigentümligen, vom Frauenchor weſentlich verigiedenen Charakter, vermöge 
defien er für die Kirchenmuſit wohl geeignet eriheint. Wie gerne man dies aber 
zugeben und weitergehend auch da noch beiftimmen mag, wo gefagt wird, daß felbft 

1) Dal. Spitte, Die Wiederbelebung rotejtantifder Kirhenmufit auf geſchichttier Grund- 
lage. Dentihe Rundſchau, 1882, 7. Heft. April. ©. 113. 





224 Chor, Chorgefang in der evangelifdhen Kirche. 


„dem einflimmigen Schülerchor mit Orgelbegleitung eine reht erquidlie Mast bei- 
wohne:“') das darf nicht vergeffen werden, daß der Schülerchor allein in der Kirche 
doch nur Notbehelf ift, und daß er feine richtigfte Verwendung als Sopran und 
Alt im gemiſchten Chor findet. Die Stimmenanzahl (Bejegung) des Chores 
iſt ſelbſwerſtandlich je nad; den Umftänden verfhieden; doch folte eine Chorftimme 
auch beim Heinften Chore mit mindefteng 3—4 Sängern befegt fein, wenn noch 
eine wirtlihe Ehorwirtung erzielt werden will. Start befegte Chöre, oder gar 
Maffenhöre, wie fie z. B. im England öfters zufammen wirfen, verlangen ein 
entfpredjendes Lotal, wenn ihre Klangmaſſe wirtlich in gewünſchter Weife zur Ent- 
faltung lommen und fid nicht ſelbſt erdrüden foll. 

2. Als einen Chor bezeichnet man ferner jedes mehrftimmige Gefangftüd, 
das zur Aufführung durch einen Sangerchor beftimmt ift, im Gegenfag zu den 
Sofogeiangsformen, die von einem oder mehreren Solofängern ausgeführt werden. 
Bezüglich der in der Chortompofition verwendeten Anzahl von Chorftimmen ift der 
vierftimmige Chor ber gewöhnliche und normale, wenn aud neben demjelben namentlich 
von den Meiftern des 16. Dahrhunderts der fünf und fehsftimmige Chor mıit 
viel Liebe und Hoher Kunft gepflegt wurde. Über mehrchörige Stüde vgl. den Art. 
nehörig". — Es ift die Aufgabe jedes Chorgefangwerkes, einen mufitalifg-ideelien 
Inhalt zu verarbeiten und zuni künſtleriſch ſchönen Ausdrud zu bringen, der nicht 
ein perfönlich fubjektiver ift, mit nur ein Individuum, fondern eine Menge, ein 
ganzes verfammeltes Bolt, das momentan mit allen feinen Gliedern unter dem 
Einfluß eines und desfelben Eindruds ſieht, in einer im allgemeinen fibereinftimmen- 
den Weife bewegt.) Ein Chor aber, der in der evangelifcen Kirche der gottes- 
dienfligen Beier der Gemeinde dienen und 3. B. ihre gemeindliche Feſtfreude, wenn 
dieſe fihh gu einer Höhe fleigert, auf der fie notwendig einen Knftlerifd geordneten 
Ausdrud verlangt, ausfpregen fol, Hat feinen aus dem Kern und Gentrum des 
Eindruds, unter dem die Gemeinde fteht, geihöpften mufitafifhen Inhalt jo zu 
verarbeiten, daß die Feſtfreude in einer Weife zur Ausſprache gelangt, die für alle 
welche die eben verfammelte Gemeinde bilden, gäftig und repräfentativ ift. Dies 
bedingt aber einerfeit® ein Wuseinandertreten des Chores in die von der Natur 
gegebenen Chorftimmen, Sopran, Alt, Tenor und Bag, weil nur dadurd die ver- 
{hiedenen Alterftufen und Geſchlechter, aus denen die Gemeinde zufannnengefegt iſt, 
ihre Vertretung finden; andrerfeits und trog diefer Verſchiedenheit der einzelnen 
—— oe. 

%) Bol. Herold, Liturg. Veſper zur Lutherfeier. 1883. ©. 4, ſowie die ſhönen Worte 
Chterte, a. a. O. ©. 75, bezüglid) der Verwendung von Knabenfiimmen in Badiher Kirden- 
muft, 

2 Beiteres Über die Äfferfce Bedeutung des Chores im allgemeinen, Die Wahl des Tertes, 
die mufitolife Anlage x. vgl. man 3. 8. bei v. Dommer, Ruf. er. 1867. ©. 152 f. 
A. 8. Marz, Kompoftionefehre. 1857. IT. &. 442 ff. Koder, Die Tonlunſt in der Kirche 
1823 u. 0. 


Chor, Ehorgefang der evangelifhen Rirche. 225 


Stimmen, trog ihrer Imdividuafifierung durch die charalteriſtiſche und melodifc 
fetbftändige Führung, die fie in jedem gutgearbeiteten Chore zeigen, aud ein Zu: 
janmenſchließen derjelben zur Gemeinfamfeit des Ausdruds eines fie alle bewegenden 
Hauptgedantens, der jeweilen der Gedanke der Gemeinde als folder ift und fie des- 
Halb auch als Gemeinde zeigt. Diefe „Mannigfaltigfeit in der Einheit und Einheit 
in der Deannigfaltigleit aber, die eben die chriſtliche Gemeinfcaft des Glaubens 
tonftitwiert” gelangt — wie mädtig immer ein Chor aud durch den Reichtum feiner 
Harmonie, oder durch die Energie feines Rhythmus allein zu wirlen vermag, — 
doch nur in einem Stil zur kunſtleriſch volltonmenften Eriheinung : im polyphonen, 
und in deffen ausgebildetfter Form, der Fuge.) Der fugierte Stil ift darum vor 
allem der fir kirchliche Chormufit wefentliche: in ihm entfaltet fih das Stimmen 
(eben auf das reichte und felbftändigfte, die Chorftinme wird zur „idealen Perfon, 
die ihr eigenes Leben und Weſen, ihren eigentümlichen Charakter, ihre individuelle 
Sefühle- und Ausdrudsweile hat;“ aber fie ftellt ſich damit wilig in den Dienft 
der Gemeinfamleit und arbeitet vereint mit den andern Stimmen nur im Hinblid 
auf eim Biel, die Durchführung des Haupfgedanfens, deſſen Wirkung dadurd be: 
deutfamer und mädtiger wird, Der Hauptgedanfe oder cantus firmus für ein 
ShHormufifftit der evangeliſchen Kirche aber Tann und foll mirgends anders Her- 
genommen werden, als aus dem Gemeindechoral, und die ftilgemäßefte Chorform 
derfelben ift darum der Choralhor in feinen mannigfahen Gebilden als freier 
Chor mit Choral, als Choralfiguration und als Choralfuge. Wie die alten 
Meifter der Tathofifhen Kirhenmufit den cantus firmus ihrer Werle aus dem 
Gregorianiſchen Gefang nafmen,*) jo foll in der ewangelifhen Kirche „der Choral, 
den die Gemeinde einfach) als Vollsmelodie fingt, von der Höheren Kunft zum Grund- 
gedanfen für ihre freieren und reicheren Gebilde gemacht werden. Mag das Ganze 
din nod fo belebtes Tonwert jein, diefer cantus firmus giebt ihm die jedem er- 
tennbare evangelifäefirgliche Signatur.” 

3. Chor in örtlicher Bedeutung genommen heißt endfid der an der Oftfeite 
unfrer Kirchengebäude gelegene, halbrunde, um einige Stufen über den Boden des 
Schiffes erhöhte und von demjelben durch den Lettner getrennte Raum, in deffen Mitte 
in fathofifhen Kirchen der Hodalter fleht und am defien Wänden die Gige des 


') Schön fagt Palmer, Ev. Humnol. 1895. S. 354 f. Gieräber: „Wir ertennen in der 
Form der Fuge mas Syinbofifces, mas fie dem Gottetdienft fo beſonders adäquat mat. 
Benn im Meifias der Chor beginnt und ſich ausbreitet: „durch feine Wunden find wir geheile,” 
da ie, ale gb ſich alles, was Odem Hat, als ob aller Welt Zungen fih herandrängten, um 
ige Betenntnie in Buße und Glauben unter dem Kreuze des Grlöfers nieberzulegen; bald von 
dieer, bald von jener Seite tommt ein Häuflein Heran, das auch wie Paulus niäte weiter zu 
wiffen ſich rüßmt, als Chriftum den Gefreuzigten.“ 

?) Bgl. Proste, Musica divina, Tom, I. Bor. S. XXVI: „Der fiturgife Gefang- 
Xoder ift gleiäfam bie Geifige Schrift der Kirhenmufit; aus ihr mäffen die Peritopen für den 
e&ten KirGenfil entnommen werden,“ 

Kümmerle, Exchtl, d. evang. Rirkenmufil. T, 15 


226 Chor, Chorgefang der evangelifhen Kirche. 


Merus (die Chorftüfe der Chorherren) angebracht find, Im biefem Naume fand der 
Sängergor, der im Iatholifgen Ritus mit prieferlicem Charakter belleidet und 
nichts als ein erweiterter Kreis des Merus iſt, feinen richtigen Aufftellungsplag, und 
auch die zu feiner Begleitung beftimmte Chororgel, gleichfam nur das von der 
Hauptorgel genommene und a8 früßeres Portativ getrennt aufgeſtellie Rücpofii, 
folgte ihm naturgemäß Hierher. Durhans anders aber mufte ſich die Sache in der 
evangelifchen Kirhe geftten, als die dieſer eigentkumfide Kirhenmufit ſich Heraus- 
zubiden anfing. Denn fürs erfte ift der ebangeliſche Kirchenchor nicht mehr ein Heri 
tafes, fondern ein aus der Gemeinde Hervorgehendes und der Gemeinde zugehöriges 
Inflitut, und dafer aus andern, nemfich aus Snienelementen (Rnaben-, fpäter and 
Srauenftimmen und Abjuvanten) zufommengefegt, für die der Chorraum nicht mehr 
der entfpredjende Anfftellungsplag war; fürs andere iſt die evangelifche Kirchenmußt 
auf einer durchaus meuen Grundlage erwacfen, nemlih aus der Orgelmufif, und 
daher nimmt in ihr Die Orgel, ſowohl begleitend als felbftändig eingreifend, cn 
Hervorragende Stelle ein, und auch der Chor vermag feiner Aufgabe nur in Gemein: 
{haft mit ihr und auf fie ſich ftügend vollftändig zu genfigen, muß alfo notwendig 
au in ihrer Nähe aufgeftelt fein. Bmar mochten dieſe principiellen Gefictspuntte 
für anderweite Aufftellung des Chores im erften Dahrhundert der Reformation fih 
mod) weniger geltend, als der praftifche, daß der Chor, da er den Gemeindegejang 
begleiten follte, notwendig im Naum der Gemeinde, und in diefem Raume am her: 
voreagender, der Tonentfaltung möglihft günftiger Stelle aufgeftellt werden mußt. 
So fam er denn auf den Orgel or, den Raum auf der weitlihen, dem eigentlichen 
Chor gegenüber, Über dem Haupteingang der Kirche liegenden Empore, auf der 
die Orgel fteft, und erhielt Gier feinen Plag vor und neben der Drgel. Nun 
iſt es aber eine alte Mage, daß in den meiften Kirchen der Orgelchor zu Hein und 
für die zwedmäßige Wufftellung eines nur einigermaßen bedentenden Geſangchores 
mict geräumig genug fei. Im älteren Kirchengebaͤuden rührt Dies daher, daß, mit 
fon oben bemerkt wurde, nad) älterer Praris die Geſangchöre nur Mein waren, und 
daß ala fpäter diefe Chöre Bis auf ſpärliche Nefte ganz eingingen, ein Blagbedhrfnis 
faum noch vorhanden war. Jebt aber macht fih dasfelbe mehr und mehr wieder 
geltend, und man ift aud) vielfach beftrebt, ihm zu genligen. Wenn gleichwohl auf 
Heute noch öfters vergeffen wird, bei Neubauten und Aufftellung neuer Orgelmwerte 
fie den Geſangchor einen entfpretjenden Raum vor der Orgel herzurichten, fo beweift 
dies, daß mar noch nicht immer deffen Vedeutung für den evangelifcen Kultus zu 
würdigen verftcht.!) Die Anforderungen am einen zwedentfpreienden Drgelcher 


H Ein Auffah, „Der Eforgefang im enangel. Gottesdienft“, Ev. Kirchenzeitz. 1867. Heft 
3. 4, bemerkt treffend: „Die Bedeutung des Singhores ift unfern Gemeinden fo fremd ge- 
worden, daß man oft nicht einmal daran dent, ihm den mötigen Platz auf dem Chorraum der 
Drgel auszufondern und zu fifern. Man baut die größten Orgeln, Taum aber läßt man ver 
denfelben nod; einen fümalen Raum fübrig, wo bie Sähultinder in einer oder zivei Reihen fehen 


Chor, Ehorgefang der evangelifchen Kirche. 227 


dürften dahin zu präcifieren fein, daß er vor allem genügend Plag für einen der 
jeweilen in Frage kommenden Kirche entfpredend großen Chor (und event. ein Orr 
öfter) Habe, dag diefer Play ein richtiges Berhältnig feiner Breite zur Tiefe zeige, 
mit Rüſicht auf Tonentwidlung und darauf, daß alle Sänger den Dirigenten 
ſchen Tönnen, teraffenförmig auffleige und mit Sigen, die ohne Rüclehne fein können, 
verjehen fei.') Einige weitere hieher gehörige Pumfte, wie die Aufftelung des Spiel« 
tiihes mit Nüdfiht auf den Geſangchor, und die Bedeutung und Einrichtung des 
Rüdpofitivs für die Begleitung des Chors vgl. man in den Art. „Rüdpofitiv“ und 
Spieltiſch.“ 

Nach dieſen Bemerkungen über Chor und Chorgeſang im allgemeinen Bleibt 
num noch einiges den evangelifgen Kirhendor im befondern Betreffende zu 
erörtern übrig. Zwar der Hauptpunft: Idee und Stellung dieſes Chores im 
Geſamtorganismus der evangeliihen Kirchenmuſik wird naturgemäß einer Erörterung 
im Zuſammenhang für den Art. „Kirhenmufit“ vorzubehalten fein; dagegen find 
hier mod; zwei andere, mehr praltiſche Punkte ins Auge zu faflen: das Perſonal, 
aus dem ein folder Chor gebildet werden, und der Singftoff, dem derjelbe ſich 
zu eigen machen und in ber Kirche ausführen fol, oder: wer foll fingen? und: 
was foll gefungen werden? 

1. Das Berfonal des evangelifhen Kirchenchores bildete feinem Hauptfon- 
fingente nach von jeher der Shülerhor der höheren, mit der Kirche in engem 
Berbande ftehenden Schulen. Num ift zwar neuerdings allen Ernſtes in Frage 
geitellt worden, ob die Kirche Überhaupt ein Recht habe, die Jugend gegen deren 
Intereffe "und CEntwidlungsbedlrfnis im ihren Dienft zu nehmen?) Allein dieſes 
Recht ſieht unbeftreitbar feft: die Jugend der Gemeinde wird durd die Taufe in 
die Kirche aufgenommen, und durch das Katehumenat vorbereitet, das Leben der 
Kirche mitzuleben; fie hat alfo auch den Beruf, bei einer der wichtigſten Hußerungen 
dieſes Lebens, dem Kirdengefang, fih zu beteiligen und dadurd) ihre „Zugehörigkeit 
zur firhfigen Gemeinſchaft zu bethätigen.’) Es ift dies für fie aud gang natur- 
tönnen, geſchweige denn, daß man für die ordnungsmäßige Auffellung eines meßrftimmigen 
Singhors Sorge trüge. — Bgl. and Neinh. Suco, Allg. muf Zeitg. 1889. ©. 59. — Wenn 
in folhem Fale R. Schlecht bei Mendel, uf. der. II. S. 430 vorfälägt, den Sängerhor 
einfad; wieder an feinen urfprünglidien Play im eigentfigen Chor oder Wresbyterium zu ver 
fegen, fo wäre dies nur für den tathofifgen Chor in feiner ſrüheren Zufammenfegung, nicht 
aber für den evangelifden zwedmäßig. 

*) Bol. Suceo, Die neu zu erbauende Orgel der Thomastirge in Berlin. a. a. O. ©. 50. 
“u. ©. 69. 70. 

2) Bgl. Kirhmann, Naturforderungen an Etzichung und Unterricht. Wit Vorwort von 
Dieſterweg. Oldenb. 1861. 

3) Bie das Rech der Kirche auf die Jugend aus Taufe und Katefumenat abzuleiten 
iR, vgl. mon dei Palmer, Cvang. Katefetil. 4. Aufl, 1850. S. 49 fj. ©. 521—25 u. 


©. 515-171. 
15* 


228 Chor, Chorgefang der evangelifchen Kirche, 


gemäß, denm — wie fhon der alte Kantor zu Doachimsthal, Nitolaus Herman, 
meint — „das junge Bold ift von natur zu fingen geneigt,” der Jugend iſt dit 
Gabe und Luft des Geſanges vor andern gegeben. Und die Praris hielt es daher 
immer fir felöftverftändlih, die Schuljugend file den Kirchengeſang zu bilden und 
im Anfprud zu nehmen. Muſit. und Gejangunterricht wurden im den Gelehrten. 
ſchulen der Reformations und deren Folgezeit mit demfelben Eifer betrieben, wie 
der Unterricht in den beiden Hauptlehrgegenftänden, welde man damals Tante: 
Religion und Latein; denn es Ing im Sinne der Zeit, daß „die jugent foll und 
muß inn der Muſica ... erzogen werden,“ wie Luther in der Borrede zu Walthere 
Chorgefangbliclein von 1524 fügt. Und wenn auch diefer Mufitunterricht zunäct 
den Selbftziwect verfolgte, Sänger und Mufier zu Gilden, weil eigene Mufitjgulen 
noch nicht eriſtierten: jo gaft er doch nicht minder auch als Vehilel der vefigiöfen 
Übung und Unterweifung. Die für den evangelifgen Kirchenchor in Betradt 
kommenden Berhäftniffe Ingen daher damals im allgemeinen fo, wie fie etwa in den 
Beſtimmungen der Braunſchweigiſchen Kirdenordnung von 1528') zu Tage trelen. 
Da wird beftimmt: „der Kantoren ſonderlich Amt ift, daf fie alle Kinder groß und 
Hein, gelehrt und ungelehrt fingen Lehren genteinen Geſang, deutſch und lateiniſch 
@. h. üturgiſchen Gefang und wohl aud den Gemeindedjoral), dazu aud in Figu- 
rativis nicht allein nah der Gewohnheit . h. mechaniſch, nad dem Gehör) jondern 
mit der Zeit künſtlich, daß die Kinder lernen verſtehen die Voces, Claves und 
was mehr gehört zu folder Mufica" — das war der Mufitunterricht in der Schule, 
noch ohne Rüdfiht auf die Kirche. Auch die weitere Beftimmung: „an jeden 
Wocheniage, morgens um acht, abends um zwei Uhr follen die Rantoren mit den 
Schülern zur Kirche gehen, wo fie Antiponien und Pfahnen fingen, und früh eine 
lateiniſche Lektion aus dem neuen, abends aus dem alten Teftament fejen,“ galt 
einer Übung, die zunächft noch nicht kirchlichen Bweden, fondern der „Qugend zur 
Lehre und zur Memorie” dienen und fie gewöhnen follte, „zur h. Schrift ſchier 
mit fpiefen zu gehen." Gleichwohl folte dies alles ſchließlich doch auch der Kirchen: 
muſit zugute fommen: „der Kantor in jeglicher Schule ſoll einrichten eine Kantorei, 
daß er könne fingen in Figurativis zu etlichen Zeiten in der Kirche, da feine Schule 
iR, oder auch im andern Kirhen, fo die Prediger und das Bolt in derfelben es 








4) Bir folgen, um diefe Verhältniſſe zu veranfhaulidien, gerade dieſer 8.-D,, weil fir 
„ont ſich und wegen ihres Einfluffes auf die Gefepgebung andrer Kirchen eines der wichtigſten 
Dotumente für die Geſchichte der deutfgen Kirenveformation“ it, und weil fie „wicht bief 
eine Zufommenftellung gefeßlicer Anordnungen enthält, fondern eine im einzelnen ausgeführte 
umd motivierte Schilderung des Lebens der evangelifden Gemeinde giebt, wie es auf Grund 
des wieder gewonnenen Evangeliums im Anfätuß an die gegebenen Zuflände und aus den- 
felben Geraus ſich geftalten fol." Bol. Vogt, Joh. Bugenfagen Pomeranus. Leben und 
ansgew. Säieiften. Elberfelb, 1867. &. 280-304. Jäger, Die Bedeutung der älteren 
Bugenhagenſ chen K. OO. für die Entrvielung der deutſchen Kirge und Kultur. Theol. Stud. 
u. Kit. 1858. I. ©, 467 ff. 


Chor, Chorgefang der evangelifchen Kirche. 229 


wollten gerne haben;“ nur follte dabei „alles mäßig und gefickt gehalten werden, 
dem anderen Studio unſchädlich und immerhin dienlid."‘) Auf dem Grunde folder 
oder ähnlier Beftimmungen eingeriftete Schulerchöre beſtanden an allen Patein- 
fäufen Bis Herab im die Meineren Städte, und um ihnen einen Stamm mufitalifd 
begabter junger Leute zu ſichern, wurden bei größeren und günftiger geftellten 
Säulen Alumneen für folge errichtet und durd Stiftungen ausgeftattet. Bei den 
unfeugbaren Borteifen, Die ſolche Chöre in ihrer fejlen Drganifation umd ihrer 
vegelmäßigen, unter dem Scepter einer ftraffen Schuldiscipfin ftefenden Mufil- und 
Gefangsübung Hatten, ift es erflärlih, daß die größeren und günftiger geftelten 
unter denfelben bei tuchtiger Leitung eine Höhe Hnflerifejer Leiftungsfähinfeit 
erreichten, Die e8 möglich made, daß z.B. für den Chor der Schulpforte cine fo 
großartige Sammlung kirchlicher Chorwerfe angelegt werden konnte, wie Bodenſchat 
Florilegium portense, ober daß Seb. Bach mit den Thomanerchor in Leipzig 
feine gewaltigen Kirdenftüde aufzuführen vermochte, wie mangelhaft wir ung deren 
Darftellung auch denfen mögen. ber dieſen Vorteilen ftanden auch weſentliche 
Mängel gegenüber: ſchon der Umftand, daß ihr Perſonalbeſiand mit jedem Schuf- 
jahre wechſeite, mußte auf ihre Seiftungsfähigfeit bedeutend drüiden; noch mehr aber 
der, daß fie für Tenor und Baß Ninglinge als Sänger verwenden mußten, deren 
Stimmen in einem After bis zu 18 umd 20 Jahren kaum ſchon die nötige Reife 
Hatten, und die, wenn dieſe Meife mad) und nad) eintent und die Stimmen anfingen 
oͤrauchbarer zu werden, Schule und Chor verliehen.) Und diefe Mängel maden 
«6 ehenfo erflärfich, warum Die große Mehrzahl der Schulchöre über einen Zuftand 
nit hinaustam, der ihre Thätigkeit in der Kirde immerhin nur als „ein unvoll: 
Tommen Bert“ erfeinen fieß, und „deffen Mangelhaftigteit an fid ſchon verhindern 
mußte, daß mittelft des Chorgefanges eine felbftändige proteftantifce Kirhenmufit“ 
ſich Bilden Fonnte.°) 





) Daß diefe Erinnerung nicht immer überflüffig war, beweiſt eine Auslaffung Nitolaus 
Hermans in der Borrede zu feinen „Siftorien von der Sündflut“ 1503, wo er Hagt: „zu dem, 
fo wurden die armen Knaben mit dem fingen bermaffen befätwert, vnd gepeiniget, af man 
von einem Feſt zu dem andern, kaum zeit gnug haben kunde, bie Gefenge anzurichten und zu 
vberfingen, wenn man gleid; in der Schul fonft micts zu Teren vnd zu lernen bedweift fette. 
Bud muften offt die Knaben bey nechticher zeit in einer Metten, inn dem Talten Winter drey 
ganger Seigerftunden aneinander in der Kirden erfriefen, das mandjer jein Tebenfang ein 
Kröpel vund vngefunder Menſch fein mußte.” gl. Wadernagel, 82. 1841. ©. 821. 

Solche Melände machen fih heute noch fühlber: fo fAreibt 3. ®. Mori Hauptmann 
25. Oft. 1861 mit Bezug anf den Thomaneror in Leipzig, der Gefanntlid) von jeher zu den 
angefehenften Schülerhören yäffte und ih fein Anfehen bie zur Gegenwart zu bewahren 
gemmußt Bat: „... Das it eben... ein magere® Jahr. Teils fehlt es an Sängern, 
namentlich; Tenoren, teils an Präfetten, wie das bei fo wandelbaren Chören nidt anders 
einzurichten if“ Bol. Mg. muf. Zeit. 1868. S. 281. 

>) Wenn v Lifienfron, Aber den Chorgefang in der ang. Kirche. Deutſche Zeit: und 
Streitfragen. IX. Heft 144. ©. 27 u. 28 den Sqhulchören im 16. Jahrtz eine „durchſchnin - 





230 Chor, Chorgefang der evangelifchen Kirche. 


Son feit der Mitte des 18. Dahrhunderts begann dann ihr Verfall, als 
deſſen nächſte Urſache zwar ihre eigene „Wandelbarkeit" und dadurch immer mehr 
fintende Leiftungsfäßigteit zu betrachten ift, der aber auch einen tieferfiegenden Grund 
in dem Wandel der Schul- und mufitalifgen Verhältniſſe überhaupt, und den tiefft- 
Viegenden in dem Mangel an innerer Entwiclung und Erfahrung für das, was fie 
fingen mußten, Hatte. Raſch gingen fie vollfländig in Trümmer und nur fpärfice 
Neftegder Schüferhöre find dis auf unſre Zeit gelommen; fo hat die Gegenwart 
auf diefem Gebiete von Grund auf men zu bauen, und fie Hat bereits auch Hand 
ans Wert gelegt. Einzelne Kirchenchöre auf neuer Grundlage mit feftangeftellten 
und befoldeten Sängern (Rnabenflimmen fiir Sopran und Alt, Männerftimmen für 
Tenor und Baß) find mad dem Mufter des feit vierzig Iahren beftchenden Dom 
hors in Berlin (vgl. den Art.) ſchon länger da und dort errichtet worden und in 
Wirtſamteit; aber fie verdanfen die Mögfichfeit ihres Beſtehens entweder mur der 
Dunificenz eines Fürften, oder fie find ein Vorrecht einzelner Stadtgemeinden, die 
über die nötigen Unterhaltungsmittel verfügen; und wie Treffliches mehrere derfelben 
auch feiften, wie amregend fie in ihrem Kreife gewirft Haben: um nad) ihrem Mufter 
umd auf ihrer allerdings volftändig fihern Grundlage in einer größeren Anzahl, 
oder gar in allen Gemeinden der evangelifcien Kirche Chöre zu errichten, dazu fehlen 
die Dittel, die materiellen nicht nur, fondern aud die geiftigen, Hinftlerifgen. Bon 
Bedentung für die ganze Kirche Dagegen verſpricht ein im neuefter ‚Zeit gemachter 
Verfud) werden zu wollen, Dilettantendereine fie den kirchlichen Chorgefang 
gu Bilden. Im Württemberg 1877 begonnen,!) Hat derfelbe fofort ſolchen Anklang 
gefunden, daß in raſcher Folge eine größere Anzahl von Cinzelvereinen in Württem- 
berg, Heffen, Baden und der Pfalz entftanden find und fich zunächſt zu Landes- 
vereinen verbunden haben, aus denen dann 1881 ein „Evangelifher Kiren- 
gefangverein für Sudweſtdeutſchland“ gebildet wurde, der fih bereits 
1883 zu einem „Evangelifhen Kirhengefangverein für Deutfehland“ erweitert Hat. 
Als feine Aufgabe dezeicmet es diefer Verein, „durch die Pflege des lirchlichen 
Chorgefangs den evangelifgen Gemeindegefang zu Heben und hiedurd zur Förderung 
bes firdlichen Lebens der evangelijcen Gemeinde mitzuwirken,“ oder wie 8 präcifer 
ſchon Dr. 3. B. Lange in den Statuten des Kirhengefangvereins Zürich 1842 





tige lechniſche Ausbildung“ beilegt, die „6iß zum Lortrag der ſchwierigten Mufilen” reichte, 
fo Hat er wohl ettoas zu rofig gemalt, wir glauben, ber Sup. Dr. Rehfeld in Strakfund fat 
das Riöigere getroffen, wenn er deren „Durfänittfiße” Leifungen ale „ein unvolltommen 
Bert“ Degeidinet. Bgl. Euterpe 1883. ©. 100. 

*) Einen Kirgengefangverein, der nad) Idee und Einrichtung den nenen Bereinen völlig 
gleich war, Gatte Übrigens ‚fhon anfangs der vierziger Jahre Dr. 9. 9. Lange in Züri 
gegründet. Die Statuten und die Sammlung der Gefangfüde („Gelangbud, für Firclice 
Chöre“. Zürich, Meyer u. Zeller. 6 Hefte) Liegen gedrudt vor. Bl. Lange, Kirchen: 
liederbud. 1843. Bor. 5. VIL Ob Br. Dr. Köflin dem Borbitde diefes älteren Vereine 
bewußt oder unbewußt folgte, vermag id) nicht zu fagen. 


Chor, Chorgefang der evangeliſchen Kirche. 231 


ausgefproden hat: „einen ausgebildeten Chor fir den evangeliſchen Gemeindegottes- 
dienft darzuftellen, der bezwedt, einerjeits den allgemeinen Choralgefang durch 
geförderte Teilnahme zu heben, andrerfeits durch den Vortrag höherer Kirchen 
gelänge den Gottesdienft zu bereichern.“ Nun ift es ſicherlich ſchon als eine weient- 
fie Errungenfgaft dieſer Vereine zu achten, daß fie zeigen, wie überall ein zahle 
wies Perfonal vorhanden umd willig ift, fih im den Dienft des kirchlichen Chor- 
geſongs zu ſtellen; ob mit diefem Perfonal und auf dem eingeſchlagenen Wege das 
Gehe und ſchöne Ziel, der evangelifhen Kirche den Schinuck des Kunftgefanges wieder 
gu geben, erreicht werden wird: das läßt ſich bei der Neuheit der Sache zur Stunde 
noch nicht vorausfehen. Darauf aber darf wohl jegt ſchon Hingedeutet werden, daß 
dies Ziel nicht durch äußere Einrihtungen, wie die den weltfihen Dilettanten- 
vereinen (Männergefangvereinen) nachgebildete Bereinsorganifation,!) oder durch Ein- 
führung liturgiſcher Formen?) zu erreichen ift, fondern einzig und allein auf dem 
allerdings etwas mühevolleren Wege einer gründlichen Gejangsbildung. die den neu 
errichteten Chören zu vermitteln ift, um fie nach und nad; zu kunſtler ſcher Leiſtungs - 
fähigkeit zu erziehen. Ihre ftetig wachſende Leiftungsfähigkeit birgt ſicherlich allein 
ud; das Geheimnis, einerfeits ihrem Veſtande Dauer zu geben, und andrerfeits 
ihnen die Pforten der Kirche weit zu öffnen und ihnen in derfelben eine entſprechende 
Stellung u gewinnen: >) um aber ſolche Leiftungsfähigfeit zu erreichen, dazu find 

"9 @eiöt mit gerlbernahme der Gfangfehr, Die je fit, „Rirhengefangfee” Heike, 
ober nich einmal die Anängfel der Fahnen und Guirlanden, der Feftffen und Tonfte und — 
der macfolgenben phrafenzeidhen Zeitungsreferate abgeftreift Haben, fo daß man ummillfürtid 
am dem Gegenfag zu jenem „Wäerlein Ciloah, das ftilte gehet“ und zu dem Propfetentvort 
innert wird, nad) welgen man des Knechtes Ichovaf „Stimme nit hören wird auf den 
Saffen.“ 

») Auf welde Abwege dies fürn Tamm, mag ein Citat, das allerdings nur einen 
ingiefen Fall beteift, beweifen. Die „Deutfge Rundfau”. 1883. Nov. Heft 2. &. 206 
färeibt: „Das Hußerfe aber in diefer Ridtung (memfic duther nad) der Weife der Heiligen 
zu efren) feiflet Nr. 18 des Organs für geiffide Mufil, die Zeitfärift „Dallelujah“, indem 
fie eine Titwrgife Andadit für den 31. Oftober oder 11. Movember 1833 in Form einer 
Seifigenmeffe für Martin Luther darbietet. iturg, Gemeinde und Cor wedeln da ab im 
Breite der Reformation und dagwiſchen werden Abſchniute aus Luthers Leben verfefen, fo wie 
an den katholiſchen Heiligentagen ein Abſchnitt aus der Legende des betreffenden Patrons. 
Das ſeltſame Scriflid it fhlehtweg „Köflin“ unterzeißnet, womit Pfarrer Köflin in 
Friedberg gemeint if. Dr. Martinus aber würde ſig im Grabe ummenden, wenn er hörte, 
%a$ ınan in feiner Kirche nunmehr fatt des lautern Gottesworts im Gottesdienft der Gemeinde 
Stüde aus dem Leben „des alten Madenjadts“ vorlefen will.“ 

®) Das hat der g. G.B. zu Darmfladt richtig erfannt und die Safe an der Wurzel 
aeaft, indem er eine Ehorfhufe für Knaben einvitete, auf die er mit Reit fofz fein darf. 
Tl. Zimmer, Die ewang. Kirhengef Ber. 1882. &, 11-10, Ob ce dagegen der Sadie 
derlidh if, wenn man den vorderhand noch weife zuwartenden Kiriienbehörden in fo herben 
Worten den Sad gleichſam vor die Füße wirft, wie dies neueflens in der Cuterpe 1884. 
Mr. 1. ©. 8 gefehen if, wird etwas preifelheft fein. 














232 - Chor, Chorgefang der evangelifhen Kirche. 


vor allem Dirigenten und Gefangfehrer nötig, die mit den Erforderniſſen 
und Mitten kunfileriſcher Stimmbildung und Chorleitung von Grund aus vertraut 
und dadurch befähigt find, das vorhandene rohe Stimmmaterial der Chöre fo zu 
ſchulen, daß dieſe für den mufifafifcen Dienft der Kirche braudbar werden. Wenn 
08 aber wahr ift, „daß die große Maffe derufehter und Kantoren, ja felbft der 
meiften Muſiler, die als Muſillehrer in das Getriebe des modernen Mufiklebens 
eingreifen, eine Ahnung don der Technit und Methode kunſtmäßiger Stimmbildung 
und Chorſchulung und feine Gelegenheit haben, fih ſelbſt für dieſe Aufgabe vor- 
zubereiten“ (v. Lilientron): fo ift Mar, daß aud in diefer Richtung mod) ein ſchön 
Stüc Arbeit zu thum ift,‘) mag man nun die Bildung der nötigen Anzahl tÜdtiger 
Chorregenten mittelft fo umfaffender Vorlehrungen und Neueinrictungen anſtreben, 
wie fie v. Klienkron geplant hat,“) oder aber, da die Verwirklichung dieſes Planes 
doch wohl noch im weiten Felde ift, den einfacheren Weg zwedentipredjender Veran 
ftaftungen an den Lehrerſeminarien als zum Ziele führend erahten. 

2. Fragen wir nun noch nad dem Stoff, am dem fih der evangeliſche 
Kirchenchor beihätigen, was er in der Kirche fingen foll, fo Tann die einfache 
Antwort auf diefe Frage nur die fein: er foll edangelifge Kirchenmiuſit fingen. 
Bas aber evangelifce hirchenmuſit fei, ift eine zweite Frage, die ungleich ſchwieriger 
zu beantworten ift. Wir merden fie am anderem Orte — im Art. „Rirhen 
mufit“ — eingehend zu prüfen Haben; Hier fonftatieren wir nur, daß fie bis Heute 
verſchieden beantwortet wird. Während die einen auch im der evangelifhen Kirthe 
das Schema der fatholifhen Mefie mit ihren fünf feftftegenden (Kyrie, Gloria, 
Credo, Sanetus, Agnus Dei) und drei wechſelnden (Introitus, Graduale, 
Offertorium) Terten feſtgehalten und vom Chore mufifalifd; oder liturgiſch (prego: 
rianiſch) gefungen wiſſen wollen, verwerfen die andern dies als katholiſierend und 
laſſen als evangelifch nur die Muſik gelten, die auf der Grundlage des proteftan- 


9) Andre nehmen die Saqhe freilich feifter; fo meint 3. B. Zimmer a, a. D. ©. 54 
‚wo ein mufifafifjer mid zugleih; energiſcher Mann zu finden iR, der die Direftion über- 
nehmen Könnte, da iſt die Bafis für einen R-G®. gegeben. Gin folder Dirigent brauät 
durgaus mit Mufiter vom Fach zu fein. Wo nur muffafifce Berähigung und auter, feftr 
Wille vorhanden ift, läßt ih die nötige Diveltionetunft bald erwerben.“ (?1) Man Brause 
aux das „erprobte Handbudi“ „Fr. Zimmer, Der vraltiife Gefangvereins-Dirigent (Ouedfin 
burg, Bierveg)“ zu finbieren. 

*) Bot. feine on angeführte Schrift „Aber den Chorgefang in der wang. Kirche.“ 1881. 
©. 33-37. Er will den „großen Tonfervatorien eine Reihe von Brovinziafmufiiäinfen ar 
die Seite ftellen und dergefalt umterordnen, daß die in der Gentrafanflaft enttidelte und 
geiiste wahre Methode des Chorgefangs ſich in ihnen fortfegt und fid) zugleich aus dem Rerik 
der Mufiter vom Fad) auf die allgemeinen Muftreife und durg fie dann wor allen aud in 
die Fire überträgt” Die Hauptaufgabe der Proviniafinfitute müffe die Pflege der 
Mufit im Bofte fein, die Chorgefangstfaffen den eigentfidjen Kern dieler Anfalten bilder, 
und fie in organifce Verbindung mit den Scullehrerfeminarien gebradit werden, u. f. to. 





Chor, Chorgefang der evangelifchen Kirche. 233 


tifchen Chorals, der Gemeindeweife aufgebaut ift. Die evangeliſche Kirche bildete 
ſich eben in der Zeit, „da die ſpegifiſch Tathofifhe polhphone Volalmuſik ihre höchſte 
Blüte erfebte. Man wird nicht erwarten dürfen, daß es ihr gegenüber einer Kunſt- 
erſcheinung von fo erftaunliger Vollendung fofort gelungen fei, eine lebenskräftige 
neue Kunft zu ſchaffen. Aber es lag dies auch nicht in ihrer Abſicht; nicht als 
Gegenfag zur kathoüſchen Kirche wollte fie ſich angeſehen wiſſen, fondern nur als 
eine geläuterte Form derjelben auf gleicher Grundlage. Daher war die Kunft, die 
Luther liebte, und deren Verwendung beim Gottesbienfte er empfahl, im allgemeinen 
diefelbe, mit der ſich auch der latholiſche Kultus fhmüdte* — die Meffe und Motette. 
Aber der evangelifge Gottesdienft, der nun niht mehr Nerifale Handlung, fondern 
gemeindfie Feier war, verlangte in feinem muſilaliſchen Teile notwendig die Auf 
nahme eine ganz neuen Elements: des vollsmäßigen Liedes, das von der ganzen 
Gemeinde gefungen werden Tonnte. Zwar auch diefes neue Element wurde zunähft 
dem Schema der Meffe einverfeibt: an Stelle der Inteinifhen Meßterte fang man 
entfpredjende deutfche Lieder; don Anfang machte es ſich aber aud) felbftändig geltend, 
erlangte als Predigtlich feine eigene Stellung und veranfaßte ſchon im erften Iahr- 
Hundert der Reformation aud „beim mehrftimmigen Gefang gewiſſe Neubildungen, 
die fich von den Kunftformen der fatholifhen Kirche als etwas Befonderes abhoben." 
Seine volle Bedeutung aber erlangte der evangelifce Choral erft im 17. Jahr- 
Hundert, als ſich auf feiner Grundlage die neue ſpezifiſch evangeliſche Kirchenmuſit 
zu bilden begann. Zunähft die Orgelfunft fand in ihm „jenes Naturelement, jenen 
fautern, unverfälſchten Inhalt, den ihr der geegorianifge Geſang nicht hatte geben 
tönnen, weil er jeinem ganzen auf den einftimmigen Bofalvortrag und die alte 
Tonalität gegründeten Weſen nad) einer reicheren Entfaltung im neuen Tonſyſtem 
widerftrebte, der fie nun aber ftärkend nad allen Richtungen durchdrang.“ Und 
aus der Drgelmufit umd ihren auf dem Choral ruhenden Formen erwuchs nun 
ebenfo auch die ebangeliſche Chormufit in den Formen des Choralchors, des figu- 
tierten und fugierten Chorals, der Chorafmotette, um in der Bachſchen Choral- 
tantate und Pafflonsmufit die Höhe ihrer Entwidlang zu erreigen. — So find «8 
alfo zwei überreich gefülte Schablanunern lirchlicher Mufit, die dem evangelifcen 
Kirchenchor offen ftehen umd aus denen er feinen Singftoff zu ſchöpfen Hat: die 
Mepmufit und die Motette der katholiſchen Kirche einer, und die aus 
dem Gemeindehoral hervorgegangene Chormufit der evangelifden 
Kirde andrerfeits. Wo nun, wie in verfhiedenen norddeutſchen Landes und Pro: 
vinziallirchen eine Altarliturgie nach Luthers und der ihm folgenden Kirhenordnungen 
Weiſe fid erhalten Hat, der Hauptgottesdienft der Gejamtheit feiner Anordnung 
nad; alfo eine Meſſe darftelt, und in den Gemeinden eine folhe Anhänglichteit an 
diefe altgewohnte Form fid) zeigt, wie dies beim norddeutfgen Bitrger- und Bauern: 
ande vielfach wirtlich der Fall ift; oder wo man, wie in Preußen und Bayern 
die alte Liturgie in neuen Agenden wieder hergeſtellt Hat: da ift dem Chor jein 


234 Chor, Ehorgefang der evangelifhen Kirche. 


Singftoff beſtimmt vorgeſchrieben; da Hat er im Feſtgottesdienſt mit Abendmahl die 
fünf, event. acht Säge der mufitalifchen Meffe, und im gewöhnlichen Gottesdienft 
die drei Säge der Missa brevis, der fogenannten „proteftantifhen Meſſe“ (das 
Kyrie, Gloria und Credo) an der betreffenden Stelle der Liturgie auszuführen. 
Daß er dabei die Schäge der alten polypfonen katholiſchen Kirgenmufit, auf deren 
Höhepunkt Paleſtrinas Name leuchtet, in erfter Linie berüdfihtige, iſt durchaus 
gerechtfertigt, wenn er aud die Mehmufiten proteftantijcer Tonfeger nit darüber 
zu vergefien braudt. Und wenn im ſolchem Falle ein Kirchenchor nad; dem Bor- 
gange des Berliner Domdors es erreichte, „den ganzen breiten Strom ber herrlichſteu 
und erhabenften Kunftihöpfungen dreier Jahrhunderie aus der latholiſchen Kirche in 
die unfrige heritberguleiten;" wenn er damit zugleich den evangelifhen Zonfegern 
„eine der größten und fruhtbarften Aufgaben zurücgiebt, die der Mufil überhaupt 
geftellt werden fönnen,“ und fie endlich noch veranlaßt, „aud diefen Teil der 
Kirhenmufit nach proteſtantiſcher Art auf dem Grunde des Chorals aufzubauen:” 
da hätte er gewiß feine Hohe kunftleriſche Miſſion erfüllt, und feinem Unbefangenen 
würde es beifommen, ihm etwa fatholifierende Tendenzen unterlegen zu wollen, da 
ja die Mufit an fih feine Dogmatif fennt und die in Frage iommenden Terte fo 
allgemein bibliſch lirchlichen Inhalt Haben, daß fie auch jedem evangelifhen Chriften 
von Jugend auf belannt und geläufig find. Der legtere Umſtand ermöglicht es 
auch, die betreffenden Werte mit ihren (ateinifhen Terten, alfo ganz im Drie 
ginal aufzuführen, ohne erft eine deutſche Überfegung unterlegen zu mälffen, die nicht 
felten ebenfoiwenig mit der Mufit, als mit der Sprache der deutſchen Bibel ſtimmt.i) 





H Zwar meint Dr. $. A. Köflin, Euterpe 1884. ©. 8: „Warnen möchten wir vor der 
Aufnahme von Gefängen in fateinifher Sprade. Luther hat fie zwar zugelaffen, ja befür- 
wortet, weil «8 eben zu feiner Zeit fa Teine andre lturgilhe Mufik gab, als die römifge in 
Tateinifder Sprade. Cs if aber das Hernorfledende Merkmal und Princip ewangeliften 
Gotteödienftes, daß er in der Mutteripradie gehalten werde und daß jedes Element und Wort 
des Gotteedienftes den fötichten Laien zugänglich und verfändlich ji." — Ce if dies gamy 
tichtig, nur darf es Ginfihtfih, der Chormufit nit aud) auf Koften der Kunf und des guten 
Gefymadte verlangt werden. Nehmen wir aber 3. B. die „Ehorgefänge zum goitesdienflichen 
Gebrauch · 2. Heft, „Herauagegeben vom Cvang. 8.-®.®. für Helen“ zur Sand, me 
verfiiiedene Stüde mit dem latelnifdien Driginaltert und unterlegter deutfder Mberfehung 
gegeben find, fo finden wir gleich in Nr. 2, einem Benediftus von Orfandus Laffus, Stel 
wie folgende: 


See 


Be - no-dic-tus, bo-ne-die-tus qui ve - nit — 
i (0 + bet, fei ger In «bet, der da fommt — 


Lama 
oder: Dee Pete oe ? 
ne-dic-tus qui ve -nit 


fü 96 Iocbet, Der dafommtim 



























































Chor, Chorgefang der evangelifhen Kirche. 235 


Weſentlich anders freilich geftaltet ſich die Sache des Chorgefanges in mehreren 
deuten Landesfirhen, wie in der württembergiſchen, der badiſchen und der 
unierten Kirche der Pfalz. Sie haben die liturgiſchen Formen ihres Gottesdienftes 
von Anfang am auf das Allereinfochſte beſchräult und fid) in dieſe Einfachheit ebenfo 
äingelebt, wie amdre Kirchen in ihre reiceren Formen. Daher mußte noch neuer- 
Yings z. B. die witettembergifde Kirchenregierung dem Berlangen nad Einführung 
ner erweiterten Liturgie entgegenhalten: „daß die Eigenart des evangelischen Boltes 
ih Württemberg, wie fie aud im der Geſchichte des kirchlichen Lebens ſich dargeftellt 
habe, einer folchen Form des öffentlichen Gottesdienftes nicht günftig, daß vielmehr zu 
rdten fei, die reichere Piturgifierung des Hauptgottesdienftes und die Verlegung 
kr Liturgie im den Alter, möchte mindeftens einem Teile der Oemeindeglieder den 
är alle geordneten Gottesdienft fremder machen.“ ) Nun giebt es allerdings nicht 
zenige, die”diefer Einfachheit Teine geſchichtliche Berechtigung zugeftehen, fie als einen 
fall von Luthers Ordnung anfehen, und deſſen Mutorität allein fir die andere 
her, das Meßſchema, in Anfprud nehmen. Allein abgeiehen davon, daß durch 
ie Einführung des firhligen Bollsgefanges eben doch das Weſen der Liturgie der 
daugeliſchen Kirhe von Grund aus geändert wurde, und daß die Reformatoren, wenn 
ie ſich defſen auch nod nicht voll bewußt waren, es doch fühlten und andern Formene 
ungen Raum faffen wollten:*) die Thatfade einer andern Form des Gottes- 


ad müfer fragen: wer kann die bezeichneten Stellen mit der deutſchen Tertunterlage fingen ? 
ind wie im mufitaliſcher Hinficht feht die Sache vielſach in |pragpliger: es ift noch 
je geringfte, daß Gier der Mufit wegen Überfegt ift „Sei gelobet“, oder andermärte „ade 
giebt fei”, mährend es in der beutifen Bibel eben Heißt: „Gelobet fei, der da fommt” — 
ser man feße im gleihen Heft z. ®. unter Pr. 14 die Mberfehung des „Ecce quomodo 
voritur® des Gallus, oder unter Nr. 7 die des „Christus factus est“ von Anerio, und 
tage fich, ob der, dem Ic. 57, 1. 2 uud Phil. 2, 8. 9 der deutfiien Bibel geläufig if, folde 
Ierfeigung fingen tan. — Beiläufig fei bier noch bemerft, daß das „Crux fidelis“, daf. 
ir. 8, im ber evang. Kirche, weder mit dem Iateinifhen Driginaltert, noch mit der deutfcien 
berjegung gefungen werben Tann, weil dem evangelifgjen Ehriften das Kreuz unter dem Bilde 
wre Baumes mit Laub und Blüten und Früchten nit geläufig ift, fondern nur unter dem 
"= „Kreuzesftammes“, und weil im der evangelifcen girche nit das Kreuz ala foldes, oder 
Ir die „teuren Mägel“ angefungen werden, fondern allein das Lamm, das erwirget il, Preis 
W Ehre umd Mat zu nehmen würdig if. 
») Bgl. den Symodalbeläeid vom 12. Juli 1870 bei Rod, Geſch. des 88. VII 
3 46887. Anm. 2. — Grüneifen, Die ang. Gotterdienflordnung in ben oberdeutjden 
Inden. Stuttg. 1856. S. ff. 
%; Bern Luther in der „Deutfgen Dieffe und Ordnung des Gottesdienftes, Wittenb. 1526” 
„Mit den Feſten . . . muß es gefen wie bisher, Iateinifd (d. h. das Mehſchema if bei- 
ten), 5iß man teuiſch Gefang genug dazu hat. Denn dis merk ift im Anheben, darumb 
tt mit alles bereit, was dazu gehört... .", fo kann man das „muß es gehen wie 
er" zmar wohl als abfofut bindend für alle Zeit auffafen, aber aucı ebenfo gut mit 
auf das „biß man tentf Gefang genug dazu Hat“ als Mbergangsbeftimmung, 
der fünftigen Entwialung allen Raum läßt. Und die mit änghfiger Genauigteit bei« 


236 Ehor, Chorgefang der evangeliſchen Kirche. . 


dienftes in den fühdeutfchen Landeslirchen ift einmal gegeben, und die betreffenden 
Kichendjöre haben ſich derfelben einfach zu fügen. Es it nicht ihr Beruf, auf die 
Einfügrung Üturgifcier Formen zu dringen; fie Haben vielmehr ihre kanſilerich 
Aufgabe in einer andern Richtung zu ſuchen „Die erfie Sphäre der Bethätigung 
diefer Chöre ift Das Gefangbud der Gemeinde.” Und ſchon Hier auf dem Gebiete 
des Gemeindegefangs erwächſt ihren eine ſchöne Aufgabe, eine Aufgabe der übrigent 
aud die Chöre folder Landeslirchen, die eine Altarfiturgie Haben, laum werde 
vorbeigehen dürfen.‘) Da fann der Chor zunäcft durd) fein Miteinſtimmen in du 
Choral der Gemeinde, den dieſem fo oft vorgemorfenen ſchleppenden und träger 
Gang geben, ihn friſcher und ſicherer mochen, eingeſchlichene Fehfer verbefiern, unfhön 
Varianten befeitigen, wertvole Melodien, die in Bergeffenheit geraten find, der 
Gemeindegefang mad und nad; wieder zurüdgeben. Da fan er ferner einzeln 
Strophen desfelben Liedes abwechſelnd mit der Gemeinde fingen, um diefer zu 
zeigen, wie der Choral gefungen werden muß, damit feine mufilafifhe Schönhei 
und religiöfe Tiefe zur Eriheinung komme; oder er tann z. B. im Üeftgottesdienf 
mit dem Gemeindedoral einen zweiten paffenden Choral fombinieren,*) und denfelben, 
je nad) dem im einzelnen Falle gegebenen „Maße der Kraft zu feiften, aber auch der 
Maße der Kraft zu faſſen,“ im kinfacherem oder kunſtmähigerem Sage fingen, ur 
ihn der Gemeinde and im Schmude der Kunft vorzuführen. Hier wäre dann auf 
der Drt, wo die alten Choralfüge jeglichen Grades der Schwierigfeit, bis zu Ich 
Ercards fünfftimmigen Chorhorälen, die richtige Verwendung finden, wo der viel 
umfteittene rhythmiſche Choral, und endlich Ceb. Bachs wunderbar reiche Choral 
Harmonifierungen in die Gemeinde der Gegenwart herein klingen Lönnten. — Aus 
wenn der Chor dann weiter in die Cphäre höherer Kirchenmuſit vorſchreitet und 
das ihm eignende Künftlerifche Gebiet betritt, läßt ſich die Verbindung mit dem 
Gemeindegefang in angemeffenfter Weife fefthalten. Oder follte es nicht ein jhüner 
Schmuck des Feftgottesdienftes in einer evangelifcien Kirche fein, wenn etwa am 
Adventsfeft nad einem entſprechenden Orgelvorfpiel der Chor die Worte des Feſt 
evangeliums: „Saget der Tochter Zion, ſiehe dein König kommt zu dir ı.“ in 





geſebien Vorbefafte, „daß mans brauchen mag wie man wif, es if Gie Tain gefeh, funde 
jederman frey" in den Steahburger Kirhen- und G. BB. der ern Zeit, vol. Wadernoel, 
KR. 1841. ©. 189-91, die Ausloffungen Tomas Müners (freifi eines vielleich nikt 
ganz unverbähtigen Zeugen) in der Vorrede zu feiner „Deutfe; Cuangeliſche Möge”. Alert 
1524, vgl. Wadernagel, Bibliogr. 1855. &. 541—42, u. a. beflürten in dieſer Auflaftnz 

1) Bie dies and) der Organift Haufhildt zu Gettorf in Schleswig-Holftein in „Die Art 
gabe der ewang. 8.-©-®.” bei Zimmer, a. 0. D. ©. 45 mit bejonderem Naditrud hervarkit. 

*) Wie bei Lange, Kirdjenliederbug. 1843. S. 72 unter Mr. 78 ein Beifpiel aus dm 
Reini. Weif. ©. 2. ©. 43 feht; da wird für das Weipnagtsfet F. A. Krummadert 
„Empor zu Gott mein Loögefang“ als Chordoral mit €. €. Sturms Vom Grab an der 
wir wollen“ als Gemeindefied fo verbunden, daß; Sirophe um Stropfe beider abmedhfeind vo: 
Chor und Gemeinde gefungen werben. 


Chor, Chorgefang der evangelif—hen Kirche. 237 


nem je nach feinen Kräften einfacher oder Höher gehaltenen CHorftüc vortragen, 
die Gemeinde aber (oder der Chor jelbft) demjelben einen Feſtchoral („Wie fol ic 
di empfangen“ oder „Auf, auf, ihr Reichsgenoſſen“) folgen fieße; wenn dann 
206 einer Überleitung durd die Orgel die Predigt mit ihrer Umrahmung durch 
das Predigtlied ſich anſchlöſſe, und zum Schluß wieder der Chor die Worte des 
Edangeliums: „Hofionna dem Sohue Davids x." in feiner Weile ansführte, die 
Gemeinde mit einem zweiten Feſtchoral („Hofianna Davids Sohn“ oder „Gott fei 
Dant in aler Welt“) nahfolgte, und ein Nadjfpiel der Orgel die Feier beendigte?') 
Auf diefem Wege fortſchreitend und die wachſende Empfänglihteit der Gemeinde 
voransgejegt, ift dann auch bei dieſer Form des Gottesdienftes fiher der Raum 
vorganden für jegliche weitere Darbietung des Chores, für den figurierten Choral, 
die Choralmotette, die freie Motette, und enblid für das Höchſte feines Stofftreiſes 
and der evangelifgen Kirchenmuſit überhaupt: die Bachſche Kirdenfantate. 

Auf welchem Wege num die evangelifche Kirhe dahin gelangen mag, beim 
Aufbau ihres Kultus au den Schmuck einer Chormufit von fünftlerifhem Werte 
und lĩrchlich liturgiſcher Bedeutfamfeit wieder allgemein verwerten zu können: dazu 
fommen wird fie, denn es muß für das Sehnen vieler der Beten unter unfern 
Zeitgenofjen aud in diefer Richtung einmal die Stunde der Erfüllung schlagen. 
In dieſe Zeit aber gefommen, find die ausführenden Organe für die ürchüche 
Chormuſit gejemmelt und Herangebildet, und haben ſich die jegt noch vielfad) unklaren 
Anfichten Über die liturgiſchen Aufgaben des evangelifchen Kirchenchors abgellärt: 
dann wird aud der Frage des Singftoffes näher zu treten fein und die Sammlung 
and Firierung desfelben aus der Sphäre des fubjektiven Veliebens einzelner Perſöm 
üteiten und Vereine, die bis jegt folhe Sammlungen veranftaltet haben, in eine 
objeftiv-firhlide Bahn geleitet werden müffen. Wie jede Landeskirche ihr Gefang- 
und Choralbuch hat, jo wird fie dann aud nad ihr CHorgefangbud) bedürfen, 
in dem der kirchliche Reichtum an Gaben und Gnaden auch diefer Art erſchloſſen 
und dem praftifchen Gebraude dargeboten wird. Schon die Herbeifdaffung des 
Materials fiir eine folhe Sammlung, die ihrer Idee nad) das Vefte und Schönſte 
enthalten muß, was die lirchliche Kunft auf dem Gebiete der Chormufit hervor 
gebracht Hat, jegt eine ſo umfaffende Kenntniß der einfhlägigen Litteratur der drei 
iegten Dahrhunderte voraus, wie eine folhe mr einem größeren Kreife von Face 
männern, faum aber einem einzelnen Forſcher zu Gebote ſtehen dürfte. Für die 
Auswahi der einzelnen Stüde fodann möchten folgende Gefichtspuntte als Leitend 
zu gelten Haben: fürs erſte der Hiftorifch-tünftlerifche, daß in der Sammlung nicht 


H Bir haften es dafür, wenn and v. Lilientron, a. a. O. S. 23 meint: „So lange 
unfre Sehnfudt nach muftalifger Ausihmüdung des Gottetdienfteg uns mur zu allerlei 
frvantenden Berfuden führt, zur Ginfegung einer Kantate, eines figurierten vom Chor allein 
oder mit der Gemeinde im Wedifel gelungenen Chorafes u. dal, merden wir feis Gefaht 
faufen, die Andadt dadurch mehr zu ören als zu Beben.” 


238 Choral. 


nur einzelne Meifter oder Schulen, fondern möglichſt alle Stimmen mit ihren relativ 
beften Gaben vertreten fein möüflen, die je in der Kirche dem Herrn gefungen haben; 
fürs andere der nit minder wichtige praltiſch liturgiſche, daß für ale Anläffe des 
ganzen Kirchenjahres Stüde vorhanden feien, die nit nur im allgemeinen in den 
uͤturgiſchen Rahmen paffen, fondern nah Inhalt und Form — insbefondere auch 
Hinfihtlic der Zeit, die ihre Ausführung beanfprudt — gerade an der Stelle der) 
Liturgie, an der fie einzutreten haben, ihren Play ganz beſtimmt ausfüllen. Daraus) 
folgt dann auch, daß das Chorgefangbud; in Bezug auf die äußere Ordnung feines 
Onhalts am beften der Ordnung des Kirchenjahres folgt und daher feine ee! 
Abteilung für die Fefthälfte einer beſonders reihen YAusflattung bedarf. ber | 
auch die zweite Abteilung wird für die ſämtlichen Sonntage der feſtloſen Hälfte des 
Kirdenjahres die entſprechenden Chorftfde zu Bieten haben, wenn aud anzunehmen 
ift, Diefelben werden nit alle in einem und bemfelben Jahre zur Verwendung 
fommen. Cine deitte Abteilung endlich Hat die Sammlung von Chorwerten für 
Koſualgottesdienſte zu bilden, deren Auswahl, wenn fie in wirklich kirchlichem Geifte 
gemacht werden will, mindeſtens ebenfo ſchwer, wenn nicht ſchwerer ift, als die der 
Stüde für die andern Abteilungen. — Will das Chorgeſangbuch einer ganzen 
Landestirche dienen, die Chöre von ſehr verfciedener Leiftungsfähigfeit umſchließt, 
fo muß es in jeder feiner Abteilungen, ja faft flir jeden der mannigfaltigen Momente 
firhfipen Lebens durd den ganzen auf des Kirchenjahres Chorflüce verſchiedener 
Grode der Schwierigleit enthalten, die fowohl ſchwächeren Chören zugänglich, find, 
als auch flärteren und ftärfften entſprechende Aufgaben zur Aufführung bieten. Um 
freilich allen diefen Anforderungen zu genüigen, wird ein folhes Bud einen Um- 
fang belommen, der es Überhaupt nur als Unternehmen einer Tandesliche möglich 
erfgeinen läßt. 





Choral. Das Wort Choral, mit dem wir jegt die Singweifen des evan- 
gelifen Gemeindegefangs bezeichnen, entftammt dem Gregorianifchen Gefang, der 
von Vapſt Gregor d. Gr. ums Jahr 600 eingerichteten und für den Kultus zum 
Gefeg gemachten liturgiſchen Gefangsweife der katholiſchen Kirche. Der Gejamt- 
komplex diefes liturgiſchen Gelanges zerfällt in zwei beftimmt ausgeſchiedene Teile: 
in den Accentus, d. h. denjenigen Teil, welchen der celebrierende Priefter oder 
Liturg allein zu fingen Hat, und im den Kontentus, d. h. denjenigen, meift 
aus größeren Stüden beftehenden Teil, der dem Chore zur Ausführung übertragen 
if. Der Koncentus aber wurde, eben als vom Chore gefungen, auch Cantus 
choralis (Gefang des Chores), oder ſchlechtweg Choral genannt. Mit unfeem 
Choral jedod Hat derfelbe noch nichts zu thun: er iſt durchaus nur liturgiſcher 
Gefang im gregorianiſchen Sinne, und der Chor ſtellt, um zu feiner Ausführung 
überhaupt zugelaffen werden zu können, ein mit priefterlihem Charakter bekleidetes 
Organ dar, das in feiner Weife, wie der Fiturg felbft, ein Vermittler ift zwiſchen 


Choral. 239 


Gett und der Gemeinde, deren thätige Teilnahme am Kiürchengeſang die katholiſche 
Kite principiell nicht zuläßt.!) — Unmittelbar an den gregorianiſchen Choral oder 
Cantus firmus mit feiner energiſchen Melodit hatte frühe fhon der mittelalterliche 
Boltsgefang angelnüpft und aus feinen Slängen heraus ſich Weiſen gebildet, 
Vie auf ihrem Durchgang durh das Medium des Vollsmundes die Fiedform 
amnahmen amd mit geiſtlichen Terten in der Mutterfpradie verfehen bald bei verr 
fSiedenen halblirchlichen und kirchlichen Anläffen erlangen. Und mandje diefer 
geiligen Voltsgefänge, wie z. ®. das Weihnadtslied „Gelobet jeift du Jeſu Chrift”, 
das Dfterlied „Chrift ift erfianden“, das fingſtlied „Nun bitten wir den heiligen 
Geiſt· u. a. drangen feit dem 14. Jahrhundert ſogar in den fiturgifhen Gefang 
der latholiſchen Kirche ein, und der Klerus mußte dem Willen des übermächtigen 
Boltsgeiftes fih fügen und diefen Cindringlingen einen Play in der Liturgie 
amveifen,2) obwohl fir, da fie das allmählige Erwachen eines felbftändigen religiöfen 
Lebens im Volke ankündigen, ein nichts weniger als unbedenflides Zeichen der Zeit 
für die mittelalterliche Kirche waren. Aber aud diefer vorreformatorifche geiftliche 
Bollsgefang, einem wie tief gefuͤhlten veligiöfen Vedürfnifie des Vollegeiſtes er 
entiprang, fan nod fein deutfges Kirchenlied im fpäteren Sinne der evan- 
gelijchen Kirche heißen, fo fehr aud neuere katholiſche Hymnologen ſich bemitht Haben, 
im Dem lebteren gleich und diefes nur ala eine einfage Herkbernahme aus der 
altern Kirche darzuftellen. Im fehlte die Grundlage, auf der der evangelifche Ger 
meindegefang erft erwachſen lonnie und auf der er wirtlich erwachſen ift. Diefe 
Grumdlage aber ift nichts anderes, als die völlig neue religiöfe Weltan- 
Thamung, die Luther, nachdem er fie unter ſchweren inneren Kämpfen für ſich 
perjönfich errungen, in der Reformation feinem Volle vermittelte. Die Idee von 
der „Rechtfertigung aus dem Glauben”, von der freien Gnade Gottes in Chriſto 
vermochte allein den Gejegesbann mittelafterlicher Lebensanſchauung zu löſen, unter 
deflen ſchwerlaſtendem Drude fih die Menfhgeit in der Dienge ihrer eigenen Wege 
vergeblich zerarbeitete, um das richtige Verhältnis zu Gott, das Verhältnis des 
Kindes zum Vater wieder zu finden. Nachdem dies Kindſchaftsverhältnis in der 
Reformation wieder gefunden war, mußte «8 aud den „freien und frohen Kind- 
Gaitsgeiſt erzeugen, der aller gefeglichen Forderung überlegen, aus eigenem freiem 


[ *) Bgt. Baumler, Zur Geſch. der Tonkunf in Deutfäl. 1881. ©. 188: „Die latholiſche 
ir, das ift wohl zu beadten, Tennt nur einen liturgifden Gelang: den gregorianifhen 
oral. Daneben pflegen wir in Deutſchland als einen geduldeten außerliturgifgen 
das deutſche Kirchenlied.“ — Derj. bei Meiſter, Das kath. deutſche K.⸗L. II. 1833. 
3-20. — „Das Bolt foll ſchweigend beten und nur im Herzen fingen“ fagt der Abt 
is bei WRabillen, Ves, Analecta. Paris 1723. p. 72. Bgl. Hofmann, Geld. des 
14. ©. 9. 5 

1 Bgf. Bäumter, 0. a. D. &. 1390-34. Hoffmann, a. a. D. ©, 193, Büpue, Ad. 
.. 1877. &. 660. Meiftr, a. a. ©. I. 1862. ©, 151.52. ° 








240 Choral. 


Triebe gute gottgefällige Werke wirft,“ und der zugleich, fingen lehrt von der 
Herrlicfeit und Onade des Vaters, deren Teilhaber und Erbe jedes Kind if. 
„Der eigentfihfte und herrlichſte Picderquel im Mitten der Menſchheit ift das 
Evangelium, das Evangelium in feinem Grundwort von der Berföhnung mit Gott 
durch Chriſtum, von der Vergebung der Sünden. Die Abfolution, das Wort von 
der Verföhnung, aber von einer realen Verſöhnung, micht von einer nur fpmbolifhen 
oder typiſchen Abfolution, wie die latholiſche Kirche fie verwaltet, ift das große 
Loſungowort, welches die gedrfchten, ſchuldbeiadenen Herzen entfaftet, und frei und 
frohlich macht zum Singen.") Umd aus diefem Duell ift der Gemeindegefung 
der evangeliſchen Kirche entfprungen. Erſt auf der lichten Höhe evangeliſcher Welt: 
anſchauung konnte Luther, nachdem die Gemeinde in das allgemeine Prieftertum 
der Glaubigen wieder eingefegt und der Gottesdienft aus der Sphäre des Officums 
in die der Geier Hinübergerlct war, das große Wort: „Ich bin Willens deutfche 
Palmen fürs Bol zu machen, das ift geiftlice Lieder, dag das Wort Gottes aud 
durch den Gefang unter den Leuten bleibe” (Brief an Spalatin 1524) nicht nur 
ausſprechen, fondern aud) gleich mit ſtaunenswertem, einzig daftehendem Erfolg zur 
That machen. Und es war wirklich „ein neues Lied", das er anhob, als er 
1523 mit dem „Num freut end Lieben Chriften gmein und laßt uns fröhlich fingen“ 
den durchſchlagenden Grundton des evangelifhen Gemeindegefangs angab. Das fühlte 
das deutſche Volt fofort und antwortete mit lautem allftimmigem Jubel: eine 
Sangesfreude und Sangesluft erwachte, fo mächtig, fo untoiderftehlid ergreifend, 
daß aud; fie viele Draußenftehende der evangelifcgen Kirche zugeführt Hat.*) Aler- 
dinge war es zunächſt die gehobene und erregte Stimmung jener großen Zeit, die 
hier mithalf, und nit alein die refigiöfe, fondern gleiherweife aud) die pofitifce: 
benm „zum erften Male durchzucte aud ein groß und mächtig angeregtes, ein 
zutunfifroh gehobenes, ein einheitliches politiſches Gefühl die getrennten Gfieder des 
deutſchen Voltsförpers; es gab eine Öffentliche Meinung, die unbezwinglich 
ſchien, und ihre Loſung ging auf Zerreißen der Bande mit dem Auslande, 
infonderheit auf Abfhütteln des hierarchiſchen Joches.“ Cine bloße Finte ift cs 
dagegen, wenn man die ganze Gangesfreude der Neformationszeit auf die kurz 
vorher gemachte Erfindung des Notenbruds mit beweglichen Typen gurüdführen 


3) Bol. Lange, Kircl. Hymnof. 1843. I. S. 96. Anm. 2. 

3) „Dir zweifelt nicht, durch das eine Liedfein „Run freut euch lieben Chriften gmein“ 
werben viele Chriften. zum Glauden bracht fein worden, die font den Namen Lurheri nicht 
mogten Hören“ — fagt Tileman Sefgufius in der Borr. zu Joadim Magdeburgs Blalmbudi. 
1565, umd auf fatholifher Seite ſah man ſich fogar zu dem Gegenzug veranfaft: ftatt dee 
Tateiniffjen Chorals deutiche Lieder fingen zu Taffen, namentfid) in „Gegenden gemifdter 
Konfeffien, um denen, die zur kathoiiſchen Kirche zurüctehren wollten und „zuvor des ver: 
führerifgen Singens gewohnt gewejen,“ die Sache leihter zu maden." gl. Bäumter, bei 
Meifter I, 1883. &. 20, 


Choral. a 


will.) Jenes Samenkorn des Gemeindegefanges, das mit dem fogenannten „Acht- 
lederbuch. Wittenberg 1524“, der Urgeftalt des deutigen Geſangbuchs, gejüet war, 
ccwuchs. zum mächtigen Baume: der Choralſchatz der evangelifhen Kirche ift nad 
äuferent Umfange wie nad) inneren Werte ein außerordentlich reicher, ja „uner- 
meßlicer“ und „unergeündlicer” geworden.?) 

Die wigtige Frage nad den Quellen des evangelifgen Chorals 
der Reformationszeit hat erft Die meuere Forſchung einer mehr befriedigenden Löſung 
enigegen zu führen vermodt. Während man friher den Verfaſſern der älteſten 
wangelifchen Kirchenlieder meiit aud die Erfindung der nit denjelben erſcheinenden 
Melodien zufhrieb, — Luther vor allen, dann aber auch andern feiner Zeitgenoffen, 
von denen SKirdenlieder auf uns gelommen find, wie Schneefing (Chiomufus), 
Ni, Decius, Graumann (Bolyander), Wolig. Dachſtein, Greiter u. ſ. w. —, hat 
man jegt zwei Urfprungsgebiete für diefe Melodien gefunden und feitgeftellt. Es 
find die beiden unerfcöpfligen Schapfammern der europäiſch-abendländiſchen Vufit 
aus denen auch unfer Choral hertommt: der alte und mittelalterliche Kirchengeſang 
(Ambrofianiiher und Gregorianiſcher Gefang) und der deutſche Vollogeſang des 
12.16. Jahrhunderts. — 

Als ältefte kirchliche Duelle einer Gruppe von Weifen ift der Tradition 
zufolge der Ambrofianifhe Kirchengeſang (vgl. den Art.) zu betrachten, 
jofern aus demfelben das Te Deum, der jogenanne Aubroſianiſche Lobgefang 
„Herr Gott did loben wir" (vgl. den Art.) ftanmt, von dem wenigfiens nad- 
gewiejen iſt, daß er ſchon zu Anfang des 6. Jahrhunderis lateiniſch, auch vieleicht 
bereits im O., jedenfalls aber im 14. Jahrhundert deutſch gefungen wurde. Auf 
die gleiche Quelle wird dann nod der Anbrofianiige Dymınıs „Veni redemptor 
gentium® zurüdgeführt,, deſſen Weife, ohne freilich in ihrer Ambroſianiſchen 
Faſſung noch befannt zu fein, die Grundlage unfrer Choräle: „Nun fomm der 
Heiden Heiland“ „Erhalt uns Herr bei deinem Wort” — „Berleih ung 
Frieden gnädiglih” und „Chriſt der du bift der Helle Tag“ (vgl. die betreff. Art.) 
bildet. Eine zweite Gruppe der veformatoriihen Weifen wurde aus dem Grego- 
rianiſchen Kirdengefang (vgl. den Art.), der ja, wie oben ſchon bemerkt 
wurde, auch den Namen „Choral” fiir dieſelben hergab, herausgebildet. Einzelne 
beſonders ohrenfällige und vielgefungene Stüde des vom Chore gefungenen Koncentus 








1) Wie Biumter, Zur Geſch. der Tontunft in Deufäl. 1881. ©. 195 thut, wenn cr 
fegt: „nicht Die erfüfte Sangesfuft, fondern der eben erft erfundene Rotendrud mit bervegfigen 
Zupen rief die große Menge von Liederdruden in der erflen Hälfte des 16. Jaheh. ins Leben.” 

*) Wenn Abert Knapp, Ev. Liederſhoh. 1850. S. III (vgl. auch Layriz, Kern I. 1854. 
Dort. 5. V) dies von den Viedern fagt, fo dürfen wir 8 ale weiteres aud von den Me 
Ietien fügen. „Kein Bolt der Welt Sat dem reigen Schah der Chorafmelodieen des deutichen 
Zoltes ctroas ähnliches an die Seite zu fellen.” Spitta, Dentfhe Rundjhau. VILL 1882. 
Sr. S. 114. 

Rümmerle, Cachil. d. wang. Rirkenmuft. I, 16 


242 Choral. 


gingen in den Bollsmund über und wurden in demfelben in die Piedform umgegoſſen, 
lüedmäßig „zurcchtgefungen“ und damit zu Chorälen; fo z. B. „Alein Gott in 
der Höh fei Ehr“ — „DO Lamm Gottes unſchuldig — „Iejaja dem Propheten 
dos geichah” (ogl. die betreff. Art.). Auch noch der fpätere lateiniſche 
Kirchengeſang des Mittelalters bot in einigen feiner Antipponen und Sequenzen 
den Stoff zur Herausbildung fiedmößiger Weifen, wie z. 8. in „Media vita“ 
(„Mütten wir im Leben find“) — „Veni sancte Spiritus“ („Komm Heiliger 
Geift, Herre Gott”) u. a., jowie der Ofterjequenz „Victimne paschali“, aus der 
nachgehends unfre Choräle „Ehrift ift erſtanden — „Chriſt fuhr gen Himmel” 
und „Chrift (ag in Todesbanden" hervorgingen. Urſprünglich lateiniſch gelungen, 
waren aber Diefe Weifen mit der Umdichtung oder Überjepung ihrer Originalterte 
{bon vor der Reformation aud zum Cigentum des deutſchen Voltes geworden und 
bildeten den einen Beſtandteil eines deutſcheu geiftlihen Gejanges, defien 
erſte Spuren jhon im 12. Jahrhundert nachgewieſen find. Den andern Beftand- 
teil Diefes im der Mitte zwiſchen Kirchen und Volfsgefang ſtehenden deutſchen 
Geſanges machen eine Anzahl weiterer Melodien aus, die von Anfang an deutjch 
gelungen worden waren. Solde find 5. 3. „Nun bitten wir den heiligen Geift” — 
Gelobet jeift du Jeſu Chriſt⸗ — „Dies find die heilgen zehn Gebot” („Im 
Gottes Namen fahren wir"); — „Wir glauben all an einen Gott" — „Gott der 
Vater wohn uns beit — „Es iſt das Heil uns fommen her” („Freu dich du 
werte Chriftenheit”) — „Im did) Hab ich gehoffet Herr” („Chrift der ift erftanden”) — 
„Vater unfer im Himmmelreih” ü. a. —- Ein zweites Quellgebiet des ebangeliſchen 
Chorals, noch ungleich wichtiger als das kirchliche, war der weltliche deut ſche 
Bolfsgefang des 12. bis 16. Jahrhunderts, „jene Kunſt ohne Kunſt, die im 
dämmerigen Waldesduntel des deutſchen Voltsgemfits ihre wahre Geburteftätte hat, 
und deren Grundzug die Schönheit der Unſchuld ift, die nicht ſich jelbft und ihren 
Heiligen Wert erfennt.*') Das erft in der Gegenwart nad) feiner vollen Bedeutung 
gewůrdigte mittelalterliche deutſche Voltslied, das in den erfen Jahrzehnten der 
Reformation noch blühte, Hat dem evangeliichen Kirchengeſang den der Zahl nad) 
reichſten Schatz am Melodien zugeführt; den „die Melodien zu Kirchenliedern 
(außer denen von kirchlicher Herkunft) müffen bis zum Jahr 1570 fant und ſouders 
als entlehnte ältere Voltoweiſen amgejehen werden, fo fange es nidt möglid ift, 
wenigftens von einigen die gleichzeitigen Verfaſſer mit hiſtoriſcher Sicherheit zu 
ermitteln,”?) Mit diefen Weijen aber lamen noch zwei weitere bedeutungsvolle 








%) Bot. Bifcer, Aſchetit TIL. 
2) gl. Fr. W. Arnold, Vorr. zum „Loheimer Liederbuch.. bei Chruſander, Jahrb. für 
mufit, Wiſſenſch IT. 1867. S. 21. Dabei ift nur auffallend, „daß bis zur KReformationszeir 
bioß ein einziges weltfiches Lied („dns wild pad fin lad ınir mein fin, darein hab ich 
Verlangen“), und and) diefes nur durch die Tonangabe zu einem geifllißen Tert bei Wader 
magel, Kl 1841. Nr ISIb S. 126 — im der fiebeieiligen Stropgenform nadmweistar 








Choral. 23 


Eemente in den Geſang der neuen Kirche Herüber: die denfelben eigene lebensvoll 
gegliederte rthythmiſche Form, auf der Hauptfählidh die Voilsmaßigteit des evan- 
geliihen Gemeindegejangs berußte und der fih aud die auf andrer Grundlage 
envadhfenen alttirchůchen Melodieen anbequemen muften, — und in touiſcher Richtung, 
das im Volkslied bereits mehr oder minder beftimmt ausgeſprochene Hinftreben nach 
der modernen Tonalität des Dur und Mol. Wohl ftehen fie nod in Kirchen 
tonarten und werden aud von den Harmonitern des 16. Jahrhuuderts nad) den 
Geſeben derjelben behandelt; aber die fhönften und carakternofiften derjelben ver- 
wenden mit Vorliebe folde Kirchentonarten, die wie das Joniſche und Hypodoriihe 
unfrem Dur umd Mol zuneigen.') Dies letztere Element ift es unftreitig auch, 
was dem Choral einen Gehalt von der gewaltigen Lebenskraft gab, die ihn befähigte, 
zur Grundlage, zum Cantus firmus der geſamten evangelifhen Kirdenmufit aud) 
nad; deren inftrumentafer Seite Sin zu werden. — Fur umfee Kirche wie für ihren 
Gründer war es, als das Melodieenbedärjnis fi immer gebietender und aud- 
gedehnter geltend machte, mur naturlich, dieſe Delodieen zunäcft dem Schape der 
alten Kirche zu entnehmen. Iene, die Kirche, wollte ja nicht einen Gegenjag zur 
älteren, fondern nur eine geläuterte Form derfelben darftellen; dieſer, der Refor- 
motor, vermochte mur zögernd und unter ſchweren Kämpfen aus den Gedantentreijen 
herauszutommen, darin der Glaube feiner Jugend ſich bewegt, dns mittelalterlich- 
iatholiſche Lebensideal unter die Füße zu trelen, das er als Mönd mit ganzer 
Seele umfaßt Hatte; ihm, dem begeifterten Muſitfreund Hang die katholiſche Kirgen- 
muſit Durchs ganze Leben fort im geiftigen Ohre nad. Dabei aber handelte es ſich 
nicht um die einfache Herubernahme der Melodieen: die evangeliſche Kirche hat 
diefelden vielmehr zu ihrem wirklichen Eigentum gemadt, indem fie ihnen zunäcft 
einen andern Inhalt, ihr neues Gemeindelied gab, und indem ſie fie auch muſitaliſch 
jo umgeftaltete und in ihrem Sinne neu ſtyliſierte, daß fie etwas weſentlich andres 
wurden. Dies umviderleglih darzuthun, bedarf es nur eines einzigen Beiſpiels. 





it, im welcher Quther feine erften und meiften Lieder fang.” Bol. Böhme, Aum. Licderb. 
1877. ©. 133. 

1) Böhme, 0. a. D. Einfeitg. S. LIX belämpft zwar die Befauptung von Kiefewetter 
und Diarp, daß der weltliche Vollsgefang von jeher mr zwei Tonarien, unfer Dur und 
Mol, gelanut und gebt, dagegen die fogenannten Kirhentöne beifeite gelaffen Gabe; auch 
davon fan er fi) nicht überzeugen, daß, wie Fr. W. Arnold, a. a. D. S. 30 aus ſchwachen 
Veweifen folgert, Deutläland ih zwei Jahrhunderte früher als das übrige Europa von dem 
romanifden Tonfyfem emaneipiert und eine jelbfändige deutide Tonatität in der Syrit erfireht 
ud erfangt Gabe. Dot; muß er zugeben: „Daß im weltlichen Gefange jener Zeit der o ni ſche 
Modus bevorzugt und nähfidem am Häufigfien der duch b rotundum nad G berichte 
dorife Modus (unfrem G-moll ähnlich), zuweilen aud der aoliſche (unfrem A-moll 
ägnfich) gebraudt wurde, und daß mande Melodieen durd; den Gebrauch eines hromatiichen 
Zeichens „ befonders zur Kadenz, den doriffen und äoliffen Modus gar nit mehr von 
nfrem Doll unterfdeiden lafien.” 








16* 


24 Choral. 


Es wird allgemein angenommen, daß unfer Choral „Allein Gott in der Höh fei 
Chr” aus einem Wragment des Oregorianifhen Gefanges, dem Gloria ad Kyrie 
magnum dominieale (vgl. bei d. Tuer, Sha II. S. 384) und zwar in der 
Reformationsgeit gebildet worden fei. Dies Fragment nad) dem Graduale Ant- 
werp. (vgl. Publifation der Gef. für Mufifforfäg. Jahrg. IV. Lief. 1. 1876. 
S. 9. 95) mit den älteften evangelifhen Aufheichnungen unfres Chorals bei 
Schumann, G. B. 1539. Fol. 87 und Kugelmann News Gefang. 1540 zufammen- 
geftelt, zeigt. folgendes Bild:!) 


_Grads roman. 
= Dur — = 

















Et_in ter oma paxho - mi - - - nibus 
Squmann. 1599 


































— 




















— — 











- = be-ne - di-ci - muste 
















































































1) &8 wäre der oft wiederholten Behauptung latholiſher Scrftfeler gegenüber, daß die 
em. Kirche ihre Melodien einiah „dem gregorianiftien Choral entfehnt oder aus der alten 
Kirche mit berübergenemmen“ (vgl. Bäumter, Zur Geſch der Tont. 1881. ©. 135) hal, 
eine intereffante Yrobe, dies Et in terra pax etc. von einem Heritalen Chor in freng arege 
er Weiſe einem reife unbefangener Fachmufiler vorfingen zu laffen: ob wohl diek, 
ohne daranf ufmertjam gemacht worden zu fein, unfre Choralmielodie Geransfüren würden? 





Choral. 25 


Und nicht diefe Neugeſtaltung allein begründet das Eigentumsreht der kwan 
geliſchen Kirche am dieſen Weiſen: fie hat fih noch weitere Rechtstitel auf ihren 
Befig erworben. Sie allein war es, durd deren Vermittlung diefelben wirlüch ins 
Loft übergingen und wahrhaft Lebendig in demjelben geblieben find; fie hat ihnen 
aud eine Höhere firdlic-religiöje Bedeutung gegeben und fie zu Symbolen des 
firhlicen Lebens gemacht. Daf „eine Melodie wie ,Gelobet feift du, deſu Chriſt“ 
dem kirchlich erzogenen Proteftanten mehr bedeutet, als eine wohlgefäffig gegliederte 
und abgerundete Tonreihe, daß jie ihm mit der Dichtung ein unlösbares Ganze 
Hildet umd nur zu erflingen braudt, damit er innerlich die Worte mithöre; daß fie 
im ihm zugleich Die ganze Füle der Weipnagtsempfindungen wedt, und ihm das 
eft felbft und feine beſondere Bedeutung im Kirchenjahre vor die Seele führt, “') 
das ift doch erft in der evangelifchen Kirche jo geworden. — Was dann nad) die 
übernahme weltliher Vollsroeifen im den edangeliſchen Kirchengeſang betrifft, fo ift 
„Diefe Erſcheinung wohl nicht genügend durd den äußerliden Umftand erklärt, daß die 
weitlien Weifen jo geläufig und beliebt waren und für eine jo bewegte, von der 
Richtung auf geiftlihe Erneuerung, fei e& des eigenen Innern, fei es aller äußeren 
menfgligen Verhältniſſe, jo gewaltig durchdrungene Zeit, wie diejenige war, in der 
ſolches geſchah, die Erinnerungen, welche durch die weltlichen Weifen aufgerufen 
werden konnten, bald gänzlich verloſchen waren; es muß dod aud [hen von vorn: 
hereim eine innere Beziehung zwiſchen Wort und Weiſe vorhanden geweien fein, 
welche die Entlehnung der fegteren ermöglichte und rechtfertigte. Solche innere 
Beziehung (ng eben in der Natur des damaligen Voltgefangs überhaupt. Es war 
eine jener Zeit verlichene befondere Gabe, vermöge deren aud ihrem weltlichen 
Voltegefang, ſofern er reine Ausftrömung des Gemütslebens war, vielfach ſoiche 
Innigkeit und Friſche, Tiefe und Ernſt, ja öfters aud) feierliche Würde innewohnte, 
daß eine gemiffe innere Verwandiſchaft des natürligen Elements, ſoweit es in geift 
üien Gefängen gleigermaßen wie in weltlichen ſich äußert, nicht verfannt werden 
darf?) Ob mun dieſe Weiten infolge ihrer kirchlichen Neception fo auf „einnat 
und mit einem Schlage als Voltsmelodieen zu Leben aufhörten und vom firchlichen 
Liede abforbiert wurden,“ wie man annehmen zu follen gemeint hat, mag dahin 
geftellt bleiben; hier ift nur noch zu bemerfen, daß ihr Übergang in den Kirchen: 
gefang auf zweierlei Weife ftattfand: entweder indem man die Melodie allein her: 
übernahm und ihr einen neuen geiftlihen Tert von gleiher Strophenform und gleicher 
Rhythmit unterlegte, oder indem man beide, Melodie und Tert, nahm und fetteren 








H Dot. Spite, Die Wiederbelebung rotefl. Kirgenmuft x. Deutihe Numdihau. 1982. 
VII. Heft. 7. ©. 115. „Ebenfo verdichtet ſich dem Proteflanten in der Melodie „DO Haudi 
volt Bent und Wunden“ das Bild der Paffionezeit, erjceint ifm die Meletie „Wir glauben 
al" an einen Gott“ als Zeichen des Hriflicien Glaubensbetennmiffee. 

2) Bgt. Ar. Hommel, Geiflihe Toltelieder aus alter und neuerer Zeit mit ihren Sing 
weifen. Leipz 1871. 2, Ausg. &. VIII, 






6 Choral. 


nur geiſtlich umbigtete, d. h. feine Worte und Begriffe „riftlid, moraliter und 
fü, veränderte.“ Um die Mitte des 16. Iahrdunderts ſodann ift die Zeit des 
ätteren deutſchen Vollsliedes, deſſen lehter und namhaftefter Tonfeger Ludwig Senfl 
wor, abgelaufen. Es fommen nun die Formen des italienifhen Madrigals im 
Aufnahme, und nur noch ausnahmsweiſe erſcheinen fpäter Melodien, die an die 
ältere Weiſe anſchließen und don denen das Meifterküid Hans Leo Haslers „Mein 
Gemüt ift mir verwirret“ („Herzlich thut mid) verlangen“) als eine der föftlihften 
Perlen im Choralſchatz der evangelifcen Kirche glänzt. Gleichwohl fließt bis in den 
Anfang des 17. Johrhunderts herein mod da und dort eine Weile unfrem Kirchen ⸗- 
gefang zu, deren ganzer Habitus auf das alte Volkslied zurücroeift, wie z. B. „Aus 
meines Herzens Grunde" — „Warum betrübft du dich mein Herz" — „Geduld 
die ſolln wir Haben“ — vielleiht auch „Herzlich lieb Hab id did, o Bert“ u. a., 
wenn auch deren Urfprung bis jegt nit endgiltig nachgewieſen if.) — Noch ift 
eines Quellgebietes von allerdings nur felundärer Bedeutung zu erwähnen, das ſich 
in den dreißiger bis ſechziger Iahren des Reformationsjahrhunderts in dem Kirchen- 
gelang zweier reformierten Schweſterkirchen aufthat und dem die deutjche evangeliſche 
Richhe eine Heinere Anzahl von Choräfen entnahm: der Kirchengeſang der 
böpmifg-mährifgen Brüder, und der Pfalmengefang der fran- 
zöfifchen und niederländifhen reformierten Kirhe. Wegen des Näheren 
über dieſe beiden Seitenzweige evangelifchen Gemeindegefanges ift jedah auf die 
Urtitel „Vöhmifhe Brüder“ und „Pfahmengefang” zu verweilen. — 

Im Laufe des 17. Iahrhunderts finden zunächſt noch einige Melodien 
weltfigen Urfprungs, wie z. B. „Ad was fol ih Sünder maden“ — 
.Jeſu, du mein liebſtes Leben“ — „Nun fi der Tag geendet hat” — „Der 
fieben Sonne Licht und Praht” — und ebenſo einige aus Tatholifhem geift- 
tidem Gefang flammende, wie 3. ®. „DO Traurigleit“ — „Sollt rs gleich 
bisweilen ſcheinen · — Eingang im die eangelifhe Kirche. Diefe, die katholiſchen 
jedoch gehören einer früheren Zeit an und find vielleicht vorreformatorifcen Urfprungs ; 
jene, die weltlichen Weifen aber fommen mur noch einzeln und zufällig herüber, 
denn „der Charakter der fpäteren weltlichen Melodien entfernte fi, teile infolge 
der Verengerung des den BVollegefang pflegenden und erzeugenden Kreiſes, teils 
wohl auch weil die Zeit überhaupt eine ganz amdere ward, immer mehr won dem 
eine geiſtüche Umdentung und Anpaflung an geiſtliche Lieder zulafienden Charalter 
der früheren Zeit.“ — Seinen Hauptzufluß erhielt der vangelifge Choraffag von 
da ab in einer Anzahl von Melodieen, die von ihren Urhebern eigene für 
dem geiftlihen Gefang der evangelifhen Kirche gefhaffen waren. 
Daß freitich die fämtlicen Melodien in Did. Prätorins Musae Sion. Teil V bis 
VEIT. 16051610 auf den älteren Boltegefang zurüczuführen feien, wie v. Winterfetd, Eu. 
80. 1. ©. 86 will, if eine Behauptung, die leiter aufzufellen war, alß fie zu bemeifen 
fein mögte. 












Choral. m 


Ein Teil derfelben gehörte urfprünglih dem kirchlihen Kunftgefang an. 
Bon Meiftern der älteren Richtung des Tonfages, mie Gefins, Bulpins, Mic. 
Vrätorius, Schein, oder den in den drei Teilen des Gothaer Cantionale sacr. 
1646 — 55) verfammelten, wie Altenburg, Helder, Melch. Frand u. a. für den 
Chorgeſang in funftmäßigen Tonfügen bearbeitet, reſp. mit denfelben erfunden, 
fanden fie vom Orgeldore herab ihren Weg in den Gemeindegefang. Auf gleichen 
Wege famen and noch Melodien aus den einer neuen Kunftrihtung angehörigen 
„tonzert- und arienmäßigen · Chorwerlen fpäterer Kirchentomponiften dieſes Jahr: 
hunderts, wie Hammer hmidt, Ahle, Nojenmüller, Vopelius, Pachelbel u. a. in 
mehr oder weniger wefentliher Umgeftaltung herüber. — Cine zweite Gruppe aber, 
und unter ihmen nicht wenige Weifen, die gu unfern wertvollften zu zühfen find, 
wurde in dieſer Zeit unmittelbar für den Gemeindegefang geſchaffen. Ins: 
beſondere die Sänger der fogenannten „Berliner Schule“ mit ihrem tönereiden 
Meifter Crüger an der Spige, dann Ebeling, Hinge und Peter, fowie der Cibinger 
„Nedenmeifter“ Sohr, der Lüneburger Kantor Fund u. a. wußten, gehoden und 
getragen von den trejflichen Fiedern eines Paul Gerhardt, eines Ioh. Hermann und 
Jod. Franf, den eigentlihen Choralton der Kirche fo gut zu treffen, daß ihre 
Melodicen ohne weiteres in den Gemeindegebraud Übergehen und mehr als dreißig 
derfelben öfumenifhe Geltung erlangen konnten. Roch eine dritte Gruppe, aus der 
während des 17. Jahrhunderts im ganzen etwa fünfzehn bis zwanzig Weifen dem 
ewangelifcen Choralihage zuwuchſen, bilden die Melotieen, die für Liederſammlungen 
einzelner geiftlicher Dichter zunächſt zum Zwede der Privaterbauung geihaffen, 
mit den betreffenden Yiedern und mannigfach umgeftnltet in den Kirchengeſang 
tomen. Zu ihnen find ſchon die beiden Vradthoräte „Waget auf, ruft uns die 
Stimme“ und „Wie ſchön (engt't uns der Morgenftern“, aus Nitolnis „Freuden: 
fviegel des emigen Lebens“ 1599 zu rechnen; zu ihnen gehören ferner die Melodicen, 
die im Anſchluß an die verſchiedenen Liederſammlungen, namentlih die . Himmiliſchen 
Yieder“ des fruchtbaren Joh. Rift von einem ganzen reife von Sängern, im dent 
bejonders Joh. Shop in mburg hervorragt, erfunden wurden; dann einige 
Weifen des dem Dachſchen Dichterkreife in Königsberg angehörigen Heinrich Alberti, 
jolche aus Heinrich Müllers in Roſtock Erbauungsbüdern von Nitel. Hafie, aus 
Angelus Sileſius „Hirtenliedern“ von Georg Joſeph, und die von Dichten wie 
Apelles v. Löwenſtern, Georg Nenmart, Joachim Neander, Ioh. Flitner u. a. zu 
ihren Liedern felbftgefegten Melodien. — Was endlich mod das 18. Fahr: 
Hundert dem Choralfhag der erangelifhen Kirche an Gemeindeweiſen, die in der 
Folge allgemeine Geltung erlangten, hinzugebracht hat, entjtammıt den Kreifen zweier 
einander entgegengefegter religiöjer Lebensanfchanungen, von denen die eine, der 
Fietismus, in der erften Hälfte des Jahrhunderts, die andre, der Ratio: 
mafismus, in der zweiten Hälfte die Gemüter beherrſchte. Der Pietiemus und 
einige andre von ihm beeinflußte Kreife brachten eine Menge neuer Melodien auf, 









28 Choral. 


die im Darmftädter G.⸗B. 1698, in Freylinghauſens G.B. 1704-41, im 
Wernigeroder G. B. 1738, ſowie in den Choralbüdern von Störl Stözel 1711 
und 1744, Dregel 1731, König 1738, Reimann 1747 und der Vrüdergemeine 
1784 gefammelt vorliegen. Aus fubjeftivften Gefühlsdrang heraus für Konventitel 
oder für die einfame fromme Betrachtung gelungen, entbehren zwar diefe fogenannten 
Haileſchen Melodieen" gleicherweiſe des objeftiv-firhli—en Inhalts, wie der 
fiedlicen Form; aber ihre gefühlsfelig.melodifce Weiſe entfprad fo ſehr dem 
Gharatter der pietiſtiſchen Fiederdichtung und verlich der ganzen religiöfen Zeitrichtung 
einen fo adäquaten Ausdrud, daß fie raſchen Eingang in den Kircengefang fanden. 
Etwa vierzig derfelben erlangten allgemeine Verbreitung und find als ein bleibender 
Beſtandteil unfres Choralichages zu betrachten. Die Zeit des Rationalismus dann 
war zwar auch auf dem Gebiet des Chorals nod eine Zeit reicher Produftion, ja 
fo recht der fabrifmäßigen Choralmacherei, aber ihre Produlte waren bis auf wenige 
Ausnahmen taube Blüten und verwehten wie Spreu im Winde. Nur mit Gellertt 
Liedern, diefen „leisten herbſtlichen Roſen im Piedergarten der Kirche,“ kamen noch 
einige Choräle aus dem fogenannten „Gellertſchen Sängerkreis“, von Doles, 
©. Ph. Em. Bad, Duang, Ad. Hiller u. a. in allgemeineren Gebraud. Im 
großen umd ganzen aber hat Phil. Spitta vet, wenn er meint: „jeit Hundert 
Jahren ift nicht eine einzige Choralmelodie mehr erfunden worden, die fih als ſolche 
bewährt Hätte." — . 

Wenn wir ſchließlich nod einen Blick auf das Wefen und die Eigen 
tümligteiten des evangelifhen Chorafftils werfen, fo finden wir, 
daß unfer Choral gleicherweife den Stempel des Kirhlicen und Voltstümlichen trägt 
und beide (Elemente zur innigſten, (ebensvolliten Gemeinſchaft zuianmenfchlicht. 
Sofern er Träger und Ausdrud Firhlier Feier fein fol, Hat er fih, allen 
Weltlihen und Profanen abgewandt, durchaus in der Sphäre des Heiligen zu halten“ 
und in kirchlicher Weihe und Reinheit alles auszufhliehen, was irgend weltliche 
Erinnerungen zu werfen geeignet ift, was irgend mit dem kirchlich-religiöſen Be— 
wußtſein im Widerſpruch fteht. Ihm ziemen nicht die verſchiedenen Mittel und 
Mittelhen, mit denen weltliche Mufit ihre befondere Wirkungen erftrebt; für den 
Ausdrud von Freude und Leid hat er die ganz beftimmten Grenzen des „Friedens 
und der Freude im Heiligen Geift,” und jener „göttfihen Tranrigfeit“ zu achten, 
die da „wirfet zur Seligfeit eine Neue, die niemand gereuet,“ und daher die Töne 
profaner Puftigfeit fo wenig ins Heiligtum hereinklingen zu laſſen, als jene fauſtiſcher 
Zerriſſenheit. Innert diefer Grenzen, die ihm fein Ingalt und denen, die ihm 
überdies noch feine enge lyriſche Form feet, foll dann der Choral eine kirchliche 
Tiefe und Kraft entwickeln, die ihn zur Symbolifierung der tiefften Geheimnifie 
der Kirche und zur Ausiprade des Höchſten geeignet macht, was die beiten der 
Gemeinde an irgend einem Punkte der gottesdienftlihen Feier auszuſprechen haben. 
Gleich dem echten Kirchenlied hat er mit den Beruf, der Einzelperfönficeit, ſondern 





Choral. 249 


viefmehr in maffiver, machtvoller Objektivität der ganzen zum Gottesdienft ver- 
jommelten Gemeinde, als einer Kolleltivperſönlichteit, zum Ausdrud zu dienen. 
Beil aber die Gemeinde im allen ihren Gliedern zu Wort fommen will und fol, 
io gebietet die Rücficht auf die Schwachen dem Choral aud edle kirchliche Einfatt, 
die jedoch keineswegs im farblos Trivialen und Platten zu ſuchen if, vielmehr ins 
Gebiet des cht Bolfsmäßigen Hinfbergreift. Nach dieſer Seite hin kommen 
num für den Choralſtil noch einige Äpecielle Punkte in Betracht. Als Maffen- 
gelang muß der Choral für die Maſſe ausführbar fein und von ihr ausgeführt, 
ion Mingen.‘) Wie aller echte Voltsgelang verlangt ex eine Melodiebildung, die 
dem von Natur vorhandenen mufitolifcen Gehör ohne weiteres eingänglich ift und 
ale Formen ausfhließt, deren richtige Ausführung irgend einer vorherigen Kunft- 
bung bedürfen würde. Er beihränft fid im Tonumfang auf möglichft enge 
Grenzen; der Umfang der Duinte, Serte und Oftave genügt dem alten Choral, 
namentfid dem aus dem Volfögefang ftammenden; nur einzelne Weifen, in denen 
der gregorianiſche Gefang und die Ambituslehre der Kirchentonarten nachtlingt, 
gehen unten oder oben über die Oftave hinaus (z. B. „Wir glauben all an einen 
Gott” — „Chrift unfer Herr zum Jordan fan“), und erft neuere (wie „Dir dir 
Iehovah will ich fingen“) nehmen als höchſten Tonumfang die Undezime e!—f? 
in Anſpruch. Auch in Tongang und der Tonfolge zeigt ſich diefelbe Einfachheit: 
die Dehnungen, Syntopierungen, die gregorianifhen Ligaturen find mit wenigen 
Ausnahmen abgeftreift; größere Sprünge in der Tonfolge als dem fingenden Volls— 
munde unbequem verntieden; mit vortrefflicer Wirtung werden dagegen Wieder- 
holung desjelben Tones („Ein feſte Burg ift unfer Gott“) und ffnlamäßige Gänge, 
da und dert fhon im Anfang („Herzlich lieb hab id did, o Herr”), namentlich 
über in den Schlußzeilen („Wie ſchön leuchtt uns der Morgenftern”) angewendet. 
Schritte durch die Töne des Dreiflangs, Quintenſchritte als vollftändig im Ohre 
des Volles liegend, höchſtens Sextenſchritte genügen im alten Choral, und erſt 
der neuere iſt Darüber hinausgegangen. Erſt von der Zeit der „Halleſchen Melo- 
dieen“ am finden wir in der Tomjolge Oftaven, z. B. Freylinghauſen 1714. „So 
gehte von Schritt zu Schritt”. Zweite Zeile: 











) Im diefer Begiehung möchten wir — wie ſonderbar e8 auch erfceinen mag — auf 
den Choral anwenden, was Robert Schumann, Gefammelte Schriften I. S. 18-151 in der 
Anatyje der Fantafifchen Sinfonie von Berfioz fagt: „Seine Mefodieen zeichnen fit) aus durch 
eine folhe Intenfirät faft jedes einzelnen Toner, daß fie, wie alte Woltslieder, ſaſt gar keine 
Sarmronifde Begleitung vertragen, oft fogar dadurd an Tonfülle verlieren würden. Freitich 
darf man feine Melodien mit mit den Ohren allein hören; fie werden unverflanden 
am denen vorübergehen, die fie nicht vet von innen heraus naczuſingen wiffen, d. h. 
wide mit Gelber Stimme fondern aus voller Bruft — denn dann werden fie einen 
Sinm annehmen, deifen Bedentung fih immer tiefer zu gründen ſcheint, je öfter man fie 
wiederholt.” 











50 Choral. 
































In 
Du läuft zur E— wig + keit. 


auch fhon am Anfang: Frehlinghauſen 1704: 
2 
— 


Ice fu gieb mir dei. me Ful— le. 
































und felbjt im menuettartigen Dreitaft: 
Feifh 1679. „Lieber Immanuel. Zweiter Say: 
— 


Du wiei— mer See len Troſt, omm, lomm doch bald. 


Ch.B. der Brüdergem. 1784. rt. 390: 












































2 T 
=w = 
Wie it. fo Lieb-Tih, wenn Chri- fen zu + fan men 2. 









































Im fegteren Ch. B. Art. 207. „Die Gottesferaphim", allerdings in einen 
arſprůnglich für Chorgefang beftimmten Sag von O. Eberhard fomınt ſogar folgender 
Nonenjeiritt vor: 

















Mäd tig und froh vor ihm.) 


amd ſelbſt Septimenſchritte werden dem Gemeindegefang zugemutet; 3. B. bei 
Freylingganien 1704: „Bulegt gehts wohl" Schlußzeile: 






























= 
wir früh lich wer + den) 





Der Tag des Heile, an dei 








') Den z. B. das Drei Kantone G. BNr. 3 mit Rede wie folgt befeitigt at: 


ch tig und froh vor ihm. 
=) Was Yatob und Richter, Ch.-B. II. Nr. 1295 nad König 


= — =: 









































Choral. 251 


und bei Seh. Bad) in Schemellis ©.-B. 1736. Nr. 112 (Enterpe 1871. Seite 61) 
in einer Melodie zu „Eins ift Not” Schlußfat 


= 
Ze: + ee 
werd ich mit einem im al» lem eregäht. 

Im Bezug auf die Modulation bewegt ſich der Choral ebenfalls in voltsmäßiger 
Beife, Hält die Haupttonart möglichft feit und benügt mur die nädftliegenden 
Nebentonarten. Trap diefer Beihränkung bfeibt aber dem tüchtigen Geger noch 
Freißeit genug, um die Harmonie Harakteriftifd und reih zu geftalten, wie dies 
Seh. Bad in feinen Choralfägen in unvergleihliger Weife gezeigt hat. Ein 
bejonderes Augenmert Hatten die alten Tonfeger noch auf firenge Satzbildung und 
volftändig ausgeprägte, gutgebildete Scylüffe „wohl und richtig geführte Kadenzen“ 
wie Matthefon meint. Erſt die neuere Zeit ift Hier z. B. im lahmen Nachſchlagen 
der Hauptfeptime,, in häufiger Verwendung des Quartſertallords u. dgl. flad, 
geworden. Der Schluß der zweiten Seile von „Herzlich thut mid) verlangen“ ift 


+ DB. gelegt: 
bei Hasler 1601: bei Schein 1627: bei Shit 1819. 
























































I 


BE Sn REN 
Bes —zilzz ——— 
oder in „Schmüde dich, o liebe Seele” fept: 

Iohann Erüger: 











































































































32 Choralbuch. 


Der Schulweicheit unſrer Tage haben auch die beiden volllommenen Schlüſſe Der 
zwei erften Zeiten von „Wie fhön feucht uns der Morgenflern“: 






































— — 























Choralbuch im Sinne der Neuzeit heißt die Sammlung der Choralmelodieen 
zu den Liedern eines beſtimmten Kirchengeſanghuchs. Dieſe Melodieen find im 
Choralbuch mit einem mehr:, gewöhnlich vierſtimmigen Tonfag für Orgel (Mavier) 
‚oder Geſang, oder für beides zugleich, verfehen, nad) dem der Organiſt den Unifono: 
gefang der Gemeinde begleitet. Die Choralbücer, deren Zeit um die Wende des 
17. und 18. Jahrhunderts beginnt, find ein Produft der auf den Inftrumentatftit 
und die Drgelbegleitung und damit zugleich auf die moderne Tonalität gegründeten 
neueren Form der ebangeliſchen Gemeindeweiſe und ihrer Ausführung im Gottesdienft. 
Während der Gemeindegelang in feiner älteren Form und bis im die Mitte des 
17. Jahrhunderts herein womöglich vom Chor begleitet und daher feine Melodien 
zugleih mit dem Tonfage für den Chor in den Bartituren und Stimmbüchern der 
Rantionale (Chorgejangbücher) umd auferdem die Melodien allein in den 
Gemeindegefangbiicern Über dem Piede aufgezeichnet waren, ging nun die Begleitung 
auoſchließlich auf die Orgel über und man braudte in den anſchwellenden Geſang— 
büchern jedem Liede mur noch die Melodie und einen bezifferten Baß vorzudruden, 
weil es genügte, die inftrumentale Ausführung der begleitenden Mittelſtimmen auf 
der begleitenden Orgel nur anzudeuten.?) Diefe Praxis wurde in den Geſang— 
bücgern bie tief in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts herein feitgehalten, dann 
verſchwanden nad und nad; die Noten ganz aus denjelben ynd gingen an die unter: 
defien aufgefommenen Choralbücher über, in denen man, als in Orgelbücern, den 
viedtert füglic entbehren fonnte und weglich, jo daß nun „die Geſangbücher ats 
Liederbücer ohne Noten und die Choralbücher als Liederbüher ohne Worte” ſich 
darftellten. Nah Kraußold (Hifter.mufit. Handbud für den Kirchen und Chor- 









m BVol. Silcer, Harmonie: uud Kompoftionelehre. 1851. S. 121-125 

) Schon Johann Grüger in feinem „Bolltömmt. Belange, 1610 giebt uur noch die 
‚Meiodieen, nebeft dm Gen. Ba“ und hemertt dazu: „Dofern jemand Belicbumg trüge Diefes 
Gefangbud in 4 Stimmen zu Haben, der wiffe zur nagricht, daß die dorigen beude Stimmen 
Hierzu, alfp At: vnd Ten: beym Antgore zu befonmen fern.“ 





Choralbuch. 253 


gelang. 1855. S. 112) tame der Name „Choralbuch“ 17 10 zum erſtenmal vor; 
allein ſchon 1692 hatte der württembergiſche Kantor Daniel Speer zu Göppingen 
cin „Chorafgefangbuc) auf das Mavier oder Orgel“ herausgegeben und 1709 folgte 
demfelben ein zweites Choralbuch im heutigen Sinne des Wortes, Daniel Betters 
Muſit. Kirhen- und Hausergöpligfeit" mit 69 wmehrfimmigen „in italieniſche 
Tabulatur“ (bezifferten Baß) gejegten Melodien ohne Pieder. Auch Joh. Georg 
Störl in feinem „Neubezogenen Davidifcien Harpfen- und Pfalterſpiel Stuttg. 1711, 
das ein „nad; der genaueften und reinften Sing: und Schlag-Kunft („Drgelihlagen“) 
eingerichtetes Schlag, Gefang- umd Notenbuch“ fein fol, befeitigt die Terte, während 
Witt, Psalmodia saera. Gotha 1715 noch Liederverſe unterlegt, — und Georg 
Bronner in feinem „Volt. mufil. Choralbuch.“ Hamburg 1715 emancipierte das 
Choralbuch dadurch vollftändig vom Geſangbuch, daß er die Choräle erftmals in 
alphabetifher Ordnung gab. Dregelds „Des evang. Zions mufit. Harn. oder 
wong. Choralbuch.“ Nürnb. 1731 ftellt fid bereits als eine Choralſammlung mit 
552 Choräfen dar, die aber an Reichhaltigleit bei weitem durch Joh. Balth. Königs 
Harm. Liederigag". Frantf. a. DM. 1738 überboten wird, dem umfafjendfien 
Shporaljammelvert des 18. Jahrhunderts, das in feiner erſten Auflage 1940 Chorale 
zu 8000 Liedern enthält und dieſelben in einer zweiten Ausgabe 1776 auf 2000 
Choräte zu 9000 Liedern vermehrt. Als Requifit der Choralbüdier erjheinen früge 
ud; Die in neuerer Zeit viel und heftig umftrittenen Zwifhenipiele (ogl. 
den Art.); Spuren derfelben zeigen ſich ſchon im legten Biertel des 17. Jahr⸗ 
Sunderts!) und von Sch. Badis Zeit an wurden fie allgemein als „Yauftwert“, 
„Baflagen“, „Gänge"*) und öfters in einer Ausdehnung angewandt, daf fie „wie 
mit der Ele gemefien“ erſcheinen. Cine weitere merkwirdige Erſcheinung zeigt ſich 
in Martin Spieß „Davids Harpffen-Spiel“. Heidelb. 1745; hier find die Choral- 
melodieen wit „Manieren nad dem neuejten Geſchmack. d. h. Trillern, Vorſchlägen 
und Mordenten, welde die einzelnen Melodietöne, bejonders die den Fermaten 
vorangehenden Töne erhielten, „verziert"?) und es fielen die damaligen bezopften 
Orgler damit in die Weife der handwerlomäßigen „Coforiften“ der zweiten Hälfte 
des 16. Jahrhunderts zurücd. Das allmähliche Berſchwinden der Kunft des General: 
baßſpieles gegen Ende des vorigen Jahrhunderts mußte das Ausfegen der Begifferung 
in vierftimmige Harmonie wünfdjenswert und bald notwendig erſcheinen iaſſen, 
ſchon 1754 gab der „Organift und Prägeptor in des R. R. Stadt Nördlingen,“ 




















Solche Spuren ans den Nurnb. G.VB. von Saubert 1877 und Feuerlein 1090 find 
nachgewicſen Monatetefte für Muftgeig. 1874. ©. 122--123. 

2) Bot, Afung, Anfeitg. zur Duft, Gelaheth. ©. 683-684. Cpitte, Bad I S. 585 
Bis 87 umd II. Roienbeil. S. 15 ein Beifpiel „Gelobet fit du Jeſu Cheift“ von Vag. 

9) „So ging denn um jene Zeit ein feineenwegs finfierer, jondern vielmehr feidifertiger 
Seit dur das ehrwürdige Haus des Chorals und es it befonders auffallend, daß er feine 
erften Schritte in der reformierten Kirdie begann.“ Döring, Choraftunde. 1805. ©. 196. Ann, 


24 Choralbuch. 


Johann Kaſpar Simon, 6vierſtimmig ausgefegte, mit Vor- und Zwiſchenſpielen 
verfehene Chorale als Erſten Verſuch einiger variiert: und fugierten Choräle;, 
denen Anfängern auf der Drgel, wie aud denen Organiften und Schulmeiſtern auf 
dem Land zur Übung entworfen“ heraus: doch wurden vierjtimmige Choralbücher 
erft von Doles 1785 und Nühnen 1786 am allgemeiner üblich. Auf dieſen vier- 
ſtimmigen Say gewann dann das Hillerſche CH.-B. von 1793 einen bedeutenden, 
in DMitteldeutfgland noch jegt nicht ganz geſchwundenen Einfluß,) der fih ſogar 
auf Ehddeutfhland und die Schweiz erfiredte und in H. G. Nägelis „Chorafwert”. 
Züri 1828, fowie im Württ. Ch. 1828 (von Koder, Silcher und Frech) 
Nachahmungen hervorrief, die durch ihren armfelig-einfagen,, unglaublich funft- 
widrigen Choralfag einen vierftinmigen Gemeindegefang zu ermögligen ſuchten. — 
Boh. David Müllers „Volt. Heifen- Hanauiſches CHB.“ 1754 ordnete feine 
Chorale erfimals nad Stropfengattungen: Joh. Chrift. Kühnens „Vierft. alte und 
neue Choralgefänge.” Berl. 1786 verzeichnete erftmals, ſoweit dies Damals möglich 
war, die Komponiften und die Entftejungszeit der einzelnen Choräle, und Lob. 
Georg Vierling hält es im feinem „CH-®. auf vier Ctimmen.“ Kaffe 1789, 
als der erſte für nötig den Charakter und Ausdrud der Melodien zu bezeihnen, 
worin ihm z. B. Knecht und Chriſtuann, Württ. CH-B. 1799 (in öfters bis zur 
Lacherlichteit getriebenem liberſchwangh, Rinck u. a. und ſelbſt in der Gegenwart 
noch Iatob und Richter, CH.-B. 1872—1874 folgen. — Die Zahl der Choralbücher 
des 19. Dahrhunderis ift Legion; faft jeder Kantor und Drganift irgend einer 
bedeutenderen Kirche hat ein eigenes Choralbuch Herausgegeben, das womöglid auch 
eine größere oder geringere Anzahl von ihm ſelbſt fomponierter, „mit bejonderem 
Fleiß und VBegeifterung gemacter”?) (ja wohl gemagter!) Choräle enthält. Die 


3) „Die weidlic,empfindfame, durch und durch moderne Sarmonifierung in diefem bis 
1844 in fümtficen Kirchen Leipzige und in den meiften Mittelbeutfälande im Gebraud) 
geivefenen Buche, wurde für ganz Deutfeland tonangebend und Hat viel vererbt und gefdjadet.” 
%o6, Gelf. des 82. VI. ©. 477. Seiner und einer Iangen Molgepeit aber galt 6 als 
gezeicgnet durch verländtighe, einfache und leichte Väffe und Harmonien” und als „vor- 
gli durch den leichten Gang der Mittelfimmen für Singefüre.“ Janfen, Die ewang. 
Kirdengefangstunde. Jena 1838. S. 201. 

2) Wie Knecht und Chriftmann, 6.2. 1799. Vorr. S. VI, bezeichnend genug hervor 
heben. Sie bringen unter 268 Neu. 123 mene Chorüfe; das Bayr. CB. 1815 unter 
219 Mel. 82 neue (von Knecht allein 7> Nen.); Priedr. Scneider, CB. 1829 Hat bei 
21 Mel. 38 eigene, das Württ. Ch.B. von 1828 bei 217 Biel. 63 neue von Kocher (22), 
Site (20) und Frei (21); Überhaupt ſcheint in Württemberg das „Choralmagen” belonders 
in Btlte geflanden zu Gaben, denn Palmer, Ev. Oyınnol. 1964. ©. 231. Anm. erzählt, dafı, 
als im Jahre 1843 in Stuttgart eine Romuiffion ihre Vorarbeiten zum neuen Ch.®. madıte, 
fie don einem Lehramtslandidaten ein Wolumen erhielt, das für jedes Lied eine neue Melodie 
des Ginfenders enthielt; „der junge Dann meinte, man gabe 3. B. Ein feile Vurg — Gelober 
Fein du Jeſu Chrift m. dal. mm fange genug gefngen, e& fei am der Zeit, aud) einmal 





Choralbuch. 255 


wichtigſten dieſer Choralbücher werden wir in den biographiſchen Artileln über ihre 
Herausgeber zu nennen haben; mehr oder weniger vollftändige Berjzeichniſſe der- 
jelben finden ſich bei Häufer, Geſch. des Kirchengeſ. 1834. ©. 213 ff., C. F. Beder, 
Die Choralfammlgn. der verſch. dritt. Kirden. Yeip. 1845; Schauer, Geſch. der 
bibl-firhl. Dit: und Toulunſt. Iena 1850. ©. 5U5—603 u. ©. 65-118; 
Döring, Chorallunde. 1865. S. 195-220 u. a. — Die neuere hifterifhe 
Forſchung auf dem Gebiete des evangelifhen Chorals Yat, obwohl fie mehrfad, von 
falihen Gefihtspunkten ausgegangen ift und ſich des altertümelnden Gelüftes, das 
Choralbuch der Gegenwart womöglich in eine hiſtoriſche Anthologie zu verwandeln, 
nicht immer zu entſchlagen vermocht Hat, auf die Neftituierung und Reinigung der 
Melodieformen und auf die funft- und ftilmäßigere Geftaltung der harmoniſchen 
Behandlung derjelben in den Choralbüchern einen Hodhigägbaren, heilſamen Einfluß 
geübt, wie ihn 3. B. Ch-BB. wie das Erfihe 1863, das Wurttembergiſche 18:6 
von Faißt, das Jalob Richterſche 1873 (dem man freilich, feinen etwas volltönenden 
Titel „Reformatorifces CH-B.” verzeihen muß), das Pfätzifce von Lügel 1809 
und mandpe andere in durchaus erfreuliher Weife zeigen. — 

Je nad; dem Zwede, dem ein Choralbuch zu dienen beftimmt it, wird ſich 
jein Inhalt und feine Einrichtung verſchieden geftalten. Fur uns Tann jedoch hier 
nur das Kirchen-Choralbuch im Betracht kommen, ſoſern dasjelbe in einer 
bejtimmten Landestiche, oder in einer einzelnen Provinz einer folden officiell oder 
halbofficiell eingeführt iſt. 

Im Bezug auf ein ſolches Landes: oder Provinzial Choralbuch nun fragen wir: 
fürs erfte, welhen Inhalt an Melodien es auszuwählen, was es zu geben Hat; 
fürs zweite, in welßer Form oder Redaktion es die gewählten Melodien mit— 
teilen, wie es dieſelben geftalten joll; fürs dritte endlich, welche äugere Einrichtung 
als die zwechmäßigfte für ein ſolches Bud) zu wählen iſt. 

1. Den Inhalt eines kirchlichen Choralbuchs kann ſelbſwwerſtändlich nur der 
Schat von Melodieen bilden, der in den Gemeinden der Landeskirche, für die es 
beftimmt ift, kirchliche Geltung hat; es darf das Choralbuch nur das gebem, „was 
es aus der Kirche nimmt und dies für feine Zeit feſtſtellen.“ Nun befigt aber die 
deutſche evangeliihe Kirche zunächſt einen Grundftodt von Choralmelodieen, die ihr 
in igrer Geſamtheit eigen find und in denen tro der jo vielfad) geteilten Landes-⸗ 
tigen ihre Ciuheit und Zufanmengehörigleit den ſchönſten Ausdrud findet und 
für alle Zeiten finden wird. Das find die Melodien, die man mit vollem Nedht 
Kernmelodieen nennt, weil fie nicht nur praftifh den Kern des Kirchen- 
gefanges bilden, fondern auch ihrem muſitaliſchen Inhalt nad; vom höchſten Werte 


















wieder eine neue zu fingen. Ein ganzes Choralbuch neu zu Lomponieren, — Diefer Gedanle 
wor vorher mod; feinem gefommen.“ — And, Schicht, Ch -V. 1819 bringt es zu der erfiet- 
lichen Anzahl von 306 neuen Dielodieen; doch it nad Zahn, Euterpe 1875. S. 25. 26 den 
Angaben Scidits nicht immer zu tranen. 


36 Choralbuch. 


find und den Mittel- und Ausgangspunft aller echt evangeliſchen Kirchenmuſil dar- 
ſtellen.) Sie machen daher auch den erften und unerläßlichen Hauptbeftandteit 
jedes Choralbuches aus; und wenn man, um wenigftens etwas Feſtſehendes zu 
Haben, im den 100 Dielodieen (genau 99) des Eifenacher Deutfhen evangelifcen 
Kirhengefangbuds von 1854 diefen Grundftod unferes Choralfcages mit Freuden 
anerfennt, fo fann man zugleih nur wünſchen, daß derfelbe bald in Teinem fir 
lichen Choralbuch irgend einer deutſchen Landeskirche mehr fehle, damit unfer Bolt 
wieder „mit einhelliger Zunge auf altem und unvergängfichen Grunde Gott den 
Herrn loben und preifen möge." — Aber jede Eirzeltirche hat auch noch ihre 
fpecielleren Bediicfniffe; jede Hat ihr eigenes Geſangbuch, in dem aufer den 
„150 Sernfiedern” noch drei«, vier, fünfgundert und mehr Kirchenlieder verſchiedener 
Qualität ſtehen, von denen zwar viele nad) Kernmelodicen gejungen werden fünnen, 
viele andere aber aud noch weitere Melodieen verlangen, um im Munde unfrer 
Gemeinden lebendig zu werden. Für fie ift alſo noch eine Anzahl von Chorälen 
als eine Gruppe zweiten Ranges dem Kirchenchöralbuch einzuverleiben. Der 
Umfang diefes Beftandteils wird ſich natürlih ganz mad dem in jedem einzelnen 
Galle vorliegenden Bedürfuiſſe zu richten Haben; feine Auswahl verlangt immerhin 
noch befondere Sorgfalt und wird mehr durch „den Überfiuß, als durd den 
Mangel" erf wert werden. So mandıe ältere, wertvolle Melodie, die nad und nad) 
abgegangen, oder feit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch entbehr: 
liches Mittelgut, oder durch ganz Wertlofes verdrängt worden ift, verdient wieder 
Hervorgezogen und in ihr Reit eingefept zu werden.) Und wo dies nicht ſogleich 
und auf eimmal geht, muß das Choͤralbuch wenigſtens einer Veſſerung bei der 
tommenden Generation Bahn machen, inden «8 Gelegenheit giebt, das beſſere 
Alte wieder fenmen zu lernen. — Dede deutſche Pandes- und Provinzialtiche 
befügt aber außerdem noch eine weitere Anzahl von Chorälen, die aus ihr ſelbſt 
Hervorgegangen, auf ihrem eigenen Grund und Voden gewadhien, und ihr darum 
nicht minder wert find, als die mehr oder weniger Öfumenifgen Melodien. Dieſe 
provingziellen und ſelbſt (ofalen, einer engeren kirchlichen Einheit eigenen 
Beifen, die gewöhnlich um jo zahfreicer find, je kigentümlicher ſich eine jolde 
Landesticche geftaltet, einen je audgeprügteren kirchlichen Eigencharalter fie ſich im 


) Was Palmer, Ev. Hymnol. 1885. S. 237. Anm. Über den richügen Sinn des 
Wortes Kernlied fagt, das Tann ohne weiteres aud auf Die Kernmelodieen angeivendet werden. 

?) Und dies, ofme daß man das Choralbuch zum Amtiquitätenfabinet maen will, wie es 
eine Zeitlang den Anſchein hatte. Wenn ein Ch. wie das wiirttembergifdie von 1344 für 
Melodieen tie „Jerufalem, du Hofigebante Stadt” — „Auf meinen fieben Gott” —— Leinen 
Bat hatte, fo if das ein durch nichts zu entfculbigender Fehler. Eine fo folbare Melokir, 
wie 3. 8. Mel. Fronds „Wem ich in Todesndten bin“ dürfte in einem &H.®. auch dan 
nicht fehlen, wenn das betreffende G.-®. das zugehörige Lied nicht hat, weil unter den vielen 
Yiederu des fibenzeifigen Versmaßes gewiß ein andres fih finden Tieße, mit dem fie fi 
verbunden werden Linie, 








Choralbuch. 37 


Verlaufe ihrer befonderen kirchengeſchichtlichen Entwidlung Herausgebildet Hat, ver- 
langen im betreffenden Choralbud) ebenfalls noch Berüfichtigung und find als ein 
dritter Beftandteil in dasfelbe aufzunehmen. Freilich mit Daß, und nicht fo, daß etwa 
„eine der ganzen ebangeliſchen Kirche angehörige Kernmelodie befeitigt werden dürfte, 
am einem olalprodukte Piatz zu machen, diefes muß fih vielmehr dem wirklichen 
Berte unter allen Umftänden unterordnen; nur zwiſchen Melodien zweiten und 
dritten Ranges begründet der Indigenat ein Vorzugsrebt.” — Weldes ift nun 
aber die Anzahl don Melodien, die ein Kirchenchoralbuch enthalten muß, wenn 
#8 dem vorhandenen Bedürfnis wirklich entipredien will? Dieſe Frage ift zu ver 
ſchiedenen Zeiten ſehr verfhieden beantwortet worden. Der Halleſche Pietismus, 
der im feiner fubjektiven Gefühfsfeligfeit viele Lieder hervorbrachte, die nicht fire 
lie Versmaße Hatten, braudte für dieſelben eine Menge neuer Melodien. Auch 
die fpätere rationaliſtiſche Zeit mit ihrer ebenfo fubjeltiven und unpoetiſchen Lieder: 
und Choralmaderei moachte die Choralbücer zu übergroßem Umſange anſchwellen. 
Und der Ginfluß dieſer beiden Richtungen ift aud heute mod nicht ganz über: 
mwunden, obwohl man längft einfehen gelernt Hat, wie fehr derjelbe vom Übel war, 
weil der Überflug an Melodien, die in die Kirche eingeführt wurden, zur note 
wendigen Folge Hatte: entweder, daß viele (und nicht immer die geringeren) eigentlich 
tirchliche Weifen unbenügt blieben und daher im Bewußtſein der Gemeinden ab- 
ftarben, oder daß die Gemeinden, weil fie immer wieder andre Melodien fingen 
mußten, feine einzige recht lieb gewinnen und frifdh und freudig fingen lernten.!) 
Die Kirchenchoralbucher, die gegenwärtig im Gebraud; ftehen, enthalten zwar meift 
viel weniger Melodien, und doch zeigen auch fie noch jo ſchwankende Zahlen, daß 
man wohl fieht, wie aud unfre Zeit zu einer allgemeinere Exfenntnis des wirt 
lichen Bedürfnifjes an Kirenmelodieen noch nicht durchzudringen vermochte. Freilich 
hängt dies weſentlich mit der Einrichtung der Geſangbücher zuſammen, die ja meift 
für „Kirde, Schule und Haus“, oder wenigftens für „Kirche und Haus", felten 
aber ausſchließlich nur für den kirchlichen Gebraud) gemeint und redigiert find. 
Außerdem ift auch die Meinung nod nicht fiberall geſchwunden, daß alle Lieder, die in 
einem folhen Geſangbuch für „Kirde und Haus” flehen, and) gefungen werden miüfen, 
während doch viele derfelben beſſer dem erbaulicen Leſen anheimzugeben wären.?) 


9) Bgl. Mündiner &h-®. 1844. Vor. ©, IV und Spitta, a. a. ©. &. 114: „Nod) im 
Anfang des vorigen Jahrhunderis war die Diehezahl der Melodieen nebſt ihren Terten allen 
veriraut. Dann beginnt eine nad; der andern zu ſchwinden. Heutigen Tages dürften in feiner 
Gemeinde mehr als durchſchnitilich 20 Melodien wirtlic lebendig fein.“ 

*) Yalmer, a. a. D. &. 226 führt an, daß er während 21 Jahren von den 661 Liedern 
des Württ. ©.B. höchtens 270 jemals im Gottedienft Habe fingen laſſen, und aud von 
dieſen ein farfes Drittel mur felten. Wenn nun die Herausgeber des Mündner-Ch.®. 
Borr. S. VII bemerlen, daß nach ihren 80 Melodien über 500 Lieder desfelben Württ. .-8. 
gelungen werden önnen, fo fommen von den 220 Melodien des Württ. Ch.B. jedenfalls 
viele mie in lirchlichen Gebrandı. 

Rümmerte, Encpft, d. evang. Kirgenmuf. 1. 17 


28 Choralbuch. 


Diefe verſchiedenen Anforderungen des Geſaugbuchs an das Choralbuch ertlären 
6, daß während z. B. das „Choralbuh fir die (deutfgen) evang. Gemeinden in 
Franlreich.. Stragburg 1851 mit nur 76 Melodieen, und ein fo vollftändiges und 
trefftiches Kirchengeſangbuch, wie das von Dr, Wiener (Nürnb. 1851) mit 167 
Melodien auskommt, Ritter, Choralbuch für Halberftadt-Dagdeburg 1856, deren 
379 nötig Hat, und Schicht, Choralbuch 1819 im erften Teil für die „lönigl. 
ſachſiſhen Sande” 373, im zweiten und dritten Zeil „für die übrigen deutihen 
Lande” 421 und 491, im ganzen 1285 Melodieen braucht. Suden wir zwiſchen 
diefen Ertremen eine Durchſchnittszahl zu gewinnen, fo ergiebt fi z. B. aus den 
folgenden zwanzig ganz beliebig gewählten Choralbüchern: Straburg 185176 Nra., 
Münden 1844—80; Bern 1854— 99; Gteglih (Sachen) 1845—286; Krüger 
(Ofttriesfand) 1856-173; Natorp-Mind 1822—223; Hentfgel (Thfringen) 
— 210; Erf (Berlin, Brandenburg) 1863—290; Bayern 1855--191; Ritter, 
Halberft.-Magdeb. 1856379; Nitter, Preußen 1857—279; Anhalt-Bernburg 
1864188; Medienburg 1867—194;, Württemberg 1844220; Anhalt-Defian 
(Schneider) 1829-271; Heſſen-⸗Kaſſel 1844—267; Döring (Weſtpreußen) 1862 
— 116; Schwenfe (Hamburg) 1844—194; Dr. Wiener, ©.-®. 1361167; 
Apel (Schleswig-Holftein) 1832—177 eine folde von 204 Nrn.; aus folgenden 
10 im Kirhengebraud) ftehenden Choralbügern: Straßburg — 76; Bern — 99; 
Bayern — 191; Medienburg — 194; Anhalt Bernburg — 188; Andhalt. 
Deffau — 271; Württemberg 220; Ert (Berlin) — 290; Hentſchel — 210; 
Nitter (Brov. Preußen) — 279 eine folde von 201 Nen.; eine etwas höhere 
aus den fünf Württ. Pandeschoralbügern feit 1711, nämlih: Störl 1711-283; 
Stögel 1777245; Rucht 1799266; Ch-B. von 1828— 217; Ch.B. von 
1844—220 = 246 Nrn.; und eine etwas niedrigere Durchſchnittszahl aus den drei 
Shleswig-Holfteinifgen Tandesgornibügern: Rein 17655201; Kittel 1803—200; 
Apel 1832—177 = 193 Nrn. Alles in allem genommen dürften aljo 200 
Melodieen für das Kirchenchoralbuch vollftändig genügen. Faſſen wir endlich 
noch den Punkt ins Auge, in welder Anzahl die Melodien den verfgiedenen 
Berioden des edangeliſchen Kirhengefangs entnommen werden, fo ergeben ſich etwa 
folgende annähernde Rejultate. Es entuchmen z. B. der Zeit: 
bis 1630: 1630-90: 1690— 1738: nz 








Bayr. Ch.B. 1855. 191 Met. 88. 31. 

Pütz. G.B. 1859. 219 Mel. 101. 52. Pr 
Wurtt. Ch.B. 1944. 220 Mel. 66. 60. 45. 
Dr.Wiener G.B. 1851.167Mel. 95, 21. 7, 








durchſchnittlich alfe: 200 90. 48. 40. 2. 
3e nad Bedürfnis laſſen ih dann dieſe Lerhältniffe bei der feftgefaftenen 
Geſamtzahl von 200 Melodien noch vielfah modifizieren: man ann z. ®. 
nehmen: 


Choralbuch. 39 
aus der Zeit bis 1630: 1630-90: 1690-1738: 1738—Heute: 
30. 


100. 50. 20. 
100. 40. 40. 20. 
100. 30. 40. 30. 
90. 40. 40. 30. 
90. 40. 50. 20. 
90. 30, 50. 30. 
80. 50. 50. 20. 
80, 40. 40. 40. 
80. 30. 4. 4. 


2. w, ob num mehr neuere Melodien, wie z. B. in Württemberg nohvendig 
find, ober aber, ob man ſich mehr an das bewährte Alte Haften und dem guten 
Borte Selneccers!) folgen Tann, der da meint: „Im unfern Kirchen behalten wir 
D. Lutheri Gefenge, vand fingen diefelben fampt den andern in feinem Gefang- 
Süßfein, mit frewden mit einander, vnd laſſen andre newe Gefenge anftehen, das 
wir (wie es fonft leichtlich gefgiht) der alten Lehr, Troſt, Dand vnnd lobgefenge 
nitt dergeffen.“ 

2. Hinfihtlih; der Redaktion der Choräle, der Form, wie diefelben im 
Cherolbuch zu geben find, fommen zwei Hauptpunfte in Betradt: der Rhythmus 
und die Tonfolge. Zwar die Frage: ob alter, quantitierender, oder neuerer 
accentuierender Rhythmus, ift feine brennende mehr, wie fie es in dem vierziger und 
Hnfziger Dahren im hohem Grade war. Der Seuereifer für die Reflituierung 
der alten rhythmiſchen Form, deren urſprünglicher Beſtand nod weit ſchwerer zu 
mitteln ft, als der der Melodie, „meil die Alten in ihren Tonſahen fie als 
Gegenftand einer in hohem Grade freien, Hnftlerifhen, nad; Ort und Zeit wohl 
ach manierierten Bearbeitung anfahen,"®) Hat fih abgekühlt und einer ruhigeren 
Arfganungsmeife Blag gemacht. Man ift von der Anficht zurlidgelommen, als ſei 
unfre jeige rhythuniſche Form des Chorals nur eine im Laufe der Zeit eingetretene 
Degeneration, oder gar eine dem beroußten Thum der Bearbeiter von Choralblidern 
einer beftimmten Periode ſchuld zu gebende Korruption. Die Einficht ift immer 
mehr durchgedrungen, daß mie die ältere Form fih auf den Vofafftil der mittel» 
alterfihen Tonkunſt gründet, fo die meuere mit Naturnotwendigfeit aus dem Inftrur 
mentalfil der neueren Muſik hervorwachſen mußte; daß der alte Boltsgefang 
Sefetlich dom neueren verſchieden it, und dieſer ganz ebenfo nur in den Formen 
kiner Zeit ſich bewegen far, wie jener in denen der früheren, und daß in&bejondere 
fr Choral als geiflicher Voltsgefang in feiner rhythmijchen Darftellungsform auch 
tod vom Grade der Innigfeit des veligiöfen Lebens abhängig if, und in einer 
I) Borr. zu den „Kirdjengefengen” 1597 bei Wadernagel, Bibliogr. 1855. S. 091. 

) Bf. die Auseinanderfegungen Hierüber in den Publifationen der Geſeüſch für Dufit- 
fritung. ahrg. IV. 1. ©. 2—8r. 

17 


260 Choralbuch. 


tiefer erregten Zeit eine größere Lebendigkeit entfalten mußte, als in einer ruhigeren. 
Der Wahn ift geſchwunden, als Tnne und dürfe man den Sängern des Chorals, 
d. H. der Gemeinde, wie dem ihn ausführenden Inftrumente, d. h. der Drgel, 
Gewalt anthun, um beide in eine Formenwelt zurüdzuführen, die nidt die ihrige 
if, weil eben erftere in der Gewöhnung ihrer Zeit erwadfen find, und fegtere nur 
mittelbar durch den Fortſchrin der Harmonie accentuieren lann, und daher am 
ſchiclichſten mit dem Takt geht. Die beften Choralbücger der Gegenwart begnügen 
ſich denn aud) in der richtigen Ertenntnis, daß ſich Hier nichts ergwingen und aufe 
dringen faffe, damit, unter „Beifeitejegung des Vorurteile, als ob jeder Choral nur 
in Cangfamftem Gange gefungen werden dürfte, aus den älteren, lebendigeren Formen der 
Beifen diejenige Erfrifhung fur die gegenwärtigen zu fhöpfen, weldje mit dem jegigen 
Zuftand des Gemeindegefangs ſich verträgt und für eine fünftige Eutwiglung Raum läßt.“ 

Ungleih wigtiger als die rhythmiſche Geftaltung ift auch für die Gegenwart 
noch der zweite Punkt: die Tonfolge, in der eine Melodie im Choralbuch 
gegeben werden ſoll. Die Hiftorifer der ftrengen Obfervanz kennen von ihrem 
Standpunft aus natllid) nur eine Beantwortung diefer Frage: bei jeder Weife 
ift auf das Original, die urſprüngliche kirchliche Faffung zurüdzugehen. Alein wie 
viel fie immer für die quellenmäßige Erforigung des Chorals gethan Haben mögen: 
noch ift es bei nicht wenigen Weifen ſchwer, bei einzelnen geradezu unmöglich, zu 
beftimmen, welches ihre urfprünglice Faffung war. Schon im Reformationggeitalter 
ſelbſt zeigt fih in den verſchiedenen deutſchen Gauen eine derſchiedene melodijche 
Ausgeftaltung einer und derfelben Weife. Die Melodie des „Agnus Dei deudjg” — 
„O Lamm Gottes unfhuldig“ z. B. war ſchon im 16. Jahrhundert in folgenden 
drei Formen lirchlich: 

a) in Thüringen und Sachſen (Spangenberg 1545). 


n: 
— — —— 

—— — 
Se 


b) in Südbeutihland (Straßb. 8.6.8. —— 





















































©) in Preußen (Eecard, Geiftl. Lieder 1597). 




















































































































Choralbuch. 261 


die ſeitdem noch durch die mannigfachſten Wandlungen durchgegangen find. Außer- 
dem aber wurde im Vollsmunde mandes nicht Vollotümliche (Ligeturen, Dehnungen 
u. dgl.) abgeftreift, manche Härten in der Tonfolge einzelner Melodien abgefcliffen, 
manch fteifes Original erft „zurehtgefungen“, und aud die Harmoniter änderten 
von frühe an mande urfprünglihe Faffung, die fih ihrer Garmonifhen Behand: 
lung nicht gut fügen wollte. Alle diefe Anderungen aber fanftionierte die Kirche, 
indem fie diefelben im ihre Sammlungen aufnahm, und fie find aud da, wo fie 
nicht zum Vorteil des Originals geſchahen, laum ohne weiteres rüdgängig zu made. 
As Beiſpiele führen wir an: „Ein fefte Burg ift unfer Gott“ und „Aus tiefer 
Not ſchrei ih zu dir“ („Here wie du willt, fo ſchide mit mir"): 


Original: 
— 


Anderung der Harmenif 












































































Burg iſt um Ri» fung if. fe-gen am | ift ge— than 
und aus lepterer Melodie die vielfagen Änderungen der Tonfolge der legten Zeile: 
Driginal: Köphl 1537. Straßb. 8.6 »®. 1500. 


EZ — | 


* 


























Ecard 1597. Prãtorius 1600. 






















































































messe 
S 
Letzterer fügte hinzu: „NB. Etliche fingen“: 
7 — — r — 
Freylinghauſen 1704, 
— — 
> _Stögel 1744. 
ee — == 

















— 
Erf 1863. Elberſ. GB. 1807. 




















dotob u. Richter 1872, 
— 

















pi 








——— — — 








262 Choralbuch. 


Württ. €. 1844. 


uſchel, &6.-B. 
air f zer > 


Und nicht alle diefe Varianten find nur als lotale und zufällige zu betrachten und 
zu befanden, aud) dürfen bei weitem nicht alle nur als Korruption einer Melodie 
angefehen werden, deren Befeitigung anzuſtreben wäre: viele find vielmehr geſchichtlich 
beredhtigte Kinder ihrer Zeit und daher nicht umvichtige Dofumente der melobifcen 
Entwidlung. — Stellt man fih nun aber auf den mufifalifhen Standpuntt und 
verlangt eine melodiſche Tonfolge, die einerfeits den Unforderungen der Kunſt im 
allgemeinen, wie denen der kirchüchen im befondern, fo vollfländig gerecht wird, 
daß fie aud dem feiner gebildeten Ohre zufagt, und Die andrerfeits auf gefunde, 
frilhe Boltstümlihteit ein nicht minder aufmertſames Abſehen Hat: fo ift es, wenn 
man 3. ®. die folgenden Übertragungen der Delodie „Die Tugend wird durchs 
Kreuz geilbet” : 


Freylinghauſen 1704. (Gefamtansg. 1741. Nr. 753. ©. 49 













































































— 
































=== — 



















pfatzet ©. 1850. Ar. 





——— 


* 
Zürder © 
































Kos 


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* 





























* 
* 


Be — 
nn 




























































































——— — == 




















Choralbuch. 263 
















































































De Sri. 


Bar — 


näher unterfucht, nicht eben ſchwer zu fagen, wo in denfelben die funftmäßig-feinere 
und zugleich; die volletümlich geſundere Melodit it, und wo nicht. ud) dagegen 
wird der ſachtundige Mufiter wenig eimwenden, wenn den von I. B. König (1738) 
und feinen Zeitgenofien Herrührenden Übertragungen der älteren Melodieformen aus 
dem Darmflädter und Freylinghaufenfhen Geſangbuch (1698 u. 1704—41) nur 
wenig Lob gefpendet wird, „teil diefelben nicht immer von gehörigen muſikaliſchem 
Gefdid und von der nötigen Einfiht in die Gefee einer feinen und gefunden 
Melodit zeugen,“ vielmehr durch dieſe „Umwandlung der guten urſprünglichen 
Melodieform nur zu oft ein fleifes, eciges und umgefüges Weſen in diefelben 
gefommmen ift.“ Wenn nun aber gerade dieſe weniger guten Formen im Gemeinde: 
gebroud und durch lange Gewöhnung geläufig find: wie ift da zu Helfen, und wer 
Hat in fegter Inſtanz über die Melodieformen zu entſcheiden? Der Hiftoriter allein 
nicht, denn das Kirchenchoralbuch ift feine hiſtoriſche Anthologie; der Mufiter allein 
auch nit, denn es ift ebenfowenig eine Sammlung von Kunftgefängen: beide können 
nur eine beratende Stimme Haben, und der eine die älteren Melodieformen herbei- 
{&affen, der andre aber mithelfen, wenn num deren Wert oder Umvert gegenüber 
den neueren Formen abzuwägen if. Das entſcheidende Wort hat einzig die fingende 
Gemeinde, die ja die Weifen bereits in der einen oder andern Form im Gebraud) 
und daher ein „Recht des Befiges“ auf diefelben Hat, das bei ihr mit dem „Redte 
der Erbauung“ zufammenfält — zwei unumiſtöhlichen Grundrechten, die in alle- 
wege zu ehren find. Das werden fie aber, wenn fie im Saufe der Zeit einen 
geringer-wertigen oder fehlerhaften Inhalt befommen Haben, nicht dadurch, daß man 
ſich diefem nun unbedingt und unter allen Umftänden anbequemt, fondern vielmehr 
dadurch, daß man diefen Inhalt wieder beſſer umd wertvoller zu geftalten ſucht. 
Und dies iſt die Aufgabe der Melodieenredaftion im Choralbud. Dasfelbe hat 
bei allen Weifen, die im Gemeindegefang lebendig und viel gebraudt, aber durch 
ſqhlechte Lesarten entſtellt find, diefen die melodifd befferen und Hiftorifd) berechtigten 
Letarten als Barianten beizugeben und auf die beften unter diejen fpegiell Hinzu 











—— 





























— 








264 Choralbuch. 


weiſen, damit fie nach und nach wieder in Gebrauch genommen werden; bei weniger 
gangbaren Weifen aber, fan es Die beſten Sesarten in den Tert aufnehmen und 
die feither gebrauchten geringeren, ſoweit Dies nötig erſcheint, als Varianten beibehalten. 
Solde Weifen aber die erft ihrer Einführung in den Gemeindegefang harcen, 
wird e8 nur in Lesarten bringen, die hiſioriſth berechtigt und melodifh tadellos 
find. Das ganze Heer von Varianten aber, das nur der Sänger: und Santoren- 
wiltür feine Eriftenz zu danken Hat,!) wird das Choralbuch, fofern fie etwa früher 
aufgezeichnet waren,2) unbarmberzig und geiludlich zu befeitigen haben, fofern fie nur 
extemporiert werden, Hat es mit denſelben nichts zu thun. 


3. Beüglih der äußeren Einrihtung des Kirchenchoralbuchs möchten 
noch die folgenden Nebenpunfte zu beachten fein. 


Es iſt zumächft eine Forderung hymnologiſcher Atribie, und zugleid in vielen 
Füllen für die richtige Wahl der Melodie zu einem gegebenen Liede aud von 
proftifchem Werte, daß im Choralbud jede Weile unter ihrem Originalnamen 
derzeichnet fei. Denfelben Haben nun mande Melodien bis zur Gegenwart behalten, 
andere aber find im Laufe der Zeit auf andre Lieder übergegangen und tragen jegt 
deren Namen. Bo dies nur zufällig oder willlürlich ift, hat das Choralbud den 
Originalnamen zu reſtituieren und Tann demfelben die Übertragung, oder bei mehreren 
die wihtigften derfelben am zweiter Stelle beifügen; wo jedoch der fpätere Name 
irgend weiche Hiftorifhe Berechtigung erlangt Hat, fo daf ohne Verwirrung anzu: 
richten nicht mehr auf die originale Bezeichnung zurücgegangen werden ann, ift 
diefe wenigften® an zweiter Stelle der Überfärift beizufügen.) Andere weniger 
berechtigte und weniger allgemein gervordene Namen aber fünnen, wo es durch das 
praftifhe Bedürfnis angezeigt erſcheint, dem Driginalnamen ebenfalls beigefügt 
werden. Ob man diefen Namen als nomen proprium betradten und auch äußerlich 
als foldjen dadurch fennzeihnen will, daß man ihm nicht durch Anbringen der 
Interpunftionszeichen zerflüdelt,*) ift Gefdmadsfage. Kantoren und Drganiften aber 
follten ſich gewöhnen, jede Melodie mit dem ihr gehörigen Originalnamen zu 





2) Kühne, Ch.B. I. 1. Ausg. verzeichnet bei 172 Chorälen ca. 250 Barlanten, die er 
innergalb eines Heinen Kreiſes fand, und Janfen, Ev. Kirchengeſangelunde. 1838. S. 101 
meint: „es find faum zwei Gemeinden zu finden, die dieſelbe Melodie in allen ifren Zeilen 
auf eine und dieſelbe Weife fingen.“ 

?) Ein ergötzliczes Beiſpiel von folhen Barianten aus dem handihriftlihen Eh.-B. eines 
Kantors in Hinterpommern teilt Guft. Flügel, Euterve 1873. ©. 179 u. 180 mit. 

) Ob bei Weifen, die urſprünglich Boltsliedern angehören, nicht au der weltliche Name, 
fofern er durch Die meuere Forſchung auf dem Gebiete des alten Bolloliedes ſicher fefgeftet it, 
Seiqufügen fein möchte? 

9) NoG dem Borgange von R. Stier, Geſangbuchenot. Leipz. 1998, dem 5. B. Layri; 
im „Rern“, Fiſcher, Kirgenliederleg. 1878 u. a. folgen, 


Choralbuch. 265 


buennen, und auch die Melodieenbezeichuungen in den Geſangbüchern miten 
irengftens in dieſem Sinne eingerichtet fein. 

Bas ferner die Anordnung betrifft, die den Melodien im Choralbuch zu 
geben, und die für deffen praftifdie Handgabung von weſentlicher Bedeutung ift, fo 
‚eigen die verihiedenen Choralbücher Hierin große Verſchiedenheit. Während die 
einen ihrer Anordnung gar fein Prindp zu Grunde Legen, wie z. B. das fo 
umfangreidie Ch.B. von Shiet 1819, oder das Reife 1799 und das Witt. 
&.-8. von 1828, oder die Melodien ganz willtirlic rubrigieren, wie 3. B. das 
&-8. der Brüdergem. 1784 mit feinen mehr als 570 „Melodieenarten“, — 
Iaffen ſich andere durd) firdfiche Rüdficten leiten, wie z. B. Natorp, E98. 1822, 
der in „I. Melodien für die Fefttage, 2. Melodien für die Feier der Sara 
mente, 3. Melodieen für den allgemeinen Gebraudj” ordnet, obwohl, wie Palmer, 
a. 0. D. ©. 336, richtig bemerft, „Die Melodien feine Dogmatit und feine 
deſtordnung Haben,” oder wählen fonft ein Kinfllides Ynordnungsprincip, wie z. B. 
Iatob und Richter, Ch-®. 1873 den erften Teil in drei Abteilungen zerlegen, 
von denen die erte 57 „Parallelmelodieentreife" mit 271 einzelnen Weiſen bringt, 
die zweite Die „verfchiedenen Melodien" zufammenftellt, „welde ein und dasfelbe 
Lied Hat“ (272860), und die dritte endlich noch 162 „Einzelmelodieen" mitteit. 
AU diefen Anordnungsweiſen gegenüber ift ohne Frage die alphabetifhe nad) den 
Namen der Melodieen die einfacfie und darum praktifcfte, namentfid) wenn immer 
firenger beobachtet wird, was wir oben über Die momina propria der Choräle 
gefagt haben. Bon Bronner in feinem Hamburger Ch.-®. 1715 zuerft angermandt, 
find ihr feitbem auch weitaus die meiften Choralbücher gefolgt. — Als einfach und 
jadgemäß ift auch Die Anordnung nach Veromaßen anzuertennen, wie fie 3. B. das 
BWürtt. CH-B. von 1844 dat, das mit dem dreigeiligen Versmafe beginnt und zu 
immer mehrzeiligeren auffteigt. Kaum mötig find aber hiebei die Ziffern und 
Zeihentabellen mit Angebe der Zahl und der Länge ud Sürze der Silben, wie 
fe B. Dalob und Richter, ©. a. D. II. ©. 1007-1014 auf acht Quartfeiten 
als „Meteifhes Negifter“, oder das Mündiner Ch-B. 1844. ©. 5962 als 
„Berzeiguis der Deen" bringen; „fein Menſch achtet darauf und niemand Tann 
Gehraud davon mahen." — Die Choralbiiher des vorigen Dahrhunderts, die rein 
mur als „auf zwo Limen zufommengezogene“ Partituren für die begleitende Orgel 
gemeint waren, gaben, wie jgon weiter oben bemerft wurde, den Chorälen Teine 
Tertunterlage bei, und es Hat ſich Diefe Weile vielfach bie zur Gegenwart 
erhalten. Andrerſeits ift man auch wieder davon zurildgefommen und unterlegt 
jet jedem Choral menigftens feine erfte Tertſtrophe, um „dem Sänger und Orga- 
riften den Inhalt der Melodie und dem Sinn der Harmonie möglichſt nahezulegen 
umd zu verdeutfien.“ Diefer Zweck dürfte, fofern die Rücfict auf ein beflimmtes 
Geſangbuch nicht zwingende Hinderniffe in den Weg legt, durch Beigabe des Drigie 
nalteptes amı beften und fiherften zu erreichen fein. 





266 Choralbuch. 


Eine Forderung kunſthiſtoriſchen Intereſſes gleicherweiſe wie hhriſtliher Pietät 
it es ferner, daß über jedem Choral fein Komponift, und wo dies nicht möglich 
if, wenigftens feine Entfehungszeit genannt fei. Das Gedächtnis der „Männer, 
denen der Here der Kirche jolche Gaben geihenft Hat, und durd deren Mund er 
alle evangelifäen Gemeinden fo reichlich und fortwährend fegnet,“ foll in Ehren 
bewahrt werben allegeit; und zum vollen SBerfländnis einer Melodie trägt «6 
weſenllich bei, daß man voiffe, aus welcher Zeit ſie Rammt. Der Organift mu — 
wie Riehl einmal in andrer Beziehung bemerft — Lernen, [dom das Choreibuch 
anders auf den Orgelpuft zu (egen, wenn es ſich um einen Choral aus der Refor- 
motiongpeit, oder einen ſolen don Hiller oder Knecht Handelt. Rum ift ja freilich 
wahr, daß „nicht die Hälfte der ſamtlichen Weiſen unfes Choralfgages eine ſicher· 
Veflimmung ihres Urhebers zuläßt;“ um fo mehr aber müffen diejenigen, deren 
Komponift ermittelt if, auch defien Namen und womöglich das Iahr der Kom- 
pofition, d. . der Erfindung der Melodie an der Spite tragen. Bei den andern 
Choralen ift wenigftens der „Standpunkt gänzlicher Verwilderung zu verlaffen, auf 
dem in betreff des hiſtoriſchen Wiſſens nicht wenige Choralbilder der Neuzeit 
feen,“!) umd ihre Entftehungsgeit, ihe Urfprungsgebiet, ſowie die Zeit ihres exften 
Erſcheinens im evangeliffjen Kirgengefang und betreffenden Falles noch die Zeit 
des erften Auftretens einer „für die jegige Tonfolge einer Melodie bedeutfamen 
Umgeftaltung“ beizufügen. Die hiſtoriſche Borfhung der Neuzeit Hat auf dem 
Gebiete der Chorolgeſchichte eine tief eingehende Thätigfeit entfaltet und in der 
Feftfelung einer Denge von Thatjachen bedeutende Nefultate erzielt, die aud in 
den Kirhenorolbügern immer allgemeiner zu verwerten find.) — Cilieplid if 
auch noch des Braudes zu erwähnen, nad, welchem im Choralbuc der Charakter 
jeder Weiſe durch ein beigefegtes Schlagwort getennzeichne werden fol. Es flammt 
derfelbe aus der Zeit des Nationalismus, der, weil ihm das innere Berfländnis 
des Chorals volftändig verloren gegangen war, das Bedlirfnis fühlte, durch ſolch 
außerlihe Mittel nachzufelfen. Einzelne Choratbüher Haben ihm dis in die Gegen- 
wart herein feftgefalten, weil fie wie z. B. Intob und Richter, Ch-®. I. Borr. 
S. XI „der Anfiht find, daß dadurch (neben andern Hilfemitteln) die richtige 


1) Bgl. Ert, Ch B. 1803. Bor. S. VI. „Es wird da oft mit Jahrhunderten unge 
fprungen, daß e® eine Art Hat. „us dem vierten, ſecheten u. f. ww. Jahrhundert,” das find 
die feffiegenden Aberſchriſten einer großen Mnyaft von Ehorälen, umd feinem der Choralbus 
verfertiger, wenn er fi deren bebient Aat, fält es au nur im entfernteflen ein, einmal 
darüber nadjudenten, was folde firfertige Mberfriften zu bedeuten Gaben und was es befagen 
wi, mit der Hiftorifien Forfäung des Ehorals auh nur Sie ins 15. Jahrhundert vor 
audringen.” 

9) Bal. 3. 8. die höcht werwollen hiſtoriichen Nachweiſe über einzelne Ehoräfe von rt, 
&.®. 1883. &. 241-262. Faißt, Württ. €-®. 1876. S. 218-227 und Zahn, Euterpe 
1877. ©. 129-132, 171-173. 1878. ©. 2729, 170-177, 1879, &. 52—53. 88—89. 








Choralbaſſet. — Ehormäßig, Chormaß. 267 


Welodieenwahl ehenfo ſehr erfeihtert, als der falfen wirtſam entgegen getreten 
werde.“ Wir Halten diefe Beigabe fiir volfländig Überjlüffig, einmal, weil es (wie 
fe genammten Verfaffer ſelbſt zugeben) „fehr ſchwer if, die Melodieen lets zutreffend 
zu Gorakterifieren,') da 8 auch ein gut Teil Melodiren gieht, Die feine befondere 
Firbung an fih tragen;“ und dann weil wir meinen, wenn Palmer, a. a. O. 
©. 338, ſchon der Gemeinde eim deutliches Gefühl fir poſitid Unpaffendes in 
Bezug auf Zufammenftellung von Lied und Weile vindiiert, noch vielmehr vom 
firhtich gebildeten Organiften erwarten zu Können, daß er in allen Fällen imflande 
fei, richtig zu wählen, ohme der Eſelsbrücke folher Schlagwörter zu bedürfen. 


Choralbaſſet, in älteren Orgelmerten eine Pedalftimme, die ihren Namen 
daher hat, daß mit ihr der Cantus firmus oder Choral im Pedal vorgetragen 
wurde. Es war eine der alten Bauernflöte ähuliche Stimme von weiter Menfur, 
die im 2- und ſelbſt im 1 Fußton vorfam. Val. Adlung, Mus. mech. org. 
1768. 1. ©. 78 u. 248. 


en] 
Ehoralfuge, vgl. im Art. „Orgeldoral”. 
Ghoralfanon, | 


Choraltantate, vgl. im Art. „Kirchentantate“. 


Ehoralpräftant, Heißt in älteren Orgeldispofitionen das Principal 4‘, unfre 
Oftave 4° (im Verhältnis zum Normalprincipat 8°), fofern dieje Stimme zur 
Melodieführung beim Choral beftinmt und aud gut hiezu verwendbar war. Weil 
fie Diefem Ziwed als Dislantftimme ſchon vollftändig genügte, wurde fie meift nur 
darchs halbe Mavier geführt. pl. Adlung, Mus. mech. org. I. ©. 78. 


Ehoralvoripiel, vgl. in den Art. „Orgeldoral” und „Präludium“. 


Ehormäßig, EChormaß, cin Ausdrud der älteren Orgelbauer, mit dem die 
abtfüßigen Regifter der Drgel bezeichnet wurden, und der alfo Dasfelbe bedeutet, 
wie Aqual, fo daß z. B. Principal 8° Kormäßiges Principal oder CHorprincipat 
hieß. Vgl. Prötorius, Synt. mus. II. S. 122. Unterhormäßig hießen die 

Welch fonderbare Dinge dabei zu Lage kommen, zeigt ein Vergleich folder Schlag 
mörter bei Ameiit 1799 und Zatob und Ridter. Da foll „D Welt fich hier dein Leben“ 
bei erflerem „Rührend und mit Pathos“, bei lehteren „Gefühfooll“, — „Balet will id} dir 
geben“ dort „Dit Refignation“, hier „Feierlih, freudig" — „Herr Jeſu Ehrit meins Lebens 
Sie” — „fanftrhrend” — „Heiter umd getrof" — „Mitten wir im Sehen find" — 
„Angflih“ — „Kräftig und inbrünfig“ — u. | 10. gefungen werden. Knetht hat nod Schlag 
wörter wie: „Jammernd“, „Ehrfurcht erregend”, „erihütternd“, „ößnend“, „ſchutzfuchend“, 
„geiftvoll“, „deflamierend“, „Hagend und am Ende tröftend*, „mit Gimmelevorgefühl” u. f. m. 





268 Chorton. Chriſte der du bil Tag und Licht. 


16 füßigen Stimmen. — Schon Arnold Schlid') gebraucht den Ausdruck Chormaß, 
meint aber damit die Stimmung in einer zur Begleitung des Chores geeigneten 
Tonhöhe. Cine ganze Reihe von Anwendungen des Ausdruds „Chormaß“ bei 
verſchiedenen Regiftern verzeichnet Adlung, Mus, mech. org. 1768. I. ©. 78. 


Chorton, cin Normalftimmton früherer Zeit, der als gemöhnfiger Chorton 
einen ganzen Ton und als Kornetton eine Heine Terz höher fland, ais der 
damals gebräudlice Kammmerton. Es war der Stimmton der alten Orgelbaner, 
den fie bei ihren Inftrumenten anwendeten, zunädft um Material zu fparen, dann 
aber auch, weil eine Orgel mit Höherer Stimmung leichter den großen Raum einer 
Fire zu durchdringen und augzuffllen vermochte, als eine folge mit tieferer 
Stimmung. Und weil nad dem Tome der Orgel aud die Kirchenmuſit auf dem 
Shore, der Chorgejang intoniert wurde, mannte man diefen Stimmton Chorton. 
Freilich darf weder bei der Drgel nod bei Mufitaufführungen jener Zeit überhaupt 
am einen Stimmton gedacht werden, deſſen Höhe feftfland und efwa nad einer 
Schwingungezahl firiert geweſen wäre; es herrfchte vielmehr die größte Willkür, 
jeder Orgelbauer, jeder Kantor Hatte feinen eignen Stimmton; in England, den 
Niederlanden und Italien ftinumten die Inftrumente tiefer als in Deutſchland; die 
Kirchenchöre Italiens und des katholiſchen Süddeutihlands fangen „in tertia 
inferiore® d. h. eine Terz tiefer als in Mittel- und Norddeutfcland.?) Noch 
jegt finden ſich da und dort in Dorftirchen, im alten Chortone geftimmte Orgeln, 
wie ja aud heute ein tieferer Stimmton noch nicht allgemein angenommen ift, wenn 
auch die neueren Orgeln im tieferen Rammerton geſtimmt twerden.’) 


Chriſte der du biſt Tag und Licht. Choral, deſſen Weife dem alten 
Hymmus „Christe qui lux es et dies“, „in quadragesima ad completorium*, 
aus dem 7. (vgl. Wadernagel, KL. I. Nr. 121) oder aus dem 8. Iahrhundert 
(vgl. Mone! Lat. Hymnen I. Nr. 70) angehörte und mit der aus dem „Veni 
redemptor gentium® herausgebildeten Melodieengruppe nahe verwandt if. Sie 
erſcheini im evangelifcien Kirchengeſang zuerft im Iof. Klugſchen G.-®. 1535, 
Bl. 9b; im Magdeb. ©.-B. (Lotther) 1540, Bl. 33b und im Wal. Babſtſchen 


) Im feinem „Spiegel der Orgelmacher und Organiften“ 1511, S. 16 fi. Keift die Aber 
fürift von Cap. II. „Das Ander Gapitell. Sagt vo der Menfur der pfeiffen, ein qutte dor 
moß, bequem darnad} zu fingen, vnd den Drganiflen zu Spitn.” 

9) Intereffante Mitteitungen Über ben Stimmton früherer Zeit giebt Prätorine, Synt 
mus. IT. de organographia. Cap. U. u. X. 9. Gifis, History of Musical Pitch. 
gondon 1880. 

9) Freilich feogt 2. Grangin, Bemertungen Über Orgelban — ig. mufit, Zeitg. 186%. 
&. 343 immer noh mit Reft: „in welchem Rammertone?” und rät bei neuen Berlen 
den jTon des frangöfifjen Diapason normal (h = 437,5 Sawingungen in der Sekunde) 
anpumefuen. 


Chriſte du Beiſtand deiner Krenzgemeine, 269 


&8. 1545. I. Nr. 58, und heißt (die Form, welche die Heinen Noten andeuten, 
ti dayrig, Kern II. ©. 12. N. 163 nad; der Pfalznb. K. O. von 1857): 


g — Eu: IE — 
re Der] 
Shri-fle der du biſt Tag und Licht. vor dir iſt, Herr, ver bor · gen nichts ; 


— E 


du wir tere lirden Lich - tes Glan, lehr uns den Weg der Wahrheit ganz. 





















































Der Hynmus Christe qui lux es et dies gehört zu den fogenannten „Ant- 
brofiana”, d. h. zu denjenigen Hymnen, die den Ambrofianifden nadjgebildet wurden, 
und es iſt fein eigentlih ambrofianifcer Urſprung nicht mehr erweistih.') Cine 
Heiße deutfcher Überteagungen desfelben waren ſchon dor der Reformation vorhanden,*) 
und im evangelifgen Kirgengefang ift er in zwei Bearbeitungen gebräudlic: 
8. Ehrifte, der du bift Tag umd Licht, vor dir if, Herr, verborgen nichts, 
von Wolfgang Meuslin; Erf. Enchirid. 1526, dei Wadernagel II. Nr. 161. 
b. Chrift, der du biſt der heile Tag, für dir die Nacht nicht bfeiben mag, 
von Erasmus Alberus um 1556, bei Wadernagel IH. Nr. 1037. 


Ehrifte du Veiftand deiner Kreusgemeine. Choral, der in Nord— 
feutfcpland, befonders in Schleſien als Bitte „um geiſtlichen und leiblichen Frieden“ 
elgemein gefungen wird und im Original heißt: 
































Be — — — 


* 
Ehri »fle, du Bei- ſtand dei- ner Kreuz · ge mei- ne, ei- le, mit Hilf und 





— on 
er en 2 a — nun 
Rettung ums errfäriomel Steu-re den Fein-den, ih «re Blut ge-Dihe te 





















































— — Zr 


made zu miete, made zu mid tel 


Er iſt nad Melodie und Tert von Matthäus Apelles v. Löwenſtern 
(ogl. den Art.) und fleht zuerſt in , Geyſtliche Kirhen- und HaugMufic‘. Beh: 





*) Sg. Baßler, Athriflige Lieder. Berl, 1858. ©. 33. 

9) Adıt folder Übertragungen vgl. man bei Wadernagel, 8.8, IT. Nr, 563—567 u. 1096, 
ſowie bei Kehrein, Kirgen- und velig. Lieder 1859. S. 11 u. 210. — Val. Meifter-Bäumter, 
Rah. X.X. II. 1883. ©. 246-2 








270 Ehrifte du Lamm Gottes. Chriften ähet diefen Tag ıc. 


law 1644. — Dies Buch hat auf feinen drei erften, nicht paginierten und nidt 
fignierten Bogen unter dem Titel „Apelles-Lieder“ zwanzig von Apelles v. Löwen ⸗ 
ſtern gedichtete und fomponierte Lieder, von denen obiges Nr. XVIL ift. Die mittel: 
und fübdentihen ©. BB., die das Lied bringen, verweiſen es meift auf die Melodie 
„Herzliebfter Jeſu, was Haft du verbrogen" — vgl. z. B. Dr. Wiener, 6.8, 
1851. Nr. 165. ©. 131. Elberf. luth. GB. 1857. Nr. 167. ©. 142. 
Pfälz. ©.-8. 1859. Nr. 756. ©. 614 u. a. 


Ehrifte du Lamm Gottes, das deutſche Agnus Dei als liturgiſches Profa- 
Miet findet fih ſchon im erften Jahtzehnt der Reformation in den Kircjenordnungen; 
erfimals in der Braunfgweig. K.O. von Bugenhagen 1528. Bl. P. VIII a und 
Dt. Q. Ib niederdeutſch und Heißt dort: 





— — — 
———— — — er za 
Chri· ſe, du lam Ga-des, de du dreäftde fünd der wert, er« barm di dnf- fer! 


Tom drudde male. 
— — 



















































































— 
— — 
Gift uns di · nen gre- de a wien. 


Hohdeutih Hat es zuerſt die Agende des Juſt. Jonas 1536 (nah ©. A. 
Kitter. Ch-B.) und die RD. des Herzogs Heinrich v. Sachſen 1539, BL. 596; 
dann verbreitet es ſich allgemein in den 8-DD.: Sächſiſche 8.D. 1555 u. 1564; 
Paß-Zweibr. 8-2. 1857. II. Bl. 11b. (vgl. bei v. Tuder, Schag I. ©. 435); 
Bommerjhe 8-0. 1568. II. Bl. 369b mit folgendem eiwas fürzeren Amen: 


Pe 


Urne mm 
Im den G-BB. erſcheint dieſe Profabearbeitung zuerft im dem GB. von 
Ehrift. Adolf, Dagdeb. 1542 — als „Angnus dei. Vp de Chor note. solen- 
niter“ — um fih danm auch in diefen allgemein zu verbreiten. Bol. CEuterpe 
1862, ©. 42.1) 


Ehriften ätzet diefen Tag in Metal und Marmorfteine — eine 
Kirenfantate von Joh. Seh. Bach, die wahrſcheinlich am Weihnachtsfeſte 1723 

















*) In der Kantate „Herr Jeſu Ehrif, wahr't Menſch und Gott“ zum Sonntage Eftomibi 
am Gingange der Paffionszeit hat Seh. Bach die Del. des „Chriſte du Lamm Gottes“ zu 
einer tieffinnigen Kombination benlgt: „er läßt, während Chor und Infrumente ihre Haupt 
Aufgabe erfüllen, von einzelnen Infrumenten diefe Melodie in gewiſſen Zwiſchenräumen ftüd 
weile hineinfügen und fo die Paffionsempfindung in der Seele des Hörers aufdämmern.“ 
Val, Spitto, Bad I. ©. 582. Die Kantate Recht BachGeſ. XXVI. Nr. 127. 


Chriſt fuht gen Himmel. zul 


in der Nilolaitirche zu Leipzig erftmals aufgefüßet wurde.) Cie enthält: 2 Chöre, 
2 Duette und 2 Recitative von großem ans Drotoriſche freifendem Stil und eigen« 
gearteter Stimmung, und ift unter Bas Kantaten aud dadurd; noch bemerlens- 
wert, daß der Choral im ihr gänzlich fehlt. Man findet fie im der Ausg. der 
vach Geſ XVI. Pr. 63 


Chriſt fuhr gen Himmel, ein „alt Lob vnd frewden Lied von der Auffahrt 
vnſers Herem Deſu Chrifti,” das dem Oftergefang „Chrift ift erflanden” (vgl. den 
Art.) nachgebildet und nad defien Melodie bei der Himmelfahrtsceremonie (dem 
Hinaufziehen eines Chriftusbildes durd eine Öffnung des Chorgewölbes) in den 
Kirchen gefungen wurde. Es findet fih im der Heidelb. Handſcht. Nr. 109. 
Bl. 1128 als Strophe 13 des Dfterliedes „E6 giengen trew frewlach alſo fruo“ 
(vgl. Uhland, Boltslieder II. Nr. 847) und ift als fpäteftens aus der Mitte des 
15. Yahrhunderts ftammend nachgewiefen. Vgl. Hoffmann v. dallerbleben, Geſch. 
des 2. 1854. I. ©. 175—177. Anfangs nur mit einer Strophe erſcheinend — 
jo bei Quther, Babſis G.-B. 1545. I. Nr. 62 unter den „alten Liedern“, bei 
ige, Psaltes eceles. 1550. Fol. 108a als „Gemeiner Laygefang*, u. a. —, 
wird es bald derſchiedentlich erweitert und zwar zunächſt durch die Zuſabſtrophe des 
„Halleluja* von „Chrift ift erftanden" (vgl. Wadernagel, KL. III. Nr. 976. 
978), dann auch durd andere Stropfen: fo von dem Straßburger Prediger 
Chriſioph Sofius im Straßb. G.B. 1545 auf 3 Stropgen (vgl. Wadernagel, 
a 0. D. Nr. 1143), durch Nilolaus Hermann in feinen „Sontags CEuangefin" 
1560 (als „Chrift fuhr gen Himmel, gebeffert“) auf 4 Stropgen, und aus dem 
Eielebener ©.-B. 1598 teilt Wadernagel (a. a. D. Nr. 1144) nod) eine öſtrophige 
Beorbeitung mit. Vgl. Fifher, Kl-ter. I. ©. 73. 74. Die Melodie in 
ihrer Anwendung auf den Hinmelfahrtögefang fnutet: 





























— — —— 7 

Tr = — ze) 

1. Erift fuhr gen Kim - me, da fandt er uns er» mi der 
(oder: was fandt er uns here mie + der? 





























— — — 


den Zrö-fter den Hei + fi gen Vein zu Troft der ar-men Ehrirften heit. 
© fen »det ums den Geil+ gen Geil) 


—— — — 


An ⸗rin- e die 















































%) Die Naqhweiſung hierüber vgl. bei Spitta, Bad II. ©. 197 und Anhang X. Nr. 14. 
©. 180 u. 71. 


22 Chriſt if erflanden von der Aarter alle. 


Diefe Strophe, die in Einzelnheiten des Tertes vielfach variiert, wird öfters dreimal 
wicherholt und dann die Hallelnjoftrophe angehüngt: 






























































3 —— m 

ee 
2 det · > m dl Halle = Mn» jal Balrle «Mu > al | 
Io — — 
— — — 

















Des ſolln wir al» 7 ſroh fein, Chriſt will un-⸗ſer Troſt ſein. 

= E = = 

—— = z | 
Yeti ee list 


Ehrift iſt erftanden don der Marter alle, ein Dftergefang, der als 
eines der älteſten erhaftenen Denkmäler des deutſchen geiſtlihen Volts— 
gefanges im Mittelalter anzufehen ift, da er wohrſcheinlich ſchon aus dem 
12. Jahrhundert ſtammt und im 13. als Kirchenlied bereits wohlbelannt, namentlid) 
ein bei den Oftermöfterien üblicher Gefang umd fo beliebt war, daß man nicht 
umbin tonnte, ihm einen Plag in den lateiniſchen Agenden einzuräumen und ihn 
damit in die Liturgie aufzunehmen.) Luther fast von ihm: „Aller Lieder finget 
man fi) mit der Zeit müde, aber,das „Chrift ift erftanden“ muß man alle Jahre 
wieder fingen,“ und Georg Witzel (Psaltes eceles. 1550) giebt ihm die Über- 
ſchrift: „Hie inbilieret die ganhe Kirch mit fhallender Hoher ftim, dud vnſäglicher 
Freud" (ogl. Warternagel, RL. I. Nr. 936). — Die Melodie wird allgemein 
als mit dem Liede von gleichem Alter angefehen und zeigt deutlich, wie der mittel: 
alterliche Voltsgefang unmittelbar an den Gregorianifhen Cantus firmus anfnüpfte: 
denn unfer Lied, das im Mittelalter in allen deutſchen Gauen gefungen wurde, 
erſcheint im feinem melodifcen "Gange offenbar als eine Nachbildung der Ofter- 
fequenz „Vietimae paschali* des burgundifgen Prieſters Wipo, der zwiſchen 
1024—1050 bfühte.) Bollſtändig ausgebildet wurde die Weife bis jegt erftmals 
Handfgriftlih in dem Mündner Codex germ. Nr. 716. Fol. 29b (daf. auch 
Cod. lat. zz. Nr. 226. Fol. 37 b) aus dem 15. Jahrhundert in dem folgenden 
Fragment aufgefunden (vgl. das dennnib der Handſchrift bei Meifter, a. a. D. 
Beil, II): 


9) Bol. Hoffmann v. Fallersteben, Geſch. des deutfäen KR. 1854. S. 83-64. Derfelbe | 
nahlt 5. 193 eine Reife zwifden 1480-1522 gedrudter Tateiniffer Agenden auf, Die Dielen 
deutfcien Gejang in die Liturgie eingereibt Haben. Vol. auch Bögwe, Altdeutjdes Lidert, 
1877. ©. 660. 

?) Bol. die Nochweiſungen bei P. Scubiger, Die Sängerſchule St. Gallens. &. 91-9. 
Die Sequenz feloft teift er dafelbt in den „Monumenta” Ar, 35 im Fatfimile einer Cinfiedle | 
Handfer. aus dem 11. Jahr. mit. 




















Chriſt iſt erflanden von der Marter alle. 273 
ee pr 77 


E = — = 
Syeift in er» fan > dem, jus das in Der - ham «gem, des foll wir 





























= F 4 
— = oJ 
alte fo feim heilt fol umefer rot fein. eu ia. 


Gedrudt erſcheint fie dann zuerft in den 64 vierſtimmigen Liedern „geirldt zuo 
Meng durch Peter Schöffen, Vnd vollendt Um erſten tag des Merben Anno 1513.” 
Mr. 62, und bei Heinrich Find, Liedlein 1536. Mr. 1, der fie jedoch hen vor 
1500 motiert hatte.) — Im edangelifcen Kirchengeſang erfhien die Melodie zu- 
nachſt 1524 in einer-Umbildung zu Luthers Dfterlied „Chrift (ag in Todeskanden“ 
(0gL den et.); doch bald fanden Lied und Weife auch im Original Aufnahme in 
die evangelifgen G-BL.: zuerft im Klugſchen ©®. 1531 (1529), dann 1535. 
Bl. 97a, 1543. Bl. 1418; Magdeb. ©.B. (Lotther) 1540. Bl. 395; Babſt, 
6.8. 1545. I. Nr. 59 x, und (eben aud) in den Tatholifhen ©.-BB. noch Heute 
fort. Nach der Zeihmung im Eiſenacher 8. Nr. 37. ©. 32 Heißt die Melodie: 
























































— — re me: = 


z 4 ⸗ 
Erift iR er» fan > den von der Mar-ter al + el Des ſolln mir 


mn 


— = 
alte frohh feimEgrift will um» fer Zrof fein Mycrio ce leisl 



































































































































— — = 
—— —— == 
— 
Wär er nicht er - Man » dem, die Welt die wär wer-gam + gen; feit daß 
Pens 
— = Pa 
en er-ansden iM, fo lobn wir ale fe Jesfumgeif.sy si > e> Ieist 


%) Einen Abrud aus Shöffer beforgte ſchon v. Winterfeld für Hoffmanns Gefd. des 
dentfäen 8. 1. Ausg. 1832. Motenbeil. I. Die Scöfferife Iesart (aber nit ganz mit 
v. Binterfeld übereinftinnmend), fowie die deint. Finds vgl. bei Böhme, a. a. D. Wr. 552. 
S. 60. 

Rümmerte, Encoft, d. evang. Rirenmufil. 1. 18 


274 Chriſt lag in Todesbanden. 























jat Sal 











n 
— — 


un - ſer Zroft ſein. Ryeri -erteist 





























Des ſolln wir al» kr froh fein, Ehrift wi 


EHrift Ing in Todeshanden, Choral, defen Melodie aus „Chriſt iſt 
erftanden“ (vgl. den vorigen Art.) gebildet und wohl von Luther jelbft, vielleicht 
unter Johann Walthers MVitwirfung, feinen Liede angepaßt wurde. Sie findet 
ſich zuerft in den beiden Erfurter Endiridien von 1524. Ausg. B (gedrudt zu 
Erffurt in der Permenter gaffen zum Werber Faß“) Bl. B VID und in 
Walthers G. B. 1025 in drei unter Nr. IX. X u. XI ftegenden Bearbeitungen. 
Doc hat fie im Enchiridion und bei Walther Nr. IX folgenden Abgeſang: 


























6 





























* aber ſchon bei Walther N. X u. XI durd einen neuen erſett wurde {val. 

v. Winterfeld, Luthers geiftl. Fieder 1840. Nr. 8. S. 33. 34), mit dem fie dann 
in den Kirdengejangbidern — Klug, GB. 1535. Bl. 10b, Ausg. 1543. 
Bl. 18a; Babft, GB. 1545. I. Mr. 8 — bleibend erfheint. Cie Hei 






































— — HE 4] 
Chriſt lag in To-des-ban > den, für un ſre Slind ge ge = ben, 


Der ft wie der er «fan = dem, und hat umsbraht das Xe+ bem, 
























































— — 
Per 
Des wir falten fäh-tic fin Watt To - ben und ihm dent bar fein 
— — — — 
—— — 
Er a —— — — — 
und ſin-gen Hal-le- In — ja! Halle + Au ja!l 


Lied und Melodie hat Seb. Bad in der ChHoral-Kantate „Chrift lag in 
Todesbanden“, die er im eriten Jahr feiner Leipziger Zeit geidaffen und am 
Ofterfeft (9. Aprit) 1724 erftmals aufgeführt hat, zu einer „gewaltigen Schöpfung“ 
verwendet. Er hat ſich in derfelben aller madrigalifhen Muſitformen und jeglichen 


Sologejangs enthalten, als Tert ausſchließlich die 7 Strophen des Liedes Luthers 





Ehrifimann. 275 


‚erde und die Melodie in ebenfoviel Sägen in lets neuer Weiſe verarbeitet. 
1. Spitte, Bach 1. ©. 220-26. Ausgaben: Bade. 1. Nr. 4. CL. 
veipig, Peters. 





Chriſtmann, Yofann Friedrich, Choraltomponift und fleißiger Mufitfcrift- 
tler, der am 10. September 1752 zu Ludtwigsburg geboren wurde. Schon als 
Inbe erhielt er dadurch, daß die Künftler der damals berühmten Hoflapelle des 
dogs Karl von Württemberg viel in feinem elterlichen Haufe verkehrten, mannig 
a5 mufitalifche Anregung, und als er 1762 das Gymnaſium zu Stuttgart bezog, 
ur er in der Muſit bereits foweit gefördert, daß er ſich als Klavier- und Fli 
Heler öffentlich hören (offen konnte. Aud) auf der Univerfitit Tübingen, auf die 
11770 übergegangen war, trieb er neben dem Studium der Theologie fleifig 
Rufit und ſchrieb dann in Winterthur, wohin er 1777 als Hofmeifter gegangen 
ar, ein „Elementarbud der Tonkunft" (Speyer 1782. 8°. 380 ©. mit Beifpiel- 
3 im Fol.), das bedeutende Verbreitung fand umd von dem 1790 ein zweiter 
ld erſchien. Um 1780 fam er als Hofmeifter nad Karlsruhe und trat Hier mit 
hmidtbanr und Abt Vogler in förderliche Verbindung. 1783 wurde Chriftmann 
Harrer zu Heutingsheim bei Ludwigeburg, wo er dann 28 Jahre lang bis zu 
inem am 21. Mai 1817 erfolgten Tode wirkte. Seine fortgefegte mufitatifche 
hätigkeit bezeugen feine Kompofitionen (bei Gerber und Fölis verzeichnet), fowie 
€ Abhandlungen über muſikaliſche Gegenftände für die „Mufifafiige Reafzeitung“ 
Epeyer) und die „Allg. mufit. Zeitung“ (Leipzig). Für ums iſt mod der Anteil 
km Dnterefle, den er am Zuftandelommen des Württemb. GB. von 1791 und 
ke zu Ddemjelben gehörigen Ch.B. von 1799 hatte. Die Einführung des neuen 
6-8. ſuchte er durch eine Bredigt „Zur Belehrung für ſchwache Chriſten“ (Tüb. 
91) zu fördern und für das Ch.B. komponierte er von 1792 an 18 neue 
Ügeräte, 6 Figuralgefänge und 2 fogen. Antipgonen.') Bon diefen 18 Chorälen, 
he ganz im Geifte jener rationaliſtiſchen Zeit gemadt und mit ihrem Streben nad 
ingerligem Cffelt für den Gemeindegefang wenig geeignet erſcheinen, Haben ſich 
m Württ. Ch.B. von 1828 4, im Ch. B. von 1844 nur noch zwei erhalten. 
Es find Dies folgende: 

Lobfinge Gott, erheb ihm meine Seele. 1792. Ch-®. 1799. 
©. 40. Mr. XXXVI Wurtt. Ch.B. 1828. ©. 49. Nr. 119. Württ. 
&.-B. 1844. ©. 31. Ne. 27 (mit dem Tert „Ih danke dir in glaubens- 
voller Reue“). 

Bon diefer Speife, diefem Trant. 1792. Ch. B. 1799. ©. 48. 
®%r. XLI. Bürtt. Ch.B. 1828. ©. 110. Nr. 287. 














y Im &6.-B. Stuttg. 1799 die Ehoräfe: Nr. 13. 17. 23. 33. 34. 36. 41. 44. 55. 
57.73, 88, 92, 181. 228. 220, 231. 230; die Figuralgefänge: Mr. 249. 260. 252. 
353. 254. 255, und die Antiphonien: Nr. 265. 266, 

18* 


276 Chriſtum wir follen loben fon. 


Ber if dir gleich, du Einziger. 1792. Ch.B. 1799. ©. 66. Nr. LVII. 
Württ. Ch.B. 1828. ©. 55. Nr. 136. 

Anbetung, Iubel und Gefang. 1792. Ch.B. 1799. ©. 98. 
Wr. LXXXVIII. Württ. Ch.B. 1828. ©. 76. Mr. 214. 

Preis dem Todesitberwinder. 1792. Ch-B. 1799. ©. 102. Nr. XCII. 
Württ. CB. 1844. Nr. 163. (gl. den Art). 


Ehriftum wir follen oben jhon — Choral, der aus der Melodie dee 
alttirchlichen Weihnachtshymnus A solus ortus cardine (von Sedulins. 5. Jahrh.)‘) 
gebildet wurde. Er erſcheint im evangeliſchen Kirchengeſang erſtmals im Erfurter 
Engiridion 1524. Bogen L. Bl. 3 und in Walthers GB. 1525. Nr. XAl 
unverändert übertragen und daher mit der Bemerkung: „der deutfd tert fingt ſich 
aud wol vuter die latiniſchen noten,“ welche Benterfung auch noch Tpätere G.-BB 
wie das Klugſche 1543 und das Babftiche 1545 Haben?) Schon 1525 erichien 
aber in „Ayn gefang Buchlein Geyftlier gefenge“ Brefflaw durch Adam Dyon. 
Bogen C. Bl. 3 aud) eine vollsmähige Umbildung der Melodie, welde unter Bei- 
bealtung der Grundzüge des alten Hymmus „die phrygiſche Tonart in ihrem 
urſprünglichen Umfange darftellt” und daher von Glarean mit Recht als „phrygi 
elegantissimi exemplum® aufgeftellt wird. Sie Heißt dort: 
ie — 
Cori ſuum wir fol-Tem Io ben ſhon. der rei- nen MagdDa-ri» en Son, 





















































— z= n =] 
— 


= 
fo weit die fie» be Sonne leucht, und an al» ler Welt En«de reiht. 


Später erfuhr diefelbe noch mannigfadie leichtere Umbildungen, wie 5. B. bei Mid 
Vratorius, Muf. Sion. V. 1607 in den dreiteiligen Takt (vgl. Iatob u. Richter, 
&.8. 1. ©. 4), Yohanm Crüger, Newes vollt. 8. 1640 (vgl. Langbeder, 
Cragers Choral:Mel. 1835. &. 26) und mod gegemwärtig zeigt fie in den 
&H-BB. mande Arweihungen; eine jolhe geben wir, da das Eifen. G.B. fir 
nicht Hat, nach Wiener, Geiftl. 6.8. 1851. Nr. 59: 














+) Bon dem Humnus des Sedulius gab es fon im 15. Jahrh. mehrere deutſche Mber 
fragumgen; vol. foldhe bei Wadernagel, K%. 1841. Nr. 700, bei Hoffmann, Geſch. des R.t. 
A854. Nr. 140. 144, umd Kehrein, Kirgenlieder 1853. S. 189. Die Umdigtung Luchere 
wird von lathol. Sriftfellern „mit ziemlicher Dreifigfeit als unbeftitten katholiſch in Anfprus 
genommen“ und geifentritt zugefricben. Bgl. Kehrein, a. a. ©. ©. 198. Nr. 62, um 
dagegen Wadernagel, Kt. 1. S. 224. 

2) Diefe „Inteinifhen Noten“ aus einer Handſchr. des 14. Jahrh. und in zwei weiteren 
Yesarten vgl. man bei Dleifter, Kath. Kt. 1. 1882. 5. 216-218. And v. Winterfet, 
vuthers geifil. Lieder. 1840. &. 23 hat Die alte Form 


Chriſt unfer Herr zum Jordan kam. GT 





F ——— ———— 
Bas füräif du Feind He« ro- des ſehr, daß uns ge- born fommtChriftder Herr? 
BE oo use] 
Er ſucht fein ir» diſch Kö + nig-reic, der zu une bringt fein Himmel + reich, 
Eine Choralfantate „Chriftum wir follen loben ſchon“ von Sch. Bach mit 


motettenartigern prähtigem Anfangshor” iſt in der Ausg. der Vach Geſ. XXVI. 
r. 121 erfhienen. 


Ehrift unfer Herr zum Jordan fam — Choral, defien Melodie fih im 
wangelifcpen Kirhengefang erftmals in Joh. Walthers „Beiftt. Gefangbudleyn“. 
Witten. 1525. Nr. NIT dem Palmliede Luthers „Es woll uns Gott genädig 
fein“ (gl. den Art.) beigegeben findet. Dem obenbezeichneten Liede, dem fie jet 
aueſchließlich eignet und deſſen Entftehung Niederer, Abhandig. von Einführung des 
teutfchen Gef. sc. Nürnberg 1759. $ 20. ©. 154. 159 in das Jahr 154 
Wadernagel, Bibliogr. 1855. ©. 172 nad einem Cinzeldrud auf 
iheinfih 1541 jegt, iſt die Melodie zuerft zugeteilt im Joſ. Klugſchen G.-B. 
1543. Bl. 42a umd im Dal. Babſiſchen G.B. 1545. I. Nr. 18 (ogl. v. Tucher, 
Stay I. Rr. 385). Sie heißt: 






















































































I 0 


* 














Chriſt umefer Herr zum Jor-dan tam. nach fei «mes Ba-ters Wil + Tenz 
Bon Si Jodann'sdie Taufe nahm, fein Wert und Amt zu 'rfül > Ten. 


z 


Damwollt er füf-tem une ein Bad, zu wa-fhen uns von Sin + den, 























— —— — 























Eher — 























er -fän fen auch den bit tern Tod, —* fein ſelbbs Blut und Wun - den; 


— 


es galt ein men» Le > ben. 


v Binterfed, Ev. KG. I. S. 55 leitet den Urfprung unfrer Weife aus dem 
weltlihen Boltsgefang Her und begründet dies haupffädilid damit, daß fie einen 
unregelmäßigen doliſchen Schluß mocht, während fie fih fonft größtenteils in der 
dori ſchen Tonart bewegt, was bei urſprünglich ürchlicen Tomweifen eiwas Seltenes fei.') 


¶ v. Winterfeld folgen Jalob und Richter Ch-B. J. S. 175 (.dem weltlichen Bette“ 
«ang entfehnt“); für Sagriz, Kern I S. 81 („Weltfich?") in der weltliche Urſprung fraglich, 
and duch Faift, Wirtt, EB, 1870. S 215 giebt ihn mur referiert mit „vielligt” zu. 























278 Ehriftus der if mein Leben. 


Dagegen ift ihm die Annahme, daß fie die Weiſe des Vollsliedes „Aus 
hertem Weh Hagt ſich ein Held“ ſei. „mur eine entfernte Vermutung“, die auch 
Meifter, Kath. 8%. I. ©. 152 „ihon darum zweifelhaft bleibt, weil in dem 
tatholiſchen G. BB. drei verfciedene Melodieen zu der geiftlicen Umdigtung von 
„us hertem Weh. gefunden terden,”!) was freilich, wie v. Winterfeld richtig 
bemerft, nicht entfcheidend ift, „da für beliebte Lieder wohl aud zwei Melodieen 
vorfommen.“ Entjcheidend würde erft fein, wenn die weitere Weife aus Forſter, 
Liedlein IIT. 1549. Nr. 13 (mit der geiftligen Umdichtung des Liedes auch bei 
Rotenbucher, Bergfregen 1551. Nr. 25 fiehend)) die v. Winterfeld anführt, umd 
die nach Böhme die eigentliche Vollsweiſe if, wirilich als diefe nadhgewiefen würde ; 
denn fie Hat mit der Kirchenmelodie fo wenig gemein, daß nicht einmal die entfernte 
Vermutung” einer Berrvandtigaft gerechtfertigt erfceint.?) Bis diefer Nachweis 
geführt ift, Bleibt die Frage vom Zufammenhang unfees Chorals mit einer Bolts- 
weife eine offene.!) — Seh. Bach hat das Lied und feine Melodie zu einer Choral 
tantate „Chrift unfer Here zum Iordan tom" auf das Feſt Dohannis des 
Täufers verwendet; diefe Kandate erihien: Bach-Geſ. I. Nr. 7 umd in einem SA. 
Leipzig, Peters. Vol. Spitta, Bad II. ©; 570. 571. 











Chriſtus der ift mein Leben, Choral, defien liebliche Weile lange als 
eine von dem Volkslied „Warum wilt du weggiefen, o du mein einzger Troft“ 
herübergenommen angefehen wurde,) jegt aber meiſt und wohl mit Recht !dem 








*) Diefe Melodieen find: 1. eine phrygifce, die bei Behe, ©.-®. 1537 bei dem Siebe: 
„Erbarm dich unfer, Gott der Herr, Vnd geb vns feinen fegen“ feht. „Sie ift fpäter im 
alen nambaften tath. BB. (mit Ausnahme des Leifentritfeen) dem Arventslicde „Aus 
Gertem noch Magt ſich menſchtich after” zugeeignet und dafiir die herrſchende geblieben.” 
Diefelbe Melodie in emwas geänderter Faffung finder fid) aber fhon vorher im ang. X..@el. 
bei Walther 1524. Nr. 3 zu Dehenwaido Pfaimlied „Erbarm did mein o Here Gott“ und 
Hat ſich Dis zur Gegenwart erhalten. Bol. Yayıiz, Kern IL. ©. 26. Nr. 178. 2, umire 
ebenftehende Melodie zu Yurfers Tauflied, bei Leifenteit, &-®. 1584. I. 3. „ein ander 
Meioden“ ebenfalls bei Leifentrit a. a. D.; fie if bei Meile, a. a. D. ©. 166 unter Ar. 9 
abgedeudt, jedoch durchaus umvolfetimtid. 

2) Migeteilt bei Vöhme, Ad. Liederb. 1877. Mr. 111. S. 208, und bei Meifter. 1. 
©. 153. Anm. 3. 

9) And) Ert, Ch. B. 1868. ©. 246, dem Bilder, KoL.-Ler. 1. S. 77 folgt, kann diefe 
Weile unmöglich im Auge gehabt Haben, wenn er meint, unfer Eheraf fi wohl fiher fie 
Boltsrweife „Aus Gertem Beh“, 

+) v. Winterfeld, Ev. KuG. J. 3.270 macht auch noch auf bie Ahnlichteit unſrer Melodie 
mit der Piakomweife „Wohl dem der mit vom eg abteitt“ bei Wurlf, Waldis 1503, die 
d. Zuger, Shag TI. Rr. 399 zu „Ein neue Bahn wir alle han“ giebt, aufmertiam. 

>) Bot. 3. ©. SHufer, Geſch des RO. 193. ©. 143; €. F. Beder, Hanemufit 1810. 
&. 68. Layrij, Kern 1855. L ©. 81; and das Gifenager G-B. S. 143 feßt zum Autet. 
namen des Bulpius ein ?, und Faißt giebt Württ. Ch-®. 1870. S. 220 mur zu: „vieleidit 
von V. erfunden.“ 











Chriſtus der iA mein Leben. 279 


Melchior Vulpius (vgl. den Art.) als Erfinder zugeſchrieben wird.) Das Lied 
erigien nämlich von Anfang an in zwei Hauptformen: 1. bei Melchior Bulpius, 
Ein ſchon geiftlih Gefangbuh x. Jena 1609. S. 566. Nr. 148 mit 7 Strophen 
(Badernagel, 82. V. Nr. 665; Miügell, Geift. Lieder. Nr. 585) und der ihm 
irgt eigenen Melodie; 2. in Chriflih; Gefangbüchlein. Hamb. 1612. S. 340 mit 
8 Stropgen (Wadernagel, RL V. Nr. 666) und Hier, ſowie im Coburger ©.-8. 
von 1621 auf den Ton „Warum wilt du wegziehen“ verwiefen — und daher 
rühren die verfchiedenen Angaben über das KHerlommen der Melodie. Dod wäre 
die Tomangabe der Voltsweife „mod gar fein Grund, ohne weiteres anzunehmen, 
die bei Bulpins ftehende fei Diefe weltliche Weife und damit Vulpius die Erfindung 
abzufpredhen. Da fih mun aber endlich die wirtliche Melodie zu „Warum wiltu 
wegziehen“ gefunden hat, und man fih überzengen lann, daf fie eine ganz andere 
als die Choralmelodie it: fo dürfte wohl der Streit über den Urſprung unfres 
Chorals für immer befeitigt fein?) — Die Butpinsfge Melodie Heißt: 
































>= 
Chri· ſtus der if mein Les dem, Ster-ben it mein Genim; 


— — 


dem hu ih mich er «ge - ben, mit Freud fahr id da 












































Seb. Bad) Hat diejelbe mit nod drei andern Chorälen — „Mit Fried und Freud 
jahr ich dahin“, „Lalet will ih die geben” und „Wenn mein Stündlein vor 
Handen it" — zu der Choralfantate „Chriſtus der ift mein Lehen" auf den 
16. Sonntag nah Trinitatis, wmahrfheinlih 28. September 1732, verwendet. 
Diefe „tieffinnige Kompofition" erſchien gedrudt Bahr Geſ. XXII. Nr. 95 und im 
SH. Leipg. Pete, 





») Bal. 3. 8, d. Winterfeld, Zur Gefd. heil. Tonkunft. I. &. si 
eieben fi) eine Zweifel, daß fie von Yulpius herrühre;" Grl, Ch 
Iatob und ihter, &.-®. I. Nr. 410. &. 470; Wien 
Kirchenl. Lerx. 1. 77-79; Böhme, Alt. Liederb. 1877. Nr. 658. 

2) al. Böhme, a. a, D. &. Die Bolleweiſt fand fih in Mel. rands Fasci 
culus quodlibeticus. Koburg 1011. Mr. 8; fie beißt bei Bühme, a. a. ©. N. 201. 
©. 34-345: 






‚gegen Diele ie 
44. ©. 2455 


; "File, 








— — 


Wa-rumb wilt dur wen- zie— hen, o Du mein ei + niger troſt? wenn 


Fe 














—— 


























— rP- 
ser —— 























toi » tu mie der · Tom-men, auf das du mid, er + Soft? 


280 Chriſtus der uns felig macht. Chwatal. 


Chriſtus der uns felig macht — Choral, deſſen Melodie dem altkirchlichen 
Hymmus Patris sapientia, veritas divina aus dem 14. Jahrhundert entftanmt 
und in den evangefifchen Kirchengeſang durch das älteſte deutſche G.B. der böhmischen 
Vrüder eingeführt wurde, Im diefem GB. von Mid. Weihe 1531. BL, C VIIb 
ift die Melodie dem Terte „Chriftus wahrer Gottes Sohn, auf Erden leibhäftig” 
beigegeben, und das obige Fied, dem fie nachher eigen wurde (G.-®. der B. Br. 
Ausg. 1580. Bl. 51. Ausg. 1618. Bl. 48. Thieb. Bergers Straßb. ©.-B. 1566. 
©. XXX; Sau. Besler, Cone. eceles. Brest. 1618. I. Nr. 11), it Bl. D IIIa 
nur auf fie verwieſen. (Tuder, Shap II. Nr. 356.) Sie Heißt: 


— ——— 


Chri · ſus der ums fe - lig mocht, fein Bos hat be «gan + gen; 
































+ — — 
— — Pre er 


der ward für uns in der Nat als ein Dieb ge > fan + gen; ge» führt vor geit 



























































= ⸗ 
To «je Leut und fälſch-lich ver-Ma - get, ver-Tadt, ver-höhne und ver-fpeit, 


* — Fu — 
wie denn die Schrift fa + get. 

Noch iſt hier zu bemerfen, daß fih die Weife in manchen evangefiihen G.-BB. 
mit dem Terte „O Hilf Chrifte, Gottes Sohn“ findet; es ift dies die achte Strophe 
des obigen Liedes, die ſhon frühe (z. B. ſchon dns Füneburger GuB. 1661. 
S. 66 bezeichnet die mögliche Abtrennung diefer Strophe durch ein +) abgetrennt 
und an Stelle des ganzen Fiedes allein gebraudt wurde. Eiſenacher G.-B. ©. 32. 
Nr. 36. A. Hammerſchmidts KirGenftüd „Mir Haft du Arbeit gemiacht“ x. — 
Seh. Bad Hat dieſe Melodie im 2, Teil der Iohannispaffion zweimal mit der 
erften und achten Strophe („D Hilf Chrifte Gottes Sohn“) verwendet. 


Chwatal, Karl Joſeph, ein Orgelbauer, der ſich durd) einige wertvolle, don 
ihm erfundene BVerbefferungen der Orgelmedanit ein Verdienſt um feine SKuuft 
erworben hat. Er ift am 12. Januar 1811 zu Rumburg in Böhmen geboren, 
bildete ſich in der Werkftätte jeines Vaters zu Merfeburg zum Orgelbauer aus, 
und wurde, als diefer ftarb, 1836 fein Nachfolger im Geſchäft. Er erfand eine 
Metalltraftur, die ihm 1850 patentiert wurde; im felben Jahre wendete er auch 
erſtmals ftatt der Leberpulpeten oder Meſſingplätichen als Erſatz der Pulpeten 
Kogenblätthen an. 1858 erfand er eine Pedalwindlade mit nad unten auf 
gehenden Scheibenventilen, 1861 die Kmopfventillade mit feitwärts ſich öffnenden 


& messen: Pe 























Ciacona. Clarabella, Clara bella, Elaribella. Ei 


Ventilen, beide ohne Shhleifen und Kanzellen. An der Sähleiflade verbefferte er 
die Windtaftenfpunde, und ftelte eine elatifche Bentilbelederung mit Tuchunterlage 
Her. Außerdem find ihm die Orgelbauer für einige praktiſch gedachte Werkzeuge — 
einen Ditributiongzirtel zum Labiieren der Zinnpfeifen (1850), eine vervolffonmnete 
Windwage nad; dem Meterjyftem (IST), und ein Mitromieter zum Meffen der 
Binnpfatten und Zungen (1875) — zu Dank verpflichtet. Seit 1870 ift fein 
Sohn Bernhard (geb. 1844) als Teilhaber ins Geſchäft eingetreten; "dasfelbe 
führt feitdem die Firma Chwatal u. Sohn und befaft ſich neuerdings neben 
dem Bau volfändiger Orgeln namentlich aud mit Herftelung von Orgelbeftand: 
teilen. — Bon größeren Orgeliverfen, die bis jegt aus diefem Geſchäft hervor: 
gingen, fünnen genannt werden: 


1. Orgel zu Neuftadt-Dagdeburg 1850. 30 il. Sin. 2 Man. Per. 
(Metaltraftur). — 2. Orgel zu Oleina 1867. 22 I. Stn. — 3. Orgel 
zu Budan 1869. 27 fl. Stn. (vgl. Euterpe 1869. ©. 163 _ 
4. Orgel zu Wittenberge 1872. 37 1. Stm. 3 Dan. u. Bad. (vgl. Euterpe 
1873. ©. 101-102). Orgel zu Fügtendorf 1871. 23 I. Sin. — 
6. Orgel zu Rönigerode 1876. 25 M. Stm. Auderdem 32 größere Um- 
Bauten und einige JO Reparaturen verjciedenen Umfangs. 











Giacona, eine alte Tanzform von vielleicht ſpaniſcher Herkunft, da der Name 
urſprunglich ſpaniſch („Chacona, vom Bastifhen chocuna = hübfh, nett, zierlich· — 
Littre) iſt. Sie Hatte meift dreiteiligen Tatt,!) eine mäßig langfame Bewegung, 
und wurde in der älteren Orgel: und Klaviermuſik bei Burtehude, Georg Böhm, 
Händel („Suite de pieces“) u. a. als Formgrundlage zu intereffanten Tongebilden 
benügt, die meift eine Art Varintionen über ein urzes, zwei-, vier, höchſtens adit- 
taftiges Baßthema darftellen. Aud im Orgeldoral fand die Form der Ciacona 
Verwendung, wie beifpielsweife bei G. Kirchhoff zu „Derzlic lieb hab ih dic, 
0. Herr“, und Seh. Bach, der ja alle Formen jeiner Zeit mit Meiftericaft beherrſchte, 
verarbeitet im Schlußchor der Kantate „Nach dir Herr verlanget mid” das folgende 
Ciocona- Thema: 








5 + == 
——— 
und in dem „herrlichen“ Eingangeſatz der Kantote „Iefu, der du meine Seele“ 
Gach Geſ. XVIII. Nr. 78), der das gleiche Thema wie das Kruzifirus der 
H-mollmeffe Hat, giebt ex fogar eine Choraffantafie in Form einer Ciacoma.2) 


Clarabella, Clara bella, Glaribella — eine neuere Pabialftimme der 
Orgel, die von dem engliſchen Organiften John Biſchop erfunden und bis jest 


























*) Doch finden fih z. B. bei Couperin „Pieces de clavecin“ and Chaconnes in zwei- 
teitigem Toit. Bol. die Ausg. der Mlavierwerte Conperins von Joh. Brahms in „Dent- 
mäler der Tonkunft. ®b. IV. 1870. 

) Bol. Spitte, Bach I. S. 276-279, ©. 442. 


288 Clarino, Elarine, Clairon. Elandin, Elaudin Lejeune. 


ausfhlieglih von englifhen Orgelbauern gebaut wurde. Sie it offen, mit weiter 
Menfur und Flöten harutter, und wird gemöhnlid mit 8 —, hie und da auch 
mit 4° Tom im Manual gefeht;!) doch geht fie meift nur durch Die obern 2 oder 
3 Oftoven und wird in den untern in Gedadt 8° Übergefühet. Im Wirklicheit 
ſtellt fie eine Modifitation der deutfhen Hohlflöte dar, ohne jedoch Diele an 
Falle und Rundung des Tones ganz zu erreichen.?) 


Elarino, Elarine, Clairon, eine Zungenftinme der Orgel mit auffhlagenden 
Zungen im 8, 4 und 2 Fußton vorfommend. Die Orgelbauer des 18. Dahr- 
hunderts verftanden unter Clarino die Stimme mit 8 Fußten, die jegt allgemein 
Trompete (vgl. den Art.) heißt umd die in allen größeren Orgelwerten ſich findet; 
im Sprachgebrauche der neueren Orgelbauer dagegen heißt Clarine die Stimme im 
4 Fußton, welde als Oftane der Trompete 8 im Manual und Pedal geſetzt 
wird, — dod wurde und wird noch jegt nidt immer ftreng unterſchieden.) Die 
Clarine 4 der heutigen Drgel erhält etwas engere Menfur als Trompete 8° — 
3. B. Trompete 80 C = 0,46 m Weite, Clarine 4° C = 0,376 m Weite‘) — 
und dient zumächft als Fitllfinme durch ihren hohen, hervorftehenden Ton zur 
Verfdärfung von Trompete 8° und Voſaune 16° im Manual (mo fie in der 
oberften Oftave gewöhnlich repetiert) und Vedal. Außerdem ift fie namentlich fürs 
Pedal noch als Soloſtimme von Wictigteit, da fie fih zum Vortrag eines Cantus 
firmus vorzüglich geſchict erweiſt, wie 3. B. öfters in Sch. Bade Choralvorfpielen, 
wo mit ihr auf dem Pedal der Choral vorgetragen wird, während zwei Manuale, 
das eine 8, das andre 16füßig vegiftriert die Figuration ausführen.’) 


Elaudin, Elaudin Lejeune, vgl. den Art. „Lejeune“. 





amd Hi; ebenfo in der „Choir Organ“ der Kongertorgel der St. Georges Hall zu Liverpoot 
von Willis; ale Clarabella 4‘ in der „Recitativ Organ” der Kongertorgel zu Birmingham 
von William Hil. 

?) Bol. Hoplins und Rimbauft, The Organ, its History and Construction. 189 
1. ©. 131. 

3) Die Orgel der Iatobitiche zu Hamburg, ein älteres großes Wert von 60 I. Sin 
1088—1693 von Arp Sichnitger erbaut, hat nicht weniger ale 6 Stn. im 10-, 8: und 4 Fußton, 
die alle den Namen Trompete führen; Walder, Orgel in Boflon Hat auf dem I. Man. Trom 
pete 4° und daneben ein weicher intonieries Clairon 4, dann auf dem III. Man. Clarine 8° 
and 4°; er hat and) Clarine % im Pedal der Orgel der Stifisfiehe zu Stuttgart. Ladegafi, 
Domorgel in Schwerin, fegt im der IT. Abilg. des Pedals Trompete 3 und 4°; Fr. Saas, 
Kathedrale in Luzern (70 ML, St.) hat neben 3 adtfügigen Trompeten Clatine Wu. 4. 

) Co menfuriert G. Stahlhuh in der Kongertorgel zu Nahen. By. Bödeler, Die 
mene Orgel im Rurjausfanle zu Yaden. 1876. ©. 82. 

3) 2. Granzin, Bemerkungen über Orgelbau. Alg. muf. Zeitg. 1963. &. 342 verlangt 
darum mit Reit, da in Pedal jeder größeren Orgel, die vor allem für die Orgelmerte 
Bade volffändig eingerichtet fein ınuß, ein Clairon 4’ fiehen follte, da dadſelbe in genannter 
Dinficht weder durch Oftav 4, noch aud) durd) einen Cornett zu erfeßen it. 








Elnves, Elaviatur, Clavier. 293 
Elabes, Glaviatur, Elavier. Claves als Pluralform von Clavis, 
Scplüffel, heißen bei den Tafteninftrumenten die Taften, durch deren Anſchlag oder 
Niederdrud der Mechanismus in Bewegung gejegt wird, welder das Crflingen 
des Tones — bei der Orgel durch Offnen der Ventile — bewirkt. Als man 
nad} den planloſen Verſuchen Hucbalds und Guides von Arezzo, eine Notation zu 
erfinden, im 12. Jahrhundert dazu lam, für das ganze damalige Tongebiet von 
20 Tönen, vom T’ (Gamma) oder der vox gravissima bie zum dd oder ee 
superacutum, ein Linienfüftem von JO Linien und 9 Zwiſchenräumen aufzuftellen, 
auf dem Die unterfte Linie für das Gamma, der erfte Zwiſchenraum für das 
A grave, die zweite Linie für das B grave (& mi, unfer H) xc. beitimmt wurde, 
dis auf die oberfte, zehnte Linie das dd superacutum und über diefelbe nad) 
das ee superacutum zu ftehen lam; mannte man alle 20 Tüne dieſes Syftems 
Claves, Voces (d. h. nichts anderes als Töne), und Hob, um das Linienſyſtem 
überfihtliher zu machen, die Claves (Töne) der erften, vierten, ſechsten, adıten 
und zehnten Linie hervor, bezeichnete fie am Anfang des Syſtems mit den fo- 
genannten gregorianiſchen Buchfiaben: 7, F (woraus durch Verſchnörkelung nad und 
nach unfer Baßfhlüffee FE entftand), c, g, dd umd nannte fie cben deswegen 
begeignete | Elaves ( Ti ne), Claves signatae, oder Schlüfjel.") 











Claves | 


Solmifationsfilben. 


















































signatae. 
Y — 
= & 
L »—— dd — Ei 
ec 8:2 | 
big 3 
sa | 
1 g —— — i1-- ut t 
fa ut NE 
-- e- — — = Fi I? | 
d a sl re ® £ | 
ln) —— 0 ut —— | ® 8 | 
| 
| 
& i 
| = 1 
\ Fi = I 
IE 
I 
BE 
Hera- I. n. IT. IV. Vv VI VI 
| dorde. dur. nat. moll. dur. mat. moll. dur.| || 











solum in cantus exordis expresse ponuntur. 


Et ponuntur omnes 


284 Clicquot. 


Von dieſen Schluſſeln kamen in der Folge der unterſte und oberſte (7’ u. dd) 
in Abgang und nur die Drei mittleren find als F-Schlüſſel, C-Sctüffel und 
G-Shlüffel oder Biolinfglüffel auch jegt noch im Gebrauch — Die fünf Sälüfie: 
buchftaben übertrug man dam auch auf die Einteilungepunlte des Monoderd, 
d. h. auf die Stege, taſtenähnliche Holzllöbchen, Bünde, mittelft deren man die 
nötige Schwingungslänge der Saite für die betreffenden Töne beſtimmte; es wurde 
am Monodhord „nad; derfelben Menfur auff yetlihen punkten ain ſchluſſel (Glavis, 
Steg, Tafte) gemacht, der die Sait auff demfelben zile oder punften anſchlagen 
tut") — und daher ftammt der Name Claves für die Taften. — Die Gefamtheit 
der Taſten eines Inftruments (bei der modernen Drgel gewöhntih 54, CP, 
in den Manualen, und 27, C—d! im Pedal?) Heift deffen Claviatur oder 
Taftatur. Die zum Spielen mit den Händen eingerichteten 1-5 Glaviaturen 
der Drgel nennt man Maͤnugle, die I-2 zum Spielen mit den Füßen ein“ 
gerichteten Pedale; als Abkürzung für Claviatur gebraucht man auch den Ausdrud 
Clavier und jagt ftatt: eine Orgel hat 1—5 Manuate, fie Hat 1-5 Claviere, 
oder fehreibt in Orgelfompofitionen flat „I, II. x. Manual”, Clavier I. II. x, 
abgefürzt auch Clav. I. II“, wie dies z. ®. Sch. Bach öfters und aud Mendels— 
fohn in feinen Drgelfonaten Op. 65 tut. — Die fümtlihen Taften eines Manuals 
fiegen anf einem Rahmen, der Claviaturrahmen heißt; ihr vorderer, fihtbarer 
Teil wird von ihrem hinteren durch das quer Über ihre Reihe geftellte Claviatur: 
Brett oder Borjagbrett getrenut. 


Clicquot, Brangois Henri, der bedeutendfte frauzöſiſche Drgelbauer des 
18. Jahrhunderts. Er war 1728 als Sohn eines Drgelbauers zu Paris geboren. 
Sein erftes größeren Werk ftellte er 1760 in der Kirche Saint-Gervais zu Paris 
auf: fünf Iahre darnach baute er in Gemeinfhaft mit Pierre Dallery nad) einander 
die Orgeln in Notre-Dame, Saint-Nicolas-des-chaps, Saint-Mery zu Paris, 
und in der Sainte-Chapelle und der Chapelle royale zu Lerfailles. Nachdem 
ſich beide Gejhäftsteilhaber wieder getrennt hatten, baute El. allein jein größtes 
Orgelwert für die Kirche Saint-Sulpice in Paris, ein Wert von 66 fl. Stn. auf 
5 Dean. u. Bed. Zein letztes Wert mit 50 HM. Stn. baute er 1790 für Poitiers 
zum Breife von 92000 Fris. Clicquot ftarb 1791 zu Paris mit dem Ruhme 





in linea, distantque inter se per quintam, praeter F ab 7 per septimam“ ertlärt 
Heineid} Faber im Compend. musicae, ımd an andrer Stelle: „quid est elavis? Est 
vocis formandae index.“ gl. Allg. mu). Ztg. 1870. & 397. 

9 So erllärt Seh. Birdumg. Muſia geteutfät. 1511 und nad ihm Mi. Präterint, 
Organogr. im Synt, mus. II. &. 60. 

9) Diefer Umſang wurde durch Minifteriafreiteipt vom, 11. Oktober 1870 fir Preußen 
als Norm aufgeftellt; über Manuale und Pedale größeren Umfangs in Werten neueiter Zeit 
dgl. die Art. „Manual“ und „Pedal“, 





Eolerus. Commer. 5 


eines Deifters, defen Zungenftimmen (Bombarden, d. h. Poſaunen, und Trompeten) 
am Fülle und Rundung des Tones unübertroffen in feiner Zeit daftanden. 


Colerus (Köhler), Martin, einer der Tonfeger, welde Johann Riſis geift- 
ie Lieder mit Melodien verfahen. Er war im Jahr 1620 zu Danzig geboren 
und führte von Jugend an ein ziemlid unftätes Yeben. 1660 und 1661 febte er 
in Hamburg, wo ihn Rift unter dem Namen „Mujophilus“ in den Elbſchwan- 
orden aufnahm; 1665 finden wir ihn als Rapellmeifter des Herzogs Auguſt von 
Braunſchweig ·Luneburg zu Wolfenbüttel, einige Jahre jpäter als folden beim Mark: 
grafen von Bayreuth, dann um 1670 beim Herzoge von Holftein. In feinen 
Alter zog er ſich nach Hamburg zurüd, wo er 1703 oder 1704 im hohen Alter 
von 84 Jahren ftarb. Er Hat zu Rifts „Neuen Paſſionandachten“ Hamb. 1664 
An neue Melodien geliefert, von denen 10 in die beiden mit Vorreden von Saubert 
und Feuerlein ericienenen Nürnb. G. B. von 1677 und 1690 Aufnahme fanden, 
ohne ſich jedod) dauernd in kirchlichen Gebraud Halten zu lönnen. — Ein älterer 
srpentonjeger, Valentin Golerus, war um 1550 zu Erfurt geboren und jpüter 
Kantor (Phonascus) zu Sondershaufen. Von einen Kirdentompofitionen werden 
genannt: 


3 Deffen und 3 Magnifitet. Erfurt 1599. — Cantionum sacrarum 
quae vulgo. motettae appellantur 4—8 et pluribus vocibus conein- 
natarum. Libr. I. et I. Urfellis (Urferen?)!) 1604. 4°. 





Eommer, franz, eim auf dem Gebiete der Kirdenmufit durch eigene Kon 
pofitionen, mehr aber noch durd wertvolle Sammlungen alter Werke verdienter 
Mufiter. Er wurde am 23. Januar 1813 zu Köln ale der Sohn eines. Archi- 
telten geboren und erhielt auf dem dortigen Iejuitengymnafium feine Schulbildung. 
Daneben machte er unter des Domfapellmeifters Joſeph Leibl und Bernhard Kleins 
Leitung Mufitftudien und tonnte fhon 1828 eine Organiftenflelle bei den Gar- 
meliteen verfehen, aud als Sänger beim Domchor verwendet werden. 1832 ging 
er behufs weiterer Ausbildung in der Mufit nad Berlin, wo er bei A. W. Bad 
in Drgelfpiel, bei Rungenhagen in der Sompofition ſich vervolltommnete und die 
Borlefungen A. B. Marr' am der Univerfität Hört. Dur A. W. Bade Ler- 
mittlung wurde ihm fpäter die Ordnung und Satafogifierung der Bibliothel des 
Inflituts für Kirhenmufit mit ihren reihen Schägen alter Kirhenmufit übertragen, 
und dieſer Umftand, fowie die Belanntſchaft mit v. Winterjeld, die er dadurch 
ebenfalls machte, wedten in ihm die Neigung zu den mufitalifc:antiquarifhen 
Studien, die in der Folge die Hauptaufgabe feines Lebens wurden und deren wert- 
volle Ergebniffe die unten verzeichneten Sammlungen find. 1844 wurde er zum 





%) Zu diefem Namen des Drudorte, der bei Mendel, Mufil. Konv.-Ler. I. ©. 511 
„Urfel” deſchrieben if, vl. die fonderbare Bemerlung bei Fetis, Biogr. des mus. II. 
der dieſen Ort für Urferen in der Schweiz zu halten geneigt if. 





286 Compenins. 


tönigl. Mufiliveltor, 1845 zum Mitglied der Aademie der Knfte in Berlin 
ernannt: daneben war er Chorregent an der Hedwigstirde, Geſanglehrer an dem 
Gifabethgymnafium, feit 1850 Lehrer und Repetitor an der Theatergefangfhule 
und erhielt fpäter den Titel eines königl. Profeffors. Neuerdings ift er aud ein 
thätiges Mitglied der 1869 gegründeten „Gefellfaft für Mufifforigung“. — Die 
von Gommer edierten Sammlungen find: 

1. Musica sacra. Cantiones XVI, XVII saeculorum praesta- 
tissimas quatuor pluribusque vocibus aceommodatas collegit et 
edidit ... . Sammlung der beften Veeiſterwerte des 16. und 17. dahr- 
Hunderts für 4 bis 8 Stimmen. 0. I für Orgel. IV u. 177 ©. Bol. 
153 Men. 8. il für 2, 3 u. 4 Mftn. 120 ©. 24 Nrn. Bd. III für 
gem. Chor. 106 ©. 15 Pen. Bd. IV für I ft. mit Pi. 25 Nm. — 
2. Selectio modorum ab Orlando di Lasso eompositorum, eontinens 
modos 4, 5, 6, 7 et 8 vocibus coneinendos. Collegit et edi cu- 
ravit. etc. Berol. Trautwein (Bahn). Fol. Bd. I. 110 ©. 6 WMeſſen. 
3. I. 107 &. 16 Ren. 2. IT. 1862. 113 ©. 28 Nen. Bo. IV. 


25 Nm. B. VI. 

0° 2. 39 Nm. vd. VI. 

1867. 108 &. 15 Nrn. bis XI. — 3. Collectio 
operum musicorum batavorum saeculi XVI. Edidit . . . Berot. 
Trautmein (Guttentag). Sol. Tom. I. 982 ©. 10 Nm. €. I. 79 ©. 
SNen. T. I. 86 ©. 9 Rn. T. IV. 81 &. 9 Nm. T. V. Main, 
Sit. 66 &. 16. Ren. T. VI. 77 ©. 13 Nen. T. VI. 85 ©. 12 Rn. 
z. VII. 118 ©. 21. Ren. T. IX. Berl, Trautw. 103 ©. 21 Nm. 
EX. 103 ©. 22 Nm. T. XL. 120 ©. 150 Malen von Clemens 
non papa. T. XII. 129 ©. 32 Ren. — 4. Collection de compositions 
pour POrgue des XVIe, XVIIe et XVIIfe siecles. — Kompofitionen 
für die Orgel ıc. gefammelt und herausgegeben von... . . Sein. 1866. 
D. 9. Geißler. ol. 6 Hefte A 10-21 ©. 5. Cantica sacra. 
Sammlung geitiher Arien für 1 Sopranftimme (für 1 Wafft.) aus dem 
XVL—XVI. Zahıh. Nach den Driginalpartitueen mit Bel. des Pf. ein- 
gerichtet u. Heransgegeben von... Berl. Trautwein (Outtentag). Fol. Bd. I. 
85 ©. 25 Nm. ®. I. 95 ©. 25 Nm. — 6. Geiftliche und weltliche 
Lieder für drei, vier, fünf und ſechs Stimmen aus dem 16. und 17. Iahrh. 
Gefammelt u. Herausgegeben... Berl. Trautwein. Fol. Bon feinen eigenen 
Kompofitionen find hier zu nennen; 1. Bier Meffen Op. 47. 53. 55. 79. — 
2. 10 Hefte andre Kichenftüde Op. 10. 31. 43. 45. 48—51. 54. 69. 
84. — 3. 4 Hefte Motetten Op. 38. 42. 44. 46. — 4. 6 Hefte geifll. 
Lieder für Mftn. Op. 2. 4. 5. 13. 14.28. — 

Eompenius, ift der Name von drei älteren deutſchen Orgelbauern, die 
wahrſcheinlich derfelben Familie angehörten. Heinrich E., der äftefte von ihnen, 
ſchein etwa um 1550 geboren zu fein; er febte zu Nordgaufen als Orgelbauer 
des Furſt· Erzbiſchofs von Magdeburg, wo er 1604 die Orgel im Dom mit 
42 Stimmen (3 Dan. u. Bed.) erbaute. Ein anderes feiner Werte war die 
Orgel im M ofter Riddageshauſen mit 31 Stimmen (3 Man. u. Ped.). Unter 





























Contins, Enneins, Enns, Aunz. 37 


den 52 Sachverſtändigen, die 1596 die berühmte Orgel der Schloßtirche zu Grö- 
ningen zu begutachten Hatten, wird er als der 19. aufgegähft, und ein Werten 
„Chriftliche Harmonia, zu Ehren des new ermehlten Raths des 1572. Jahrs in 
Erfurdt, mit fünf Stimmen componiert” zeigt ihm auch als Komponiften. Bol. 
Draudii, Bibl. class. germ. -- u. Brätorius, Synt. mus. II. &. 172. 179. — 
Sajas E., etwas jlinger als der vorige, foll um 1560 geboren fein und lebte 
am 1600 als fürftl. Braunſchweigiſcher Orgel: und Iuftrunentenmadier, ſowie als 
Organiſt zu Brounſchweig. Er Hat nad Prätorins Synt. mus. li. ©. 140 
ams Jahr 1590 die „Doiflöte" (Doppelflöte) erfunden und zuerft angewendet, auch 
inen Traltat gefchrieben, in melhem „die Abteilungen d. h. Menfuren) des hölzernen 
Bieifeniverts und andre hierher gehörige Dinge fundamentliter und nad) geometrifchen 
Bericpte ausführlich an den Tag gegeben werden.“ Won den von ihm erbauten Orgeln 
nennt Brätorius: „das hölzerne, aber doch jehr Herrliche Orgelwert zu Heilen (2) 
auf dem Schloſſe“ mit 27 Stimmen (2 Dan. u. Pd), 1612 erbaut, dann dem 
König von Dänemark gefchenft und 1616 in der Kirche zu Friedricheburg auf 
gfellt; die große Orgel zu Buceburg mit 48 Stimmen (3 Man. und Bed. 
1615 erbaut; die Orgel der Moripficche zu Halle, 1625 erbaut. — Ludwig C 
der jüngfte, vielleigt der Sohn eines der beiden vorigen, hat nad; Adlung, Mus. 
mech. org. I. S. 225 die Orgel der Predigertirche zu Erfurt erbant und 1649 
aufgeftelt; er Lebte als „Drgelmager" zu Naumburg. 











Contius, Cuncius, Eung, Kunz, der in diefen verſchiedenen Schreibweiſen 
vorkommende Name dreier älterer deutſchen Drgelbauer. Der älteſte derjelben, 
Stephan ung, blühte um 1610 zu Nürnberg, wo er um 1635 ftarh, nachdem 
ex ſich namentlih durch den auferordentlihen Fleiß, mit dem er Reparaturen und 
Verbeſſerungen am älteren Orgelwerfen ausführte, einen Namen gemacht Hatte. — 
Ein zweiter Drgelbauer diefes Namens, Chriftopd Cuncins,!) (ebte um 1700 
zu Halberſtadt; er reparierte 1704 die berühmte Orgel der Schloßlirche zu Gröningen 
und baute IT13—16 die große Orgel der Piebfrauenfirhe zu Halle,?) auf der ſich 
Seb. Bad, noachdem ein Teil derfelben fpielbar gemacht war, im Herbſt 1813 
unter fo großem Beifall als Virtuofe hören ließ, daß man mit ihm wegen Über- 
nahme des Organiftendienftes an dem neuen prächtigen Werke in Unterhandlung 
trat. Er ließ jih nicht für die Stelle gewinnen, dagegen war Wilh. Friedemann 


') So ſchreibt Spitta, Bad I. S. 508 den Namen nad; der eigenhändigen Unterfärift 
Co, während Gerber, N, Ger. i. S. 775 nah Werdweiltr, Org. Gruning. rediv. 1 
&t. IIIb und fung, Mus. mech. org. I. &. 239 „Contins“ Sat. 

?} Sie hatte nad) dem noch Handfhriftfih vorhandenen Dispofitions-Eutwurf des Cuncins 
63 11. Stn. auf 3 Man. u. Bed. umd mar eine der größten Orgeln in Deutfäiland. Bat. 
Alung, Mus. mech. org. I. ©. 230. Sitte, a. a. D. I. &, 516. Chrujander, Dändel, 
1 Derf., Jahrb für Mufitwifienfh. II. S. 258 ff. 








288 Eontrabaß — Eornopran. 


Bad 174764 an dem Werke angeftellt. Als diefes an Dftern 1716 vollendet 
war, wurde Bach mit Kuhnau in Leipzig und Chr. Fr. Rolle in Ouedlinburg zur 
Prüfung desfelben berufen, und die drei Sadverfländigen ftellten ein für den 
Orgelbauer Cuncius ſehr ehrenvolles Gutachten aus. — Ob Heinrid Andreas 
Contius, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts als privilegierter Orgelbauer 
in Halle lebte, zu dem vorigen in verwandtſchaftlichen Beziehungen ftand, ift zwar 
nicht feftgeftellt, doch ift anzunehmen, daß er wahrſcheinlich fein Sohn war. Er 
baute außer mehreren Orgeln in Halleſchen Kirchen (3. B. in Giebicenftein 1743 
eine Orgel mit 22 Stn., in Glaucha 1755 eine folge mit 25 Stn.) 1760 ein 
„herrliches Drgehverf" zu Riga.) 


Contrabaßz. Pedalſtimme der Orgel; vgl. im Art. „Subbaß“. 





Cor anglais, Englifd Horn, eine Zungenſtimme der Orgel mit oboenartiger 
Einrichtung, freiſchwingenden (durchſchlagenden) Zungen und Sfühiger Tongröge. 
Diefe Stimme wird hauptſächlich von franzöſiſchen Orgelbauern angewendet und 
findet fih in allen namhaften Werten derielben,*) während fie in Deutſchland nur 
ganz ausnahmsweiſe vorkommt. Lie foll ein in der erſten Hälfte des 18. Iahrh. 
beliebtes Holgblasinftrument aus der Gattung der Oboe, die Oboe da caccia, 
(betanntlich im Orcheſter Seb. Bachs als Altſtimme des Oboenchores und mehr 
noch als Soloinſtrument öfters verwendet) nachahmen. 


Cornet d’Echo, Cornet sEpar6 heißt bei äfteren, namentlich franzöſiſchen 
Drgelbauern ein im Hintergrund der Orgel aufgeftellter und in einen Echolaſten 
eingefchloffener Gornett, der als Ehomwert gebraucht, bei geſchloſſenem Kaften die 
Wirtung eines in weiter ferne erffingenden vollen Wertes macht. Nad einer 
Bemerfung bei Adlung, Mus. mech. org. I. S. 83 war der Kaflen diefes Cor 
netts meift mit einem Dahfhweller (ugl. den Art.) verfehen. Da jedod ein 
folder Cornett eine eigene Glavintur, eigenen Mehaniemus und eine befondere 
Windlade braucht, iſt er ziemlich foftfpielig und findet ſich deshalb nicht gerade 
häufig. Ein „Eho Cornett 4 Chor“ ſteht z. B. im Obermanual der berühmten 
Orgel zu Harlem von Chriſtian Müller 173 . 





Gornopean, eine Zungenftimme in größeren engliſchen Orgelwerlen, die mit 
8 Fußten im Manual (3. B. in Henry Wilis Orgel der Royal Albert Hall zu 
Konden mit 111 M. Stn. im Echowert oder „Smweil“, III. Man.) geiept wird. 
Sie Hat auffhlagende Zungen und weitmenfurierte Schallbecher von Binn oder 


') Val. Gerber, Neues Ler. 1. ©. 770. Derf., Altes Ler. Anh. S. 17. 

#) Und zwar neuerdings ſowohl durciclagend als auficlagend. al. vin, La Facture 
moderne. 1880. &. 21. Anın. 2: „les prineipaux jeux A anches libres sont: 
Veuphone, le thöorbe, la clarinette ct le cor anglais,“ aber „on fait aussi maintenant 
les jenx de cor anglais et de clarinette & anches battantes.“ 


3. Conrtain. A. Cramer. 5. Cranz (Crantins). 285 


Metall, und iſt eine Modifitation der von den engliſchen Orgelbauern unter dem 
deutfhen Namen Horn (vgl. den Art.) gebauten Zungenſtiumme. Diefe erhält 
behufs Hervorbeingung des Horntons ſehr weite Menſur und Gornoptan wird nur 
um weniges enger menfuriert, aber weicher intoniert und ift daher an Tondjarafter 
war noch runder und voller als eine Bfüßige Trompete, aber weider als das Horn.!) 


Courtain, Iatob, ein Orgelbauer, deffen Arbeiten Abt Vogler das Non plus 
ultra der Orgelbaukunft nannte; er ſtammte aus Frankreich und lebte anfangs zu 
Eimmerid), dann 1790 zu Burg-Steinfurt und 1793 zu Oldenburg. Seine 
bedeutendften Werke find: die 1790 aufgeftellte Drgel im Dom zu Osnabrüd 
mit 41 Stimmen (3 Man. u. Ped. vgl. Muſit. Korreip. 1791. S. 107) und 
die 1800 aufgeftellte Orgel im Dom zu Ofdenburg. 


Gramer, Kaſpar, aus Themar gebürtig, war 1641 Konreltor der Schule 
zu Langenſatza („Scholae Salz. Conrect.“), fpäter Rettor in Muhlhauſen. Bon 
im erjchien⸗ 

„Animae sauciatae medela“. Das ift: Kräfftiges Labſal einer betrübten 

Seele‘. . . gefeget von Casparo Cramero, Then: Fr. Scholae Salz. 


Conreet. Erffurdt 1641. — Hier findet fi eine von ihm erfundene Deelodie 
zu dem Liede „Ah bleib mit deiner Omade“, die im Driginal Heift: 


nee 


A, bleib mit dei» mer Gnarde ki ung, Herr Je fu Chriſt, daß uns Hin-fort 


















































— 


e— FE — == 
nicht ſcha · de 35 » fen Fein / des Lif. 


Sie ging ins Cant. sacr. Goth. II. 1647. 2. Ausg. 1655 über, iſt dort 
mit „Wut. mel. Kaſpar Cramer“ bezeichnet — vgl. Zahn, Euterpe 1878. ©. 171 — 
und hat ſich bis Heute erhalten. gl. Stöel, Ch.B. 1744. Nr. 110. Kocher, 
Bionsharje. I. 1855. Jatob und Rider, Ch-®. II. Nr. 465 u. 1822. — 
Mendel, Duf. Konv. er. III. S. 521 ſchreibt dieſe Melodie irrtümlich dem 
100 Jahre früheren Hermann Find (vgl. den Art.) zu. 


Granz (Grantius) Heinrich, einer der frügeften deutſchen Orgelbauer, deren 
Andenten fih noch erhaiten Hat. Er baute 1499 die große Orgel zu Santt 
Blaſien in Braunfgweig, wie die an derſelben befindliche Infhrift: Quisquis opus 
spectas, Henricus Crantius atque Gudenbergensis Hasso magister erat — 
bezeugte. Vol. Prätorins, Synt. mus. II. ©. 111. 

) &gt. Hopkins and Rimbault, The Organ. II. S. 144. Nr. 643: „tin or metal 
pipes of nearly the same scale as the Horn, but of a different style of volcing. 
Its tone is more sonorous than the Trumpet, and smoother, though scarsely so 
powerful, as that of the Horn.“ 

Rümmerte, Enchfl. d. eang. Rirdenmuft. L 19 




















290 Erescendo. 


Grescendo — Vorrichtungen der Orgel. Die llaſſiſche deutſche Orgeltunft 
Hat den ihr eigenen Orgelftil auf der Grundlage ausgebildet, die in der durd die 
atuftij-mehanifde Einrichtung der Orgel bedingten Natur des Drgeltones gegeben 
iſt. Diefer aber ſchließt ftreng genommen in feiner ruhigftrömenden Gleichmäßigkeit 
ſchon als Gejamtton jeden raſcheren Wechſel der Stürtegrade aus, und geftattet 
ebenfowenig eine innere Veränderung, eine dynamifde Schattierung des einzelnen 
Tones. Nur durch die Kunft der Negiftermifhung fügt ſich der Orgel je nad 
Maßgabe der Größe umd Dispofition eines gegebenen Wertes eine mehr oder 
weniger reihe Stala von Tonfarben abgewinnen. Auf die Kunft der Kegifteierung 
Haben ſich auch die klaſſiſchen Meifter des Drgelipiels durchaus beſchräutt; fie haben 
fie in hoher Vollendung zu üben gewußt‘) und fie genügt auch volltommen für 
den in erfier Linie ſtehenden kirchlichen Beruf der Orgel, der alles Streben 
nad) äußerlich-naturaliſtiſchen Effelten ausſchließt. Bezeichnend genug beginnt erit 
mit dem Niedergang der klaſſiſchen Orgeltunft in der zweiten Hälfte des vorigen 
Iahrhunderts das Suchen nah medanifhen Vorrichtungen, durch welde „Die 
Starrheit des Orgeltones gebrochen“ und derfelbe zu einen Erescendo und Decres- 
cendo befähigt werden follte, den Orgelbau Iebhafter zu beihäftigen. Die ültefte 
diefer Vorrichtungen ift der Echoka ſten (vgl. die Art. „Cornet d’Echo“ und 
Echowert“), den der englifhe Orgelbauer Jordan 1712 im der Orgel der 
St. Magnustirche zu London (London Bridge) zuerft amvandte.?) Er hat ſich 
als die einfahfte bis auf unfre Zeit erhaften und wird für einzelne Abteilungen 
größerer Orgeiwerle allgemein verwendet, ohme jedoch mehr als ein Näher. oder 
Entfernterklingen des Geſamttones der von ihm eingeſchloſſenen Negifter zu bewirken. -— 
Weitere Vorrichtungen, die in der Folge erfunden wurden, bezwecten nun aber aud) 
ein wirlliches inneres Crescendo und Derrescendo, durch veränderndes Eingreifen 
in den tomerregenden Luftftrom des Hauptlanafs und der Windlade, oder gar in 
die tönende Luftſäule der einzelnen Pfeife ſelbſt. Schon der erfinderifhe Organift 
Schröter zu Nordhaufen, ein Zeitgenoffe Seh. Bachs, erdachte eine folge, nad der 
mittelft gradweiſe tieferen Niederdrüdens der Taften mehrere übereinanderliegende 
und umtereinander verbundene Spielventile nad) und nad geöffnet und fo der 
Windzufluß in die Cancelle reichlicher wurde”) Sie mar jedoch, abgefehen von 
andern Mifftänden ſchon deshalb unpraktifc, weil fie die Freiheit des Spielers in 
empfindficfter Weife beeinträhtigte. — Der etwas fpätere Abt Vogler, der zur 
Ausführung feiner Charlatanerien auf der Drgel das Bedürfnis folder Vorrich- 

1) Dan vgl. 5. B. Über die Negiftrierungstunft eines Seh. Bach Mizler, Mufit. Bibliott. 
IV. 1. &. 172. Fortel, Bachs Leben. 1802. S. 20 umd Spitta, Bach L ©. 393- 397. 

9) Schon Mattfejon, Critica musica. 1722, II, &. 160 weiß, Gierüber zu beriditen; 
val. auch Grove, Diktion. IL. ©. 596. 

3) Bl, die näheren Mitteilungen über diefe Vorrichtung bei Adlung, Anleitg. zur Mufit. 
Gelageth, 1758. ©. 505-507. Digler, Auf. Bibt. B. ILS, 677 mit Zeichnung. 








Crescends. 291 


tungen beſonders empfinden mußte, erfand den Windſchweller oder Gaze- 
i6weller, der aus einem oder mehreren mit fehe enghewobener Gaze ganz oder 
teibweife Übergogenen Rahmen befland, die im Houpitanal angebracht waren und 
mittelft eines Fußtrittes Über dem Pedal herabgezogen und wieder hinaufgeſchoben 
werden tonmten, fo dab fie den durchftrmenden Wind weſenlich modifizierten.“ 
‚Die Wirkung auf den Ton der Orgel war der gleich, als wenn man einem 
Tingenden den Hals nad und nad) zuſchnurt und es ihm allmählich immer 
mehr und mehr an Luft fehlt.”") Einen Kompreffionsfhweller führte der 
durch Erfindung mehrerer mehanifcer Mufilinftenmente bekannte Friedrich Kaufmann 
in Dresden ein. Derfelbe beſiand aus einem Meinen Hüfsbalg, der durd eine 
mittelt Negifterzuges beliebig zu handhabende Drudfeder fo zufanmengebrüdt werden 
konnte, Daß er Wind von um 1 Grade verflärfender und bis zu 3 Graden ab- 
nemender Kraft den Pfeifen zufüßete.?) Diefer Schweller wird mehr oder weniger 
modifiziert noch Heute als befondere Crescendovorrihtung für die unter dem Namen 
Vigsgarmonifa befannte Zungenftimme der Orgel (3.8. von Walder) angeivendet.?) — 
Ale dieſe Vorriätungen aber, foweit fie auf Veränderung des Windzufluffes oder 
der ſchwingenden Quftfäule bafieren, zeigen den gemeinfomen Mißſtand, daß fie die 
Tonhöhe der Pfeifen, auf die fie wirken, alterieren. Daher machten fie von Anfang 
am weitere Vorrichtungen nötig, die man mit dem Namen Kompenfations- 
vorrigtungen bezeichnet, und die den Zive hatten, die Alterationen der Ton 
Höhe zu Heben.) — Der genannte gemeinfome Fehler al diefer Crescendovorrichtungen 
genügte, auch abgeſehen von dem jeder einzelnen derſelben anhaftenden befondern 
Mangel, ihre allgemeinere Amvendung zu hindern. Der Orgelbau iſt daher bis 
Beute im mefentlichen bei den Vorrichtungen geblieben, die ein Grescendo und De- 
auscendo durch die äufere Vermehrung oder Verminderung der Tonmaffe mittelft 
Anziehens und Abftogens von Negiflern bewirfen. Diefe aber hat er namentlich in 
menefter Zeit auf eine Hohe Stufe der Volltommenheit zu heben gewußt. Während 


9) Bal. näheres bei Schilling, Univerjaf:Ler. der Tont. II. &. 329, wo dieſe Wirkung 
auf den Hörer noch weiter als geradezu „Ängftigend“ Karakterifiert wird. 

9) Eine genaue Veſchreibung diefes Schwellers bringt die lg. mufil. Zeitg. Leipzig. 
dahrg 1829. ©. 21. 

3) Noch einen weiteren Gierher gehörigen Meanimus, den der engliſche Drgelbauer 
Varler 1844 erfand, beſchteibt Töpfer, Orgelbaufunft. S. 856-870 und bildet ihm in Fig. 708 
96. — Ein früßerer Sezüglicer Verſuch der Gebrüder Girard in Paris baflert im welentligen 
darauf, Die fhmingende Quftfänle in der Pfeife zu verlängern oder zu verlüirgen, ohne dadurch 
die Tonhöhe zu verändern. 

+) AS folhe werden genannt: eine Art Saloufeſchweller, ferner eine Öffnung an der 
Sefenmündung, Die belichig geöffnet oder gedecft werden Tann; diefe beiden wendete Friedrich 
Kaufmann an, vgl. Schiling, a. a. O. II. ©. 330. Andere Kompenfationsvorrichtungen 
fälugen vor: Gottfe. Weber, Mufitzeitfär. Cäcilie (Main, Scott). vd. XL. S. 303 und 
Ft. Wilfe, ebendaf. Bd. XVI. ©. 65. 

19* 


292 Eromorne, Cormorne. J. Crüger. 


man bis tief ins gegenwärtige Jahrhundert hinein die Regiftrierung nur einzeln 
und mit der Hand, oder mittelft wenig genügender Koppelungen!) bewerfftelligen 
Tonnte, Hat man jegt eine ganze Reihe neuer Einrichtungen, mittelft deren die Re: 
gifter einzeln oder in entfpregend zufammengeftellten Gruppen durch Züge oder 
Tritte zur Anſprache oder zum Schweigen gebracht werden, und ein Erescendo und 
Deerescendo verfhiedenften Grades der Stärke zu erzielen ift, ohne daß dabei die 
Freiheit des Spieles wefentlic beeinträchtigt würde. Die wichtigſten diefer Neu- 
einrihtungen, die namentlich dem kirchlichen Orgelfpiel volftändig genügende Mittel 
zur Ausführung jeglicher Yunfte und ftilgemägen Intention zur Verfügung ftellen, 
jollen in den Artiteln „Koppel“, „Oftavfoppel*“, „Kollektivzüge und »tritte*, „KRom- 
binationszüge und -tritte”, „Nolfäteller, Walze” und „Transmiffen” näher 
beſchrieben werden. 


Cromorne, Eormorne bei franzöfiihen, Gremonn?) bei englifhen Orgel 
Bauern Heißt eine Zungenſtimme der Orgel, die aus dem älteſten Schnarrwerte der 
deutihen DOrgelbauer, dem Krummhorn, heransgebildet wırde und mit der 
modernen Klorinette 8° verwandt ift.) Näheres über diefelbe vgl. im Art. 
Krummhorn“. 


Grüger, Iohann,‘) Kantor und Mufildireitor an der Nitolaitirche zu Verlin, 
der nicht weniger als 71 Chorafmelodieen erfunden Hat, von denen 18 Eigentum 
der ganen evangelfgen Mirde Deutſchlands geworden find, dem deswegen Lang- 
becer mit Reit eine der erflen Stellen unter den geiffihen Sängern der Kirche 


1) Hier if noch ein Koppelſchweller zu ermäßnen, den der Orgelbauer Moreau in 
der 17391730 von ihm gebauten großen Orgel (52 M. Ctn.) der Yohannisticce zu Gonde 
in Holland anbradte und der fo wirkte, daß die Stimmen der geloppelten Manwale beim 
tieferen Riederdrüden der Taften des Hauptmanuals nad; und nad anfpragen, was freilich, 
nur ein euchweifes Anſchwellen ergab und die Freiheit des Spiels beeinträdtigte. al. Heß, 
Drgelbiep. 1774. ©. 174-176. Gerber, N. er. II. S. 469470, v. Dommer, Muf. fer. 
1865. ©. 224. 

2) Bot. Haotins, Hist. of Music. IL. ©. 245. Anm. „The tone of the Krammhorn 
originally resembled that of a small Cornet, though many organ-makers hare 
eorrupted the word into Cremona, supposing it to be an imitation of the Cremona 
Violin.« 

®) 8gl. Ply, La Facture moderne. 1880. &. 291. „La Clarinette & anches 
battantes n’est qu’un Cromorne perfectionnd.“ 

+) Name umd Geburtsort Crügers werden fehr verfieden geſchrieben, obwohl nad) 
Fr. W. Rod, Euterpe 1806. S. 78 die obenflehende Säreibweife Geider die allein richtige iR. 
Rad; Gerber, N. Yer. I. S. 828 findet ſih auf einer Ausg. der Pr. P. M. 1680 der Rame 
Iof. arnger gefhrieben; bei Shiling, Fer. II. &. 337 ift Er. in Guben geboren. bei Fetie, 
Bioge. II. ©. 398 in „Groß-®reefie, prs de Guben, dans le Brandebourg;“ od, 
Geil. des Kt. IV. ©. 99 färeibt „Großbrenfen“ umd feloft Langbeder, Joh Erügers 
Shoralmel. 1835. ©. 3 „Groß&reefe‘, worin ifm noch Dommer, Alg. dentfee Biogr. IV. 
©. 623 folgt. 














3. Crüger. 293 


nädhft Luther anweiſt. — Er war am 9. April (Balmfonntag) 1598 in dem Dorfe 
Groß = Breefen bei Guben in der Niederlaufig geboren und der Sohn Georg 
Grügers, eines begüterten Bürgers zu Guben und Befiger des Kruges (Wirtshaufee) 
zu Groß-Breefen, und der ſchönen Ufrite (Ulhen) Kohlheim, der nachgelaſſenen 
Tochter des Pfarrers Nilolaus Kohlheim daſelbſt. Bis zu feinem 15. Jahre 
beſuchte er die Schule zu Guben, ging dann nad Sorau und kurze Zeit daranf 
nad Breslau. Als fahrender Schüler wanderte er von da nad Olmüg, fegte 
im dortigen SIefnitentollegium feine Studien fort und beſuchte darauf ein Dahr lang 
die Poetenſchule zu Regensburg. Cine größere Reife, die er nun unternahm, führte 
ihm durch Oſtreich nad; Ungarn, wo er fid einige Zeit in Presburg aufhielt, dann 
durch Böhmen und Mähren nad Freiberg in Meißen, und von da 1615 zum 
erftenmal nad Berlin. Hier übernahm er im Haufe des churfürſtl. Hauptmanns 
Shriftoph v. Blumenthal die Stelle eines Informators, begab fih aber ſchon nach 
einem Jahr auf eine neue Schulwanderung, von welcher ex, nachdem er feinen Zived 
erreicht glaubte, in feine frühere Stellung nach Berlin jurüdkehrte. 1620 bezog 
er die Umiverfität Wittenberg, um Theologie zu fudieren; daneben trieb er eifrig 
Muſit und erlangte ſchon als Student durch die Herausgabe feiner Medit. music. 
Paradisus prim. 1622 einen folhen Ruf, daß, als in felben Iahre die Kantor- 
ftelle an St. Nitofai zu Berlin erledigt wurde, der Magiftrat ihm auf dieſelbe 
berief. Am 1. Sonntag nad; Trinitatis 1622 trat er fein Amt an, im weldem 
ex fo Bedeutendes für den evangelifdien Kirhengefang wirken follte, Am 3. Aug. 
1628 verheiratete er fih mit der Witwe des Ratsverwandten Aſchenbrunner zu 
Berlin, Maria Beling, einer Tohter des Bürgermeifters zu Bernau; und als fie, 
nochdem fie ihm fünf Kinder geſchentt Hatte, 1636 ſiarb, ſchloß er am 3. Sonntag 
nad Epiphantas 1637 eine zweite Ehe mit Eliſabeth Schmidt, der Toter eines 
Berliner Gaftwirts, die ihm mod 14 Kinder gebar, von denen jedoch die meiften 
früße ftarben. Allein alle diefe ſchmerzlichen Erfahrungen und ſelbſt die Schrectniffe 
des 3Ojührigen Kriegs, die, als fie über Berlin hereinbrachen, auch ihm mande 
Drangjale braten, vermodten ihm nicht zu beugen, oder jein Herz zu hrechen. 
Der Herr war feine Zuverficht, und feinen Troft fand er im Worte Gottes, das 
er nach feinem eigenen Bekenntnis in der Dedilation feiner Psalmodia sacra 1658 
über alles hochſchätzte. Vierzig Jahre lang wartete er treu feines Amtes an der 
Nitofaitirge — am der meben ihm auch Paulus Gerhardt 5 Jahre (1657—1662) 
als Dialonus angeftelt war — und am Gymnaſium zum grauen Kloſter, dann 
tief ihm der Herr am 23. Februar 1662 Heim,!) um im höhern Chor dem Yamme 
Gottes, das erwürget ift für der Welt Sünde, Loblieder zu fingen. Am 2, März 





Nadrichten über Erügers Leben und Wirken finden fih in folgenden Schriften: Müller 
n. Küfler, Altes und Neues. Berl. 1756. ©. 968 fi. — Langbeder, a, a. D. S. 3—20. — 
Fr. Filib, Zur Grinnerung an Johann Crüger. Cacilia. 8, 21. S. 211 f. — Bachmann, 
Zur Gefätäte der Berl, G. BB. 1866. — Derf, Paul Gerhardt. 1869. 8%. 


294 3. Erüger. 


wurde er in der Nikolaitirche beigeſett, ohne daß die Stelle, wo feine Gebeine 
ruhen, jegt noch genau bezeichnet werden Könnte. Sein von feinem Schwiegerſohn, 
dem Gurfürftt. Hofmaler Hirt, in Ol gemaltes Bildnis mit mehreren Inſchriften ift 
mod; Heute in der Nitofaificche zu fehen. — Schon von feinen Zeitgenoſſen als 
Muſiler anerfannt und hocgeaditet,") ift die volle Erkenntnis der Bedeutung Erügers 
für den evangefifcjen Kirdengefang doch erft der neueren Zeit möglich geworden. 
Er fteht mit allen feinen Sunftgenofien der Zeit von 1600-1650 auf der Grenze 
ſcheide zwiſchen dem alten kontrapunltiſchen und dem neuen fonzertierenden Mufitftil, 
Wwiſchen der abfterbenden alten und der meuauffeimenden modernen Tonalität. Seine 
Hauptbedeutung hat er als Sänger oder Erfinder neuer, ſchöner Kirchenmielodieen 
erlangt. Zwar fteht ihm als ſolchem die frühere Kraft des Tonganges und die 
Mannigfaltigleit des voilstümlichen Rhythmus nicht mehr zu Gebote, aber er weiß 
diefen Abgang durch reichſließende melodifhe Erfindung und treffende Auffaſſung 
des Dihterwortes zu erfegen. Seine Melodien find wirkliche Kirdenmelodieen, 
die mit lirchlicher Würde Iebensvole Friſche und Klarheit verbinden, und Die wie 
fie aus der Tiefe eines glaubenswarmen, im Feuer der Trübjal geläuterten Herzens 
und Gemütes gefloffen find, jo auch wieder zum Herzen des deutſchen Volles zu 
dringen vermochten, wie fie es nachmals gethan und bis heute noch thun. Als 
Sohn einer Übergangszeit fingt er dieſe Melodieen ihrem kleineren Teile nad noch 
in alter, dod nicht mehr rein erhaltener Tonafität, ihrem größern nad) aber in 
neuer und zwar in diefer mit Vorliebe in Moll, als der Tonart, die feinem eigenen 
weich geftinmten Gemüte wie der ernften Stimmung feiner drangvollen, unglüd- 
lichen Zeit am meiften zufagen mußte. — Minder Hervorragend erſcheint Cruger 
ats Tonfeger oder Kontrapunttift fowohl in der harmonifcen Ausgeftaltung feiner 
eigenen, als älterer Melodien. Schon der Umftand, daß er feine Dielodieen allein 
und nicht im Zuſammenhang mit dem Tonfa erfindet, den er ihnen immer erſt 
nachher in den nad) feinen Geſangbüchern erfgeinenden Chorbiichern beigiebt, zeigt 
feine veränderte Stellung zu der früheren Weile. Hauptfählih unter Joh. Herm. 
Sqheins und Calvifins Einfluß Rehend, fept er den Choral einfach, meift nur für 
vier Stimmen, Note gegen Note, und nicht einmal die Cadenzen mehr zeigen irgend 
welche Erinnerung an den alten Greiteren Motettenftil. Im feiner Begleitung, die 
meift aus zwei Biolinen und vier Poſaunen befteht, läßt er die bei andern deliebte 
Weiſe der Bor-, Zwilhen- und Nachſpiele falen und dagegen den Gefang ganz 
begleiten. — Die von Joh. Griger herausgegebenen G-BB. find: 

„Newes vollkömliches Gefangbud Augſpurgiſcher Con- 
feffion, x. Berlin 1640. ft. 8°. XXVIS. Titel, Widmung. 2 Regifter 
und 630 ©. mit 248 Liedern und 137 Melodien mit beziffertem Baß, 
von denen 18 ihm als Erfinder zugehören, wie das Buch durdgehends etwas 








?) So 5. 8. in einer Rede des Rektors Heinzelmann am Grauen Kofler 1667, bei 
Joh. Frand, Iod. Heliton. Guben 1674. S. 189 {. Bol. bei Langbeder, a. a. D. ©. 6. 7. 


3. Erüger. 295 


umftändfid mit „auff folgende Melodin Iof. Crüg." oder in ähnlicher Weife 
Hervorhebt. Diefem Gemeindegefangbud) geht ein Choralbud) für die Schüler 
zur Ceite, das 1641 in vier Stimmen gedrudt wurde. — Praxis pie- 
tatis melica!) d. i. Übung der Gottjeligfeit in hriftfigen und troftreichen 
Gefängen :c. Berlin 1644. 2. Ausg. 1647. Diefe beiden erften Ausgaben 
find is jegt nicht wieder aufgefunden worden, erft die dritte von 1648 ift 
vorhanden. Cie enthält 387 Lieder mit 170 Melodien, unter denen 45 
meue Melodien fih finden, deren 16 Grüger als Erfinder angehören und 
außerdem 3 weitere von ihm älteren Melodien nachgebildet find, ohne daß 
jedoch feine Autorfchaft bei einer diefer Melodien bezeugt wäre. Hier finden 
ich Die erften Fieder Paul Gerhardt mit mehrfad neuen Tomveifen Crügers, 
ferner mehrere der Melodien Schops zu Rift „Himmiifden Liedern“ von 
1641. und 1642 vom Grüger mehr oder weniger erheblich umgenrbeitet, 
endlich einige Lieder Joh. Hermanns, mit neuen Crügerihen Weifen. Diefes 
Bud wurde in vielen Auflagen und Nahdruden verbreitet: 1650, 1651 und 
1652 erfhienen neue Abdrüücte, 1653 eine neue Auflage, erweitert und vers 
beffert, doch find dieſe alle noch nicht wieder aufgefunden. Erft die Ausgabe 
von 1656 ift wieder befannt und enthält zu 503 Liedern 209 Melodien, 
unter denen 13 mit „I. C.” als Grüger angehörend bezeichnet find. ud 
fie erfien 1659 und 1660 im weiteren nicht vorhandenen Abdrliden, denen 
1661 ala „Editio X" die lebte von Grüger felbft nad beforgte Ausgabe 
folgte: fie bringt noch 3 neue Liedweilen des Sängers mit „I. E." bezeichnet, 
Noch 1733 erfcien die 43. Aufl, der Pr. P. M. mit 1316 Sieden. — 
Als Chorbud, mit vierftimmig gejegten Mefodieen, zur Pr. P. M. erfdien 
dann: Geiftlige Kirgen-Melodieen x. in 4 Bolal und 2 Inftru- 
mental-Stimmen . . . überfeget x. Berlin 1649. 4°, mit 161 Melodien, 
von denen 149 ſchon in Pr. P. M. von 1648 fid finden, 11 neu erfheinen, 
deren 3 zu Liedern Joh. Frands Crüger als Erfinder angehören — Als 
Mitarbeiter erfeint Crüger darauf bei dem Rungeihen G.-®. der Ne 
jormierten: Geiftlihe Lieder und Pfalmen... mit ihren notwendigen 
Melodien verfehen. Zu Berlin, Gedrudt und verlegt von Chriftoff Runge, 
Im 1653. Iahre.“ 8°. Diefes Buch giebt unter Weglajfung der zu älteren 
Liedern gehörigen, belonnten Melodien, zu 375 Liedern 92 Melodien, von 
denen 60 bereits Pr. P. M. in von 1648 ftehen, 18 neuerfundene Weifen 
Iod. Erügers find und die Berihmung „I. GC." oder „I. Cr.” tragen, im 
ganzen aber 37 Melodien, die teifweile anonym in früheren Werfen erihienen 
waren, Hier urkundlich beglaubigt find, — Diefen folgte dann noch das ſo— 
genannte Märkifhe G-B., vorzugemeie für die reformierte Domgemeinde 
in Berlin beftimmt, in zwei Teilen: Psalmodia sacra, das ift: des 
Königes und Propheten Davids Geiftreihe Palmen . . . auf eine gang neue 
umd vor niemals hervorgefommene Art mit 4 Bofal- und (pro Complemento) 
3 Infteumental » Stimmen, nebenft dem Basso Continuo auffgefeget zc. 
Berlin 1658. 8°. als erfter Teil gewöhnlich vorgebunden dem eigentlichen 
8, . . Beiftlide Lieder und Pfalmen x. Im 4 DBolal- und 


+) Nath Speners Angabe in der Vorr. zur 20. Yufl. 1703 der Pr. P. M. Gat Grüger 
den Titel derfelben dem fehr verbreiteten Erbanungebude des englifchen viſchefs Ludnig Bayle 
{# 1032) „Praxis pietatis“ entiehnt. 








296 3. Crüger. 


3 Inftrument-Stimmen überfeget. . Berlin 1657. 8°. Dies ganze Bud 
enthäft zu 319 Sieden 184 Melodien mit vierftimmigen Tonfügen, wovon 
93 der bedeutenderen Weifen mit der auf dem Titel angegebenen Inftrumen- 
tierung, adt mit fünfftimmiget, vier mit vierftimmiger Pofaunenbegleitung 
verfehen find. — Als Gefamtthätigteit Johann Crügers auf dem Gebiete des 
Wwangeliſchen Kirchengeſanges ergiebt fih nad L. Bodes Unterfuhung,‘) dag 
von demfelben „auf Grund hinreichender äußerer Begeugung 71 neuerfundene, 
8 oder 7 umgenrbeitete Melodien herrühren; daß aus andern Gründen 
5 neu erfundene und 20 oder 21 umgenrbeitete Singweifen ihm zugeihricben 
werden Tönnen, und daß endlich auch die Entftehung mehrerer is) in feinen 
Gefangbügdern zuerft erſcheinender Tonweifen von feiner Hand nidt ganz 
ummahrfeeinlich ift.” Dies ergiebt unter 122 Singweifen: 

1640. 1648. 1649. 1653. 1656. 1657. 1661. zufammen 





1. nen erfundene, 


burg — in den Monateh. für Muſitgeſch 1873. 


a) laut äußerer Begeugung: 
b) aus andern Gründen: 
. Umarbeitungen. 





18 16 318 13 — 3=7 
1- —- 1 1 1 1= 


a) laut äußerer Begeugung: Bd — — — — —-8M 
b) aus andern Orinden: 6 2W— 1 2 8 1=20@1) 
3.beiihmäuertauftretende: 3 3 2 4 4=18 









insgefamt: 33(32) 2425) 3 22 18 13 9 =122. 
Bon diefen Melodien find die nacftehend aufgeführten 18 Nrn. von uns 
in befondern Artifein behandelt; diefelben haben fi mehr oder weniger all- 
gemein im Kirchengebrauch erhalten und die 10 mit * bezeichneten find 
Eigentum der ganzen Kirdje geworden: 
Nun jauczet all, ihr Frommen. 1640. 
* Herzliebfter Iefu, was haft du verbroden. 1640. 
Bon Gott will id nit laffen. 1640. 
Zion klagt mit Angft und Schmerzen. 1640. 
Auf auf, mein Her, mit Freuden. 1648. 
"Nun dantet alle Gott. 1648. 
Nicht fo traurig, nicht fo fehr. 1648. 
DO wie felig feid ihr doch, ihr Frommen. 1648. 
* Here, ih Habe mißgehandelt. 1649. 
* Schmüde dic, 0 liebe Seele. 1649. 
Du, o [hönes Weltgebände. 1649. 
* Zeud) ein zu deinen Thoren. 1653. 
Brunnquell aller Güter. 1653. 
* Schwing did auf zu deinem Gott. 1653. 
* Fröhlich fol mein Herze fpringen. 1656. 
“Nun danket all und bringet Ehr. 1656. 
* Iefu meine Freude. 1656. 
* Jefug meine Zuverfiht. 1653. 1656. 


') Bol. „Die Kirchenmelodieen Johann Cr 





“. Bon Seminarlehrer Bode in Lüne- 
57—80 und 65—88, wo dur, gründliche 





Nacteifungen die feitherigen Irrtümer namentlich v. Winterfelds befeitigt find und das oben- 
ftehende Refultat gewonnen ift, 


Eurrende. 297 


Eurrende (vom latein. currere, laufen), ein Gefangder, der aus ärmeren 
Schülern der oberen Schulllaſſen gebildet wurde und an gewiffen Wochentagen 
morgen oder abends unter der Anführung eines Präfekten in den Straßen um- 
herzog umd geiftliche Lieder und Motetten fang, wofür Heine Geldfpenden gefammelt 
wurden, die man von Zeit zu Zeit an die Sänger verteilte, flir die fie als Beitrag 
für ihren Unterhalt auf der Schule gaften. „Einzelne Familien beftellten fih wohl 
auch am befondern Tagen der Freude oder Trauer den Heinen Sängerchor vor ader 
in das Haus umd wählten fi die Weifen aus, welde der Stimmung des Tages 
entſprachen.“ ) — puren diefer fhönen Sitte zeigen ſich ſchon in den älteften 
Zeiten der chriſtlichen Kirche;?) im proteftantifgen Deutſchland wurde fie nad) der 
Reformation allgemein und war, wie aus einzelnen mod vorhandenen Currende - 
ordnungen hervorgeht, durch befondere Geſebe genau geregelt.) In Eiſenach, wo 
belannilich Luther und 200 Iahre nad; ihm wohrſcheinlich auch Seh. Vach mit der 
Currende fang, zog diefelbe fhon im 15. Jahrhundert dreimal in der Woche durch 
die Stadt; in Leipzig fanden die Umgänge von Michaelis bis Neujahr, fowie an 
den Tagen Martini und Gregorii flatt, und wurden die Sänger in mehrere 
„Kantoreien“ geteilt und jeder derfelben beſtimmte Strafen angeviefen.‘) An andern 
Orten ging die Currende fogar „über Land“, d. h. auf die benachbarten Dörfer, 
was 5. B. in Torgau erft 1822 abgeſchafft wurde?) Überhaupt hat diefe Sitte 
fih an einzelnen Orten bis in unfre Zeit herein Iebensfähig erhalten, während fie 
im allgemeinen in Abgang tam. Freilich meint Riehl, haben fih „die Gemeinden 
damit freiwillig eines Mittels Gegeben, Direft auf die mufitalifCe Erziehung zu 
wirfen. Sangen diefe Chöre ſchleht, dann hätte man fie verbeffern, nicht aber 
abſchaffen jollen; und war man zu fentimental geworden, die ärmeren Schuler 


) Bol. W. 9. Richl („Geiflihe Gaffenmuft“) in den Kulturſtudien. 1802. ©. 336 ff. 
und Spitte, Ba I. S. 17 fowvie Ferd. Hiller, Künftlerleben. 1890, &, 228. 

2) Rad; Cr. ©. Stemmler, Abidig. aus der Kirhengef. von der Eurrende und denen 
Eurrendanern. Leipj. 1705. 2 

3) Eine folde Ordnung bezüglich der „Umbfingenden Knaben, Tanentes oder Elemofenarijt 
mir fehe genauen Beftimmungen if Die Regeneburger von 1054 bei Dettenleiter, Muftgefd. 
der Stadt Regensburg 1864. Euterpe 1866. ©. 22. 23 und die Metten- und Veſperordnung 
der Michaligſchute zu Lüneburg 1056 — bei Junghans, Seh. Bat als Schüler der Partikular- 
fäufe St. Mitaelie zu Lüneburg. 1870. 4%. 

+) Bol. Spitto, a. a. D. 1 ©. 181. 188. 189. Zu Eiſenach wurde „um 1600 der 
eurrente Chor für, Figurafgefang duch Ieremias Weinridj, den Reltor der Gifenadier 
Säule eingeriätet und galt bald als der Stolz umd die freude der Bewohner der Stadt 
und Umgegend.” 

3) Bot. Taubert, Die Pflege der Mufil zu Torgan. 1888. ©. 21. Auch Luther, Aus- 
iegung des 1. Buder Mofie, Gefammelte Sheiften II. S. 2317 erzählt aus feiner Jugend- 
zeit: „Zu der Zeit, ale in der Kirde das Feil von der Geburt Chrifi gehalten wurde, find 
wir auf den Dörfern von einem Haus zum andern umbergegangen und pflegten mit vier 
Stimmen die dewohnlichen Pfolmen vom Kindfein Iefn, geboren zu Bethlehem, zu fingen,“ 





298 Gzakan-Flöte. Dachſchweller. 


fürder allein vor den Häufern fingen zu laffen, dann mufte man die reichen noch 
dazuftellen, nicht aber flngs den ganzen Brauch zerftören." Auch fonft hat die 
Eurrende in neuerer Zeit mod ihre Furſprecher, dagegen auch ihre Gegner 
gehabt.!) Bol. Marauardt, Die evang. Eurrende nach ihrer Idee und Bedeutung. 
Berl. 1858. 8. 


Gzafan-Flöte, ein Orgelvegifter, das in adtfüßiger Tongröße im Oberwert 
der von Joh. Friedr. Schulze aus Paulinzelle 1850 erbauten Orgel des Doms zu 
Bremen fteht, und den Ton der gleichnamigen Flöte nachahmen fol. Cs iſt das 
ſelbe Regifter, das von andern Orgelbauern der Neuzeit unter dem Namen Wiener: 
flöte, Rongertflöte gefegt, und damit es dem Ton der wirklichen Flöte möglichſt 
nahe Tome mit eigentümlich geforniter Kernſpalte und runden Flötenmundloch als 
Auffcmitt gebaut wird. 





D. 


Dachſchweller, sine Crescendovorrichtung am Echowert größerer Orgeln, 
über die Adlung, Mus. mech. org. I. ©. 33 jagt: „Es fann das Cornett 
Echo gar mit einem befondern Kaſten von Brettern bededt werden. Und in 
diefen Falle fann, wenn der Dedel (das Dad) des Kaſtens beweglich und fo ein- 
gerichtet iſt, daß er durch einen befondern Zug (Tritt) mehr oder weniger auf- 
gehoben und wieder niedergelaffen werden kann, dev fortdauerude Ton einigermahen 
ſchwellend, d. h. verſtärtt und wieder geſchwächt werden." — Abt Vogler Dehnte 

e Dafür trat der alte Gerber, N. er. II. S. 667-668 mit Berufung auf Aohdlan. 
von Horfting und Klein im I. Jahrg. der Allg. mufil. Ztg. 1798 — ferner B. F. Beutler in 
dem Gumnafiafprogramm De choris symphoniacis quos Germani Singehöre dicunt. 
Mühe. 1820 —, Lalmer, Ev. Hymn. 1865. &. 307 (hauptfählich die Bedeutung der 
Eurrende für den Kirchenchor betomend) u. a. ein; aus fanitarifden ud morafifen Rd 
fihten ſprachen ih dagegen aus: Dr. Chr. ©. Henne in Göttingen — „Über die Currende · — 
im Reichsanzeiger 1798, Nr. 217. S. 2479 ff, Graben-Hoffmann, Die Pilege der Sing 
fümme. Dres. 1865 u. a. Mbrigens hat ſchon der alte Nifolaus Herman das Loos der 
Eurrendelnaben in ein nicht eben vofiges Lict geflelt, wenn er in feiner Vorrede zu den 
„Hiltorien von der Zindilut“ 1562 meint: „Die armen Kinder, die madı Partefen Herumb 
jungen, das waren dechle natürliche Marterer, Wenn fie in der Schulen gnugfam gemartert 
waren, vnd in der Kirchen erfroren, wmuflen fie denn aflererft Ginaus auff die Gart (cum 
Sacco per eivitatem) Band wenn fie mit groffer mühe, im regen, wind und ſchnee ermes 
erfungen, dafjelbige den alten Vatanten . . . in hals feden, und fi, die Knaben, mufter 
maul ab fein, vnnd darben.“ Bol. Wadernagel, Bibl. des KL. 1855. ©. 615. 

















W. Dachſtein. Da Iefus an dem Kreuze Aund. 299 


in nad) feinem Syſtem gebauten Heineren Orgeln diele Borrichtung auf das ganze 
Bert aus, indem er dasfelbe ganz in einen Kaften [hof und den Dahfhweller 
am dieſem anbradite. Im neueren Drgelbau lommt der Dachſchweller allein taum 
noch zur Bermendung; der moderne, wirffamere Jaloufieſchweller (vgl. den 
Art.) Hat ihm verdrängt. 


Dachftein, Wolfgang, zur Zeit des Begiunes der Neformation Mönd und 
Trganift am Manſter zu Straßburg; 1524 verließ er das Kloſter, verheiratete 
fih und wirkte von 1525 an als Organift und Pfarrvilar an der Thomaslirche 
dafelbft.‘) Bei der Einrichtung des deutſchen liturgiſchen und Gemeinde-Gefangs in 
Straßburg beteiligte ſich Dachſtein als Dichter dreier deutſcher Palmen: 

Pfalm 14. Der Thörecht ſpricht 8 iſt fein Gott. 

Pfalm 15. D Herr, wer wird Wohnunge Han. 

Palm 137. An Waſſerflüſſen Babylon. 
die im Straßburger „Deutfh Kirchen ampt“ 1525 zugleih mit Melodieen 
erichienen, von denen die der beiden erften Pſalmlieder ſich nicht im Kirhengebraud) 
erhalten Haben, die des dritten aber in den allgemeinen Befig der ganzen evangelifchen 
Kirche übergegangen iſt und für alle Zeiten eine Zierde desfelben bleiben wird. 
Man fchreibt die Erfindung dieſer Melodieen gewöhnlich Wolfgang Dadiftein zu, 
allein «8 Hat diefe traditionelle Annahme, fo allgemein fie aud verbreitet ift, feinerlei 
Beglaubigung, wenn aud) ihre mögliche Nihtigfeit zuzugeben fein mag, obwohl 
die Tradition bezüglich des Urſprungs mander Chorahnelodieen „fh durd die 
neueren Forſchungen als höchſt unzuverläffig erwieſen hat.“ Vgl. Faißt, Witt. 
&.-8. 1876. ©. 217. 





Da Jejus an dem Kreuze fund, Choral, dejien Melodie aus vorrefor⸗ 
matoriſcher Zeit ftammt. Ob fie urjprünglich dem geiftligen Tert angehörte und 
mit ihm entftanden ift,?) oder od fie ſchon vorher bekannt war und vielleicht aus 
dem weltlichen Vollogeſang hertommt, ift noch unentjhieden. Dagegen iſt ſicher, 
daß fie mit der Weiſe des weltlichen Tageliedes „Es wohnet lieb bei liebe“, mit 


9 Bot. Röhrich, Gef. der Neformation im Elfaß. Siraßb. 1890-32. I. 3. 211. 
Wegel, Hymmop. I. 1718. &. 165 madt Dadjlein zum Prediger in Magdeburg zur Zeit 
von deffen Zerfiörung 1631 — ein Irrtum, der ſich teifweife dis auf die Gegenwart fort: 
gepflanzt Hat. By. Wadernagel, X.%. 1811. 5. #72. 

2) Meifter, Kath. 88. 1. 1802. ©. 289 Gült Leifentrits Mberfhrift „hm alden Thon“ 
für entfheidend. „Wir erfaften Hierdurch Hinreißenden Auficfuß, daB die Melodie damals 
als eine allgemein belannte umd dem diede von den fieben Worten eigentlimliche angeſchen 
wurde. Sie ift ohne Zweifel mit dem Liede entflanden, alfo mindeftens dem 15. Jahıh. 
angehörig.“ 








300 Dank fei Gott in der Höhe, Darmfädter Gefangbud von 1698. 


der fle vielforh in „Verbindung gebracht wurde,!) nichts zu thun Hat.) Im evan- 
gelifen Rircengefang erfheint fie eeftmal® im Baöftffen GB. 1545. II. Nr. 6 
jedoch zu dem Fiede „Im did hab ich nefoffet Herr" und aud Balentin Triler, 
Singebülein. Brest. 1555. &. 187 Hat fie) mad zu einem andern Tot: „Es 
hoar einmal ein großer Herr“, bepeinet fie aber ale „Die Noten von den fieben 
Worten Cprifti; erft Refentrit 1567. Fol. 976 giebt fie mit „Da Iefus an dem 
Greuge Hung“ vereinigt und begeifnet fe als „alten Thon“. Bei Babft heißt fie 
(mit dem Tert aus Dal, Schumann 8.8. 1539): 


| j 
on 


Da Je ſus am dem Creut - ze fd, und ihm fein lench nam 


=: + = u — 
= ie — — 
war ver-wundt, mit bit» ter» Li- dem ſcm̃ert- zen, die Sie - ben 


































































































x — i — — — 
Wort, die er da ſrach, be-tragt in dei- mem Gert + gen. 
Eine fpätere Zeichnung der Melodie aus dem Wurtt. K. G.B. 1711. ©. 138 
giebt Payriz, Kern I. Nr. 24. ©. 15; fieben weitere ältere und jüngere Lesarten 
Hölfher, Das deutſche KL. vor der Reform. Münfter 1848. S. 211-214. 


Dant jei Gott in der Höhe, Choral; vgl. den Art. „Geduld die folln 
wir haben“. 


Darmftädter Geſangbuch von 1698 — ein für die Geſchichte des evan- 
gelifgen Chorals in der Periode von 1650-1700 wichtiges Quellenwerk, „Die 
eigentliche Niederlage, das wahre Sammelbud aller um dieſe Zeit in der welt- 
förmigen Arienart gefungenen Weifen.” Es erſchien unter dem Titel: 


„Geiftreiches Geſangbuch, vormahls zu Halle gedrudt, nun aber allfier 
mit Noten der unbefannten Melodien und 123 Liedern vermehrt, zur Er: 


Y Bol. 3. B. Hänfer, Geſch. des Kirchengeſ. I. S. 148; €. F. Beder, Hausmufit 1840. 
©. 68; Rod, Geſch des RR IV. 3. 303 und dagegen Winterfeld, Ev. 8.6. 1. S. 113. 
Hoffmann, Geh. des KL. Ausg. 1869. 3. 217. 222 und Bühme, Ad. Liederbu. 
1877, ©. 650. 

?) Da der deutfcen Bearbeitung des Liedes durch Johann Vöſchenſtain, nad der von 
3. Ehe. Ofearius, Aymnol. pass. Nenfadt 1709. 5, 14 und Webel, Symnop. I. S. 123 
ausgefprogienen Bermutung, ein Tateiniffer Symnus des Petrus Bolandus „Stabat ad lignum 
erueis“ zu Grunde liegen fol, fo hat ft, Liturgit. Dainz 1847. IL. &. 182 und in der 
Zeitfehrift „Der Katholif”. 1842. Bd. 88. 3, 224 and die Melodie den Petrus Bolandıs 
Augefgprieben, jedod, ohne nähere Begründung. 

3) Zu diefem Tert Hat Leifentrit, Kat. GB, 1587. I. Fol. 277 eine andre Melodie, dir 
bei Meifter — Bäumter. IL 1833. Nr, 310. S. 291 mitgeteilt iR. 








Das Iefnlein fol doch mein Erof. 301 


munterung glaubiger Seelen, mit einer Vorrede Eberh. Phil. Nehlens, jün- 

geren Stadtpredigers und Definitoris dafelbft." Darnftadt, bei Oriehel 1698. 

längf. 12°. 
und heißt nach dem Verfaſſer der vom 3. März 1698 datierten Vorrede auch das 
Zuehlenfhe Gefangbud, if jedod von „Darmftädtifges Gefangbuh“ 1699, 
&enfalls mit einer Vorrede von Zuehlen, fowie von dem fogen. „Darmftädter 
Santional” 1687, von Wolfg. E. Briegel wohl zu unterfheiden. Bon den 
123 Melodien, die durch dasſelbe befannt wurden, ift ein Teil aus den mit 
Melodien verfehenen Liederſammlungen einzelner Dichter, wie Ahasv. Fritſch 
(Gimmelstuft und Weltunluſi. Leipzig 1675), Heine. Georg Neuß (Hebopfer. 
tüneb. 1692), Joach. Neander (Bundeslieder. 1679 mit feinen eigenen und Strattners 
Melodieen), Knorr v. Rofenroth (Nener Heliton. Nürnb. 1684) zugleich mit den 
betreffenden Liedern, oder aus Gefange und Orgelbühern (wie Sam. Scheidts 
Tabulaturbuch 1650 und den Niürnb. G.BB. von 1677 und 1690) teilweiſe 
umgebildet Herübergenommen, ein Teil aber ganz neu für dasſelbe komponiert worden, 
ohne daß freilich irgend eine Angabe oder auch nur Andentung über die Kom 
poniften der neuen Melodien, oder über den oder die Bearbeiter der andern 
gegeben wäre. An 3O diefer Melodien, von denen die verbreitetften in eigenen 
Artikeln behandelt find, famen in allgemeinen kirchlichen Gebrauch und haben ſich 
dis Hemte in demfelben erhalten. 


Das Jefulein ſoll dod mein Troft — Choral, der zuerft im Cant. 
sacr. Goth. 1646. 1. Teil ©. 72—74 (2. Ausg. 1651. ©. 72) ſteht und dort 
die Überſchrift „Helderi” Hat. Daher wird die Erfindung diefer Melodie allgemein 
dem Dichier des Liedes, Bartholomäus Helder (vgl. den Art.) zugeſchrieben und 
muß, da diefer 1635 geftorben ift, vor dieſes Jahr gefegt werden. Cie heißt: 


Bene —— 

Ber Bere Era Erzer g: Pier mg P= 
{dan 9 Met It dug mine men Sc ie fein. und 
Der mit ger Me» bet amd er «fo,  fein@talt foll mid ab- 


Zee: 


A a ih mi gan mil fi «ih 


n — } —— — 
ges ——— — 


von Sersgemegrund er· ge- benz «8 mag mir fein we 0 der fein, 































































































Te — 
mag fer ¶ ben o der Me + dem 








302 &. 5. 6. Davin. Dazu iſt erſchienen ıc. Decem. 


Das Driginal derſelben mit dem dierftimmigen Tonfa Helbers vgl. bei Schöherfein — 
Niegel, Schatz des liturg. Chor: und Gemeindegeſ. Bd. II. 1868. 1. Abtlg. 
Nr. 86. ©. 192 — und bei v. Winterfeld, Ev. K. G. II. Notenbeig. S. 2. 


Davin, Karl Heinrich Georg, Seminarmuſiklehrer zu Schlüchtern in Heſſen, 
iſt am 1. März 1823 zu Meimbrefien bei Kaſſel geboren, Er übte von früher 
Zugend an Rlavier- und Orgelfpiel, fan 1837 zu weiterer Ausbildung nad; Kaffel 
und beſuchte 184044 das Lehrerſeminar zu Homberg, wo er unter der Yeitung 
A. W. Voldmars feine mufitalifhen Studien vollendete. Seit 1844 wirtte er al 
Lehrer an der Stadtſchule zu Grebenſtein bis er 1851 als Lehrer der Muſit an 
das Seminar zu Schlüchtern berufen wurde, wo er ſeitdem mit Erfolg thätig iſt. 
Seine hier zu nennenden Werke find: 

1. Theoretifchpeattifde Organiſtenſchule. Ein Handbuch für Organiſten x. 

Erfurt 1862, Körner. &. I. VI u. 109 ©. 8b. IL XXI u. 105 ©. 

5; au. 4°. — 2, Hülfsbuc, für angehende Organiften. Heft 1. 2. Ebendaf. 
3._50 orfpiele zu den eieinäiäfen Ehorälen der wang Kirche 
Mi Drgel. Dffenbah, Andre. Op. 9. — 4. Bantafie F-moll für Orgel. 

Cp. 4. — 5. 40 Choralmelodieen in ihrer urfprüngligen Form für die 
Orgel. 4°. Dffenb. Andre, — 6. Geiftlicer Männergor. Cine Sommlung 
auserlefener Choräle, geiflliger Gefänge, Motetten, Palmen, Hymnen, Kan- 
toten 2. von anerkannten Meiftern. Nad dem Kirhenjahr zujanmengeftelt. 
pr. 8°. Erfurt, Körner. 


Dazu iſt erſchienen der Sohn Gottes, Kantate zum zweiten Weihnachts 
feiertage 1723 von Seb. Bad, mit drei vierfiimmigen Choralgefängen, nämlid: 
der dritten Strophe von „Wir Chriftenleut“, der zweiten Strophe von „Schwing 
dich auf zu deinen Gott“ ( Schuttie dein Kopf und ſprich und der vierten Strophe 
allelujoh, gelobt ſei Gott”) von „Üreuet euch ihr Ehriften alle" (von Keimann- 
Hammerfhmidd. Ausg. der Bach-Geſ. VII. Nr. 40. — Der in der Mitte diefer 
Kantate ftehende Choral „Schlttle deinen Kopf umd ſprich“, den v. Winterfeid, 
&. 8-6. 1. ©. 352 „aus entfheidenden Gründen“ Bad als Erfinder zuſchreiben 
zu follen glaubte, ift von Ludw. Ert, Bade Choralgeſ. I. S. 118. Nr. 114 
als eine Nachbildung der Weile „Meine Hoffnung ftehet fefte” (ngl. den Art.) 
nachgewieſen worden. Bol. Spitta, Bad II. ©. 213. 











Decem oder Decima, eine Orgelſtimme, die bei Prätorius, Synt. mus. II. 
unter Namen wie Dez, Dep, Deyembaß, und bei Werdmeifter, Orgelprobe. S. 74 
unter der Bezeichnung Decupla vorfommt. Es ift die um eine Oftav erhöhte Terz, 
alſo z. B. zu Principal 8 die Terz aus Oftav 4. Im Pedal Hieß eine ſolche 
Stimme Derembaß. — Eine weitere ähnliche Fülftimme iſt die Decima nona 
älterer Orgeln, d.h. die um 2 Oktaven höher. liegende Quint 1 zu einem 
Principal 8°; dagegen ift die jet mod da und dort vorfommende Decimn 
quinta, auch Ouintdecime, Quintadezen oder Quintez genannt, nichts anderes 


N. Decius. 303 


als eine Superottav, alſo bei Principal 8° oder 4° die Ottav 2 oder 1; eine 
iote Superoftab hieß, wenn fie zweihdrig war, z. B. 2’ und 1° zu Principal 8°, 
auch Scharfquintdez. 


Decius, Nitolaus, auf den die im erſten Jahrzehent der Reformation erfolgte 
iedmäßige Umgeftaltung der liturgiſchen Terte und Weifen des Gloria („Allein 
Gott in der Höh fei Ehr“ vgl. den Art.) und dag Agnus Dei („O Lamm 
Gottes unfculdig" vgl. den Art.) zurucheführt wird, ift, wie die neuere Forfhung 
annimmt, identiſch mit Nitolaus vom Hoffe (von Hofe), Nikolaus Houeſch (Houeiche, 
Houiſch), Nilolaus a Curin —, aus Hof im Boigtlande gebürtig und a Curia und 
Decins (von decere) find nur zwei verſchiedene Mberfegungen feines Heimatnamens 
(vgl. 9. Frand, Paulus vom Rode. Stettin 1868). Urſprünglich Münd, erſcheint 
er zuerft 1519 unter dem Namen a Curin als Probft des Kloſters Steterburg 
im Braunſchweigiſchen. Unbefannte Gründe, vieleicht jeine Hinneigung zur Ne 
mation, veranlaßten ihn jedod, dies Amt zu verlaffen, und wir finden ihm mad) 
dem Juli 1522 unter dem Namen Nitolaus Decins als „Schulcollega in Brann- 
ihweig an der Sankt Katharinen. und Agidienſchule.“ Hier mag er wohl ganz 
zur Reformation übergetreten fein und kam nun um Dfteen 1523 als evangeliſcher 
Prediger nad Stettin, wo er als „Magifter Nitolaus von Hofe, welcher auch nicht 
ein geringer man in der Lehre vnd fromicheit was“ bezeichnet Wird.') Unter viel 
Anfehtung und beftändig fortdauernden Kämpfen mit den Gegnern des Evangeliums, 
maltete er hier in Gemeinfhaft mit Paulus vom Rode treulich feines Amtes, bis 
1534 nur privatim von der Gemeinde der Ct. Niflaslirche angeftellt, und erſt 
1535 nad) der förmlichen Einführung der Reformation in Pommern durch auitlichen 
Vifitationsabſchied als „Nif. Houeſche mit dem predig Ampt zu Sankt Nitolaus 
vorſehen,“ magden man feiner „Lere vnd Wandels gute Kundſchaft erlanget." Sein 
Tod erfolgte am 21. März 1541 fo plöglic und unerwartet, daß man ihn einer 
Vergiftung von feiten feiner Tatholifhen Gegner zuſchreiben zu müffen glaubte. — 
Bon ihm wird mun bezeugt, daß er ſchon in Braunfchweig im evangelifhen Gottes- 
dienft mehrftimmige Mufifftüde in einer Weife aufgeführt habe, die Auffehen erregte, 
amd daß er in Stettin die „ſchönen teutſchen Gefänge”: „Allein Gott in der Höh 
ji Er“ und „O Yamım Gottes unſchuidig“ gemacht Habe, die zuerft in nieder- 
deutſcher Spradie 1526 und 1531 ericienen find. „Und dieweil er ein vortreff⸗ 
cher Mufitus geweſen, der auf der Harffen ſehr wohl ſpielen tönnen, fo habe er 
zugleich aud; die Gefänge in die noch gemöhnliche anmutige Melodeyen gebradit. 
Ehenermafen foll er aud; das ed: „Heilig ift Gott der Vater“ (Sanctus), fo 











1) Bot. Rehtmeyer, Braunſchweigiſche Kirchenhiſtorie. IT. S. 19 nach den Pommerfäen 
girchen Chroniten des Dan. Cramer. Stettin 1628. 3. Bud. S. 53 u. 59 und der Chronit 
von Bommern von Rofegarten-Rangow Il. Heffenmüller, 9. Lampe der erſte evang. Prediger 
der Stadt Braunſchweig. 1852. S. 180. 


304 Decken der Orgelpfeifen. 


nicht viel mehr in Gebrauch ift, verfertiget und felbigem eine nicht weniger an 
mutige Melodep gegeben Haben.“”) 


Deden der Orgelpfeifen. Um einen beſtimmten Toncharalter zu erzielen, 
wird eine Anzahl von diegiſtern der Orgel gededt gebaut, d. h. die Mündung 
der Pfeifentörper derfelben wird luftdicht verſchloſſen, oder aluſtiſch geſprochen, der 
Scwingungstnoten der in dem Pfeifenförper eingefcloffenen Luftſäule firiert. Man 
unterfjeidet, wie dies in dem Art. „Öedadt“ weiter auszuführen fein wird, ganz 
gededte (Gedadte) und teilweife gededte (Halbgedadte) Drgelflimmen. 

Die volftändige Dedung der Gedadte wird bewirkt: 

a) bei den Labialſtimmen mit prismatifhen Körpern von Holz durch einen 
Höfgernen Spund, oder Stöpfel, der luftdicht ſchließend und daher mit weichem 
Leder (von Cavaille-Coll unter dem Leder auch noch mit Kork) gefüttert in die 
Mündung der Pfeife eingefegt wird. Um ihn beim Stimmen auf und nieder- 
bewegen zu Können, ift er mit einer aufrehtftchenden Handhabe verfehen. 

b) bei den Labialſtimmen mit cylindrifgen Körpern von Metall durd den 
Hut (Pile, Stulpe, Haube, Kappe, Büchſe), einem über den Hand der Pfeifen - 
mündung greifenden, aufgefegten metollenen Dede, der ebenfalls luftdicht ſchließen 
und daher mit weißgaßrem, weiden Leder gefüttert fein muß; damit er beim 
Stimmen beweglich fei, darf er natürlich nicht angelötet werden.) Statt des 
Hutes erfand der Drgelbauer Marcuffen im Apenrade 1822 einen Dedel mit 
Säraubengervinde, der in die Mündung der Pfeife eingeſchraubt wurde; dod) ſcheint 
derfelbe nicht befondern Anklang gefunden zu haben.) 

Die teilweife Dedung der Halbgedadte geſchieht : 

a) durch einen aufgelöteten Metalfdedel, der jedoch in der Mitte eine 
runde Öffnung hat, in die eine Röhre von beftimmmter Menfur eingefegt ift, durch 
welche die Luftfäule der Pfeife mit der äußeren Luft lommuniziert. (Roheflöten). 

b) durch eine Platte, Kugel u. dgl, die auf die Pfeifenniündung gelötet 
und mit einem (3. ®. bei einer Art der Vox humana und der Sarinette) oder 
mehreren Löchern (3. B. die Kugel beim alten Apfelregal) durchbrochen wird. — 
Töpfer rechnet zu den Halbgedadten aud) die Regifter, deren Pfeifen ſich mad) oben 


2) Bat. nad Reftmeyer, a. a. D. Gerber, Altes Ler. 1. ©. 328 und Rambad, Antt. 
1. ©. 62. — Gaift, Württ. Ch.B. 1876. S. 217b meint: „von ihm (Decine) tönnte 
vielleicht die Tiedmäßige Ansbildung der beiden Mefodieen Herrühren (wenn lehtere — O Lamm 
Gottes — nicht eher für eine ſchon alidentſche geiſtliche Volloweiſe zu, Halten wäre.“) 

®) Naqh der Profis des Dom Bedos de Celles, nad; der die frauzöfiſchen Orgelbaner 
tange bauten, wurde der Dedel aufgelötet und die Vfeiſen mittelft der Labienbärte geftimmt. 
Bol. Yamel, Manuel du Facteur d’Orgues. III. chap. VII. ©. 149 f. 

9) Bal. Töpfer, Orgelbautunſt 1855, und Sattler, Die Orgel. 1873. S. 81, ſowie tie 
Abbildung auf Tafel V. Fig. Nr. 402 und b und Nr. 41. 


3. Deker. €. Dedekind. Conf. Chr. Dedekind. 





zufpigen (Spigflöten), wodurd die Grenze zwiſchen offenen und gededten Stimmen 
freifich verwifcht wird. 

Noch wird auch zum Zivede der Stimmung bei manden Orgelſtimmen eine 
teilweiſe Dedung angewandt; fo werden: 

a) Holgpfeifen an der Mündung mit einer Stimmplatte aus weichen 
Metall verfehen, die, je nachdem die Stimmung Höher oder tiefer werden joll, 
mehr oder weniger Über die Mündung Hereingebogen wird, diefelbe foll normal in 
einem Winfel von 45° zur Mündung fehen; wird fie zu weit Hereingebogen, fo 
verliert Die Pfeife den Tondarakter einer offenen Stimme. 

by Metallpfeifen mittelft des Stimmhorns an ihrer Miudung verengert, ein 
gebogen, was einer teifweifen Deckung entfprigt. — Doch toinmen die einer mehr 
fünftferifhen Richtung folgenden Orgelbauer der Gegemvart von diefer Stimmmveife 
mehr umd mehr ab und gehen zur Anwendung der Stimmfhligen (Stimm 
onsfGnitte, franz. entaille) über. gl. hierüber ven Art. „Stimmſchlihen“. 


Derter, Ioadim, der zweite der vier „DMufifos und verordneten Organiften 
am den vier Kafpellirhen zu Hamburg“ die 1604 das geſchichtlich wichtige 
„Melodeyen Geſangbuch, darin . . . die gebreuchlichſten Geſenge, jhren gewöhn- 
lachen Melodeyen nad . . . in vier flimmen vbergefegt“ find, Herausgegeben Haben. 
Er war der Son des Mufildireftors Eberhard Deder am Iohanneum zu Hanıburg 
(1580— 1604), Organift an der Nitolaitirge und mit Chriftina Ofenbrügge, der 
Toter eines Predigers am diefer Kirche, verheiratet. Am 15. März 1611 ift er 
geftorben. Ihm gehören von den 88 Tonfägen des „Melodeyen Gefangbuds” anı 
meiften unter den Mitarbeitern, nämlih 30 zu.') Sein Sohn Johann Deder 
war am 6. Ottober 1598 geboren; er wirtie der Reihe nad als Organiſt am 
Dom, an St. Marin Magdalena, am Heil. Geift und zulegt an der damals neuen 
St. Mihaclistirhe. Seit dem 23. Jdanuar 1626 mit der Tochter des Predigers 
an St. Catharinen, Georg Dedeten, verheiratet, ftarb er am 19. September 1668. 


Dedelind, Euricius (Heinrid) ein Kirhenfomponift aus Neuftadt ftanımend, 
war zu Ende des 16. Dahrhunderts Kantor an der St. Iohannisfiede zu Pneburg, 
wo er 1592 herausgab: „Breves periodae Evangeliorum Dominicalium et 
Festorum (Advent bis Dftern) 4 et 5 voc. compositae.“ 8°, 


Dedetind, Konftantin Chriftien, war am 2. April 1628 als der Cohn 
eines Predigers zu Reinsdorf im Anhalt-Röten geboren und kam frühe mad) Dresden, 


H Bier diefer Tonfäpe (das volländige Verzeichnis derfelben vol. Monatsh. für Mufit- 
geh. 1871. ©. 76-77) bei Ert und Filib, Vierſt. Choralſähe. 1845. Mr. 52. 51. 82. 
Scöberfein, Musica sacra. 1869. Nr. 148. — Ant. Andre, Lehrb. der Tonfegt. I. Anh. 
Pr. 14 und bei Scöberlein — Riegel, Schay des liturg. Ehor- und Gemeindegef. I. Ar. 39. 
57. 69. 72, 

Rümmerke, Enchfl. d. evang. Kirdenmuft, 1. 20 


306 3... Degeller. $. W. Dehn. 


wo er Chriftoph Bernhardts Schüler in der Mufit wurde. 1654 trat er als 
Vaffift im die Dresdener Kapelle und rüdte in derſelben 1666 zum Konzertmeiftr 
vor, als welcher er die „Heine deutfche Mufil“ in der Schloßtirche zu dirigieren hatte. 
Er ſchrieb eine anfehnlihe Zahl von Kir—enmufifwerfen in der damals blühenden 
Arienform und ſcheint, einem Briefe Heinrich Schüg zu Folge, als Komponift nicht 
ohne Bedeutung geivefen zu fein. ud) als Poet hat er fi einen Namen gemadit; 
er war Mitglied des Elbſchwanordens (unter dem Namen „Con&orDin"), 
licher gefrönter Poet, und verfaßte Gedichte zu Balleten und viele Opernterte, meiit 
geiſtlichen Inhalts und italieniſchen Muſtern deſchmadlos genug nachgebildet. Nadr 
dem er 1676 feine Konzertmeiſierſtelle aufgegeben Hatte, ftarb er 1697 als Steuer- 
einnehmer des Meißniſchen und Erzgebirgiſchen Kreiſes. Bol. Furſtenau, Zur 
Geſch. der Muſ. in Dresden, I. ©. 115. ©. 150—152. 





Degeller, Johann Kafpar, ein um den Kirchengeſang des Kantons Schaff- 
Haufen ſehr verdienter Dann, war am 7. Februar 1695 zu Schaffhauſen geboren. 
Er ftudierte Theologie und wurde als Kandidat in die Synode aufgenommen, weil 
er aber Privaterbauungsftunden hielt, im Februar 1717 wieder ausgeſtoßen. Nach 
dem er einige Zeit als Hauslehrer thätig gewefen war, erhielt er die Stelle eines 
Kantors an der Johannislirche zu Schaffhanſen. Als folder gab er die unten ver- 
zeichueten beiden Sammlungen von firhengefängen und Palmen Heraus, die in 
Shaffhauſen bald allgemein in den Kirchengebrauch übergingen und bis 1842 
gebraucht wurden. Er fiarb im Jahre 1777 im Alter von 82 Jahren zu Scaff- 
Haufen. Seine beiden Kirchengeſangöwerte find: 

1. Hymni oder Lobgeſange; das ift: Auserleſene alte und neue Seil, 

Kirchen⸗ und Hausgefänge und geiftlihe Lieder. Zu Uebung Gott gefeiligter 

Sing-Andacst. Im vier Stimmen einige ausgefegt, mit Fleiß Aberfehen und 

corrigirt, umd andere auf Befannte Melodeyen gerichtet. Schaffhaufen 1729 

Privifeg dat. 25. Mai 1729), 9. U. Ziegler. 2. Ausg. 1732, und noch 

1816 neu gedrudt. — 2. Die Pfalmen Davids durh Dr. Amıbr Lob: 

waſſer, ꝛc. Samt andern auserlefenen Pſalmen, Feſt, Kirgen- und geiftlichen 

Hausgefängen zu vier Stimmen aufgefegt, und mit Fieiß Aberfehen und ver: 

beſſert. Schaffhauſen 1734. I. U. Ziegler. 


Dehn, Siegfried Wilgelm, Mufilgelehrter, zufegt Konfervator der mufifalifcen 
Abteilung der tönigl. Bibl. zu Berlin, war am 25. Februar 1796 zu Altone 
geboren, ex ſtudierte 1819—1823 am der Univerfität Leipzig die Rechte, trieb aber 
daneben auch fleifig Muſik und erfangte namentlich auf dem Bioloncell eine 
bedeutende Fertigfeit. Cpäter wendete er fih, dem Rate Bernhard Kleins, defien 
Schiller in der Kompofition er geworden war, folgend, ganz der Mufit, Befonders 
dem Studium ihrer Gefhichte und Litteratur zu. uf Meyerbeers Empfehlung 
Hin wurde Dehn 1842 am der königl. Bibl. angeftelit und entfaltete mın eine 
umfoffende raftlofe Thätigfeit für diefes Imftitut, indem er auf Reifen und in 


Delig. Chr. Demantins. 307 


wrieflichem Verkehr mit Mufitern und Mufitgelehrten alte Muſitwerle in Hand, 
isriften und Driginaldruden auffudte, ſammeite und ordnete; ihm verdanft daher 
ie Bibliothek zu nicht geringem Teile die Bedeutung, die fie durch ihre Samm- 
fangen alter Mufilwerte für die Gejdichte der Mufit im allgemeinen und die der 
wangeliſchen Kirgenmufit im befondern erlangt fat. Aus den Schügen derfelben 
enttichte er felhft alte Werte on Orlandus Laffus, Seh. Bad) u. |. w.), und 
unterfiigte und förderte aud) andre Ausgaben (wie die Yad-Cpition von Griepen- 
tert u. a. Leipzig Peters, — Dehn, der auch als Lehrer der Kompofition erfolg: 
wid, gewicht Hat, wie dies Schiller wie Glinla, Kullat, Kiel, Neihel, A. und 
N. Rubinftein, Vernh. Scholz u. a. beweiſen, erhielt 1849 den Titel eines königl. 
Brofeffors und flarb am 12. April 1858 zu Berlin. 





Delitz, ein geidieter Orgeldauer und Inftrumentenmader zu Danzig, der in 
der zeiten Hälfte des vorigen Iahrhunderts blühte und ein Schüler des namhaften 
Drgelbauers Hildebrandt war, in deſſen Werfftätte er Ternte und die er ſpäter als 
Werlführer leitete. Bon feinen größeren Orgelwerken werden bei Adlung, Mus. 
mech. org. II. &. 183 und bei Gerber, N. Ler. I. ©. 863 genannt: eine 
Orgel zu Thorn; die Orgel der Marientirche zu Danzig 53 Stn. 3 Man. und 
Ved.), dann Werte in mehreren andern Damiger Kirchen.) 


Demantins, Chriſtoph, ein fleifiger und bedeutender Kirchentonſeter aus 
dem Anfang des 17. Iahrhunderts, über deffen Leben jedoch bis jegt nur weniges 
befannt it. Er war im Jahre 1567 zu Reichenberg in Böhmen geboren; wo er 
jine allgemeine Bildung, ſowie fein tüchtiges mufttalifches Wiffen und Können ſich 
erworben, ift zur Zeit nod; unbelannt. 1596 erfheint er als Kantor zu Brida, 
am 1604 im gleicher Eigenſchaft nah Freiberg Übergugehen, wo er dann am 
20. April 1643 in hohem Alter ftarb. In feinen zahlreichen kirchlichen und welt 
itjen Tonfägen, die von 15951630 erſchienen, reiht er fih in Bezug auf ger 
wandte und krftige Harmonif und fließende Führung der Gtimmen den beften 
Tonfegern feiner Zeit würdig an, wie denn auch eine größere Anzahl feiner Ar- 
beiten im Cant. saer. Goth., einer Choratſammlung, die das befte enthält, was 
um die Mitte des 17. Dahrhunderts im Kircengebraud war, Aufnahme gefunden 

?) Do Dehn jedod and; nicht ganz von der hie und da zutreffenden Sammlereitelfeit, 
die ein feltenes Wert gern allein befiten möchte, frei war, zeigen die unerquidfichen Borgänge 
in Bezug auf die H-moll-Meffe Bade, die feinen Charakter im micht ebem günftigem Lichte 
zeigen. Bal. Cirkular der Bach Geſellſchaft zu Leipzig vom 3. Dez. 1856 bei Lindner, Zur 
Zontunft. 1864. ©. 158-161. 

) Er fol aud der eigentlige Erfinder des 1774 von Joh. Gottl. Wagner in Dresden 
verbefferten (daher galt dann diefer als Erfinder) Clavecin royal (mit Flötenzügen und 
andern Veränderungen) fein. Biogr. des mus. II. S. 459 ſpricht beiden diefe Er- 
findung ab, da die Idee diefes Inftrumentes eine viel ältere ſei. 








® 


20* 


308 Chr. Demelins. 


Haben.) — Eine. Johannes-Paffion von ihm, die 1631 im Drud erfhien, ift für 
die Gedichte der Paffionsmufiten von Wichtigkeit. Cie gehört zu den erft in 
Heiner Anzahl wieder aufgefundenen motettenartigen Paflionen, die gegen- 
über den älteren, im Choral- oder Collectenton vecitierenden Paffionsmufiten, durch- 
aus im figuralen Stil gehalten, die Leidensgeſchichte unter Verwendung der gefamten 
Mittel damaliger Tonfunft darzuftellen beftrebt find, und daher eine wichtige Über- 
gangsform zu den fpäteren, durch Heinrich Schütz weſentlich weiter gebildeten und 
durch Seh. Bad) auf die Höhe der Vollendung geführten Paffionsmufiten bildeten. 
Demantius Kirchenwerle find: 

Der Spruch Joel 2, 16. 8 voc. Nürnberg 1596. — Threnodiae, 





ſchuliche agelieder x. Seipz. 1611. — Corona harmonica, auserfejene 
Sprüd, aus den Evang. 6 voc. — Canticum St. Augustini et St. Am- 
brosii. 6 voc. Freiberg 1618. — Triades Sionise. Introit., Miss. et 


Pros. 5—8 voc. freiberg 1619. — Threnodiae Das ift: Aufferlefene 
Troftreiche Vegräbnüß Gefänge, So bey Chur- und Fürftligen Leigbegäng« 
nüffen, vnd Beyfegungen, Wie aud, bei anderer im HERAN Chrifto feliglich 
enticlaffener Beftattungen, in der Churf. Sähf. freyen Häupt Bergt Stadt 
Freybergt in Deiffen, üblicen, Beneben andern Chriftligen meditationibus 
nd Todesgedanden, Mit fleiß zufammen getragen, dud jego auffs newe mit 
4. 5. and 6. Stimmen dergeftalt Contrapuncts weiſe gejeget x. Durch 
Chriftopgorum Demantium, Neicenbergenjem, Muficum, der Kirchen vnd 
Säulen dafelbft Cantorem ıc. Gedrudt zu Frepbergt x. 1620.) — Johann 
paffion. „Mit ſechs Stimmen auffs newe componirt." Freyberg 1631. — 





Demelius, Chriftian, war am 1. April 1643 zu Schlettau, einem Städtchen 
bei Annaberg im ſächſiſchen Erzgebirge geboren und erhielt vom dortigen Organiften 
Chriſtoph Knorr den erften Unlerricht im Gefang und Orgelfpiel. Später befudte 
ex die Schulen zu Zwidau — wo er aud 5 Jahre als Dislantift im Kirchenchore 
mitwirlte — umd Rordhauſen. 1660-1669 hielt er ſich in Iena auf, befndte 
Kollegin an der Univerfität und ftubierte unter Leitung des Kapelmeiftere Dreſe 
die Kompofition. Am 1. Advent 1669 übernahm er die Stelle eines Kantors zu 
Nordhauſen, als welcher er am 1. November 1711 ſtarb. Bon ihm ift hier zu 





») Im diefem Cant. fteht über den Tonſäben zu „ren dich ſehr, o meine Seele — 
„Herzlich chut mid) verlangen” — „Bon Gott will id nit laffen” — die Ehiffer „Eprif 
Demant.”, die ihn als Seder bejeidmet, aber zugleich auch die Beranfaffung wurde, daß man 
item früßer die Erfindung Diefer Melodieen zuferieb. — 

9) Bat. über diefe Paffion: Spitta, Bad) I. S. 311-312, fowie Otto Kade im Sera- 
peum. 1857. Nr. 20. S. 312 f. und in den Monatsh. für Vufitgejd. 1890, Pr. 3. ©. 52. 

>) Ans. diefen Werfen und befonders aus den „Threnodiae“ iſt eine Anzahl der Ton- 
ſübe des Wieiſers neu zugänglich gemadit worden, am meiften bei Scöberlein-Niegel, Scab 
des liturg. EHor- umd Gemeindegef. Göttingen 1865-72 und zwar: Bd. I. Nr. 64. 
Bd. II. Nr. 79. 80, 96. 134. 179. 185. 200. 333. 334. Bd. II, Nr. 89. 137. 361, 
364. 366. 378, 383. 388, 394. 





Dem Gerechten muß das Licht ꝛc. — Der Himmel lacht ıc. 309 


nennen: Choral- und Gefangbuc für die Kirchen zu Nordhauſen. 1688 — 
und nochter in verſchiedenen Ausgaben, ſowie eine Sammlung Motetten zu 
4 Stimmen. Sondershaufen 1700. — ud eine Elementarmufitlehee „Tiro- 
einium musicum® Hat er veröffentlicht. 


Dem Gerehten mub das Licht immer wieder aufgehen, Tranungs- 
tantate über Pf. 97, 11. 12 von Seh. Bach, wahrſcheinlich Überarbeitung einer 
Kompofition aus der früheren Leipziger Zeit. „Cie hat etwas überaus feſtliches 
umd glänzendes; ein warmer Haud lagert über dem ganzen Werke.“ Spitta, 
Bad II. S. 298. 299. Ausg. der Bad-Ge. XI. 1. S. 3 fi. — EM. von 
Rösler, Leipz. Peters. 


Denn du wirft meine Seele nicht in der Hölle laſſen, eine große 
zweiteilige Ofterfantate von Seh. Bad, die er im Anfang feiner Komponiſten— 
laufbahn und im Anfhluß an die ältere Kirchenlantate der gleihgeitigen, namentlich) 
norddeutſchen Meiſter für das Dfterfeft 1704 zu Arnſiadt jchrieb, fpäter aber um: 
arbeitete und erweiterte. Ausg. der Bach-Geſ. II. Nr. 15. Bgl. Spitta, Bad) I. 
©. 225—27. 


Der Herr denfet an uns umd ſegnet und, Trauungsfantate über 
$f. 115, 12—15, von Seh. Bach, vielleicht zu der Hochzeit eines Pfarrers Stauber 
zu Dornheim bei Arnſtadt am 5. Juni 1708, „von vorwiegend milden und 
innigem Ausdrud, ein köſtliches Erzeugnis echt religiöfer Innipfeit.” Cpitta, 
Bad) I. ©. 369 ff. Ausg. der Bach Geſ. ViIl. 1. ©. 73—94. EIN. von 
Rösler, Leipz. Peters. 


Der Herr ift mein getreuer Hirt, Kantate zum Sonntag Miferitordias 
Domini (entweder 8. April 1731, oder 27. April 1732). Sie beginnt mit 
einem großen, im der Form einer Choralfantafie gehaltenen Choralchor und ſchließt 
mit dem Choral „Allein Gott in der Höh fei Ehr“ zur 5. Strophe („Gutes und 
die Barmherzigteit”) des im Titel genannten Liedes. Bgl. Spitta, Bad I. 
S. 286. Ausg. der Bach Geſ. XXIV. Nr. 112. 


Der Himmel lat, die Erde jubilieret, Kantate auf den erften Ofter- 
tag, 21. April 1715, zu Weimar von Seb. Bad fomponiert, fpäter jedoch über- 
arbeitet und erweitert. Der Choral „Wenn mein Ctündlein vorhanden iſt“ wird 
zuerft im Ordefter, dann ale Schlußchoral mit der d. Stropfe „So fahr id 
hin zu Deſu Chrift, mein Arm’ thu id aueſtreden verwendet. Ausg. der 
Vach Geſ. VI. Nr. 31 aud früher fhon bei I. P. Schmidt, Kirchengeſange 
von Joh. Seh. Bad x. Berl. Trautw. Heft II. Bgl. Spitta, Bad I. 
©. 534— 38. Winterfeld, Ev. 8-6. II. ©. 378. Mofewins, Seb. Bad) in 
feinen Kirhenfantaten. ©. 8. 


310 Der lieben Sonne Licht und Pracht. 


Der lieben Sonne Licht und Pracht, Choral. Einer Sage zufolge, die 
bei Fiſcher, Kirchenlieder-Lex. I. S. 111 angeführt it, ſoll Seriver fein ſchönes 
Abendlied zu einer weltlichen (Volks) Melodie, die er als Standchen fingen hörte, 
gedihtet Haben. Diefe Melodie wäre nad Ludw. Erls Meinung, Cuterpe 1861. 


©. 41, die folgende: 
1“ — 
Br —— — —— 
































He 




















* 


— ——— 


die ©. A. Ritter, Euterpe 1861. ©. 55, zwar in einem Halberflädter Mfer.-CH.-B. 
meben 4 andern Melodien zu unſrem Liede fand, Die aber nicht in lirchüchen 
Gebrauch gelommen ift. Freilich iſt nicht rect einzufehen, warum die angebliche 
Ständehenweife gerade diefe geweſen jein foll, während Dies doch ebenſo gut Die 
fpätere Kirdhenmelodie gewefen fein fan. Die leptere, nachgehends allgemein ver: 
breitete Melodie, deren Entftehung I. Zahn, Euterpe 1862. ©. 5 aus innern 
Gründen!) in die Zeit vor 1670 veregt, fand dieſer Forſcher im einem Difer.-Ch.-B. 
zum Scweinfurter G.B. von 1723 (1717) in der folgenden Fafung: 



































Nor FE 


(Der fie-ben Sonne Licht und Practt Hat nun den Lauf voll -füh -vet, 
Die Welt hat fh zur Rh gesmadit: Abu Seel mas dir ge> büh «tet, 
































Br 





* 
— 
irin am die Himmoelsthür und bring ein Lied Ger für; laß dei- ue Au- gen, 


Herz und Sinn anf Ic-fum fein ge» ridh-tet Hin. 
Doch ging fie erft in einer Übertragung in die ausgeglichene Form aus ©. Ph. 
Telemanne” Hamb. CH-®. 1730. Nr. 212. S. 103, das deshalb bis herab 
auf Zahns Nachweis im Bayr. Ch-B. 1855 als ältefte Duelle für diefelbe galt, 









































*) Er fagt 0. a. D. „Sicherlich if diefe Melodie ziemlich lange vor dem Jake 1723 
emtftanben; wenigflens if mir feine Melodie vorgefommen, die nad) 1070 entflanden wäre 
umd in weldier hothmiſ her Wehfel zur Amvendung Kime, da dieſe Rhythmusferm fhon bei 
Erüger, Shop, Ebeling ſehr vereinzelt aufteitt; ja in vielen älteren Melodieen, welde Raythmus 
mehfel gehabt Gaben, wird derfelbe in den meiflen Mefodieenbüdiern nad) 1670 mehr ader 
wertiger Tonfequent. ausgeglichen." 


Der Tag der ih fo frendenreih — Ein Aindelein fo löbelih. 311 


in alle Sedeutenderen Ch.BB. (5. B. Dregel 1731, "König 1738, Stözel 1744. 
%r. 202, Halberftädter 1777, Kühmau 1790, Sciht 1819 u. f. w.) über.‘) 

Bon den weiteren II Melodien, die G. A. Ritter (vgl. a. a. D. ©. 55) 
zu unfrem Liede gefunden hat, ift Die bei Freylinghauſen, Geifte. GB. I. Ausg. 
von 1708. ©. 964. Nr. 614 zuerft vorlommende‘) in Württemberg und in der 
Vrüdergemeine lirchlich geworden. Sie ht bei Stözel, Ch.-®. 1744. Nr. 202b 
und im CH.-®. der Brüdergemeine. 1784. Art. 164 umd heißt im Bürtt. Ch-®. 
1844. Nr. 141. ©. 150: 


[= = = — 
Jene DE | 
Z 


{2ie Girifen cin yon Det zu, — 
Sie tom men in den Srie-dens-port und rum in ih- rer Ramemier; 


Gott nimmt fie 


R 
= 
Fe 2 


"in fein Bert auf Hoffnung ſch · ner Frucht ge -fät. 


Der Tag der ift jo freudenreih — Ein Kindelein jo löbelich. Der 
alttirchliche Weihnachtehymnus Dies est laetitine in ortu regali wird von der 
Tradition dem h. Benno, Bifhof zu Meißen, get. LIOT zugefchriehen; doch Halten 
in proteftantifge Hymnologen für jünger.) Die älteſten deutſchen Übertragungen 
desielben find aus dem 15. Jahrhundert nadgewiefen;t) die erfte deutſche Strophe 
mar ein beliebter Voltögefang und die Melodie vieleicht urſprünglich ſchon liedmäßig; 

















































































































%) Briedrid) d. Gr. der das Lied in Schlefien fingen gehört hatte, foll Graun darauf 
aufmertfam gemadit Haben, daß fein erfles Mecitativ im „Xod Jefu“ gleißen Anfang wie Die 
Shorafmelodie Gabe. Bol. Bitter, Beiträge zur Geſch. des Oratoriums. 1872. S. 345. 

2) Nach Filter, Rirhenlieder-Lep. I, ©. 111 foll diefe Melodie von Freylingganfen felöf 
Gerüßren, 68 it dies immer dieflbe unficere Tradition, die verfdiedene Melodien des 
Bregtinggaufenfcen G. Bs den Dihtern der Lieder derfelben zufreibt; im vorliegenden Falke 
wird fie dadurch mod unfihrer, daß in den fpätern Ausgaben des GB. eine andre, neue 
Nelodie erſcheint, die dann auch König, Harn. Liederſch. 1738. &. 476 als dritte für das 
bied Bat. 

2) Bgt. Ratibac, Anthel. I. 3. 331 f. Daniel, Thesaur. hymnol, IV. ©, 256; 
Yathofie Forſcher fegen ihm ins 12. (gehrein und dölſcher oder ins 13. Jahrh. (Bollens); 
„genen genommen fehlen aber allen dieſen Annahmen entfeidende Gründe und Nactwefe.” 
Re, Kath. RR. 1. ©. 100. 

+) Wadernagel, RR. IL. Nr. 689 giebt eine ſolche aus einem Mündner Koder des 
15. Jahrh. Dal. auch Hoffmann, Geſch. des Rt. I. ©. 1907, 








312 Der Tag der if fo freudenreich — Ein Kindelein fo löbelich. 


auch die zweite Strophe „Ein Rindelein fo löbelich — orto Dei filio 
virgine de pura (vgl. Rambad, Anthol. I. &. 333) war ſchon vor der Refor- 
mation als felbfländiges Lied ebenfalls allgemein im Gebraud,') und joll auch eine 
eigene, von der Weife des Dies est laetitiae verſchiedene Melodie, den oft an- 
geführten „Ton“: Ein Kindelein fo Löbelih" gehabt haben.) — Die jegt im 
Gebrauch der evangelifcen Kirche ſtehende Melodie findet ſich zuerft handſchriftlich 
in einem Koder (Mser. germ. Octavo. 190. Bl. 4a und Bl. 78b) der königl. 
Bibl. zu Berlin und in einer Handfr. des 15. Jahrhunderts der Stadtbibt. zu 
Trier, (vgl. Mone, Lat. Hymnen I. ©. 63); fie Heißt: 


Te: — — 







































































ei « f = 
Der Tag der if fo freu - denreih aleler Kreasım + te 
DeunGot-tes Sohn vom Him +  mel-reid ü-ber die Rau » re 
+ PR ER u un er — —— 
= 7 f r F £ = 














von eis mer Jung frau iR ge- born. Marri»a du biſt aus-er-forn, 





Dt r ———— — 
a Dr LE 


ẽ 
daß dur Mutster wi» rel was ge- ſchah fo wm - derdleich? 






































— 
Got + tes Sohn vom Him-mel-teih der ift Menſch ge « bo ren. 





























Gedruct erſcheint fie erſtmals im G.-B. der Böhmiſchen Brüder von Mid. Weyſſe. 
1531. Bl. XITb zu dem Liede „US Deſus geboren war zu Herodis Zeiten”, 
und von da ging fie in die andern G.-BB. der Reformationggeit, z. B. Sol. 
ug, G.B. 1535. Bl. 905, 91a, Did. Behe, fat. G.B. 1537. BL. 28a, 
Dagdeb. GB. (Lotther) 1540. Bl. 37, Val. Babſt, G. B. 1545. I. Nr. 52. 
53 u. ſ. w. über, 


*) &o fügt 3. B. Urbanus Rhegius in feinem „Dialogus von ber herrlichen, trofireiden 
Predigt, die Chriftue Auch XXIV gethan Hat.“ Wittenb. 1565, BL. 1U1: „denn die Ehriften- 
heit von alters Ger alfegeit auf bie Weihnachten feöffid gelungen hat: Ein Kindelein fo 
töbefih.” ol, aud Spangenberg, Cithara Yutferi. I. &. 16 und Simon Pauli, Aust. der 
deutfpen geil. Gieder. Magdeburg 1588. &. 42 bei Rambad), Über Luthers Berdienft x. 
Hamb. 1818. ©. 128. — And) Luther, Kirhenpofülle bei Wald XI. &. 2702. X. ©. zir. 
KIT. ©. 174 ruhmt diefe Steopfe um ihrer „großen und trefifihen Worte“ willen; fpäter 
wurde fie dann als zweite Stropfe in Die Mberfegung des Dies est Iaetitine eingefcoben, 
3. ®. bei Beer, Psaltes occles. 1550. Vi. 89, bei Reientrit, &B. I. BI. 19 m. a. Sal. 
‚Hoffmann, a. a. O. 1832, ©. 136—138. 

2) So vermmet Meifter I, S. 172 und ſucht es durch mehrfache Anführungen zu begründen. 








Der Tag if hin, mein Jeſu bei mir bleibe. 313 


Der Tag iſt Hin; mein Jeſu bei mir bleibe. Dies Lied Joachim 
Neanders erfceint erſtnals in der erften Ausgabe von deſſen „Bundesliedern“. 
Bremen 1679, und ift auf die Melodie des 8. Pfalms der Reformierten 
verwieſen.i) Diefe dem Liede gebliebene Melodie findet ſich zuerft gedrudt in der 
Genfer Ausg. des franzöſiſchen Pfalters von 1542,%) und Heißt dort: 








* zz 


— = 























© notre Di-eu tout bon,tout a - do-rab-Ie, que ton]saint nom est grand 

* Fern 
= 

et re-dou-ta - ble! Ta gloi-reö clate et triomphe en tous lieux 


—— — == = 
E: — 


et ta gran-deur est au des-sus des cieux. 
Ihren erften Abfag Hat man neuerdings in folgender Form: 


Fre S — —————— 


* 































































































Si ton a- mour, si ton 4. mour etc. 


in den „Chansons & quatre parties etc.“ Antwerpen 1544—1545, bei Tilman 
Sufato zu einem weltfihen diede aufgefunden, und ſchließt daraus, daß fie melt- 
gen Urſprungs fei.?) Im den deutfehen Wangeliſchen Kirchengeſang am unfre 
Melodie durch Freplinghaufens GB. 1704. Nr. 616. S. 967 im folgender 
Geftalt, die ihr danm ummefentliche Anderungen — eine folde aus Stözel, Ch.-B. 
1744. Pr. 203 mag beifpielsweife zugegeben fin — algerednet, in den neueren 
Choralbügern geblieben if: 


Freylinghauſen 1704: 
+ + — 
Eee 


ze: 
Der Tag if Hin, mein Je «fu bei mie blein, be, 0 See-len-tict 
Stögel 1744: ® 


— ee ee 








































































































4 


4) Im der 4. Ausg. der „Bundeslicder”. Frantfurt a. M. 1689. S. 8 bringt Neander 
eine eigene Melodie, die jedoch nicht in lirchlichen Gebrauch gelommen ift. 

2) &o nad Dowen, Clöment Marot et le Psautier Huguenot. Paris 1877-78, 
1. ©. 618. II. ©. 423 und Faißt, Württ. Ch.B. 1876. ©. 218, während Erk, Ch. B. 1863. 
S. 247 umd Iatob und Rider, Ch-2. I. ©. 416 fie erfl aus den Ausgaben von 1547, 
veip. 1556 (?) Gerbatieren. Im Lobmaffers Deutiem Ploiter Ausg. 1946. ©. 24-27. 

3) Bgt. Douön, a. a. ©. 1, S. 716-735. Dal. ©. 724. 


314 W. Ehr. Deßler. 













































































Der 2: — Sr Fern — SE | 
der Sünden Nat ver ti « be; eh auf in mi, Glan 
B i — 
ZZ = — 7 =] 
Er 























2001 














zen ee HE 
Im * = Et #7] 
der Gerteietigeleit, meldete mich, 0 Bern, dem es if Zeit 
Stögel, a. a. O. Nr. 387 bringt fie dann nodmals zu „Die Sonn hat fi mit 
ihrem Glanz gewendet“ und zwar, den Rhythmus, den er ausgeglichen, und einige 
durchgehende Noten abgerechnet, genau im Driginal des franzöſiſchen Pialters; und 
zu diefer äfteren, urſprunglichen Form find die meiften neueren CH.-BB. wieder 
zurüchgefehrt. Eine zweite Melodie, die Georg Chriftopp Strattner (vgl. 
den Art.) für das Neanderſche Lied erfunden und demfelben in der 5. Ausg. der 
„Bundeslieder" 1691 beigegeben hat (opl. auch Ch-B. der Brüdergen. 1784- 
Art. 35), fand in der Ansgeftaltung, die ihr Schichts Ch.-B. 1819 gab, Ber- 
breitung; das Württ. Ch.B. 1844. Nr. 25b verwendete fie zu dem Liede 
Terfteegens „Der Abend Tommt, die Sonne ſich verdedet” in folgender Form: 
2 ES un 
3 — —— >= 
Be Ze => —== 
Der H-bendtommt; die Sonne fih ver + det-fet, und al «Les ſich zur 
—— rer = 


Ruh und Stil-fe rettet O meisme Seel, mert auf, wo blei ben du? Im 












































































































































> * 
De — SF —— 
Got- tes Schoß fonft nirgends haft du Ruh! - 


Noch eine dritte, mene Weiſe von Doh. Heine. Kügel bringt das Pfalz. ©.-8. 
1859. S. 697. Nr. 850. Bol. diefelbe im Art. „Lügel”. 






































Dehler, Wolfgang Chriftoph, ein Nürnberger Dichter von mehr als Hundert 
geiſtlichen Fiedern, deren 14 er duch mit eigenen Melodien verfehen Hat. Er war 
am 11. Februar 1660 zu Nürnberg geboren, von 1705 an Konreltor an der 
Säule zum 5. Geiſt daſeidſt, und ſtarb am 11. März 1722. Seine geiftlichen 
Feder mit ihren Delodieen veröffentfihte, er in feinem Erbauungébuch · ¶ Gon 


Die Elenden follen eſſen, daß fie fatt werden. — Die Gnade unfers ıc. 315 


geheitigte Setlenluſt· ı. Nurnb. 1692 — und namentlich zwei diefer Lieder — 
„Mein Jeſu dem die Seraphinen” und „Wierwohl ift mir 0 Freund der Seelen“ 
find, jedoch ohne feine eigenen DMelodieen,!) in den allgemeinen Kirchengebrauch 
übergegangen. 


Die Elenden follen eſſen, da fie jatt werden, Kantate zum erſten 
Sonntag nad Trinitatis (1723) von Sch. Bad. Das zweiteilige Werl Hat „einen 
glänzenden, tonreidien Anfangscor mit einem Fugenthema voll fräftigen Schwunges; 
eine Chorolfantafie al Einleitung des zweiten Teils über „Was Gott thut, das 
it wohlgethon*, welher Choral in demfelben eine Hauptrolle fpielt.” gl. Spitta, 
Ah U. S. 184-186. Ausg. der BachGeſ. XVII. Nr. 75. 





Die güldne Sonne doll Freud und Wonne — Choral von Johann 


Georg Ebeling: 
Hz Sei F 
Bere | 
Die güld-ne Son >» ne voll Freud und Won - nebringt un-fern Grän-zen 
et be-e-eh; Fe — — 


— — 
Mein Haupt und 
& — — 














































































































mit ih rem Glän⸗zen ein Herz -er quil⸗ ken · des lieb⸗ li» 
= Be 


= 
Glieder die a » gen darsmiesder: a + ber nun fieh ich, bin mun - ter und 


—— —— —— 


frög » lid, ſhau⸗e den Him- mel mit mei» nem Ge- ſicht. 





















































aus „Baul Gerhardi Geiſtliche Andachten*, beſtehend in 120 Federn x. 1606. 
„Drittes Duget”. Nr. 25, von wo er in die Praxis piet. mel. 1672 (vgl. Koch, 
88. I. ©. 322, niht „1762* wie Fiſcher, BRtır. 1. ©. 123 als Drud- 
fehler Hat) als das erfie Gefangbud; überging. Freplinghaufen G.B. 1704. 
Ar. 592 (Gefamtausg. 1741. Nr. 1459. ©. 999) giebt eine neue, zweite Weife 
zu dem Liede, die aber nicht in den Kirchengebrouch fan. 











Die Gnade unjers Herrn Jeſu Chrifti — der fogenannte Kanzelgruß 
oder apoftolifche Segen, 2 Kor. 13, 13, zu dem Chriftian Gregor (vgl. den Art.) 
1763 die folgende Melodie erfunden und zuerft im Eh. B. der Brüdergemeine 1784. 
S. 255 mitgeteilt hat: 


’) Diefe Melodieen bei v. Winterfeld, Ev. K. G. II. Notenbeit. 9. 


316 Die Himmel erzählen die Ehre Gottes. Dies Mind die heiligen 2c. 


f = 
9 44 — + 
= 

Die Gna-de unfers Heren Je » fu Ehri + fi, und die Lie e Got - tee, 


meer: SBESE == 


und die Ge-meinfhaft des fei + fi « gem ei + fies, fei mit uns al + fen, 































































































= F 
mit uns al- len, 4» men. 


Da fih Gregor in feinen Ch.B. nicht als Kumponift nannte, fo wurde Gottlob 
Friede. Hilmer (geb. 1756, geft. 1835 als vreuß. Ober-Konfifterial- und Ober- 
Säyulrat) der fie in „Lieder für Herz und Empfindung zum Singen am Stlavier“ 
Tomponiert von + . . Exfte Fortſ. Breslau 1787. ©. 20 verwendet hat, als Er- 
finder derfelben angeſehen, bis man neuerdings die Handſchrift Gregors vom Jahre 
1763 auffand, die deffen Urheberſchaft außer Zweifel ſiellt. Bgl. Ext, Ch. B. 
1863. ©. 41 und ©. 246, und dagegen, Faiht, Württ. Ch.-B. 1876. ©. 211 
nnd S. 224; Dalob und Richter, Ch.B. I. Nr. 463. ©. 430. 


Die Himmel erzählen die Ehre Gottes — Kantate in zwei Teilen 
von Seh. Bad zum 2. Sonntage nad; Trinitatis 1123, auch als Reformations- 
tantate gebraudt und in Teilen abſchriftlich verbreitet. Der gewichtige erfte Chor 
iſt „tonveich und glänzend, fein Fugenthema voll kräftigen Schwungs.“ Spitta, 
Bad II. ©. 186-188. Der Choral „Es wollt uns Gott genädig fein“ ift in 
dem Werke zweimal verwendet: in der Mitte mit der 1., am Schluß mit der 
3. Strophe („Es danfe Gott und lobe dich“) des Liedes, Ausg. der Bach-Geſ. 
XVII. Nr. 76. 


Dies find die heiligen zehn Gebot, Choral, defien Melodie dent uralten 
Wallfahetsliede „In Gottes Namen fahren wir!) angehörte, mit dem es vom 





























1) Dieſes ied if vom Anfang des 13. Jahrh. nachoewieſen; als Schifferleis, val. Hof 
man, Geſch. des KL. 1892, ©, 61. 02; als Shilahtgejang wurde e® in der Schlacht am 
Safenbüßel 2. Juli 1298 angefimmt, vgl. Haupts Zeitifrift III. S. 3—27; bei Beh, ©.-8. 
1537. BL. 445, Mr. 30 if 8 „Ein Vitlied zu fingen zur Zeyt der Bittfarrien ym anfang 
der proceffionz“ bei Seifenteit, ©. 1567. I. &. 1436 „Ein geiflid, Bitte, Wann men 
mit der Proceffion aus der Kirchen durch die Gaffen oder auff dem Felde ums Getreide geht.“ 
Aug ewangelifhe Um» und Nahdihtungen erfuhr dies „Geiflid, Lied der megfarenden“ 5. 8 
von Nitolaus Hermann in „Die Hiforien von der Sinbfiudt”. 1562. BL. Ovjb, „Ein geit 
Tide Sied, Fur Chrifticie Wanderleut*; eine andre eft im Franff. 9.8. 1571. ©. 21. 
Bol. Barernagel, KL. U. Mr. 678-083. IL. Mr. 1436. I, ©. 145 umd Bibliogr. 
1855, ©. 139, 





Dies find die heiligen zchn Gebot. 317 


13. Iahrhundert an gefungen wurde. Handſchriftlich findet fih diefelbe mit einen 
vierftimmigen Tonfag von Heinrih Ianc aus dem Ende des 15. Jahrhunderts 
auf der Fönigl, Bibl. zu Berlin (vgl. Erf, Ch.-®. 1863. ©. 247), gedrudt 
unter der Überfhrift „Die zehen gebot Gottes, auff den tho Im gottes name ſare 
wir. Martin Luther“ im den beiden Erfurter Endiridien 1524. A. Nr. I. 
B. Bl. Alla, bei Walther, Chor G. B. 1524. Nr. XVII. Brest. 6.8. 1525. 
Mr. 2, dann bei Heinr. Find, Piedlein. Nürnb. 1536. Nr. 2, Did. Lehe, 
6.8. 1537. Bl. 44b. Nr. 30, im GB. der Böhm. Br. 1531. Bl. KIILD, 
bei Klug, G.⸗B. 1529 (Erfurter G.B. 1531. Nr. 11), Ausg. 1535. Bl. 20a, 
1543. Bl. 31b und Babft, ©8. 1545. I. Nr. 14. Die Melodie wurde in 
den verſchiedenen alten Aufzeichnungen entweder mirolydiſch ohne Vorzeihnung, oder 
doriſch transponiert mit d als Vorzeichnung behandelt, dod meint v. Winterfeld, 
&. 8.6. 1. S. 110 wohl mit Recht, daß die leptere Vorzeihnung als ſalſch 
anzufehen, und micht die Heine, fondern immer die große Terz gefungen worden 
fei; fie Heißt bei Vehe 1537 und bei Babſt 1545:') 






















































































Bee 1587: 
—— — 
Im Got-tes Namen ſan, rem mir, Seh—ner ga den 
Vabſt 1545: 
Ge — ee 
Diß find die hei - Ti» gem zehn Ge— bot, die une gab 
— — 
be» ge + tem mir; Ber lerh vns die auf gt + tie» keit, 
= = 
— —— ee 











um + fer Ser - ve Got, durch Mo» fen fei- men Die» mer ren, 











+ 
ie 


0 Geisfiege teyefabotice it. Myories fe > i > ſon. 
b 


Dre — 


hoch auf dem Berg Sie mai. Ky— rio Ins! 









































*) Weitere Aufzeichnungen von Hein. find 1596 als „ältefe Lesart“, Leifentrit 1507, 
fowie aus dem Grfurter Eniribion 1524 val. bei Böhme, Ad. Lieder. 1877. Mr. 508, 
©. 677 u. 679; ©. 729-130. 


318 Dies find die heiligen zehn Gebot. 


„Daß ein Lied von den zehn Geboten in ähnlicher Faſſung und mit gleicher Melodie 
ſchon vor Luther vorhanden war, wird von latholiſcher Seite angenommen, ift aber 
nicht erwiefen. Alle Drude der katholiſchen Lesart find erft nad Luther (1567) 
madpweisbar."") Damit füllt aud die Annahme dahin, daß unfre Melodie nicht 
urſprünglich dem Walfahetslicde, fondern einen vorreformatorifhen Lied von den 
zehn Geboten angehört Habe. — Cine tieffinnige Verwendung findet die Weiſe 
bei Seb. Bad in der Kantate „Du ſollſt Gott deinen Heren fieben“ zum 
13. Sonntag nad Trinitatis. Ausg. der Bach Geſ. XVII. Nr. 77. Bol. Spitta, 
Bach II. ©. 261-263. — 

Eine zweite fündentjhe Weife zum Liede vom den zehn Geboten erſcheint 
zuerſt im „ander theyl Straßburger Kirchen ampt“. 1525, vgl. v. Winterfeld, 
Evang. 8-0. I. S. VI. Sie Heißt in „Palme, gebett, vnd Kirchen übung 
wie fie zuo Straßburg gehalten werden” zc. Bey Wolff Koepphel 1526. BL. XXj:?) 





















































Te — — 
— De — 
Dies find die heil gen je + hen Got, Die ums gab un - ſer Ser + re Gott, 

—— = 

















durch Mofen feinen Die · ner ren hodufden Berg Si» mari. Kurtiresli - fon. 


v. Winterfeld, Luthers geiftl. Pieder 1840. S. 46 verlegte ihre Entftehung irrtümlich 
auf die Zeit um 1540, und gab dann Evang. K.G. I. S. 109 Wolf Küphis 
G.B. von 1537 als Quelle; dus diefem teilte fie v. Tucher, Schag II. Nr. 167 
mit und gab daſelbſt unter Nr. 168 nod eine Dritte Weife aus Köphls ©.-®. 
von 1545. — Gegen die Volfsweife vermochte die Straßburger Melodie, obwohl fie 
melodiſch weniger einförmig ift, als ihre Schweſter, nicht allgemein aufzulommen, 
wenn fie and ziemfih verbreitet war.) Im äfteften Pfalter der franzöfifc-refor 
mierten Kirche, der 1539 zu Straßburg erſchien, eignete fie ebenfalls dem Liede 
über die zehn Gebote, wurde aber ſchon in der Genfer Ausgabe von 1542 durd 
eine neue Melodie erfegt, und dieſe mußte dann im der Lyoner Ausg. von 


1) Bot. Meifer, Das tath. deutſche 8-8. 1862. I. S. 399 und dagegen Böhme, a. a. ©. 
©. 880 u. S. 730, 

2) „Nachdem die beiden einzigen bie jebt betannten Eremplare des , Kirchen amp“ in 
dem Brande der Straßburger Bibliothek zu Grunde gegangen find, möchte der anmas vor: 
Handene ältefle, mit jenem ohne Ziweifel übereinftimmende Drud“ der Melodie der obige fein. 
Bat. Bode, Dionatsh. für Mufilgeff. 1872. ©. 225. 

2) Mer ihr mannigfadies Vortommen bis herab auf Müller, deſſen Hanauiſches €. %. 
Fronff, 1754. Nr. 49, giebt 8. Crt, Monatsh. für Mufitgefd 1972. S. 197-168 dantent 
werte Mitteilungen. 





S. Dietrich. 319 


15491) wieder derjenigen dritten Melodie weichen, die wir im ebangeliſchen Kirchen 
gefang zu „Wenn wir in hödften Nöten fein" (vgl. den Wet.) noch befgen. 


Dietrich, Sirtus (Sirtus oder Xiſtus Theodoricus), von feinem freunde 
Glarean als einer der ausgezeichnetften Tonfeger feines Zeitalters gepriefen, war 
wriſchen 1490 und 1495 zu Augsburg?) geboren, fiudierte von 1509 an zu 
Freiburg im Breisgau,) wo er fih aud verheiratete und noch 1518 aufhielt. 
Um feinen Lebensunterhalt zu gewinnen, ging er nad Straßburg, wo er in ärm 
üben Verhälmiſſen, vieleicht als Schreiber lebte, bis er um 1520 als „preceptor 
juvenum“ nad) Konftanz fam, wo er dann wohl den größten Teil feines übrigen 
Lebens zugebradit Hat. Vorübergehend hielt er fih 1541 und 1542 aud in 
Wittenberg auf, ob im Alter von 45-50 Jahren noch fubierenshafber,‘) oder 
in Angelegenheit der Herausgabe feines „Novum ac insigne opus mus.“ ift 
zweifelhaft. Die Zeit feines Todes, die man bis jegt nit fannte, ift neueſtens 
aus einer Beſchreibung der Konftanzer Belagerung 1548 von dem Stadtjdhreiber 
Jorg Vögeli, der dieſe als Augenzeuge erlebte, eruiert worden. Derſelbe erzählt, 
daß Sirt Dietrich), den er „Muficus vnd Chronifla” nennt, angeſichts der drohenden 
Belagerung franf aus Konſtanz fort und nad St. Gallen gebradit wurde, wo er 
am 21. Dttober 1548 farb.) -- Seine Tonfäge, die ihrem größeren Teile nad) 
in Kirchenſtücen, aber aud in Bearbeitungen weltlicher Lieder beftehen, erjhienen 
1534—1545 in eigenen Ausgaben (Magnificat: octo tonorum. lib. I. Strafe 
burg 1535; Nov. ac insigne opus mus. 36 Antiphonarum 4 voc. Bitten: 
berg 1541; Nov. opus mus. tres tonos saer. hymn. continens 1545. 
Wittenberg u. a.), ſowie in den Sammehverfen feiner Zeit, wo jeine Tonfüge 
neben folgen von Meiftern wie Iosquin, Wilaert, Senfl, Iſaac, Brumel, Mahn, 
Ducis u. a. ebenbürtig ſtehen und feinem Namen alle Ehre/ machen. — Hier find 
noch befonders zu erwähnen feine Tonfäge über evangeliſche Kirchenmeloditen, von 








2) „Bielleiht ſchon in der Genfer Ausg. 1543 und Strafb. Ausg. 1545." Faißt, Württ. 
&.-B. 1876. 2. 218. Bol. auch Dowön, Clöment Marot et le Psautier Huguenot, 
Baris 1878-1819, 1. ©. 024. u. ©. 640. 

2) Bgt. Monateh, für Muftgefh. 1876. ©. 42—43, mo gegenlißer den „Publitationen 
älterer Mufitwerte“ Jahrg. IV. &. 49. 50 befimint fegeellt if, daß D. aus Augsburg war. 

>) Bat. Monatsh, für Mufitgeid. 1975. &. 192 den Immatrifulntionsvermert: „1609 
Sixtus Dietrich de Augusta XXIII Septembris“. 

9) Bgl. a. a. D. 1876. ©. 118. 119 den Eintrag: „1540. Sixtus Dietrich Musicns 
Constanciensis gratis intitulatus est. 21. Dec.“ aus dem Album academiae Viteher- 
gensis, Leipy 1841. Gr wurde dort als „hospes“ „humanissime acceptus et multis 
benefieiis publice ac privatim cumulatus“ wie er in der Widmung jeiner Nov. op. mus. 
Sacroram hymnorum. vom 5. Oft. 1544 jhreibt. Bol. Monats. 1977. ©. 125. 

55 Bat. die Mitteilung Frölihe aus „Der Konftanzer Sturm im 9. 1548. Konflanz 
(Bellevue) 1846* — in den Monatet, fiir Mufigefä. 1879. Nr. 4. Mllg- dentfde Biogr. IX. 
1879. ©. 194. 











320 Die Tugend wird durchs’ Arenz geübet. 


denen 7 in den „Newen deutſchen Geſengen 123“. Wittenberg 1544 bei Georg 
Rhaw fih finden, und einzelne dur v. Winterfeld und Andre!) neu zugänglich 
gemacht find. 


Die Tugend wird durchs Kreuz geübet, Choral aus dem Freyling- 
hauſenſchen 9.8. 1704. I. Nr. 307. ©. 469, wo das Original lautet: 












































































































n — — Pe Eu 

+ ee —— 
F De Zu: gend wird durchs areuz ge— Ü + bet, denn oh, ne das tann 
Allen fie mißt oft» mals wird De ii + bei, fo merft man gar nicht 

— rs 3 R — 
Es 
Me Sie mp im Kreuz die Stür-te zei- gen, die fie der- 

Zi 36 Zee 
een in ih Gab, dab fie dem Füneme um + tersben« gem, Der 

















— Eee == 


ihr madjefiel > fet früh und fpat. 




















Die Melodie, die in ihrer gewöhnlichſten Übertragung auf „Wie groß iſt des 
Almäctgen Gite" Eigentum der ganzen deutſchen evangeliſchen und der. deutich- 
ſchweizeriſchen Kirde geworden ift, wird von der Tradition zunächſt dem Dichter 
des Liedes, Joh. Chriſtian Nehring (Infpeltor im Waiſenhauſe zu Halle bis 
1706, dann Pfarrer in mehreren Dörfern bei Halle, geft. 1736) jugeſchrieben; 
allein der Nachveis, daß das Fied ans feinem Mifr. in das Freylinghaufenſche ©.:®. 
übergegangen ift (vgl. Wegel, Hymnop. IV. ©. 372 und GriſchowKirchner, 
Kurzgef. Nadrichten sc. Halle 1771. ©. 34) hat ffir die Melodie kaum Geltung ; 
gleihrogl Hält z. B. Layrig, Kern II. S. IV feine Autorſchaft ud für diefe 
feſt. Biel Hüufiger aber wird die Weife auch in der Gegenwart nod Dr. Chriſt. 
Fr. Rigter zugefhrieben; fo z. B. bei Kocher, Zionsharfe I. 1855; Iatob und 
Richter, CH-B. I. S. 230; Fifger, Kirgent.-Ler. 1. ©. 133; Szadrowety, Ch.B. 
zum Drei Kant. ©-®. 1373. S. XVII u. a, aber mit noch weniger nadweis- 
darer Veredtigung. Im ihrer Zeichnung zeigt unfre Melodie in den neueren 
Ch. BB. mannigfahe Inderungen: nur wenige und umvefentlihe z. B. im Württ. 
&.B. 1844. Nr. 150; flürlere im Pfalz G.B. 1859. Nr. 42; am ftärtiten 


*) Bol. v. Winterfeld, Luthers Geifl, Lieder 1840. &. 108-110. Anton Andre, Lchrb. 
der Tonfegt. I. 1832. And. Pr. 5. 


Dieweil ich anferfiche. Die wir uns allhie beifammen finden. 321 


änderte fie Heinr. Egli für das Bürider G.B. 1855. Nr. 181. S. 288 f. 
Die nachftehende Form im Ciberfelder ©.B. 1857. Nr. 241. ©. 211 fommt 
dem Driginal am nächte: 











































































































— Pre —— 
m 2 £ f = 
Die roh Mes Mlemähtsgen Gi» te! IM der ein Deu 
\Der mit ver - hürcte > tm e den Dant er» Aid, 
rn 
da & an FraH Nein, fi one Rie > be 
+ t : = 
re = 
fei eomig meine größste Pligt: Der Here fat mein noch nie ver «gef-fen, 
Er —— — 








ver-giß, mein Herz, auch ſei + ner nicht! 


Dieweil ich auferftehe, Choral aus Freylinghauſen, G.B. 1704. Nr. 679 
wo er im Original (Gefamtausg. 1741. Nr. 1465. ©. 1002) peift: 


Be F 
er 
Die-weil ih auf-er » ſte— he, in dei mem Gna-den » did, iſts 

} * =: = sim} = 

& ern — — — 
bit ug, Da ih ger he vom Dir, Her, midt zu - rild. 


Das Württ. Ch-B. 1844. Nr. 4 verwendet ihm zu dem Hillerſchen Liede „So 
Gang ich hier nod wolle” in folgender Form: 


Serra: = 
S So lang ih Hier noch walrle, foll dies mein Senf-zer em, 








































































































Er 


„Herr, Hilf mir, ich bin deint“ 



































pers bei je » dem er . 





Die wir uns allhie beifammen finden, Choral, vgl. den Art. „Herr 
und Aliſter deiner Kreuzgemeine“. 
Kümmerte, Encytl. d. ang, Rirhemmuft. I. a 


322 3. A. Dilherr. Gebr. Dinfe. 6. Diodati. 


Dilherr, Johann Michael, bedeutender Theologe und Prediger in Nürnberg, 
namhafter Dichter, der auch durch einige Melodieen den ebangeliſchen Kirhengefang 
bereichert hat. Er war am 14. Oftober 1604 zu Themar im Hennebergifhen 
geboren, befuchte von 1617 an das Gymnaſium zu Schleufingen und ftudierte von 
1623 an Theologie an der Univerfität Leipzig. Schon 1631 wurde er Profeſſor 
im Jena, wo er außerordentlich beifäflig aufgenommene Vorlefungen und Predigten 
hielt; 1642 wurde er als Direktor des neuerricteten Agidien Gymnaſiums nad) 
Nürnberg berufen, 1646 Hauptpaſtor an der Sebalduslirche daſelbſt und als folder 
Rarb er am 8. April 1669. — Durch Herausgabe des Nürnb. G. B. 1665, 
das unter feinen 712 Liedern auch viele von ihm ſelbſt gedichtete enthielt, Hat er 
ſich um den Kirchengeſang verdient gemadt, und als gründliher Kenner der Mufit 
auch einige Melodieen zu feinen Liedern gejegt, die fih, 19 am der Zahl und mit 
feiner Chiffer „I. M. D.” bezeichnet, in Stadens Seelenmufit. Nürnberg 1644 
finden; vier derfelben gingen noch in Erhardis Chor- und Figuralgeſangbuch. 
Frantf. 1659 über, und eine fand weitere Verbreitung im Nitenb. GB. 1677. 
Königs Ch-B. 1738. Layriz, Kern II. Nr. 223: „Hör liebe Seel, dir 
ruft der Herr — ghedhaag.) 


Dinfe, Gebr., Orgelbauwertſtätte in Berlin. Dieſes Geſchäft wurde 1839 
von W. Lang und defien Schwiegerjohn Dinfe, die beide langjährige Gehülfen 
Buchholz’ geweſen waren, gegründet und führte bis 1857, da Lang ftarb, die Firma 
„Lang & Dinje*. Yon 1857 bis 1871 führte es Dinfe unter feinem Namen 
allein weiter, unı es am 1. Januar 1872 feinen beiden Söhnen: Oswald Dinfe, 
geb. 22. Auguſt 1845, und Paul Dinfe, geboren 29. Iuni 1849, den jegigen 
Befigern, zu übergeben. Diefe Haben ihre Ausbildung im väterlichen Geſchafte 
erhalten und ſich mod; durch den Beſuch bedeutender Etabliſſements in Frankreich 
und Deutjhland in der Orgelbanfunft vervollfommnet. Bon den ca. 300 Orgel: 
werfen aller Größen, die bis heute in diefem Gejhäfte gebaut wurden und von 
denen an 30 allein in Berlin ftehen, fein angeführt: 

Die Orgel der Kirche zu den 12 Apofteln in Berlin. 39 H. Stn. 3 Dan. 

Bed. — 5 Orgeln in St. Petersburg, darunter die der Kathedrale St. Ka- 

tharina. 45 M. Stn. 3 Man. u. Bed. — Orgel in der emang. Kine zu 

Kaſan; Werke in Polen, Litthauen, Böhmen. 






Diodati, Giovanni, geboren 1576 zu Yucca, trat zur Reformation über und 
mufte deswegen fein Vaterland verlaffen; er lebte längere Zeit als reformierter 
Prediger zu Genf, war 1618 Präfident der Synode zu Dortrecht, und flarb im 


9) Mer eine merlwürdige muftaliihe Aufführung, die Dilherr und Staden am 21. Mai 
1643 veronftalteten, vol. Euterpe 1864, S. 68-70. Diefe ungeheuerlige Programmmufl 
Teitete Dilherr mit einer feierlichen lateiniſchen Rede „De ortu et progressu, usu et abusu 
musicae® ein. 






Dir, dir Ichovah will ich fingen. Piskant, Diskantfelüfel. 323 


dahr 1649. Außer einer Überfegung der Bibel ins Framöffhe und Italieniſche 
bat er aud den Pialter in itafienifche Pfalmlieder umgedihtet und diefelben durch 
einen unbetannten Komponiften, der auf dem Titel mit der Chiffer „A. ©." be- 
zeichnet iſt, mit Melodieen verfehen laſſen. Diefes itafieniitie Pfaimbud mit feinen 
150 Melodien erfien, vom Sohne des Berfafiers herausgegeben, 1664 bei Intob 
berg zu Harlem. Joh. Zahn teilt — Cuterpe 1972. ©. 82. 83 — zwei der 
Melodien (Pf. 1 und Pf. 150) mit, 


Dir, dir Ichovah Will ich fingen, Choral, der im Freylinghaufenfden 
6.8. 1704. Nr. 291. ©. 441 zuerft erfheint, wo ex Heißt: 


— 


= 
fin » gen, 








een 








tho vah will ih dodi ein 


dei «nes 






(as die ger 
Dir wit ih 














— — 











ſet ge Gott wie du? ; 
A Kraft da zu 5) 


























fo wie es dir durd ihn ge - fäl-Tig 


Er ift aus einer Parallelmelodie von „Wer nur den Lieben Gott (äft walten“ 
gebildet, die ſich zuerft in „Mufifalifd Hand-Buch der Geiftlihen Melodien” x. 
Hamburg 1690. ©. 165 und in Bronners Ch-B. 1715. ©. 351 findet und 
3. 8. bei Henthchel, CH-2. Nr. 188. ©. 111, bei Hiller, Schicht u. a. mit ihrem 
urfprünglichen Terte beibepalten ift. Im Württemberg — Ch®. 1844. Nr. 77. 
S. 83 — umd der Dart — vgl. Euterpe 1861. Nr. 9. ©. 152 — eignet fir 
iegt dem Sterbeltede „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“ (vgl. den Art). 


Distant, Diskantus, Diskantjchlüffel. Urfprünglid, zur Zeit der erften 
Verſuche des mehrſtimmigen Gefanges nannte man die dem Kantus, der Melo— 
dieftimme, dem Tenor beigegebene Gegenftinme Disfantus; fpäter, als der mehr: 
füimntige Tonfa weiter ausgebildet war, hieß fo die Höchfte der in einem Geſange ver- 
wendeten Stimmen,') namentlid) aud zum Unterfchied vom Kantus, Gefang Üüberhaupt.?) 


) Im vierftitmmigen Tonfate war es, vom Tenor aus gejähft die dritte, daher heiten 
fe die Engländer noch heute „Trebfe” von wiplum — die dritte Stimme. 

®) Bei Ornithoparchus, Mus. act. microl. 1519 tonmt die Beeiäinung der Knaben- 
Mimme als Diefantus zuerfl vor: discantus est cujuslibet cantilenae pars suprema. 
Vel harmonia puellari voce modulanda — und Gfaran, Dodecach 1547. ©. 240 
demertt über den Unterfeieb von Kantus und Dielantus: Vulgus crebrius Discantum 
vocat, ut differat a communi nomine cantns. — 





21* 


324 Diskantfimmen, Diskantregifter, Diskantklavier. Dispofition. 


Jebt wird diefe Stimme gewöhnlich Sopran (vgl. den Art.) genannt. Die 
Disfantftimme wurde im Diefantfglüffel motiert und es Hat ſich derielte 
beſonders in der Kirchenmuſik noch bis in unfee Zeit herein erhalten. Cein Zeiten, 
auf der erflen Linie des Notenſyſtems fiehend und dort das eingeftrichene € = c' 
firierend, ift: 











Durch dasfelbe wird der Tomumfang begrenzt, den der Komponift für die Distant- 
finme in Anſpruch nehmen durfte; es ift der im matlielihen Bruſtregiſter der 
Distantflinme vorhandene. 


Disfantftimmen, Disfantregifter, Disfantlavier. Sole Orgelſtimmen, 
die, weil fie nur zum Spielen der Oberftimmen, des Disfant beftimmt find, nicht 
durch die ganze Maviatur, fondern nur von © an aufwärts gehen, heißen Distant- 
fimmen, Disfantregifter. Sie wurden früher häufiger, in Frankreich und 
Dialien noch jegt ziemlich häufig,) in Deutſchland feltener (aber Leider dod noch — 
oder vielmehr wieder mehr) angewendet und auch halbe oder geteilte Stimmen 
genannt. Oft werden geteilte Stimmen nur deshalb gefept, weil der Orgelbauer 
einfältigerweife die Durchführung durchs ganze Klavier für dem Namen einer 
Stimme widerfprehend hält, gewöhnlicher destwegen, weil mande Stimmen vermöge 
ihrer Konftruftion im den unteren Oftaven einen zu ſchwachen und undeutligen Ton 
hätten. Solde Diskantftimmen find z. B. Oboe, (fie Hat als Baß bis h Fagott), 
Klarinette (mit „Waldhorn“ als Baß), Flauto traverso (mit Gedadt als Bahı). 
Nicht immer werden folhe Stimmen auf der Ckifette genau bezeichnet (3. B. 
„Oboe 8° von ẽ an“ — oder Dboe 4° D. = Disant), was dod notwendig 
wäre. — Im alter Zeit gab man folgen Stimmen öfters ein eigenes Klavier, das 
dann Diskantkladier genannt wurde. — 


Dispofition als Orgelterminus Heißt der beim Neubau oder der Ren: 
vierung eines Orgelwerles aufzuftellende und der Ausführung zu Grund zu legende 
detaillierte Bauplan nebſt Koſtenberechnung. Cine ſolche Diepofition wird nad Maß— 
gabe des im einzelnen Falle vorliegenden Bedürfniffes, fowie der disponibeln Geld- 
mittel und NRäumlicleit am beften von einem gebildeten Oxganiften, der ſowohl die 
fünftlerifhen Anforderungen an eine gute Drgel, als aud deren techniſche Ein 


') Zur der berũhuiten Orgel im Dome zu Sevilla find die fämtliden Grundfimmen des 
H-M., und die Zungenftimmen des I, und IIT. Man. in Disfant: und Vapfimmen geil, 
daher und unter Zugählung der Züge für Koppeln, Ventile ıc, färeibt man derjelben die 
Rattfice Zahf von 110 Stn. zu, während fie in Wirtlicten nur TI EL. Stm. Hat. Im da. 
felben Kirche flegt mod) eine pweite, ebenfo große Orgel von TI I. Stn., deren Mannale einen 
Umfang von 51h Oftaven, Kontra Act Haben. Bgl. Euterpe 1813. ©. 5-7. 


Dolcan, Dulcan. Dolce, Dolcifimo. 3. S. Doles. 





richtung von Grund aus kennt, in Gemeinſchaft mit dem Orgelbauer ausgearbeitet, 
dann von einem amtlich, aufgeftellten Revidenten geprüft und begutachtet, und endlich 
unter Abſchluß eimes rechtsgültigen Vertrages zur Ausführung übergeben. Die 
fünftleriihen und techniſchen Principien, die für jede gute Orgefdispofition in 
Vetracht tommen, follen im Art. „Orgel“ im Zufommenhang erörtert werden. 


Dolcan, Dulcan, eine ältere offene Flötenftimme der Orgel, mit 8° und 
4° Tongröße, die bei Prätorins, Synt. mus. II. S. 133 zu dem „offenen 
Stimmwert, welches nicht durchaus gleich weiten Umfang hat,” gerechnet wird, und 
auf Tab. II. Nr. 1 018 Zinnftime 4. mit einen Korpus von der Form eines 
umgefehrten Kegels abgebildet ift.') Ihrem Tondarafter nad war diefe Stimme 
„ein penetrantes Regiſter“;?) fpäter wurde fie häufiger aus Holz mit vierfantigen 
Körpern, die ſich nad) oben erweiterten, gebaut. Der Dolan ift Übrigens weder 
mit der Zungenftimme Dulcian oder Dolciam (vgl. den Art.), wie ſchon 
Vratorius ausdrüdlich bemerkt, noch aud mit Dulciana, dem Salicional der 
neueren eugliſchen Orgelbauer zu venvedeln Im Orgelban der Gegenwart 
find dem often Dolcan einige moderne Orgelflinnmen nadjgebildet worden, jo zunädft: 





Dolce und Dolciſſimo von E. Fr. Walder und feinen Schilern. Dolce 8 
und 4° Hat umgefehrt tegelförnige Körper von Zinn mit Bärten; ſchmale Labien, 
deren Breite nur "5 des Pfeifenumfangs am Labium beträgt, etwas weitere Dienfur 
als Viola di Gamba und bei geringem Windzufluß äußerſt weichen und lieblichen 
Toncharatter. — Dolciffimo & und 4 ift von gleicher Bauart, aber enger 
menfuriert und noch fanfter intoniert, eine der zarteften offenen Stimmen von 
Zinn. — Außerdem Haben norddeutſche Drgelbauer, namentlich Müller in Breslau 
dem Dolcan eine Stimme mit höfgernen, unıgefchrt pyramidenförnigen Holzlörpern 
nachgebildet, die fie Portunal oder Portunalflöte (adegaft, Schwerin auch 
Vordunalflöte) nennen. gl. den Art. „Portunal“. 





Doles, Johaun Friedrich, der zweite Nachfolger Seh. Bachs als Kantor der 
Thomaeſchule zu Leipzig, war am 21. Aprit 1716°) zu Steinbach im Henne: 
bergiſchen geboren und erlangte feine Schulbildung zu Schmoltalden, fowie auf dem 








1) Prätorius, ebendaf. IL. S. 126 hat die Stimmen aud) unter dam Namen Dulzaenz 
und IL. ©. 136 als Dulgain; zu lebierer bemerlt er, daß fie nur Sfühig gebaut werden 
tönne, da fie ſih wegen ſchwerer Intonation nicht wohl Heiner machen laffe 

2) Wie Alung, Mus. mech. org. I. ©. 38 bemerlt, indem er hinzuſebt, daß es in 
einer Drgel zu Gera auch als „Dolcan oder Waldflöte 4°" md zwar „mit doppelten 
Nabjis“ fand. 

2) Gerber, N. Ler. L. S. 911 giebt nad) dem Litter. Anz. 1797. S. 1390 1715 als 
Geburtsjage mit der ausdrüctien Bemerkung: „aber nicht 1716“, während Epitta, Bad II. 
©. 724 nad) einer von Doles felbftverfaften Iateinifden Vita 1716 feht, und v, Dommer, 
Ag. deutfäe Siogr. V. ©. 312 „u. April 1715” dat. 

& 





326 3. 5. Doles. 


Gymmafium zu Schleuſingen, wo er aud) den erften Unterricht im Gefang, Klavier— 
und Orgelfpiel erhielt. 1738 bezog er die Umiverfität Leipzig, um Theologie zu 
ftudieren, und wınde zugleich Seh. Bachs Schüler in der Mufit, ein Schüler, der, 
wie immer fein Verhältnis zum Meifter gewejen fein mag,) jedenfalls eine von 
der Bachs gründlich verihiedene, modern gefällige, weichtiche und flad-populäre 
Richtung einſchlug, mit der er ſich aber ſchon als Student umd zu feines Meifters 
Lebzeiten in Leipzig viele Freunde erwarb. Nach vollendeten Studien wurde er 
1744 als Kantor und Quartus nad) Freiberg berufen, wo er feit 1747 unter 
dem gelehrten Rektor Joh. Gottlieb Biedermann wirkte, fir den er dann 1749 die 
Mufil eines Singfpiels zur 1OOjährigen Feier des weſtfäliſchen Friedens ſchrieb; 
dadurd wurde er nicht ganz ohne eigene Schuld Veranlaffung zu dem bekannten 
Streite wegen des „musice vivere* zwiſchen Biedermann und mehreren damaligen 
Muſilern, am dem fih aud Bad) beteiligte.) Fünf Iahre nad) Bachs Tore 
wurde er im Nov. 1755 vom Rate zu Leipzig auf das Kantorat an der Thontts 
ſchule berufen (am 30. Ian. 1756 fand feine Amtseinführung ftatt) und verwaltete 
dies Amt mit Gewiffenhaftigteit und Treue bis er 1789 wegen vorgerüdten 
Alters in den Ruheftand trat. Nachdem er mod acht Jahre lang mufifaliich 
thötig geweſen, ſtarb er zu Leipzig am 8. Oftober 1797. — Doles, der bei feinen 
Zeitgenoffen als Menſch wie als Künſtler in hoher Achtung fand, hat als Tonfeger 
zahlreiche Werke für die Kirche geſchaffen, in denen er ganz in der Weile feiner 
nüchternen, geiftlofen und namentlich alles geſchichtlichen Sinnes baren Zeit vein 
äufertichen Effelt durch „leichte Faßlichteit und Folge der Rhythmen, ſimple und 
fräftige Harmonie und herzſchwelgende Melodie, die man oft und beſonders in 
neueren Opern antrifft, und die aud die Kirdenmufit Haben folte," wenn er eh 
auch nicht geradezu ausſprechen wollte, „daß man ganze Opernarien in der Kirche 
fingen folle"?) — zu erzielen beſtrebt war. Mit Joh. Adam Hiller war er es daher 
aud, der am meiften zum Verfall der Kirchenmufit, und (obwohl er am felben 
Orte, wo er feine eben angeführten Anfihten fundgiebt, großes Gewicht darauf Legt, 
als ein Scäliler Bachs zu gelten) namentlich zum Bergeffen Bachſcher Kircheumufit 
beigetragen hat. — Bon feinen Werfen find Hier zu nennen: 


H Naqh Bitter, Vach I. ©. 333 foll ihn Bad beſouders geliebt haben; Spitta, a. a. O. 
S. 501 dagegen fagt fehr referviert, dafı er „Wat zwar nicht ganz ferne Mand.” Er wolite 
im Bachs Haufe, aber nicit mit Friedemann Vach zufammen, wie Bitter, Söhne Bachs II 
S. 156 f. vorausfegt, da Friedemann ſchon feit 1733 in Dresden war; vgl. Spitta, a. a. ©. 
©. 724. Anm. 08. 

2) Bol. die Darftellung des Handels bei Eindner, Zur Tontunſt. 1864. S. 64-9; 
Bitter, a, a. O. II. ©. 333345. Spitto, a. a. D. 8. 138-142. 

3) So ſpricht er ſich jelbR im der Vorrede „Bon der wahren Veſchaffenheit der SKirden: 
mufil“ in der unter Nr. 5 genannten Kantate aus, und daß er „Die Fugen aus der Sireen: 
anufil verbannt voiffen teil“ if felbfi dem alten ehelichen Gerber, a. a. D. S. 913 mertwürtis. 





Dolzflöte, Dulzflöte. 327 


1. Delodieen zu des Heren Brofeffor C. F. Gellerts geiftlien 
Oden und Liedern, die nad dicht nit Kirchenmelodicen verjehen find, 
vierftinmig mit unterlegtem Texte und fürs Klavier mit beziffertem Bafje zur 
„Brivat- und öffentlichen Andacht gefegt.“ Veipy. 1758. J. Gottl. Imm. 
Breittopf. IT u. 39 ©. au. Fol. 21 Mel. — 2. Bierftimmiges Chorat- 
bud, oder harmoniſche Melodieenfammlung für Kirchen, Schulen und Lieb- 
Haber geiftlicher Gefänge, vorzüglich nad) dem Yeipz. und Dresd. ©.-B., zum 
feidhten Überfehen auf zo Yiniengeifen zum Singen und Spielen auf Orgeln 
und lavieren, mit oder ohne Begleitung verfhiedener Inftrumente eingerichtet. 
Yeipg. 1785, in Komm. bey Adanı Friedr. Böhme IV u. 124 ©. H. qu. 
4°. 214 Choräle, von denen mehrere Hier erftmals vorfommen und die beiden 
fotgenden Eingang in den Sirchengefung gefunden haben: 

Nr. 39: „Auf, auf, mein Herz, und du mein ganzer Sinn". 





ad dsdahaglisg fie. 
Nr. 183: "Sie e wohl ift mir, o Freund der Seelen". bgas 
bacbasg—, 

ob fie von Doles erfunden find, ift wicht entfchieden.) 
engerem Kreife fichlic, geworden nod zu nennen: 

Du Magft o Chrift in fhweren Leiden. 

Du bifts dem Ruhm und Ehre gebührt. 

Gedanke der uns Yeben giebt. 
Singbare und leihte Choralvorfpiele für Lehrer und Organiften 
auf dem Yande und in den Städten. 4 Hefte ä 8 Nr, Yeip. 17951797.) — 
4. Der 46. Palm, eine Kirhemmufit. Veipg. 1758. Fol. —- d. Kantate über 
das Lied des fel.. Gellert „Ich lonmie vor dein Angeficht“ Mr 4 fin, Or). 
und Orgel. Laͤpz 1790, qu. Bol) 





— Weiter find als in 











Dolzflöte, Dulzflöte, Heißt eine offene Flötenftinme in älteren Orgehverten, 
mit Körpern aus hartem Holz, enger Menfur, mittelmäßig hohem Aufſchnitt und 
janfter, angenehmer Imtonation. Sie findet ſich meift + und Sfüpig und käme 
nach Adlung, Mus. mech. org. I. ©. 91 mit der „Querpfeife oder Quer— 
flöt” überein, wenn fie nicht „wie eine Bloctpfeife intoniert” toitede. Sie heißt 
aus Säpftöt, Süß oder Hohlflöt bei Adlung, Mufit. Gelahrth. 1758. 

) Er, Ch.B. ©. 262 fagt Über „Wie wohl iſt mir, o Freund der Seelen,” daß die Mel. 
„rahrhfjeinfih von Dofes, nicht von Hiller lompomiert“ fei, während Faißt, Württ. €.-®. 
1876. ©. 2252 mur gelten läßt: „fe ift mögligerweife, wiewohl nicht ſehr wahrſcheinlich von 
Doles ſelbſt erfunden.“ 

) Während Gerber, a. a, D. ©. 913 gerechte Bedenken über den Stil dieſer Vorſpiele 
äußert und fie „mit als Mufter empfehlen“ möchte, urteilt Fetis, Biogr. des mus. II. 
&. 35: „Cette collection prösente des piöces d’un fort bon style.“ 

*) Eine ganze Reihe tweiterer Kirdenwerfe Doles, die jedoh Mitr. geblieben find, ver- 
zeichnet Gerber, a. a. O. ©. 914. 3 feiner Choräle bat v. Winterfeld, Ev. K.G. III, 
Rotenbeil. Nr. 268. 269 abgedrudt; eine vierft. Motette „Wer bin ih? Herr“ bei Hiller, 
Vierft. Motetten x. VI Zeile. Leipz 1778-1791. II. Nr. 365 eine Fuga in D-moll für 
Orgel, bei Körner, Orgeloirtuos Mr. 191, 








328 Domdpor. 


©. 415, Dulcefloit bei Biermann, Organogr. hild. &. 23 Tibia angusta ki 
BVerdmeifter, Orgelprobe. 1716. ©. 55, und in einer Dresdner Orgel ftand fir 
unter dem Namen Quinta duleis aud als Quinta 545‘. — Stimmen ähr 
lichen Tondarakters find: Zartflöte und Sanftflöte bei Ladegaſt, Flauto dolce, 
Flauto amabile, Fläte douce, Fläte d’amour bei andern modernen Orgelbanern. 


Domchor, Berliner, ein Kirchengeſangöchor, der für die Hof- und Domtirde 
zu Berlin nad dem Mufter der laiſerlichen Hoffapelle zu Petersburg auf Veran 
iaſſung des Königs Friedrich Wilhelm IV.!) 1843 gegründet, und feit 1845 
von A. Neithardt auf die Höhe feiner Leiftungsfähigfeit geführt wurde,2) die er 
iedoch feitdem unter R. v. Hergbergs Leitung nicht ganz bewahrt haben fell.) — 
Derſelbe befteht aus ca. 60 feft angeftellten und bejoldeten Sängern!) (auch Sopr. 
und At wird von Knaben gefungen) und hat die Aufgabe, den gefanten lirchlich 
liturgiſchen Chordienft unter ausſchließlicher Verwendung veiner a capella-Gejangs 
werte zu beforgen. Er ift eine Frucht der hauptſächtich durch v. Winterfeld auf 
gebrachten Latholifiexenden Anficht, daß neben dem Choral die unbegleitete Chormuft 
die einzig wahre Kirhenmufit fei, einer Anſicht, die in der deutſchen Romantit 
wurgelt, die aber im Intereſſe der eigentlichen und wirtlich proteſtantiſchen Kirchen 
miuſit neuerdings befämpft wird.) — Die Sammlung der für die Zweite des 
Verliner Domchors beſtimmten Kircenftüde ift unter dem Titel „Musica sacra“ 
(Verl. Bote und Bod) von Neithardt, Naumann und Hergberg in einer Anzahl 
von Bänden herausgegeben worden und fan als ſehr wertvoll bezeichnet werden. — 
Nach dem Muſier des Dondors haben fid einige andere Chöre von ganz ähn 
licher Einrichtung — 3. B. der Domor zu Schwerin (unter Otto Kades Leitung), 
der Chor an der Hauptliche zu Hannover, der Kirhengor zu Weimar (unter Prof. 








') Bol. Dr. With. Schwarz, König Friede. With. IV. Verdienſt um die Tontunft. Neue 
Bert Mufihtg. 1861. Nr. 8. 

*) Naqh Otto Gumprecht, Wiener Rerenfionen 185%. Nr. 16 wurde der Domhor unter 
Neithardt „an Fülle des Wohllauis, Reinheit der Intonation, Deutlihteit der Ausſprache und 
arbeit der Gliederung von feinem Dilettantenverein übertroffen.“ 

3) Bgt. Algen. muſ. Zeitg. 1860. S. 78 daf. 1871. ©. 106, 130. 

+) Es dürfte nicht mmintereffant fein, nad) Euterpe 1991. &. 59 Gier anzuſühren, da 
der f. Domchor gegemmoärrig jährlich 33 238 I. koſten wavon 23988 PM. aus dem Staats 
fonds begahft werden. An Befofdungen werden gezahlt: 1 Dirigenten 1800 Mi. 1 Gefang 
fehrer 1200 Mt, für beide ferner ein Wohnungezuſchuß von 1080 Dt, 1 Mufikdirehter 
1500 ME, 1 erflen Bafiften 720 M., 1 erfien Tenorifen 720 Dt, 2 Sängern 648 unt 
570 ML, 3 Sängern je 504 DI. 4 Sängern je 492 M., 13 Sängern je 309 Mt., ı Sänger 
324 Mi, 6 Knaben je 216 Mi, 6 Knaben je 144 Mt. und 22 Knaben je 108 Mt. 

+) Bot. Lindner, Zur Tontunf. 1904. S. 110 f., befonders aber Spitta, Über die Mieder 


befebung rote. Kirgenmufit auf geifihtlidier Grundlage. — Deutjche Rundfgau. VII. 
1882. Heft 7. ©. 112. 


6. Döring. 329 


DMüer-Hartung) u. a. — gebildet, von denen der Salzunger Kirchenchor 
unter der trefflihen Peitung des Kantors Bernd. Miller, fih einen befondern Ruf 
erworben hat. i) 


Döring, Gottfried, Kantor und Muſildireltor an der Marienlirche zu Elbing, 
ein Mann, der ſich durch feine wertvollen muſithiſtoriſchen Werte einen bleibenden 
Namen erworben hat. Er war am 9. Mai 1801 als der Sohn eines Lehrers 
und Organiften zu Pomehlendorf bei Elbing geboren und erhielt den erften Unterricht 
ia der Mufit von feinem Vater. Später machte er weitere Studien unter Leitung 
der Kantoren Brandt und Schönfeld, fowie des Stadtmiuſikus Urban zu Elbing, 
und wurde ſchließlich noch mehrere Jahre Zelters Schlüter im königl. Inftitut für 
Kiehenmufit zu Berlin. Nach Elbing zurüdgelehrt, gründete er hier 1823 eine 
Borbereitungsfcule für das Gymnaſium, wurde 1826 Geſanglehrer an diefem felbft, 
1828 Kantor an der Marienlirche, und in diefen Intern wirtte er dann bis an 
feinen Tod unter allgemeiner Anerkennung, die ihm aud das Kultminiſterium 
dadurch bezeugte, daß «8 ihm 1839 den Titel eines königl. Deufikdireltors erteilte, 
Zur Hebung der muſikaliſchen Zuftände Elbings trug Döring durd Gründung 
von Gefangvereinen (1831 den Lehrergefangberein des Kreiſes Elbing, 1838 den 
Etbinger Gefangverein; von 1844 am leitete er aud die Elbinger Liedertafel), 
Leranftaltung und Leitung vegelmäßiger Mufllaufführungen, ſowie durch feinen 
Unterricht ſehr weſentlich bei. Während er aber fein Aınt in Kirche und Schule 
mit gewiſſenhafter Treue verwaltete, widmete ex feine Mufeftunden litterariſchen 
Arbeiten auf dem Felde der Muſitgeſchichte, namentlich der Geſchichte des Chorals 
and hat fih auch hier unftreitige Verdienfte erworben; feine einfchlägigen Arbeiten 
zicmen ſich durch ftrenge Gewifienhaftigfeit der Forſchung und des Urteils und Ge: 
mandteit im der Darftellung vorteilhaft aus. Dagegen zeigt namentlich feine 
„Choraltunde” bei aller anerfennenswerten Beherrſchung des Stoffes eine zu weit 
gehende Abhängigfeit von Winterfeld, deffen Anregung ihm zuerft zu feinen Hymmo- 
logifchen Studien veranlaft Hatte. — Bon D.s Werfen find hier zu nennen: 

1. Choralbuch für die Provin Preußen, zur drei und vierflinmigen 
Ausführung. Königsb. 1834. Bornträger. — Anhang zum Choralbud. 
Elbing 1861. Neumann-Hartmann. — 2. Anleitung zu Chovalzwifdienfpielen. 
Verl. 1839. Kortmamm. — 3. Veihreibg. und Geh. der ed. Hanptficche zu 
St. Marien in Elbing. Elbing 1846. Neumann Hartmann. — 4. Zur 
Gefchihte der Mufit in Preußen. Ein Hiftorife-eitifcher Verfuh. Dat. 1852. 
VIII und 200 ©. 3°. — 5. Schul: und Haus-Choralbuch. Daſ. 1861. — 
6. Chorallunde in drei Büchern. Danzig 1865. Bertling. X u. 500 ©. 8°. 
mit 8 ©. Mufitbeil. — 7. 30 ſlaviſche geiftl. Melodieen aus dem 16. und 
17. Jahrh. Mit vierft. Tonfage verfehen und nad) den Quellen heraus- 





*) Über den Satzunger Kirchenchor vgl, Hentſchel im Päd. Jahresbericht 1867. Bd. 20. 
©. 323. Neue Zeitfäe. für Mufl. 1867. ©. 41 fi. u. a. 


330 3. $. S. Döring. Doppelbalg. Doppelföte. 


gegeben. Leipz. 1868. Dörffel. XVI u. 40 ©. 8°. — 8. Die mufi- 

Talfgen Erfheinungen in Clbing Bis‘ zu Ende des 18. dahrhundetis. 

Eibing 1868. Neumann-Hartmann. 29 ©. gr. 8. — 9. Cine Anzahl 

hymnologiſcher Artifel im Zeitigriften (5. B. „Hymnologiihe Studien“ 1853. 

Verteidigung des Princips der Chorafzwif—enfpiele. 1842. — Die preußiſchen 

Gefang« und Choralbücer. 1852. Mufitaliice Erfheinungen in Preußens 

Vorzeit 1851. Das Cantional des Sefluyan. 1861. 

Döring, Johann Friedrih Samuel, geboren am 16. Juli 1766 zu Gatter- 
fädt bei Duerfurt, wo fein Vater Schulmeiſter war. 1776 tam er auf die 
Tomasfcule zu Leipzig und trat zugleich als Sopranift in den Thomanerhor; von 
1788 an ftudierte er Theologie am der Umiverfität zu Leipzig und 1791 wurde er 
Kantor zu Luda in’ der Niederlaufig, 1793 zu Görlig und 1814 zu Altenburg, 
wo er am 27. Auguft 1840 ſtarb. Er gab heraus: 

Volftändiges Görliger Choral:Melodieen:Bud in Vucftaben, vierſtimmig 





gefegt und herausgegeben von ... Görlig 1802. Unger. qu. 8°. mit 
257 Chor. umd 3 Kolleften. — Bolftändiges Altenburger Choral-Melodieen 
Buch in Buchſaben, vierftimmig gefegt und Herausgegeben von . . . Alten 


burg 1815. au. 8%. mit 165 vierft. Chor. — 27 Choralmelodieen nach 
Gedichten der beften alten und neuen Autoren, nebft dem gewöhnlichen Gefange 
bei der Kommunion: Heilig iſt Gott der Herr, für Singechöre und Anftalten 
zum Singen vierſtimmig geſetzt von .. Leipzig 1827. Breitk. m. Härtel. 
il. qu. Fol. 34 S. Bol. Allg. muſ. Ztg. BO. XXX. ©. 98 ff. 


Doppelbalg, Wiederbläfer, dgl. den Art. „Balg“ und „Magazinbatg“. 


Doppelflöte, cine Flötenſtimme der Orgel mit vierfantigen Holzlörpern, 
die behufs Verſtärtung des Tones mit doppelten, einander gegenüberliegenden Labien 
verfehen find. Cie dommt mit 8 und 4 Ton forwohl offen, als auch gedeft 
vor — im legteren Fall heißt fie Doppelgedadt (vgl. den Art. „Gedadt“) —, 
und es bewirlen ihre Doppellabien bei beiden Arten eine weſentliche Verſiärkung, 
bei der gededten überdies nod) eine größere Marheit des Tones, bei ziemlich flartem 
Windverbraud. Nah dem Zeugnis des Prätorius, Synt. mus. II. ©. 140 
wurde die Doiflöt oder Duiflöt, wie er fie nennt, um 1590 von Eſajas 
Conipenius (vgl. den Art.), der damals noch ein junger Dann war, erfunden, 
iſt aber — wie er Hinzufegt — noch zur Beit nicht gemein worden“ und noch 
zu Mdlungs Zeiten fand man fie „etwas ſparſam“, ) wahrjdeinlih wegen des 
größeren Pages, den fie verlangt, -— Auch eine Driflöte, mit Pfeifen von 
dreifeitiger Form und einem Labium an jeder diefer Seiten findet ſich in alten 
Drgelm, und noch in neuerer Zeit ſuchte der Orgelbauer Fr. Schulze (vgl. den 
Art.) in Paulinzelle bei Stimmen von enger Menfur mittelit diefer Bauart mehr 
Tonfülle und leittere und ſichere Intonation zu erreichen.) 


1) Sat. adiund Mus. mech. org. I. &. 30. Daft S. 80 wird die Stimme and 
als Flöte dupla 8° angeführt. 


Doppelgedakt. Doppel-Labinm. Doppel-Lade. Doppelventil. 331 


Doppelgedadt, vgl. den Art. „Gedadt“. 
Doppel-Labium, vgl. den Art. .Labium“. 
Doppel:Ende in der Orgel, vgl. den Art. „Windlade“. 


Doppelventil, eine von dem engliſchen Orgelbauer Varter (vgl. den Art.) 
erfundene Boreihtung an den Spielventilen der Shleiflnde in der Orgel, die 
den Zwed hat, durh Auspleihung des Luftdruds auf beiden Seiten des Ventile 
dns Öffnen desjelben und damit die Spielart einer Orgel zu erleichtern. Bei 
geictoffenem Spielventil drüdt nämlich außer der Bentilfeder aud) noch die im 
Windfaften befindfiche fomprimierte Luft auf die ihr fid) Gietende untere Fläche 
des Ventils und es iſt daher beim Niederbeivegen jeder Tafte eines Manuals oder 
Vedals diefer doppelte Widerftand zu überwinden, der natürlich um fo größer wird, 
eine je größere Fläche das Bentil den Drude der tomprimierten Luft im Wind- 
often bietet. Um das Ventil von diefem Luftdrud zu befreien, denfelben aufzuheben, 
tam Barter auf die Idee, durch den Vorderteil desfelben eine durch ein zweites 
Heineres Ventil gededte Öffnung zu machen. Diefes zweite Meinere Ventil, das 
durch die Bentilfeder an das CSpielventil angedrüdt wird, ift fo eingerichtet, daß 
88 ſich beim Niederbeivegen der Tafte einen Moment früher als fein Hauptventil 
öffnet; fofort firömt eine Quantität Luft aus dem Windkaſten durch diefe Offnung 
des jonft noch, geſchloſenen Hauptventils in die Kanzelle und paralyfiert durch, ihren 
Drud auf die obere Fläche des Bentils den Drud auf deifen entgegengefegte Seite 
fo, daß, um das ganze Ventil zu öffnen, nur nod der Deud der Ventilfeder zu 
überwinden if.) — Diefe Vorrichtung, die ſelbſwerſtändlich eine minutids genaue 
Herftellung verlangt, wurde von andern englifchen Orgelbauern mod) weſentlich ver- 
beffert?) und aud in Deutfchland — z. B. von Buchholz in Berlin u. a. — 
angervendet. — Seit ift fie für größere Orgelwmerte durch den ebenfalls von Barter 
erfundenen pneumatiihen Hebel Überflüffig geworden. — Andere Arten von Doppel 
ventilen (Doppeltlappen) werden zum Zwede der Gewinnung, Leitung und Zuführung 
größerer Windquantitäten im Gebläfe (vgl. den Art.) der Drgel noch mehrfach 
verwendet, 








3) Sein Son und Gefdäfttnachfolger, mund Schulze, hat in der großen Orgel zu 
Doncafter in England (94 HM. Stn., 5 Dan. u. ved, 1857-1962 erbaut) die Yobllöte 8° 
im 9-8. fo gebaut, und die englifchen Orgelbaner Forfler und Andreios in der Orgel der 
AN Souls Church in Halifax find feinem Borgang gefolgt. Sol. Hopkins and Rimbault, 
The Organ. 1. ©. 105. 

2) Wal. Über die Barterfgen Doppelventile, die er in Frantreich unter dem Namen 
„Soupapes & trier“ ammandte, aud) Töpfer, Lehrb. der Orgelbaufumf, 1. &. 536. Püilibert, 
L’Orgue d’Amsterdam. &. 39. ®ly, La Facture moderne. Lyon. 1980. ©. 12. 73. 

*) Rod zwei andere Arten: das „Jointed-pallet“ von Hoft in Bradford, und das 
„Valve-pallet“ von Jardine in Newyorl — find abgebildet und Sefdheieben bei Hopkins and 
Rimbault, The Organ ete. 1977. II, &, 33-34. 








332 Doppio pedale. Dorifd. 


Doppio pedale oder Pedale doppio in Orgeltompofitionen bezeichnet die 
Verdoppelung der Pedalftimme durch die tiefere oder Höhere Oltave. Die alten, 
namentlid die norddeutſchen Orgelmeifter, wie Burtehude, Böhm u. a. verwenden 
öfters wirtliches Doppelpedal, obligates zweiftimmiges Pedal,‘) und auch Sch. Bad) 
verwertete dasfelbe zu den großartigften Orgelgebilden. 


Doriſch, modus dorius, der erfte Kirdenton, den der h. Ambrofius 
in dem nach ihm genannten Kirchengeſang der Tradition zufolge zur Grundlage 
des Syftems der Kirchentöne geniacht und daher einſach als Protus — Tonus 
primus — bezeichuet hat. Die Tonreihe diefer Tonart in ihren beiden Haupt- 
formen, authentifd und plagal, Doriſch und Hypodoriih, und deren Ber- 
feßungen (ins Genus-molle) lautet: 

a) authentiſch: Dorius. 

1. Dorius regularis. 

Tonus primus. I. Kirchenton. 


2. Dorius transpositus. 
(Genus-molle.) 





b) plagal: Hypodorius. 
1. Hypodorius regularis. 
Tonus secundus. Il.irdent. 


2. Hypodorius transpositus. |r 
(Genus-molle). ses 
Den Charakter des Dorifchen präcfieren die alten Schriftfteller dahin, daß er 
reich am Modulationen, beſcheiden und ernft, für den Ausdrud aller Gefühle tauglich, 
würdevoll und prähtig fe?) Sein Finals oder Schlußton ift D, feine Domi 
nante A; in feinem Ambitus konnte es um eine Heine Terz über die Oftave Hin: 
ausgehen, ) und an Tropen, d. h. Gängen oder Figuren (Neumen), die ſich in den 
ngen häufig wiederholen, bildete es 3. B. folgende: 























Er | 
z —aH x. 
































*) Eine Fuge mit zweiftimmigem Pedal von Nitofaus Bruns bei Commer, Musica 
sacra. &. I Nr. 5. 

) „Foecundus, modestus, severus, et ad omnes affectus indoneus, gravis, magni- 
fieus.“ „Omnibus aptus est primus“ (dam von Fulta 1490). 

2) Aber nit nur wie Walther, Mufit. Leriton. 1792. ©. 410 meint und Rambach, gu 
thers Verdienſt 1. S. 237. Anm. mod nachſchreibt: „ad exprimendum animi ardorem“ in 
einem einzelnen Falle (wie 3. ®. im Choral „Vater unfer im Himmelreid“), fondern als der 
Zonart eigen, wie Olarcan Dodecach 1547. ©. 118 ausdridlich hervorgeht: „huic modo pe- 
culiare est supra diapason semiditono oxultare, cum magna hercle gratin.“ 








Doriſch. 


oder im Sinne des Luk. Loſſius (Psalmodia 1563):) 


+ + —— * 
— Ta un u 


Seinem harmoniſchen Inhalt nad) ift das Doriſche zwar Moll, neigt aber ſtart dem 
Dur zu; vom Üoliſchen unterſcheidet e8 fi) Hauptfählic durch die große Sert 
und daher den Karten Dreillang der Ounrte. — Das Hypodorif—e, dem die 
Alten einen vorwiegend weichen Charalter zuſchrieben — „tristibus aptus“ (Adam 
von Fulda) —, bildet Tropen wie folgende: 







































































— — 

oder nad) Auf. Loffius: 
Gen. 

> 

und ift namentlich in feiner Verſehung für den plagalen Gefang von Wichtigleit, 
weil durch diefelbe die Tonica in eine für plagale Melodien bequeme Tonlage 
tommt. Die ſamtlichen liturhiſchen Gejangftüde des evangelifchen Hauptgottesdienftes 
gehören mufktalifc zur zweiten Kirchentonart. Dies war mit Bezug auf die aus 
dem gregorianiſchen Gefang in die lutheriſchen genden Gerübergenommenen Prä- 
fationen zum Eingang der Abendmahfsfeier ſchon früher nahgewiefen;?) jegt ift 
dieſer Nachweis auch auf die andern feiten Beftandteile der Liturgie vom Kyrie bis 
zum Baterunfer ausgedehnt, „deren mufitalifer Geſchlechtöcharalter Häufig verfannt 
und durd eine unfiher hin und her fahrende, auf Grundfäge nicht gebaute Be- 
gleitung (Halb aus F-dur, Halb aus C-dur, oder G mprolydiic) verdunfelt zu 
werden pflegt.") — Nach Seth Calviſius, Exercit. mus. dune. 1600. ©. 19 
gehören u. a. folgende Choräfe der doriſchen und hypodoriſchen Tonart an: 
„Dit Fried und Freud fahr ich dahin“ — „Chriſt lag in Todesbanden" — „Wir 
glauben all an einen Gott” — „Vater unfer im Himmelreich — „Chrift unfer 
Herr zum Jordan kam“ — „Durch Adams Fall ift ganz verderbt“ (letztere beide 
mit äfifchem Schluß); „Exftanden ift der Heilig Ehrift” — „Erhalt uns Herr 
bei Deinem Wort" — „Chrift der du biſt der Helle Tag" — „Iefus Chriftus 























?) „Tropus est brevis conceptus in cujusque toni repereussione incipiens, quae 
singulis psalmorum et responsorium versibus in fine additur.* 

9) Dur Nachar, Der gregorianifde Kirhenge). 1852. 9 52. ©. 124, und Wollerofeim, 
Aneifung zur Erfermung des greg. Gel. 2. Aufl. ©. 110. 

9) al. Iuftus B. Lyra, Die fiturgifgen Atarveifen des luth. Haupigotiesdienfies. 
Göttingen 1873. 4°. &. 8 f. und daf. 5, 50-74 einen „Mufifal. Grunbriß der Liturgie für 
den Autherifcien Hauptgotiesdient nad} dem Shflem der weiten Kirdentonart.” 


334 Donblette. Dorologie. 


umfer Heiland" — „Singen wir aus Herzensgrmmd“ u. f m; von Piel 
melodieen der reformierten Kirche gehören hierher: Palm 23. 33. 77. 91. 1%. 
128. 130. 137 u. f. w. 


Doublette ift zunähft der bei den frauzöſiſchen Orgelbauern herkömmlite 
Name der Dftave 2° (Superoftave) im Principalchor, deifen übrige Angehörige 
dann öfters fo bezeichnet werden: Principal 16° = Principal (Englifh = Doube 
Diapafon), Principal 8° = Montre (Englifh = Diapafon), Oftave 4° = Preftnt, 
Dftave 2’ = Doublette. — Die älteren deutf en Orgelbauer nannten Doubletter 
aud) gleichnamige Stimmen, die in gleicher Tongröße und Menfur in einem Werte 
disponiert waren, eine Verſchwendung, die Abt Vogler mit Recht befämpfte. 
Dagegen werden Doubfetten von gleichnamigen aber verfßieden gebauten Stimmen, 
3. D. Beindpal 8° aus Metall oder aus Holz, und vericiedener Menfur und 
Intonation allgemein und mit beſtem Erfolg venvendet.) — Als weitere hierher 
oehörige Einrichtungen der Neuzeit find anzuführen: die Ermöglihung, z. B. eine 
ahtfüßige Stimme des Hauptmanunts als felbftändige vierfügige Stimme auf dem 
weiten Mannal zu verwenden; ferner die Koppelung, durch deren Anwendung dat 
getoppelte Manual auf dem andern eine Oftave tiefer erflingt, fo daß ein vier 
füpiges Negifter in feiner Wirkung zu einem achtfüßigen wird.?) Vgl. aud) den Art. 
„Rollettivgüge”. 





Dorologie, Lobſpruch, eine Formel, in der der Name des dreieinigen Gottes 
verherrlicht wird, das Gloria der letholiſchen Meffe, wie es ſchon feit den älteften 
Zeiten in der Kirche gebräudjfic if. Man unterfceidet zwei Formen der Dorologie: 
die Doxologia major oder große D. das Gloria in excelsis — und die Doxo- 
logia minor oder Heine D. das Gloria patri. — Auch die ewangelifhe Kirhe 
verwendet in ihrer Liturgie die beiden Arten der Dorologie, und zwar die größere 
Formel fo, daf der Fiturg das Gloria „Ehre fei Gott in der Höhe“ im geege- 
rianiſchen Choral intoniert und Chor und Gemeinde mit dem Et in terra pax 
„Auf Erden Fried“ oder dem Piedweifen „Allein Gott in der Höh fei Ehe" oder 
„AN Chr und Lob fol Gottes fein“ antworten. Bol. Layriz, Kern IV. ©. 8 u. 
9 u. ©. 16 u. 17. — In der latholiſchen Meſſe bildet das Gloria den auf das 
Kyrie folgenden zweiten Hauptſatz und Hat 4 gebräuchliche Melodien: in duplieibus, 
in semiduplieibus, in simplieibus und in festis B. V. Mariae. Der voll 





So feßt z. 8. Henry Willi 
bei 100 ff. Stu. folgende Donbletten: 
Hauptman. 3 Principafe 8, 2 Oltaven 4 und 2 Oltaven 2; 
IL Man. (Swell Organ) 2 Peincipale 8° und 2 Oltaven 4; 
Pedat: 2 Prindpafe 32° in Metall und Holz, 2 Principale 16° und 2 Dftaven &. 
) Bol. Wangemann, Geſch. der Orgel. S. 308 — „Doubfettenfüflem“ — und Cu 
terpe 1877. ©. 170. 





in London im der Orgel der Georges-Hall zu Liverpool 


Ch. Drath. 335 


Röndige Tert desjelben in der mufifafifhen Meffe ift: Gloria in excelsis Deo! 
Et in terra pax hominibus bonae voluntatis. Laudamus te, benedieimus 
te, adoramus te, glorificamus te. Gratias agimus tibi, propter magnam 
eloriam tuam. Domine Deus, rex coelestis, Deus pater omnipoter 
Domine fili unigenite, Jesu Christe, agnus Dei, filius patris, qui tollis 
peecata mundi, miserere nobis, suseipe deprecationem nostram, miserere 
nobis. Quoniam tu solus sanctus, tu solus Dominus, tu solus altissimus, 
Jesu Christe, cum saneto spiritu in gloria Dei patris. Amen. Der Tert 
der Doxologia minor lautet: Gloria patri et filio et spiritui sancto. Sieut 
erat in principio et nunc et semper in saecula saeculorum. Amen. Byl. 
Brätorins, Synt. mus. 1. 1615. ©. 64 und Bring, Hift. Beſchreibung der edlen 
Sing- und Klingtunſt. Dresden 1690. ©. 93. 








Drath, Theodor, Seminar und Waiſenhausmuſillehrer zu Bunzlau in 
Sälefien, ift am 13. Juni 1828 zu Winzig in Mittelſchleſien geboren und erlangte 
feine mufitafifge Bildung unter Leitung des Mufikdirehtors Karow im Seminar zu 
Bunzlau, ſowie als Schüler des Profeſſors A. B. Marr in Berlin. Er wirkte 
dann an verſchiedenen Orten als Lehrer und Kantor, als Muſitlehrer am Seminar 
u Bölig bei Stettin und feit 1864 als Gäblers und Karows Nachfolger am 
Seminar umd Waiſenhaus zu Bunzlau. Drath Hat auf dem Gebiete der Kirchen 
mufif als Komponift und Lehrer eine erfolgreiche Thätigfeit entfaltet, von der feine 
Werte vollgiltiges Zeugnis find. 

1. Ehoräte und Kirgenmufif: Choräle mit Strophenzwiſchenſpielen. 

Op. 6. 1863. Stettin, Bulang. — Chorüle mit Tert zum Auswendigleruen. 

Op. 7. 1863. Daſ. Choralmotette für Mor. und Orgel. Op. 10. 

1864. Erfurt, Körner. — 150 Choralmelodieen mit Tert und hiſtoriſchen 

Notizen. Op. 24. 1865. Breslau, Dülfer, — 7 Kirgenmufifen für gem. 

Chor und fl. Orqh. oder Orgel: Pjalm 23. Op. 18. 1864. Adventsmufit. 

Op. 20. 1864. Weihnadtsfantate. Op. 23. 1865. Dftermufil. Op. 25. 

1865. Pfingftmufit. Op. 28. 1866. Lob: und Dantmufil. Op. 27. 1865. 

Auferftanden. Op. 29. 1866. Langenfalze, Shulbuhhölg. — Salvum fac 

regem. Op. 44. Bunzlau, Tige. — 2. Orgelwerte: Die Kunft des 

Chorofvorfpiels in den vericiedenften Formen über die widtigften Choräfe, 

mit - und Vortragsnotigen, zum Firhlihen und unterrichtlichen Gebraud. 

Erfurt 162. Körner. VII u. 109 ©. qu. 4°.) — Bar. über „Unfern 

König Gott erhalte”. Op. 8. 1863. Daf. — daut. über Bad) für Org. 

au 4 Hön. Op. 9. 1863. Daf. — 20 Lieder ohne Worte von Mendels: 

fopn für Orgel transfribiert. 5 Hfte. 1863. Bonn, Cimmod. — Bar. für 

Drgel Über ein gegebenes Thema. Op. 38. 1868. Leipzig, Derfeburger. 











) Dies if fein Bedeutendfles Wert, in dem „in 93 Präfudien jede erdentliche Weiſe, 
den Ehoral für das Borfpiel zu dennhen, das Schverfle micht ansgefäfoffen, in Anmendung 
gebradit iR." Bol. Ernf Hentfcel, im Pädag. Iahresber. 1963. Bb. XV. ©. 577 md 
Enterpe 1863. ©. 12. 


336 A. Drefe. 


Bar. für Orgel Mer ein Originalthema. Op. 39. 1868. Daf. — Jutrod, 
Var. und Finale für Orgel. Op. 37. Daf. — „Nun dantet alle Gott“ 
für 2 Chorviolinen und Orgel. Op. 34. Vunzlau, Appun. — Memorier 
Bräfudien in den gebräudt. Choraltomarten für Orgel. Ouedlinburg, Bieroeg- 
Op. 59. — Choraf-Zwifchenfpiele für Orgel. Dal. — 


Drefe, Wan, war Mitte Dezember 1620 wahrſcheinlich zu Weimar geboren 
umd wirkte zuerft als Mufiler in der dortigen Hoflapelle. Zu feiner Ausbildung 
ſchiate ihn der Herzog Wilhelm IV, zu dem fönigl. polnifhen Kapellmeifter Marco 
Sadi nad Warfgau, und als er 1655 von dort zurlctam, machte er ihm zu 
feinem Hoflapellmeifter. Als der Herzog 1662 ſtarb und das Land unter feine 
vier Söhne verteilt wurde, folgte Drefe dem Herzog Bernhard, dem der jenoiſche 
Anteil zugefallen war, als Kapellmeifter nad; Jena, wo er ihn feiner vielfeitigen 
Vildung wegen zu feinem Kammerfefretär und zum Stadt: und Ämtöſchulzen ernannte. 
1667 aber löfte der Fürft feine Kapelle auf und Drefe wurde aus unbefannten 
Gründen entlaffen; er ſcheint dann einige Zeit in Darmftadt gelebt zu haben, 
wohin er an den Sandgrafen von Heffen empfohlen war. Einige Jahre ſpäter wor 
er wieder am Hofe zu Jena, und aud) als Herzog Bernhard 1678 farb, blieb er 
unter der vormundſchaftlichen Regierung der Herzogin auf feinem Poften. 1682, nach 
den auch diefe geftorben, verlor er feine Stelle und fam 1683 in den Dienft des 
Schwarzburgiicen Hofes nad Arnftadt, wo er bis zur Auflöfung der Kapelle 1698 
Kapellmeifter blieb umd dann im den Ruheſtand trat. Er ftarb zu Arnſtadt am 
15. Februar 1701 über 80 Jahre alt. Sein Hauptinftrument war die Viola di 
Gamba, und war er hierin Kunſtgenoſſe feines Freundes Georg Neumark, mit den 
er im Weimar zuſammen gelebt und zu deſſen „Mufifal.poetifcem Luftwald“ er 
14 Siederfompofitionen beigefteuert Hat. Um 1680 war er mit Speners Schriften 
befannt geworden und durch fie und „die Vorrede Luthers über die Epiftel an die 
Römer wurde er in feinem Innerften gerührt und zu Gott gezogen;“ er dichtete 
nun aud) einige geiſtliche Fieder, die mit feinen Melodien zunädft in das Darın- 
ſtädter und Hallefhe G.B. Aufnahme fanden, und von denen „Seelenhräutigam” 
Eigentum der ganzen wangelifhen Kirche geworden if. — Über „Seelen 
Bräutigam, Yeju, Gottes Tamm“ vgl. den Art; eine weitere feiner Melodieen 
it „Jeſu, rufe mid von der Welt, daß ih“ (Winterfeld, Eu. K.G. II. 
Notenbeil. 192), ob ihm ferner mod, wie mande wollen, auch die Melodie zu 
„Seelenweide, meine Freude” zugehört, ift unfider.*) 





') Nach Roc, Gef. des Kirchenl. V. S. 576 wäre aus diefer Mel. im Fredling 
Haufenfgen . B. von 1714 „Ringe vet, wenn Gottes Gnade” gebildet worden, währen) 
nad; Faift, Württ. Ch. B. 1870. &, 224 deren Grundlagen aus Königs €.%. 1738 Nammen 
und fie erft bei Thommen, Chrihenſchat 1745 und zwar als „Herrnhuter Melodie” erfäeint 

2) Cut, CB. Rr. 231. ©. 259 fhreibt ie ihm zu, während nad Koh, a. a. C 
monde Seb. Bad) für ihren Komponiften Halten. 





6. Dreßler. Chr. Dreßler. Drehel. 337 


Drehler (Dreslerus), Gallus, ein treffliher Komponift von an 250 Kirden- 
den für den Chorgefang der evangelifhen Kirche, der um 1530 zu Nebra in 
Thüringen geboren wurde. Wo er feine mufifalifhen und theologiſchen Studien 
magpte, ift nicht mehr zu beftunmen; 1557 treffen wir ihn als Nachfolger Martin 
Agricolas beim Kantorat der Domfcule zu Magdeburg und 1566 als Dialonus 
am der Nitolaitirhe zu Zerbſt; wann er geftorben, ift unbelannt. Seine zahl- 
reigen lirchlichen Tonſatze gehören der alten kontrapunktiſchen Schule an, doch zeigt 
fich deren breitere Moteitenweiſe bereits von der Liedform beeinflußt; fie find in 
folgenden Werten erſchienen: 

XIX Cantiones sacrae 4 et 5 voc. it. II aliae. Wittenb. 1568. — 

XVI Cantiones sacrae 4 et 5 voc. Magdeb. 1569. — XC Cantiones 

4 et plurium voc. Dagdeb. 1570. — Außerlefene Teutſche Fieder, mit 

4 und 5 Stn. Magdeb. 1570 (Nürnb. 1575).) — Cantiones 4 et 

plurium voc. Magdeb. 1577. — Sacrae Cantiones 4, 5 et plurium 

voc. Nitenb. 1577 (78 Nr). — 


Drehler, Chriftoph, ein namhafter Drgelbauer feiner Zeit, der in der 
zweiten Hälfte des 17. Yahrhunderts zu Leipzig arbeitete, und 1685 ein großes 
Bert in der Iohanniöfirhe zu Zitten aufftellte, das im fiebenjährigen Krieg 
zerflört und 1741 durch ein treffliches Wert Gottfe. Silbermanns erjeht wurde. 


Dretzel, eine Nürnbergifche Muſiler und Organiftenfamilie, aus der ſich 
mehrere Glieder Verdienfte um die evangelifhe SKirgenmufit erworben haben. 
Valentin Dregel war um 1595 zu Nürnberg geboren umd im der erften Hälfte 
des 17. Jahrhunderts Drganift an Canft Sebald dafelbft und Hatte den Ruf 
eines tuchtigen Orgelſpielers und Tonfegers, ald welher er 1621 eine Sammlung 
3—8 ſtimmiger Motetten unter dem Titel „Sertulum musicale ex sacris flosculis 
eontextum“ — Nürnberg — herausgab. Ihm und dreien andern Nürnberger 
Drganiften widmete Sigm. Theoppl. Staden 1637 feine neue Ausgabe der Haßler 
igen „Rirhengefänge" (vgl. Monatsh. für Mufitgefh. 1870. &. 212). — Sein 
Sohn Wolfgang Dregel, geboren 1630, war ein berühmter Lautenſpieler, der 
jedoch ſchon 1660 geftorben fein foll. — Ein weiterer Abtömmling diefer Familie ift 
Kornelius Heinrich Dregel, um 1705 zu Nürnberg geboren; war der Reihe 
nad) Drganift an den Hauptfiechen feiner Vaterftadt, zulegt an Sankt Sebald, und 
ſtarb 1773.) Seine große Choralfammlung: 





) Aus dieſem 


erte find 12 Nen. neu herausgegeben in Musica sacra. Berl. Bote 
Nr. 17. 21. 25. 29. 35. 40. 43, 46. 51. 54. 59. 63. — Ebenfo finden 
ih 11 Gefänge von Dr. bei Shöberlein-Riegel, Schatz des fiturg. Chor» und Gemeindegef. 
III. 1872. Nr. 12. 31. 98. 1606. 247. 248, 356. 411. 412. 413. 467. 

?) Beder, Die Choralfommlgn. Leipg. 1845. S. 119 und Döring, Chorallunde 1805. 
S. 196 Haben „1753” als Dregels Todesjahr, fonft findet fi allgemein 1773. gl. Gerber, 
A. 2er. 1. ©. 354 und Ritter, Zur Gef. des Drgelipiels. 1884. ©. 145. 

Rümmerke, Enehfl. d. evang. Kircenmufil. L 22 











338 3. X. Dröbs. 


„Des evangefifhen Zions mufitaifche Harmonie, oder evangeliſches Choral 
Bud), worinnen die wahre Melodien, derer ſowohl in denen beyden Marggraf- 
thümern Bayreuth und Onolbpoch, als aud in der Stadt Nürnberg, deren 
Gebiete und andern evangelifhen Gemeinden üblichen Kirchenlieder, mit auf: 
merfjamfter Geflifienheit und Sorgfalt zufammen getragen und mit einem 
fignierten Baß verfehen zu finden, becdes zum Gebraud; bey dem öffentliden 
Gottesdienft auf Orgeln, aud zu Haus zur Ermunterung der Andacht, nebit 
einem Anhang und Hifteriicen Vorrede, von Urjprung, Altertum und fondern 
Mertwiiedigkeiten des Chorals, Herausgegeben von Gornelio Heinrich) Dreeln, 
Drgan. zu St. Aeg. Nürnberg, zu finden bei Wolfgang Morig Endtere 
feel. Todpter, Meeyrin und Sohn. Gedrudt bey Sorenz Bieling. 1731. 
Gr. qu. 40. 42 ©. Borr. 18 ©. Reg. 1 Bl. mit abgelürztem Titel; 
880 ©. 652 Choräle — 
ift die bis dahin umfangreicfte, und bringt die meiften Choräle dreis, vier- fit 
fünfmal in verfhiedener Form abgedruckt; in der geſchichtlichen Vorrede zeigt ihr 
Verfaffer anerkennenswerte Kenntnis. Von Melodieen, für welche dies Werk die 
bis jet üftefte Quelle ift, nennen wir: „Befhwertes Herz, leg ab die Sorgen“ 
(opf. den Art); „Wer Iefum bei fid) Hat, Tann fefte ſtehen“ (vgl. den Mt. 
„Es traure wer da will”). Die Melodie — „O daß id taufend Zungen 
hätte" nach Dregel ©. 722 mitgeteilt bei Layriz I. Mr. 93 — enthält die Haupt 
beftandteife dev bei König 1738 eriheinenden Melodie zu „Ad fagt mir nichts von 
Gold und Schäten“, die jegt allgemein dem erfigenannten Fiede (vgl. den Art. 


„D daß ich taufend Zungen hätte“) zugeeignet ift.!) 





Dröbs, Yohann Andreas, ein tüchtiger Orgelfpieler und geſuchter Lehrer 
feiner Kunſt, war 1784 in einem Dorfe bei Erfurt geboren und erfangte feine 
mfifalifche Bildung in (egterer Stadt, wo er auch als Mufiffehrer und Drganift 
tätig war, bis er 1808 nach Leipzig fam und Hier 1810 Organift an der Petri 
tirche wurde. Hier ftarb er am 4. Mai 1825. — Bon feinen Orgehverten find 
folgende gedruct erfhienen : 

Op. 10. 24 leichte Orgelft. Bonn, Simrod. — Op. 12. 14 Orgel 
vorfpiele. Leipz. Peters. — Op. 14. 11 Präludien, 2 Fughetten und 1 Fuge. 
Bonn, Simrod. — Leichte Orgelvorfpiele. Yeipz. Breitfopf und Härte. — 
9 Präfwdien, 3 Fughetten und 1 Fuge. Bonn, Eimrod. 








3) Außerdem giebt Layriz noch zu einer Reige von Delodieen (ugf. Kern II. Rr. 138, 
145. 201. 321, 323. 336. III. Nr. 448. 473. 563. 564. 573) als erfle und einzige Duelle 
Drepels Ch.B. am, allein feine Verlählichteit wird dadurch ameifeldaft, daß er zB. für 
Eoelings ¶ Schring dich auf zu deinem Gott“ (a8 er unter Ar. 549 mit riftiger Quellen 
angabe Hat) unter Nr. 380 mit dem Tert „Chrifle wahres Seelenfict” Dregel als einjiar 
Duelle anführt; ebenfo unter Mr. 452 für eine Umbildung der Parallelmelodie von „Wer nur 
den Tieben Gott läßt walten“ von 1090, aus der in der Folge die Gelannten Meifen für 
„Ber weiß wie nahe mir mein Ende* md „Dir dir Ichovaf will ich fingen gebilt 
wurden u. dol 


A. 2. Drobiſch. Drucwerk. Da bif ja, Jeſu, meine Srende. 339 


Drobiſch, Karl Ludwig, Kapellmeifter an den proteftantifGen Kirchen in 
Augsburg und fruchtbarer Kir—henfomponift, war am 24. Dezember 1803 zu 
Leipzig geboren. Auf der Schule zu Grimma erwachte in ihm eine befondere Liebe 
zur Mufil, und als er 1821 die Univerfität Leipzig bezog, begann er unter des 
Organiften Dröbs tuchtiger Leitung Harmonielehre und Kontrapunft zu ſtudieren. 
Son 1825 ſchrieb er ein Oratorium „Bonifacus" und Tam dann behufs weiterer 
Studien 1826 nad Münden, mo er bis 1837 faſt ununterbrochen lebte und viele 
Tatbofifgje Kirchenmuſit (13 Meffen und Requiem, viele Gradualien, Offertorien x.) 
tomponierte und in den dortigen Kirchen aufführte; aud fein bedeutendſtes Dra- 
torium „Des Heilands leiste Stunden“ ſchrieb er dafelbft 1836. Im Sommer 
1837 übernahm er die Mufifdirektorsftelle in Augsburg, bildete daſelbſt mit treff- 
gem Drganifationstalent einen tüchtigen Rirhenhor und ſchrieb für denfelben eine 
große Anzahl größerer und Heinerer Kirhenftüce, die im Archid des Kirchenchors 
zu Augsburg im Danuftript niedergelegt ind; auch mehrere Dratorien (Moſes auf 
Sinai; Die Sindfluth) und Rantaten (Die vier Elemente; Ein Sommertag) ent- 
fanden noch, ehe der Tod am 26. Auguſt 1854 dem thätigen Künſtlerleben ein 
Ende machte. W. H. Riehl Hat dem Kapellmeiſter Dr. im Dritten Bande feiner 
„Muftalifhen Charakterföpfe“ ein ſchönes Denkmal gefegt. Bon feinen Werfen 
find Hier zu nennen: 

Op. 1. 3 Motetten für Singedöre. Leipz. Hofm. — Die Weftzeiten. 

Sammlung von Kirdenfantaten nad) Worten der Heil, Schrift für ©. A. T. B. 

mit Blasinfte. od. Orgel, Nr. 1-5. Op. 4347. Leipz. Hof. 


Drucwert Heißt diejenige Art der Trattur in der Orgel, welche in älteren 
Berten beim ücpofitio (dol. den Mrt.) angewendet wurde, weil bei demfelben, 
da fein Windfaften gewöhnlid nicht unter, fondern anf der Windlade liegt, die 
Kangelenventile nicht abwärts gezogen, fondern aufwärts gejoben werden müflen. 
Die Einrichtung des Drudwerfs ift folgende: die angefälagene Tafte drüdt auf 
einen in einer Scheide laufenden Steger, der mit feinem unteren Ende den einen, 
vorderen Arm der einen Doppelhebel darftellenden Wippe niederdrüdt; dadurd geht 
der hintere Hebelarm in die Höhe und hebt gleicgeitig das mit ihm in Verbindung 
fiepende Kanzellenbentil. Die Wippen firgen unter der Mlaviatur des Nlcdpofitivs 
umd laufen, ſich füherartig ausbreitend, unter der Pedalllabiatur und der Orgelbant 
weg nach der Windlade. 


Du bift ja, Jeſu, meine Freude — Choral, zu Riſts Liede „Steh auf 
du kühler Wind vom Norden“ von Thomas Celle erfunden und in den „Neuen 
muſitoliſchen Felondadten” Luneb. 1655. Pr. 36 erfimals gedrudt. Zu ob- 
genanntem Liede von Koihſch verwendete die Melodie zuerft Freylinghaufen, Geiftr. 
6.2. I. 1704. Pr. 308. ©. 472 (Ausg. 1741. Nr. 756. ©. 496-497), 
wo fie heißt: 

22° 


340 8. Ducis. 




































































— 
—— © rt —— J 
— Fre cE 
(zu ne ode mem m 

(Kan dem die Freud aud bi dem kei + de fein in dm 

- 

Fe Sr 

Er £ I J * 72 IE — 




















denn mein Der be iete ug 


Der · en das dich fieht? do, mein Je + fü, wenn ih 









































— — 
& en Bere 


Br = Gemeinden in deine fhehen Bee = 5, To ah 











— EN 
— — 


= Fre 


ſol· che Fremd oft am, die lei- ne Zung aus-fpre » dem lan. 















































Im neueren CH BB. (Shit, Bluher, Schneider, Ritter, Anding u. a.) wird 
die Melodie aud) dem Liede „In Tag des Herrn, du foDft mir Heilig“ won Lavater 
zugeteilt und in gerader Taftart gejeicmet, wie fie 3 B. fhen Stöbel, Ch.2. 
1744. Pr. 280 Sat: 






























































































































































— * + = 
S © — a Baden SI Bez 
an Haft, 0 Held, ja Ü » ber-mun-den: gieb mir auf D + ber 

Und fa mid in des Kam+ pfes Stun-ben er«fah» ven was dein 

= ” J * 

E — = = Fee 

Fee 

A ah da · durch du al-Tes haſt be» ſie- get, daß umeter 

= — = 
= — — — 








dei- nen Fi hen lie- get Welt, Sun de, Ten + fel, Höll und Tod: 
m 
nun mad fie auG an mir zu Spott, 





— = 






































Ducis, Benediftus, ein trefflicher Rontrapunttift der niederfändifhen Schu, 
der wahrſcheinlich (nah Herm. Finds Aufzählung) noch dem unmittelbaren Schäfer: 
reife Iosquin de Pr&s' angehörte, und Hier wegen feiner 10 Tonfäge über 
gebräuhfiche ewangelifhe Kirhenmelodieen aufzuführen it. Nach Leon de Bour- 


8. Ducis. 34 


Bur6s meueren Forſchungen if} er um 1480 zu Brügge geboren, und hieh eigentlich 
Hertogh® (Herzog); er begleitete die Stelle eines Organiften an der Marientapelle 
der Nötre-Dame-Kivhe zu Antwerpen, war Borftand (Prince de la Gilde) der 
Bruderſchaft des Beil. Lucas (Confrerie de Saint-Luc) daſelbſt und Hatte damit 
die höchſte Würde inne, die ein Kunſtler in den Niederlanden erlangen Tonnte.") 
Gängende Anerbietungen, die ihm von England aus gemacht wurden, follen ihn 
1515 beivogen Haben, dorthin zu gehen, wo er am Hofe Heinrichs VIII. eine 
angefehene Stelung eingenommen haben fol. Doch ift dies und überhaupt fein 
Aufentalt in England, da dort bis jeht Teinerfei Spuren darüber ſich fanden, jehr 
unwahrſcheinlich.) Mad Heinrichs VII. Übertritt zum Proteftantismns wäre 
er von dort zurüd und nad) Um gelommen, was freilich nod viel umvahr- 
ſcheinlicher erſcheint.) Die Zeit feines Todes iſt unbefannt, doch muß diefelbe 
jedenfalls nad 1544 falen, da in diefem Jahre in der ©. Rhawſchen Sammlung 
feine Tonfäge erſchienen und diefe Sammlung nur neue Werke „der zuvor feines 
im Drud ausgangen“ enthielt. Bon den 10 Tonfägen des D. über evangelifce 
Kirhhenmelodieen, die in „Reive deudſche Gefenge 123. Mit vier und fünff Stimmen 
für die gemeinen Schulen“ ı. Wittenberg 1544. Georg Rhaw ſtehen, Hat d. Winter- 
feld, Luthers Geifll. Lieder 1840, ©. 102—104 und Ev. KeG. I. ©. 31 die 
beiden über „Nun freut euch lieben Chriſten gmein“ und „Ad Gott vom Himmel 
fieh darein" mitgeteilt; erfleren als Beifpiel „einer um Luthers Zeit feltenen Art 
der Behandlung; vorgetragen (die Melodie nämlich) durch eine einzelne Stimme, 
während der volle Chor nachfolgt, nicht ſowohl die Melodie harmonifch behandelnd, 
als vielmehr in der Harmonie nur deren Motive andeutend.“ 


1) Kiefewetter, Die Berdienfte der Niederländer. 1829. S. 85. 86 und Gef. der Muf. 
1834. S. 61 Hat D. zu einem Deutſchen gemadt, Fetis, Memoire. S. 35 und Biogr. des 
mus. III. ©. 68-70 als Riederländer erflärt. Jet if feine Nationalität, troß der nod da 
und dort vorfommenden Verweceiung mit dem etwas jüngeren Benebittus Appenzelders 
— og. Burney, Hist. of Music. II. ©. 518 und dagegen Ambros, Geſch der Muf. LIT. 
S. 302 — nicht mehe poeifelieft- 

2) Buney, a. a. ©. II. S. 570 ff, forie I. S. 1-3 fat nichts gefunden, was auf 
einen Aufenthalt in England deuten würde; aud) I. R. GSterndale Benne, bei Grove, Diet, I. 
©. 467 meint: „but as his name docs not appear in the lists of court musicians 
at that time, and no manuscript compositions of his have been found in this country, 
it appears that his residence here must have been very short, if not altogethor 
mythical,“ — 

*) Beil 1339 in Um als Naddrud „Harmonieen über alle Dden des Horaz fir 
3 und 4 Stimmen“ von Beneditt Ducis mit dem Titelgufat; des dortigen Druders „der Ulmer 
Jugend zu Grfalen in Drud gegeben“ erffienen, fo meinte Gerber, N. Ler. I. ©. 972 „daß 
D. wohrfheinlic in Um afo Lehrer angefellt geroefen“ fei, und F. 3. Arnold, Ehryfanders 
Jafrb. II. ©. 61 läßt ihn darauf Hin „feinen bleibenden Wohnfig in Mm* Gaben. al. 
dagegen Ambros, Gef. der Muf. II. ©. 300 f. 


342 Du Sriedefürk, Herr Jeſu Chriſt. — Du großer Schmerzensmann. 


Du Friedefürft, Herr Jeſu Chrift — Choral, „wohl fiher von Bar- 
tholomäus Geflus Tomponiert, in defien „Geiflihe Deutfche Fieder“. Franffurt a. D. 
1601. 4°. 8. CXCVIIa, und chenfo in der Ang. don 1607. BL. CCVIIb 
ex mit der Überfhrift: „Zur Zeit des Krieges Bmb friede zu Bitten“ erftmals 
erfheint. Die Melodie heißt dort: 


3 Ze SZ) 


(a = der fürſt Herr Je - ſu Chriſt, waht' Menſch und wahrer Gott: 
Ein far - fer Not > Bel fer du BR im Re» ben und im Tod. 















































mer 2 


Drum wir al «fein im Normen dein zu beiemem Ba» ter freien. 





























Mit des Gefius Tonfag ging die Weife dann in das Cant. sacr. Goth. 1648. 
Nr. 92 (ebenfo Cant. sacr. Goth. II. 1655. S. 377) und in Crügers Prax. 
piet. mel. feit 1656 über. Bgl. Tucher, Schatz II. Nr. 229. — Us zweite 
Melodie geben Iatob und Richter, CB. I. Nr. 342. ©. 294 aus Prax. 
piet. mel. 1666. Nr. 530 die folgende: 


+ + Les 
— — — Pe 2 
{Du Bed-ieh gar de-fu Ch 
\ein 









































wahr Menſch und wah-rer Gott: 
roter Note het- er du Gi im Se« ben umd im 


> A 
2 
Free ———— 


Tod. Drummir al-lein im Na-menden zu deinem Va- ſer färeisen. 















































Eine Choraltantate „Du Friedefürſt, Herr eſu Chrift” zum 25. Sonntag 
nad; Trinitatis — 15. Nov. 1744 — von Seh. Ba, mit einem durch die 
Keiepsereignifie von 1744 beftimmten Charakter“ iſt Herausgegeben in der Ausg. der 
Bag-Gel. XXIV. Pr. 116. Auch im der Kantate „Halt im Gedächtnis Jeſum 
SHrift" verwendet Vach die Weife des Geſius als Schlufcoral. Vol. Spitta, 
Bad U. &. 249. 


Du großer Schmergensmann — Choral aus dem „Neu Leipziger Ge- 
fangbuß . . . Gefänge, Lateinifhe Hymmi und Pfalmen. Mit 4. 5. bis 6. 
Stimmen, deren Melodeyen Teils aus Johann Herman Scheins Kantional, und 
andern guten Autoribus zufammen getragen, theils aber ſeibſten komponiret; x. 
don Gottfried Bopelio. Leipz. 1682. ge. 8°. Cr heiät: 


Du Hirte Israels. Dulcian, Dolcian, Dolciano. 343 





= — — 




















Du gro · fer Schmerzens · mann, vom Ba-ter fo 























— — 

















Here Je ſu, Die ſei Dant für alsfe dei— ne Pla-gen, für dei- ne 





— —— 


























See: Ten-angf, für dei-me Band und Not, für dei- ne Gei-he- lung, 




















—— 
für dei - nen bit» term Tod, 

und ift, da das Licd, das bis jeht zuerft bei Mart. Yanus, Passionale Melicum. 

Görlig 1663. S. 885 ſich findet, mit dieſer Melodie nicht früher verfehen vor- 

Hömmt, wahrfeheinlic von Bopelius (opf, den Ket.) „felbften Tomponiret”. Seb. 

Dad in einem ſchönen Choraljag (vgl. bei Ext. Bad mehrft. Choralgef. II. Nr. 

187) Hat die Weife in gerader Taftart. 


Du Hirte Israels, Kantate von Joh. Seh. Bad) zum Sonntag Miseri- 
cordias Domini; ihre Entftehung fält in die Zeit von 1723 1727 und Spitta, 
Bad U. ©. 249-250 nennt fie „ein kirchliches Paftoral, das Pieblicteit und 
Ernſt, Anmut und Tiefe in felten ſchöner Vereinigung zeigt"; der Schlußchoral 
iſt „Allein Gott in der Höh ſei Ehe” zur 1. Strophe des Liedes „Der Herr 
ift mein getteuer Hirt“. Ausg. Bach Geſ. XXI. Nr. 104. 








Dulcan, Dolcian, Dolciano, eine Zungenſtimme der Orgel, die nad) 
einem alten Holzblabinſtrument benannt ift, das im wefentlichen mit dem Fagott 
übereinfam und jegt auch langſt durch diefen verdrängt ift. Da man jedoch ehmals 
den Dulcian al deutſchen Fagott”, der im Chorton fand, vom eigentlichen Fa- 
gott, der „franzöffger Fagott” (Bafjon) hie und in Kammerton ftand, unterſchied 
{ogl. Fuhrmann im „Mufil. Trichter“, Kap. 10): fo übertrug man diefen Unterfcjied 
auch auf die betreffenden Drgelregifter, wo er freilich nicht immer beobachtet wurde. — 
Als Drgelftimme wurde der Dulcian von den alten Drgelbauern verfcieden gebaut: 
„von etlichen — wie Prätorius, Synt. mus. IL. ©. 147 ſchreibt — oben zu— 
gededt, und durch etlihe Löcherlein fein Reſonanz unten an der einen Seite aus: 
gelafien, welche in denen Regalwerten, fo zu Wien in Öfterreich gemacht werden, zu 
finden. Etliche aber laſſen e8 oben ganz offen, darum fie auch gleichwohl jo ftille 
nicht fein, und fih dem Blafenden Inſtrument, welches mit diefem Namen genennet 


344 Du, o ſchönes Weltgebände. 


wird, gleiharten; Dulcian ift nur 8‘ton,') gehöret aud billiger ins Pedal, dann 
zum Danual.” Es war ein „geffttert Schnaͤrrwert“, weil man feine Stellen mit 
Leder Überzog (in einzelnen Fällen auch von Holz machte), damit die aufſchlagenden 
Zungen nicht „allzufehr raſſeln“ (Niedt, Handleitg. II. Kap. 10. ©. 110) und 
hatte Pycamidenförmige Körper von Holz, oder Tegelförmige von Metall. In Deutſch- 
fand hieß es au Portone oder Portune, in England Kort hol. — Der 
Dulcian der heutigen Orgelbauer gehört in die Familie der einfhlagenden Zungen 
flinmen, hat fange, dünne und fÄümale Zungen, Körper von Holz, gewöhnlicher 
iedoch von Metall und faft ausnahmslos 16° Tongröße. Er unterſcheidet fih vom 
Fagott in Hinfiht der Bauart nur wenig, erhält dagegen weichere Intonation als 
diefer. Im großen Orgelwerken verwendet“ man ihm am liebſten in der Piano- 
abteifung des Pedals, als ſchwächſtes Pedalrohrwert (3. 8. Ladegaft, Schwerin; 
Leipzig, St. Nicolai, vgl. Maßmann, Orgelbauten. ©. 68), feltener im Manual, 
wenn entweder der Fagott 16° auf einem der flärferen Danuale [fon verbraucht, 
oder fürs Pedal vorbehalten ift; fo ſeht ihm z. B. Reubte (Dom in Magdeburg) 
mit 16° ins dritte Manual. 


Du, o ſchönes Weltgebäude, Choral von Johann Crüger, der fi) zuerft 
in feinen „Geiftl. Kirgenmelodyen". Berl. 1649. Nr. 116 (dem Chorbuh zur 
Prax. piet. mel. von 1648), und im Berl. G.-8. von Runge 1653. S. 363 
(vgl. Rombach, Anth. IL. ©. 74) findet, jedod) noch ohne urkundlich als fein Eigentum 
beglaubigt zu fein. Diefe Beglaubigung erfolgt erft in der Prax. piet. mel. 1656. 
Nr. 317. ©. 645, wo am Ende der Melodie die Namenshiffre „I. C.“ fteht.?) 
Die Melodie heißt bei Langbeder, Joh. Crügers Choral,-Diel. Berl. 1835. ©. 32: 


ss zee — — 
* je 0 fhö-nes Welt«ge » bän»de, magſt ge » fal -fem men dur willt, 
Dei» ne fhein-bar » Ti» de freude iſt mit iau- ter Angft um · bülle. 









































— — — * 
— — — = 
Des men, die den Him-mel hah-ſen, wid ih ih» re Welt-Tuft Taf -fen: 


Ferse — 


id verefangt nach die als fein, al» fer + ſchön- ſes Ze» fü» lein! 















































1) Doch füget Vrätorius ſelbſt S. 166 und 173 auch folge zu 18° an, die Überhaupt 
von anfang an weit häufiger waren, als die &. Val. Adlung. Mufif. Gelahrth. S. 413 bis 
415 und Mus. mech. org. I. S. 90. 91. Dod iſt möglich, daß Prätorius mit feinem „s'ton“ 
auch nur die Korpuslänge meinte, 

2) Bol. Bode, Die Kirgenmelodien Johann Erüigers, in Mouateh. fir Muftgeih. 1873. 
S. I u. 75. 


Durch Adams Fall if ganz verderbt. 345 


Sch. Vach verwendete fie mit der 6. Strophe des Liedes (‚Komm o Tod, du 
Shlfetbender") als Schluß der Kantate „Id will den Kreugſtab gerne tragen“ 
(al. den Ari) 


Durch Adams Fall ift ganz verderbt, Choral. Das Pied Lazarus 
Spenglers erfhien ala eines der erften der NMeformationgzeit in Joh. Walthers 
eyſtliche gelangt Buchleyn“. Wittenberg 1524. Nr. XVI (ogl. Wadernagel, KR. 
I. Re. TI) mit zwei eigenen Weifen: einer aeolifhen (mitgeteilt bei d. Tucher, 
Sag IL Nr. 328. ©. 181) und einer phrygiſchen, die aber beide nicht in den 
Girhengebraud übergiengen. Die dritte Melodie, die dem Fiede mod; jegt eignet, 
aideint mit demfelben zuerft im Joſ. Klugſchen G.B. 1535. Bl. 1016; Ausg. 
1543. 31. 1050; im Magdeb. GB. von Lotther 1540. Bl. 428, im Dal. 
Lohftihen ©.-B. 1545. N. XLIII (daraus bei v. Tuer a. a. D. Nr. 329) 
2.0: fie Heißt bei Bol. Schumann, G.®. 1539: 

F— — — 
— 


{Bub gezetze iR, gam ade menü der mad Se > Im; 
Das-jelb Gift iR auf un ge -enbt, Daß mir nit fomm-ten gne- fen 

































































> = +— Er 
— — ——— — =] 











— 
ohn Got-tes Trof,der uns er «TR hat von dem gro-fen Scha— den. 


- — + Er re 
E = F — — — 
da- rin die Sclang Ewa bezmang, Gouts don auf ſich zu Ia-den. 


Vihrend bis vor kurzem über die Herkunft unſrer Chorafmelodie nichts Näheres 
dinnt war, will jet F. M. Böhme, Altdeutſches Liederbuch 1877. ©. 484—485 
in derfelben den Ton des einft jo beliebten Liedes von der Schlacht bei Pavia 1525 
etdeht Haben, "der als die „Pavier Weiß“, Paffier Weiß, im Ton der Schlacht 
ver Paula, im det weiß wie die ſchlacht vor Pavia x." fo vielfach über andern 
tidern zitiet wird. Cr ſchreibt hierüber: „Hatte ih ſchon fange die Choralweiſe: 
Darch Adams Fall ift ganz verderbt“ in dem Verdacht, daß fie, weil Alter und 
remap zutreffen, der Pavierton ſei, jo lonnte ih mich jedoch nicht für diefe Anc 
schme entjceiden. Doch endlich mußte mein Zweifel ſchwinden, meine Vermutung 
Turde zur Wahrheit, als id) folgendes las, was über einem Drude zweier Lieder, 
dr. um 1580, fteht: „in news geyftlich Lyed (O reicher Gott im throne). Im 
dm Thon „Frölich fo wil id fingen, mit Luſt ein tageweys. Ein Lyed, von 
ans fül. Im einem newen thon, den man finget von der ſchlacht vor 
Pınia." Am Ende: Gedrudt bei Johann Stüchs. o. 9. (c. 1630) Erempfar 
in Bien (j, Weller, Annalen. I. 204. Nr. 426). Da Haben wir die nicht un - 


























346 Durchſechen des Windes. 


wichtige Entdedung: durd die Tonangabe it fommenflar gefagt, daß der Chorol 
. Durch Adams Fall c.” der Pavierton fiir. — Zugleich weiſt Böhme die An 
nahme zurüd, daß vielleicht eine der beiden Melodien, auf die ein Flieg. Vl. (Nürn- 
berg 1534) umfer Lied von Spengler verweit: „Nad Willen dein” und „Was 
wird es dod) des Wunders noch“, der Choral jei; beide haben, fo wie fie ihm in 
Abſchrift aus Deglin 1512 Forſter I. 43 und I. Ott 1534. Nr. 45 vorliegen, 
mit dem Choral nichts weiter gemeinfan, als das Versmaß. Schließlih meint er, 
da ebenfo wenig anzunehmen fei, daß eine der beiden von Walther 1524 gebrachten 
Weifen der Pavierton fei, „der ja erft 1525 nad; der Schlacht entfland und eine 
neue Weife war“: könne fein Zweifel darüber mehr beftehen, daß der Pavierton 
uns im vorftehenden Choral: Durch Adams Fall zc. erhalten if." — Seh. Bad 
verwendet die Dielodie als Schlughoral der Cantate „Gleich wie der Regen und 
Schnee vom Himmel fält* (vgl. den Art.) mit der 7. Strophe des Liedes („Ih 
bitt, o Herr, aus Herzensgrund“) als Tertunterlage. 








Durcftechen des Windes, ein techniſcher Ausdruck der Orgelbauer, mit dem 
jedes Verſchleichen des Windes bezeichnet wird, durch das andre Pfeifen als die 
zur eben angefchlagenen Tafte und den geöffneten Regiftern gehörigen leife angeblaſen 
werden, fo daß fie ein Summen oder Ziſchen Hören laffen. — Der Grund diefes 
öfters ſehr unangenehm bemertlicen Fehlers iſt in der mangelhaften Ausarbeitung 
irgend eines Teiles der Windlade zu ſuchen. Ungenau eingefügt Cancellſchiede, die 
den Übertritt des Windes in eine benachbarte Cancelle geftatten; ein Pfeifenftod, der 
ſich geworfen Hat, oder ſchlecht aufgeſchraubt it; oberflählices Ausgiegen der Wind 
(ade mit heißem Leim; oder gewordene, ſchiecht dedende Schleifen; mangelhaft 
fließende Hauptventite, Wurmlöcher in den Windladen alter Werte und dgl. fin? 
die gewöhnlichſten Urſachen des Durchſtechens. Unredliche Orgelbauer Haben num 
verſchiedene Auskunftsmittel) erdacht, durch melde fie das Durchſtechen nicht ſowohl 
beſeitigen, als vielmehr möglichft verbergen wollen, und die alle dahin zielen, den 
faiſchen Wind fo zu verteilen oder abzuleiten, daß er nicht mehr flart genug fei, 
eine Pfeife in merlbarerer Weife anzublafen. Einige diefer wenig reellen Ausfunfte 
mittel mit zum Teil fonderbaren Namen find: 1. Taufgräben, ſchmale Rinner 
im Holz der Windfnde, die den falfchen Wind am der Pfeife, die er anblafen würde, 
vorbeifeiten follen; 2. die ſchwediſchen Stiche oder Fliegenfänäpper, Heine Löcher, 
weldje entweder in die Füße der Pfeifen, die der falſche Wind anblaſen würde, oder 

die zu ihnen führenden Gonduften gemadt werden, um den Wind abzuſchwächen; 
3. die ſpaniſchen Reiter, kreuzweiſe Eiuſchnitte (KNX) mit der Säge unter | 
9) Schon der alte Arnold Schlick, Spiegel der Orgelmacher 1611. BL. XIX ſpricht von ſolchen | 
„böfen fortelein“ d. h. Vorteilen, Kuiffen, nicht wie Eitner, Monatsg. für Muſitgeſch. 186%. 
‚Heft 5. 6. S. 107 erllart: „Lüchlein". 











Du fol Gott deinen Herrn lieben. Ich. G. Ebeling. 347 


den Pfeifenftöden oder in nicht befederte Parallelen, um den falſchen Wind abzu- 
leiten; 4. Fröſche, Schnitte, Ritzen, d. h. Einſchnitte in die Belederung einer 
Cancelle, die von einer benachbarten falſchen Wind erhält, um diefen abzuſchwächen; 
5. der Kniff, das Eindrüden der Pfeife am Fußende, Damit ein Teil des falfhen 
Windes neben derfelben entweichen könne. Auch das Erweitern des Auficnittes an 
durchſtechenden Pfeifen (wodurch natürlich Intonationsmängel entftehen), ſowie das 
zu fefte Aufſcheauben des Pfeifenftods (durch das die Bewegung der Regifterzüge er» 
ihwert wird) find Kunftgeiffe, um das Durchſtechen möglichſt unbemerfbar zu machen. 
Auch die andern alten Orgelicriftfteller haben mit dem Durchftehen immer viel zu 
tun und flellen die Redlichteit der damaligen Orgelbauer oft in ein fehr zweifel- 
Haftes Liht. Val. Adlung, Mus. mech. org. II. ©. 7173. Der. Muſit. 
Gelahrth. ©. 537—539. Werdmeiter, Drgelprobe. Kap. 10. S. 22. 23. Derl. 
Org. Gruning rediv. $ 21. 


Du folft Gott deinen Herrn lieben, Kantate zum 13. Sonntag nad) 
Trinitatis von Seh. Bach, in der die Melodie „Dies find die Heilgen zehn Gebot“ 
ieffinnig verwendet iſt. Bgl. Spitta, Bad II. S. 261—263. Der Sqhlußchoral ift 
„Ach Gott vom Himmel fieh darein“ mit dem Tert „Du fellft mein Jeſu felber 
di". Ausg. der Bach Geſ. XVIII. Nr. 77. 


Du wahrer Gott und Davidsfohn, CHoraltantate auf den Sonntag Efto- 
mihi von Seb. Bach. Er ſchrieb diefelbe 1723 noch in Cöthen, nachdem er das 
Kantorat an St. Thomas in Leipzig bereits übernommen hatte, und in der Abſicht, 
fie ats fein Probefiüd in Leipzig aufzuführen. Doch legte er fie, als fie bis auf 
den Shlußhor fertig war, bei Seite und ſchrieb fir den genannten Zwed die Kan- 
tate „Sefus nahm ju ſich die Zwölfe“, während er diefe an Eftomibt 1724 aufe 
füßrte. Sie „zeigt den Meifter auf einer Höhe, an die er in feinem feiner früheren 
Werte Hinanreiht" und if merkwürdig durch die. tief bedeutfane Verwendung der 
Choralmelodie „Chrifte du Lamm Gottes” als Mittel die „traurig-troftreiche Paffions- 
fümmung“ vorzubereiten. Bol. Spitta, Bad II. S. 180-183. Ausg. Bach-Geſ. 
V. 1. Nr. 23. (Borr. von Ruft daf. ©. XXD. — 


€. 


Eheling, Iohann Georg,') einer der Sänger Paulus Gerhardis war um 1620 
zu Lüneburg geboren. Über feine Iugendgeit, feine wiſſenſchaftlichen und mufitafifgen 


%) Setie, Biogr. des mus. III. ©. 103 madt aus Ebeling zwei Berfonen gleichen Ra- 
mens und freibt dem erflen Joh. ©. Ebeling, den er Mufiliirelior in Berlin und fpäter 
Profeffor am Gymn. Karol. zu Nürnberg fein läßt, Die 120 Mel. zu Gerhardts Liedern in der 
Nienb. Ausgabe von Fenerlein (1682) zu, während er beim zweiten Iof. ©. Gbeling die 
Biogr. des wirllien Gerhardtsfängers giebt und ihm einige andre Mufilwerle zuteilt, 


348 Ioh. 6. Ebeling. 


Studien, die er gründlich und mit Siebe betrieben zu haben ſcheint, ift nichts Näheres 
befaunt. Im Februar 1662 wurde er als unmittelbarer Nachfolger Johann Crügers 
Mufitdireltor am der Nitolaitiche und Kantor und Schultollege am Gymnafinm 
zum genuen Kloſter in Berlin und wendete nun eine rege Thätigfeit der Kirchen 
mufit zu, deren Verfall er in der Vorrede zu den Liedern Paul Gerhardts mit 
beredten Worten bellagt. Es entftand Hier fein Hauptwerk, die 120 Tonfäge zu 
den genannten Piedern Gerhardts, der gleichzeitig mit ihm Diatonus an der Rikolai- 
Kirde war. Die erfte Ausgabe diefes Werkes erfhien in 10 Heften, deren jedes 
12 Nummern („ein Duzet“) enthielt, 1666 und 1667 zu Srankfurt aD. und un: 
mittelbar nach Vollendung diefer Heftausgabe in einer Gefamtausgabe unter dem Titel: 
„Paul Gerhardti Geiftlice Andagfen, beftehend in 120 Liedern, 

auf Hoher und vornehmer Herren Anforderung in ein Bud) gebradt, der gött 

Gichen Majeftät zuvörderft zu Ehren, dann aud der werten und bedrängten 

Shriftenheit zu Zroft und einer jedweden gläubigen Ceelen zu Vermehrung ihres 

Ehriftentums. Mfo Duzendweife mit meuen fehsftimmigen (4 Bofal- und 

2 Inftrumentalftimmen) Melodeyen gezieret, Herausgegeben und verlegt von 

Ioh. Georg Ebeling, der Berfinifhen Hauptfirden Deufifdireltor." Berlin bei 

Chr. Runge 1667. HM. Fol.) — 

Bon den 120 Melodien find alle, mit Ausnahme von fieben, Ebelings Eigen: 
tum, ebenfo wie die Tonfäge, die für 4 Singftimmen und 2 Biolinen geſchrieber 
find. 1668 verließ Ebeling feine Stellung in Berlin, um einem Rufe als Bro 
feſſor der griechiſchen Sprache und Dichttunſt am Gymnaſium zu Stettin zu folgen, 
womit er jugleich das Amt eines Kantors und Mufldireltors verband. Cr flarh 
zu Stettin 1676 (im gleichen Jahre wie Paul Gerhardt). — Er erweiſt fi ir 
feinem Hauptwerle als begabter Erfinder origineler Melodien, die wohl geeignet 
find, das Wort des Dichters zum Gefang zu erheben; fie find zwar ſchon im neuer 
Tonalität gedacht, bewahren aber ihrer größeren Hälfte nad mehr oder weniger 
deutlich die rhythmiſche Geftalt des alten Voltsliedes. Den Tonſatz Ebelings ftellt 
v. Binterfeld trog mander unreinen und fehlerhaften Stellen, in Bezug auf Hang: 
volle und belebte Entfaltung der Melodie über den Crügerſchen, während feine Im: 
ſtrumentalbegleitung der Crugers an Geſchick der Behandlung und fliegender Führung 
der Stimmen ziemlich nacfteht. — Bon feinen Melodien Haben fih im Kirchen 
gebraud) erhalten: 

1. Barum follt id mid denn grämen (vgl. den Art.). 
2. Schwing did auf zu deinem Gott (vgl. den Art.). 
3. Die güldne Sonne voll Freud und Wonne —— den Art.) 


') Die weiteren Ausgaben des Wertes find: Oftavausg. Stettin 166, als „Evangel. 
guftgarten‘ zc. 1670 u. 1071 men gedrudt, Sämtliche 120 Melodien wurden in „Geiflide 
Dafferquelle" Berl, 1672 — von Förtfd aufgenommen. Dritte Aug. nad Cbelings Tor 
von dem Prediger Conr. Feuerlein zu Niürnb. 1689. — Die Stettiner Ausg. erſchen nes 
Cieleben 1700 — und nad diefer noch eine Augsburger Ausg. von 1708 — mit Borrede des 
dortigen Pafors Dr. Joh. Phil. Treuner. 





€. Ebeling. 8. ©. Eberhard. 349 


4. Nicht fo traurig, nicht fo fehr (gl. den Art.).!) 
außerdem ift noch zu beachten die Weife: 
5. Der Tag mit feinem Lite. 1666. IH. Dugend (bei Layrig. 

Kern III. Nr. 408 abgedrudt), weil aus ihr „ohne Zweifel” (Faift, Württ. 

&.-®. 1876. ©. 222) die Herenhuter Melodie „O gelegnetes Regieren“ 

(ogt. den Art. „DO du Liebe meiner Liebe“) Herausgebildet wurde. Auch die 

Melodie „Mein Herzens-Jefu meine Luft“ ift (mad Faikt, a. a. D.) 

„bielleit durd; eine Ebelingſche Weife Hervorgerufen und auf deren Grund» 

lage von Peter Sohr ausgeftaltet worden“ (vgl. den Art. „Mein Herzens-Jeſu 

meine Fuft“). 

Ebeling, Ernſt, ein Schüler 2. Erts, A. W. Bade und Rungenhagens in 
Berlin, war bis 1858 Mufiflehrer am Seminar zu Franzburg in Pommern, dann 
im Neugelle, wo er am 3. Iamuar 1879 im Alter von 54 Iahren ftarb. Außer 
verfhiedenen anderen Elementarwerfen für den Muſikunterricht veröffentlichte er: 

„Die erfte Schule des Drgelipielers". Berlin, Trautwein. 
und arbeitete an Erls Choralbuch mit, wie auf deſſen Titel bemerkt ift. 


Eberhard, Karl Dtto, ein um den Kirdengefang der Brüdergemeinde ver- 
dienter Mann, der am 31. Auguft 1711 zu Steinau im Hanauifgen geboren war. 
Bon feinem Bater, dem dortigen Schulmeifter und Organiften erhielt er den erften 
muſilaliſchen Unterricht und beſuchte dann bis 1731 die lateiniſche Schule zu Schlüchtern. 
Nochher war er um 1737 Lehrer zu Ortenburg, trat jedoh am 28. Mai 1740 
zur Brüdergemeinde über und wirkte von 1642 an in deren Auftrag als Prediger 
und Lehrer an der Gemeindeanftalt zu Findgeim. Durch Kränflichteit genötigt, gab 
© 1756 dies Amıt auf und ging mad Herenfut, wo er am 16, Deyenber 1757 
farb. Er mar Mitarbeiter am dem Handfhriftligen CH®. der Brüdergemeine, 
ohne daß jedoch der Anteil, den er daran hat, beftimmt bezeichnet wäre; nur die 
Melodie zu Mel-Art 249 „Die Gottes-Seraphim erheben ihre Stimm“, ift als 
fein Eigentum fiber, und aus einem von ihm fomponierten Chorgeſang für das 
Migaelisfeft entnommen. gl. Koh, Geh. des KL. V. ©. 613. Sie ging mit 
einigen Anderungen in das Drei Kant. G. B. Wr. 3 (vgl. Spadromsty, Eh.B. 
1873. Einl. ©. IX) über, und Heißt: 


Br. Ch.B. Art. 249. 





































































4 = 
= ge 
Dr 8. 6-8. Rr. 9. 
F =: — + 
Be H er = 












































ie Got=te8 - fe» ra-phim er + heben ih ⸗ re Stimm, mädj-tig und froh vor 


*) Im Original Gerausgegeben bei Fangbeder, Leben und Lieder P. Gerhardts. Berl. 1841. 
Taf, I. TIL. V. VI. und Winterfeld, Ev. 8..©. IL. ©. 70-72 der Notenbeif, 


350 Stanz Iof. Eberhardt. Ich. €. Eberlin. 
























































esse Sees 
= — — * — — —— 






































im; ige heeil- ger Chor voll Glanz und Licht fingt mit be »ded» tem An + ge ⸗ſicht : 


RER 2 
— — 
EEE — — 
Hei⸗ lig, hei⸗ lig iſt Gott, Hei» lig if Gott, der Her-re Ber bar oth. 


een 


Hei · lig, Geickig, Hei > Mg, Meirfig iſt Got, der Heron Ze · ba · och. 














































































































Eberhardt, Franz Doſeph, neben Engler, Röder, Wagner, Meinert, Sterzing, 
Sildermann, Hildebrand u. a. einer der tüchtigften Orgelbauer des vorigen Jahr- 
Hunderts, deſſen Blütezeit um 1750 fält. Er war aus Sprottau gebürtig und 
Hatte feine Werfftätte in Breslau, wo er außer anderen die folgenden bedeutenderen 
Werle baute: 

1750 die Orgel der Kirche zu Sprottau mit 40 Stn. auf 3 Man. u. 

Bed. 4 Bälge; auf derfelben eine künftlice Uhr. 

ve 1752 die Orgel im Dom zu Breslau mit 35 Stn. 2 Dan. Bed., lange 

tab. 
1752 die Orgel bei den Franzistanern zu Breslau. 15 Stn. 
1754 die Orgel bei den Brangislanern zu Neyh. 18 Stn. 2 Man. u. 

Bed. 3 Bälge. 

1756 die Orgel zu Wartja mit 50 Stn. auf 3 Man. und Bed. 


Eberlin, Iohann Ernſt, Hoforgamift des Fürft-Erzbifhofs von Salzburg, it 
bier feiner tefflihen, aud im der enangelifhen Kirche vielgebrauditen Drgelftüde 
wegen aufgufüßren. Er wer am 27. März 1702 zu Iettingen bei Günzburg in 
Bniern geboren und flarb zu Salzburg am 21. Ianuar 1762.) Seine Stelle in 
Salzbutg nahm er mindeftens feit 1727 ein, dem Jahre, im welchem er fidh zu 
Seciirchen am Wallerfee bei Salzburg verheiratete. Über fein fruheres Leben und 
feine mufifaifhen Studien ift mitte Befannt, auch Über die Anpahl der von ihm 
geicaffenen Mufihoerte find wir nur mangelhaft unterrichtet; er at fehr viel ger 


1) Diefe Daten Hat €. F. Pohl aus officiellen Quellen gefföpft und erfimals mitgeteilt 
bei Grove, Diet. of Music. 1878, I, ©. 479—480; die feitgerigen Angaben fämtliher Leritas 
(aud nod die Neißmanns Hand · Ler. 1882. ©. 123) find daher ſalſch. Der eigentliche Name 
des Mannes it nad €. F. Pohls Forſchungen, vol. Ag. deutfhe Biogr. IX. ©. 194 nicht 
Eberlin, fondern Eberie. 





Dr. A. Ebrard. Joh. Eccard. 351 


färieben, fo daß ihm Marpurg, Kritiſche Beiträge 1757. Bd. III. Gtüd 3. ©. 183 
an Frugtbarteit mit Scarlatti und Telemann vergleiht. Bon feinen Orgeliverten, 
von denen eine Fuge ſogar als Seh. Bach angehörend in die Ausg. von Öriepentert, 
Leipzig, Peters. Bd. IX. Nr. 13 fam, nennen wi 
9 Tocentes et Fugues, 2 Hefte. Mainz, Schott. — 115 Berfetten 
und Cadenzen. Heft 1. Münden, alter. — 65 Bor- und Nadjpiele, Ber- 
fetten umd Wughetten. Heft 2. daf. — Zorata und Fuge A-moll. G 
Körner. — Toccata umd Fuga ol. daſ. — Toccata und Fuga G-dur. 
Drgelvirtuos. Nr. 103. 192. 253. — 18 Toccaten und Fugen bei Comer, 
Mus. saer. ®. 1. ©. 30-58. — 2 Drgelftlde bei Riegel, Praxis or- 
ganoedi. 1. 1869. Nr. 10. 66. — 











Ebrard, Dr. Auguft, reformierter Theologe, geboren am 18. Januar 1813 
zu Erfongen. Er ftudierte an der dortigen Univerfität, fowie in Berlin Theologie, 
wurde 1844 Profeffor an der Univerfität Zürich, 1846 in Erlangen, 1853 Kon- 
feriafrat zu Speyer, wo er Hauptfühlich die Bearbeitung des neuen Pfäfzifcen 
G. B. und Ch.B. von 1859 veranlafte, aber infolge des darüber entftandenen 
heftigen Streites 1861 weichen und nad) Erlangen zurüdtehren mußte, wo er feitdem 
wieder an der Univerfität wirft. — €. hat fih nicht nur als theologiſcher Schrifte 
fteller und als Dichter (auch geiſtlicher Lieder) in hervorragender Weife bethätigt, er 
ift auch Mufifer und ſchrieb als folder ein Wert über mufitalifche Auftit, gab auch 
‚eine Bearbeitung der Pſalmen unter dem Titel: 

Ausgewählte Pſalmen Davids nad) Goudimels Weifen deutjch bearbeitet 
und mit dem vierftimmigen Sage Herausgegeben. Grlangen 1852, Ente. 

76 ©. gr. 8. 
heraus. 

Im Pfatziſchen GB. Nr. 769. ©. 627 findet fih folgende von ihm 1857 
erfundene Chorofmelodie zu Hermes Lied: „Ich hab von ferne” (Nun preifet alle): 


Feen — 


36 Gab von fer me, Herr, deismen Thron er- blict. und hät» te 


esse 


gerne mein Herz vor ans » ge-fict, und hät te 
& - 


—, Sb : 
Ber ben, Schöpfer der Griefer, dir Hin — ger ge» ben. 
Eccard, Johann, ein bedeutender Tonfeger evangelifher Kirchenmuſik, war 
1553 zu Mühlpaufen in Thhringen geboren und erhielt dafelbft auch feine erfte 
muſitaliſche Bildung und zwar, wie man als fehr nahe fiegend annehmen darf, von 





















































































































352 Ioh. Eccard. 


dem Kantor und Drganiften Joachim von Burd (vgl. den Art) an der dortigen 
Hauptlirche zu Sankt Blofien. 1571 tam er dann nad; Münden zu dem „weit- 
berufenen" Meiſter Orlandus Laffus, deſſen „Fundamentaldiseipul" in der Tontunft 
ex bis Oftern 1574 war und mit dem er während dieſer Zeit auch eine Reife nad) 
Paris gemadit haben fol. Nach beendigten Studien fehrte er nad Mühlgaufen zu- 
vild und veröffentlichte nod im Iahr 1874 fein erſtes mufitalifhes Wert, 20 Ton 
füge zu den „Odae sacrae“ Ludwig Helmbolds, die ganz in der Weife feines 
Meifters im feitherigen Motettenftyl, ohne befonderes Hervortretenfafien der Melodie 
geigprieben find und von denen fpäter 18 Nummern in das gemeinſchaftlich mit 
Zoahim von Burck Herausgegebene Liederwert Übergingen, das unter dem Titel: 
„Bierzig teutfche geiſtliche Liedlein Dag. Ludwig Helmboldi" 1599 zu Mahlhauſen 
erfhien. Nod ein weiteres Wert dieſes Dichters, die „Crepundia sacra® Mühf- 
Haufen 1577, ſchmücte er in Gemeinſchaft mit Ioahim von Burd und Fohann 
Heermann mit 3 vierftimmigen Gejängen feiner Kompofition, in denen die ihm 
fpäter eigene Weife des Tonſatzes bereitS mehr Herborzutreten beginnt. 1578 finden 
wir Eecard als „Mufilus" im Dienfte des Grafen Jalob Fugger zu Augsburg, 
der ihm wahrſcheinlich auch die Dittel zu einer Studienreife nad) Denedig gewährte, 
wo Männer wie Andrea Gabrieli, Claudio Merulo, Zarlino u. a. wirkten umd 
lehrten und Schüler anzogen. Als „Mufilus" Fuggers gab E. 1578 ein weiteres 
Bert „Neive teugfge Liedlein mit Vieren und Fünff Stimmen ganz Lieblih zu 
fingen und auff allerhand Inftrumenten zu gebrauchen,“ Heraus, 24 geiftliche und 
meltfiche Tonfäge im Motetteuftyl und mit reiher Harmonie. 1579 folgte er einer 
Verufung des Markgrafen Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbad, der jeit 1578 
für dem Manfen Herzog Albert Friedrich von Preußen deffen Herzogtum verwaltete, 
nad; Königsberg, wo er 1581 zum Vicelapellmeifter — von da an nennt er ſich 
tuefürftl. Bice-Kapellmeifter in Preußen“ und behält diefen Titel bis 1603 bei; 
dgl. Monatsh. für Muſitgeſch. 1872. ©. 230 — ernannt wurde, nod einige 
Hleinere Werte berausgab (4 Tonfäge in Burds „Dreißig geiftl. Lieder auff die 
Fer” 1585 — „Newe Lieder mit 5 und 4 Stimmen“. Königsb. 1589 — 
„Odae sacrae L. Helmboldii de quibusdam creatoris operibus.“ Muhlhauſen 
1596) und 1586 von feinem Furſten den Auftrag erhielt, die Melodien der in 
Preußen gebräudfichften Kirchenlieder mit fünfftinmigen Tonfägen zu veriehen. In 
Ausführung diefes Auftrages entftand nun zunäcft das erjte der beiden Werte, 
welche ihm vorzugsmeije feine bedeutende Stellung unter den Tonfegern der evan- 
gelifgen Kirche errangen, die „Geiftligen Lieder auf den Choral“, fünfftinmige 
Tonfäge über Gemeindelieder, welhe in 2 Teilen 1597 zu Königsberg erichienen. 
Das zweite folgte ſhon im nächſten Iahre: „Feflieder", 5—Sftimmige Tonfäge mit 
ſelbſt erfundenen Melodien. Königsberg 1598. — Nach dem Tode des feitherigen 
Kupellmeifters Theodor Riccius, rüdte E. 1694 in deffen Stelle als erſter Rapell 
meifter vor, — von 1604 an menmt er fih „Fürſil. Durchlaucht in Preußen 


Ioh. Eccard. 353 


Rapellmeifter* ; vgl. Monateh. fiir Mufilgef. a. a. O. — und als folden berief 
ihn dann der jeit 1603 das Herzogtum Preußen adminiftrirende Kurfürft Iondim 
Friedrid von Brandenburg, famt feinen „beiten Knaben, Disfantiften, Diefantgeigern 
und Zintenbläjern” 1607 nad) Berlin, wo er zugleich follte „raten helfen, wie das 
Kapelwefen allfier wieberum ehwas in Ordnung zu bringen“; am 4. Juli 1608 
erhielt er die förniliche Beſtallung als kurfürſtlicher Kapellmeifter zu Berlin — doch 
ſcheint er wirtlich und eudgiltig erſt 1609 oder 1610 dahin übergefiedelt zu fein, 
da 1609 nod ein Wert von ihm in Königsberg gedrudt wurde; vgl. Monatsh. 
a0. D. In Berlin ſiarb er dann nad) nur dreijähriger Wirffamteit im Jahr 1611, 
erſt 59 Jahre alt. — v. Winterfeld hat das Berdienft, Eccard als Kirchentonfeger 
gleicfam entdedt zu haben; er war es aber auch, der in einfeitiger Barteinahtme für 
diefe feine Entdedung und überdies von der womantifh:fatholifierenden Anfhanung 
ausgehend, daß neben dem Choral nur der reine a eappella-Geſang, die unbegleitete 
Shormufit die einzig wahre und berechtigte Kirhenmufit auch der evangelifgen Kirche 
fei, den Meifter auf eine Höhe ſtellte und ihm eine Bedeutung beifepte, in der er 
alle feine Vorgänger und Nachfoiger auf dem Gebiete des evangelifcen Kirchenton- 
{nes weit überengen und feine begügliche Arbeit den Gipfelpunft dieſer Kunftgattung 
darftellen würde. Das Schlagwort von der „Berfhmelzung des Kunſtgeſanges mit 
dem Gemeindegefang”, die Eccard volljtändig erreicht haben joll, ift v. Winterfeld, 
lange nachgefprodjen und nachgeſchrieben worden umd erft die neuere Zeit hat die 
Bedeutung unfres Tonfegers auf ihr richtiges Maß zurüdgefühel und in ihm „ein 
zwar fiebenswürdiges und zartes, aber engbegvenztes Talent” erkannt. — Was zur 
mächft feine „Geiftlicen Lieder auf den Choral” betrifft, fo ſprich er zwar in der 
Vorrede davon, „die Melodien in eine folhe Harmonie zu Bringen, daß der 
Choral, wie er an ſich felbft gehet (d. h. die Melodie) in der Oberftimme deutlid) 
gehört werde und die driftliche Gemein denfelben zugfeih mit einftimmen und 
fingen könne" — andeerjeits aber legt ex ebenfoviel und vielleicht noch größeren 
Nahdrud darauf, daß die Gemeinde, „die gewöhnliche Kirhenmelodey aus dem 
Dislant wohl und verftändfih Hören und bei ji ſelbſt, nad ihrer Andacht 
fingende, imitieren könne“ und empfiehlt dem Nantor „einen feinen langſamen 
Takt, daß der gemeine Mann die gemöhnligen Melodeyen defto eigentlicher hören 
und er mit feiner Kantorey um fo beffer und leichter wird fortlommen Können." Es 
bleibt darnach zweifelhaft, wie Eecard die Sache eigentlich gemeint und was ihm als 
Ziel vorgeſchwebt Hat. Und wenn man auch annehmen will und fan, daß eine 
Berfeimelzung des Gemeinde- und Chorgefanges wirtlid in feiner Abfiht gelegen 
Habe, daß ferner die Gemeinden Oſtpreußens ſich ſchwerlich begnügt Haben werden, 
die ihnen ans dem Chor entgegenflingenden Gemeindeweifen nur im Herzen mitzus 
fingen, und daß endlich ein vorfichtiges Einftimmen der Gemeinde in die Melodie des 
Chordisfantes der Wirkung des Ganzen nirgends merklichen Eintrag gethan haben 


dürfte: fo wird doch aud der Aniht die Berechtigung nicht ——— fein, die 
Rümmerte, Encyfl,d. mang. Aindenmuft. T. 


354 Ioh. Eccard. 


dieſe Tonfüge als reine Chorgefangswerte betrachtet wiffen, fie lieber ohne die Bei- 
gabe eines mehrhundertftimmigen Unifonos aus allen möglichen Regiſtern des Organs 
hören möchte, als Chorgefänge, die in ihrer der Gemeinde faßficften- Weiſe diefer 
immerhin einen Genuß zu gewähren geeignet find, der ihr nicht vorenthalten werden 
fol. Um in Ausführung des ihm gewordenen Auftrages Chorfüge über die Landes 
ablichen Choralmelodien zu ſchaffen, brachte Eccard einerjeits aus des Orlandus 
Laſſus Schule den älteren lontrapunttiſchen Stil mit, der die Stimmen ohne befondere 
Nücihtnahme auf eine gegebene Melodie als Hauptftimme, frei und gleichberechtigt 
behandelte: andrerfeits traf er die neue Weife der Verlegung der Melodie in die 
Dberftimme und damit die Hervorhebung derjelben als herrſchende Stimme bereits 
mehr oder weniger bräuchlich an. Der alten Weife durfte er, wenn er anders dem 
Sinne feines Auftraggebers gerecht werden wollte, nicht folgen, und in der neuen fand 
er nur erft wenige Verſuche der einfachen und unter der Hand des Praftifers und 
Dilettanten rauheften Form des Tonfages im Kontrapunktus nota contra notam, 
aber — wie er jelbft jagt — mod „fein Kantional, darin mad) mufifalifcher Art 
was ammutiges und der Kunſt gemäßes enthalten wäre.“ — So fam er auf den 
vermittelnden Standpunkt, der eben jeine Eigentlimlichteit, feine Stärke, aber zugleich 
auch feine Schwäche, ausmachte. An den Gemeindegefang anfnüpfend, ftellte er die 
Melodie in den Vordergrund jeiner Tonfäge, indem er fie in der kirchlich gebräug- 
lichen Form fireng feſthielt und überdies ihre Zeilenabſätze durd) Paufen kennzeidinete; 
zugleich aber fuchtes er auch die Selbfländigfeit der begleitenden Stimmen dadurd) zu 
wahren, daß er dem Baß einen im möglichſt naheliegenden natürlichen Modulationen 
ſich bewegenden Gang gab und die Mittelſtinmen in freierer und bewegterer Weiſe 
führte. Zu den beften und gelungenften dieſer Choralfäge find zu zühfen : 

Nun komm der Heiden Heiland. I. Ir. 1. 

Gelobet jeift du Jeſu Ehrift. J. Nr. 3. 

D Lamm Gottes unſchuidig. I. Nr. 13. 

Aus tiefer Not frei ich zu dir. I. Nr. 8. 

Es ift das Heil uns kommen her. II. Nr. 9. 

Durch Adams Fall ift ganz verderbt. II. Nr. 10. 

Herr Chriſt der einig Gott’s Sohn. II. Nr. 11. 

Nun freut euch fieben Chriften g’mein. II. Nr. 14. 

Nun [ob mein Seel den Herren. II. Nr. 15. 

Ad) Gott vom Himmel ſich darein. IL. Nr. 20. 

Ein fefte Burg ift unfer Gott. II. Nr. 22. 

Es woll uns Gott genädig fein. II. Nr. 23. 

Ich dank dir licher Herre. IL. Nr. 28. 

Was mein Gott will, das gſcheh allzeit. Winterfeld J. S. 136. 

Ston ein Jahr mad) den Geiſtlichen Liedern 1598 erſchien das zweite Haupt: 

wert Eccards, die „Feſtlieder“, eine ihm eigene Form des lirchlichen Chorgefang- 





oh. Eccard. 355 


füdes, die eine Mittelgattung zwiſchen Motette und Lied darftellt. Die Feſtlieder 
unterſcheiden ſich von den Geiftlicen Liedern „durb eine größere Mannigialtigteit 
der Form, zum Teil auch reichere Tonmittel: neben den fünfftimmigen Sägen er 
igeinen aud) fehsftinmige und achtſtimmige: die Melodie ift überall von der Er 
findung des Meifters und erreicht allerdings nicht den Charakter der alten Kirchen- 
weile an ſpecifiſcher Schwere, wirft aber mit der Führung der begleitenden Stimmen 
noch weit fongentrifcher zuſammen, weil fie ihr durchaus fonform gehalten ift. Dieſe 
Feftgefänge ergeben alfo eine Erweiterung bes proteftantifcen Gemeindefanges durch 
freie Chorvorträge, gewiffermagen einen Übergang des Choralfages zum Motett, zum 
geiftlicen Madeigal: zwar dergeftalt, daß die Gemeinde immer noch nicht nur hörend, 
fondern aud) einſtimmend der Melodie zu folgen vermödte, wäre nur feßtere ihr 
hinlänglich befannt. Es ift nicht ſowohl die Melodit, als vielmehr die Struttur 
des Tonfages, die in einzelnen doppeldürigen Stüden die Teilnahme der Gemeinde 
nicht füglich zuläßt. Immerhin bleiben beide Arbeiten gleihartig genug, um fie 
allenfalls unter einem Gefihtspunft zu betrachten, die Feftlieder, in ihrer Mehrzahl 
wenigftens, als einen möglichen Gemeindegefang, die geiftlichen Lieder hingegen durc 
aus und ganz beliebig aud als reine Chorfäge.“ Vgl. Tefhner. Bor. S. V. Im 
richtigen Gefühle feiner Stärke wie feiner Schwäche hat fih Eccard auf die Be— 
Handlung des geiftlichen Yiedes beſchränlt, ohne nodmals zu der breiteren Form der 
Motette, die er früher im Anfchlug an feinen Meifter Orlandus Laffus ebenfalls 
bearbeitet hatte, zurüdzutehren. „Als tieffinnigen Sontrapunktiften zeigt ex ſich nirgend, 
doch überall und aud im Vielftimmigen als höchſt angenehmen Melodiler. Die 
Mittel zu leicht ins Gehör fallender fangbarer Stimmführung befaß er in weiten 
Umfange: den Wohltlang ſebt er mit nur mirgends aus den Augen, fondern er 
erhebt ihn vieliuehr Häufig zu außerordentlicher Schönheit, Füle und Rundung. 
Alles bei ihm ift Heil, durchfichtig, leicht und gewandt in der Form, dabei immer 
würdig. Seine Harmonie if von ganz tadellofer Reinheit und, bei aller Einheit 
mit dem Grundton, doch immer reich und fließend; faft jede altertümliche Herbigleit 
und Härte ift verfhwunden — freilich aud ein großer Teil jener daraftervollen 
Kraft, welche Haßler und mande feiner weniger glatt und gerundet erſcheinenden 
frügeren Zeitgenoffen offenbaren. So Hat Ecard zwar die Harmonie mit neuen 
Wendungen bereichert, die Form geglättet, die Stimmführung geſchmeidiger gemacht: 
alles in allem genommen aber fünnen feine Werte das’ Höhfte doch nur für den 
fein, der reine Shönkeit-der Kunftempfindung und Geftaltung für das Höchſte an- 
zufehen vermag; auch auf die fernere Entwicklung der Volalformen vermochten ſie 
einen mertlihen Einfluß nicht zu üben. Das Feftlied, als diejenige Form, in welcher 
Eccards Schaffen gipfelt, fann weder an gewichtiger Vreite noch am lontrapunttiſcher 
Kunft der Motette, den Pomen, Tunftreihen CHoralfägen, Meßgeſängen xc. früherer 
und gleichzeitiger italienifcher und deutfcher Meifter ſich zur Seite ftellen.“ Bol. v. 
Dommer, Handbud der Mufitgefd. 1868. ©. 199. 200. 
23° 


356 


Echo. 


1. Geiſtlihe Lieder auff den Choral oder die gebräuhliche 
Kirhenmelodie gerichtet und fünfftimnig geiept. 2 Teile. Königsberg bei Gcorg 
Dfterberger 1897. 55 Tomfüge. — Rad der Königsberger Originalausgabe 
meu erausgegeben von G. W. Tefener. Leipzig 1860, Breitl. u. Härtel. 
Bart. u. Stn. Teil I. VI u. 49 ©. 23 Tonfäge. Teil II. 59 ©. 30 Ton- 
füge. — Der Herausgeber hat „Die Driginalität der Ercarbfgen Kompofition 
mit aller Sorgfalt gewahrt und namentlich die Übertragung dergeftlt einzu- 
rißten verfuht, daß das Original nicht wohl als irgend wie oder irgend wo 
entftellt erffeinen Tann.“ Bor. ©. VII. — Über die von Stobäus veran- 
finltete Ausg. von 1634. Bol. den Urt. „Joh, Stobäus“. — 2, Felicder 
durchs ganfe Jahr mit fünf, fehs und acht Stimmen. 2 Teile. Königöberg 1598. 
27 Stücde. — Eine zweite Ausgabe unter dem Titel „Preufüice Seflieder durchs 
gange Iahr. I. Zeil. Clbing bei Bodenhaufen 1642. I. Teil. Königsberg 
bei Ioß, Keußner 1644. — gab Ioh. Stobäus heraus und fügte 34 eigene 
Tonfüge bei. — Nach diefer Ausg. meu Herausgegeben von ©. W. Tefhner, 
Leipzig 1858, Breitt. u. Härtel. Fol. Teil 1. 67 ©. 26 Etüde. Teil II. 
95 S. 35 Stüde. Part. u. Stn. — Aus diefen beiden Werken find folgende 
Melodien in den Gemeindegefang übergegangen :') 

1. Gar Lufig jubilieren (urfpr. dreut euch, ihr Chriften alle"). 

Feier MI. 8. Winterfeld II. 223. Reinjard-genfen. Ch.-B. 1828. 


a Defu Chriſt wahr Menfh u. Gott. Geifll. Sieder I. 12. 
Winterfeld I. 125. Reinhard-Ienfen. Ch.B. Nr. 165. 
. Die Propheten haben prophezeit. Eccard, Stobäus. Geiſtl. 
Lieder. 1634. Nr. 14. Reinhard-Jenſen. CH.-B. Anh. Nr. 11. 
Beil unfer Troft Herr Sefu Sprit. line U. Nr. 5. Rein 
Hard-genfen. CheB. Anh. Nr. 17 
. Der Heilig Geift vom Himmel kam. Feſtlieder I. Nr. 10. 
Binterfeld I. 148. Reinhard-Ienfen. CH.-B. Anh. Nr. 25. 
Aus Lieb läßt Gott der Chriftenheit. Feſtlieder I. Nr. 21. 
BWinterfeld I. 149. Reinard-Ienfen. Ch.B. Anh. Nr. 30. 
. Nachdem die Sonn beigloffen. Feftlieder I. Nr. 15. Reinpard- 
Ienfen. CH.B. Anh. Nr. 31. 
Ferner aus „Crepundia sacra“. 1577: 
8. IHr Alten pflegt zu fagen. Winterfeld I. 104. Aus „Dreigig 
geiflihe Sieder auf die Feft“ 1585 (vom Ioad. u. Burd). 
9. Zu diefer öfterligen Zeit. Winterfeld 1. 105. 
10. D Freude über Freud. Seflieder I. 18. Winterfeld I. 143. — 


nee» 


2» 


E50, Wiederhall, im Sinne der Leifen Wiederholung melodiſcher Teile namentlich 


am Scluffe von Tonftüden, um Die Täufhung, als werde eine folde melodiche 
Vhroſe aus weiter Ferne beantwortet, Hervorzucufen, findet ſich auch im geiſtüchen 


1850, 


nech 


Kunſtgeſange und der Orgelmuſik namentlich des ſpäteren 17. Jahrhunderts als 


Bel. Winierſeld, Cu. K.G. 1. S. 483—406. Derſ. Zur Gef Seil. Tontunf. 1. 
©. 57-78, Ob fie ale ang Eccard als Erfinder angehören, wie v. Winterfeld will, iR 
nicht zweifellos feftgeftellt. 


Echowerk. 357 


außeres Effeltmittel in oft wenig geſchmadvoller Weiſe da und dort verwendet. Lieder 
mit Echo oder Wiederholungen einzelner Wörter führt Döring, Choraltunde ©. 141 f. 
einige am und bemerft dazu ganz richtig, daß Wiederholungen wie . . . „Daß du geſtor— 
ben — „„ftorben"” — Bift" —, „o mein Here Jeſu — „„Iefu“* — Ehrift“ — wohl 
von mufitalifcper Seite ausgegangen fein. Ich. Rud. Ahle wendet 5. B. am Schluffe 
feines Tonfages zu „Es ift genug" (woraus fpäter ein Choral — vgl. den Art. — 
gebildet wurde) ein Echo in folgender Weiſe an: 

4 















































= 7 ” [2 P 

1 ) 
amd e6 liegt die Annahme nahe, daß auch die Einrichtung des Echowertes (vgl. 
den Art.) auf dieſe Manier der Tonfeger zuzuführen fein dürfte. 


Echowert, Fernwert, in größeren Orgeln eine befondere Abteilung, die aus 
einer im Verhälinis zur Größe des gamen Wertes ftehenden Anzahl von fanft in- 
tonierten Stimmen befteht, mögliäft entfernt vom Profpelt im Hintergrund auf: 
geftellt — daher Fernwert, — und in einen Raften, den Echolaſten,ꝰ) eingeſchloſſen 
if. Dadurch wird der Ton fo gedämpft, daß er wie ein Echo aus der Ferne zu 
tommen ſcheint. Um zugleih ein Crescendo und Decrescendo mit dem Echowert 
hervorbringen zu Lönnen, werden die Wände und der Dedel des Kaſtens beweglich 
gemacht, jo daß fie als Thüren, Ialoufien u. f. w. beliebig geöffnet oder geichlofien 
werden Können; vgl. die Art. Thürfweller, Ialoufiefheler, Dachſchweller. Dieſe 
Türen, Ialonfien ıc. ftehen mittelft einer Leitung, die neuerdings häufig mit pneu— 
motiſchem Hebel verfehen wird, mit dem im Bereich des Organiften liegenden Cres- 
cendo-zug, Crescendo-titt, Schweller in Verbindung, durch den diefer während 
des Spiels den Echolaſten öffnen oder fliehen und dadurd den Ton modificieren 
Hann. — Die Anzahl der Stimmen, welche in großen Orgelwerten in das bejondere 
Echowert, das auf dem IV. Dan. gefpielt wird, gefegt werden, ift ſehr verſchieden, 

1) Mod; bis gegen bie Mitte des 18. Jahrh. tommt das Spiel mit dem Echo in den 
BB. der Pieifen vor, Bol. 3. 8. Drehel, &-®. 1731. ©. 551. Ritter, Zur Gef. des 
Drgelfpiels. 1884. ©. 147. x 

3) Den Cöotaften Hat Henry Willie in London — Orgel der Georges-Hall in Liverpool — 
auch mit doppelten Wänden hergefeilt und deren Zwiſchenräume mit feinem Sägmeht aus- 
gefültt. 





358 End. Edenhofer. Franz Eagert. 


am meiften haben die Engländer in ihrer „Swell:Organ“, weniger die Franofen 
auf ihrem „Slavier recitatif oder „Ehe erpreifif", am vorteilhafteften für rein 
fünftferifche Wirtung disponieren wohl die Deutſchen.) — Um aud auf Heineren 
Orgeln ein Echowert zu Haben, wird das III. oder IL. Manual entweder ganz zu 
einem folgen eingerichtet oder e8 werden Teile derſelben abgezweigt und in den Echo— 
taſſen geftelt,) oder endlich wird mur ein eimelnes Regiſter (Cornett d’Echo, 
Physharmonica) dazu benügt. 

Edenhofer, Ludwig, ein fleißiger Orgelbauer zu Regen im bairifhen Wald, 
mo er fein Gefeäft 1852 gründete, nachdem er fih in den Wertſtätten von Zim- 
mermann in Münden und Ullmann in Wien im Orgelbau ausgebildet Hatte. Er 
hat feitdem 106 neue Orgeln mit 6—26 flingenden Stimmen erbaut und 289 
Reporaturbauten jeden Umfangs ausgeführt. Von feinen Werten, in denen er Schleif- 
und Kegelladen amvendet, ftehen 6 im füdlichen Rufland, 7 in fterreih und die 
übrigen in Baiern; es wird denfelben ein voller und edler Ton nadgerühmt. 


Eggert, Franz, einer der geiftig regfamften Orgelbauer der Gegenwart, der 
in feinem Wirtungsfreis mit gründfichfter Sachtenntnis für die Verbreitung der 
Kegellade eintritt. Im der von ihm erfundenen Heberlade?) hat er, falls fie ſich 
erprobt, der Regellade eine Verbefferung zur Seite geftellt, die von weientlicher Be: 
deutung zu werden verſpricht, wenn er fie ſelbſt zunächſt auch nur beſcheiden „eine 
Änderung“ nennt. — Am 9. März 1849 zu Paderborn geboren, trat Franz E. 
nachdem er mehrere Gymnaſialklaſſen abjolviert hatte, im 14. Lebensjahre in das 
Drgele und Pianofortebau-ejchäft feines Vaters (geb. 1808) als Lehrling ein und 
blieb in demfelben bis 1868, um fid) dann noch während 6 Jahren in einigen der 
bedeutendften Orgelbauwertſtätten, wie bei Sonret in Köln, Wörfter in Lich, Weigle 
in Stuttgart (3 Jahre als erfter Gehülfe), Steinmeyer u. Comp. in Öttingen und 
Ladegaſt in Weißenfels in feiner Kunft weiter auszubilden. 1874 übernahm er das 
vom Later errichtete Orgelbaugeſchäft in Paderborn felbftändig und Hat in demfelben 
bis heute 2O neue Werte zur vollften Zufriedenheit der Sachverftändigen fertig 
geftellt. — Die größeren diefer Werke find: 









1. Die Orgel der Nemverkfiche zu Goslar. 1878. 20 Hi. Stn. — 2. Die 
Orgel der Frantenbergtirhe zu Goslar. 1880. 24 M. Stu. — 3. Die Orgel 
N Bei 100 Mi. Sm. ſehen z. B. Willis (Liverhoot) 24, Walder (Um) aille-Coll 





(Saint-Sulpiee, Paris) 22 Str, bei 84 Il. Sin. Ladegaft (Nicolai. Leibzig) 13, Walder 
(Bofen) 18; bei 00 I. Sin. Squtze (Bremen, Dom) 13, Buchholz (Berlin, St. Petri) 
3 Sin. in den Cholaften. 

2) ©&o feht 3. ©. Hans — Münfterorgel in Bafel, mit 60 H. Stm. auf das III. Dan. 
14 Stn., nimmt 4 Stimmen (Flauto tray. 8, Stil. Geb. 8° Vox humana # u. Flüte 
dW’amour 4°) davon, jet fie in den Echotaſten umd madit fie auf einem beigegebenen IV. Ma- 
nuel allein (pielbar. 


2) Über die Heberfade vgl. man Näheres nah Eggers eigenen Mitttilungen. Urania 
Kr. 5. 5 66-09 in Art. „Kegellade*. x 


Dr. Raphael Egli. Heinr. Egli. 359 


zu Meſchede. 1881. ZU M. Sin. — 4. Die Orgel der Pfarrkirche zu Dort 
mund. 1882. 36 fl. St. — 5. Die Orgel zu Brilon. 1893. 31 fl. Stm. — 
6. Die Orgel zu Arnsberg. 1984. 27 HM. Sin. — 


Egli, (Ealin, Eplinus, Iconius), Dr. Raphael, „Diener der Kirche zu Zi: 
tig“, war am 6. Jannar 1559 zu Frauenfeld im ſchweizeriſchen Kanten Thurgau 
geboren und auf der Säule zu Cleven, ſowie auf den Univerfitäten zu Genf und 
Bafel gebildet worden. Bis 1586 lebte er als „lateinifher Schulmeiſier· zu Son- 
drio (Sonders) im Beltlin, richtete darauf das Gymnaſium zu Winterthur ein und 
tam 1588 nad Zürich, wo er 1592 Profeſſor für neuteſtamentliche Eregeſe und 
Diofonus am der Münfterfinhe wurde. 1606 'ging er als Profeffor der Theologie 
umd Prediger an der Schloßtirche nad Marburg, wo er nad; 14jähriger Wirtjamteit 
am 20. Auguft 1622 ftarb. — €. gab auf Grundlage eines Baler GB. von 
1581 und des Konſtanzer G.-Bs. von Zwid unter dem Titel: 

„Kirhengefang der gemeinen und gebräuchlichen Pfalmen, Feftgefänge und 
geiftlichen Liedern nad der deutſchen Melodey —* die Kirchen zu Zürid, bei- 
jamen gedrudet.” Zürid, bei Iof. Wolff 1599 

der Zürder Kirche ein GB. mit 37 Piolmen, 28 Fefliedern, 81 andern geiftlichen 

Geſangen und 14 Hausgefängen nebft einftimmigen Melodien und durch diefes Bud), 

ſowie durch eine Eingabe am den Nat von Zürich vom 25. Januar 1598, in der 

er vorftellte, daß der Kirchengeſang als „ein fürnehmes Stüd des öffentlichen Gottes- 

dienftes dringend nothwendig und wünſchbar ſey“, hat er fih das Verdienft er: 

worben, den firhlihen Gemeindegeſang in Zürich eingeführt zu haben. Seine Ein 

gnbe ermirtte einen Vejhluß des Rates, nad welhen Sonntags und Dienftags vor , 
und nad der Predigt ‚gefungen und die Schüler zur Unterftügung des Geſanges an 

die Kirchen der Stadt verteilt werden jollen. Vgl. Weber, Der Kirchengeſang Zürichs. 

1866. ©. 26—30. 





Egli, Heinrich, Muſillehrer in Zürich, der ſich durch eine Anzahl neugeſchaffener 
Melodien und durch deren Mare, auf den vierftinnnigen Gemeindegeſang ohne ftügende 
Imftrumente berechnete Harmonifierung, ein bleibendes Berdienft um den Kirchengeſang 
des Kantone Zürid und der ganzen Oftfchweiz erworben hat. Er war am 4. März 
1742 zu Seegräben im Kanton Zürid geboren und erregte durch jein mufitalifches ” 
Talent frühzeitig die Aufmerhjamfeit Johann Schmidlins (vgl. den Art.), der dent- 
jelben die erfte Pflege angedeihen ließ und ihn dann nad; Zürich ſchictte, wo ex forg- 
famen Unterricht und volle Gelegenheit zur Ausbildung erhielt. Im Züri, wo er 
ats Muſillehrer blieb, erſchienen von 1780 an auch jeine geiftlihen und weltlichen 
Geſange,) die allgemeine Verbreitung erfangten, da ſie aus dem Voltsgemüte Heraus 





) Ein Berzeihinis von 22 feiner gedrudten Geſangewerle giebt G. Becker, La Musique 
en Suisse, 1874. ©, 120-123. 


360 Adam Eifert. 


und mit offenem Sinn für deffen Weſen und Bedürfniffe geſchaffen find. E. ſtarb 
am 19. Dezember 1810. — Er hat in Gemeinfgaft mit dem Pfarrer Däniter in 
Walliſellen (nahmals Prof. in Zirih) den muftalifhen Teil des Zürcher G. B. 
von 1787 beforgt und demfelben über 30 von ihm erfundene Melodien beigegeben, 
bei denen freilich feine Autorſchaſt durch feinerlei äußere Bezeichnung fefigeftelt ift 
und daher nur aus inneren Gründen angenommen werden Tann. — folgende feiner 
Melodien finden ſich noch im Geſang der deutſch ſchweizeriſchen Kirche im Gebrauch 
und in den G-B-B. der Kantone Zirih, Bafel, Schaffhaufen, dem Drei Kant. 
G.B. u. a. aufgezeichnet; wir zählen diefelben nad, Szadrowsty, Ch. Frauenfeld 
1873 auf: 

Nr. 10. Here umfer Gott, did loben wir. C-dur cedegage 

» 12. 94 finge die mit Herz und Mund. A-dur a a gis ah dis cis h. 

„ 16. Nun dantet alle Gott. C-durcegahe 

„ 28. Du Vater deiner Menfhentinder. Es-dur bg f es fasasg f. 

„29. Für unfre Brüder beten wir. C-dur e geaagde 

„33, Mein Gebet ſteigt täglich zu dir. D-dur d cis d ah ed cisd. 

u 35. Noch nie haft du dein Wort gebroden. C-dur gehaagfed. 

uw 63. Dies ift der Tag, den Gott gemagt. C-dur gchcagfe. 

» 67. Jeſus iſt gefommen. C-duredchag. 

«77. Agh fich ihm dulden, bluten, ſterben. Es-dur b b as gg basg es. 

«84. Laß deinen Geift mich ftets, x. F-dur fgacdcebaga. 

» 92. So ruheſt du, o meine Ruh, Es-dur es g fes esasgf. 

„ 100. Jeſus (ebt mit ihm auch ih. B-dur babbecab. 

„ 106. Frohloc, mein Herz, weil Jeſus Eprift.. P-dur d aa fis aha fis. 

„ 137. Dein Wort, o Herr, ift milder Tau. G-durghaggcha. 

„ 145. Exhör, o Gott, das Heiße Flehn. As-dur as es es e basb c. 

u 146. Ewig, Ewig bin ih dein. F-dur ffeabga  _ 

„ 270. Dein erſt Gefühl fei Preis und Dant. G-dur ggahd dc hi) 


Eifert, Adam, ein ftrebfamer thüringiſcher Orgelbauer der Gegenwart ift am 
2. April 1841 zu Grebenau im Oberheffen geboren. Er erlernte den Orgelbau 
1858— 1861 bei W. Bernhard zu Romrod in Heilen und bildete fich dann als 
Arbeiter in den Werfftätten von Rud. Ibach in Barmen und Martin in Riga 
weiter aus; fpäter wurde er Geſchäftsführer bei Aug. Wigmann zu Stadt-Mm in 
Thüringen, mit dem er fid 1867 affeciierte. 1871 etablierte ih E. auf eigene 
Rechnung und Hat feitdem im ganzen 35 Orgelwerfe verſchiedener Größe erbaut, 





1) Dagegen if nach Heine. Weber bei Sjabromsty a. a. O. S. IX. „Bott it mein Lied“ 
aa fis nicht vom ihm, obwohl die Melodie ihm vielfach noch zugeffrieben wird; 3. B. bei 
Roß, 8.2. VI. ©. 538. 


Einen guten Kampf hab id). : 361 


denen ſolide Arbeit, fünftlerifch treffliche Intonation, ſowie verfländnisvolle Ber- 
wendung der Errungenfehaften der neueren Orgelbauſunſt nachgerühmt werden. — 
Son feinen größeren Werfen find zu nennen: 

2 Orgeln zu je 22 HM. Stn. auf 2 Man. u. Bed. zu Erfurt (Martini- 
und Schottenicche) 1872; eine ebenfo große zu Bad Sula 1874; — Orgel 
mit 32 M. Stn. zu Großmonea 1878; — Orgel zu Neumaet bei Weimar 
mit 20 f. Sta. 1879; — Orgel zu Hardisleben mit 23 I. Stm. 1880 u. a. 


Einen guten Kampf hab ich, Choral von Heinrid Albert, der zuerft in 
deifen „Arien x. Erfter Teil. Königsberg 1638 erſcheint. Er fteht dort als Nr. 3 
mit der Überfrift: „Non certamina segnes aspiciunt, sed qui pugnant 
meruere coronas. Als mein wehrter Freund Johann Ernft Adersbad die Welt 
gefegnet, vnd in Gott entſchlaffen, den 1. Tag des Wintermonats im 1632. Jahre.“ 
Die gebrändli—e Form der Melodie ift: 


ee 

















— — 
Einen gms tem Kampf hab ih auf der Melt ge käm —pfet. 
denn Gott dat ge md dige ih all meim Leid ge > Dim - pfet, 









































+ 7 
— —— 


daß ich mei- nes Le-bens Lauf ſe— lig- lich vol-ten der und mein Seel in 


SE — — — — — — 


Him » mel 'nauf Gott dem Herrn ge— fen » det. 

Die folgende Parallelmelodie, die in ihren Grundlagen auf das alttirchliche 
„Patris sapientia, veritas divina“ aus dem 14, oder 15. Iahrhundert (0-2. 
der Böhm. Br. 1551 und 1544) zudzuführen it, erhielt ihre jebige Aus: 
bildung unter Zubilfenahme einer Melodie bei König, Harm. Liedericag 1738 und 
einer ſolchen bei Vaith. Reimann, Samimilg. after und neuer Del. IT4T, erſt ſpät, 
fo daß fie erſt gegen Ende des vorigen Iahrhunderts zunächſt Handigriftlic befannt 
wurde. Bei Schiät, Alg. CB. 1919. Nr. 916 Heißt fie: 


















































m 
(Wer wohl auf n.und ger, de- Ge fein Ge +» mi 
Und erde + be fee men Mund zu des Höhe fin Gil - te 


Gr — 


ASt uns Dan-fen Tay und af mit ge-funden !ie-dern anferm Col, ter 


——— 


uns be dacht mit gefunden Glietern. 







































Mi 




















362 Einer iR König, Immannel fieget. Ein fee Burg iR unfer Gott. 


Einer ift König, Immanuel fieget, Choral, der nad) dem Zeugnis Joh. 
Chr. Kuhnaus, CB. 1786. S. 230 von I. ©. Hille, Kantor und Schultollege 
in Glaucha vor Halle 1739 fomponiert wurde und im Wernigerödiigen G. B. 
7. Ausg. 1746. Nr. 483. S. 480 erſtmals gedrudt erſcheint. Cr heißt: 















IH 


eig, Imemaen sel fie» get, bes bet ihr fein - de und 
-ge gem, fe immig ver-gmii»get, Im » be dein Ser - je mit 


4225 
hate duüttz E- mise Gerben un- end — fi- Men Brie-den, 









































— 





—* 


— — 


Freu· de die Fül-te hat er ums ben ſchie · den. 
































Ein feſte Burg iſt unſer Gott, der Lutherchoral, das Schutz und Trug 
lied der deutſchen evangeliſchen Kirche, deffen Melodie mit dem Liede nicht nur fo 
fehr „aus Einem Guſſe“ ift und fo ganz „Diefelbe Zuverſicht und Kühnheit des 
Glaubens atmet”, daß eine getrennte Autorſchaft für beide ganz unannehmbar ift: 
das vielmehr „Suther in Perfon, den leibhaften Luther darftellt, wie ihn Pocfie 
und Mufil nur einmal zur Darſtellung gebracht Haben, jo daß dieſe Künſie faft 
immer nur auf Nachbildungen desfelben ſich gewiefen fehen, wo fie die Refor- 
mation feiern wollen.“') Mit ruhiger Sicherheit darf daher trog aller neueren 
Einwendungen die längft zur Tradition gewordene Annahme feftgehalten werden: 
Luther habe beide, Lied und Melodie, miteinander erfunden und gefungen. Während 
man früher der Meinung war, daß der Reformator fein Lied 1521 auf dem Wege 
nad Worms zu Oppenheim gedichtet Habe, dann allgemein angenommen wurde, es 
ſei während des Reichstags zu Augsburg 1530 auf der Koburg entftanden, umd 
endlich ein neuerer Forſcher zu erweifen geſucht hat, daß der 1. November 1527 
als „Gehurtstag" deſſelben anzufehen fei: ift jegt feitgeftelt, daß es früheſtens im 
Dahr 1529 vorhanden war.) — Die bislang ältefte Quelle der Melodie würde, 
falls die Iahresgohl 1530 auf demfelben richtig if, der von Otto Kade 1871 her. 


’) Bol. 9. Holymann, Martin Luther. Deutſche Rundſchau. 1883. X. Heft 2. Nm. S. 184. 

?) Die exfle Anmagıne gründete ih) auf die betamnten Worte in dem Brief an Spalati 
vor. Füder, 88. Ley. 1. ©. 165. Die zweite vertrat Rambady, Über Luthers Berdienfte x. 
Hamb. 1813, &. 108 f, vgl. dagegen Gefften, Die Samb. niederfühl. G.2.B. 1851. 
S. 239. und Wadernagel, Bibfiogr. 1855. ©. 109. Das Ieptgenannte Datum verfuite Dr. €. 
Br. 26. Schneider, Euthers geil. Lieder. 1856. Einf. S. NXXII-LII zu erweiſen, wurde 
ober von Wadernagel, &%. III. Borr. S. XX. Gefften u. A. widerlegt. 

















Ein fehle Burg if unfer Gott. 363 


ausgegebene handſchriftliche „Rutgertoder" fein;!) daß fie ſchon 1529 gedrudt vor« 
handen war,*) iſt noch nicht abjolut ſicher feitgeftelt, und fo bleiben bis auf Weiteres 
die erften gedrudten Duellen: das Erfurter G. B. von Andreas Rauſcher 1531 
und „sKirhengefenge mit vil jhönen Pfalmen vund Melodey gan geendert vund 
gemert“ 1531, am Ende: Gedruct zu Nurenberg durch Jobſt Guttnecht.“ Bl. 
67a. Nr. 54.3) Auf dieſen Quellen fußend glaubt Kade, es „unterliege wohl feinem 
Zweifel, daß der Geburtstag der Melodie, über welcher zur Zeit immer noch cin 
geroiffes Dunkel ſchwebt, in den Ausgang des Jahres 1529 oder fpäteftens in den 
—8 des Jahres 1530 geſetzt werden mühe.“ Sie Heißt im Joſ. Klugſchen 
6.8. 1535. Bl. 454: 
— 


ge: 

















jän fe fe burg iſt on >. fer Gott, ein "au te 
Er, Hilfft uns fen aus al > ier mot, die dns iht 















mehr und Waf 
hat be + traf 





















mit rm ers itt meint, Gros mactomd vie Ki, fein grauſam ung iR, 


1) Bon Oito Kade unter dem Titel: „Ein fee burt iR vnſer Got. Der nennufgehindene 
guther-Goder vom Jahr 1530.* Dresden 1871 Geransgegeben. Doch bleibt nad Wadernagels 
Meinung die Adtheit diefer Reliquie vorerft noch zweifelhaft. Bgt. Alg. ev.Luth. Kirhenzeitg. 
1870. 5. 905 fi. u. 5, 91, 

*) Rah Wadernagel, Libliogr. 1850. S. 109 auf einem Cingeldrud der Zunigund Her 
gotin zu Nürnberg, bei dem jedoh das Jahr des Erfdeinens nicht fiher iſt ſowie im Klugſcheu 
&.-2. von 1520, deffen Erifleng zwar ziemlich fiher, defien Wiederanffindung aber bie zur 
Stunde noch nidt gelungen if. Bol. Wadernagel, a. a. D. &. 108-109; derf. Luthers 
geiftl. Lieder. 1848. ©. 155. 

2) Diefe Aufjeigmung der Melodie, ala eine der äteften, mag nach Monatsh. für Mufit 
gef. 1872. ©. 128 Hier fichen, obwohl fie gleih am Anfang durch einen offenbaren Drud- 
fehter — Die erfle Note F ift durch eine Minimayaufe zu erfegen — entfellt i 















































+) Dies ift die urſprüngliche Ledart der Stelle; Fr tauchen früße fon zwei andre auf, 
welche diefe nad) und nad} verdrängt Haben: 


364 Ein fee Burg if unfer Gott. 


Auf ed iM mit fine dam > am. 
und findet fih von da ab in allen folgenden Gefangbücern der Reformationezeit: 
bei Sal. Schumann, 8. 1539, im Magdeb. ©.®. 1540. Bl. 22a, bei Inf. 
Klug, ©.8. 1543. 81. 57. Bat. Baht, 8. 1545. .. Nr. 24 u. (m. — 
Die neuere und nenefte hpmnofogifche Forfhung hat einige Stellen in andern Gefange- 
werfen aus der Entftehungsgeit der Luthermelodie, fowie in älteren gregorianifejen 
Sefängen aufgefunden, die merkvürdige Parallelen zu derfelben bilden: fo 3. ®. die 
Dielodie des 77. Pfalms in den niederländifcien Souterliedelens von 1540, oder 
eine Stelle in der Bahftimme einer Ineinifhen Motette in Ich. Walthers Chor. 
6.8. von 1524, die lautet: 

“00 nut. 



































ne 





























Iae-ten-tur om - nes po-pu-l. 
und alſo der erften Zeile unfrer Melodie völlig gleichtommt.) Ein latholiſcher For- 
ſcher hat im leicht begreiflicher Abſicht gar darzuthun gefuht, Luther Habe die einzelnen 
Stüce feiner Melodie aus drei Meffen des Graduale romanum zufammengeftoppelt 
und mofaifartig aneinander geffebt, und die folgende Zufammenftelung in Noten 
fol dies beweifen: 


Choral: 
























































3 
Gin fe um = = fer Gott, 
— 
Pat-re ma - tum 
——— 
a = 3 mob) = 
) — a ) ea 
Rücfumg if. Ki dung in. 


a) 3. B. im G. V. der Böhm. Dr. 1666. DI, La, dann bei Sigm. Hemmel 1569. Wolfe. 
Ammon 1578 u. U, beſonders aud bei den Harmoniften, Bis fie befonders durch Crügers 
G.-8.B. allgemeine tirälide Geltung erlangte. b) fon in einem Tonfaß des Lupus Hellingt 
bei Georg Raw 1544. Nr. LXIL, dann bei Caloifins 1597 fr Bulpins 1604 ff, Boden- 
ihag 1608 u. A.; letztere aud mit Modifilationen: 


7 —— Frese 
Se He md € — — 


©) bei Joh. Gerard 1007 (vgl. Ausg. von Teſchner. II. Mr. 22. ©. 48), d) bei Hans Leo 
Oaßler 1608, vgl. Bode in den Monateh. a. a. D. S. 226-227. 

’) Bol. Fried. Fielig, „Voltsweife und Gemeindeweiſe“, Euterpe 1878. ©. 103. Die 
angeführte Stelle finder fi in Walthers Ehor.-©.B. 1524. Nr. 41. Deus misereatur. Sec. 
Pars. Xusg. von Kade in den Publilationen der Gefelfä. für Muftforfäg. 8. VII. 1878. 
©. 98. Zeile 4. Talt 5—8 der Bapfimme. 





























Ein fehe Burg if unſer Gott. 365 






















































































& = zZ n — — 
a ] 
ein gu ste Wehr und Waf - - - jem 
Ebendeſ. — ran 

Missa in duppl. so- [13.5 — as = 
lemn. &. 50. Er — Dawn 
Et i »- - te-rumven - - tu - - rus est 

3 

Were 
dr dt» bb "fe Zeind 
Missa de auselis. — = T — 

©. 00. E — — ⸗ = 















































































































































FD ẽ 
Be ET — — 
4. 6. 
⸗— — — 
= 
mit Ernſt ers jebt meint, groß Mocht und viel Fin 
Missa de angelis — = 
CT 337 — = EZ — 
con -M - tn.- or u. num bap - ue · ma. 
6. 
EZ — 
fein grau- ſam RU» Ang if, 
inne Feat. ve |E e 
Missa in dupplici- Fr — — * 
u le _ ==: == 
10 - - bis sub Pon-ü-o Pi-in-to. 
1 
z = 
3 — — =) 
auf Erd in nicht fine lei = dem 
Missa in duppl. so- =: = 
lemn. &. 570. — — 














“tu. ru fh) 


Dem etwas entgegen haften zu wollen, wäre eitles Bemühen und auch anderr 
wärts hätte man ruhig zugeben önnen, daß der Reformator etwa Motive des gre- 


1) Bol. W. Bäumer, in den Monateh. für Muſitgeſch. 1880. Nr. 10. Derf. Zur Geſch. 
der Tontunft 1881. ©. 147: „Das fogenannte Reformationsfied enthält in noch auffallenderer 
Weiſe (als „Iefaia dem Propheten“) nur Dielodien aus dem Gloria und Credo im V. Ton.” 


366 Ein Lämmlein geht nnd trägt die Schuld. 


gorianifhen Gefanges benüt, ohne den Nachweis verſuchen zu müſſen, daß er diefe 
Motive wenigftens nicht bloh abgeſchrieben Habe.') Feder deutfche evangeliſche Chriſt fühtt 
es im Innerften, jo oft er das Lutherlied mitſingt, daß dasjelbe aus der Tiefe deut- 
ſchen Voltsgeiftes entſprungen ift und demfelben ureigentümlich angehört, und daß es 
nur in Luthers Munde das werben konnte, was es iſt: das Schug- und Truglied 
der evangelifchen Kirche. — Seh. Bad Hat das Pied und jeine Melodie in der 
Kantate „Ein fefte Burg ift unfer Gott” zum Reformationsfefte 1730 — nicht 
1717, wie v. Winterfeld, Ev. K. G. II. S. 328 meint — behandelt. Er be 
müßte dabei ein früheres Wert („Ales, mas aus Gott geboren“ von 1715), zu 
den er zwei Choralhöre (Nr. 1 u. 5) über die 1. und 3. Strophe des Luther- 
liedes nen fomponierte, von denen Spitta, Bad II. S. 300 jagt: „Der kühue, 
urfräftige Geift, der die deutfche Reformation ins Leben rief und in Bade Kunft 
od) mit voller Stärke weiter wirkte, hat nie einen Knftlerifchen Ausdrud gefunden, 
welcher aud nur von ferne am dieje beiden Toloffalen Geftalten Heranzeiht.” — 
Ausgaben der Kantate: Breitkopf u. Härtel, um 1822 (vgl. Kodlig, Für Freunde 
der Tontunft. III. S. 229 ff.); die. 1883 (zur Lutherfeier); Bach — Gef. XVIII. 
Nr. 80. KLA. Leipz. Peters, 





Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld. Diejem Liede Paul Ger- 
hardts ift jet allgemein die Weife „Un Wafjerflüfien Babylon” (Vgl. den Art.) 
zugeeignet. Cine eigene Melodie fir dasfelbe erfand Joh. Georg Ebeling, allein 
fie iſt nicht in den Kirchengebrauch gelommen; Winterfed. Ev. 8.-®. II. Nr. 70, 
teilt fie mit. Dagegen hat das Lied in der evang. Kirche Wurtteinbergs eine eigene 
Weiſe erhalten, die bei Stögel, CB. 1744. Nr. 21. (Württ. Ch. 1844. 
Nr. 186) lautet: 












I 2 Be 
> —— — 
Ein limm-lein gebt und trägt die Schuld, der Welt und ib + rer 
es geht mb Bit » Bet im Gerduld die Ginden al + Ier 


Spree 








+4 



















































































= 
dee 8 geht da + hin, witd matt undkrant, er» giebt ſich 


zen 


auf die Würsger bant, entzieht fih af» len reden; es nimmt auf 












FE3 33 






































Zu 











„Luther als Vater des evang. Kircengefangs” in der Sammlung mufit. 
Vorträge. II, Nr. 31. ©. 313-315, fowie die allgemeinen bezüglichen Bemerlungen bei 
Kraußold, Handb. für den Kirchen und Choralgeſang 1855. ©. 58-66. 





Eins if not! ach Herr, dies Eine. 367 


































ae 
ſich Schmas, dohn mid“ 
re = 
Tod, und Spricht: ih Mille gem Ice dent 
Sie ſtammt aus Joh. Georg Störls „Schlag:, Gefang- und Noten-Bud“. Stuttg. 


1710 and iſt wahrſcheinlich von diefem Tomponiert. Bpl. Faift, Württ. Chov. 
1876. ©. 223. 











— 
— 



































Eins iſt not! ach Herr, dies Eine, Choral, deſſen Melodie aus zwei 
verfciedenen Quellen gefloſſen if.) Der zweite Teil findet ſich als Schluß einer 
im übrigen ganz andern Melodie bei Joh. Ylitner, Suseitabulum musicum 1661 
und fönnte von diefem erfunden fein; vgl. Faißt, Württ. Ch-®. 1876. ©. 221. 
Für den erften Teil find Joachim Neanders Bundeslieder 1680. S. 190 die Quelle, 
wo die Melodie zu dem Liede „Großer Prophete, mein Herze begehret”, verwendet 
if. Im ihrer gegenwärtigen Form und Verwendung zu „Eins ift Not“ erſcheint 
fie erftmals bei Freylinghauſen, G.B. 1704. Nr. 325. ©. 503; fie heißt: 





— 
a 


(Sins iR mot! a Herr, dies Eine lehrte mih er-fensnen do! 
al» 16 am» Dee, wies aud ſchei- ne, in ja mm eim jdnerres doch 


da-runster das Her «ze fih ma get und 




















—— = 
re 






































= 


— 
Bess 


S = 
wahres Ber-gnürgen er · ja» get; er⸗ lang ich dies ei-me, das al— les er- 



































Se = 


fegt, fo werd id mit Girmem im al»Tem er» geht. 









































9) 9. Hoyer, Dialonus in Gerbfäbt, in dem Kuffap: „Einiges über die Umbildung welt 
licher Boltslieder in geifliche Kirchenlieder, ſowohl in Hinficht auf den Tert, als and in Kid 
fig auf die Melodie.” Euterpe 1870. Nr. 1. 2. behanptet S. 25: „Zu dem Joh, Sein. 
Scrüderfigen Iefustiede „Cine if Not“ wurde die Melodie eines Hallefden Stubentenliches 
benugt." Diele Angabe acceptirt aud; Köflin, Luther ald Vater des evang. KirKengefange. 
Samml. Mufit. Vorträge. Ar. 34. 1881. ©. 312. 


368 Ein ungefärbt Gemüte. Rob. Eitwer. Franz Eler. 


Diefe Melodie wird wegen ihres unlirchlichen weiten Teiles von den neueren 
Hynmologen und Kirdenmuftlern mehr oder weniger fireng verurteilt, und Joh,— 
Zahn macht (Euterpe 1871. S. 60 u. 61).den Vorſchlag, diejelbe durch eine Melodie 
aus Schemellis Zeiger GB. 1736. Nr. 112, die er Sch. Bad zuſchreibt, zu 
exjegen, da dieſelbe zu einer wirklidien Kirchenweiſe ſich bearbeiten ließe, und „da- 
durch unfers grofen Tonfegers Name aud in den evangeliſchen Choralbüchern cin 
Denimal erhalten würde." Allein auch falls die von Zahn a. a. ©. mitgeteitte 
Beife wirffic von Bach it, fo zeigt fie ſich im zweiten Teile ziemlich ebenfo tanz« 
mäßig als die obige, Dagegen weniger voltstümlih. Die einmal Gefannte Weite 
laht fih gewiß nicht mehr verdrängen; der Fehfer Iiept chen am Bersmaß mit 
feinem Umfpringen in den Daftyfus und feiner Zeilentonftruftion. Schon vor feiner 
jebigen Melodie Hatte das Lied eine folde in A-moll im Damit. GB. 1698 
umd auch nachher wurden noch amdre zu Ddemfelben verſucht, fo bei König, Harn. 
viederſchatz 1738, ferner bei David Miller, Ch-B. 1754, aber Teine derfelben ver- 
modte gegen die Freylinghaufenfche Weife aufgufommen. Bol. Zahn, a. a. O. S. 60. 


Ein ungefärbt Gemüte, Kantate von Seh. Bad) auf den vierten Sonntag 
mad) Trinitatis — wahrſcheinlich 20. Iuni 1723 — vgl. Spitta, Bad) U. ©. 188. 
Ausg.: Bach-⸗Geſ. V. 1. Nr. 24. 


Eitner, Robert, verdienftwoller Forſcher auf dem Felde der Mufitgeicichte, it 
am 22. Dftober 1832 zu Breslau geboren und daſelbſt unter der Feitung des 
Domtapellmeifters Broſig zum Mufiter gebildet worden. 1853 ließ er fih als 
Muſillehrer in Berlin nieder, trat als Kiadierſpieler öffentlich auf und ſchrieb ver- 
ſchiedene größere und Meinere Kompofitionen. Dann wandte er ſich mehr und mehr 
mufitgefgichtlichen Studien zu, ſchrieb 1867 ein in Holland preisgefröntes „Biograr 
phiſch bibliographiſches Lerifon der holländifhen Tontünftler", veranlafte 1868 die 
Gründung einer „Gefelicaft für Mufifforigung“ und redigiert fit 1869 die von 
derfelben herausgegebenen „Monatöhefte für Mufitgejcite" Eine 1868 in Berlin 
gegründete Lehronfialt für Mavierfpiel Hat er neueftens (1882) abgegeben um fih 
ganz muſilgeſchichtlichen Studien widmen zu können. — Die Nefultate feiner For 
ſchungen, die and für die Geſchichte der evangeliſchen Kirchenmuſik von großem Werte 
find, Hat E. außer im den „Monatsheften” (Jahrg. I—14) bis jegt in folgenden 
Werten niedergelegt: ’ 

1. Verzeichnis nener Ausgaben alter Mufihwerke. Berl. 1871. Naditrag 
dazu. 1877. — 2. Berzeihniffe der Werte Hand Leo Haflers und Orlando 
Laſſos. — 3. Bibliographie der Mufil:Sammelwerte des XVI. und XVII. 
Iahehunderts. Berlin 1877. IX m. 964 ©. gr. 8%. — 4. in den bie jet 
erfchienenen Von. der „Publitation älterer Mufittwerte,“ 

Eier, Franz (Franeiseus Elerus) aus Uelzen („Ulysseus“) ſoll ſchon vor 
Dr. Bugenhagen zum erften Kantor des Johanneums zu Hamburg und zum Stoflegen | 


WEllig. Th. Elliot. H. Enckhauſen. 369 


in Setunda, wie aud zum Mufildireftor der Hauptfirhen vorgeſchlagen und nicht 
lange nad) 1529 erwählt worden fein. Bol. Matthefon, Ehrenpforte. ©, 3 
u folgte 1580 Eberhard Deder in dieſem wichtigen Anıte, das fpäter Männer 
wie Thomas Selle, Telemann, €. Ph. Em. Bach u. a. befleidet Haben. Bon Eier, 
der nach 1588 geſtorben ift, erſchien: 

Cantica sacra, partim ex sacris literis desvmta partim ab ortho- 
doxis patribvs et piis ecclesine doctoribvs composita, et in vevm 
ecelesiae jvventvtis scholasticae Hambvrgensis collecta, atqve ad _dvo- 
decim modos ex doctrina Glareani accommodata et edita ab Fran- 

‘o Elero Viysseo. Accesserunt in fine Psalmi Lutheri & aliorum 
ejus seculi Doctorum, itilem Modis applicati. Hamburgi excudebat 
Jacobus Wolff. Anno M. D. XIIC. (1588). Ygt. Badernagel, Bibliogr. 
1855. ©. 418. 419. — Im zweiten Teil dieſes Buches mit dem beſoudern 
Zitet „Psalmi D. Martini Lvtheri ete., Seite LXXXI findet fih die 
Melodie „Warum betrübft du did; mein Herz" (Bpl. den Art.), für die das- 
felbe eine der ätteften Quellen ift. 











»Ellig (vom Ele) ift ein Ausdrud der alten Orgelbauer, der dasfelbe bezeichnet 
wie das jegige Zfügig: Principal (Oftave) 2° Hieh Principal ellig. Im diefer Be- 
deutung gebraudit e8 Prätorius, Synt. mus. II. Organogr. und teitweife ned) 
Adlung, Mus. mech, org. I. ©. 92 u. a. a. O. 


Elliot, Tgomas, ein namhafter englifcper Orgelbaner; er war 1782 zu London 
geboren und erlernte feine Kunſt in der Werlſtätte des älteren Hill dafelbit. Später 
affociierte er ſich mit dem jüngeren Hill in Firma „Elliot and Hill“, deren große 
Orgelwerle durch ihre prachtigen Grundflimmen (32 Füße), ſowie durch dauerhafte, 
und durch die erſte Amvendung des von Barker erfundenen pueumatiſchen Hebels 
feicht zu handhabende Mechanit ſich ausgeicneten. Eines der erften Werte Elliots 
war die Renovation der um 1680 von dem deutſchen Orgelbauer Schmidt („Father 
Smith") erbauten Orgel in der Fönigl. Kapelle zu Whitehall 1814. Andre große 
Werte der Firma Elliot and Hill find: die Orgel der Kathedrale zu Hort, — 
36 tn. 3 Man. (zu 6 Dftaven) und Bed. (2 Oftaven), mit Principal 32° 
(2* Durm.) Sacbut 32°, Bombarde 32 (4° Diagonale) und Subbaß 32° (2iir‘ 
Diagonale); die Orgel der Christ-Church in Sonden; der Kirche zu Greighton. 
1840 trat Elliot vom Geſchäft zurüd. dod blüht dasfelbe unter der Firma „Hill 
and Son“ (vgl. den Art.) noch jetzt. 


Enrthanfen, Heinrich, Schlogorganift in Hannover, it am 28. Auguſt 1799 
zu Gelle geboren und erhielt von feinem Vater, der dort Gtabtnufilus war, den 
erften Mufttunterriät. Weitere Studien namentlich) im Stlavierfpiel machte er von 
1826 an bei Aoys Schmitt in Berlin, mit dem er dann 1827 nad Hannover 
ging. As Schmitt 1929 feine Stelle als Hoforganift niederlepte, folgte ihm E. 

Rämmerke, Encft.b. wong. Rirdenmuft. I. 24 


370 David Herm. Engel. 


in derſelben. Er Hat außer einer großen Anzahl von Sapierwerfen auch Or 
und andre Kirchenſtücke geſchrieben, von denen hier zu nennen find: 


Op. 78. Um Gnade. Geb. für 4 Mſin. Hannover, Nagel. — Op. wW 
Der 23. Palm für 4 Mftn. dal. — Op. 86. 2 geiftl. Öefänge dal. — 
Op. 40. Der 130. Palm für 4 Dftn. da. — Op. 50. Der 100. ale 
für 4 Min. daf. — Op. 59. 61. Religiöfe Gefänge für Peftn. 2 Seit 
daf. — Op. 67. Nefponforien zu Kollelten und Antiphonen dj. — 30 Che 
räle für 4 Dftn. daf. — 30 Choral:Melodien für den Schulgebt. eilt. 
gefegt dal. — Choral-Melodienbud zum hannoverfhen, Küneburgiiden und 
bildesheimifcjen ©.-B., nad dem früheren Böttnerfcen CH-®. umgearbeitet 
und vermehrt, mebft einer Anweifung zum Altar- und dyndifden Gefange di. 
1847. qu. 4%. — Choralmelodienbud) dazu daf. 8°. — Op. 96. Motette 
für ©. A. T. u. 8. dal. — Op. 87. Tonftüde für Orgel. 3 Hefte dal. — 
Op. 91. 106 Keine Shoral-Borfpiele zum Gebr. beim Gottead. und zum 
Studium daf. 4°. u. j. w. 





Engel, David Hermann, Domorgamift und Gefanglehrer am Gymnaſium zu 
Merfeburg, war am 22. Januar 1816 zu Neu-Ruppin geboren und erhielt den 
erſten Unterricht in der Muſit von dem dortigen Organiften Wille, den er ſchon im 
15. Lebensjahr beim Orgelfpiel im Gottesdienft vertreten Tonnte. Bon 1835—1837 
beſuchte er die Muſitſchule Friedrich Schneiders in Deffan und machte dann bi 
Adolf Heffe im Breslau noch weitere Studien im Drgelfpiel. 1841 lieh er fih als 
Mufitlehrer in Berlin nieder, machte aber auch Gier noch fortgefegte Studien namentlih 
auf dem Gebiet after Kirhenmufit und fhrieb verfhiedene Palmen und andre 
Kirgenftüce für den Domdor. Seit 1848 lebte und wirlte er in Merjeburg, wo 
er zumädft feine Fachtenmniſſe im Drgelban bei dem unter feiner Leitung 1854 
bis 1855 ausgeführten, großartigen Bau der erneuerten Domorgel (81 fl. Sin. 
auf 5 Dan. und 2 Ped.) in hervorragender Weife betätigte, und dann unter Ber 
mügung dieſes Wertes Orgeltongerte ins Leben rief, die namentlich in den Rreifen 
der meudentfen Schule einen Ruf erlangten, denen aber von andrer Seite her auch 
der Tadel mangelnder Kirchlichteit und Hinftlerifcher Stilgemäßheit nicht eripart 
gebfieben if. €. farb am 3. Mai 1877 zu Merfeburg, eine bedeutende Anzahl 
von Kompofitionen aller Art hinterlaffend, von denen Hier die fir bie Kirche beftimmten 
aufzuführen find. — 

Op. 2. 6 Orgelftüde. Brest. Beiche. — Doppelfuge C-dur. Erf, 

Kümer, — Poſtludium G-moll. da. — Op. 10. Choralbuh mit Zwiſchen 

ipielen für Kirche und Hans. I. Teil 1846. II. Teil 1861. Berlin, Bote u. 

8. — Op. 11. Der 81. Pam für gem. Chor. daf. — Op. 18. Orgel- 

ftüde für den gottesdienftl. Gebr. 1. Heft. Erf., Körner. — Op. 15. 10 

Drgeiftice, daf. — Op. 16. Fantafie und. Fuge G-moll für Orgel. — Op. 

17. 25 feihte Praludien für Org. daf. Op. 18. Der 19. Palm für gem. 

Chor. Berlin, Bote u. B. — Einleitung und Fuge E-moll für Org. 

förner. — Op. 24. Zur Häusfihen Erbauung. 30 geiftl. Deelodien von 3. 


8 





Heine. Engelhardt. Engelzug. Aichael Engler. 371 


W. Frand, eingerihtet. Leipzig, Breitt. u. H. — Op. 26. Zionsharfe. Geiftl. 
ieder von H. Eimenhorit mit neuen Melodien von G. Böhm, I. W. Frand 
u. P. L. Wodenfuß. Neu bearb. Leip., Kahnt. — Op. 37. Weihnadits 
Hymnen für gem. Chor. Yeipz., Kiſtner. — Op. 43. 18 Seitmotetten nad) 
Worten der heil. Schrift für gem. Chor. Leip., Merjeb. — Op. 44, Op. 
70. Orgelftücde. Heft 1. 2. im „AUbum für Orgelfpieler“. Leipz-, Kahnt. — 
Op. 49. Einleitung und Doppelfuge A-moll für Org. — Op. 54. 24 Ra 
fualmotetten. 4 Hefte. Leipz, Merjeb. — Op. 56. 33 Chöre umd Motetten 
für gem. Chor. 4 Hefte. Yeiy., Kitner. — Op. 81. Grabgefänge. 15 Moüre. 
Schleufingen, Ölajer. — Beitrag zur Geſchichte des Orgelbanwejens. Erf., 
Störner 1855. 8°. 











Engelgardt, Heinrich, königl. Seminarmufitiehrer zu Coeft, der fih um die 
Vflege der Mufit in Kirchen und Schulen der dortigen Gegend große Verdienſte er 
worben Hat und deshalb von dem Obertonfiftorialrat Natorp jehr geaditet wurde. 
Er ſtammte aus einem Dorfe in der Nähe von Nordhauſen und ftarb im 64. Jahr 
feines Alters am 6. Dezember 1857. Val. Ert. Euterpe 1862. ©. 174. — 
Bon ihm erfcjienen: 

Op. 1. 30 Orgelpräludien für Anfänger. Minden, Epmann. — Op. 2. 

12 Orgelftüde. Erfurt, Meyer. — 16 leichte und kurze Chorgeſ. und 8 Kirchen 

horäle für Schulen (1. Heft der 4f. Gei.). Soeft, Naffe. — 20 leichte und 

kurze Chorgeſ. u. 12 Kirchenchoräle für Schulen. (2. Heft der Aft. Gef.) Daf. — 

16 Grabgefänge für 3 Kinderftimmen. Daf. 


Engelzug — hieß ein Regiſterzug in alten Orgeln, der eine Mechanik in 
Bewegung fegte, durch die an der Front des Orgelgehäufes angebrachte Engelsfiguren, 
die mit blinden Pofaunen oder Paufen ausgerüftet waren, in Thätigfeit gehradt 
wurden, jo daß diefelben entweder die Pojaunen an den Mund fegten, oder die 
Manipulation des Pautenfchlagens ausführten. Jetzt find dieſe Überbfeibfel der 
Zopfgeit meift, wenn auch nod nit übernll verſchwunden (Vgl. die Art. „Blind“, 
„Brofpett“ u. ſ. w.) 


Engler, Michael, einer der namhafteften Orgelbauer des vorigen Jahrhunderts, 
geboren am 6. September 1688 zu Brieg in Schleſſen. Cr errichtete feine Wert- 
ftätte 1722 zu Breslau und baute bis am feinen Tod, der am 15. Januar 1760 
erfolgte, an 30 größere und Heinere Orgelwerfe, von denen folgende die bedeutendften 
find: 





1. Die Orgel der Niolaifirce zu Brig mit 66 Stn. 3 Man. u. Per. 
(26 blinde u. 2812 fl. Pfeifen, deren größte 1 Cr. 28 Pfd. wog, 7 Bülge; 
fie toftete 32000 Gulden C. M.) 1724173051) 2. Die berühmte Orgel 


2) Bl. über diefes Orgelwert und feine 1860-1867 von dem Orgelbauer G. Riemer 
im Brieg ausgeführte Erneuerung das uinfafende Gutachten des Orgelbaureifors Dr. Baum 
gart im Sälefiläen Cäufdeten 1867. Pr. 4. 

24* 


372 Erbe oder Erben. Erfrent end), ihr Herzen. Erhalt uns Herr, bei ıc. 


der Gifterzienfer-Slofterfirhe zu Griffen, 54 Stn. 3 Dan. Bed. 1732 bis 

1739.') 3. Die Heinere Orgel derfelben Kirde, 28 Stu. 2 Man. Bed. 1135. 

4. Die Orgel zu Olmüg, mit 44 tn. 3 Dan. u. ®. 1745; — 5. Die 

Drgel zu St. lifabeth in Breslau, 56 Stn. 3 Man. Bed. — 

Sein Son, Gottlieb Benjamin E., geboren um 1725 zu Breslau, 
fegte das väterfiche Geſchaft fort und wußte als geſchicter Meifter deffen Ruf zu 
erhalten; er ftarb am 4. Februar 1793 zu Breslau. Ihm folgte im Geſchäft fein 
Sohn, Johann Gottlieb Benjamin E,, geboren am 28. September 1775 zu 
Breslau; auch er Hat noch verſchiedene Orgelbanten in Schlefien in treffliger Weile 
ausgeführt; fo ermeuerte er 3. B. 1821 die im 9. 1725 von F. Röder erbaute 
Drgel zu Darin Magdalenn in Breslan, mit 55 Stn. Er ſiarb am Id. 
April 1829. 


Erbe, oder Erben, Balthafar, war nad Koh, Geſch. des Kirchenl. IV. 
©. 147, dem aud) Döring, Choralt. ©. 108. Anm. folgt, Kapellmeifter zu Danzig, 
mad) Pasque „Georg Neumari der Poet und Gambenſpieier·, Mg. muf. Zig. 1 
©. 427. Organift an der Stadtlirche zu Weimar und hat in Neumarts „Mufitalicy 
poetiſchem Luftwald“ fünf (nad) Rod a. a. O. drei) Choralmelodien mit dreiftimmigen 
Tonfägen veröffentlißt, die jedoch nit in den Kirchengebrauch gelommen find. 
Weiteres über ihm ift nicht belannt. 











Erfreut euch, ihr Herzen, Kantate von Seh. Bad) zum zweiten Ofterfeft 
tage: „es herrſcht in ihr Geift und Anmut, wenn fie and unter Bachs Oftermufiten 
eine Hervorragende Stelle nicht beanfpruden fann.“ Spitta, Bad) II. ©. 548 bis 
549. Ausg.: Bach Geſ. XVL Nr. 66. 


Erhalt und Herr, bei deinem Wort, Choral, defien Weife ihren Grund 
lagen nad) im Erfurter G. B. (Raufher) 1531 und im Klugſchen G. B. 1535 
enthalten iſt, zu ihrer jebigen — ausgeſtaltet aber erfimals bei Joſ. Klug, 
G.B. 1545. Bl. 65a, Vapſt, G. B. 1545. I. Nr. 30, und Ioh. Spangenberg, 
Kirdjengefeng. Magdeburg 1545. Bl. 265 erſcheint. Im diefer Form Heißt fie: 


— — 


nem Wort und fer des Pabfis u. Tür «Ten Mor, 




































— 





') Bal. Euterpe 1879. S. 102-104 die Befchreibung dieles Wertes und feiner mehrjet 
eigentlimlicien Einrichtungen (4 Sammerbäffe, vollfiindige Dftav u. dgl.), ſomie die Dispofitien 
mitgeteift von Gifer in Glogan. 


2. Erhardi. Adam Erk. Ludwig Eik. 373 


Sie ift gleich den mit ihr verwandten Melodien „Chriſt, der du bift der helle 
Tag” und „Verleih uns Frieden guädiglich“ auf Urbeftandteile des Gregorianiſchen 
Chorals (Cantus firmus) zueüczuführen, aus dem fih nad und nad liedmäßige 
Weiſen entwidelt haben; die vorgenannten werden gewöhnlich auf den Hymnus Veni 
redemptor gentium als ihre Grundlage verwieſen. — Eine Choraltantate 
„Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort" von Seh. Bad zum 6. Sonntage nach 
Trinitatis geſchrieben, ift gedrudt: Bach⸗Geſ. XXVI. Nr. 126. 





Erhardi, Laurentius, war am 5. April 1598 zu Hagenan im Elſaß geboren 
und leble im Jahr 1618 als Lehrer zu Sanrbrücen, von wo er 1621 als Adjunttus 
Chriſtoph Thomas Walifers nad Straßburg fım. Yon 1624 an verfah er einen 
Schuldienſt zu Hagenau, feiner Heimat, bis er gegen 1640 als Kollege und Kantor 
am das Gymnaftum zu Frantfurt a. M. am. Die Zeit feines Todes ift nicht 
befannt, füllt jedoch jedenfalls nah 1660. — Er hat herausgegeben: 

„Harmonifches Chor- und Figural Gefang Buch, Augspurgiicher Konfeffion: 

Worinnen die Palmen vnd Geiftlihe Lieder, vornemlih Here D. Martin 

Luthers, vnd anderer Gottjeligen Lehrer begriffen: x. mit 2, 3. 4. 5. und 

6. Stimmen, in simplici et fracto Contrapuncto, nad den gewöhnen 

Tonis Musicis geridtet x. Frandfurt am Mayn, M. D. C. LIX. 8%. — 

Daraus find Bis jegt neu gedrudt bei Schüberlein-Riegel, Schatz des ur, 

Chor: und Gemeindegeſ. I. Nr. 82. 254. II. Nr. 36. 237; einzelne Nen. 

au) bei v. Winterfeld, Erf und Filig u. a. 


Erf, Adam Bilhelm, war am 10. März 1779 zu Herpf in Cadjfen-Deiningen 
geboren und erlangte feine Ausbildung zum Scheer im Seminar zu Meiningen, wo 
Chr. H. Rind, mit dem er fpüter als treffliher Orgelfpieler woetteferte, fein Mit 
ſCuler war. Bon 1802 an war ex am verichiedenen Orten als dehrer und Organift 
tätig, fo bis 1811 in Weblar an der Domtirche, 1812—1813 zu Frantfurt a. M. 
und von 1813—1820 zu Dreieichengain bei Darmftadt, wo er 31. Januar 1820 
gefterben it. Bon feinen Orgelfompofitionen find mr wenige Hefte im Deud er 
föienen, die meiften aber Mfrr. geblieben. 


Ext, Ludwig, einer der flifipften Forſcher auf dem Gebiete des evangeliſchen 
Gemeindegefanges und des deutſchen Bollslicdes, war am 6. Jannar 1807 als der 
Sohn des vorigen zu Weglar geboren und erhielt feine erfte mufifalifde Ausbildung 
von feinem Vater. Bon 1820 am erweiterte und vertiefte ex diefelbe unter der 
Leitung von V. Spieg und L. Remvald zu Offenbach, ſowie im Umgang mit 
Männern wie A. Anded, Rind, Al. und Ial. Schmitt u. a. Schon 1826 wurde 
er proviforifch, 1829 aber definitiv als Muſitlehrer am Seminar zu Mörs ange: 
fiellt und begelindete während feines dortigen Aufenthaltes mit dem Lehrer Schläffer 
zu Hilden die bergiſchen Lehrergeſangfeſte, deren erftes 1834 zu Remfheid ftattfand 
und die fi) mad und mach zu ſchöner Leiftungsfähigteit hoben. 1835 trat €. 


374 Endwig Erk. 


als Lehrer der Mufit am das fönigl. Seminar für Stadtſchulen in Berlin über, 
leitete hier 1836—1838 den Liturgifhen Chor am Dome, aus dem ſpäter der 
Domchor entftand, war 18361847 Mitglied der Singalademie und gründete zwei 
eigene Gefangvereine: den „Exffcjen Männergefangverein“ 1843, und den ,Ertſchen 
Gefangverein ffir gemifhten Chor" 1852, mit denen er in ausgezeichneter Weife 
das deutfche Volkslied pflegte. 1876 feierte Ert unter allgemeiner ehrender Teil 
nahme jein 5Ojähriges Fchrerjubilium und erhielt bei dieſer Gelegenheit, nachdem 
er ſchon 1857 zum königl. Muſikdireltor ernannt worden war, den Titel eines 
tönigl. Profeffors. Er ftarb zu Berlin am 25. November 1883. — E. ift mit 
einer der erften geweſen umd Durd) ein ganzes langes Leben hindurch einer Der 
thätigften unter den Männern geblieben, die den unergründlichen Schatz des Volls— 
liedes für unfer Volt zu Heben beſtrebt waren; aus den Heinen Anfängen eines 
mühfamen Wertes ift ihm vergönnt gewefen, einen ſchönen Bau erwachſen zu jehen, 
an dem er ımermüdfic und mit feltener Sachkenntnis mitgeholfen: feine mehr als 
120 bis jet erichienenen Werke jeglichen Umfangs find ihrem größten Teile nach 
den BVoltstiede, diefer reichen Goldader der deutſchen Voltejecle, und feiner Ber 
wertung und Fruchtbarmachung für den Schule und Voltsgefang gewidmet. — Mit 
der Forſchung auf dem Gebiete des weltlichen Voltsliedes verband er dann nad, 
Hauptfählic angeregt durch Hoffmann v. Fallersfeben und Friedr. Filig, die nidıt 
minder eingehende und erfolgreiche auf dem des geifttichen, des Chorals; und auch 
hier gehören feine Leiftungen, die, ev großenteils, aber freilich nur in gedrängteiter 
Form, im den „Hiftorifchen Notizen” zu feinen Choraibuch, fowie in einer fort 
caufenden Reife von Artifeln in der Mufikeitfcrift „Enterpe” niedergelegt hat, zu 
den für die Quellenfunde des Chorals werwollſien und gründlichſten. Auf der 
geſchichtlichen Grundlage diefer Forſchungen erwuchs endlich fein „Choralbuch“, ein 
durch itifch-reine Herftellung der Melodien und deren nad) den Muftern der Ton 
jeger des 16. und 17. Jahrhunderts und unter Anpaffung an die Grundftimmung 
jedes Liedes bearbeitete Harmonifierung ausgezeichnetes Wert. — Bon den Werten!) 
Erls find Hier aufzuführen: 
1. Vierftimmige Choralfäte der vornehmften Meifter des 16. und 17. 
—— Mit Briedr, Fielig.) 1. Teit. 150 Ren. Eſſen 1845. Badeler. 
IV. u. 106 ©. 4%. . Die befonnteten umd vorzüglichften Choräte der 
— "Kirche, Peefinnatig en für 2 Sopr. u. At, 3 Hefte. Daſ. 1847 
8.5. u. 2. Aufl. 1872. — 3, Iohaun Sch. Bachs mehrftinnmige Choral 
geſänge und geiftliche Arien. Zum erſtenmal unverändert und nad authentiſchen 
Quellen mit ihren urſprünglichen Texten und mit den notwendigen Funfihifteri 
ſchen Nachweiſen herausgegeben. 2 Bde. Leipz. 1856. 1865. Peters. 2. Aufl. 
1873. — 4. Sion, Choräle und andre refigiöfe Gefänge für gemifchten 


») Ein vollMändiges Vetzeichnis der Werfe Erls bis 1867 gehend, eridien 1867; ein 
weiteres is 1876 ergängtes mit 120 Nr. als Anfang in „Rudio. Erf, eine biogr. Stizz x. 
von Karl Schuttze. Berlin 1876. Enslin. 








Phil. Heinr. Erlebach. Ermuntre did) mein ſchwacher Geil. 375 


Chor, in alter und neuer Form. 2, Teile. Efen 1855-1857. Badeter. — 
5. Vierftinmiges Choralbug für evang. Kirchen. Mit befonderer Nüdfiht auf 
die in der Provinz Brandenburg gangbaren GB... bearbeitet, nebit einen 
Antang hiftorifher Notizen. Berlin 1863. Enslin. VI. u. 206 ©. Yer. 8%. 
290 Choräle. — 6. Choräfe fir Männerftinmen in alter umd neuer Melodie 
form. Fire höhere Schulen und Singvereine. Effen 1866. Bädeler. — Ein 
weiteres Choralwert „Auswahl von Choralmelodien der ;evang. Kirche, nad) 
ihrer Originalform mitgeteilt, nebft Feitifher Beleuchtung der daraus hervor: 
gegangenen neueren Pesarten" c. 300 Nen., Haret mod der Veröffentlichung. 


Erlebach, Philipp Heinrich, ein Kirchenlomponiſt der Zeit unmittelbar vor 
Bad, war am 25. Juli 1657 zu Eſſen geboren und lam frühzeitig nad Paris, 
wo er feine mufikaliſche Bildung erlangte und daher fräter mit Pedht wegen feiner 
gewandten Behandlung franzöfiiher Inftrumentalmufitformen gerühmt werden konnte. 
1683 kam er als Kapellmeifter nad) Rudolftadt, wo er am 17. Aprit 1714 ftarb. 
Er war ein fruchtbarer und nad) feiner Zeit Weife bedeutender Komponift, der außer 
Inftrumentolmufit aud eine ganze Reihe von Kirhentantaten (jo 1708 einen Jahr— 
gang über die Evangelien, deſſen Terte ſpäter auch Bach benfigte) und verſchiedene 
Orgelwerke geſchrieben hat. Bgl. Spitta. Bach I. ©. 347. 


Ermuntre dich mein ſchwacher Geift, Choral, deſſen Erfindung wahr: 
ſceinlich Cogl. Faikt, Württ. Ch-B. 1876. ©. 220), jedoch nicht abfolut fiher, 
Johann Schop (vgl. den Art.) zuzuſchreiben it. Die Melodie erſchien erftmals in 
Rifts „Himmlifhen Viedern“. Erftes Zehn, 1641. ©. 2. Nr. I in folgender Ge 
ftalt (vgl. Layriz, Kern I. Nr. 34. ©. 20): 











— >= 


Er-muntre did, mein — her Geiſt und tra-ge groß Ber - fan + gen, 
ein Meines Kind, a8 Vater Heißt, mit Freuden zu em - pfan » gen! 























rn: 


Dies iM die Naht, 



































Bo-durd die Wet mit Zrewen alß jiene Brautzu fei= en. 

Ihre mehr kirchliche, choralmäßigere Ausgeftaltung erfuhr fie dann bald hernach 

durd) dohann Grüger, Berliner ©-8. 1653. ©. 133. Nr. 33 (umd in deſſen 
„Geiftt. Pfatmen" 1657), wo ſie lautet: 

Bl] 


SEr-mmetre did, mein ſchwa · her Geiſt, und tra » ge groß Ber -Tan-gen, 
kein Meines Kind, das Ba > ter Geißt, mit Freuden zu em-pfan-gent 



































376 Erſchienen if der herrlich Tag. Gotth. Erythräus. 





+ — 

— ——— 

Dies iſt die Nacht, da + rin es tam amd menfhlih We + fen am fih 
2 Ze - 














































































nahm, da »durd; die Welt mit Treuen als feis ne Braut zu frei «en. 


Mit einigen leichteren melodiihen Umbildungen und in gerade Taftart um 
gelegt erfheint die Weife endlich bei Frehlinghaufen, &-®. I. 1704. Mr. 2, 
Geſamtausg. 1741. Nr. 52. ©. 32), bei Stögel, Ch-B. 1744. Nr. IL u. a. in 
der Geftalt, die ihr im Wefentlichen bis heute geblichen ft. 


Erſchienen ift der herrlich Tag, cine Weiſe von hochfeſtlichem Klange“ 
die der Dichter des Liedes, der Kantor Nikolaus Herman in Joachimsthol zugleis 
mit diefem 1559 erfunden umd in feinen „Sonntags Evangelia“ Wittenb. 1560. 
Bl. S. Ib. (Ausg. von 1562. Bl. 56b. Ausg. Leipz. 1565. Vl. K. IVa) zuen 
veröffenticht hat. Vgl. Tucher, Shag II. Nr. 15 





















Er- ſchie nen iſt der Gere lich Tag, dran nie-mand ſich guug fen - em mag. 























ri »umepfle, ME fei» me Beind en gianegen führt 




















und ift ſchon dort zu zwei weiteren Liedern „Am Sabbath, früh Marien drei” und 
„Als vierzig Tag nad) Oftern warn" verwendet; fpäter wurde fie meift aud dem 
Paul Gerhardtfepen Ofterliede „Wir fingen dir, Immannel“ beigegeben, das zuerft in 
Joh. Crügers Prax. piet. mel. 1656. S. 202 erſchienen war. 


Erythräus, Gotthard, Kirhentonjeger, der um 1560 zu Straßburg geboren 
wurde. Er fludierte zu Altdorf in Franken, wo er 1587 die Magifterwürde cr: 
langte, 1595 Kantor an der Stadtſchule dajelbit wurde und als Neltor diefer Schule 
im Iahe 1617 ſtarb. Er gab Heraus: 

„Herrn D. Martini Putheri, vnd anderer Gottsförhtiger Männer Palmen 

vnd Geiftliche Lieder . jegt zu mehrerem Gebrouch in vier Stimm gebradit" x 

gedrudt zu Nürnberg, durch Abraham Wagemann. MDCHX. 4°, 
die Choräle in einfarhem vierftimmigem Sat, „doch alfo, daß der Thon oder die 
Melodey in die höchſte Stimm gezogen, damit diefelbigen zum bequemlichſten vnd 
beften Brauch von jedermänniglih, aud dem gemeinen Mann, leichtlich mögen er- 





Es erhub ſich ein Streit. Es glänzet der Ehrilen inwendiges Leben. 3 





7 


nut und geſungen werden.” — Aus dieſem Werte find eine Anzahl Tonfäge neu 
gedrudt bei Er und Filig, Bierſt. Choraleſ. I. 1845. Nr. 30. 42, 50. 53. 63. 
72. 75. 84, d. Tucher, Shag II. Pr. 35. 70. 127. 146. 11. 164. 167. 
204. 239. 369. 402. 451. 460. und Schöberlein-Kiegel, Schag des liturg. Chor- 
und Gemeindegef. I. Nr. 24. 100. II. Nr. 78. 199. 210, 222. 275. 277. 363. 
III. 138. 159. 186. 


Es erhub ſich ein Streit, Kantate von Seh. Bach zum Michaelisfeſte 
29. Sept.) 1725; eines feiner umfangreichften derartigen Werke und angeregt durd) 
feines Oheims, Johann Ehriſtoph Bad, eigenartige Mihaelismufit (vgl. Spitta, 
Bad 1. ©. 43-51), die er ſchatte und noch in Leipzig zur Aufführung brachte. 
Ausgabe: Bad. Gef. IT. Nr. 19. Kl. A. von Rösler. Leipzig, Peters. 












Es glänzet der Chriſten inwendiges Leben, Choral aus Freylinghaufens 
G. B. 1704. I. Nr. 515. ©. 807 (Gejamtausg. 1741. Nr. 1281. ©. 870) 
wo die Weife lautet: 




































vr 
glän-zet der Ehri-ften im-men di - ges Le + ben, 
Was ihnen der Kö -mig des Dim mels ge + ge - dem, 



































(teil; fie von am- fen die Son + me verbrannt, 


Mei» mem als ih» men mur fel« ber berfamm. Was Die mand ver- 




















. 
rüßerer, hat ähe re ercleundete de Sinnen ge 


— 


» den Würsde ge >» 











gie sret und fie zu der 





Bei ihrem wenig kirchlichen Charalter verdanft «8 diefe Weife wohl nur dem 
ſchönen Liede, daß fie mit demfelben allgemeine Verbreitung und Eingang erlangte. — 
Im Württemberg eignet dem Liede eine aus Störl Stözei Ch.-B. 1744. Nr. 11T. 
entnommene Melodie, die freilich einen noch weitlicheren Charakter als die Halleſche 
Hat (ogl. Palmer, Ev. Hymmol. ©. 332). Sie Heißt im Wirt. Ch-B. 1844. 
De. 178. ©. 196 mit Ste ganz gleitlautend- 


4? — — 

—* * — — 
is jet der Ehri-ften in wen di-ges Re - Deu, ob-pleidh fie die 
Bas ih men der Kö mig des Himmels ge + ge den, üt feinem als 


















378 Es ift das Heil uns kommen her. 


— r2 07 A⸗ * = I 
eat — 
(Hitze des Tages verhraunt. 

ih nen nur Jet » ber be-tannt. 




















Was niemand ver-fpü > et, was niemand be- 








KG re ehe 


rũh · ret, hat 




















& ee 2 
En a — 
gött fi» gen Würde ger führt. 

Es ift das Heil uns Tommen her. Choral, defien Weile nad ziemlich 
allgemeiner Annahme dem deutſchen geiftlichen Boltsgefang des 15. Jahrhunderts 
eniſtammt. Zwar vermutete Winterfeld, Ev. K.G. 1. S. 4 ff. für dieſelbe 
weltlichen Urſprung; allein Erf, Ch.B. 1863. S. 248 trat ihm entgegen, indem 
er ſagt: „mit dem weltlichen Boltsgefange hat die Melodie ganz und gar nichts zu 
fhaffen, und ift wohl Grund genug vorhanden, fie für altlirchüch zu erachten“ — 
und noch Faift, Wirttb. Ch. V. 1876. S. 215 fchreibt ihr „rein deutfchen geift 
lichen Urſprüng“ zu. Dod läßt eine neuerdings zu Tage gefretene Spur die Ber 
mtung Winterfelds kaum noch abfolut zueüchveifen.!) — Im den evangeliicen 
Kirchengeſang fan die Melodie zunächſt aus dem geiftlichen Voltsgeiang vor der 
Reformation. Dies deutet das Erfurter Enchiridion 1524 (Ausg. A. gedrudt in 
der „Permenter Gahen zum Ferbefaz“) an, indem es das Lid „Nun freut euch 
tieben Chriften gmein*, das dort nad feine eigene Melodie Hat, auf die unfrige 
mit den Worten verweiſt: „Folget ein hubſch Euangeliſch gejang in Melodey Freut 
euch ihr Frauen und ihr Mann, daß Chriſt ift aufferftanden, fo man 
auffs Oſterfeſt zu fingen pflegt, die Noten aber darzu find über das Lied, Es iſt 
das Heil ums fommmen, angezeigt.” Bol. Wadernagel, Bibliogr. 1855. ©. 58. 
Diefe Überſchrift beweift, daf die Melodie einem Dfterliede angehört hat, und zwar 
wahricheinlich demjenigen, das Wadernagel, K. L. 1841. S. 94. 95. unter Nr. 137 
138. und Hoffmann dv. F.. 8. 1832. S. 123 mitgeteilt Haben: Frewet euch 
alle Ghriftenheit, Gott Hat nu vberwunden, und das um 1478 erfheint. Val. K. 
Deifter, Das tath. deutfhe KR. 1. S. 357. u. Böhme, Altdeutſches Liederb. 1877. 
Nr. 561. 629. Im evangelifcen Kirchengeſang findet fih unfre Weife zuerft ale 
zweite Nummer im Achtliederbuch 1524. Bl. A Tb, wo ihr austrüdlic die Jahres 
zahk 1523 beigefügt ift. Sie heißt: 
















































») In dem Siedertverle „Nederlandfäier Gedend land“ des Adrianus Balerius 1626. 
vgl. die Ausg. desfelßen. Utredit IRTL. Nr. 4. if Die Melodie faft unverändert einem weltlichen 
Siede „Mayimilian fe Boffu“ zugeeignet. Bol. Monateh. für Muftgeff. 1872. Leit. II. 
S. 20-30. 


Es if dir gefagt, Menſch, was gut if. Es if end gut ic. 379 













Fee 
(6 von Guad und fau ter Gü > de; 
die Wert Die Gel-fen mim-mermehr, ie mö-gen wichtbe hi > tens 


£- 3] — — 
= age 


der Glaub ſieht Ze ſuin Chri ſum an, der hat gmug für us all ge > than, 


BE =— == 


© in zum Mitt ler wer + den. 


und ericeint von da ab in allen G. B.B. der Reformationszeit: bei Joh. Walther, 
Ch. G.B. 1524. Wr. 36. 1525. Nr. 34. Joſ. Klug, G. B. 1535. Bl. 8b, 
Ausg. 1543. Bl. 1075. Val. Babſt, G. B. 1545. I. Nr. 44. u. a.) — Sch. 
Bach hat die Melodie mit der I. und 12. Strophe des Liedes zu Anfang und am 
Schluß der Kantate „Es ift das Heil uns kommen her” auf den festen Sonn 
tag nad) Trinitatis (1731) verwendet, einem Werke, dem Spitta mit Recht „meifter- 
würdige Formeundung“ nachrühmt. Ausg. der Bach-Geſ. 1. Nr. 9) 


Es ift div gejagt, Menſch, was gut iſt, Kantate zum achten Somtag 
nach Trinitatis von Sch. Bad: „eine mächtige proteſtantiſche Predigt fiber die 
Pflichten, deren Erfüllung Gott von den Chriften fordert, damit fie einft vor feinem 
Gericht befehen.” Spitia, Bach II. S. 561. Mit der 2, Strophe des Liedes 
„O Gott, du frommer Gott” als Schlußchoral. Ausgabe: Bach-Geſ. X. Nr. 45. — 
Bearb. von Robert Franz. Kl. A. Leipz. Leulart. 


Es iſt euch gut, dab ich hingehe, Kantate von Sch. Bad) zum Sonntag Kan 
tate, im ganzen, wie im einzelnen von großer Freiheit der Geftaltung; der einzige große 
Chor des Werkes „Wenn aber jener der Geiſt der Wahrheit tommen wird“ nimmt 
die Mitte desfelben ein; „er redet begeiftert und überwältigend.“ Spitta, Bach I. 
3. 551553. Dit der Melodie „Kommt her zu mir, fpricht Gottes Sohn“ und 


dem Tert „Der Geift den Gott vom Himmel giebt“ (Strophe 10 des Viedes „Gott 
















































?) Zu den Liedern des Versmaßes „Es in das Heil ums fommen ber“, wir „Sri Lob 
und Chr” — „Aus tiefer Not" — „Herr wie dur will” — „Wenn mein Ztündlein" — 
‚Run Freut euch lieben Ehriften“ — „Allein Gott in der Sb“ u. f. m. find im Sanfe der 
Zeit zwiſchen 50-60 Parallelmelodien in den Ch-B.-®. veröffentlicht worden; oft zwei, drei 
Dietodien verfgiedenften Charalters zu einem Liede, 

2) Außerdem hat Bad) noch verwendet: Sirophe 11 des Liedes als Schlußchoral der Kan- 
tate „Wahrlich ich jage euch, fo ihr den Vater etivas Sitten werdet" — Strophe 12 als Schluß: 
oral der Kantate: „Dein Gott wie fang, ach lange" — Die Melodie mit Strophe 4 der 
Liedes „Sei Lab und Chr dem höchnen Gut“ in der Mitte der gleihmamigen Kantate; — mit 
Strophe 1 desfelben Liedes als Teil einer aus drei Choräfen befchenden Zramngsmufil, mit 
der Beftimmung für unfre Melodie „Nat; der Trauung“ zu fingen, 











380 Es if genug! Jo nimm, Herr, meinen Geil. 


Vater, fende deinen Geiſt von Paul Gerhardt) als Schlußchoral. Ausg.: Bad 
Ge. XXI. Rr. 108. 


Es ift genug! jo nimm, Herr, meinen Geift, Choral, der aus folgender 
Melodie eines fünfftimmigen Tonfages von Johann Rudolf Ahle heransgebildet 
wurde: 




















— — 
Es iſt ge-nug, fo nimm, Herr, mei-nen Geift zu Zi - ons Gei⸗ſtern 
— 


das all» ge mãch/ lich reißt, be + frei > 





























Gin! Lös auf das Band, 























ihr «net, es iſt genug! 

Et findet ſich in deffen „Drittes Zehn neuer geiſtlicher Arien". Mahlhauſen 
1672. Nr. 9. — Durch mehrfache Umbidungen hindurch, deren erfte bei Freyling 
Haufen, G.B. 1714. IL. Nr. 507. S. 728, wo fie nad) der Öcfamtausg. 1741. 
Nr. 1091. S. 730 zu dem Liede „Ih Habe guug! mein Her. ift deſus Cheift"') 
lautet: 

Freyl. 1741. 1091. ©. 

3 















— — 
ba » be gnug! mein Herr iſt Jer— fus Chriſt, ih weiß von 
Wer nur fein Knecht und tren » er Die» mer if, der darf nicht 


A 


34 will ganz meinem Gott am - han - gen und 























ei - mem mehr. 
for» gen fehr. 








nicht mehr nach der Welt ver-Tan > gen, fo Gab ih guug, fo Hab id gung! 


9) Während ebendaſ. Nr. 1367. &. 929 zu „Es iſt genug" eine eigene Weiſe ftcht, die 
and noch Sthzel, Ch-®. 1144. Nr. 302 bringt, die aber müßt allgemeiner in den Kirchen 
gebrand, gelommen if. 


Es if gewißlich am der Beit. 381 


eine weitere bei König, Harn. Piederfhag. 1738. ©. 426 vorommt, ging die 
Melodie in den Kirhengefang über, ohne daß ſich jedoch eine einheitliche Form der- 
jelben allgemein gültig feitgeftellt Hätte: jedes Ch. B. Hat dieſelbe in anderer Re— 
dattion. Vgl. 3. B. Hentſchel, CH. B. Nr. 57. Ext, Ch.B. Nr. 129. Yatob und 
Richter, Ch B. 1. Rr. 221; im Württ. Ch. B. 1844. Nr. 182 heißt fie zu dem 
Liede „Gott ift getreu! fein Herz“ von Piebi 














— — or — 
Jesper J 


(Gott if ge teent fein Herz, fein Ba ter herz ver läßt die Seinen nie; 
Gott iR ge» treu! im Wohl-fein und sum Schuerzer-freutund trägt er fie. 


ehe 


el, ftürzt ein, ihr Ber. ge, fallt ihr 
























— 
== 
T — — 


Mic det tet ſei- ner All-madıl 

















un 























Hü = gel! Bott iſt ge—ireul 


Es iſt gewißzlich an der Zeit. Das Lied, dem die Sequenz „Dies irae 
dies illa® zu Grunde fiegt, erſchien im Orginal auf einen Zwei Lieder Druck (lieg. 
Bl. 0. O. u. 3), den Wadernagel, Biblivgr. 1855. &. 334 in die Zeit um 
1565 fegt, mit der Überfhrift: „das ander Lied, Bon der Zutunfft vnjers HErrn 
Iheſu Chrifti, Im thon: Nun frewt euch lieben Chriften gmein“, und ging ſchon 
in dieſer Form (mitgeteilt bei Wadernagel, Et. IV. Nr. 490) in die G-8.-B. 
über. Mehr verbreitete es ſich aber (vgl. die Nachweiſungen bei Fiſcher, K. 
8er. I. ©. 183) in der Umdichtung durch Bartholomäus Ringwald, die in deſſen 
Handbüchlin: Geiftlice Lieder und Gebetlin x.” Frantfurt a. d. O. 1586 als 
„in Lied vom Jungfien tage, in feinen eigenen Thon, von Barthel Ringwald ger 
beffert” erſtmals gedrudt erſchien. Die Melodie it älter und findet fid im 
cwangeliſchen Kirchengeſang zuerft als Parallelmelodit zu „Nun freut euch lieben 
Chriſten gmein* (vgl. den Art.) im Joſ. Klugſchen G.B. 1535. Bl. 27a (viel: 
Leicht ſchon in den Ausgaben von 1529 u. 1533); fie lautet: 




















— — 
Frese 





Es iſt ge-wiß-lih an der Zeit, daß Got - tes Sohn wird fom + men 
in fei-mer gro-Fenserr-Tih -"leit, zu ri» ten BÖN und From-men. 











—— — — — 7 
Bee SE — —— 
Dann wird das La -den wer-den jen'r, wenn al-Ies wird der · gehn im hFeu'r 





382 Es if gewißlich an der Beit. 























wie Petrus da» von fdhrei-bet. 

AUS zweite Weife blieb fie ihrem erſten Tert in allen G.B.B. der Refor- 
motionsgeit, 3. B. bei Aug 1543. U. 67a; Magdeb. ©-8. 1540. Bl. 14a 
(Gier als alleinige Melodie), Babſt 1545. I. Nr. 32 u. a, bis fie nad dem Er- 
ſcheinen unſres Piedes auf diefes fberging, dent fie feitdem verblieben it. Ihr Ur- 
ſprung wird auf ein altes weltliches Tagelied „Wad) auf, meins Herzens Schöne“ 
zurlchgeführt, die bis jegt zuerft bei Valentin Triller, Ein Schlefiih fingebüchlein 1. 
Vreslan 1555. ©. 117 (ein Fragment auch ſchon bei Shmegel 1544. Quodl. 19) 
gefunden wurde; vgl. Böhme, Altd. Lieder. 1877. 118. ©. 218-219. 
Diefe „alte Tageweiie" Heißt bei Triller (auf eine geiftliche Parodie „Merl auff, 
met auf, du fhdne, du Chriſttihe Gemein“, Ein Geſang von Cprfto wid feiner 
heiligen Gemeine“): 


























— = = 
Bess 
Wa aufmeine ger - + gem fäd«ne, zart al- Ter- lieh, 
Ih br ein ÜR ges töene vom ffeienen malb - 
























— 
16 mein ih füh dest 





























vom Oo not de din or — 
Wie vielfache Ambildungen vermuten laſſen, war Dice Tageweis im 16. dahr 
hundert ſehr beliebt und verbreitet. — Seb. Bach verwendet unſre Melodie im 6. 
(legten) Teil des Weihnahtsoratoriums zu dem Tert „Ich ſteh am deiner 
Krippe Hier" ; vgl. Ext, Bachs ———— Nr. 95. S. 63 (einen zweiten 
Tonfag Bachs. Daſ. II. Nr. 273. S. 84. Eine zweite Weife findet ſich zuerft 
bei Seth. Calvifius, Harm. Cant. — Kirchengeſenge ꝛc. Leipzig 1597, und 
Sei Dei v. Tuer, Sag I. Nr. 250. ©. 132: 


























lid) an der Zeit, dal Gottes Sohn - wird lommen 
in Melonen grade Serie‘ zu ridten Bl > und Gramm. 


— — 


Dann wirddas La- chen werden ieu'r, wenn al - les wird ver-gehm im Pen, 




















— — 




















— — 








wie Pet > rus da— von ſchrei- bet. 


Es kofet viel, ein Chriſt zu fein. 383 


Es koſtet viel, ein Chrift zu fein, Choral aus Freylinghauſens ©.-B. 
1704. I. Anh. Re. 659. ©. 1027: er Heißt im der Gefamtausgabe 1741. 
Nr. 758. ©. 500: 


—— 


Es to 



































Gei- ſes le > benz denn der Na - tur geht es gar fanrer cm, ſich 





Gere 


im - mer -dar in Ehri-fii Zod zu ge + Benz und iſt Bier gleich ein 
































— — 


— 
m m FEz=H-- 


8 I 3: 
Kampf wohl aus + gerih’t, —das mahte nod nicht. 


























Auch dem weiteren Liede Richters „Es ift nicht ſchwer, ein Chrift zu fein“ 
das zum vorftehenden die Antithefe bildet, gehört die Melodie an (vgl. Palın 
Hymnol. ©. 315. 316); es war daher, wie dies auch Faißt, Württ. Ch.B. 187 








S. 237. Anm. leiſe andeutet, ziemlich fberflüfig, da Kader für dasjelbe eine cigene 
Melodie in C-dur erfand, die 1825 in „Bierft. Geſänge der ev. Stirde* (der 
Stimmenausgabe des Witt. Ch®. von 1829.) Nr. 188. ©. 68. erihien, md 
die danm das Wirtt. Ch. 1844. Pr. 66. ©. TI. mit um zwei Taftteile ver 
Gängertem uftaft flir das ed „Der Herr it gut, in deffen Dienft wir ftehn“ ver 
wendete. Ditſe Weile heißt: 























Der Herr iſt gut, in dei jen Dienftwir ehn, wir dürsfen ihm in 


* * 
— 


8 
Des mut Bar ter mem = Mei; wenn wir mr frei auf fe 



























— — 
—— 










































Bergen gehn, fo ſehn wir ihm von garster die» be 


Z 


Em * uns im Kam pfe Kraft und Dit: der Herr iſt gut! 























384 Es if nichts gefundes an meinem Leib. — Es find doch felig alle, die ıc. 


68 ift nichts Gefundes an meinem Leibe, Kantate zum 14. Sonntag 
mad; Trinitatis von Seh. Bad. Als Einleitungöchor Hat diefelbe eine Doppelfuge, 
deren beide Themen ans zwei Zeilen des Chorals „Ad Herr, mid armen Sünder“ 
(Herzlid) thut mid) verlangen) gebildet find; vom 15. Taft derjelben an klingt dann 
"der vierſtimmige Choral in gemefjenen Intervallen von Flöten, Zinf und drei Po— 
faunen geblafen in die Fuge hinein. „Die Tiefe der Empfindung, welde ſich öffnet, 
wenn das lirchliche Bußlied wie von unfihtbaren Stimmen erflingend über die reuig 
im Staube betende Menge dahinzieft, ift unfagbar und unergründlid.” Spitta, 

Bad) II. S. 296-297. Mit dem Schlusherel „ren dich jehr, o meine Seele” 
zu Strophe 12 („Ih will alle meine Tage”) des Liedes „Treuer Gott, ih muß 
dir Hagen“ von Johann Heermann. Ausgbn.: Bach Geſ. V. 1. Nr. 51. — MA. 
von Aift. Bollland. Leipz. ieter.B. (Ausg. des Badh:Bereins in Leipz) — A. 
von Rösler. Leipzig, Peters. 


Es reifet euch ein ſchrecklich Ende, Kantate von Sch. Bad zum 25. 
Sonntag nad) Trinitatis; „ein mächtig ergreifendes Stüd, trotz der ſparſam auf— 
gewendeten Mittel.” Spitta, Bach IL. ©. 564. Mit dem Schtughoral „Bater 
unfer im Himmelreih“, zu Strophe 7 (Xeit uns mit deiner reiten Hand) des Pie 
des „Nimm von uns Herr, du treuer Gott” von Martin Moller. Yusg.: Bach- 
Geſ. XX. 1. Nr. 90. 


Es find doch ſelig alle, die im rechten Glauben wandeln hie, Choral 
Mel., die zuerft im Straßb. Kirchenamt. III. Teil. 1525. Nr. 2 zu dieſem Palm: 
liede Matth. Greiters vorlommt, darauf in den fpäteren Straßb. ©.-8..8. 1530, 
Köpphl, Dt. 39 h; Gross Kirhen- 6.8. 1560. S. 87. und and in das Vſalmbuch 
der Neformierten (1547 zu Pi. 24. 1555 und 1565 zu $i. 36 und 68, vgl. 
Eorard, Ausgewählte Pfalmen 1852. S. 62) überging. Daß "fit auch von 
Greiter (vgl. den Art.) felbft erfunden ft, wie es als möglich (von Rittelmeyer, 
Kichenlicderdichter des Eiſaß. 1855. ©. 16 als „wahrſcheinlich“) angenommen wird, 
iR mod; nich fefigefelt. 





























© Wenig be» mein dein Sfn-de groß, darum m Ehrltne fine Bn-tero öde 
won ei - mer Jung-frau rein und zart für uns er Die ge » bo rem ward, 



















u hert und tan auf Gr den; 
er wollt der Mittsler wer- den. 


Ber: 


alt stranfeit ab, bis fih die Zeit Her-dran-ge, daß er für und ge » apfert würd, 


Den Torten er das Leben gab und legt da bei 


— 











Es ſpricht der Unweifen Mund wohl. — Es trante, wer da will, ich ac. 385 


























= een — 
trug unf»rer Sünde fÄwe re Bürd wohl an dem Kreu-ze lan-ge, 

Im welch herrlicher Weile Seh. Bach diefe Melodie, die Übrigens aud) fonft 
„vielerwärts fogar an Stelle der aften doralifhen Paffionen gefungen” worden war, 
am Schluße des erften Teils der Matthäus Paffion zu einer „Choralfantafie größter 
Ausdehmung und deichſten Inhalts“ verwendete, ift befannt. gl. Spitta, Bad II. 
S. 382 f. Es Hatte diefer Chor urfprünglih den Einleitungechor der Iohannet- 
Paſſion gebildet. 


Es jpricht der Ummweifen Mund wohl, Choral, deſſen Weife vielleicht 
aus dem vorreformatorifchen geiftlichen VBoltsgefang ſtamumt, mögliherweife auch von 
Yuther jelbft erfunden if. Vgl. Faißt, Württ. Ch-B. 1876. ©. 215. 217. Das 
Lied, eine Umdihtung des XIV. Pſalms Dixit insipiens in corde suo, non est 
Deus, erſcheint ſchon im Achtliederbuch 1524 (1523). Nr. VI. ift aber Bier noch auf 
die Mel. „Cs ift da Heil uns fommen her“ verwiefen und im Erf. Enhiridion 1524. 
Nr. XIV. der Weife „AG Gott vom Himmel ſieh darein“ unterlegt. Geine eigene 
joniſche Melodie findet ſich erftmats in Johann Walters Chor. G. B. 1525. Mr XXX: 





















































[ fpridit der Un » wei « fen Mund wohl, den ref - tem Gott wir meir 
Po it ihr Herz Umsgfaubens voll, mit That fie in der nei 


t 
& ZSSZS2==o — 


ihr — Gott iſt es ein Greu-el gar, 





Zero — 


















































—— — 


























es ut ihr Meisner Min = gut. 


dann aud im Zwickauer ©.-8. 1525. Bl. F. Ib, bei Jof. King. G. B. 1543. Bf. 
55b. Bal. Bapft G. B. 1545. I. Nr. 23. 


Es traure, wer da will, ich will mic freuen, Choral, der ſich zuerft 
im Darmft. G.B. 1698. S. 444 findet und von da in das Freplinghaufenfche 
G. B., Anhg. 1705. Nr. 741. ©. 2035 überging. Cr heißt in des fepteren Ge⸗ 
Famtausgabe 1741. Nr. 1132. ©. 761 im Original: 
= 


ee —— 


Es trau-re mer da will, ih will mich fen + em; es ſoll fein 
Kümmere, Encntl. d. wong. Kirhenmufit. I. 25 























386 Es well uns Gott genädig fein. 


= = 


— Fr 
Trau-er » geift bei mir ge - dei - hen; mein Je fus ſteh mir bei im 
> a 
—— = —e + 
BEE 
alien Gna + den, ie lann fein Kreuz, fein Leid, kein Teu-ſel fa » den. 
Eine zweite Melodie zu dem Liede „Wer Jeſum bei ſich Hat, Tann feite 
legen" aue C. H. Dregels Cp-B. Nurnb. 1731 teilt Layriz. Kern IL. Mr. 341. 
©. 117 mit, wie folgt: 


3 







































































= ES EN 


Beer ie Peter rleis 
de 






































Ber Jefum bei fih hat, form fe-fe ſte— hen, wird auf dem Un-glüdsıncer 





te ==) 
nicht unter - ge = hen. Wer Ze ſum bei ſich Hat, was kann dem ha - den? 









































23 = 


Pr E — = 
Bere = 
fein Herz it üb» ber-all mit Troft be + Ta «den. 


Eine dritte Weife endlich ift württenibergiſchen Urfprungs und Hat dort firhliche 
Geltung erlangt; fie erfheint zuerft in Störls CH.-®. 1710 zu dem Liede „Cs 
jammee, wer nicht glaubt, ich will mid) fülen", und Heißt bei Stöge, Ch-B. 1744. 
Nr. 358 gamz gleichlautend wie im Württ. CB. 1844. Nr. 24. ©. 27: 





















































= 






































3 — 
Es jamm-re, wer nicht glaubt, ih will mid ſtil- len; mir fällt lein Haarvom Haupt, 


= al 


Beer — Ber 
ohn Got:tes Wil-ten. In ge» fr Hab ih Bier das be «fie Le» ben: 

= FB =+ 

>= Fee 


und flerb id, wird er mir ein befi-res ge ben. 




























































































Es woll uns Gott genädig fein, Choral. Das Lied, das Luther nah 
dem 67. Pſalm Deus misereatur nostri gedichtet Hat, findet ſich zuerft ohne 
Melodie im Erf. Enchiridion 1524, und hinter Luthers „Ein weyſe Chriftlih Me 
zu halten“ 1524. &t. E In, die nad Wadernagel, Bibl. ©. 50 (vgl. Riederer, 


Enphone, Enphonia. Enterpe. 387 


Abhdlg. x. ©. 113) noch früher als jenes erihien; Joh. Walter, Chor.-©.-B. 152. 
Nr. XII Hat demfelben die Melodie „Chrift unjer Herr zum Jordan fm“ Geiger 
geben. Die älteften Quellen der eigenen Melodie desjelben find: Straßb. Kirchen- 





ampt 1525. Bl. CIb und Zwidauer G.B. 1525. Bl. AIVa und Bl. BIa; 
von da geht fie in alle G. BB. der Neformationgzeit über: Erfurter G. B. 1531. 
Rr. 22. Jo. Alıg, ©. 1935. BI. 46a. Ausg, 1543. Di. 58a. Dal. Zude, 
Schag II. Nr. 387. Sie heißt: 


























Esser) 












































Ä 8 woll uns Gott ge-nä + dig fein und fei-men Gegen ge » ben; 
fein Mnt-fih uns mit bel - Tem&cein er-leudtzum emgen fe + ben, 
— — — 





dab mie er-fenemen Time Wert umd was ihm lieb auf Gr - den, 





























er pe 


umd Je ſus Chrisftus Heil und Stärt ber kannt den Hei» dem mer» den 


esse == 
und fie zu Gott be- fe - rem. 


Euphone, Euphonia, eine neuere Zungenftimme der Orgel, die befonders 
von franzöffihen Orgelbauern mehrfad verwendet wird. Sie hat gewöhnlich 8 Fuß, 
ton, wird jedoch aud mit 16 — und 4 Fußton gefegt, und nad) franzöfifcer Bau- 
art mit aufſchlagenden Zungen verfehen. Einige füddeutfde und ſchweizeriſche Orgel: 
bauer, die fie dachahmen, bauen fie mit freiſchwingenden Zungen und Hält fie dann 
am Toncharaiter die Diitte zwiſchen Bombarde und Harinette, fo daß Euphone 16° 
mehr Bombarde, Eupfone 8° mehr Klarinette ift.') 

Euterpe, „eine Muſit- Zeitſchrift (urfprüngid „ein muſikali ſches Donatsblatt”) 
für Lehrer, Kantoren, Organiften und Freunde der Tonkunſt überhaupt“, 1841 von 
Ernſt Hentſchel (vgl. den Art.) gegründet und von ihm unter Mitarbeit von Ludwig 
Erf und Auguſt Iafob, denen 1860 noch Guſtav Flügel beitrat, in 29 Iahrgängen 


























) Eavaille-Eoll in der Orgel der Kirche Saint-Eugöne in Paris (08 M. Sin.) bat 3.8. 
folgende „Euphones": I. an. (9. ®.) 8. IV. Dan. 8 Eupones 10, 8° u. 4’ und im 
U. Bed. no ein G. 16%. — Euphone- Klarinette 16 Hat der Orgelbauer Heinr. Rullen 
in Straßburg im II. Man. einer 1879 erbauten Mleineren Orgel von 26 Sin. zu Saales in 
Dber-Eifaß. — Kuhn in Mönnedorf am Zirihfer feht „Euphonia“ 8 im IM. Man. 
(EHower!) ;. B. in Zürih, Großmnfer (1876. 52 1. Sin.) und Shafffaufen, St. Iofannis 
(1879. 54 M. Gm.). — Aus dem Ratafog von Weigle in Stuttgart 1883. ©. 14 eriehe id 
mod, daß er auch eine Labiafftimme unter dem Namen „Eupfonia” 8° baut. 


25* 





388 Entonia. Evarnani. 3. A. von Eyken. 


(Sahrgang 1856 fiel aus) Bis 1870 Herausgegeben. Seit 1871 erſcheint das Blatt 
unter der Redaktion von Fr. Wild. Sering in Straßburg und unter Dittwirkung 
einer Anzahl von Seminarmuſillehrern, wie Chriftian Fink in Eplingen, Guftav 
Flügel in Stettin, Aug. Jakob in Liegnig, Dr. H. A. Köſtlin in Stuttgart, 
Rud. Lange in Köpenid und Ioh. Zahn in Altdorf in jährlih 10 Nrn. — Der 
Verleger desjelben war von 1841— 1849 Fr. W. Körner in Erfurt, jeit 1850 ift 
es Karl Merjeburger in Leipzig. Die Euterpe enthält in ihren 40 bis jegt er: 
ſchienenen Jahrgängen einen reihen und wertvollen Schag von Artifeln und Mit- 
teilungen jeglicher Art über alle Zeile evangelifder Kirdenmufit. 

Die Borgängerin der Euterpe war: 

Eutonia, pädagogiihe Muſit-Zeitſchrift, begründet und während der ganzen 
Zeit ihres Erſcheinens Herausgegeben don Johann Gottfried Hienyid, dem viel 
gefhäftigen Mufitpädagogen (geb. 25. Aug. 1787 zu Modrehna in Sachſen, 1817 
Dberlehrer am Seminar zu Neuzelle, von 1822 an am Seminar zu Breslau; 1833 
Direktor des Seminars zu Potsdam, 1852 des Blindeninftituts zu Berlin; geft. 
7. Yuli 1856). Sie erfhien 1829—1835 in 9 Bänden und befhäftigte fih noch 
mehr im äfteren rationaliftifhen Geifte belehrend und ritifierend mit den verfdiiedenen 
Zweigen evangelifcher Kirhenmufit. 


Evacuant, Windablaß, ein mechaniſcher Regifterzug an der Orgel, der ein an 
der Außenwand des Hauptwindfanals angebradjtes Ventil öffnet, durch das der nadı 
Geendigtem Spiel nod; vorhandene, nicht mehr zur Benvendung tommende Wind aus 
firömen tann, der fih fonft einen eigenen Mustweg ſuchen und die einmal gefundene 
Dffnung immer mehr erweitern wide. Yblung, Mus. mech. org. I. ©. 204 
erwähnt dieſer Vorrichtung unter dem Namen Windablaffung. Abt Bogler, der 
ihre Einrichtung für fehr nötig Hielt und überall empfahl — aud; Neuere, wie 3. ®. 
Baumert, Euterpe 1875. ©. 166 empfiehlt diefelbe, da fie Bilig Gerzuftellen und 
überall zweclmähig fei — gab ihr den Namen Evatuant und wurde häufig für ihren 
Erfinder gehalten. Die befte Einrichtung des E. beſpricht Gottfe. Weber, Cäctin. 
3. 12. ©. 288 ff. 


Eyten, Iohannes Albert van, ein bedeutender Orgelfpieler und Komponift für 
fein Inftrument, war am 29. April 1823 als der Sohn des Drganiften und Mufil 
direltors Gerhard van Eyfen zu Amersfoort in Holland geboren und erhielt dafelbit 
von feinem Vater den erften Unterricht im Orgelfpiel und der Muſit. 1845— 1846 
beſuchte er das Leipziger Konfervatorium, wo Mendelsjohn, Gade, Hauptmann, Richter 
und Beder feine Lehrer waren; darauf ging er mod) ein Halbes Jahr zu Dohanz 
Schneider nah Dresden, um fih im Drgelipiel zu vervollfommmen. Nach Holland 
zurüdgelehrt, gab er zunächft von großem Crfolg begleitete Orgeltonzerte in der 
größeren Städten feines Baterlandes, wurde 1848 Organift in Amfterdam und 1853 


$. 389 


Lehrer des Orgelfpiels am der Muſihſchule und Organift an der Zeidlerfirde in 
Rotterdam. Schon 1854 aber folgte er einem Rufe als Organift am die reformierte 
Hauptfirdje zu Elberfeld, wo er dann als folder, ſowie als Lehrer feiner Kunft am 
der Orgelfhule fir Lehrer der umliegenden reife mit Segen wirkte, bis ihn eim 
früher Tod am 24. September 1868 von langen Körperleiden erföfte. — Bon jeinen 
gedrudten Kompofitionen find Hier zu vergeichnen: 


Op. 11. 29 fanonifche Choralvorfpiele für Orgel. Erfurt, Körner. — 
Op. 13. Sonate Nr. 1 für Orgel. Notterd. de Better. — Op. 15. Sonate 
Nr. 2. D-moll für Org. Magdeb. Heinrihehfn. — Op. 17. 25 leichte 
Ehoralvoripiele. Erf. Körner. — Op. 20. 25 kurze Choralvorfpiele. Daf. — 
Op. 23. Drei Tranftriptionen für Orgel. — Op. 25. Sonate. Nr. 3. A-moll 
ir Org. Leipzig. Breitt. u. 9. — Op. 31. 24 fanonifce Choraloorfpiele. 

Op. 41. Gebet vor einer Trauung. Für gem. Chor umd Orgel. Leipzig. 
Rleter v. — Toceato und Fuge über B-a—c—h für Orgel. Daf. — 2 
Choralbůcher für die Kirchen Hollands: „Die Melodien der Palmen und Lob- 
gefänge x. dierfimmig gefegt fir Orgel ober Chor mit Bor, Bilden und 
Nadfpielen." Amfterd. Theune u. Cie. — 





F. 


F ift der Name des vierten diatoniſchen Tones im modernen Tonſiſtem, auf 
dem die Tonarten F-dur und F-moll aufgebaut find. Zum Grundtone C bildet 
derfelbe die reine Quart im Verhältnis der Schwingungszohlen 4:3. Im Siſtem 
der alten Kirchentonarten war F Grundton der dritten authentiſchen Dftavgattung 
oder des fünften Kirchentones. Tonus quintus — der der Lydiſche (vgl. den 
Art.) hieß. — Berner gehörte das Heine f fhon feit Guidos von Arezzo Zeit zu den 
Schlüfielzeihen — elaves signatae. — In dem alten Siftem der Notation mit 
10 Linien nämlich, auf deren erfte, unterfte dad 7’ Gamma graecum zu ftehen 
ta, fiel das Meine f auf die vierte Linie und wurde dort durch den Clavis f fiziert, 
aus deſſen gotifher Majuskel F fih nad; und mad) das Heutige Zeichen des F- 
Schlüffels IE Herausgebildet Hat, der als Baf- und Bariton-Schlüffel 
(vgl. die betr. Art.) auf der vierten und dritten Linie ftehend angewendet wird. 





dr —— 





E 








Claves 
signatae. 


390 Nik. Faber. Iof. Faber. Werner Fabricins. 


Faber, Nitolaus, ein Mönd und der ältefte noch befannte deutſche Orgelbauer, 
der von 1359—1361 die für die Geſchiche des deutfhen Drgelbans wichtige große 
Drgel im Dom zu Halberftadt erbaute. Nach Prätorius, Synt. mus. II. Orga- 
nographia. S. 96 ff., der diefe Orgel noch geiehen hat, befand ſich an derfelben 
die Inſchrift: Anno Domini MCCCLXI completum in ii i 
Apostoli, per manus Nicolai Fabri Sacerdotis. Anno Domini MECCCXCV 
renovatum est per manus Gregorii Kleng. . . . 

Ein Jofeph Faber, der ums Iahe 1570 zu Augsburg lebte, wird in Stettens 
Kunft: und Handwerlsgeſch. S. 159 ebenfalls als gefcicter Orgelbauer gerühmt. — 
Ein tüchtiger KirKentonfeger war Benedift Faber aus Hildburghaufen, der 
1602—1631 als herzoglicher Muſitus zu Coburg lebte. Bon feinen Tonfägen über 
Choräfe ftehen einige im Goth. Cant. Sacr. 1646,9 außerdem erſchienen von ihm : 

Der 148. Palm, Inte für 8 Stn. 1602. Fol. — Der 51. Palm, 

Däferere, fir 8 Stn. 1608. — Cantiones sacrae, 4—8 vor. 1610 

29 Ge. — Triumphus m li i in Victoriam Ressurectionis Christi 

7 vocibus compositus. 1611. 4°. 

Fabricius, Werner, ein namhafter Komponift und Organift feiner Zeit, war 
am 10. Aprit 1633 als der Sohn des Organiften Albert F. zu Itzehoe in Holftein 
geboren und erhielt den erſten Unterricht in der Mufit von feinem Vater und dem 
Kantor Paul Moth zu Fleusburg, der ihm 1644 ganz zu fih nahm, nachdem er ſich 
in diefem jugendlichen Alter vor dem König Chriftian IV. und feinem Gefolge „zu 
Flens-, Glüds: und Nothburg” mit Beifall Hatte hören lafien können. Darauf 
feente ihn Thomas Selle, der Mufitdiretor am Johanneum zu Hamburg, fennen und 
veranlaßte feine Mberfiedlung nad) Hamburg, um ihn mit feinen andern Schitlern zu 
unterrichten. Auch Heinrich Scheidemann nahm ſich feiner an, befonders „mit feiner 
tunſtreichen Manudultion auf dem „Klavier“ und der Rat zu Hamburg nahm ihn in 
den Chorum musicum auf, in welchem er „wohl verpflegt und reichlich unterhalten“ 
verblieb, bis er 1650 zur Univerfität mach Leipzig abging. „Hier blieb er in einem 
feinen Hospitio 8 Jahre wohlverjorgt, hörte, neben feinen Exercitiis musicis,“ 
Philoſophie, Iura und Mathematit und erhielt die ‚Dignitas notariatus“. 1656 
übertrug ihm der alademiſche Senat das „Directorium musicae“ an der Univer 
ftätsfirhe St. Pauli und 1658 der Rat der Stadt Leipzig die Orgamiftenftelle an 
der Nilolaitirche. Am 3. Juli 1665 verehlichte er fih mit der Tochter des Predigers 
Corthum zu Bergedorf bei Hamburg, die ihm in 1Ojähriger Che 3 Kinder fchentte, 
don wegen ihn jedech nur Der Sehn Yofann Albert d 2) überlebte. F. fand im 














») Einen verfelßen hat Schöberfein-Wigel, Sa des Kiturg. Chor. und Gemeindegelanze 
vd. II. Nr. 178. ©. 497 abgebrudt. 

9) Diefer, Dr. Johann Albert Febricius, geb. 11. Nov. 1068, gefl. 30. April 1736 als 
Reltor des Iohanneums zu Hamburg, tvar einer der gelehrteften und frucitbarften Ptzilologen 
am nfang des vorigen Jahrh. und Hauptbegründer einer Gefhichte der Laffilgen Litteratur. 
Bot. Nähfg und Berthean, Ag. deutſhe Biogr. VI, ©. 518-521. 


fach. 391 


freundſchaftlichen Verkehr mit den bedeutendſten Mufikern feiner Zeit, fo mit Heinr. 
Schutz, Werdmeifter u. a.; fein Ruf als Drgelfpieler war fo bedeutend, daß er 
fit) öfters vor dem churfüeſti. Hofe hören (afen mußte, auch vielfach zur Prüfung 
und Einweihung neuer Orgehverfe berufen wurde, wozu ihn tüchtige Kenntniffe im 
der Technit des Orgelbaus beſonders befähigten. Am 9. Ianuar) 1679 ſtarb er 
zu Leipzig an der Schwindſucht und nahm den Ruf eines „weitberühmten Mufitus“ 
und eines „durd Tüchtigfeit, Gelehrſamleit und Cittenreinheit ausgezeichneten Mannes“ 
mit ins Grab. Val. feinen Leihenfermon. Monatsh. für Muſitgeſch. 1875. ©. 80. 
81. Seine Kirhentompofitionen find: 

„Beiftlie Arien, Dialogen und Konzerten, fo zu Heiligung 
hoher "Fefttage mit 4—8 BVolalftimmen, famt ihrem gedoppelten Basso con- 
tinuo mit allerjand Inftrumenten fönnen gebraucht werden.“ Leipzig 1662. 4°. 
Ernſt Chriſtoph Homburge Geiftlihe Lieder. Erfter Teil. Mit zwey— 
fimmigen Melodeyen geziehret von Wernero Fabrieio ete.“ Naumburg 
1659. — Die 100 Melodien diefes Buches kennzeichnen ihn als einen Kom- 
poniften der Ahlefcen Richtung: fie fanden trog ihres friſchen, volksmäßigen 
Tones nur geringe Verbreitung. 5 derfelben kamen mit den Homburgſchen Liedern 
in das Saubertiche GB. Nürub. 1677 und 8 flefen auch nad in Königs 
Harmonijhem Liederſchatz 1738; die folgenden 2: „Jeſu du, du bift mein 


Leben — ce de c dhag— bei Homburg, Geifl. Lieder. ©. 316 


— u. „Laßtung jauhzen, laßtuns fingen” —fgaggab ch ec. 
Daf. ©. 384 — Haben fi) allein länger im Gebrauch erhaften."?) 


fach, in Verbindung mit einem Zahfwort, z. B. dreifach, vierfah, ift ein 
Terminus der Orgelbauer, mit dem bei den gemiſchten Stimmen oder Mirturen der 
Orgel bezeichnet wird, tie viele in verfchiedenen Intervallen geftimmte Pfeifen auf 
rer Cancele ftehen, alſo durch Niederdrüden einer Tafte zur Anſprache gelangen. 
Eine Mixtur Zfach z. B. ift gewöhnlich fo geſtimmt, daß mit dem tiefften G das 
tähfte € u. das Heine e, alfo Oninte, Oftave u. Decime, gleichzeitig ertönen; nad) einer 
andern Einrichtungsweiſe beftcht Mirtur Zfach aus GC g, alfo Duinte, Oltav Quinte. 
N cine folhe Stimme vier- oder noch mehr fach, fo werden diefe affordmäßigen Töne in 
Hüheren Oktaven wiederholt, oder es wird ein Chor oder mehrere Chöre verdoppelt. Im 
neueren Drgelbau wird die Bezeichnung fach, die gleichbedeutend mit -Hörig (opl. 
den Het.) ift, faft ausſchließlich auf den Regifterfnöpfen angewandt. — In der Zeit, 


y Niet „April“ wie Koch, Gef. des KL IV. S. 120 Hat; vgl. den Leichenſermon a. 
2D. S. 180. 

%) Bat. bei Winterfeld, Ev. K. G. II. Notenbeil. S. 175. 178 — diefe beiden mit noch 
5 andern feiner Melodien. — Ob ein Wertäien „Unterriät, wie man ein neu Dielwert, obs 
aut und betändig fey, nad} allen Stüden in- und auswendig egaminieren und jo viel möglid; 
woieren foll.” Frantfurt u. Leipzig 1750. 87 ©. 8°, das ihm als Berfaffer zugefärieben 
wird, ihm wirtlich gehört, it zweifelhaft. Val. Adlung, Mus. mech. org. I. ©. 15. 


392 Fagott. 


da man die Teilung der Windlade durd; Schleifen, alſo das Abteilen bes Pfeifen 
werts in Regiſter nod) nicht Tante, klangen beim Nicderdrud einer Tafte alle zu 
derfelben gehörigen Pfeifen mit, und das mag wohl „ſcharff und ftard geffungen 
und geſchrieen? haben, wie Prätorius meint; fpäter ſchied man wenigftens die im 
Profpett ftehende Pfeifenreihe als Präftant, Principal, von den dahinter ſiehenden, 
dem Hinterfag, Nachſat, Nafat, bei dem z. B. in der Halberftädter Orgel auf 
mandjer Tafte bis 56 Pfeifen gleichzeitig ertönten. Vgl. Pratorius, Synt. mus. U. 
©. 88 fi. — Auch nathdem die Teilung der Regifter durchgeführt war, liebte man 
vielfach zufammengefegte Migturen mod) lange (nad im der Orgel der Kathedrale zu 
Yort — 1834 von Elliot u. Hill — finden ſich „Sesquialtera of 3 ranks and 
Mixture of 4 ranks‘‘, alfo 7fad, und ein „Great-Cornet of 8, 9 and 10 
ranks‘‘) und erft die newere Zeit iſt mehr von denfelben agefommen und begnügt 
ſich aud in den größten Orgelwerken mit 4—5 fachen Stimmen diefer Art. 





Fagott (Baſſon), eine wichtige Zungenftimme der Orgel, die den Ton des 
gleignamigen Blasinftrumentes nachahmen fol und voll, aber weich und leicht naſal 
intoniert ift.') Sie hat einfhlagende, breite und Kurze Zungen von Meffing, Kchlen 
aus dem gleichen Metal, Köpfe und Stiefel aus hartem Holz;) ihre Schallbecher 
find aus Zinn, öfters — namentlich in älteren Werten — auf aus Hol, und 
müffen file Fagott 16° in den tiefften Tönen mindeftens 7’ Länge Haben, Können 
aber, wo Kaumrücfihten dies fordern, am ihrem untern, engen Ende aud) gelröpft 
werden. Ihre Menſur ift mehr oder weniger weit, je nachdem der Ton Heller ader 
dunkler gehalten werden will; gewöhnlich zwar offen, trifft man fie aber auch Halb- 
gededt und dann in mehrfach verfhiedenen Formen an: Dedel mit Schallöffnungen, 
die ſich nad) oben erweitern, oder aus zwei an ihrem weiten Ende zufanmengelöteten 
Regeln beftehend. — Der Fagott wird in der Tongröße von 16° und 8° gebaut; 


*) Seh. Bad in der „Diepofition der neuen reparatur des Orgelverte ad D. Bi 
Müßtgaufen* meint vom Fagott, „daß er zu allerhand neuen Inventionibus dienlich und in die 
Muft, fehe defitat linget.” Dal. Bitter, Bad 1. &. 89. Spitte, Bad) I. ©. 352. — Audi 
Bil, Feiedem. Bad redet in einem Gedicht, das er nad} der Einweihung der fhönen Silber: 
mannfen Orgel in der Frauenliche zu Dresden machte, von „der Gravität, die in dem 
Fagoito fit." Bgt. Bitter, Bade Söhne. II. &. 102. 

) Einen nad eigener Meode tonfruieren Bagoit 16° Hat Ldegaf in der Domorge gu 
Sqhwerim „Die Köpfe find vermieden, alle tomerzeugenden Teile ganz aus Meiing; die 
Stimmvorricjtung if mit Schrauben verfeheu, die zinneren Körper figen unmittelbar in den 
mefingnen Xehlen. Der Witterungswehfel hat auf diefe fo Tonftruierte Stimme weniger Ein 
Muß.” Bot. Magmann, Orgelbauten. 1. ©. 64. 

®) In dem „gravitätifßien Orgelwerle des Stift 8. M. Birg. zu Riechenberg vor der 
Stadt Goslar am Hartz belegen“ (40 Stn.) fand auf einer Baffade Hinter dem Wert cin 
¶Fegouo 32" neben Fagott 16° und einem zweiten Fagott 16° und Hauthois 8 im BE. 
Bol. die Dispo. nad; Biermann, Organogr. hild. 1738 — bei Bangemann, Gefdj. der 
Drgel 1881. ©. 210, 











Fahre fort, fahre fort, Zion, fahre fort im Licht. 393 


mit erfterer Tongröße findet er feine Verwendung zunächſt im Pedal, auch ſchon in 
Werfen mäßigeren Umfangs, wo er öfters unter dem Namen Fagottbaß mit ent- 
Äprechend weiter Menfur und voller Intonation, den weicheren Rohrftimmendjarafter 
zu repräſentieren hat; reiht er hiezu in größeren Werten wicht mehr aus, jo wird er 
meift durch Bombarde erjegt.) — Wichtiger noch ift Fagott 16° ald Manual» 
fimme. „Iede größere Orgel, die ein 32 füßiges Pedalregifter hat, follte aud ein 
16füßiges Rohrwert, das zur Nepräfentation des 16füßigen Tonmaßes ausreicht, im 
Manual haben.” Diefen Platz einzunehmen, ift der Fagott vorzüglich geeignet, da 
er Fülle des Tones mit Weihheit vereinigt. Im ganz großen Werten; die auch 
32füßige Zungenftimmen im Pedal haben, reicht er freilich nicht mehr aus und muß 
durch einen zroeiten Fagott, eine Bombarde 16‘, oder eine entſprechend menfurierte 
und weicher intonierte Trompete 16° verftärkt merden.?) — Cine weitere Häufige 
Verwendung im Manual findet der Fagott 8° als Baß in den beiden tieferen 
Dftaven, und wird dann in den höheren am gewöhnlichften durch Oboe 8°, nicht 
jelten aud durch Klarinette 8* oder eine andere ähnliche Zungenftimme  fortgefegt.?) 
Die franzöſiſchen Orgelbauer bauen den Fagott, wie fat alle ihre Zungenftimmen, 
mit aufflagenden Zungen und verwenden ihn in ihren Dispofitionen ſehr ausgiebig.) 


Fahre fort, fahre fort, Zion, fahre fort im Licht, Choral aus Frey: 
finghaufen. G.B. 1704. I. Anhang. ©. 1037. Nr. 667, wo er im Original 
heißt (Geſamtausg. 1741. Pr. 1043. ©. 696 u. 69): 


e © fort, fahre fort, Zion fahe re fort im Licht! Made deinen 


) Einen eigentümlich gebauten Fagott 18° mit auffhlagenden Holzzungen nad 
Angabe des Mufldireltors Riem in Bremen Hat Fr. Shulge im Pedal der 1850 erbauten 
Domorgel zu Bremen gejeht. Hopkins and Rimbault, The Organ. II. 3. 378 führen dieſe 
Stimme unter den Namen „Reim 16 feet“ an (foll wohl heißen „Riem"). — Coll, Engel- 
berg, nennt aud einen Fagott 8° im Pedal Fagottbaf 

9) Bol. Granzin, Bemeetgn. über Orgelbau, Ag. muf. 319. 1803. S. 341-342. Walder, 
Um, jet Kontrafagett 16° und Selend Pagoit 16° ine HW, derfelbe und verfhiedene andere 
DB. fegen Tuba 10‘, Trombone 16‘, Trompete 10° ins HE. und Fagott 16° ins Pedal, 
was Gromin a. a. O. für „fehlerhaft” häft, 

3) Die ergänzende Zufammenftellung von Fagott (Ba, C-h) und Oboe (Distant c'—1) 
if zwar das Gewöhfiie aber nicht das Ausftiliefliie; manche Haben Matt Obor auf) Mari: 
nette im Dislant; Mortuffen und Sohn, Orgel der.Guftavstirde, Goihenburg, fepen C—h 
Fagott, e1—f3 Vox virginen 8, Cavailld-Coll, HM. der Orgel zu St. Denis, Pagott und 
Cor anglais &. — Koufen, Straßburg, att Fagott-Klarinette: „Euphone-larinetie* — u. dal. 

+) So hat z.B. die Mertlinfce Orgel von St. Euflaße in Baris, Baffon 16° u 8° im 
Bedal und Baffon-Hautbois 8° im av. Röit; ihre Vorgängerin von Barter Hatte im Bed. 
Baffon 16° 8 u. 4' und im Pofit. noch einen „Basso de Basson 8.“ Bat. By, La facture 
moderne. 1880. &. 318. 321, 


























394 Dr. 3. Saift. 


Leudh· ter hel-te! Laß die er « Me Lie» be micht; ſu- che fletsdie Le > bemequel-Ie 





























ES 
* et ? 

— — — — 4 — 

Bir om dfimege durch die en = ge Port: {ah - ve fort, fahre fort. | 

Wie mande andre Halleſche Melodien, ohne irgend welchen ſichern Anhattspuntt, 

den Dichtern der Pieder, mit denen fie zuerft erihienen find, zugeföhrieben werden, fo 

fol auch die vorliegende dem Dichter des Liedes Johann Eufebius Schmidt zugehören. 
Bol. Fiſcher, Kirhenlieder-Ler. I. ©. 191. 






































Faißt, Dr. Immanuel, ein um Gemeindegefang, Orgelfpiel und Kirhenmufit 
der evangelifcen Kirche, beſonders in feinem engeren Vaterland Württemberg, ſehr 
verdienter Mufiter, ift am 13. Oftober 1823 zu Ehlingen als der Sohn eines 
dortigen Lehrers und Organiften geboren. Seine elementare Schulbildung erhielt er 
in feiner Vaterfladt und daneben von früher Jugend an auch mannigfadhe mufifafiiche 
Anregung. Zum Theologen beftinmt, tat er 1836 in das niedere theologiicht 
Seminar zu Schönthal ein und ſette hier neben feinen Schulſtudien aud die mufi 
talifen im Klavier- und Orgelfpiel, ſowie in der Kompofition mit vegem Eifer fort 
Bon 1840-1844 gewährte ihm der Aufenthalt an der Univerfität Tübingen und 
feine aftive Mitwirkung bei den Übungen und Aufführungen des dortigen Oratorien 
vertins weitere wertvolle Gelegenheit zur Fortbildung in der Mufit, zu der ihn eine 
immer ftärter fih geltend macende Neigung zog, Die ihm ſchliehlich den Gedanten 
nahe legte, ſich ganz dieſer Kunft zu widmen. Cine Reife, die er im Herbft 1844 
antrat, galt denn and in erfter Linie feiner Ausbildung als Orgelipieler und Kirchen 
mufifer. Im Berlin, wo er ſich längere Zeit aufhielt, machte er ſich beſonders dir 
Vorbilder der Drganiften A. Haupt und Ludw. Thiele, ſowie die Aufführungen der 
Singakademie und des Domchores zu Nuten und bald fonnte er mit großem Er 
folg als Orgelfpieler in Konzerten aufteeten.!) Im Herbft 1846 fehete er in die 
Heimat zurüd und begann hier jeine Thätigteit mit der im März 1847 erfolgten 
Gründung des „Vereins für klaſſiſche Kirchenmufit“, den er feitdem geleitet und zu 
einer Leiftungsfähigteit herangezogen hat, die denſelben in die erfte Reihe unter den 
ahnlichen Bereinen in andern deutſchen Städten ſtellt. Noch im gleichen Jahre exhiet 

1) Bot. Allg. muſ. Big. 1864. S. 700-701. „ . . Wir haben felten ein fo aller Schwierig 
feiten fpottende®, geraltiges, fiheres, präcifes und in der Regificierung feines Spiel gehört ... 
Man erfannie in allem den erfaßrenen Meifler, der fein Iuflrument genau tennt umd dafcr 
au, ein ihm bis dahin fremdes Wert von tofofiafer Stimmenanzaht bald überfag und fer: 
Eigentiimtiäteit erlannte.” (Gelegentfi; eines Konyerts auf der neuen Orgel der Nitofaitirse 
zu Seipjig.) 


Dr. 3. $aift. 395 


F. auch eine amtliche Stellung als Leiter einer „Schule für Kirhenmufil“, in der 
jüngere Lehrer in Drgelfpiel und Orgelkunde, ſowie in der Kompoſition unterrichtet 
werden. Ais folher hat er — namentlich feit diefe Schule mit dem 1857 ebenfalls 
unter feiner hauptfähligen Mitwirkung gegründeten und feitdem unter feiner trefflichen 
Direktion ftehenden Konfervatorium fr Mufit in Stuttgart näher verbunden worden 
it — vielleicht am tiefgehendften für die Hebung der in Shddentjcjland ſehr darnieder- 
Gegenden Orgelfunft gewirkt: eine Anzahl der ausgezeidnetften Organiften Süddeutich- 
lands und der Schweiz verdankt ihm ihre Bildung und ihre nad) dem Höchſten der 
Orgellunſt ftrebende Geiftesrichtung. Was F. als Vorftandamitglied des Deutjchen Sän- 
gerbundes, als Dirigent — 1847—1857 leitete er den Stuttgarter Liederkranz und 
feit 1849 ift er Dirigent der Süngerfefte des Schwäbiſchen Sängerbundes — und 
Komponift — fein „Gefang im Grünen“ wurde 1865 in Dresden, fein „Die 
Macht des Geſanges“ vom Schleſiſchen Cängerbund, fein „Dem Herrn“ vom nieder- 
öfterreihifchen gehönt — für den Männergefang, was er durd) feine Schrift „Zur 
Hebung des Gefangunterrihts in den evangelif—en Vollsſchulen Württembergs” 
(Stuttg. 1881. 235 ©. 8) für den Volfsgefang geleiftet, Tann hier nur vorüber: 
achend erwähnt werden. Wichtiger ift flr ung feine Thätigleit auf dem Gebiete des 
proteftantifchen Chorals. Hier hat fih F. durch die gründüchſten hiſtoriſchen Studien 
und Forſchungen eine Vertrautheit mit dem Giegenftande erworben, die ihm in die erfte 
Reihe der auf diefem Gebiete Mitarbeitenden ftellt; zwar harren die Ergebniffe feiner 
Forſchungen noch großenteils der Veröffentlichung im Zufammenhang; dagegen find 
fie in der Arbeit am Ch. B. der Eiſenacher Konferenz 1854 — und am Württ. 
Ch. B. 1876 in ansgiebiger Weife bereits verwertet. Im nicht minder eingehender 
Weiſe beſchäftigt er fih ſchon fange mit Studien über die geſchichtliche Entwidlung 
der Stlaviermufil, die ihn auch tief ins Gebiet der älteren Orgelmufil hineinführten, 
ſchon 1847 veröffentlichte er „Beiträge zur Geſchichte der Rlavierfonate” (in Dehns 
ücilin® Bd. 25 und 26), die ihm don der philoſophiſchen Fotultät der Univer- 
fität Tübingen den Doftortitel eintrugen; feitdem hat er diefe Arbeit in der Abficht 
fortgefet, fie zu einer „Geſchichte der Aaviermufit” überhaupt zu erweitern (vgl. 
Allg. muf. Ztg. 1868. ©. 405), deren Herausgabe in Ausficht fteht. Als Kochers 
Nachfolger wurde F. 1865 Organift und Mufifdireltor an der Stiftelicche in Stutt- 
gart. — Bon feinen Werten find Gier zu nennen: 


25 Choralmelodien der edang. Kirche mus dem 16. u. 17. Yaheh. in 
ihrer urfprüngl. Form. Gtuttg. 1850. 2. Aufl. 1852. 8°. — Die Melodien 
des Deutjcien evang. KirKen-©.B. in dierft. Sage. dur Drgel und für 
Chorgef. Aus Auftr. der deutjhen edang. Kirhentonferenz zu Cifenad) bearbeitet 
(mit dv. Tacher m. Ioh. Zahn). Stutig. 1854. au. 4°. 99 Melodien. — 
Choraldud fir die evang. Kirche in Württemberg. 3. Aufl. Stuttg. 1876. 
qu. 4°. 211 Choräle. Siegespfalm fr Dappelther, Orh. u. Orgel. Op. 29. 
87. — Tirhl. Chorgefänge für gemifcte Stimmen mit und ofne Orgel» 
Begleitung. I. Folge. Bierft. Gefänge. Nr. 1—15. Stuttg, Zumfteg. Auer: 
dem Drgelflüce und einige Deotetten in verfhiedenen Sammlungen. — 





396 Falſo bordone, Faurbonrdon. 


Ein Choral, den er 1858 für das Pfähifhe ©.8. 1859. ©. 111. Nr. 145 
fomponierte, heißt: 


iercsh Erz —— 


Ma sti > a malt zum Hei lig- tunt umd bringt ihr Sind ein dar, 
das fat der grei - je Si-me- om tie ihm ver+ bei «fen mar; 


et —— Fe 
da nimmt er Je ſum in den Mem und fingt im Ge» fe froh: „Nun 
; EN 


P- FH 
ee 23 
ſahr ich hin mit Freud; dich, dei- land, fah ih Gent, du Troft von IJs ra 
* x ve: 
= 31 

z + E = 
el, das Licht der Welt.“ »el, das Licht der Welt“ 


Falso bordone, Fauxbourdon, wörtlich faljher Baß, falſche Unter- 
fimme.) — Im der päbftlihen Kapelle zu Avignon (1307 — 1377) Hatte ſich eine 
Urt des Pſalmodierens ausgebildet, bei welcher ein Sopran oder Kontralt die Haupt- 
fimme, die Pſalmmelodie als Cantus firmus führte, während zwei andere Stimmen 
— gewöhnlich ein Tenor oder Kontralt und ein Baß, oder Bourdon —, die eine 
in Unterquart-, die andere in Unterfert-Parallelen begleiteten, bis am Schluß die erfte 
und dritte Stimme in die Dftave, die zweite in die Quinte fehritt. Bei der 1378 
erfolgten Rücverlegung des päbftlichen Stuhles nach Rom brachten die Sänger , ſtolz 
auf ihre Fauxbourdons“ diefe Singweife mit und erhielten fie in der urfprünglichen 
Weiſe bis in die Gegenwart herein im Gebrauch. — Cine fpätere Zeit bildete Diele 
Falsibordoni weiter in der Weife aus, daß „der Cantus firmus im Tenor von 
zwei höheren und einer tieferen Stimme, Note gegen Note, in Lauter Konfonanzen 
begleitet wurde.‘ Dieje Geſangsweiſe ift bereits „eine weſentlich andere, kunſtvollert 
Gattung des Pfalmodierens, eine Art Kontrapunft, die nicht immer der bloßen Im 
provifation der Sänger anheimgeftellt, fondern zuveilen ſelbſt von bedeutenden Kom 
poniften ausgearbeitet wurde.?) Sie hat ſich auch im liturgiſchen Gejang der fathe 


6 










































































































































































1) Den Namen erltärt 3. B. Adrian Petit-Coclicus, Comp. mus. 1552 jo: „ . . et 
dieitur gallice Fauxbourdon, id est, quod malae species, quae sunt contra par- 
tem superiorem, excusantur, per vocem inferiorem, scalis seu octavis.“ gl. auf 
Adam von Fulda, De mus. II. 10. bei Gerbert, Script. II. &. 351. Andere, zum Teil 
jehr naive Grlfärungen bei Brätorius, Synt, mus. III. &. 9. 

2) Bol. Ambros, Geſch der Muf. I. &. 314. — Cine Art des Fauxbourdon, die fir 
uns nit in Vetracht komimt, befhreibt Baini-Paleftrina. Demſch von Kandler, herausge: 
von Riefewetter. 1834. S. 54. Anm. 








Salfo bordone, FSaurbourdon. 397 


ifchen und evangeliſchen Kirche mit Recht erhalten, da fie „unftreitig ehvas Feierliches 
und einfad Würdiges Hatz“ freilich verdiemt fie in diefer Ausbildung den Namen 
Falso bordone nur nod in dem Sinne, daß derjelbe einen Allgemeinausdrud für 
die verihiedenen Arten mehrftimmig zu Pjalmodieren darftellt.) Ein Beifpiel diefer 
Art des Falso bordone von Giov. Maria Nanini mag hier ftehen, es heißt: 


A — — — — — 


Mi-ie-re-e mei, De - us! se-cundammagnam mi-se -ri- cor- 
BR Ur Sr ur re ee) 







































































Später wurde dann aud der Sprehton in der Pfalmodie Falso bordone 
genannt: „Falso bordone it, wenn in einem Geſang viel ſyllaben oder Wörter 
unter einer einigen Noten geſungen werden“, erflärt Demantius?) und ſchon Heinrich 
Schü wendet in feiner „Hifterin der Aufferftehung deſu Chrfti 1623 den Namen 
ebenfalls in diefem Sinne an,‘) dod geht bei ihm die Pialmodie vielfach in ger 
bundenen Geſang über, fir welchen auch die Inftrumentalbegleitung aus ihren 
ruhenden Atorden heraustritt, e& find die erften Rudimente der modernen Arienform, 
die ſich hier anfegen; 3. BA 


') Bol. v. Dommer, Handbu& der Mufilgelh. 1888. S. 07, der mit diefer Annahme 
geroißg Recht Hat. 

?) Bol. Proste, Musica divina. I, 4. Bd. 1868. S. 210, wo von ©. 309 an eine In- 
zahl folder Falsibordoni von mehreren der beften Meifter mitgeteilt find. 

%) Bol. Christoph. Demantüü, Isagoge artis musicae. Freiberg 1650, im Appendir. 

+) Gr fagt in der Vorrede: „Der Evangelift fan in ein Orgelwert, Bofitifj, oder auch in 
ein Inftrument, Lauten, Pander u. f. w. nad} Gefallen gefungen werden, wie dem zu dem 
Ende die Wort des Evangelien unter den Bassum continuum mitgefept worden. Es ift 
aber der Organifl, weldjer feine Berfon bier wohl vertreten will, zuerjndern, daß fo lange der 
Falso bordon in einem thon weret, er aufj der Orgel oder Inftrument, mit der Hand 
immer zierlie und appropriierte (euffe oder paffaggi darunter made, weiche dieſem Wert, wie 
aud allen andern Falsobordonen die rechte art geben, fonften erreihien fie jhren gebüßrliden 
efiekt nicht Bgl. Bitter, Beiträge zur Geſch. des Dratoriums. Berlin 1872. ©. 00 fi. 


398 Saltenbalg. Feld. Feldflöte. Feldpfeift. Sermate. 


Evangelift: 

















Faltenbalg, vgl. den Art. „Balg“, und „Spanbalg“. 


Feld, im Profpeft einer Orgel Heiht eine Abteilung in gerader Linie aufge 
fießter Zinnpfeifen, gegeniber den in einem vorfpringenden Bogen aufgeftelten Pfeifer 
die einen Thurm bilden. Vgl. den Art. „Brofpelt“. 


deldflöte, Feldpfeife, cin Meines Fiötenregftr in älteren Orheln, das zu | 
4‘, 2° und 1’ disponiert wurde und die Heine Querpfeife — Fifre — der Feld 
mufit nadahmen folte. Bei manden älteren Orgelbauern ift diefe Stimme dasfelbe 
wie Bauernflöte und Shweizerpfeife (gl. den Met), andre unterfeiben 
fie von diefen. Prätorius, Synt. mus. II. ©. 166 hat aud) einen „Feldpfeifen 
bag im Stuel“. By. aud Aolung, IAnleitg. zur muf. Gel. 1758. ©. 416. 
Derf. Mus. mech. organ. 1768. 1. ©. 93. 





Sermate, Corona, Convenientia, signum convenientiae, ein Rubepuntt, 
der im Verlaufe eines Tonftüdes die Bewegung des Rhythmus auf fürzere oder 
längere Zeit unterbrit, indem die Note oder Paufe, über welcher das Zeichen der 
Fermate, ein Punft mit einem Bogen darüber — fteht, länger gehalten wird, als 
ihre wirtfiche Geltung fordern würde. Über die Verwendung der Fermate als Kun 
mittel im allgemeinen ift bier nicht zu ſprechen: wohl aber ift ihre Bedeutung für 
den Choral näher zu betrachten. Fermaten, wie fie fid) jeit dem Ende des 17. Jahr 
Hunderte!) an Stelle der Beiftrice (opl. den Art.) des aften Chorals finden, 
haben nicht die Bedeutung der wirflihen Fermate, fie verlangen nicht ein längeres 
Verweilen auf der mit ihnen verfehenen Note, fondern find zunächſt nichts weiter, 
als eine Bezeichnung der Zeilenſchlüſſe. So z. 2. in 





H Eimes der erfen G.BB., die fatt der Veiſtriche Fermaten ſehen, if wohl goath 
Neandere „Glaubens- und Liebesübung in. . Bundesliedern“, 1680. Bol. Monateh. für 
Mufgeih. 1874. ©. 121. 


Sermate. 399 


Fregfinggaufen G. B. 1704. ©. 1037. Nr. 661. „Fahre fort x.” 




















— 
oder in den 56 feinen Choraldorſpielen von Seb. Bach. Edition Peters. Fol. V. 
Ar. 36. „iebfter Jeſu, wir find hier“, 


























= 2 
Per — — 
zig 























Bol. Spitta, Bach I. ©. 590. Anm. 38. 
Beiter iſt aber die Fermate im Choral die Bezeihmung eines melodifgen 
Einſchnitts deſſen Dauer durch das Taftgefühl gegeben wird, nicht aber feit ber 
ftimmt werden farm, weil fie fih nad den jedesmaligen Taft- und Arcentverhält- 
miffen zu richten Hat. So wird in den folgenden Chorälen die Dauer der Ein- 
jömittsnote eine derſchiedene fein müffen: 
Nun danfet alle Gott. >» 


























GSrmuntre did, mein ſhwacher Gein. R 


ec) 


D daß ich taufend Zungen hätte. 
Be 


2 
bei a), wo die Einſchnittsnote drei Taktteile enthält, verlangt das Taltgefühl ein 
ſtrenges Einhalten des Taties; bei b), mit der Ginfchnittsnote von einem Taftteif, 
der aber auf eine betonte Silbe fällt, ein ehnas längeres Anhalten; bei e), Ein- 
ihmittsnote von einem Taftteil, aber auf eine umbetonte Silbe fallend, ein nur ganz 
hurzes Anhalten; bei d) endlich, wo die Schluhßnote einen Tattteil enthält, aber auf 
eine accentuierte Silbe füllt und überdies den Schluß des Aufgefanges zu martieren 
hat, eine Berlängerung der Noten. Nur eine falfche Anfhauung von der Bedeutung 
der Fermate im Choral tonnte frühe ſchon die Frage entftehen laffen, wie die will: 
fürlich verlängerte Zeitdauer derjelben durch die begleitende Drgel auszufüllen fe. 





















































































































400 Sermate. 


Spuren folder Ausfülhung zeigen ſich z. B. in den Nurnb. G.-BB. von Gaubert 
1677 und Feuerlein 1690, wo Joh. Chr. Weder zunächſt Einſchnitt und Baufen 
ſo ausfüt:ı) 



























































































































































Pers — — 
Mei · ne Ser le Gott m» het 
= a | 
[5:3 — 
E er 2 E = = 
s 7 7 = 
oder: 
— 
— 
— 
3— 
— 
—* — 
— 
Ie - ſu, Shan vom dim ·mel ꝛc. 
BEE £ = 
—S = == 




















7 7 

Die Blütezeit der Orgelmuſit, wie fie zu Ende des 17. und in der erften 
Hälfte des 18. Jahrhunderts in Herelichfter Weiſe fi) entfaltete, und ein „„Übenwiegen 
der Drgel über den Geſang zur natürlihen Folge“ Hatte, veranlagte die Ent 
fiehung der Zwifhenfpiele (ogl. den Art), die in ihrer Aubartung fange den 
Choral verunzierten?) und noch bis in Die Gegenwart herein ihre Verteidiger finden‘), 
wenn fie auch, wo fie noch nicht ganz befeitigt find, fih mehr beſcheiden und in den 
Rhythmus der Melodie einfügen laſſen mußten. Aber felbft da, wo man vom Ge 
braud) der Zwiſchenſpiele abgelommen ift, vermag man fich noch nicht immer zu der 


*) Bol. „Zabulatur-Buh von Johann Padeldel“, in den Monatsh. für Mufitgeis. 
1874, ©. 12. 

2) „So tonnte es lommen, daß die Orzaniſten aud) da, wo fie beſcheiden Hätten begleiten 
foflen, nit abliefen in wiltücligem Spiel die Melodie zu verbrämen und zu ändern, den 
einbeitfigen Organismus derfelben dur; zwilßengefäiobene Pfantafien zu zerflüden.” Bat. 
Spitta, vach I. ©. 584. Auch) Alung, Mufil. Gelahrth. ©. 633. 684, (Gildert ſoiches Un 
weſen. 

) So z. B. Palmer, Evang. Hymn. ©. 372. 381, der als ein liturgiſches Geſetz geltend 
maßit, doß im Gottesdienf vom Anfang bis Ende feine leere Stelle eintreten fol, aber immer 
von Paufen fpridt, in denen während der Einſchnitte, die dod nicht Pauſen find, Ausfüllungen 
einzutreten Gaben, 


Sernflöte. Wolfgang Figulus. 40 


einzig richtigen Behandlung des mit der Fermate verfehenen Einſchnittes, dem ein- 
jachen, in richtigem Verhäftniffe zum Rhythmus des Chorals ftehenden Halten des 
betreffenden Aftordes zu bequemen, und ſchlägt z. B. ein Abheben desfelben von 
unten nach oben, bei forttlingendem Melodieton, oder ein Feſthalten des Melodie 
tones mit Ausfüllungen in den Mittelftimmen vor,!) ohne daran zu denken, wie 
geihmadlos es ift, die Melodie, die ja vor allem der melodifFen Einſchnitte bedarf, 
anſchnittlos weiterklingen zu Laffen. 






Sernflöte, eine Flötenſtimme der Orgel von zarter, fäufelnder Intonation, die 
zwar den Flötenton noch als Grundlage, aber zugleich, leiten, gambenartigen Strich 
hat, und ſich daher in ihrem Tondarafter dem Salicional nähert;?) in das fie in 
der tiefen Dftave öfters übergeführt wird. Sie hat Körper von Metall, die nad) 
Spigflötenart gebaut, an der Mündung enger als am Labium find,S) und fteht mit 
8 Fußton gewöhnlich im Echowert größerer Orgeln. 


Figulus, Wolfgang, Kirhentonfeger und muſilaliſcher Theoretiler, der um 
1520 zu Naumburg geboren wurde. 1548-50 lebte er zu Peipgig und machte 


) Grfleres empfiehlt 3. B. das Wuru. Orhelſpielbuch 1851. ©. 25 und giebt ale Beifpiel: 
2) Wert. Ausführung. b) Wert. Ausführung. 


2 et, 
j 
! 






























































das umgetehrte Verfahren unter b) Jatob und Richter, Ch.B. I. S. XIL der Bort., wärend 
Flügel, Euterpe 1862. ©. 124. 125 gar Ausfülfungen wie folgende empfiehlt: 
* * * 


Zr 





























— || j j 

[ar P te. 2 um 2 2 

⸗ — — 

BEE Fr —— 

nicht bedenfend, welche Natur- und Kunftwidrigfeit es wäre, gerade die Kadenzen auf dieſe 

Weife zu Beunrufigen. Die von ifm dort angeführten Beifpiele aus einem figurirten 

Choral von Badı Gaben Gier teinerfei Beweistraft. 

?) Bat. Ieplens, Die neue Orgel der Bfarelirde zu Kempen. 1816. ©. 24. 

») So maßıt j. ©. ©. Stahlhuth, das c feiner Feruflöte in der Kongertorgel zu Aachen 

bei 0,167m am Labium an der Mündung um 344 Zöne enger. Sal. Bödeler, Die neue Orgel 


im Rurhausfaafe zu Aachen. 1870 ©. 01. 
Kümmerte, Gncyft. d. ang. Kirdenmufil. 1. 26 



































408 Figurierier Choral. Dr. Fried. Silih. 


bier wahrſcheinlich feine Univerfitätsftudien, und an Lätare 1551 wurde er als Nach- 
folger Michael Voigts Kantor und Kollege an der Firftenfhule zu Meißen. Um 
dieſe Zeit wird er ſich dann auch verheiratet haben, denn am 1. Mai 1568 wurde 
ein Sohn von ihm in die Schulpforte aufgenommen. 1577 verlor ex feine Ehfrau 
durch den Tod und ſchloß 1579 eine zweite Che mit Anna Geier, der Witwe des 
verftorbenen Pfarrers Geier zu Noffen. Unter dem 4. März 1588 wurde er dann 
„Alters und Leibesſchwaächheithalber mit 7O Gulden Benfion in den Ruheſtand ver: 
fegt, wie es indes ſcheint, nur als Kantor, im welchem Amte ihm Georg Schulze 
nachfolgte; fein Schulamt ſcheint er mominell behalten zu haben, ließ fih aber in 
demjelben durch feinen Schtwiegerfohn, Mag. Friedr. Bird vertreten. Da diefer 1591 
als Kantor an die Sandesf—hule nad) Grimma am, fo ift wohl F. um diefe Zeit 
geftorben. — Bon Figulus Kompofitionen find hier zu nennen : 


1. Precationes aliquot musicis numeris compositae & . . . Leipz. 
1553. — 18 Gejänge. — 2. Trieinia sacra ad voces pueriles pares 
in usum scholarum composita. Nürnd. 1559. Tom. I. und IL. find ge 
fammelte Stüde (vgl. Eitner, Bibliegr. S. 155). Tom. II. 39 Gefänge, 
darunter Nr. 26—39 deutſche geiftliche Lieder. — 3. Cantionum sacrarum 
8, 6, 5, 4 vocum, primi toni Decas prima. ranfj. 1575. — 4. Amo- 
rum Fili Dei hymni sacri, de natali Domini nostri Jesu Christi, 
decadis VI. Witten. 1587. 5 Gefänge. — 5. Vetera nova Carmina 
sacra. De Natali Domini nostri Jesu Christi, a diversis Musieis 
eomposita. Frantf. 1571. 20 Weihnachtslieder, darunter 10 von F. — 
6. Hymni sacri et scholastici cum melodiis et numeris musi 
versarin vice denuo collecti et aucti. Leipg. 1594. — 7. Einige —— 
und Gelegenheitsgefänge. Pol. Monatshefte für Mufilgeih. 1877. ©. 126 
bis 131. 


Figurierter Choral, Choraffiguration, vgl. den Art. „Orgelchoral“. 


Filitz. Dr. Friedrich, cin fleißiger Forſcher auf dem Gebiete der älteren evan- 
geliſchen Kirhenmufit, war am 16. März 1804 zu Arnſiadt in Thüringen geboren, 
ftudierte fpäter Philofophie und erwarb fid) in diefer Fakultät den Doktergrad. Seit 
1843 lebie er in Berlin, wo er namentlich auch mit Ludwig Ert in Verbindung 
rat, und 1848 ging er nad Münden und lebte Gier privatifierend bis an feinen 
Tod, am 7. Dezember 1876. — Seine hier zu nennenden Werke find: 


„Bierfimmiges Choralbud) zum Kirhen- und Hausgebrauch“. Berl. 1847, 
mit 223 Melodien. Diefes CH-B. war fpeiell zu Bunfens „Allgemeinem 
wang. Gefang- und Gebetbud‘ bearbeitet und enthält erſtmals folgende neue 
Choralmelodien, von denen die mit * bezeichneten als von Filig fomponiert 
Dezeugt find: Vierft. Ch.-®. 1847. Cine fehr Iefenswerte 38 Seiten lange 
Vorrede über den Cporal it dem Bude vorgefegt. — „Bierftinmige Choral: 
füge der vornehmften Meifter des 16. und 17. Iahrfunderts.” Eiien 1845. 

— 150 Rr. — gemeinfgaftlih) mit Ludwig Ext Gerausgegeben. — Ber 
— feiner Auffäge über ältere Kir—henmufit finden ſich in den Zeu— 











Hein. Find. 403 


foriften: Cäcilin (Mainz, Schott), Euterpe (g. B. „Voltsweiſe und Gemeinde: 
wife” 1878. ©, 101-108. „Die Reform des ang. Gemeindegefangs in 
ünglichen Berantafung“ 1880. S. 1-3. m. 2124). Darmit. 
1, Diefteregs Rhein. Bl. u. 0.; auch) eine größere einfchlägige Schrift 
‚„Aleber einige Intereien der älteren Kirdhenmufil”. München 1888. 8°. Hat 
er herausgegeben. 


Pr. 4. Menſchen find zerbrehlic Glas. Ks-dur es fg es b b.g. Yafob 
u. Richter 11. 496. 
Nr. 30. Der Tag wohl durch die Wolfen dringt. D-molldaafgfed. 








Daj. II. 605. 
Nr. 87. Holdjelig m. verjüngter Klarheit. G-durgh ce dheded. 
Daf. 11. 791. 
Nr. 114. Kommft du, tommft du, Licht der x. ig gar gesasgasgff. 
Daſ. II. 921. 
Nr. 117. Laß dich Gott, du x. G-dur hg a | F edahrcag. 
Daf. II. 930. 
"Nr. 141. Nimm did o meine Seel in aht. G-dur ggfsedecd. 
Daf. II. 1031. 
"Nr. 157. O Evigkeit, o Cwigtiit. D-dur dag fs deed. 
Daf. II 1056. 
Nr. 162. O Jeſu, König hoch zu ehren. G-durdgahdchag. 
Daf. II. 1089. 
Mr. 168. O möcht mein träger Sinn. C-dur gcehanug. 
Daſ. II. 1106. 
"Nr. 178. Seele du mußt munter werden. F-dur fgafabeca 
Daf. II. 1127. 
“Pr. 177. Schöner Himmelsfaal. F-dur f ga a g. Dal. I. 1119, Ert, 
&..B. Nr. 234. 


"Re. 183. So iſts am dem, daß ih mit Freuden. F-dur e cc acde 
b a. Daf. II. 1159. 

“Nr. 187. Triumph, Triumph dem Lamm x. D-molldfafefgaaba. 
Daj. I. 1178. 

"Nr. 197. Was Gott gefält, mein frommes Kind. G-dur gahg c hag. 
Daf. II. 1203. 

"Nr. 203. Wem in Leidenstagen. F-dur a a g g fc. Dal. II. 1238. 
Sayriy III. Nr. 586. 


Find, Heinrich, ein treffliher Tonfeger aus der erſten Hälfte des 16. Jahr⸗ 


Hunderts, über deffen Feben aber bis jegt nur Weniges belannt ift. Er erhielt 
feine muſilaliſche Ausbildung zu Kratau in Polen („eujus ingenium in adoles- 
centia in Polonia excultum est“, fagt Herm. Find), wo er fpäter auch in 
Dienften bei den Königen Johann Albert (1492-1502), Alerander (1502-1506) 
und Sigismund I. (1506-1546) fland („el posten regia liberalitate orna- 
tum est“), und es ſcheint fein Berhäftnis zu feinen gefrönten Dienſtherren, mie das 


26* 


404 Herm. Fink. 


Zosquins zu Ludwig XIL, ein ganz gemütliges gewefen zu fein.‘) Die Zeit feines 
Ablebens ift nicht befannt. — Seine Tonfäge zeigen Y. „in feiner man Lönnte 
jagen redenhaften Tüctigfeit, in feiner anſprucheloſen Größe, in feinem treuen innig 
empfindenden Gemüte, fogar in feinen gelegentlichen Schroffheiten und Härten als 
einen ae Meifter.”*) Sie erfcienen Hauptfählic in folgenden Sammlungen: 
1. „Schöne außerlefene Lieder des hodberümpten Heinrici Findens ſampt 
andern mewwen iedern, von fürnemften difer funft gefeßt“ ı. Nirnberg 1536, 
mit 30 vierft. Federn von ihm und weiteren von Arnold von Brud, Stephan 
Dahu, Fudw. Senfl u. 3. ©. (incertus symphonista?). — 2. Der großen 
ymnenfammlung „Sacrorum hymnorum lib. I.“ Wittenberg 1542. ©. 
Rham, mit 22 Bearbeitungen alter Kirhenhymnen von ihm. — 3. Dem 
Concentus octo, sex, quinque et quatuor vocum“. Yugsb. 1545. Pit. 
Uhlhard, eine ausnehmend ſchöne Arbeit, die fieben Begrügungen des leidenden 
Erloͤſers.“) — Eine „Sammlung ausgewählter Kompofitionen zu 4 und 
5 Stimmen von Heinrich Find. In Partitur gejegt und mit einem Klavier- 
Auszug verfehen von Rob. Eitner“, hat die Gefelih. für Mufikforigung, in 
ihren Publitat. Sahrg. VII. Bd. 8. 1879. Berl, Trautwein, neu edirt. 


Find, Hermann, ein Verwandter des vorigen („hie fuerit patruus mens 
magnus“ nennt er dieſen), Hat ſich zwar vorzüglich durch ein theoretiſches Werk für 
alle Zeiten einen Namen gemacht, ift aber gleidwohl auch hier zu uennen, weil ihm 
lange Zeit iretümtih die Erfindung zweier Choralmelodien zugefchrieben wurde. — 
Er ift wahefheinfih um 1490 zu Pirna in Sadfen geboren; mo er feine erſten 
Studien gemadt, ift nit belannt, wohl aber daß er nad) 1526 „zuerft der Kapelle 
des Königs Ferdinand angehörte, wo er teils die Muſit erlernte, teils Gefang- und 
Infteumentalmufit ausübte.” Daß er vorher in Polen gewefen und dort ſchon, um 
1506 von Auguft I. (21) die Stelle feines Oheins in Warſchau“ erhalten habe,“) 
iſt falſch und beruht auf der Hartnädig feftgehaltenen Verwechslung mit Heinrich 
Find. 1554 ließ er ſich als Mufillehrer in Wittenberg nieder, wo er 1557 als 
Drganift amgeftellt wurde, wie aus „Nil. Selnecceri . . . Antwort auff die 
1) Naqh Balerius Herberger, Herzpofiille, Dom. cant, S. 370, belfagte fit König Alexander 
ſcherzweiſe über Finds hohe veſoldung mit den Worten: „Wenn ich einen Finten in einen 
Käfig ſebe, fo fofet er mid) jahrüber faum einen Dutaten und fingt mir aud.“ 

2) Bot. Ambros, Gef. der Muf. II. ©. 309, au Hermann Find fagt von ihm: 
„Henricus Fink, qui non solam ingenio, sed praestanti etiam eruditione excelluit, 
durus vero in stylo.“ 

®) Weitere in den Sammelwerlen feiner Zeit ſich findende Kompofiionen derzeichnet Eitner, 
Bibliogr. der Muſilſammelwerke des 16. und 17, Jahrh. Berlin 1877. 

+) Nach der Belanntmahung des Neltors Dr. Matt. Blochinger an der Univerfität 
Wittenberg aus Beranloffung feines Todes, bei Fürftenen, Ag. dentige Biogr. VII. ©. 13. 

>) Die noch Mendel, der IL. S. 521 Hat, während Fürftenau, Mitt. des fü. Ater- 
tumsvereins, Jahrg. 1809, bereits den vollfländigen Nachweis der Sretümmficeit diefer Annahme 
gegeben fat. 








Ioh. Georg Fink. Chriſtian Fink. 405 


Beſſerung . . . Lamberti Danaci“, Leipzig 1581. BL. E. 3b hervorgeht. Bgl. L. 
Ert, Monatsh. für Mufifgeih. 1879. Nr. 4. u. Ag. deutſche Biogr. IX. ©. 795 
fehe geachtet und beliebt und vielleicht auch als Leiter der Muſitaufführungen an der 
Univerfitätsficche thätig war. Er ſtarb am 28. Dezember 1558 und wurde am 
folgendeu Tag begraben. — 

An Mufihverfen von ihm find mur ein Hocheits. und ein Grabgefang. 
Wittenberg 1555, fowie feine Arbeit über „Was mein Gott will, das gſcheh 
allzeit“ 1558!) befannt geworden. Über die Melodie felbft die ihm fange als 
Erfinder zugeförieben wurde, dgl. den betreffenden Art. — Sein theorztiihes 
Wert: „Practica musica“. Wittend, 1556, enthäft wertvolle geſchichtliche 
Naceichten und Bemerfenswerte Äußerungen über die Mufttzuftände feiner Zeit. 


Find (Finde, Finke), Johann Georg, ein gefhidter Drgelbauer, der ums 
Jahr 1700 eine Werkftätte zu Saalfeld Hatte, wo er fllr die Stadtlirde zu Gera 
eine fhöne Orgel von 42 H. Stn. auf 3 Manualen und Pedal, und 1715 eine 
Hleinere von 18 Stn. auf 2 Manualen und Pedal, erbaute. Zu letzterem Werte 
wurde ihm das Material geliefert, dad Adlung. Mus. mech. org. II. ©. 9 aufe 
führt; die Dispofitionen beider Werke bei Adlung a. a. D. I. ©. 230 und 272. 
Fink ſcheint ein erfinderifcher Kopf geweſen zu fein, der nicht auf auegetretenen 
Pfaden zu wandeln liebte, vielmehr feiner Zeit mehrfad voran war, wie aus den 
Andeutungen über feine Bauweiſe einzelner Stimmen in der genannten Geraer 
Drgel zu fhließen ift.?) 


Fin, Chriſtian, Mufildireftor und Organift zu Eplingen, ift am 9. Auguft 
1831 zu Dettingen bei Heidenheim in Württemberg geboren und erhielt den erften 
Unterricht in Klavier: und Drgeljpiel von feinem Bater, einem Lehrer und wadern 
Mufiter. 1845-1849 bereitete er fih im Seminar zu Eplingen für den Lehrer- 
9) Walther, Muf. Ler. 1732. S. 245 berichtet, daß F. unter dem 25. Dejember 1557, 
am den „Erzt-Bifchof zu Magdeburg, Sigiemundum, Marggrafen von Brandenburg, fein auf 
viererfei Art Tomponiertes, und von Alberto, Mastgrofen von Brandenburg, Bareyif in feinem 
Grifio verfertigtes Lied: Mas mein Gott wil, das dicheh alfeit x“, gefandt habe. „Es if 
fofäies 1558 in 4°. gedrudt worden und nennt er fih, fonoßt in der Muf- ale Unterfrift nur 
ihlehttoeg einen „Mufilum". — Die Melodie „AG bleib mit deiner Gnade“, die er nadı 
Mendet, a. a. D. „verfaßt Haben foll“, it 100 Jahre jünger und von Kaspar Kramer, Reltor 
in Müplhaufen 1641. 

*) Da finden wir 3.®. eine Vox humana im H. W. mit „06 Pfeifen, die Hälfte iR von 
Metall, ein Blötenwert; die andere Hälfte von Vlech, ein Nohewert; beyde auf einem Stode” — 
ein „Gedadt 8° (I. Man.) von Birnbaumbol, die Kerne und Fabia mit Zinn belegt‘, — 
eine „Älöte douce 4, durhans doppelt, in 96 Pfeifen; 48 von Metall, gededt, und 48 von 
Bienbaum, offen,” — im Bed. dem au das große Cis nicht fehlte, einen „Bioldigambenbaß 
von Holz. Ieder Movie giebt 3 Töne an” — einen „Trompetenbaß von Bed. Die Munde 
füce find von Cljebeerhofz in Leinöf gefotten; der Muffeilag des Blattes mit Pergament ber 
fegt, nebft Krüden mit Schrauben“ u. a. Eigentümlice. 


406 Sriedr. Fink. Fiſcher. 


beruf vor umd genoß Frechs Unterricht in der Mufif; als Elementarlehrer in Etutt 
gart fegte er feine mufifafifcjen Studien unter des Stiftsorganiften Kocher Leitung 
mit vegem Eifer fort, und faßte den Entſchluß, ſich ganz der Muſit zu widmen. 
Er beſuchte 1853 und 1854 das Konfervatorium für Mufil zu Leipzig und vollendete 
feine Studien im Orgelſpiel bei Johann Schneider in Dresden. Nach furzem Auf 
enthaft in der Heimat ließ er fih 1856 in Leipzig nieder, wo er ſich mit Muft 
unterricht und Kompofition beſchäftigte, fowie ald Drgelfpieler bei Kirdenfonzerter, 
namentlich des Riedeiſchen Vereins wirkte. Als Nachfolger Frechs übernahm er 
1861 die Stelle des Haupilehrers für Muſik am Seminar und des Organiften und 
Mufitdirektore an der Stadttlirche zu Eßlingen, wo er feitdem mit Erfolg wirkt 
und aud an der Spige eines Dratorienvereins fteht, den er zu ſchöner Peiftungs 
fäbigteit herangebildet hat und mit dem er alljährlich Bedeutende Muſitwerte zur 
Aufführung bringt. 1862 wurde ihm der Titel eines Fönigl. Profeſſors verliehen; 
feit 1877 ift er Mitherausgeber der „Euterpe“. — As Komponift hat Fink eine 
Reihe von Drgel- und lirchlichen Geſaugöwerien veröffentlicht, in denen er ſich ale 
Angehöriger der Mendelsſohnſchen Richtung, gewandt in der Faltur, aber von eins 
ſchwer flüßiger Erfindung zeigt. Bon diefen Werken find hier zu nennen: 
Op. 1. Sonate Nr. 1. G-moll für Orgel. Erfurt, Körner. — Op. 2. 
5 Choralvorfpiele als Trios. Daſ. — Op. 4. Fantafie u. Doppelfuge C-moll 
für Orgel. Rotterdam, de Better. — Op. 6. Sonate Nr. 2. Es-dur für 
Drg. Leipz., Peters. — Op. 8. 5 geiftl, Lieder für gem. Chor. I. Heft. 
Leiyy,, Nieter®. — Op. 10. Die. 1. Heft. Dal. — Op. 19. Sontt 
Nr. 3. D-moll für Org. Erfurt, Körner. — Op. 22, 10 geiftl. Lieder 
für Moor. I. u. II. Het. Seipg., Kahnt. — Op. 23. Fantafie über „Ein 
fefte Burg”, fr Org. Leipz,, Rieter-B. — Op. 28. Der 95. Palm für 
Dior. und Blehinfe. Leipz., Brett. u. 9. — Op. 30. Gebet. Kirdenftid 
für gem. Chor, Streihinftr. u. Orgel. Stuttg., Stürmer. — Op. 31. Der 
67. Pſalm für Mor. u. Org. Berl, Bote u. B. — Op. 32. Bier Choral 
vorfpiele als Trios für Org, Yeipg., Rieter-®. — Op. 3 DMotette für Mer. 
u. Org, Berlin, Bote u. ©. — Op. 37. Oft, Lid Tür gem. Chor. Sig, 
Ebner. Op. 39. 5 Trios oder Choralvorfpiele. Berlin, Bote u. B. — Op. 
64. 65. 85. 66. 67. Leichte und mitteljgwere Orgelftüde für den Satte 
dienft. 4 Hfte. Delitzſch, Pabſt. 


Auch fein jüngerer Bruder Friedrich Fink iſt ein tüchtiger Mufiker und 
teefflicher Organiſt aus der Schule Faißts. Derfelbe ift am 10. März 1841 zu 
Sulzbach geboren, wurde im Seminar zu Ehlingen zum Lehrer gebildet, machte dann 
weitere mufitalifhe Studien am Konſervatorium zu Stuttgart, dem er längere Jahre 
auch als Lehrer angehörte. Jebt ift er Organift an der Leonhardetirche in Stuttgart, 
forvie Lehrer für Orgelfpiel an Speidels Muſihſchule in Stuttgart. 








Fiſcher, . . ., eim zw feiner Zeit mambafter Organift, der 1719 geboren 
wor und als Schüler Bachs galt, bei dem er um 1738 im Leipzig gewefen fein 


Rx. Fiſcher. 6. U. Fiſcher. ©. Fiſcher. 407 


ſoll.) Später Organift zu Schmallalden, bildete er Schüler wie Joh. Georg Bier- 
Ging, ſchrieb tüchtige Drgel- und Klavierwerfe, verfiel aber in Wahnſinn und zer> 
trümmerte in einem Anfall von Tobſucht feine Orgel. Er farb 1770. 


Fiſcher, Karl Auguft, bedeutender Orgelfpieler der Gegenwart; er ift 1829 
zu Ebersdorf bei Chemnig geboren, und bildete fih im Seminar zu Freiberg ale 
Lehrer aus, indem er gleichzeitig unter Anacers Leitung Mufit ftudierte. Durch 
fortgefegte fleifige Übung auf der Orgel brachte er es zu einer Virtuofität auf diefem 
Inftrument, die es ihm ermögligte 1852—1855 mit großem Erfolg Orgellongerte 
an vericiedenen Orten zu geben. Geitdem Lebt er als Organift zu Dresden. — 
ALS Komponift ſuchte er den Drgelftil im Sinne der neudeutſchen Schule zu er- 
weitern, iſt aber dabei Über die Grenzen desfelben hinausgeraten und ftillos gewor- 
den, jo daß feine Werte laum kunſtleriſchen Wert beanſpruchen lönnen. — Es er 
ſchienen: 

Op. 1. Fantaſie u. Fuge Aber „Ein feſte Burg“. Erf., Körner. — 

Op. 2. 3 Adagios für ®. u. Org. Da. — Op. 3. Magio zum Konzert: 

vortr. für Org. Daf. — Op. 4. Fant. über „Wache auf ruft uns“ für 

Org. Tromp., Pol. u. Bauen. Daſ. — Op. 5. Adagio für B. u. Org. 

Dal. — Op. 6. Bialm 122 für Moor, Bar.-Solo u. Org. Daf. — Op. 

16. Jubel-Ouverture für Org, Tromp., Pol. Weimar, Kühn. — Op. 19. 

20. 21. 3 Fant. (Reit. u. Arien) für B. ©. u. Org. Leip., Kahnt. — 

Sinfonie für Orgel u. Orch. 

Fiſcher, Georg Nikolaus, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Organift 
zu Karlsruhe. Er gab 1762 ein „Baden-Durladifches Choralbuch“ zu dem 1761 
eingeführten Badifhen G. B. Heraus. Dasfelde enthält 154 Melodien mit beziffertem 
Baß in alpfabetifger Ordnung und wurde bei Breitopf in Leipzig gedrudt. Vgl. 
Winterfeld, Zur Geſch. Heil. Tont. I. S. 136. 


Fiſcher, Oswald, Kantor und Drganift zu Dauer, ift am 2. Januar 1827 
zu Streppelfof bei Landehut in Schleſien geboren. Nachdem er ſich zum Lehrer 
ausgebildet Hatte, wurde er 1850 Kantor zu Stroppen und feit 1855 wirft er als 
Kantor und Organift zu Dauer. Einen von ihm tomponierten Choral: „Unerforſchlich 
ſei mir immer“, teilen Jatob u. Richter, Ch.B. II. Nr. 1333. ©. 1002 mit, 
Sein Sohn ift der Organift Martin Fiſcher, der 1856 zu Jauer geboren wurde. 
Er beſuchte das Seminar zu Steinau a. d. D., wo Ernft Richter fein Lehrer in 
der Mufif war und fpäter während 31% Jahren das königl. Inſtitut für Kirchen- 
mufit in Berlin, an dem er fpeciell von A. Haupt unterrichtet wurde, Schon 1873 
trat er mit beftem Erfolg öffentlich als Orgelfpieler auf und erregte 1874 am 
ſchleſtſchen Muſitfeſt zu Sauer allgemeine Aufmertfameit. Bon 1876 an wirtte er 
als Mufiflehrer und Organift zu Ludwigehafen a. Rh. und feit 1879 lebt er als 
Organift zu Prenzlau. 

%) Sein Borname if nicht mehr betannt. Daß er Bade Schüter gewefen hat Bitter, 
Bad 1. S. 310, während Spita nichts von ihm weiß. 


408 M. 6. Fiſcher. 


Fiſcher, Michael Gotthard, trefflicer Orgeltomponift und Orgelſpieler; er wer 
am 3. Juni 1773) zu Mad) bei Erfurt geboren und fam frühe nad) (egterer 
Stadt, wo er 1784 zunädt in den Siugechor eintrat und fpäter das Pehrerjeminer 
beſuchte. Hier wurde der ausgezeichnete Ioh. Chr. Kittel, der in pietätvoller Weit 
die Traditionen Bachſcher Kunft zu erhalten gefucht und nad) denfelben eine nit 
geringe Anzahl der beften thüringiſchen Organiften gebildet hat, fein Lehrer im Orgel 
fpiel und der Kompofition, bei dem er den Grund feiner nachmaligen Bedeutung 
fegte. Nach abfolvierten Studien war F. als Lehrer in Erfurt und Jena thätig, 
bis er 1790 als Nachfolger Ioh. Wil. Häßlers, der nad) London und dann nat 
Nußland ging, Organiſt an der Barfüßerfirhe, Konzertmeifter und Dirigent der 
(Häßlerifchen) Winterfonzerte wurde. Später rüdte er al Kittels Nachfolger (1809) 
zum Organiflen an der Predigerfirhe vor und 1816 übernahm er mod; das Ant 
des Hauptlehrers für Muſit am Lehrerſeminar. Doch machte ihm ein Gichtleiden, 
das ihm feit 1814 plagte und immer heftiger auftrat, die Ausübung feiner Kunft 
nad) und nad) unmöglich, fo daß er 1820 fein Organiftenamt niederlegen mußte. 
Nach langen Leiden ftarb er am 12. Januar 1829 zu Erfurt. Als Orgelfomponift 
iſt F. auch Heute noch von entſchiedener Bedeutung: feine Orgelſtücke zeigen bei 
ſchönem geiftigem Gehalt orgelmäßige tHematife Arbeit und dürften daher für den 
Unterricht von bleibendem Werte fein. Beſonders in den kleineren Formen der 
Choralvorfpiels weiß er den Charakter der jeweilig behandelten Melodie meifterhait 
abzufpiegeln und wirffiche Kunſtwerke zu ſchaffen. Auch fein CH-®. zum Erf. 62. 
das er 1820 und 1821 ausarbeitete, ift ein tüchtiges Wert und fand feinerzeit 
weite Verbreitung. Es erfhien unter dem Titel: 





„Shoralmelodien der evangelifcjen Kirchen-Gemeinden, vierftimmig aus 
gefegt mit Bor- und Zimilcenfpielen.” 14. Wert. Gotha, Juftus Perthe 
T. Abthfg. 1820. U. Wbthig. 1821. Du. Fol. 277 Choräl. 486 ©. — 
Eine zweite Aufl, bearbeitete A. &. Witter; fie erfhien als: „vangeliihes 
Ghoralmelodienbud, vierftiimmig ausgejegt mit Bor- und Zwifgenfpielen. Ein 
Choral: und Orgelbuc, zu jedem ©.-®., zunächft zum Dresdn., Exf., Magded. 
Merfeb. u. Mühtg. ©.-B., unter befonderer Verüdfihtigung des Bert. 6.8. 
Durdh einen Anhang von 54 Mel. mit Zmifcenfpielen vervofftändigt.” 2 Ti. 
Erfurt 1846, Körner. — Geine Orgelmere erichienen im folgender Gejamt 
ausgabe: „Rlaffiffe Orgelfompofitionen zum Studium und zum Gebraud beim 
öffentlichen Gottesdienfte.” Neue torrefte Oefamtansgabe. 9 Hefte. Crf., Kömer. 
mit folgendem Inhalt: 12 Drgelftüde. Op. 4. Heft I. — 12 Orgelfidt. 
Op. 4. Heft II. — 12 Orgelft. verfch. Art. Op. 9. — 12 Drgeift. verih 
Art. Op. 10. — 48 Orgelft. für Anfänger. Op. 13. -- Cheralbud. 2 Ze. 
— 24 Orgelftüde. Op. 15. — 8 Choräle mit Begleit. Kanons. Op. 16. — 
6 Orgelfugen. Op. 17. — 6 Choräle mit Beränderungen. 2 Hefte. Op. 18 
— Fuge dorifh. 4°. Daſ. — 6 Fugen aus dem Nadlaß Nr. 1. Cdur. 











1) Die Datum giebt der „Neue Netrol. der Deutſchen. VII. S. 90, während Gerte, 
N. Ler. II. ©. 139 „1764” als Geburtsjahr hat. 


M. d. Fiſcher. — 3. Slitner. 409 


Daſ. — Nachſpiel in C-moll. Daf. — Choral „Deine Lebenszeit verſtreicht · 
und Motette für 4 Sftn. Berl, Trautwein. — 4 Motetten und 4 Arien für 
Singchöre. Leipz., Breit. u. 9. 

Fiſcher, Mag. Bitus, aus Augsburg gebürtig und um 1670 Präceptor zu 
Gaildorf,') der ehmals Limburgiſchen, jegt württembergijhen Oberamtsftadt. Er 
Hat zu des Joh. Heine. Califins „Andägtiger Hausfiche". Nürnberg 1676. 65%) 
neue Melodien gefeßt, die jedoch nicht in lirchlichen Gebrauch übergingen und von 
denen nur eine: „Ah wie hat das Gift der Sünden”. E-moll he dis e 
fis ga g e in den IT. Teil des Frehlinghauſenſchen G.®. 1714. Nr. 241 Gel. 
Ausg. 1741. ©. 372. Nr. 573.) Aufnahme fand. Bol. Wegel, Oymnop. I. S 146. 


Fiftulieren, Filpen, Terminus der Orgelbauer, mit dem fie das fehlerhafte, 
micht gewollte Überblaſen des Tones, wie es bei manden Orgelſtimmen vorkommt, 
bezeichnen. Vgl. darüber den Art. „Überblafen“. 

Flachflöte eine Art der modernen Spigflöte, die in äfteren Orgelwerken zu 
8, 4° und 2° im Manual disponiert wurde und Pfeifenförper von fonifher Form 
und von Metall Hatte. Sie war breit Inbüert, hatte niedrigen Auffcnitt und daher 
fanfte Intonation („daher fie auch fo flach und nicht pompicht klingt“),“) ſchwächer 
als Gemshorn, aber etwas ftärker als Blodflöte. Jetzt wird fie laum mehr von 
der Spipflöfe unterfhieden oder unter eigenem Namen disponiert. 


Slageolet, in älteren Drgelwerten aud unter Forrumpierten Namen wie 
Flafchenet, Flnsnet, als Fistula minima, oder als Bogelpfeife vortommend, ift die 
Hleinfte unter den Dftaven der Orgel, eine offene Labiafftimme mit Pfeifenförpern 
aus Zinn und von Cylinderform; fie wird in großen Werfen als hödite Oftave 
von Oftave 2° (Super-Dttave) mit 1° disponiert. — Nach Schillings Univ.-Ler. II. 
S. 733 foll diefe Stimme in älteren Dispofitionen aud 4‘, ja foger 8° vor- 
kommen; Aolung, Anleitg. zur muf. Gel. 1758. &. 417 fennt fie nur 1° und 
2° und jagt, fie ſei „mit Schwiegel (vgl. den Art.) 1 oder 2 F. einerlei.” 


Flautino, eine Labiolſtimme der Orgel, die mit ihren Pfeifenförpern aus 
Zinn, die oben zugefpißt find, zu den Halbgededten Stimmen zählt, im 2’ Fußton 
gebaut und hie und da auf einem fanfter intonierten Manual an Stele von Dltav 
2° (Super-Oftav) disponiert wird, vor der fie eben wegen der teilweifen Dedung 
einen milderen Ton voraus hat. 

Flitner, Iohann, Erfinder einiger Choralmelodien und Kirchenliederdichter, 
war am 1. November 1618 zu Suhla im Hennebergiſchen, mo fein Vater ein 





+) Nicht „Gailsdorf”, wie Banl, Haudlex. der Tont. I. S. 320 ſchreibt. 
*) Nach Gerber, N. Ler. IL S. 140 nur 64 Melodien; die obige Zahl Hat Döring, 
Shoraltunde. S. 113. 

®) Bal Prätorine, Synt. mus. II. &. 126. 173. 185. 199. Adlung, Anleitg. zur muſ. 
Gel. 1758. &. 417. Derf. Mus. mech. org. 1768. I, ©. 08-04. 


410 Ehrifian Slor. 


Eifenbergwert beſaß und einen Handel mit Eiſenwaren betrieb, geboren, und erhielt 
feine vorbereitende Bildung von 1633 an auf dem Gymnafium zu Schleufingen, 
von wo er 1637 auf die Univerfität Wittenberg abging, um Theologie zu ftudieren. 
Bon 1640-1644 beſuchte er auch nod die Univerfitäten zu Iena, Leipzig und 
Roftod und wurde dann 1644 als Kantor nad Grimmen in Vorpommern berufen, 
wo er von Dftern 1646 zugleich die Stelle eines Diakonus erhielt. Der im Auguft 
1659 ausgebrochene brandenburgifcie Krieg nötigte Flimer nad) Stralfund zu flüchten, 
und hier dichtele und fang er in unfreiwilliger Muße die Lieder jeines „Suscita- 
bulum Musicum®, von denen Ofenrius mit Recht jagt: „fie find von fonderbarer 
Tiefe und herzlichem Troſt.“ Nachdem er unter viel Widerwärtigfeit und Zurüd- 
fegung fein Amt in Grimmen fpäter wieder verwaltet Hatte, trieb ihn 1676 der 
Krieg nochmals zur Flucht nad Stralfund, wo er am 7. Januar 1678 ſtarb. — 
Sein Liederbuch bildet unter dem Titel: 

„Suseitabulum Musicum, d. i. Dufitalifces Wederlein, weldes in ſich 
begreifft allerhand fÄöne, meue und geyftreide Buß-, Veit, Abendmahls-, 
Dank, Morgen, Tifh,, Abend, Himmel, Höllen. und andere Lieder . 
Solches Hat aus den neueften und lieblicften Authoribus verfertiget J. Fli 
nerus, Sula-Hennebergieus, Prediger in Grimmen." Greifswald 1661. 

den 5. Teil feines „Himmlifhen Luſtgärtleins“, eines Erbauungebuches; dasſelbe 
enthält im ganzen 43 Lieder, darunter 11 von ihm felbft gedichtete, von denen er 
10 auch mit eigenen Melodien in dreiftimmigem Tonfag verfehen hat. Es Herrict 
in denfelben „ein gewiſſer weicher, faſt ſchmetzender Fiebeston, der Borklang des 
Halleſchen Piedertones.” Einige derſeiben gingen in das Saubertſche G.B. Nürnt. 
1677 über und die folgenden 3 haben ſich längere Zeit im Kirchengeſang gehalten: 

„Selig, ja felig, wer willig erträget. ddädcecch 
hagg. Diefe Melodie enthält als 2. Teil den für „Eins if not” (vgl. 
den Art.) fpäter benupten wenig firglihen Abgefang im dreiteiligen Tatt; 
Freylinghaufen, Gefamtausg. 1741. ©. 662. Nr. 990 (G. B. IL. Ei. 1714. 
Nr. 453) hat für das Lied 2 neue Melodien: „Ieju, meines Herzent 
Freud“. edeschah, um „Was quälet mein Herz. gg a 
hc. die beiden letzten fanden bereits bei Freylinghauſen feine Aufnahme mehr. 
Über den Urfprung der Melodie zu Flitners Piede „Ah was joll ie 
Sünder magen“, die ihm ebenfalls vielfah zugeſchrieben wurde, dgl. den 
Art. Über dieſe Melodie. 








For, Epriftion, ein namhafter Organiſt an der Johannis- und Lambertus 
tirche zu Plineburg, der in der zweiten" Hälfte des 17. Jahrhunderts blüte und 
1692 farb. Cr Hat zu Ioh. Riſts „Neuem muftfalifcen Seelenparadies“. 2 Tie. 
(. X. 1660. II. Zt. 1662). 164 Melodien mit bejiffertem Vaß tomponiert, in 
denen er fih durchaus von dem modernen Mufifile beherrſcht zeigt, ohne fih jedes 
frei in demfelben bewegen zu können. Außerliche Cffeltmittel, wie die reichliche An— 


Flöte, Flötenfimme, Slötenwerk. 411 


wendung der Chromatif der neuen Tonarten-Verzierungen mit denen er die Melodie 
anfpugt; Wedhfel der Tattart faft nad) jeder Zeile, mit dem er fie zu beleben 
ſucht, find fein Geheimnis. Manierieft im vollften Sinne des Wortes, der durch 
in „neuer Zierlichleit und reinlicher Lieblichteit“ verftandesmäßig ausgeklügelte tril- 
Ternde, Mlingelnde Flosteln an äußerer Bewegung der Melodie erfegen wollte, was 
ihr an innerem Leben mangelte, lonnte er feinen Eingang im Gemeindegejang finden. 


Bei v. Winterfeld, &v. 8..©. II. Notenbeil. S. 168— 171 find 8 diefer 
Melodien mit begiffertem Vah mitgeteilt, von Denen eine einzige: „Redt 


wunderbarlid fand gebauet". a bag fis d.g fis g 8, vor 

übergehend im Kirchengebraud war, 

Ein Nachtomme von ihm war wohl Gottfried Philipp Flor, der um 
1730 als Drganift am der Micaclisfirche zu Küneburg lebte unb bei Matthefon, 
Anhang zu Kiedtens Muf.- Handt. 1721. ©. 192 genannt if. 


Flöte, Flötenſtimme, Flötenwerk in der Orgel. Im weiteften Sinne 
bezeichnet man zunädt alle Labialſtimmen der Orgel, offene, halbgededte und ge 
decte, als Flötenfimmen und unteriheidet fie unter diefem Namen von den 
Zungenftimmen oder Rohrwerlen. In engeren Sinne aber verfteht man darunter 
eine Gruppe von Stimmen, die in ihrem Tondarakter eine mehr oder minder deutlich 
ausgeſprochene Mittelſtellung zwiſchen den Prinzipal. und Gambenftinmen einnehmen 
und als eigentlie Flötenfimmen eine Familie bilden, deren Angehörige eine 
weichere Intonation als erftere und einen volleren, runderen Ton, fowie präcifere 
Anſprache als lebtere haben. Innerhalb diefer Familie Hat die neuere Orgelbaukunſt 
durch mehr oder weniger weſentliche Modifitationen in der Bauart und den Menfur- 
verhäftniffen eine faum beſtimmbare Anzahl von Arten und Abarten herausgebildet, 
die in den Dispofitionen mit den verjdiedenften Namen und Beinamen ſich bezeichnet 
finden. — Bon der gewöhnlichen Bauart der offenen Labialſtimmen find einige 
Flötenſtimmen, wie Flöte 8° u. 4. Flautino 2’ u. a., Die den Übergang vom 
Prinzipal- zum eigentlichen Flötentone bilden, und fid vom erfteren oft nod fo wenig 
entfernen, daß man fie geradezu als Prinzipalflöten bezeichnet findet (5. B. Walter, 
Bofton „Prinzipalflöte 8°"); eine andre Art, die gededten Flötenftimmen, wie 
Gedadtflöte 8°, Flauto fundamento 16‘, flötenba 16° u. 8° u. a., nähert ſich 
nach Menſur und Tondarafter mehr den eigentlichen Bedadten, wie denn z. ®. 
Flauto major 16° u. 8° und Flauto minor 8° u. 4° in manden Dispofitionen 
nichts anderes als wirlliche Gedadte find. Auch die Doppelflöten 16 u. &, 
die gededt und mit Doppellabien verjehen, einen ftärteren Ton als einfache Flöten 
Haben, find mit den Gedadten nahe verwandt. — Einen ſchärferen, helleren Ton 
als die gededten Flötenſtimmen erzielt man durch die eigentümtiche Einrichtung der fehr 
viel angewandten Rohrflöten. Flutes ä pavillon oder à cheminee, wie fie die 
Frangofen nennen —, deren Dedung durch eine eingefligte offene Röhre teilweife 


42 Gufav Flügel. 


befeitigt wird, und die daher zu den Halbgedacten gehören. Zu feteren reine 
3. B. Töpfer aud die onvergierenden Flötenftimmen tie Spigflöte (Spin 
defflöte, Cuspida, Flauto cuspido), Gemshorn (Spilflöte, Spielflöte), Flachfiöte, 
deren Körper fih nad) oben bis auf mehr ale die Hälfte ihres Durchmeſſers am 
Labium verengern, die aber einen weiteren Aufſchnitt Haben, fo daß ihr Ton mehr 
oder weniger Hornartig wird. Am weiteften entfernen fih die Hohlflöäten, wie 
Hohlflöte 16°, 8, 4, Sifflöte 2 u. 1, Waldflöte 4 u. 2‘, vom eigentlichen 
Flötenton, umd geben mit ihrer weiten Menjur (noch weiter als Prinzipalmenfur) 
und ihren ürzeren Körpern einen zwar ftarfen, aber Holen Ton, der fie mehr im die 
Kategorie der Füllftimmen verweift. — Nur eine Heine Anzahl von Flötenſtimmen 
bleibt ſchließlich übrig — die Duerflöte, Traversflöt, Flauto traverso, Flüte 
traversiere, mit ihren Abarten, wie Konzertflöte, Flüte harmonique, Wienerflöt: 
u. a., denen der Namen Flöten im eigentlihen Sinne gegeben werden lann, da 
bei ihrem Bau der ausgefprodene Zweck angeſtrebt wird, den Ton der wirklichen 
Flöte in möglichſt volllommener Weiſe zu erzielen, fo daß einzelne diefer Stimmen 
dann eine Reihe wirklicher Flöten darftellen. Als legte Gruppe der Flötenſtimmen 
find endlich noch diejenigen anzuführen, welde wie z. B. Fernflöte, Zartflöte, 
Sanftflöte, Harmonica, jo gebaut werden, daß fie zwar den Flötenton mod als 
Grundlage, aber zugleich auch mehr oder weniger Strich haben und daher den 
Übergang zu den Gambenflinmen bilden. Als Material für diefe Stimmen ver 
wendet man Birnbaum, oder fogar Buchsbaumholz, dreht und bohrt fie wie wirkliche 
Flöten, giebt ihnen entweder Labien und dann Körper von doppelter Länge, fo deß 
fie Aberblafen (vgl. den Art.), oder läßt fie ſogar durd ein Mundloch von der Seite 
anbfajen. — Zu diefen vericiedenen Flötenflimmen ift noch zu bemerfen, daß manche 
derfelben, wie Rohrflöte, Spigflöte, Gemshorn, Hohlflöte, auch als Nebenſtimmen, 
meift als Quinten gebraucht werden, und daf; über die meiften Näheres in einzelnen 
Artiteln gegeben werden fol. — Flötenwert nennt man öfters eine Abteilung der 
Drgel, die nur Flötenſtimmen enthält ein Pofitiv mit (auter Flötenſtimmen, oder 
auch alle Flötenftimmen einer Orgel zufammengenommen. 


Flügel, Guftav, Organift und fruchtbarer Kirhentomponift, ift am 2. Inli 
1812 zu Nienburg an der Saale geboren und erhielt von 1822 an den erften 
Muſilunterricht vom Kantor Thiele (dem Vater des 1847 zu Berlin verftorbener 
Organiſten Louis Thiele) in dem Dorje Altenburg bei Bernburg. Im legterer 
Stadt befuchte er bis 1827 das Gymnaſium und trat dann in Friedr. Schneidere 
Muſitſchule zu Deflan ein, wo er bis 1830 feine praktiſchen und theoretifcen 
Mufitftudien fortfegte. Hierauf wirkte er am veridiedenen Orten ale Mufiflehrer 
und ließ fih 1840 als folder in Stettin nieder. 1850 folgte er einem Ruf alt 
Lehrer der Mufit am evang. Lehrerſeminar zu Neuwied, erhielt daſelbſt 1856 der 
Titel eines königl. Muſildirettors und kehrte 1859 mad, Stettin zurlid, wo er jeit 


€. Flügel. Flates à bec. Auttnan. C. Foerner. 413 


dem als Kantor und Organift an der Schloßlirche wirtt. — Von feinen zahlreichen 
Werten, die jedoch ihre Bedeutung mehr in ihrem muſitpädagogiſchen als ihrem rein 
tunſlleriſchen Werte Haben, können hier nur Überfihtlih genannt werden: 

1. Stantaten, — liturgiſche —— — — — Lieder fr 

gem. und für Mdor.: 58, 

70. 73. 79. 80. 84. — 2. Sea: E 

71. 72 (Prätudienbuß. 1873. NVI. u. 145 ©. qu. dl. 

82. 83 (Sonate E-dur). — 3. ein Choralbud: „Melodienbuh zur neuen 

Ausgabe des Bolenhagiihen G.B. Stettin 1863. — Cin volftändiges Ber- 

zeihwis feiner Werte giebt er felbft Euterpe 1869. ©. 149. 50. 1874. 

©. 119. 120. 1880. ©. 129. 130. 153. 154. 156. 157. 

Flügel, Ernft, der Sohn des vorigen, ift um 1348 geboren und trat 1864 
zuerft als lavierfpieler auf. Darauf lebte er längere Zeit als Organiſt zu Prenzlau 
und feit 1879 ift er als Nachfolger Hermann Bertholds Kantor und Drganift zu 
St. Eliſabeth in Breslau. Bon feinen bis jet erihienenen Kompofitionen find hier 
zu nennen: 

Op. 18. 10 Ghoralvorfpiele für Drgel. Leipz. Kahnt. — Op. 19. 

6 Drgelftüde für 2 Man. u. Bed. Daj. — Op. 22. Pialm 121. Für gem. 

Chor, Soloft. und Orh. Brest. Hainauer. 

Flütes à bee (eigentlih Schnabel- oder Mundflöte) heißen einige Flöten- 
ftimmen der Drgel, deren Kern durch einen Kleinen Pflock oder Block gebildet wird, 
der als Kernfpalte einen Heinen Ausſchnitt hat. — Über die Blodflöte vgl. den 
Art.: eine eigentlihe Flüte à bec, aud Flüte douce genannt, mit 8° und 
Y Ton und Körpern aus Holz oder Metall, die fih nad) der Mündung zu ver- 
zugern und durch eine ſchräg aufgefegte Platte überdies nod) Halbgededt find, findet 
id da und dort in Dispofitionen, fie fol das veraltete gleichnamige Yolzblasinftru: 
ent nachahmen. Vgl. Adlung, Mus. mech. org. I. ©. 95. 96. 


Fluttuan, eine von Abt Vogler erfundene Labialjtimme, die den Ton des 
Waldhorns (vgl. den Met.) nachahmen follte und auch beffer als die zum gleichen 
Zwede gebauten Zungenftimmen nahahmte. Sie fand als Distantftimme (ihr Bap 
var Quintaton 16) mit 16 Fußten in der nad Voglers Simptifitntiongfyften 
‚ebauten Orgel zu Neu-Ruppin und hatte offene Pfeifen von Budenholg; ihre Mae 
varen nad dem Dresdner Orgelbauermaß: Wanddide 3; Breite Border (Rabium)- 
und Hinterwand 2" 4°, der Seitenwände 2 1; Sorpuslünge des c 3° 7“; 
Höhe des Aufſchnitts 5". Bol. Schilling, ter. I. S. 148-749. 


Soerner,!) Chriftion, ein Orgelbauer des 17. Jahrhunderts, der ſich durch 
ie e Erfindung der Windwage (gl. den Art.) einen bleibenden Namen in der 





*) Der Name wurde and „erner” geſchrieben, vgl. Adlung a. a. O. Richter, Katehismus 
er Orgel. 2. Aufl, 1875. dat ©. 58 „Fömer", ©. 137 „Förmer“ und &. 148 (Regifter) 
ocmals „Förmer“. 


414 A. Soerifch. Solget mir, ruft uns das Leben. 


Geſchichte des Drgelbaues gemacht Hat.‘) Über fein Leben ift bis jegt nur weniges 
befannt: er war 1610 zu Wettin am der Saale, wo fein Bater als Vürgermeifter 
und Zimmermann febte, geboren und erlernte feine Kunſt bei einem Verwandten, 
dem Organiften und Orgelbauer Johann Wilhelm Stegmann dafelbft, bejhräntte 
ſich aber nicht bloß auf dieſe; — „mebft andern Wiffenfchaften hatte er zugleich 
die Meß: und Bewegungstunft nebſt der Hydroftatit und IArometrie begriffen, wo— 
durd er auf folde Einfälle (die Windiwage neinlich) geraten.“ Dgl. Adlung, Ant. 
zur Mufil. Gelahrth. ©. 542. — Bon Drgelwerken, die er gebaut, werden ange 
führt: die Orgel der Ulrichetirche zu Halle, und die auf der Auguſtusburg zu 
Weißenfels 1673. egtere, ein größeres Wert von 33 Stn. für 2 Man. u. Bed. 
mit 3 Bälgen, wurde von Ioh. Kaspar Troft dem Jüngeren in einem eigenen 
Buch, Nürnd. 1677 beſchrieben. Bol. Forte, Allg. Lit. d. Muf. 1792. S. 260. 
Foerner lebte 1677 im feinem 67. Jahre nod im Iedigem Stande und fol dann 
1678 geftorben fein. Er hinterließ ein Wert über Orgelbau: „Volltommener Be: 
right, wie eine Orgel aus wahrem Grunde der Natur in allen ihren Stüden nadı 
Amveifung der mathematifcen Wiſſenſchaften folle gemadt, probiert und gebraudt 
werden, und wie man Giogen nad dem Monochordo menfurieren und giegen fol.“ 
1684. Bergl. Forkel, a. a. D. ©. 258. 


FZoertjch, Adelbert, Orgelbauer, ift am 18. Juni 1826 zu Burgwerden, wo | 
fein Bater Paftor war, geboren. Er trat 1841 bei vouis Wigmann in Nudeftädt, | 
einem Schüler Friedr. Schulzes in die Lehre, die er 1846 beendete, um fih dann 
als Gehülfe in den Werkflätten von Strobel in Srantenhaufen, Schmidt in Magde 
burg, Kühn in Bürenburg und Weldner in Eisleben weiter auszubilden. 1858 
etnöfierte er fih zu Blanfenhain bei Weimar und baute nun während 20 Jahren 
< 50 Meinere umd größere Orgelmerle, meift für die Kirchen der Weimarifern | 
Sande; 1878 trat er fein Gefchäft an feinen feitherigen Gehüffen With. Drecoler 
ob, und lebt feit dem als Privatmann zu Weimar. 


Folget mir, ruft uns das Leben. Zu diefem Liede Riſts ftand fhon 
in deffen „Himmlifcen Liedern", Lüneburg 1652. ©. 248. IV. Teil Nr. 6 eine 
eigene Melodie, Die jedoch nicht im Gebrauch gefommen ift. Dagegen ging die 
folgende aus dem Kreife des Halleſchen Pietismus fammende zweite Weife im den 
Kirdjengebraud; Über; fie heißt bei Freylinghauſen, G. B. 1704. I. Nr. 398. © 
603 (Gefamtausg. 1741. Pro. 941. ©. 626): in 

= FEE=zz==2 



































Folsget mir, ruft uns das es ben, mas ihr bit-tet, will ich ge« ben. 


3) Die Grfindumg wird ihm bezeugt bei Trofl, a a. D. ©. 5. 0. Joh. Georg At, 
Unftruthine oder mufif. Gartenfuf. &. 24 nad, Dr. Ioh. Ofearit Einweifungspredigt der 1667 
zu Halle in der Domfirde von dörner erbauten Orgel. 


Georg Sorker. 415 



































ge-het nur den rechten Steg; fol-get, ih bin ſelbſt her 
— — — 
— tt 
gan-zem Her-zem, id be nehm euch al - fe Schmerzen; fer net von mir 

v2 = — — 

———— — 
ins « ge » mein, fanft und reich von De mut fei 
Als eine weitere Melodie wurde die Weife des 77. und 86. Pjalms der 
Reformierten in die evangeliſcht Kirche herübergenommen, fie heißt im Original bei 
Douen, Clement Marot et le Psautier Huguenot, Paris 1878. I. ©. 650 
u. 662 (bei den Neueren in G-moll Beten u Ehrard, Ausgewählte Pfalmen. 
2. ©. 34 f. Ert, Ch.B. Wr. 114. 































































ee Fe 
Er 

















MonDieujprestemoy Voreille; par ta bon-t& non pareille, 



























= zZ 











respon moyjcar plus n’en puis, tantpoure et af-fi-ge suis. 














2 DE BE 



































gar-de je te priyma vie car de bien faire ay en vi-e. 
— 




















er — 








MonDien gar-de ton seruant, en Ves-poir de toy vin- am 


Eine eigene weitere Weile Hat endlich noch die Württemb. Kirche: fie ift dem 
Stoerlſchen Ch.B. von 1710 entnommen, könnte möglicherweiſe von Stoerl felbit 
erfunden fein, fteht im Württ. Ch.-B. 1844. Nr. 174, mit dem Terte „Gott du 
Sift alleine gitig,” und eißt bei Stäc, Stögel, Ch.B. 1744. Ni. 123 






































































































































Forfter, Georg, ein Arzt und Zonfeger des 16. Jahrhunderts, der durch 
feine großen Sammlungen geiſtlicher und weltliher Dufihwerte der bedeutendften 
Mieifter feiner Zeit nicht nur für die damalige Entwidlung der Kunit, fondern auch 


416 Georg Forſtet. 


„für die hiſtoriſche Erkenntnis diefer Entwiclung nod) jegt von hoher Bedeutung if. 
Sein „Auszug guter alter umd neuer deutſcher Liedlein“ Hat zunächft für die Ger 
ſchichte des alten Bolloliedes großen Wert; nicht geringeren für die Geſchichte des 
evangeliſchen Chorals, da diefe Sammlung nicht nur eine der äfteften Quellen für 
einige Kicchenmelodien ift und Tonfäge über folde von ihm und andern Meiftern 
enthält, fondern befonders auch darum, weil diefe Sammlung einen Blick in die erfte 
Entwidtung des Ehorals aus dem damaligen weltlichen und geiftligen Bolloliede 
eröffnet, wie dies kaum durch ein zweites Wert geſchieht. Bis in die neuefte Zeit 
herein wurde Georg dorſter mit dem 2030. Jahre jüngeren ſächſiſhen Kantor 
und Kopellmeifter Georg Forfter!) verwechſelt und erſt den Forſchungen der 
Gegemvart ift es gelungen, das Duntel, das über feinem Leben und feinen Werten 
fag, einigermaßen aufzuhellen.*) Ort und Zeit feiner Geburt zwar find noch nicht 
ſicher befannt, und mur als wahrſcheinlich fann angenommen werden, daß er um 
1500 zu Nürnberg geboren wurde. Geine erften Studien machte er zu Ingolftadt 
und befudhte dann die Univerfität Heidelberg. Bon feinen Aufenthalt in Heidelberg 
ſpricht er mit befonderer Vorliebe?) und bemertt, daß er am Hofe des Churfürften 
bei Rhein, Pfalggrafen vudwig (reg. von 1514—1532) erzogen worden und von 
dem SKapeflmeifter und Komponiſten Laurentius Lemlin in Gemeinfgaft mit feinen 
tif: und betgefellen“ Stephan Zierler und Kaspar Othmayr in der Muſit 
unterrihtet worden fei. Nach zehnjährigem Aufenthalt dafelbft ging er nach Witten 
berg, wo er ſechs Jahre blieb und „befonders bei Melanchthon und Luther jehr viel 
galt; legterer vergnügte ſich hauptſächlich an feiner Muſik und ließ fih aud Palmen 
und verfhiedene Schriftftellen von ihm komponieren.“ Nach beendigten Studien lebte 


4) Diefer war nad) Walther, Muf.Ler. 1732. ©. 250 zu Annaberg geboren, 1556 Kanter 
zu Zwidau, 1564 zu Annaberg, 1508 Vaffft in der Dresdner Kapelle, und jeil 1580 Kapel- 
meifter, ale weldier er am 16. Oft. 1587 farb. Kompofitionen von ihm feumt man nidt. 

?) Zwar Gatte Walther, a. a. D. &. 254 anf Grund einer Notiz des Schaldus Hender 

in feiner „De arte eanendi. Mücnb. 1640. Bog.-M, 2b. („Quam musicam Joannes Tinc- 
toris in libris proportionum suarum (quorum mihi copiam nuper fecit Georgius For- 
sterus, vir ut literarum et medieinae, ita ct musicae peritissimus) novam artem ap- 
pelat“), den Arzt Forfler vom Kapellmeifler gorſter richtig unterffieden, aber er wurde nidt 
beaditet; alle muf. Xericis. Gerber, N. ker. IL. ©. 170. Gäilling, 2er. 1. ©. 18. Berne: 
dorf II. &. 15. dons III. S. 298 u. 299, felhR noch Mendel. III. 1879, &, 599, fchreiben 
dem Kapellmeifter Forfter alle Werte zu, die dem Arzte gehören, obwohl anch Berter, Haut 
mufit 1840. ©. 5. Ann. auf die Verwecheiung von Neuem aufmerffam gemadit Hatte. 
%) Diefe und die folgenden bioge. Notigen über Forfler finden fi in der Mattf. Gabi 
Worrede zu feiner „Oratio de vita, moribus, doctrina et professione Hippocratis. 
hab. Tübingae in solenni festo medicorum 1. Oft. 1544", im Auszug Überfept bei Wil 
Nürnb. Gelehetenleriton. 1802. Bd. I. S. 315; dann in den Vorrcden Forfler zu den ver 
fiedenen Zeiten feiner Liederſammlung, ſowie in Wittwers Entwurf einer Geſch. des Holz 
der Angie in Nürnberg. S. 12, und iourden zuerft zufammengeflelt von Rob. Einer, Donate 
Yefte, für Mufilgefä). 1. 1869. ©. 3--14 u. 41-40. 








Georg Forfer. 417 


3. als praftifßer Mrzt „in Amberg und Würzburg bei den vornefmften adeligen 
Familien,” 6is ihn der Pahgraf bei Mein und Herzog von Baiern, Wolfgang 
(veg. 15921569), als Yeibarpt nad Heidelberg berief, ald der er dann die Feld- 
züge feines Herrn mitmadhte und, wie cr felbft eräflt, „nad Frantreyd, gezogen, 
iun Geldern, Brabandt, vor Pandrefi, vnnd anderen Orten unter feiner genaden 
vmnd feiner gnaden Putinant, Sehation Bogeloperger feligen unfrem guten. freundt 
mit einander zu felt gelegen, mandesmal nit guten und ftarten genen böslid; gefien, 
Übel getrunden, und Hurt gelegen feynt: End in summa zum didern mal den 
Hunger vnd durft mit einem alten Kedfein gebüffe.” Much nad) Diefen Feldzligen behielt 
ihm der Herzog „mit anfehnfihen Gehalt" bei fi; 1544 aber verlich er feinen 
Dienft und ging mad Nürnberg, um fih danernd dort niederzulafen. Cine Rad: 
riägt von 1551 fagt, dah er als Mt in Nürnberg und Leibanzt des Abtes Friedrich 
zu Heifsbronn angeftllt war; am 12. November 1568 flarb er zu Nrnderg. — 
Schon während feines Aufentfalts zu Wittenberg. hutte Forfter Sieder feiner Zeit: 
genoffen, Yudıwig Senfl, Stepgan Mahı, Thomas Steiger, Cist Dieterih, Wolff 
Srefinger, Jobft vom Brandt, Arnold von Brud, Georg Othmayr u. a, fünie 
älterer Komponiften gefammelt und gab fie dann 1539 als erften Teil feiner ber 
eümten Siederfanmlung unter dem Titel Heraus: 
„Ein aufzug guter alter und never Teutſher liedlein, einer rehten 
Zeutfen art, auff allerlei Anftrumenten zu brauchen, außerlefen.“ Nürnberg, 
130 vienfinmige Sieder entalten. 2. Ausg; 1549, 3. Hug, 182, d. Hung. 
+ Der zweite Teil mit TI Liedern erfhten 1540; 
2. Mc, us, 1558, 4. Ausg. 1565. Der dritte Teil, mit 
Borrede unterzeifgmet: „Nürnberg anı S. Iatohstag 1549. &. Yorfterod der 
Hrguey Dottor" enthält BO Lieder und erfebte die 2. Ausg, 1852, die 3. 
1563. Der vierte Teil mit 40 Sieden erfhien 1856, und der fünfte 
Teil mit 52 Cedern endlich ebenfalls 1556.') Das ganze Wert in feinen 
fünf Teilen emtgält alfo 380 Yieder und unter Diefen von Forfer felift 40 Nrn. 
Die folgenden Choralmelodien Haben in demfelben ihre ätefte gedructe Quelle: 
Tel I. 9. 96, [Dmiprud ih muß dic tafien”) Zonfag von 
i — — 
„Entlaubet i er Walde“ onſatz von 
Teil LM. 61 79H Dant dir, lieber Bere‘) 7 Elolte. 
Augerdem find die 4 nadftejenden Melodien, von denen jedoch nod nicht fher 
machgewiefen if, ob fie von Forfter febft fin,‘) durd) Umdigtungen von Bes- 
paftus IOTI und mauft 1871 als geihlüße Lieder verwendet worden: 


Die genane bibliogr. Belhreibung der 5 Zeile der Sammlung bei Eitner a. a. O., 
fowie in deifen „Bibliogr. der Mufitfanmehnerte des 16. u. 1. Aahrh. Berl. 1877, und in 
Böhme, Atbeutices Siderbui, Keipyig. Die Borreten And abgedeudt bei Wadernagel, Biblio. 
567, und war die zum I. Teil in der erfien Ausgabe: die fümtlichen Vorreden der 5 Teile 
in fpäteren Ausgaben bei Mettenfeiter, Muftgefc. der Oberpfalz. Amberg. 1867. ©. 51 fi. 
) Bol. Winterfeld, Ev. Kirchengeſ. I. ©. 84. 141. 202— 203; er giebt daf. Notenbeil. Nr. 21 
amd) ein Zeilpiel von Forfters Tonfay; wo zum Tenor „Yon Himmel God da omm id) ber,” 
der Disfantus die alte Voltsmeife „Aus fremden Yanden Tomm ich Ger“ jehr gefgidt ausführt. 
Rmmerte, Ancyft. d. enang. Kichenmufl. L. * 























418 Fontniture, Forniture. 


Teil I. Nr. 15. „Vergangen ift mir Gfüd und Heil.“ 

» 1. 120. „Dieweil umbjunft, jegt alle funft.“ 

. DE 5 28. „Vor zeitten was id) lieb und werd.” 

„ I. „ 55. „Nach Luft her id mir außerwelt.“ 
Tonfäge Forfters über Kirchenmelodien finden fid im mehreren Sammlungen 
feiner Zeit; fo in „Trium voeum cantiones centum.“ Nürnberg 1541. 

Nr. 9. „Wohl dem der in Gottes forcht ftet.“ 

„ 18. „Aus tieffer Not fehrey ih zu dir.“ 
und in den „123 geiftficen Gefengen“ Wittenberg 1544 

Nr. 10. „Vom Himmel hoch da fomm ich ber.” 

„ 80. „Tröft mid, o Herr, in meiner not.“ 
Zwei andre große Sammlungen Forfters find der Kirchenmuſik gewidmet und 
entfalten Motetten- und Pfalnenfompofitionen der damals Gedeutendfien Ton- 
feger. Es find: „Seleetissimarum Motetarum partim quinque partim 
quatuor vocum. Tomus primus. D. Georgio Forstero imprimebat 
Joannes Petreius. Norimbergae anno M. D. XL. MH. qu. 4°. Diefe 
Sammlung enthält 27 Motetten zu 4 und 22 Motetten zu 5 Stimmen und 
if dem Senat zu Amberg gewidmet. „Psalmorum selectorum a prae- 
stantissimis musicis in harmonias quatuor aut quinque vocum redac- 
torum. Noribergae apud Joannes Petreius. H. qu. 4 

Tomus primus. M. D. NXXVII. 36 Ren. 

Tomus secundus. M. D. XXXIX. 37 Ren. 

Tomus tertius. M. D. XLII. 40 Nru.) 
Eingefne Kompofitionen Forfters finden fih nad in vericiebenen gleichzeitigen 
Sammlungen, fo in den „Gaffengamerlin“. Frantf. 1535. Mr. 12, — in 
den „Symphoniae jueundae®. Wittenb, 1508. Nr. 8. 9. 23, — in den 
„Officia Paschalia“. Wittend. 1539. Nr. 1, — in den „Vesperarum 
precum officie“. Witten. 1540. 9 Antiphonae super Magniticat_ auf 
Fol. 16. 30. 39. 40. 46. 102. 110. 111. 112. — und in in den „Tri- 
cinia* Wittenb. 1542. Nr. 28. cin Magnificat des 5. Tones in 13 Lurzen 
Sägen für 1. 2. 3. und 4. gleide Stummen,”) 





Fourniture, Fornitura, bei den franzöſiſchen und engliihen Orgelbanern die 
Benennung einer Heineren Mirtur, die im 2. Manual einer größeren Orgel fteht. 
Bol. den Art. „Mirtur.“ 


1) Diefe beiden Sammlungen find beſchrieben bei A. Schmid, Ottavianus dei Petracei 
etc. Wien. 1845. ©. 186 u. 190. 

9) Gerber, N. Lex. II. ©. 171, giebt nad) Dr. Gleichens Dreddniſcher Reformationstiferie, 
Vorberiät ©. 9 die Notiz: „Iu Hans Walter Kantionalen oder Kirhengefängen Iommten ons 
von diefem Morfter Melodien vor“, umd Diefe Motiz if in alle Lrrilas übergegangen. Das 
betreffende Kantional it Walter „Wittembergiid deudſch Geitlic Gelangbüdlein. Mit vier 
und fünff Stimmen, 1544," und die Melodie „Erverft Hat mir das Herz zw dir“, die fi Gier 
unter Nr. 56 mit einem fünfffimmigen Tonfate Walters findet, lann nit mit voller Sicher 
heit Forfter zuge chrieben werben. 








Gnillanme Franc. 49 


Franc, Guillaume, ein Kantor der frangöſiſch reformierten Kirche zu Genf und 
Lauſanne, dem eine jegt als irrtümlich erfannte Tradition die Erfindung der Delo- 
dien des Pſalmbuchs diefer Kirche zugefährieben Hat.!) Er war um 1510 zu Roan 
(Rouen oder Rohan?) als der Sohn eines Maltre Pierre Franc oder Le Franc) 
geboren umd kam, während Calvin im Eril zu Straßburg fih aufhielt (Apr. 1538 
bis Sept. 1541), wahrſcheinlich 1541 nad) Genf, wo er unter dem 17. Juni dieſes 
Dahres die Erlaubnis erhielt, eine Muſitſchule zu Halten („licence de tenir 6eole 
de musique‘) und zugleich als Kantor („chantre“‘) an der Hauptlirhe zu St. 
Veter angeftellt wurde. Sein Gehalt, der anfänglich nur zehn Gulden betrug, wurde, 
weil er fi um den Gefang in Kirhe und Schule bald verdient madte,?) 1543 
auf fünfzig Gulden, fpäter auf Hundert Gulden erhöht und ihm zugleich die Ber 
mugung eines Teil® der Kantormohnung bei St. Peter („maison de la chan- 
terie devant Saint-Pierre“‘, ſowie eines Meinen Kellers unter der Treppe der 
Kirche geftattet. Weil man ihm aber ein neues Geſuch um weitere Gehaltsauf- 
beſſerung abſchlug, nahm er 3. Auguft 1545 mit der Erllärung, daß er mit hundert 
Gulden in Genf nicht (eben könne, feine Entlaffung und ging nad Panfanne, wo 
im fogleid das Kantorat am der Kathedrale übertragen wurde, während in Genf 
Louis Bourgeois (vgl. den Art.) an feine Stelle trat. Auch in Lauſanne ſcheint 
aber feine peluniäre Lage feine beffere geweſen zu fein, denn in einem Zeugnis,) 
das ihm Bez 1552 im Namen des Presbyteriums der Kathedrallirche ausgeftelt, 
wird wieder feine Armut und feine geringe Befoldung, die kaum genüge, ihn mit 
feiner Tranfen Frau und feinen Rindern zu ernähren, Hervorgehoben. Gleichwohl 
blieb er in dieſer Stelle, bis er im Jahr 1570 ſtarb. — Als Fr. nad Lauſanne 
tam, fang man die Pſalmen daſelbſt nicht nad den in Genf gebräuchlichen Melodien, 


H Fitis, Biogr. des Mus. III. &. 308, giebt über Franc folgende Notiz: „Guillaume 
Franc, musicien du seiziöme siecle, a mis en, musique einquante pseaumes de Ma- 
rot. Strasbourg. 1556. in 8%.” und führt dann fort: „Ce sont les melodies qui sont 
restöes en usage chez les protestants de France et de Hollande et qui ont &t& mises 
ä quatre parties par Bourgeois, par Goudimel et par Claudin le Jeune.“ Daß die 
Franeſchen Melodien nicht die jet nad 'gebräufihen find, Hat C. I. Riggenbach, „Der 
Kirdiengef. in Bafel feit der Reformation, mit neuen Auffclüffen über die Anfänge des fran« 
zöſiſchen Bfolmengefangs.“ Baſel. 1870, nachgewieſen. 

?) Granc und Le Franc wird er abwechſelnd in den Protolollen des Genfer Stadiraies 
genannt. 

®) Im bezüglichen Detret des Genfer Rats vom 16. April 1543 heift es: „pour autant 
que I’on parachöve les pseaumes de David et qui est fort n&cössaire de composer 
un chant gracieux sur jceux et que maitre Guillaume, le chantre est bien propre 
pour recorder les enfants — on deeide @’elever son gage.“ Val. Bovet, Histoire du 
Psautier. 1872. ©. 62 fi. 

+) Dies Zeugnis dat. 2, enthält zugleich die Veſcheinigung darliber, daß Franc 
die Pfalmen (nämlid) die fpäteren) in Mufit gelegt Gabe, was and nod) ein Genfer Vrivile- 
gium von 1564 beflätigt. Bot. Winterfeld, Ev. Kirkenge. I. S. 242.248. 

27* 








40 Gnillanme Franc. 


fondern nad; eigenen, don den Kanonifus Gindron feit 1542 eingeführten Weiter, 
die Biret viel leichter und fhöner fand, als die, deren man fid in Genf bediente‘) 
Dod) waren noch nicht alle Palmen umgedihtet und im Gebrauch; erft nad und 
mad) dichtete Bea, der damals Rektor der Atademie zu Lauſanne war, die noch 
fehlenden um und ließ fie im Muſit fegen,*) und lehleres eben durd Franc, der 
dann diefe von ihm erfundenen Pialmmelodien unter dem Namen „chant de l’eglise 
de Lausanne“ im folgendem Werte veröffentlichte: 

„Les Pseaumes mis en Rimes Francoises par Clöment Marot et 
Theodore de Beze, Avec le chant de !’Eglise de Lausanne.“ Par 
Jean Rivery, pour Antoine Vincent. 1565. fi. 8°. Avec privilege 
tant du Roy que des Messieurs de Genöve. 

In der Vorrede dazu erklärt er ſich dahin, daß er feine Melodien nicht cha 
deswegen erfunden Habe, um audere fon im Kirchengebrauch Gefindliche zu va⸗ 
drängen, fondern daß er durch den Nat und Willen folder, deren Amt es ift, mehr 
als ans freiem Willen zur Erfindung derjelben angetrieben worden ſei, indem fie 
ihm als Grund angeführt Haben, „daß fie es flir eine nutliche Sache hielten, wenn 
jeder Bam feine eigene Dielodie hätte. Im Anbetracht deſſen — fo führt er fort — 
Habe ich alle die Gefünge gewählt und beibehalten, welche bis jet ſowohl in dieer, 
als in anderen veformierten Kirchen in Gebraud waren, und was die vor Kurzem 
überjegten anbetrifft, welche ſich nad den Melodien der erſteren Pſalmen richten 
mußten, habe ich jedem fan nad) meinen geringen Kräften eine Melodie beigelegt, 
da Mehrere, welde dieſe Palmen fangen, wegen der Melodien oft den einen Tat 
flatt des andern nahmen.”*) Darnad) hätte er nur für die Palmen, die als neu 
überfegte noch feine eigene Melodie Hatten, ſolche beigegeben; doch ift dies, wie cine 
Vergleichung diejes Pfalmbuds mit den früheren zeigt, nicht ftreng eingehalten und 
3 B. die älteren Melodien des 17. 27. 29 und 132. Pſalms unterdrüdt und 
feine neuen Melodien beigegeben. Im ganzen finden fid in dem Bude 40 neu 
Melodien von Franc zu den Palmen 17. 27. 29. 48. 54. 55. 56. 57. 62. 63. 
64. 65. 66. 67. 68. 70. 71. 75. 76. 78. 82. 83. 85. 94. 95. 98. 100, 
102. 108. 109. 111. 116. 127. 132. 139. 140. 141. 144. 146. 148. 150.) 





') Unter dem 21. Juli 1542 ſchreibt Biret an Calvin: „Decrevimus propediem Psal- 
mos canere quos Gindronus ad numeros composuit, vestris multo faciliores et sna- 
viores, quos malim exeusos fuisse, quam quibus usi sumus.“ 

9) Im Brotetoll des Kirchenrats von Laufanne Heißt es unter dem 24. März 1551: „Le 
Seigneur de Bosse a prösente une suppliention regnerant par icelle Iny permettre 
faire imprim& le rest de pseaumes de David, et les a faict mectre en musi 
que...“ 

9) Diefe Borrede if abgedrudt in den Monatsh. für Mufllgefdi. T. 1869. Nr. 10. 
©. 155-161, umd bei Bovet a. a. O. 

+) Mad} O. Douen, Clöment Marot et le Psantier Huguenot. varis. 1818, I, S. 65% 
entfätt der Bfalter des Franc 46 neue Melodien von ihm: nämlich 27 für Palmen, die nos 








Meldior Frank. 421 


Außerdem find die Melodien von Bialm 77 und 106 wefentlih geändert. Doch 
fand diefer „Chant de Eglise de Lausanne“ wenig Anklang, die älteren Genfer 
Beifen behaupteten ihren Vorrang und traten bald aud) in Laufanne ſelbſt wieder 
am die Stelle der Froneſchen, obwohl den lebleren melodifcer Reiz und mufifalifher 
Bert niit abgeſprochen werden fan.) 


Frand, Melhior, ein fruchtbarer und bedeutender Kirchenlomponiſt aus dem 
Anfang des 17. Jahrhunderts, der um 1575 zu Zittau in der Oberlaufig — ir 
leſius Zittonus nennt er ſich jelbit — geboren war. Wie und wo er den erften 
Grund zu feiner tüchtigen muſilaliſchen Bildung gelegt hat, ift nicht mehr befannt ; 
weitere Studien machte er ohne Zweifel zu Nirnberg, wo wir ihn 1601 als 
Mufiler des Rotes treffen, dem er 1602 feine „eontrapuncti compositi* wid: 
mete. Im dahr 1603 oder 1604 berief ihm der Herzog Johann Kaſimir zu feinem 
Kapellmeifter nad; Koburg; hier verheiratete er ſich 18. Dftober 1607 Und blieb 
nun in diefem Dienfte bis am feinen Tod, der am 1. Juni 1639 erfolgte. — 
Schon in feinem erſten befannten Werte, den 24 Tonfägen der „contrapuncti 
compositi Teutſcher Palmen und Kirhengefing“ 1602, will Frand mit bewußter 
Abfiht den „von unterſchiedlichen Autoribus auf etliche Stimmen in eontrapuncto 
simpliei gefegten Kirdengefängen, die in etlichen Kirchen zu Nürnberg zu dem End 
muficiert werden, damit die Gemeinde zugleich mitfingen und folher Concentus 
die Herzen zu defto mehr Andacht und Beſſerung bewegen möge," Stüde für den 
tunſtmäßigen Chorgefang „im contrapuncto composito fugweiß” Tomponiert 
gegenüberftellen. Wie in dieſem erften Werke, fo pflegt er aud im feinen fpäteren 
zahfreichen Chorwerfen mit Gefhid und Erfolg den alten, breiten Motettenfiyf; und 
wenn er ſich auch bereits von der fnapperen, Turzathmigeren Liedform beeinflußt 
zeigt, fo läßt er ſich duch dieſelbe doch nit in dem Grade einengen, wie Eccard, 
dem er als gleich trefflicher Meiſter des firhlihen Tonfages würdig zur Seite tritt. 
Dabei ift er Mufter im vollen Sinue des Wortes, der die ältere Technit mit 
geiftiger Freiheit beherrfct, die alten Tonarten wenn auch wicht mehr ganz in ihrer 
urfprünglicen Kraft, aber doch noch in ihrer unverwiſchten Eigentiimlichteit behandelt, 
und daher in feinen von allen Härten und Herbigfeiten freien Tonſätzen fid weit 





feine eigenen Weiſen hatten; 5 „substitudes à celles de Bourgeois; 14 substituds & celles 
du continuateur de Bonrgeois.“ 5 derfelben hat Douen a. a, D. S. 658-062 mitgeteilt. 
') Für Prof. Riggenbad in Baſel if es nad Monatsh. für Mufgeih. 1871. 2. 102 
„siemlich wahrjäeinlich" da Franc am einem Teil der noch gebräuchlichen Plahmmelodien 
roenigftens mit Geteifigt or” und zwar bei denen der älteflen der drei Gruppen, in weich 
diejer Foricer „Der Kirgenge. in Bajel”. 1870. &. 57 u. 172 f. die Bfnlmmelodien nad) 
ihrem Alter einteilt. Es {M die Grupbe der 1542 u. 1543 erſchienenen. Zur Gewißfeit it 
dies jedoch noch nicht gebradit a. a. D. S. 80 ff. „And für die zweite Gruppe (neue Delo- 
dien zu einem Teil der Bfalmen Marots und zu den erfien 34 vom We, zifden 1551 und 
1554) fiegt feine Beteiligung wicht aufer der Möglihteit." Riggenbah), Monatsh. a. a. D. 








42 Aelchior Franc. 


Über gleichſtrebende Zeitgenoffen, wie Altenburg, Bodeuſchab, Vulpius, Wallifer u. 
a. erhebt, die bei aller Kunft des Satzes eine gewiffe Dilettantenhafte Weile nicht 
ganz zu überwinden vermochten. — Aber nicht nur für den kirchlichen Chorgefang 
ift Frand von hervorragender Wichtigeit; aud der Gemeindegelang verdankt ihm 
einige der fhönften Melodien feines reihen Choralſchatzes; und wenn die Melodie 
„Derufalem, du hochgebaute Stadt" ihm wirklich zugehört, wie man ziemlich all 
gemein aunimmt, jo wird fie allein als feine „vollendetfte und tieffinnigfte Weite” 
(gl. v. Winterfeld, Ev. K. G. II. S. 75 ff.) feines Namens Gedächtnis erhalten, 
fo lange in der evangelifen Kirche gefungen werden wird. Mit reicher melobifcher 
Erfindungsfraft und einem tiefen Gefühl begabt, Hat er, der fih viel auch mit 
voltstümlihen Mufitformen beſchäftigte (. Deutſche weltliche Geſang und Tänze zur 
Fröfigteit fomponieret“) und für die Entwidlung des Liedes im modernen Sinne 
von nod nicht genfigend gewürdigter Bedeutung ift, bei aller Tiefe der Auffaſſung 
feiner Fiederterte und trog des Einfluſſes italieniſcher Kunſtweiſe, der auch bei ihm 
deutlich zu Tage tritt, doch einen friſchen voltstimfichen Zug in feinen Melodien zu 
bewahren gewußt, der diefelben gegenüber der etwas verftandesmäßig Mihlen nord: 
deutfchen Weiſe Johann Grügers, oder der bereits künſilicher zugeftugten Heinrich 
Alberts vorteilhaft auszeichnet. — Bon feinen Werten, die Gerber, N. ter. II. 
©. 180-182. Beder, Foetis n. a. verzeichnen, find Gier zu mennen: 
\ 1. Contrapuneti compositi Teutfher Palmen und andrer geiſtlicher 
Kicheugefäng.. Nümb. 1602. - 2. Melodiae saorae 5, 6; 7, 8:et. 12 "vor. 
vb: Zeit 1604. II. Zeit 1606. III. Teil 1608; — 3. Geiftliche Geſang mit 
Melodien, meiftens aus dem Hohen Liede Salomonis. 1608. — 4. Vincula 
Natalitia aus neun Pſalmen beftehend. 1611. — 5. Suspiria musica oder 
12 mufitafifche Gebetlein über die Paffion von 4 tn. 1612. — 6. Opus- 
culum etliche" geiflihen Gefänge von 4, 5, 6 i. 8 &tn. 1612. — 
?. Threnodiae Davidione ober te Bußpſalmen. 1616. 8. Die 
troftreihen Worte aus dem 54. Eajü ©. 7, 8, mit 15 Stimmen auf 
a Chören. 1615. — 9. Gi lie mufitaifcher Ouftgarten,. XXNV mit 4, 
6—9 Sm. ‚gefegte Gefänge., I. Teil 1616. — 10. Laudes Dei ves- 
Bertinae, in etfiden teutjchen Gfinmigen Magnificat. 1622. — 11. Newer 
tentfcjer Migmifieat T. TI. IIE. und IV; Teil, mit 4, 5,.6-l. 8 Si, 1622. 
— 12. Gemmulae Evangeliorum. musieae; oder .LX VIE :vierftimnige 
teutſche Meotetten. 1623. — 13. Gemmulae Evangeliorum musieae, oder 
Geiftlich mufifolifces Werdlein, darinnen die fürnembften Cprüd; auß den 
Evangelien zu finden, mit 5 Stimmen tomponiert, 1624. — 14. Sacri con- 
viviü Musica saera, worinne XIV mit 4, D u. 6 Stn. gefegte und be 
Aniniftrierung des heil. Abendmahls zu gebraudiende Lieder und andere Terte 
enthalten find. 1626. — 15. Rosetulum musicum, beftehend- in NXXH 
Stüden mit 4, 5—8 St. 1627. — 16. Psalmodia sacra. 1631. 
17. Paradisns musicus. 1636. — Aus diefen verfietenen Werten runde 
find" bie jet ber TOO Stüde neugedrudt- und‘ dem tirdlichen Chorgeſang 
wieder nuhbar gemacht worden: bei Winterfeld II. Notenbeil. S. 15—22: 
Tucher, Schag 1. Nr. 27. 80. 246. 279. 398, 430; Et, Filig 1. Nr. 47 








Dr. Joh. Wolfgang Franc. 423 


68. 71. 88; Bod, Mus. sacr. VII. Nr. 43. XII. Nr. 45.48. 49. XVI. 
Nr. 69; am meiften nämlich 99 Stüde bei —— Riegel, Say I 
ER 35. u, Nr. 27. 98. 249. 262. 349, IN. 3. 7 2. 
. 7%. 99. 102. 106. 118. 5 “ 
191. 226. 228. 310. 375. 385. 387. 391--39: . 405. 415418. — 
Folgende Melodien von ihm find in den Kirhengefang übergegangen: 
Ad Gott und Herr. (vgl. den Art.) ae 
Ein Würmlein bin ih, arm und Hein aaaabd eis d. 
Witt, Psalm. sacr. 1715. Nr. 679. Yayciz II. Nr. 176. Jatob und 
Richter, Ch.B. U. Nr. 654. 
Gen Himmel aufgefahren if. de fis ga h cis d. Sant. Goth. 
1651. Sayriz II. 195. Yat. u. Richter I. 302. 
Mein liebe Seel, was betrübft du did. afgeddeisd. 
Kant. Goth. 1651. Layriz II. 260. 
O Herre Gott, o Herre Gott. e ggg a8 8. Kant. Goth. 
1657. Sayriz U. 279. 
Wenn id in Todesnöthen bin. aaa c bag a. Ka. Goth. 
1657. Layriz IL. 340. 
D großer Gott von Madt. 
Kant. Goth. 1655. Yayriz IL. 522. 
Was Hilft fein hübſch und fein. g fise dis e dis Layriz II. 552. 
Der Vräutgam wird bald rufe. gahchah. 
Ierufalem, du höhgebaute Stadt. (vgl. ben Art.) 








bedacggabba 





Frand;. Dr. Dehann ‚Wolfgang, war im’ Jahr 1641 zu Hauburg geboren 
und febte dafelbt als Arzt von Beruf. Zugleich aber war er ein tüchtig gehildeter 
Mufifer und bethätigte ſich als ſolcher eifrig bei der Hamburger deutſchen Oper 
ſowöhl· als Kapellmeiſtet (Matthefon giebt “yiı immer Air - Diefen Titeh/rawvie als 
Komporift von "13. Operh, die in den Yahren“ 1679-1686 zur Aufführung 
fanien.!) Urn 1638 ſoli er nad; Spanien gegangen und dort, weil ur "die beſoudere 
Gunſt des Königs Karl II. zu erlangen gewußt’ hatte, von Neidertt vergiftet worden 
fein.) — Er ft hier als Komponiſt der fhönen Melodien zit des Hamburger Pre⸗ 
digers Heinrich Elmenhorſt geiſtüichen Liedern zu nennen. "Diefe Melodien, die erſt 
neuerdings im ihren "Werte. erkannt und durch mehtfache Neunnsgabenzugauglich 
gemnacht töorden find, erichienen urſprümglich in Folgenden Sammlungen Sinner 
ſcher Lieder: 

„Geiſtliche Lieder . . . 3 Teile. Hamburg 1681mit 30 Liedern und 
Melodien; 4. Teil 1632 mit 25 weiteren Liedern iu, Melodien. Diele belden 
Sammlungen zuſannnen in 2: Ausgabe: als. Geiſtlich Geſaugbuch mit Scham 
Wolfg. Frandens, muſitaliſcher Kompofition, Yamb. 1685;" dann in 3. Ans: 
‚nabe, als „Geiſtreiche Lieder , . . ‚anjego bis, auf Hundert vermehret, mit 
DJ Wattier, Bf, Ser. 1792. & 258 führt 11° biefer Opern auf. 
) Bol. v. Winterfeld, Evan. 8. ILS. 500. 





44 Ioh. Friedr. Franke. Sch. Frank, 


ſchönen anmutigen Melodeyen verſehen . . Liimeburg 1700.” Diele legte 
Ausgabe enthält noh 16 weitere Melodien von rand,‘) fo daß im ganzen 
TI ihm zugehören. Die Neuausgaben derfelben find: Geiftlihe Melodien 
Ioh. Wolfg. Frands aus dem 17. Jahrh. mit neuen Texten veriehen von 
Wilh. Ofterwald und für eine Singftinmme mit Vegl. des Pinnoforte neu 
—* von D. 9. Engel. Op. 24. Leipzig 1857. Breitt. u. 9. au. 4°. 

40 ©. mit den 30 Melod. von 1681. — 12 ausgewählte 
—— von Joh. Wolfg. Frong zu Heine. Eimenhorſts geiftlicen Liedern. 
Für eine Singft. mit Begl. des Pf. bearb. und heramsgeg. von Karl Riedel. 
2 Hefte. Leipzig, Wartig. — Zwölf Melodien von Wolfg. Frand zu 
geiftligen Ditungen von Efmenhorft für vierft. gem. Chor gefegt von Array 
dv. Dommer. Leipzig 1863, Rieter-Bied, 


Franke, Iohann Friedrich. Direktor der Gemeindemufit der Brüdergemeinde 
Herenhut und um deren Choralgefang verdient, war am 31. Juli 1717 zu Straut 
Heim bei Weimar geboren und hatte von 1736-1739 Theologie fludiert. Später 
wurde er Mitglied der Gemeinde zu Morienborn, dann Geheimmſchreiber des Grafen 
Zinzendorf und zugleich Mufildirefter in Herruhut. Nach des Orafen Tod 1765 
ging er nach der Schweiz, wo er die Mädchenerzichungsanſtalt zu Montmirail 
gründete und am 23. November 1780 zu Bafel fterb. Unter feiner Mitwirtung 
wurde namentlich das fogen. Große Londoner Brüder GB. („At und Neuer 
Vrüder-Gefang.“ 2 Teile 1753 u. 1755) musgenrbeitet; von ihm ift die Melodie 
des in der Gemeinde gebräudligen Aaronitiſchen Segensgefanges „Segne und ber 
hüte.” aa I h ga fis. Bol. Dölter, Geiftl. Lieder. 5. Aufl. 1876. Nr. 111. 
en. 


Frank, drei Brüder und Göhne „eines Handelömannes und Bormundes 
gemeiner Stadt” zu Schleufingen, die als Erfinder von Melodien zu von ihnen 
felbft gedichteten Kirchenliedern der Geſchichte der evangelifhen Kirhenmufit ange: 
hören. Der ültefte derfelben, Sebaftian Frant, war am 18. Januar 1606 
zu Schleufingen geboren, ftudierte von 1625 an zu Straßburg und Feipzig Theologie 
und wor dann unter den Stürmen des dreißigiährigen Krieges von wechſelvollem 
Gefdid umhergetrieben Korreltor in einer YBucdruderei zu Franffurt a. M. und 
Hauslehrer, dann 1632 Schulinfpettor in jeiner Baterftadt, 1634 Pfarrer zu Lauter 
bach im Stifte Fulda, 1636 zu Gerode und Play in Franfen, 1643 zu Zeil und 
Weipoldshaufen und endfih Diafonus zu Schweinfurt, wo er am 12. April 1608 
ftarb. — Er wird als ein „trefflicher Inftrumentafmufifus” gerühmt, vgl. Winter 
feld, Ev. K. G. II. ©. 468; von feinen geiſtlichen Melodien, von denen Winter 
feld. a. a. O. I. Notenbeil. ©. 174 eine mitteilt, iſt jedoch feine in kirchlicher 
Gebrauch geltommen. — Der zweite der Brüder, Michael Fraut, war am 16 





1) Die Übrigen 20 Mr. dirfer Ausgabe find vom Georg Vöhm (Bat. den Art). 24 Nr. 
and Peter Gaurentins Wodenfuß. 5 Nr. Bgl. Koch, Gel. des KL. V. 9. 308.360. | 


Dr. Rob. Franz. 425 


März 1609 geboren; ex beſuchte mit außergewöhnlichem Erfolg die Schule zu 
Schleufingen, mußte aber dann, weil die beichränften Verhättniffe feiner Eltern, 
wiſſenſchaftliche Studien nicht geftatteten, das Bäcerhandwert erlernen und wurde 
23, Oftober 1628 Meifter desfelben, das er dann bis 1640 trieb. Infolge der 
Kriegsunrußen verarmt, flüchtete er nad) Koburg, wo er 1644 Schullollege wurde. 
Mit Liebe widmete er ſich nun nicht nur feinen Lehrerberufe, fondern aud) der geift- 
lichen Dichttunſt und Mufil und erreichte es, daß ihn Johann Rift 1659 als Dichter 
frönen und unter den Namen „Staurophilus® (Freund des Kreuzes) in den Elb— 
chwanorden aufnehmen fonnte. Ex farb zu Kohurg am 24. September 1667. — 
Bon ihm erſchien 
„Geiſtliches Harpifenfpiel” aus 30 vierftimmigen Arien und einem Gen.®. 
beftehend. Soburg 1657. — „Geiftliche Lieder erftes Zwölf.“ In Noten mit 

4 Stimmen. Koburg 1662. — Aus dieſen beiden Sammlungen find 10 

Lieder in die Kirchen G. BB. übergegangen, von den Melodien, die er denfelben 

mitgab, Haben fih erhalte 
Ach wie nichtig, ach wie flüchtig. (Bol. den Art.) 
Kein Ständlein geht dahin. ac b a a . Kari, dem I. Nr. 244. 
Ert, CB. Rr. 158. Int. u. Rihter, Ch. B. IL. 9 

Sei Gott getren, Halt feinen Bund ffefgahe. — Kern III. 
Nr. 555. 

Belt, gute Naht, mit deiner Pracht. (Bgl. den Art, „Gott ift mein Hort.“) 

Was mid) auf diefer Welt betrübt. g g a hc d ec h. Dat. u. Richter, 
Ch.B. II. Nr. 1215. 

Der jüngfte Bruder, Peter Frank, war am 27. September 1616 zu 
Schleufingen geboren: er ftudierte von 1636 am zu Jena Theologie, ging dann 
1640 nod auf die Univerfität zu Altorf, und wirkte von 1643 an als Hofmeifter, 
bis er 1645 eine Stelle als Pfarrer erhielt. Als folder wirkte er an verſchiedenen 
Orten in Franken, zulegt in Gleußen und Herreth im Koburgiihen, wo er am 22, 
Juni 1675 farb. Zwei Lieder mit Melodien von ihm: 

Auf Zion auf, anf Toter ſäume nicht. d fis gis aa ha gis fis e. 

Shrifus, Chriſtus, Chriſtus ift, dem ich mid ergebe. dadahafı 

fis e fis a gis a. 

fanden Aufnahme bei Frepfinghaufen 1704 und bei König 1738, verſchwanden 

aber bald aus dem firhlihen Gebraud). 














Franz, Dr. Robert, der tieffinnige mufttalifche vyriter und teffliche Bearbeiter 
von Werten älterer Kirhenmufit ift Hier nur nad leblerer Seite feiner Mnftlerifhen 
Thätigfeit zu betrachten. Geboren am 28. Iumi 1815 zu Halle an der Sale, 
erlangte er in den Schulen der Frandefchen Stiftungen dafelöft feine Schulbildung, 
während er ſich die erften Renntniffe in der Mufil, im Klavier: und Orgelſpiel 
gegen den Willen feiner Familie, die ihn für einen geleheten Beruf beftimmt hatte, 
durch eifrige Selbſiſtudien und unter fhägenswerter Veihülfe des Kanters und Dr: 


426 Dr. Rob. Stanz. 


ganiften Karl Gottlieb Abela erwarb. Nachdem er den zähen Widerftand fein 
Familie gegen die Wahl der Mufit zu feinem Lebensberuf überwunden Hatte, is 
er 1835 zu Br. Schmeider nach Deffau, wo er im zioeijährigem Kurſus nicht ar 
die Übungen in Mavier- und Orgelſpiel fortfegte, jondern auch gründliche Studien 
in der Harmonie: und Kompofitionsiehre machte. Nach Halle zurüdgetehet, ich m 
hier 1843 feine erften Lieder erfcheinen, deren Bedeutung von den beften der der 
maligen Zeit (Rob. Schumann, Dendelsjohn, Gade, Chopin, Henfelt u. a.) mit 
freudiger Anerlennung fofort erfannt und hervorgehoben wurde. Als pratüſcher 
Mufiter bethätigte ſich Fr., folange ein ſchon 1841 ſich zeigendes und in der Folke 
immer mehr fid) fteigerndes nervöfes Gehörleiden ihm dies geftatten wollte, in dem 
Amte eines Drganiften an der Utrichstirche und der treffligen Leitung der Sing: 
atademie, wie er auch als Docent der Umiverfität Vorleſungen über Mufit Hielt. Cat 
1868 Hat er, durch fein Gehörleiden gezwungen, jede öffentliche Thätigleit aufgeben 
müffen. — Von Franz Bearbeitungen älterer Werke, über die er ſich in zwei Schriften‘) 
ſelbſt ausgeſprochen Hat, tommen für die Zwece unfres Buches mur in Betracht: Bade 
Matthäus-Baffion, Magnififat in D-dur, Weihnachts Oratorium und I1 Kirdentar: 
taten. Der Bearbeiter Hat dieſe Werte zunächſt zum Konzertgebrauch eingerichtet, inden 
er da, wo die Begleitung nur in einem bezifferten Baßz gegeben ift, dieſelbe nad) der 
Bezifferung, umd wo auch diefe fehlt, fireng im Stife des Komponiften ausgeführt, 
wo ‘fegt abgekonnnene Inftrumente?) verwendet find, ſolche durch die entſprechenden 
des modernen Orcheſters erſetzt; wo für einzelne, namentlich) Blaslnſttumente abſolut 
unausfuhrbare Vaſſagenꝰ) vorliegen, dieſelben durch Übertragung” an andre Infira- 
mente von möglichft entſprechender Wirkung ausführber gemacht, too "mdlid‘ Cätt 
fiir‘ Inſtrumente des heutigen Orcheſters, ofme Schwierigkeiten in der Ausftthrung 
ju bieten, vorhanden find, aber gleichwohl, als im Sinne der dainafigen"Deeher: 
äufantmenfegung gedocht, mit dem modernen großen Orcheſter ausgeführt, eine den 
Intentionen des Komponiften entfprehende Wirkung nicht zu erzielen vermädten,Y 
die Setreffenden, Inftrumente verflirtt Hat. Ob foldhe Bearbeitung berehtigt fi der 
nicht, darüber iſt neuerdings ein heftiger Streit entftanden, der zur Stunde mob 
nicht entf ieden und über den im Art, „Begleitung“ näheres bereits nıitgeteift: wurde 

i) „Ditteifungen über Joh. Seb. Bags Magnifttat.” Halle 1863.84. lab "Offen 
Brief an Eduard Hansfid Über Bearbeitungen äfterer Tomverfe, ttamenilic “Badjiser und 
Hãudelſcher Vokalmufit. Leipzig 1871. 8%. 2 

9) 3. ©, die Zinten oder Kornetti, — die Oboe d’’amore u. a. ' AiNih 

%) 3.8, einzelne Trompeten (Bad Hatte arten); "Baflagen ine Mugnifitet ui dee 
Pingfttattate, für deren hohe Stellen Frang C-Alnrinetten verwendet, deren zwar turiget 
voller, aber durchdringender Tou deu hoben Frompetentönen am meiften entfprict., 
1.9.3: 8. Solapartien von Blasinfrumenten, den 13 Streihinfirumenten des Quartett 
im Bachhen und den 50-60 Juftrumenten im heutigen großen DOrgefter gegenüber. Im 
Shor ‚Lab in Tsusigen® der Matthndhe ſon verfärtt Bra, Der Dir dam Eher min Co 
tett gegenüberfefenden Flöten, ins min 











Ih. Georg Frech. 47 


Rum mag man ja zugefichen, dag wenn einmal Bachs Kantaten ihren einzig richtigen 
Bay in der Kirche wieder zuricgervonnen Haben werden, und wenn bei deren fird- 
licher Ausführung namentlich der Orgel die ihr dabei gebührende Stellung wieder 
eingeräumt fein wird, die Bearbeitungen in mandjen Partien Überflüffig erſcheinen 
dürften; aber andrerfeits wird auch anzuertennen fein, dak die Franzichen Bearbei- 
tungen aus tiefftem Verſtändniſſe Vachſden Geiſtes berborgegangen umd meifterhafte 
Seiftungen find. 


Frech, Johann Georg, Mufifdireftor und Organift zu Ehlingen, war am 17. 
Januar 1790 zu Kaltenthal bei Stuttgart, wo fein Vater ald Uhr- und Orgel: 
macher lebte, geboren. Er beſuchte das Gymnaſium zu Stuttgart und nahm zugleich 
Unterricht in der Mufit; auch als er ſchon in feinem 16. Jahre 1806 zu Degerloch 
als Lehrer amgeftellt wurde, fegte er feine Studien in der Muſit im nahen Stuttgart 
fort und Gildete ſich zu einem tüdtigen Muſiker aus. 1811 fam er als Hilfelehrer 
nad Eßlingen, mo er fhon im nächften Jahr als Muſillehrer am dem neuerrichteten 
Fefrerfeminar verwendet wurde. Bald wurde ihm der Mufltunterricht an diefer Une 
ftalt ganz übertragen, und 1820 erhielt er noch das Amt eines ſtädtiſchen Muſik- 
direftor8 und Drganiften an der Haupttirche zu Eplingen. Im diefen Amtern 
wirtte er im nahezu 50 Jahre md. bildete während diefer Zeit gegen 2000 Se— 
mindriften zu Nanteren umd Orgmiften heran, 1860: trat er in den: Ruheſtand 
and flerb zw Eßlingen am 23. Yuguft 1864. — Frech hat auf dem Gebiete des 
wtntinbergiſchen Kirchengeſanges in GemeinfGart: mit Roder und Silcher eine tege 
Thatigteit entfaltet Das Wirkt. Ch-8. von 1828, durch welches ein Vierftinmiger 
Gemeindegefang eingeführt werden ſollte, iſt das gemeinſame Wert der: drei Wanner, 
und aud bei Herausgabe, des Württ. Ch-B. von 1844 waren fie beteiligt, Frech 
benrbeitete einen Teil der Zwiſchenſpiele, nämlich zu den Chorälen Nr. 1-69; 
außerdem benebeiteten fie noch gemeinfhaftlih das 1851 erichienene „Orgelipielbud.“ 
Zu Viefemj: wie fon zum CH-B. von 1828 ſchrieb Fred) die einleitende Abhand- 
fang „Über Eitrihtung und Behandlung der Orgel," ſowie „Andentüngen Über den 
Unterridt ini Drgelfpiel,“ (Orgelſpieib. 1851. &. 1--80. 4%. Fur dieſe 
Ch. BB. Hat er im ganzen 22 Choräle fomponiert, von denen 20 im’ Ch.-®. von 
1828 erfcjienen und zwei (refp. 4) aus Ch-⸗B. von 1844 ih erhaften Haben. 
Die leeren ind: ä ano cl il ar 

Ewig, ewig bin id dein. g 8 & „ Eh 6.8. 1888. 
Nr. 113. Ch. Mel. B. 1844. Nr. 224. 

Wohlauf mein Herz, verlaß die Bei 1823. 8 de chag 
aah. Ch.B. 1828. Nr. 18. Ch-®. 1844. Nr. og 

"Singi unfrem Gott ein dankvoll Lied. a dafıs hang fis. 
&h.-8. 1828. Nr. 135, Ch. Mel. B. 1844. („Die Ernt iſt da iR) 
Nr. 226. 











428 R. 6. Freudenberg. Fren did) fehr, o meine Seele, 


Kehre wieder, kehre wieder. 1843. fis a fis d’hn ag fis. 
CB. 1844. Nr. 199. 

Seine Orgelftücde von wenig ergelmäßigem und noch weniger kirchlichem 
Charakter find durch einige der beſſern rn. noch im Orgelipielbud von 1851 
vertreten; feine Figuralgefänge, die ebenfalls „mehr lieblihen, als kirch 
lien Charakter, am wenigften uͤrchlichen Stil zeigen,“ bis auf den beliebten 
Grabgefang „Süß und ruhig iſt der Schlummer“ verholfen. 


Freudenberg, Karl Gottlieb, Organift in Breslau, war am 15. Januar 
1797 zu Sipta, einem Dorfe bei Trachenberg in Schleſien geboren. Nachdem cr 
als Vorbereitung für das Studium der Theologie das Gymnaſium abfolviert hatte, 
machte er 1814 1815 als Freiwilliger die Befreiungstriege mit, und entſchloß ſich, 
als ex nach Haufe zurüchekehrt war, ſtatt die theologiſchen Studien fortzufegen, zur 
Muſit Überzugehen. Er machte zunäcft bei dem Kantor Mein in Schmiedeberg 
Studien im Orgelfpiel und in der Harmonielehre, ging dann, um dieſelben fortzu 
ſetzen nach Breslau, wo Fr. W. Berner und Schnabel feine Lehrer waren, und 
vollendete fie ſchließlich an der meugegründeten Organiſtenſchule (f. Inftitut für 
Kirhenmufit) zu Berlin, unter Zelter und Rein, wo er zugleich die Logierſche Methode 
des gemeinjamen Mufitunterrichts fennen lernte. Nach Breslau zurüdgelehrt, gründete 
er 1823 ein Mufitinftitut nad) Logiers Syftem und wurde 1827 Ober-Organift an 
St. Maria-Magdalena. Diefe Stelle verwaltete er mit voller Hingebung und 
mufterhafter Treue bis in fein hohes Alter und erwarb fih als Künftler und Menjch 
allgemeine Hochachtung. Er ſtarb am 13. Aprit 1369 zu Breslau. — Bon feinen 
Werlen ift mır weniges erſchienen; hier find zu nennen: 


Op. 4. 4 Prälubien zu den Liedern „Wie groß ift des Al.” — „Ein 
feite Buͤrg — „Herzlich, Geb Hab ih“ — „D Traurigkeit." Brest., Leudart. 
— Op. 6. Der 7. Iuni 1840. ITranertlänge für Orgel, Dai. Op. 3. Der 
70. Palm für 4 Stn. mit Orch. Brest, Cranz. — Nagh feinem Tode er 
ibien: „Aus dem Leben eines alten Organiften. Na den hinterlaflenen Pı- 
pieren 8. ©. Frs. bearbeitet und herausgeg. von W. Biol, Brest. 1870. 
Leuclart. 8°. 


Freu dich jehr, o meine Seele, Choral, der, aus dem Pfalnubucd der 
frauzoſiſch reformierten Kirche Herübergenommen, im ewangelifcien Kirchengeſang vom 
Anfang des 17. Jahrhunderts ab ſich allgemein eingebürgert und verbreitet hat 
Die Melodie gehört dem 42. Palm an umd erſcheint mit demfelben zuerft in einer 
Genfer Pſalmenausgabe von 1554; dann mit dem noch zu derfelben gebräuchlicher 
Tonfag Klaude Goudimels in deſſen vierſtimmigen Pfaimbuch 1565. Dort keikt 
die Melodie im Tenor und mit Goudimels Originaltonjag, der hier nur in moderne 
Partitur gebracht ift, während er dort in C-dur mit verjegten Schlüffeln ftcht: 


‚Freu did) fehr, o meine Seele. 429 
















Diskant, — — = 

— 
Alt, EBD BGG 

j J 

Aran. Tert. SComme un cerf alti-re bra-mo 

in-si son- pi - ro mon a - me, Seig 
Tenor. — = — — 
Melodie, — Pr — — > 
Lobmaffers ie nach ei + mer Wafefer-quel 
Überfegung. fo aus) mein’ ar - me Ser 

B 

nals. = 














2* — — > - 
gg GG 7 
ne 


en aux, ene a soif du Dienvi-vant et s'ée- rie enel-le sui-vant: 



























(ruisseaux; 
— — Dre— oe —— 
= — — = 
er Nach dir, fe» bemdi-ger Gott, fie dürft'tumd Ber- Ian gen hat: 








De Ze 
Er} 




















monDien, monDienquand sera-ce 
eo — 





daß ich dein Ant- Fig mag fer ben. 


















Im der befannten deutfhen Verſion des franzöſiſchen Palmbuds von Dr. 
Ambrofius Lobwaſſer. Leipzig 1573. Blatt 7 Vb ift fie deſſen Lied über den 42, 
Palm „Wie nach einer Wafterquelle" beigegeben, don dem fie ihren urfprüngfichen 
deutſchen Namen erhielt. Mit ihrem jetigen Tert „üren Dich fehr, o meine Seele“ 
(vgl. über denſelben Fiſcher, K-Lter. I. S. 193-194) erſchien fie erſtmals 
im Chriftoph Vemantius „Tihrenodiae" 1620. ©. 543, und weil fie von hier aus 
in den evangelifcien Kirchengeſang überging, ſchrieb man fie fait bis in die Gegen 
wart herein dem Demantius als Erfinder zu.) Sie heißt: 

) &0 4. 8. nad Mud, Biogr. Rotigen über die Choraf-Komponiflen im Bair. Ch. B 
Zrlangen 1823. ©. 19, das Witt. €-®. 1829. 9. 37. u. 9 


430 Scene dich erlöfle Schar. Frenet end; ihr Chriſſen alle. 

















— — 
ir 

ren dich ſcht. 0, meine Ser Te, umdver-giß all Not und Oual, 
Weil diG num Chri-fius dein Her + ve cuftans Die » fem Sammer + thal, 























es zrzn zen: 


aus Trub ſal umd gro - fem Leid fol du fahren in Die Freud, 





— 

































————— —— 
die fein Ohr je hat ge ret, und im Erwig-feit and wäh ret. 
Die traditionelle Annahme, daß die Melodie urſprunglich eine weltliche geweſen 
ſei (ein Jagdlied oder eine Bransle, eine alte Tanzform), nach der Heinrich IV, von 
Frantreich den Maroticen Palm „Ainsi quon oyt le cerf braire“ geſungen 
Habe, dgl. Winterfeld, Ev. Kirhengef. I. ©. 239. 250. ift nicht nadweisbar,') 
obwohl diefelbe den Ton der alten Vollsweiſe anfchlügt. 


Freue dich erlöfte Schar, Kantate zum Seite Johannis "des Täufers (24. 
Iuni 1738) von Seh. Bad). Sie gründet ih auf die weltlide Kantate „Ange 
nehmes Wiederau“ und ſchließt mit dem Choral „Freu dich ſehr o meine Seele“ 
zu Strophe 3 („Eine Stimme läßt fih Hören") des Liedes „Tröftet, tröftet meine 
Lieben“ von Joh. Dlearius. Bol. Cpitte, Vach II. ©. 557. 


Freuet euch ihr Ehriften alle, ein „originelles Weihnachtsjubellied mit 
wahrhaft feftlihem Refrain" (Stier, Gefangbudsnot. Leipzig 1838. ©. 147) von 
Chriſtian Keymann in Zittau 1646, das durch Andreas Hammerjhmidt auch ſogleich 
feine Melodie erhielt. Dieſelbe erſchien als Teil einer größeren Weihnadtsmuft in 
„Vierter Theill Muſicaliſcher Andachten, Geiftliger Moteten vndt Concerten, Mit 5. 
6. 7. 8. 9. 10. 12 vnd mehr Stimmen . . . componirt von Andrea Hamerjhmiden. 
Freyberg in Meifien. M. DC. XLVI. Nr. 24. (datirt „Zitta den 1. May 1646“ 
und ging mit dem Liede bald in die Kirchengeſangbüͤcher über. Sie heißt: 














') Allerdings berichtet Florimond de Nemond, Mist. de la naissance et progrös de 
Yh6rdsie. Vordeaur 1572. ©. 284 ff, daß die Plalmen Marots anfangs nict in Ruft 
geieht waren „comme on les voit anjoud’hui pour estre chanter au presche,“ daß vie 
mehr „chacun y donnoit tel air que bon Ini semblait, et ordinairoment des vaux-de- 
ville.“ &o Gabe z. 8. Kotharina v Medicie den 6. Pialm „avec un air sur le chant des 
bouffons,* Heinid) IV. den 42. Palm „en bransle de Poiton“ und die fhöne Dusiefe de 
Vafentineis den 130. Bfalın, das De profundis gar „sur un air de volte (Volte, ein 
alte Tanyform im Dreitafı) gefungen. gl. Bovet, Hist. du Psantier. 1872. ©. 57. Alk: 
es if eben nicht erweislich daß gerade diefe Melodien in den Pfalter der Keformierten her 
Übergenommen wurden, wie ned Ebrard, Ag. literar. Anzeiger 1872. &d. X. Heft 6. ©. 12: 
ofme weiteres annimunt, 


Freut end) ihr lieben Chriſten. 41 


E — — TY 
pe m re PIE PerE a Ze 


Freu · et euch ihr Chriften alle, fren-e ſich wer immer tann, 
































——— — — 
It k 
@ott Sat viel am uns gestfan: frewet buch mit gro-Beim&dal-e, daß er ms fo 















































——— — 

— 
hoch ge· acht, ſich mit uns berfremmdt ge> madıt. Freu-de, Freu-de, ü-ber Freude, 

Sr — — = 
Her 
Ehri-fius meheret al Tem Lei- de: Wonne, Won- ne, > ber Wonene, 


— 

er if die Ger na den-fon« ne. 

Sch. Bad) Hat die Melodie mit der 4. Strophe des Liedes (, Jeſu nimm dich 

deiner Glieder“) als Schlußhoral der Kantate zum 2. Weihnachtsfeiertag (1723) 

„Dazu iſt erſchienen der Sohn Gottes“ in einem trefflihen Tonfag verwendet. 

Ausg. Bad-Gej. VII. Nr. 40. Bgl. Spitta, Bad I. ©. 212 ff. und Ert, Bachs 
Ch. Geſ. 1. Nr. 39. 


Freut euch ihr lieben Chriften, Choral. Das Lied erſcheint zuerſt „als 
ein mew lied don der Geburt Chrifti” im Magdeb. ©.-B. 1540 (vgl. Wadernagel, 
RL. II. Nr. 991), Heißt aber in der Anfangszeile nur „Freut euch je Chriften* 
und erft im Leipz. GB. 1582 erhält es die Verlängerung „lieben“. 

Die Melodie, wahrſcheinlich dem Vollsgeſang des 16. Jahrhunderts ent, 
ſtammend, ift von den alten Kirchentonſehern vieifach in ſchönen Tonfägen behandetl 
worden; einer der älteften diefer Tonfäge, in dem man fie bis jegt fand, ift der 
neuerdings wieder ziemlich befannt gewordene aus den „Weihmadtsliedlein" von 
Leonhard Schröter (vgl. den Art.) 1585. Dies hat veranfaft, daß man diefem 
Tonfeger auch die Erfindung der Melodie zuſchrieb) ohne irgend welden andern 
Grund hiefür zw haben. d. Tucher (Schay II. S. 389) führt als ältefte Quelle 
das Dresdner G.B. 1593 an; bei ihm (a. a. ©. Nr. 311) Heißt fie nad Prü- 


torius, Muf. ion. VO. 1609: 
— Be Eee] 


Kira euß, ihr Tiesben  Chri-fen, feet enh von Herszen ſeh 
Euh in gerbo-cen Ehrirfimetteht gu «de men. e Dil 













































































— 
















































) Nach d. Winterſelds Vorgang, Koch, Geſch. des KL. I. S. 354, Döring, Choral 
kunde. ©. 44 u.a 


432 Freylinghanfen und fein Gefangbud). 












Es fin»gen uns die Eu— gel aus Bot-tes Go-hem Thron, gar lieb lich 

















chun fie finsgen, fücwahren FÜ «hen Tom. 


Freylinghauſen und fein Geſaugbuch. Zu Halle, das um die Wende 
des 17. und 18. Jahrhunderts durd Männer wie Auguft Hermann Frande und 
Joachim Juſtus Breithaupt zum Mittelpunft und zur Hauptſtätte des Pietismus 
und feiner durch und durch fubjeftiven veligiöfen Yebensanfgauung geworden war, 
erſchien 1704 (Voreede vom 22. Sept. 1703) unter dem Titel: „Geiftreihes Ge 
fangbud), den Kern after und newer Lieder, wie aud die Noten der unbekannten 
Melodeyen in fih haltend,“ ein Bud, das als der volle Ausdrud der pietiſtiſchen 
Lebensanſchauung fih darftellt und für die ganze folgende Entwidlung des edange 
liſchen Gemeindegejangs von einſchneidendſter Bedeutung geworden ift. Der Sammiler 
und Herausgeber desfelen, Johann Anaſtaſius Freylinghaufen, der fang 
jährige treue Gehilfe und fpätere Nachfolger Frandes, war am 2. Dezember 1670 
zu Gandersheim im Fürftentum Wolfenbüttel, wo fein Vater als Kaufmann uud 
Vürgermeifter lebte, geboren und erhielt feine Vorbildung zur Univerfität bei feinem 
Großvater mütterfiherfeits, dem Oberpfarrer Johann Pölin (Boleniuns) zu Einbei. 
An Oftern 1689 bezog er Die Univerfität Jena, von wo ans er 1691 zuerjt Frande 
und Breithaupt in Erfurt kennen lernte und ſich von ihnen fo angezogen fühlte, das 
er 1692 mit ihnen nad) Halle Üüberfiedelte. Nachdem er Ende 1693 jeine Studien 
vollendet Hatte, wurde er 1695 Frauckes Gchilje als Prediger an der Glauchaer 
Kirche, und trat zugleich als Lehrer am Pädagogimm und Waifenhaue ein. Zwanzi— 
Dahre (ang blieb ex in diefer untergeordneten, vielgeſchäftigen Stellung, bis er 1715 
eine erfte Öffentliche Anftellung als zweiter Prediger an St. Ulrich in Halle erhielt 
und 1723 aud zum Subreltor des Pädagogiums vorrüdte. Nah Frandes Tor 
1727; trat er dann ganz in deſſen Stelle als erfter Prediger an der genannter 
Kirche, ſowie als Direktor der Frandeſchen Anftalten, die er zu ihönfter Blüte braste, 
bis auch ihn am 12. Februar 1739 der Tod abrief. — Das von ihm „zur Erwedung 
Heiliger Andadt und Erbauung im Glauben und gottfeligen Wejen“ herausgegebene 
G. B. enthielt in dem 1704 erſchienenen erften Theil im ganzen 633 Lieder, 
in der Ausgabe von 1705 durd) eine „Zugabe” von Th Nrn. auf eine Geſamtzeh 
von 758 Liedern lamen: diefe Zahl wurde dann auch in den verjhiedenen jpäteren 
Ausgaben (4. 1708, 5. 1710, 6. 1711, 7. 1712 x.) feftgehalten. An Mele 
dien enthielt der erfte Teit 1704: 174; die Ausg. von 1705 brachte 21 nen 
Hinzu und dieſe Zahf von 195 wurde in der Ausg. von 1708 beibehalten ; Dagewer 














Steplinghanfen und fein Geſangbuch. 433 


brachte Die Ausg. von 1710 weitere Änderungen: 23 frühere Melodien wurden 
durch neue erſebt, andere zwar beibehalten, aber wejentlich verändert, und in einen 
eigenen „Melodeyenbüchlein” nod 58 neue beigegeben, fo daß fih die Geſamtzahl 
der Melodien des erften Teils auf 253 beläuft. — Der zweite Teil des Buches 
erjhien 1714 Gorrede am 28. Sept. 1713) und war dadurd veranlaft,_ daß: 
1. „verſchiedene Freunde eine ziemliche Anzahl alter, erbaulicher Lieder namhaft ge- 
mad, die fie dem erften G.V. noch gern inferiert jehen wollten.“ 2. „Überdies 
nicht wenig folher Lieder nad und nad) dem Herausgeber zu Händen fommen, die 
entweder noch nienals gedrudet worden oder doch in ſolchen Büchern zu finden ge- 
wefen, worin fie von den wenigften geſucht worden, die dod) zu chriſtlicher Erbauung 
bequem gefunden." Derſelbe enthült zu 815 Liedern im ganzen nod 158 neue 
Melodien; «8 ergiebt ſich alfo für die beiden getrennten Teile folgende Zufanmenr 
Rellung der 

Anzahl der neuen Melodien: 

1. Zeil: Ausgabe von 1704 = 174. 





” D 


I. Zeit: Ausgabe von 1714 
Anhg. dazu 


P Spätere Ausg. 1 weitere, 


u. = 158. 
Geſamtzahl der neuen Me. = 411. 

Diefe Zahl erfuhr dann in der von Dr. Ang. Gotth. France 1741 beforgten 
Gefamtausgabe beider Teile: „Edition eines velltändigen Freylinghaufenfchen Ger 
fangbuchs" (2, Ausg. 1771, 3. Ausg. 1778) zu im ganzen 1581 Riedern, eine 
Vermehrung auf 609 Melodien, indem nit allein die in den zwei Teilen und dem 
„Melodeyenbüchlein" „befindlichen Noten alter und neuer Melodeyen allefamt bey: 
behalten, jondern auch nod eine große Anzahl von neuen hinzugethan worden“ ift. 
Diefe 609 Melodien gab der Organift Ioh. Heinrich Groffe in Claudia vor Halle 
noch 1793 in einem befondern Mbdrud „Delodeyen ſowohl alter als neuer 
Lieder, Halle, im Waifenjaus 1798," Geraus. — Die twihtige Frage nad der 
Herkunft und den Grfindern Diefer Melodien beantwortet das Bud) felbft leider mr 
in gänzlih, ungenügender und unbeftimmter Weife: weder der Name nad die Na- 
mensciffer eines Somponiften it irgend einer der Delodien beigsgeben, nur die 
folgenden vagen Bemerkungen finden fih in den Vorreden verfciedener Ausgaben. 
Im der erften Ausgabe des erften Teiles Heißt es in der Vorrede: „Die Delodeyen, 
fofern fie neu find, find teils aus dem Darmſtädtiſchen G.-B. (vgl. den Art.) ger 
nommen“ (und zwar 65 Ren.) „teils von &rifllien und erfahrenen Dufics hie 

Kümmerke, Gncat. d. war. Rirhenzuflt. 1. 28 





434 "Sreylinghanfen und fein Gefangbud). 


ſelbſt aufs Neue darzu und zwar foldergeftalt fomponiert worden, daß darinnen ſo— 
wohl die Kriftlihen Liedern ziemende Lieblichteit als Gravität wahrzunehmen iſt.“ 
Die Vorrede zur 4. Ausgabe von 1708 redet nur nod von „Unterfuhung und 
Berbefferung” der Melodien, indem fie jagt: „was aber die 4. Edition betrifft, jo 
iſt dem der Muſit erfahenen Leſer zu feiner Nachricht nicht zu verſchweigen, welcher 
geftalt alle und jede Melodeyen nah den Regeln der Kompofition von &eiftliden 
und erfahrenen Muficis aufs Neue fleifig unterſuchet und an fehr vielen Orten 
verbeffert find." Was außerdem an Vermutungen über die Komponiften dieſer 
Melodien ausgeſprochen wurde und bei manchen derfelben zur Tradition geworden 
iſt, entbehrt jeglicher wirtlichen Begründung. Daß Freylinghauſen ſelbſt „als er 
fahrener Muſiker eine ziemliche Anzahl folder Melodien ſchuſ, nämlich 22, meiſt zu 
Liedern des Angelus Silefius, von dem allerdings 32 aufgenommen und mit andern als 
den von Jofephi erfundenen Melodien verjehen wurden, daß er aud) die andrer frommer 
Sänger fammelte und die verftändigften chriſtlichen Muſiler für melodiöfe Ausfhmüdung 
neuer Yieder ind Intereffe zu ziehen wußte,“ wie Koch, Geſch. des KL. V. ©. 586 
will, daß auch andere Dichter der Lieder, wie Joh. Euſeb. Schmidt, Dr. Joh 
Chriſt. Richter, Craſſelius, zugleid) die Melodien zu ihren Liedern lieferten, wie 
man traditionell mod da und dort in den Ch. BB. angegeben findet; daß unter den 
Muſicis hierfelbft" der Vorrede von Hallefen Muſilern gemeint fein Können 
Friedr. Wilh. Zachau (vgl. den Art.), Adam Meißner, jur. pract. und Organiit 
an St. Ulrich 1702, — Chriſtian Fehrmann, Stadtmufilus, geft. 8. März 1710, — 
Samuel Ebert, Organiſt an U. 2. Fr. — mie Chwſander und L. Ert, Ch.®. 
©. 250 mutmaßen, — dies alles läßt fih mit Grund weder behaupten noch be 
fireiten. Daß Seb. Bad) an den Melodien unfres G. Bs. jelbfterfindend und Fremder 
befiernd beteiligt war, wie v. Winterfed, Ev. K.G. II. S. 270-276 ſich ale 
Mühe gegeben hat, nachzuweiſen und wie nad) ihm aud) noch Koch, a. a. D. ©. 587 
588 u. a. annehmen — man ſchrieb ihm anfänglich 47, dann 18, dann noch 9 
derfelben zu, und Stade, Cuterpe 1861. &. 30 nimmt ohne jeglichen Nachweis gar 
300 Mel. für ihm in Anfpruch, — iſt durch Spitta, Seh. Bad) I. S. 365—368 | 
aus inneren und äußeren Gründen endgültig widerlegt worden. — Bon den fogen. | 
„Halleichen Melodien" des Freylinghaufenihen GB. Haben ehva 60 Eingang | 
den evangelifchen Kirchengeſang gefunden, fid mehr oder weniger verbreitet — eiwa 
10 derjelben durch ganz Deutſchland und über deſſen Grenzen hinaus — und bis 
heute erhalten. Vgl. das Verzeichnis derfelben bei Rod a. a. O. V. ©. 588 bi 
594, fowie unſre einzelnen Artikel Über die allgemein verbreiteten. Der Einfluh 
diefer Halleſchen Weiſen wurde ein großer; eine ganze Reihe von Gefang- und Chor 
büchern wurde dem Freylinghaufenfhen madjgebildet und mit Melodien in Def 
Stile angefüllt, obwohl ſchon jene Zeit fpottend von den „ipringenden Liedern de 
Halleſchen Liederei“ ſprach und die theologiſche Fakultät zu Wittenberg 1716 erllirt 
Hatte: „es find viele hüpfende, fpringende, dactylifhe Lieder da, welde mehrenteid 


Friede, ad) Friede, ach göttlicher Friede. 435 


mit ungeifllichen umd fat Äppigen Melodien verfehen find und infonderheit zu der 
Hohen Gravität der Hohen Geheimniffe, die fie in ſich Halten folen, im Geringiten 
nicht reimen, fofern das menfhliche Herz durch eine gewiſſe fpringende und tangende 
Art von Melodeyen wohl gar in eine empfindliche Veränderung und Anfang einer 
Raferei gebracht werden fann." Mit Recht Magt auch der jonft jo gerne mild u- 
teifende Herder, Briefe über das Stud. der Teol. 1780. vd. IV. ©. 303 über 
dem derderblichen CEinflug der Hallefhen Weile: „Eine befannte fromme Schule 
Deutfchlands Hat den Kirdhengefang entnerot und werderbet Sie ſummte ihn zum 
Kammergefange mit lieblichen weichlichen Melodien voll zarter Empfindungen und 
Zänpdeleien herunter, daß er alle feine Herzen beherſchende Mojelät verlor: er ward 
ein fpiefender Weihling.“ 


Friede, ad) Friede, nd göttlicher Friede, Choral aus Freylinghauſen, 
6.8. I. 1704. ©. 695. Nr. 446, wo er heißt (Gef. Ausg. 1741. ©. 729. 


Nro. 1089): 
E en er a 
En SH 
Aa ah Brie- de, ad gött « Fi + her Frie · de vom durch 
Val cer der Fromsmen Her, Sim und Ge-mirte in Ehri-flo zum 








































































































— ⸗ 

— — — — 

a a an: DAR den fol »ten die gläu bi» gen 
See: zei * = 

1 see eh] 

















Seesen er » fangen, die al-fes ver-feugenen und Je-fu am - hangen. 


Derfelbe zeigt einen jo weltlichen Charakter, daß ihn Layrig, Kern III. S. 139 
mit Nedt umter die Apoerypha ftellt, (val. aud Palmer, Hymnologie. S. 311) und 
die neueren Choralblicher ihn nur mit weſentlichen Mobdififationen aufgenommen haben, 
Im Württ. Ch.B. 1844. Nr. 108 lautet er 3. B. jegt: 





7 




















































































































436 Tob. Friedrich. Friedr. Friefe. Martin Frihſch. 


Friedrich, Tobias, der erfte Organift der Brüdergemeinde zu Herrnhut, wır 
am 25. November 1706 zu Kleinlangheim in der fräntiſchen Grafichaft Caftell gr 
boren und vom Grafen Zinzendorf 1720 als bettelnder Geiger von der Landftrafe 
unfern Nürnberg aufgelefen worden. Vgl. die rührende Erzählung diefer Begegnung 
bei Koch Laurmann, Geh. des KoL. VIIL ©. 339. „Er ward zum erbaulihen 
Drganiften der Gemeinde Herrnhut, und ward gleichfam ein mufifalifches Genie, jo 
ein melodifcies Herz, das den Engeldjören, die um den Thron des Lammes fingen, 
ihre Weiſen abzulaufcen ſchien“ (Zingendorf). Daneben diente ex feit 1728 dem 
Grafen als Haushofmeifter und von 1735 am als Geheimfchreiber, ftarb aber jher 
am 8. Juni 1736. Sr. wirkte namentlid bei Begründung der „Singeftunden“ und 
der Einrigtung des Gemeindegefanges der Brüder mit, indem er die in Herenhut 
gebrauchlichſten Melodien zuerft notierte, auch manche mene dazu erfand und al 
gufanmmen in einer handferiftlichen Sammlung niederlegte, aus der fpäter das Ch-B. 
von 1784 hervorging. 


Frieſe, Friedrich, Hoforgelbauer zu Schwerin, we er am 18. April 1827 
geboren wurde. Seine Gejcäftsvorgänger waren fein Großoheim, der im Anfang 
unfres Jahrhunderts zu Pardim baute, und fein Vater, Friedrich Frieſe sen., der 
als Hoforgelbauer und Domorganift zu Schwerin 1863 ftarb umd eine Anzahl von 
Orgeln im Medlenburgiſchen erbaut hat. In der vöäterlichen Wertftätte madıte der 
Sohn feine Lehre in der Kunft des Orgelbaus durch und fuchte fih dann bei But 
Holz in Berlin und bei Capaillé-Coll in Paris weiter auszubilden. 1854 lehrie e 
von Paris zurüd und arbeitete zunächſt noch als Gehülfe feines Vaters, bie ihn 
diefer 1856 das Gefhäft abtrat. Seit diefer Zeit find c. 70 meue Orgelmerle 
verſchiedener Größe für Medienburgiiche Kirchen aus feiner Wertftätte hervorgegangen 
und 1872 wurde er, nachdem er jein 50. Werk zu Malchow aufgeftellt hatte, zum 
Hoforgelbauer ernannt. — Die größeren von ihm gebauten Orgeln find: 

1. Die Orgel der Kirche zu Doberan, 27 fl. Stn. 1860. — 2. Dit 

Orgel der Pauluslirche zu Schwerin, 31 fl. Stn. 1869. — 3. Die Orgel 

der Georgsfiche zu Pardim, 25 MH. Stn. 1871. 4. Die Drgel der Stadt: 

fire zu Ribnig, 27 MM. Stn. 1373. — 5. Die Drgel der Stadtkirche zu 

— 30 ft. Stn. 1875. — 6. Die Orgel der Siadtlirche zu Maldir, 

. Str. — 


Fritzſch, Martin, lebte zu Ende des 16. Jahrhunderts ale Mufitus cm 
turfürſilich ſachſiſchen Hofe zu Dresden. Er ift hier aufzuführen, weil er die mul 
taliſche Redaltion des bei Gymel Bergen zu Leipzig gedrudten und 1593 erſchienenen 
Dresdner GB. mitbeforgte. So lange diefes Bud — das als eines der erfkt 
and) die Melodie „Herzlich lieb hab ich did o Herr.” Daſ. Bl. 24la. Nr. CLXIV 
bringt — als ältefte Duelle (Bf. 38b. Nr. XXXII) für die Melodie „Bir 
Chriftenlent” (ogl. den Art.) galt, ſchrieb man Frigfc die Erfindung derfelben zu: 
Vol. Koch, Geh. des Kl. II. ©. 354 und dagegen dann S. 488—489. 





Fritſch. Joh. Iak. Froberger. 437 


Ein Verwandter von ihm, vielleicht jein Bruder oder Sohn, möchte wohl fein : 

Fritſch, (Fritihe), Meifter Gottfried, ein Drgelbauer, der im erften Viertel 
des 17. Iahrhunderts eines nicht unbedeutenden Rufes fih erfreut haben muß. Er 
taute 1612 ein für jene Zeit anſehnliches Orgelwert von 40 Hl. Stu. in der Schloß⸗ 
firche zu Dresden, zu dem Hans Leo Hafler noch kurz vor feinem Tode den Plan 
entroorfen hatte und das damals für die befte Orgel in Deutſchland galt.) Außerdem 
führt Pratorius von ihm an: eine Orgel in der flirftl. beauufehneigifhen Schloß - 
Inpelle zu Schöningen mit 20 H. Stn., — eine Orgel von 36 M. Stn. zu Son- 
Vershaufen 1616, — eine folge von 34—35 Sin. zu „Barait im Boigtlande” 
1620°) und ein Wert von 23 Hl. Sm. in Hamburg 1629. 


Froberger, Johann Iafob, um die Mitte des 17. Jahrhunderts einer der 
hervorzagendften Klavier⸗ und Orgelfpieler und Stomponiften für diefe Inftrumente 
in Deutſchland, der nit nur durch feine romanhaft-abenteuerligen Künſtlerfahrten, 
die ihn als „fahrendes Genie,“ als einen der erften „Virtuoſen auf Reifen“ er- 
ſcheinen Laffen, eine große Verüfmtheit erlangte, jondern den feine Zeitgenofien als 
wirklich ‚bedeutenden Künſtler mit Recht bewunderten und den noch eine fpätere Zeit © 
hoch in Ehren hielt.) Nach Mattheſons belannter Erzählung (in feiner „Ehren: 
pforte" sub. voc. „Froberger“), die alle fpäteren Schrifiſteller bis in die neuefte 
Zeit herein mit mehr oder weniger fantaftifhen Ausjhmüdungen veproduciert Haben, 
wäre Froberger al der Sohn eines Kantors an der Morigtirhe zu Halle 1635*) 
geboren und in feinem 15. Jahre, alſo 1650, feiner ſchönen Distantftimme wegen 
von einem ſchwediſchen Gefandten nad Wien mitgenommen worden, „von wannen 
ihm der Kaifer Ferdinand III. (1637—1657) nad) Rom zu dem berühmten Giro: 
lamo Frescobaldi, Organiften zu Sanft Peter, in die Lehre thun lieh, damit er 
hernach Taiferlicher Hoforganift werden mögte, welches er aud 1655 geworden ift.” 
Aber neuere Forſchungen Haben verſchiedene Daten aus feinem Leben urkundlich jeft: 
geftellt, und ihnen zufolge muß ex viel früger, und mindeftens zwiſchen 1600 und 

9) Ober dieſes Wert vgl. den intereffanten , Vericht Über die neue Orgel der Schlohirche 
zu Dresden: anno 1612, den 3. Qufi,“ mitgeteift von Otto Kade, Monate. für Mufttzeid. 
1871. S. 90-93. 

3) Ober diefe drei Orgelwerte vgl. Prätorius, Synt. mus. Tom. II. de Organogr. 
©. 180. ©. 197. ©. 200, 

>) Bon Seh, Bad) erzäffe Adlung. Anl. zur muf. Gel. S. 711: , Frobergern hat der 
felige deipziger Vach jederzeit bodgehalten, obſchon er etwas alt." Bad) Iernte Stüde von ihm 
igon als Knabe fennen, da ſoiche nad Diger, Muf. Bist. IV. 1. S. 160 in dem Orgelbud) 
fanden, das er in Ohrdruf heimlich abfehrieb. 

+) Fürfteneu, Geſch. der Diuf. und des Theaters zu Dresden, I. ©. 4 hat gar erft 1687 
als fein Geburtsjahr, aiſo dasfelbe Jahr, indem er in Wien bereits Organift wurde. Darüber, 
daß fein Bater Kantor in Halle war, find dafelbft 6i6 jeht Teine beglaubigenden Nachweiſungen 
aufzufinden gemefen. Bol. Ambros, Gefg, der Muf. IV. &. 408. 








438 Ioh. Iak. Froberger, 


1610 geboren fein. Ob der Halleſche Orgelmeifter Samuel Scheidt fein „erfter 
Lehrer“ war, ift bis jet nicht feftgeftellt, wenn ex auch Einfluß auf ihn geübt haben 
wird. Bon 1. Januar bis 30. September 1637, alfo nicht ganz ein Jahr, war 
Froberger erftmals als Hoforganift mit einem Gehalte von monatlih 24 Gulden 
in der faiferlichen Kapelle zu Wien angeftellt;!) darauf ein zweites Mal vom 1. April 
1641 bis Oftober 1645 mit 60 Gulden Monatsgehalt. Will man Matthefons 
Angabe fefthaften, daß ihn der Kaifer Ferdinand II. nad) Rom gefhict habe, fo 
würde, da dieſer 1637 zur Regierung fam, fein Studienaufenthalt bei Fresobaldi 
zwifen 1637—1641 fallen; ob er während diefer Zeit oder ſchon früher, che er 
nad Wien fam, auch in Paris war, ift nicht entfhieden, obwohl Matthefons An- 
gabe, daß er einige Zeit dort lebte und „die franzöſiſche Yautenmanier von Galot 
und Gautier auf dem Klavier annahm, welche damals hochgehalten wurde“?) nicht 
in Zweifel gezogen zu werden braucht. Zum dritten Mal wurde Froberger am 1. 
April 1653 Hoforganift in Wien; während der fangen Unterbredung des Dienftes, 
vom Dftober 1645 Bis zum April 1653, lebte ex teils in Wien mit Kompofition 
bejchäftigt,°) oder war auf Runftreifen, von denen zunächſt eine ſolche nad) Dresden 
bezeugt Äft, Die wohl ficher im diefe Zwiſchenzein fült.‘) Mit einem faiferlichen 
Enpfehlungoſchreiben fam er dahin, fpielte vor Johann Georg II. „6 Torcaten, 
8 Caprieci 2 Ricerearen und 2 Suiten,” die er demfelben dann „in ein ſchön ger 
bundenes Bud) fauber jelbft geſchrieben“ dedicierte und dafür eine goldene Kette er- 
hielt; auch ein Wettlampf zwiſchen ihm und dem kurfürſtlichen Hoforganiften Matthias 
Wedmoann wurde veranftaltet, aus dem beide Kanſtler mit Ehren herborgingen.‘) 
Seine dritte Dienftperiode in Wien ſchloß am 30. Juni 1657, wo er „Dienftes 
entlaffen“ wurde, und zwar wie Walter (Dauf. Lex.) meint „wegen Kayſerücher Un- 
gnade ;" doch ift dies wenig wahrigeinlich, da ihm mehrfach bezeugt wird, daß er 
„tugendliebenden, gottesfürctigen Gemütes, und von „rarer Virtou und guten Lebens“ 
geweſen fei; vieleicht läßt fih feine Entlafjung natürliher mit Veränderungen im 

H Bol. Koͤchel, Die kaiſ. Hofmufiffapelle in Wien von 1543—1867. Nach urkundlicen 
dorſchungen, 1809. &. 58. — Nottebogm, Muf. Wochenbl. 1874. S. 388 f. — 

?) Diefe Manier beftand in den fogen. „Agremens“, in Trillern, Mordenten u. dal., die 
fi bei Frescobaldi miht finden, während fie Froberger reiglit verwendet. vol. Ambros, a. 
a. O. ©. 461. 

®) Das Libro secondo der vier in Wien befindlicen handſchriſtlihen Bde. mit Rompe- 
ftionen des Meifters iſt datiert: Vienna li 29. Settembre. A. 1649”, zu diefer Zeit war «x 
alfo in Bien. 

9 Nach Fürftenau, a. a. O. I. S. 3 fam er nämlid, nad) Dresden als Johann Geerz 
II, der von 1656—1680 regierte, mod) Kurprinz war. Auch Matthias Wedmann war von 
1855 an nicht mehr in Dreoben, fonbern Organift in Hamburg. Bgl. Signale 1870. ©. 866. 

2) Bol. die Crzähfung bei Matthefon, Ghrenpforte. ©. 87. 88 u. 396. Doch bemerkt 
Ambros, a. aD. ©. 463 zu der gamgen Gefdiäte, „daß ein Körnchen Wahrheit darin finden 
möge“ Daß, aber auch „Unwahrfeinfiteten auf der, Hand figen.“ 





30h. Iak. Froberger. 439 


Hofftaate, die mit dem Tode des Kaiſers (am 2. April 1657) eingetreten fein 
mögen, in Verbindung bringen. „— — begab fih aber” — jo erzählt Walther 
weiter — „von Wien nad) Mayng, alwo er unverheyratet geftorben; wie deſſen ein 
Anverwandter vom ihm geroiß verfichert;“ in Wirllichteit aber wird er mur auf der 
Durchreiſe nad Mainz gelommen fein und ſich vielleiht einige Zeit dort aufgehalten 
Haben, denn es ift ſeht wahrſcheinlich, daß er jegt die berühmte Reife nad England 
gemacht hat, — fie wird auf 1657 oder 1662 geſetzt, — deren Abenteuer von 
feinen Biographen zu einer fürmlicen Künftiernovelle ausgeftaltet wurden.) Fur die 
fetten Jahre feines Lebens fand Froberger eine ihm überaus freundlich gefinnte Ber 
ihügerin an der Herzogin Sibylla von Württemberg,?) die in der damals zu Würts 
temberg gehörigen Grofihaft Mömpelgardt (Montböfiard) auf ihrem Schloſſe zu 
Hericourt lebte; hier war es, wo Froberger „als Mufilmeifter und Mufitlehrer“ der 
trefflichen Frau feine legten Pebensjahre im Frieden verbrachte und am 7. Mai 1667 
plöglih an einem Schlaganfale ftarb; am 10. Mai wurde er in der Kirche zu 
Bavilliers begraben?) — Als Komponift von Toccaten, Ricercaren, Partiten, Cuiten, 
Höherer Tanzmuſitk u. dgl, in feiner Zeit üblichen Formen, „vereinigt Froberger 
Züge des großen Fontrapunftiihen italienifchen Stils, welden er von Brestobaldi 
erlernt, die heimiſchen Züge feiner deutjgen Abkunft, und Züge endlich, welche der 
zu fpiefender Eleganz geneigten Zier- und feinen Unterhaftungsmufit in Frankreich 
eigen waren. Diefe vericiedenen Elemente arbeitet er fo in einander, daß daraus 
ein eigentümliher Stil entfteht, welchen man nicht wohl anders nennen kann, als 
den „irobergerfen.“ Unter den Muſikern jener Übergangszeiten macht Freberger 
vielleicht als der Erſte einen oft weſentlich modernen Eindruck; er ift miuſikaliſcher 
Kosmopolit — aber am entſchiedenſten und al das für ihn weſentlich Kennzeihnende 
tritt Frescobaldis Kunft und Art hervor. Wenn Frescobaldi ein bis zur Herbheit 
ftrenger, großfinniger Meifter und ein Diener der Kirche ift, jo giebt ſich Froberger 
als eine zarte, liebenswürdige Natur, — wo Frescobaldi die Sprache der Kirche 
redet, die er aud dort nicht verfeugnet, wo er Paſſacaglien und Ciacconen ſchreibt, 
ift Froberger ein mufitalifches Weltkind, fo viel ex fih aud in Fornien bewegt, 








3) Ködet, n. 0. O. S. 108, giebt 1057, aber ofne Anbetung einer Quell; 1602 fat 
Schilling, N. Ler. II. ©. 66-67, wo au) die romandafte Schilderung feiner Grfebniffe in 
Englaud zu finden if, die Feris IT. S. 314-346 umd felöß noch Gottffalg, Euterpe 1868. 
&. 142—145 nacgeffjeieben und weiter ausgefömlcht Haben. 

2) Do in es nicht fie, wie Ambros, a. a. D. ©. 480 meint, am deren Tod ſich die 
Wunderergähfung mit der Engelsmufit Tnüpft, weldje Berty, Myftiige Erieinungen, ©. A71 
und Rod, Gefä. des Lt. V. S. 32. 33. Haben, fondern Magdalena Sikylla, Yeryogin v. 
Württemberg, die 28. April 1052 geb. u. 7. Aug. 1712 zu Kirchheim u. T. in Württemberg 
geforben if. 

#) Die beiden eigenhändigen Briefe der treflihen Frau an Konflantin Hunghens im Haag, 
die diefe wertvollen Nafrihten enthalten, find im Befig des Dr. C. Sciebed in Prag, der fie 
1874 veröffentlichte. Vol. Muſ. Wogenbt. a. a. D. 





440 Emil Fromm. Fröhlich foll mein Herze fpringen. 


welche, aus der Kirche hervorgegangen, weſentlich der Kirche angehörten. Man tönnte 
Froberger den früheften Salontomponiften nennen — wenigſtens was Cleganz, An 
mut und leiten Ton betrifft — mur daß er trogdem nirgends den Meifter der 
Kunft, den im firenger Schule gebildeten Mufiter verleugnet umd daß feine Fugen 
fäge fih denen feines Lehrers würdig anreihen. Zu Frescobaldis ftrenger Hoheit 
verhült ſich der liebensnoürdige, Hangjelige Froberger, wie chun Mozart zu Joh. Seh. 
Bad: Frescobaldi ift mehr Organift, Broberger mehr Mlavieripieler,“ (Ambros. 
Doc; ift bei Froberger außer dem Komponiften der ausführende Künftler, der Spieler 
zu beachten; daher bemerft ſchon die Herzogin Sibylla, daß man feine Sachen von 
ihm felbft gelernt haben muß, um fie richtig fpielen zu fönnen. Und wirklich tritt bei 
ihm Die Hinftlerifcpe Subjettipität bereits fo bedeutend in den Vordergrund, daß 
Spitta es geradezu dahin geftellt fein läßt, „ob nicht der Schwerpunkt feiner 
Kunſtlerſchaft mehr noch in der Thätigfeit als Spieler, denn als Komponift gelegen 
Habe”) Dit Samuel Sceidt feinem Halliſchen Landsmann hat Froberger für die 
Entwidlung der deutſchen Orgelkunſt epochemachende Bedeutung: ihnen folgten Pachelbel, 
Buxtehude u. a. der großen Vorläufer Bade. — 
Bon feinen Werten ift zu feinen Lebzeiten nichts, nad) feinem Tode nur 
weniges im Drud erichienen: „Diverse curiose e rarissime partite di 
Toccate, Canzone, Ricercate, Caprieci e Fantasie per gli amatori di 
cembali, organi ed istromenti.“ Mainz 1695. — Cine zweite Ausgabe 
von 1699 ift zweifelhaft; auch eine zweite Sammlung ähnlicher Stüde, die 
Gerber, N. der. I. S. 210 als 1714 zu Mainz erfhienen anführt, ift bis 
jegt nicht aufgefunden. — Die Wiener Hofbibl. befigt 4 Bde. Brobergericer 
Stüde im Autograph. — 


Fromm, Emil, namhafter Organift und Komponift; er ift am 29. Januar 
1835 zu Spremberg in der Niederlaufig geboren und erlangte feine mufitatifhe 
Bildung auf dem königlichen Inftitut für Kirchenmuſit zu Berlin, wo A. W. Bad, 
Ed. Grell und W. Schneider feine Lehrer waren. Nad vollendeten Studien wurde 
er Kamtor und Gymnaſialgeſanglehrer zu Kottbus, erhielt 1866 den Titel eines 
töniglichen Mufitdireftors und wirft feit 1869 als Drganift an der Nikolaikirhe zu 
Blensburg. Als Komponift hatte er bis jegt mit einigen größeren Männergejangs 
werten am meiften Grfolg; außerdem ſchrieb er ein Oratorium, 2 Paffionstantaten 
und andere Kirchenwerle, von denen aber nur erjdhienen find: 30 Choräle für den 
Geſangunterricht. Kottbus, Heine. 8° u, 6 Drgelftüde, Berlin, Heiberg. 


Fröhlich ſoll mein Herze ipringen, Choral von Johann Grüger. As 
ältefte Duelle der Melodie gilt, fo lange einige vorangehende Ausgaben der Praxis 
pietatis melica nit wieder aufgefunden find, die Ausgabe diefes Buches vor 


3) Bal. die Eharatterifit Frobergers bei Ambros, Geſch. der Muſ. IV. S. 463-40 
und Spittag Bemerkungen, Allg. deutſche Biogr. VIII. ©. 128—129, 


Fülkimmen. 41 





165 210. Nr. 104, wo Diefelbe am Ende mit der Namenshiffer des Rom. 
voniften: „I. ©.“ unterzeichnet if. Im Choralbuche zu diefer Ausgabe, den „Geift 
lien Liedern und Bjahmen.“ Berl. 1657, erfcheint fit dann in vierftimmigem Ton- 
fag. Sie heißt: 

















Se — 


Be ee — — ==) 
Frög ti fol mein Her ze fprimsgen Die + fer Zeit, da vor Freud 


ee 


al» Te En-gel fin»gen. Erd umd Himmel mehmts zu Oh ren: jauchzend ruft 
* 


er ———— == 
FO atede Cafe Chris in ge» be zen. 

Andy Joh. Georg Ebeling hat dem Liede 1666 eine von ihm erfundene Me— 
lodie beigegeben, Die jedah gegen die Grügerfie nicht aufgufommen vermadte. — 
Sbenfowenig it die bei Frepfinghaufen, ®.®. I. S. 31. Rr. 24 (Gef. Ausg. 
1741. ©. 34. Nr. 56) eriheinende in allgemeineren Kirchengebrauch übergegangen, 


die lehtere heißt im Driginal: 
ee 


fol mein Her + je hringen die» fer Zeil, da vor Areub 


me: 


fin «= genz Hört, Hört, wie mit vol · len Cho-ten 


















































































































































= * 
— — 














al ie Luſt lau ie ruft: Chri ſuus Äf ges bo» rem 


Füllſtimmen in der Orgel heißen diejenigen Regifter, die nicht felbftändig 
und einzeln gebrauht, fondern mur dazu Verwendet werden, den Klang der Grund: 
ftinnmen durch Beigabe feiner harmonifen Obertöne abzurunden und zu verftäcken. 
Solche Fülftimmen im eigentlichen Sinne find die Nebenftimmen (vgl. den Art.) 
und die Gemiſchten Stimmen (vgl. den Art.). Aber auch unter den Grund- 
finmen felbft findet fih mod eine ziemliche Anzahl folher, die ihre hauptſächlichſte 
Verwendung nur als Fülftimmen finden. Dahin find zu redhnen: die Brinzipal- 
und Flötenſtimmen von Heiner Tongröße, wie die höheren Oftaven, Flageolet, Flau- 
tino u. a., Die Flötenſtimmen mit weiterer als Prinzipafmenfur wie Hohlflöte, 
Sifflöte, Waldflöte u. a, kleinere Zungenſtimmen, wie larinen, und endlich manche 


442 Fülpfeifen. Fülguinte. Fugara. Fugierter Choral. Fr. Funk. 


Gedatte, die zwar wohl auch einzeln gebraucht werden Knnen, aber doch ihren Haupt: 
wert in der vortrefflidien Fähigfeit Haben, den Klang andrer Stimmen zu ver- 
ſchmelzen; Bourdon 16° und Gedaft 8 find folde Stimmen, und Icpteres heikt je 
eben feiner Hangverbindenden Eigenſchaften wegen öfters einfad) Koppel. — 


Füllpfeifen nennt man öfters and die Blinden Pfeifen (vgl. den Art. 
„Bind“), im Proſpelt einer Orgel, weil fie zur Ausfüllung eines Feldes oder 
Turmes dienen. 


Fülquinte, eine Quinte 54 von Prinzipalmenfur und ſcharfer Intonation; 
fie wird im großen Werfen in das ſtark befegte Hauptmanual disponiert, wo fie dem 
Klang vorzügliche Fulle giebt; außerdem fann fie verwendet werden, um im Pedal 
den 16 Fußton zu verftärten, indem fie nad) dem Gefeg der mitflingenden Töne 
in Verbindung mit Oftavbak (Prinzipal) 3° einen künſtlichen (aluſtiſchen) 16 Fußton 
Hervorbringt. 


Fugara, mit lorrumpiertem Namen auch als Fogara oder Bogara vortommend, 
— eine offene Labialſtimme der Orgel, die mit 16’, 8° und 4* Tongröße als Füll- 
und Schürfungsftimme im IT. und II. Manual größerer Orgelwerte disponiert 
wird. Sie Hat Körper von Zinn — ganz ausnahmsweiſe da und dort einmal auch 
von Holz — mit enger Menſur, gewöhnlich N: Ton weiter al8 Viola di Samba 
im Hauptwerf;') von der letzteren fol fie ſich durch eime weniger jharfe, etwas 
vollere und rundere Intonation unterſcheiden und dad) noch merflihen Strich Haben, 
fo daß fie fih an Klangfarbe einzelnen feineren Zungenftimmen nähert. Sie ift daher 
in ihrer charaiteriſtiſchen Eigentümticfeit nicht eben Leit Herzuftellen und ſcheint des: 
wegen von älteren Orgelbauern nicht gerne gebaut worden zu fein.?) Mit 16° 
Ton nur als Ausnahme ſich findend (3. ®. im II. Man. der Orgel der Domtirche 
zu Pund von Peter Zah. Strand), wird die Fugara von norddeutſchen Drgelbauern 
mehr mit 8%, von füddeutjgen mehr mit 4’ Ton disponiert, von engliſchen und 
franzöſiſchen Orgelbauern aber gar nicht gebaut.) 


Fugierter Choral, Choralfuge, vgl. den Art. „Orgelgoral.” 


Fund, Friedrich, Kantor an der Iohannisfirge umd - Schule zu Lüneburg 
und Erfinder einer Anzahl von Choralmelodien, von denen fünf noch jegt im kirch 

%) So menſurirt 3. B. Ladegaf, Domorgel in Schwerin, Fugara 8° des IL. und Fugare 
4° des III. Dan. mit 2% gegen 7 des Normalprinzipals und 2 der Biola di Gamba des 
9 Dan. vol. Matzmann, Drgelbauten 1875. I. &. 64. 

?) Dies geht aus einer Bemerkung bei Koh, Muf. Ler. 1802 ad voc. „Bugara” umd bei 
Stilling, Univ Ler. der Tonkunft. IIT. S. 18 fervor. Auch dem Adlung, Mus. mech. org. 
1. S. 97 in diefe Stimme noch „ein bötmiſch Dorf.” 

*) Pur Iof. Merktin, der urſprüngiich deutſhe und deutſch gebildete Meifter des framzük 
fen Drgelbaus fegt fie neuerdings in feinen größeren Orgelwerten, z. B. in der 1877— 1878 
umgebauten präßtigen Drgel zu Saint-Euftade in Paris, 





Fried. Fund. 443 


fihen Gebrauch find. Er war 1642 zu Noffen im Erzgebirge geboren, zuerft bis 
1664 Kantor zu Perleberg, und erhielt fhon in feinem 22. Jahre das genannte 
Kantorat zu Lüneburg, weldes er 30 Jahre lang bis 1694 verwaltete, un dann 
noch kurze Zeit als Paftor zu Römſtedt bei Fimeburg thätig zu fein, wo er 1699 
farb. — Obwohl er als Komponift auch grögere Werte — und unter diefen zwei 
umfangreiche Poffionsmufiten ſchuf, Die jedoch nicht mehr vorhanden ſind, ) Haben 
doch nur feine Rirhenmelodien, die „Durhichnittlich fließend, anmutig und Leicht füh- 
lich und meift für den Gemeindegefang pafiend“ find, feinen Namen erhalten. 40 
derſelben, mit „F. F.“ bezeichnet, erigienen erfimals im Lüneburger ©..B. 1686 
Zuſchr. des Druders Joh. Stern dat. 18. Marz 1686, Vorr. vom Superinten- 
denten Kafp. Herm. Sandhagen); dazu famen dann in den ſpäteren Ausgaben dieſes 
6.8. (1694. 1695. 1702) nod zwei weitere Weifen, fo daß ihm im Ganzen 
die Erfindung von 42 neuen Kirhenmelodien zugufcreiben ift. Während aber im 
Füneb. GB. jelbft ein Teil diefer Melodien wieder verfchwand, fo daß die lehte 
Auflage desjelben von 1702 nur noch 28 derfelben enthält, fanden fie anderwärts 
Verbreitung. Schon 1690 erihienen 3 derjelben im Anhang der zweiten Ausg. 
des Nürnd. ©.-B.; ins Darnıft. GB. (Zuhlen) 1698 wurden 2 (1700 3), in 
die wahrſcheinlich lebte Ausg. der Grüger-Sohrihen Praxis piet. mel. Franff. 
1700 11, und in Königs Harm. Liederfhag 1738 fogar 27 Melodien von „B. 3.” 
aufgenommen?) — Die 5 Melodien Funds, die gegenwärtig noch Geltung haben find: 
1. Jeſu, heil den alten Schaden. Füneb. G.B. 1686. Nr. 228; 
in Oldenburg (Sattler, Ch.-B. Nr. 6) und Braunſchweig (Meinete u. Rothe, 
Ch. B. Nr. 9) zu „Ale ift am Gottes Segen“ verwendet. Val. den Art. 
„Alle Menſchen müfen fterben." Sie Heißt: 


da, 
Bee = 


2. Meine Seele, will du ruhn. Lumeb. 6-8. Mr. 315; diefe 
Mel. Hat die allgemeinfte Verbreitung gefunden; Nicnb. G B. 1690. Darmfl. 
G-2. 1698. Freylingh. GB. in allen Ausg. 1704-1771. Gott. Kant. 
4) Bon denen eine Lulaspaffion von 1883 nad Spitta, Bad II. S. 316 darım von 
geſchichtl ichem Intereſſe ift, weil fie jo weit bis jegt befannt erſtmals die „geiftliche Arte” unter 
diefem Namen in die Baffionemufif einführt. 
) Die Namenschiffer „F. F.“ mußte man fange nicht zu erflären. Winterfeld lannte 
dos Liümeb. G.-®. nicht. Dr. Bolger, Brogramm des Johanneums zu Lüneburg 1855. S. 9 
gab dann einige Nachrichten über Fund, die Döring, Ehoraltunde, S. 131. Ann. und Erf, 
&.-8. ©. 242 noch nit benügten; Iepterer rät auf Friedrich Fabricus; erft zwei Artitel der 
Euterpe 1875. ©. 61-64 u. ©. 104—105 von Zahn u. Bode, braditen vollfländige Auf- 
Märung: diefen Xeifeln ſind die obigen Angaben entnommen. 



























































444 Fried. Fund. 


1715. Wernigerr. ©... 1738. Ch BB. von König, Stözel, Mein x. Ritter, 
&H-B. für Brandenburg. Nr. 371. Bayı. Ch.B. Nr. 115. Into u. Rider 
1. Sir. 892. u. Nr. 986 u. f. 1.5 fie heißt: 
































3. Schau, Braut, wie hängt dein Bräutigam. Lüneb. G. B. 
Nr. 486. Darmſt. G. B. 1700. Prax. piet. mel. 1700. König 1738 u. a. 
Nitter, Ch.B. 1859. Nr. 343: 





























— — 

4. Jeſus, meine Zuverſicht. Lüneb. G.B. Nr. 540; fie Hat im 
Preußen bleibenden Eingang gefunden und die Grügerfche Weife faft verdrängt 
Reinar) ‚deuten, Ch. B. Nr. 35. Kahle, Ch. B. Nr. 108. Flügel, Mel. B. 
Nr. 1226 
























































5. Gott, du bleibeft dod mein Gott. Lüneb. G. B. Nr. 565. 
Nürnb. G.B. 1690; Prax. piet. mel. 1700. König 1738 1. Jalob und 
Richter II. Nr. 714: 






































AS weitere feiner Melodien, Die fih wenigftens in einzelnen Choralbüchern 
und Sammlungen bis zur Gegenwart erhalten Haben, nennen wir nod: 


6. Jefus ift mein Aufenthalt. Lünch. G-®. 1686; in einer 
Umbildung zu „Jefus meine Zuverfiht” bei Reimann 1747. Nr. 265. Kodır, 
Zionsharfe I. Nr. 950. Iatob u. Nihter, Ch.®. I. Nr. 173 (Bahr, 
Euterpe 1877. ©. 173). 

7. Bleihes Antlig, fei gegrüßet. Füneh. G.-B. 1686. (Bgl. der 
Art.). Iatob u. Richter, Ch-®. I. Nr. 547. 


Fundamentalbrett. Fuß. 445 


8. Das ift der Tag der Fröhfigteit. Lüneb. G.-B. 1686. König, 
Harın. Liederſch. 1738. ©. 13. Kocher, Zionsh. 1. Nr. 866. Iatob und 
Kihter, C.-2. II. Nr. 614. (Zahn, Euterpe 1978. ©. 174). 

9. Iefu, ewge Sonne. Yüneb. ©.-8. 1686. Layriz, Kern I. Nr. 
466. ©. 61. 

10. Shönfter Iefu, meine Freude. Lüueb. G.B. 1686. Layriz, 
Kern IN. Nr. 551. ©. 108. 


Fundanentalbrett, Sieb, von P. Kircher auch Polyftomatitum genannt, heißt 
ine aus mehreren Stüden feft zufammengefügte Holztafel von !s—!s“ Dide, mitteljt 
welcher die obere nad dem Pfeifenftod gehende Öffnung einer beftimmten Anzahl 
von Kanzellen (gl. den Art.) auf der Windlade der Orgel gemeinfam verſchloſſen 
wird. Fur jede bederfte Kanzelle befindet fih dann im Fundamentalbrett cin Loch 
(Bindführung), fo daß dasjelbe fiebartig durchbrochen erſcheint. Um jedes Verſchleichen 
des Windes und etwaiges dadurch entftehendes Heulen unmöglich zu machen, muß 
das Fundamentalbreit die Kanzelleh volltonmmen luftdicht verſchließen und ſehr genau 
and von einem Material gearbeitet fein, bei dem ein Werfen nicht zu befürchten if. 
Da dies bei größeren Holztafeln, die Töpfer bei guter Ausführung ganz genfigend 
aefunden hat, doch da und dort vorfommen fann, jo verjeliegen viele neueren Orgel: 
bauer fieber jede Kanzelle einzeln mit dem Sanzellenfpunde, der als ein kleineres 
Städ Holz dem Werfen weniger ausgejegt ift, und laſſen das Fundamentalbrett‘) 
enttoeder ganz wegfallen, oder wenden es nad) Schilling, Univ. Lex. II. ©. 94 
auch über der Verſpundung behufs größerer Sicherheit nod an. 


Fuß nennt man den unterften Teil der Labialpfeifen der Orgel, mit deffen 
ıbwärtsgefehrtem offenen Ende die Pfeife in einem entfprediend weiten Loche des 
Bfeifenftods fteht.?) Wei Meetallpfeifen hat der Fuß die Geftalt eines umgekehrten 
Regels, bei Holgpfeifen die eines Eylinders, eines umgelehrten Kegels oder einer 
ben ſolchen Pyramide, — bei beiden dient er zur Leitung des Windes aus der 
Ranzelle oder dem Windfaften nad der Kerufpalte. Seine Fänge hat auf die Höhe 
Der Tiefe des Tones feinen Einfluß, kommt daher für die Länge der Pfeife auch 
nicht in Betracht, weil, wie ſchon Prätorins, Synt. mus. II. ©. 124 bemertt, 
Hefe „nit von dem onterfuße, fondern von dem Labio oder Mundloche, darvon 








*) Das Übrigens ſchon Seh. Bad) in feinem Reviſtonsbericht über die Paulinerorgel in 
’eipsig 1717 für „falfdy und verwerfliß” erlfäcte, val. Spitta, Bad) U. S. 121. — Auch der 
ılte Werdmeifter, Org. Gruo. red. $ 21 verwirft das Fundamentalbreit; zu Adlungs Zeit 
durde +8 Wenig mehr gebraucht, weil es große Ungelegenheiten verurfadte” Dal. Mus. mech. 
rg. J. ©. 30. I. 8.29. Do wendete es 5. 8. Silbermann, wie er Adlung (Muft. 
Selafrth. S. 348) fagte, an, „weil es leichter und richtiger zu hobeln, ala die Spünde.“ 

?) Der Terminus „Fuß“ fir den fraglichen Teil der Orgelpfeifen if fon feit den Zeiten 
Arnold Slice 1511 der allgemein gebräuhlice; nur Richter, Katehismus der Orgel. 2. Aufl. 
1875. ©. 13. 21. 148 verwendet Ratt feiner den Terminus „Kopf“ auch bei den Labialftimmen, 


446 Fuß, -füßig, Fußton. 


das Ober Corpus Mingend gemadt wird, ihren anfang hat." — Dagegen ift die 
Weite der durch den Fuß gehenden Windröhre für prompte und friſche Anſprach 
der Pfeifen ſehr wichtig. Cie muß bei jeder Pfeife fo bemeſſen fein, daß fie volen 
Windzufluß getatte, und der Ton, den eine Pfeife Hervorbringen fann und jol, 
auch wirflic voll und rund zur Erigeinung fomme. Bei der modernen Bauweiſ 
der windihöpfenden und windführenden "Teile ſollte 8 nicht mehr notwendig fein, 
den Wind jo ſparen zu müffen, wie es noch Silbermann thun mußte, der deshalb 
den Fuß auch feiner weitmenfurierten Pfeifen fo zufanmendrehte, daß er nur der 
notwendigſten Windzufluß geftattete. Gleichwohl findet man auch jegt noch „die 
Windeinlafröhre im Fuße der großen Pfeifen — 5. B. bei Bordun 16° und Sub 
baß 16° — oft bis auf s der geboßrten Weite mit Holzleilchen zugefpeitelt, fo daß 
der Wind nur in durchaus ungenügender Menge einftrömen und eine ſolche Pfeife 
ftatt eines vollen runden Tones nur einen kaum noch vernehmbaren, ſchwachen geben 
fann.”') 


Fuß, fühig, Fußton mit dem Beifage einer Ziffer — 3. B. vier, adıt, 
ſechzehn Fuß, — 4 8° 16° — 4, 8, 16fühig, 4, 8, 16 Fußton — bezeichnet 

a) bei den offenen Labinlftimmen der Orgel die theore diſche Länge der 
Bfeifentörpers der tiefften Pfeife eines Regifters vom Kern bie zur Mündung ge 
redet. Auf empirifhem Wege Hat man längft gefunden, daß der tieffte Ton, den 
die menfhlige Stimme hervorzubringen vermag, das große C, von einer offenen 
Labialpfeife, die einen Körper von etwa 8 Fuß Länge hat, ebenfalls hervorgebradt 
wird, während eine Pfeife, die nur 4, 2, 1 Fuß lang ift, einen um 1, 2 oder 3 
Dftaven Höheren, eine ſolche mit 16 oder 32 Fuß Lünge aber einen um 1 oder I 
Oltaven tieferen Tom giebt. Ale Pfeifen nun, welche zu der jeweils unterften oder 
erften (tiefftehenden) Pfeife von 8 Fuß Korpuslänge, die das große O angiebt, in einem 
genau abgeftuften Längen: und Menſurverhältnis ftehen und mit ihr die Tonreihe des 
Tonfyftems durch die 4—5 Oltaden der Orgel (C — P oder g°) darftellen, Bilden za: 
fammen ein ahtfüßiges Regifter, eine ahtfüßige Stimme, eder ein Regi 
fter, eine Stimme von &. Bei einer 16+ oder 3Lfüßigen offenen Labialſtimme Hat die 
tieffte Pfeife, das C 1 oder Kontra-C und das C2 oder Sub-Kontra-C, eine annähernd: 
Bfeifen- länge von 16 oder 32 Fuß; ebenfo ift es in umgelehrter Folge nad) oben bei 
den 4, 2- und 1fügigen Stimmen. Daß jedod alle diefe Mage nur theoretiſche find, 
wurde ſchon bemerkt: nicht mur die zufällige Verfhiedenheit der Mafeinheiten (der 
Fuße), deren ſich die Orgelbauer in veridiedenen Ländern bedienen, oder die ver 
ſciedene Stimmungshöhe, die man bei der Orgel mod immer trifft, fondern nad 
viel mehr die verfhiedenen Menſuren der einzelnen Megifter, ſowie einige neuere 
Einrichtungen, wie die Anwendung der Stimmeinſchnitte oder Stimmfhligen und die 





1) Bot, Lederle, Die Kirhenorgel 1982, 3, 09. 124. 126 und Heinrich, Orgelban-Reviter 


1817. 8. 64 





Fuß, -füßig, Fußton. 447 


jetzt mehrfad, disponierten fogen. Harmonieſtimmen (Jeux harmoniques der fran- 
zöfifgen Orgelbauer) bedingen mannigfache Modififationen in der Korpuslänge der 
Pfeifen. Die Stimmen, deren Denfuren ſich mehr oder weniger der Normal: oder 
Brinzipafmenfur eines Wertes anfhliegen, bleiben in Wirfficfeit immer unter dem 
theoretifchen Mafe, und mır in den obern Oftaven ganz Meiner Stimmen über- 
ſchreiten fie dasjelbe. Am meiften nähern ſich der theoretifden Korpuslänge die 
engmenfurierten Gambenftimmen; doch bleibt aud) bei diefen 5. B. Viola di Gamba 
8° felbft immerhin noch © Yo unter derfelben und hat ftatt 80“ meift nur 71-72” 
lange Körper. Dagegen verlangen ſämtliche Pfeifen mit Stimmausſchnitten oder 
Stimmigfigen eine Verlängerung der Korpora um Ya Tom, weil die Öffnung jo 
angebracht wird, daß die Hälfte ihrer Länge unter die wirkliche Tonhühe der Pfeife, 
die andere Hälfte aber über diefelbe zu liegen kommt. Doppelte Korpuslänge endlid) 
erhalten die neueftens häufiger vorfommenden harmoniſchen oder überblafenden Stimmen 
(Jeux harmoniques oder octaviants);!) 

b) bei den gedadten Labialſtimmen die Tomgröfie der tiefften Pfeife eines 
Regiſters im Vergleich zu den offenen. Wird eine Pfeife gededt, d. h. da, wo ihr 
Schwingungotnoten liegt, abgefhnitten und mit einem Hut oder Stöpfel luftdicht 
verjcjlofien, jo bringt fie einen um eine Oftave tieferen Ton hervor, als eine offene 
von gleiher Körperlänge, ein Gedalt 8° alfo den Tom einer offenen Pfeife von 16° 
Länge. Es bezeichnet daher bei allen gededten Stimmen 4, 8, 16-, 32 Fuß 
weder die wirkliche noch die theoretifche Fänge ihrer tiefften Pfeifentörper, fondern 
mar die Größe des Tones den fie erzeugen, und zwar gemeffen am gleihen Tome 
einer offenen Pfeife. Die leptere Hat, wenn fie CB‘ angiebt, 8° theoretiſche Körper- 
länge: eine gededte Pfeife, die denjelben Tun Hervorbringt, Hat nur 4 Fuß theo⸗ 
retiſche Länge, dagegen Sfühige Tongröße, oder 8 Fußton; 

©) bei den Zungenflimmen fiveng genommen aud nur die Tongröße, 
da bei diefen Stimmen die Länge der Shallbecher oder Auffühe mod; weit 
mehr abweicht, als bei den Labialſtimmen. Zwar verlangen die Tpeoretifer, daf 
Zungenflimmen, die einen kräftigen, vollen und runden, nicht einen plärrenden und 
ſchnacrenden Ton erzeugen follen, bei anffhlagenden Zungen Schollbecher von 
voller Fünge — alſo 3. B. Poſaune 3% und 16° Auffüge von 32° und 16° wirt- 
licher Länge —, bei einjhlagenden Zungen folhe von Halber Länge — alſo 3. 
9) In engfifgen Orgeldispofitionen finden fid) neuerdings öfters Bezeichnungen wie folgende: 
„aslöte 8° mit 10° anfangend,” „Preftant 4° mit 8" anfangend;“ «& Gängt Dies mit dem im 
England gebräuhficen Umfang der Manuale — bis 5% und 6 Oftaven von Kontra-C an- 
fangend — zufammen. Die Kontraoltave wird als „Navalement” beteadite, und daher eine 
Stimme, welde jonft Sfüßig genannt wird, weil ihre Pfeife für C-= 8 Länge hat, dort 
Afüßig, mit 3° anfangend heißt. Vol. Ply, La Facture moderne 1880. &. 130. Hopkins 
and Rimbault, The Organ 1877. 11. ©. 214-226. Wangemann, Geſch. der Orgel 1881, 
S. 471-412. 














448 Fuß, -füßig, Fußton. 


B. Bombarde 32° und Fagott 16° Auffäge von 16° und 8° — erhalten müffen, 
und weifen dabei auf den alten Silbermann hin, der wirkfid fo baute und mufter 
gitige Rohrwerle erzielte. Allein die Praris folgt ifmen hierin nicht, und mar 
findet daher bei Stimmen. mit auffhlagenden Zungen faum andere Schelllörper als 
von a der Fänge offener Labialpfeifen von gleiher Tongröge — alſo z. B. vo— 
faune 32° und 16° mit Scallbehern von 24° und 12, Trompete 16° u. 8° mit 
ſolchen von 12' und 6° Länge —, und die Stimmen mit einfclagenden Zungen 
weichen noch bedeutender ab und erhalten vielfach flatt Körpern von halber Länge 
nur furze tricpterförmige Auffäge.‘) Die franzöfifgen Orgelbauer der Gegenwvart 
bauen aud; Zungenftimmen als Jeux harmoniques und geben 5. ®. ihrer „’Trom- 
pette harmonique* Körper von doppelter Länge. — 

Trog der allgemeinen Einführung des Metermaßes haben die Orgelbauer die 
alte Fußbezeichnung beibehalten, die dielleicht eben wegen ifrer relativen Unbejtimmt- 
heit befonders praftifch it. Mehrere Verſuche, das neue Ma& für diefen Zived zu 
verwenden, find unbeadhtet geblieben, und dies um jo mehr, als nicht zu leugnen ift, 
daß ſich die alte Bezeichnung nicht immer leicht in runden Zahlen des Metermaiset 
ausdrüden laßt 





*) Dan vgl. die kenntnidreiche auf Erfahrung gegründete Auseinanderfegung über dir 
Auffäge der Zungenfimmen bei Heinrich, Orgelbau-Hevifor 1877. ©. 30-35. — Nat; Kuntk, 
Die Orgel und ihr Bau 1875. 5, 89 — genügt bei auffhlagenden Zungen ein Aufiats, befier 
Länge obmgefähe Yu der Känge offener Pfeifen beträgt.” — Mr lürzere Auffäge Iprict, ohne 
jedod; befimmte Maße anzugeben, Lederle, Die Kirchenorgel 1882. &. 62. 











%) Heineid, 0. 0. O. S. 79 fälägt vor: bei tiefer Stimmung 2,4 m. für das Sfühige 
© als Dafeineit zu nehmen, da fi dann nur die Heine Differenz von 0,05 cm ergebe. &r 
rechnet um 
Bringipal: 32° = 960 cm = 96 m. Quint: 102° = 320 cm 
16° = 480 cm Si‘ = 160 cm 
8 = 210 cm vi= 80m 
= 40cm 
Dftave: 4 = 190 m = 12m 
S 60 em 0.,6 m. Terz: 124° 384 cm 
3 = 192 cm 
Sederime: = 30 m = 03m. 30 = 96cm 
1 = dem = 0,18 m. 


Als er jedoch diefen Vorſchlag beim preuf. Kultus Minifterium anbrachte, wurde ihm die Az: 
„Die Sadiverfländigen verwerfen diefen Vorſchlag als unpraltiſch und muglos.” 





6, Gamma, 6-Schlüfel. 49 
©. 


6, Gamma, G-Schlüſſel. Im gegemvärtigen Tonfyften, das von C als 
Grundton ausgeht, ift G der Name des fünften diatoniſchen, oder des achten diato⸗ 
niſch chromatiſchen Tones und bildet die reine Duinte zum Grundton C, weil ſich 
die Schwingungen, durch welde beide Töne hervorgebracht werden, wie 3 : 2 ver- 
halten, oder weil die für den Ton G notwendige Seitenlänge */s der Länge für C 
beträgt. — Kurz vor der Zeit des Guido v. Arezzo war dem Tonfyftem der Alten, 
das im der Tiefe durch das große A (den Proslambanomenos des Pythagoras) 
begrenzt war, das große G als Erweiterung beigefügt und mit 7, Gamma, 
Gamma graecum!) bezeichnet worden. Nach dieſem tiefften Tone nannte man 
dann auch die ganze Tonreihe oder Tonleiter Gamma, eine Benennung, die fih bis 
Heute im den romanifhen Sprachen erhalten hat. Sonft wird diefer Ausdrud noch 
zur Bezeichnung des Ambitus, des Tonumfangs der Singftimme, oder eines Im 
ftrumentes gebraudit. — Im der Notenfchrift diente das 7” aud als Schlüffelzeihen 
und war der tieffte der fünf Claves signatae, der auf der erften, unterften Linie 
des 1Olinigen Syſtems der alten Notation ftand; doch war der I’ Schlüffel nicht 
lange im Gebraug.?) Dagegen ift fpäter das eingeftrichene g, & zum Schlüffel- 


tom geworden, für den das aus der gothiſchen Majustel & entftandene das 


Schtüffelzeichen bildet, das G- oder Biolin-Schlüffel Heißt und jegt aus- 
Äcfiegtig auf der zweiten Linie des Notenfgftems fteht, während es früher z. B. 


') Guito von Araygo, Micrologus Kap. II, fagt: „Imprimis ponatur 7 a modernis 
adjunetum.“ Schon Hutbald Hatte für diefen Ton, den er Archoos gravis nennt, ein eigenes 
Tonzeien. — Einige Scriftteller wollen, daß Liefer Ton den Griehen, als den wahren und 
erflen Yehrern der Kun und Miffenidaft zu Ehren Gamma graecum genannt worden fei; 
fo fagt Margettus, Lucid. mus. plan. Tract. IX. Cap. I: „Sed quare Gamma ot non 
Alpha quae est prima litera Alphabeti Graecorum? Dicimus: eo quod Gamma est 
prima litera qua deseribitur eorum nomen.“ Glarean, Dodesach. Bas. 1547 I. I: y.... 
nempe ut haud immemores essemus, hanc disciplinam ut alias omnes a Graeeis esse“ 
— und Martin Agricola, Cin kurt deudfhe Mufila, Wittenberg 1928: „. . . den Griechen 
zu eimer fonderfißien Ehrerbietung . .* — Andere, fpätere Schrifiteller ſchreiben die Beifügung 
diefes Tones dem Guido zu; fo Bring, Sing: und Ainglunft, Dresden 190. S. 106: „dem 
exftert, nemlid) dem A, Hat er das griediiffe I’ vorgefehet, damit er andeutete, daß die Griechen 
die Erfinder der Muftt deweſen .. Zwar fein liche, Die da wollen, daß er mit dem 7 ut, 
gleihfam als hiehe es Gut oder Guido feinen Namen Gabe wollen ausdrücen.” Auch Matthe. 
fon, Reueröffnel. Org. 1717. ©. 290 meint: „. ... weil des Aretini Vorname Guido ger 
wefen und Giemit ſoihes Namens Gedadtnuß Gat gefiftet werden follen.“ 

2) Martin Agricofa a. a. D. führt diefen Sctüffel zwor noch an, aber in den Beifpielen, 
die er giebt, verwendet er ihm nicht mehr. — Derfelbe war auch glei} dd von Anfang an 
meift nur in Verbindung mit einem andern Schlüffel angewendet worden; und in der Folge 
murden nur die drei mittleren beibehalten, unfer F-, G- und C-Slüffel. Bol. Ambros, 
Seid. der Ruf. II. ©. 105. 

2ümmerte, Encafl.d. warg. Sichenmufll. 1. 29 

















450 Gabelkoppel. 


in Franlreich auch auf die erfte Linie gejept wurde und als franzöſiſcher Bio 
Tinfhlüffel nad von Seh. Vach und feinen Zeitgenoffen zuweilen verwendet wurde. 











Gabelkoppel, Zugkoppel (zum Unterſchied von der Schiebe koppel, vgl. 
den Art.) heit im Regierwerl der Orgel eine Koppelungsvorrichtung, die mittelft 
gabel förmig getalteter Hofzleiftchen wirft und daher ihren Namen hat. Die Gabel: 
loppel wird Hauptfüchlic auf zweierlei Art gebaut. — Bei der erften Bauart 
befindet ſich Hinten unter dem Hauptmanual ein zweites blindes Mlavier, das Kop- 
peltlavier, das aus fo vielen ca. 8-10 cm langen Holzleiftdjen befteht, als das 
Manual Taften Hat. Diefe Holzleiſichen find mit ihrem Hintern Ende in einem 
Rahmen oder einer Welle befeftigt, am ihrem vorderen, dem Cpieler zugewandten 
Teile aber ca. 6—7 cm tief durhfhligt, fo daß fie eine Gabel Bilden. Diefe Gabel 
iſt durch ein eingefügtes Holztlögden in zwei je ca. 3 cm fange Hälften geteilt; 
die vordere Hälfte jeder Gabel ift an der entſprechenden Ahftrafte einer Taſte des 
Hauptmanuals befefligt und wird beim Niederdrüden der Tafte mit der Abftratte 
in die Höhe gezogen, nimmt daher, da die Hintere Gabelhätfte diefe Bewegung nicht 
mitmagt, fondern mit dem Rahmen tiefer ſtehen bleibt, eine ihrer Länge nad fcpräge 
Stellung an. Durd die Hintere Hälfte der Gabel aber gehen die Abftrakten des 
obern, zu koppelnden Klavieres, in der durch die Gabel gehenden Partie jedoch nicht 
in ihrer gewöhnligen Form ala Holzſtäbchen (vgl. den Art. „Ahftraften“), ſondern 
aus einem mit Schraubgerwinde verfehenen Drahte beftehend, der in beftimmter Höhe 
über dem Hintern Gabelteile mit einem Mütterhen verſehen ift. Wird nun durd 
Anziehen des Koppelzuges gefoppelt, fo bewegt fih der Rahmen mit jämtlichen 
Gabeln des Koppeltlaviers ſoweit aufmärts, daß die Gabeln aus der früheren ſchrägen 
Stellung in die wagrechte übergehen und dadurd mit der Hintern Gabelhälfte die 
Scraubenmütterhen der Abftraften des obern zu foppelnden Manuals erreichen. 
Das Niederdrücen einer Tafte des Hauptmanuals bewirkt nun ein weiteres Auf: 
wärtsbewegen der Gabel, die jegt mit ihrer Hintern Hälfte auf das Schrauben- 
mütterhen der Abftrafte der Obermanualtafte drüdt, die Abſtralte aufwärts und 
damit die Tafte niederzieht und das betreffende Ventil öffnet. — Bei einer zweiten 
Einrihtungsart der Gabelfoppel wird der Rahmen mit den Gabeln des 
Koppelflaviers beim Anziehen des Koppelregifters flatt aufwärts gezogen, vorwarte 
bewegt und die Gabeln wirlen dann in derfelben Weife auf die Abftraften des zu 
Toppelnden Obermanuals. 


Gabelton. 451 


Gabelton, der nad, der Stimmgabel, dem Inftrumente, womit ex angegeben 
wird, fo benannte Normalftimmten: a, in England öfters aud) c. — Bom 17. 
Iahrhundert am machte die Ausbildung der Inftrumentalmufil einen Ton von be: 
ftinumter, feiftehender Höhe, einen Normalftimmton, zum Einftimmen der In- 
firunmente abſolut notwendig. Man wählte dazu a. Freilich war es jener früheren 
Zeit bei ihrer mangelpaften Kenntnis der Akuftit und dem geringen allgemeinen, 
wie mufitofifen Vericht nod nicht möglich, einen ſolchen Stimmton unabänderlid) 
und allgemein gültig feitzuftellen :?) jede Stadt, jedes Thenter, ja jeder Inftrumenten- 
mager hatte ein eigenes, don den andern mehr oder weniger abweichendes Normaln ; 
und felbft dadurh, daß man die verſchiedenen Oftaven des a nad der Tongröße 
der Orgelregifter maß und benannte, gelangte man zu feinem feſtſtehenden Gabelton, 
weil die Orgelbauer, um Material zu ſparen, das a erhöten, bis fie einen ganzen 
Ton über dem Kammerton (vgl. den rt.) angelommen waren und den foge- 
nannten Chorton (vgl. den Art.) angenommen hatten. Noch bie in die neuefte 
Zeit traf man nicht felten alte Kirchenorgeln, die in dieſem Ton geftimmt waren. — 
Ein weiterer Mbelftand war der, daß das a in den bedeutenden Mufiftädten, wie 
Berlin, Paris, Petersburg, raſch erhöht wurde, wie die folgende Zufanmenftellung 
zeigt: 








Berlin: Paris: Petersburg: 
1759 A = 427 Schwinggn. 1788 & = 409 Shwinggn. 1771 A = 417 Schwinggn. 
18214=437° „ 1821a=431 . 176a=47 „ 
18334=42 „ 1833 a=434  . 18304=453  „ 
1858 1=48  . 18524=49  . 1857 4=460 „9 
Erſt der neueren Zeit war es vorbehalten, Abhülfe für ſolche Mipftände anzubahnen. 
Schon im dahr 1834 ſchlug der Auftifer Scheibier in Crefeld vor, das a auf 440 
Schwingungen zu mormieren und die Noturforſcherverſammlung zu Stuttgart unter- 
ftügte diefen Vorſchlag ſehr lebhaft. Gleichwohl vermodte er nicht durchzudringen, 
und erft 1858 hatte das Vorgehen der franzöſiſchen Regierung mehr Erfolg: diefe 
tieß durd eine Minifterioltommiffien, die auf Gutachten vieler Dufitgelehrten und 
Abuftifer geftügt arbeitete, das a auf 437,5 Schwingungen feftjegen, und diefes 
Normal+a oder Diapason normal (wie die Franzofen es nennen) Hat Ausfiht, nad 
3) &o ſchreibt z. ® der Franzofe I. €. Petit, Apologie de ’excellence de la Mu- 
sique (um 1730). 4%. ©. 31: „Der Stimmton (Le Ton fixe) ift in veridiedenen Ländern 
höher oder tiefer. In Italien ift er viel Höher (beaucoup plus haut) als in Frantreich, in 
England fleht er zwiſchen beiden (il est entre les deux). Aber man muf beaditen, daß in 
Italien der Kirhenton faft immer (presque tonjours) einen ganzen Ton höher ift, ale der in 
der Oper oder in der Kammermufil.“ Bol. Allg. Muf. Ztg. 1869. ©. 71. 

%) Bol. Zamminer, Die Muſit und die ımufil. Inftrumente 1855. S. 338 ff. u. Deutſche 
Mufitzeitg. Wien 1802. ©. 302 fi. 








29 


452 Iofeph Gabler. 


und nad) allgemein eingeführt zu werden.) — Beim Einftimmen des Orcheſters 
giebt gewöhnlich die Oboe, oder wo die Orgel dabei ift, diefe den Gabelton an. 

Gabler, Joſeph, einer der geſchickteſten Drgelbauer des vorigen Jahrhunderts, 
der ſich neben Gottfried Silbermann, Chriftion Müller (Orgel zu Harlem) u. 0. 
durd) die Erbauung der berühmten Orgel zu Weingarten „im Reid” einen glänzenden 
Namen erworben Hat. Gleichwohl lag über einem eben bis vor kurzem volftän- 
diges Dunkel: man wußte nicht einmal feinen Vornamen und überall wurde nur 
bemerkt, „Daß er aus Ravensburg gewejen und um 1784 geftorben“ ſei.) Erſt 
in der Gegenwart gelang es den Forigungen des Chordireftorg Ottmar Dreßler in 
Weingarten, den Schleier, der über Gablers Leben und Wirken lag, wenigitens teil- 
weiſe zu lüften.) Gabler war geboren am 6. Juli 1700 zu Ddhfenhaufen, einem 
großen Dorfe im ehmaligen öſtreichiſchen, jegt württembergiſchen Oberſchwaben 
(Württ. Donaufreis; 2 Stunden öftlid von Biberach gelegen, das ein bedeutendes 
Mofter (aufgehoben am 12. Mai 1807) mit ſchöner Moftefirde hatte. Er erlernte 
in feiner Heimat das Schreinerhandwerk und ging dann als Schreinergefelle auf die 
Wanderſchaft, auf der er um 1720 aud nad) Mainz kam; Hier fand er im der 
Werlſtätte des Orgelbauers Johann Eberhard Ziegenhorn Arbeit und zugleich Ge: 
fegenheit, den Orgelbau kennen zu Lernen und ſich in demfelben auszubilden. 
Diefe Gelegenheit benugte er fo erfolgreich, daß er, als Ziegenhorn 1726 ftarb, 
deſſen Geſchäft als Werkführer der Witte feines Meiftere, Agnes geb. Hiller, 
fortführen fonnte. 1729 verheiratete er ſich mit diefer Witwe und fehrte bald 
darauf mit ihr in feine Heimat Ochſenhauſen zurüd, wo er nun nad) jeiner eigenen 
Aufzeichnung „zu Gottes Lob und Ehr“ ſechs Orgelwerle baute, von denen als die 
bedeutendften hier anzuführen find : 

1. Die „große Orgel” zu Weingarten, mit 66 1. Stn, auf 4 Man. 
und Peb., mit 6666 Pfeifen und einem Profpelt, der „eines der fhönften 
Kunſtwerle diefer Art“ ift.‘) Im derſelben Kirche erbaute er nod eine „Heine 
Drgel” von 22 M. Str. auf 2 Man. und Ped. 


') Mer die Verhandlungen zur Ginfühenng der franzöfiicen Normalfimmung in Dentf&- 
Hand und Gngfand vgl. 3. B. Signale 1862. S. 524 fj, Musical World 1869-1872 an 
verfiedenen Orten, Revue ot Gazette musicale, Paris 1812. Nr. 5. ©. 39 u. Nr. 9. &. TI. 

2) Gerber, N, er. II. S. 220, Hat leinen Vornamen, bemerft nur „wohnte zu Ravens- 
burg und führt die Orgeln zu Weingarten nad) Don Bedos, &. IL und zu Odfenhaufen 
mad; Hallen, Kun des Orgelb. S. 378 u. Mufit. Korrefponden; 1790. ©. 104 an; Stil: 
fing, Univ. er. III. S. 168, Gringt dasfelße mit dem Zufah „Narb um 1784”, aber ohne 
Duellenangabe Gier, und diefe Notizen haben alle fpäteren nacipefärieben: Bernsborf IL. 
&. 15, gone III, ©. 363. Mendel IV. &. 9. ©. Paul I. ©. 344; mod 1879 fpridit Bitter 
v. Pontigny bei Grove, Diet. I. &. 571, von ifm als von „Johann Gabler of Ulm.“ 

3) Bol. deffen Beröffenttigungen in den Monateh, für Mufitgeff. 1873. ©. 196-197 
und in dem Auffat; „Die große Orgel zu Weingarten“ im Gäcienfalender. Regensburg 181%, 
die auch von Fürftenen in dem Art. „Gabler” Allgem, deutfeje Bioge. VIIL, S. 206—29: 
bereits benutzt wurden. 

4) Die Diepofition dieſes Wertes findet ſic fa in allen Werten über die Orgel, bei Den 





Ernſt Fried. Gäbler. 453 


2. Die Orgel der Kloſtertirche zu Ochſenhauſen, mit 50 M. Stn. auf 
4 Dan. und Bed. 

3. Die Orgel der Mofterlirhe zu Zwiefalten (einige Stunden nordöfl. 
von Sigmaringen in einem Ceitenthal der obern Donau gelegen), mit 64 HL. 
tn. auf 4 Man. und Ped. Diefes Wert murde mac Aufhebung des Mofters 
in die Stiftsfiepe zu Stuttgart verfept, hier 18411845 von Eberh. Briedr. 
Balder gänzfid) umgeorbeitet und gegenwärtig von C. ©. Beigle in großem 
Maßftab erneuert.) — Außerdem baute Gabler nad Orgeln für Memmingen, 
Steinba) und Ravensburg. 


Über des Meifers ſpäteres Lehen ift bis jept mach nichts Sicheres befannt ; er fall 


nad} dent Cilfaß gegangen und gänzlich versemt dert geftorben fein, -- ab „um 
1784 wie alle Serifa angeben, ift nicht fefigeftelt. 


Gäbler, Ernft Friedrich, Mufildirehtor zu Zullichau; er ift am 9. Iuni 
1807 zu Merſchwitz bei Parchwitz in Schleſien als der Sohn des dortigen Kantors 
und Drganiften geboren und erhielt von frügefter Jugend an von feinem Later 
Mufitunterriht. 1828-— 1830 beſuchte er das PFehrerfeminar zu Bunzlau, wo Na 
row fein Lehrer in der Muſik war, und wo er fon 1830 als Hulfolehrer am 
Waifenhaufe angeſtellt wurde. Um fih für eine höhere Seminarlehrerftellung aus 
zubiden, ging er 1832 nad) Berlin und befuchte das Fönigl. Inftitut für Kirchen- 
mufit; A. W. Bad) und Ed. Grell waren hier feine hauptfählichften Lehrer, wie 
er auch die VBorlefungen von A. B. Marr an der Univeriität hörte. An Dftern 
1834 tat er dann fein Amt als Organift und Mufitlehrer am Waifenhaufe zu 
Zülihen an, das er nun fein ganzes Leben lang mit Erfolg verwaltete und in 
dem er am 21. Mai 1880 fein 5Ojähriges Jubiläum feierte. As Orgelbaurevifor 
des Negierungsbezirts Frankfurt a. D. Hat er von Ende der dreißiger Jahre am 
über 50 Orgeln revidiert und abgenommen; 1852 erhielt er den Titel eines Rönigl. 
Muſildireltors und feit 1856 leitete er einen jährlich wi / derlehrenden, je 6 Wochen 
dauernden Fortbildungsfurfus für bereits angetelfte Kantoren und Organiften, die 
ſich zu einer Höheren firdenmufitalifhen Stellung ausbilden follen. Bon G.s Schülern 
fönnen genannt werden: Theod. Kullat, die Berliner Organiften Ferd. Schulz, Kapler 
und Gäbfer, Organift Franz in Königsberg, Lud. Riedel in Hirſchberg, Aug. Riedel 


Bedos. Bd. TI, (ver fie von Gabler fethft erhalten Gatte). Töpfer, Antony, Geſchictt. Darf. 
der Orgel. 1832. ©. 185-195. Mr. 18 der Dispof, Wangemann, Geſch der Orgel. ©. 205 
bis 29. Grove, Diet. II. 1880. S. 603. u. |. m. — Es wird erzäfft, daß die reidien Zene- 
dittiner mit der Ausführung des Wertes fo zufrieden waren, daß fie Gabler außer dem Preis 
von ca. 2000 Gufden als Eriragefäjent noch je einen Gulden fiir jede der 6006 Pfeifen, 
alfo 6686 Gulden zulegten. Bal. Grove a. a. D. 

1) Fres, Württ. CB. 1828. ©. VI. bemerft bei diefem Werte: „der Erbauer dieſer 
Drget foll ein Geblitfe Gablers geweſen fein. Sein Name ift dem Berfaffer unbelannt“ — 
wärend er in dem fpäteren „Orgelfpielbud,“ 1851. &. 2 nur mod jagt: „Der Berfertiger 
derfelßen Tann mit Beflimmtheit nicht genannt werden.“ gl. auch den Art. „deh“ 











454 Gambe. Gambenkimmen. 


in Breslau u. 0. — An Kompofitionen hat ©. Op. 140 veröffentlicht; hier 
find zu nennen: 


1. Orgefwerte: Op. 4. 12 Orgelftücte als Borfpiele. Leipz. Breitl. u. H. 
Op. 5. 8 Choralvorfpiele. Leipz. Whiſtling. — Die Präludien und Fugen | 
Op. 10. Op. 16. Op. 20. — 2. Gefangwerfe: Pfafnen Op. 1—2. Op. | 
15. Kantaten Op. 9. Op. 23. Motetten Op. 11. Op. 25. — Choralbuh | 
für 4 Mitn. enthaltend TO Choräle der evangel. Kirche mit untergelegten | 
Texten. Op. 6. Grüneberg, Fevyfohn. | 





Gambe als Orgelfimme vgl. den Art. „Viola di Gamba.“ 


Gambenftinmmen, eine Gruppe offener Sabialftimmen der Orgel, die mit dem 
ihnen eigenen geigenartigftreihenden Klang den Gefamtorgelton Heben und veredein, 
indem fie den dumpferen Ton der Stimmen des Gedaddjores ſchärfen und den 
heilen metallenen der Stimmen des Prinzipolchores mildern. Außerdem aber jtelt 
diefe Regifterfamifie dem Orgelfpieler nod eine Anzahl ſchöner Soloftimmen zur 
Verfügung, da unter ihnen das Pieblihfte und Zartefte ſich findet, was irgend die 
Drgelbaufunft hervorgebracht Hat. „Wie bei der Ordieftermufit das Biolinquarten 
der Träger und das Berbindungsmittel des Ganzen ift, ebenfo verbinden Die gamben 
artigen Regiſter die fertig anſprechenden Flötenſtimimen miteinander, und verleihen 
der Gefamtwirkung einen fo ganz eigentümligen Reiz, daß diefe Art von Tonfarbe 
in feiner Orgel fehlen darf.) Die Gambenftimmen find eine deutfche Erfindung, 
die der Wendezeit des 16. und 17. Jahrhunderts angehört und vieleicht dem 
Orgelbauer Ejajas Compenins (vgl. den Art.) zuzufhreiben ift.*) In England baute 
der deutiche Orgelbaner Ich. Schnitler aus Palau 1754 die erfte Gambenftimme, 
ein Calicional, das die Engländer Dufcana nennen, und in Frankreich fanden die 
Ganben erſt in den dreißiger Fahren unfres Iahrhunderts durch Cavaillé- Coll 
Eingang.) — Im Bau und Ton unterf—eiden fih die Gambenjtimmen von den 
übrigen Labialſtimmen zunächſt durch ihre enge Menfur: die Weite des Normal 
prinzipal® = 7 gefegt, erhalten die veridiedenen Gambenftimmen Menfuren von + 
(diefe als weitefte), 31%, 3, 2% 2, IN u. 1.%) Diefer Menfur entiprehend werden 
ferner die Pfeifentörper verlängert, fo daß fie bei diefen Stimmen der theoretiſcher 





1) Bat. Frech im Württ, Orgellpielbuch 1851. „Über Einrichtung und Behandlung der 
Orgel.” &. 16. 

2) Zedenfalls fette er 1615 eine der erften befannten Gamben in der Orgel zu Buckeburg 
Bat. Ritter, Zur Geſch. des Orgelfpiels 1984. 1. ©. 86. 

%) gl. Hopkins and Rimbault, The Organ 1877. I.& 147. 148. Grove, Diction. 
U. &. 597 u. Ply, La Facture moderne 1380. &. 28. 24. 

+) Gadegaft in der Domorgel zu Schwerin hat zwar einen Biolon 92° mit der Menier 
6Ya, nalfo eigenttich beinahe Prinzipafmenfur;“ allein „diefe if abfiftlid gervählt, um die An- 
fpradie zu präciieren und den Tom zu läftigen. Die eigentlige Menfur für Biofon mir 
Nr. 3 gemefen.“ Bol. Mafmann, Die Orgelbauten in Medienburg. I. S. 67. 


Ganzwerk. 455 


Länge näher tommen, al bei irgend einem andern Negifter und nur c. "5 weniger 
betragen als diefe.!) Außerdem erhalten die Gamben ftarten Windzuftuß, und diefer, 
bei engem Aufſchnitt am Oberlabium ſcharf gefgnitten, erzeugt die ihnen charatte . 
riſtiſche Eigenſchaft der Mangfarbe, die man Strich nennt und die durch das mehr 
oder weniger ſiarle Blasgeräufd) entfteht, das den Ton begleitet. Je engere Menfur 
eine Gambenſtimme hat, deſto ſchwieriger ift ihre Intonation, defto mehr neigt fie 
zum Überbffen in die Quinte und Oftave. Um die Intomation zu erleichtern und 
die Anfprache zu präcifieren, werden in der Praris ziemlich allgemein die Bärte 
(vgl. den Art.) angewandt, obwohl ihnen die Theovetiter nicht eben hold find.?) 

Indem wir für die Beſchreibung der gebräuchlichen Gambenftimmen auf die 
den einzelnen derfelben gewidmeten Artilel verweifen, führen wir fie Gier nur noch 
dem Namen nad) auf und unterffeiden dabei: a) die eigentlihen Gamben- 
fimmen: Biolon 32° 16; Biotoncello 16° 8; Biola 16 & 4; 
Duintviola 5‘ 2%; Viola di Gamba 8° 4‘; Viola d’amour 8‘; 
Biolino (Flageofett) 2'; b) die gambenartigen Stimmen: Salicional 
16° 8° 4°; Fugara 8° 4; Geigenprinzipal 16° 8; Harmonita 8; 
Dolce 8 4; Dolciffimo &. Die drei zulegt genannten Stimmen bilden 
gleichſam den Übergang von den Gamben- zu den Flötenſtimmen. 





Ganzwerk nannten die alten Orgelbauer urſprünglich jedes „gar groß Wert," 
fpäter aber folge Orgeln, die im Hauptmanual ein Prinzipal 16° und eine Oftave 
8° Hatten. Prätorius, Synt. mus. II. cap. X, ©. 105 fagt hierüber: „Co ift dennoch 
auch aus gedachter ungleihen Größe eine Frage, damit jedem Werte in folder Art 
ein geroiffer Name gegeben würde, entjtanden. Nämlichen, welches doch ein ganz, 
halbes, oder vierteil Wert fei, oder genennet werden könne? . . und als vor etlichen 
Hundert Jahren die gar großen Wert an Tag bradt worden, fo hat man nothwegen 
diefelb vor ein ganz Werk... Halten und nennen müffen . . . Und zwar hat man 
zu felben Zeiten die großen Wert billig ihrer Art nach Gang geheißen: Weil von 
folden großen Pfeifen dis zu den Meinften als eine ganze vollfommene Mirturdis- 
poſition disponieret worden. . . 

Seid) wie jegt ebenermaßen die Werke nad ihren Prinzipalen genennet, und 
auch nur dreierfei Art Namen Haben. Als wenn ein Orgelwert im Manual ein 
Beinzipal von 16 Fuß Thon, und ein Oftava von 8 Fuß Thon hat: jo wird es 
ein groß Prinzipal Werk genennet: bei den Alten aber ifts ein Gank Werk genennet 
worden, darinnen aber gemeinlich das F im Pedal von 24 Fuß nad dem Choral“ 














1) Cine Meile 8° arhalt daher ſtatt einer Iheoreifien Länge von 96* eine folde von e. 
85”. Bol. v. Dommer, Mufit. Ler. 1865. S. 347. Anm. 1. 

9) Son der alte Alung, Mus. mech. org. I. &. 61 meint: „dod wer fie (ie Viola 
di gamba) ofne Bärte mat, der verdient mehr Lob; indem dies (nämlich) das Anbringen 
von Bärten) ein Zeihen ift, daß enttweder die Menfur der Pfeifen, oder der Auffnitt mist 
allzurictig fei” 





456 Matthias Gaſtriß. Giovanni Giacomo Gafoldi. 


maß zu rechnen und eine Mirtur darbei gewefen: wenn gleid) fonften gar Feine 
Stimme mehr vorhanden.“!) 


Gaftrig (Caſtricius), Matthias?) ein deutſcher Kontrapunktift, der im der 
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Kantor und Organift zn Amberg in der 
Dberbfalz lebte. Im feinen Werke: „Rurge und ſonderliche Newe Symbol etlicher 
Furſten vnd Herren, neben andern mehr ſchönen Liedlein mit fünff vnd vier Stimmen.“ 
Nürnberg 1571. (Zuſchrift datiert 14. Februar 1571) fteht als Nr. X der 
„andern ſchönen Liedlein“ ein fünfftimmiger Tonfag zu dem von Martin Schallin— 
(1558—1568 Prediger zu Amberg) nach Koch, Geſch. des K. L. II. ©. 28 
„ums Jahr 1567” gedichteten Liede: „Herzlich lieb Hab id) dich, o Herr.” Dieſer 
Tonfag wurde die Beranlaffung, daß man ihm bis in die neuere Zeit die Erfindung 
der allgemein verbreiteten Kirhenmelodie zu diefen Liede als Erfinder zuſchrieb. 
Doch ift feine mad der Sitte jener Zeit im Tenor liegende Melodie eine ganz 
andere.') Bol. das Nähere hierüber in dem Art. „Herzlich fieb Hab id did, o 
Hm“ — 








Gaſtoldi, Giovanni Giacomo, ein italieniſcher Komponift, der hier aufzw- 
führen ift, weil zwei von ihm erfundene „Baletti“-Melodien zu deutſchen Chorälen 
geworden find. Er war um 1556 zu Garavaggio geboren und fpäter „des 
Hergogen von Mantua Kappellenmeifter* an der Kirche Santa Barbara zu Mantua; 
um 1600 famı er in gleicher Eigenſchaft an den Dom zu Mailand, wo er 1622 
farb. — Bon ihm, der als Komponift bei feinen Beitgenoffen ſeht beliebt war und 
deſſen Werke mehrfad; auch in Antwerpen u. a. a. D. gedrudt wurden, erſchienen 
zwiſchen 1581— 1611 etwa 30 weltliche und geiſtliche Geſangöwerle, die man bei 
Gerber, N. Lex. I. ©. 263 f. Feus, Biogr. II. S. 419, u. a. verzeichnet 
findet. — Unter denſelben befindet ih das folgende : 


„Baletti a einque voci con li suoi versi per cantare, sonare, e 
ballare; con una Mascherata de cacciatori a sei voci, ed un con- 
+) Bol. hierüber auch Werkmeifter, Orgelprebe. Kap. 22. ©. 54; Fuhrmann, Muſik. Trichter, 

Vorr. &. 4; Adlung, Mus. mech, org. I. S. 21 u. 127 u. Sponfel, Orgelßiftorie. Kap. III. 
810.8.9. 9%. u.a. 

2) Gerber, N. 8er. II. ©. 202 u. S. 264, macht aus ihm zwei Perfonen: „Michael 
Gafterig" und „Matthias Gafteit,” obwohl er richtig deren Identität vermutet. — Aud) v. 
BWinterfeld fprifit @v. 8.G, I. &. 418. 511. 5ld — immer von „Matthias Gaftrit,” fhreibt 
aber daf. I. Notenb. Mr. 109 über den Tonſatz, Michael Gafrig.” 

®) Son bei Clauder, Psalmodia nova. Centuria I, Altenburg 1627, fieht Über dem 
Side: „In feiner Melodey, fo weyland Michosl Gafterig, DOrganift zu Amberg geießet:” Und 
3 B. noch das Württ. Ch.-B. von 1944. Nr. 207 nennt ihn als Komponiften. 

) Wenn Schilings Univ. Lex. II. S. 140 dem Gaftrit; auch die Melodie „Was Gott 
thut, das iſt wohlgergam” zufcreibt, fo beruht dies wohl mır auf einer Berwedjstung mit 
Severus Gaforius, die jedod Panl, Handler. der Tont. 1870. I. ©. 351, noG nadjihreist. 


Severns Gaforins. M. S. D. Gattermann. 457 


certo de Pastori a otto etc. In Venetia, appresso Riceiardo Ama- 
dino 1591. 4°. (2. Aufl. 1595; eine Ausg. Antwerpen 1596; 7. Aufl. 
1597, vgl. Becer, Hausmufit. 1840. ©. 14. Anm. 2.) — Aus diefem 
Werke hat der Kantor Iohann Pindemann (vgl. den Art.) zu Gotha in feinem 
Sammelwerte „Amorum Filii Dei Deeades Duae: Das ift: Zwautzig 
Lieblice und gang Anmutige, Lateinifce dnd Deutfche Newe Ihark, oder 
Weyhenacten Gefenglein” x. Erfurt 1598, I. qu. 4%. — 8 Gtüde famt 
ihren jünfftimmigen Tonfägen herübergenommen und fie mit deutfchen geiftlihien 
Torten verjehen; fie Anmen von da in G.-BB. wie 5. B. das Gürl, 6.8. 
1611, Herm. Scheins Cant. 1627, Cant, saer. Goth, I. 1651 und zwei 
der Melodien Gaftoldis find in den allgemeinen Kirchengebrauch übergegangen, 
nämtig: 
Balletti 1591. Nr. 2. A Lieta vita (L’innamorato) 
als: Im dir ift Freude (ogl. den Art. 
Balletti 1591. Wr. 3. Viver lieto voglio (II bell humore). 
als: Iefu wollſt uns weifen (gl. den Art.). 


Gaftorius, Severus, um 1675 Kantor zu Iena. Ihm ſchrieb die Tradition 
feit lange die Erfindung der Choralmelodie „Was Gott thut, das ift wohlgethan“ 
zu, und erft newerdings iſt es zweifelhaft geworden, ob er oder Johann Pachelbel, 
oder ein dritter dieſelbe erfunden hat. Vgl. die näheren Nachweiſungen in dem Art. 
„Was Gott ıhut, das ift wohlgethan.“ — Schamelius, Lieder Kommentarius II. 
Leipz. 1725, erzählt in der als Anhang beigegebenen „Historie der Himnopoeorum® 
(vgl. Cunz, Geſch. des deutfhen K-8. I. 1855. ©. 641), daß der Dichter 
des Liedes, Samuel Rodigaft, dasfelbe im Jahr 1675 zu Sena, da er Abjunft der 
philoſophiſchen Fatultät gewefen, „den damals fan liegenden Ienaifhen Kantori, 
Severo Gafterio, feinem getreu geweſenen Schul- und afademiihen freunde, auf 
feine Bitte zum Troft gemacht, welcher auf dem Sranfenbette die Melodie dazu 
fomponiert und bei feinem Begräbnis zu mufizieren befohfen. Nachdem er aber wieder 
genejen, hat die Kantorei wöchentlich es ihm vor der Thür fingen müffen, daher es 
denn befannt geworden.” Dies die traditionell gewordene Erzählung, von der Wetzel, 
Hymnop. I. S. 395, nur infofern abweicht, als er den Gaftorius erft nad) feiner 
Genefung das Lied „in die nod überall befannte Melodie fegen” läßt. 


Gattermann, Michael Samuel David, ein Berliner Schulmann, der am 

13. Auguft 1748 geboren war, fange als Lehrer und Rektor in Berlin wirfte und 

am 18. April 1829 dafelbft ſiarb. Mehrere von ihm fomponierte Choräle fanden 

Aufnahme in das Kühnaufhe CH-B. und 16 drei- und vierftimmige Kirchenſtüce 
einer Kompofition erſchienen gedrudt in: 

„Die heilige Cäcilia. Lieder, Motetten, Chöre x.“ Berlin 1818-—1819, 


Sander, 3 Teile, qu. Sol. I. 8. 9. 13. 14. 15. 31. 39, 44. 63. 68, 79, 
91. I. 21. 


458 Henry Iohn Ganntlett. Georg Gebel. 


Gauntlett, Henry John, ein engliſcher Kirchenkomponiſt und bedeutender 
Drganift, der ſich befondere Berdienfte um den englifhen Orgelban erworben hat. 
Er war 1806 geboren und zeigte frühe ſchon befondere Vorliebe für die Orgel und 
das Orgelfpiel; er ftudierte fleißig Mufit und daneben Iurisprudenz, wurde 1826 
Advolat und 1827 zugleich Organift an St. Olave zu Southwart-Londen. Um 
1836, nachdem er fih bereits einen bedeutenden Ruf als Orgelfpieler erworben, 
begann er feine Beftrebungen für Berbefferungen im Drgelbau, fr die er bei dem 
Drgelbauer William Hill die bereitwiligfte und wirtſamſie Unterftiigung fand. Diefer 
baute feine größten Orgelwerle nad) Ge's Angaben, und beide Dänner braten es 
nad und nad) dazu, daß die älteren engliſchen F- und G-Orgeln aufgegeben und 
der Umfang der Claviaturen bis C ausgedehnt wurde und damit das Peyerfaften 
artige der älteren engliſchen Orgeln ſchwand. Um 1842 gab ©. die Advolatur anf 
und toidmete ſich ganz der Mufit; er wurde in der Folge Organift an verſchiedenet 
Londoner Kirchen und auch Mendelsfohn wählte ihn für die Ausführung der Orgel: 
partie im „Elias“ bei deffen Aufführung zu Birmingham am 26. Auguſt 1846. 
Eine weitere fruchtbare Thätigleit entfaltete G. auf dem Gebiete des Choralgefangs 
der engliſchen Kirche und edierte während 40 Jahren eine ganze Reihe von Gefang- 
und Choralbüdiern. Er ftarb am 21. Februar 1876 zu London. — Seine CHorat 
werte find: 

„Hymnal for Matin and Evensong“ 1844. — „The Church 

Hymn and Tune Book“ 1844—-1851. — „Cantus Melodiei“ 1845. — 

„Ihe Comprehensive Tune Book“ 1846—1847. — „The Hallelujah* 

1848 - 1855. — „The Congregational Psalmist“ 1851. — „Carlyles 

Manual of Psalmody“ 1860. — „Tunes, New and Old“ 1868. — 

„Harlands Psalter and Hymnal“ 1868. — „Specimens of a Cathe- 

dral Psalter.“ — „The Encyclopädia of the Chant.“ — „Hymns 

and Glorias.“ — Sanct Marks Tune Book.“ — „Uymus for litt!e 

Children.“ — Außerdem erfchienen von ihm Anthems, Hymnen, Orgelftüde 

und Arrangements fir die Orgel. 


Gebel, Georg, ein in feiner Zeit bedeutender Organift und frudtbarer Kirchen- 
tomponift zu Breslau, wo er 1685 geboren war. Bon jeinem Boter, einem Mus- 
tetier in der fogenannten grünen Kompagnie, urfpränglid dem Schneiderhondwert 
gewidmet, verließ er diefes 1703 in feinem 18. Lebensjahr und begann unter des 
deruhmten Domorganiften Franz Tiburz Winkler Leitung muſitaliſche Studien, die 
er unter deffen Nachfolger, dem Drganiften Kraufe, der feiner Zeit im Fugenfpie 
und Präludieren als Meifter galt, mit größtem Erfolg fortfegte. 1709 wurde if 
die Organiftenftelle zu Brieg Übertragen, und Hier fand er im Umgange mit dem 
Gothaijchen Hoffapellmeifter Stölgel (vgl. den Art.) mod Gelegenheit, auch fein 
Kompofitionstafent auszubilden, was ihm ermöglihte, von da an mit Erfolg de 
Bahnen diefes oberflächlichen Vielſchreibers in einer großen Anzahl von Rird:s 
Tompofitionen zu folgen. 1713 wurde er als Organift der St. Chriftopjorusti 










Georg Gebel. Georg Sigism. Hebel. €. 2. Gebhardi. 459 


md, Breslau zurücgerufen, und dies Amt verwaltete er mit anerkannter Tuͤchtigkeit, 
His er 1749 als Nachfolger feines zweiten Sohnes (vgl. unten) in die Organiften- 
Melle am der Trinitatisfire Abertrat, in welchem Amt er dann 1750 fiarb. — 
Seine Kirchenwerle, die fümtlic Mifte. geblieben, und die er felbft durch feine fehr 
&egeichnende Aufzählung!) als Dugendiverfe Aaratterifiert, find: 
Ein Palm umd eine Deffe für 2 Chöre. — 4 Dugend „Choralia mit 
untermifciten Wien” (d. h. Kircenlantaten im älteren vorbahifgen St. — 
5 Dug. geiftl. Kantaten, ſowohl Solo, als Duetten und Trio.” — 2 Dup. 
Palmen, „Sort mit Inftrumenten." — Gin „Paifional-Oratorio" von 7 
Teilen. — 2 Dug. Prüludien md Fugen (meift für 2 Dan. u. Pd.). — 
2 Dup. Choralia, d. }. varlirte Choräle für Orgel (oder Mavier). 


Gebel, Georg, der ältefte Sohn des vorigen, war am 25, Dftober 1709 
zu Brieg geboren umd erlangte feine ganze muſilaüſche Ausbildung unter der Leitung 
feines Vaters, den er frühe ſchon in feinem Organiftenamt vertreten kounte. Später 
wurde er zunäcft Organift zu Hirfchberg, dann verlieh ihm der Herzog v. Dels den 
Titel eines Hoftapellmeiſters, 1735 fam er in die Kapelle des Grafen Brühl in 
Dresden und von hier endfid) 1747 nad; Rudolftadt, wo er anfänglich Konzert- 
meifter und furz darauf Kapellmeifter der fürftlichen Hoftapelle wurde. In Rudel: 
ftadt ftarb er am 24. September 1753. — Bon feinen Kompofitionen werden 
aufer 12 Opern und zahlreichen Rammermufilwerten genannt :%) 

4 volftändige Jahrgänge von Kircenfantaten und 2 Paffions-Mufiten. 


Gebel, Georg Sigismund, der zweite Sohn des obigen älteren Gebel, ge— 
boren zu Breslau um 1715, erhielt um 1736 den Auf als Unterorganift an St. 
Elifabett; dajelbft, für melde Kirche er einen Iahrgang Kantaten fegte. Im Lahr 
1748 tat er auf die Organiftenftelle an der Trinitatisficdhe über, in welcher Stelle, 
als ex fie 1749 wieder verließ, um als Oberorganift an St. Eliſabeth zurüdzu- 
fehren, fein Vater fein Nachfoiger wurde. Sigismund ©. ftarb 1775 zu Breslau. 
Einige feiner Orgelfompofitionen wurden gedrudt. 


Gebhardi, Ernſt Ludwig, war am 1. Januar 1787 zu Nottfeben im 
Rreife Erfurt geboren und erhielt von feinem Vater, Johann Jeremias G., einem 
’ertigen und gediegenen Drgelipieler, vom vierten Jahr an Dufil- und Elementar- 
anterricht, ſpäter auch Unterricht in den alten Sprachen. Zum Studium der Theologie 
jeftimmt, befugte er von 1801 an das Ratögymnafium zu Erfurt, wo er zugleid, 
üchtigen Mufitunterriht namentlich) von M. G. Fiſcher erhielt, bei dem er 1807 
is 1810 einen vollen Kurfus in Klavierſpiel und Generalbaß abfolvierte. 1810 


1) In feiner Autobiographie bei Mattfefon, Ehrenpforte 1740. S. 407. Bat, auch Gerber, 
2. 2er. 1. ©. 2ı3-ar. 

2) Bol. Marpurg, Hißor. feit. Beiträge 1754. Vd I. Siler, Lebendbeſchreibungen berühmter 
Rufitgefeirten 1784. &. 06, und Gerber, A. er. I. ©. 482484, 


460 Ernſt Lud. Gebhardi. 


und 1811 ſtudierte er Theologie zu Jena uud Erfurt und begann dann 1812 feine 
Thätigleit als dehrer an einer Schule zu Erfurt, wo er 1813 zugleid; Organift an 
der Barfüßerlirdje wurde. Doch betrieb er aud feine mufifafifce Ausbildung mit 
fortgefegtem Eifer, ging 1817 zu dem Kapellmeifter A. Romberg in Gotha, um 
ſich im Violinſpiel und der Kompofition und 1820 zu Hummel nad) Weimar, um 
fi im Mavierfpiel zu vervollfommnen. 1820 wurde er Organift an der Prediger 
fire und Gefanglehrer am Gymnaſium zu Erfurt und 1829 noch Pehrer für Du 
ftheorie und Orgeiſpiel am dortigen Lehrerſeminar. Mit voller Hingabe und raft 
loſem Fleiße widmete er ſich mun feinem Beruf als Lehrer in Generalbaß, Klavier 
und Orgelfpiel fo wohl am Seminar als aud in vielen Privatftunden und ſchrieb 
feine beiden umfaſſenden Unterrichtswerle, die „Generalbaßſchule“ und die „Drgel: 
fäule*: in Anerfennung feiner erſprießlichen Thätigteit erhielt er hen 1832 den 
Titel eines Königl. Mufifdireftors und auch fpäter noch mehrfadje chrende Ans 
zeihnungen. Am 20. Januar 1862 feierte er in körperlicher und geiftiger Rüſtiglen 
fein 5Ojähriges Dienftjubilium und ftarb dann am 4. September 1862 in dem 
hohen Alter von über 75 Jahren. — Gebhardis muſitaliſche Bildung fält in jene 
Zwiſchenzeit, da die Nachahmer Mozarts die Welt mit ihren Produften überſchwemmien, 
während der alte Seh. Bad) vergeffen und Beethoden'ſche Muſit kaum in ihrer erften 
Periode Anerfennung gefunden hatte. Im diefer Zeit ging G.s ganzes Streben 
dahin, in der Theorie der Muſit und im Orgelfpiel tüchtiges zu leiſten. Er folgte 
dabei feinen eigenen een, die, wenn fie auch hinfihtlic des Stoffes weniger nen 
waren, doch file Unterrictsgtwede mandes Neue enthielten. Er vertiefte fih fo ir 
diefelben, daß er darüber zu einem eigenen Syſtem kam, das er in feiner „General: 
boßſchule· zur Darftellung brachte. Sein eminenter Fleiß trieb ihn ferner, niöt 
nur ſich felbft im Drgelfpiel nad) den Grundjägen feines Generalbaßwerkes ftetin 
zu fördern und bemgemäf; Orgeltompofitionen zu ſchteiben, fondern auch im Unter: 
richt zahfreiher Schüler das Durchdachte prattifch anzuwenden. So ift er als tüchtiger 
Harmonifer und Orgefpieler, aber nur in feiner Art anguerfennen. — Die folgenden 
feiner Werte find hier aufzuführen: 
Op. 5. 30 DOrgelvorfpiele für Anfänger, nebſt einigen Fughetten für 
Geübtere. — Op. 6. 24 Orgelftüde. — Op. 8. 15 Orgelftüde, Yeipz., Hof 
meifter. — Op. 9. Cvangelifdes CH.-®. nebft Intonationen und Neiponforier, 
— und Einfegungsworten, Epiſtel und Evangelium. Leipz., Hartkuod. 
— Op. 12 u. 14. Theoretifhpraftife Orgelignle in Übungen nebft An: 
dla I. Abilg. VIII. u. 115 ©. qu. 4°. 2. Aufl. 1862. — I. Abug 
Erfurt; Leip,, Hartlnod). Op. 15. Bierftummiges Tajgenhoralbud für 
Mavier oder Orgel. 342 Sara mebft Baterunfer und Einfegungstworten, 
4. Aufl. Leipz, Siegel 1867. IV. u. 203 ©. 8%. — Op. 16. 82 Cheräk 
mit unterlegtem Tert nebft 2 Arien und einem liturg. Geſang für 2 Zenörr 
und 2 Bäfe. Erfurt, Gebhardi. — Op. 17. 100 Leichte, mat —7 — 
und für jede Kirche geeignete Choralvoripiele. Erfurt, Gebhardi. 8°. (3. Anfl.x 
— Op. 18. Palm 121 für Aftgn. Dior, Daſ. — Op. 19. 0 Trie, 








Gebrochen. Gedackt, Gedeckt. 461 


Fugen, Vor. und Nadhſpiele nebft Anleitung für angehende Orgelſpieler zur 
Selbftverfertigung leiter Borfpiele x. Daf. — 


Gebrochen, ein Beiwort, das im Drgelbau mehrfad Anwendung findet: 
Bebrogene Oktav dgl. den Art. „Kurze Ottav;“ Gebrodene Shleifen, 
Behrodene Parallelen. Gebrochene Regiſter dgl. die Art. „Halb“ und 
‚Regifter"; Gebrochene Wellen vgl. den Art. „Wellatur, Wellen"; gebroden 
m Sinne von gefröpft val. den Art. „Kröpfungen.“ 


Gedadt, Gedeckt) als Terminus der Orgelbauer bezeihnet: 1. im weiteren 
Binne die Bauart einer Anzahl von Labialſtimmen der Orgel, nad welder die 
Bieifenförper diefer Stimmen an der Mündung duch einen Dedel, Stöpfel, Hut 
vgl. den rt.) gedertt, d. h. luftdicht verfchlofen werden (vgl. den rt. „Deden 
ver Orgelpfeifen”). Wenn eine offene Pfeife angebfafen wird, jo pflanzt ſich die 
ım Labium erregte Wellenbeivegung der Luft im Pfeifenförper jo lange in demfelben 
ort, als fie den Gegendrud der eingeſchloſſenen Luftſäule zu überwinden vermag. 
Dies ift bei einfacher Schwingungsart bis zur Mitte des Pfeifenförpers möglich; 
jirr aber wird nun durch den Gegendrud der obern Hälfte der Luftſaule der Druck 
der untern ausgeglichen, alſo aufgehoben, und «8 entiteht an diefem Punkte eine 
ote, ruhende Luftidiht, die man einen Schwingungsnoten nennt. Von dieſem in 
ver Mitte des Pfeifenförpers Legenden Knolen aus bewegen fih die beiden Hälften 
ver durch ihm geteilten vuftſäule abwechſelnd nad; beiden Enden der Pfeife. Wird 
tun am der Stelle des Schwingungsfnotens, d. 5. in der halben Höhe des Pieifen- 
örpers eine luftdichte Dedung angebradit, fo ift damit der Knoten auf mechaniſchem 
Bege firiert, die Luft in der noch übrigen untern Hälfte der Pfeife bewegt ſich jept 
oboechfelnd gegen das gededte und gegen das entgegengefeßte Labiumende, macht aljo 
m felben Raume aufe und abwärts den gleichen Weg, den fie vorher im doppelt 
9 langen Raume des ganzen Pfeifenkörpers gemacht Hatte: fie bildet Wellen von 
leicher Länge, wird alſo aud) noch denfelben Ton Hervorbringen. Die obere Hälfte 
"8 Pfeifenförpers aber ift damit Überflfffig geworden und fan fortfallen; es ift 
adunch eine gededte Pfeife, oder ein Gedadt entftanden, das mit einer annähernd 
ioppelt fo langen offenen Pfeife denfelben Grundton hat. — Urſprünglich mögen 
vohl Nüdfihten der Erfparnis an Raum und Material, und damit an Geld, den 
Yau gededter Orgelftimmen veranlagt Haben; einer Zeit aber, die wie die ältere 


') Bei Cilbermann, Orgel der Frauentirde zu Dresden auch „Bededtes“ (sc. Regiſter). 
Ye Form „Gedadt“ if die ältere und längft zum nomen proprium geworden; ifr Stamm- 
vert it angelfädfiii theccan, thacejan, altnordifd thacka, fämediid tacka, niederfähfih 
‚ekken, dänifä, dackke, afthoddeutjä tahan, thagan, aud) dakhan, dagen, decchen. Sie 
tauäit desiwegen nicht als „unridtig” (og. Urania 1860. S. 10) angeſchen zu werden, woch 
ammt fie eva aus dem [hmäbifhen Dialelt Ger, wie Shiling, Univ. Fer. ILL. &. 163 meint 
Ad Bernsdorf, Nenes Univ. Ler. II. &. 120 nadfreibt, denn in Schwaben fagt fein Menje) 
daden” für dedien, ober „gedadt” für gededt. 


462 Gedackt, Gedeckt. 


hinſichtlich der offenen Stimmen fo ſehr nur auf Heine Schreiftinmen beſchröntt wer, 
mußte dod) aud bald einleuchten, weich treffliche Grund und Fälftimmen mit da 
Gedadten für den Gefamtorgelton gewonnen waren. Und das ift ja in Wirklicleir 
aud) die Hauptbedeutung der Gedadte: fie bilden die eigentliche Grundlage des 
Drgeltons; fie geben ihm feine runde Fülle und fonore Kraft, feine eigentlid, fird; 
Giche Färbung und Würde, die ihn von jedem andern Gefamtton irgend eines andern 
gufammengefegten Zontörpers unterſcheidet. Durch die Dedung wird der Ton einer 
folgen Stimme jedod ſchwächer und fumpfer, fowie am Charakter dunkler und 
dumpfer; dieſe Erfahrung führte zur Herftellung von Gedadten mit doppelten Pabien, 
von Doppelgedadten, nicht mır, fondern and zu einer Stimmenart, den Rohr 
flöten, bei denen die Dedung durd) ein im deifelben angebrachtes Röhrchen teilweiſe 
wieder geöffnet wird, und die deswegen Halbgedadte Heißen. Beiderlei Ein 
richtungen ermöglihen «8, den berührten Mißſtand, wo dies nohvendig erſcheint, zu 
Heben. Die gebrauchlichen gededten Stimmen der Drgel, die wir hier nur aufzählen, 
indem wir für deren Veſchreibung auf die ifmen geivibmeten einzelnen Artitel ver- 
weifen, find: Unterjag (Majorbaß, maxima pileata sc. vox) 32°; Subbaß 
16°; Bordun 32° 16° 8°; Gedadt 16° 8° 4° (vgl. unten); Stille, Human-, 
Muficiergedadt, Barem 8; Lieblihgedadt 16° 8; Doppelgedadt 
16° 8°; Gedadtflöte 8° 4° 2° (ogf. den Art. „Bauernflöte‘); Ouintatön 
16° 8°; Nachthorn 4° 2°; Gedadtquinte (nassat) 10 5ts‘ 2a‘ Lila, 

2. im engeren Sinne eine befondere Gattung der gededten Stimmen, die 
eigentlihen Gedadte. Unter ihnen ift die Normalſtimme: 





Gedackt, 8°, ein Regifter, das in feiner Orgel, von welder Größe fie immer 
fein mag, fehlen darf, da es feiner nicht Hervorftehenden Tonfarbe wegen fait ze 
jeder Negiftermifhung geididt und zur Verbindung der verſchiedenen andern Stimmen 
jeglichen Tondarafters unentbehrlich it. Daher fommte man ihm in älterer Zeit, 
namentlich in Siddeutfcfand, mit allem Rechte aud den Namen Koppel geben. 
Die Körper diefer Stimme werden entweder ganz aus Holz; (Tannenhofz, oder die 
Lobienfeite aus Eichenholz), oder in der unterften und häufiger noch in den zwei 
untern Oltaven aus Holz, in den übrigen Oftaven aus Zinn gefertigt. Sie erhalten 
einen ziemlich hohen Auffchnitt und weite Menſur, nämlich bei Normalprinzipal = 7 
je nad) Bedarf 6, 5% bis 5 und follen voll und rund, aber weich intoniert feir. 
Im Pedal heigt die Stimme 


Gedacktbahz und wird bei gleicher Bauart etwas weiter menfuriert, nämlich, 
6--6%. Mit doppelten Labien erfeint fie als Doppelgedadt 8° im Haupt: 
manual größerer Orgeln und hat im diefer Form gewöhnfic die Menſur 6 und 
ſeht vollen und diden Ton. Iſt das Gedadt fo gebaut, daß es ſich in feiner 
Toncharalter mehr dem Flötenton zuneigt, fo heit es aud) 


Gedackt, Gedekt. Geduld die folln wir haben. 463 


Gedadtflöte 8° und wenn es bei diefer Bauart gleich dem Doppelgedadt mit 
doppelten Laben verfehen ift, Doppelfläte 8. Die Pfeifen der doppeltlabiierten 
Stimmen haben die Form eines Rechtels und die Laben find an den beiden 
Schwmalfeiten angebracht; der doppelten Labien wegen braudt eine ſolche Stimme 
mehr Raum auf der Windlade als eine einfache. Die Oftave von Gedadt 8 it 


Gedart 4° mit Körpern aus Metall, entweder durchaus oder doch in den 
obern Dftaven, weil fo Heine Holgpfeifen in Bezug auf Intonation und Stimmung 
Schwierigkeiten bieten. Die Menfur diefer Stimme ift entjpregend enger als Ge- 
dadt 8° meift 5 bei Normalmenfur 7. — Das Gedadt mit 16° Tongröße, das 
die alten Orgelbaner Groß-Gedadt 16° nannten, wird jet faft aflgemein als 
Bordun (vgl. den Art.) bezeichnet ;") auch unter dem Namen Grobgedadt kommt 
diefe Stimme in Älteren Werfen vor,”) dod) „fan man" — wie Adlung bemerft — 
„Durd) Grobgedadt nicht eben allezeit 16° verftehen, weil and das Bfügige, wenn 
die Menfur weit, der Mang aber pompicht it, fo genenmet wird.“ 


Gedadtgquinte vgl. im Art. „Nafiat.” 


Geduld die ſolln wir Haben, Choral der zuerft in dem größeren Kan- 
tionafe des Bartholomäus Gefins (vgl. den Art.) „Geiftliche deutſche Lieder Dr. 
Meart. Lutheri und anderer frommen Chriften . . ." Das Dritte Teil. Frantfurt 
a. O. 1607. Ioh. Hartmann. 4°. Bl. 74b, zu dem obenftehenden Terte erſchien, 
dann aber allgemein auf das Morgenfied „Dank fei Gott in der Höhe" von Johann 
Mühlmann übertragen wurde. Die Melodie heißt: 


en — 
—— — ——— — 
— fei Gott in der Hö-he in die» fer Mor-gen-flund, Mic Hat « te 
durd den ih wied'r auf + fle de vom Schlafftif und ge fund. 




































































7 rs —— 
Brenn ————— 
FR ge-bum-den mit Fin -ſer · nis Die Necht: ih hab fie Ü » ber-mun-den 








Dee E = 
durch Gott, der mid; be wacht. 
Nach v. Winterfelds Vorgange, Ev. RG. I. ©. 359—366 wird Geſius 
mehr oder weniger beflimmt auch die Erfindung diefer Weiſe zugeſchrieben; fo 3. V. 




















%) Ein „Gebadt 16°” Hat Reuble im II. Man. der Orgel zu Ayrit; derfelbe Orgel: 
Bauer ebendafelöft im Hanptmanual ein „Groß-edadt 8, ebenfo Golf im Hauptmanual der 
Orgel zu Engelberg. PBrätorius, Synt. mus, I. &. 132 umnterjgeidet: Groß-Gedadt 18, 
Gedadt 8° (öfters aud) „Mittelgedadt” genannt), ein-Gedadt 4° u. Super-Gedädtlein 2. 

2) &o fand nad) Alung, Mus. mech. org. I. &. 99 ein @rob-Gedadt 10° in der 
Drgel zu St. Mifaelis in Erfurt, welcher durch befondere Züge im Manual, und als ein 
Subbaß im Pedal gebraudt werden Tonnte." 


464 Geh ans mein Herz und ſuche Freud. 


bei Koch, Geſch. des RL. IL. ©. 489, „nicht ohne Wahrfheinlihteit“ ; bei Ct, 
6-8. 1863. ©. 246, „vermutlich von ©. tomp-;“ doch fegt Ext ingu: „wenn 
miht gar Voltsweife;" auch Layriz, Kern II. ©. V, jagt: „Weltlih um 1556," 
ebenfo Döring, Choraltunde, &. 65; dagegen Gemerkt Schwarze, Mlg. deutidie Viogr. 
IX. ©. 94: „ob aud einige (Melodien) von G. ſelbſi Herrüren, Tamm bezweifelt 
werden; die Aufgabe, die er fih geftelt Hatte, war die des Tonfehers.” 





Geh aus mein Herz und ſuche Freud. Zu diefem ſchönen Liede Pant 
Gerhardts, das in Joh. Crügers Praxis piet. mel. 1656. Nr. 412 (vgl. Badı- 
mann, Paul, Gerhardts geiftl. Lieder. S. 226) zuerft erſchienen war, ſchrieb Ebeling 
in den Geiftl, Andachten 1666 die erfte eigene Weile und verwies e8 überdies auch 
auf die Crugerſche Melodie „Den Herren meine Seel erhebt:" von beiden ift dem- 
felben jedodh feine im Kirchengebrauch eigen geblieben. Auch die bei Freylinghauſen, 
G.B. 1704. Nr. 202 (G.-Ausg. 1741. Nr. 445. ©. 285) dem Liede beigegebene 
neue Weife ift Über die Kreife des Halleſchen Pierismus faum hinausgelommen, erit 
Karl Neinthaler, Deutſche Liederbibei 1863. S. 5 verwendet dieſelbe in einer von 
ihm Geliebten Ahytgmiflerung wieder (vgl. auch Iafob und Richter, Ch.B. II. 
Nr. 704. S. 598). Sie Heißt bei Freylinghauſon und Reinthaler: 


* Er 
er ee — 
Sch aus, mein Gerz, und fu-e Freud in die-fer fie» ben Sommen 

ie Fe 
— — | 
rd 

er Eee 
zeit am dei- nes Got-tes Ga-ben; ſchau an der fh» men Gär-tm 





















































































— 


Bier und ſie he, wie fie mir und die ſich aus»ge-fhmütetet Ga = bei 














Bon weiteren Weifen, die unfrem Fiede neuerdings zugeeignet wurden, nennen 
wir noch: eine Melodie bei Sayriz, Kern III. Mr. 429. S. 42; fie ift meltfiße 
Hertunft, aus Tabern. past. Münden 1650 entnommen und Heißt: 


























Pe ee 
Gch aus, mein Hery, und für de Freud in die-fer fie» ben&Som-mer-zei | 


Geigenprinzipal. 465 








— — 
an dei-nes Got - ies Ga+ ben; {hau an der ſchö- nen Gär + tem Bier 
ee 
= a a m a En; 

und fie» fe, wie fie mir umd dir fi aus - ge fämül » tet Ha-ben. 
— eine zweite, welche zuerft das Württ. CH-B. 1844. Nr. 62 veröffentlichte 
und als „Scweizerife Melodie” bezeichnete, deren Urfprung jedod bis jegt nicht 
ermittelt werden Tonnte; fie Heißt: 


+ 
Hilf mir und fegene meinen Geiftmit Segen, der vom Him- mel fleuft, daß 
















































































































































































ES = 
— F 
— — — 
* 2 2 tz = tz — 
ich die Restig Bü » Ge; dieb, dag der Gomsmer dei- ner Gnad in 
EN ES 
+ ea 
——— + — 






































mei· ner &ee » fen früh und fpat viel Glaubens-früdt er « zie + fe. 


— endlich eine dritte Melodie von Heinrich Egli, Zürcher ©.-®. 1855. Nr. 109. 
S. 166, die in den ſchweizeriſhen G-BB. auch zu dem Himmelfahrtstied „rohlod 
mein Herz, weil Jeſas Cheift“ verwendet wird; dgl. Drei Kant, 8. Nr. 106. 
Szadrowoih, Ch. 1873. ©. 73. Pr. 106; fie heißt: 




































































= 2 
== mr * a —— 
———— —— 

Broß-fod, meinSerz,weil. Ie- ſusChrin zum dim / mel auf» ge» fahr zen. if, der 

a — 






































ers no 


To» de8 - Ü - ber- min « der! Er hat das gro -fe Werk voll-bradit, fein 








— 


m = 


genen tere 


if die Weis-heit, fein die Madt,er iſt das Heil der Sünder. 






































Geigenprinzipal, eine enger als die wirllichen Prinzipale menfurierte, daher 
® ihrem Tondarakter fih den Gamben nägernde) Prinzipalftimme der Orgel. 


?) lung, Mus. mech, org. I. S. 126 fagt vom Geigenpringipal 4‘, das er allein 
amt: „fehe enge. IA wohl mit Viola (ogl. den Art.) eins; Hingt aud fo, wie eine ton- 
nuierte Biofdigambe.“ 

Rümmerte, Gncptl,d. wong. Rirkenmnfl. 1. 30 


466 Geigenregal. Karl Geißler. 


Die Körper derfelben find in der tiefen Oftave öfters von Holz und gededt, in der 
höheren von Zinn und offen oder auch gededt; fi Haben gegen Normalmenfur = 7 
Denfuren die zwiſchen 5 und 3", variieren!) und follen mit fhön ſingendem, fanit 
frei genden Ton intoniert fein. Dan findet das Geigenprinzipal am häufigften mit 
8 Zongröge und zwar in adtfüßigen Orgelwerken im II. Manual, wo es die Stell 
des Prinzipals in diefem überhaupt enger menfurierten Manual vertritt; in I6füßiger 
Berten, die im II. Manual ein wirflices Prinzipal 8° Haben, erigeint Geigenprir 
zipal & auf dem II. Manual und zwar in gleiher Stellung wie in Bfüßiger 
Werten auf dem II. Wird einem Prinzipal (Oftav) 4‘, das bei den deutſchen Orgel 
dauern Hie und da, bei den frauzöſiſchen faft immer Preftant heißt, eine enge 
menfurierte, gleihgroße Stimme beigegeben, fo heißt diefe Geigen-Preftant 4") 
Geigenregal, vgl. den Art. „Jungfernregal.“ 


Geißler, Karl, ein fruchtbarer Orgelfomponift, war am 28. April 1802 ze 
Mulda bei Frauenftein in Sachſen, wo fein Vater, C. B. Geißler, Kantor und 
Drganift war, geboren. Gr erhielt dajelbft Dis zu feinem 12. Iahre den Schul 
und elementaren Mufilunterricht, dann kam er auf das Gymmaſium zu Freiberg, 
wo neben den Wiſſenſchaften und Sprachen die Mufil der vorzüglicfte Gegenftand 
feines Fleißes war: er genoß den Unterrit des Kantors Fiſcher in der Theorie un 
den des dortigen Domorganiften im Drgelfpiel. In feinem 18. Jahre wurde er 
Shorpräfelt und erhielt dadurch Veranlaſſung zu eigenen Kompofitionen für Cher, 
gewann Partiturentenntnis und Übung im Ditigieren. 1822 wurde er Orgarit 
und Tertius zu Zſchopau, fpäter aber erhielt er die höhere und vorteilhaftere Stele 
eines Kantors und zweiten Lehrers an der Stadtſchule dajelbit. Bis 1848 wirt 
ex hier in ſehr viefeitiger Weife als Lehrer, Dirigent und Komponift; in den polirt 
ſchen Wirren der Iahre 1848 und 1849 Tompromittierte er fih und mußte jeine 
Entlaffung nehmen. Er ging mad; dem Badorte Eifter, wo er ein Maſthaus führte 
und am 13. April 1869 (nad Euterpe 1870. ©. 46, nad) andern ſchon 2 
Februar 1865) ftarb. — ©. Hat im ganzen mehr als 100 muſitaliſche Werte ver 
ſchiedener Gattung, darunter ca. 50 Hefte Orgelftüde, veröffentliht; hier find nam- 
Hoft zu machen: 

1. Neue praktiſche Orgelſchule für die erften Anfänger bis zum vollendetes 

Drgelfpieler, in Verbindung mit Rind, Heſſe, Köhler, Schneider u. a. 12 








1) Siahlhuth, Orgel im Kurausfanl zu Aachen giebt dem Geigenprinzipaf 8° im II. Ran. 
Menfur 5° vgl. Bödeler, Die neue Orgel z. 1876. ©. 61; Ladegaf, Domorgel in Sämerin, 
dem Geigenpeinzipal 8° auf dem enger menfurierten IL. Dan. Menfur BY. Bgl. Ne 
mann, Drgelbauten. I. ©. 64. 

2) &o 3. 8. bei Budon, Orgel der Bioriftenlirhe in Wien im II, Manual. Bat. Kick, 
Die nene Orgel in der pforrinche der Biariflen ıc. Wien 1858. ©. 15. Die Engländer nanzex 
@eigenprinzipal 8°: Violin Diapason 8, und 4‘: Violin Principal 4. Bal. Hopkins ani 
Rimbault. The Organ. 1877. IL. ©. 138, 621. 022. 


Aonrad Geißler. 467 


Hefte. 27 S. Meißen, Gödſche. 1842. — 2. Allgemeines volljtändiges 
Shoraldud in 340 Melodien mit einfadjer genauer Signatur der Väffe nad) 
Filher, Hiller, Rind, Schiht, Säneider x. Daf. 4°. — 3. Choral-Melodien 
zu den Kirdengefängen mit Mücficht auf ale im Königreich Sadjen eingeführten 
Viederfommlungen. Leipzig, Eifenah. — 4. 6 Melodien zum Vaterunfer und 
den Einfegungsworten, des heil. Abendmahls, mit Orgel. Meißen, Gödſche. 
2 Teile. 4°. — 5. Übungsjgule für Organiften. Op. 6d. Leipzig, Schrey. — 
6. Antipfonenbud der evangelifci-proteft. irqe Deutfhlands. Vierit. Gejangs- 
Partitur und volftändiger fiturgifgj-poetiiher Tert. Op. 92. Leipp, Arnoldifche 
Bucpandlung. 2 Tle. 8%. — 7. Der Fefttagsfänger, Kurze, leicht ausführdare 
Hymnen für den viert. Männergej. zu den Hauptfeften der hrifll. Kirde. 
Op. 99. Yeipg,, Siegel. Mr. 1-12. — 8. Bolitändiges Cporalbud) in 180 
Melodien für den vierft. Männergef. Meißen, 2 
prottifßhe Orgelfpiel für die Kirde. 50 Mufterstompofitionen als: Chorüle, 
Präludien, Zmwiicenfpiele z. Hamburg, Schubert) u. C. Op. 47. (Exfcien 
and, al II. Abtig. von „Öroge theoretifc-praktiice Drgelfhule in 3 Abt.) — 
10. Bolftändiges Choralvorfpielbuh in allen wormen und Gattungen, zum 
Gebr. beim öffentl. Gottesdienft bei jedem Choralbud. Meißen, Gödice. qu. 
4°. 1-6 Hft. — 11. Die Orgelfomporiften des 19. Iahrh. 115 Tonftüde 
jeder Gattung und Form (Mind: Mendelsjogn-Fiiher-Abum). 15 Hfte. Mainz, 
Schott. — Bon 1832—1840 redigierte G. das „Neue Orgelmufeum,” 8 
Jahrgänge. Meigen, Gödfhe — dann das „Neue Repertorium für Deutſch 
lands Kirgenmufit.“ Daf. 


Geißler, Konrad, cin fleifiger Orgelbauer der Gegenwart, der am 18. Mai 
1825 zu Eilenburg (Brov. Sachſen) geboren wurde. Er erlernte feine Kunſt 1839 
hie 1844 im der Werkflätte des Orgelbauers L. Weine daſelbſt, und als dieſer 1845 
2a Baireuth üͤberſedelte, folgte er ihm als Gehtilfe dorthin. WS ſolcher arbeitete 
mann mod 1846 bei Mende in Leipzig, 18481850 in Wien (bei Fr. Ufl- 
man) und Münden (bei M. Mär), 1851 bei Walder in Ludwigeburg und bei | 
Shlmbad in Speier. 1852 fehrte er nach Eilenburg Heim und gründete dort ein 
ügenes Gefhäft, in dem bis heute im ganzen EB neue Kirchenorgeln jeder Größe 
kon 545 HM. Stn.) gebant und eine Anzahl Reparaturen und Ernenerungen 
her ausgefüget wurden. Anfangs arbeitete ©. nad Walderjen Principien und 
führte in Norddeutfchland die erften Kegelladent) aus, aud) brachte er dort ſeit 1854 
den catuſtiſhen Biolon 16° und 32° zuerft zur Anwendung; fpäter mußte er ſich der 
uendeutſchen Baumweiſe anbequemen (Scleiladen; feinen Cpieltifd). on feinen 
Berten find als die bedeutenderen Hier zu nennen: 

1. Die Orgel der Stadttirche zu Schmiedeberg. 26 U. Stn. 2 Man. Bed. 

1855. — 2. Die Orgel der Stodtfirhe zu Shlölen. 26 Hl. Stn. 2 Man. 

30. 1857. — 3. Die Orgel der Stadtliche zu Freiburg. 25 fl. Sin. 

2 Dan. Bed. 1861. — 4. Die Orgel der Stadtlirde zu Torgau. 45 fl. 











') gl. darüber Neue Zeitice. für Duft. 1854. Nr. vom 9. uni. S. 254. — Urania 
1858. Mr. 12, &. 181. Jahrg. 1858, S. 110. u. ©. 151. 
30* 


468 Geif und Seele find verwirret. — Gelobet feit du Jeſu Chriſt. 


Stn. 3 Man. Bed. 1972. — 5. Die Orgel der Stadtlirde zu Thum (Er; 
geb.) 30 fl. Stn. 2 Dan. Ped. 1877. — 6. Die Orgel der Stadtfirde zu 
Corau (Umbau). 45 Hl. Stn. 3 Man. Ped. 1880. 


Geift und Seele find verwirret, Kantate zum 12. Sonntag nah Trini— 
tatis „wahriheinih 12. Auguft 1731” von Johann Seh. Bad, in der er zwei 
Säge eines Inftruntentalfongerts als einfeitende Sinfonien und obligate Orgel ver- 
wendet, der er aber feinen Schlußchoral beigegeben hat. Ausg. der Bach Gef. VII. 
Nr. 35. Bol. Spitte, Bad) U. ©. 278 ff. 


Gelobet jet der Herr, mein Gott, mein Licht, mein Leben, Kantate 
zum Zrinitatisfeft, 8. Juni 1732, von Ceb. Bad, in der er flatt eines madri- 
galiſchen Tertes das Trinitatislied des Dr. Johann Dlearius, aus defjen „Geiſtlicher 
Singetunft." Leipzig 1671. S. 893, verwendete. Bol. Spitta, Bad) I. ©. 286. 


Gelobet jeift du Jeſu Ehrift, Choral, der nad Weife und Text aus dem 
vorreformatorif_hen deutſchen geiſtüchen Vollogeſang des 15. Jahrhunderts fammt. 
In der Schweriner K.O. von 1519 (Ordinarium inclitae ecclesiae Swerinensis) 
Heißt es beim Officium in die Nativitatis: Cantores inchoabunt „Grates 
nune omnes“ tribus vicibus. Hunc usum chorus flexis genibus persequitur 
et interim celebrans sacramentum, populo ad adorandum ostendit: Po- 
pulus vero canticum vulgare: „Öhelauet foftu Deſu Hrift,“ tribus vieibus 
subjungit.“') Es war alſo unſer Lied, neben „Chrift ift erftanden“ und „Nun 
bitten wir den heiligen Geift,“ einer der drei Gejänge zu den drei höchſten Beten 
der Chriſtenheit, die in der deutſchen Kirche frühe ſchon vom Volle deutih gefungen 
wurden und denen der Klerus notgedrungen Aufnahme in die ausſchliehlich lateiniſche 
iturgie geftatten mußte. Dod war nur die erfte Stropfe mit der Melodie im 
Voltomunde, wie dies ©. Wigel, Psaltes eceles. Mainz 1550. Fol. 55. bezeugt, 
wenn ex jagt: „Sonderlich wird an dieſem ſehr großen Feſt (Weihnachten), der turge 
Sequeng gefungen, Grates genant, vnd darauff vnſere Alten fungen: 


Gelobet feyftu, Iheſu Chrift, 

das du Menſch geboren bift 

von einer Jungfrawen, das ift war, 

des frewet ſich aller Engel ſchar. 

Kyrie deefon."?) 
N Bal. Rambach, Mber Luthers Verdienſt x. Hamb. 1813. ©. 123 nach ©. J. Marts 
Ertlärung des in Schwerin gepflanzten Gottesdienftes. Schwerin 1765. ©. 13. Wagernegel. 
2. II. Re. 910. Hoffmann v. Fallersleben, Geſch. des K.-L. 1852. ©. 118. 119. Böhme, 
Altdeutſches Liederb. 1877, ©, 617. Meifter, Das fath. deutſche KL. I. S. 174—176. Nr. 22. 

9) Bol. Kehrein, Katholiſche Kirhenlieder x. Würzburg 1859. I. ©. 20, Böhme, a. a. D. 

Badernagel, Luthers geiſtliche Lieder 1848. ©. 141. Koch-Laurmann, Geld. des 8.2. VIIL 
©. is u. 10. 





Gemiſchte Stimmen. 469 


Fur den Gebrauch in der evangeliſchen Kirche dichtete ſodann Luther 6 weitere 
Strophen frei Hinzu, für den der Tathofifhen Kirche ebenfo Miichael Behe.') Melodie 
und Lied in der Geſtalt, wie fie ſoiche von Luther erhalten hatten, erfchienen im 
ewangelifgen Kirhengefang zuerft auf einen fliegenden Blatt il. Fol. Wittenb. 1524,2) 
cs „An Deutſch hymnus oder lobſang auff Weyhenacht, fo „daß fie wohl mögen 
auf Weihnechten 1523 verbreitet worden fein.“ Die erften vangeliffien Gefang- 
kücher fodann, die Licd und Weife enthalten, find: das Erfurter Endieidion 1524. 
Nr. 8, Iohann Walthers Gepfliches gefangt Buchleyhn. Wittenberg 1525. Nr. NXU, 
das Dofeph Mlugfhe G. B. (1529) 1535. Ui. IIla, Ausg. von 1543. Bl. VIITa, 
das Bal. Schumannſche G. B. 1539 und das Val. Vabſtſche G. B. 1545. 1. Nr. 3. 
Die Melodie heißt bei Schumann 


F——— — — 
Ge +10 > bet ſeiſt du, Ie> fu Chriſt, daß du Menichge » bo-ren biſt, 
Fe 


— 
von eisner Jungfrau, das if wahr, des freu- et ſich der En-gel Schar: Kiz-ri- e— leis. 





























——— 

















— 




















Seh. Bad Hat das Lied und feine Melodie in einer trefflichen Choral- 
tantate zum erften Chriftfeiertag behandelt; die Kantate wurde wahrſcheinlich 1735 
oder 1736 komponiert (vgl. Spitta, Bach II. ©. 836) und gehört zu den wenigen, 
im denen im Schlußchoral (mit Strophe 7 „Das Haft du alles uns gethan“) 
die Inftrumente etwas Selbftändigeres auszuführen Haben, während fie fih ſouſt dem 
Gange der Singſtimmen einfad) anſchliehen. Gedrudt ift diefe Kantate in der Aus 
gabe der BachGeſ. Jahrg. XXII. Mr. 91. Auch im BWeihnahtsoratorium hat 
Bad) unfern Choral mit der fünften Stropge „Ex ift auf Erden tommen arm“ in 
der finnigften Weife verwendet. Vgl. v. Winterfeld, Ev. 0. III. S. 348. 350 
und 302 ff. Spitte, Bad II. ©. 414. 


Gemischte Stimmen in der Orgel, vgl. den Art. „Dirtur“, — im Ge: 
fang die Bereinigung von Männer- und Frauenſtimmen oder der vier Hauptarten der 
menſchlichen Singitimme: Sopran, At, Tenor und Baß im Solo: wie im Chor: 
gelang. Gemiſchter Chor im Gegenfag zum Männer: und Frauenchor heißt 
derjenige Chor, im welchem die genannten vier Stimmgattungen als Chorſtimmen 
zufammenvirfen. Bol, den Art. „Chor, Chorgeſang.“ 





7) Bol, Behes 62. 1897. Fol. 29 und Leifentrit, Geiflige Lieder vnd Palmen x. 
Bupoiffin 1367. I. Fol. 18. Geifenteit Hat aber auch Luthers Strophen aufgenommen und die 
Vebeigen zwifen dieſeiben einge choben , vgl. goch Kt. VIIL S. 19. 

2) Bol. Wadernagel, Bibliogt. des deutſchen 8.2. 1855, ©. 57. nad) deſſen Meinung der 
Deudort wohl Nürnberg if. 


470 Gemshorn. Gen Himmel aufgefahren if. 


Gemshorn, ein ſchon feit alter Zeit allgemein gebräuchliches Orgelregifter 
aus der Familie der Labialſtimmen, unter denen es, weil feine aus Zinn gearbeiteten 
Pfeifentörper fih nad der Mündung Hin um *o bis über die Hälfte des Durch 
meſſers der Kermveite verjüngen, zu den fogenannten Halbgedadten gehört, als 
deren eigentlichen Repräfentanten es Mid). Brätorius angefehen wiflen‘ will, wenn er 
Synt. mus. II. ©. 133 fagt: „Dies ift nun die ander Art der offenen Pfeifen, 
welche, weil fie unten ziemlich weit und oben zugefpiget, und alſo mehr, als Halb 
zugedädert ſeyn, viel ein andere Refonanz als Principalmenfuren Art an und in jih 
haben. Und werden dieſelben darumb, daf fie an der Proporg und Rejonang 
als ein Horn klingen, billich Gemfhorn genennet:') Und find derofelben Art unter: 
ſcheidlich, als Gemßhorn, Plodfleit, Spigfleit, Flachfloit, Dulian und dergleichen.“ 
Der Tondarakter des Gemshorns foll hornartig und zugleich weih und etwas gam 
benartig ftreichend fein;?) es erhält daher eine weite Menfur — 7u2, am Kern, 
gegen Normalprinzipat 7 menfuriert z. B. Ladegaft, Domorgel Schwerin — und 
engen Auffepnitt. Die Stimme wird zwar nod in allen den Größen gebaut, die 
ſchon Prätorius folgendermaßen aufführt: „Grof-Gemshorn 16°, Aqual Gemshorn 
&, Dftav-Gemshorn 4, Mein-Oftav-Gemshorn 2,“ ferner „Groß Gemshorn-uinte 
6°, Gemshorn-Duinte 3°” — doch ift fie jept mit 8° und 4°. bei weiten am ge— 
wöhnliäften, und werden 16° und 2° mit Recht falt nicht mehr verwendet, weil fie 
in diefen Tongrößen kaum nod) ihren Tondarafter zu wahren vermag. Ad Quinte 
— Gemshornguinte, aud nur Gemsquinte — zu Dis‘ und 2%‘ wird Diele 
Stimme mit gleiher Menfur, wie die Grundſtimme Ddisponiert: mit engerer Men: 
für, mit der man fie früher auch Lieblich Gemshorn-Oninte nannte, nähert fie fit 
einer andern Duintenftinme, dem Nafat oder Nafard (vgl. den Art.). 





Gen Himmel aufgefahren ift, Choral. Das Lied, eine Überfegung des 
alten Himmelfahrtöhymmus „Coelos ascendit hodie“ bei Daniel, Theſaurus I 
©. 343, aus dem 15. Dahrhundert, die öfters irrtümlich Melchior Franck zuge 
ſchrieben wurde, erſcheint {mi evangelifchen Kirchengeſang mit drei Melodien, von denen 
die ältefte auf Motiven des alten Hymnus beruende bei Mich. Prätorins, Mus. 
Sion. 1607. (vgl. Ert und Fielig, Biert. Choralfäge I. Nr. 106 und v. Tudier, 
Schat II. Nr. 26) und bei Melchior Bulpins, „Ein ſchön geiftlih Gelangbud.” 
Iena 1609. ©. 186 Heißt: 





') Damit fat der alte Prätorius jedenfalls eine einfaere Andentung zur Herleitung des 
Namens diefer Stimme gegeben, ala die gefuhte bei Mendel, Muf. der IV. ©. 179. Tat 
Natiirliäfte aber wird fein, da Wort eines alten Muiljheifiielere (des Clins Safomoni 
Ende des 13. Jahrh. — Bei Gelegenfeit des Gamma) fier zu derdenden und zu fagen: dit 
Stimme erhielt den Namen Gemehorn, quia ita placuit primis inventoribus. 


2) Bei Schiling, Univ.gep. der Tont. III. S. 182, wird dem Ton des Gemähorn joger 
noch zugemutet „Sehnfudit erregend“ und mit Bordum 16° vereint „Andadit erregend“ zu feir- 








Heinr. Nik. Gerber. 4 
= — — Essen 


Gen Himmel aufge fahren iſt Salsle - 4 = 
— — 
* 

DerKönigder Ehren Je > ſus Chr, Hal-le -  Mnrjal 
Die zweite Melodie von Meld. Frand fteht in feinen Cantica sacra I. 1628. 
3. 78, ging von da in das Cant, sacr. Goth. 1651. I. S. 320 über und findet 
& auch bei Freylinghaufen, ©.-®. 1704. Nr. 140 (Gef. Ausg. 1741. Nr. 304 


190); fie heißt bei Erf umd Fielitz a. a. D. Nr. 107 und bei v. Tuder a. 
. D. Mr. 27: 


































































—— — 


— =E — ——— = 


& = 
Eine deitte Melodie endlich erſcheint erftmals bei Corner 1631 (vl. Meiſter 
Nr. 245. ©. 428) als „Ein altes dobgeſang von Chrifti Himmelfahrt und in 
Dreßdeniſch Geſangbuch Chriſllicher Palmen und Kirchenlider.“ Dresden 1656. 

Rr. 192. (Dresdner GB. 1678. ©. 488); fie Heißt: 
een 


—— 


Coe-los as-cen - dit ho - di-e, al-le-lu-ja, al-le-Iu-ja, 

















































































— or —t 
er] 
Je - sus Christus rex glo- ri - ae, al-le-Mu-ja, al-le lu⸗ jal 
Gerber, Seinrich Nitolaus, ein tüchtiger Organiſt und fleifiger Orgelfon- 
penift der Bachlden Schule, war am 6. September 1702 zu Wenigen-Ehrid) im 
Ssrvarzburgifchen geboren. Er beſuchte zuerft das Gymnaflum zu Müfthaufen, wo 
a von dem genialen aber in Trunffucht verfommenen Joh. Friedrich Bach (vgl. den 
&t.) bedeutende muſiloliſche Anregung erhielt; 1721 fam er auf das Gynnaſium 
zu Sondersfaufen, von dem er 1724 auf die Univerfität Leipzig überging, um In 
Hsprudenz zu fudieren. Aber and) feine mufitafiffen Studien ſehte er in Leipzig 
aufs eifrigfte fort und wurde Hier ein begeifterter Schuler Ich. Sch. Bad, der 
in als „Sandemann” befonders freundlich aufnahm. Nachdem er 1727 feine 
Ztudien abfolviert hatte, wurde er 1728 Drganift zu Geringen und 1781 Hof: 
imanift zu Sondershaufen und Hier hat er dann als ebenſo beſcheidener, wie. tätiger 
Künftler mehr als vierzig Jahre gewieft und feinem großen Lehrer, den er 1737 
nogmals befuhte, alle Ehre gemadt. Er ftarb am 6. Auguſt 1775. — 
































42 Fried. Gerhardt. Ich. Karl Gerold. 


Seine im großen Stile feines Meifters, aber freilich nicht mit deffer 
Kraft der Erfindung gefäriebenen zahfreigen Orgelmerte find fämtlic Mitt 
geblieben. Cie Seftanden in 12 Trios, 6 Sonaten, 6 Imventionen, 9 Kon- 
gerten, 110 Choralbearbeitungen, 6 Präludien und Fugen und einem Choral 
duch mit bezifferten Väfien. 1739.) 

Sein Sohn, Schüler und Nachfolger als Organift und Hoffelretir zu Con: 
dershaufen war Exnft Ludwig Gerber, der treufleihige Terifograph, deffen beide 
Tontünftler-Lerita (Altes Ler. 1790. 2 Bde. Neues der. 1810-1814. 4 Bor.) 
wichtige Quellenwerfe find, denen alle ähnlichen neueren Werte folgen und denen auch 
unfer Bud) vielfad) verpflichtet it. Er war am 29. September 1746 zu Sonderg 
Haufen geboren, fudierte von 1765 an auf der Univerfität zu Reipsig, wurde 1775 
Nachfolger feines Vaters und ſtarb am 30. Quli 1819. 


Gerhardt, Friedrih, ein namhafter Orgelbauer der Gegenwart, ift am 1. 
November 1828 zu Mölleda in Thhringen geboren und erlernte feine Kunft von 
1841 an in der Werkftätte des Orgelbauers E. ©. Hefle zu Dachwig bei Erfurt. 
‚Zu feiner weitern Ausbildung arbeitete er fpäter bei Kreutzbach in Borna, Buchholz 
in Berlin, Sonreck in Köln u. a. deutſchen Meiftern und beſuchte auch bedeutend: 
Werkflätten in Belgien, Öfterreih u. ſ. w. 1853 errihtete ex fein eigenes Geſchan 
zu Kolleda, wofelbft er 10 Jahre baute, bis er 1868 nad; Merfeburg überfiedelte, 
mo er ſich feitdern durch kunſtleriſche und geſchäftliche Tüdtigteit einen fhönen Ruf 
erworben Hat. Bon den 46 neuen Orgelwerten, die dieſer Deifter bis heute gebaut 
hat, find als die bedeutendſten zu nennen: 

1. Die Orgel der Neumarltstirche zu Merfeburg, 26 fl. Stn. 2 Man. 

Bed. — 2. Die Orgel der Imanuelsliche zu Ct. Louis im Staat Miffonr, 

Nordamerita, 30 fl. Stn. 2 Man. u. Bed. 1869. — 3. Die Orgel der 

Stadtlirhe zu Merfeburg, 46 HM. Stn. 3 Man. u. Bed. 1876. — 4. Die 

Drgel der Stadttirche zu Kölleda, 36 HM. St. 3 Man. u. Ped. 18 

5. Die Orgel im Dom zu Naumburg, 43 HM. Stn. 3 Dan. u. Bed. 1878. 

— 6. Die Orgel der CStadtliche zu Tennftädt, 34 fl. Stn. 3 Man. Par 

1880. — 7. Die Orgel der Wieſenlirche zu Soeft in Weſtfalen 33 HM. Sin 

3 Dan. u. Bed. 1881. — 

Gerold, Yohann Karl, war 1745 zu Straßburg geboren und dajelbft zum 
Geifttichen gebildet worden. Als folher war er an verſchiedenen Orten des list 
thätig: 1775 als Diakonus zu Rappoltsweiler, 1782 als Pfarrer zu Bofzgein 
und 1810 als Pfarrer zu Kolbsheim bei Straßburg. Hier farb er 1822. — 
Er erfand um 1800 die folgende Melodie zu Pfeffels Lied: „Iehova deinem Namer: 

ES 


a * 
mr — — — 
Fe Bora, Je ho veh, Ber ho. deh deienem Na-men ji 


2) Diefeo Ch. V. if in einer Handfgrift von 1745 im Beſite Philipp Spittas in Berlin 
Bol. deffen Bad II. ©. 343. Anm. 55. 
























































Geſichtspfeiſen. Barth. Gefins. 413 








+ — — — — 


— =FE + 

& + 10, Macht undRufm! A men, Amen! Bis ein der Tem « pel 
2 

[a See ES = er 

die ſer Welt auf dein Wort inStaub zer-fält, fol in un · ſern Hallen das 


= x 
Wege 


Per 

Heilig, Hei-Tig, Hei» lig er-ſchal, len. Hal- le-lu · ja, Hal-Ie-Tu-jal 

Dieſelbe erſchien zuerſt im Straßb. Ch. B. 1809 und hat ſich neben der 
teren Weife von Zuft. heint. Kacht im iddeutfcen Sirhengelng erhalten ; 
fie findet ſich noch jegt z. B. im Drei Kant. G. B. Nr. 43. ©. 82—83, im 
56-8. der evang. Gemeinden Franfreidi. Strafib, 1851. ©. 30, im Pälz. 
©.-8. 1859. Nr. 20, ©. 13. 14, im Basler ©.-8. 1854. Nr. 9. ©. 10. 

u. ſ. w 

Geſichtspfeifen in der Orgel, vgl. den Art. „Brofpelt, Profpeftpfeifen.“ 

Geſtus (Gele, GEH), Bartholomäus, ein bedeutender Kirchentonſeter, war um 
1560 zu Müngeberg bei Frautfurt a. D. geboren und ftudierte, gleich feinem 
jüngeren Bruder Jakob ©. (geb. 1563, geft. 1626 als Pfarrer in feiner Baterftadt), 
anfangs Theologie zu Frankfurt, wurde aber dann ufiter und bethätigte fih als 
folder zunäcft im Dienft des Hans Georg von Schönaich, dann eine Zeitlang zu 
Wittenberg, bis er fih um 1590 dauernd zu Franffurt a. D. niederfieß. As 
Kantor dafelbft wird er 1595 in einem Epithalamium von Bartholomäus Ringwaldt 
zuerft erwähnt und 1614 wurde Stephan Höpner fein Nachfolger im diefem Amte: 
er wird alfo 1613 oder 1614 wahrfgeintid an einer die Stadt damals Geim- 
ſuchenden Epidemie geftorben fein.) — G. als Kirhentonfeger ift zunächſt durd) die 
Ehoralarbeiten feiner beiden Kantionale von Bedeutung. In denfelben behandelt er 
die damals gebräudjligen Choralmelodien in vier- und fünfftimmigen Tonfägen von 
einfach fontrapunktiher Arbeit mit der Melodie in der Oberftimme. Dabei vermag 
er freilich — wie v. Winterfeld mit Beifpielen belegt hat — den firengeren Horde: 
tungen forrefter und flichender Stimmenführung nicht immer Genüge zu leiften; 
dagegen wünfht er fir diefe Tonfäge eine eigentümliche Vortragsweife, wenn er in 
der Vorrede jagt: „fie find aber bei der chriſtlichen Gemein ſonderiich angenehm, 
auch lieblih und nüglih anzuhören, wenn fie alternatim in choro und organo 
gebraucht werden, alfo, dag ein Knab mit lieblicer, reiner Stimm einen Bers in 


























































































































H Obwohl fon Walter, Muf. 2er. 1792 bemertt Hatte, dah des G Cant. nupt. von 
1614, „madj feinem Tode" erfäjienen feien, und Gerber, N. Sep. IL. 3. 312, ihm folgend 1613 
als Todesjahr annahm, fo wurde doch neuerdings infolge einer irrtümlichen Angabe d. Winter« 
feIds, €. 8,0. II. ©. X, der 1. Jan. 1657 ale Zeit feines Ablebens angenommen, fo bei 
Fetie, Biogr. univ, II. ©. 468, bei Eitner, Verzeichnis neuer Ausg. Berlin 1870. S. 99 u.a. 


1 Barth. Gefins. 


organo mitfinge, darauf den andern Vers der Chorus musicus und alſo jeder: 
mann neben dem concentu aud) die verſtändliche Wort in gebräuchlicher und ge: 
wöhnfiher Melodey hören und mitfingen kann 1.“ — Damit räumte er nicht nur 
dent Chore ein Überwiegendes Recht ein,t) fondern er Half damit aud der neuen 
Form des kirchlichen Tonfapes den Weg bahnen. — Auch in feinen beiden Baffions- 
mufifen bleibt er nicht bei der alten im Kollektenton recitierenden Weile ftchen, 
fondern ſucht dieſelbe dadurch mit der moteltenartigefiguralen Weife zu verbinden, 
daß er nur die Crzählung des Edangeliſten im Choralton recitieren (äft, während 
ex die Reden der einzelnen Perfonen mehrftinmmig und zwar die Chrifti vierftimmig, 
die des Petrus umd Pilatus dreiftimmig, die der Magd und der Knechte zweiftimmig 
fett und fie damit ſowohl von der Recitation des Übrigen Tertes abhebt, als auch 
den fünfftinmigen turbae, wie dem Eingangs- und Sqlußchor entgegenftellt. Cr 
folgte Hierin als einer der erften unter den Tonfegern der evangelifcien Kirche dem 
Vorgange des Drlandus Faffus,?) den er aud in andern feiner Werke zum Vorbild 
genommen hatte. — Bon ©.s Werten find hier aufzuführen: 


1. „Geiſtliche deutſche Lieder D. Mart. Lutheri Vnd anderer frommen 
Chriften, welche durdh8 gange Jahr in der Chriftlichen Kirche zu fingen ge: 
Greuhlich, mit vier Und fünff Stimmen nad gewonliher Choralmelodien richtig 
vnd üeblich gefeget durh Bartholomaeum Gesium Francofurtensium ad 
Oderam Cantorem. 1601. Mit einem nügficen Negifter, wie fie auff jedes 
Feft vnd Sontagen durchs ganpe dahr zu fingen. Cum Gratia et Privilegio. 
Im verlegung Iohan Hartmanns Buhhendfer-zu Frandfurt an der Oder“ 4. 
AUS Fortfegung diefes Kantionals folgte: „Ein ander new Opus Geiftlicher 
deutſcher Lieder D. Mart. Lutheri; Nicolai Hermani vnd anderer frommen 
Chriften abgetheilt in zwo Theile, in welhem Im erften Theil, die auff ale 
hohe feft, vud alle Sontage, Apoftel nd ander Feiertage, durchs gange Jahr 
Im andern Theil, die von den filrnembften Hauptartideln Chriftlicher Lehre. 
In Kirchen bei der Gemeine Gottes, vnd fonften Chriftlihen Haufvätern in 
Heufern zu fingen ganz bequem, vnd in allerley Noth und Kreuge ſehr tröft- 
ůchen vnd nüglihen. Mit vier vnd fünff Stimmen jeleht Contrapunktsweiie 
nad) befandten gemöhnligen Kirch Melodien gejeget, durd Bartholomaeum 
Gesium Francofurtensium ad Oderam Cantorem. Das erfte Theil. 
Cum Privilegio. 9m verfegung Johan Hartmanns, vmd bey feinem Sohn 
Friedrichen in Frandfurt an der Dder gedrudt. Anno 1605.” 4°. 

„Das ander Theil des andern newen Operis Geiftlicjer deutfcher Lieder x.“ 
1605. 4%. — Alle drei Teile enthalten im ganzen 355 Lieder mit 217 
Tonfägen.?) Bl. v. Winterfeld, Ev. K. G. J. ©. 359. v. Tucher, Schatz IL 
©. 326. 328. 








1) gl. Filip, Reform des evang. Gemeindegefange. Euterpe 1880. S. 22. Ob deswegen 
Teſchner, Etlarde Geifl. Lieder, Neue Ausg. Leipz. 1860. Vorr &. VI, mit Grund von der 
„Zendenzlompofition des Varth. Gefius“ fpregen ann, oder nicht, mag dafingefellt bieiben. 

9) Bol, Spitte, Bad) II. &. 312; Sämarge, Ag. deutihe Biogr IX. ©. 98. 94. 

®) Bon diefen Tonfäen find eine größere Anzahl men gedrudt; bei v. Tucher, Schatz II. 
Mr. 22. 91. 105. 139, 196. 232. 312. 376, bei Schöberlein Richel, Sat I. Rr. 4. 26, 28. 


Orlando Gibbons, 495 


2. Concentus ecclesiasticus quatuor vocum. Frantf. a. O. 1607. 
4 Stimmbücer. 12%. — 3. Hiftoria der Paffion, wie fie und der Evangelift 
Zohannes befhrieben, mit 2, 3, 4, und 5 Stimmen. Wittenberg 1588. Fol.) 4. 
Vaſſion nah dem Evangelium Matthät. 1613. — Weitere Werte verzeichnet 
Gerber, N. Ner. 11. S. 311 bis 312 und nad) ihm Fétis, Biogr. des 
mus. III. ©. 468—-469. 


Gibbons, Orlando, einer der bedeutendflen engliſchen Kirchentomponiften des 
17. Iahehunderts, deſſen Anthenis in der einfac-feierlichen Größe ihrer Conception 
und der Feineit ihrer Harmonie als Mufter der Gattung gelten und dem Koms 
poniften den Ehrennamen des „englijhen Paleftrina* eingebradt haben. Er war im 
Jahr 1583 zu Cambridge geboren und erhielt dafelit wahrfheinlich auch feine mu 
taliſche Ausbildung. Bereits am 21. März 1604 wurde er Organift der Königlichen 
Kapelle und machte ſich raſch einen Ruf als Komponift, fo daß ihm im Mai 1622 
die Univerftät Orford Die muflalifce Doktorwirde verfich. 1623 tam er als 
Drganift am die WeftmünfterAbtei, und 1625 wurde er zur Hochzeit Karls I, nach 
Canterbury berufen, um bei diefer Gelegenheit einige feiner Mufthwerfe aufzuführen. 
Während diefes Aufenthalts in Canterduny jedod erkranfte er am den Wafferpoden 
und ſtarb am 5. Juni 1625.) Ceine Kirchen werke, unter denen ein jehe- 
timiges „Hofanma“ in Enpland am Gerügmteften ift, find ſämtlich, ſowohl in 
Einzelausgaben als in Sammlungen, neu gedrudt, und zwar: 


1. in Boyces Collection of Cathedral Music. 1. Ausg. 3 Be. 
1760— 1778. 2. Ausg. von dohn Afhley 1788. Neue Ausg. von Bincent 
Novello mit Orgelbegleitung. 3 Bde. Sondın, 0. I., Novelle, Eier and Co. 
Hier 1 Service in Fdur und 5 „Full Anthems“ von Gibbons. — 2. in 
Gibbons’ Sacred Compositions (not contained in Boyces Collection), 
from the original MSS. and Part Books; together with a trans- 
posed organpart to some of his published works. Edited by the 
Rev. Sir Frederick A Gore Ouseley. London, o. J., Novello, Ewer 
and Co. 1 Bd. Fol. Hier 35 Stüde. — 3. 10 Stüde in Einzelausgabe. 
Ebendaf. 


99. 102. 104, 108. 109. 119. IL Nr. 11. 13. 20. 26. 30. 33. 94. 114, 116. 146. 147. 
149. 151. 160. 174. 224. 257. 324. 325. 337. 345. 356. 402. IH. Nr, 84. 101. 109, 183. 
134. 169. 185, 188. 190. 198, 199. 201. 207. 208, 209. 250. 277. 283. 285. 290, 294. 
302. 308. 310. 311.1337. 343. 358. 368. 380, 

1) Die Paffion nad; Johannes it neu Gerausgegeben von Commer, Musica sacra, 
Bo. VI. &. 88 fi, umd abgedrudt bei Shiöberfein-Wiegel, Schal des Iiturg. Chorgel. IL ©. 
412—434, 

2) Ein Portrait von ©. findet man bei Hawkins, History of Music. 1776, Bol. IV. 
©. 34. Auch fine beiden älteren Brüder: Edward Gibbons (geb. 1570, gel. in bohem 
Alter nad 1050) und EITis Gihbons, waren Organiflen und Komponiflen von Kirchen 
mufit; ebenfo fein Sohn, CHriNopher @ibbons, geb. 1615, 1840 Organift der Kathedrale 
zu Bindeter, 1660 Organift der Königl. Kapelle und der Weflminfter-btei, gef. 20. Oftober 
1676. Dod foll fih) fepterer mehr als Orgelfpieler denn als Komponift ausgezeichnet Haben. 





476 Gieb dich zufrieden umd fei ſtille. Otto Gibel. 


Gieb dich zufrieden und ſei ftille. Diefes Lied Pauf Gerhardts Hatte 
ſchon von Ioh. Georg Ebeling in feiner Gefamtausgabe der Gerhardtfhen Lieder 
1666. Nr. 11 eine treffliche Melodie erhalten, ) die fih noch bei König, Harm. 
Liederſch. 1738 findet, aber nicht in den Kirchengebrauch gekommen ift. — Die jeht 
noch gebräudliche erſcheint zuerft im Laneburger G.-®. 1686 (ebenfo 2. Ausg. 1694). 
Nr. 1052. ©. 626, aber ohne Bezeichnung eines Komponiſten; dagegen ift im 
Praxis piet. mel. Ed. XXIV. Berl. 1690. Nr. 780. S. 1060 am Ende des 
Tenors und Baſſes derfelben die Namenschiffre Jatob Hinges (vgl. den Art.), „3. 
9." unterzeihinet. Ob Hinge deswegen als Erfinder derfelben zu betrachten fei, 
wie faſt allgemein angenommen wird, bleibt dod zweifelhaft.) Vol. Koch, Geld. 
des 8. IV. ©. 110. — Diefe Melodie Heißt in ihrer Urgeftalt: 


— — — = 









































deines Le-bene, 
did ver + ge» bens; 

















er iſt dein Quell und deine Sonne, ſcheint täg-Tich Geil zu dei- mer 
— — 
Wonne: gieb dich zu + frie + dem, 

Beitere Melodien zu dieſem Liede ind mach: eine dritte bei Layriz, Kern IT. 
Nr. 192. D-moll nach doh. Sch. Bach um 1730, die Layriz geneigt ift Bach 
als Erfinder zugufgreißen; eine vierte, aus dem 18. dahrh. flammend und von C. 
F. Beder 1852 mit einem Tonfag verfehen, fand Aufnahme im Gütersloher Haus 
Ch B., ſowie im Drei Kant. GB. Nr. 215 (Szadromätg, CB. dazu. ©. 113) 
amd eine fünfte aus oder, Bionsharfe I. 1855. Nr. 473, (wahrſcheinlich von 
Koder Tomponiert) bringen Iafob u. Richter, Ch-B. 1. Nr. 348. ©. 298. 


Gibel (Gibefius),) Dtto, nach Mattfefons Urteil ein „grundgelehrter" Mußt. 























') Bot. dieſelbe bei Shüöberfein-Riegel, Schat des Chor. und Gemeinde-@ef. LIT. Kr. 
239. ©. 519, 

») d. Binterfeld, Eo. K. G. IL 6%. LIT 181, folgte mit diefer Annahme Langbeier: 
geben und Sieder Banfus Gerfardts. Berl. 1841. Notenbeil. Tafel 2 und feitdem if dicebe 
fa allgemein geivorden. Bat. Ext, €.®. ©. 72. Nr. 89. Yatob u. Nibter, I. Nr. 31. 
©. 297. Silder, 88, Lepiton. LS. 212 („Die Mel. iN von dem Lerliner Tontünfler 
Iatob Hinger) u. a. — Alein da umter den Stimmen von „Ale Menfäen müffen Rerben“ 
(vol. den Art.) diefelbe Chiffre „I. 9.” Reht und ihn dort alle nur als Harmoniften get 
Taffen wollen, fo iR nit reft erfindfid, warum er bier au Erfinder der Melodie fein fol. 

3) Mendel-Reihmann, Mufit, Konverf.ter. Suppl. ®b. 1883. ©. 196 Hat irrtümlih 
„Otto Gribel“, während ihn Dasfelbe Wert &. IV. ©. 242 unter feinem richügen Ramer 
aufführt. 





Gichlade. Fried. Balthafar Glafer. Gleichwie der Regen ıc. 477 


ſchriftſteller feiner Zeit. Er war 1612 zu Borg auf der Infel Femern als der 
Sohn eines Geifligen geboren und kam 1631, gleicheitig mit dem „weitberühmten“ 
Kantor Heinrich Grimm (vgl. den Art.), nad; Vraunfctweig, wo diefer fein Lehrer 
wurde und ihn „in den Lehrfägen ber tHeoretifgen und praftifcen Mufil beftermagen 
angeführet” hat.!) Erſt 22 Jahre alt wurde ©. 1634 Kantor zu Stadthagen im 
Shauenburgifhen und 1642 fam er nad Minden, wo er zunääft Subreltor der 
dortigen Schule, nad des Kantors Scheffer Tode aber Mufildireltor und Kantor 
wurde. Dies Aınt verwaltete er 40 Jahre lang bis an feinen Tod 1680. Seine 
Schriften?) beſchäftigen ih mit Mufiftheorie, Solmifation, „Propositiones mathe- 
matico-musicae* u. dgl.; außerdem ift noch ein geiſtliches Gefangswerf von ihm 
befannt: 

„Beiftlige Harmonien von 1—5 ‚Stimmen, theils ohne, teils mit Inſtru⸗ 

menten. Erfter Theil Hamburg 1671.” 40, 

Gichlade, nennen die Orgelbauer eine Lade von der Form einer länglich- 
dieredigen Kifte mit niedrigen Seitenwänden, in der fie die Platten zu den Metall: 
pfeifen gießen; diefe werden dann gehobelt, zu Cylindern geformt und an der Naht 
verfötet. 

Glaſer, Friedrich Valthafar, wurde im Dezember 1761 als der Sohn eines 
Sculmeifters zu Kufel in der Pfalz geboren und widmete ſich ebenfalls dem Lehrers 
beruf. Cr wurde 1782 Lehrer und Drganift der evangelifcen Gemeinde zu Zwei- 
brüden und 1792 zugleich Kantor am Gymnafim dafelbit. Als folder farb er 
am 21. April 1805. — Von ihm befindet fid) im Pfälz. Eh.B. 1859 eine Melodie zu 

„Auferftehn, ja auferſtehn wirft dw,“ 
die.er. 1804 erfand und die im Pfälz. G.B. ©. 639. Nr. 782 heißt: 


> + + + — 4 
ae ie 
Auf» ersfehn, ja auf + er- ſiehn wirſt du, mein Staub nach kur + er Ruh; um 
r 
— — — 
ſierb· lich Le- ben wird der did fhuf dir ge« ben. Hal - Te» lu - ja. 
Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt, Kantate von 
Sebaftian Bach zum Sonntag Serogefimä 19. Februar 1713 oder 4. Februar 
1714 von der Kraft des göttlichen Worts nah Jeſ. 55, 10. 11. Mit einer 
ciaconnenartigen Einfeitungsfinfonie und dem Schlughorel „Durch Adams Fall ift 
ganz verderbt" zu Strophe 8 („Ic Bitt, o Herr, aus Herzensgrund“) diejes Liedes. 
Ausg. der Bach Geſ. Jahrg. I. Nr. 18. Vol. Spitta, Bad I. ©. 486-495. 
1) Bol. Matihefon, Efrenpforte 1740. ©, 90. Gerber, N. fer. II. S. 322-324. 
3) Berzeicjnet bei Walther, Mufit. Ler. 1792, #. v. „Gibelius"; Dibler, Mufit. Bibl. 
1736. &. 1. 2. 3. ©. 16 f. Pring, Hier. Beffr. der edlen Sing- und Klingtunft 1690. 
Kap. XI. &. 145. Corn. à Beugbem, Biblioth, Math. &. 325. 

































































478 Glocken. 


Gloden (campanae, nolae, cloccae)') ftehen im Kreife der mufilafifcen 
Inftrumente Überhaupt und in dem der firchenmufitafifgen im befondern an der 
äußerften Grenze, an der nur dann mod; von ſolchen gefproden werden Tann, wenn 
man deren Begriff im weiteften Sinne, als Bezeichnung „ang erzeugender Köwer 
nimmt. Der Glodenklang, dem zwar weder ein gewiffer Rhythmus in Schlag und 
Radſchlag, noch eine gewiffe Harmonie im Mitklingen der Aiquoten abgeht, ift 
trogdem ein durchaus elementarer, und es beruft feine tieſpoetiſche Wirtung auf das 
menſchliche Gemüt eben auf diefer Eigenſchaft. Gloden find daher den driftlichen 
Völtern von jeher teuer und wert geweſen und von denfelben frühe ſchon nicht nur 
in innige Verbindung mit verſchiedenen kirchlichen Handlungen gebracht, fondern auch 
als Objekte des Aberglaubens, der Sage und Dichtung verwendet worden.?) Ihr 
Gebrauch ift feit lange im kirchlichen (Bet-, Feft:, Sonntags-, Predigt-, Gottesdienft, 
Kinderlehre, Hochzeits · Zodtene, Meß⸗ Veſperglocke) und bürgerlichen (Zeit, 
Stunden, Shlag:, Sturm-, Feuer, Wetter, Armenſünder-, Gerichts-, Feierabend 
glode) Leben ein ganz allgemeiner geworden. — Das Altertum tannte nur Heine 
Siellen (tintinabula) als Fürninftrumente, und bei den Juden und den erften 
Chriſten Kindigten Trompetenfignafe, oder Ausrufer die Stunden des Gebets und des 
Gottesdienftes an.?) Erſt vom 6. Jahrhundert an famen in den Beneditinerflöftern 
Gloden auf und «8 wird daher die Erfindung der Glocengießerei übereintimment 
den Mönden zugefärieben. Im 9. Iahefundert ſchentte der Doge Orſo I. ze 
Venedig dem Kaifer Baſilius 12 große Vrongegloden für die Sophientirche in Kon 
ftantinopel; damit famen fie in die drientaliſche Kirche, in der fid) ihre Verwendung, 
befonders in Rußland, bis zum Luxus fteigerte, ein Furus, den and) andere Länder 
folgten.) Vom 13. Jahrhundert an ging die Kunft der Glodengieferei an Innunger 


9) Das dentfäe Wort nad; Grimm vom Althochdeutſhen „diu clocha,“ Verhum „cio- 
chön,“ „elochen“ = fälagen, Hopfen; Iatinifiert „elocca® (in den Briefen des Heiliger 
Vonifacius im 8. Jahrh. zuerft vortemment); franzöf. „cloche,“ provenjalifd) „eloca,“ mei 
Tadifh, „olopot;“ „eampanae“ weifl auf das erzreidie Kampanien, „nolae“ auf die Trabiticr, 
der zufofge der Wifhof Baulinus von Nola der Gründer der Gloden if, 

%) In feterer Hinfiht iR alles gejagt, wenn man Stiller unferblides „Ried von tr 
Glode* nennt; des weiteren erinnere man fi der fAönen Legende von der Erfindung ic 
Gloden durch den Bifcof Paulinus von Nofo, an Göthes „Wandelnde Glode* z. Uber ter 
Aberglauben, der fih Häufig an Gloden fnüpft, val. man B. Musical Myths and Facı 
by Karl Engel. London, I. cap. 7: „Superstitions concerning bells,* 

5) Dagegen weiß man von den Chinefen, daß fie fon lange vor den abendländilke: 
Böllern die Gloden Tannten und große Gelänte Gefaßen. 

+) Rußland übertifit an Größe und Zahl der Geläute zur Zeit jedes andere Sand, un 
joll Moslau allein 1700 derfelben, ein Turm, der „Iwan Weliki,“ 37 in vier Stodwerl 
aufgefängte Glocen Gaben. Aud in England züffte man 1860 50 Geläute von 10, 360 wer 
8, 500 von 8 und 250 von 4 Gfoden. Spanien foll Bis zu den neueren aatlicen Wire 
ein Heer von 84108 Gfoden im Melallwerte von 7Y, Millionen Franfen gehabt und ganz 
Sgiffsladungen nach England geliefert Haben. 









Glocken. 479 


Über, Umherziehende Meiſter gofien am Orte der Yufftellung die Geläute; fie 
planzten ihre Kunft auf Kind und Kindeslinder fort, und es entftanden fo „Öloden- 
gießergefchlechter,“ deren jedes diefe Kunſt als Geheimnis bewahrte.) Die Kirchliche 
Verwendung der Gloden, ſowie der Aberglaube, daß diejelben damöniſchen Einflüffen, 
wie man fi) folhe namentlich bei Gewittern (daher Wettergloden) thätig dachte, 
wehren fönnten, bradite auf den Gedanlen, dieje fegenbringenden Kräfte dadurd zu 
erhöhen, daß man neue Gloden unter beftimmten Tirdfigen Ceremonien von einem 
Biſchof weißen ef. Und da die Geremonien bei jolher Glodenweihe im mefent: 
lichen mit denen bei der Kindertaufe übereinftimmten, fo ift erflärlid, wie beim 
Volke nicht nur der Name, fondern and der Begriff einer Glodentaufe entjtand, 
und daß die Gebräude bei jener, insbejondere die Veftellung von Paten und die 
Namengebung (um die einzelnen Glocen größerer Gelüute unterideiden zu können) 
auf dieje übertragen wurden. Doc ſchaffte man in der Keformationszeit die Oloden- 
taufe in proteftantifhen Ländern ab und erfegte fie durd die Glodenpredigt. — 
Was die Form der Öloden anlangt, fo hatten im allgemeinen die älteften der: 
ſelben mehr Höhe als Weite, daher die Geftalt einer Kuhfhelle,?) eines Vienenforbs, 
felbft eines Cylinders mit geraden Seitenlinien. Als fpäter mehrere Glocken zu 
Geläuten zufammengeftellt wurden, mußte es wunſchenswert erſcheinen, fie in ver- 
ſchiedener Größe und Klangfarbe und doch harmoniſch zufammenftimmend zu Haben, 
und diefe gefteigerten Anforderungen verlangten Veränderungen und Verbefiernngen 
der Form, aus denen endlich die jegige allgemein angenommene Glocenform hervor- 
ging. Hinfihtlic des Materials, aus dem Glocken gemacht werden, gilt al 
ferftehend, daß die Gloden des früheren Dittelalters aus Cifen gefhmicdet, auch 
aus Brongeblechplatten zufammengenietet waren, daß ‚aber frühe auch ſhon Bronzeguß 
zur Verwendung tom?) Das Glodengut (Öfodenfpeife, Erz), das gegenwärtig 
no; allgemein verwendet wird, it Bronze, d. h. eine Legierung aus Kupfer und 
Zinn, Gier und da unter Zufag von etwas Zinf und Blei, nad) dem normalen 
Mifhungsverhältnis von 3 (Kupfer) : 1 (Binm), oder genauer von 22 : 7 oder 
78 : 22, und wenn der Zufag von Zink und Blei beigenüſcht wird, von 80 : 10 
3) Mer ſoiche Geſchlehier in Deuticland vgl. Otte, Glodentunde, Leidz. 1858; in Belgien 
und Holland Grögoire, Histoire du Carillon 1808; in Gngland Grove, Diet. 1. ©. 216 
bis 220; Leipz. Ilufr. Zeitg. 1852. Mr. 472. 

2) Cine alte Gfode von diefer Form und aus drei mit kupfernen Nägeln zuſammen- 
genieteten Platten aus Bronzebled, defehend, wird im Walreftanum zu Köln aufberafrt; fie 
Toll aus dem 9. 618 ammen 8% : 13%, Zoll ovale Weite und 151, Zoll Höfe. Ihren 
Namen „Saufang” Hat fie daher, dafı fie in einer Strafe Kölns von Sqhwweinen anfgewüßlt 
worden fein foll. 

%) Beimifgungen von Silber, von denen die Vollotradition bei einzelnen berühmten @foden 
mod; Geute fprißt, Haben neuere gründliche Unterfuhungen als Fabel erwiefen. Bgl. Ardiv des 
Hi. Vereins des Kantons Bern 1882. X. 3, Hit. ©. 389. Dafelbft wird auch nod einer 
merfoürdigen Zugabe zur Glodenipeife erwägt, nämlich Reliquien des Hl. Theodul. weiche 
die Infärift einer Gfode vom Jahr 1436 zu Twann, als in derfelben enthalten angiebt. 








480 Glocken. 


: 6:4 ober von 80: 11:6:3.') Im der genau normalen Legierung dirler 
Metalle, die in reinfter Qualität zu nehmen find, liegt, bei durchaus fehlerfrei 
Guſſe, einerfeits, in den richtig beftimmten Form- und Größenverhäftniffen andrer- 
feits das Geheimnis der Herftellung einer guten Glode, das die aften Gloden 
gießer auf rein empirifcem Wege fanden und in Schablonen für die gegebenen 
Töne der Skala auf ihre Nactommen vererbten.?) Von einer guten Glode aber ift 
zu verlangen, daß fie genau den gewünfgten Ton und vollen (anhaltenden), 
reinen Klang habe. Der Glodenförper ift als aus unzähfigen, horigontal im 
Rreife liegenden Bibern (Saiten) zufammengefeßt anzufehen, von deren Länge 
und Spannung der Ton abhängig ift. Die Länge diefer Vibern aber ift nichts 
anderes als der Umfang der Gfode, ihre Spannung die Stärke der Legierung, und 
«8 ift daher mit einem gewiſſen Durchmeſſer und mit beftimmter Legierung ein ver 
langter Ton ziemlich) genau zu erzielen. So erhält man beiſpielsweiſe mit einer 
Legierung von 78 : 22, einem untern Durchmeſſer von 31 par. Zoll und 7,17 
Centner Gewicht nahezu den Ton c*. Dabei ift dann noch zu benhten, daß and 
der aus Schmiedeeifen Hergeftellte Klöppel oder Kallen hiufichtlich feines Gewichtes 
in genauem Verhältnis zum Gewicht der Glode ſteht: er Hat immer Yo + 5 ® 
(5 Kgr.) des lepteren. Bei im Verhältnis zur Schwere des Klöppels zu dider 
Glodenwandung vermöchte derfelbe nicht alle Vibern in Schwingung zu verjeßen, die 
der Außenfeite würden nicht mitſchwingen und aud) die innern Schichten an ſchöner 
Vibrierung hindern; beim umgefehrten Verhältnis aber würde die Glocke den Ton 
nicht Halten. Des weitern aber Tommt num nod in Betracht, daß eine Gloce nicht 
nur einen Tom angiebt, ſondern daß ihr Klang immer aus mehreren Tönen zu 
ſammengeſetzt ift: aus einem Grundton, der hervortreten muß, einem Bafton, 
der bei guten Gloden eine Oltave tiefer iſt als der Grundton, und aus einer An- 
zahl Obertöne. Der Grundton nun wird durch das Anfhlagen des Möppels an 
den Schlagring umd die hiedurch erregten Schwingungen der ibern diefes dichſten 
Teiles der Glodemvandung Hervorgebradit; der Baßton entfteht durch das Mitſchwingen 
der längeren Bibern des weiteren unterften Teiles der Wandung, und die Obertöne 
endlich durd die Schwingungen der kürzer werdenden Vibern der fih verengernden 
Haube. Boll umd rein wird aber der in diefer Weife zuſammengeſchie Geſamttlang 
einer Glode nur dann, wenn mit dem Örundton die Terz und Quinte als Ober- 
töne und die tiefere Oftav als Baßton mitklingen und als Afiquoten ihn verftärten; 

*) Neuere Epperimente mit Gloden aus Gußeiſen, wie ſolche in Norddeutſchlond, aud) in 
Bien gemacht wurden, vermohten nur einen Rarken, aber unfympathifgen Klang zu erzielen 
beſſer reuffierten rheiniſche Giefereien zu Bodum (um 1850) mit Herfellung von Gußflakt- 
gloden, die einen ſchönen Klang ergaben und billiger als Bronzeglogen Tommen. 

2) Einzelne mögen aud; ſhon tiefer in die Gefege ihrer Kunft eingedrungen fein: fo z. ®- 
der Glodengiefer Yemony zu Zütpgen im 17. Zahrh, wenn er von einer guten Glode be 


Rimmt verlangen lonnte, fie müfle 3 Oftaven, 2 Quinten, eine große und eine Heine Terz 
angeben. Bgl. Helmholt, Lehre von den Tonempfindungen 1863. S. 125, 





Glocken. 481 


alle andern mitflingenden Töne find vom Übel und machen, daß eine Glocke, heult.“ 
Bei manchen Gtoden ftinmt der Baßton nicht in der Dftave, was ſtets die Klangfülle 
und Schönheit des Grundtong beeintrühtigt; bei andern, namentlich großen Glogen, 
hört man ftatt der Terz eine ſtart bemerfliche Quart als Oberton, was von eigen: 
tümlicher, doch nicht unangenehmer Wirkung iſt. Die große Glode zu Erfurt 
(1477 gegofien) enthält mad Gleig die Tüne E e gis h et gis! hi cis®, die 
große Glode der Peterslirche zu Birih die Tine As as c! (ces!) es! as! c* es? 
as?, wobei bei erfterer das cis?, bei legterer das leiſe durchſchimmernde ces! ala 
melodifhe Elemente anzufehen find.') Die für Kirdengeläute geeigneten Gtoden 
bewegen fid) in ihren durch ihre Größenverhäftniffe bedingten Grundtönen innert der 
Grenzen d-P; die von d—fis find aufergewöhnlih groß, die von C—E! gehören 
zu den großen; über f? werden die Gloden zu Hein, als da fie noch einen irchlich 
wirdigen Ton geben Können und ſchon es? e* f? find nur no in Verbindung mit 
größeren angemeffen.?) Bei GloLenproben von neuen oder umgegoffenen Kirden- 
geläuten war es dis jegt Ufus, nur die Reinheit des Grundtones zu prüfen. Dan 
ſtellt ſich unter die Glocke, giebt mit irgend einem Inſtrument (Flöte, Klarinette, 
Violine) diefen Ton laut an, und erflärt die Stimmung für richtig, wenn die Olode 
denſelben in leiſem Nachhall vein zueücgieht, während fie bei jeder, auch der Heinfien 
Differenz ſchweigt. Allein der andre Gefichtspuntt, daß jede Glockee auch harmoniſch rein 
ftinme,, einen vollfommen Tonfonierenden Accord gebe, ſollte nicht minder im Auge 
behalten werden. Denn nur dann, wenn jede einzelne Glocke in beiderlei Hinſicht voll 
ftändig in Ordnung if, kann ein ſchönes Kirhengeläute zufammengeftellt werden. Flir 
dieſe Zufommenftellung find nun allerdings zunächft äuherliche Rüdfihten (Geld, Raum) 
maßgebend; innerhalb der durch dieſe gezogenen Grenzen aber follten möglichſt große 
Gtoden angeftrebt werden, weil fie, auch wenn fie nur in beſchränlterer Anzahl er- 
haltlich find, ein kirchlich wärdigeres Gelänte geben, als eine größere Anzahl von Glocken 
Heineren Kalibers. Jedenfalls find zu einem ſchönen Gelaute mindeftens drei Glocken 
nötig, damit ein volfändiger Dreitlang, und zwar ein Durdreiffang, der dem Moll: 
dreiffang in feiner Wirkung entſchieden vorzuziehen ift, ermöglicht werde. Bei vier 
und mehr Gloden ſodann iſt es von ſchönſter Wirkung, Wenn durch eine derfelben 
m melodifher Ton (gewöhnlich eine Sert) dem Dreitlang zugebracht wird.) As 








1) Bot. Sqhweizeriſhe Mufzeitg. 1893. S. 105 im Art. „Die Gfoden anf der ſchweizeri . 
ien Landesansftellung“ von ©. Weber. 

2) AS die größten Gfoden gelten: der Czar Kolofol mit 198.000 kg Gewicht und 6,7 m 
Durchmeſferz fie fiegt als Auine vor dem Kreml zn Mostau; die „Bolfchei“ mit 70000 kg 
benfalis in Mostauz die Ofode des Parlamentsgebäudes zu London, 16.800 kg fämer, und 
vie der Kathedrafe zu Port mit 12000 kg; die Glode des Stepfansturmes zu Wien, 20000 kg 
gtwer; die Kaiferglode zu Köln, mit 3,25 m Höhe und 26250 kg Gericht; fie Hat den alten 
Sprudi der Glocenfunde: „unter allen deutſhen Gfoden it die Randehnter die Hühfte, die 
Straßburger die fhönfte und die Wiener Glode die größte” zu Shanden gemadit. 

2) Ad) Ric. Wagner vertvendet im Parfifal ein Geläute mit einem melodifien Ton: e ga ein 

Ahnmerte, Enctl. d. wanı. Rirhenmufit. T. 31 


482 Glocken. 


Beiſpiel eines ſchön zufammengeftellten Geläutes, das den Ddur-Aecord mit der 
Serie als melodiſchem Element in felten gehörter Reinheit Darftelt, geben wir noch dat 


aus 5 Glocken beftehende Gelaute einer Kirge zu Yarau, das folgende Töne enthält: 
1. Prim, 2. Terz. 3. Quint. 4. Sert. 5. Oltav. 


Be 4 
Die j 


Auqh die Ausrüftung der Oloden: Krone (Beihläg), Tode und Lager 
find für deren Konjervierung von weſentlicher Bedeutung und finden trogdem mod 
nicht immer die ihnen gebührende Aufmertſamteit. Die Krone wird von der 
Glodengießereien meift mod) jo konſtruiert, daß die Gloce mit großer Mühe nur 
einmal um 900 gefehrt werden kann, was der Haltbarkeit aber durchaus nicht 
zuträglich it. Sobald mämlih der Kallen eine Reihe von Jahren immer an ein 
und derſelben Wandftelle angelölagen Hat, Gilden fih in ihnen immer größer 
werdende Vertiefungen, und endlich Sprünge. Wird dagegen eine fymmetrijd ge 
Haltene ſechsarmige“ Konftruftion gewähltt, fo kann die Glode fehsmal gedreht, 
alfo auch ſechsmal länger gebraucht werden. Das erwähnte Geläute in Aarau zeigte 
auch eigentümlich erftellte Jude und Lager. Der Mechanismus der Iepteren if 
durch ein Gehäufe verfhloffen und fomit vor dem Verſtauben gefligt, während die 
auf das äuferfte Minimum reduzierte Neibung nur einen fehr geringen Sraftarf 
wand zum Läuten beanfprudit und, da die Lager nie der Olung bedürfen, aud das 
fonft übfige Verharzen derſelben ausſchließen. — Noch it hier der Unterfceidung 
zwiſchen harmonifhen und melodifhen Kirhengeläuten zu erwähnen. 
Erftere, wohltuend aber etwas nüchtern, find in proteftantifgen Ländern, lettert in 
tatholiſchen, namentlich in Südeuropa gebräuchlicher. Den melodijgen Geläuten it, 
wenn fie aus fhönen, teinflingenden und nicht zu Heinen Gloden beftehen, großer 
Neiz nicht abzuſprechen ;*) mit Heinen Glocen arten diefelben jedoch in ein Gebimmel 
aus, wie es in Dtalien jo oft gehört wird. — Von folgen Heinen melodiſchen Ge 
lauten it ohne Zweifel der Urjprung der 

















') &s it freitith dadurch mit ganz tadellos, daß die kleine Terz als Oberton der erfen 
Gtode ſich gegen die große Terz der zweiten Glode ſtößt. Dies Geläute wurde 1883 in der 
Bicherei der Gebrüder Rütſchi zu Aarau gegoffen, war auf der Landesausftelung in Zürich 
ausgefelt und Hänge jept im Zurm der römifdj-tatholiffen Kirche zu Aarau. Seine Gräfem- 
verhäfmiffe find: Prim 1,356 m. Durdem. 1093 kg Gewicht; Terz 1,085 m D. 900,5 kg 6: 
Quint 0,905 m D. 518 kg G.; Sert 0,00 m D. 391,5 kg ©.; Dltav 0,870 m 2. 23 
kg Gewicht. 

?) ©. Weber, Schweiz. Muftzeitg. a. a. O. rühmt von einem folden melodiſchen Gelizte | 
auf Sant" Ambrogio zu Mailand, das die Ambrofianifgen authentiſchen Kirhentöne de iz | 
enthät, es fei „von fhönfer feierticher Wirkung.“ 





Glorkenfpiele. 483 


Glodenfpiele (Carillons Campanellae) herzuleiten. Dan verfteht unter 
einem Gfodenfpiel die Zufammenftelung einer Anzahl von 30—40—50 Gloden, 
meift Meinerer Dimenfion, die fo angeordnet und aufgehängt find, daß fie mittelft 
eines Medanismus gefpielt, d. h. im der Ordnung angeſchlagen werden können, 
daf fie ein einfacheres Mufifftüd, namentlich) einen Choral, nad Melodie und -Har- 
monie zu Gehör bringen. Die eigentliche Heimat der Glogenſpiele ift Belgien, 
Holland und Niederdeutſchland, wo etwa ſeit dem 15. Jahrhundert die Türme 
der Kirchen umd Nathäufer ſtündlich, mitunter fogar viertelſtündlich, vom Stange 
dieſer Giocenmuſit wiederhallen.‘) Zuerft nur von Hand mittelft Kloppeln wie dag 
dadebrett geipielt, wurden die Gfodenfpiele fpäter mit einer derben Rlaviatur, 
chalich derjenigen der alten Drgeln verjehen, die man aud wie diefe mit den 
Fäuften ſchlug, bis man endlich den Walzenmehanismus der Drehorgel auf fie 
isertrug, der durd Gewichte oder Federfraft in Bewegung gejeht wird. Im Eng- 
lad, wo die Glodenſpiele ebenfalls fehr beliebt find, erhielt diefer Mechanismus 
ine fo mefentliche Vervollfommmung, daß er hinfichtlich leichter Beweglichteit und 
srägifer Wirkung laum nod einen Wunfd übrig lafien dürfte.) Deutſche Sad- 
verftändige machen den Gfodenfpielen hauptſächlich Ungleihmäßigteit zum Vorwurf 
and finden den Grund diefes Übelftandes, diefer Disharmonie Hauptfählih in der 
‚tofofjalen Grögenabftufung der Gfoden felbft, wodurch die Heinen Gloden im Zu- 
ammenfpiel von den großen Üübertönt werden müffen.“?) Cie Halten daher das Ab- 
Hafen des Chorals mit Blehinftrumenten duch eine gute Deufiffapelle mit Recht 
ür fünflerifd beſſer und kirchlich wärdiger. — In kleinerem Maßſtab fand das 
lodenjpiel im 17. und 18. Jahrhundert in Deutſchland auch Eingang in die 
dirchenorgel; jegt ift es glüclicherweiſe faft vollftändig wieder verfchwunden.t) 

Zur Litteratur der Ölodentunde, die ziemlich umfangreich ift, führ 


zen wir an: Montanus, Hift. Nacht von den Öloden. Chemnig 1726; 
CHladni, Aufit. Leipz. 1802; Taunay, Der volltommene Ölodengießer. 





%) Unter die berüßmteften Gfodenfpiele rechnet man: das zu Antwerpen mit 40, dac zu 
Brügge mit 48, das zu Dieheln mit 44, das zu Gent mit 48, das zu Lünen mit 35 Bloden. 
die Familie Ban den Gheyn zu Wiechein zählt eine Reife der bedeutendflen Catilloneurs zu 
iren ütgliedern; Matihios Ban den Gheyn, geb. 7. April 1721, gefl, 22. Juni 1785 ale 
Irganift und Carilloneur zu Zonen, war der bervorragendfte Angehörige dieſer Familie. Bgl. 
liter, Zur Geich. des Orgelfpiels. I. ©. 53. 54. Grove, Diet. I ©, 311, 

>) Eine genaue Beföreibung diefer englifhen Mechanit von Gilett & Bland zu Eroyden 
det man in der Zeitfeift „The Engineer“ vom 19, Aug. 1875, einen Auszug dareus bei 
irove, Dict. I. S. 312-313. 

3) &o fpridht fi ein Rrititer des neuen Glocenfpiels der Petrilirce zu Hamburg in dem 
yamburger Nachrichten vom 19. Sept, 1883. Nr. 222 aus. 

+) Nach Alung (der e8 genau befreit), Anl. zur mufil. Gelahrth. 1758. S. 425 „hier 
1 Lande fer gemein im DMonual in den beyden obern Oltaven, aud) wohl vom blofen g an 
is oben dur" — nadı desfelben „Musica mech. org. 1768. I. &. 103 aber war «$ „mas 
ftbares, daher and) was rared.” Bl, auch ebendaf. IL. S. 139—143. 

31* 


484 Glockleinton. Gloria. 


Aus dem Franzöſ. Quedlinburg 1834; Bödeler, Beiträge zur Olodentunde, 
Aachen, Iafobi; Dr. Franz Witt, Musica sacra. 1882. Nr. 5. 6. 1. 
‚Beiträge zur Olodenfunde;“ Otte, Olodenfunde. deipz. 1858. Gregoire, 
stoire du Carillon. Brüſſel 1868. Van Elewyk, Matth. Van den 
Gheyn et les plus cölebres fondeurs de cloches de ce nom depuis 
1450 jusqu’ à nos jours. Paris 1862. E. Beckell, Clocks and Bells. 
London. 











Glörleinton, eine lüngft veraltete Flötenſtimme der Orgel, die gewöhnfid 
nur 2* Tongröße aber weite Menfur hatte, jo daß fie einen glodenartigen Klang 
caraltet befam. Sie tand meift im Oberwert größerer Orgeln (5. 8. in der 1697 
dis 1703 gebauten Orgel von Casparini zu St. Petri und Pauli in Görlig), hiek 
aud Sonus faber, oder Tonus faber (wie z. ®. im H. M. der 1721 von Joh 
Moosengel gebauten Orgel im Dom zu Königsberg mit 77 M. Sn.) und ſoll nat 
Walther Muf. Ler. 1732, fo gellungen Haben, als ob man mit einem Hammer 
auf einen wohlkfingenden Ambos ſchlüge und z. B. zu Quintatön 16° gezogen in 
ſchnellen Paflagen bei ſchwacher Begleitung eines zweiten Manuals von guter Wir 
Tung geweſen fein.) 


Gloria. Im liturgiſchen Gefang der latholiſchen und der evangeliſchen Kirte 
werden zwei Gloria unterfehieden : 

1. das große Gloria, Gloria in excelsis, Doxologia major. Seine 
Idee und Stellung im Gejamtfompfer der Liturgie nad) ift es der Dant- und 2 
gelang für die im vorangehenden Kyrie erflehte und erlangte Gnade, und im ds 
funftmäßigen Tonfägen über feinen Tert bildete ſich daher, gleicherweiſe wie für ok 
fünf Säge der mufifalifhen Meffe, unter den Händen der großen Kirhenfomponiter 
des 15. und 16. Iahrhunderts eine typiſche Behandlungöweiſe aus: das Glris 
follte feftlicgen Dank und Fubel zum Ausdrud bringen. Der don den himmliſger 
Deerſcharen in der Heiligen Nacht gefungene Lobgeſang (Hymnus angelicus) wurd. 
in der erften Zeit der driftlichen Kirche in der Weihnachtsvigilie allein gefunger, 
tam aber bald in der Matutin der morgenländifden Kirde in ausgedehnteren Ge 
brand. Seine Einführung in die Meffe der abendländiſchen Kirche wird traditiene! 
dem Bapfte Telespgorus (geft. 139) zugeichrieben, und wenig fpäter erhielt das Gleri 
feine fefte Stellung hinter dem Kyrie. Bon feiner Erweiterung durch das Laude— 
mus, „Wir (oben did x.” (findet fich die erfte Nachricht in den Apoſt. Conſte 
Nib. VIL. ans dem Anfang des 4. Jahrhunderts. Die tathofifhe Kirche gebrantt 
das Gloria im weſentlichen heute noch fo, wie Gregor d; Gr. dies verordnet hei, 
d. h. fie list es im jeder Meſſe fingen, und nur in den in violetter (in den Ri 
zeiten des Kirchenjahres, tempora Clausae) und in ſchwarger Farbe (in der Chr 


2) Bot, Adlung, Anleitung zur muſ. Gel. 1768. ©. 426. 427 u. Mus. mech. ort 
1708. 1. ©. 108, der meint, es „wäre wohl befier, wenn e8 Tonus fabri genennet wärde‘ 


Gloria. 485 


woche oder Hebdomada sancta und dem Requiem) gelefenen erſetzt fie Kyrie und 
Gloria durch die Litanei. Die evangelifhe Kirche nahm es mit dem Kyrie un: 
verändert heruber; doch ſtellte Luther in der Formula missae von 1523 6 ganz 
dem Ermeffen des Liturgen anfeim, wann er das Gloria fingen oder weglaffen 
wollte, aber nur wenige Kichenordnungen folgten ihm hierin. Da dasfelbe dem 
Kyrie unmittelbar folgt, follte e8 mit diefem feiner Intonationsformel nad) ftimmen, 
„mad; eines jeden Kyrieleifontone” gejungen werden; *) die Fortjegung, das „Et in 
terra pax etc.® ift ſchon feinem Urfprung, mehr nod dem Brauch der mittelalter- 
lien Kirche nad) Chorftlid; in der evangelifhen Kirche aber fie man faft von Anfang 
am auch die Gemeinde ſich am demfelben beteiligen — „der Priefter fol anheben 
diefen engliſchen Hymnus und die Kirche fol ihn vollenden” Heißt es ſchon im der 
Shleswig-Holft. KO. von 1542 — umd es zeigt die Ausführung Hier im weſent- 
lichen drei geſchichtlich beglaubigte Formen. Zunächſt die Hergebrahte gregorianifche: 
der Liturg intomiert das „Gloria in excelsis“ und der Chor „amt dem Orga: 
miften“ fingt die Fortfegung des „Et in terra pax ete.“, wozu mehrere eigene 
Kirhenmelodien vorhanden find und im Gebraud waren. - Dabei wurde für dieſes 
Chor- Gloria anfangs allgemein und ausfhlieglic der lateiniſche Tert verwendet, 
ein Braud, der ſich da und dort bei Schüferhören bis ins 18. Jahrhundert hinein 
erhielt; andrerſeits wurde aber aud der Gebraud einer deutſchen Überfegung ge: 
ſtattet,) und der Chor konnte das Glorialicd „AM Chr umd Lob ſoll Gottes fein“ 
fingen, oder „Musica figurata oder jonft einen figurafiter gefungenen deutſchen 
Palm“ einfegen.?) Als eine Mittelform zwilhen dan Chor-Oloria und den’ Ger 
meindegloria ftellt ſich die Weife dar, bei welder der Liturg „Gloria in excelsis“ 
intoniert, der Chor mit „Et in terra pax hominibus bonae voluntatis“ fort- 
fährt, dann die Gemeinde mit dem Glorinlied „Allein Gott in der Höh jei Ehe“ 
eintritt, und der Chor mit dem „Laudamus te* abſchließt.) Die dritte Form 
endlich ift, in Ermangelung eines Chores, das Gemeinde-Öloria, das der 
Geiftliche intoniert, oder, wenn er nicht fingt, „mit vernehmlicher Stimme fpridt” 
und das die Gemeinde mit dem Glorialiede „Allein Gott in der Höh fei Ehr“ 





) RD. für Sadfen, Engern und Wehtſalen (Lauenburgifde 8,0.) 1585. Pfatz · Neub. 
RD. 1543 1. 0. 

2) Braunfhw. K. O. 1581. Herzog Heinricha au Sadfen RD. 1599. Dieſ. lin ihrer 
enneuerten Form von 1748. Baireutfer Chor-Drdn. 1755. Strahb. Kirdenamt 1525. def 
Mfüie Agende 1574 m. 0. 

9) Das „A Chr und ob” mit feiner eigenen Melodie vol. man bei Schüberlein-Siegel, 
Sat 1. Rr. 100. S. IT1—177; doch wurde 8 auch nach der Weife „Allein Gott in der 
Söh fei Ehe“ gefungen. — Cinfagen von Figurafmufil gefattet dem Chor die 8.D. zu Koten 
burg a. d. T. 1611. 

+) Braunfgm-Bolfend. K.O. 1543. Hilbert. RD. 1514, RD. fr Medtenburg, 
Wenden ꝛc. 1540. 








486 Gloria. 


ſtatt des,Et in terra pax beantwortet!) Diefe Form wurde fpäter ausdrüdfid 
auch ohne die Intonation des Fiturgen geftattet;?) jie fand immer mehr Nahahmung, 
das Glorin verſchwand nad und nach aus der Fiturgie und nur noch als legte 
Spur desfelben hat fih das „Allein Gott in der Höh fei Ehr“ in unfre Zeit her- 
Über gerettet. Um das Gloria zu reftituieren verlangen die Liturgiter der Gegen 
wart zunächft eine Überleitung zu demfelben vom Kyrie aus mittelft eingelegter Troft 
und Gnodenſprüche, die mit Rüdficht auf die jedesmalige kirchliche Zeit zu wählen 
und antiphoniſch zu fingen oder aud nur zu fpreden wären.) Fur die Ausfüt, 
rung des Gloria felbſi ftelt dann z. B. Schent (Handagende 1857 S. 12) gemäf 
der Pommerſchen Agende von 1535 (1563) die folgenden beiden Hauptformen auf: 
2) der Fiturg ſingt oder fpriht: Ehre fei Gott in der Höhe — der Chor antwortet: 
Und Friede ıc., beides deutſch oder beides lateiniſch; oder ftatt des Chores antwortet 
die Gemeinde mit dem Lied „Allein Gott in der Höh jei Ehe“. Un gewöhn- 
tigen Sonntagen ſchließt der Chor mit „Wohlgefallen. Amen!” oder die Ge- 
meinde fingt nur den erften Vers von „Allein Gott in der Höh fei Chr“; an 
Feſttagen fügt der Chor das Laudamus Hinzu oder die Gemeinde fingt das 
ganze Glorialied. b) oder der Liturg jprißt: „Ehre ſei Gott in der Höhe! Die 
Gemeinde antwortet: Und Friede auf Exden umd den Menſchen ein Wohlgefaller. 
Amen." An Hohen Fefttagen kann der Liturg die Dorologie darauf ſprechen ( 
der Chor fie fingen). Würde die Ausführung des Refponforiums „Und Friede” 
durch die Gemeinde nicht thunlich erfgeinen, fo lann fie an gewöhnlichen den erften 
Vers, an Feſttagen alle Verſe ihres Glorialiedes an defien Stelle fingen.) 














2. das Heine Gloria, Gloria patri, Doxologia minor. Dasielbe her 
feinen Plag im Pfalmengefang des Introitus und des Veſpergottesdienſtes und den 
Tat: „Gloria patri et filio et; spiritui saneti,“ dem dann noch hinzugefügt 
wurde: „sicut erat in prineipio et nunc et semper et in seculo seculorum,* 
und zwar wie die Tradition will, auf den Rat des Heil. Hieronymus (geft. 420), 
weil die Anhänger des ſemiarianiſchen Biſchofs Macedonius von Konftantinopel (die 
Mocedonianer oder Pneumatomahen), denen es ſchwer fiel, die Homouſie des heil. 
Geiftes anzuerkennen, behaupteten, dies Dogma fei erft neu aufgebracht worden.‘ 


») Rufas- Soffins, Psalmodia sacra. 1559. 
Bolfend. 1542. Palz-Reub. 8. 

9) Herzog Erufis zu Safe (Hifdburgf,) 8.0. 1685. 

*) Dühfel, Ordnung des ev. Hauptgotteed. 1854. Cihent, Hand-Agende 1857. Bat. 
Kircjenb. 1858. CSäüberlein, Der eo. Haupigottesdienfl. 1855. u. a. 

9 Andere Einrigtungen des Gloria findet man in den neueren Agenden von Bahern 
Baden, Medienburg, Yannover ıc., ſowie in den Iiturgifcen Schriften von Scüberlein, Petr, 
Vachmann, Alicforh, Layrig x. 

%) Bol. Prätorius, Synt, mus. I. ©. 64. Pring, Beſchr. der edeln Sing umd Minz- 
tunſt 1690. ©. 93. Ruck, Lehrb. der Kirchengeſch. 1863. &. 186. 





O. der Herzogin Eliſabeth von Braunfe. 





Gloria. Joh. Heinr. Göroldt. Friedr. Goll. 487 


Yeies Gloria wird nad) gregorianifcher Weiſe in dem Pfahmenton gefungen, zu dem 
! in jedem einzelnen Falle gehört, und Heißt beifpielsweife im erften Pſfalmton 
ma jo:!) 














E m —————— 
v 


Lob und Preis fei Gott dem Bater und dem Eofj+ me, und dem hei-li «gen Gei + fe. 


—— 


Bie es war im Anfang jebt und inmer-dar, und von Ewigleit zu E-— wig-feit. A» mei. 








— — ai Gm 























Gloria, Die, nannten die alten Orgelbauer den mittleren, von den Seitentürmen 
antierten Teil des Proſpelts größerer Orgeln?) weil an demfelben die Haupt 
mierungen wie pofaunende und paufenfchlagende Engel, der Harfenfpiefende König 
id, Sonnen mit dagegenfliegenden Adlern u. dgl. angebracht waren. 


Göroldt, Ioh. Heiurich, war am 13. Dezember 1773 zu Stempeda in der 
Iaffhaft Stolberg am Harz geboren und erfangte feine mufilaliſche Bildung als 
öhüler des Kapellmeifters Georg Friedr. Wolf (17621814) zu Stolberg. 1803 
arde er Kirchenmuſitdireltor zu Quedlinburg, wo er um 1840 geftorben ift. — 
eine Rantaten, Hymnen und Motetten find Danuffeipt geblieben, dagegen find 
ir felgende feiner gedrudten Werfe zu nennen: 

Die Choralmelodien der evangel, Kirhe für 4. Mftn, für Chorgef., 
ſowie für 3 Knaben und 1 Pt. gefegt, nebit einem begifferten Ch 
Orgel. Quedlinburg, Bafle. qu. 8°. — Die Orgel und deren zwedmäfige 
Gebrauch beim öffentlichen Gottesdienft. Ein Handbuch; für angehende Organiſten. 
Duedlinburg, Beder. 1835. 8°. — Gedanfen und Bemerhungen über 
Kirenmufit. Eutonia 1830. vo. IV. ©. 1-16. 


Goll, Friedrich, ein namhafter Orgelbauer der Gegenwart, der am 28. Oltober 
339 zu Bifingen im Wurttembergiſchen geboren wurde. Er erlernte feine Kunſt 
83—1858 in der Orgelbaumertftätte feines älteren Bruders zu Kichheim u. T.; 
uf ging er auf die Wanderſchaft, arbeitete einige Zeit bei dem Orgelbaner Forell 
? Freiburg im Breisgau und fam dann in die Werkftätte des bedeutenden fehweize- 
Äden Orgelbauers Friedrich Haas in Luzern. Diefer nahm ſich des ſtrebſamen 
gen Mannes mit befonderer Liebe an und veranfaßte denfelben 1866 nad Paris 
teen, um in dem Haufe Merklin u. Schüge namentlich die Kunſt der Herftellung 
® Zungenftimmen fh anzueignen. Nach einem zweijährigen nugbringenden Auf- 
At in Paris ging Goll im Frühling 1868 noch nad London, um daſelbſt auch 











3 Bl. Lyra, a. a. D. ©. 70. 71. Payrig, Kern IV. ©. 46—58. Schöberlein-Riegel, 
+2. D. ©. 594 ff. ©. 51 fi. S 590 fi. 

*) „Dder eines Altars in der Höhe, da mehrenteils die Herrlichteit Gottes pflegt vorgeſtelli 
Amerden.” Bot. Adlung, Anleitg. zur muſ. Gelahrih. 1758. 5. 426. Anm. I. 


488 John Goß. Gott der Herr iſt Sonne und Schild, 


den engliſchen Drgelban kennen zu Lernen, und kehrte dann nad Luzern zurüct, 1 
ihm fein Meifter Haas "im Mai 1868 fein Gefhäft übergab. Diefes Geſcan 
betreibt er feitdem mit anerkannter Tüchtigfeit und Umſicht und mit beften Erfolg. 
Bon den 36 Neubauten verſchiedener Größe und 47 Reparaturen größeren Umfangs, 
die bis Heute von ihm ausgeführt wurden, nennen wir: 

1. Die Orgel der Auguſtinertirche zu Zürih 1876, 30 M. Stn. 2 Man 

u. Bed. — 2. Die Orgel der Stiftskirche zu Engelberg 1877, 50 U. S 

3 Dan. u. Ped. — 3. Die Orgel der Kirche zu Wattoyl 1878, 31 fl. Stn. — 

4. Die Orgel der tathol. Kirche zu Baden 1378, 36 fl. Stn. 3 Man. und 

Pod. — 5. Die Orgel der Kirche zu Surfer 1879, 32 MH. Stn. 2 Mar. 

u. Bed. — 6. Die Orgel der Predigertirche zu Bajel 1879, 32 fl. St. — 

7. Die Orgel der Predigerfiche zu Zirih 1879, 37 H. St. 3 Man. un 

Pd. — 8. Die Orgel zu Neumünſter Zürih 1880-1881, 48 fl. Str. 

3 Dan. C — 8) u. Bd. (C — e)). — 9. Die Orgel zu St. Martin in 

Vevey 1882, 37 El. Stn. 3 Man. Ped. — 

Ein älterer Bruder von ihm betreibt ebenfalls ein Drgelbaugeichäft je 
Kirchheim u. T. in Württemberg. Derfelbe ift 1821 gu Biſſingen geboren un 
erlernte ſeine Kunſt 1835 —1S41 bei dem Drgelbauer Gruol dajekbit; zu feiner 
weiteren Ausbildung arbeitete er Dann in den Werkftätten von Schäfer in Heilbranı 
und Weigle in Stuttgart, Bis er ſich 1845 mit feinem Lehrmeifter Gruol affociiert. 
AUS Diefer 1850 ſtarb, übernahm cr das Geihäft allein und fidelte damit nat 
Kirhgeim Über, wo er feitden eine Anzahl größerer und kleinerer Orgelwerfe für 
württembergijhe Kirchen gebaut hat. 


Goß, John, ein engliſcher Organift und fruchtbarer Kirdhenfomponift, war 180) 
zu Farcham als der Sohn des dortigen Organiften geboren und fam 1811 ale 
Chortuabe in die Chapel Royal, we er den Grund zu feiner muſikaliſchen Bildung 
legte. Nachdem er dieſe fpäter unter Thomas Attwoods Leitung vollendet hatt:, 
erhielt er um 1824 jeine erjte Stelle als Organift an einer Yondoner Kirche, um 
1838 folgte er feinem Lehrer Attwood als Organift an der Pautsliche, am der e 
bis 1873 wirkte. Am 11. Mai 1880 ftarb er zu Brixton. An Kirchenwerlen 
ind von Gl ericienen: 

8 Services und 28 Anthems; auferdem ein „Church Psalter and 

Hymnbook,“ und „The Organists Companion,“ eine Sammlung ver 


Bor- und Zwißenfpielen. Seine „Introduction to Harmony and Thor 
roughbass“ 1833, hat 13 Auflagen erlebt. 


Gott der Herr iſt Sonne und Schild, Kantate von Sch. Pad ;: 
Reformationsfeft am 21. Sonntag nad; Trinitatis den 30. Oktober 1735. 
verwendet zivei Choräle, nämlich „Nun dantet alle Gott” in der Mitte, und 
lagt ung Gott dem Herren" mit Strophe 8 („Erhalt uns in der Wahrheit”) 
Schluß. Ausg. der Bach-Geſ. XVIII. Nr. 79. Bal. Spitte, Bad I. S. 565 
bie 554. 

















m 








Gott der Vater wohn uns bei. Gott des: Himmels und der Erden. 489 


Gott der Vater wohn uns bei, Choral, deſſen Weife aus dem deutſchen 
geiftlichen Vollsgeſang fpäteftens des 15. Jahrhunderts ſtammt und als „Ein Letaney 
zur zept der Vitfarten vff den Tag Marci (25. April), vnd in der Creutzwochen“ 
(og. Mid. Behes GB. 1537. Bl. Tb. Nr. 32 u. Leiſentrit, G.B. 1567. 
11. Fol. 54) gelungen wurde; für den evangelifhen Kirhengefang wurde das Lied 
dann ſchon 1525 „gebeffert und chriſtlich korrigiert,“ vgl. Ramibach, Über Luthers 
Verdienft ıc. Hamb. 1813. S. 121. Als die älteften Quellen gelten: eine Mündner 
Handſchr. von 1422. Cod. germ, Nr. 444. Pp. 4°, „Santtus Petrus won ung DI,“ 
vgl. Hoffmann v. F., Geſch. des KV. 1832. S. 135-136. und eine Handſchr. 
des Leonhard Kleber (vgl. den Art.) von Geppingen (Göppingen in Württemberg). 
Bibl. zu Berlin, Cod. germ. in fl. Fol. Bl. 72a. „Sanfta Maria won uns bei," 
aus der Zeit von 1515—1520. — In evangelifgen G. BB. erſcheinen Lied und 
Melodie zuerft bei Joh. Walter, Geyſtliche geſangt Buchleyn. Witten. 1524. 
Nr. 34. 1525. Nr. 35; dann mit dem Tert „Vater der Barmherzigkeit" im 
6.8. der böhm. Br. 1531. Bl. 9. IV. (wenig abweichend in Bezug auf die 
Melodie und mit Luthers Tert aud bei Joh. Okt. 1534. Nr. 12); ferner bei 
Joſ. Hug, 6-8. 1535. Bl. 18a. Ausg. von 1543. Bl. 286. und bei Bal. 
Babft 1545. U. I. Nr. 13. Die Melodie Heißt: 


















— — 

















(Gott der Ba- ter wohn uns bei und lag uns nicht wer + der + hei, 
Das uns al » fer Süm-den frei und elf ums je-lig fer - Ben 











- — 
— a: 
— — ——— — 


— 
de dm ze im8 bermahr, helt ums bei ferftem Glau + ben 

















Dir ums faf-fen ganz md gar, mit al + fem rech en Chri « fen 





























zz — 
de — 
und auf did) Faß uns bau + em, aus Ser-zens@runder train > ei. 
ent-flichn des Teufels Lü - Men,  mitWaf- fen Gons uns ru ſien. 


HH Ei 


— — 

U men, A- men, das ſei wahr, fo fin» gem wir Halsfe» Im- ja! 

Die fünf Barianten der Melodie, die Mic. Prätorins, Muf. Sion. VI. Tl. 

1609 auffühet, find fämtlich wenig erheblih. Vol. d. Winterfeld, Ev. -®. I. 
©. 118. 


Gott des Himmels und der Erden, Choral, der von Heinrich Albert 
Cogl. den Art.) zu dem von ihm auch gedichteten ſchönen Morgenliede (vgl. 
Rambach, Anthol. II. S. 380) erfunden und mit einem fünfftimmigen Tonfag 
verfehen in „Fünffter Theil der Arien oder Melodeyen Etlicher theils Geiſtlicher, 



































> 








490 Gott fähret anf mit Jauchzen. 


theils Weltlicher . . . Vieder.“ Rönigsberg i. Pr. 1644 (2. Aufl. 1645. 3. Aufl. 
1651). Fol. Nr. 4 zuerſt veröffentlicht wurde. Die Melodie heißt in ihrer Original: 
geftaft, ſowie in einigen Umbildungen, in denen fie in den Ch. VB. erfäeint: 


























a) Original. 5} — — 
Gott des Him » mels und der Gr-den, Ba «ter, 
Der es Tag und Naht läßt wer + den, Sonn und 









b) Dresdner ©. |-- 
3. 1694. S. 688. 


+5 Jtr2 23 
























































Nr. 389. De 
9. ©. Scidt, = 
1819 ©. 
>. Nr. 101, 
4 F &.8. = i 
1876. 8.80. Rr. 2 3 


























Pe 2 te 


Sohm und Heil -ger Geift, 
Mond uns feinen heißt 
















































































+ a 
— = 

= + 

Zr — 

























































































Gott fähret auf mit Jauchzen, Kantate zum Himmelfahrtsfeſt 1735 ven 
Ioh. Seh. Bad, mit Strophe 1 und 13 („ich uns dir nad, fo laufen wir“) 


Gott hat das ıc. Gottes Sohn if kommen. Gott if mein König. 491 


des Fiedes „Du Lebensfrft, Herr eſu Ehrift“ zu der Melodie „Ermuntte dic, 
mein ſchwacher Geift” als Schlußchorai. Ausg. der Bah-Gef. X. Nr. 43. Bgl. 
Spitte, Bad 1. S. 550 ff. 


Gott hat das Evangelium, Chor 


Zei 

Gott Hat das S-van-ge-lirum ger ge«ben, dafs wir wer-denfrommm 
Desezerze — 
die Welt acht ſol⸗chen Schatz nicht hoch, der meh· rer Teil fragt nichts dar nach: 


—— — — 
— — 
das iR ein Zei- chen von dem jling-flen Tag. 


Die Melodie erſcheint mit dem Liede zuerft auf einem fliegenden Blatt · „Bon 
den Zeichen des jüngften Tages: Ein ſcön Lied. D. Erasmus Abe.“ 1548. Bol. 
d. Binterfeld, Ev. 8.®. I. ©. 164. 165 und Wadernagel, Deutihes 8.8. I. 
S. 428; nad Kenhenthal, ©.-B. Wittenberg 1573 giebt fie dv. Tuer, Scab II. 
Mr. 155; ferner findet fie fih in Walthers G. V. Ausg. von 1551, im G.— 
der Böhm. Br. 1585. Bl. 57, bei Rogier Midae, Dresdner G.B. 1593. 
8. 56a. 


Gottes Sohn ift tommen, Choral, der zuerſt im G.-®. der Böhm. Br. 
1531. 8. A IVb. mit dem Mpventslicd Michael Weißes „Menfhenfind mert 
eben“ erfheint und dem obigen Liede von Johann Horn erft in der Ausg. des 
Brüder G.B. von 1544 beigegeben ift. Bol. Wadernagel, Deutſches 82. TIL. 
Mr. 259 u. 418. Im beiden G. BB. aber iſt in der Melodielbericrift auf den 
Tom „Aue ierarchia cölefis et pin“ verwiefen und damit der alttirchüche Urfprung 
der Weiſe von dem Hymnus „Ave hierarchia, coelestis et pia“ wahrfcheinlic 
aus dem 14. Jahrhundert feftgetelt. Die Del. Heißt: 


} — 
Zee — er] 
Gories Sohn iR Tom men unsal-fen zu from-men, hie auf Diese Er + den 
— —— — — —— 
ser 
in armen Gebärden, daß er uns vom Sn «de freiset md ent- bun + de. 
Tommt jedod) bei den alten Tonfegern in mandfad; veränderter Zeichnung vor. Bpt. 
Erf und Fielitz, Bierft. Choralfäge. I. Nr. 13. 14. 15 und Meiſter, Das lath. 
deutſche KR. I. ©. 150 u. 151. 


Gott ift mein König, Kantate („Motetto“) von Seb. Bad, zum Ratswechſel 
in Mügfgaufen 4. Februar 1708 fomponiert; fie hat nad die Form der älteren 





























































































































492 Gott it mein Lied. 


evongelifgen Kirchenkantate, durch die jedod) „übern eim neuer Geift durcdringt,“ 
umd verwendet den Choral „D Gott, du frommer Gott“ mit der 6. Strophe „Soll 
ich auf diefer Welt." Ausg. der Bach Geſ. XVIII. Nr. 71. ©. 3—54. Dal. 
Spitta, Bad) I. S. 341 ff. 


Gott ift mein Lied! Er ift der Gott der Stärke, Choral. Dies belichte 
Lied Gellerts Hat eine ganze Reihe von Weifen hervorgerufen ; die lirchlich verbreitetfte 
derfelben ſtammt aus dem reformierten „Neuen Bremiſchen Pfalmen: und Gefangbud.“ 
Bremen 1778. 8°. ©. 24. Nr. 17 — und fam zunädft aud in andere Ref. 
G-BB., jo in das Rheiniſche „Neue Sammlung auserlefener geiftficer Lieder.“ 
Mühfgeim a. Rh. 1793. 8°. ©. 172. Nr. 232. Sie heißt hier: 





Eee — 


Gott iſt mein Lied! Er iſt der Gott der Stärele; hehr if fein Nam und 


zz: — 
— F= — — — 
groß find ſei · ne Wer-ke und al» le Him« mel fein Ge— biet. 


Diefer urſprunglichen Weiſe bildete dann C. Ph. Em. Bach in feinen „Neuen 
Melodien zu etfihen Liedern des neuen Hamb. ©." 1787. HM. qu. Fol. ©. 8, 
die folgende nad: 


Bench: 
: 


Fe: —ErzSr ZZ — : 


Eine zweite Weile erfheint ebenfalls in Em. Bachs vorgenanntem Melodien 
heſt &. 12 zu dem Fiede „Befig id) nur ein rufiges Gewiffen”, Hatte aber ver 
Her ſhon in ettwas anderer Form in den „Melodien zu den Gefängen des neuer 
Schleswig-Holfteinifhen ©.“ 1785 geftanden, fo daß es zweifelhaft erſcheint, ch 
fie von Boch erfunden, oder mur bearbeitet wurde, wie denn auch Faigt, Württ. 
Eh B. 1876. ©. 225 veferviert beifegt: „vielleicht von Bad erfunden.“ Ci 
Heißt in ihrer älteren Form, 5. B. bei Intob und Heichter, CheB. UI. Nro. 545 
©. 493, ſowie in einer Umbildung des Württ. Ch-Bs. 1844 Nr. 39: 





















































Fre) 































































































(c: + = * 8* * 
se Erz — — 
Be-fig ih nur ein ru» bir ges Ge— wiſ - ſen, fo iſt für mid, wenn 


+ 7 
—— 
ee, = 











































































Gott it unfre Zuverſicht. Gott lebet noch! Seele, was c. 493 

















































— — 
n m DH — 
— ——— —— = 
ame dre za- gem müf» fen, nichts Schred ii 
— = 

















Das Bürtt. ChB. giebt unter Nr. 40 eine weitere Melodie aus dem Hohen: 
tehiigen, wo fie um das Jahr 1800 zuerft handferiftlic vortam. — Eine feweige 
re Melodie enthält ferner das Drei Kantone ©.-®. Nr. 6. &. 10; Baslır .2. 
1854. Nr. 168; Schafff. ©.-®. 1841. ©. 410; Zürher G. B. 1855. Ar. 37. 
S. 60: 


Fresse 


Y 
Ne noch da und dort Heinrich Egli (vgl. den rt.) oder Nitolaus Käfermann (ol. 
da Art) als Komponiften zugeſchrieben wird, nad) Weber!) bei Szadrowsty CH.-B. 
S. IX aber einer Delodie von Johann Schmidlin (vgl. den Art.) vom Iahr 1761 
maßgebifdet if. — Als ſechſe und ficbente Melodie führen wir nod an: eine ſolche 
ki Yayrig, Kern. I. ©. 37. Nr. 197 aus Kühmen, Ch.B. 1790, die von 9. 
S. Harfom (vgl. den Art.) 1787 fomponiert wurde, und die von Kirnberger 1782 
Iomponierte ebenfalls bei Kühnan. I. &. 68. Nr. 63. 


Gott ift unſre Zuverſicht, Kantate von Seb. Bach, zu einer Hochzeitsfeier- 
üteit (In diebus nuptiarum“) im Spätherbft 1735 fomponiert. Die Haupt- 
aummern ihres zweiten Teiles find der Weihnachtslantate „Ehre jei Gott in der 
dohe· (diefe it mur in Fragmenten erhalten) entnommen; fie ſchließt im 1. Teil 
wit}Steophe 3 („Du füge Lieb ſchent ung deine Gunft“) des Liedes „Nun bitten wir 
den heiligen Geift,“ im 2. mit Strophe 7 von „Wer mr den lieben Gott läßt 
walten," die jo geändert it: „So wandelt froh auf Gottes Wegen, und was ihr 
that, das thut getreu: Verdienet eures Gottes Segen, denn der ift alle Morgen 
men: denn wer nur 2.” Ausg. der Bach-Geſ. XI. 1. Lie. Nr. 3. Bol. Spitta, 
& II. ©. 557 u. 272. 


Gott lebet no! Seele, was verzagſt du do? Choral aus dem Frey- 
linghauſenſchen ©-B., wo er im IT. Teil 1714. Nr. 182 zuerft erſchien. Der- 
hlbe Heißt im Driginal bei Freylinghauſen GA. 1741. ©. 298. Nr. 489 und 
in feiner jet gebruuchlichen Form bei Jatob und Richter, ChB. I. ©. 405. 
R. 441: 








+ 







































































) Der fie in „Die Kirthen ·G. BB. der deutſchen veform. Schteriz,” I. Das Zürcher 
6.8. 1872. ©, 50 ebenfalls nod) Egli zuſchrieb. 


494 Gottlob, nun geht das Jahr zu Ende. 


EEE 


Gott Te «bet no! See » Te, mas ver» zagft du doch? Gott if gut, der 


ee ze 


































































Tr Be zei 
Eee 



































der mit Macht und flar- Ten 


——— — 










































































Armen mare alles wohl und gut:@Gottlann 6» fer ale mir 

































































— = 
Ber to 
Dre nenzs serien 


den = tem al- fe Not zum be» fen Iensten; See = le fo ge 


Keen — 
s 
= E 
























































den = fe doch; Iebt doch am - fer Herr Gott mod! 


= = 


- — 
mess — 


r f 



































Im ziemlich weitgehender Umbildung hat die Melodie aud das Drei Kant. 
6.8. ©. 323. Ne. 218 (Spadromsty, Ch-B. S. 115); eine zweite eigene Weile 
Hat Stögel, Ch.B. 1744. Nr. 347, die aber nicht einmal in der volirttembergiihen 
Kirhe Anklang gefunden at, und Lohrib, Kern II. Pr. 198. S. 37, Sildete unter 
Benugung von „Alle Denfen müffen fierben“ eine weitere eigene Melodie für 
unfer Lied. 


Gottlob, num geht dns Jahr zu Ende, Kantate von Seh. Bad, zum 
Sonntag nad) Weihnächten zwiſchen 1723 und 1727 fomponiert; mit dem mächtigen 
Choralchor „Nun lob mein Seel den Herren" (Val. bei Ext, Bachs Choralgefänge II. 
Nr. 319. S. 113—120) als erftem Sag und dem Schlughoral „Bon Gott wil 


Alexander Wilh. Gottſchalg. Gott fei Dank durd) alle Welt. 495 


ih nicht faffen” zu Strophe 6 („A fold) dein Gilt wir preifen“) des Liedes „Helft 
mie Gott’ Gute preifen.“ Ausg. der Bach Geſ. V. 1. Lief. Nr. 58. Bol. Spitta, 
Bd II. ©. 265266. 


Gottſchalg, Merander Wilhelm, it am 14. Februar 1827 zu Mechelroda 
bei Weimar geboren und wurde vom Kantor Wirt in Ottern flir das Seminar in 
Beimar vorbereitet, in das er 1842 eintrat. Im Orgelfpiel und in der Harmonie: 
Ihre und Kompofition verdankt er feine Bildung hauptfäglich dem Profefior Töpfer, 
feine mufitafifhe Richtung beſtimmte ſpäter Franz Liozt. G. war nad) feinem Aus: 
fitt aus dem Seminar am mehreren Orten als Lehrer tätig, dann bie 1870 
Kantor und Drganift zu Tieffurth und feit 1871 ift er als Nachfolger Töpfers 
Hoforganift im Weimar, wo er zugleich die Stelle eines Muſiklehrers am Seminar 
innehatte, von der er jedoch neueitens zurüdgetreten ift. Er ift Redakteur der Mufit- 
zeitfgrift „Urania“ (vgl. den Art.) und feit Ernſt Hentſchels Tode Bearbeiter des 
Afhnittes „Mufit und mufifalifce Pädagogit“ in Labens (jegt Dittes) Pädagogi- 
ſchem Dahresbericht, ſowie Mitarbeiter verihiedener Mufilzeitungen (namentlid) der 
„Neuen Zeitſchrift für Mufil“). Unter der Leitung feines trefflihen Lehrers Topfer 
Hat ſich ©. eine grundliche Kenntnis des Orgelbaus erworben und ift zugleid Orgel: 
fpiefer von bedeutender Technit. Als Komponift für fein Inftrument hat er bis jegt 
wenig Eigenes ediert, fih vielmehr vorwiegend mit Sammlung und Bearbeitung 
älteren und neueren Materials für die Drgel beſchäftigt, wobei er freilich, als ber 
geifterter Anhänger der Lisztſchen Richtung, die Grenzen des ftrengen Orgelſtyls 
nicht immer einzuhalten vermodte. Bon feinen Werten find hier zu verzeichnen: 

1. Schulchoralbuch, Cine Sammlung der vorziiglihften evang. Choral- 
melodien nad) den Ch. BB. von Töpfer (Nembt), Fiſcher und Hiller, nebft 
einem Anhang 2: und Zflimmiger Choräfe und einigen andern Kriflicen Ge- 
fängen. Unter Mitwirkung von I. ©. Töpfer bearbeitet und herausgegeben 
von Gottſchalg u. A. W. Bräunlich. Weimar, Böhlau. 8°. — 2, Repertorium 
für Orgel (Pedafflügel, oder Harm.); bearbeitet unter Revifion uud mit Bei 
trägen von Franz Piszt. Leipz., Schuberth. Serie I. Heft 1—12. Serie II. 
9. 13—24. Serie in. 9. 25—36. — 3. Händelalbum. Ausgewählte 
Stüde aus ©. F. Händels Dratorien für die Orgel bearbeitet x. von Gott- 
ſchalg und Rob. Schaab. Leipz. Rieter-B. Heft 1-5. — 4. Hiſtoriſches 
Abum für Harmonium, Pedalflügel oder Orgel. Langenfalze, Beyer. 28 Nm. 
— 5. ZTranferiptionen für Harmonium, Pedalflägel oder Orgel. Berl., Fitrftner. 
Nr. 1-6. — Über feine Ausgabe der Orgelwerte Töpfers vgl. den Art. 
„Töpfer,“ über die der Werte Heffes den Axt. „Geffe.“ 

Gott ſei Dank durch alle Welt, Choral. Das Lied von Heinrich Held 
erſchien zuerft in Grügers Prax. piet. mel. 1659. ©. 170 und erlitt dann auf 
feinem Gang durch die G.-BB. mannigfache Tertänderungen.‘) Die Melodie 


*) ©o erfheint 3. B. in der Nürnb. Herzensmufil 1703 die Anderung „in aller Welt,“ 
Rate des uriprüngligen „Durd ale Welt.“ Bol. Mügell, Zeitir. für das Gymnafiafwefen. 


496 Gott fei Dank durd alle Welt. 


findet ſich erfimals gedrudt bei Freylinghauſen, Geiftr. G-B. 1704, Nr. 3. (Ge 
famtausg. 1741. ©. 5. Nr. 6) und Heipt im Original: 


2 














* — — = 
E FE FE= —— * SF —— 
Gott ſei Dant im al-ler Welt, der fein Wort be - flän- dig hält, 
— + Re — = 
Ester —— 
und der Sum-der Troſt und Mat zu ums Her = ge + fen» det Bat. 
Es iſt dieſelbe nach Faißt, Witt. Ch. B. 1876, S. 28 einer weltlichen Weile 
von 1666 nachgebildet, die dielleicht Joachim Neander bereits zu der Melodie benuti 
Hatte, die er in der 4. Ausgabe der „Bundeslieder." Frantfurt 1689. S. 98 jeinem 
Liede „Himmel, Erde, Luft und Meer“ beigab. Jetzt heißt fie in einer Umbildung 
in Suddeutſchland und der Schweiz:!) 





ul 















































Fer — — — == 


Gott fi Dank im al« ier Welt, der fein Wort de + Mämsdig Hält, | 


















































= [03 | 
— — — + — 
Er — — Pe 2 —— 
und der San- der Troft und Rat zu uns Ger = ge + ſen · det Hat. 

während man in Norddeutſchland (vgl. 5. B. Iatob u. Richter, Ch.B. I. Nr. 67. 
©. 64) die Form SFreylinghaufens beibefalten Hat. Cine zweite Melodie giebt 
Chr. H. Rind in feinem „CH. für evang. Kirchen.“ 1836. Mr. 138 zu „Ice 
meiner Seelen Ruh.“ Diefelbe ift von Georg Iofeph (vgl. den Art.) zu dem 
Liede des Angelus Sileſius „AG warn kommt die Zeit heran" erfunden, und ficht 
in des lebteren „Heil. Seelentuft.” 2. Ausg. 1668. ©. 3, Erſtes Bud. „Det 
Ander.,“ und wahrſcheinlich auch f—hen in der 1. Ausg. von 1657. Bol. Zahr, 
Euterpe 1877. ©. 131. Sie Heißt bei Rind: 


̃eeee — 


Ie-fu meiner Seesten Ruh und mein be / ſer Schat dazu; al⸗ les biſt da 












































1853. Suppl. 312 ff. und Lange, Kirchenliederb. 1843. S. 44. Anm. 1 gegen die Aude 
rungen des Wehfaliſch dihein und des Württ. G.-B. 

’) Bol. Wurn. Ch. V. 1828. Nr. 2. ©. 1 (and fhon bei Knecht, €-®. 1799. Nr. vin 
S. 10, der jedoch auch die Ältere Form noch Deigiebt), 1844. Pr. 29. ©. 28; Scafih. ©. 8. 
1841. Nr. 77. S. 191-196; Basler GB. 1854. Nr. 2. ©. 23 [5 Drei Kant. Gt 
Mt. 


Gott fei gelobet und gebenedeict. 497 
— 2 
= rer — — 
mir al⸗ fein, folft and, fer- ner af» les fein. 
As „Eigene Weiſe“ mit der Jahreszahl 1823 Hat das Pfaälziſche GB. 
1859. Nr. 78. ©. 58 noch folgende Melodie zu unſrem Liede: 


Frese: 


* 






























































BES ee 

Gott jei gelobet und gebenedeiet, Abendmahlsgefang, der aus der alten 
Kirche (Spangenberg, Auslegung zwölf Chriftl. Lobgeſ. Frankfurt 1548, nennt das Lied 
„Vetustum venerandae antiquitatis Ecclesiasticae Canticum ;* bei Ext, Ch.-®. 
©. 249 „Alttirchlich,“ Jalob und Richter, Ch.B. I. S. 400 „aus dem deutfchen 
geiſtlichen Bollegeſange“ und v. Tucher, Schat I. Nr. 418 S. 420. Ann. 2 
wahrſcheinlich aus dem weltlichen Voltsgefang“) und zwar aus dem Anfang des 
15. Zahrhunderts ſtammt, deffen älteſte Quelle übrigens nod nicht aufgefunden ift. 
Lied und Melodie finden fih von Anfang an in ſämtlichen älteften Gefangbücern 
der Neformationsgeit, zuerft bei Walter, Geiftliche Gefange Buchleyn“ 1524 u. 1625. 
Nr. 5; im Straß. Teutſch Kirchen ampt 1524 u. 1525. Bi. B. Vb; bei Köpphl, 
Palmen ꝛc. 1530. Bl. 24a, im Magdeb. GB. 1540. Bl. 160; bei Joſ. Hug, 
6.8. 1543. 9. 50b; Val. Babſt, G.B. 1545. Tel I. Nr. 21. — Die 
Melodie Heißt: 



































=: —— — 




















Ba 


Gott fei ge» lo-bet und gerbesmerdeis et, der ums fel» ber Hat ger 
Mit fei- nem Flei-fge und mit feinem Blu te, das gieb ums Herr Gott zu 





























Be B Z — — —— war ur rg 





Weir fh gysrioeste = defon, Herrdurd deisnen hei- firgen Leichnam, 


















































at 
— — = 
* es — >=) 
. u i 
der von deirmer Mut » tr Ma-rira tam, und das hei» Ti» ge Blut 
= — 
—— 
— — Ze 2 =4 
Hilf uns, Herr,aus al« fer Not, Kyrrirer-le » dr font 


And, die latholiſchen deutſchen GVBL. der Neformationggeit bringen Fied und 
Drelodie, fo z. 8. Mih. Behr, G.B. 1537. Nr. 40. Ui. 59a, und Leifentrit 
1567. I. Zeit. Dt. 216b. — Luther gedenft des Liedes mit befonderer Liebe an 

Kümmerle, Enatt.d. wong Airkenmufl. L 32 


498 Gott fei uns gnädig und barmherzig. — Gott wills machen ıc. 


zei Stellen: in feiner „Weyfe Chriftlich Mefi zu halten x." Wittenb. 1524 un 
„Von der Wintelmefie vnd Pfaffen Weyhe.” Wittenb. 1533. Bal. Hoffmann v. F, 
Geſch. des deutſchen irhent. 1832. S. 125—129 u. Rambach, Über Luthen 
Verdienſt x. Hamburg 1813. ©. 115-119. Auch er deutet auf den volls 
tümlichen Urfprung der Weife mit den Worten hin: „es find Laien, die es zu deutit 
gefungen Haben und mod; fingen” vgl. daf. Bl. N. Ib, und Fiſcher, K. L.Leriton | 
©. 234 bemerft darum mit guten Grund, der demjelben zu Grunde liegende alte 
Fronleichnamsgeſang fei „wohl mehr bei Proceffionen als beim Hochamte gefunger 
worden.“ Luther gilt dasfelbe als ein Zeugnis, „da die Laien Haben zur jelbiger 
Zeit, da es gemacht ift, (das Abendmahl) beider Geftalt empfangen.” 


Gott jei uns gnädig und barmherzig, vgl. den Art. „Magnificat.* 


Gott joll allein mein Herze haben, Kantate zum 18. Sonntag no& 
Trinitatis, 23. September 1731 oder 12. Oftober 1732, von Seh. Bat, ir 
welcher Teile des Klavierlonzerts E-dur (Bad-Gej. XVII. ©. 45 ff.) verwende 
find. Der Schlußchoral if „Nun bitten wir den heiligen Geift" wit der dritter 
Strophe („Du füße Lieb ſchent ums deine Gunft*) des Liedes. Val. Spitta, Badı II 
©. 279. 








Gott wis machen, daß die Sachen, Choral. Im G. B. von Freyling 
Haufen, Ausg. von 1703 ift unfer Pied zunächſt auf die dort ©. 680. Nr. 430 
erſtmals vorfommende Melodie „Seelemveide, meine Freude“ (vgl. den Art.) vo 
wiefen; eine eigene Weife erhielt dasjelbe zuerft bei Stözel in deſſen Neubearbeitunc 
das Störlichen Ch. B.s von 1744. Nr. 106. Diefe Melodie Heißt im Origin! 
bei Stögel, fowie in ihrer jet gebräuchlichen Form im Württ. Ch.B. 1844. Nı 


















— * 
Sort wills maden, daß die Sa-dien gefen wie es heil— fan 





































— 
= 


— E 
laß die Wel-Ten 


3 Z 
hö · her ſchwellen, wenn du nur bei Ier fur bin 
































und ſoll nach Faißt, Württ. Ch-B. 1876. ©. 223 aus einer Weife berausgefit 
worden fein, die in Chr. Fr. Witts Psalmodia saera. Gotha IT1 zuerft gedat 
erſchienen war. 


Gott, wie dein Name, fo if and) dein Ruhm. Clande Gondimel. 499 


Gott, wie dein Name, fo ift and dein Ruhm, Neujahrsfantate von 
Sch. Bach. Pilander dichtete den Tert zum 1. Januar 1729 und Bad, begann die 
Kompofition, legte fie aber wieder zurfit und vollendete fie erſt nach 1736. Den 
Sclußchoral „Iefu num fei gepreifet“ mit Strophe 3 („Dein ift allein die Ehre“) 
dieſes Liedes entnahm er einer amdern Neujahrsfantate über dieſes Lied. Bat. 
Spitta, Bach II. ©. 272 und ©. 802. 


Goudimel, Claude.!) Diefer bedeutende Tonfeger des 16. Jahrhunderts, der 
ih um den muſilaliſchen Teil des Kirchengeſangs der calvinifch-reformierten Kirche 
unfterblidjes Verdieuſt erworben hat, fo daß; fein Name fiir alle Zeiten mit dem 
Palmbuche dieſer Kirche verbunden bleiben wird, ift wahrfheinlih um 1505 in der 
Freigrafihaft Burgund und vielleicht in der Hauptftadt derfelben, Befangon, geboren, 
Zwar wurde neuerdings öfters das Städtchen Baifon in der ehemaligen Grafidaft 
Aoignon (dem heutigen Depart. Vaucluſe in Südfrankreich) als fein Geburtsort ger 
monnt: allein e8 beruht diefe Angabe augenſcheintich mur auf der Verwecholung von 
„Vasionensis“ (d. h. aus Baiſon) mit „Vesontionensis* (d. h. aus Befangon).?) 
Denn auf Vefangon deutet ſchon der Umſtand, daß Goudimel dort nod im fpäteren 
Lebensalter Verbindungen unterhielt und wie es ſcheint fogar Grundbefig hatte, fo daß 
ex noch kurz vor feinem Tode veranlagt war, fid zwei Monate dafeldft aufzuhalten, 
um einen Prozeh gegen einen ungetreuen Schuldner zu führen.) Jeden Zweifel dar- 
über aber, daß er, wenn nicht aus Befangon felbft, wie Duverdier will, fo doch aus 
der Frande:Comts ftanmte, befeitigt eine Stele in dem Trauergedicht, in welchem 
fein Freund Paulus Melifjus (Schedins) feinen gewaltſamen Tod bellagt.t) Über 


1) Der Name wurde auf die verfhiedenfte Weife gefhrieben: GaudioMell bei Antimo 
Liberati, Lett. seritta in risposta ad una del Sign. Ovidio Persapeggi, Roma 1688. 
Pag. 22 md nad ihm Adami da Bolsena, Osservazione etc. 1711, pag. 169 umd P. 
Martini; Gaudimelus, bei De Thou, Hist, lib. L. II. pag. 1084, dem Gerbert, Script. 
ecel. II. pag. 334 ımd Walther, 2er. 1732 folgen: Gaudimellus, bei Gisbert Voct. 
Polit. eccles. I. pag. 534; Gaudimo) bei Varillas, Hist. de Charles IX. 1084, Lir. 
XI. pag. 471; Guidimel, bei Jeremie do Pours, Div. Mel. du sainte Psalmiste. lir. 
1. cap. 41. pag. 581; Condinellus, latinifiert bei Draudius, Bibl. class, IL; fein 
Vorname Claude Hat bei Barillas a. a. D. Überdies Beranfaffung zu feiner Verwechelung mit 
Sande ejenne gegeben. Baini hat auf feinen Werten — im fer. in der Bibl. Vatic. — 
den Namen noqh geſchrieben gefunden: Goudmel, Gudmel, Godmel, Godimel, Gaudimel, 
Gandiome. — 

2) Die Angabe, daß Vaiſon der Geburtsort Goudimels fei, gammt aus Dttavio Pitoni's 
Handfcheftficher Geld. der yäbnl. Kapelle; vgl. Ambros, Geſch der Mufit. HIT. ©. 578 und 
dagegen Bovet, Mist. du Psautier. 1872, pag. 202, 

#) Sal. O. Donen, Clöment Marot ct le Psautier Huguenot. Paris 1879. IL. pag. 
23. 24. 

4) Dieg Gedicht in Melissi Schediasmatum Reliquiac. Paris 1575. pag. 79 führt die 
Hamptflüffe Frankreichs auf und läßt fie den Toten beflagen: „praecipne patrins fle- 
it amara Dubis.“ gl. Fötis, Biogr. des Music. IV. pag. 66. 




















500 Claude Gondimel. 


feine Jugend bis zu feinem Auftreten als Mufiffehrer in Rom ift noch nichts Sicheres 
ermittelt, dod) iſt anzunehmen, daß er feine mufifafifhe Bildung in der Schule rit 
derlandiſcher Meifter erlangte ;t) daß er neben den mufitalifgen auch tühtige wien: 
ſchaftliche Studien gemacht hatte, bezeugen feine in gutem und eleganten Latein ge 
fhriebenen Briefe an feinen ſchon genannten Freund Paulus Meliffus. Die Cr: 
Öffnung der durch Schüler wie Paleftrina, Animuccio, Giov. Marin Nanini, Stefano 
Bettini (il Fornarino), Aleſſandro Merlo (della Viola), da Vallerano u. a. fo be 
tühmt gewordenen Muſitſchule Goudimels in Nom muß, nad Daten aus Paleftrinas 
Leben zu fließen, in die Zeit um 1535, nicht erft um 1540 fallen.) Im Jahr 
1555 finden wir Goudimel in Paris, wo er mehrere Mufihwerke herausgab. Auf 
einem dieſer Werfe, „Q. Horatii Odae omnes ad rhythmos musicos redactae,* 
findet ſich die Notiz: „ex typogr. Nicolai du Chemin et Claudii Goudimelli,“ 
und daraus hat man fhlichen zu ſollen geglaubt, er fei in Paris Geſchäftsteilhaber der 
Du Chemin'ſchen Notendruderei geroefen. Allein dieſe Teilhaberſchaft erftredte fih 
wahrjheinlih nur auf dies eine Wert, deffen Eigentumsrecht er fid vorbehalten Hatte.’ 
Daß er bald nach diefer Zeit mit Calvins Lehre befannt wurde und zur Reformation 
übertrat, wird allgemein angenommen, obwohl bis jegt fein beftimmtes ‚Zeugnis für 
die Nihtigleit diefer Annahme aufgefunden wurde. Im Anbetracht der Thatſach 
jedoch, daß er von 1562 an fih als Tonſeher ausſchliehlich nur noch mit den Palm 
melodien der Huguenotten beihäftigte,‘) und daß fich in feinen Briefen und Dedila 
tionen mehrfach Augerungen finden, die mur im Munde eines Proteftanten, laum 
abet in dem eines Katholiten der damaligen Zeit denkbar find, erſcheint die Annahme, 
daß Goudimel in der fpäteren Zeit feines Pebens der reformierten Kirche angehör 





%) Antimo Giberati, a. a. O., nennt ihn geradezu einen Flamänder, und Bovet a. a. D., 
geft noch weiter und beheichnet ihn ala „un des chefo“ der niederländilgen Säule; Ambros 
a. a. D., ftellt ihm unter die frangöffß-niederfändifcien Meifler”, neben Areadelt, dem er „ec: 
wandt umd dod von ihm weſenuich verfcieden“ fei. 

) Nach dem Borgange Fetis, a. a. D., wurde 1540 allgemein als Zeit der Erriätung 
der Säule angenommen; vgl. noch Sittard, Komp. der Geſch der Kirhenmuf. 1881. &. 11%, 
während Ambros a. a. D. und @. Stelle, Gef. der yäbl. Rapelle. 1872. S. 234 fi. u. &. 
272—274 diefes Datum früher anfegen. 

*) Bat. Fetis, a. a. D., dem Ambroß, a. a. D. ©. 578, und v, a. folgen, und dagegen 
2. Douön, a. a. ©. I. S. 24. Anm. 1, der bemerlt: „Nous avons trouv& le nom de 
Philibert Jambe-de-Fer et celni de Davantds dans les m&mes conditions; il est hie 
evident, que les musiciens n’ont pas éts tous trois imprimeurs.“ 

+) Allerdings Get Ambrod, a. a. O. UL. ©. 579, vet: Goubimel Tonnte ſich and ats 
Kathofit mit den Plafmenliedern der Huguenotten beffäftigen, da die Katfoliten midite ikzer 
Glauben Gefährdendes in denfelben fahen. Die Sorbonne erfläcte in einem Gutadten vc= 
16. Oft. 1561: „Nous n’arons rien trouv& contraire A notre fo catholique, ains cas- 
forme & icelle, ot A In verit& hebraique“ und unterm 19, Dit. desfelben Jahres gab &:= 
IX. ein Privifegium zum Drud diefer Piolnen „traduits selon la verit® hebraique = 
mis en rime frangaise et bonne musique;“ ein weiteres Privileg wurde noch am 16. Ju=' 
1064 erteilt. 











Claude Gondimel. 501 


habe, vollfonmen berechtigt. Es war natürlich, daß durch feinen Übertritt ein ber 
fonderes Intereffe für den Kirhengefang der neuen Kirche in ihm erwachen mußte, 
ein Intereffe, das er denn auch in ausgezeichneter Weile bethätigte. Unermüdiich 
arbeitete er von da ab an der Harmoniflerung der reformierten Pjalmmelodien und 
fämäcte fie in dreifad verihiedener Weile mit Tonfägen: zunädt mit ein- 
fahfter Harmonie („harmonie consonnante*), ohne Figuration und mit der 
unverändert feftgehaftenen Delodie im Tenor; dann mit Funftvollerer figu: 
tierter Harmonie („harmonie beaucoup plus hardie* wie er in der Dedi- 
fation jelbft fagt), aber ebenfalls nod mit unveränderter Melodie in der Oberftinme, 
and endlich in motettenartiger, frei finftlerifher Form, die Melodien nur 
ats Themen Genug, die in unerfhöpfiger Wannigfaltigteit vernrbeitet werden. Diefe 
Motetten find die Krone feiner Künftferacbeit an den Pfahnmelodien und von ihm 
iefoft als das fhönfte und liebſte Wert feines Lebens erflärt, mit Worten (in den 
Denitationen) wie: „le plus fidelle tesmoignage de tous mes labeurs les plus 
beaux,“ oder: „ie plus doux travail de ma vie, guidant mon esperance 
zux cieux.“ Doch wurden don diefen Goudimelihen Tonfägen nur die zuerſt ge: 
tannten, einfahften allgemein befannt; fie erlangten in der franzöfifc-reformierten 
Kirche ausfhfichlice kirchliche Geltung und gingen durch die von dobwaſſer ſchon 
wenige Jahre nad) ihrem Erfheinen beforgte Überfegung der Marot-Begafchen Bat 
ieder ind Deutſche aud in den Gebrauch der deutſchen reformierten Kirche über. 
Diefe Tonfüge waren es auch, welche die traditionelle und bis in die Gegenwart 
ıerein feftgehaftene Annahme veranlaften, daß auch die ſämitlichen Melodien des 
eformierten Fiedpfalters von Gondimel erfunden feien, eine Annahme, die erſt durch 
vie Forſchung der neueren Zeit als volftändig unhaltbar erwieſen worden it.) Die 
reue und unermüdliche Thätigleit Gondimels am reformierten Pſalter follte ſchließlich 
ie Urſache feines gewaltfamen Todes während der Greuel der Bluthochzeit werden 
md ihm zu einem der Märtyrer der ebangeliſchen Sache machen. Er befand fid zu 
iefer Zeit in yon, wohin er fih vor den Berfofgungen im Paris zuriidgegogen 
atte, und fiel hier in der Naht vom 28. auf den 29. Auguft 1872, in welder 
1 Lyon die Öreuelfcenen der Ermordung der Huguenotten begannen,?) mit 1300 
TH Ehrard, Ausgewählte Palmen Davids. 1352. S. 3 behauptet noch frilfiweg: „die 
Refodien und Goräle zu diefen feangöffien Blalmen find von Claude Goutimel;” chenjo 
berfhreißt Griedr. Miegel die bei Sciöberfein, Sat des Kiturg. Chor- und Gemeindegef. I. 
tr. 2728. 391. II, Nr. 272. 674. IM, Nr. 261. 273. 335. 418. 446, 447b. d48b. 566, 
78 mitgeeiten Balmentonfäge nad mit: „Mel. u. Yarın. von Claude Gondimel;“ dagegen 
igte fon Sud. Ert, €6.®. 1808. „toeder er mod Bourgeoiß Lünen al Erfinder 
zw Melodien gelten,“ und Faiht, Württ, C6.-®. 1876. S. 219 giebt nur die Möglichteit zu, 
36 9. „am den im Jahre 1562 neu ericienenen Melobien als Erfinder beteiligt geielen fein 
immte.® Bol. auf) Bonet, a. m. D. ©. 65 u. 06. — Das Nähere über den Urfprung der 
aglicjen Melodien vgl. in dem Yet. „Pafmengelang- 

2) Nicht wie alle feitherigen Angaben fauten, in der eigenttichen Bartholomänanacht (24. 
af 25. ug); vor. Bulletin de 1a Socist£ d’Histoire du Protöstantisme. 2. Serie IV. 
ng. 364-367. 











502 Clande Gondimel. 


Galviniften als ein Opfer der blinden Wut des latholiſchen Pöbels, aus deſſen Händen 
der damalige Kommandant der Stadt, Mandelot, ihn, „deſſen größtes Verbrechen 
eben feine Pfalmenbearbeitungen waren,“ vergebens zu retten gefucht hatte; fein 
Leichnam wurde in die None geworfen.) — Bon Goudimels Werken, denen 
Anıbros „eine große Sauberleit und Reinheit des Tonfages zufhreibt, die 3. 2. 
Quintenparallelen unbedingt ausweicht," und in denen er auferdem „einen eigen: 
tümlichen Reiz, eine Holdfelige Anmut und einen zarten, fait mädgenhaften Zug” 
findet, und daher meint: „was ſich bei Paleftrina ähnliches zeige, habe er feinem 
Lehrer zu danten,” — find Gier zu verzeichnen: 
1. Les Pseaumes mis en rime frangoise par Clement 
Marot et 'Theodore de Beze, mis en musique ä quatre parties par 
Claude Goudimel. ©. O. (Geneve) par les heritiers de Francois Ja- 
qui. 1565. fl. 180. Dies it die eue Ansgabe der einfuhen Tonfüge Con 
dimels, in einem Band, die vier Stimmen aber nicht in Partitur, jondern 
einzeln einander gegenüber gedrudt; die Melodie im Tenor, mit Stat 
von folgenden 17 Palmen: Pi. 28. 30. 34. 35. 40. 43. 61. (76). 7 
81. (86.) (109.) 117. (127.) 129. (139.) 146, die fie im Dislant Haben, 
Dit denfelden Tonfägen, aber in vier einzelnen Stinmbücern gedrndt erjchien 
im felben Jahr eine Ausgabe: Paris, Adrien le Roy et Robert Ballard. 
1565." in 12%, obl. 4 Stimmbde. — 2. Les CL Pseaumes de Da- 
vid nouvellement mis en musique ä quatre Parties par Claude Gou- 






dimel, Dies zweite Pfalnmemvert G.s wäre nad O. Douön, a. a. O. II. | 
©. 28 ebenfalls 1565 erftmals erichienen, üft jedoch in Diefer erſien Ausgabe 
nod nicht wieder aufgefunden, und nur im einer Ausgabe „Geneve, Pierre 
It die 


de Saint-Andre. 1580.“ 12°. obl. 4 Stimmbde. befannt, Cs entl 
Melodie in der Oberftinme, mit Ausnahme von folgenden 15 Nen.: Fi. 
62. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. TI. 78. 82. 100. 108. 116, wo die. 
felbe im Tenor geblieben ift, umd figurierten Say. — 3. Les Psalmes 
de Dauid compris en huit liures, mis en musique à quatre parties 
en forme de motets par Claude Goudimel. Paris. Adrien Le Roy 
et Robert Ballard. 1565. El. quer 4°. 4 Stimmbde. Dies find die Palm: 
motetten G.s, mit A—Sftimmigen Säben (die Angabe des Titels ift alfo nicht 
genau) für alle Strophen der behandelten Palmen; dod find nur die folgenden 
der adıt Bücher dieſes Wertes his jett befanmt: eines, jedod) unbeftimmt weldes, 
aus Fẽtis, a. a. D. IV. ©. 69, der es ins I. 1562 verlegt (Draudius hat 
vielleicht rihtiger 1565) und angiebt, es enthalte 16 Pfalmen; daun das 6. 
Bud. Paris 1565; ferner das 7. 1566, und endlich das 8. Paris 1566. — 


Über die deuten Musgaben der einfaen Tonfäge Gonbimels dgl. man den 
Art. „Lobmafler." 





) Barillas a. 0. ©. erjält; „Mandelot so mit inutilement en devoir d’empöcher 
& Lyon le massacre de treize cents calvinistes, et sourtout de Yincomparable musi- 
cien Gaudinel, connu sous le nom de Claudin le Jeune (mit dem ihm diefer Scheifefteller 
verwechſeih. Son plus grand crime fut d’avoir invente los beaux airs des pscaumes de 
Marot et do Böze, qui se chantaient au pröche . . .“ Aynli Le Martyrologe pro- 
test. liv. X, Bol. 772, bei Bovet a. a. Q. 


Graduale. 503 


Gradunle im liturgiſchen Kirhengefang nennt man: a) im weiteren Sinne 
alle die Gefänge, welche zwiſchen der Yeftion der Epiftel und des Evangeliums aus- 
geführt werden, und welche den Zwech Haben, die geitige Verbindung zwiſchen dem 
epiftofifgen und evangeliihen Teile der bibliſchen Yejungen des Hauptgottesdienftes 
herzuftellen; b) im engeren Sinne den exften diefer Gefänge: das eigentliche 
Graduate, ein Reſpouſorium (vgl. den Art.), das Pſalmenverſe oder andre Bibel- 
fprüche, die mit den jeweiligen Vefeftüden in Vezichung ftehen,!) als Tertunterlage 
Hat, und dem das Halleluja (vgl. den Axt.) folgt. Nach der ütteften Weiſe der 
Kirche (Apoft, Konftit. und Konzil von Laodicea 372) wurde nad) der Yefung der 
Spiftel duch den Pfalniften (Kantor) von den Ambou (Lefepult) aus der LIT. 
Pſalm aus der Pergamentrolle vorgefungen und von der Gemeinde reipondierend 
wiederholt (Psalmus responsorius), und bie ins 5. Jahrhundert hinein ſheint dies 
auch im der römiſchen Kirche bräuchlich geweſen zu fein. Vom Ende des 6. Dahr- 
hunderts an aber erhielt das eigentliche Graduale in der katholiſchen Kirche feine noch 
jegt im allgemeinen übliche Geſtalt und feinen Namen. Lehterer ift von dem Plage 
hergenonmen, auf dem der Kantor fang, den Stufen (gradus, aljo Graduate, 
Stufen» oder Staffelgefang) des Ambon, während die Höhe desfelben, als aus- 
gezeichneter Platz, im römiſchen Ritus den Berfünder des Evangeliums, dem Diaton, 
vorbehalten war.) Die Gradualien find für die verſchiedenen kirchlichen Zeiten feit 
beftimmt und ihre fid in einem beftimmten Kreife von Modulationen bewegenden 
gregorianiſchen Dielodien gehören meiſt dem zweiten und ſechsten Ton an, ſo zwar, 
daß der zweite Ton eigentlih nur eine Gradualmelodie hat, die den verjhiedenen 
ten mitteljt Varianten angepaßt ift, während der ſechste Ton mehrere Grund- 
formen aufreift, die entweder ganz gleich, oder mit Variationen und neuen Melodie: 
teifen oft wiedertehren. Die neueren katholiſchen Kirchentomponiſten haben das Gra— 
duale zu einem funftmäßigen Stück für den Chorgefang ausgebildet. Der wortloſe 
Iubilus (Iubilation, vgl. den Art.) des dem Graduate folgenden Halleluja wurde 
nad und nad; zu den Profen (gl. den Art.) und Sequenzen (vgl. den Art.) 
ausgebildet, und in der Paffionszeit, während der in der Kirche überhaupt fein 
Halleluja ertönen darf, trat an die Stelle desjelben der Tractus (vgl. den Art.). — 
Die evangeliſche Kirche nahın alle dieſe Gradualgeſange aus der mittelalterlichen 
Rirdhe im ihre Liturgie herüber. Das eigentlide Oradunle zwar, für das Luther 
(Form. Miss, 1523) möglidfte Rürge empfahl) kam im unfrer Kirche weniger und 


') Bol. Hermesdorff, Graduale juxta usum ecelesiae cathedralis Trevirensis ete. 
Trier 1863. — Kormmüler, Rer. der Üctidien Tontunft, Brigen 1870. ©. 177. 

2) Bol. Kienle, Ehoralfäufe 1894. ©. 107; andere Herleitungen des Wortes Graduale 
bei Aurel. Reomensis, Musica (vgl. Gerbert, Seript. eecles. I. &. 60°), bei Jah, Beleth 
(Mitte des 12. Iahrh.) Divinorum offciorum explicatio, ud W. Durandus, Rationale. 

®) „Gradualis quadragesimalia et similia, quae duo versus excedunt, cantat 
quisquis velit in domo sua; in ecolesia nolumus tacdio extingui spiritum fidelium® — 
fagt er Hierüber, 














504 Johann Chriſtoph Graf. 


nur im lateiniſcher Sprache in Gebrauch, „damit die Schüler auch im Inteinifchen Gefang 

gelibt werden,“ wie die Oldenb. KO. 1573 meint; dagegen fanden die übrigen 

Gefänge: Halleluja, Sequenzen, Profen, Traftus, wie in den ihnen geuidmeten 
beſondern Artileln gezeigt werden foll, allgemeinen Eingang, anfänglich lateiniſch, 
fpäter inmer mehr im deutſcher Überfegung und zwar fäntlih vom Chore gefungen. 
Noch aber entſprach es der evangelifen Grundanfhanung vom Gottesdienft, aud an 
diefer Stelle der Liturgie die Gemeinde in Mittfütigfeit zu ziehen, und fo jehen 
wir denm fon Luther (Deutfche Meſſe 1526) beftimmen: „Auf die Epiftel finget 
man ein deutfh Lied: Nu bitten wir den Heiligen Geiſt — oder fonft eins, und 
das mit dem ganzen Chor“ (d. h. Chor und Gemeinde). Diefe Einrichtung fand 
allgemeinen Eingang, und da nicht übern ein Chor zur Verfügung ftand, trat dat 
Gemeindelied an vielen Orten ganz an die Stelle der Gradualgefänge: es wurde 
zum Hauptlied (vgl, den Art), und die Sache des Gradualgefanges in der 
Wangeliſchen Kirche ftellte fi im erften Jahrhundert der Reformation im allgemeinen 
fo, wie dies z. B. aus der Pommierſchen Kichen-Agenda von 1568 zu erichen iſt, 
welche fagt: „Hierauff (memlic nach Leſung der Epiftel) finget das Chor die Se- 
quentiam de tempore vel Festo, oder Traetum, oder zuweilen ein Alleluje 
mit dem Gradual, oder auff die Sontag einen Deutſchen Pfalm (d. h. ein Gemeinde 

fied), der fi mit dem Evangelio reimet." Wie fih hieraus im Verlaufe der Zeit 
neue, und zwar fpecififd) ebangeliſche lirchenmuſilaliſche Formen herausbildeten, wie | 
man zunäcft Hauptſprüche aus den Evangelien herausnahm und fie in Motetienform 
tomponierte, wie diefe fih dann zu Dialogen (Geiftlice Geſpräche über das Evan: 
gefium,* „Dialogi spirituali u. dgl) und endlich zu „Geiftlihen Konzerten“ 
(„Mufitatifce Andachten“) mit Inftrumentalbegleitung, d. h. zur Kantate enweiterten 

dies alles wird in dem Artikel „Rirhenfantote, evangelijce” des Näheren darzı 

legen fein. 


Graff, Johann Chriſtoph,) ein angefehener älterer Organift, war um 1670 
als der Sohn eines Neltors zu Erfurt geboren. Er bildete ſich in feiner Baterftadt 
nad) dem Vorbilde Pachelbels zum fertigen Orgel- und Kladierſpieler aus, und wurde 
frühe Organift an der Thomas, dann an der Kaufmannstiehe dafelbft. 1693 aber 
verlieh er Heimat und Stellung, um bei Georg Böhm (vgl. den Art.) in Lüneburg 
weitere Ausbildung in der Mufit zu ſuchen. Bereits 1694 wird er dann zu Mage 
burg bei Gelegenheit der Aufftellung einer neuen Orgel in der dortigen Johannis 
türche genannt. An diefer Kirche wurde er furz darauf Organift, zunäcft als Sub 
ſtitut des Drganiften Georg Schüler, um nad) defien 1702 erfolgtem Tode fein 


2) Nicht „Zohan,“ wie Spitte, Bach 1. S. 110. Mendel, Muſit. Komverf.-Ler. I. 
S. 320 nad) Walther haben, auch nit „Jean-Chrötien“ wie Fetis, Biogr. univ, IV. &. 1%. | 
die Ehiffer „I. €" bei Gerber, N. Ler. IT. ©. 372 aufgelöft hat. Vgl. Ritter, Zur Gat 
des Orgelfpiels. I. S. 173. 





End. Granzin. Dr. Joh. Granmann. 505 


Nachfolger zu werden. Doc ftarb er ſchon 1709 zu Magdeburg. — „Graff war 
äuferft ftrebfam, ſtudierte und tomponierte fleißig, das läßt ein von ihm 1698 den 
1. Dezember angefegtes ausgedehntes Kolleltantenbuch, das nur durch ungemeine 
teraturfunde ermöglicht werden Tonnte, erfennen.”) Gerber (vgl. N. Ler. II. 
. 372) bejaß unter feines Vaters Nadlaß „verfciedene Präludien und Choral 
vorſpiele“ von ihm im Mitr.; als auf ung gelommen ift Bis jegt nur ein einziges 
Choralvorfpiel „Der du bift drei in Einigfeit“ ein Trio mit dem Cantus firmus 
im Pedal, befannt. 





Granzin, Ludwig, Organiſt in Danzig, ift um 1810 zu Halle an der Saale 
geboren und bildete ſich daſelbſt unter Niemeyers und Naues Leitung zum Muſiler 
aus. Bon 1831 wirlte er neun Jahre lang als Kanter an der Domfiche und 
Geſanglehrer zu Marienwerder und feit 1840 ift er Organiſt an der Dohanuiokirche 
zu Danzig. Folgende feiner Werte find hier zu nennen: 

Crueifixus a 6 Voei con Organo ad lib. Berl. Trautw. — Op. 4. 

Salvum fac regem für Dior. mit Bol. Daf. — Op. 5. Simeons Gebet, 

mebft angehängter Dorofogie für Hftgn. Chor a capella. Daj. — 30 Choral: 

melodien für das Pf. bearbeitet. Danzig, Weber, fowie die trefflihen „Bemer- 

Tungen Über Orgelbau," Allg. muf. Zeitg. 1863. ©. 323—326 u. 341343. 





Graumann (Boliander), Dr. Johan, der Mitreformator der Kirche im 
Ordenoſtaate Preußen, ift hier zu nennen, weil man ihm früher gewöhnlich auch die 
Melodie feines herrlichen Fobliedes „Nun Lob mein Seel den Herren“ zugeſchrieben 
hat. Geboren am 5. Juli 1487 zu Neuftadt in der bayriſchen Oberpfalz, ſiudierte 
er zu Leipzig, wo er 1516 Magifter und Kollege an der Thomasigule und 1520 
deren Reftor wurde. Der Reformation ſich anſchließend, ging er 1522 nad, Witten: 
berg, predigte 1523—1525 in Würzburg und Nürnberg und kam 1525 auf 
Luthers Empfehlung Hin als Prediger nad Königsberg, wo er ſich namentlich auch 
durch feine Thätigleit bei der Einrichtung des neuen evangelifgen Schulweſens in 
Brengen verdient machte. Am 29. April 1540 ſtarb er zu Königsberg. — Sein 
Lied, das nad) Wadernagel, Bibliogr. 1855. S. 168 in Nürnberg um 1540 erft- 
mals gedrudt wurde, eriheint ziemlich gleichzeitig aud mit der Melodie bei Hans 
Kugelmann, (vgl. den Art.) „News Gefang ıc.” Augsburg 1540. Nr. 17 und wird 
deshalb nad) dv. Winterfelds Vorgang, Ev. K.G. I. ©. 207 am liebſten Iohann 
Kugelmann zugeihrieben. Iedenfals gehört fie ihrer Grundlage nad) den weltlichen 
Boltsgeſang aus der Wendezeit des 15. und 16. Jahrhunderts an; ob fie dann 





*) Diefes Buch mit dem Titel „Themata, Clausulae atque Formulae Virtuosorum 
Musicorum“ enthält außer vielen Motiven aus den Werfen von Deiftern wie Burtehude, 
Reinten, Pachelbel, Böhm, Leiding, Küchenthal, Armsdorff, Kerl, Witte, Hanff, Meinong, Efiler, 
Kufman, Brubns, 3. DM. Bat), 3. € Bacj, Kniller, Shele, Froberger, Corel, Hafle, 
Lıcas, Weder x. x. ebenfo zahlreiche von Graff ſelbſt. Es ift jetzt im Beſitze A. G. Ritters. 


506 Karl Heinr. Graun. 


Johann Kugelmann ausgeftaltet, oder ob fie nicht Graumann jelbft für fein Lied 
eingerichtet hat, ift bie auf Weiteres zweifelhaft. Vgl. Faißt, Württ. Ch.-B. 1876. 
©. 215 u. 217218. Näheres über die Melodie vgl. in Art. „Nun lob mein 
Seel den Herren.“ 


Graun, Karl Heinrich, der „richtige und wirkliche Kapell- und Sangesmeifter“ 
Friedrichs d. Gr., gehört feiner Hauptwirtſamteit nad) nicht dem Gebiete der van 
gelifcen Kirhenmufit an, fondern war neben feinem ihm geiftesverwandten und ihn 
am Bedeutung mod überragenden Zeitgenoffen Johann Adolf Haffe einer der her- 
vorragendften Vertreter der deutſch italieni hen Deufiterigute und der von ihr haupt 
ſachlich gepflegten italieniſchen Hof- und Prunfoper des vorigen Jahrhunderts. 
die Mufit der evaugeliſchen Kirche „bedeutet Haſſe nichts und Graun ſehr wenig; 
oleichwohl darf lebierer Hier nicht Übergangen werden, weil feine Paſſions Kantate 
„Der Tod Jeſu“ einen fo tiefgehenden Einfluß erlangte, daß fie „fh die proteftan 
ifhen Karfreitagsmufifen der zweiten Hälfte des 18. Inhehunderts” — und bie 
tief ins 19. herein — „hlechthin maßgebend wurde.) Graun war am 7. Mai 
1701 zu Wahrenbrück im Königreich Sochſen geboren, und erhielt dafelbft mit zwei 
älteren Brüdern?) die ebenfalls namhafte Mufiter wurden, auch den erften Dufit 
unterricht. Seine weitere allgemeine und mufifalifge Bildung erlangte er mit feinen 
Brüdern von 1713—-1720 als Alumnus der Kreuzſchule zu Dresden, wo cr an dem 
Kantor Grundig, dem Hoforganiften Pegoldt und dem Kapellmeifter Schmidt nicht 
nur trefflicpe Lehrer im Gefang, Mavier- und Orgelfpiel und in der Kompofition 
fand, jondern zugleich aud unter den bildenden Einfluß des damals fo außerordentlich 
blühenden Dresdner Muſillebens, namentlich der unter Antonio Lottis Leitung be 
rühnten italieniſchen Hofoper, trat. Nach vollendeten Schulftudien blieb er, eine 
Kunftreife nad Prag 1723 abgerechuet, in Dresden und beigäftigte ſich mit Kom 
pofition, befonders von Motetten und Kirchenkantaten von denen er zwei volljtändige 
Zahrgange und eine große Paffionemufik ſchrieb und in der Mreuzlicdhe zur Auf 
führung brachte. 1725 wurde er, deffen ſchöne Disantflimme ſich in der Mutation 
in einen weihen Tenor umgewandelt Hatte, der Nachfolger Hafes als Tenoriſt an 
der Oper zu Braunſchweig; dod machte er fih hier Bald aud) als Komponift von 
Opern und SKirhenftüden einen Namen und erhielt daher den Titel eines Bicc— 








1) Bot. Spitta, Ag. deutſche Biogt. KIT. &. 55; derf. Vach II. ©. 329. 

2) Diefe Brüder waren: Auguſt Friedrich Or, der ältefe, gef. 1772 (nad der Ah; 
deuthen Bioge. IX. ©. 607, oder 1765 nad W. Preuß, Euterpe 1808. ©. 11) als Dem 
und Stadelanter, forvie Kollege des Stiftsgymnafiums zu Derfeburg; und: Johann Gett 
Lieb Gr., geb. um 1698, ausgegeidmeter Biotinfpieler (vgl. v. Wafielewsti, Die Violine un 
ihre Deifer. Lei. 1907. ©. 105 fi), 1720 Kapeirettor zu Derfeburg, dan beim Fürter 
won Walded, von 1740 an Konzertweifter der Tönigf, Kapelle zu Berlin, wo cr 27, Dt. 1711 | 
farb. Der Vater, Auguſt Graun, lebte 1690-1735 als Aeciseinnehmer zu Wahrenbrät 








Karl Heinr. Graun. 507 


Kapellmeifters.') Als ihn der danialige Kronprinz Friedrich von Preußen 1735 zu 
Braunſchweig Tennen lernte, erbat er fih Graun für feine Kapelle zu Rheinsberg 
und gewann ihn als Sänger, wie als Komponiften von Kammerkantaten fo lieb, daß 
x ihm von da ab in feinem Dienfte fefthielt und ihm Iebensfang in treuer Freund» 
Ähaft verbunden blieb. Unmittelbar nad; feiner Thronbefteigung im Jahr 1740 
ernannte er ihm mit dem fir die damalige Zeit anfehnlichen Schalt von 2000 Then. 
‚u feinem Stapellmeifter, und fandte ihm, nachdem er die Trauermufit für den ver- 
ftorbenen König tomponiert und aufgeführt Hatte, mod im felben Jahr nad) Dtalien, 
um Sänger und Sängerinnen für die neuzuerrichtende itafienifehe Oper zu Berlin 
zu engagieren. Diefem neuen Kunftinftitute widmete Graun von da an falt aus- 
ſcließlich feine hervorragende Fünftlerifhe Kraft und Thätigkeit, und erreihte mit den 
28 Opern, die er im Ganzen für dasjelbe ſchrieb,“) fo bedeutende Erfolge, daß nicht 
nur fein König und das Publitum ihm Huldigten, fondern auch Kunfigenofien, wie 
affe, und Dichter und Kritiker der fhönen Künfte, wie Leſſing, Sulzer u. a, ein- 
mütig in fein Lob einfimmten. Auf dem Gebiete der geiftlichen Muſit bethätigte 
fi) Graun während feiner Berliner Zeit nur mod gelegentlich: fo 1755 auf Ber- 
anfafjung der Prinzeffin Amalie (vgl. den Art.) durch die Kompofition der Paffions- 
tautate „Der Tod Jeſu,“ und 1756 duch fein „Zedeum” zur Feier des Sieges 
von Prag, von denen letzteres „bedeutender als alle feine Opern“ genannt wird, 
und erftere als fein Meiſterwerk anzufehen ift, das allein feinen Namen auf die 
Gegenwart gebradit hat. Es ift hier micht der Ort, auf die immer wieder auf- 
tauchenden SKontroverfen über den mufifafifhen Wert diefes Werkes einzutreten,®) 
ur das muß vom Standpunkt der evangelifhen Kirchen⸗, d. 5. gottesdienftlichen 
Muſit aus bemerkt werden, daß es als kirchliche Paſſionsmuſik nicht anertannt 
werden kann, wie oft es auch, namentlich in Berlin, nod Heute als ſolche gebraucht 
wird.) Sofern der „Tod Jeſu“ nämlich als Geiftesproduft einer Zeit, die dem 








») Ober G.s Aufenthalt umd Thätigfeit in Braunſchweig vol. die neuen und wertvollen 
Mitteilungen von Cheyfander in den „Jahrbügiern für muft. Wifenfd." 1. 1863. &. 276 fi. 

*) Die erfie diefer Opern war „Rodelinda, Regina dei Longobardi“ 1741, die Iepte 
„Merope“ 1756. Gin Berzeignis der Opern Grauns findet man bei Fätis, Biogr. des 
Music. IV. pag. 89. 90, nähere Angaben über diefelben bei Schneider, Geſch. der Over und 
des ionigl. Opernfaufes in Berlin, Oltav-Xusg. 1852. S. 55-148, Bal. aud Ledebur, 
Tontünſtlerlexilon Berlins 1801. ©. 198 fi. 

3) Bat. eine Zufommenftellung verjäiedener Anficten hierüber bei Bitter, Beitr. zur Geſch. 
des Oratoriums. 1872. S. 342—347, und v. Winterfelds Urteil: Evang. R.-®. TIL. ©. 240. 

+) „Das Wert Hat fih in Berlin fo heimiſch gemadit, Daß es faft mit zur Meier der 
Baffionszeit gehört und noch jeht jährlid) oft zweimal aufgeführt wird," fagt M. Fürftenau, 
Afg. deuticie Siogr. IX. S. 008; in der Ginicräntung auf Berlin fan auf die Behauptung 
x. DMaczewstis bei Grove, Diet. 1.&. 621: „In Germany the „Tod Jesu“ holds in same 
degree the position which is held by the „Messiah“ in England“ als zutrefiend an- 
‚rtannt werden; dagegen if} ed jedenfalls übertrieben, den „Tod Iefu,“ wie ebendal. IV. ©. 
131 gefiht, turzweg „The Messiah of Germany“ zu nennen. 








508 Chriſtoph Graupner. 


Mittelpunkt aller ebangeliſchen Kirchenmuſit, dem Choral, volftändig verftändnister 
gegenüberftand, dieſen nicht mehr als folden Mittelpunkt, fondern mr nad) alt 
gefegentliches, rein mufttalifces Effektmittel verwendet, finft das Wert auf die Ste 
der Konzerimuſit mit religiöfem Tert herab, ift nicht mehr gottesdienflice Paffians- 
mufit, fondern mur noch Paffionstantate. Ob «6 dann als falde in feiner ratione 
ififch-empfindfamen Ausdrudsweife feinen hohen Gegenftande geredt werde, fan 
für uns nift weiter in Betracht Iommen.!) — Graun ftarb zu Berlin am 8. Augen 
1759 im 58. Lebensjahre. — Bon feinen Werten find Gier zu derzeichnen: 


1. Paffionstantate: „Laſſet und auffehen auf Chriſtum,“ zu Dresden um 
1720 toinp. mit 57 Nen. Part. fönigl. Bibl. Berlin. — 2. Oratorium 
con 8 voci e strom. del Sign. $. 9. Graun, Kapellmeifter in Wolffen- 
büttel." „Herr fei mir gnädig, denn id bin fHrwnd.” Zwilhen 1725—1730 
tonip. 8 Men. ohne Choräle. Bibl. Berl. — 3. Troftvolle Gedanten über das 
Leyden und Sterben unfres Herrn umd Heylandes Iefu Chrifti." Paffions- 
tantate „Ein änmfein geht und trägt die Sud.“ 1730. 35 Nut.) — 
Später umgearbeitet zu: 4. Paffionsmufit von Graun, mit vortrefflichen Chören 
und Fugen, 4 und Öftimmig." „Wer ift der, fo von Edom kommt?” 42 
Nen. Part. in einer Abihrift von Ph. Em. Bad, k. Bibl. Berl. — 5. 
„Kommt Her und fchaut.“ Grope Paffionsfantate. — 6. „Das Berfähnungs 
leiden Jeſu.“ Paffionsmufit. — 7. Der Tod Jeſu. Paffionstantate von C. 
W. Ramler 26. März 1755 in der Domtirhe zu Berlin erftmals aufgeführt 
(26. März 1855 Yubiliumsaufführung dafelbft). Ausgaben: Bart. 1760. 
1766. 1810 und zahlreiche Stavierausgige. — 8. Tedeum laudamus. Fir 
Soloftmm., Chor und Oh. 1756. art. Leip. 1757. Neue Ausgaben: 
Berlin, Schlefinger (d. A. Comadi); Wolfenbüttel, Holle. — Über Graun’s 
Dde „Auferftehn, ja auferftehn wirft du“ dgl. den Art, 








Graupner, Chriftoph, ein üußerft fruchtbarer Kirchentonſeher feiner Zeit, war 
im Januar 1693 zu Kirchberg im fühihen Erzgebirge geboren und erhielt dafebft 
auch den erften Dufilunterridt. Er befuhte 16971704 die Thomaeſchule und 
1704— 1706 die Univerfität Leipzig, um Jurisprudenz zu fludieren; und Dielen 
neunjährigen Aufenthalt in Leipzig verdankt er feine wiſſenſchaftliche und mufitatiide 
Ausbildung. Im der Muſit Schüler Kuhnans, war er unter deffen trefflicer er 
tung bald Meiſter geworden und fam 1706 nad Hamburg, wo er an Stelk 
Scieferdeders, der als Burtehudes Nachfolger Organift zu Lubec geworden war, 
als Gembalift in das berühmte Opernorcheſter eintrat und fi als Komponift gan 
der Richtung Reinhard Kaifers anſchloß. 1709 berief ihn der Landgraf von Heilen 





') Ein ſcharfes, aber treffendes Urteil in diefer Hinfist Hat Morig Hauptmann in einer 
Briefe an Franz Haufer (vom 31. Dezbr. 1827, vgl. Euterpe 1872. S. 136) geiproden, wen 
ex fagt: „I fan mie foviel aus biefem Opus gar nicht machen. Ich mag eben das traf 
tofe weinerliche Magen über das Leiden Cprifti nicht; daflie in er doch wahrlich nicht geflorkr | 
daß wir fo fäneidermäßig darüber jammern follen.“ 

2) Bon A. W. Bad 1835 in der Marientirche zu Berlin wieder aufgeführt. 


Gray and Pavifon. Wilh. Greef. 509 


Darmſtadt als Bicefapellmeifter nad Darmftadt, und ernannte ihm 1711 zum wirt- 
fihen Kapellmeifter. 1722 bewarb er fih mit Seh. Bad, Kauffmann u. a. um 
die Stelle des Thomaskantors zu Leipzig, fam felbt dahin, fepte feine Probe ab 
und erhielt auch feine Ernennung. Doch verweigerte ihm der Landgraf die Ent: 
faffang, und fo blieb er in Darmfladt, wo er gänzlich erblindet am 10. Mat 1760 
farb. — Gr. war als Komponift ein Bielreiber von Raunenstwerter Fruchtbarkeit 
und lieferte namentlich von 1720 ab eine unglaubliche Denge von Kirhentantaten, 
die längft vergeffen find. Nur fein „Meuvermehrtes Darmftädtildes Choralbudı. 
Darmftadt 1728, — mit 256 Melodien — it Hier zu verzeichnen. 


Gray and Davifon, Firma eines großen Orgelbaugefhäftes in London und 
Liverpool. Dasjelbe wurde 1774 von Robert Gray in London errichtet, dem zu 
nädft William Gray, und als diefer 1820 ftarb, dohn Gray als Leiter folgten. 
18371838 hieß die Firma „Oray aud Son;“ dann trat Frederit Davifon ein 
und die Firma änderte ſich in „Oray and Daviſon.“ Auch nachdem Gray 1849 ge: 
ſtorben war und Davifon das Gefhäft allein weiterführte, Blicb Die obige Firma. 
Davifon vereinigte 1876 die Wertflätte von Robſon mit feinem Gefhäft und über- 
nahm überdies noch als eigenes Geihäft das Berofhur'fce zu Liverpool. — 

Die Händel-Orgel im Cryſtall Palaſt, die Orgel der Paufstirhe zu 

London, ſowie die trefflicen Konzertorgeln in den Stadthäufern zu Feeds, zu ° 

A und zu Glasgow find die bedentendften Erzeugnifie von Gray and 

Davifon. 


Greef, Wilhelm, war am 18. Dezember 1809 zu Kettwig a. d. Ruhr geboren 
und hatte fih bis 1830 im Seminar zu Mörs als- Lehrer ausgebildet. Bon 1830 
an am Seminar als Hulfelehrer wirfend, wurde er 1831 erfter Lehrer an der 
Stadtſchule und Geſanglehrer am Adolfinum, fowie 1833 noch Organift in Mörs 
und diefe Amter verwaltete er nit Treue umd Hingebung bis an feinen Tod am 
12. September 1875. Gr. Hat fih um die Verbeſferung des Schul und Kirchen: 
gefangs im der Nheinprovinz, ſowie um die Erforjhung des Voltsliedes in Weit: 
deutf land als treuer Genoffe Ludw. Ert's Verdienfte erworben; mit den beiden 
Erf hat er eine Anzahl wertvoller Ciederfammlungen ediert. Hier ind zu verzeichnen: 


„Alte und neue hriftlihe Männerhöre. Mit Verkefihtigung der firdl. 
Fefte.“ 2 Hfte. Elfen. Bädeler. — „Sione, Choräle und andere relig. Ge— 
fänge,“ dgl. Art, „Erf. — „Scul-Choralbud, für die evang. Schulen in 
Rheinl Weftf. Yusg. nad dem evang. ©.-B. für Rheinfand-Weftf." CEffen. 
Bädeter. — 36 Nahfpiele für Orgel von Chr. H. Rind, Op. 107. Rene 
Ausg. beforgt von W. Orerf. Dal. — Prälndien für Orgel von Chr. 9. 
Nind. Ausg. der ſchönfien Borfpiele zu den gebräudlichften Choräfen der evang. 
Kirche. Ausgem. u, neu Herauögeg. von BB. Oref. 4 Hfte. Da. — Choral: 
Bud) für wang. Kirhen von Natorp-ind. 3. verbefierte Aufl. Die Choräle 
men geordnet und Hiftorifc beftimmt von ©. B. Adeld. Natorp, mit meift 
neuen Zwifenfpielen und mit Schlüffen verfehen von We Greef. Dal. — 








510 Samnel Green. Chriſtian Gregor. 


Green, Samuel, der bedeutendfte engliſche Orgelbaner aus dem fetten Viertel 
des vorigen Jahrhunderts, der nicht nur die zahfreichften Werke unter allen engliſchen 
Orgelbauern feiner Zeit gefertigt, fondern auch wefentlic zur Ausbildung der Orgel 
bauechnit in England beigetragen und ſich durch die weiche Fülle des Tones, die 
ex feinen Werfen zu geben wußte, einen befonderen Ruf erworben Hat. Er war 
1740 geboren und erlernte feine Kunſt in den Werfftätten des älteren Byfield, 
Bridges und Jordans. Nahdem er einige Zeit gemeinſchaftlich mit dem jüngeren 
Vyfield gearbeitet Hatte, errichtete er fein eigenes Gefhäft, aus dem nad) und nad 
ca. 80 Orgelwerte verjhiedener Größe für engliſche Kirhen, aber auch für Ct 
Petersburg und Kingston auf Iamaite, Hervorgingen. Cr flarb am 14. September 
1796 zu Doleworth und feine Witwe ſehte das blühende Geſchäft noch einige Zeit 
fort. Zwei feiner Werke find bei Grove, Diet. II. ©. 598 beſchrieben und 50 
derfelben find bei Hopkins and Rimbault, The Organ ete. 1877. 1. ©. 150 
bis 153 verzeichnet. 


Gregor, Chriſtian, „der Aſſaph der Brüdergemeinde,“ war am 1. Januar 
1723 zu Diesdorf bei Peilau in Schlefien als der Sohn frommer Bauersleute 
geboren, und erhielt daſelbſt, teils im Haufe des Grafen v. Pfeil, teils durch der 
Ortögeiftligen und Ortslchrer feine ihn für den Lehrerberuf vorbereitende Bildung. 

Ein Beſuch, den er 1740 in Herrnhut machte, weckte in ihm den Wunſch, ſich der 
Vrüdergemeinde anzufchließen; dod) kehrte er vorerft in feine Heimat zurüd, wo er 
Gelegenheit fand, fid) namentlich in der Muſit noch weiter auszubilden. 1743 wurde 
er dann in die Vrüdergemeinde aufgenommen und ihm die Stelle des Drganiften 
und die Leitung der Kirchenmuſit in Herrnhut fibertengen, welche Amter er 1748 
auch zu Herrenhag und 1749 zu Zeiſt verwaltete. 1753 fam er als Reihnungs 
führer der Generaldireftion nad) Herenfut zurüic, wurde 1756 zum Dialon geweiht, 
als welcher er die Singgottesdienfte leitete und die Mufifdirektion führte. As 1775 
von der oberften Behörde der Brüder, der Unitätsälteften-Konferenz, beſchloſſen wurde, 
durch eim neues Geſangbuch den Kirdengefang der Gemeinde zu ordnen, erhielt 
Chriſt. Gregor den Auftrag, dies G. B. zu bearbeiten. Es erſchien 1778 und ik 
das nod) gegemwärtig im Gebrauch befindliche. Sechs Jahre fpäter, 1784, folgte ihm 
das zugehörige, durd) einen Synodalbeſchluß vom Iahre 1782 angeordnete Choral: 
buch, deſſen Zufommenftellung Gregor ebenfalls beforgte. Nachdem er 1789 Bidet 
der Gemeinde geworden war, trat er 1792 nad Spangenbergs Tode an die Spige 
der ganzen Unität, und am 6. November 1801 farb er, fait 79 Jahre alt, a 
Verthelsdorf. — Sein Ch.-B. Hat den Titel: 

Choral Buch, enthaltend ale zu dem Gefangbude der Cvangelifcer 
Brüder-Öemeinen vom Iahre 1778 gehörige Melodien. Zu finden in der 
Brüder-Öemeinen und gedrudt zu Leipzig in der Breitfopfühen Yuchdruderr 
1784." Qu. Fol. 4 Bl. Vorbericht unterzeichnet: Chriftian reger | 
Barby den 10. Aprit 1784. 256 ©. u. 8 Bl. Regifter und Nachtrag. De 


Gregor I. 51 


Bud) enthält 467 Choräle mit bezifferten Bäſſen, darunter laut Borrede „über 
60 ganz nene Melodien,“ für deren Urheber dv. Winterfeld, Zur Gefdh. heil. 
Tonfunft, 1. ©. 263. Gregor mit „aller Wahriheinlichfeit" annehmen zu 
dürfen glaubt,") während andere, 3. B. Beder, Choralfanmlungen. S. 204. 
Koh, Geh. des KL. VL. ©. 486 f., ihm nur drei (die dritte ans einer 
Volteweife gebildet) zuſchreiben, näulid): 

Erwünfgte Zeit, wann wirft du doderfheinen. Ch.B. Art. 1366. 

Die Gnade unfers Herrn Ieju Chrifti. (vgl. den Art.) Ch.-B. Art.540e. 

Herr und Ältjter deiner Kreuzgemeine. (vgl. den Art.) Ch.-B. Art. 18da. 


Gregor I., der Große, einer der Hervorragendften und einflußreichiten Päpfte, 
der Begründer der Einheit und Macht der römifc-tathofifhen Kirche, Tommt für ung 
deswegen in Betracht, weil er in feine kirchlich organifatorifcen Beftrebungen auch 
die Einrichtung und gefegliche Fefftelung des gefamten liturgiſchen Geſanges mit 
einbezogen und durch den nad; ihm genannten Gregorianifhen Gefang den 
Grandtypus latholiſcher Kirchenmuſit gefcaffen Hat, an dem feine Kirche bis auf den 
heutigen Tag unverbrüchlich feſthält und dem auch der Altargeſang der evangeliſchen 
Kiche entfprofien ift. — Gregor war als Angehöriger einer der äfteften und reichten 
römiſchen Adelsfomilien wahrſcheinlich im Jahr 540 zu Nom geboren und erhielt 
eine forgfäftige, doch einfeitige Erziehung. Frühe treffen wir ihn als weltlichen 
Beamten im Dienfte feiner Vaterftadt; in der Folge aber ſehen wir ihm die Würde 
eines römiſchen Prätors mit der Mönchskutte vertauſchen und, nachdem ihn Papſt Per 
lagius Il. zum Diaton geweiht hatte, diefem von 573—585 als Nuntius in Ron- 
ftantinopel dienen. Nad feiner dtüctunft nad Rom trat er als Abt an die Spige 
ines von ihm ſelbſt gegründeten Kloſters, und 590 folgte er dem Pelngius auf dem 
zpſtlichen Stuhl. Solange er diefen inne Hatte, zeigte er fih als einen Charalter, 
der außergewöhnliche Stärke des Willens mit ungeheuchelter Frömmigkeit verband, 
und als einen Geift, der mit felteuer Einfiht die ſchwierigen kirchlichen und politi 
ſchen Verhältniſſe feiner Zeit nicht nur zu überſchauen vermochte, fondern fie auch 
für feinen Zwech, die Begründung der Macht der römiſchen Kirche, zu benugen ver- 
fand. Er ftarb am 12. März 604 zu Rom, mit dem Ruhe eines Mannes, 
der feiner Kirche in Hinfiht ihrer inneren und äußeren Geftaltung die Bahn vor- 
gezeichnet hat, auf der fie dann ein ganzes Jahrtauſend gewandelt ift. — Gregors 














B. ſelbſt irgend weiche 
Andeutung über die Herkunft diefer „ganz neuen Melodien;“ es find die folgenden: Art. 1b. 
}b. 5b. 6b. Tb. Te. 8b. 12b. 106, 17b. 185, 195. 20b. 31b. 55b. 59a. 50b, 74b. 
i7b. 79c. 96b. 96c. 99b. 107b. 109a, 109b. 109e, 109f. 110b. 112b. 1265, 1296. 
136 b. 149b. 189, 206b. 206c. 208b. 208c. 216b, 228b. 241. 254b. 2565, 258b. 2696. 
}7ı b. 2155. 2105. 280b. 2995. 3035. 318b. 321b. 324b. 38h. a2ah. arıb. 474. 
117 b. — Bemertenswert if} mod), daß gerade bei der Melodie, weiche Gregor erwiefenermaßen 
18 Erfinder zugehört, bei „Die Gnade unſers derrn Jeſu Ehrifi” unter Art, 540 „Bibeltert: 
helodien · c. ©. 384 das Zeichen der „neuen Melodien" nicht Neht. 





512 Gregorianiſcher Gefang. 


firhlich-organifatorifche Thätigfeit, ſoweit diefelbe für uns in Frage fomınt, bezog fi 
zunädft auf die Citurgie feiner Kirche. Auf Grundlagen, wie fie von einigen 
feiner Vorgänger (eo I, Gelafins I.) in der römiſchen Kirche bereits vorhanden 
waren, arbeitete er eine neue Gottesdienftordnung aus, dur die er „der Vater 
der römischen Meſſe“ geworden ift. Denn aus feiner Ordnung der kirchlichen 
Handlungen bildete fih im Verlaufe des Mittelafters unter mannigfagen Ber 
änderungen und Zufügen das römiſche Meß buch heraus, wie es 1570 Firdlib 
fanftioniert, 1604 erneuert wurde, und nad) einer nochmaligen Revifion 1634 feine 
endgiltige Geftaltung erhielt. Mit der Meßordnung hängt dann des weiteren Gre— 
gors Thütigfeit auf dem Gebiete der Kirhenmufit aufs genauefte zufammen: 
68 freiben ihm die mittelakterfihen Mufiffcriftfteller übereinftinmend dns Berdienft 
zu, die in der Meſſe gebrändfihen Choralgefänge gefammelt, eingerichtet und für 
die einzelnen Handlungen feigeftellt zu Haben. Um den von ihm eingericteten Ce 
fang zu pflegen nnd zu erhalten gründete er ferner die Römifche Sängerfaule 
(schola cantorum), eine Sängerforporation Herifafen Charakters, die das Mufier 
für alle derartigen Einrichtungen der katholiſchen Kirche geworden ift. Endlich firierte 
er, um die Weifen feines Gefanges auch für die Zukunft zu fihern, diefelben ir 
einem mufittheoretifgen Syftem, und zeidinete fie zugleich, damit fie für die 
Sänger lesbar feien, mittelft einer eigenen Notierung, der Neumenfhrift auf. 
Alles dieſes ſchreibt die Tradition mit mehr oder weniger Sicherheit Gregor zu und 
fteilt ihm damit unter die Männer in der Muſikgeſchichte auf deren Namen die Arbeit 
einer ganzen Langen Entwiclungeperiode zurhdgefüht wird. Dgl. die Art. „Gre 
goriamſcher Gefang“ und „Rircentöne.“ 


Gregorianischer Geſang Heißt der Ritualgefang der lateiniſchen Kirche des 
Mittelalters, wie er von Gregor dem Grofen eingerichtet und fiir die Liturgie geſeblich 
feitgeftellt wurde, und wie er ſich wenigftens den Orundzügen feiner formellen Ge- 
ſtaltung nad bis Heute in der katholiſchen Kirche erhalten Hat und aud im Alter- 
gefang der evangelifhen Kirche fortflingt. Es folgte diefe Gefangsweife im kirchlichen 
Gebrauch dem älteren Ambrofianif hen Gefang (vgl. den Art.) und darf als 
eine Weiterbildung desfelben angefehen werden, obgleich das wirkliche Verhältnis beider 
Beifen laum nod mit Sicherheit feftzuftellen fein wird, da feinerfei authentiſche Do- 
tumente des Ambrofianifgen Gefanges mehr vorfanden find.) In Ermanglung 
folder Dokumente hat man aus einzenen Angaben alter Muſiſſchriftſieller die tradi- 
tionell gewordene und Bis heute im allgemeinen feftgehaltene Annahme abftrahiert, 
der Ambrofianifhe Gefang Habe im wefentligen einen anf ſprachlich·proſodiſcher 
Metrit beruhenden belebten Rhythmus gehabt, während der Gregorianiſche Gefans 





*) Ob ein neuſtens aufgefundener „Koder ambroſianiſcher Melodien aus dem 11. Jet 
Gundert, ein Unifum“ ſich ais et erweiſen wird, muß die Zeit lehren. Derfelbe befindet kt 
nach P. Ambr. Kienle, Choralſchule. 1894. S. 120 in Händen eines Antignars zu Münden 


Gregorianiſcher Gefang. 513 


die „Melodie von den Feſſeln der Profodie befreit, und zwar anfänglich aud noch 
den Wedhfel langer und kurzer Töne eingehalten Habe, aber mr mit Beobachtung der 
Linge und Kürze der vorlegten Silbe jedes Wortes, Übereinftimmend mit unferer 
Art das Patein augzufprehen.”) Durch diefe Befreiung vom profodiihen Maße der 
Tertfüben gewannen die einfachen, union erllingenden und auf den vollen Klang 
der ausgebildeten Männerſtimme in den weiten Hallen der Kirche berechneten Melodien 
det Gregorianiſchen Gefanges eine Flle tonlichen Inhaltes, eine Würde und ein- 
dringliche Kraft, die ihnen nicht allein als liturgiſchen Gefängen den höchſten Wert 
verlieh, fondern fie auch befähigte der ganzen chriſtlichen muſilaliſchen Kunft als 
Grundlage zu dienen. Treffend fagt Ambros hierüber: „Die innere Lebenskraft 
diefer Gefünge iſt fo groß, daß fie auch ohne alle Sarmonifierung fih auf das Inten- 
fufte geltend maden, und nidts weiter zu ihrer vollen Bedeutung zu erheifchen 
{heinen, während fie doch andrerjeits für die reichſte und Kunftvollfte harmonifche 
Behandlung einen nicht zu erjhöpfenden Stoff bieten und jahrhundertelang einen 
Schag bildeten, von deſſen Reichtum die Kunſt zehrte. Die Mufif ift an der ge 
waltigen Tebenstraft des Gregorianiſchen Gefanges erftartt, fie hat ſich an feinen 
Melodien don den erften ungeſchicten Verſuchen des Organums, der Diaphonie und 
des Fauz bourdon an bis zur höchſten Vollendung im Patetrinaftile herangebildet.” — 
Über die Tätigkeit Gregors bei der Einrichtung diefes Gefanges berichten die alten 
Schriftfteller, daß er zunähft die fhon vorhandenen Gefänge ſammelte, fie von 
etrvaigen Auswüchfen reinigte (mas vielliht auf den überwuchernden Hymnengejang 
zu beziehen if), neue Gefänge ergänzend hinzufügie, fie dann der von ihm geordneten 
Liturgie einverleibte und in Neumenfcrift in fein Antiphonarium eintrug, das er 
auf dem Hodaltare der Peterélirche miederlegte.) Sehr groß iſt der Reichtum 

3) Bol. 8. Chr. Br. Krauſe, Darfellgn. ans der Geſch. der Muſit. S. 97. Ambros, Geſch 
der Mufit, II. ©. 59 fi. umd dagegen: Riemann, Dufit-Lepiton. 1884. ©. 332—333. — 
Fortel, Geſch der Muft, IL. S. 189, 

9) &o fagt 3. ®. der Biograph Gregors, Joh. Dialonus: „antiphonarium centonem 
compilavit;“ ferner Hugo Reutf., Flores mus.: „Gregorius varium cantum musicalem, 
quo tam Latini quam Alemanni cum ceteris linguarum diversarum nationibus utuntur 
in divino offieio in duo volumina librorum, videlicet in Antiphonarium et Graduale 
eollegit, dietavit et neumavit seu notavit;“ dann Pagi, vita Greg.: „Quod non ita 
intelligendum est, quasi antiphonia composuerit omnia, quae in eo leguntur, sed quod 
ea recensuerit, distinzerit, ordinaverit, novaque veteribus addiderit;“ endlich e Boeuf, 
Trait& hist, sur le chant ecel. c. 3: „Quoniam solitum erat cantari tam in ecelet 
Latina quam Graeca ante ipsum tempore, selegit, quod ipsi magis in omnibus illis 
modulationibus irrisit, atque compilationem fecit, quam antiphonarium centonem 
appellarunt, 8. Pontifex correxit, adjecit, reformavit quod videbatur. Ut verbo dicam, 
licet novum contulerit solm ordinem, opus tamen ejus nomen accepit, communicavit- 
que deinceps toti ecelesiae cantui nomen Gregoriani,.“ Mit Bezug anf den Anteil Gre- 
gor& als Komponifl bemerft Joh. Diafonus: „Quis vero auctor cantus sit, certatur, et 
lis est adhuc sub judice,“ und Gerbert, Script. ecel. I, pag. 247: „Nescitur porro, quae 
in ipso cantu Gregorins praestiterit.“ 

Mümmmerte, Enepl, d. wong. Kirdenmufit. L 33 














514 Rz Gregorianiſcher Geſaug. 

an gregorianiſchen Melodien: es giebt ungefähr gerade fo viele Arten derſelben, ale 
es Arten von liturgiſchen Terten giebt, fo daß jede Tertform and) ihre bejonder: 
Melodieform hat. De nad) der geringeren oder reicheren melodifcen Entfaltung zer 
falten jedoch alle diefe Formen in zwei große Gruppen: den Hecentus und den 
Concentus. Im der Form de8 Accentus oder Modus legendi choraliter 
werden vorgetragen: die fiturgifcen Leſungen (Lettionen, Kapitel, Epiftel, Evangelium 
mit der Pajfion),t) die Orationen oder Kollelten, die Berfitel (die jedoch wenigftens 
am Seiten einen reiheren melodifhen Schmud erhalten), Präfation und Baterunfer, 
die Pfalmodie und die Gantica. Es find dies Diejenigen liturgiſchen Stüde, in 
welchen der Tert feinem größten Teile nad auf einem einzigen Ton, de 
Necitations- oder Repercuffionston, der Dominante jedes Kirdentons, im der Weir 
gehobenen, feierlichen Sprechens recitiert wird. Weil aber diefe Vortragweife den 
uůturgiſchen Tert aus der tieferen Sphäre des Sprachtones in die Höhere Region des 
Gefanges erheben ſoll, ihr alfo, damit fie überhaupt Gefang fei, wirkliche melodiide 
Bendungen nicht fehlen dürfen: fo werden einzelne Tertfilben und Worte durch den 
Accent über den Recitationston Hinausgehoben, die Satzſchlüſſe aber durch genau br 
ftimmte melismatifde Tonfälle angezeigt. So ift z. B. im 8. Palmten : 

a Ib. le] Id 


3 DEP er — dj 
— == — — 





























Di-xit Do-mi-nus Do-mi-no me-o: se-de a dex-trisme- is. 


a. die Intonation (vgl, den Art.) oder dag Imitium, d. h. das Über 
feitungsmelisma von der vorangehenden Autiphone zu b. dem Recitationston 
des vſalms; bei c. findet ſich fodann eine Accenthebung, die Mediante, alt 
Dittel- oder Halbſchluß, und bei d. führt die Finale ald Ganzſchluß wieder zum 
Anfangston der zu wiederhofenden Antiphone zurüd. Zum Concentus werden 
diejenigen Geſange gezählt, welche dadurch, daß fie eine oder mehrere Tonfiguren auf 
einer Silbe haben, reicher melodiſch geftaltet find. Einfacher melodiſch find mod die 
Nefponforien, Antiphonen und Hymnen, reicher ausgeftaltet Die feitftchenden Mei 
gelänge (Kyrie, Gloria, Credo, Sanktus, Agnus Dei) und am reichſten dir 
wehfelnden Mefgefänge: Imtroitus, Graduale, Alleluja, Trattus, Sequenz, Ofir 
torium und Kommunio. Die mehr oder weniger reichen Melodieformen der yum 
Concentus gehörigen gregorianifdjen Gefänge gliedern fich in proportionierte Tor 
gruppen oder Motive von verfhiedener Größe, die Baufteinen vergleichbar, ir 
mannigfadh verſchiedener Zufammenfegung den einzelnen Delodiefag bilden. Ns 

) Über den Grund, warum die liturgiſchen Leſungen in gregorianifger Weife reitire 
werden, bemerft Palmer, Evang. Pymnol, 1806. S. 203—204 riftig: „er Tiegt darin, Di 
die Heiligen Worte nicht in gemeiner Sprache, wie jedem s. v. v. der Schnabel gewaghen # 
fondern in einer höheren, idealen Spradie recitiert werben follen, die nicht von der Rederen 
jedes Ginzelnen abhängt, fondern ihren lirchlich geheitigten efen Ton hat.“ 





Gregorianifher Gefang. 515 


Guido von Arezzo!) beſteht die gregorianiſche Melodie aus melodifgen Silben, 
deren jede ein, zwei, drei Töne enthält; eine oder zwei diejer melodifcen Gilben 
biden zuſammen eine Neume, oder einen Sapteil des Melodiefaes, und aus einer 
oder mehreren Neumen ſebt fih fhlienlid die Diftinftion, der Melodieabfänitt 
oder Melodiefag zufammen. 3. 8. 








Diſtinktion. 
Einleuung. | I Neume. TI. Reume, 
Silbe. 1. Eile. 2. Silbe. [1 Silbe, 2. Eilbe, 










































[SZ EL — re 
oder: 
Diſtinltion. 
Neume. eum 
— Reime 
1. Silbe. 2. Silbe. 1. Eile. 2. Silbe. Silbe als Abſchluß. 
Be 0 0 0000 — 








— * 
ve-i-t - 





Auf dieſer Gliederung in proportionierte Tonfiguren und Abſchnitte beruht auch 
der freie oratorifhe Rhythmus der gregoriauiſchen Melodie. An die Stelle des 
einzelnen Taftes in der menfurierten Mufil tritt hier die melodiſche Tongeuppe; die 
Töne werden nicht nad) einer beftimmten Zeitdauer gemeffen, find aber auch nicht 
gleich Lang (etwa gleich langſam, wie noch meift gelehrt wird), fondern erhalten je 
nad der melodifhen Struktur und der Stellung der Tonfigur, fowie nad der 
Deflamation des Tertes ihren beftimmten Zeitwert, wenn aud) die Noten feinerlei 
Tondauer, fondern mur den Bau der Melodie anzeigen. „Die freie Bewvegung diefer 
Geſange ift keintswegs willtäxfih, fondern feft beftimmt und ſcharf umſchrieben; fie 
Hat Have Linien, die aber nicht mit dem Lineal, fondern in freien, fehrungvollen 
Bogen gezogen find.”) — Die fiturgiihen Gefangbüher, welche die gregorianiſchen 
Melodien enthalten, find: das Graduale mit den Gefangftüden der DMeffe, und 








1) Bol. Guido Yret. Mikrolog. 15: „In harmonia 'P. $. in der Melodie) sunt soni, 
quorum unus, duo vel tres aptantur in syllabas, ipsaegue solae vel duplicatae 
meuman, i. e, partem constituunt cautilenao; sed pars una vel plures distino- 
tionem faciunt, i. e. congruum respirationis Jocum.“ 

%) Bol. Kienle, Choralfäule. 1884. ©. 59. Gewöhnlich wird dem Greg. Geſang alle 
Rüyıkıns abgefprodien; fo Sagt ſhon Marcheitus von Badua: „Musica plana dieitur qui 
bet cantus, qui absque temporis mensura et limitatione notularum figuratur ot caı 
tatur, sed ut libet cnicunque proferenti et signat et profert.“ Ahnlid; fagt noch Bil- 
fecter, Lehre vom rämifdien Choralgef. 1842: der römifee Choral werde „in fauter einfadjen, 
fich Tangfamı fortbewegenden mefodifen Hanpttönen, in einem nit genau abgemeffenen Zeit- 
mmraße abgefungen.” Tucher, Shap IL. Bor. &. KT: „eine Note gleich lang wie die andere, 
obme Zalt umd Rhythmus.” Straußofd, Bom alten proteft. Ehoral. 1847. ©. 11 fi. u. d. A. 
33* 












516 Matthäus Greiter. 


das Antiphomarium (Antiphonafe) mit den Gefängen des übrigen Officiums; 
die Vefpergefänge ftehen im Veſperale, einem Auszug aus den Antiphonarium. 
Weitere Gefinge enthalten noch das Rituale, Miſſale, Hymnarium, Proceffionale, 
Vontificale; das Direktorium chori endlich ift die Bufanmenftellung der 
Pfalm· und Lettionstöne, Verfitel 2c., und giebt zugleid) die Anweiſung, das ganze 
Officium aus den andern Geſangbüchern geſanglich zu ordnen. — Über die Ton 
arten des Gregorianiſchen Geſangs vgl. man den Art. „Kirchentöne;“ über die 
Verwendung desjelben in der evangeliſchen Kirche, die Art. „Liturgie“ und „Palmodie.“ 





Greiter, Matthäus, ein Straßburger Mufiter der Reformationszeit, dem 
vielleicht die Melodie des 119. Palms („Es find doch felig alle die,” oder in den 
wang. G-BB. „OD Menſch bewein dein Studen groß“), als Erfinder zugehürt 
Urjprünglid) Mönch und Chorfünger am Münfter zu Straßburg, trat er 1524 mit 
feinem Freunde Wolfgang Dachſtein (vgl. den Art.) aus dem Klofter, verheiratet 
fih und wurde 1528 Diofonus an der Martinsfirde dafelbft. Er beteiligte fi 
mun am der deutſchen Bearbeitung der Palmen für den evangelifcien Kirchengeſang, 
indem er fieben Pfahmlieder verfaßte (Bam 13. 51. 114. 115. 119 [in zei 
Liedern] und 125), die mit Melodien in den damaligen Straßburger G. BB. er 
ſchienen. Auch Tonfäge zu weltlichen Liedern ſchrieb er und es wurden verjchiedene 
derſelben zwiſchen 1535 und 1540 in mehreren Sammlungen jener Zeit gedrudt.? 
Als 1549 und 1550 das Interim in Straßburg eingeführt wurde und die evan- 
geliſchen Prediger zurüdtreten mußten, da wurde aud Gr. um Amt und Brot 
bange. Zıvar berubigte ihn der Magiftrat durd einen Erlaß vom 13. Januar 
1550 wegen Fortbezug feiner VBefoldung, gleichwohl hielt er ſich nun wieder zu der 
Katholiten umd Half ihnen bei der Meſſe im Münfter mufizieren. Am 20. Dezember 
1552 farb er an der Peft. — Daß die Melodien zu feinen Pfalmliedern in Straf 
burg ausgegangen find, ift als fiher anzunehmen; allein, ob fie don Greiter erfunden, 
oder aber älteren deutſchen Urfprungs find, läßt fih nad dem jegigen Stande der 
Forfhung mit irgendwelcher Sicherheit weder behaupten mod, beftreiten.?) 





») Sein Name wird auch Greitter, unrichtig aber Greter geſchrieben, vgl. Rittelmever, 
Die evang. Kirenliederdiiter des Elfah. 1855. ©. 15. Au der Borname fonmt in ver- 
ſchiedenen Formen vor, vgl, Monateh. für Mufitgeigiäte. 1874. ©. 82. 

?) Liedfüße von Gr. bei Eprif. Egenolfi, Gaffenhawerfin x. 1535. Nr. 7. 15. 16. Forfer, 
Anebund x. IL. Teil. 1540, Nr. 24, und in Peter Scöffers „Fünf und fehgig teutfdjer Lierer 
x. 1536. Nr. 50. 02. 64. Zwei diefer weltlichen Lieder Greiters finden fih unter den mes 
fimmigen aften Gefängen, die I. I. Maier dem Nachirag zu v. Silienerons, Die hiferiifen 
Boltslieder der Deutfiien, Leipzig 1869, beigepeben fat. 

2) Nittelmeyer, a. a. D. ©. 16, meint: „Die Melodien zu dieſen acht Liedern find mehr 
ſqeinlich aud von Greiter tomponiert;“ Ext, Ch. B. 1803. ©. 258 fagt mr: „Mel. („L 
Wienſch beein“) vielleigt von Matthäus Greiter" — chenfo fpriht Döring, Chorattunz 
1605, ©. 38 von ihm als dem „angebliden Komponiften“ diefer Delodie. 





Anguft Eduard Grell. 517 


Grell, Auguft Eduard, Direktor der Singafadenie, Königliche Mufikdireltor 
and Profeſſor der Mufil an der Atademie der Künſte in Berlin, ift am 6. Novbr. 
15001) zu Berlin als der Sohn des Organiften und GHlöcners der Parochialkirche 
und Geh. Regiftraturfetretäre bei der Stadttämmerei dafelbft geboren und zeigte " 
von frühe am bedeutendes muſikaliſches Talent. Er bejuchte das Gymnaſium zum 
grauen Klofter, wo er and Mufikunterricht erhielt, und machte fpäter noch weitere 
muffalifhe Studien namentlich unter Zelters Yeitung. Schon 1817 wurde er Orga: 
nift an der Nitolaitirche und trat Bald darauf auch in die Singafademie ein, in der 
er nachgehends eine fo bedeutende Wirkfamteit entfalten follte. 1839 wurde er Hof- 
und Domorganift, 1841 Mitglied der Afademie der Künſte; 1843 —1845 war er 
Lehrer beim Domdor, bei deffen Gründung er weſentlich mitgewvirkt hatte, 1841 
bis 1854 Geſanglehrer am grauen Kloſter. Weiter war er nod) als Lehrer thätig 
am der Muſilſchule der Akademie, deren Senatemitglied er 1852 wurde, und an 
dem Königl. Inſtitut für Kirdenmufit. 1853 wählte ihn nad Rungenhagens Tode 
die Singafademie zu ihrem Dirigenten, nachdem er ſchon längere Zeit als Bicedirigent 
fungiert hatte; und feiner energifchen umd einſichtigen Leitung gelang es, dieſes be- 
vühunte Inftitut raſch zu ſchöner Peiftungefähigteit zu erheben. Noch als junger 
Mann war er zum Königl. Muſitdirektor ernannt worden und 1858 erhielt ex den 
Titel eines Königl. Profeffors. Am 29. Mai 1877 feierte er das GOjährige Ju- 
biläum feines Eintritts in die Singafademie. — Grell Hat eine ziemliche Anzahl 
tirchlichet Chorwerke jeden Umfangs, von der Heinen ein- und zweiftimmigen Motette 
an aufwärts Dis zu feiner T6ftimmigen großen Mefje‘) im a cappella-Stite gefhrieben 
und zeigt ſich im all diefen Werfen als Konteapunttift von außerordentlicher Gewandt- 
heit, der fih im älteren Kirchenſtil mit formelle Sicherheit bewegt. Ex wird darum 
von einer Seite als derjenige gerühwt, der „in der heutigen, durch die Inftrumentale 
mufit fo forrumpierten Zeit uns den Weg zur ächten Volalität wieder gezeigt habe, 
wobei ihm fein überreihes Talent geftattete, mit Werken von vollendetfter Schönheit 
uns als leuchtendes Beifpiel auf diefem Wege voranzugehen.“?) Dabei bleibt nur 
zu erinnern, daß Grell bei feiner archaiſierenden Rihtung „den Ausdrud, die 
Empfindung mehr zurüdtreten laſſen mußte," als dies dem modernen Mufiler, auch 
dem modernen Kirchenmuſiker geftattet werden kann,“) und daß der von ihm ein: 


') Die Angabe bei Fötis, Biogr. des Music. IV, &. 98, dafı Grell 1799 geboren fei, 
in falfh. 

*) Bol. die ausführliche Veſprechung diefes großen Werfes von H. Bellermann, Allg. 
mufit. Ztg. 1871. Nr. 10-15, 

*) &o ſchrieb 9. Bellermann, a. a. D. Ar. 15. S. 280. Er if einer der eifrigflen 
Schüler ©.6, doch Haben aud) einige andre jüngere Berliner Komponiflen — wie 3.8. Suco, 
Pati u. a. — Kirhenfüce nach deifen Vorbild gefäiriehen. 

+) Bol. den Veriät ©. Engels, Boff. Zig. vom 11. Fehr. 1871, bei Gelegenheit einer 
Aufführung der 16. Meffe. — Otto Gumpredt äußerte id) bei derfelben Veranfaffung in der 
Rationafztg. in äfnfigem Sinne. 


518 Heinrich Grimm. 


genommene Standpunkt, dem nur Die unbegleitete Chormufil als einzig rmahre 
Kirhenmufit gilt, und den Männer wie Thibaut, v. Winterfeld, v. Tuer u. a. 
mit Erfolg verteeten haben, dem auch der Berliner Domchor feine Entftehung ver 
dantt, nicht der evangelifch”proteftantifche, fondern ein romantife-fatholifierender ift — 
Grelis Kirchenwerte find: 


Op. 3. Veni sancte spiritus für 4 Mftn. Berlin, Trautwein. Op. 5. 
Liturg. Chöre für 4 Mn. Daj. — Op. 7. Refponf. für 6 Stn. a capp. 
gevi enm. — Op. 9. Salve Regina für 5 Frauenftn. a capp. Daj. — 

Op. 11. Pfingffied für 5 Solo: u. 4 Chorfin. Berlin, Guten. — = 9. 
13. 3 funge und. leichte Motetten für 4 Stn. u. Org. Dal. — 
Geiftl. Lied für 4 Stn. u. Org. Leipzig, Memm. — Op. 18. Pr fin 
die Toten. Für 4 Solo: und 4 Chorftn. Berlin, Guttentg. — Op. 19. 
Der Here ift mein Hirte. Für 5 Solo- u. 4 Chorftn. mit Org. Daf. — 
Op. 20. Motette für 4 Stn. Berlin, Trautwein. — Op. 22. 2 Meotetten 
für 8 Stu. Berlin, Gutteutag. — Op. 26. Barmherzig und gnädig. Für 4 
Stn. u. HM. Och. Dal. — Op. 27. Der 95. Plnlm. Für Chor u. Orb. 
Dof. — Op. 32. 5 feet. Kirhengefänge. Dal. — Op. 33. Evangel. 
Feftgraduale. 11 fehsft. Motetten. 3 Hefte. Dal. — Op. 34. 3 vierftinmige 
Motetten. Daſ. — Op. 35. 33 vierft. Motetten. 6 Hefte. Daſ. — Op. 36. 
12 Heine Motetten für 4 Diftn. Daf. — Op. 38. Tedeum für Soloftr., 
Chor u, Orh. Berlin, Bahn. — 36 leiht ausführh. liturg. Chorfäge u. 
Antworten für 4 Min. Berlin, W. Müller. — 23 einftimmige Motetten. 
Neu:Ruppin, Petrenz. — Der 84. Bfalm. Für gem. Chor, Soloftn. m. Oxg. 
Daf. — Der 121. Bahn. Fir gem. Chor, Suloftn. u. Org. Def. — 2 Heine 
Motetten für 2 Frauene oder Knabenfin. mit Org. Berlin, Trautwein. — 
Palm 128, einftimmig für Knaben: oder Frauender, mit Org. Dai. 
20 Motetten für jede Zeit. Für 3 Mſtn. Neu-Ruppin, Petrenz. — 3 leichte 
vierft. Motetten. Berlin, Trautwein. — Der 133. Bahn für 4 Mſtu. Dei. 
— Der 51. Palm für 2 © 3 U. 4 T. 3 B. Berlin, Bote & Bod. — 
Der 90. Blalm für 2 S. 24. 2 T. 2 8. Dal. — Der 130. Palm für 
2 S. 24 2 T. 28. Daſ. — Missa soleinnis senis denis vocibus 
decantanda etc. Berlin 1863, Bote & B. Part. 237 fi 
Choralmelodien für Männerdjöre bearbeitet. Berlin, Dehmigte. — Einige 
Hefte Orgelftüde. — Op. 58. Motette für vierft. Mdor. mit Orgel. Leip. 
Sulzer. — Op. 59. Sprud) für 5ft. gem. Chor mit Streih-Orh. Daf. — 
Op. 60. 12 geiftl. Lieder für gem. tn. 2 Hite. Da. — Op. 67. Der 
21. Palm für at. Chor a cappella. Daf. — Op. 69. Kurze und feist 
ausführb. Meffe für 4 gem. Stn. Leip., Siegel. 











Grimm, Henrich, nad) Matthefons Zeugnis!) ein „weitberühmter Kanter,“ 
von dem noch eine Anzahl Kirhenkompofitionen vorhanden find, und der ſich aufer 
dem auch als mufit-pädagogifcher Schriftfteller Gethätigte. Er war 1592 oder 1593 
geboren und hielt fi um 1607 als Schüler des Michael Prätorius zu Wolfen 


1) Bol. Deffen Ehrenpforte 1740 ©. 90. Jeroel, Die muſital. Schate der Gymnafict 
Bibtiorßet und der Petersfire zu Granffurt a. M. 1972. ©. 42. 


Heinrich Grimm. 519 


hüttel auf.) GIY verheiratete er fih zu Magdeburg mit Martha Brandefin, und 
es iſt daher anzunehmen, daß er Furz vorher eine fete Anftellung als Kantor in 
dieſer Stadt erhalten Haben werde. Hier ſchrieb er von 1624 an zunächft mehrere 
Schriften für den Muſilunterricht in feiner Schule,?) beihäftigte ſich auch fonft mit 
der Muſitwiſſenſchaft, und wechſelte einſchlagige Briefe mit Baryphonus.?) Daneben 
aber Tomponierte er bis 1630 eine Anzahl Kirhenmufitwerke (Lieder, Motetten, 
Meſſen, eine Paffionsmufil), die er teils in felbftändigen Ausgaben edierte, teils in 
Sammlungen feiner Zeit erfheinen ließ. Als dann 1631 die furchtbare Belagerung 
und Zerftörung über die Stadt Magdeburg hereinbrah, ſah er fid genötigt zu 
flichen und wandte fih nach Braunfhweig,‘) wo er als Kanter an der St. Katha- 
tinenfirhe und Schule eine zweite Anftellung fand. In Braunſchweig, das vielleicht 
feine Baterftadt war, jtarb er am 10. Juli 1637.) — Bon feinen Werken find 
hier zu verzeichnen: 
1. Psalmorum Melodiae, ae simplices contrapuneti formam qua- 
tuor vocibus eoneinnata per Henricum Grimmium, Schol. Magdeb. 
Cantorem. Magdeb. 1624. Es find 42 vierft. Choräle zu der (ateinifchen 
Überfegung der Bederfhen Pſalmen von Valentin Cremcovius; fie befinden ſich 
als Anhang in deifen „Cithara Davidica Luthero-Becceriana“ 1624. — 
2. Missae aliquot 5 et 6 voc. Una cum Psalmis nonnullis Ger- 
manieis ete. Magdeb. 1628. 10 Stüde enthaltend. — 3. Paſſion deutſch 
Gefangsweife mit + Stimmen x. Magdeb. 1629. — 4. Vestibulum Hor- 
tuli Harmonici saeri ete. Braunichweig 1643. 20 Motetten meift für 
2 Tenöre und Baß enthaltend. Dieſes nachgelafiene Wert Grimms wurde von 
feinem Sohne Herausgegeben. — 5. 8 weitere jeiner Kirchenſtüde erichienen in 
Sammlungen (Prätorius, Mus. Sion, 1607. V. 1 N r., Fascitulus Geiſtl. 
mohltling. Konzerten sc. Nordhaufen (Goslar) 1638. I. 3 Ren. I. 2 Nrn., 
Viridarium Musicum oder Mufifaifhes Luftgärtlein x. Schwäbiſch Hall. 
1672. 2 Ren.) — 6. Noch üt in einem Sammelbande einzelner Lieddrucke, 
der als ein Teil der berühmten Meufebah’igen Sammlung in die Königl 
Bibt. in Berlin fm, von Grimm enthalten: „Auf meinen lieben Gott“ 
') Dies folgt aus Prätoriuſ, Mus. Sion. 1610. V. Nr. 2, „Das alte Jahr if mm 
vergahn,“ das überfcirieben if: Henr Grimm. diseip. mei, pueri 14. amor. ete. 

2) Bol. Matthefon, Belhügtes Org. 1717. ©. 345. Walther, Mufit. Rep. 1732. Gerber, 
Neues Fer. IL. ©. all. 

3) Bgl. Wertmeifter, Hodogus mus. math. curios. 1687. ©. 127, wo zugleich bemerft 
f, daß Grimm aud die „Plejades musicae“ des Barypfenus neu heransg. (Magdeb. 1630). 

9) Dot. Matthefon, Ehrenpforte a. a. O. Grimm bradite auch feinen Schüler Otto Gibel 
it, der dan von ihm „auf der Katharinenfhufe in den Lehrfügen der tehnifden und pralti- 
gen Mufit beflermapen angeführet worden.” Bgl. den Art. „Bibel.“ 

>) Nicht „18. Juli 1637 wie Becker, Die Choralſammlgn. 1843. S. 89. Fétis, Biogr. 
wniv. IV. S. 112, Citner, Bergeinis neuer Ausg. 1871. ©. 104 angeben. 

) Bat. Citner, Bibliogr. der Wufitfommmelwerle 1877. 8.250. 281. 290 u. 616. 2 Stüde 
drimms „Gloria in excelsis“ D-dur. 5A. u. „Kyrie und Gloria“ öf. ind neugebrudt bei 
tohlig, Sammlung II. S. 130 und Leder, Lieder und Weifen ıc. Heft 1. 
























520 Ioh. Dan. Grimm. Grob-. Groß-. 


a 4 voc. zum Begräbnis der Frau des dortigen Schulreltors, dat. 15. Juli 

1625. Gedrudt: Magdeburg, bei A. Begel.!) 

Grimm, Johann Daniel, ein um den Choralgefang der Brüdergemeinde ver: 
dienter Mann, war am 5, Dftober 1719 zu Stralfund geboren und erhielt von 
feinem Vater, der al Stadtmufikus dafelbft lebte, von früher Sugend an gründlichen 
Unterrit in der Mufil. Nachdem er von 1742 an zu Kiftein als Mufiftchrer 
thätig geweſen war, ging er 1747 nad; Herruhut und wurde daſelbſt in die Brüder: 
gemeine aufgenommen. 1748 fam er dann als Muflfdireltor am die Gemeinde 
DMarienborn und 1750 als folder an die zu Großhennersdorf, wo er am 22. Aug. 
1760 ftarh. — As 1753—1757 das fogen. Große Londoner GB. („Alt um 
Neuer Brüdergefang*) erſchien, ſammelte er unter Beihilfe Molthero, Frantes 
Sälicts und Chriftian Gregors die Choralmelodien zu demſelben. Diefe Samm 
tung befindet fih als „Driginalhoratbud der Brüderunität” handſchriftlich im Ardiv 
zu derrnhut; fie enthält 573 Melodien-Arten und ift die Grundlage des von Chrift. 
Gregor 1784 beſorgien erſten gedrudten Ch.-®. der Brüdergemeine. 


Grob⸗, ein Veiwort der älteren Drgelbauer, mit dem fie folde einzelne 
Stimmen einer beſtimmten Stimmgattung der Drgel zu bezeichnen liebten, denen 
eine befonders weite Menfur eigen war. So war z. B. in der Drgel der Panliner 
Kirdie zu Leipzig, die der Orgelbauer Scheibe 1715 erbaut und Seh. Bach abge: 
nommen Hat, dem „Grobgedadt 8" im Bruſtwert ausdrüdih die Notiz „weiter 
DMenfur” beigefügt. Dgl. Spitta, Bad I. ©. 621. I. ©. 118. Der Ausdrud 
„Grob“ in diefer Hinſicht wird öfters mit dem „Groß“ (vgl. den Art.) der älteren 
Drgelbauer fonfundiert, und kommt mit demfelben zwar annähernd, aber nicht ganz 
überein, da er ſich mehr auf die Menfur, der lettere aber mehr auf die Tongröge 
begieht. Adlung, Mus. mech. org. I. &. 99 meint daher mit Bezug auf Gr 
dadt 8°, daß dasfelbe „wenn die Menſur und der Auflhnitt weit, der Klang aber 
pompicht ift,“ Grobgedadt genannt werde. Weitere Stimmen mit dem Beifat 
„Grob“ waren z.B. Grobegmbel, Grobregal, Grobe Mirtur (vgl. Adlung, a. a. O. 
©. 114 u. 78). Grober Bofaunenunterfag u. a. 


Groß-, als Beiwort wurde von den äfteren Orgelbauern in mehrfacher Beil, 
am meiften mit Bezug auf die Tongröge?) der Orgelftimmen angewendet. Wurden 
3. B. in größeren Werfen Stimmen von doppelter Tongröße als der ihnen umter 





‚„Welttice und geiffice Gelegenfeitsgefänge” x. von Fr. Chrvſander. Allges. 
mufit, Zeitg. 1869. ©. 100. 

2) Der Ausdrud if alſo doch nit ganz fünonym mit „Grob“ (gl. den Art}, wir 
Säiling, Muf. Ler. II. ©. 367, und Mendel, Muſ. Lex. IV: &. 388 u. 393, wollen um 
wie ihn die älteren Orgelbauer da umd dort auch von der Menfur gebrauchen. „Dauptmanae 
von großen und gravitätilgen Menfuren“ bei Silbermann, Arauenliche, Dresden; „das IL 
Mavier zum Bruftwert foll haben 10 gravitätifdie oder große Stimmen“ bei Gabler, Weis 
garten. . 


Ih. Hein. Große. Großer Prophete, mein Herze begehret. 54 


gewöhnlihen Verhältniſſen eignenden gefeßt, fo erhielten fie den Beinamen Große: 
Rohrflöte 8° hieß mit 16° Tongröße Groß-Rofeflöte; Schweizerpfeife, Hohlflöte, 
Kegal, Schwiegel u. dpl., die gewöhnlich im 4ußton vorlamen, hießen mit SFuß- 
ton Groß · Schweizerpfeiff, Groß-Hohfflöte u. ſ. w. — Ferner hieß ein 16fügiges 
Prinzipal gegenüber dem YAqualprinzipal 8° Grog-Brinzipal und die Ottave 8° 
dazu Groß⸗ Oktav; und ein Wert, das im Hauptmanual ein foldes Prinzipal 
16° Hatte, nannte man Groß-Prinzipalwert oder Ganzwert (vgl. den Art.). 
„AS wenn“ — fo meint Prätorius, Synt. mus. II. ©. 105. — „ein Orgel- 
wert im Manual ein Prinzipal von 16 Fuß Thon, und eine Oftava von 8 Fuß 
Thon Hat: fo wird es ein groß Prinzipal Werk genennet; bey den Alten aber ifts 
ein gang Werd genennet worden.“ — Noch nannte man in den älteften Werfen 
Große Mirtur den ganzen zuſammen erflingenden Hinterfag, der noch nicht in 
einzelne Regifter abgeteilt war und von dem man nur erft eine Reihe Profpettpfeifen 
als Präftant ausgefhieden Hatte; fpäter übertrug man dann diefen Namen auf 
die immer nod großen 10 —20fach befegten Mirturen. Vgl. Matthefon, Ephorus 
1727. ©. 51. 

Große, Johann Heinrich, Rektor adj. und Organift bei der St. Georgenlirche 
zu Glaucha vor Halle gab 1798 die füntlihen Melodien des Freylinghaufenfgen 
G.B. — 609 an der Zahl — in einem befondern Mbdrut unter dem Titel 
heraus: 

Melodeyen fowohl alter als neuer Lieder, welde bey dem öffentlichen Gottes: 
dienft pflegen gebraudt zu werden, durchſehen und verbeifert von. . Halle, 

im Verlag des Waifenhaufes (1798). Ki. Quer 40. 2 Bl. Vorwort; 1 Bl. 

Inhalt; 440 S. 609 Mel. mit beifferten Bäffen; 32 S. Regifter. 

Großer Prophete, mein Herze begehret, Choral. Joachim Neander, der 
Dichter des Liedes gab demfelben „Bundeslieder x.” 4. Ausg. Frautfurt 1689. 
©. 138 eine von ihm fomponierte Melodie Gei, die jedoch feinen Eingang fand, 
obwohl das Shügeihe ©.B. Halle 1697. S. 509 auch das Lied „Ich Hilf 
fiegen” auf diefelbe verweift; für Iepteres Lied brachte dann das Damit, G. B. 
1698 (neue Aufl. des Halleſchen G.B. 1697) die eigene Melodie „Iefu Hilf fiegen,“ 
vgl. den Art. — Cine neue Melodie zu „Großer Prophete“ erſchien im Frepling- 
hauſenſchen G.⸗B. 1704, Nr. 55, die dem Liede geblieben if; fie Heißt im Original 
bei Freylinghauſen, GB. Gefamt-Ausg. 1741. Nr. 118. ©. 73, und in ihrer 
jetst übligen Form 3. B. bei Iatob u. Richter, Ch. I. Nr. 135. ©. 12: 


== —— — — 
— — Fee Pe ars = =| 
{and Bro. phestel mein Hereje bergeh - vet vom die im 
Du aus des Barters Schoß zu uns ge = fh - u haft 









































— Ze fe 
ee — = 


























522 Karl Grothe. Bernhard Grüneberg. 








I me u 





LS: 


wen-dig ge- feh- vet zu fein; R . 
haevel ie du ud DH Kin du Haft ale Min- ler den Teufel ie 















































Grothe, Kart, Orgelvirtuos der Gegenwart, der am 6. Dezbr. 1855 als der 
Sohn eines Kreisgerichtsbeamten zu Querfurt in Thüringen geb. wurde. Im feinem 
fiebenten Lebensiahre hatte er das Unglück infolge einer heftigen Erfältung zu er 
blinden — fehend ging er zu Bette, blind ftand er auf! Unter der Leitung Fr. W. 
Scrings in Barby widmete er fih dem Studium des Orgelfpiels; fpäter ging er nnd 
Berlin, wo Julius Schneider und A. Haupt im König. Inftitut für Kirchenmuſi 





feine weitere Ausbildung frderten und vollendeten. Au Pfingften 1873 trat er zuerit 
in Merfeburg unter der Hgide D. H. Engels als Orgelvirtuos mit großem Erfolg 
auf; ſeitdem hat er im vielen Städten Nord: und Mitteldeutſchlands Orgelfonzerte 
gegeben und überall feinen guten Ruf bewährt. Namentlich Bade Werke fpielt er 
mit Begeifterung und Vollendung. 


Grüneberg, Bernhard, Inhaber einer Orgelbauanſtalt in Stettin. Die Bor 
fahren desfelben Getrieben ſchon feit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts den 
Drgelbau zu Magdeburg; 1783 fam fein Großvater, Georg Friedrich Grüne 
berg nad; Stettin und begründete hier ein Geſchäft, das im Jahr 1817 an jei 
men Sohn, den Vater des jegigen Inhabers überging, der es bis zu feinem 
Tod im Jahr 1837 betrieb. Da der Sohn damals erft neun Jahre alt war, 
mußte das Gefhäft nun für einige Zeit ruhen. B. Grüneberg erlernte die Orgel- 
baufunft 1843— 1847 in der Werfftätte feines Verwandten, des befannten Drgel 
bauers Buchholz in Berlin, arbeitete dann bei Walder in Ludwigsburg, ſpäter längere 
Zeit in Frantreich, der Schweiz und in Salzburg, von wo er 1855 nad; Stettin 
zurüdtehete, um hier das väterliche Geſchäft wieder aufzunehmen. Die fogenannten 
Knopfladen wurden von Grüneberg zuerft angefertigt und demſelben 1855 patentiert; 
fie waren von Anfang an nur für Meinere Werke beredinet, erwieſen ſich jedoch aus 
bei Diefen wegen der mie ganz zu vermeidenden Bewegung des Holzes (Quellen und 
Schwinden) niht als prattifh. — Von den 140 Orgelwerten, die von Gruneberg 
befonders für Pommern und die benachbarten Provinzen, zum Teil auch für des 
Ausland gebaut wurden, führen wir an: 


Adam Gumpelhhaimer. 523 


1. Die Orgel der Iatobitiche zu Stettin. 1868—1870. 58 M. Stu. 
3 Dan. u. Bed. 3550 Pfeifen. — 2, Die Orgel der Staditirche zu Demmin, 
52 M. Ctn. 4 Dan. u. Bed. — 3. Die Drgel der Schloßfirhe zu Neu» 
firelig. 1860. 16 M. Sin. — 4. Die Orgel der Schloßfirde zu Stettin. 
. 23 HM. Stn. 2 Man. u. Bed. — 5. Die Orgel der fath. Kirche zu 

Neuftrelig. 1878, 

Gumpelghaimer, Adam, ein treffliher Tonfeger der deutſchen, venetianiſch 
gebildeten Schule, wor 1559 zu Troflberg in Oberbayern geboren und erhielt feine 
erite muſtaliſche Bildung zu Dettingen. Später ging er nad Hugsburg, wo der 
Mag. Dodolus Engenmüller als fein Lehrer genannt wird. Won 1575 an fand cr 
einige Zeit im Dienfte des Herzogs von Württemberg, dann fam er nad Augsburg 
zurüd, wo er von 1581 an als Kantor der Schule und Kirche St. Anna und 1601 
auch als „Civis Augustanus“ erfheint. 1622 wurde fein Bild geſtochen, auf 
dent fein Alter mit 63 Jahren angegeben ift und 1625 farb er zu Augsburg. — 
G. verdanft „feine höhere Bildung offenbar den Benezianern.” ande feiner Stüde 
zeigen den ausgebildetften Venezianifcien Stil, die Harmonie ift voll Ausweihungen 
umd Übergänge, weldje ſchon zur modernen Tonalität einlenfen; — die Bewegung im 
gleihen Kontrapunkt, die wiederholten Epifoden im ungeraden Takt: alles deutet auf 
genaue Belanntfhaft mit der Art und den Arbeiten Johannes Gabrielis.“ Cr ift 
„mit Galus geiflig verwandt, aber in der Handhabung der Harmonie entfhieden 
geiftreicher, mannigfaltiger und räftiger."') Yon feinen Kirchenwertken find noch belannt : 

Newe teutfce geiſtliche Lieder mit 3 und 4 Stimmen. 1591 u. 

1592. — Puftgärtleim teutih und lateiniſcher Lieder von 3 Stimmen. 

2 Te. 1591. 1611. — Würtzgärtlein vierſtimmiger geiftlicer Lieder. 

2 Ze. 1594. 1619. — Psalmus LI. Miserere mei Deus. Octo 











vocum 1604. — Partitio sacrorum concentuum oetonis vo- 
eibus modulandorum cum duplici basso in organorum usum. 2 Te. 
1614. 1619. — 10 geiftlige Lieder mit vier Stimmen. 1617. — 


2 geiftlie Lieder mit vier Stimmen. — 5 geiftlie Fieder mit vier 
Stimmen von der Himmelfahrt Iefu Chrifti. — Eine größere Anzahl deutſcher 
und (ateiniffer Gefänge feiner Kompofition enthält außerdem nad) fein „Com- 
pendium musicae,“?) einzelne Stüde aud die großen Sammelwerle feiner 
Zeit von Bodenfhag, Schadarus und Vingius®) und verihiedene feiner Werke 
Hat die Gegenwart durd) Neudrude wieder zugänglich gemadt.‘) 


H Bol. Ambros, Geſch der Mufit, DIL. &, 559. Mettenleiter, Muſitgeſch. der Stadt 
Regensburg. 1886. ©. 35. Israel, Mufit. Shäge des Gymnafiatbibl. zu Frankfurt a. M. 
1872. ©. 48. 

9) Über dies einſt vielgebraudte theoretifdie Wert Gis vol. Monateh. für Mufitgeih. 
1873. ©. 189. 190, 

>) Byt. Citner, Bibfiogr. der Dufil- Sammelwerle des 10. und 17. Jabrh. 1877 
5. 615. 616, 

9) Ba. v. Winterfeld, Ev. 8Gef. 1. Notenbeilp. S. 159-161. 3 Rn, — Musica 
aers · Berlin, Bote u. 8. XI 87. 91. 03. 95. 97. XI 53. — Scüberlein u. Niege, 
5a I. Rr. 33. III. Nr. 385. 422. 5620. 613, — Lefhner, Geifl. Mufit. Yeipg,, Siegel. 
Set L.R. 3.8.8.9. W. Mm 2. Sauna. 





524 Friedrich Hans. 


9. 

Haas, Friedrih, der bedeutendfte ſchweizeriſche Orgelbauer der neueren Zeit, 
iſt am 10. Februar 1811 zu Klein-Laufendurg im Amt Südingen in Baden ge 
boren. Ex erlernte zunächft 1825—1829 den handwerkömäßigen Teil feiner Kunft 
bei der badiſchen Orgelbauerfamilie Scharel, indem er abwechſelnd beim Vater der 
felben in Herboloheim und Deffen beiden Söhnen, Mattheus Scharel in Freiburg 
i. Br. und Doſeph Scharel zu Benfeld im Eljag arbeitete. 1829 entihlog er ſich 
nad; den Nicderlanden zu gehen, weil er gehört hatte, daß dort beſonders große und 
ſchöne Orgelwerle ftehen; allein unterwegs in Mannheim riet man im, fih an 
Balder in Ludwigsburg zu wenden, der eben die große Orgel der Paulstirche zu 
Frankfurt a. M. baute. Im Frühling 1830 trat er im deſſen Werkftätte ein und 
fand hier die erwünſchte Gelegenheit, fich auch im Künftlerifchen Teil des Orgelbaus 
volftändig auszubilden. 1835 in feine Heimat zurüdgeehrt, gründete Haas ein 
eigenes Geſchaft, mit dem er jedoch bald nad der Schweiz überfiedelte, wo er fid 
nad; mehrfach wechſelndem Aufenthalt ſchließlich definitiv in Luzern niederlich, deſſ— 
Ehrenbürger er 1862 wurde. Sein Geſchäft betrieb er in refflicher Weiſe bis 1866, 
um es dann feinem tügtigen Mitarbeiter Friedrich Goll (vgl. den Art.) abzutreten, der 
er jedoch veranlaßte, noch zwei Jahre nach Paris zu gehen und dort namentlich den Ban 
der feineren Zungenftimmen fennen zu lernen. Während diefer Zeit führte Haas des 
Geſchäft für Goll fort und zog ſich erft 1868 vollftändig ins Privatleben zurüd. — 
Aus Haas Werkftätte find im ganzen 1d neue Orgelwerle und darunter die dei 
bedeutendften, welche die Schweiz gegemvärtig befigt (Bern, Baſel, Luzern), Hermer- 
gegangen; außerdem hat er nod c. 20 mehr oder weniger eingreifende Reparaır 
bauten ausgeführt, von denen die Reparatur der Orgel der Nitolaifiche zu Freiberg 
im üchtland deswegen genanut zu werden verdient, weil dieſe Orgel ihre Berühmt 
heit eigentlich weniger ihrem urſprünglichen Erbauer, Moſer (vgl. den Art.), als 
vielmehr unſrem Meifter verdankt, der fie 1852 auffriſchte und durd drei nere 
Zungenftimmen (Fagott- Klarinette 8, Physharmonifa 8° und 16°) erweiterte, derem 
feine Wirkung ſeitdem vom reifenden Publikum vor allem bewundert wird. — Tie 
größeren Haas jchen Werte find: 

1. Die Orgel zu Neumünfter. 1841. 36 fl. Stn. 3 Man. Bed. — 

2. Die Orgel der Ctadttiche zu Winterthur. 1843. 45 Hl. Stm. 3 Man. v. 

Bed. (auf deren Orgelbanf feiner Zeit Theodor Kirchner u. Hermann Gög ds 

Drganiften faßen). — 3. Die Orgel der Kirche zu Zofingen. 184 je 

Stu. 3 Man. Bed. — 4. Die Orgel des Münfters zu Bern. 184 

Sin. 4 Man. Ped. — 5. Die Orgel der Kirche zu Lenzburg. 185: 

tl. Stu. 2 Man. Ped. — 6. Die Orgel im Münſter zu Bajel. 185 

ft. Stu. 4 Man. Bed. — 7. Die Orgel der kath. Haupttirche zu Yun 

1862. 70 H. Stu. 4 Man. Bed. — Über die von Haas gemachten Erin 

dungen und Berbefjerungen im Orgelbau, wie: verbeſſerte Denfuren und Kom 

















Ioh. Eruſt Hähnel. Cheodor Hahn. Hahn. Hahnenlade. 525 


fruftion der Zungenftimmen, eine ernenerte Springlade, eine Windlade mit 
verjgjiedener Winddigte, einen Rollſchweller, verbeſſerte Kollektivzige und Tret- 
ineichtung findet fid) Näheres bei Töpfer, Lehrbuh der Orgelbaufunft. Weimar. 
©. 973—1009. Bol. and) Wangemann, Geld. der Orgel. Demmin. 
31 ©. 318 u. ©. 318-320. 








Hähnel, Johann Ernſt, ein tüchtiger Orgelbauer, der im der erften Hälfte 
"s vorigen Sahrhunderts, etwa don 1730 an zu Dresden baute, wo er den Titel 
ines fähfifhen Hoforgelbauers erhielt. Bon feinen Werfen kennt man noch: die 
Irgel zu Oſchat mit 31 Stn., die Orgel zu Kadiz; ein von ihm erfundenes Cem- 
yal d'amour beſchreibt Adlung, Mus. mech. org. Bd. IT. S. 126. — Später 
ieh ſich Hähnel, den Brest. Nochr. von Org. ©. 76 zufolge in Hubertsburg nieder, 
00 er dann geitorben ift, ohme daß jedod) die Zeit jeines Todes nod befannt wäre. 


Hahn, Theodor, war am 3. September 1809 zu Dobers in Schleſien geboren 
md erhielt feinen erften Unterricht im Klaviere und Drgelfpiel zu Schmiedeberg. 
Später wurde er Schüler Rinds und Gottfried Webers in Darmftadt und von 1828 
m fudierte er mod; bei Bernhard Sein und Zelter in Berlin. Nach beendigten 
Studien blieb er als Gefanglehrer in Berlin, wurde zugleich Organift an der Petri 
ine und 1840 noch Gefanglehrer an der königl. Operngeſangſchule. As folder 
hrb er am 21. Dezbr. 1864, — Bon feinen Werfen find hier zu verzeichnen: 
12 feihte Orgefftüide. Op. 1. Mainz, Schott. 8 Orgelſtücke. Op. 4. 
Leipz Schuberth. 10 Orgelftüde. Berlin, Bote m. B. — Variationen Über ein 
Driginakthema für Orgel. Berlin, Trautwein. — Op. 8. Der 23. Pfaim für 
4 Wiſtn. mit Pf. Berlin, Bote u. 3. — Op. 11. Der 130. Palm für 
4 Stu. mit Pf. Berl, Outtentag. — Op. 14. Der 8. Palm für 4 Mitn. 
mit Pf. Berlin, Bote u. B. — Op. 15. Der 103. Palm für 4 Mſtu. mit 
®. Daj. — Op. 18. Der 100. Pfalm für 4 Min. mit Bf. Dal. — 
30 gifimine Choräfe für Schulen. Berlin. Daf. (2. Aufl. 63 Nrn. 3. Aufl. 

73 Nen.). 


Hahn, a) ein Teil der Mechauit der von Chriſtian Foerner erfundenen Wind- 
age in der Drgel, vgl. den Art. „Windwage;“ b) ein Negifterzug an der Orgel, 
& eine der früher befiebten Spielereien (vgl. den Art. „Blind“), einen an der 
yelfront angebrachten, geſchnihten dahn fo in Bewegung fete, daß er mit den 
gen ſhiug und Dreimal Füfte, zur Crinnerung an den Hafı der Ridensgeldiät, 
dang. Lukas, Kap. 22. Nach Schilling, Univ. Ler. II. S. 420 befand fie) ein 
Aher Hahn mod 1824 am der Orgel im Dom zu —* in Ativität, ſchlug 
ft den Flügeln umd krähte, was übrigens jemand, der in die Orgel geftellt war, 
ütefft einer Oboe beweriſtelligte, und wozu die Betgloce dreimal angefchlagen wurde. 


Hahnenlade, eine neue, don einem Orgelbauer Randebroof in Paderborn 
Fundene Orgelwindlade, die bei Wangemann, Geſch. der Orgel, ©. 421-423 


526 Halb- — Halbe Stimmen, Halbe Regifter. 


beſchrieben und durch Zeichnungen dargeftelt ift. Als neu und eigentümlich mir 
an derſelben den drei alten befannten Sadenfonftruftionen gegenfiber bezeichnet: „1. de 
Einrichtung, dag der Wind aus dem Windfaften direlt, d. 5. ohne jedes Zwiſcen 
Behältmis (fei 8 Cancelle, Windröhre) in die Windführungen deſp. Pfeifen it: 
2. die Verwendung einer fih horizontal hin- umd herbewegenden CSpielftange, ir 
welcher ſich die beweglichen Mecanitteile befinden und die Venupung der Iepterer 
in einer gewiffen Stellung zum Ofinen der Ventile; 3. die Verwendung einer eigen 
tümlicen Regiftermedjanit, welche durch in die Höhe gehen eines ihrer Teile die be 
weglicen DMedanikteile der Spielftange in eine foldie dage bringt, daß fie bei Be 
wegung der Spielflange die Ventile zu den Windzuführungen der Pfeifen öffnen.” — 
D5 diefe Hahnenlade wirtlich „die größte Errungenſchaft it, die die Orgelbanfant 
in diefem dahrhundert bis jebt aufzuweiſen Hat,“ wie a. a. D. als „Thatfahr“ 
Hingeftellt wird, das muß die Zeit Ichren. 


Halb- ein in der Sprache der Orgelbauer mehrfach vorlommender Terminus: 

Halbellig wird in älteren Schriften über die Orgel und ihren Bau, wo Eltig 
(vgl. den Art) für zweifüßig gebraucht ift, diefem Ausdruck analog für einfüßig 
gebraucht, alfo 3. B. Siffloet 1’ auch Siffloet halbellig genannt. Vgl. Adlung, Ar 
feitg. zur muf. Gel. 1758. ©. 378. 

Halbe Orgel oder Halbwerk nannte man in alter Zeit eine Orgel, die als 
Grundftimme ein Prinzipal 8° im Manual hatte wie Prätorius, Synt. mus. I. & 
105 erffärt: „wenn aber ein Orgehverl im Manual ein Prinzipal von 8 Fuß un 
ein Ottav von 4 Fuß Ton hat, wird es ein Äqual Brinzipal Wert, von den Alten 
aber ein Halb Werk genennet.” Vgl. auch Adlung, Mus. mech. org. 1. ©. 21 
und ©. 127. 

Halbe Stimmen, Halbe Negifter find folge Orgelftimmen, die nur durk 
das Halbe Klavier eines Werkes gehen und daher, je nachdem fie die beiden umtern 
oder Baßoltaven, oder die beiden obern, oder Disfantoftaven umfaſſen, als Bas 
und Diskantſtimmen oder Baß- und Diskantregifter bezeichnet werten. 
(Sol. Adlung, Anleitung zur muſilaliſchen Gelahrtheit. 1758. ©. 382 [.) De 
jedoch ſolche Halbe Stimmen das Spiel ſehr unangenehm beſchränlen, fo folten 
fie nur im Notfalle, wenn weder Geld noch Kaum für game Stimmen vorhanden 
f{nd, disponiert werden. Im deutſchen Orgelmerfen trifft man jet and mur nah 
wenige halbe Stimmen: in größeren gewöhnlih Fagott und Oboe $%, jenen al 
Ba, diefe als Distant, weil beider Tondaralter die Führung durchs ganze Marir 
nicht geftattet; in Meineren Werfen da und dort den Salben Kormett oder Die 
antkornett. — Zufammenflihrungen zweier tonverwandter Stimmen in der tiefer 
Dftave, die auch hieher zu ftellen find, kommen aud im deutſchen Orgelban ned je 
häufig vor, und follten mır da angewendet werden, wo «8 an Raum und Cd 
wirllich fehlt. — Die Parallelen oder Schleifen, die zu halben Stimmen gebranz 
werden nennen die Orgelbauer ebenfalls Halbe Parallelen, Halbe Schleifer 











Halbgedekte Stimmen, Halbgedackte. — Hallelnja, Alleluja. 527 


Halbgedete Stimmen, Haldgedadte heizen folde Orgelſtimmen, die 
zwar gededt find, deren Dedung aber durch in derſelben angebradite Röhren und 
Tonlöcher teilweife wieder aufgehoben wird. Rechnet man, wie dies neuerdings nad, 
Töpfers Vorgang meift geicieht, zu den Halbgedadten auch diejenigen Stimmen, 
deren Pfeifenförper die Form, eines abgefürzten Stegels haben, alfo nad) ihrer Diiln- 
dung zu ſich verengern, fo fann man folgende Arten don Halbgedadten untericeiden : 
1. foldhe, deren Dedung durch eine in der Mitte des Dedels angebrachte Röhre 
von beftimmter Menſur durchbrochen ift, — die Rohrflöten; 2. folde, deren aus 
einem wirflicen Dedel oder aus verfhicden geformten Auffägen beftehende Dedung 
durd) eine Anzahl Meiner Tonlöcher, die in den Auffaben oder im Korpus felbft au 
gebracht find, teilweiſe wieder aufgehoben wird; — dazu gehören vericiedene ältere 
Scnarrwerte; 3. folhe, die zwar feine eigentliche Dedung haben, deren Pfeife 
fürper ſich jedod mad der Mündung zw fo verengen, daß dadurch eine teifteife 
Dedung bewirft wird; folhe find: das Gemshorn, die Spipflöten, eine Art der 
Hohfflöte u. a. — Die Tonhöhe und Tonfarbe der Halbgededten Stimmen modificiert 
fih) je nach der Größe der Dedelöffnung, nad Anzahl, Größe und Lage der Tone 
ler in Korpus und Auffag derfelben, fowie der fonifden Geftaltung der Pfeifen 
Torper. Vgl. aud den Art. „Deden der Orgelpfeifen“ und die Art., in denen die 
einzelnen Halbgededten Stimmen beſchrieben find. 


Halbierte Windlade, vgl. den Art. 


Halbprinzipal hieß im der älteren Orgelbauerſprache das Prinzipal (Oftav) 
4° im Bergleih mit Prinzipal 8° oder Aqualpeinzipal, „weil es mur die Halbe Länge 
hat gegen Brinzipal 3." Mdlung, Mufif. Gelahrtheit. 1758. ©. 383. SPrätorius, 
Synt. mus. IL ©. 177. 


Halleluja, Alleluja. Diefes hebräiſche Wort (hallelu — Jah = lobet 
Jehovah Iaudate Dominum, lobet Gott) iſt gleich einigen andern Wörtern wie 
Amen, Selah, Hofianna müberfegt in die Inteinifhe und deutfce Bibel Gerüber 
genommen worden und von da in Die Kirchenſproche gefommen, wo 8 als Aırs- 
druck der höhften Freude dient.) — Die Juden nennen die 6 Palmen 113 
bis 118 dn8 große Hallel oder Halkelujah, das fie aljährtic am Paſſoh 





indfade". 





) „Quod ineflabile gaudium, Angelorum videlicet et hominum, significet potius 
quam exprimat.“ — „Dies der fateiniffen Sprache fremde Wort weifet hin auf das enge 
Gaftwnahf der Engel und Heiligen im Himmel, deren Geidäft darin Kefleht, den Herrn immer 
zu Toben und ofre Unterfaß das Wunder der Anffamung Gottes zu befingen. Cs ward aber 
dies Gebräifie Wort nicht ins Lateinifce Überfebt, damit wir an bie, dieſem Fehen mod nicht 
zufommende, fondern nod) fremde Freude und Thätigteit erinnert Würden.” Rupert v. Deuß, — 
Darum wurde and — wir Durandus-erzäfft, das H. in mangen Kirchen nur von Rnaben 
Rirmmen gefungen, wäßrend das Graduale die Grwadifenen fangen. Bpl. Kormmüller, der der 
firdpl. Tont. 1870. ©. 28 94. 





528 Halleluja, Altelnja. 


und Paubhlittenfeft fingen; von ihnen ging feine Verwendung im gottesdienſtlite 
Geſang nad Gregors d. Gr. Zeugnis an die chriſtliche Kirche Über. Im der Iati 
niſchen Kirche, in der es der Papſt Damafus (geft. 384) eingeführt Haben jcl, 
erhielt 68 aufer in der Dfterfeflzeit, wo es mit reicheren melodiſchen Tropen alt 
gewöhnlich; gefungen wird, feine ausgedehntefte Amvendung im Graduate (ngl. da 
Het.) in dem es, mit Ausnahme der Advents- und Faſtenzeit, in welder fir 
Halleluja in der Kirche laut werden foll, das ganze übrige Jahr vor und nad; der 
eingelnen Berjen gefungen wird; und mit mur an diefer Stelle, fondern audı ale 
Schluß der Pfalmen-Antipfonen, Verſitel und Reſponſorien fand das Halkeluje 
die mannigfachſie Verwendung. Frühe fon fam dann mod die Sitte auf, de 
lehte Silbe des Hallelnja durch ein längeres Melisma oder eine Neume ausyu 
zeichnen, die den Namen jubilus oder Cantus jubilus (gl. den Art. 
Bilation") erhielt, weil man die ganze Höhe der Feftftimmung ausdrüden wolle 
und dazu das Wort Halleluja zu durz fand.') As dies Schlußneuma des Hallelapa 
fpäter immer mehr verlängert wurde, fing man an demfelben einen eigenen Tert 
unterzulegen und fo entftand daraus die Sequenz (vgl. den Art.) — Auch die 
evangelifhe Kirche behielt in ihrem liturgiſchen Gefang das Halleluja in der Weit 
der mittelalterlichen Kirche als eine „der ganzen Kirche im Himmel und auf Erde 
einträchtige, ſtets währende Stimme und Vermahnung, Gott zu loben und ze 
preifen“ ¶ Braunſchweig · Wolfenb. . 1543. Oeſtr. K.O. 1571) bei; nur wer 
langen die Kirhenordnungen mehrfad, daß „die vielen Noten, die man pflegte hinter 
zu fingen“ (RD. für Dedlenb,, Wenden x. 1540) weggelaffen werden, und br 
ſtimmen, daß es vom Schülerhor (Luther, Form. Miss. 1523) in der Weife gr 
fungen werde, daß einzelne Knaben (die „Alelujajungen") das Hallelnja felbft, der 
ganze Chor aber den zugehörigen Vers ausführen.) Die evangelifdjen Agenden und 
Liturgiler der Neuzeit Haben dem Halleluja feine Stelle gelaffen und teilen es fant 
dem Spruch dem Chor, oder bald ohne, bald mit Gemeindefied, der Gemeinde zu) 
die es auch durch das Lied „Fröhlich wollen wir Halleluja fingen” erfegen Tann. 
Daß das Wort Halleluja, feiner Bedeutung als Ausdrud der höchſten kirchlichen 
Feftesfreude entjpredend, von faft allen bedeutenden — umd unbedeutenden — Kirden- 
tomponiſten als Unterlage zu Feſtgeſängen benugt wurde, ift befanmt; ebenfo befannt 
iſt aud, daß unter allen Hierher gehörigen Kunftwerten das „Halleluja” in Hände 














') „Dum vero psallimus Alleluja, jubilamus magis quam canimus.“ Stepkerzt 
v. Auiun meint: „Das Wert if kurz, aber zu einem Pneuma wird e$ ausgedehnt, de ir 
Spradie nicht ansreiht, die Gefühle ausgudrüden.” Bgl. Kornmüller, a. a. D. ©. 24. 

2) Bol, Kirdenbud in den Kirhen des Erylifts Magdeb. 1615: „nachdem wird sa 
zwei Kuaben oben vom Chor das Aleluja und darauf im Chor der Berfituf, inhatıs ie 
Chorbuche, abgefungen, welde zwey Knaben daher die Allelujojungen genennet werden.“ e 
Loffus: „Pueri canunt Hallelnja.“ 

>) al. 3. ©. Prenf. Sandag. 1820. S. 5 und Mufilang. ©. 23—26. Layris, Kern. I 
S. 20. 21. Schent, Yandag. 1457. ©. 13, Choeberfein-Kiegel, Shah I. &. 2-21 m: 


Halt im Gedächtnis Jeſum Chriſt. Andreas Hammerfhmidt. 529 


„Meffis“!) den Höhepunkt darftelt; dagegen mag noch Bemerft werden, daß das 
Bort von verfchiedenen Komponiften verſchieden accentuiert wird, und zwar haupt 
fühlich auf zweierlei Art, namlich hällelaj& und hällelaja; 3. 8. 
a) Händel, Meſſias. b) Händel, Coronation-Anthem. 
Halle: Iueja, Hal-le « Incja, Halle » Mur ja. 
— 


6 A 


Halte: Ineja. Hat le⸗lu- ja, Hal-le- lu h, Halten ja. 
©) Mendetsfohn, 114. Bat. 


















































ss 
Hatete · fur ja, dal- le— Tr ja. 

Halt im Gedächtnis Jeſum Chrift, Kantate auf den Sonntag Quafimodo- 
geniti — in die Zeit von 1723—1727 gehörig — von Seh. Bad), Der Anfange- 
&or ift „ein herrlicher, aus zwei Hauptthemen frei fonftruierter fugierter Sa; eiwa 
in der Mitte des Werkes trütt mit großer Wirkung der Oftergoral „Erhienen iſt 
der herrlich Tag“ cin.“ Spitta, Bad II. S. 248. 249. As Schlußchoral erſcheint 
die Weile „Du Friedefürſt, Here Jeſu Chrift.* Ausgabe der Bade. XVI. 
Re. 67. — Kl.A. von 9. d. Hergogenburg mit unterlegter Orgelſtimme. Leipz., 
Rieter-Bied. — Kl. A. Leipz., Peters, 

Hammerſchmidt, Andreas, einer der hervorragendften Kirchenkomponiſten des 
17. Jahrhunderts, der auf feine Zeitgenoffen einen bedeutenden Einfluß geübt, und 
ver lirchlichen Tonhinft „in vieler Hinfiht neue Bahnen eröffnet hat." Er war 
1611 oder 1612?) zu Brüg im Böhmen geboren und erlernte die Mufil in der 
yamals üblihen Handiwertsmäßigen Weiſe bei dem Kantor Stephan Otto zu Schandau 
m Sachſen. Schon 1655 wurde er, erft 24 Jahre alt, Organift an der Petritirche 
ju Freiberg von wo fein Vorgänger Chriſtoph Schreiber nad; Zittau in der Ober- 
aufig gegangen war. Als diefer nad) einigen Jahren ftarb, folgte ihm H. unter 
yern 26. April 1639 im Amte des Organiften der Iohannistiehe zu Zittau, und 
yerbfieb dann in dieſer Stelle fein ganzes Leben hindurch, ſich günftiger Vermögens 























1) Es wird erzahlt, daß Händel, ala er das Hallelnja ſchritb, gefagt Haben foll: „id 
meinte, id} fühe den Himmel offen und den allmädtigen Gott felhft.“ Dal. Grove, Diet. I. 
3. 046. — Im England fürt das ganze Publitum das Hallefuja immer Nefend an, und es 
oll diefe Sitte fi fon von der erflen Fondoner Aufführung des „Meffine” am 23. März 
749 herfgreiben. ol. Grove, a. a. D. ©. 651. — Die Stelle „Denn Gott der Herr 
egieret allmäctig“ hat Händel ad in feinem , Jorael in Cgupten” Benußt; andere Hallefuja: 
re hat er mod) in „Judas Maltabäns,” im fogen. „Occasional Oratorio“ und in den 
Coronation-Anthems.“ 

9) Auf feinem, dem 4. Teil der Muf. Andachten auf der Rüdfeite des Titels beigegebenen 
Sifomis Reht oben: Anno Christi 1646. Anno Actatis 34. Unten: Andreas Hammer- 
chmid. Pontanus Bohemus. gl. Ext, Ch v. 1863. ©. 249, 

Rümmerte, Gncyfl,d. wong. Kirenmuft. 1. 34 








530 Andreas Hammerf—hmidt. 


verhättniffe‘) und einer ſehr geachteten bürgerlihen Stellung erfreuend, bis er am 
29. Dftober 1675, im 64. Lebensjahre, ſtarb. — Die anjehnlige Reihe der Kircher 
werle 9.8 erſchien zwiſchen 16391671 im Drud. Durch diefelben, die ſich cine 
auferordentlichen Beliebtheit exfreuten,?) Hat er nicht nur auf die Pflege der Kirchen 
mufit in feiner näheren Umgebung auf das Förderndſte eingewirft,?) fie verbreiteten 
feinen Auf über ganz Mittel- und Norddeutjchland, und ftreuten Heime aus, die in 
Seb. Bad und Händel zu vollen Früchten reiften. Begabt mit reicher, originell 
Erfindungstroft, und tüctig geſchult im der mufitalifchen Technil, ftrebte H. ir 
diefen Werten mit Erfolg feinem größeren Vorbild Heinrich Scüg (ogl. den Au 
nad, indem er mit und neben diefen eine Kunſtform pflegte, die „für die Entwie 
lung einiger Hauptzweige der damaligen Kunſt von grüßter Bedeutung werden um 
ſchüchlich vorgugeweije im Händel ſchen Oratorium gipfeln follte, wenngleich aut 
Seh. Bach's Kirhenmufit Nahrung aus derfelben gezogen hat. Cs if dies de 
poetiſch muſitaliſche Geftaltung abgeſchloſſener bibliſcher Vorgänge, entftanden durs 
teilweiſe Anregung der damals in Italien ſich entwidelnden dramatiihen Kunftior 
und mit Anlehnung am die Form des fogenannten geiftlicen Konzerts. Die Art 
das Bibelwort zu ‘behandeln, wor Hier bald dramatifierend, fo daß die Reden ter 
ſchiedener Perfonen auch verfchiedenen Stimmen zugeteilt wurden, bald choriſch erzeb 
lend, oder auch betrachtend, wie denn zumal Hanmmerfgmidt mit Vorliebe Stropher 
proteftantifher Kirchenlieder einfloct. Sie wollten den betreffenden Vorgang durt 
die der Muſit gegebenen Mittel möglihft anſchaulich machen; den in einer Begeber 
heit fiegenden Stinmungsgehalt muftalifh entbinden: und jo iſt das Dratorierı 
bei ihnen prineipiell ſchon ganz fo vorgebildet, wie es ſich bei Händel und in dr 
Boch ſchen Paſſion vollenden follte.”) Im den andern diefer Werke (von ite 
„Dialogi“ oder „Gefprädier genannt), Die eine mehr lyriſche Rigtung nehmen u 
daher auf die eigentliche Kirchentantate Hinzielen, vermochte H. freilich jo wenig a 
andre feiner Zeitgenoffen ſchon etwas Bleibendes zu leiſten: die Form diefer Gu— 
tung der höheren evangelifhen Kirhenmufit hatte daum erft angefangen ſich zu ent 
%) Erſt 1851 wurde vor dem Bauhener Thor zu Zittau ein Gartenhaus niedergerifien, 
das die Infcrift trug: Anno 1660 baute diefes Haus und Garten von Grund-ans nen A 
dreas Hammerfhmidt. — Auderdem befaß er in der Stadt noch ein „Bierhofgrundftüd.“ St 
Dr. Anton Tobias, Andreas Hammerfjmidt aus Brüg, Komponift und Organift zu Si 
1871. 80, (Beionderer Abdrud aus den Mütlgn. des Bereins für Geſch der Deutiden i 
Böhmen. Iahrg. IX. 9 7. 8) 
>) „Wie befiet Sammerfämidis ompofitionen ein] waren, erhellt am Leutlidften ct 
dei aus diefer Zeit uns erfaltenen handfgriftligen Mufilfammelbänden, in denen 
irgend ein anderer zu finden if." Wal. Rob. Eitner in der Allg. deutfcen Biogr. 
3) Bol. bierüber eine bei Gerber, N. Ler. II. ©. 491 citierte Auferung in Beer's Reit 
Disturjen, Kay. 22. — Daß ihm and; Rift angefungen, will allerdings weniger befagen. 
Val. Spitta, Bad I. ©. 42. 48, und an andern Stellen, wie I. &. 56 fi. €. it 
©. 300, 11. ©. 420 u. 421, 10 aud mnehrfach die Spuren der Einwirlung 9.8 auf a 
Chriftop Bas, Job. Mid. vach und Seh. Bas) nadgewiefen find. 








Andreas Hammerfchmidt. D 531 


wideln und ſchwankte noch zu unſicher zwiſchen Atem und Neuem. Ganz dasfelbe 
it auch bei H.s Motetten der Fall: ihre Form verwiſcht ſich in jener Zeit immer 
mehr; zwar verwendet er auch hier teilweiſe den Choral, aber ohne irgend ein feſtes 
Geftaltungsprincip dabei erfennen zu laſſen; er verteilt deſſen Melodie beliebig an 
verfchiedene Chöre und Stimmien, zieht fie durch Imitatiouen auseinander, verbrämt 
fie mit Umfpielungen und ſchlieht ein foldes Stüd gelegentlich mit einer mehr- 
fimmigen geifttihen Arie. Selbit einer Sammlung ein« und zweiſtimmiger Geſäuge 
mit Inftrumentalbegleitung giebt er einmal den Titel „Motetten” umd zeigt dadurch 
deutlich, daß ihm der Begriff der Motette vollftändig verloren gegangen war. — 
Choraltomponift ift H. nur zufällig geworden. Wohl hat er zu Joh. Riſt's geift- 
lichen Piedern 48 Melodien gefhaffen, allein es ift von denfelben faum eine im 
Gemeindegefang heimiſch geworden,!) und nur aus feinen andern größeren Kirchen- 
werten find einige Melodien — meift zu Liedern feines Landemannes Chriſtian 
Keymann, geb. 27. Febr. 1607 zu St. Pankraz in Böhmen, geſt. 13. Ian. 1662 
als Reltor des Gymnaſiums zu Zittau — in weſentlicher Umgeftaltung in den 
Gemeindegebrand übergegangen. Seine hier ufzufhenben Werte find: 

1. Mufitalifhe Andahten. 5 Te. 1638-1653. Erſter U. 
„Geiftliche Konzerte.” * Freyberg, 103 "a Tonfäge. Zweiter TI. „Geilt- 
üche Madrigalien." Daj. 1641. 34 Tonfüge. Dritter I. Geiftliche Sym 
phonien.“ Daſ. 1642. 31 Tonfüge. Vierter Th. „Geiſtliche Motetter und 
Konzerte.” Daj. 1646. („1. May 1646.”) 40 Tonfäge. Hier in Nr. NXIV: 

„Freuet euch ihr Chriften alle.” a a g feedd. (vgl. den Art.) 
Fünfter TI. „Geiftihe Chormufit.“ 1653. Z1_Tenfäge „auf Modrigal- 
Manier.” — 2. Dialogi oder Geipräce zwifhen Gott und einer gl 
bigen Seele x. Dresden, 1645. 2 Teile. Erjter I. („20. April 1646*). 
22 Tonfüge. Zweiter Tl. (29. Sept. 1645"). 15 Tonfüge. — 3. Mu- 
fifatifhe Gefpräche über die Coangelin. Dresden, 1655. 1656. 2 Tie. 
mit 60 Tonfügen. — 4. Feft-, Buß- und Danklieder. Dresden und 
Bittau, 1658. („29. Sept. 1658.) 32 Tonfäge. Hier: 

„Meinen Iefum (aß ich niht” (vgl. den Axt.); dann unter Nr. XXII: 

„Triumph, Triumph, Viktoria“ und unter Ar. XXV: 

„Schmüdet das Felt mit Maien“ (vgl. Winterfeld, Ev. Kg. II. 
Notenbeiip. S. 128). 

5. Kirgen- und Tafelmufit. Bitten, 1662 („1. Aug. 1662”). 
24 geiftlihe Tonfüge. — 6. Feft: und Zeit-Andahten. Dresden, 1671. 
38 Tonfäge) 


) Nady Roh, Geih. des 88. IV. ©. 136 follen zwar die zwei Lobfieder aus RN's 
„Simmlifhien Liedern“ 1651. ©. 70: „Mein Gott, nun bin id abermals“ a dab 
ec ddeis — und ©. 130: „Ih will den Herren loben, gg g ah c ch c 
— in firdliden Gebrauch gelommen fein, — doch giebt derfeibe teinerlei Nachweis fir dieſe 
Behauptung; eine weitere Weile 9:5 „Kommt Laffet uns fobfingen“, hh ha g fis fi, 
aus Rif’s Neuen Kateciemus-Andachten. 1056. S. 106. Nr. 18 Gat mod) Jalob und Rider, 
&6.8, I. Pr. 334. ©. 26-287. 

9) Pen zugänglich gemocht find bie jeht folgende Stüde aus diefen Werten 9.4: bei 

34* 





























532 Georg Friedrich Händel. 


Händel, Georg Friedrid, der Meifter des Oratoriums, fteht als Komporin 
zur ewangelifcen Kirchenmuſit nicht in unmittelbarer Beziehung, denn alles, mas 
er außer feinen beiden Baffionsmufiken in den lirchlichen Mufikformen feiner 
Zeit und über lirchliche Terte geſchrieben Hat, ift nicht Kirchen-, fondern Konzert 
muſit. Und aud) von feinen Paffionen ift, wenn man von der Iohannispaifien 
(1704) als einer unreifen Jugendarbeit abſieht, die zweite, die er über den chedem 
beruhmten Brodes'ſchen Tert 1716 ſchrieb, weit mehr ein Oratorium als ein 
ebangeliſch lirchliche Baffonsmufitl. Die Anthems (Biaimentompofitionen in Kar 
totenform) und Tedeum ſodann find zwar für die engliſche Kirche geſchrieber 
und dort auch als kirchliche Muſik verwendbar: da fie jedoch den Choral nicht be 
rüdfihtigen und nad) engliſchen Verhältniſſen auch nicht berüchſichtigen Tonnter, 
müffen auch fie als Komzertftüde freilich höchſten Rauges betrachtet werden, die, 
durchaus von dratoriſchem Geiſte erfüllt, eine direkte Vorſtufe des Händelfgen Tre 
toriums bilden!) Was endlich noch Händels Orgelwerte betrifft, jo zeigte er 
ſelbſt ſchon durch den Titel „Drgelfonzerte“ („for the Harpsichord or Organ“), 
den er denjelben gab, daß fie nicht für die Kirche, fondern fir das Konzert gemeint 
waren. Er ſelbſi, der Dei feinen Zeitgenoſſen als Drgelfpieler, und befonders als 
Improvifator,*) im höchſten Anfehen fand, fpielte fie denn auch gewöhnlid als Ein 
Ingen zwiſchen den einzelnen Abteilungen feiner Oratorien. Gleichwohl Hat der gruie 
Damm durch die idenle Hoheit umd uefprünglice Kraft feiner Kunſt mittelbar 
and auf die Entwicllung der evangelif—en Kirchenmuſit einen tiefgchenden und for: 
wirfenden Einfluß gelibt. „Die Hare Bildlichleit, die Hallende Geſangeſchönheit un) 
die Freudigfeit unverfieglicher Sugendfraft,” die wie reine, ſtolze Apenluft aus feiner 
Chören ung entgegen wehen, diefe aus der ewigen Fülle der Schönheit geſchöpften 
Eigenfhaften Händelſcher Kunft, fie konnten umd Können nicht anders, denn in hehem 
Maße erfriſchend und ftärtend, wie auf die Muſit überhaupt, fo auf die Kirden 
mufil im befondern wirken.) Es war daher providentiell, daß diefe hohe, männlih 
ernfte Kunft dem Baterlande Händel gerade in einer Zeit wiedergegeben wurde; 
da feihter Rationalismus und ſußliche Klingelei Kirche und Kirchengeſang tief herab 








Winterfeld, Ev. K. G. II. Notenbeifp. S. 90. 94. 96. 101. 107. 110. 114. 116. 120. 12%. 
— Commer, Musica sacra TIL. 23. 36. Bo, Musion sacra V. 58. XVI. 34. Shoe 
dein-Riegel, Schal des fiturg. Chor- und Gemeindegej. III, Ar. 122. 

) Bot. v. Winterfeld, Evang. 8@. III. ©. 128 fi. Chryfander, Händel. I. S. 12° f. 

2) Bol. Mattfefon, Bolt. Kapelim. 1730. S. 479: Ehryfander, a, a. D. I. & 21 
bis 213; Spitta, vach 1. S. 636— 

*) Schr fhön bemertt W. 9. Riehl in diefer Hinfiht einmal: „Händels feft und fe 
in küßnen Scritten vordringende Väſſe, die feiner Rhyihmil vor allen andern Komponiker 
den Charaller eines mädtig Auefcreitenden geben, find mir tief in die Seele gegangen, um 
in mandjen Tagen des Lebens Tamı es mir fon vor, als müffe ich ſelber gleich feft dorjtes 
ten wie ein in Oltavengängen einherdröfnender Händelfger Bafı Die ernfte Männtiätei 
diefer Mufil teilt ſih dem Eharalter deffen, der fie mit Hingabe ubiert, fymparetifd) mir“ | 











Georg Friedrich Händel. 533 


ebradıt hatten. Der Thomasfanter Hiller im Leipzig war es, der in den Leyen 
Yyennien des vorigen Jahrhunderts „den Starten zurücführte, daß an ihm das 
Buff erftarfe zu einem größeren, thatenreicheren, freieren Loſe, das nahe feiner wartete. 
8 neu erftarkter Volfsgeift und Glaube auch die Kirche wieder höherer evangeliſcher 
Beihe geöffnet, da Hatte uns aud Händel vorbereitet und erzogen für Sebaſtian 
Yah, daf fie fortan vereint ftehen, der Sänger des Volles und der Weihepriefter 
or dam Volfe.") Noch aber darf vom Standpunkt der evangeliſchen Kirchemnufit 
n8 ein zweiter Punkt nicht überfehen werden: Händels Oratorienmuſit ift aud die 
föpferin der großen Chorgefangvereine, „deren Thätigkeit für die öffentliche Mufit- 
fege des 19. Yahrhunderts von Hervorragendfter Bedeutung geworden ift. 1784 
arde in London zuerft eine Maſſenaufführung Händelſcher Meufit veranftaltet, die 
Deutſchland fofort Nachahmung fand, und von 1810 an kamen die großen deut- 
den Mufifjefte in Gang, die überallgin die Anregungen zur Pflege der großen 
ormen der begleiteten Chormufit ansfandten.“?) Durch die Churvereine aber iſt 
! umferer Zeit überhaupt erſt möglich geworden, die herrlichften Werte evangeliſcher 
irenmufit (Bachs Paſſionen, Kantaten, Meffen x.) in vollendeter und wirdiger 
fe zur Darstellung zu bringen; auf fie ift aud die Bewegung zurüdzuführen, 
ehe meuftens auf dem fpeciellen Gebiete des evangelifh-firdhlihen Chorgefangs in 
m „Evangelijhen Sirhengefangverein für Deutſchland“ einen vielverſprechenden Anz 
ng genommen hat. Und wenn wir durch diefe Bewegung mit der Zeit dahin 
Yangen jollten, unſre Kirchenmuſik dem Gottesdienft zurüdgegeben zu fehen, fo wer- 
a wir den erften Anfteß dazu Händel und feiner Muſit zu danten haben. 

Händel war am 23. Febrnar 1685 (nicht ganz vier Wochen vor Seh. Bach) 
* das zweite Kind aus der zweiten Ehe des bereits im 63. Lebensjahre ftehenden 
ih fächſiſchen Leibchirurgen und Kammerdieners Georg Händel (geb. 1622, 
f. 11. Febr. 1697) zu Halle a. d. S. geboren. Sein Großvater, der aus 
wesfau ftanmte, hatte gleid mehreren feiner Vorfahren das Handwerk eines Kupfer— 
midS betrieben; mit dem fpätgeborenen Enkel aber wollte der Vater höher hin: 
mus: er ſollte Juriſt werden. Die frühe fi zeigenden muſilaliſchen Anlagen des 
anben dagegen, ſuchte er mit Strenge niederzuhakten, weil er die Muſik, wenn 
St für eine geradesiı umvlrdige, fo doch für eine brotloſe Beſchäftigung hielt. 
füter jedoch fieß er fh durch die Fürſprache des mufiflichenden Fürften von 
kißenfels bewegen, den unterdeſſen etwa 11 Jahre alt gewordenen Sohn dem 
ätigen Organiften der Liebfrauen Kirche zu Halle, Friedrich Wilhelm Zachau (vgl. 
3 Art.) im die Lehre zu geben. Unter der ftrengen Hand diefes Lehrers machte 
6 der Schüler im furzer Zeit mit der Orgel umd dem Klavier, ſowie mit ver- 











Bal. den Art. 
18. 497-445. f 

2) Bf. Spitta, Die Wiederbelebung proteſt. Kirchenmuſit auf geſchichtl. Grundlage, in 
suite Rundſchau 1882. 9. 7. S. 113. 





ändel” von A. B. Mary bei Schilling, Univerfal-Ler. der Tontunft. 


534 Georg Friedrid Händel. 


ſchiedenen Orcheſterinſtrumenten vertraut und erwarb ſich zugleich gründliche theoretüce 
Keuntniffe in der Muſit, die er in zahllofen Nempofitionsverjuden verwertete. Di 
neben betrieb er aber gleich eifrig aud die gelehrten Studien, abjelvierte die Iote 
niſche Schule und ging 1702 als Studiosus juris an die Univerfität über, cb 
wohl er aud als Mufiter bereits jo befannt war, daß die Väter der Stadt in ihm 
das geeignete „lutheriſche Subjekt” erlannten, dem fie die Organiftenjtelle ar dr 
teformierten Schloßlirche übertragen tonnten. Bald aber reifte nun im ihm der 
Entfchluß, das juridiſche Studium aufzugeben und fih ganz der Muſit zu widmen 
und im Sommer 1703 finden wir ihn daher zu Hamburg, wo unter Der Peitung 
des berühmten Reinhard Keiſer die Oper blühte. Bei derfelben fand er zunädi 
Anftellung als zweiter Violinift im Orchefter, ſchwang fid aber nad und nad 
zum Dirigenten empor, ſchrieb aud bereits 1704 feine erfte Oper „Amira“, de 
1705 aufgeführt wurde, und feine Johannispaſſion. Nachdem er nad) zwei weite: 
Opern zur Anfführung gebraht Hatte, trat er Ende 1706 eine Reife nach Italien 
an, die ihn Dis mad Nom und Neapel führte und ihm nicht nur eine trefflihe 
Kunſtſchule wurde, jondern aud reihe Ausbeute am Ruhm und Ehren eintrug 
„Man wird an den jungen Goethe erinnert, wenn man fieft, wie der in körper 
uͤcher und geiftiger Kraft und Schönheit blühende Jüngling aller Herzen im Sturz 
eroberte und mit aufgeſchloſſenem Sinn die farben- und formenfgönen CEriheimanger 
der italieniſchen Natur und Kunſt im ſich aufnahm.” 1710 nad Deutihtr 
zurlidgefehrt, Seffeidete Händel kurze Zeit den Poften eines Hoflapellmeiftere ze 
Hannover und nod im Spätherbft desielben Jahres ging er nad) England und tr 
trat damit erftmals den Boden des Landes, das feine Heimat werden und ihr, 
nachdem er fidh feit 1712 dauernd im Sonden niedergelaffen Hatte, den Raum fi: 
die volle Entfaltung feines Genius gewähren ſollte. „Won Anfang an mit Spr: 
pathie aufgenommen, erreichte er es, wenngleich nicht ohne heiße Kämpfe gegen natis 
malen Düntel und eine in London mäctige italieniſche Partei, endlich fh zum 
unbeftrittenen Herrfcer im Gebiete der engliſchen Tontunft aufzuſchwingen. Seine 
BVoltstümlicfeit wurde eine beilpiellofe; Händel war fortan der Inbegriff engliiher 
Muſit; der Geift, welcher aus feinen Tönen redet, verflößte ſich dergeftalt mit dem 
Volfsempfinden, dag man fagen fan, ein wefentlier Teil von deſſen Eigentümlit 
teit beruhe auf ihm.“ Die fait fünfzig Jahre umfaffende Periode der unvergleit: 
lid) großartigen Wirffamfeit Händels in England zerfällt in zwei Abſchnitte, ver 
denen der erfte und Längfte von 1712-1740 fait ausichliehlih der Oper gewideer 
war. Doch iſt hier nicht der Ort, ausführlich darzulegen, was dieſe Zeit der 
Meifter zuerft am Ehren und Grfolgen, fpäter an Benvidlungen und Berrin 
niffen gebracht Hat, jo daß er 1737 an Leib und Seele gebroden mad Ant 
gehen und dort Herftellung für feine zerrüttete Gefundheit ſuchen mußte. Gelegertit 
Hatte ſich Händel auch ſchon im Diefem Abſchnitt feines Lebens mit dem Drats 
rium befhäftigt und um 1720 die beiden erften Werte diefer Gattung „Eitber" 





Georg Friedrich Händel, 535 


und „Acis und Galathea“ und zwar als Grundmuſter nad beiden Seiten 
hin, die fein Oratorium ſtofflich umfast: das bibliſche und klaſſiſche Altertum” — 
geicheieben, denen 1733 mod „Deborah“ und „Athalia“ gefolgt waren. Erſt in 
der letten Periode feines Lebens aber wendete er fih ganz dem Oratorium zu, und 
es entftanden nun in ununterbrocener Reihenfolge Die Werke, auf denen feine Größe 
bei der Nachwelt beruht: das Mleranderfeit 1736, Saul 1738, Israel in Agypten 
1738, die Cäcilien Ode 1739, Frohſinn und Schwermut 1740, der Meffins 1741 
vom 22. Ang. bis 14. Sept), Samſon 1742, Semele 1743, Iofeph 1743, 
Heratles 1744, Belſazar 1744, Occasional-Oratorio 1745, Yudas Malfabäus 
6, Merander Balus 1747, Joſua 1747, Sufanna 1748, Salomo 1748, 
Theodora 1749, Triumph der Zeit und Wahrheit 1750 und Iephta 1751. Ned 
während Händel an dieſem letzten Werte arbeitete, erblindete er, ließ ſich aber durch 
dies Mißgeihid in feiner künſtleriſchen Thätigfeit nicht weientlic behindern: mit 
Hulfe feines Famulus Schmidt vervolllommnete er ältere feiner Werte, fette feine 
vegelmäßigen Oratorienaufführungen fort und erſchien aud nod als Orgeloirtuofe 
vor dem Publitum. Am 14. Aprit 1759, dem Sumstag der Karwoche, morgens 
um 8 Uhr ftarb er im 75. Lebensjahr und wurde in der Weitminfterabtei neben 
den Gröpten der engliſchen Nation begraben. Nicht weniger als 45 Opern und 
25 Oratorien, ſowie eine große Anzahl Meinerer Gefangftüde und endlich eine ganze 
Reihe von Iuftrumentalmufitwerten jeder Gattung hat er der Nachwelt als die 
Frucht einer Lebensthütigfeit, von feltenem Reichtum hinterlaffen. Hier find die fol- 
yenden diefer Werke anzuführen ; 

1. Iohannispaffion. Tert von Poftel. Hamburg, 1704. Ausg. der 
Händel-Gef. 1866. Bd. IX. — 2. Lateiniſche Kirhenmufit: Dixit Do- 
minus. 5 tn. (Rom, 4. April 1707); Laudate pueri. 4 Stn. mit Orch. 
(Rom, 8. Juli 1707); Meſſe für 4 Sfin., 2 Biol, 2 Obven, Alto und 
Orgel (Neapel, 1710). Ausg. der Händel-Geſ. 1870. Bd. XXXVIII. — 
3. Utregter Tedeum und Jubilate. 7. Juli 1713 im der Paulstirche 
zu London aufgeführt. Ausg. der Händel Geſ. 1867. Bd. XXXI. — 4. 
Bajfionsmufit nad B. ©. Brodes („Der für die Sünde der Welt gemare 
terte und fterbende Jeſus“). 1716. Ausg. der Händel-Gef. 1862. Bd. XV. 
— 5. Anthems: a) für 3, 4 u, 5 Etn. mit Orgel. 1717 für die Ras 
pelle des Könige Georg J.; b) 12 fir 4 u. 5 Stn. mit Orch. 1719 u. 20 
für die Kapelle des Herzogs v. Chandos („Chandos-Anthems*); c) 4 „Coro- 
nation-Anthems“ zur Krönung Georgs II. 1727; d) „Wedding-Anthem“ zur 
Bermöhlung des Prinzen von Wales 1736; e) „Funeral-Anthem* (Trauer 
Hymne) für 4 Stn. mit Orh. ffir die Nönigin Karoline 1737.) Ausg. der 
Händel-Gef. 1868. 1869. Bo. NXXIV—XXXVI; 1862, 8. XIV; 1867. 
3. XL — 6. 3 englifce Tedeum in B-dur, A-dur, D-dur. 1718 






































) Bon Händel in 5-6 Tagen geſchrieben und am 12. Dez. 1737 vollendet; Burney er- 
ärte «6 für das vorzügfiäte feiner Werte. In Demſchland wurde ed durch den Tert „Em- 
firndungen am Grabe Jefu“ verunflaltet, 


536 I... Hanf. Harfenregal. 


bis 1720. Ausg. der Händel Geſ. 1870. Bd. XXXVII. — 7. 12 Orget: 
Tonzerte mit Ord. Im der Faſtenzeit 1735 begann Händel die Prais, 
folge Konzerte gwiſchen die Abteilungen feiner Oratorien einzulegen, und be 
hielt fie lebenslang in feinen Aufführungen bei.!) Sie erfhienen in zur 
Sammlungen: Op. 6 1738, Op. 7 1760 (nad Händels Tod) von je 
Konzerten?) und zeigen als Grundform: eine langjame Einleitung, die zu 
einem ausgeführteren erften Dauptfag (Allegro) führt; diefem folgt cr, 
turzes Adagio (Larghetto, Andante), oft nur aus wenigen Takten beit 
hend, oft auch ganz fehlend;*) dann als Schluß einen zweiten Hanpti 
von mehrteiliger Form (Variationen, tanzförmige Gebilde: Gavotte, alla Sic- | 
lana, Bourröe).‘) Ausg. der Händel-ef. 1866. Bd. NXVIIL. — 8. Det 
tinger Teden Anthem und Jubilate. 1743. Ausg. der Händel: 
3b. XXV. XXVI 


Hanf, Iohann Nitolaus, ein bedeutender älterer Organift und Orgeltomparit. 
der 1630 zu Wechmar bei Gotha, dem Heinatsdorfe der Direften Vorfahren Sehe 
ſtian Bach's, geboren war. Seine muſikaliſche Bildung erlangte er in Thüringen, | 
„vielleicht von einem aus der Bach Familie.“ Eine erfte Anftellung fand H. als! 
Kapelldireftor zu Eutin, dann Fam er ala Domorganift nad Schleswig, we « 
1706 ſtarb. Mattheſon, der längere Zeit fein Schiller im Klavierſpiel und in de 
Kompofition gewefen war, ruhmt ihn als einen „hanptehrlichen und gefdid: 
Mann,“ und die wenigen Choralvorfpiele, die von ihm erhalten find, „gehören z 
den beften aus jener, und übertreffen nach Anlage und Inhalt viele aus neuere 
Zeit, die fonft nicht gerade zu der „leichten Ware“ gehören. Überall begegnet mır 
harmoniſcher Fülle, leichter und freier Bewegung, gediegener uud faßlicher Arte 
türchlichem Ernſt, orgelmäßiger Faffung: alles Eigenſchaften, denen die thüring 
Drgeltomponiften nochſtrebten. Den Geſchmack aber an einem verzierten Cantus 
firmus hat fid H. in Norddeutſchland angecignet“ (Nitter). Von diefen Chetu 
vorfpielen befpricht Ritter, Zur Geſch. des Drgelipiels, 1884. 1. ©. 11-17 
fin Ren, die in Afcriften des fleiigen ah. Gtfried Walther (vgl. den Ar 
auf uns gelommen find, und zei derfelben teilt er II. Nr. 118 u. 119. ©. 1W 
und 200 erſtmals abgedrudt mit. 

Harfenregal, ein altes Negalwerk, defien Pfeifen Heine gededte Körper hatten, 
die oben mit Tonlöhern durchbrochen waren. Es wurde wie die andern Reyt 
als eigene Abteilung da und dort in alten Orgeln angebradt und hatte mi 
8 Fußton, ſcheint jedoch ausnahmeweile aud mit 16 Fußten vorgefommen zu ii 


























') Bgt. Chruſander, Händel. III. S. 157 ff. Allg. deutſche Biogr. NIT. ©. 185 1. 
Biogr. des Music. IV. &. 181. 

?) Zwei weitere Sammlungen, von denen die fee erft 1797 bei Arnold in Landen = 
ſchien, enthalten fait nur Stüde, die aus andern Händel’ihen Inſtrumentalwerken entletin 

#) Im lebteren Falle ſeht an deffen Stelle: „Orgel ad lib.“ d. h. Händel imprevifierte de 

) Bol. R. Succo, Über Händels Drgeltongerte, in der Ag. muſital. Zig. 1869. Rr.! 
11.12. 8. 73. 74. 8. 81-83. 8, 99-91. 









Harmonika, Holzharmonika, Harmonikabaß. — 2. hartig. 537 


— Auch einer alten Orgelftimme, die unter dem Namen Harfenprincipaf vor- 
tom, erwähnt Prätorius, Synt. mus. II. S. 172, ohne jedod irgend etwas zur 
Erllarung des Namens, mod über langharakter oder Tongröße derfelben beizu- 
bringen. Vielleicht iſt es dasfelbe Negifter, das Gabler im dritten Man. der Orgel 
zu Weingarten als „Darpfpfeiffen“ im 8 Fußten aus Zinm Hat. Bol. Adlung, 
Anfeitg. 1758. ©. 427 und Mus. mech. org. 1768. I. ©. 104. 


Harmonifa, Holzharmonifa, Harmonikabaß, eine Yabialitimme dev Orgel, 
jenförper aus feingeadertem Fichtenholz gebaut werden und fehr enge Men 
für, ſowie diefer entfpredjenden Auffhnitt exhalten. Daher nähert ſich diefe Stimme 
in ihrem Toncharalter mehr oder weniger den gambenartigen Regiſtern, befonders dem 
Suficienal, mit dent fie in der tiefen Oftave auch öfters zufammengeführt wird, oder 
bei etwas fhärferer Intonation der Viola. Doch ſucht man neueftens das Charakteri- 
file diefer Stimme darin, daß man ihr die feinte Intonation und weichſte Klangfarbe 
unter allen Holzregiſtern zu geben liebt, fo daß ihr Ton wie ein Säufeln aus der 
Ferne zu kommen ſcheint und fie in Meineren Werfen als Ehoftimme zu verwenden 
Üt; in größeren Orgeln fteht fie als Harmonika 8° gewöhnlich im Echowert und 
os Harmonifabag 16° im Pedal; ) im letzteren Falle erhält fie eine dem 
Dolee (vgl. den Art.) ähnliche Klangfarbe und wird als Vaftimme zu den fanften 
Regiſtern der obern Manuale mit fhöner Wirkung verwendet. 


deren 





Harmonica aetheren, eine gemiſchte Stimme der Orgel, vgl. den Art. 
„Mirtur“. 

Härten (= Hartmiachen, Dihtmaden), ein Terminus der Orgelbauer, zur Be— 
zihnung des Schlagens der zinnernen Pfeifenplatten mit einem Höfgernen Hammer, 
am fie zu Härten, d. h. ihnen den höchſimöglichen Grad von Dictigteit oder Härte 
zu geben, und fie d-durd zur Erzeugung eines beſtimmten, vollen und Haren 
Konges zu befähigen. Beim Härten, das jegt freilich; leichter und ſichrer durch 
Brefien in Maſchinen zu erreichen iſt, Dürfen die Platten nicht uneben werden und 
ach weniger Rifſe oder Brüche belommen. 


Hartig, Ludwig, ein gefhieter fhlefifger Orgelbauer, der feine Werfftätte zu 
Zitihen Hatte, wo er im Sommer 1868 im Alter von 75 Jahren ftarb, nachdem 
© frz vorher noch feine lebte meue Orgel im Sanle der Brüdergemeinde zu Niestg, 
und ais vorlefte im Dezember 1867 eine ſolche mit zwei Dan. und Ped. in der 
Shloßticche zu Zullichan aufgeftellt hatte. Im ganzen Hat er c. 50 nee Orgel 
werte gebaut, darumter 1831 die Orgel zu St. Bernhardin in Breslau (die Ad. 
beſe ſpielte und im die er auf eigene Koften einen 32’ hatte einfegen laſſen), die 











*) Unter diefem Namen Hat fie z. B. Coll, Orgel zu Engelberg und in andern feiner 
Berte; Kuhn ſeht fie im der Orgel des Großmünfters zu Zürich aud im Ped. einfah als 
Harmonila 10%” 


538 Heinr. Hartmann. Ioh. Sam. Harfow. 


Drgeln in den Stadttlirchen zu Guben, Zülihan, Neuſalz z. Gute Meqanit 
leichte Spielart, lunſtmäßig edle Intonation, Frifhe des langes und Dauerhaftigkit 
werden feinen Werfen nadhgerühmt. 





Hartmann, Heinrich, ein Tonfeger der evangeliſchen Kirche, der in den beiten 
erften Iahrzehnten des 17. Jahrhunderts blühte und Hervorragendes geleiftet haben 
muß, da er mit feinen Werfen in fo berühmten Sammlungen wie Bodenfchetz 
Florilegium Portense und Schadäus’ Promptuarium im Kreife der angefeheniten 
Meifter feiner Zeit erfheint. Bon feinen Lebensumſtänden ift bis jegt noch wenig 
befannt: er felbft nennt ſich „Rochestadiensis“,') und nad Gerber (Neues Ser. II. 
S. 510) wäre er im Iahr 1608 Kantor zu Koburg geworden und als folder ſchor 
1616 geftorben, während er andenwürts noch 1618 „der Kirchen und Schulen zu 
Soburg! Cantor” genannt wird. Bon feinen Kirchenwerlen leunt man nad): 


1. Confortativae Sacrae Symphoniacae von 5, 6, 8 und 
mehe Stimmen. 1. Teil. Koburg, 1612. 4°. 24 Gefänge enthaltend. IL. Teit. 
Erfurt, 1617. Geſange enthaltend. — 2. 5 Stüde in Sammlungen : bei 
Bodenfhag, Florilegium Portense. I. Ausg. von 1618. Nr. 17: „Sit 
nicht Ephraim mein teurer Sohn.“ 8 vor. 1. 1621. Nr. 39: „Lobe den 
Herren meine Seele.” 8 voc.;®) bei Schadäus, Promptuarium 1611. IV. 
Nr. 39: „Jesus diseipulis suis.“ 6 voc. und bei Vintzius, Missae. Cr. 
furt, 1630. Nr. 1: Missa super: Lobe den Herren meine Seele. 5 voc. 
und Nr. 3: Missa super: Ift nicht Ephraim mein teurer Sohn. 5 voc. 

















Harſow, Johann Samuel?) war ſeit 1790 Organiſt an der Marientirche zu 
Berlin, und farb als folder anfangs März 1792 in nad jungen Jahren. Im 
der Todesanzeige des Berliner Mufit. Wochenbl. wurde van ihm gerühmt: „Er 
war ein junger Mann von feltenem Talent, großem Kunftfleiß und ungewöhnlicher 
Geſchiclichteit; einer der beften Schitler Kirnbergers, der in Abfiht des Fundamental: 
baſſes im Choral, der Erfindung in eigenen Fugen und Eretution der Sebaftian 
Vadifgen auf der Orgel feinesgleicen fuchte.“ Cine von ihm 1787 erfunden: 
Choralmelodie zu „Gott ift mein Lied“ nahm Khnen, ChB. 1790, Nr. 68 anf: 
fie heißt ei Lahrig, Kern. II. S. 37. Nr. 197: 


') Bas nad Fétis, Biogr. univ. des Music. IV. &. 231 mit „Rehladt” u Über 
ſeben wäre. 

*) &o nad) Eitner, Bibfiogr. 1977. S. 618. In dem Inhalteverzeißnis von Florileg. 1 
1618, das Grove, Dietion. I. &, 258 aus einem Er. der British Museum giebt, findet fit 
Nr. 17 von Hartmann niät, vielmehr Reht Hier „Deus canticum etc, 6 voc. von Fabriciut, 
und Hartmann erfeint mır einmal: II. 1621. Pr. 39. 

3) Den Namen hat Layeiz, a. a. D. I. S. V (nad Kühnau?) „I. ©. Harforo“, de 
gegen Gerber, Neues der I. S. 510 (nad; der Todesameige?) „Harfon (. . .)*, was Deende, 
Mufit. Konverf.Ler V. ©. 10 feRhäft und zugleich den Vornamen, den Gerber nit fanıcı | 
mit. „Johann Samuel“ ansfhreibt. 


Nikolaus Haſſe. 539 











— — 
Gott iſt mein Lied! Er iſt der Gott der Stär- ke, hehr ift fein Nam, und 


— — 



























































groß find ſei- ue Wer- fe und al - fe Him-mel fein Ge-biet. 


Haſſe, Nitolaus, um 1650-1660 Organift an der Hauptlirhe St. Marien 
zu Roftod. Gr hat zu Liedern, die der Profeſſor der Theologie Dr. Heinrih Müller 
zu Roftod in feine einft weit verbreiteten und lange Zeit vielgebrandten Erbanungs- 
bücher aufnahm, cine Anzahl neuer Melodien erfunden, über die der Hymnolog 
Wege!) urteilte, daß fie angenehm gefegt fein, und vor denen einige, freilich in 
weſentlich mobificierter Geſtalt, ſich im Kirchengeſang erhalten Haben. Es find gu: 
nächft 10 Melodien zu Liedern Heinrich Müllers in deffen „Geiftliher Seelenmuſit . 
1659, im einem  befondern Abſchnitt mit dem Titel „Himmlifche Piebesflamme ;” 
ferner 40 Melodien im einem weiteren Abſchnitt desfelben Buches: „Geiſtliche Lie- 
der“, teils zu neuen Liedern Müllers, teils zu ſolchen andrer Dichter, namentlich) 
des Angelus Sileſius; endlich zwei Melodien im Anhang von Müllers „Ereug, 
uf und Betſchule 1661, — Bon diefen Melodien find hier zu verzeichnen: 

„Ah Jefu, deffen Treu“, ea g (gis) a hc (vgl. den Art. „Meine 

Hoffnung ftehet feite"). 

„DIefu meine Sonne", f g a f b a, von Angelus Sileſius („Geifte 

liche Hirtenlieder" 1657), bei Müller, Geiſil. Seelenmufit, 1659. ©. 410.2) 

Lebt jemand fo wie ih“, eTd e e fe d; aus Müllers „Ereui 

Bus- und Betihule.” 1661. Anhg.) 

„So wünfd id nun ein gute Naht”, dgahg fis a, aus 

Müllers Geiftl. Seelenmuſit 1659, bei Yayriz, Kern. III. Nr. 561. ©. 113. 

„Was Gott gefüllt, mein frommes Kind,gggagffie, 

aus Müllers Geiftl. Seelenmufit 1659. S. 477, bei Yayriz, Stern. III. 

Nr. 583. ©. 124.) 














') Dal. Wegel, Anal, hyma. II. S. 718-717. Shamelius, Lieder-Komment. I. 1725. 
©. 30. x 

*) Später mit dem Tert „Ehriftus ift erftanden“, bei Freylinghauſen, G. B. IT. 1714 
Nr. 99 (Bei. Ausg. 1741. Nr. 240. ©. 1631; Jalob u. Nidter, Co B. IL. Nr. 556. ©. 501. 
Über die Bearbeitung diefer Melodie für das Württemb. CB. 1844. Nr. 6 vgl. den Art. 
„Blumbardt“. 

>) Bol. Schamelins a. a, D. Saubert, Nürnb. G. B. 1676. S. 575. Nr. 542. Cor, 
Hamb.-Rateb, GB. 1083. Jatlob u. Richter, EB. IL. Nr. 91. S. 741. Zahn, Euterpe 
1879. S. 80. 

+) Dagegen gehört Haffe die Melodie „O Traurigteit, o Herzeleid“, die ihm bie in die 
neuſte Zeit Gerein öfters zugeeignet wurde, nicht zu. Allerdings feht bei Heine. Müller, Geifl. 
Serlenmufil 1659. S. 112 feine Namenshiffer Über diefer Melodie; allein da deren ältere 
Herkunft jet nachgewieſen ift (vgl. den Art. „DO Traurigkeit”), fo lann ſich diefe Bezeichnung 
nur auf die Harmonifirung begiehen. 


540 Hans Leo Hafer. 


Hnfler,!) Hans eo, der größte deutſche Tonfeger aus der Wendezeit des 
16. und 17. Jahrhunderts, „der wahre Mittelpunkt des älteren deutfhen Ton: 
ſabes, der auf drei Gebieten desjelben nicht nur für feine, ſondern fir alle Zeiten 
jo Ausgezeichnetes geleiftet hat, daß auf ihnen feiner feiner Zeit: und Kunftgenofien 
ihn übertrifft, feiner ihm auch nur von ferne erreidht. Seine Schreibart im Figural: 
füge vereinigt im fih Das Höchſte und Schönfte, was deutſche und italiſche Kunit 
jener Zeit zu feiften vermochte. Bei reichſter Gedanfenfülle fehen wir ihn immer 
Mar, beſtimmt und feft, innerlich gehaltwoll, ſchwunghaft und wirtſam nad außen, 
befonders im mehrchörigen Sage."?) Er ift zugleich der Künftler, dem die deutfche 
evangeliſche Kirche eine der köſtüchſten Perlen im reihen Kranze ihres Choralmelodien. 
ſchahes verdanft, die Melodie „Herzlich tut mic, verlangen“ (upl. den Art.). Haßler 
wurde als Angehöriger einer aus Joachimsthal im Erzgebirge ſiammenden Mufiter 
familie 1564 zu Nürnberg geboren. „Sein Vater“ — fo fagt der feiner „Leid 
predigt” angehüngte Netrolog?) — „hat geheißen mit Namen dſaat Haßler, Bel 
er ein fürnemer Musicus in der Kayſerlichen Berdjtadt St. Joachimsthal gewejen, 
Kunſt aber vnd anderweit förderung halben ſich nacher Nürnberg gewendet. Hier 
wurden ihm außer dieſem feinem wahrſcheinlich älteſten Sohne (das Altersverhältnis 
der Geſchwiſter iſt bis jebt nicht fefigeftelt) noch zwei weitere Söhne, Jalob und 
Kafpar (vgl. unten), die ebenfalls Muſiter wurden, und eine Tochter geboren. Sans 
Leo erhielt im elterlichen Haufe und in den Schulen feiner Geburtsftadt fleißige 
Unterweifung nicht nur in „Gottesfurht, Schulen, Freyen Künſten,“ fondern aus 
„Tonderlich im der löblichen Kunſt der Muſie“, zu der er „von Natur inchinirte.“ 
Und als er dem Heimatlichen Unterrihte entwachſen war, fandte der Vater mit 
Unterftügung des Handelshaufes der edlen Fugger zu Augsburg‘) den zwanzig 
jährigen. 1584 nad) Venedig, damit er dort unter des trefflihen Andrea Gabrieli 
(geft. 1586) Leitung und im ſchönem fünftlerifchem Freundſchaftsbund mit deſſen 
Neffen, Giovanni Gabrieli, vereint, feine muſilaliſche Bildung vollende. Es ift 
diefe Studienreife 9. nad Venedig „ein inhaltſchwerer Moment in der Geſchichte 
deutfcher Mufit; er bezeichnet die Wendung von der niederländifcien zur italienifcen 





H Seinen Namen ſchreibt er deutſch ſelbſt, babler“, fateinifh wird derfelbe „Hasterus“ 
geſchricben. Bot. Citer, Chronol. Verzeidnis der Werte Haßlere, 1874. ©. II. 

?) Bot. Kode im der Allgem, deutfhen Wiogr. Sb. XI, 3. 14 u. 15, Proste, Musica 
divina I. 1. Sand (Liber Missarum) 1859. &. LVI. 

3) Diefe „Leihpredigt“, gehalten am 10. Juni 1612 zu Frantfurt a. M. von dem furl 
füsf. Hofprediger Mag. Daniel Hänigen, wurde in Dresden gedrudt. Den Netrolog daranı 
Hat Spitta in den Monateh. für Mufitgeld. LIE. 1871. 5. 24—26 mitgeteilt. 

#) Im der Borr. zu den adit „Missae* von 1509, mitgeteilt in Cäckia, Organ für lat 
Kirenmufit. 1868. &. 73, fagt9.: Norunt onim hie quam plurimi, quae illustris gene- 
rositatis tuae propensa voluntas, qui ardens sit amor in pium illam Musicae usun; 
norunt quae ab annis quatuordecim ejusdem illustris generositatis tuae in me arts 
ilius divinae studiosum beneficia extent,“ 


















Hans Leo Hafler. 541 


Kunft."r) 1585 nad Augoburg zurücgefehet, trat er Hier im die Dienfte des 
Grafen Ottaviano IT. Fugger als Organift und muß fid bald einen bedeutenden 
Namen als folder gemadht haben, da er aus fo weiter Ferne mit jenen 53 ber 
rühmten deutſchen Organiſten und Orgelbauverftändigen berufen wurde, 1596 die 
mene Orgel zu Gröningen bei Halberjtadt zu prüfen und zu weihen.?) Aber auch 
als Komponift entfaltete er im Augsburg eine äußerft fruchtreiche Thätigfeit und 
ſchuf hier feine bedeutendften Kirchentonwerie. 1601 aber Inpfte er, nicht etwa 
äußerer Vorteile wegen, fondern hauptſächtich um eine künſtleriſch bedeutendere Stel- 
fung als die feitherige war, zu exlangen,*) Verhandlungen mit bem Rate feiner Vater- 
ftndt Nürnberg an, und am 16. Auguſt 1601 trat er in die Dienfte desfelben 
über, übernahm die Oberleitung der gefamten ftädtifhen und Kirchenmuſit in Niücn- 
berg und verſah mebenbei noch die Organiftenftele an der Fiebfrauenfihe.‘) Im 
Winter desfelben Jahres ſcheint H. dann einen Beſuch am faiferlichen Hofe zu Prag 
gemadt zu haben, bei welcher Gelegenheit ihn Kaiſer Rudolf II. zum , Römiſch. 
Kayferl. Majeftät Hofdiener“, mit einem vom 1. Januar 1602 an ausbezahften 
Ehrengehalt von 15 Gulden monatlid ernannte und ihn in den Aelsftand des 
Reiches erhob, ohne ihm jedod mit dieſen Auszeichnungen zu einer perſönlichen Dienft: 











2) Bot. Ambros, Geſch. der Muſit. TIL. S. 556. Proste, a. a. D. fagt über das Ber» 

zu Giovanni Gabrieli: „Neuere Bahnen betrat H. vorfihtiger als der jüngere 
ex Hieft yeifcen diefem und dem gemeinfamen großen Lehrer die Mitte. Ein ehfer 
Betteifer diefer jüngeren Künfler unter fit iN jedod miht zu verlennen; den fiherften Beweis 
Davon fiefert eine Sammlung der grofartigften Mufilfäge, welde nad dem Tode diefer Meifter 
eriäjien (Reliquine Sacrorum Coneentuum Giovan Gabrielis, Johan-Leonis Hasleri etc. 
Nürnb. 1815. 4°) und deren Kunftgehalt zu folder Höfe geleigert if, dah man vor Staunen 
umd Bewunderung nit zu entifeiden vermag, weldem von beiden der Preis gebühre.“ 

9) Er feht in dem Bereichnis diefer 53 Drganiflen bei Wertmeifer, Organ. Grüning. 

rediv. 1705 $ 11, wo diefelben, wie es fAeint, nad dem Alter geordnet nd, unter Ar. 40 
ats „Zohann Seo dodler von Augfpurd“. Bgl. and Wangemann, Gef. der Orgel. 1881. 
100, 
3) Gr fatte in Augsburg vom Rat „alf ein Bnndengelt“ 150 FL, von einem der Fugger 
„00 Eronen vnd ſonſten andre zugeng, das ers auff 400 fl. bringen“ tonnte, wärend er in 
‚200 fl. müng“ erhielt, Freitich mag er feine Veſoldung von Fugger nicht 
9 haben erhalten lönnen, da diefer ſich öfters in Geldverfegenfeiten befand. 
Bot. Gieriber Atenflüde des Rats zu Nürnberg vom 15. Jumi 1598 und 12. Juni 1601, 
mitgeteilt von Dr. Franz Witt in den Monateh. für Mufilgeid. 1869. 1. &. 16. 11. 

+) Im dem Revers, den er bei Antritt des neuen Aınted unter dem genannten Datum 
ursterzeidiiete (vgf. Witt, a. a. O) verſpricht er: „So foll vnd will Ih nicht allain mit an 
freffung der Mufic Iren Herrlideiten, als oft fie es mir beuefen und ſchoffen werden cs jei 
Zum weder Kirdien and an was andern Ort es wöll, und alfo wo fie mic, Ginweiffen willig 
ond gern neben andern bie dartzu verorditet werden, aufwarten und dienen fondern aud ger 
arainer Rat Gefellten Staltpfeifiern und andern Dufics, die fi zur Mufic gebraudien Laffen, 
yiitfticg, värhfich vnd beiftenndig mich erzaigen, damit durd) meine Anneiffung und wolmainlid 
zetweive Jufiruction gemainer Stadt zu deflo mehrerm ruhm und menniglihs wolgefallen die 
Drufic zu etwas defferm aufnemen vund mehrer zierligfait gebradht werden mög.” 

















542 Hans Leo haßler. 


feiftung zu verpflichten, die einen längeren Aufenthalt am Hofe notwendig gemacht 
hätte.!) Solch Hoher Ehren wirklich froh zu werden, Hinderten den trefflichen Künfter 
feider Förperliche Leiden: er war (ungenjcrvindfictig, und ſchon unter dem 20. Nov. 
1604 mußte ihm der Nat zu Nürnberg einen einjährigen Urlaub bewilligen und 
„bei feinem Schweher in Bm zu wohnen erlauben“, damit er ſich Hier in der Pflege 
feiner Braut erhofe.?) Wirllich ſcheint auch diefe Ruhezeit günftig auf fein Befinden 
gewirtt zu Haben, da ihm feine Umſtände geftatteten, fih 1605 mit Cordula Claus 
(„Gläufin*) in Ulm zu verbeiraten; doch blieb dieſe Ehe Einderlos. Im Herbite 
des Jahres 1608 verlieh H. die anſehnliche Stellung in Nürnberg, um eine noch 
ungleich vorteilhaftere anzutreten: ex folgte der Berufung des Kurfürſten von Sad 
fen, dem er cin Jahr zuvor feine „Palmen und Cpriftliche Geſenge“ gewidmet 
hatte und defien befondere Gunſt er von da an genoß, als „Muficus und Cammer- 
organift" mad) Dresden. Unter dem 28. Oftober 1608 erhielt er die erfte Anwei 
fung von 500 Gulden „abrehmungs feiner ihm gewährten Beſoldung“, die alfe 
eine für jene Zeit beträchtliche gewefen jein muß.) Doch feine Krantheit machte 

*) Noqh bie in die Gegenwart Gerein haften die Biographen (Proste, Ambros, die Le 
zita's) daran feft, daß 9. „längere Zeit am Hofe Staifer Rudotfs II. zu Prag gelebt habe,“ vgl 
3 8. mod Riemann, Mufit-Leriton. 2. Ausg. 1884.78. 370, Allein ein länger dawernder 
Aufenibalt am Hofe zu Prag oder Wien it unerwiefen, vielmehr if} 9. wohl nur in de 
Verfältnis eines „Capelmeifers von Haus aus“, wie man es fpäter nannte (man dente ar 
Seh. Bad), zum Kaiferhofe gefanben, das ihn nur verpflichtete, von Zeit zu Zeit Kompofitc- 
nen einzufenden. Auf den Werken, die in der Zeit von 1801—1608 erfdienen, nennt fh H— 
felbßt zwar midt mehr „Organift“, fondern um „Norimbergeusis“ oder „von Nürmberz 
Römifh. Ranferl. Majet. Hoibiener“, aber der Rat von Nürnberg in amtfihen Scriftflüder 
betitelt ihm immer „Drgamift, und es gebt aus diefen Alten Hervor, daß er während der fra; 
tigen Zeit immer in Nürnberg angefellt war. Hänidjen (Leicpredigt) fagt nur, der Kaiter 
Gabe ihn „zum Diener gnedigft verordnet, und mit der Mobilität umb feiner Kunft und unter“ 
änigfien Dienftvartung gnedigft bedadit." In dem Verzeichnis des Kaiferfihen Hofhaltes vom 
20, Febr. 1612, morgens zwifien 7 uud 8 Ur, auf dem Schloffe zu Prag unmittelbar nad 
Rudoffe II. Tod angefertigt und mitgeteilt bei Rieger, Ardiv der Geff. und Statiftit voh 
mens 3b. II. ©. 193 wird 9. in der Rubrit „Capelle“ Hinter dem Bicefapellmeifter Ar 
rander Korofogio genannt: „Diener auf zwei Perden Hans Leo Hafler vom 1. Ja. 1602 
monatlich 15 fl.” Doppelmayr, Hi. Nadır. von Nücnb. Künflern. Nürnb. 1730. ©. 211 
bemertt, der Tradition folgend, dafı er 1601 nadı Wien gereift md von Rudolf II, als Het 
mufifus angenommen worben fei. 

2) Bol. das begügliche Atenfüd bei Fr. Witt, ©. a. D- S. 18. 19. Otto Kade, a. c. O. 
S. 12 verflet unter „Schtweher“ Schwager, Täßt daher feine Schweſter in Ulm verkeirete 
fein und giebt ihm zu ihr im Bilege; aflein in den fühdenticen Diafelten Geikt Sämeier 
(Säreäher) nicht Schwager, fondern Särviegervater. Bol. auf Sanders, Ergänzungs-Wärtr 
bug. 1884, ©. 407. 

3) Bol. Kade, a. a. D., der diefe Anmeifung im Lnigf. gef. Stantsarhiv zu Dreiter 
aufgefunden Hat. Durch dirfelbe, ſowie dur; die Angaben Hänidiens in der „Leihpredis" 
werben die Zweifel Hinfälig, die mehrfadj, fo 3. B. bei d. Winterfeld, Ev. 8 :©. L 
in Bezug auf die Dresdner Anftelung 9.6 ausgefprofen wırden, weil man glaubte, er fei t 
am des Kaifers Tod 1612 in deifen wirllichem Dienfle geftanden. 











Hans Leo haßler. 543 


immer bedenllichere Fortichritte, „abjumirte und verzehrete ihn auch allmehlich fo, 
daß gar feine Hoffnung des Lebens mehr vorhanden.“ Gleichwohl begleitete er, 
nachdem er noch den Plan einer neuen Orgel von 40 Mingenden Stimmen für die 
Schloßtirche zu Dresden ausgearbeitet hatte (vgl. den Art. „Fritſche), 1612 den 
Kurfürften Johann Georg I. auf den Fürftentag zu Frankfurt, wo er nun das Ziel 
jeiner Künftlerlaufbahn, im gleihen Jahr mit feinem Freunde und SKunftgenoffen 
Giovanni Gabrieli in Venedig, erreichen follte. „Nachdem er vermertet, daß feines 
Lebens Ende vorhanden, Hat er ſich am abgewichenen Freytage nad) der Predigt 
mit Gott verfühnet, in warer hertzlicher Rew vnd leide jeine Sünde erfandt. Da- 
gegen in warem Glauben vnd herbüicher zuverfict die erhöhete Schlange IEfum 
Chriſtum angeblidet, feins teuren verdientes, Leydens vnd Sterbens hertzlich ge 
tröftet, vnd nad; empfangener Abſolution vnd vergebung feiner Sünden, den waren 
Leib vnd Blut Chrifti genoffen, Dem HErrn Chrifto vor fein ſchmerbliches Laden 
herblich gedandet, zugefügt, daß er im Chriſtlicher gedult und beftendigkeit in der 
erfandten feligmadenden Warheit, in waren Glauben biß an fein ende durch Gottes 
Gnade verharren, vnd gewißlich ein Kind vnd Erbe der ewigen Seligfeit fin vnd 
bleiben wolte. Eben ſolchs befenndtnis Hat er auch am Sontag noch repetirt Und 
widerholt, und das er nochmals dabey big in Tod verharren wolte, mit Hand und 
Munde zugefagt, Sehen wir alhier einander nidht mehr, jo wolten wir ob Gott wil 
dort im ewigen Leben einander fehen“ — und am Montag, den 8. Juni 1612, 
morgens gegen 1 Uhr entfhlief er im 48. Jahr feines Alters und wurde Mittwoch, 
den 10. Juni bei „Voldreiger verſammlung“ begraben!) Sein Bildnis findet man 
in Freheri Theatrum viror. erudit. claror. Nürnb., 1688. pag. 1507. Tab. 
78. — Als Komponift war H. in allen Zweigen der mufifafifchen Kunft feiner 
Zeit, „vom geringften zur Beluftigung der heitern Jugend gefegten Tanze für In- 
frumente, vom Heinften, anſpruchloſeſten zur Unterhaltung am häuslichen Herde ber 
ftimmten, für wenige Stimmen berechneten Piede dis zum größten, erhabenften zur 
Andacht und Erhebung fomponierten adt- und mehrftinmigen geiſtlichen Kunſtgebilde 
in Motetten- und Meſſenform“ fo erfolgreich thätig, daß ſchon feine Zeitgenofien 
ihm volle und ganze Anerfenmung zollen mußten und der Nürnberger Ratsherr 





*) Bol. dãnichen, Leihpredigt a. a. O. S. 26. Das Epitaph 9.6, wie es Dr. franz 
Witt, a. a. D. &. 19 aus einem Nürnberger Mir. mitteilt, lautet: „Johannes Leo Hasler 
Noribergae natus Anno Christi MDLXIY Musicus inter Germanos sud aetate sum- 
mus Caesaris Rudolphi II. Ducis Saxoniae Electoris uti etiam Reipublicae Noriber- 
gensis Musici Chori praefectus et Organista obijt Francofurti ad Moonam VIII. Junij 
Anno Christi nati MDCXH. aetatis suae XLVIIL“ Fötis, Biogr. univ. IV. ©. 241 
Hat wohl nur ale Deudfehfer den „5 juin 1612 als 9.8 Todestag; doch fähreibt ihm dies 
mod Riemann, a. a. D,, nad) und auch Gehring bei Grove, Diet. I. &. 697 fagt irrtümlich: 
„and died probably on June 5. 1612.° — Mit Hänitens feeljorgerficen Mitteilungen iR 
auch Die mehrfach ventifierte Frage, ob 9. der ewangelilhen oder der Tathotifchen Sicche ange» 
Hört Habe, endgiltig gelöfl 





544 Hans Leo Haßler. 


G. Voldhamer in einem amtlichen Aktenſtücke es ausſprechen fonnte: „Sintemu 
auffer Zweifels, das difer Zeit feins gleihens In Teutſchland nitt Iſt, vnd nt 
unter den Teutfehen biß auff dife Zeit Stein folder Nomponift gefunden worden.‘ 
Während er auf dem Gebiete der katholiſchen Kirchenmuſit den größten Meiſtern 
feiner Zeit, Paleſtrina und Laſſus ebenbürtig zur Seite fteht, Hat er durd) die beiden 
Choralwerte, die er der evangeliſchen Kirche geicenkt, eine nicht minder Hohe Stel 
kung in der Geſchichte unfrer Kirhenmufil zu erlangen gewußt. Seine „Pialmen 
und chriſtliche Gefänge, fugwweis componirt” find „eine Mufterfhule. für Tontte 
punttiſche Choralbenrbeitungen“, von gleich Hohem Werte wie feine und feiner großer 
Zeitgenoffen katholiſche Sirenftiüde, von denen fie fih nur dadurch unterjcheider, 
daß fie die ſtrophiſche Form der zu Grunde liegenden evangeliſchen Gemeindeweiier 
fo weit berüdfihtigen, als dies mit freiefter fontrapunftifdier Führung der Stimmen 
irgend verträglich ift. War dies Wert dem Chorgefang beſtimmt, fo follte das wei 
tere: „Kirchengeſäng, Pfalmen und geiſtliche Lieder x. simpliciter gejegt” zugleid 
auch dem Gemeindegefang dienen. „Nachdem id vor wenig Jahren“ — fo fagt 
9. ſelbſt in der Vorrede — „mur etliche teutſche geiflihe Geſäng auf den contra- 
punetum simplicem mit 4 Stimmen folder Art und Magen gefertiget, daß die 
felbigen auch in den chriſtlichen Verſammlungen von dem gemeinen Mann neben dem 
Figural mitgefungen werden Können, Habe id darüber felbft aud) vermerft und ar— 
fahren, daß foldes in den Kirchen zu Nürnberg, allermeift aber, und zwar anfäng 
lid) in der Kirche unſrer I. Frauen ſowohl in meiner, als audrer dergleichen Kom 
pofition von der lieben gemeinen Bürgerſchaft mit fonderer Anmutung, chriſtlicher 
Luft und Eifer geſchehen.“ Diefer Erfahrung verdanfen wir ein geiftlihes Lieder 
Buch, „das durch feine nervige Modulation auf toniſcher Grundlage, durch feine edle, 
bedentungsvolle, ſchwerwiegende Tonreihe aller Stimmen, durch die Energie und 
Kraft feiner Harmonieführung nicht nur eines der beſten, fondern das beite Lieder: 
buch im einſachen Tonfage ift, das die proteſtantiſche Kirche Aberhanpt befigt.” — 
Auch im deutſchen weltlichen diede, deffen ältere Form Ludwig Senfl auf die Höhe 
ihrer Entwiclung geführt und zugleich abgeſchloſſen und das glei darauf Orlandus 
Lafjus in die neue Form des italieniſchen Madrigals Hinithergeleitet Hatte, ftellte 
9. durd) feinen „Fuftgarten mener teutfcher Gefäng* ein „Mufter- und Meifterwert 
weltlicher Fiedercompofition" auf, und erzielte in deffen ſchönſter Nummer (24), dem 
löſtlichen Liebestiede „Mein Gemüt ift mir verwirret”, einen vollen Nadklang der 
älteren deutſchen Vollsweiſe. Was endlich noch H.s Thätigfeit als Organift be- 
teifft, fo find uns nur noch wenige feiner Orgelwerke erhalten, die von derfelben 
Kunde geben. Einige Ricercare, in denen er alle inftrumentalen Kunftmittel feiner 
Zeit verwendet, zeigen ihn auf demſelben Übergangsftandpunft vom vofafen zum ir 
firumentalen Stil in der Form der Figuren, wie im tonifhen Inhalt, den alle feine 
Beitgenoffen einnehmen: ein wirklicher Orgelftil war zu feiner Zeit noch nicht ver 
Handen und wurde erft zwölf Jahre nad) feinem Tode durch Samuel Scheide 


Hans Lro Haßler. 545 


epochemachende „Tabulatura nova“ begründet. — Im ganzen Hat H. zehn Mufit- 
werke von zum Teil bedeutenden Umfange herausgegeben, die faft alle mehrere Aus- 
gaben erlebten und zuſammen an 400 Tonfäge enthalten. Bon diefen Werten find 
hier zu verzeichnen: 
1. Cantiones sacrae de festis praecipuis totius anni, 4. 5. 
6. 7. 8 & plurium vocum. Avtore Johanne Leone Haslero etc. 
Augustae, apud Valentinum Schönigium. M. D. XCI 4°. 39 Nrn. 
2. Ausg. Nürnd. 1597. Paul Kaufmann. 48 Nrn. 3. Ausg. Nirnb. 1607. 
Paul Kaufmann. 48 Nm. — 2. Missae quaternis, V. VI. et VIII vo- 
cibus Avthore Joanne Leone Haslero etc. 1599. Norimbergae apud 
Paulum Kaufmannum. 4°. 3 Meſſen. — 3. Luſtgarten Neuer Teut- 
iger Gefäng, Balletti, Galliarden und Intraden, mit 4. 5. 6 und 8 Stim« 
men: Gomponirt durd Hanns Yeo Hafler von Nürmberg. MDCI. ete. Zu 
Nürmberg bey Paul Kauffmann. 4°. 50 Nrn. 2. Ausg. 1605. 3. Ausg. 
1610, beide mit gleichen Inhalt wie die erfte. Hier unter Nr. 24 „Mein 
Gemüt ift/mir verwirret” mit Öftimmigem Tonfag (vgl. den Art. „Herz 
lid) tut mid verlangen"). — 4. Sacri Concentus. Quatuor 5. 6. 7. 
8. 9. 10 & 12 Vocum. A Joanne Leone Haslero ete. M.D. C. 1. 
Augustae Vindelicorum apud Valentinvm Schönigivm. 4°. 52 Ren. 
2. Ausg. 1612. Norimbergae, Typis et sumptibus Pauli Kaufmanni. 
63 Ren. — 5. Palmen vnd Chriftliche Gefäng, mit vier Stimmen, 
auff die Dielodeyen fugtweiß componiert: Durch Hanns Leo Haßler x. Rüm. 
Kay. May. Hofdiener. Gedrudt zu Nürnberg, bey vud inm verlegung Pauf 
Rauffmanns. M. D. CVIL. 4%. 52 Nm. Dedieirt: „Herrn Chriftiano, Here 
gogen zu Gadhfen x, datiert: „Wim den 10. Augufti 1607.” Cine neue 
Partiturausgabe wurde auf VBeranfaffung der Prinzeffin Amalia v. Preußen 
Durch Sirnberger beforgt und erfcien 1777 unter dem Titel: „Palmen und 
Griftliche Gefänge, mit vier Stimmen, auf die Melodien fugenweis componirt: 
durch Hanns Leo Hafler, Römifh Kayferl. Mojeft. Hofdiener. Auf Befehl 
einer hohen Standesperfon aufs neue ausgefertiget. Leipzig, ans Johann Gott« 
lob Immanuel Breittopfs Buhdruderey, 1777." Gr. Fol. 3 Bl. Vorw. und 
Driginaltitel. ©. 3—150 Partitur. 1 Bl. Regifter. 30 Choräle in 52 Ber 
arbeitungen. — 6. Kirheugefüng: Bfalmen und geiftlige Lieder, auff 
die gemeinen Melodeyen mit vier Stimmen fimpficiter gejept, Durch Hanns 
Leo Haßler x. Röm, Key. Day. Hofdiener. Palm 98. Lobet den HEren 
mit Harffen, mit Harffen vnd Bialmen. Gedrudt zu Nürnberg, bey und in 
verlegung Paul Kaufmanns. MDCVIL, 4°. 71 Pen. mit den volftändigen 
Texten. Über die 2, Ausg. von 1637 vgl. den Urt. „Stade", eine neue 
Bartiturausgabe erfhien unter dem Titel: „Kirgengefänge: Bfalmen und geift- 
ice Lieder, auf die gemeinen Melodien mit vier Stimmen simplieiter gefegt 
durd Hanns Leo Haßler ıc. von Nürnberg, MDCVII. Neu Herausgegeben 
durch Guftav Wilgelm Tefchner. 1865.) Berlin, T. Trautwein (M. Bahn). 
Duer ol. VI und 53 ©. 67 Nm.) — 7. Litaney Teutid, Herm D. 








%) Bol. Eitner, Chronologiſches Verzeichnis der gedrudten Werte von Hans Leo Hafer 
arıd Orlandus Laffus. Beilage zu den Monategeften für Dufitgeiä. V. u, VI. Jahrg. Ber- 
im, 1874. M. Bahr (T. Trautwein. Hier S. I-IX ein Aromologiid) genaues Berzeidmis 

Rümmerle, Enchfl, d, ewang. Kirdenmuft, I. 35 


546 Iak. Haßler. Kaſp. Hafler. 


Martini Lutheri, Zepo mit 7 Stimmen auff zween Chör componirt durch 

Johann Leo Haßlern. Nürmberg, Gedrudt bey, Valthafar Sherffen. M. DC. 

XIX. 4°. — 8. 6 Ricercaren, eine Canzone und ein Magnificat 

1”! toni für Orgel, im Mike. Königl. Bibl. in Berlin: Man. mus. 191. 

Bol. die Beſprechung diefer Stüde bei Ritter, Zur Geldihte des Orgelipiels. 

1884. 1. ©. 143— 144; dajelbft II. Nr. 75. ©. 115—117 ift eines der 

Kicercaren mitgeteilt, 

Haßler, Jakob, der zweite Sohn Hank H.s und jüngere Bruder Hans Leo's, 
war nad) Fetis Annahme „um 1565 zu Nürnberg geboren.”!) Sicher iſt über 
ihm jedoch nur bekannt, daß er 1601 Organiſt im Dienfte des Grafen Eytel Fried 
rich von Hohenzollern zu Hechingen war; denn er unterzeihnete die in dieſem Jahre 
von ihm zu Nürnberg herausgegebenen Mufihverke (Magnificot 4 voc., Missa 
6 voc. und Miferere 8 voc.) mit „Noribergens. Illustr. et Generos. D. Eytel 
Frideriei, Comitis in Hohenzollern etc. Organista.“ Ob er in Hedingen 
geblieben und dort geftorben if, wie Niemann (er. S. 370) will, ift zmeifelhaf 
geworden, ſeit aus den Akten der kaiſerlichen Hoflapelle zu Wien nachgewieſen wurde, 
daß ein „Jakob Hüsler" am 1. Yuli 1602 in diefe Kapelle eintrat. Es üt diele 
Angabe wohl Taum, wie mehrfach geſchehen, auf Hans Leo H. zu beziehen, vielmehr 
dürfte Jalob H. in derfelben gemeint jein.?) Weitere Nachrichten über diefen fehlen 
bis jegt, und nur noch eine weitere Sammlung von Kirhenmufifitiden „Magnificat 
von 4, 5 bis 12 Stimmen verfdiedener Komponiften” verzeichnet Gerber von ihm, 
als 1608 zu Nürnberg erfhienen.?) 





Haßler, Kaſpar, der als der jüngfe der drei Brüder angefehen wird, wer 
der gewöhnlichen Annahme zufolge um 1570 zu Nürnberg geboren.t) Cr erfdheint 
von 1587 am als Organift deſelbſt und erlangte als folder bedeutenden Ruf, | 
fo daß er 1896 mit, dem Bruder zur Ginweifung Der berühmten "Orgel in Gi | 
wingen berufen wurde.) Als Komponift ſcheint er weniger bedeutend gewefen je 


der Werte 9.8 in den verfäiedenen Ausgaben, 5. IXXVIII ein alphabetiſch geordnetes Ver. 
zeidmis des Gefamtinfalts. Die in den Sammelwerlen des 16. und 17. Iahrh. erfdjienenen 
Kompoftionen 9-8 verzeidnet Eitner, Biblioge. der Mufiliemmelwerle. 1877. S. 618—6%; 
die in Sammlungen der Gegenwart (. B. bei v. Winterfeld, Shocberlein-Kiegel, Ert-Filis 
u. 0.) meugedrudten Werle in: „Verzeihnis neuer Ausgaben alter Mufitwerke.“ Monatef. für 
Mufitgeiä. 1970. IT. 1871. III. &. 108-109 und 1877. IX. ©. 17 des Regifers, 

Vol. Fetis, Biogr. univ. des Music. IV, S. 242, dem aud Riemann, Mufit-Lepiler 
1884. ©. 370 u. a. folgen. 

2) Bol. d. Köche, Die L, failerl. Hofmufif-Kapelle zu Wien von 1548-1867. im, 
1869. S. 58 und Gehring bei Grove, Diet. I. &. 697. 

3) Bgl. Gerber, Altes Ley. I. S. 590; doch weiß Eimer, Bibliogr, 1877. S. 244-245 
und ©. 618 von diefer Sammlung nichts. 

+) Bol. Mendel, Muf. Komverf.Ler. V. S. 81; Folis, Biogr. univ. des Music. I. 
©. 241 fat „n& vers 166%, Gehring bei Grove, Diet. I. ©. 697: „born probably 15:0. 

*) Er wird in dem Verzeichnis der 63 berufenen Organiflen bei Wertmeifter, Org. Gre- 











Haf du denn Jeſu dein Angeſicht günzlich ıc. Ernſt Hauer. 547 


fein, denn weder in dem von ihm herausgegebenen Sammelmerfe „Symphonine 
sacrae“, nod in andern Sammlungen feiner Zeit findet fih ein Stüd von ihm, 
und über eine auf und gefommene Orgelphantafie urteilt A. G. Ritter (Zur Geſch. 
des Drgelfpiels I. S. 145), daß fie „ziemlich inhaltsleer“ fei. 1618 ſiarb er zu 
Nürnberg, ſofern alfo fein Geburtsjahr 1570 ift, wie fein Bruder erft 48 Dahre 
alt. — Kafpar 9. Hat folgende große Sammlung von Kirhenftüden herausgegeben : 

„Sacrae Symphoniae diversorvm excellentissimorvin Avthorvm. 

Quaternis, V. VI. VIL. VIIL X. XII. & XVI vocibvs tam vivis, quam 

Instrymentalibys accommodatae. Editae stvdio et opera Casparis 

Hasleri, S. P. Q. Noriberg. Organistae. Noribergae, Apyd Paulum 

Kaufmannum M. D. XCVII. 4°. 72 Ren. von Gregor Aidinger (7), 

Franc. Bianchordi, Giov. Croce, Giov. Gabrieli (14), Hans Leo Hapler (4), 

Luca Marenzio (2), Tib. Daffaino (3), Phil. de Monte (6), Giov. Batt. 

Mofto, Annib. Paduano, Paleftrina (4), Andrea Rota, Dam. Scarabaeus, 

Acan. Trombetta, Drazio Bechi (6) und Camillo Zannotti. — Cine zweite 

sg, mit, glihem Inhalt erfgien 1601, eine dritte, auf 103 Ren. vers 

mehrte, 1613.') 

Ein Sohn Kafpar H.8 war wohl: Tohann Benedikt Hafler, der 1687 
Drganift am der Frauentiche zu Nürnberg war, wie aus der Dedifation hervorgeht, 
die Sigismund Theophil Stade feiner Ausgabe der Haßzler'ſchen Palmen und 
Kirdpengefänge von diefem Jahre voranftellt. 

Haft du denn Jeſu dein Angeficht gänzlich verborgen. Choral, vgl. 
den Art. „Lobe den Herren den mächtigen König der Ehren”. 

Hauer, Ernſt, wor bis 1828 Kantor zu Dardesheim bei Halberftadt, und 
von da bis an feinen 1840 erfolgten Tod Gefanglehrer an der Bürgerſchule zu 
Halberftadt. Sein älterer Sohn, Hermann Hauer, ift am 18. Auguft 1812 
zu Dardesheim geboren; er übte ſich unter des Vaters Leitung von Jugend auf in 
der Mufit, namentlich im Orgelfpiel, in welhem er Schüler des Drganiften Liebau 
im Quedlinburg wurde. Nachdem er einen mehrjährigen Seminarturſus abfolviert 
patte, wandte er ſich um 1832 nad; Berlin, wo er noch weitere muſikaliſche Stu- 
yien bei Rungenhagen, Marz, Dehn und U, W. Bad) machte und 1845 Organift 
im der nengebauten Zacobitirhe, ſowie Gefanglehrer an mehreren Schulen wurde, 
Als ſolcher wirlte er ſeitdem dafelbft und erhielt in Anerkennung feiner Thätigteit 
1870 den Titel eines königl. Mufildireltors. — Bon ihm erſchienen an firden- 
nufilaliſchen Werten : 

Op. 1. Palm 23 für ©. A. T. u. B. Berlin, Geelhaar. — Op. 10. 

Sammlung mehrftinmiger Motetten mit und ohne Begleitung. 3 Hfte. Berl, 





ing rediv. 1705. $ 11 unter Pr. 5 als „Caſper Hafler von Nürnbern“ aufgeführt. Bol. 
uch Doppelmay, Hift. Nachr. von Nürnb. Künflern. 1730, ©. 214, 
') Bol. die genaue Veſchreibung des Werles bei Einer, Bibliogr. der Mufil-Sammel- 
yere, 1877. ©. 231. 236. 255. 
35* 


548 Virg. Haugk. Ang. Haupt. 


Möſer. — Liturgiſche Andacht am Palmfonntag. Part. u. Stn. gr. 4°. Berl. 
Geelhnar. — Geiftlicher Fiederfhag. Sammlung von Chorälen. Motetten x. 
älterer und neuerer Meifter. Berl, Käftner. — Praftijhe Bemerkungen zu 
der Schrift des Herrn Geh.Rats Schede über” die Geſangsnot in der evang, 
Kirhe. Berl, W. Schulze. 8. — 

Sein jüngerer Bruder, Karl Hauer, um 1824 geboren, erhielt feine Höhere 
muſitaliſche Bildung auf dem königl. Inftitut für Kirchenmuſit zu Berlin, wo « 
dann als Mufillehrer tHätig war. Ceit 1862 ift er Organift an der Marlustirh 
und Gefanglehrer an der Stralauer Realſchule in Berlin. Von den c. 50 Werten, 
die er veröffentlicht hat, iſt hier nur zu nennen: Op- 7. Drei Motetten für S. A 
T. u. B. Berlin, Trautwein. 


Haugk (Haut, Haug), Virgilius, ein Mufitfgriftfteler und Tonjeger, der in 
zweiten Viertel der erften Hälfte des 16. Jahrhunderts lebte und arbeitete. Bor 
feinen Sebensumftänden ift bis jegt nichts weiter befannt, als daß er aus Bähmer 
gebürtig und in Breslau al Kantor oder Echulmeifter angeftellt war. Als folder 
gab er Hier die Schrift „Erotemata Musicae practicae“ 1541 heraus,!) und 
war zugleich als Tonfeger thätig. Von feinen Tonfägen fennt man nodh: 

1. Bier lateinische Hymnen bei Rhau „Sacrorum Hymnorum. Liber 

Primus.“ Wittenb. 1542: „Ad coenam Agni providi.“ 4 voc. daj. Ir. 

46. „Accende lumen.* 4 voe. dal. Nr. 54. „O gloriosa domina. 

4 voc. da. Nr. 94. „Angelum pacis.“ 4 voc. deſ Nr. 100. — 2. einer 

Tonfag Über die beiden Melodien „Water unfer im Himmelreih” und „ir 

glauben al am einen Gott“ bei Mıau „Nee Deudfce Geiftlihe Gefenz 

CXXIII.“ Wittenb. 1544. Nr. 42.) 


Haupt, Auguſt, einer der bedentendften deutſchen Orgelfpiler der Gege nwarn 
iſt om 25. Auguft 1810 zu Cunau in Schlefien geboren und erlangte feine Schzi 
und elementare mufifalifche Bildung auf dem Gymnaſium zu Goran, das er 1824 
Bis 1827 beſuchte. Darauf ging er nad Berlin und trat Gier in das Lönigl. Ir 
Mitut für Kirchenmufit ein, in dem er den mehrjährigen Unterricht A. W. Bad 
im Drgelfpiel, forvie Bernf. Klein's und S. W. Dehn’s in der Kompofition genot 
1831 trat er zuerſt als Orgelvirtuofe auf und machte Auffehen; 1832 erhielt m 
die Drganiftenftelle an der franzöfifcen Kirche, von welder er 1835 an Die € 
beth-, und 1839 an die Nifolaiticche überging, bis er 1849 als Nahfolger einst 


») Nach Feris, Biogr. des Music. IV. S. 244 erſchien eine zweite Ausg. dieſes Bat 
Gens 1545 zu Warſchau 

3) Bot. Gitner, Bibliographie 1877. S. 020. Die Notiz bei Gerber, Neues Ser. IL © 
521, die and noch Mendel, Mufit. Konverj.-Ler. V. S. 94 dat, daß Haugl’s Name „une 
den Konıponiften der Kirhenmelodien, weiche in Hans Walthers und andrer Kantionalen ı= 
Tommen“, fi finde, begieht fih wohl nur auf die obengenannten Rau’fäen Sammlungen. - 
Der Tonfatg über die beiden Choralmelodien iR mengebsudt bei v. Winterfeld, Tuthere wat) 
Nieder. Leipzig, 1840. ©. 126-130, 














Ang. Hanpt. 549 


genialen Freundes Ludw. Thiele Organift an der Parochiallirche wurde, an der er 
feitdem geblieben ift. Zu feiner weiteren Ausbildung machte er 1838 noch Studien 
in Orgelfpiel und Kompofition bei Johann Schneider in Dresden und Friedrich 
Schneider in Deffan, und erlangte num durch verſchiedene Konzerte raſch feinen Ruf 
als Virtuoſe und namentlich als trefflicher Bachſpieler,.) wie er aud als ausgezeich- 
meter Orgelbauverftändiger gift und fein Nat im diefer Beziehung vielfach geſucht 
wird.) Im den fehziger Jahren trat er als Lehrer ffir Orgel und Kompofition 
am tnigl. Inftitut für Kirchenmuſit ein und wurde 1370 als A. W. Bach's Na 
jolger deſſen Direftor. Neuerdings Hat er auch noch einen Lehrauftrag an der 
tönigl. Hochſchule für Muſit übernommen und ift mit dem Titel eines Profefiors 
Mitglied des Senats der Mademie der Künfte in Berlin geworden. Am 25. Auguft 
1882 feierte ex unter allgemeiner ehrender Teilnahme fein 5Ojähriges Jubilanm als 
Organift. — „Wohl fein lebender Künſiler hat zur Förderung Haffücer Orgel- 
mufit mehr beigetragen, als er. Mas er in uneigennügig veranftalteten Orgel- 
Tongerten dem Vublifum Berlins vermittelte, das Hat er auf zahfreihe Schüler 
übertragen und hinansgefandt im alle Welt. Cine große Zahl von Organiften, 
Kantoren, Seminar-Dufifiehrern und andern Mufitern in der alten umd neuen Welt 
verdanft ihm eine klaſſiſche muſitaliſche Bildung. As Orgel Reviſor und Ratgeber 
in Orgelbau-Angelegenheiten Hat er mit Sachtenntnis und firenger Redtlihfeit den 
Gemeinden zu gewiſſenhaft hergeſtellten Orgeln und den Orgelbauern zur Kenntnis 
der Beitanforderungen weſentlich geholfen.” °) — Bon 9.8 Kompofitionen für Orgel 
ift bis jegt nichts im Drud erſchienen, und nur fein 

Choralbuch zum häuslichen Gebrauh für Bionoforte oder Orgel (oder Har- 

monium). Berlin, 1869. Schleſinger — *) 


iR Hier zu verjeidnen. 











3) Der engliſche Organit Dr. Spark urteift Über ihn: „Die hervorfpringenden Rüge 
eines Spiels lamen am meifen in der vachſhen Fuge (Präl. u. Fuge H-moll) zur Geltung, 
veldje er mit bewundernewerier Würde und Grüße des Stiles vortrug. Niemals in der That, 
© viel ich auch Seh. Baghſche Orgelmuft Habe ſpielen hören, genoß ich die Mufi des großen 
Veipziger Lantors einbringlicher; niemals Körte id} dieſe daunengwerte Schöpfung feines frudit- 
jaren Geites mit meiftechafterer Hervorhebung aller ißrer verffiedenen Schönheiten vortragen. 
$8 mar für mid einer der Höfflen Genüffe, den id) nimmer vergeffen werde." Dal. Allg. 
nuf. Zig. 1871. ©. 698. 

2) &o wurde ihm 3. B. 1964 die Ausarbeitung einer Diepofition für die große Händel- 
gel (65 M. Stm.) übertragen, Die 1857 von Gray and Davifon im Kruftalpalaft zu Sonden 
mfgeftelft wurde. @gf. Hopkins and Rimbault, The Organ. 1817. I. &. 467. 

2) Dit diefen Worten hebt das Komitee für die Feier des Haupt-Jubiläums feine Ver- 
ienſte hervor. Bol. Guterpe 1882. ©. 42. 

*) Dasfelbe erfäien 1882 in zweiter Xuflage unter dem Titel: „Choralbud zum bäus- 
igjen Gebraud. Enthaftend 115 der fünften Chorafmelodien mit beigefügten Tert, einfad) 
ffiremig und leich ausfüßrbar für Aavier, Orgel, darmonium und Gefang bearbeitet. Zweite 
ermehete und verbefferte Auflage. Berlin, 1882. Sälefinger. 











550 Hanpt-. Hanptkanal. Hanptklavier, Hauptmannal. 


Haupt, ein Beiwort, mit dem verfhiedene Teile der Orgel näher bezeider 
werden, um fie von andern zivar gleichgebauten, aber in der einen oder andern Sin 
ſicht weniger bedeutenden Teilen zu unterfeeiden. 


Hauptlanal nennt man den Kanal, der den Orgelwind unmittelbar aus der 
Balgen, die durch die Balgſchnauzen (Kröpfe) mit ihm verbunden find, empfängt un 
ihm nad) den ebenfalls mit ihm verbundenen Nebentanälen weiterführt. Cr ift vier 
tantig und muß, wie alle andern winbführenden Teile der Orgel durch Belederung 
und Ausgiegen mit Heigem Leim volftändig luftdicht gemadt werden. Der Kubit 
inhalt feines innern hohlen Raumes ift durd die Größe des Orgelwerles, dem u 
den Wind zu liefern hat, aufs genauefte beftimmt und wird nad) feititehenden Et 
ſeten berechnet.i) Se nad) den Anforderungen, welde die Windleitung und Win) 
Verteilung bei verfciedenen Orgelwwerlen ftellt, bleibt der Hauptlanal entweder unge 
teilt, oder er wird durch Zwiſchenwände geteilt (geteilter Hauptkanah. de 
und an demfelben find angebradt: das Kontraventil, unmittelbar vor der Belz 
ſchnauze, mit dem Ziwede, das Zurüditrömen des Windes nad) den Bälgen zu ver 
hindern: das Haupt-Sperrventil (vgl. den Art), der Evacuant (vgl. der 
Art.) und die Windwage (vgl. den Art.). 


Hauptllavier, Hauptmanual — abgelürzt HM., HW. — ift bei ale 
Drgeln mit mehreren Manualen diejenige Klabiatur, auf welher das Hauptwerl, 
d. h. derjenige Teil der Orgel geipielt wird, zu dem die größten Stimmen, 
namentlich die maßgebenden Grundftimmten „von großen und gravitätifgen Mer 
ſuren· (Silbermann, Frauentirche Dresden) gehören, und das aud) der Zahl feine 
Stimmen nad) am ftärtiten befegt it) Seiner Lage nad ift das Hauptmanz 





*) Die Regeln, nad) weldien der Inhalt bes Hauptfanafs für verfhiedene Orgelgrößen 
Geredinen it, vgl. Bei Töpfer, Kunft des Orgelban'e. $ 103. ©. 100 ff. und „Werlflätte da 
Künfe”. Bd. VI. ©. 810 fi. 

2) Als Beifpiefe der Stimmenverteilung in Heineren und größeren Orgelmerten der Geyer 
wart mögen folgende Gier flehen: 

2 Man. u. Ped.: bei 10 Sin. HM. 5. OM. 3. Pad. 2. (Balder); bei 20 Ein. HR 
10. DM. 5. Bed. 5. (Ladegaf, Synagoge, Lei ei 30 St. HM. 13. DM. 10. Par. 
(Gerhardt in Merfeburg, Orgel der Immanueletiche, St. Louis.) 

3 Man. u. Ped.: bei 40 Sn. HM. 18. II. Man. 9. III. Man. 7. Ped. 9. (Ah, 
Köln, Gürgenih); bei 51 Stn. HM. 15. II. 14. III. 11. Ye. 11 (Ruhm, Großmünfter, 35 
vid); bei 60 Sin HM. 17. UM. 13. OM. 19. Pad. 17 (Sufze, Dom in Bremen). 

4 Man. u. Bed.: bei 52 Sm. HM. 15. DOW. 11. Gern®. 10. Rd! 4. Po ıt 
(Sauer, Tomastiräe, Berlin); bei 85 Str. H@. 21. II. Man. ıv. III. Man. 13. I 
Man. 13. Bed 19 (Ladegaft, Nitolai-irge, eiprig); bei 100 Sin. HM. 30. II. Man ti 
I. Men. 16. IV. Man. olle Zungenftimmen der andern Rlaviere; Bed. I. 24. Per. II: 
(Balder, Dom in Um); bei 100 Il. Stn. Grand Orgue 13, grand Ohoeur 13, Bombar! 
20, Positif 20, Recit expressif 22, Pod. 12 (Caraille-Coll, St. Sulpice, Paris 18% 
bei 111 If. Sin. Great 25, Choir 20, Swell 2, Solo 20, Pod, 21 (Henry Willis, Bra 











Hanptlied. 551 


in zmeimanwaligen Orgeln immer das untere in dreimamualigen neuerdings eben- 
jals das untere, oder nad) früherer Pragis, Die von vielen Orgelbauern aud jet 
mod; feftgehaften wird, das mittlere. Mit dem Hauptmanual ſollen ſämtliche andere 
Mannale geloppelt werden fönnen. — Die Windlade, auf der die Stimmen des 
Hauptmanuals oder Hauptiwerkes ſiehen, Heißt Hauptlade, Hauptwindlade — 
vgl. den Art. „Windiade”. 


Hauptlied, Feft-, Sonntags, Gemeindelied, Es entſprach von 
Anfang an den Grundfägen der evangelifgen Kirche, in ihrem liturgiſchen Gefang 
an die Stelle des klerikalen mittelalterlichen Chores die Gemeinde treten zu laſſen, 
und entweder neben den lateiniſchen Gefängen des Chores, „ein deutſch Gefang für 
das gemein einfältig Volt“ einzufegen, oder aber „in Stüdtlein, in Heinen Fiecen 
und auf den Dörfern, wo feine Schüler (d. h. feine Schülerchöre) waren,“ das 
vom „ganzen Haufen“, der „ganzen Kirch“ gefungene deutfche Lied, den „deutfchen 
Bahn“ ganz an die Stelle des Chorgefanges zu fegen.) Schon iu der erſten 
Zeit der Reformation fehen wir daher die feftftegenden Gefangftüde der Liturgie 
(das Kyrie, Gloria, Credo, Sanktus und Agnus Dei) in deutſche Lieder verman- 
dein, und bald folgten auch die wechſelnden Stüde der Meſſe: Introitus, Graduale 
und Dffertorium. Namentlich an der Stelle zwiſchen den bibliſchen Leſungen wollen 
zwar die KOD. des 16. und 17. Iahrhunderts zunädft die verfhiedenen Stüde 
des Graduale beibehalten wiſſen, verlangen aber nicht minder aud die Einlage eines 
Gemeindeliedes. Da wird beftimmt, es full „Tonderlih am Hohen Weiten ein deut 
ſcher Lobgeſang, welcher auf das Feſt geftellet ift, für das gemeine einfültige Volt 
eingemenget und mit Freuden gefungen werden;" andere LDO. verlangen für die 
gewöhnlichen Sonntage nur ein Gemeindelied, einen deutſchen Pfalm, der ſich auf 
das Evangelium reimet” (Psalmum aliquem germanicum. Luc. Lossius); noch 
andere ftellen Chor: und Gemeindegefang in der Weile zufammen, daß entweder 
dem Halleluja des Chores, deſſen „Melodey auf den deutſchen Pſalm gereimet” fein 
ſollte, der Geſang der Gemeinde folge, oder daß die Gemeinde zwiſchen die Stro- 
phen der Sequenz des Chores die Strophen ihres Feilliedes abwechſelnd einlege, 
oder aber daß „nad der Epiftel das deutſche Geſang vom Feſt muficiert und fol: 
zends von der Gemeinde fontinwiert” werde.) Und fo fehr entipraßen dieſe Anı 
ordnungen den Wünfhen und Bedürfniffen dev Gemeinde, daßz das hier eintretende 
kied bald als das Hauptlied, der Hauptgemeindegefang des jeweiligen Feſt. oder 








Albert Hall, London); bei 94 ff. Stn. Great 21, Choir 13, Swell 18, Solo 9, Echo 8. 
Ped. 25 (Edm. Schute in Paulinzelle, Orgel der Georgetirche zu Doncafler 1857-1862). 
) Bot. duther, Deutice Mefie. 1520. Preuß. HD, 1558. Lüneb. RO. 164. Bram: 
hmweiger XD. 1531. Oft. AD. 1571 u. a. 
2) Bol. Preuß. RD. 1558. Yommerffe KO. 1563 (Schent, Handagende 1857. ©. 19). 
Eäurländ. KO. 1570. Braunfgmw. KD. 1531. Bittenb. AD. 1599. Hamb. RD. 1539. 
Dresktenb, KO. 1540. Rordi. RD. 1650 u. a. 








552 Hanptlied. 


Sonntagsgottesdienftes angejehen umd bezeichnet wurde.) Es bringt dies Gemeinde 
(ied vor allem an den Feſttagen des Kirhenjahres den Preis und Dant, die feftlih: 
Freude der Gemeinde für und über die in Epiftel und Evangelium verfüindete Heits 
thatſache des jedesmaligen Feſtes im höheren Chore des Hymnus, in den vorzüg: 
lichſten Feſtliedern der evangeliſchen Kirche zum Ausdrud, und aud in der feſtloſen 
Hälfte des Kirchenjahres enthält e8 Dank und Bitte hinfihtlih des der Gemeinde 
entgegengebraditen Wortes Gottes und feines der einzelnen Kirchenzeit eigenen Ir 
Halts, wie es endlich aud als Schriftlied nod) auf das befondere Evangelium jedes 
Sonntags Bezug nehmen kann.?) Im der fpäteren Zeit des liturgiſchen Verfalls it 
das Hauptlied feider zum bloßen Predigtfied heraßgefunfen: jo namentlich in der 
würtlembergiſchen Kirche, Die dar feinen liturgiſchen Gefang Hat, aber aud in an 
dern deutfehen Landedlirchen, wo mehrfach die eine der bibliſchen Peftionen und due 
Credo im Verlauf der Zeit fallen gelaffen wurden. Mit Recht haben daher meuert 
Fiturgien umd Liturgiler dasfelbe in feine Rechte wieder eingefegt, ohne daß fie jedos 
über die Stellung desjelben einig find. Während z. B. die preußiſche Agende von 
1829 bemerkt: „Wo der Gehraud von alters Her beſteht, z. B. am Hohen Feß- 
tagen, nad) dem Alleluja ein Gefangftü, oder Lied der Gemeinde einzulegen, da 
mag ſolches auch ferner ſiatt Haben,“ erklärt Layriz: „Die Stellung des Hauptliedet 
oder Überhaupt irgend eines längeren Liedes zwiſchen Epiftel und Evangelium ft 
nichts als eine Ausgeburt liturgiſcher Verlegenheit und eine Zerreigung aller litur 
gücen Ordnung: das Hauptlied insbefondere könnte gar feine ungeſchiclere Stellung 
erhalten als diefe,“ und wünfgt daher: „möge es fie nie wieder einnehmen dürfen;“ 
und während Schent die Verwendung desfelben als Predigtlied „völig gerehtfertigt" 
findet, verlangt Schoeberlein: die Gemeinde fingt Hier (noiſchen den Leftionen), urt 
nicht dor der Predigt, ihr Hauptlicd, welches agendariſch feftgeftellt fein müßte.) 
Für diefe von Schoeberlein mit Recht geforderte agendarifge Feftftelung des Haupt 
fiedes, durfte es nicht ohne prattiſchen Wert fein, eine ſolche Aufftelung für das 
ganze Kirchenjahr fenmen zu Lernen, wie fie der treffliche Rit. Selmeder ſcher 
1587, als in dem Kirchen zu Leipzig damals gebräuchlich, gegeben hat.‘) Der 
ſelbe fagt 

1) Bot. Lüneh. XD. 1564. 1598. 1643. Braunfgw.Lüneh. AD. 1857. Shaumbırs 
ippeicie EAg. 1896 u. a. 

2) Bol. Schocberlein, Der vang. Hauptgottesdienf. 1895. S. 272-273. 

Bol. Preuß. Land-Agende. 1829. 3. 5. Anın.; Sayriz, Kern IV. Borr. &. VI. VI: 
Scent, Yand-Agende. 1857. ©. 15. 16; Schorberlein-Wiegel, Shat 1. &. 204. 

+) Ba. die Vorrede zu feinen „Kirhengefengen x. 1587.“ 4°. Nüdjeite dee 5. BI. fi 
Wadernagel, Bibliogr. des deutfhien AR. 1855. &. 667868. Diefe Ordnung murde m$ 
zu Bah’8 Zeit eingehalten. Bol. Spitta, Bad II. S. 97 f. u. S. 516. Gin anderes 1 
liches Verzeichnis von Liedern (und felöft einzelnen Stropfen) auf alle Sonn- und Fi 
tage des Kirgenjahts giebt Peter Schr in feinem ©.2. „Muftalifcer Borfümad ı.” Yan 
1683, 8°, in einem eigenen Megifter „über die Pjalmen und Kirchengefänge, melde mir x: 
Evangelifen und Epiftolifcen Terten durchs ganke Jahr überein ommen.“ 














Hanptlied. 553 


„Im unfern Kirchen behalten wir D, Lutheri Gefenge, vund fürgen diefelben fampt 
den andern in feinem Gefongbüchlein, mit frewden mit einander . . . wie mir derwegen 
allhie zu Leipzig eine gewiſſe Chrittiche gute Orduung Gaben, was man für Cheiftfice 
Lieder alle Sontag und Feſt, die zu eim jedem Sontags Euangelio auffs beſt fih ſchit⸗ 
ten, mit der gemein zu fingen pflegt, wie Diefelbige Ordnung DIR auff diefe fund ger 
haften worden . . . Sole Ordnung ein wenig, andern zum unterricht, anzumelden, 
fingen wir mit der Chriſtlichen Gemein, im Aduent, Nu tom der Heyden Heyland, ſampt 
der Litaney DentfG. Die Weincdtfeyertan uber werden gefungen, Gelobet feiftu Jefu 
Chrift: Chriftun wir follen toben (fen. Danffagen wir alle. Yom Himmel hoc, da 
Tonım ich fer. Vom Hinmel tam der Engel ſhar. Was fürchtu Feind Herodes fehr. 
Der tag der ift fo Frewndenreich diefen Gefengen wird abgewedifelt bih auff Fiedt- 
mes. So aber von der Tauff Chrifti fol gepredigt werden, wie offt gefhict am andern 
Sontag nach Oberflen (Epiphanias), fo fingt man, Chriſt unfer HERR zum Yordan 
kam. uff Liechtmich aber wird gefungen, HERR mu feflu deinen Diener im Friede 
fahren: Band: Mit fcied vund fremd fahe ich dahin. Den Flinfften Sontag nad Ober« 
fen, wiberhofet man das Lied, Mit fried und fremd. Oder fingt, Mh Goit vom Him- 
mel ſich darein, Septuagefima: Es ift das Heil uns fommen her. Seragefima: Bater 
dfer im Himmelreid. Chomihi: Durch Adams Fall if gan verderbt. Inuscani 
Shrifte, der du bift tag vnd fit ac. Solche Lied fampt der Dentſchen Litaney wird dig 
auff' den Balnıfontag in Cheiflficher gemein alle Sontag wiberholet. Am Balımtag aber, 
che man die Hiftoriam des Leidens dud Sterbens vnfers Heylandes Chrifti If, aus 
dem Guangefiiten Mathaco teutfd finger, pflegt man vorher zu fingen, Mus tiefer noth 
fcheen id zu dir. Mm Grünen Donnerfing fingt man vom H. Abendmal, Jeſus Chri. 
Ms onfer Heyfand, der von vus den Gottes zom wand. Am Charfrentag fingt man, 
efe die gange Hifloria des Keidens und Sterbens unfers HEren Jeſn Chrifti aus dem 
Guangeliften Johanne gefungen wird, das herrliche Lied, Nu frent eudi Fieben Chritten 
gemein. OStern werben die Feyertag uber gefungen, Mfo Heilig if der Tag, Chrift if 
erftanden: Chrift lag in todes Banden. Iefus Chrifus vnfer Heyland, der den todt 
vberwand . . Vnd folds wird gehalten biß ad Dominicam Rogationum, Zur Bet: 
woch da man finget, Vater unfer im Himmelreih. Ascensionis aber widerholet man 
ice Lied, Nu frewt eh. Item, Chrift fuhr gen Himmel, Eraudi, Mo Gott 
der HErr nicht bey uns belt. Pfingfe uber, Au bitten wir den heiligen Geifl. Komm 
Heiliger Geift, HErre Gott. Trinitatie, Gott der Bater wohn uns bey. 8 woll uns 
Gott genedig feyn. Prima Dominica post Trinit. fingt man die jegt dermeldien vor- 
gehenden Gefeng, und thut von wegen des Guangelii Bißweilen dazı. Es ſpricht der 
ommeifen Mund mol. IL. Dom. post Trin. 34 ruff zu dir, HErr geſn Ehrift, TIT. 
Dom. Erbarm dih mein o HErre Gott, Oder, HErr Cfrif, der einig GOttes Sohn 
IV. Dom. Di find die Heiligen Zehen Gebot. V. Dom. Wer Gott nidt mit uns diefe 
zeit. Oder, Wo Gott der HGrr midit Sen uns helt. VI Dom, Wienſch mwiltn leben 
fetigtich, Dder, Es if das Heyl vns fomınen her. VIL Dom. Nu lobe mein Serl den 
HGrren. Oder, Meine Seel erhebt den HErren. VIII. Dom. Ad Gott vom Himmel 
fich, darein. Oder, Id ruff zu dir HErr Jeſu Ehrif. IX. Dom. Es ſpricht der unmeilen 
Mund wol. X. Dom. An Bafferflüffen Babylon. XI. Dom. Allein zu dir, HEre 
Jeſu Chriſ. Oder, Aus tieffer noth. XIT. Dom. Dur; Mais Fall. XIII. Dom. 
Es in das Geil uns. Dder, Diß find die heiligen Zehen Gebot. XIV. Dom. Erbarm 
did, mein 0 HErre Gott. Oder, Mein zu dir dorr Jeſu Ehrifl. XV. Dom. Ein 
fefle Burg in unfer Gott. XVI Dom. Mitten wir im Ieben find. Oder, Dit fried 
und freiod. XVII Dom. Nu frewt euch lieben Chriſten gemein. XVII. Dom. HErr 























554 Hanptprineipal. — Moriz Hanptmann. 


Ehrif, der einig Gottes Sohn. XIX. Dom. Ih ruf zu bir, Oder, Nu lobe min 
Seel. XX. Dom. Ad Gott vom Himmel fich darein. Ober, Wo Gott der HErr nift 
bey uns belt. XXI. Dom. Es if das Geil uns Tommen her. Es woll uns Gott x 
nedig feyn. XXII. Dom. Erbarm dich mein. Aus tieffer noch. XXIII. Dom. & 
fprict der vnweiſen Mund. NXIV. Dom. Mitten wir. Mit fried und fremd. Her | 
Deſu EHrift war Menſch und Gott. XXV. Dom. Gott der Water wohn uns bei. 
XXVI. Dom. Bater vnſer. XXVII. Dom. Nu frewet eud, Oder, Ein fefte Burz 
Degleiien an den Feften, als Berfündigung Dkariae, fingen wir, HErr Ehrift der einis | 
Gottes Sohn. Conversionis Pauli. Erbarm did mein o HErre Gott. An der Apr 
fefn tage, Herr Gott, did loben wir. Johannis Baptistae, Ehrift unfer HErr zum 
Jordau fam. Visitationis Marine, Meine Seel erhebt den HErren. Midaelie, HE 
Gott did foben wir. Ober, Nu lob mein Seel den HErren . . . Diß allet erzele it | 
allein wegen ber Deutſchen Gelenge, die wir . .. alle Sontag frlie befaften . . . Dat | 
ich das rühmen muß, das beffer ordnung mit den Gefengen nidit leichtlich Tan gefifite 
erden" ... 





Hauptprineipal nennt man das auf dem Hauptmannal ftehende Principal 8°, 
nach deſſen Denfur die Maße aller übrigen Stimmen eines Werkes beſtimmt wer 
den; diefe Stimme bleibt aud dann die Hauptftimme, wenn in derfelben Orgel 
abteilung eine oder mehrere 16fgige Stimmen ftehen, weil der Achtfußton unter 
allen Umftänden Haupiton der Manuale bleibt. Daher heißt diefes Principal auf 
im Vergleich mit allen andern Regiften Hauptregifter, Hauptftinme. — 


Hauptventile, Hauptventilfeder, Hauptventilöffnung, vgl. in den Ar. 
„Spielventil” und „Bentil*. 


Hauptwellenbrett, vgl. im Art. „Wellen, Wellenbrett“. 


Hauptmann, Moriz, der bedeutendfte unter den Nachfolgern Joh. Sehaftier 
Baq's als Kantor der Tomasfäule zu Leipzig; — ein Philofoph unter den Mu 
filern, der duch feine Schrift „Die Natur der Harmonit und Metrik“, in der er 
mit eindringender „geiftiger Kraft die dialeftifhe Methode Hegels auf die grundlegen 
den Teile der Mufiftheorie anwandte, von epochemachender Bedeutung auf Dielen 
Gebiete wurde; — ein Lehrer des Kontrapunkts und der Kompofition von „vorzüg 
Ticpem Gefhid",t) der durd die Heranbildung von über 300 deutſchen und aus- 
landiſchen Vuſilern,e) von denen nicht wenige fid einen glänzenden Namen gemast 
haben, auf die Entwiclung der modernen Tonfunft einen Hervorragenden Einflei 


) Wie Spohr, Selbbiogr. II. S. 170 bezeugt. Werd. Hiller, Köln. Zig. vom 7. Jar 
1868 fagt Über ihn: „Seit Joh. Seh. Vach der Stelle eines Kantors an der Thomasigrt: 
eine unfterbfißie Weihe gegeben, war Hauptmann gewih, alles in allem genommen, der beder 
ten! feiner; Nacfofger.” 

*) Gin Bergeidmis feiner Schüler findet ſih am Ende feiner „Briefe om Franz Hanfer“ 
— Siler 0. 0. D. bemerkt mit Reht: „Viele der deſten mehrerer Generationen deutfeer, 
dinavifer und englifcer Komponiften nennen ihn mit Stolz ihren Lehrer.“ 











Hansdörfer. 555 


übte. — Er war am 13. Dftober 1792 zu Dresden geboren; fein Vater, der 
füchfiiher Oberlandesbaumeifter war, ließ ihm eine gründliche und allſeitige Bildung 
geben, die zwar zunädft darauf hinzielte, ihn für den Beruf eines Architelten vor- 
zubereiten, aber auch muſilaliſchen Studien alen Raum lieg. Neunzehn Dahre alt 
entſchloß er ſich 1811 die Muſit zum Pebensberuf zu erwählen und ging, um weitere 
Studien im Violinſpiel und der Kompofition zu machen, nad; Gotha zu Louis Spohr. 
Er blieb ein Jahr lang dafelbft, dann kehrte er nad Dresden zurüd und trat als 
Viofinift in Die dortige Hoffapelle; 1813 aber folgte er Spohr nad Wien, doch 
lam er nicht dazu, „ſich dort zu fixieren,” wie er beabfihtigt Hatte, ging vielmehr 
1815 mit dem Fürften Repnin als Mufitlehrer in deſſen Familie nad) Rußland, 
wo er während vier Jahren abwechſelnd in Pultawa, Petersburg, Mosfau und 
Odeſſa lebte. 1822 aber berief ihn Spohr als Mitglied der Hofiapelle nach Kaſſel 
und Hier machte er ſich bald einen Ruf als vorzliglicher Lehrer der Kompofition, fo 
daß viele junge Muſiter zu ihm gingen, um unter feiner Leitung zu fudieren. 
1842 berief ihn der Nat der Stadt Peipzig als Kantor an die Thomasſchule, und 
ala durch Mendelsfohn 1843 das Konfervatorium gegründet wurde, gewann ihn 
auch diefes als Lehrer fir die Höheren Föcher der mufifalifgen Kompofition und in 
ihm einen der Hauptträger feines Rufes und feines Einfluffes. Nachdem er 1867 
unter allgemeiner ehrender Teilnahme die Geier feiner jährigen Wirtfamteit im 
Leipzig gefeiert hatte, ftarb er am 3. Januar 1868. — Hauptmann’s Kirgen- 
kompofitionen, die er fir den Thomaner-Chor ſchrieb, beftchen in Motetten, 
Palmen, Kantaten, geiſtlichen Liedern — und find mit ihrem immer volirdigen, 
durchaus kirchlichen Inhalt, ihrer aufs liebevollſie vollendeten Form und ihrer echt 
vofafmäßigen Haltung ganz geeignet, ihm auch auf dem Gebiete der Kirchenmuſit 
einen herdorragenden Pla unter den Beften unfres Jahrhunderts zu ſichern. — 
‚Hier find die folgenden zu verzeichnen: 
Op. 13. Salve regina a 4 vor. con Org. Bonn, Simrock. — Op. 
15. Oflertorium a 4 voc. con Org. Leipzig, Siegel. — Op. 30. Meſſe 
für Solo: und Chorftn. mit Orch. Leipzig, Peters. — Op. 34. Motette für 
Chor umd Sofoftn. Leipzig, Siegel. — Op. 36. Drei Motetten für Chor- 
und Sofoftn. Daſ. — Op. 38. Kantate für Chor- und Soloſtn. mit Orgel 
und 4 Po. Daf. — Op. 40. Drei Motetten für Chor- und Soloftn. Daf. 
— Op. 41. Drei Motetten. Daſ. — Op. 43. Drei Kirchenſtüde für Chor 
umd Orc. Leipzig, Breitl. & 9. — Op. 44. Drei geiftl. Chorgel. für ©. 
A. T. B. Veipgig, Siegel. — Op. 45. Der 84. Bialm. Motette für Chor- 
und Soloftn. Da. — Op. 48. Motette. Daf. Op. 51. Motette. Daf. 
— Op. 52. Motette und Palm PIl. Da. — Op. 53. Drei geiftlice 
Shorgef. nad) Pjalnworten. Daf. — Op. 56. Drei geiftl. Gefänge. Daf. — 
Op. 57. Pſalm für zwei vierft. Chöre und 4 Sofoftn. Daf. — 








Haußdörfer, . . . ., ein tilhtiger württembergiſcher Orgelbauer, der gleiche 
zeitig mit Silbermann und Gabler blühte und feine Wertftätte in Tübingen Hatte. 


556 Hansdörfer. 


Über feine Febensumftände it jedoch bis jegt nichts Sicheres bekannt. Der früher 
Mufifdireftor Freh am Seminar in Ehlingen, der als Organift am der dortige 
Stadtlirche eine treffliche Hausdörfer ſche Orgel mehr als fünfzig Jahre lang z 
ſpielen Gatte, giebt zwar die Notiz, da diefer „1730-1780“ febte, allein biete 
dürfte kaum zuverläffig fein; denm Frech ſelbſt fagt gleich darauf, daß eben die g 
nannte Orgel fein „legtes Wert fei, erbaut im Jahr 1754,*%) und in einer anden 
Nachricht vom Jahr 1770 iſt von demſelben als „ehmaligem Orgelmadier zu % 
Bingen“ die Rede,’ fo daß er alfo damals wahrſcheinlich ſchon längere Zeit ge 
ftorben war. Ob cr feiner Abftammung näch ein Nord- oder Mitteldeutjcer ge 
wefen, wie auf rund einer ebenfalls von Fred) Herftammenden Mitteilung neuerli 
behauptet wurde, ) muß dahingeftellt bleiben. Dagegen ift durch neuere Forjdunge 
nahezu gewwiß geworden, daß Hausdörfer der Erfinder einer Orgelwindlade war, di 
auf dem Kegelladenprincip berufte, wenn er in derjelben auch noch nicht wirklike 
Kegel, fondern Horizontal aufliegende und mit Lederſchwängen aufgeleimte Ventile az 
wandte.) Diefe Hausdörfer ſche Fade wurde dan zunädt durch den Orgelbaurr 
Yohann Andreas Stein in Augsburg (1728—1792, einen Schiller Sibermann'? 
verbeffert; er fielfte nämlich um 1770 in der Barfüßertirche daſelbſt eine Dry 
auf, die „eine bemerfenswerte Baßlade Hatte, bei der die Windführungen für je: 
Pfeife einzeln und mit einem Eleinen conUs verfehet bededt geweſen fein jolln.“ 
Duck) die Erfahrung Hatte Stein nämlich wahrgenommen, „daß die vielen zufammer: 
gezogenen Vaßregifter, ohmgeachtet fie zwei Ventile haben, einander den Wind xır 
ben... . Dadurd wurde er bewogen, eine andere Baßlade zu wählen, und zn 
diejenige, welche Herrn Hausdörfer, chemafigen Orgelmacher zu Tübinger, 
zum Urheber hat.”’) — Diefe Lade bildeten dann andere füddeutſche Org: 
Bauer, namentlich Walder und Hans zur gegenwärtigen Kegellade aus, die im für 
deutfchen Orgelbau jet faſt ausfchliehlic im Gebraud it. — Außer dieſer wis 
tigen Erfindung ſcheint Hausdörfer mod) eine andere Neuerung, die Aufftellung ein 








*) Bot. Fred) im Württ. CB. 1928. &. VI. und fpäter im „Orgelfpielbud, von & 
der, Silcher und Freg.” Stuttg. 1851. ©. 2. 

2) Im der „Runftzeitung der taiſ. Aademie zu Augsburg“. Jahrg. 1770. S. 43. Bil 
Wangemann, Geld. der Orgel. 1881. ©. 358. 

>) Bon dem Drgelbauer Götter in Neuftadt- Magdeburg, in der Orgelbaugeitung, Iair: 
ML. Mr. 4 und zwar auf Grund mündliger Mitteilungen des Mufiireltors Fre um ie 
Drgelbauers Heinr, Schäfer sen, in Heilbronn. 

+) Bol. die ganze Auseinanderfehung Über dieſe Erfindung bei Wangemann, a. a. 
351-356, eine Auteinanderfegung, die ſreitich dem Unbefangenen deetwegen von eitvas yet 
Hafter Bertäßtihteit erſcheinen muß, weil fie fh in auffallend gefäffiger Weiſe gegen Chr 
Friede. Walter, den Hauptvertreter des Kegellabenfoflenns wendet. 

*) Dgl. v Stetten, Kunf-, Gewerbe und Handwerlsgeilihte der Reiheadt Angers 
1779. &. 161 und die in Anm. 2 genannte Stelle der Augeb. Kunftztg., mo zugleig mt 
Bemerft wird, Daß diefe von Stein da und dort verbefferte Erfindung „mit der bieher bela= 
ten Scleif- und jegt veralteten Springlade gar nichts gemein" habe, 








3. €. Hänfer. Hausmann. 557 


befondern Spieftifhes (vgl. dem Art), wenn auch vieleicht nicht zuerſt aufe 
gebracht, fo doch als einer der erflen angewendet zu haben.’) 


Häuſer, Johann Ernft, war 1803 zu Dittihenroda bei Quedlinburg geboren. 
Nachdem er feine Univerfitätsftudien zu Leipzig gemacht hatte, wurde er Profeffor 
für Litteraturgeſchichte am Gymnaſium zu Quedlinburg. Neben andern muſilaliſchen 
Werlen fhrieb er: 

Geſchichte des chriſtlichen, insbefondere des evangeliſchen Kirchengeſangs 
und der Kirdenmufit, nebſt Andentungen und Vorſchlägen zur Verbeſſerung 

des mufiafifchen Teils des evangelifchen Kultus. Quedlinburg u. Leipz., 1834. 

8%. — Ein verdienftlihes, wenn auch jegt veraltetes Wert. 

Hausmann, Name einer Muſikerfamilie, die aus Nürnberg ftammte. Der 
Aynherr derfelben ift Balentin 9. „der Exfte”, der zur Zeit der Reformation 
zu Nürnberg lebte und mit Luther und Johann Walther in freundſchaftlichem Ver- 
ehr ftand. Der Tradition zufolge hätte er ſich ale Mufiter bei den Lutheriſchen 
G.BB. beteiligt und z. B. die Melodien zu „Wir glauben all an einen Gott“ 
und einigen andern Piedern gefept — vgl. Matthefon, Ehrenpforte ©. 106 —, 
doch find bis jegt feinerlei Beweiſe hiefür aufgefunden worden. Sein Sohn, Ba- 
tentin 9. „der Zweyte“, war ein fruhtbarer Tonfeger, deſſen zahlreiche Werte 
G. B. 23 größere Fiederfammlungen) in den Jahren 15921610 fümtlid zu 
Nürnberg erihienen find. Im denfelben zeigt er eine beſondere Vorliche für das 
weltliche Tiebes- und Tanzlied und ift auf diefem Gebiete einer der Vermittier zwi— 
ſchen der italieniſchen Kanzonette eines Luca Darenzio, Orazio Bechi, Gaftoldi, und 
dem deutſchen Liede. Einige feiner Tonfüge zu Kirchenmelodien finden ſich im Cant. 
saer. Gotha, 1646.%) Über fein Leben ift nichts Sicheres befannt, doch fheint 
er um 1560 geboren und bald mach 1610 geftorben zu jein; 1597 jegt er feinem 
Namen zuerft „Gerbipola® d. h. Gerbftäbt (bei Magdeburg) bei, wo er angeblich 
als „Organiſt und Ratsherr” gelebt haben foll. gl. Eitner, Allg. deutſche Biogr. 
XI ©. 112. 113. — Balentin 9. „der Dritte”, der Sohn des vorigen, lebte 
als Drganift zu Fübejlin und ſcheint ein tüchtiger Orgelbauverftändiger geweſen zu 
fein, da er zur Reviſion einer neuen Orgel nad) Halle berufen wurde. — Sein 
Sohn, Valentin H. „der Vierte”, war zu Löbejün geboren und beſuchte die 
Thomaeſchule zu Leipzig, wo Knüpfer und Werner Fabricins feine Lehrer in der 
Deufit waren. Später wurde er Hofmufitus zu Stuttgart und Köthen, dann Stadt- 


1) Diefe Einrichtung hätte nach Koh, Geſch. des Kirchenlieds. VI. S. 484, wo übrigens 
'eine Duele angegeben wird, der Herrnöuter Orgenift Chrifian Gregor (vgl. den Art) zuerf 
umgeregt; dagegen führt Deimling, Beidr. des Orgelbans. Offenboch, 1792. S. 24 al8 beiner- 
'ennsiert an, daß eine Orgel zu Tübingen einen Spieltifd) Gabe, von welhem aus die Traftur 
unter dem Fußboden durs nad) der Orgel gehe. 

*) Und im Florilegium Portense von vodenſchat 1003 (1618) I. Ar. 5 eine aıtfim- 
mige Motette „Mon wird zu Zion” ıc. 





558 Hebel. P. Heinlein. 3. 6. heinrich. 


organiſt zu Msleben, von wo er ſich jedoch bald ins Privatleben nad) Lbejir 
zurüczog. — Der legte der Familie, Balentin Bartholomäns H., war 1618 
l8 der Sohn des vorigen zu Löbejün geboren und von feinem Bater zum Mufiter 
gebildet worden. 1689 wurde er Hofmufilus zu Köthen, 1694 Amtefhultheiß za 
Scafftüdt (im 16. Iahre!?) und fpäter Organift, fowie 1717 Bürgermeifter da: 
jelbit. Cr ſcheint ein namhafter Orgelbauverftändiger, der zu verihiedenen Revific- 
men berufen wurde, ein fleipiger Komponift (Safrgänge von Kirhenftülden, varierte 
Ghoräle), aber auch ein ganz gehöriger Nenommift geweſen zu fein. Bgl. Matthe 
fon, Ehrenpforte — und Gerber, Neues Ler. II. ©. 526-529. 


Hebel, pueumatiſcher, als Teil der Medhanit der Orgel, vgl. den Art. 
„Bnenmatit“. 


Heinlein, Paul, war am 11. April 1626 zu Nürnberg, wo fein Bater Se 
baſtian Heinfein als Arzt lebte, geboren und erlangte feine muſilaliſche Ausbildung 
als Organift und Tonſeher zunächſt in feiner Vaterftadt, machte aber dann von 
1646-1649 nod) weitere Studien zu Münden und Linz, fowie in Italien. Nach 
Nürnberg zurüdgelehet, wurde er 16502) bei der Ratsmufit angeftellt, darauf 1655 
als Nachfolger Erasmus Kindermanns Drganift an St. Hgidien, 1656 neben 
Heinrich Schwemmer Mufifdiretor an der Frauenfirhe, und einige Jahre nachher 
(1658) erfter Organift am der Hauptlirde (St. Sebald) feiner Baterftadt. Dies 
Amt verwaltete er als tüchtiger Künftler, von deſſen Drgelfpiel bezeugt wird, er 
Habe „mit wenig und fparfamer Bewegung der Finger und Hände aufs fertigke 
geipielt,“ bis an feinen Tod, der am 6. Auguſt 1686 eintrat. Außer vielen To 
caten und Fugen (Ricercaren) für Orgel (vom denen aber bis jet noch nichte 
wieder aufgefunden ifi) umd Tonfägen für Chorgefang mit Inftrumentalbegleitung 
ſchrieb er: 

1. 14 Melodien für Arnſchwangers „Neue geiſtlicht Lieder.“ Nürnberg, 

1659. 2. Aufl. 1711. — 2. 6 Melodien für das Saubert’ihe Nüm: 

berger ©.-B. 1677; von diefen hat eine: 

„Ermuntert eu, ihr müden Seelen,“ gddhderdchag 

(gl. v. Winterfeld, Ev. K. Geſ. II. Notenbeil. S. 189), weitere Verbrei- 

tung gefunden. — 3. 51 Melodien zu Arnſchwangers „Heilige Palmen und 

Griftliche Palmen.“ Nürnberg, 1680. Biei feiner Melodien: 


„Meinen Jeſum id erwägle,"ggagachh, md 
Aus der Tiefen rufeid,"aadefga, 
Hat Sayriz, Kern II. Nr. 149 ©. 10 u. III. Rt. 8. ©. 8 aufgenommen. 


Heinrich), Iopann Gottfried, tühtiger Organift und gründliger Kenner der 
Orgel, ift 1810 zu Schwiebus geboren; war anfänglich Organift zu Züllicjan, jet 


1) Nicht „1640“, wie Ritter, Zur Geſch. des Orgelſpiels. 1884. I. S. 148 wohl mur als 
Denceber Sat. 


Dr. 3. A. 6. Heinroth. W. Zeintz. 559 


1840 aber Lebt er als Organift und Orgelbau Reviſor zu Soran. Er hat durd) 
Bort und Schrift viel für den Forticritt auf dem Gebiete des Drgelbaus gewirft. 
Seine Werte find: 

1. Orgellehre. Struttur und Erhaltung der Orgel. Glogau, 1861. — 
2. Drgelbau-Denffhrift, oder der erfahrene Orgelbau-Revifor. Weimar, 1877, 
— 3. Der accentwierend-rhythmiihe Choral. Glogau, 1861. — 4. Evang. 
vierft. Choralbud) für Kirche, Schule und Haus. Mit den gebräuchlichen Ab- 
weichungen und dreifachen Swifßenfpielen. 3. Aufl. Erfurt, Körner. — 5. Der 
praftifche Organift, oder der Choral nad) dem Inhalt des Fiedes harmonifiert, 
mit Zwifhenfpielen verfehen und mit Angabe der Regiftrierung. 2 Hfte. So- 
rau, Iufien. — 6. Der 130. Pfoim für 4 Mftn. Berlin, Bar. — 
Heinroth, Dr. Johann Auguft Günther, der Amtsnachfolger Forlel's als 

Univerfitäts-Deufifdireftor zu Göttingen, war am 19. Juni 1780 zu Nordhauſen ger 
boren und erhielt den erften mufifafifen Unterriht von feinem Vater Ehriſtoph 
Gottlieb H., einem Schüler des berühmten C. G. Schröter, der 62 Iahre fang ale 
Drganift am der Peterslirche zu Nordhaufen gewirkt hat. Nachdem fih der Sohn 
auf dem Gymnafium feiner Voterftadt für das afademifhe Studium vorbereitet 
Hatte, bezog er 1798 die Univerfität Leipzig, um Theologie zu ſtudieren und be- 
mußte zugleich die Gelegenheit, im Umgang mit Joh. Ad. Hiller feine mufifalifche 
Bildung zu fördern. As er fodann 1800 auf die Univerfität Halle überging, 
wurde er auch noch D. G. Türts Schüler in der Muſit. Nach Vollendung feiner 
Studien war er längere Zeit als Lehrer thätig, bis er 1818 nad; Göttingen ber 
rufen wurde, wo er als Komponift und befonders als Muſitſchriftſteller, teils durch 
jelbftändige Schriften, teils durch Abhandlungen in Zeitſchrifien (Ag. muf. Zeitg., 
Cacilia, Eutonio, Schilings Leriton u. a.) ſich einen geahteten Namen erwarb. Er 
ftarb am 2. Juni 1846 zu Göttingen. Bon feinen Beröffentlihungen find hier 
zu verzeichnen: 

1. Kurze Anleitung, die Choräle nad; Noten leichter und geſchwinder 
als nad) Ziffern fingen zu lehren, nebft Gejangbud), enthaltend 169 Choral- 
melodien nad) dem Böttner'ſchen Choralbud) in leichte Tonarten transponiert. 
Göttingen, 1828. 8%. — 2. 169 Choralmelodien nad Böttner, mit Har- 
monien begleitet, in welden zur Beförderung des mehrftimmigen Gefangs die 
Mittelftimmen fehr leicht gejegt find, nebft einem Anhange der gewöhnlichen 
Antiphonen für Prediger und Gemeinden. Göttingen, 1829. Deuerlih. gr. 4°. 
— 3. Mufitalifges Hülfsbud für Prediger, Kantoren und Orgar 
niften; enthaltend die nötigen Kenniniſſe vom Gefange, Mavierfpiele, Orgel- 
fpiele, von der Kirhenmufif, von der Orgel felbft und von den Gfoden, mebft 
Anzeige der Titteratur über ebengenannte Gegenftände. Göttingen, 1833. 
Deuerlih. 8%. — 

Hein, Wolfgang oder Wolff, ein Tonfeger der Neformationggeit, der als 
Irganift des Erzbiſchofs A dreht von Mainz zu Halle lebte und mit Luther in 
re undſchaftlichem Verlehr ftand, wie der ſchöne Trofbrief beweift, den ihm diefer 





560 Barth. Helder. 


1543 bei Aulaß des Todes feiner Ehefrau fehrieh.!) Von ihm finden ſich bei Ak, 
123 deutſche geiflihe Gefänge 1544. Mr. 53 m. 31 zwei Tonfäge zu „Chr 
unfer Herr zum Jordan fam“ und „Nu bitten wir den Heiligen Geift". Anker 
dem wor er mit feinen Kollegen Johann Hofmann muftfalifher Mitarbeiter di 
älteften latholiſchen deutſchen G. B., das der Hallenfer Propft Michael Vehe unter 
dem Titel „Ein New Geſangbüchlein Geyſtlicher Lieder" 1537 zu Leipzig bei Aid 
Wolrab drucken ieß.?) Zwei feiner weltlichen Lieder hat Forſter, „Der ander theil, 
Kurgmweiliger guter friſcher Teutiher Liedlein.“ Nürnb., 1540. Nr. 21 u. 43 au 
genommen. 





Helder, Bartholomäus, ein fleihiger Kirhentonfeger, von dem einige Melodi— 
in den evangelifchen Gemeindegefang übergegangen find, und Dichter geiſtlicher Lieder, 
deren z. B. das Thür. G. B. Mälhauſen, 1861 nod neun enthält. Cr war alt 
der Sohn des Superintendenten Mag. Johann Helder zu Gotha geboren und e 
ſcheint zuerft 1607 als „Sudimoderator“ zu Frieniar bei Gotha, wo er noch unten 
29. September 1614 als „Schuldiener“ ſich befand. 1616 fam er als Pfarrer 
mad Remſtädt im Gothaiſchen und hier farb er nad faft zwanzigjähriger Amte 
fügrung am 2%. Ottober 1635 an der Peit. — H. als Kirdentonjeger gehört wie 
fein Landsmann und Zeitgenofie Altenburg der Übergangszeit vom alten zum neu 
Tonfage an, einer Zeit, im der zwar noch Nadıllänge der alten Tonteapunktiiden 
Kunft des 16. Jahrhunderts ſich vernehmen laſſen, in der aber aud der Einflef 
„iegiger Art“ — wie 9. felbft fagt — d. h. der neuen Weiſe des italienifher 
Madrigals, fid geltend macht: die alte, motettenartige form wollte man erhalte 
und doch auch der neuen Liedform gerecht werden. So entftand zunähft eine Zwiner 
form, über welche dieſe Tonfeger nicht hinausfamen. — Bon 9. erihienen: 





1. Cymbalum Genethliaticum, d. i. fünfzehn fhöne, liebliche vnd Ar 
mutige nerwe Iahes- nnd Weihnacht-Öefänge, neben einem Corollaris drewr 
andrer Melodeyen, mit 4, 5 u. 6 Stimmen nad) jbiger ahrt componirt. 
Erfurt, 1614. — 2. Cymbalum Davidieum, d. i. geiftlihe Melodeyen var? 
Gefänge, auß den Palmen Davids mehrentheils genommen x. mit d, 6 um 
8 Stimmen componiret. Erfurt, 1620. 4°. Mit 25 Tonfügen. — 3. Ta 
Vaterunſer nebft dem CHI. und OXXIU. Palm nad) ihren gewöhnlichen Re 
Iodeien in Contrapuneto colorato mit bier Stimmen gejegt. Erfurt, 1621 
4°. — 4. 56 Tonfüge in den beiden Teilen des Cant. sacr. Gotha, 164 
und 1648,°) das vielleit von ihm Heransgegeben ift.‘) — Bon diefen Tor 








9) Diefer Brief findet ſih bei De Wete, Luhers Briefe. V. S. 380. Mr. 5104 abgerut: 

2) Bol. Über den Anteil der beiden Halleigen Organiflen die Vorrede des ©.B. in \c 
neuen Ausgabe desfelben von Hoffmann v. Fallersieben. Hannover, 1853. ©. 3 u. 4. 

>) Bon diefen Tonfägen find neu gedrudt Sei Winterfeld IT. Rotenbeife. S. 26. 
3 Ne. — bei Schocherlein-Wiegel, Stay IL. Nr. 85. 86, 108. 119, 237. 264. 268. 
817. 328. III. Nr. 125. 126. 221. 222, 223. 225. 261. 397, 

+) Vgl. Ritter, Zur Gef. des Drgelfpiels. 1984. I. ©. 102. 





FR. Helfer. Helft mir Gotts Güte preifen. 3. 2. Hellink. 561 


ſaben entftammenden Melodien find jegt noch 5 — darunter 2 allgemein — 
im Rirdengebrandh: 

Auf meinen Herren Iefum Erin — in Binterfeld 11. 27. Schoe 
— ige, Sänp IL. I. 222 _ 

Das Iefulein foll dod mein are. - (vpf. den Art), 

Herr wie du wilt, fo [his mit mir (opl. den Art.) 

Itz freu mid in dem Herren (bei Winterfeld II. 26. Shocberlein- 
Riegel. TI. Pr. 261. ©. 628), 

In meiner Not ruf ih zu Dir (bei Sapriz, Kern II. Pr. 240). 


Helfer, Friedrich Auguſt, ein tüchtiger Organift, der am 2. Auguſt 1800 zu 
Weißenſee in Thieingen geboren if. Er erhielt den erften mufitalifchen Unterricht 
von feinem Vater, der Lehrer und Organift war, und fam dann nad; Erfurt, wo 
er unter des trefflichen M. ©. Fiſcher Leitung fih im Orgelſpiel und der Kom— 
pofition ausbildet. 1822 erhielt er die Organiftenftelle zu Lobenſtein, und feit 
1831 lebte er ala Drganift an der Stadttirche zu Gera. — Bon feinen Werten 
find erfhienen: 

Phantaſie und Doppelfuge für Orgel. Leipz., Breitt, & 9. — Erinne- 
rungen aus Haffiihen Kirchen: und andern Tomverten. Cine Sammlung der 
beliebteften Tonfüge aus Dratorien, Mefien n. ſ. w. zum Gebrauch beim Gottes» 
dienft für Orgel. 4 Hefte. Leipz., Stoll. — Zeitgemäge Tempeltlänge. 
ftüde aller Formen für Orgel. 2 Hefte. Daſ. — Eine Anzahl einzelner Orgel- 
flüde in den verfgiedenen Körner’f—hen Sammlungen. 


Helft mir Gotts Güte preifen. Choral, vgl. den Art. „Bon Gott will 
ich nicht laſſen.“ 


GSellint, Hellingt, Hellint, Johann Lupus, — Lupus (Genitiv Lupih, 
Joannes Lupi“, „Foannes Lupus Hellinc”, unter dieſen verſchiedenen 
Namensuberſchriften find in faſt allen mufitaifen Sammelwerken, die zwiſchen 1520 
58 1560 in Deutſchiand, Frankreich, Italien und den Niederlanden gedrudt wurden, 
. 60 Tonfäge (Choräle, Meffen, Motetten, weltliche Lieder) ') wahrſcheinlich zweier 
Tonfeger enthalten, die, eben diefer weiten Verbreitung ihrer Werke nach zu ſchließen, 
sei ihren Zeitgenoffen fid) eines bedeutenden Rufes erfreut haben müffen. Die ver- 
Hiedenartige Bezeichuung diefer Werke in den Sammlungen zuachte es der Forſchung 
is jegt ummöglic;, zu entſcheiden, ob diefelben einem oder zwei Tonfegern gleidien Na- 
tens oder Vornamens angehören. Anıbros, Gef. der Mufit. IT. ©. 264—266 
zeint, es fünne mit aller Siherheit angenommen werden, daß Lupus und Lupi 
icht ein und Diefelbe Perfon feien; er Hält Lupus feiner ganzen Schreibart nad 
vielleicht ſhon der Zeit vor 1500 angehörig", während Johannes Lupi erft zwiſchen 
540—1545 geftorben fei: beide aber erflärt er für „Deifter von ungewöhnlicher 


a 











7) Val. das Verzeichnis von 57 diefer Gtüde bei Eitner, Bibfingr. der Mufil-Sammel- 
erte. 1877. &. 622—625, wo auch die jedesmalige Bezeihmung beigefügt if. 
Ammerle, Gnafl. 2. wang. Rirgenmufl. I. 36 


562 Hellpfeife, Hellpipe. Sigm. Hemmel. 


Geiftestraft und echte und wahre Niederländer”. Eitner, Bibliogr. S. 622, je 
dann Hält dafür, dag die IHentität zwiſchen Johannes Lupi und Lupus Hellind tom 
mod; zu fengnen fei, weil er auf dem Titel einer Meſſenſammlung, die 1546 zu 
Antwerpen erfcien, mit dem vollen Namen „Joan. Lupo hellingo“ genannt if." 
Diefen Johann Lupus Hellint madt Fetis, Biogr. univ. des Mus. IV. S. 238 
gu einem Deutfgen und Eitner, Alg. deutfhe Biogr. XI. S. 698, weil er auf 
vlämifche Lieder fomponierte, zu einem Vlamander, der aber in Deuiſchland zu Ant 
und Ehren gelommen fei. Bon feinen vierftimmigen Tonfägen über evangeliite 
Rirhenmelodien find folgende, die in Georg Nhau's „Nee Deudſche Geiftliche Ge 
fenge OXXIIL." Wittenb. 1544 (unter den beigefegten Nummern) ſichen, zu nennen: 
Neo. 11. Mit Fried und Freud fahr id dahin. Nr. 16. Chrift lag 
in Todesbanden. Nr. 37. Menſch wiltu leben feliglig. Mr. 47. Ach Batır 
unfer, der du biſt. Nr. 63. Ein feſte Burg ift unfer Gott. Nr. 68. Watt 
dem, der in Gottes Furchte fteht. Nr. TI. Aus tiefer Not ſchrei id) zu dir. 
Nr. 96. Durch Adams Fall ift ganz verderbt. Nr. 103. Fröhlich wolln wir 
Alekuja fingen. Nr. 107. An Wafferflüfien Babylon. Nr. 110. Gapitar, 
Herr Gott Bater mein.) 


Hellpfeife, Hellpipe, eine alte Orgelſtimme, die Prätorius Synt. mus. II 
©. 233 anfühet und von der er nur fagt, daß fie eine offene Laͤbialſtimme mit 
8 Fußton geweſen und im Manual disponiert worden fei, ohne Näheres über dir 
felbe beizubringen, Nach Adlung, Mus. mech. Organ. I. ©. 105 „kann es eine 
gemeine Oftave oder Principal nicht wohl feyn, weil Principal 8° noch bejonder: 
dabey ftehet.” 


Hemmel, Sigmund, Kapellmeifter des Herzogs Chriftoph von Württemberz 
und ein tüdtiger Tonfeger feiner Zeit. Bon feinen Pebensumftänden iſt bis jest 
nichts befannt, als daß er 1569 bereits geftorben war. Im dieſem Jahre erihiene 
nämlich zu Tübingen feine 151 vierſtimmigen Tonfüge zu den deutſchen, mamentlis 
den Straßburger Melodien des ganzen Pjalters mit einer Vorrede des Hofpredigerr 
Lulas Dfionder, in der ihm diefer als „feligen“ bezeichnet, und ihm einen „Künft 
lichen Komponiften und Singer" umd feine trefflihen Tonfäge „gute, lieblice and 
herrfie Compositiones“ nennt. — 

G. W. Teſchner, Geiftl. Muſik für gem. Chöre aus dem 16. und 11. 

Jahrh. Feipgig, Siegel. Heft 1. Nr. 4. S. 10 hat den Pfalm „Singet des 

Herrn ein neues Lied" — daraus veröffentlicht. 


Bol, Eitner, a. a. D. ©. 97 und Publifationen der Geſellſch. für Mufkforidurz 
Jahrg. IV. Sief. 1. ©. 59. 90. 

?) Die beiden zuleßt genannten Süße find neu gedrudt: der erfle bei v. Minterfeld, S 
8-0. I. Notenbeifp. S. 33, der zweite in den Bublifationen der Gefelihaft für Drufifiorits 
Jagrg. I-IV. Siederfaminig. von Johann Dt. 1544. Nr. 07. ©. 183. Hier unter Nr. 1 | 
8. 201 aud noch die Motette „Landate pueri Dominum“ 5 voc. 














Hemmkeile ꝛt. Henning. €. 3. Hentſchel. 563 


Hemmeeile, Hemmllöge, Regifterzapfen, Sperrzapfen; Hemmitifte, 
: Grengftifte. Durd das Anziehen des Regifterzugs begwedt man, die Schleife ge 
made fo weit aus ihrer Ruhelage nach vorne zu bewegen, als nötig ift, daß ihre 
Locer oder Windführungen fo zu flehen Tommen, daß fie genau auf die Löcher der 
Cancellen einer-, und die des Pfeifenftods andrerfeits paſſen und fo der Weg aus 
den Gancellen nad den Pfeifen für den Wind frei werde. Dedes Weiteraufzichen 
oder Überzieden der Parallele würde durch zu meite Verſchiebung der Löcher, die 
freie Windführung teilweife oder ganz wieder auffeben. Um dies zu verhüten, um dem 
Aufzug der Parallele gerade auf dem Punkte zu begrenzen, da die Windführung 
. volltändig frei geworden ift: dazu find eben die Hemmteile angebradit. Bei den 
älteren Drgelbanern waren dies c. 1 fange, Ya“ breite und nicht ganz Ye“ dide 
Mögcen von Hartholz; bei den neueren find es vieredige eiferne oder meifingene, 
entfprehend ftarte Stifte, die auf beiden Seiten der Windlade fo eingeſchlagen wer- 
den, daß fie mit den Dämmen genan die gleiche Höhe Haben. Cie greifen in den 
am den beiden Enden der Schleife gemachten Ausſchnitt fo eim, daß fie die Be— 
wegung der Schleife beim Anziehen und Abſtoßen derfelben durch den Regiſterzug 
regulieren, an der entſprechenden Stelle hemmen. 


Henning, Meifter, ein Tiſchler und Orgelbauer zu Hildesheim, der um 1570 
lebte und nod zu des Prätorius Zeit eines bedeutenden Rufes fih erfreute. Als 
von ihm neuerbaute Werke führt Prätorius unter Mitteilung der Dispofitionen 
im Synt. mus. II. ©. 178 ff. auf: die Orgel des Stiftes St. Blafü zu Braun 
ſchweig umd die Orgel der Kirche St. Gotthardi zu Hildesheim. Ganz befonders aber 
Hebt dieſer Sachtenner die von H. gebauten Vlasbälge hervor, die er a. a. D. ©. 
198 ſchon wegen ihrer der jebigen mehr entfpredjenden Größe nicht nur den „Läd- 
dern Bälgen“ (d. h. Falten, Schmiedebälgen), fondern aud den von andern bereits 
gebauten Spanbälgen vorzieht, indem er fagt: „und Haben nur ein einige alten 
fo eines Schuß, d. i. einer halben Ellen hoch in die höh, auffgehet: vmd ſich 
gleich als 2 dide (3 Finger breit) eichene Bretter zuſammen ſchleuſt, daß man alfo 
nichts mehr davon ſiehet: vnd alfo wedder von der lufft mod; von Meuffen ſchaden 
nemen fan" ıc. Danad) dürfte H., wenn nicht als Erfinder, fo doch als weient- 
ficher Verbefferer der Spanbälge anzuſehen fein. 


Hentjchel, Ernſt Julius, war am 26. Juli 1804 zu Langenwaldau !) bei 
Liegnig in Schleſien als der Sohn eines in beſcheidenen Verhältniſſen lebenden Garn- 
Händlers geboren und erfangte feine erfte Schul: und muſikaliſche Bildung unter der 
Leitung feines Großvaters, des Drganiften Hohberg, und von 1815 an, nachdem 


1) Co Gottfäialg, Päd. Iahresber. 1870. Bd. 2%. ©. 530 nad Hentſchels eigener An- 
zabe, während andre, tie Widmann, Guterpe 1872. S. 149 umd Keller, Deutſche Schutzeitg. 
1374. Aug.-Rr. Zodel oder Zudel bei Börlit als feinen Geburtsort nennen und ihm bald nach 
einer Geburt mit den Gltern nad, Cangenwaldau überfiedeln lafſen. 

36* 


564 Ernft Inlins Hentſchel. 


er ſich fir den Lehrerberuf entſchieden Hatte, unter der de Kantors Prüfer (At 
und Biofine) in feinem Geburtsort, wo er zugleich in der Privatſchule des Biorri 
Balthaſar am Unterricht in fremden Sprachen, im Deutjäen, Geſchichte, Grave 
phie u. ſ. w. teilnahm. 18171821 bereitete er ſich bei Kantor Speer in Kroitt 
für das Seminar vor, und übte fih daneben fleißig auf der Flöte, Marinette, da 
Horn und der Altpofaune.') An Ofen 1821 trat er in das Seminar zu Sur 
lau ein und bildete fih hier zum tuchtigen Schulmann, und unter Karow's Kıiter 
auch zum gewandten Muſiler aus, um dann fon am 14. Oftober 1822 als Hilf 
lehrer an das unter Harniſch's Leitung ftehende Seminar in Weißenfels Überzugeki 
&r erhielt Hier zunächft die Aufgabe, den Pehrplan für den elementaren Geſang ır 
den gefamten Diufifanterriht auszuarbeiten. Im Sommer 1823 wurde er vw 
Minifterium nad) Berlin berufen, um die mufitalifhe Unterrichts-Methode Lori 
zu fludieren; hier erwarb er fid) für den Unterricht in der Harmonielehre unter & 
gier und für die Erteilung des Geſangunterrichts unter Zelter?) einen Hohen Gu 
der Tüchtigleit, und außerdem mirfte der Umgang mit Mufilern wie Schartt 
Zſchieſche, Löwe, Schön u. a. fehr amregend auf ihn.?) Nach Weißenfels zurs 
gefehrt, wurde 9. 1824 dritter Seminarlehrer und als folder mit dem gelamt 
Muſitunterricht der Anftalt betraut. Am 9. Iuni 1833 leitete er das crfte gr 
Männergefangfeft zu Weißenfels, das er aufs befte vorbereitet hatte, und mit 6 
ftem Erfolg durchführte; als Anerkennung hiefür, fowie für fein Wirfen als & 
minarmufflchrer erhielt er im Herbft 1833 den Titel eines fönigl. Mufikdireher 
Durch verſchiedene Reifen ſuchte er fid in feiner Kunft zu fördern, feine Senntsi 
zu vertiefen, feinen Blid zu erweitern. 1848 berief ihn der Minifter v. Ladentu 
zu der Konferenz von Seminarlehrern, die über eine Reform der Seminare zu | 
raten hatte, nad) Berlin; um diefelbe Zeit Hatte er auf Wunſch des Kriegsminif 
die Militärmuftfgule zu Annaberg zu revidieren, fpäter zog ihn der Kultusminij 
zur Revifion des Inftituts für Kichenmufit mit bei, und aud der Abſchnitt äl 
den Mufitunterrigt in den „Allgemeinen Beſtimmungen“ ift unter feiner Beteiligt 
entftanden.‘) Nachdem H. am 13. und 14. Dftober 1872 unter allgemeinf 


?) „Wenns mit der Schutmeiſierei nichts geworden wäre, fo hätte ich als Prager Muft 
mein Stüdhen Brot verdienen tönen" — fol er felbft fpäter ſcherzend gelagt haben. * 
Gotſchalg a. a. D. ©. 587. 

?) Belter ſchrieb über H., den er bei Gelegenheit eines Beſuches in Weißenfels kenner 
lernt Hatte, unterm 17. Nov. 1823 an Goethe: „Hier habe ich einen 19jägrigen tüchtigen Mr 
Teßrer, der mit feinem Ehore die artigflen Evolutionen madıte. Geſund, munter, träftig, ia 
willig, treuherzig. Gr Heißt Hentſchel und fol empfohlen fein.“ Val. Goethes Briefe. 
Zelter. III. &. 315. — 

*) In Harnifh's „Volloſchullehrer· Jahrg. 1924 giebt H. eine eingehende Darlegung 
Logier ſchen Eyſſems: offen geftand er fpäter, daß er einen großen Zeil feiner vielgerühe 
Unterrigtspraris auf muſitaliſchem Gebiet bei Logier gewonnen habe. Val. Gotticalg, a 
D. ©. 632, 

+) Bal. Schneider, Boltsigulweien und Lehrerbildung in Preußen. S. 203. 





Ioh. Andr. Herbf. 565 


chrender Teilnahme fein 5Ojähriges Amtsjubilium gefeiert hatte, farb er zu Weißen- 
fels am 14. Auguſt 1875. — 9.8 Hauptbedeutung liegt auf pädagogiihem Ge— 
biete und zwar im der Entwiclung einer naturgemäßen Methode des mufitalifchen 
Voltsunterrichts im Geſang, im Klavier- und Orgelipiel; als Marr mit der alten 
Methode auf dem Gebiet der Kompofitionslehre brach, und ſich die Gegner zahllos 
gegen ihm erhoben, da war 9. einer der erften, der fih auf feine Seite fellte und 
in Strift und That bewies, daß die „alte Mufiflehre” auf methodiſchen Irrwegen 
gewandelt fei und fih vergebens abgemüiht Habe. Mit der Gründung der Mufit- 
yeitung „uterpe” (vgl. den Art, dem nur noch beizufügen ift, daß das Blatt mit 
Ende 1834 aufgehört Hat zu erſcheinen) hat er 1841 eine litterarifce That gethan : 
Yejes Blatt war lange Zeit tonangebend in allen methodifcen Fragen auf dem mufl: 
tischen Gebiet; während einer Reihe von Jahren hat er Hier, ſowie in den treff- 
ichen Referaten des Abjhnittes „Gefang und Muſitwiſſenſchaft (Drgel-, Klavier 
ind Biolinfpiel), den er für den Pädagogifhen Iapresberiht von Nade und Luben 
18471871 alljährlich lieferte, feine Erfahrungen und Gedanten, Ratſchläge und 
Beurteilungen in mannigfaltigfer Form niedergelegt, um die Hebung mufitafifchen 
Zinnes und Intereffes, die Klarung mufitalifcen Urteils, das Verftändnis mufifa- 
ſcher Werke, die reine, ideale Pflege mufifalifger Kunſi überhaupt und kirchlich- 
wftalifher im befondern zu fördern. Bon feinen zahfreihen Schülern, die fih 
uf mufitoliſch pädagogiſchem und lirchen-miufikaliſchem Gebiete einen Namen gemacht 
zben, fein hier nur gemamt: fr. W. Schübe, Schurig, Lange, Brähmig, Leh- 
ann, Wolfram, DMeinhardt, Heidler, Zimmer, Matthefius u. a., und dabei noch 
merkt, daß es auf 9.8 Perfönlicfeit und Wirken zurüdzuführen ift, wenn in den 
ahren 1830—1870 die meiften Muſillehrer für Seminarien und ähnlihe Höhere 
nftalten in Sachſen, Thhvingen, Brandenburg, Schlefien x. aus Schilfern des Semi 
178 zu Weißenfels hervorgegangen find.!) — Bon 9.8 Werten find Hier aufzuführen: 
Evangeliihes Choralbuch. Cine Auswahl von 210 der gangbarften 
Kirdenmelodien, vierftimmig für Orgel oder Pianoforte gefegt und mit ein: 
faden Zwifcenipielen verfehen. Weißenfels, 1840. — 6. Aufl. Leipzig, 
1874. au. 4°. VI u. 126 ©. — Nachtrag dazu, enthaltend 40 meift 
ältere Melodien vorzüglicer Kirgenlieder, vierftimmig fir Orgel oder Klavier 
mit einfachen Zwifhenjpielen. Venrbeitet unter Mihvirtung von C. Rabſch 
qu. 4°. Daf. — Evangelifhes Shulhoraldug. Eine Auswahl der vor- 
züglicften Kirchenmelodien nad; der im größeren Teile des Herzogtums Sachſen 
und in den t. fücl. Landen üblichen Lesart, fowie zugleid nad) der urfprüng- 
lichen Notation. 2 Tle. Leipzig, 1855. 
Herbit (Autumnus), Johann Andreas, ein angefehener Tonfeger aus der erften 
älfte des 17. Yahehunderts, der 1588 zu Nürnberg geboren wurde und dafelbft, 


*) Weiteres über 9.8 geben und Wirken findet fih: Euterpe 1872. S. 23-20. ©. 64 
3.65. ©. 199-156, S. IMI-IAL. ©. 189-194; ferner: 1875. S. MI, ©. 162 
#165. Püdag. Zahtesber. &d. 28. ©. 528-539. Urania 1873. ©. 9 fi. u. S. 115 ff. 

Deutfge Sqhutzeitg. 1874. Auguf-Rr. 








— 


566 R. G. Hering. A. €. Hering. 


auch feine wiſſenſchaftliche umd mufitofifce Bildung erlangte. Ms er 1613 fir 
erfte Sammlung deutſcher Lieder zu 5 Stimmen Herausgab, ſcheint er nah der De 
difation an die Herzöge von Württemberg zu fliegen, ſich nod nicht berufsmöi 
mit Muſit beigäftigt zu Haben. Dagegen nennt er fid dan 1619 auf dem Tite 
eines Hoczeitögefanges „Muficus zu Nürnberg" und 1621 auf dem eines es 
jahrsgefanges, den er den Bürgermeiftern zu Frankfurt a. M. widmete, „Gapel 
meifter“ des Landgrafen von Heffen-Darmftadt. Danach ſcheint er als Kapellmeift 
in Frantfurt gelebt zu Haben; 1637 befand er ſich in gleicher Eigenſchaft zu Mir: 
berg, ging dann aber nad) Franffurt zurück, wo er 1653 feine frühere Stellun 
wieder inne Hatte und um 16607 noch Lebte.t) Bon feinen fünfftimmigen Chorc 
fügen find uns 28 in des Laurentius Erhardi , Harmoniſchem Choral: und Figure 
Geſaugbuch Augsburgiſcher Confeſſion“ (Franfjurt, 1659) erhalten. Ihr „Car i 
türchlich würdig, wmannigfaltig und von einem gründlichen Verſtändnis der alte 
Kirdientonarten zeugend.“?) Einige derfelben find neugedrudt bei v. Winterfell 
Evang. Kirchengeſ. II. Notenbeiip. Nr. 710 und bei Schoeberlein -Kiegel, Sc: 
des Kiturg. Chor- und Gemeindegef. I. Nr. 21. S. 121. Nr. 54. ©. 312. I 
Nr. 38. S. 102. III Nr. 236. ©. 573. Mr. 238. ©. 576.) 


Hering, Karl Gottlieb, ein denfender Mufillchrer, war am 25. Ofteber 176 
zu Scandan in Sachſen als Angehöriger einer alten Lehrer- und Organiftenfomil 
geboren, und genof feine Schulbildung auf der Furrſtenſchule zu Meißen. Cpätı 
ſtudierte er an den Umiverfitäten zu Wittenberg und Peipzig, und wurde dann 17 
Konreltor und Organiſt zu Oſchac, 1811 Kantor au der Stadtfhule und Muf 
lehrer am Seminar zu Zittn. Er ſtarb am 4. Januar 1853. — Bon feine 
Werten find hier zu nennen: 

1. Allg. Choralbuch, oder Sammlung der in den evang. Kirchengemen 
den üblichen ircjenmelodien x. Peipz., 1825. Zleifcher. — 2. Bittauer Chera 
buch, oder volftändige Sammlung von Choralmelodien. Daf. — 3. Cherı 
melodien fir den Oefangunterriät. 2 Hefte. Daf. — 4. Die Kunft, das Bed 
fertig zu fpielen. Daf. — 5. Prattifde Brätudierfäule, oder Anweifung in d 
Kunft, Vorfpiele und Phantafien zu Bilden. 2 Tie. Daf, 4. — 

Hering, Karl Eduard, des vorigen Sohn, war am 13. Mai 1807 zu Oſche 
geboren; ex erhielt den erften Unterricht in der Muſit von feinem Bater und mas 
dann bei Weinlig in Leipzig noch weitere Studien. 1839 wurde er Organift ım 
Seminarmuſillehrer zu Yaugen, wo er eine ehrenvolle Stelung eingenommen un 
fih um die Pflege der Mufit mannigfadhe Verdienſte erworben hat. Am 25. 
vember 1879 ift er geftorben. — Von ihm erfhienen: 











) Dies geht aus einer Andeutung bei Laurentius Erhardi, Comp. mus. 1660. S. 119 ker 
?) Bot. Ritter, Zur Geſchichte des Orgelſpiels I. 1884, & 145. 
®) Mber eines feiner Unlerrichtswerle vol Beder „Aus meiner Bibliothet in den Monet 


"für Dufitgeih. 1378. 5. 100-104. Eitner, Allg. deutſche Biogr. XII. S. 50, 


Herr Chriſt, der einig Golts Sohn. 567 


1. Übungsftäde für die Orgel. Hildburghauſen, Nonne. — 2. 30 ger 
Hräudfiche Choralmelodien mit drei Bezifferten Väffen. Löbau, Einer. 4. — 
3. Orgelmufit für Unterricht, Kirche und Haus. Baugen, Weller. I. I. 120 
©. au. 4°. — 4. Chorafmelodien zum wendifcien GB. Baugen, 1858. — 
Für die folgenden Nm. diejes Ch-B.: Nr. 58. 67. TIL. 92. 96. 118. 
116. 123. 129. 132. 134. 141. 154. 176. 195. 196. 208 — geben 
Iacob und Richter, Ch®. I. TI. dasfelse als Duelle, ohne jedod) irgendivie 
anzubeuten, in welgem Verhältnis 9. eima als Komponift oder Bearbeiter zu 
den Segeichneten Chorälen fteht. -— 5. 250 Choräle in dreihundert dierftimmi- 
gen Bearbeitungen nebft mufil-theoretifcen und Hiforifcjen Beigaben. Leipzig, 
Kitner. 


Herr Ehrift, der einig Gotts Sohn (Herr Jeſu, Gnadenfonne), 
Shoral, deffen Melodie eine weltliche Voltsweife des 15. Iahrhunderts it, die 
jedoch gleichzeitig auch geiftlih gebraudt wurde. Bol. Faißt, Württ. Ch.B. 1876. 
©. 215. Sie erſcheint im Lochheimer Liederbuch, einer Handferift von c. 1450. 
Nr. 7) in folgender der Choralmelodie faft ganz gleichen Form: 


























eng 









































ge · fü 
5 —— 
j = — 
tet mid er ne⸗ren, vn Pac len * pein; ih het mir auß · er⸗ le / fen 
— N 
—— 
Ba — 














an der ft all mein me» fen, 






























— + 
— — — 


ic Tann on fie mit gnecfen, 898 mad ie Aoleger deh, 


Es hat diefe Melodie Beziehungen zu mehreren andern alten Boltsweifen, zu „Ich 
jört ein Fräulein Hagen“ bei Forfter, Ein aufzug guter after Und newer Teutjher 
iedlein x. IM. 1549. Nr. 61, zu „Ih ftund an einem Morgen“ bei Joh. Ott, 
Hundert vnd ainpndyweingig newe lieder ı. 1634. Mr. 22—24, und zu „Es ftet 
im find in jenem that" bei Forfter, V 6. Nr. 18.) — Im ewvangelifgen 
kirchengeſang erſcheint fie feit 1524 mit dem Liede der Euſabeth Cruciger, zuerit 
m Erfurter Endividion 1524. Bl. BlIb und bei Walther 1525. Nr. XXIX, 












*) Das Lochteimer Liederbuch if heraucgegeben von Fr. W. Arnold in Ehryfanders Jahrb. 
ir mufifat. Biffenfhaft IT. 1867. 5. 1234. Dal. ©. 101. 

” Rad Iatob und Rider, HB. I. S. 129 wäre fie „eine lebendige Verfämelzung” 
er beiden — Weifen. Bal. den Abdruc der 3 Bollafieder bei Wöhme, Ad. Sieder- 
uch. 1877. Mr. 117. ©. 217, Nr. 269. S. 346-348 und Mr. 176. ©. 266. Langbeder, 
sefangblätter aus dem ne: Jahrh. ©. 14. 





568 Herr, deine Augen fehen ıc. Herr Gott, did loben alle wir. 


dann in Luthers G-BB.:- bei of. Klug, ©.-8. 1535. U. 1068, Ausg. 1%, 
Bl. 1172; bei Schumann, G.B. 1539. Fol. 46, und bei Bal. Babft 154.1. 
Nr. 47. Während fie aber hier auf fieben Zeilen verkürzt ift, Hat fie das Bride 
9.2. 1531. Bl. 9 ganz unverändert zu dem Liede Michael Weige's „Cott ft 
unter der Überjhrift „Aue rubens roſa dirgo“ verwendet (nl. 
. II. ©. 273). Im ihrer lirchlichen Form heißt fie: 


— — 


>" 
4Here Ehrift, der ei - nig GottsSoßn Ba - ters in E - mig-feit 
\atus fein'm Her -zen ent+fprof» fen, gleid)+ wie ge + fArierben „Acht 


—— = = 
F ——— — 


Er if der Mor- gen- ſter, ne, fein Glän- ze fredt er fer-m 



















































































— 

vor am- dern Sier- men Mar. 
Eine Kantate über diefen Choral zum 18. Sonntag nad Trinitatis von Set. 
Bad ift in der Ausg. der Bach-Geſ. XXI. Nr. 96 veröffentliht; der Säle 
choral ift über Stropge 5 des Liedes („Ertöt und durch dein Güte“) gefegt. Mi 
derſelben Strophe Hat Bach die Melodie noch zweimal bearbeitet: als Schlußchen 
der Kantaten „Ihr, die ihr eud von Chrifto nennet” (vgl. den Art.) und „Ast 
nahm zu fih die Zwölfe“ (vgl. den Art.).') 


‚Herr, deine Augen jehen nad) dem Glauben. Kantate zum 10. Som 
tag nad) Trinitatis („wahrfheinlih 29. Juli 1731) von Seh. Bad. Der Chi 
„Vater unfer im Himmelreich“ wird in derfelben zweimal verwendet: im der Mitt: 
mit Strophe 2 des Liedes „So wahr ich lebe, fpridt dein Gott“ („Dies Bet 
bedent, o Menfgentind"), und als Schlußchoral mit Strophe 6 und 7 („Heut Lebt 
du, Heut befehre dich" und „Hilf,”o Here Iefu, Hilf du mir“) desfelben Lieder 
Sonft gehört dies Werk zu „einer. Gruppe folder Kirhenmufiten Bach's, wels 
überwiegend oder gänzlich auf freier Erfindung beruhen. Ein Bibelſpruch (Ir 
5, 3; Röm. 2, 4. 5) bildet den poetiſchen Grundgedanfen, der in einen gemmaltiger 
Chor von oratorienhaftem Zuge gekleidet if." Cpitte, Bad) II. ©. 294. 295. - 
Ausgaben: von A. B. Marr, Kirhenmufit von Joh. Seb. Bad. Bonn, Simest 
Nr. 2, dann in der Urgeftaft wiederhergefteilt von W. Ruſt, Ausg. der Bad-Ci 
XXI. Nr. 102. — 


Herr Gott, did) Toben alle wir, Choral. Das Lied für das Micaclisit 
von Paulus Eber erſchien 1554 zuerft gedrudt (vgl. Wadernagel, Bibliogr. 185 








2) Bol. Ext, Bachs Chorafgefänge. I. Rr. 47. ©. 28 umd Nr. 48, ©. 20-31. & 
v. Winterjeld, Ev. g. G. TU. Notenbeifp. nicht originafgetreu abgedrudt. 





Herr Gott, did) loben alle wir. 569 


©. 265, u. desf. 8.2. IV. Nr. 1) und war anfänglid auf Melodien wie „Con- 
ditor alme siderum“, „Beatus autor seculi“ (vgl. Wadernagel, RL. 1841. 
Nr. 462. ©. 381), „Chriftum wir follen toben fhon“, oder „Chrifte, der du bift 
Tag und Licht" (Magdeb. niederdeuiſches ©.B. 1583) venwiefen. Dann erhielt 
es auch eigene Melodien: fo eine folde bei Geſius 1601, eine andere bei Schott 
1603,1) die aber kirchliche Geltung nicht zu erlangen vermodten. Als dann durch 
Lobwaſſer die franzöfihen Pfalmmelodien befannt wurden, übertrug man die Me 
lodie des 134. Pſalms anf unfer Lied (3. B. als einer der erften Calbiſius, Harm. 
Cant. Eecles. 1597. Nr. XLID, und diefe Melodie ift ihm im evangelifhen Kirchen- 
gelang geblieben. Der 134. Pſalm des franzöfffd-reformierten Liedpfalters („Vous 
saints ministres du Seigneur“) gehört zu den 34 Pfalmen, die 1551 in Theod. 
Bezas Umdichtung dem Marot’fhen Pfalter als erfte Beigabe jedch noch ohne Mer 
odien zugefügt wurden. Die Melodien zu diefen Beza’fchen Palmen, und unter 
hhnen aud die unfeige, erfhienen erftmals 1554 gedrudt,*) darauf mit Goudimels 
Tonfag 1565, dann bei Lobwaſſer 1573. S. 524 mit deffen deutfgem Pfalm- 
ied „Ihr Knecht des Herren allzugleih." Unfere Melodie heißt im Original: 














mu =: 
— —— 


‚Herr Gott, bi 


— — — — =] 
Ge —— 


für tein Gefgent der Engel ſhon, die um didfäneben in deinm Thron. 

Sie tommt jedoch ſchon vor Lobwaſſer in deutſchen G.-BB. mit dem Tert 
‚Nun mad uns heilig, Herre Gott“, der als „ein alt chriſtlich Gebet“ bezeichnet 
vird, vor bei Verger, Straßb. 1566 und bei Wolff, Franff. 1569, und wäre es 
ur Beflimmung ihres Urfprungs, wie v. Tucher, Schag I. S. 349 mit Recht 
vermerkt, intereffant zu erforſchen, ob das Lied „Nun mad uns heilig” nit ſchon 
rüher mit derjelben Melodie vorkommt. Einſtweilen gift fie als aus einer welt: 
ihen Melodiengrundlage heransgebildet und zwar von Louis Bourgeois, der von 
1542—1557 bei der mufifalifchen Bearbeitung des Pfalters in Genf tHätig war.?) 


Bal. diefe beiden Weifen bei v. Tucher, Schah II. Nr. 65 u. 06; lebtere aus der Die- 
Die „Herr Gott, warm du dein Bolt bei Burthard Waldis 1553 zum 126. Palm, 
atmommen. Bgl. v. Tuer, 0. a. D. Nr. 255 u. ©. 389, 

?) Bgl. D. Douen, Clöment Marot et le Psautier huguenot, 1878. I. ©. 552. 8. 557 
Pseaumes octante trois ete. Gendve 1554 chez Jean Crespin); Grove, Diet, II. ©. 495. 

>) D. Down führt a. a. O 1. S. 690 und S. 727 die Anfangezeifen eier weltliden 

















To-ben afefe mir und fol. fen bil-fig ban-Ten bir 





















































570 Herr Gott, dic) loben wir. 


Daß unſre Weiſe in England und Amerifa als „The old Hundreth Tune“ fer 
voftstümfich ift, derf ols befannt vorausgeieht werden. — Über das Lied und die 
Melodie ſchrieb Seh. Vach eine Chornlkantate zum Michaelisfeſt, die in der 
Ausg. der Bach Geſ. XXVI. Nr. 130 gedrudt if. 


Herr Gott, did loben twir — das Tedeum laudamus, der ambrofia 
niſche Lobgeſang. Diefer „Herrlichfte und berühmtefte Hymnus der alten Kirche, voll 
der tiefften Anbetung und heiligften Freude”, deffen Melodie allgemein als gleich 
alteig mit dem Terte angeſehen und feit dem Anfang des 6. Dahrhunderts in der 
abendlãndiſchen Kircht mit demfelben gelungen wird,!) ift ohne Aweifel griehiichen 
Urfprungs. „ES liegt dem Tedeum ein alter griehifher Hymnus zu.-Örunde, 
welcher, im Abendlande verbreitet, an verſchiedenen Orten Überfeger fand, woraus 
fich ebenfowohl die Mannigfaltigteit der Lesarten alt aud die Verſchiedenheit der in 
dem Hymnarien genannten Verfaſſer erflärt. Unter dieſen Übertragungen fand die 
jenige, welche Ambrofius zunäcft für den Gottesdienft der mailändifhen Kirche ver 
faßte, den meiften Beifall und fam nach und nad) zu allgemeiner Geltung, woraus 
aud die gewöhnliche Benennung „ambrofianifher Hymnus“ ſich ertlärt.”?) Die 
Tradition freilich will, daß Ambroſius und Auguftinus diefen Gefang nad der 
Taufe des lebteren in der Oſternacht des Jahres 397, einer göttlichen Inipiration 
folgend, als Wechſelgeſang improvifiert Haben; allein, da weder Auguftinus jelbi, 
noch fein Biograph Poffidins bei Erzählung von deſſen Taufe diefes Borganges ge 
denten, fo dürfte deſſen Richtigleit kaum zu erweiſen fein.) . . . Deutfche Bearki 








Eee 
Fa + 
Uony a i-oy cA-M-y qui mait sa helle. 
von deren das erte in Tilman Sufatos Sammlung „Chansons & quatre parties etc. 
werpen, 1544-1545, das andere in „Chansons du XYms Siöcle etc.“ publits par Pari 
et Gernert, Paris, 1875 fit — umd findet in diefen Zeilen Besiehmmgen zu unfrer, fonit 
den Melodien de9;89. und des 113. (bie Straßburger Urforunps if) Palms; mich die & 
Tobie des 25. Belems, Die ans einem weltfiden Fire (bei Conssemaker, Notice sur I 
collections musicales de la bibliothöque de Cambrai etc. Paris, 1843; vgl. bei Tour 
a. 0. D. I. &. 120) enianden if, fat Ahnlicfeit mit der unfrigen. 

¶ Die Ordensregeln des heil. Beneditt von Nurfin und Eäforins von Mrelate von 52 
föreiben den täglichen Gebrauch des Te denm im Gottesdienfi vor. Post quartum Respix- 
sorium incipit Abbas Te Deum landamus. C. 11. gt. guft, Siturgit. I. &. 145 22 
Feipt, Württ. €-8. 1876. ©. 214. 

*) Bl. Daniel, Thesaurus hymn. II. &. 289 f. — Rumba, Ather. I. ©. 
Bäßter, Auswahl altärifl. Lieder. 1898. ©. 44. — Cäetterer, Gefh. der geifl. Di 
und firdf. Tontunft. I. 1860. ©. 107-100. j 

¶ Den Borgang erzält eine Mailänder handſht. Ehronit, bie dem Biffef Dacius (+ 5 
guge ſhrichen wurde, Vie aber neueren Nafweifungen zufolge er dem 11. Zadıch. ange. 


















































Herr Gott, did; loben wir. 571 


tungen des Hymnus Hatte man ſchon fange vor der Reformation, und es ift die 
äftefte derfelben, eine aus dem Anfang des 9. Yahrhunderts ſtammende fränkiſche 
„Thih Cot lopemus“ zugleid eines der älteften deutſchen Sprahdenfmäler.') Im 
der Reformationszeit ſelbſt war anfangs nur eine Profabearbeitung im Gebraud:*) 
dann aber erſchien Luthers liedmäßige metrifche Übertragung — wohrſcheinlich erft- 
mals und mit der Melodie in dem bis jegt nod) nicht wieder aufgefundenen Klug: 
ihen G. B. von 1529 — und vor ihr, die feitbem im Gebrauche der deutfchen 
wangeliſchen Kirche geblieben ift, verfhwand die andere raſch. — Wie aus einer 
Hugerung Johann Waltgers?) zu ſchließen it, hat Luther gleichzeitig mit dem Liede 
auch deſſen Melodie bearbeitet und demfelben angepaßt, fo daß auch diefe erft in 
des großen Neformators Munde zur deutfhen evangelifchen Kirchenweiſe geworden 
„Diefe Melodie des ambrofianiichen Kobgefangs dürfen wir gewiß als die Königin 
aller Melodien bezeichnen. Cie ift ebenfo erhaben und ehrmwürdig durch das Alter 
von 15. Jahrhunderten, wie durch das Gepräge tiefften und glühenbften Erguffes 
refigiöfer Vegeifterung. — In dem Te deum laudamus, diefem Giegeepfalm der 
ganzen riftligen Welt, durd und durch Majeftät, klingt (wie Fortlage fagt) der 
Ton des alten Kirhengefanges in feiner einfahften und tiefften Stimmung, ebenfo 
ſehr in den Worten, wie in der die Spuren des höchſten Altertums an fih tragen» 
den Melodie, melde, indem fie aus dem jonifhen Ton ſchroff in den phrygiſchen 
umſpringt, den Ausdrud einer unbeſchreiblichen Reinheit und Idealität mit dem einer 
alles zerfcpmetternden Macht verbindet.") Cie lautet im Doſ. Klug'ſchen ©.8. 
1535. Bl. 56a (Val. Babſt, G.B. 1545. I. Nr. 36): 

Der erfle Chor Der ander Eher. 
































Here Gott, dich loben wi. Ser Gall, wir Dan» im bie 


— 
—— 


* Sein 
Dich Ya-ter in Welt weit und breit, 

Vgl. Menardus, Libr. Sacram. Gregor. M. — und Wabiflon, Annal. I. pag. 4, 5 bei 

Zengel, Exercitatisnes X de Hymno: Te Dem laudamus. Lips. 1692. ©. 303 f. 

*) Meifter, Das kattoliſche deutſche 8. 1. ©. 462 zähtt im ganzen neun deutfhe Be- 
arbeitungen, ſowie verjiedene Umdichtungen des —— auf Darin auf. Vol. au Bäß- 
fer aa. D. 

>) Diefelbe erfhien nad} Riederer, Abhandlung S. 160 in einem Erfurter Endiridion 
1526;"fie ging aud) in Mid. Beie's dath G.-d. 1597 Über. of. Ausg. desfelden von Hoff: 
mann v. F. 1858 S. 10-11. 

3) Walther ſchreibt nämlich Luther geradezu die Erfindung der Weife gu. Bol. Winter 
feld, Evang. 8-0. I. ©. 452. 

9) Bol. Meiſter, a. a. D. 1 ©. 461. — Lufft, Liturgit. Main, 1844-1847. II. & 
145— 146, 



































Herr Gott, dich loben wir. 


* —— 
re — 
AU Engel und Himmels er und was die — met den- ner Gi 


een 























& Beer — — 
Aug Che · tu· bim und Se- ra phim.  finsgem immer mit ho > herStimm— 























+ 

— — 

—— — J et 

in ung, ſer Bo Si Gon 
Beide Chor zulaumen. 


= ; =: — 
= —- zz: 
“re Ber ba oth. 


Hei-Tig iR um»fer Gott, der Her 
Der erfe Chor, Der ander Chor. 
— 

— = 


Hm 
Be zer SEE 
— — — — 

geht in. ber Himmel und Er- den weit 


Dein gött- lich Macht und Herr · lic leit 
—— — — — 
== ? E 
Der Hei» li + gen zwölf Bo-ten Zahl und die 
To.» ben dich, Herr, mit 


ie » ben Bro«phe » ten al. 

Die teu -ven Mäct-rer all- yu- mol gro. hem Stall. 

Die ganze were te Gürirflensheit  rühm dih auf Grs den al - Te « zeit. 
= 

























































































































Re Er Zr Epe 
Dig Gott Ba- ter im m het gen Zfrom, den uen eßeten um dio ni en Sohn, 
— — 
— — 
mit rech⸗ tem Dienſt fie lobt und ehrt. 























Gon Ba-ters er wi get Sohn du bil 


























Der Zungfrau Leib nicht Haft ver-ihmäht Zur. 1ö + fen. das imenlch tit Ge ihiets 
Du oft dem Tod zer-flört fein Mat und all Ghri-ften zum Hi - mel brat. 
i mit ol» der Chr in Ba - ters Reit 

bend if. 




















Du fÜgft zur Reh-ten Got-tes” gleich 
Ein Ric ter du zu ünfetig  bift al» ies, das tot und fe 
— = —— ————— 
— — — — ⸗ EZ 
die mit deinmteuen Blut er « [ö ſet fein. 





Run Hilf une, Herr, den Die-nern dein, 
= — 

ee = 
ap uns im Himmel haben Teil, mit den Heirfi-gen in 
































© wirgem gel 





Herr Gott, num fehlen den Himmel anf. 573 




















== — — — — 
















































































— En} 
Hilf deinem Bolt, Herr Ie + fu Ehrif, und feg » me, das dein Erbrteil iſt, 
& — 55 — 
= me = = — 
Wart und pfleg ihr zu al - ler Zeit, und heb fie hoch im Ea wig leit. 
& >= —— 
7 
Tãg · lich Herr Gott, wir fo - ben dich und ehrn dein Na-men fie + tig» 
£ ——— — — — or 
re — 24 
& — — ee 
Be» hüt ung heut, o treuer Gott, für al» fer Sünd und Mif + fe + that, 
Sei unsgnäsdig, 0 Hersre Gott, fei uns qnä«dig in al» Ter Not. 
Zeig uns dei» me Barm-ber + 3ig + leit mie un «re Hoffnung zu dir fleht. 











me HZ Be 





Auf dic hoffen mir, fie-ber Herr, im Cchanden Iafı uns mim - mer-mehr, 
Beide Chor zufammen, 








a men. 
Über den ambrofienifhen Lobgefang als eines der „Cantica* im liturgifhen Ger 
fang vgl. den Art. „Tedeum“. Seb. Bad) Hat in der Leipziger Ratswahl Kantate 
Preiſe Ierufalem den Heren“ zum 30. Auguft 1723 — Ausg. der Bach-Geſ. 
XXIV. Nr. 119 — vier Zeifen des ambrofianifchen Lobgefangs („Hilf deinem Volt, 
Herr Jeſu CHrift” ıc.) als Schlußchoral verwendet, und in der Kantate zu Neujahr 
im die Kirgenjahre 1723 bis 1727 fallend) „Here Gott dich loben wir" über 
die vier erften Zeilen desfelben einen „prädjtigen Choraldor“ geſchrieben. Ausg. der 
BadhGeſ. U. Nr. 16. EM. Leipzig, Peters. 


Herr Gott, nun fhleuß den Himmel auf, Choral von Michael Alten- 
urg. Im deſſen „Erfter Theil. Chriflliger, Tiebliger Vnd Andechtiger Kirchen- 
‚md Haußgeſenge. Dit 5 Stimmen komponieret von M. Michael: Altenb.: pastore 
[röchtelbornensi. Crffurdt, 1620.” Nr. 6 findet: fih der fünfftimmige Ton 
38,') in weldem die Beftandteile der Melodie, wie fie ſich fpäter im Kirchengebrauch 
eftgeftellt hat, in den beiden Disfantftimmen enthalten find. Im Cant. sacr. 
zoth. I. 2. Ausg. 1651. ©. 180 fodann, wo durd die Überjrift: „Mel. auct. 
Jich. Altenb. Aut. Text. Tobias Kiel“, Altenburg als Erfinder der Melodie 
ezeugt, die Autorſchaft des Tertes, die ihm vielfach ebenfalls zugeſchrieben wurde, ihm 
ber aberfannt ift, erſcheinen die beiden Melodieftimmen in umgetehrter Anordnung, 


3) gt. denfeiben im Original bei v. MWinterteld, Co. 8.-@. II. Notenbeil. Nr. 38. ©. 
3, umd bei Schocherfein-Wiegel, Sag II. r. 120. &. 24. 





574 Serr Gott, nun ſchleuß den Himmel auf. 


fo daß, was im Driginal erſter, hier zweiter Dislant und umgefehrt ift (vgl. d. Tr- 
der, Sag II. ©. 412), wie folgt: 
Cantus 1. 























































































































Die lirchenübliche Form unſrer Weife geben wir in nadifichender mehrjache 
Aufzeihmung: unter 1 bei dv. Tucher, Schat I, Nr. 384,-unter 2 nad; Frelin 
Haufen, ©.8. 1704. Nr. 748 (Gef. Ausg. 1741. Nr. 1872. ©. 932; die Mi 
men Noten bei Stögel, ChB. 1744, Nr. 382), und unter 3 in ihrer gegenwärt 
gen Form z. B. bei Ext, CH-B. 1863. Nr. 106. ©. 89 und Intob und Kidıe, 


Ch.B. I. Rr. 407. ©. 368 
1. 
— Eee 


IC} Gott, nunfölengden Him-mel auf, mein Zeit zum End fih nei + ge. 
Hab voll-en «det mei-nen anf, des ic mein’ Seel jehr freu » ei 


— ini 
eee 


Kremer I — ee 











— 


































































































— — 











Hab guug ge lit - ten, mic mid ge + fit» ten, 


Dee 
Pe zero 





















































Herr, ich habe mißgehandelt. Herr Jeſu Chriſt, did) zu uns wend. 575 


| 


wer » dem. 



















































































Herr, ich habe mifsgehandelt, Choral von Johann Crüger, der zuerft in 
deffen „Geiftlicpen Kirchenmelodien“ Leipzig, 1649. 4. Nr. 19 mit zehn andern 
neuen Singweifen zu Liedern Johann Frang's erigeint, jedoch Hier noch nicht ale 
Erügers Eigentum bezeichnet ift. Diefe Bezeichnung mit „I. 8." erfolgt erft im 
Berliner G.B. 1653. Nr. 41. ©. 57 und mit „I. €.“ in der Praxis piet. 
mel. 1656. Cie Heißt im Driginal — vgl. Sangbeder, Crugers CHoral-Del. 1. 
1835. ©. 38 —: 









































= + == — = 
= — —— 
— 
87 ih ha - be mißrger han- delt, ja, mich drüdt der Sünden Laſt. 
34 bin niht den Weg ge» wan-deit, den du mir ger zei » get Hall. 
i 
> Pe —— = B= — 




















und jet wollt ich gern aus Sqhrecen mich für dei» mem Zorn ver-fet»Ten. 


Darüber ob die Melodie volftändig original, oder ob fie nur eine Umbildung der 
Netodie des 77. und 86. Pfalme der Reformierten — dgl. den Art. „Folget mir 
uft uns das Leben“ und bei Ebrard, Ausgew. Pialmen. 1852. Nr. 12. ©. 34. 
5 — fei, die 1545 (15432) erftmals erſcheint, find die Meinungen geteilt: 
. Binterfed, &. 8-6. I. ©. 533 nimmt erfteres an und ihm folgen: Lay 
ern 1. ©. 81 u. Bode, Dohann Grügers CH-Mel. in Monateh. für Mufttgefg. 
873. ©. TI — während Ext, Ch.B. 1863. S. 251, dem diſcher, Kirchen 
x. J S. 268 folgt, nur eine Bearbeitung gelten, und Faißt, Württ. Ch-B. 
376. ©. 83 und ©. 218. 220 die Sache unentfhieden läßt. 








‚Herr Jeſu Chriſt, Dich zu uns wend — Choral, als deffen äftefte Duelle 
wöhnlich das Cant. sacr. Goth. I. 2. Aufl. 1651. S. 530 angeſehen wird, 
> er unter der Überfrift „Vor der Predigt zu fingen“ mit einem vierſtimmigen 
onſatz — vgl. bei Erf, Siona I. v. Winterfeld, Ev. K. G. II. Notenbeil. ©. 
37. Dalob und Rigter, Ch.B. I. S. 10 — fleht und Heißt: 


576 Herr Jeſu Ehrif, du höchſtes ze. Herr Jeſu Ehrif, id) weiß ıc. 
Fresse — — 


Herr Je· ſu Chrin, dich zu uns wend. ¶ Dein heil- gen Gein du zu une ft; 
— — 
mit Lieb und Gnad er uns re-gier und ums den Weg zur Wahrheit fuht 


Eine etwas ältere handſchriftliche Quelle von 1643 Hat neuerdings Ludwig Erf — 
dgl. „Wie alt die Melodie: „Herr Deſu Chriſt dich zu ums wend“ — ?* Enter 
1874. ©. 113. 114 — gefunden in „Geiftlihes Geſangbuch“ 1643. 4%. x 
frieben von Georg Schmidt „derzeit (Nantor) zu Redtwitz“: hier fteht die Me 
lodie, nur im einer einzigen Note — 2. Note der dritten Zeile a flatt h — gr 
ändert, mit einem vierfimmigen Tonfag unter der Überichrift „hriftlicer Geſang 
durchs gange Jahr breuchlich“. Ext a. a. D. Hält es für „möglih, daß die Pe 
lodie von dem Dichter des Liedes, Wilhelm I, Herzog von Sadjen-Beimr, 
geb. 1598, geft. 1662, herrührt; denn es wird uns berichtet, daß derfelbe die 
Dichttunſt und Mufit mit befonderer Vorliebe gepflegt und ſich ſchon während feine 
Studienzeit in Iena gern darin geübt Haben foll. Im dem don Georg Schmidt 
angefertigten Didter- und Komponiften-Verzeiänis erſcheint das Lied anonym.” — 
Dod) tommt die Melodie „höhft wahrſcheinlich fHon im Jahr 1638 zum erftenmal 
vor“ in „Lutheriſch Handbüchlein ıc. Formiret und geordnet von Joa. Nidlingio.“ 
1. Ausg. Altenburg, 1638. (4. Ausg. 1655. ©. 746.) Bgl. Koh, Geſch. dt 
8. II ©. 109. 113. Herder, Weimar. G. B. 1795. Rambach, Anth. \. 
© XI. 


Herr Jeſu Ehrift, du höchſtes Gut, — Herr Jeſu Ehrift, ih weih 
gar Wohl. — Diefen beiden Liedern beflimmte der Dichter derfelben, Varthel— 
mäus Ringwald, 1581 und 1586 (1582) durch die Uberſchrift: „Im thon, Wenz 
mein Stündfein vorhanden ii” diefe Melodie. Und fo erhielten fie denn in der 
Folge and) zwei Weifen, die urfprüinglic mit lebterem Liede vorlommen, und gmar 
in einem Melodienduplum: die erfte als Tenor, die zweite als Diskant eins 
vierftimmigen Tonfages zu „Wenn mein Stündlein vorhanden it” in: „Harme- 
niae hymnorum scholae Gorlicensis .* Gorlicij Excusum typis Am- 
brosij Fritschijh — am © Gorliei ... Anno M. D. LXXXVIL, ® 
Vorrede unterzeichnet „Gorlicii Calend. Martij, Anno M. D. LXXXV. 6- 
orgius Rhonius Gorlicensis.* Der beide Delodien enthaltende Tonfag ſteht Kr 
&. 194—199. Die erfte derfelben heißt bei Prätorius, Musae Sion. VII. 160: 


— — — zZ 3 

BE ee 4 
u Ze» fu Eorift,du Hög-fles Gut, du Brunnquell al » ler Gna-den. 

Sieh dog, wie ih in meinem Mut mit Schmerzen bin be - Ta» der 































































































Herr Jeſu Chriſt, du höchſtes Gut. 577 











— 


— — 














und im mir Gab der Pfei-le viel, die im Geawiſ-ſen ohne Biel 














mich ar» men Sün + der quä-len. 
und die zweite lautet: 























[+ se» fu sen, 5 gar wohl, daß ic ein-malmuß fter-ben; 
Wenn a » ber das «She > hen foll und nie id werd ver«der + ben 


— 


dem Lei⸗ be nach, das weiß ich nicht: Ees fleüt al lein im dein'm Ge- richt, 








— 









































dur ſiehſt mein letz tes En de. 

Auch die fpäteren Kantionale benennen zunächſt Die zweite dieſer Weiſen nad „Wenn 
mein Stündlein vorhanden ift,” fo 3. B. Barth. Gefius, Geiftt. Lieder 1601. Dt. 
168a und nod Ich. Grüger, Bolt. 6.8. 1640. Nr. 222. ©. 551, während 
fie Schein, Kantional. 1627. Nr. 227. ©. 401 dem obigen Liede beigiebt. — 
Die erfte derſelben zählt das Lüneburger G.B. 1648, das fie in einem Anhang 
mitteilt, nod damals zu den „etwas unbelannten Melodeyen“. — Händel in dem 





Funeral-Anthem (Trauermufit) für die Königin Karoline. 1737 (vgl. Ausg. 
ver Händel Geſ. Jahrg. IV. 1861. Lie. 11) hat im erften Chor den Anfang 
ver obigen erften Weife als Thema benügt, und Händels Chor hat dann wieder an- 
egend auf Mozart gewirft, dem beim Anfangsfage feines Requiem das Anthem 
inverlennbar vorſchwebte: 
‚Händel, Funeral-Anthem. Mozart, Requiem, y 
— = 
the ways of Zion domourn, do mourn Re - qui-em ae-ter - nam ae-ter- 
Die Be ge Zirons trau - ern mm 
Eine Chorallantate über diefen Choral von Seh. Bad) zum 11. Sonntag 
ach Trinitatis geſchrieben, ift in der Ausg. der Bach-Geſ. XXIV. Nr. 113 ge: 
euct. Ihren Schluß bildet unfer Choral mit der 8. Strophe des Liedes („Stärt 
ich mit deinem (Freudengeift“); auch nod in zwei andern Rantaten: „Id elender 


1) Stadler, Verteidigung der Echtheit des Moyart’iden Requiems. 1820. S. 17 Hat zuerft 
rauf aufmertfam gemacht, daf das Motiv des Requiem dem erften Motiv in Händels Trauer- 
aufüt emtprehend fei. Bgl. Jahn, Mogart. IV. ©. 710. 711 und Notenbeif, X und XI. 

11.12. 
ümmerte, Encyfl. d. evang- Kirdenmuft. 1. 37 















































578 Herr Jeſu Chriſt, meins ze. Herr JZeſu Chriſt, wahr ıc. 


Menſch, wer wird mid, erlöfen" und „Tone Rechnung! Donnenwort” (vgl. die fe 
freffenden Art.) dient derfelbe als Schlußchoral. 


Herr Jeſu Chriſt, meins Lebens Licht, Choral — uriprüngli „Ode 
Chriſt, meins Lebens Licht. (ugl. den Art.); der veränderte Anfang Ä 
Shrift x.” wurde bis jet erftmals im Königsberger G. B. von 1650. 
gefunden. Schon 1627 wird mit der Überfhrift „In feiner Melodey“ auf 
eigene Weife verwiefen, während andere G.-88. — wie „Chriftl. Gefangbüdilein 
Goburg, 1 . erre Gott, du mein Vatter bift, ich jchre 
im Namen gen Chriſt. Oder: Chrifte, der du bijt Tag vnd lieht x.” — ade 
das Magdeb. GB. 1654: „Im Thon: Rex Christe faetor“ — haben. 


Herr Jeſu Chriſt, wahr Menſch und Gott, Choral. Diejes Sterd 
lied Paulus Eber's („D. Paulus Eberus Filiolis suis faciebat, M. D. LVII 
erſchien zuerſt in 8 fehszeiligen Strophen einzeln gedruckt und auf die Meled 
„Vater unfer im — - „Im thon des Vatter vnſers“ verwieſen. al 
Wadernagel, Bibt ©. 2 „Die Unart, aus den 8 fehszeilige 
Strophen 12 viergeilige zu machen, findet ſich zuerſt im dem Kirchengeſangen de 
Böhniſchen Brüder von 1566, danad in dem Johann Eichhorn ſchen GB. ve 
1569 (Frantfurt a. d. D.), wo es fogar im der Überfchrift heißt: „Im Thon ds 
Voter vnſers, oder jonft auff vierlerley Thon, die mit vier Berſen gejungen werder. 
Danach in den Nürnb. Chriftl. Hausgefengen von 1569. I. Nr XLVII und in 
Joh. Keuchenthals Kirchengeſengen, Wittenb. 1573. Bl. 576, wo die Überjkrit 
wie bei Joh. Eichhorn lautet.“ Vgl. Wadernagel, Kirhen:Lied IV. Nr. 2. — Tit 
heißt es aud fon in dem miederdeutihen „Endiridion Seiftlifer leder und Vin 
men“, Hambord, 1565: „san of gefungen werden im tone: Vader unfe im ber 
mel, Chrifte, de du bift dad vnd dicht” (vgl. Fiſcher, Kirchenlieder der. I. 2 
276), womit die Einteilung in vierzeilige Strophen ebenfalls angedeutet if. 
Für feine ſechszeilige Strophenteilung hat das Lied feine eigene Meled 
erhalten, Dagegen hat man ihm folgende Melodie des 127. Pſalms aus den „Psr 
aumes“ von 155% zugeeignet, Die bei Goudimel 156 

































ich bitt durchs bittere Lei-den dein, du wollt mir Sim:der gnä + dig im 


Herr Iefn Chrift, wahr Aenſch und Gott. 579 


und die Seth Calvifius, Harm. Cant. Eccles. 1597. Nr. 106 unter alleini- 
ger Änderung des Anfangstones (e ftatt E) herübernimmt. — Bon den „vier: 
teriey Thon“ des Eichhorn'ſchen G.-B., die dem Liede in feiner vierzeiligen 
Strophenteilung gegeben werden können, find hier zwei Melodien aufzu 
führen. Die erſte derjelben erſcheint erſtmals im Weiße ſchen G. B. der Böhm. Br. 
1531. Bl. M. III.b. zu „Nu loben wir mit Innigteit“) — und heißt nad ©. 
8. Hafer, Kirchengeſ. 1608. Nr. GL: 














— — 
ja a Be — Fe 


lien ‚Se + Ju Chrift, wahr Menfch und Gott, der du  Littit Mar-ter, Angft und Spott, 
ih bitdurdsbit = ter Cei + den dein, du wol m mir Em der Ei dig fein, 


























m—— = =E 
die mic am Kreuz auch end: lich ftarbit ei irdeins Ba- ters Huld ers warbit: 
wenn ih nun fomm in Stersbens not umd rinsgen werde mit dem Tod. 


»der in veränderter, neuerer Form: 
nn nn, 
— — 


see 

Die zweite diefer Melodien wurde nad v. Winterfeld's Vorgang, Ev. 
2-6. I Mr. 125 irrtümlich Johann Eccard zugeichrieben, bis Döring, Choral- 
mde 1865. ©. 433 und 434, al ihre bis jegt ältefte Quelle ein „PBolnifdies 
ntional des Setluchan. 1559. Bl. BU. (1559 nad Dörings Annahme, nad 
Ir. Weiß, Evang. Gemeindebt. Königeb. 1861. Nr. 23. 24 bald nad 1561 er- 
hienen) fand. Bei Johann Eccard, Geiftlihe Lieder auff den Choral. I. U. 
597. Ne. 12 (vgl. Ausg. von Teſchner. I. S. 22) Heißt diefe Weife: 

* 




































































Herr Je-ſu Chriſt waht'r Menſch und Gott, der du littft Mar: 
Frese — — 
— ea Ber 
ter, Angft und Spott, für mid) am Kreuz auch end-lich ftarbit, und mir deins Ba- 
— 
ters Huld er-warbſt. 


3) Ebendaſ. iſt auch das Lied „Nun laht uns den Leib begraben“ (vgl. den Art.) auf 
fe Melodie verwiefen, und and) einige andre GBB., wie das Niederd. Dagdeb. GB. 1542 
d das Babfrſche GB. 1545 I. Nr. 80 geben fie demfelben bei. 



























































37* 


580 Herr, nicht ſchicke deine Rache. Herr und Älter deiner ıc. 


und bei — Geſius, Geiftl. Lieder. 1607. I. Bi. CLXXX- 


— — 
















hoch ſtes Gut 











das ſarli, das labi, das macht al-liin mein herz von alslen Sin » dem 

Eine Kantate Bach's Über den Choral ift in der Ausg. der Bach Geſ. XXVI 

Nr. 127 veröffentlicht. Sie it auf den Sonntag Eſtomihi gejchrieben, der a 

Eingang der Paffionszeit fteht. „Deshalb läßt Bad) (im Eingangsher), währe! 

Chor und Inftrumente ihre Hauptaufgabe erfüllen, von einzeluen Inftrumenten da 

Choral „Chrifte du Samım Gottes“ im gewiffen Ziwifdenräumen ſiucweiſe hinie 

fügen und fo die Paffionsempfindung im Hörer aufdämmern.“ Val. Spitta, Est 

1. ©. 582. Zum Schlußchoral verwendet er die achte Strophe des Eber ſau 
Liedes „Ad Herr, vergieb all unſer Schuld“ als Tertunterlage. 


Herr, nicht ſchicke deine Rache. Die Weile des 77. Pjalms „Zu Bet 
in dem Himmel droben“ oder bei Ebrard, Palmen. 1852. Mr. 12. ©. 34 „Zr 
den Heren erging mein Flehen“ — und des 86. Pfalms „Herr, dein Ohren ze 
mir neige” — vgl. den Art. „Folget mir, ruft uns das Leben” und den Art 
„Herr, id Habe mißgejandelt”. 

Herr und Ätt’fter deiner Sreuzgemeine, Choral, der in Chriftian En 
gor's Ch.-B. der Brüdergemeinde 1784. ©. 149. Cingart 1858 zu dem oe 
genannten Gemeinliede Zinzendorfs erſtmals gedrudt erſcheint, handſchriflich cr 
ſchon ſeit 1735 vorhanden und in der Brudertirche im Gebrauch war. Späte 
verwendete man die Melodie auf des jüngeren Chrift. Renatus Zinzendorf 17) 
gedichtetes Paſſionslied: „Marter Gottes, wer kann dein vergeffen“, und im em 
geliſchen Kirchengeſang wird fie jegt meiſt mit der für fi benügten legten Stropk 
dieſes Piedes „Die wir uns allhie beiſammen finden“ gefungen. Sie Heikt:!) 

































2 
(ie mir uns all + bie bei-fan-men fü 
Uns auf dei one Marster zu ver - bin 


Brest 


und zum Zeichen, daf dies Lob ge WB «me Deisnem der - zen angenehm == 


den, fhla-gen mn · ſte Sin-de ca, 
ven, dir auf wig frem zu kr 


























9) Die erfe Zeile lauiet fm Prigina (&6-d. der Ur.Cm. 1020, S. 22): 











das übrige if der jegigen Singweiſe gleich. 


Herr, wie du wilt, fo ſchicks mit mir. 58 


bl 

Mine, {no Memen md zu gleic: grie Fe Mrierde fei mit cu 
Da die Lieder der 185. Singart des Brüder-Ch. B. alle Zinzendorf, feiner Gattin, 
feinem Sohne Chriftion Renatus oder andern Gliedern diefer engeren Bereinigung 
angehören, fo glaubt v. Winterfeld, Zur Geſch. heil. Tontunft I. S. 279 mit 
Sicherheit fliegen zu dürfen, daß auch die beiden Melodieformen (deren cine obige 
Melodie if), die diefe Singart begreift, dieſem Kreije entftammen. Val. aud Ext, 
&.-8. 1863. Nr. 61. Jatob u. Richter, Ch. B. I. ©. 298. Nr. 349. — Da 
gegen wäre die Melodie nad Ko, Geld. des KL. VL S. 487 die Ansbildung 
iner durch einen Yandwerfsburihen aus Danzig in Herrnhut beliebt gewordenen 
veltlichen Vollsweiſe; letzterer Anfiht folgen Koch Laurmann, a. a. ©. VII. &. 59. 
Füücer, Kirchenlicder Lex. II. S. 48. daißt, Württ. Ch. B. 1876. ©. 165 md 
225. — Eine zweite Melodie ans Karow, 460 Choralmelodien sc. 1848. Nr. 
82, haben Yatob und Richter, Ch. B. I. Nr. 350. 

















Herr, wie du wilt, fo ſchictss mit mir, Choral. Das Lied wird zwar 
'gt, namentlich in Norddeutichland, meift nach der zweiten (Straßburger) Melodie 
om „Aus tiefer Not ſchrei ich zw dir“ (vgl. dem Art.) gefungen; «8 hat jedoch 
uch eigene Melodien: zunächſt die folgende äftere von Bartholomäus Helder, vor 
635 (vgl. Zahn, Euterpe 1877. ©. 177), die im Cant. sacr. Goth. II. 
655 erſcheint und mod bei Witt, modia saera. Gotha, 1715. Nr. 696. 
5. 371--372, König, Harm. Liederſchaz 1738. ©. 341 umd Dregel, Ch. B. 
731. ©. 595 erhalten ift. Layriz, Kern II. S. VI hat diefelbe aus dem Jahr 
857 und giebt fie unter Nr. 214 in folgender Form: 




















öerr, wie du wilt, fo (hide mit mie im 2e-ben und im Sterben; 


Val-tin zu die" flcht mein Be«gier: laf mid, Herr,nicht ver -der- bei. 
= — 
* — — ——— 


—— 


mich nur in deiner Huld, fonf mie vuwin, ib mir Geduid; denn dein Wil iR der be ſie 























ne zweite in Wurttemberg gebräudlich gewordene Melodie ſtammt aus des Kau- 
>8 zu Göppingen Daniel Speer „Choral-Gefang’ Buch.“ Stuttg. 1692 und Heißt 

Württ. CB. 1844. Nr. 116 (in eimas andrer Faffung bei Stözel, Ch. B. 
44. Nr. 167, auch bei König, a. a. O. ©. 342): 


Bere: 


(Öerr, wie du wilt, fo (id mit mir, im LerSen md im Sterben; gr.gaftmic, 
AU fein zu Dir feht mein Be-gier, laß mid, Herr, nihtverder-ben! 


























582 A. Hertel. Herzlich lieb hab id) did), o Herr. 


— — 
nur in dei⸗ ner Huld, ſonſt wie du willt, gib mis Geduld; dein Will, der iſt der be ft. 


Noch eine weitere württemmbergifche Weile, die jedoch nicht in den Kirchengebraud ze 
tommen if, bei Stözel a. a. D. Nr. 167b heit: 






































Auch Pr König, a. a. O. ©. Be fteht * eine 2 Melodie. 

Eine Choralfantate „Herr, wie du willt, fo ſchicks mit mir”, zum. dritter 
Sonntag nad; Epiphanias von Seh. Bath, deren erften Sag ein eigentümlich g 
formter Ghoraldjer bildet, ift veröffentlicht in der Ausg. der Bach Geſ. NVIIL Kr 
73. — Kl. A. Leipz. Peters. Sie verwendet als Schlußoral „Helft mir Gate 
Güte preifen“ mit der 9. Strophe des Viedes „Won Gott will ih nicht Lafer“ 
(„Das ift des Vaters Wille”). 


Hertel, Matthäus, ein namhafter Organift zu Züllihau in der erften H 
des 17 Dahrhunderts. Ex ſchrieb unter dem Titel „Examen Organi pneums 
tiei“ eine fogenannte Orgelprobe.) — Sein Sohn, Chriſtian Hertel, war di 
feiner Zeit ebenfalls berühmter Orgelipieler; er blühte um 1670 und mar jur‘ 
Drganift zu Sorau, dann zu Luckau und endlich zu Fürftenwalde, wo er ftart. 


Herzlich lieb Hab ich Dich, o Herr, Choral. Der Urfprung diefe 
lodie, die Winterfeld (Ev. K-G. I. S. 419) mit Recht „zu den trefflihiten P 
lodien des evangeliſchen Kirhengefangs” zählt, da fie „das Gepräge des Imnig 
Heiteren und doch Feierligen, einer rechten Glaubens: und Liehesfreudigteit 
— if bis jegt mit emdgättig fefgeftelt. Das fhöne Sieb Martin Schalint 
(geb. 21. April 1532 zu Straßburg, 1558—1568 Diafonus zu Amberg, der 
Prediger zu Nürnberg, wo er am 29. Dez. 1608 ftarb) wurde nad Koch, Grit 
des RL. II. ©. 287 „ums Jahr 1567 gedichtet“ und bis jept in einem Kir 
berger Dreiliederdrud, den Wadernagel, Bibliogr. 1855. S. 367 auf das Jir 
1570 fe, afmelE gedrudt aufgefunden; der ältefte datierte Drud, aus dem mar 


9) Ras; Prinz, Site. Beihreikg, der een Sing: und Mlingfunft, Deesden, 1630 @ 
XI. 8 33. &, 149 Halte „ein anderer Diefes Werten mit Verſchweigung des wahren Aut“ 
unter feinem eigenen Namen in Drud gegeben.“ Der Verdacht fiel auf Werkmeifter: Mt 
zettete Prinz deffen Ehre in feinem „Phrgis Mitilinaeus oder Satyrifhen Rompaniin” 
Dresden, 1096. 4%. Borr.; auch Werfmeifter felR derwohrte ſich gegen dieſe Zuumnturs ® 
der Vorrede zu feiner Mufitaliigen Temperatur. 1891. 





















Herzlich lieb hab ich did, 0 Herr. 583 


diſelbe bis zur Stunde fennt, iſt des Kantors und Organiften zu Amberg, Mat- 
thing Gaftrig (gl. den Art.) Mufihvert: Kurhe vnd Tonderfiche Newe Zymboln x 
Nürnberg, IHTL" (Zufcrift vom 14. Febr. 1571 — vgl. Winterfeld a. a. O. 1. 
HM Re. X, wo es mit einen fünfſtimmigen Tonfag des Gaftrig (dem Winter: 
ie. I. Notenbeifp. 109 abgedruct hat) erſcheint. Die im Tenor liegende Melodie 
diejes Tonſabes wurde lange als identifc mit der lirchlich gewordenen Weife ange 
ſehen und daher diefe dem Matthins Gaftrig als Erfinder zugeſchrieben, da cs ganz 
nathrlih erſchien, daß der an derfelben Kirche mit dem Dichter des Yiedes wirtende 
Kantor, dieſes mit feiner Melodie verfehen haben werde. Allein fo wie fie uns 
vorliegen, Haben weder die Melodie noch der Tonfag des Gaftrig mit der kirchlichen 
Reife etwas zu ſchaffen. Dagegen hat Dr. Imm. Faißt neuerdings nachzuweiſen 
verſucht, daß diefer Tonjag doch auch der Kirchenmelodie feine Entftehung verdante, 
indem der Tenor desjelben in einem älteren Tonjag dieſer Melodie als Kontri 
punft verbunden gewefen, und alſo dieſe fpäteftens ins Jahr 1570 zu fegen fei. 
Derfelbe Forſcher hätt auch die Möglichteit nicht für ausgeihtoffen, daß die Kirchen— 
melodie ſchon vor dem Schalling'ſchen Yiede zu einem andern Terte vorhanden war, 
amd ift nicht abgeneigt, eine weltliche Volksweife in ihr zu vermuten, da ihr 
Ton, ihr Charakter und ihre ganze Haltung der Vermutung einer Entlehmung aus 
veitfichem Geſange wicht entgegen find, derjelben fogar eine gewifle Stüte zu gehen 
einen.‘ Eine endgiftige Entiheidung wird freilich erſt dann möglich fein, wenn 
mer voransgefegte ältere Tonfag, auf den mannigfache Spuren deuten, wieder bei- 
yebradht fein wird. Bis dahin iſt als ältefte Quelle unſrer Kirchen melodie 
inzufehen: das Drgeltabulatur- Bud des Bernhard Schmid gl. den Art.), Organi: 
ten zu Straßburg, das dieſer 1577 (Zueignung: „Datum Straßburg. Den 12. 
Deartii, Anno T7") zu Straßburg heransgab.*) Hier erſcheint fie unter Nr. NL 
1e8 „andern Buchs“ als Disfantmelodie eines Orgelftüs umd zwar in der Weife 
ver damaligen Organiſten „colorirt” oder diminuiert und mit dem ihr zugehörigen 
omiag verbunden. Als Vofatftüc bringt diefen trefflihen Toniag dann zuerft Seth 
ralbiſius im feinen Kirdengefüngen. deipzig, 1597. Nr. CI 4. Ausg. 1612. Ar. 
IV) und nad) ihm eine Reihe von Kircentonſebern wie Gefius, Bulpius, Haßler— 
Mich. Prätorins, Demantius, Deep) die ihn „nicht durch eine eigene Harmonifie- 





























9) Die ganze, eingehende Unteriuhung und Darfegung Dr. Imm. Kaiße's vgl. man im 
em Dionacsh. für Mufilgefg. 1874. ©. 2—in 

2) Hier fand fie, wie e8 fheint, zuerft Scminarinfpeltor Joh. Zahn in Altdorf; vgl. ger 
zu Noch, Geſch des 8%. 2. Aufl. IV. S. 390 f. die Bemertung Faift's a. a. D. 
im der beigegebenen Mufilbeilage findet man das game Tonftüd Schmid’s aus feiner Tadır- 
tur von Faipt im Moten Übertragen. Bat. ad Ritter, Zur Geſch des Orgelipiels. 1884. 
L Rx. 08. 
9) Hafler ſchreibt dem Tonfat die Chifier „DB. DM.” bei (opt. Tuer, Sat I. Mr. 440, 
420), was nad) Bode's Meinung „auf Valıhafar Musculus deuten fönnte, der noch Ger- 
rs Tontünftlerleriton im gleichen Jahr mit Seh Catvifins (1597) zu Nürnberg 40 vier- 














584 Herzlich lieb hab ich dich, o Herr. 


zung der Melodie erfegen wollten, weil fie nit glaubten Befjeres liefern zu lönnen 
Schon 4 bis 9 Jahre vor Calviſius waren jedod zwei verihiedene Beftandteile die 
ſes traditionell gewordenen Tonfages unferm Piede als Melodien beigegeben werden: 
der Tenor in „Geiſtliches Kleinod“. Leipzig, bei Zacharias Beerwaldt, 1588. 2. 
523—524,') und die Disfantmelodie im Dresdner G. B. (bei Gimel Bergen) 1593 
Nr. 164; doch dauerte es noch bis in die zwanziger Jahre des 17. Yahrhunderte 
hinein, bis ſich legtere als Kirchenmelodie endgiltig feftgelegt Hatte: das Greifs 
walder G.B. 1592 verweift das Lied noch auf „Es find doch ſelig alle die“ (vgl 
Winterfeld, Ev. 8.6. I. S. 418), David Wolders Katehiemus-G.B. Hant 
1598, das Eislebener G. B. 1598 und das Dresdner G. B. 1622 geben dem 
felben Die Kirdienmelodie, während Spangenberg, Geiftl. Lieder und Palmen. Erfurt, 
1621 noch den Tenor ald Melodie abdrudt. Bei Seth Calviſius Heißt die Melodie 


— 
en lieb hab ih did, © Herr, id bitt, wollt fein von mir nicht fern 
Die ganze Welt er-freut mid nicht, nad; Erd und Him-mel frag ich mic, 

























































it dei = if id Gna «den. * * 
gi Be “u — edu und wenn mir ge} mein derz zet bat 
— — —— — 











mn 


fe biſt do du mein Zu - ver» Ai, wein Zeil und mei- nes Herzens Tech, 



































in Scan-den laß mid mim + mer + mehr, 

und es ift zu diefer Aufzeichnung derjelben nur noch zu bemerken, daß ſchon de 
Dresdner G.B. 1593 das gis der erften und zweiten Zeile in g und chenio det 
Rimmige geiſtliche Lieder Geramsgegeben hat.“ Wal. Monatsh. für Mufitgefd. 1873. S 
Dagegen bemertt Feift, ebendal. 1874. 5. 32: „die Deutung diefer Tucflaben anf Baltic 
Musculus wit feinen im Jahr 1597 edierten geiffichen Liedern (Walther, Mufit. Ser. 11% 
S. 429) will aber für einen 1577 ſchon betannten Sat nicht recht paffen, und doch fennte a 
feinen andern Zonfeger mit jenen Anfanpebudftaben ausfindig machen (wiewotl dieſe Fat 
Naben allerdings auch Seide Vornamen bedeuten lünnten”). Mic. Prätorius 1010 und %t | 
Jeep 1629 bezeidinen den Tonfa mit „Incerti“ ala von einem ihnen unbetannten Toni 
Gerrüßtend. vol au Tucher Stay II. ©. 120. 

) Es ift dies Bud eine Sammlung von Gebeten mit einem Anhang von Liedern; S 
minarlehrer Bode in Gimeburg hat dasfelbe aufgefunden. Bol. Monatst. für Mufitgeis- 15 
©. 123-130, 


























Herzlich thut mich verlangen. 585 


fis der fiebenten Zeife in f verwandelt. Seb. Bach hat unſre Melodie in mehreren 
feiner Kirhenmerte aufs trefflihfie verwendet, ſo als Schluhhoral der Johannis: 
paffiom (vgl. den Art.) mit der dritten Strophe des Liedes „Ah Herr, (nf dein 
eb Engelein“; dann mit demfelben Tert nochmals ale Schluß der Michaelis 
Kantate „Man finget mit Freuden vom Sieg“ — und mit der erſten Strophe 
des Liedes als Schlußhoral der Kantate zum 2. Pfingftfeiertag . Ich liebe 
den Höchften von ganzem Gemüte”. 


Herzlich thut mich verlangen — Ad Herr, mid arınen Sünder, 
Choral von Hans Leo Haßier. Die „wunderbar ergreifende, Herrliche Melodie", eine 
der loſtbarſten Perlen im reihen Schage evangeliſcher Kirhenmufit, ift von Haßler 
zu dem weltlihen Fiede „Mein G'wüt ift mir verwirret, das macht ein Jungfrau 
zart” erfunden worden und fteht mit einem fünfftimmigen Tonfag verfehen in ſei- 
nem „Luftgarten Neuer Teutjcher Geſäng x." Nürnberg, 1601. 4%. Nr. 24. ©. 
21. Das Berdienft, diefe Melodie unter Amvendung auf das trefflihe Sterbelied 
des Chriſtoph Knoll (1599 gedichtet und im Görliger GB. 1611. ©. 1072 
enthalten, vgl. Wadernngel KL. I. S. 814) dem evangeliſchen Kirchengeſang zuge- 
führt zu Haben, gebührt einem Schulgeſangbuch des Gymnaſiums zu Görlig, das 
1613 unter dem Titel: „Harmoniae sacrae, Vario Carminum Latinorum et 
Germanicorum genere, quibus Operae Scholasticae in Gymnasio Gorli- 
censi inchoantur, clauduntur, varine, preces, funerationes solennes, sacra 
Gregoriana celebrantur. Tertium editae ct accessione commemorabili 
auctae. Gorlici Typis et sumpt. Joan. Rambae. MDCXIM. 12%.“ erihien 
und die Haßlerſche Melodie mit ihrem Originaltonſatz S. 455 giebt. Sie heißt 
im Original und in drei weiteren Zeichnungen: 





Haßfer, 1001 [Z el 
ası3a), Ar 





Mein G'n ver · wir «ref, das 
Bir gamy und gar ver «mir + vet, mein 


adıt ein Zung-frauzart, 
3 das tränftfich hart. 























Stein, Kan- | 2 
tional. E ie — 
ia — 
¶HDerz. ti thut mich fangen nad ei nem jel » gen End, 
1 Weit id die bin umefan«gen mit Trübfal umd lend. 
Srüger, —— + 
diet.m. er — 









Ad Herr, mich ar « men Sünder fteaf niht in deine 
Dein ern-fien @rinumdodı lin-der, fonft ie mit mic ve 








eb. Bad, = —— 2 0 Ze Zu 2 2 
Stan Batcn.(= re E SH 
Mr. 08. 5 





D Haupt voll Blut und Wunden voll Schmerz und vot-ter Hohn ! 
D Haupt, zu Spott ge«bun - den mit ei ner Dornen fron. 


586 Herzlidy thut mid) verlangen. 















Hab Tag und Nast Lein Ruh, 





= 





Ih hab Luſt ab + zu -ſchei den von Die + fer ar gen lt, 
— — mn 
— 
AA Herr! wollſt mir ver ge ben mein und quä dig 
— * — 
— 
O Haupt, ſonſt ſchön ge— zierret, mit höch + fer Ehrr und A 


F 


er fer ver» ag. 


— ı 


für lomm nur bald! 











F — 













kn, | 

















= — tſ 
— — 








Abu ſtets ſeuf- zen und wei uen, 








* 
E —— 
—— 








ſchn mich mad en « gen fremden: 


> 




















— = an x 
2 Ban —— — 
ES= — — — — 0 
Bob ma ig de ben, ent ſüehn der GO « I = Bei, 
ers. 
we rd £ — 























jet a ber had ſchim— pfie— vet: ge - gell > Bet ſein dur mir. 

Bezüglich der harmoniſchen Behandlung diefer Weife: entweder joniit, 
dem Haflerfcen Tonjag folgend, oder phrygiſch, wie dies feit Johann Stohäns 
1634 mehrfad) üblich it, bemertt v. Tuer, Schay I. S. 398: „Inrig ift ee, 
wenn man, wie es oft der Fall ift, glaubt, die Mel, mit dem Schlußaccord der 
Unterterz, nämlich mit dem C-dur-Accord bearbeitet und der joniſchen ftatt der phru 
giſchen Kadenz in E, höre auf phrygiſch zu fein, oder der ganze Sat werde de 
durch joniſch, oder 68 fei Das die weniger richtige Vehandlung. Es find dies Vor 
ftellungen, die ſich noch aus der früheren Theorie von den „grichiiden Tonarteı“ 

:) Range ſchrich man die Melodie dem Demantins zu, weil im Gothaer Cant. iet- 
5, wo fie mit dem Text „Ach Herr, mid armen Sünder“ vorfommt, über ihr fie: 
„Auct. Mel, Christ. Demant.“ Allein in feinen „Threnndine“ 1620 findet fie ſih mitt 
Meder zu dem vorgenannten Liede, das er gar nicht hat, noch zu , Herzlich tut mic verlangen“. 
dem ex unter Nr. 25 eine gang andere Weife beigiebt, deren erfle Zeile heikt: 


———— 

















Herzliebfler Jeſu, was hat du verbroden. 587 


herichreiben, und wie ſo mandes andıe derfelben irrig find. Es finden ſich in den 
Berten der größten Meifter wie z. B. Paleftrina, Laflo, Morales u. a. phrygiſche 
Melodien auf die nämliche Weife behandelt, ohne daß die Gefänge dadurch joniſch 
(quinti toni) oder hypojoniſch (sexti toni) geworden wären.“ Unſre Melodie ift 
daher in der originalen Haßler'ſchen Zeichnung als transponiert phrygiſch (was 
dem Ionifhen in F entfpridt), in der bei Schein als phrygiſch anzufehen. In 
tieffinniger Weiſe verſchieden harmoniſch behandelt hat unfre Melodie Sch. Bad an 
fünf Stellen der Matthäuspaffion Nr. 21. 23. 53. 63 und 72 und in mehreren 
andern feiner Kirchenſtücke verwendet. 

Herzliebſter Jeſu, was Haft du verbrochen, Choral. Das Paffionstied 
Johann Hermanns erfhien in deſſen „Devoti Musieı Cordlis. Hauß- und Her 
Mufite.“ Breblau, 1630. S. 63, und it dort auf die Melodie „Gelichten Freund’, , 
was thut ihr fo verzagen“ (vom Bart. Ringwald, 1577) verwiefen. Dieſes ſelbſt 
aber ift bei feinen erften Erſcheinen überſchrieben: „Im then, Integer vitae see- 
lerisque purus ete.“ (vgl. Wadernagel, Kt. IV. Nr. 1346. Migell, Geiſtl. 
Lieder des 16 Jahrh. II. Nr. 373) und erhielt erft bei Demantius, Threnodiae 
1620, S. 23 eine eigene Weife, deren Anfanggzeile Iantet: 


5 


Eine weitere Melodie zu dieſem Ringwald’ichen Liede erſchien dann bei Schein, Kan: 
tional. 1627 Nr. 261. Bl. 473 (vgl. v. Tucher, Schap II. Nr. 112. ©. 50); 
fie heißt: 


















Ge: lieb -ten Freund,twasthut ihr fo wer szagen mit. vie-iem Seuf gen, Sen len 





Err=] 


en ge le get werden? 


















und Web-Ma-gen, darum daß die fer Leib foll in die Ci 
Auf welche diefer beiden Weifen num Johann Heermann fein Lied verwiefen, ift nicht 
mehr zu entfheiden; Dagegen hat Johann Crüger anf der Grundlage der Schein- 
ſchen Melodie fir das Heerniannſche Lied eine neue Weife bearbeitet und erſt di 
ift mit demfelben in den allgemeinen Kirengebrand übergegangen. Cie eridhien 
erftmals in Crügers „Newes volltömlices Geſangbuch Augſpurgiſcher Confeifion x.” 
Berlin, 1640. ft. 5%. S. 86. Nr. 39 mit der Überſchrift: „auff folgende Melodia 
und Heißt im Originat (vgl. Sangbeder, Grügers Choralmelodien. J. 




















588 Iohann Georg Herzog. 








Auts«ge ſprochen ? was ift die Schuld, in was für Mif-fetha-ten Bin du ge: ra - ten? 

Ob nun diefe Weife wirklich als Grügerices Driginal, oder nur als Umarbeitung 
der Scheinſchen Melodie anzufehen jei, darüber gehen die Meinungen auseinander: 
Ert, &.-2. 1863. ©. 99. 100 u. S. 252 läßt es unentfchieden; Faißt, Mürtt. | 
&.8. 1876. ©. 26 u. ©. 220 ſagt von der Schein’fhen, fie jei „die Grund | 
lage der Grüger’fhen Melodie“, ebenfo Fiſcher, Kirchenlieder Ler. J. S. 293 neh 
beſtimmter: „Yohann Crüger hat diefelbe umgenrbeitet und in die jegt übliche Form 
aebracht, fih Daher auch als Komponiſten bezeichnet.” Dagegen ſchreiben fie Layri, 
Kern J. S. 81, Jatob u. Richter, Eh. B. I. S. 72 („Iomponiert von Joh. Crü: | 
ger“) unbedingt Grüger zu, umd Bode, Monatsh. für ufitgeid. 1873. S. 65 
bemerft ausdrücklich: „Unfre von Johann Crüger neugejegte Weife hat beide (die von 
Demantins und Schein) weit überholt.” — Im welch herrlicher Weife Seh. Bat 
diefen Choral in der Matthäuspaffion Nr. 3. 25 und 55, fowie im 1. und 2. 
Teil der Iohannispaffion verwendet Hat, ift befannt. 


Herzog, Johann Georg, ein trefflicher Orgeffpieler und Komponift für fein 
Inſtrumem, ift am 6. September 1822 zu Schmötz bei Kronach im Kreiſe Ober 
franfen in Bayern geboren. Er erhielt den erften Unterricht in der Mufit und im 
Drgelipiel von S. H. Bodenſchatz (vgl. den Art.), dem Kantor und Organiften 
feines Geburteorte®, und bildete ſich dann 1840—1842 im Seminar zu Altorf 
unter des dortigen Muſiklehrers Herrling Leitung mit ſolch raſchem Erfolg weiter, 
daß er ſchon 1842 als Organift am der evangeliicen Hof- und Stadtfirhe zu Mün 
Gen angeftellt und ihm 1849 aud das Kantorat an derjelben Kirche übertragen 
werden konnte. 1844 beteiligte fh H. bei der Herausgabe des befannten Choral 
buches von Ortloph, und von 1850 am wirkte er ald Lehrer des Orgelipiels am 
Konfervatorium zu Münden, bis er im Herbit 1954 als Univerfitätsmufildirefter 
und Organift nad Erlangen berufen wurde. Pier ift er feitdem mit Erfolg thätig. 
erhielt 1865 von der Univerfität den Doftortitel und feierte am 4. September 1879 
fein Zöjähriges Jubiläum als Univerfitätömufikdireftor unter allfeitiger, ehrender Teil 

"nahme. — 9. hat bis jept 56 Mufifrverfe veröffentlicht: diefelben beſtehen in c 
30 Heften Orgelftitce verſchiedener Art, in c. 10 Heften Motetten und firhlider 
Ghorgefängen, und in einer Anzahl wertvoller Sammlungen von Orgelftüden urd 
girchenchören. Bon feinen Sammlungen feien hier verzeichnet: 

1. Prattiſches Hilfebuch für Organiften. Op. 10. 8 Hefte. 4. Mai 

Schott. — 2. Präludienbuch zu dem neuen Choralbuch für die proteftantiic 

Kirche in Bayern. 3 Te. Op. 30. Erfurt, Körner. — 3. Das Krhlis | 

Drgelipiel. Eine Sammlung verſchiedener, meift leiht ausführbarer Orgelftüd: | 

älterer und neuerer Meifter. Mit befonderer Rüdfictnahme auf die mufit: 

liſchen Berhältniſſe der evang.-futh. Kirche Bayerns. Op. 35. Erfurt, 1862 








Herz umd Herz vereint zufammen. I. Heß. 589 


40. 1. &. 119 ©. II. Ti. 89 ©. II. Ct. IX u. 69 S. — 4. Die ge 
brãuchlichſten Choräfe der evang. Kirche mit mehrfachen Bor- und Zmwilen- 
Vielen für die Orgel. Erlangen, 1869-1882. Deidert. 7 Hefte. IV und 
569 ©. gr. qu. 4°. — 5. Der praltifche Organift. Neue volftändige Samım- 
lung von DOrgeljtüden aller Art. 4 Bde. Mainz, Schott. 4°. — 6. Album 
für Organiften. Sammlung mei unbefanuter Tonfüge älterer und neuerer 
Komponiften. 6 Hefte. IV u. 81 ©. gr. 4%. — 7. Orgelſchule. Cine theo 
retiſch prattiſche Anleitung zur 5 Erlernung des fixhlicen Dress 
Erlangen 1867. Deihert. 2. Aufl. 1871. XV u. 184 ©. 4%. 3. Aufl. 
1876. XV. u. 208 ©. qu. 4°. — 8. Chorgefänge zum Gebraud bei den 
feftligjen Gottesdienften der ewang.-luth. Kirhe. Erlangen, 1867. Bläfing. -— 
9. Geiftliche Chorgefänge für ©. A. T. B. 2 Hefte. Erfurt, Körner. — 
10. Zehn geiftl. Chorgelänge für &. A. T. u. ®. mit oder ohne Orgel oder 
Bi. Erlangen, Deigert. — 11. Mufifalifher Anhang zur Bayriigen Agende. 
1883. — 12. Pratiihes Handbud) für Organiften. Erlangen, Ente. qu. 4. 






Herz und Herz vereint zufammen. Choral, der ans dem Ch.B. der 
Vrüdergemeinde 1784, Art I67b, wo er als folder erftmals gedrudt erſcheint, 
übrigens ſchon vorher im Gebraud war, — im den evangelifchen Kirchengeſang ge- 
tommen ift. Er Heißt im Württ. Ch.B. 1844. Nr. 168, ganz gleihlautend mit 
Ch. B. der Br.-Gem. 1820. ©. 202: 



































(em. umd Herz ver» eint zur- famsmen ſucht im Gottes Der-zen Hub; 
Ra - jet em + ve ie» beseflammen To dern auf den dei- iand zu! 





ERS 
—— — 


























Er das Haupt, wir ſei— ne Glie- der: er das Licht und wir der Sein, 


— — — — — 
DE Henn 

er der Meirfter, wir die Brüste, er iſt ums fer, wir find fein. 
Die Melodie fol nad Koh, Geh. des Kt. V. ©. 612-613 (wo übrigens 
inerlei näherer Nachweis beigebracht if) „eine altfranzöſiſche weltliche Melodie vom 
Jahr 1558 fein, die in einer engfifchen Choralfanmfung geiftlic verwendet worden 
var.“ Im Wirklichkeit wurde diefelbe unter dem Titel „The harmonious Black- 
smith“ erft durd ein Mavierwert von Händel — die 1720 erfhienene „Suite 
le Piöces for the Harpsichord“ — befannt, wo fie (vgl. Ausgabe der deut: 
hen Händel-Gef. Jahrg. 1. 1858. Lieſ. 2. Nr. 5 und im Vorw. daj.) als Thema 
1 Variationen verwendet if. Faißt, Wirtt. Ch.-B. 1876. ©. 225 meint des 
yalb, fie fei mögfigerweife von Händel felbft erfunden. 


Hebs, Doachim, ein bedeutender niederländiſcher Organift und fleifiger Orgel- 
riftfteller. Er war 1730 zu Lecuworden geboren und fhon von 1749 an Or- 





















































590 Heß. Adolf Friedrich Hefe. 


ganift am der lutheriſchen Kirche zu Gouda; 1753 finden wir ifn als Organift je 
Manfluis und von 1755 am am der großen Orgel der Johannistirche zu Coude 
Dieſe Stelle hatte er bis 1809 inne, und zog ſich dann, da er der Brüdergemeinde 
angehörte, auf die Kolonie Zeift zurück, wo er die legten Jahre jeines Lebens ver- 
Drate und 1811 fiarb. — Seine gründlid und mit viel Sachtenntnis gefhriebenen 
Schriften über die Orgel find: 

1. Handleiding tot het leeren van het Clavicimbel of Orgel-Speel 

Gouda, 1769. 4°. erſchien in vier Auflagen. — 2. Luister van het Orgel 

Daf. 1772, 2. 78 &. — eine Befhreibung der Orgelftimmen u. Anleitung je 

deren richtigem Gebrauch. — Dazu gab er als Anhang „Korte schets van 

den oorsprung en voortgang der orgelen, 1810. 4°. heraus. — 3. 

Beschryving van’t orgel in de St. Janskerk te Gouda. Daf. 1774. 4 

4. positien der merkwaardigste Kerkorgelen, welke in ons 

Nederland, als mede in Dui schland en elders aangetrofen werden. 

Gouda, 1774. 4°. 200 S. — 5. Vereischtens in eenen organist. Goude, 

17719. 40. 

Sein älterer Bruder, Hans Heinrich Heß, lebte als namhafter Orgeldaur 
zu Gouda. Bon jeinen größeren Werfen in niederländifhen Kirchen fennt mar 
noch acht,) die er zwiſchen 17602 1791 erbaut hat; außerdem verfertigte er eine 
große Anzahl Hausorgeln (huisorgels — Portative). Er ftarb 1795 zu Con. 






Heh, ein Drgelbauer, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ja 
Ochſenhaufen in Oberſchwaben, vielleiht als Nachfolger Gabler's (vgl. den Ar 
baute, nachdem er vorher fange in Dresden (bei Cilbermann?) gearbeitet hatte. & 
ftellte 1777 ein gutes Wert von 36 St. zu Biberach auf und iſt vielleiht aut 
der „Gchülfe Gablers“, der nad) Fred, Württ. Ch.-B. 1828. ©. VI, die geoit 
Orgel in Zwiefalten (jegt in der Stiftsfiche zu Stuttgart) erbaut hat. 


Heſſe, Adolf Friedrich, bedeutender Orgelipieler und fruchtbarer Orgeltomponit, 
war am 30. Auguft 1802 zu Breslau geboren. Sein Vater, der Tönigl. peuf 
Armeetifhler Friedrich Heſſe, der ſich aus Piebhaberei aud; mit dem Drgelbau de 
ſchaftigte, war eim wohlhabender Mann, und daher wohl in der Lage, dem Sohn 
von früher Jugend an gründlichen Muſikunterricht geben zu faflen. Der als tüs 
tiger Kontrapumttift befannte Friedr. Wilh. Berner und der trefflihe Organift Erri 
Röhler wurden jeine Vehrer, unter deren Leitung er fo raſche Fortſchrinte mad. 
daß er ſich ſchon 1818 auf einer Neife durch Sachſen und Anhalt als Orgel: 
Klavierſpieler öffentlih hören laſſen konnte. Als am 9. Mai 1827 Berner fi 
wurde Köhler erfter, Heffe aber zweiter Organift an St. Elifabeth; und nun tr: 
er and als Komponift (Onverture D-moll 1827, Sinfonie Es-dur 1828) in dr 
Weiſe öffentlich hervor, die geeignet war, die Aufmerffamteit weiterer mufitalis| 





‘) Diele find bei Ed. Gregoir, Histoire de lOrgue. Brüffel, 1805. ©. 118 vergeiter 


3 Adolf Friedrich Hefe. 591 


Kreife auf ihm zu fenfen. Behufs höherer Ausbildung unternahm H. 1828--1829 
eine erfte Kunftreife, auf der er im veridiedenen Stödten Nongerte gab, in Darm- 
ftadt mit Rind umd deſſen Weife auf der Orgel ſich befannt machte und namentlich 
in Kafjel unter Spohr’s Einfluß trat. Der Weiſe dieſes Meifters gab er ſich in 
der Folge freitich jo fehr him, daß er zu einem ihm eigenen Stil nicht durchzu⸗ 
dringen vermochte. 1831 wurde 9. Ober-Organift an St. Bernhardin, wo jochen 
die fhöne Orgel vollendet worden war, in die er auf eigene Koften eine Poſaune 
32° hatte einftellen laſſen. Im diefer Stellung wirkte er dann fein ganzes Le— 
dem hindurch als Organiſt und Lehrer des Drgelipiels, ſowie als fruchtharer Kom 
ponift und als Muſilreferent der Breslauer Zeitung in fo verdienftvoller Weife, daß 
er ſich einen Namen weit über Deutſchlande Grenzen hinaus machte. 1844 berief 
mom ihm zur Eimveihung der großen Orgel von Saint-Euftache nad Paris; und 
auch fpäter ließ er fid bei mehreren Pondoner Ausjtellungen als Drgeljpieler hören. 
Er ftard am 5. Auguſt 1863 zu Breslau. — 9. galt zu feiner Zeit, in der ſich 
Die Orgeltunſt aus dem tiefen Verfall zu Ende des vorigen und dem Anfang unfres 
Sahrhunderts allmählich und zunächſt mad; Seite der Tehnit hin wieder zu erheben 
begann, mit Recht als einer der eriten Orgelfpieler Deutſchlande, und nahm auch 
mehrmals Beranlaffung, der deutfchen Orgelfunft im Austande Hohe Anerfennung zu 
erwerben ;*) allein fein Streben nad) dem Glanze und der Pracht äußerlichen Eietts, 
Die gervortretende Richtung nad bioßer Birtuofität, fie ihn öfters die ftrengen For- 
derungen des echten, wirklichen Orgelſtils mehr als gebührend überfehen. Auch als 
Komponiſt für.fein Inftrument war er ein tütiger Meifter, „in tehnifher Form- 
gewandtheit vielen feiner Genoſſen voranftehend; äirchlicher und Heiliger Ton war in 
sirrigen feiner gehingenften Säge antlingend, fonft oft durch weltliche Birtuofität ver: 
unfelt. Cr war nicht eimfeitig genng, um als Drgeltomponift volllommen Befrie- 
igendes zu ſchaffen. Sein Sinn war von dem berauſchenden Nettar der modernen 
jochromantifdjen Schule mehr, als einem guten Organiften fruchtet, eingenommen. 
Seine Finger glitten auf dem Pinnoforte in Chopin'ſchen Stüden je leicht und flie- 
send hin, daß man im ihm faum-einen Orgelſpieler geſucht Yätte.”) Klangeffette 
iterefjierten ihm mehr als der kontrapunttiſche Say, in dem er dod) ſelbſt Meifter 








) Im varis vermochte er bei dieſer Gelegenheit ſreitich nicht den Anklang zu finden, den 
zan ermartet hatte. Zwor wurde er mit Ehren überhäuft, „mais lauditoire parision nayant 
‚mais eu Voccasion d’entendre les grands ouwrages de J. $. Bach par les organistes 
anıgais, alors fort ignorants, ne les goüta pas, et M. Hesse ne produisit pas Veffet 
a’on attendait de son talent.“ al. Fétis, Biogr. des Mus. IV. &. 322, über feine 
ätere Reife nad London und Paris 1862 vgl. Euterpe 1862. S. 108—I11 und 121 
8 122. 

=) Noch heute nennt ihm der Abbe Blu, La Facture moderne etc. 1880, S. 85 „le 
„ermier organiste de V’Allemagne“. 

>) Obwohl ihm als Alavierfpieler die Neue Zeitfhrift für Mufll 1834. S. 287 „einen 
a4 zreeifterligen Anfdılag“ vorwarf. 





598 Hefe. 


genug war. Fir Seb. Bach ſchwärmte er nicht befonders und ftugte defien Orgl 

tompofitionen, wenn er welche fpielte, zuweilen wunderlich genug zu.') Mit einem 

Bort: er ftrebte nach Richtungen neuerer Zeit, die ihm aber als Organiften mist 
hätten anhaben ſollen. Die Folgen davon find in feinen Kompofitionen mehr Ei 
verfpüren, als ihrer Gute dienfih, was um fo mehr zu bedauern bleibt, als man 
in ihmen nicht felten auch ganz vortreffliche, echt orgelmäßige Züge und Bart 
findet. Seine Fugen und Choralvorfpiele haben guten Fluß; die ungewöhnti 
Gewandtheit in allen Arten des kontrapunttiſchen Stiles giebt ih kund und cr, 
führt feine Motive mit einer Sicherheit der Stimmführung und einer Reichhaltig 

feit der Modulation durch, die wohl fühlen lift, wie viel er Seh. Bach zu dantır 
hatte. Aber es iſt zuweilen, als ob ein böfer Dämon ihn abhielte, fid) im Diefr 
Stile mit Fuft und Hingebung zu beivegen.“?) 


Bon den 50 Orgelwerten 9.8 ift neuerdings eine Geſamtausgabe er 
fhienen, die alles Wertvollere aus denfelben enthalten dürfte; fie hat dem Titel 
Ausgewählte Drgelfompofitionen von Adolf Deife. Neue billige Auss 
%g. 133. Yeipzig (früher Breslau), Leudart (C. Sander). Diefe Ausgak 
erihien aud bei Novello, Cwer & Co. in London; außerdem gab der engliite 
Organift Dr. Stegall bei Boofey & Co. dafelbft „a complete collection‘ 
der Orgeltonpofitionen 9.S Heraus. — Dann erjgien noh: Heffe-Albun 
Auswahl der vorzüglihften Orgeltompofitionen von Adolf 5. Herausgegeher 
von U. W. Gottihalg. I. Bd. 77 Leichte und mittelfärvere Orgelitlide mit bi 
gefligter Bedalopplifatur. IL. Bd. 33 größere Bor und Nachfpiele ı. Feipis 
1884. F. €. C. Leudart.?) — Die beiden von H. bearbeiteten Choralbüse 
find: Shlefifges Cyoralbud für Seminarien und Landfiehen, mit Eure 
Zwiſchenſpielen 2. Aufl. Op. 25. Breslau, 1825. Weinhold. 3. Aufl. Or 
69. 1836. gr. 8%. 4. Aufl. 1843. — NHeinifd- Weitfäliihes Choral 
buch für evang. Kirchen x. in vierftimmiger Harmonie bearbeitet und wi 
Prüludien und Zwifcenfpielen veriehen. Op. 65. Elberfeld, 1840. F. & 
Vvebhoid. gr. 3%. 204 Choräle. (Neuer Abdrud: Gütersloh, Vertelsmanz, 

















Heffe, eine Orgelbauerjamilie zu Dachwig bei Erfurt. Ws älteften derfelber | 
angehörigen Drgelbauer führt Gerber, Neues Ler. II. ©. 661 einen Heffe eve 
Vornamen an, der um die Wende des 18. und 19. Dahrh. zu Dachwig baute ua? 
deffen Werten (zu Stotternheim, Mobisburg, Dachwig, in mehreren gothaiichen Dör 
fern und in der Mihaelisticche zu Erfurt) der Kantor Weimar zu Gotha treffäär 


1) Ober Heffe's Stellung zu Bach äußert fih einmal and Mofewius in einem Brie ver | 


10. Juli 1857 — vgl. Lindner, Zur Tontunſt. Berlin, 1864. &. 167 — nicht eben Ir} 
erbaut. 
*) Bgl. Dr. Ed. Krüger, Deutfge Mufifzeitung. 1861. Nr. 40 u. 41. S. 324 und ie 





mufit. Zig. 1864. Nr. 49. S. 826-827. 

®) Laut Pädag. Jahredbericht. 37. Jahrg. 1885. S. 122 foll ein II. Band dickes % 
die „fhreierigften Deifterwerte des ſchieſiſhen Meiftere” enthaltend, in nicht ferner 3 
erſcheinen. 





Heulen. 593 


Intomation, faubere Arbeit, gute Mechanit bei leichter Spielart und praftifge innere 
Anordnung nahrühmte. Cr farb am 26. September 1810 und hinterließ mehrere 
Söhne,!) von denen einer fein wird: E. ©. Heffe, der in den vierziger und fünf- 
giger Jahren unferes ahrhunderts arbeitete und bei dem z. B. Friedrid Gerhardt 
in Merfeburg von 1341 am lernte. Defien Sohn ift wohl Iulius Heffe, 
der 1862 auf Beranlaffung des Organiſten Heinr. Bernh. Stade (vgl. den Art.) 
die Erneuerung der Orgel der Bonifacius- oder Neuen Kirche zu Arnftadt unters 
nahm. Sie jollte ein Ehrendenfmal für Joh. Sch. Bad werden, der die alte, 1701 
aufgeftellte Orgel im März 1703 einweihte und dann vom 14. Auguft 1703 bis 
1. Iuli 1707 als Drganift fpielte. H. verlieh jedod fein Wert unvollendet und 
ging nad; Rußland. Doch wurde es von Friedrich Meiner aus Gorſchleben bei 
Sachfenburg 1878 vollendet und enthält jegt auf 3 Dan. und Ped. 60 Mi. Stn., 
unter welden im Pofitiv aud eine „Hessiana 8°“ fteht.?) 


Heulen nennt man in der Orgel das nicht gewollte Fortllingen eines Tones, 
zeffen Zafte nicht niedergedrüdt iſt. Diefer unangenehme Fehler, der eine Orgel 
ntweder ganz, oder doch in einzelnen Abteilungen unbrauchbar maden kann, Hat 
einen Grund in dem unvollftändigen, ungenauen Berfgluß der Spielr 
ventile, die dann Wind durhfaffen, der nichtgewollte Töne erklingen macht. Die 
am Häufigften vorfommenden Urjadhen ſolch mangelhaften Berjluffes der Ventile 
vürften folgende fein: 1. Die Bentilfeder, die das Bentil in entfpreiender Weife 
uf die Kanzeenöffnung zu drüden hat, ift entweder abgeſprungen, oder lahm ge- 
yorden; — 2. ein fremder Körper, ein Sandforn, Staub, ein Holzftlüdden 
. dgl, Hat ſich zwiſchen Ventil und Sangellenrand feftgefegt; — 3. die Ber 
ederung des Bentils ift im Laufe der Zeit [hadhaft, zerriffen, los oder hart 
evorden und vermag deshalb einen luftdichten Verſchiutz nicht mehr zu bewirken; 
- 4. die Leitftifte, die das Ventil in der für fein genaues Funftionieren nötigen 
age erhalten follen, find verbogen oder abgebroden, fo daß dns Ventil an einem 
wfelben hängen bleibt, oder feine Tage verändern lann; — 5. die Traftur- 
ile, wie Abteaften, Berbindungsdrähte u. ſ. w. find zu ſcharf angefpannt, oder 

find eingefne derfelben im Unordnung geraten und bleiben aneinander hängen; 
- 6. eine der älteren Koppeleinrigtungen, wie Schiebefoppel, Klötchenloppel, 
4 Durd falſche Behandlung, z. B. Schiefanzichen der Schiebloppel, Anziehen 
i miedergedrüdten Taften, die Trattur in Unordnung gebracht, oder das Koppel: 
wier hindert durch zu fharfes Ungreifen des zu foppelnden Kladieres das voll- 


3) Dies teilt Wolfrem, Anleitung zur Kenntnis 2. der Orgeln. Gotha, 1815. S. 30 
t, suennt ihn aber nicht „Öefie", fondern immer nur „Deb“, und verwendet nicht weniger 
14 ©. (8. 29-49), um die „Borzüge der Heh’fen Orgeln“ ins gehörige Licht zu ſeben. 
>) Bot. über dieſe Bachorgel umd ihre alte und neue Dispofition: Spitia, Bad I ©. 
3— 221. Euterpe 1862. Nr. 7. ©. 117—118 und 1879. Nr. 8. ©. 127—128. Urania, 
33. Nr.2. 6, 17-23. 
 limmerle, Enchti. d. ang. Rirgenmuft. 1. 38 


594 3. Heuſchkel. 3. P. Henfchkel. Heut trinmphieret Gottes Sohn. | 


fländige Shhliehen der Ventile. Dance diefer Fehler Tönnen durch den Organe 
felbft leicht befeitigt werden, wie der unter 2. genannte durd Entfernung der rem 
den Körper, der unter 5. genannte duch Verlängerung des Angehänges mit Hit 
feiner Schrauben; größere Unordnungen in der Traftur aber, ſowie die in dr 
Bunften 1. 3. 4 genannten Urſachen des Heulens machen das nachhelfende Ein 
greifen des Orgelbauers nötig. 


Heufchkel, Johann, ein älterer Organift, den jedod weder Walther noch Ga 
ber nennt. A. ©. Ritter (Zur Geh. des Orgelipiels. 1884. 1. S. 169) bi 
von ihm in Suhl und in Walther handſchriftlichen Sammlungen drei „gut x 
arbeitete” Chorabvorfpiele aufgefunden und fließt aus deren Fundort, daß er „jede 
falls ein Thüringer war." — Ein Nachtomme von ihm war vieleidt: 


Heufhlel, Johann Peter, Hoforganift und Kammermuſikus zu Hildbur 
Haufen. Gr war am 4. Januar 1773 zu Harraf bei Schloß Heldrungen gehe 
und trat feine Stellung in Hildburghauſen 1794 an. 1796 nahm Karl Wr: 
dv. Weber einige Zeit Klavierunterricht bei ihm und rühmte ihn als einen „brain, 
firengen und eifrigen Lehrer.“ 1808 bearbeitete er zu dem 1807 erſchienenen „Rz 
dilddurghauſiſchen GB." (vom Johann Chriftian Wagner, geb. 1747, geit. 18% 
als Geheimrat und Bicepräfident der Landesregierung zu Hildburgaufen) cr 
Choralduch, für das er „recht ſchöne neue Melodien, wo fie nötig waren“, jet: 
Doch zeichnete fih dies Werk aud) „unter allen ähnlichen neuen, durch forgfälts 
Veibehaktung und Benutzung der guten alten Melodien aus.” Bol. Gerber, Ü 
Ler. I. ©. 663: 1826 folgte 9. einer Berufung nad) Wiesbaden, wo er dr: 
noch lange als Hoforganift und Mujittehrer wirfte; 1853 ſtarb er zu Biberich 


Heut triumphieret Gottes Sohn, Choral, den Sayrij, Kern I. ©. Ni 
bei „Seth. Calvifins 1597“ gefunden Haben will; allein da nad DMägell, Geit 
Kieder 1855. Nr. 581. III. S. 1047 ſich das Lied „in der erften Ausgabe de 
Gafvifins Harm. Cant. Eccles. 1697 (aud in der 2. Ausg. 1698) mod nit 
findet, und erft Edit. IV. Lips. 1612. S. 609 als „ein nero Ofterlied“ erieir 
fo iR deffen Angabe, ſowie die Notiz bei Koch, Geſch. des KL. IV. ©. 2041 tr 
fällig. Ws dis jebt ältefte Quelle der Melodie gelten Die G. BB. des Bart 
Gefius: „Deutfge Geil. Lieder. 1601. Bl. 40b (1607. ©. XLIN); bi wi 
torine, Musae Sion. VI. 1609. Nr. OXLII Geißt fie: 











# —— —— — 
Heut iri · um · phie · ret Gottes Sohn. der von dem Tod — Nö. 









































— — — = 
— — = 2 — — 


Halter Inejo, Halrle + lut- jat Mit gro- her Pracht und Herr + lich ie 

















3. 6. hieutſch. Hildebrand. "595 



























it. Hal » le» Ins ja, Hal Te» lu jal 
gl. von Tucher, Schaß II. Nr. 195. ©. 94 u. S. 375, wo neben Geſius noch 
$ Leipziger ©-8. von 1603 (Husg. von 1612. S. 93) als näßftältefte Duelle 
v Melodie angeführt if. 

Einen Tonfag über die Delodie von Seb. Bad), deſſen firgenmufitalifhe Be: 
mmung jedoch nicht betannt it, "giebt Erf, Bachs Choralgef. U. Nr. 234. ©. 58, 
$ den Ausgaben der „Choralgefänge” von 1765. I. Nr. 30 u. 1784. I. Nr. 79. 





Hlentzſch, Iohann Gottfried, ein vielgeſchäftiger Mufifpädagog, war am 25, 
ıguft 1787 zu Modeehna in Sachſen geboren und erhielt von früher Jugend am 
4 Unterricht in der Muſit. Er beſuchte 1803—1808 die Thomasfhule zu Leipr 

und ging dann auf die dortige Univerfität über, um Theologie zu ftudieren, be- 

te aber auch die reichlich ſich bietende Gelegenheit zur ortfegung feiner mufila: 
hen Studien. Um fih wit Peſtalozzis Unterrichtsweiſe befannt zu maden, ging 
1911 nad Yoerdun umd bfieb mehrere Jahre lernend und lehrend in der Schweiz. 
15 fehrte er über München zurück, ftudierte dort bei Grätz und Et, ſowie 1816 
Knecht im Biberach mod Tonfegkunft, und wurde dann 1817 Oberlehrer am 
minar zu Neuzelle, wo er neben andern Fächern aud in Mufiftheorie und Orgel 
A unterrichtete. 1822 tam er an das Seminar zu Breblau, wo er nun feine 
uptthätigfeit als Lehrer, muſikaliſcher Schriftfteller und Komponift entfaltete, und 
mentlich die für mufifalifhe Pädagogit und Kirchenmufik wertvolle Zeitfhrift „Eu- 
tio" begründete, die unter feiner Leitung in 10 Jahrgangen 1928—1837 er— 
en. Nochdem er no von 1833 an das Lehrerſeminar zu Potsdam, und von 
52 an das königl. Blindeninftitut zu Berlin als Direftor geleitet hatte, trat er 
1. Ottoder 1854 im den Ruheſtand und ftarb zu Berlin am 7. Juli 1856. 
Bon ihm find folgende Sammlungen für firgliche Zwecke hier zu nennen: 

1. Alte und neue geiftlihe Lieder, Choräle und Heine Mo» 
tetten von den vorzügligen Meiftern, zum Gebrauch in Kirchen, Schulen und 
feinen Singvereinen x. 2 Hfte. Franffurt a. d. O., Hoffmann. — 2. Samm- 
lung 3: und 4ftimm. Gefänge, Lieder, Motetten und Choräle für 
DMännerftimmen von verfiedenen Komponiften x. 4 Hfte. 4°. Breslau, Go— 
fohorsty. — 3. Drei und vierftimmige Kirhenlieder von verjhiedenen 
Komponiften, zum Gebrauch in Schulen und Kirchen x. Breslau, 1827. 4°. 
34 Nm. — 4. Neue Sammlung leigter Chöre u. Motetten von ver 
ſchiedenen Komponiften, zunähft zum Gebrauch in den Kirchen x. 4°. 22 Nrn. 


Hildebrand, eine Orgelbauerfamilie, deren Ahnherr vieleiht Philipp Hilde» 
ind ift, der im der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu Stadtambof bei 
natburg (ebte umd neben andern Orgelwerten 1664 die ſchöne Orgel der Stlofter- 

38° 


596 Hilf Gott, daß mir gelinge. 


tirche zu Gars mit 22 Stn. baute, die nachmals der Drgelbauer Anton Bayr au 
Münden erneuerte. — Wahrfheinlih ein Nachtomme von ihm ift Zadarist 
Hildebrand, in Sachſen geboren, und in Silbermann’s Werkflätte gebildet: « 
gilt al8 defien befter Schüler und nad; ihm als der bedeutendfte mitteldeutſche Ort 
bauer des 18. Jahrhunderts. Er erbaute 1723 eine Orgel zu Störnithal bei Ley, 
3ig, die von Seh. Bad „für tüchtig und befländig erfannt und gerühmet” wun 
und zu deren Einweihung er die Kantate „Höchſt erwünſchtes Freudenfeſt“ fhrid 
(ogl. Spitta, Bad) II. ©. 194— 195), fegte 1727 die Heinere Orgel der Thomas 
fire zu Leipzig nochmals inftand, baute 1743—1746 die Orgel zu St. Wal 
in Naumburg, die 1702 von Zac. Theuffner aufgeftellt worden war, geitndlii 
um, und erwarb fih damit die volle Anerfennung der Reviforen Geb. Bach ir 
Silbermann (vgl. Euterpe 1865. ©. 43 und Wangemonn, Geſch. der Org 
1881. S. 236-237); mit Bad war er 1744 Reviſor der von Scheibe 114 
bis 1744 gebauten Drgel der Sohannisfirge zu Leipzig (vgl. Adlung, Mu: 
mech. org. II. S. 251 und Spitia, Bad II. ©. 119); in Bachs Todesjeh 
1750 feifte er die Orgel der Nitolnifiche zu Leipzig nohmals auf (vgl. Spitı 
a. a. O. S. 117); ferner baute er die Orgel in der Schloßtirche zu Dresden, mi 
45 Stn. und 1750 die Orgel der Neuftädterlirche dafelbft mit 38 Stn. auf 3 Wır 
und Ped.; er war es auch, der um 1740 das von Seh. Bach erfundene Lauter 
llavichmbel nach deſſen Angaben ausführte (vgl. Adlung, a. a. ©. II. ©. 15 
und Spitta a. a. D. I. ©. 657). Gegen 1760 foll er geftorben jein. — Ce: 
Sohn war: Dohann Gottfried Hildebrand, der 1768 die berühmte Org 
der Micaelistirhe zu Hamburg, mit 64 fl. Stn. auf 3 Man. und Ped. vollenda 
zu der Matthefon 44000 Mark beifteuerte und die damals als „ein Triumph te 
neueren Drgelbaufunft" galt. Bgl. Gerber, N. Ler. IL ©. 672. Ihre Dispofin 
und Beſchreibung giebt Adlung, Mus. mech. org. I. ©. 241. 





Hilf Gott, daß mir gelinge, Choral. Das Lied von Heinrich Mäld 
von Zütpgen!) erfhien zuerſt 1524 als Eingeldrud: „Ein newer Bergrege,” oda 
„Ein newer Reye von Gottes wort zu fingen,“ und wird von 1527 an auf ia 
„thon, Möocht jh von herhen fingen“ vermiefen.?) Diefe Boltsmelodie ift die ci. 
ehmals berühmte „tagerweys” der Ballade vom „Grafen und der Königetekte,” 
ober vom „Örafen bei dem Brunnen“ („Cine Art von Pyramus und Thieke‘ 
Goethe), die aus dem 15. Jahrhundert ftammt. Sie erſcheint mit unfrem a 
lichen Liede zuerft in Val. Babfts G.B. 1545 II. Nr. XIII. Bogen D. & 
4—8 und heißt dort (vgl. v. Tucher, Shap II. ©. 381): 


1) Bf, die Unterſuchungen über den Berf, bei Fiſcher, Kirdienlieder-fer. L. S. 299 u 

9) Bgl. Wadernagel, Bibliogr. des 2. 1865 ©. 100, Gefiten, Die Hamb. und Rice) 
fühl. ©.8B. des XVI. Jahrt 1857. S. 109 f. Riederer, Abhandlung von Einführus 
deniſchen Kirgengef. ©. 201. 266 f- 


Hilf Golt, daß mir gelinge. 597 


er — — 

















= 


Hitfj Gott, das mir ge « Tin » ge, du ed » Ter föpfefer mein. 
Die il - ben rei» men zwin «gen zu fob den eh-ren bein! 


+ + > 
Ba ——— — = 


daß ich mag frö-dih Ge- ben an von deirmemWortzu fin + = gem: 


MB 
— — =4 
‚Herr, du wöllſt mir bey + fan. 
päter erhielt fie mannigfache Umbildungen, ) infolge deren fie nad und nach aus 
m urſprünglichen Äoliſchen in das moderne A-moll überging. Das Lied, das 
den bedentenderen G. BB. des 17. Jahrhunderts nod durchgängig zu finden ift, 
rjchwindet in denen de 18, je länger je mehr und die Melodie wird auf „Wenn 
eine Sind’ mid fränfen“ übertragen; fie lautet in ihrer jegigen Form z. B. 
i Ert: 
= E 


—Fe — ——— 
















































































—— ne Sund mid kän-Ten, o mein Here ge- ſu Chr, und are 
So Laß mihmohl be» den «Tem, wie du gerfor-ben bit und al-ie 
— — ===: 



































meine Schuldenlan am Stamm des heilgen Kreu- zes auf dich genommen haft 


1 der zweiten Hälfte des 16. Dahrhunderts erfäeint dann zu dem diede des Bru- 
18 Heincid (Mufer, Müller) von Zütphen nod eine zweite Melodie, die in 
aifer Tomart „viel fingbarer, dazu fhroungvoll und voltstümlich” it und „nad 
ombadjs zuverläffiger Angabe“ ſchon bei Eier, Cantica sacra. Hamb. 1588 vor- 
mt.) Sie ift wohl ebenfalls Vollsweiſe und nicht uefpränglic zu dem geift- 





*) Bol. ſolche von Prätorius 1607 bei Böhme, Atdeutfces Liederbuch. S. 77. 78; von 
zm. Schein 1627 bei v. Tucher, a. a. ©. II. Nr. 225. ©. 116. Noc Heute wird fie hin- 
itfich iees ſechſen Mefodietones verſchieden notiert: während die einen, wie 3. ®. Iatob und 
ter, &6-®. I. Rr. 147 ©. 132; Mlmeburger EH-Mel-®. 1871. S. KIT. und ©. 49. 
1. 1793, ſowie Ang. S. 14. Mr. 63 u. a., das Diatonifde g Beibefaften, verwandeln an- 
%, wie 3. B. Layriz, Kern I. Nr. 56. ©. 35; Ert, €0.B. 1869. ©. 103; Döring, Choral. 
we. ©. 408, diefes g in gis und damit die Weile aus einer äoliſcen in eine moderne A-moll- 
dodie; noch andere, wie 3. B. Enchauſen, Eh.Mel.®. Nr. 115 (vgl. Hannov. Sonntags- 
at. 1873. Pr. 19, 20. Nr. 21. ©. 128) und Doles, &h.®. 1785. Nr. 18 ſchieben gie ale 
urhgangeton ein und zeichnen g”gis a, oder g a”gis a. 

7) Bol. Zahn, Euterpe 1877. &. 172, wonach Die Angabe bei Döring, a. a. O. ©. 82: 
am 1604 befonnt, wehrſcheinlich von Michael Prätorins“ Hinfälig wird. Auh Böhme, a. a. 
S. 81 datiert fie zu fpät. 














598 Huf Gott, daß mir gelinge. 


fihen Tert erfunden; nad der Zeichnung des Hamburger Melodeyen-Geſangbehe 
1604 heißt fie in einem Tonfah Scheidemanns: 


a ——— — 























gear Gott, dag mir ge- Tin» a0 du ed + Ier fäibhfer mein —, 




















Die Al: bem reirmen zwingen zu ob den ch«ren dein! 
— 
t T —— = 
En me 
Das ih, mag frö-fih Herden an von deismem Wort zu fin + + > am: 











I, — 
= = 
® — — F 
Herr, du woͤlln mir bey· fan! 


Ad fie erlitt mannigfache Veränderungen und heißt in der Form, mie fie mt 
jegt im Gebraud in 3, 3. bei Yatob und Khter, Ch-B. I. Nr. 146: 1 


Fre: ——— zen = 


Ba mäene ld mid frän » im, 0 mein dar Se - je 
fo Top mi; wohl Ge» den > Ten, wie du ge» for + ben 


Bee — 


und al >e mei- ne Schulden - laft am Stamm des heil · gen Nreu «zes Fr 













































































In: me 
di, ger mom-men haft. 


Über das Berhäftnis diefer Durmelodie zur alten goliſche n bemerft Vehm. 
a. a. ©. S. 81: „War vieleiht diefe Durmelodie gar die des weltlichen Tertıi 
„Könnt (Möcht) id; vom herzen fingen?“ on der älten Mollweiſe ift am Cr 
dotz micht fefigeftellt, dafs fie wirklich) die weitliche war, melde Die Tonangabe melte 
Sie tritt 1545 in Noten anf zu einem geiſtlichen Terte, der bisher bloß die Ti 
angabe führte: „Möct id) von Herzen fingen.“ Unbedentlich hat man aus dirkz 
Umftande gefolgert: das wird wohl die in der Tonangabe bezeichnete weltliche Bir 
fein. ¶ So fan es fein, aber and nicht; denn fönmte fie nicht ebenfo füglich it 
1545 für den geiſllichen Tert ertra Tomponiert Haben? IH fan mid nicht 
zeugen, daß der zum Singen ſo wenig einladende afte Choral als weltliche 7: 
weife gedient Haben joll, Auch wäre e zu unwohrſcheinlich, wenn die beiden, 
Inhalt und Stropfenbau gleichen Lieder auf Ppramus und Thisbe nicht az 


























1) Gine veränderte Zeihnung aus dem Görliger Go B. 1611. S. 215 giebt Yühme, xt 
D. ©. 18; weitere vgl man bei König, Yarm. Liederiha 1739. &. 56, Schiäit, Allg. &< | 
1819. Nr. 960, III. S. 423; Blüher, Ag. €-8. 1825. Nr. 90. ©. 56. 58 u. a 





Hill and Sons. 3. 6. Hille. 599 


iche Melodie (mie doch die Tomangabe verlangt) gefangen worden fein follten. 
Auffallend endlich ift die Ähnlichteit der Durmelodie in ihrem Cingange mit 
Beife: „ES wohnet Lieb bei Liebe:“ 










































—— 920m 
Es wonet lieb bei fie» be, dazu grosßer je » leid, ein ebele 
ua ⸗ —— — 
zn — — 
Her 30. gimene, ein rt» ter hoch - ge— meit, fie Hatten ein-ander von 











E wo * — — 
——— —— — 
er zen lieb und fundten vor gro-fier hue te zu · ſam · men kom ⸗ men nie. 
inahe möchte man glauben, daß Hier nur eine Umarbeitung der Tage- 
ife: „Es wonet fieb bei Liebe” vorliege, indem man diefe Mollweiſe nad) 

w verfegte und melodifch etwas umbildete,“ 

















Hi and Sons, William, eine bedeutende Orgelbauwertſtatte in London. 
18 Gefhäft wurde 1755 durd) einen Deutfcien, Johann Sqhnebler (Ion Sep 
) gegründet; ihm folgte 1780 fein feitheriger Gefhäftsführer Ohrmann, der 
90 den Engländer W. Nutt als Teilhaber aufnahm. Diefer affocierte fih um 
03 mit Thomas Eliot, der als fein Partner farb, das Gejhäft längere Zeit 
ein fortführte, bis er 1825 feinen Schwiegerfohn William dill in dasfelbe auf- 
zm und „Eliot and Hi“ firmiert. Ms Cliot 1832 ftarb, Betrieb Hill das 
Ächäft allein bis 1837, wo Frederit Davifon eintrat; diefer ging jedoch ſchon 
4 zwei Sahren zu John Gray in die Firma „Oray and Davifon* (vgl. den 
) über, und Hi nahm feine Söhne als Teilhaber auf und die obige Firma 

Er ſiarb am 18. Dezember 1870 zu London. Aus feinem Geſchäfie gingen 
hrere der bedeutenbften engliſchen Orgelwerte hervor 

Orgel der Kathedrale zu Yort 1834. 54 M. Sm. 3 Dian. Ped. (Dan. 

1. u. I. 6 Oftaven, Man. IM. 5 Oftaven, Ped. nur 2 Oftaven); Dispof. 

vol. bei Grove, Diet. II. ©. 600; — Orgel der Kathedrale zu_Wortefter 

1842. 39 fl. St. Difp. vgl. bei Grove, a. a. D. ©. 601. — Orgeln der 

Katfedralen zu Eiy und Dandefter; die prächtigen Konzertorgeln der Stadt- 

Häufer zu Birmingham und Melbourne (Huftralien) u. a- 








Hille, Johann Georg, um 1740 Kantor und Schuftollege zu Glaucha vor 
ille, über deffen Peben bis jegt nichts weiteres befannt ift. Nach Kuhnau's Zeug: 
 — Choralgefänge I. 1786. &. 230 — it 9. der Erfinder von drei Choral: 
Hodien, Die in den Kirchengebraud) übergegangen find; nämtid : 

Einer ift König, Immanuel fieget (vgl. den Art.) 

Mein Heiland nimmt die Sünder an (vgl. den Art.) 


600 Iohann Adam Hiller. 


D ihr auserwählten Kinder, ihr Iungfrauen?) (vgl. den Art) | 


Vielleicht gehörte er auch zu den „heiftlihen und erfahrenen Musicis Gierfelst” h 
Halle), die Melodien für das Freylinghaufen'ſche G. V. geliefert haben. 


Hiller, Johann Adam, der dritte Amtsnachfolger Bach's als Kantor da 
Thomasfgufe zu Leipzig, war am 25. Dezember 1728 zu Wendii-Offig bei Ga— 
fig als der Sohn eines Schulmeiſters geboren. Er beſuchte von 1740 an das Eye 
naſium zu Görlig, wo er den erften Muſikunterricht empfing, und fam 1747, m 
pfohlen durch feine Brauchbarkeit als Distantift, als Alumnus auf die Kreuzicule 
Dresden; hier erhielt er durch Karl Friedrich Abel, den berühmten Gaubenſpieln 
der damals Mitglied der Dresdner Hoffapelle war, bedeutfame mufitafifche Anregss; 
und machte unter des Kantor Gottfr. Aug. Homilius’ Leitung gründliche Studir 
in Movierfpiel und Harmonielehte. 17651 bezog er, um Jurioprudenz zu ftudiert, 
die Univerfität Leipzig, und trat hier namentlich mit Gellert in Verbindung, dark 
deffen Vermittlung er 1754 —1760 Hofmeifter des jungen Grafen Brühl, cin 
Neffen des befannten Miniflers Bruhl, wurde. Nachher lebte er als Privatmern 
zu deipzig, beſchäftigte ſich ausſchliehüch mit Muſit und gründete 1763 das „grir 
mögjentliche Konzert“, dem er von 1775 an einen neuen Aufſchwung gab und zi 
dem er 1782 im dem neuen Konzertſaal im Gewandhauſe einzog. Schon 117 
Hatte ihm der Senat der Univerfität zum Muſildireltor an der Paulinertiche m 
nannt, 1784 übertrug ihm der Leipziger Rat die gleiche Stelle an der Neuen Kirk, 
und 1782 berief ihm der Herzog von Kurland zur Reorganiſation feiner Kapcdı 
nad; Mitau. Pier verlebte er einige angenehme Jahre und Fehrte dann, nadden rn 
unterwegs an mehreren Orten fir die damaligen Verhältniffe großartig zu nenne 
Rongerte®) (namentlih Händel'ſche Oratorien) gegeben hatte, nad; Leipzig zurüd, m 
er 1789 als Doles’ Nachfolger Kantor an der Thomasſchule wurde. Nad mil 
jähriger Thätigfeit. in diefem Amte trat er 1801 in den Ruheſtand umd farb je 
Leipzig am 16. Juni 1804. — H. hat auf das gefamte Mufilleben feiner Zi 
einen bedeutenden Einfluß gebt; doch ift hier nit der Ort, auf fein Wirten ci 
Gefanglehrer, durd das er der Örlinder einer deutfcien Geſangſchule wurde, als Kar 
ponift von Singſpielen, „die thatſächlich der Ausgangspunkt der deutſchen Oper ir 
worden,“ fowie als Mufitfcpriftfteller näher einzugehen: nur feine Thätigkeit auf de 
Gebiete der evangelifcen Kirchenmuſit ift von uns in Betracht zu ziehen. Air tik 





») Mit Bezug auf diefe dritte Delodie, Die bei Layriz, Kern III. Nr. 525 fich finde, 
mertt Koch, Rirgenlied V. S. 595, fie ſei „mit einiger Bariation auch im Gebrauch der Ei 
gemeine.“ Nun Rebt allerdings in Chriſt. Gregor’s Ch B. 1784. ©. 120 eine Melotir, t 
aber Jalob und Richter, €6.-®. IL. Nr. 1080. S. 833, aus einem handſchr. Ch. B. der Su 
tors Wagner in Langenöls vom J. 1742 mitteilen. Es dürfte daher die Urheberihet fi 
Gier zioeifelhaft fein. 

?) So führte er 3. B. am 19, Mei 1786 in der Domtirche zu Berlin Händels Ark 
mit 118 Sängern und 186 Inftrumentafiften auf. Bol. Spitte, Bad IL. S. 136. 











Iohann Adam Hiller. 601 


Seite feines Wirlens nun brachte Hiller, wie alle feine Zeitgenoffen, nur eine ge: 
inge Hinftlerifche Begabung mit; für fie hatte er ſich nidt an den Kirhenwerfen 
eines großen Vorgängers Bad, die längft vergeffen waren, fondern an den Werken 
Hrauns und Haffe’s herangebildet, und übte fie ganz im Geifte feiner Zeit mit 
ihrer Leerheit abftraft refleftierender Subjektivität, ihrem Hochmut eigenen Weſſer-) 
Wiſſens, Meinens und Empfindens, ihrer Flachheit gemütlojen Räſonnements und 
Moraliſierens.“ Aus diefem Geifte heraus fang er feine Choräle, meiſt zu Gelle 
en Piedern, die in ihrer ſußlichen Melodit nur äußerlich anempfunden, nicht wi 
ich empfunden, nur gemadit, nidt aus tieferem veligiöfen Gefühl hewworgewachſen 
ind. Im diefem Geifte bearbeitete er auch fein Choralbuch, in dem er, alles ge> 
chichtlichen Sinnes bar, die Choräle rein nad perſönlichem Belieben harmoniſch zu- 
iugte, das aber in ganz Deutſchland auf fange hinaus tonangebend wurde und 
ieffen rationaliſtiſche Sagmweife zum Teil noch jet nadmirft. — Don den von H. 
omponierten Choräfen find al in Mitteldeutſchland noch im fitigen Gebrauch 
ichend anzuführen: 
1. Beſig ih nur ein ruhiges Gewiſſen. G-moll. g a a be dae 
beba a. Zuerft in „25 neue Choralmelodien, 1792. Nr. 19. Hillers 
Ch.B. 1793. Nr. 60. ©. 28. Schicht, CH-B. 1819. „II. Nr. 744. 


332. Hentfgel, CH-B. Nr. 24. ©. 14. Into und Richter, Ch. II. 
Nr. 542. ©. 493. — 2. Die Himmel rünmen des Ewigen Ehre. O-dur. 
gcähcedefec 25ChM. 1792. N. 13. 8. 1798. 
Nr. 54. ©. 22. Schicht, Ch-B. I, Nr. 742, ©. 332. Hentiäel, C 
Re. 40. ©. 25. Yatob u. Rihter, CB. I. Nr. 610, S. 533. — 
dank ih Heute für mein eben. G-dur. gg’ahaaahäch. 
&.-8. 1793. Nr. 105. ©. 47. Shiht, Ch.®. I. Nr. 733. ©. 329. 
Iatob u. Richter, Ch-B. IL. Nr. 622. ©. 540-541. — 4. Der Wolluft 
Reiz zu widerftreben. G-mollddedesdcehbn. CB. 1798. 
Pr. 103. ©. 46. Shit, CB. I. Nr. 734. ©. 329. Hentigel, Ch. 

Nr. 38._©. 23. — 5. Du bis, dem Ruhm und Ehre gebühret. 
F-dur. ca fg”a ba bäd’e c. Ch.B. Nr. 1793. Rr. 30. ©. 13. 
Säit, &;D. II. De 739. ©. 381, Yatob um ßter, 69-8. II. Dr, 
630. ©. 545. — 6. Du Hagft, o Chrift, in fäweren Leiden. G-moll. 























gaadccb”ag fi. Ch-2. 1793. fr. 106. 6. 48. Stiät, Eh-B. 
1. Mr. 732, ©. 328-329. Henticel, Ch®. Nr. 46. ©. 29. Iatob 
u. Kiöter, &H-®. I. Nr. 637. ©. 549. — 7. Du Magf und fühle 
die Beiäwerden. A-moll. a a agisahe ch h. Gh-®. 1798. 
Pr. 31. ©. 15. Sciht, CB. I. Nr. 721. ©. 324325. Henticel, 
&5.-8. Nr. 47. ©. 58. Ialob u. Rihter, CHB. I. Nr. 637. S. 549. 
— 8. Gedanke, der uns Leben giebt. C-dur. ge cha ga g'fe. 
65.8. 1793. Nr. 32. ©. 14. Shicht, Ch. v Ik 9e.740. 6.381. 
9. Gott it mein Lied. A-dur. aa h ci. Ch-8. 1798. Nr. 04. 
©. 27. Siät, CH.-8. U. Nr. 743. ©. 332, Hentfhel, ChB. Nr. 67. 
&. 39. — 10. Herr, (ehre mid, wenn ic der Tugend diene. D-moll. 








602 


Johann Adam Hiller. 


agfefadefedcisd. Ch. B. 1793. Nr. 111. ©. 50.51. 
Scigt, Ch-B. TI. Nr. 746. ©. 333. Yalob u. Richter, Eh.-B. II. Ar. 
769. ©. 632. — 11. Id ſinke zu verwefen ein. Einſt reift die 
Saat x) G-dur. deagah ch. 69.2. 1793. Nr. 218. ©. 10. 
Sciht, CB. I. Nr. 237. ©. 91. Yatob und Richter, CH-B. Il. Mr. 
834. ©. 615. — 12. Nie will ih dem zu fhaden fugen. Phrpgiie. 
hahcdeddch. 658. 1793. Nr. 33. ©. 14. Shiht, Ch.2. 
II. Rr. 741. ©. 331. — 13. DO Herr, mein Gott, durd den id bin 
und lebe. G-dur. ghaga h’ededch. 25 &.M. 2 a 
7. &.8. 1793. Rr. 34. ©. 15. Schicht, Ci IL. Nr. 591. B 














, &.8. ne 150. ©. 89. Yatob u. Ri ter, Ch. B. II. * 

._ 832. — 14. Dft Magt dein Herz, wie fÄwer es jei. G-mol. 
= ” cb’abdeba. Ch.-®. 1793. Nr. 174. ©. 81. Schicht, Ch.B 
U. Nr. 747. ©. 15. Was if mein Stand, mein Glüd. 
5 Ch. 1792. Nr. 23. Ch.B. 1793. Rr. 
. 49. i 8. I. Nr. 737. ©. 330. $e — & 2. 
Nr. 176. ©. 104. Satob und rRichter, Ch.B. I. Nr. 1213. ©. 921. — 
16. Was forgft du ängſtlich für dein Leben. G-moll. g € a 
fesd. Ch⸗B. 1793. Nr. 104. ©. 47. Schicht, Ch.B. II. Nr. 630 
S. 289. Hentigel, Ch.B. Nr. 178. ©. 106. — 17. Wenn zur Boll 
führung deiner Pflicht. A-moll. aah’edchah 2 &.® 
1792. Rr. 8. CH-B. 1793. Nr. 181. ©. Bd— 3. Shit, CH.-B. 1. 
Nr. 748. ©. 334. Jatob u. Nigter, Ch.:B. II. Nr. 1239. ©. 937. — 
18. Wer bin id von Natur, wenn id mein Innres prüfe. F-dur. 
eacgabdcececbbraa 25C5-M. 1792. Nr. 9. C 9, 
Nr. 109. ©. 49. Yatob und Richter, Ch-B. II. Nr. 1242. ©. 939. — 
19. Wer Gottes Wege geht. B-dur. bb eddc. C.®. 179 
Mr. 107. ©. 48. Schicht, Ch.-B. IT. Nr. 736. ©. 330. Hentidel, a a 
Nr. 185. ©. 189. Iatob u. Richter, HB. I. Nr. 1244. ©. 
20. An dir allein, an dir Hab id gefündigt. E-moll. he = a en 
afis gg gfis fis. 25 CH-M. 1792. Mr. 16. ChB. 1798. Nr. 20. 
©. 12. Schicht, Ch. B. II. Nr. 738. ©. 331. Yatob u. Richter, Ch.-2. 
U. Nr. 1296. &. 977. 

Bon feinen weiteren Werfen find zu verzeichnen: „Choralmelodien zu Ger: 
Brof. Gellerts geiftl. Oden und Piedern, welde nit nad befannten Kirden 
mefodien fönmen gefungen werden.“ deipr 1761. 22 Men. 2. Aufl.: „25 near 
Choralmelodien zu Liedern von Gellert.” Leipz. 1792. HM. qu. 4°. — Gilt 
liche Lieder einer vornehmen Churländifhen Dame (Elife v. d. Nede) mit We 
todien. Leipzig, 1780. qu. Fol. 17 Gefünge. 2. Aufl. „Elifens geiftlihe Cr 
der.” Leipzig, 1783. — Vierftiimmige Meotetten und Arien in Partitur vom 
verſchieden en Komponiften, zum Gebraude der Schulen und andrer Gejan 
fiebhaber gefammelt und Herausgegeben. Peipzig, Düt. 4°. I. Ti. 1776. 1! 
und 48 ©. Il. I. 1777. 48 ©. III. U. 1779. 46 ©. IV. ZI. 178 
46 ©. V. TI. 1784. 44 ©. VL TU. IV u. 42 ©. Darin 15 Stüde v7 
Hiller. — Neligiöfe Oden und Fieder der beften deutſchen Dichter und Di | 
terinnen mit Melodien zum Singen beim Klavier. Leipzig u. Hamburg, 170 













































Himmel, Erde, Luft und Aleer. 603 


au. ol. 52 geiftl. Lieder. — Allgemeines Choral. Melodienbuch für Kirchen 
und Säulen, aud zum Privatgebrauce, in vier Stimmen gefegt; zur Ber 
quemfichleit der Orgel und Klavierfpieler auf zwo Sinien zufammengezogen; 
mit Bezifferung des Generalbaſſes. Leipzig, 1793. Verl. des Autors. HM. qu. 
Fol, 224 ©. mit 244 Chorälen. — Nachtrag zum allgemeinen Choral: 
Melodienbuge für Kirhen und Säulen, zur Beförderung des Choralftudiune. 
Leipzig, 1794. qu. Fol. 36 ©. — enthält in ht Kap. Theoretiides, und 
„Elf nahgebrahte vierft. Melodien." — Anhang zum allgemeinen Choral- 
melodienbuch; enthaltend X deutſche Hymnen zu den Befttagen und XIV neue 
Chorafmelodien in Bezug auf die neuen Gejangbüder, für Freunde de Choral: 
gelangs. Leipzig, 1797. qu. Fol. 27 &. — Beyträge zu wahrer Kirhenmufit, 
Zieyte vermehrte Aufl, Leipzig, 1791. 8°. 


Himmel, Erde, Luft und Meer, Choral, deſſen jeyt gebräuchliche Melodie, 
nachdem die von Ioadim Neander felbit erfundene und feinem Liede im 4. Drud 
der „Bundesfieder“. Frankfurt, 1689. S. 98 beigegebene Weife feinen Anklang ger 
Funden, Georg Chriftoph Strattner erfunden und der 5. Ausgabe der „Bundes: 
Gieder" 1691 (7. Ausg. 1700. Nr. 42. ©. 136—137) einverleibt hat. Bgl. 
Faigt, Württ. Ch.⸗B. 1876. ©. 222. 223. Sie ging in das Freylinghauſen'ſche 
G.B. 1704. Nr. 208 (Gef. Ausg. 1741. Nr. 448. ©. 289; Stögel, CH-B. 
1744. Nr. 155; Kuecht, Ch-®. 1799. ©. 261. Nr. COXLVIIL u. |. w.) 
über und Heißt: 


Gere 


Himmel, Er-de, Luft und Meer zeu-gen von des Schöp- fers Ehr; 


meine Seerfe fin»ge du, bring auch jet dein Lob fer » zu. 


Eine zweite Melodie, die zu des Angelus Sileſius Lied: „Iein komm doch 
elbſt zu mir“ verwendet erſcheint, ift herrnhutiſchen Urfprungs und heikt bei Chrift. 
Bregor. CH.-B. der ang. Brüdergem. 1784. ©. 6. Art 11:1) 


Ic. fu komm doch felbft zu mir, und ver blei-be für und für; 


! 


*) Und nodmals zu „Stilles Lamm und Priedefürfl“ da. Art, 311. ©. 211; in dieſer 
ichnung Hat die Melodie nahe Verwandtſchaft mit der Weile, die Reimann, Sammlg. after 
md meuer Mel. 1747. Mr. 212 giebt, umd könnte dieſe aus der Brüdermelodie beransgebildet 
in, micht aber umgelehrt, wie Koch, KL. VI. S. 495 meint. 











































































































fomm dad, wer « ter Gee - Iensfreund, Lieb- er, den mein Der ze meint. 











604 Hinter-. Hinterfa. Jakob Hinge. 


Noch eine dritte Melodie von Friedrich Silcher bradte das Württ. Ch-®. 
1828. ©. 76. Nr. 215, doch Hat dieſelbe feinen Eingang gefunden. 


Hinter: als Beiwort zur Bezeichnung der Lage beftimmter Teile des Orgel 
mechamsmus im Berhäftnis zu andern ähnlichen Teilen, die jenen als Bordericl 
entſprechen, findet in der Sprache der Orgelbauer mannigfadje Anwendung. Bei der: 
jenigen Teilen der Orgelmecanit, die einen zweiarmigen Hebel darftellen, nennt man 
denjenigen Arm, der vom Spielenden aus hinter dem Stübpunkte liegt, den Hinter 
arm, wie bei den Balgelaves, den Taften der Rlaviaturen, den Wellen. — Die 
am Hinterteile oder Schwanzende der Blasbälge befindlichen kürzeren Falten nennt 
man gegenüber den Ceitenfalten Hinterfalten, Hinterbalgfalten, und die 
Spähne, durch welde fie gebildet werden, Hinterfpähne oder Hinterbalgfalten: 
fpähne; dabei wird dann noch der untere derfelben als Hinterunterfpahn von 
oberen, dem Hinteroberfpagn, unterfcieden. Im der im vorigen Iahrhundert be 
rühmten großen Orgel der Petri: und Paulitirche zu Görlig werden in der bi 
lung, Mus. mech. org. I. ©. 233 mitgeteilten Dispofition Hinteroberbag und 
Hinterunterbaß als zwei gefonderte Abteilungen im Pedal diefes Werkes unter: 
ſchieden. Die erfiere Benennung bezeichnet bie Hinter der Manuallade des Obrr 
werles, die lehtere die hinter der Manuallade des Unterwerts gelegenen Pedalwind 
Inden und die auf ihnen ftehenden Pedalſtimmen. 


Hinterfa, vgl. den Art. „Naſat, Nafard“. J 


Hintze,) Jalob, ein dem Kreiſe der Berliner geiſtlichen Sänger angehörige 
Tonfeger der evangelifhen Kirche. Er war am 4. Septemiber 1622 zu Bernau ir 
der Dart geboren und fpäter als Stadtzintenift, oder wie er ſelbſt fagt und wie ent 
Urkunde vom 31. Mai 1695 ihn noch ermäßnt, als „Musicus instrumentalis 
bey der Churfürſtlich Brandenb. Mefidenz und Veſte Berlin“ angeftelt.?) Nah dm 
1662 erfolgten Tode Zohann Grügers übertrug der Buhdruder Chriftoph Kung 
Hinge, der fih den Namen eines tüchtigen Kontrapunktiften erworben hatte, die mu 
fitaliſche Nedattion der Praxis pietatis melicn, und er beforgte num zunächft fir 
Runge die ſamtlichen Ausgaben diefes G.-B.s von 1666 (12. Ausg.) bis 1681, 
dann für den Buchhändler David Saalfeld und defien Witwe die Ausgaben dit 
zum Jahr 1698 (28. Aufl.). Dadurch Hat er fih bedeutende Verdienfte um didet 
verbreitetfte und beliebteſte ebangeliſche Kirchengeſangbuch der damaligen Zeit erworben 
Der 12. Ausgabe von 1666 fügte Hinge zuerft aud einen Anhang eigener Melodir 
bei unter dem befonderen Titel: 


') Säilling, Mufil. ter. I. S. 592 [reißt den Namen fälſchtich „Hinze“. 

) Alfo nit „hurf brandenburgifher Hofmufitus“ wie Fetis, Biogr. IV. ©. 337. veru 
dorf, er. IL ©. 416 und Paul, Sandler. I. 1873. S. 449 meinen. Bgl. Bachmann, Zr 
Gelb. der Berliner G.BB. 1856. ©. 97. 99. 107. 


M. Daniel Hißler. 605 


„Fünfundfehzig geiſtreiche Epiſtoliſche Lieder auf ale Sonn- und fü» 
nehmften wefttage durchs gange Iahr.“ 4°. 76 ©. mit 65 Liedern nebft Me: 
fodien in Distant und Bag, 

und fon in der nächften Ausgabe von 1667, einem fonft völlig gleichen Abdrud 
der vorhergehenden, erſcheint Diefer Anhang ohne befonderen Titel, mit den fort- 
aufenden Seitenzahlen 887—960 und Siedernummern 642—-T10, aud im Regifter 
gang den andern Liedern eingereift. 1695 veranftaltete er eine befondere Ausgabe 
diefes Anhangs, indem er den nach Melodie und Harmonie unverändert belaffenen 
Weiſen eine Inftrumentalbegleitung beigab; diejelbe erjhien unter dem Titel: 

„Mortin Opigens . . . Epiftolifhe Fieder mit 1,2, 3 und 4 Bolal- 
ſtimmen und zwei oder mehr Inftrumenten nad Belieben, famt dem General- 
bah. Auf manderlei Art jowohl in den Kirhen, al in den Privathäufern 
zu mufigieren, als auch von denen musieis instrumentalibus zum Abblafen 
zu gebrauden. Mit einer Zugabe von Drei Konzerten fomponiert und Gott 
zu Ehren ans Licht gegeben von Jatob Hinge, musico instrumentali der 
Stadt Berlin. Dresden und Leipzig, 1695.) 

In der 24. Ausgabe der Praxis pietatis melica 1690 erfhienen dann noch wei- 
tere 17 Melodien und Tonfäge Hinge's zu den Eoangelienliedern Johann Heer- 
mann's, die zufommen mit den genannten Epiftolifgen Liedern den beſondern ſechſten 
Teil, Nr. 10731194, diefer Ausgabe bilden. Zwar find diefelden alle am 
Scluffe der Tenor- und Baßſtimme mit feiner Namenschiffer „I. 9.“ bezeichnet, 
allein da aud) andre Choräle älteren und befannten Urfprungs®) diejelbe Bezeichnung 
tragen, fo bleibt bis auf weiteres noch zweifelhaft, welde derfelben von ihm erfunden 
und melde bloß von ihm Garmonifiert find. Zwei diefer Weifen: 

Gieb dic zufrieden und fei ſtille. Nr. 780. ©. 1060 (vgl. den Xrt.). 

Alle Mengen müſſen fterben. Nr. 1016. © 1355 (vgl. den Art.). 

find in den allgemeinen Kirchengebrauch übergegangen und Haben ſich bis Heute in 
demfelben erhalten. Hinge Rarb in dem hohen Alter von fait 80 Iahren am 
5. Mai 1702 zu Berlin.) 


Hitzler, Mag. Daniel, ein wärttembergifcer Theologe und Muſitſchriftſteller, 
der in einer „Musica nova® eine von ihm erfundene Bebifation (anftatt der ge- 
brãuchlichen Sofmifation) befannt machte. Er war 1876 zu Heidenheim im Württem- 


2) Es flellt diefes Wert ein ähnliches Ehor-Mufitöud) dar, wie es Johann Erüger (vgl. 
den Art.) für feine Gemeinde-@-BB. jeweilen ebenfalls bearbeitete. Bel. u. Winterfeld, Ev, 
8.0. UL S.X fi. 

*) Bie j. ©. ©. 1859 eine Melodie aus Melhior Bulyius, oder S. 1888 eine folde 
von Heinrich Aibert. 

2) Die Angabe, daß er „gegen Ende des 17. Jaheh.” geflorben fei, die man bei Stil: 
fing IM. &. 592. $etis IV. ©. 387. Berndorf IE: ©. 416. Paul I. ©. 449 findet, if 
sahen falfh. Bol. v. Binterfeld, a. a. D. II. ©. 188 f.; Speners Leidienpredigten, XII. TI. 
S. 218 fi. 





606 Höfer Formierer ıc. Höchſt erwünſchtes ıc. 3. 6. Hoffmann. 


bergiſchen geboren, und wurde, nachdem er an verſchiedenen Orten als Prediger gr 
wirtt hatte, Paftor und Schulinſpettor der evangelifhen Gemeinde zu Linz, dar 
Superintendent zu Kichheim u. T. und endlih Generalfuperintendent (Prälet; ir 
Stuttgart. Ws 1634 der württembergifhe Hof und die Regierung infolge dr 
Schlacht bei Nördlingen gezwungen waren, nad) Straßburg zu fliehen, kam er mit 
dahin und ſtarb dan in diefer Stadt am 4. September 1635. — Er gab heraus 
Muſitaliſch ſigurierte Melodien der Kirchengefänge, Pſalmen und geiftliter 
Lieder. Straßburg, 1634. 12°, eine Sammlung vierftimmiger Choralfäge, dr 
der Drganiſt Johann Ulrich Steigleder (vgl. den Art.) zu Stuttgart angeey 
Hatte. Sie enthält Tonfäge von H. Leo Hasler, Ioh. Brafficanus, Kane 
im Sing, Steigleder u. a. und ift im der Weife der Goudimel’iden Pialner 
in für ſich ftehenden Stimmen jedob ohne Tert gedrudt, da das dazugehörige 
9.8. jgon 1624 erfhienen war. Bol. Adlung, Anleitung zur mufitalilger 
Gelahrtheit. 1758. ©. 179—180 und ©. 669. 
Höchſter Formierer der löblichſten Dinge, Choral. Das Lied von Kaen 
v. Rofenroth erfhien in deffen „Neuem Heliton von neun Muſen.“ Nürnb. 168 
S. 149. Nr. LVIII mit einer vom Dichter felbft erfundenen Melodie, die zuer 
in das Darmft. GB. 1698 und in Freylingh. GB. 1704. Nr. 483 (Ed. 
Ausg. 1741. Nr. 1189. S. 800 f.), aber nicht in den allgemeineren Kirder- 
gebrauch aberging; ftatt ihrer wurde dem Piede die Melodie „Liebfter (Schöne) 
Immannel, Herzog der Frommen“ (vgl. den Art.) zugeeignet. 


Höchft erwünſchtes Freudenfeit — Kantate von Sch. Bad) zur Einweihuy 
der von Zacharias Hildebrand erbauten neuen Orgel zu Störmthal bei Leipzig sc 
2. November 1723. gl. Spitta, Bach II. S. 194—197. Im derfelben fin 
groei Choräle verwendet: „ifrem did fehr, o meine Seele“ mit Strophe 6 um ĩ 
(„Heilger Geift ins Himmels Tprome“ und „Deine Hülfe zu mir fende“) des Lie 
„Treuer Gott, ih muß dir Magen“ von Johann Hermann — und „Nun laßt un 
Gott den Herren" mit Strophe 9 und 10 („Sprich ja zu meinen Thaten“ urd 
„Mit Segen mid, befgütte”) von „Wad auf mein Herz und finge*. Später be 
fimmte Bad dies Wert in mehrfach veränderter Geftalt für das Trinitatisfeft. 

Hoffmann, Johann Gottlob, geboren am 26. März 1758 zu At-Kemrz 
bei Hirſchberg, war feit 1802 Kantor an der Friedenskirche und erfter Schullollez 
am Lyceum zu Janer, wo er am 11. Juni 1823 geftorben ift. Cr legte 18% 
ein handſchriftliches Choralbud) für feine Kirche an, das er bis an feinen Tod fe 
fünete, und in das er aud derſchiedene von ihm fomponierte Choräfe aufnafe. 
Jatob und Richter, Eh.-®. II. Nr. 649. 689. 861. 1026 teilen vier derſelde 
mit, die demnach daſelbſt in Kirchengebrauch gefommen find. — Aud von feinen 
Anıtsnahfolger, Karl Wilhelm Julius Hade, geft. am 21. Dftober 1863, fm 
a. 0. D. Rr. 1140. 1177. 1234 drei Choräle aus dem genannten handihri 
lien CH.B. veröffentlicht. i 


Hohlflöte. 607 


HoHlflöte,') eine fehr brauchbare und darum auch viel gebrauchte Labialſtimme 
der Orgel, die in Dispofitionen jeder Größe gewöhnlich im Manual, aber auf im 
Pedal gefegt wird. Mit ihrem vollen, weichen, aber etwas hohlen Ton giebt fie 
3 B. für die Gambenftimmen eine wertvolle Grundlage und Füllung, läßt jedoch, 
wenn ihr von einem geididten Intonator ein hornartiger Toncharalter gegeben wird, 
auch die Verwendung ais Soloſtimme jehr gut zu. Ihre gewöhnliche Tongröge ift 
gegenwärtig 8° und 4°, feltener findet man fie mit 16°, und in älteren Orgelwerken 
and mit 2° umd felbft mit 1';%) außerdem wird fie als Quinte 5%s‘, 2%‘ und 
1!‘ unter dem Namen Hohlquinte gefegt, und im Pedal fteht fie zuweilen unter 
der fpeciellen Bezeichnung Hoplflötenbag.) Ihren Tondaralter erhält fie durch 
weite Menfur — etwas weiter als das Normalprincipal eines Werkes!) —, breite 
Labien und ziemlich hohen Aufſchnitt. Die hölzernen Pfeifentörper Haben rechtedigen 
Querſchnitt?) und es wird das breite Labium auf einer der Breitfeiten, die in den 
höheren Oftaven von Birnbaumholz find, öfters von innen ausgeftogen; die untere 
Oftave ift meift gededt, oder in eim Gedadt übergeführt. — Neuere Abarten der 
Hohlflöte find: die Clarabella (vgl. den Art.) der engliſchen Drgelbauer, und die 
Jubalflöte (Fubat) einiger deutſchen, die jedod Zinntörper und daher ſchärferen 
Ton bat. 





*) Im älteren Orgeln auch Hohlffaut, Hohfpfeife (auch Walder: Nühlganfen, Bofton, 
jat noch Hohfpfeife 4) Thunflöte genannt. Biermann, Organogr. hild. 1738. &. 5 fagt 
dohtflöte 3° Heiße aud Thundaß und Subbaf; Prätorius, Synt. mus. I, ©. 132 berichte, 
ie fei font and Koppel, Subbaß und Täunbaß genannt worden, „darumb, daß fie weit und 
Önend gellungen, und den Werten eine Gefondere braufende Art in der Tiefe gegeben hat.” 
Reuerdings Heißt fie da und dort aud Tibia (vgl. Chrift, Einrigtung der Kirgenorgel. 1888. 
3. 24). Balder, Bauleliche, Frankfurt, hat im HM. „Tibia major 16%. 

*) Prätorius, a. a. D. II, ©. 131 ff. S. 168 unterfheidet: Großhohtflät 8, Hohfflöt 4, 
nd Sleinfoftflör 2. Nech Adlung, Mus. mech. org, I. ©. 108 hieß Yohlflöte 1° aud 
Suiflöt” oder „Sioflöt”, „jo elige unter die Principalftinmen reinen." Ah die „Walb- 
ör” zählt Veätorius unter die Hohfflöten, und Adlung, a. a. O. ©. 165 meint: „und wird 
dh wodl zwifden der Hohfe und Walbflöte wenig oder gar fein Unterfäied fein 

3) Hoßtflöte 2° umd 1° im Pedal, 3. ©. bei Scheibe, Baulinerorgel, Leipgig, 1715, bei 
Jabfer, Weingarten 1750 u. a. — Neubfe in der neuen Domorgel zu Magdeburg feht 3 B- 
vonfflöte 4° im HM, Yohtflöte 16° und 8 im IT. Man. und Hobtflöte 4° im II. Pedal (bei 
3. Sm). 

+) Brätorins, a, a. D. ©. 181 fagt in Begug auf die Menfur der 9: „if ein offen 
tirmmmerd, welches viel weiterer, doch maß fürzerer Denfur, als die Principale, und gleich- 
18 meite Corpora fat. Und an jfrer meitten bald Gedacter Menfur feynd, ohne daß fie 
ıgere Labia haben, Und dieweif fie offen und fo weit find, fo klingen fie auch fo Kohl; daher 
men dann der Name Hohlfloit gegeben worden.” 

*) Sr. Schulze und Söhne haben in der großen Orgel der Georgsfiche zu Doncafter in 
ngland (94 M. Stn. 5 Dan. und Bed.) die fie 1857-1862 erbauten, eine Hohlflöte 8, mit 
ifeitigen Bfeifentörpern gelebt. Wal. Hopkins and Rimbault, The Organ etc. 1817. 
» ©. 138. ©. 541-548. 















608 Chr. $. Hohmann. ©. A. Homilins. 


Hohmann, Chriſtian Henri, war am 7. März 1811 zu Niedemem, 
einen Dorfe bei Schweinfurt, geboren und erhielt den erften Unterricht in der Daft 
dofelbft, ſowie von dem Organiften Stepf in Schweinfurt. Fruhe erlangte er iur 
nicht unbedeutende Fertigfeit im Rlavier-, Orgel: und Biolinfpiel, wie er auf ad: 
Holz. und Blehblasinftrumente erfernte, und ſich außerdem fleifig mit theoretitee 
Studien in der Mufit befhäftigte. Yon 1825 am beſuchte er die höhere Büry 
ſchule zu Schweinfurt, wo er fid) für den Lehrerberuf vorbereitete und bereits fl 
Mavier- und Generalboßunterriht gab. 1830--1832 abfofvierte er das Lehen 
feminar zu Altdorf, und war dann von 1833—1843 als Lehrer an der Ceminer 
fufe, forvie in mehreren Zweigen des Mufitunterriäts om Seminar daſelbſi tät 
1843 wurde er als Lehrer der Mufil an das neuerrichtete Seminar zu Schmahrt 
berufen, wo er mit beſtem Erfolg wirkte und namentlic, feine trefflicen in ve 
ſchiebenen Auflagen erſchienenen Mufikunterricits- Werte (Lehrgang für den Grenz 
Unterricht; Biolinfhule; Mavierfhule; Orgelicule ; Lehrbuch der mufit. Komp. 22% 
1866— 1857) ſchrieb, Die ein ganz bedeutendes Lehrtalent dokumentieren. Det 
enteiß ihm der Tod fhon am 12. Mai 1861, erft 50 Dahrt alt, feiner reiser 
Thätigfeit. — Bon feinen Werten find Hier aufzuführen: " 

1. Praltiſche Orgelſchule. 2 Kurſe. — 2. 72 Choräle für vierftimmin 
Mänmergefong mit Verüctfihtigung der im 16. und 17. dahrh. üblichen 6 
arten. 3 Auflagen. — 3. Zwifhenfpiele zu den gebrändlicften Chorälen. — 
4. Eine Aızahl einzelner Drgelftäde.‘) 





Homilius, Gottfried Auguft, der einft hochangeſehene Mufidireltor der dr 
evangelifcien Haupttirchen und Kantor der Kreuzichule zu Dresden, war am 2. fr 
Heuor 17149) zu Rofenthal bei Mönigftein am der färhftic-bähmifhen Grenze > 
boren. Sein Bater war der dortige Paftor Gottfeied Abraham Homilius, der ar 
fhon im Sommer desfelben Jahres 1714 auf die Pfarrei vorſcendorf überfieden 
Über des Sohnes Jugendleben, über feine Schul. und elementaren Mufitftadien # 
nichts Sicheres mehr befamnt; dagegen wiffen wir, daß er fpäter zu Leipzig ci 
Sqhilet in der Mufit zu Seh. Bachs Fügen geilen, und es fiept daher die Le 
mutung nahe, er werde dort aud die Thomasihule und die Univerfität befut &> 
ben. Nach Beendigung feiner Studien erhielt er 1742 die Stelle des Orgunitrr 
am der Frauenkirche zu Dreöden und wurde Damit der würbige Kollege Wilkts 
Friedemann Bade, der 1733-1747 als Drganift an der Sophientiche edit 


H Ober die andern feiner Werte vpl. man 3. 8. Päd. Jahresber. 1856. ©. Susi 
Süvoeutfe Vufzitung. 1852. Nr. 22. — Auf die in viele Sculliederfammlungen ze 
gegangene Melodie „Lane Lüfte fühl ich weben . if von ihm und feht in feinem Geangstariss 
©. 91. Nr. 98. Uber fein Leben finden fih Mitteilungen Euterpe 1861. S. 186—133. 19°. 
©. 37—42, Alg. Schulgeitg. 1800, ©. 494. 

») Nicht „1712“, wie Spitta, Bad} II. S. 125 Sat, während er Allg. deutſce Biogr. NE 
©. 53 das richtige Datum giebt. Bol. Gerber, Altes 2er. L. ©. 005. 





Gottfr. Ang. Homilins. 609 


wirfte. H. erwarb ſich durd fein Spiel auf der ſchönen, 1736 von Gottfried 
Cibermann erbauten Orgel!) der Frauenkirche bald den Ruf „eines der größten 
und würdigften Organiften“ feiner Zeit; gleichwohl aber ſcheint feine Anfangsftele 
zu wunſchen übrig gelaffen zu haben, da er fih 1753 um den erfedigten Organiften: 
dienft zu Bitten bewarb, für den ihm jedod Johann Trier (vgl. den Art.) vor- 
gezogen wurde. Dagegen rückte er dann in Dresden unter dem 10. Juni 1755 zum 
Kantor und Quintus an der Kreuzſchule und Direktor der Kirchenmuſit an den drei 
evangelifchen Hauptfichen®) vor, und in diefer Stellung flo von da ab fein äußere 
Leben „höhft bürgerlich, einfadh, anſpruchslos, rechtlich, nur der forglihften Pflicht: 
erfüllung geroidmet, ohne alle Ruhmfucht” dahin, wenn ihm and mehrfothe jhmerz- 
liche Familienereigniffe nicht erfpart blieben.) Als trefflicher Lehrer bildete er Schüler 
wie Joh. Adam Hiller, Weinlih u. a.; als Komponift widmete ex feine Thätigfeit 
faſt ausſchließlich der evangelifcien Kirchenmuſik, und es werden namentlich die deft⸗ 
mufiten, die er 1755 zur Erinnerungsfeier an den Mupsburger Religionsfrieden, 
und 1763 zum Friedensſeſt auf das Ende des fiebenjährigen Krieges fhrieb, „als 
Glanzpunlte diefer feiner kompoſitoriſchen Thätigfeit” Hervorgehoben. Als Orgel: 
iviefer endlid) „zeigte er (ie Gerber a. a. D. berichtet) noch 1776 vor Joh. Friedr. 
Reijardt feinen Reichtum an Gedanten, feine große Kenntnis der Harmonie, feine 
außerordentliche Fertigfeit und feine Regiftriertumft." Im Dezember des I. 1784 
erlitt H. einen Schlaganfall und es mußte ihm fein Schüler Weinlich fubftituiert 
werden, der dann aud), als jein Meiſter am 2. Iuni 1785) ftarb, defien Nachfolger 
wurde. — Wenn die Zeitgenofien H. als den größten proteſtantiſch-kirchlichen Ton- 
ger feiner Zeit rühmten,) fo hatten fie von ihrem Standpunft aus nicht unrecht 
yenm er at in der irchlichen Votalmufit wirklich, das Bedeutendſte geleiftet, was der 
Rationalismus der zweiten Hälfte des 18. Iahrhunderts überhaupt noch zu Leiften 
vermochte, und es war nicht feine Schuld, daf der Geift der Zeit, welder er an- 


3) Sie Hatte 48 M. Sin. und wurde beſonders bemerkt, weil fie, entgegen dem damaligen 
Braud), im Kammerton, fatt im Chorton fand. Ihre Diepofition ans den „Bresfauer Rad 
ächten von Orgeln.” ©. 27 vgl. man bei Wangemann, Geſch der Orgel. 1861. S. 298. 

») Nämlich der Frauen-, Sophien- und Kreugfiche, von denen jedoch die Ichtere für 9. 
om 19. Juni 1760 an, da fie bei der Belagerung Dresdens zerflört und zu feinen Lebzeiten 
cicht wieder aufgebant wurde, nicht mehr in Betraßt tm. al. Spitta, a. a. D. ©. 54. 

9) 8gl. ©. @. Fin bei Shilling, Univ.Ler. der Tontunft II. &. 622. Nad) Spitte, 
mar er zweimal verheiratet; drei feiner Söhne, weiche Theologie Audiert Hatten, Rar- 
en ihm innerjalb 6 Jahren, 

+) Dies Datum nad) Spitta, a. a. D., während alle Lerita nad) Gerbers Vorgang „1. 
Juni 1785" Gaben. Bol. Säilling, a. a. D. ©. 623; Betis IV. ©. 364; Mendel V. ©. 
82; Riemann, Ruf. 2er. 1884. ©. 402. Beder, Choralfammign. 1845. S. 206; Gitner, 
3erzeidnis neuer Ausg. 1871. S. 119 u. 0. 

9) Bol. Fortel, Bachs Leben. 1801. ©. 42 und Gerber, a. a. O.,, der ſich bie zu dem 
Tanofprud; verfeigt: „Berehren mögte id} ig mandmol wie einen Heiligen, wenn ich fo von 
inen Werlen zu feinem Bildnis tomme.” 

Aümmerte, Gnchtl. d. wang. Rircermuft. 1. 39 











610 Gottfr. Ang. Homilins. 


gehörte, das Hervorbringen wahrer und echter Kirchenmuſikwerke eben jo unmögit 
machte, wie das Dichten wirklicher Kirchenlieder. Sein umftreitig reiches Talent hatte 
Homilius allerdings in Seb. Bachs Schule gebildet und ſich in derſelben eine wi 
liche Technit angeeignet, aber vom Geifte feines großen Meifters ift wenig mer 
bei ihm zu ſpüren. Cr trat vielmehr in Dresden unter den übermädtigen inf; 
der Weife Haffe's und Graun's ) und ließ auch die „Werke der Jieliener aus dr 
Periode Lotti's und Leo's, die ihm in der italianifierten Muſikrichtung des Dresder 
Hofes entgegentraten," auf ſich wirten. Diefe iunſtleriſchen Einflfffe aber war 
für einen evangelifjen Kirhentomponiften wenig förderlich: fie tonnten feinen Et! 
nicht Heben, fondern nur herabdrüden. Und der rationaliftiffe Geiſt der Zeit, 
der 9. lebte und wirfte, mußte dies noch viel mehr tun. Es war ja dieſer Zei 
das Verſtändnis für die geſchichtliche Größe und die religiöfe Bedeutung der Heie 
thatſachen, welche Die ebangeliſche Kirche im ihren Gottesdienften feiert, und daniı 
jeder höhere religiöje Schwung abhanden gelommen, in plattefter philifterhafter Nis- 
ternheit und rührfeliger Empfinbfamteit fand fie ihr Gentigen. Dem Geifte feire 
Zeit aber hat 9. „reilichen Zoll entrichtet,“ und es ift daher jein Kirchenſtil nidt 
mehr der Seh. Bachs, nicht mehr der rein gottesdienftlicer Mufil, die ein Sonntogt 
evangelium in feinen tiefften heilsgeſchichtlichen Beziehungen erfafien umd verfläre 
oder einen Gemeindegoral in feiner ſymboliſchen Bedeutung zum Kern und Str: 
eines Kirchenſtüdes machen will. Seine Paffionsmufiten find zu Paffionsoraterie 
im Sinne von Grauns „Tod Jeſu“, feine Kirhentantaten zu bloßen SKantat: 
mit geiſtlicher Tertunterlage, feine Kirenmufiten zu bloß religiöfen Mufiten gener 
den — wirkliche Kirhen-, d. h. gottesdienſtliche Deufik find fie nicht mehr, we: 
auch nit geleugnet werden foll, daß er in einzelnen Stücen gelegentlich noch da 
Kirgenftil erreicht Hat. Sole Stüde finden ſich namentlid) unter feinen Motetter, 
die zwar in ihrer Gefamteit faum fo hoch zu ftellen fein dürften, wie Spite: 
(a. a. D.) fie ftellt, von denen aber einzelne etwa diefelbe Stellung in der evanze 
lifgjen Kirchenmuſit einnehmen, die einigen Liedern Gellerts im Kirchenlied einge 
räumt wird. Und wenn ein Hymnologe der Gegemvart in diefen Gellert’ichen — 
dern „lebenskraftige Blüten“ anerfennt, „die ſich bis auf die Gegemwart fris 
erhalten Gaben und gepflegt zu werden verdienen," und ſchließlich meint: „mir it. 
als wollten diefe letten Heröftligen Rofen im Liedergarten der Kirche mit ganz k- 
fonderer Teilnahme angeblich ſein,“?) fo fünnen wir dies vom firhenmufitafiite 
Standpunkt aus mutatis mutandis aud auf einzelne Motetten des H. anwenden 
Im ganzen aber fteht H. wenn man die Bach ſchen Werte als auf der höchften, fr 














2 Nach einer Anführung Spitta’s, 0. a. O. nennt ihn Petri, Anleitung zur prakiike 
Mufit, 1767 (2. Aufl. 1782). ©. 102 „gerade Heraus einen Nadfolger Graun’s und Hafer 
und auch das fei „bezeichnend, daß feine Berounderer von einem Berhäftnis zu Bahr: 
mals reden.” 

*) Bot. Fiſcher, Kirchenlieder. Ler. I, Borrede S. VI u. VII. 


Friedrich Yommel. 6 


Kantorenftäde der fpäteren rationaliſtiſhen Zeit als auf der tiefften Stufe ebange 
Üfther Kirchenmuſit ſtehend betrachtet, zwifcien beiden in der Mitte, freilich mit einer 
bedentlichen Neigung nad) unten.) — Bon feinen Werken, von denen mr wenige 
fon zu feinen Lebzeiten, eine Anzahl aber in ſpäteren Sammlungen gedrudt wur- 
den, find noch befannt: 


1._affionsoratorium nad) der Pocfie des Heren Buſchmann. Leipz. 1775. 
— 2. Die Freude der Hirten Über die Geburt Jeſu. Weihnahtemufit. Frant- 
furt a. D. 1777. — 3. Balfionsmufit nad dem Ev. Dartus. 1768. (Dite.) 
— 4. Ein Jahrgang Kirhenfantaten (Mifte.) „den der fel. Berfaffer wenige 
Iahre vor feinem Tode ausgearbeitet und an mehrere Kantoren in Städten 
überlaffen Hat” (Gerber). — 5. 32 ein und zweichörige Dotetten. Bon diefen 
findet fid) eine Anzahl abgedrudt bei Hiller, Bierft. Motetten und Arien. 6 Ze. 
Seipg. 1776-1784. I. Pr. 9. U. Pr. 22. I. Pr. 8. 33. IV. Ir. 9. 
V. Pr. 3. Sander, Heilige Cäcilia. Berlin, 1818, II. ©. 5. 22. 27. 51. 
74. 84. 92. I. ©. 181. Becder, Kirchliche Chorgefänge. Stutig. 18 
1. Rr. 19. 20. II. Re. 18. 19. I. Mr. 24. IV. Re. 34. — 6. Zwölf 
Trios Mer Choralmelodien fiir Orgel. (Mikr.); Davon gedrudt bei Körner, 
Orgelvirtuos: Pr. 38. 127. 142. 171. 188. 189.) — 7. Choralbug) mit 
197 vierftimmigen Chorälen in Partitur (Wiffe. von 78 Blättern, qu. Fol.) 
dgl. Beder, Die Choralfammlungen. 1845. ©. 206. Über einen Choral, der 
9. als Erfinder zugefchriehen wird, dgl. den Art. „Gollt « glei bisweilen 
feinen.“ 





Hommel, Friedrih, ein bayrifher Juriſt, geboren um 1825, der 1849 
Aſſeſſor beim Landgericht zu Hipofftein in Mittelfeanfen, 1851 Keim Gtadte und 
Rreiögericht zu Erlangen war und feit 1853 ala Vezirtegerichtsrat zu Ansbach lebt. 
Yngeregt durd) feinen Sandemann und Berufögenoffen v. Tucher, Hat ſich ©. fleikig 
und mit Berfländnis mit geſchichtlichen Forſchungen auf dem Gebiete des ewangelifcen 
Rirdhengefangs befdiäftigt und gehört zu der Gruppe von Männern, die mit Erfolg 
für Die MWiedereinffirung des alten chythmifhen Chorals in der bayriſchen proter 
Rantifhen Kirche thätig waren. Außerdem wirkte er noch fpeciel für die Wieder: 
5efebung des Bjalmengefangs in der wangelifgen Kirche. — Seine hier zu nennen- 
sen Werte find: 

Der Pfalter verdeutft von D. Martin Luther. Nach der lehten von 

Luther felbft beſorgten Ausgabe abgedrudt. Mit einer Anleitung zum Pfalmen- 

2) &8 ift bezeichnend, daß H. im I. ZI. von I. D. Sanders „Heilige Cäcilia. Lieder, Mo- 
etten, Chöre x. religiöfen Inhalts.“ Berlin, 1818—1819, einer Sammlung von „Kantoren« 
tücten* geiftlegärmfler Art, „Heiner, ſpießbürgerlicher Chöre, mit biedermännifher Gemüt it 
es Ausdruds“ nicht erfheint, während im II. ZI., der doch etwas höher filifierte Mufit bringt, 
verjchiebene feiner Motetten ftehen. 

2) Eines diefer Trios bringt auch das Württ. „Orgelſpielbuch von Kocher, Silcher und 
rrech.“ Stuttg. 1851. ©. 236, ſchreibt es aber Bach zu und nennt deshalb in feinem Kom- 
yoniftenverzeiäinis S. IV Homilius nicht. 





39* 


612 Edward John Hopkins. 


gefang. Stuttg. 1853. S. ©. Lieſching (jegt C. Bertelsmann in Gütersici). 
— Der Pfalter nad) der deutſchen Überfegung Luthers für den Geſang ein 
gerichtet. Stuttg. 1859. Daf. — Antiphonen und Pfalmentöne. Mufttalifie 
Beilage zum Pfalter. Fr den gottesdienftlihen Gebraud des Diatonifen 
Haufes in Nenendettelsau bearbeitet. Nürnberg, 1871. Löhe.) — Liturgie iu 
therifcher Gemeinde-Gottesdienfte. Nördlingen, Bed’ihe Buchhdlg. 4°. — 
ner: Geiftlihe Volkslieder aus alter und neuerer Zeit mit ihren Singweiſen 
Seipgig, 1864. Teubner. XIX u. 309 ©. Ser. 8%. 2. Ausg. 1871. — Bi 
Sayrig, Kern II. 1855. Ir. 203. ©. 40 findet ſich folgende von ihm 1849 
tomponierte Choralmelodie in quantitierendem Rhythmus: 
— nr 

— — = Si + 


dan der Mitt- ler, der zur Rech ien fei «nes gro - fen Ba-ters fitt 
Und die Schar von fernen Knediten im dem Weich der Gna-den fdükt: 



































— m m m: Sal Zr 2: 
den auf dem er- hab- nen Thro-ne im der für mig-li-den Krone 

Ba =; F FF 
BE —— nn ne 


al »Ies Heer der Ea wig . leit mit. ver «hilf -tem Ant «fig ſcheut. 





















































Hopfins, Edward John, ein englifher Organift und Kirgenfomponift, jew 
treffliger Kenner des Drgelbaus, der am 30. Juni 1818 zu Weftminfter-Lonk: 
geboren wurde. Er erhielt von 1826 an als Chorkabe der Chapel Royal jür 
muſitaliſche Bildung und madjte von 1833 an nod weitere Studien unter Ti 
Forbes Walmesley's Leitung. Seit 1834 war er als Organift an verigiedern 
Kirchen in London angeftelt, bis er 1843 an Temple Church kam, an der — 
feine Hauptwirtfamfeit als Kirgenmufiter entfaltet Hat, fo daß der muſitaliſche Tel 
des Gottesdienftes in diefer Kirche unter feiner Leitung bejonderen Ruf erlangte. — 
E ſchrieb an Kirhenmufit: 

4 Services & 6 Nen.; 10 Anthems mit und ohne Orch.; Gefänge un? 

Pſalmen vondon, Novelo, Ewer & Cie. Sein Hauptwert, das bedeutender 

Wert hat, ift: The Organ, its History and Construction etc. 18 

2. Aufl. 1870; 3. Aufl. 1877. XXXU u. 796 ©. gr. 8°. — us 

Sammlung von Arrangements fir Orgel gab H. unter dem Titel: „Selec: 

Organ Movements, consisting of a series of Pieces taken chieir 


from the scores of the works of the great masters. 22 numbers æ 
one Volume. London, Novello, Ewer and Co. heraus. 











1) Im diefen Schriften Hat 9. „Sämtliche Bfalmen mit ihren durd; Abſäte unterfgiehe 
Versgliedern und befonderen Kennzeichen für die betonten Silben, bei denen die melediſche S 
den einteitt, fowie mit den dazu erforberfiden Noten und Kurzer Ynleitung zu üsrem Pi 
Tieren, für den allgemeinen Gebrauch zugerichtet.“ Val. Koch, Geld. des 8-2. VIL. S. 102" 


Chr. 6. Höpner. Horn. 613 


Auch fein jüngerer Bruder, John Hopkins, geboren 1822, ift ein Organift 
von Ruf, der von 1838 am am verfhiedenen Londoner Kirchen wirkte, feit 1856 
aber an der Kathedrale zu Rocheſter als ſolcher angeftellt ift. Don feinen Kirchen- 
und DOrgelftüden wurde nur weniges gedrudt. — Gin Better diefer beiden, John 
Larkin Hopkins, war 1820 zu Weftminfter geboren, von 1841 an Organift zu 
Rocheſter, dann feit 1842 Univerfitätsorganift zu Cambridge, wo er ſich den Doftor- 
titel erwarb, und ftarb 25. April 1873 zu Bentnor. — Bon ihm find an Kirchen- 
werfen erfhienen : 

4 Services, 15 Anthems mit und ohne Ordefter. London, Novello, 

Ener & Cie. 

Höpuer, Chriftian Gottlob, ausgezeichneter Orgelipieler und tüchtiger Orgel- 
tomponift, ift am 7. November 1799 zu Franlenberg bei Chemni geboren. Als 
Sohn eines Webers mußte er das Handwerk feines Vaters erlernen und fonnte die 
elementaren mufifalijhen Kenntniffe und Fertigteiten uur auf autodidattiſchem Wege 
ſich aneignen. Erſt 1827 wurde es ihm möglich zu Iohann Schneider nad Dres- 
den zu gehen, um deffen geordneten Unterricht zu genießen; vier Jahre (ang ftudierte 
er num unter der Leitung dieſes Meifters mit folhem Erfolg, daf er als einer. der 
beiten unter den vielen Schülern desfelben galt. Nach vollendeten Studien lebte er 
118 geſchätter Muſillehrer in Dresden. — Bon ihm find folgende Orgelwerle im 
Drud erfhienen: 

Op. 2. 8 Vorſpiele und 2 Fugen. Dresden, Mefer. — Op. 5. Phan- 
tafie Es-dur. Daoj. — Op. 10. 9 ausgeführte Choräle. Dresden, Arnold. 

— Op. 11. 10 Adagios im freieren Stil. Daf. — Op. 12. 6 Orgelftüde, 

Erfurt, Körner. — Op. 14. 34 Drgelftüde. Daf. — Op. 19. 4 varüerte 

Choräle zu 4 Händen, Daf. — Op. 21. 3 variierte Choräle und 2 Fugen. 

Daf. — Präfudium und Fuga A-moll. Daf. — Adagio G-dur. Daf. — 

Außerdem enthalten die verfciedenen Sammlungen &. WB. Körner's nad eine 

ziemlihe Anzahl einzelner Drgelftüce von ihm. — 

Horn als Drgelregifter. Das Beſtreben den Hornklang für die Orgel zu 
ewinnen, Hat von jeher die verfciedenften Drgelitimmen hiefür ins Lehen gerufen, 
ie ihren Zioed baLd vollfommener, bafd weniger vollkommen erfüllt haben und noch 
füllen. Einzelne ſolcher Stimmen find in den Art. „Cornett“, „Fluttuan“, „Wald- 
orn“, „Zint“ näher beſchrieben, andere, die jegt vergefien find, führen Orgelfhrifte 
eiler wie Adlung, Biermann, Wolfram, Samber, Marpurg u. a. nod an. Im 
ingland wird unter dem deutſchen Namen Horn eine Zungenftimme mit 8 Fuß- 
m im Manual gefeßt, die der Orgelbauer Richard Bridge!) 1730 erfunden haben 
MM, und die wohl aus dem alten deutfhen Zinlen herausgebildet iſt. Sie hat 
örper von Zinn oder Metall von weiterer Menfur und weichere, weniger ſchmet 
ende Intonation als die Trompete. 


kinbault, The Organ. 1877. 1 6. 144. I. &. 144. 





614 Hornbäßlein. 2. v. Hörnigk. Hört auf mit Trauern ꝛc. 


Hormbäßlein, als eine Labialſtimme mit 2 Fußton und Hornartig intoniet, 
ſtand nad Prätorius, Synt. mus. II. &. 186 in einer Orgel zu Büdeburg, im 
Namen nad wahrſcheinlich im Pedal. — Hornwerk nannten ältere Orgelbaur 
eine gemiſchte Stimme, eine Art Cornett, in dem ein Chor befonders hervortreten 
die große Terz angab, der alfo, wie Samber richtig bemerft, nichts anderes als cin 
Sesquialter (vgl. den Art.) war. — Ein andres Hornmwerf genanntes, org: 
artiges Inftrument, das eine aus Subbaß und Principal, Oftav, Quint und Super 
oftav Tombinierte große Mirtur darftellte und durch ein Walzwert getrieben murte, 
führt v. Dommer, Mufit. Ler. 1865. ©. 435 an, und bemerkt dabei, daß cr 
ſolches auf der Höhe des erzbiſchöflichen Schloſſes zu Salzburg geitanden habe, ode 
vielleicht noch ftehe. 


Hörnigk. Ludwig v., war um 1600 zu Darmſtadt geboren. Er ſtudierte zu 
Siegen und Straßburg Durisprudenz, dann Medizin und wurde am fegterer Uni: 
verfität, nachdem er Reifen in Stalien und Frankreich gemadt Hatte, Doktor da 
Philoſophie und Medizin, fpäter aud noch der Rechte; als kaiſerlicher Rat und far 
mainzifcher Hofrat lebte er dann zu Frankfurt a. M., trat 1647 zur katholiſche— 
Kirche über, und ſtarb zu Frankfurt 1667. — Zu der am 23. duni 1633 zu 
Frankfurt veranftalteten Totenfeier des Könige Guſtav Adolf von Schweden didtet: 
und fomponierte er Das died: „Mein Wallfahrt ih vollendet Hab“ (vgl. den 
Art.), das bei diefer Beranlaffung „in der Kiche zun Barfüßern am erften muficiret 
worden.“ 


Hört auf mit Trauern und Klagen, Choral. Der „fürtrefflih-ihön 
Hymnus Aurelii Prudentii „Jam moesta quiesce querela“ (vgl. den Art. 
wurde in der evangelifcen Kirche hei Begrähniffen vom Chor bis ins 18. Jatt 
Hundert herein lateiniſch gefungen; für den Gemeindegefang entflanden aber aub im 
Neformationsjahrhundert ſchon deutſche liedmäßige Bearbeitungen, von denen die 
unfeige die verbreitelfte wurde.) Die Melodie, welhe als gleihaltrig mit dem 
Hymnus angefehen wird, alfo dem 4. Jahrhundert angehören foll, erſcheint im 
wangelifcgen Kirchengeſang zuerft bei Joſ. ug, G.8. 1543 und Bal. Babi, 
G. B. 1545 zunähft mit dem lateiniſchen Tert,*) dann in Verbindung mit unfrem 
und verſchiedenen andern deutſchen Liedern (namentlich) im Gefangbud der Böge 
Brüder) von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an allgemein, aber in mar 

*) Einige andre find: „Hört auf alles Klag und Sehnen, wiſcht ab von Augen die Tri 
nen,” dgl. Wodernagel, RL. IV. Nr. 270; „Dürt auf zu weinen und Magen, weint midt, ai 
wollt iht verzagen,” vol. Wadernagel, a. a. D. IV. Nr. 282: „Laßt ab vom Zrauern, & 
Eoriflenfeut“: „Laffet Mag und Zrauern fahren“ u. a. „Au dem Begräbuislied von Kid; 
Beibe „Rum faßt uns den Leib begraben“ Liegt der Hymnus zu Grunde. Bgl. Fiſcher, Rirden 
fieder-ter. I, ©. 314. 

2) Bal. v. Tucher, Shay I. &. 391. Layriz, Kern IL. S. VI u. a. 





Hofe. Human-. 615 


nigfotigfter Zeihmungsmeife. Sie heißt in neuerer Form (. B. hei Blüßer, Ch.-2. 
1825. Ir. 252. ©. 169): 

















R 
Sg 7 z — 
— — 
Jam mo- e-staquisscequere-la, 1a -cry mas suspen-di-te,ma-tres: 
Hört auf mit Trauernund lagen ob dem Tod Niemand ver » ja «ge- 


























= - 
——— SE) 
nul-Ius su-a pig-no-Fa plan-gat, mors hase re · pa- ra · ti · 0 vitacest. 
Er in ge » Morcbenate ein Eheift, fein Tod ein Gang zumfe- ben if. 
Die älteften Gefangbüdjer, die das Lied und die Melodie bringen, find: das G.B. 
ver Böhm. Br. 1566. Bi. LXXIb; die Frankfurter (1568. ©. 1856) und Nürn- 
verger ©.-BB. (von 1575. ©. 304 am), das Dresdner G.B. von 1593. ©. 
216 u. a.; dann die Rantionale wie Calvifius, Harm. cant. eccl. 1597. Nr. CX 
CXII). Bulpius, ©.-8. 1609. S. 564; Prätorius, Mus. Sion. VIII. 1610. 
tr. CLXVIII; Demantius, Threnod. 1620. S. 683; Schein, Cant. 1627. ©. 
32; Grüger, Prax. piet. mel. 1656. ©. 960; Cant. Sacr. Goth. III. 1657. 
70; Bopelius, G.B. 1682. ©. 932. Auch im 18. Dahrhundert ift die Der 
die noch in den bedeutendften Choralbilciern zu finden, fo 3. B. bei Telemann, 
8. 1730. Nr. 227. ©. 110; Dregel, CheB. 1731. ©. 691; König, Harm. 
iederiag 1738. S. 448 u. a., während Freylinghaufen und die ihm folgenden 
etiftifen -BB., gleichwie die der rationalififgen Zeit fie nicht mehr Haben.') 
- Bon Anfang an war das Lied öfters auch auf die Melodie „Nun laht uns den 
:ib begraben" (vgl. den Art.) verwiefen worden; fo Hat es ſchon in einer feiner 
teften Quellen, dem Cihhorn’ihen GB. von 1561. Bl. 172 die Überfgrift: 
Fin ander Lied, Im vorigen Ton" (eben „Nun laßt uns den Leib begraben”), 
ıd auch jpäter kommt diefe Verweiſung noch mehrfad vor, mie z. B. bei Witt, 
salm. saer. 1715. Nr. 731. ©. 391, bei Doles 1785, Ritter 1856 u. a. 


Hofe oder Büchſe, Heißt in der Sprache der Orgelbauer die zum Fuß eini- 
€ Zungenfimmen, wie 3. B. der „Vox humana mit Hofen,“ gehörige weitere " 
yeckte, jedod mit zwei Seitenlöchern verfehene Röhre, in der als engere Röhre 
3 mit dem Schallbecher feſt verbundene Mundftüct mit der freiſchwingenden Zunge 
#t. Bol. auch den Art. „Vox humana“. 














Human, ein früßer gebräugfiches Beiwort zum Namen einiger Orgelftimmen 
der Bedeutung von lieblich, fanft: man fagte 3. B. Humangedadt flatt 








9) Drei Tonfäge zu uufrer Dielodie von Joh. Eccard 1598, Melk. Bulpiu 1804, und 
&. Brätorius 1010, teilen Schoeberlein-Wiegel, Shay III. Nr, 5333. b. c. ©. 799-801 
— Über das Borlommen der Weiſe in Tatholifdien deutfen G.-BB. vgl. man Meifer- 
amter, Das fath, deutice 8.2. II. 1883. Mr. 389. ©. 309-810. 





616 Hummelden. 3. P. Hürsthel. Hut. 


Lieblihgedadt oder Stillgedadt. Vgl. Adlung, Anleitung zur mufil. Gelehrt 
1758 ©. 380 und Mus. mech. org. I. &. 99, wo er bemerft, daß Gedadt $ 
„wenn es auf Flötenart gemacht“ werde, auch Gumangedadt heiße. 


Hummelden hieß eine der verſchiedenen Spielereien in alten Orgeln. Tai 
Summen der Hummel, die auf der Heide „langſam vorüberdröhnt, wie ein ver 
hallender Orgelton“ (Maſius, Naturftudien: „Die Heide”), ſuchte man auch cı 
Mufifinfteumenten nadzuamen: fo auf der Bauernleyer mit ihren zwei beftä 
fortfuinmenden Saiten, oder auf der Sadpfeife mit ihren zwei fogenannten „tin 
mern“ oder fortllingenden Pfeifen. As eine Nachahmung der Sadpfeife ift weh 
das Hummelden in der Drgel anzufehen. Ob es hier den allerdings fehr prufi 
{hen Zwed hatte, in Sandfirgen „den Bauern den Schlaf zu vertreiben”, den ihr 
Dr. Reiter bei Wangemann, Geſch. der Drgel. 1881. S. 535, unterfiebt, mx 
dahin geſtellt bleiben; wie es fonftruiert gewefen, fei (demfelben Schriftiteller zuſ 
nicht mehr zu ermitteln, während es unter „Hümimelchen“ bei Schilling, Univ. Lu 
der Tonfunft I. S. 649 Heißt: „durch Anziehen eines Regiflers tönten ji 
ſchwach anſprechende Zungenpfeifen, von denen die eine in C, die andre in F ode 
G geftimmt war, fo fange fort, bis man den ‚Zug wieder abflieh.“ 


Hürrthal, Johann Peter, war am 27. November 1762 zu Nünderat g: 
boren; feine erfte Stelle ala Lehrer erhielt er 1779 zu Neuftedt, von wo er Enk 
Februar 1782 nad Mühlgeim am Rhein überfiedelte. 1784 iam cr dann a 
dehrer und Organift nad Radevormwald bei Solingen im Bergifhen, md hir 
farb er am 30. Därz 1833 im 72. Pehensjahre. Bon ihm erihien: 

„Bierftinmiges Choralbuch zum Gebraud in Schulen, wie aud für Sinzr 
hore umd Anvierfpieler bequem eingerichtet." Duisburg und Eifen, Bäder: 

1810. gr. 89. Die Borrede des Buches, das 153 Choräle enthält, it nce 

Oktober 1809 datiert, doc fälicht Erf, Ch.®. 1863. ©. 242 aus ce 

diefer Vorrede, daß es wahefgeinlih fjon 1802 gedruct gewejen it.) Bid 

Chorolmelodien zu „les ift an Gottes Segen” und „Wer weiß wie nett 

mir mein Ende“, für Die diefes Ch.-®. als Quelle angejehen wurde, war mız 

deshalb geneigt, ihm ala Erfinder zugufcreiben — vgl. Ext, Euterpe 1803. 

S. 183 —; dot find diefelben end älteren Urfprungs, wie in den beider 

Art. über fie nachgeroiefen ft 








Hut, Haube, Stulpe, pileus, pileum, Heißt bei den gededten jian 
nen Sabialftimmen der Orgel der ebenfalls aus Orgelmetall Gergeftellte Dedt, 
über die Pfeifenmundung geftifpt wird, um die Dedung zu bewirten. Cr hefık 
aus einem Boden mit an denfelben amgelöteten cylindrifhen Rand von veridieder: 
Länge und Weite. Leptere muß die Mindungsweite der Pfeife, für die er Betinz 





) Sauer, Gef. der bibl.kirchl. Diät- und Tontunft. 1850. &. 676, giebt 1800 « 
das Jahr des erfien Erfheinens und die Ausgabe von 1810 als eine zweite Auflage — 
ch. v. an. 


Hüter, wird die Nacht ıc. Hydranlos. Hymmus. 617 


if, um foviel überfteigen, daß er um luftdicht zu ſchließen mit weißgerem Schafe 
leder gefüttert werden kann, und doch mod; jo beweglich ift, um beim Stimmen leicht 
auf und niedergeſchoben zu werden. Die Rüdfiht auf diefe Bewegung beim Stim- 
men bedingt nicht nur die Höhe des Handeylinders — bei einer Pfeife von 4’ 
Korpuslänge c. 3—4" —, fondern macht auch die Herftellung des Hutes aus gutem 
Metall don entjpredjender Dide notwendig, damit er fid unter dem Handdrud des 
Stimmenden nicht verbiege. Val. aud die Art. „Deden der Drgelpfeifen" und 
„Gebadt, Gedadte". ö 


Hüter! wird die Naht der Sünden, Choral. Die dem Liede eigen ge: 
bfiebene Melodie erſcheint zuerft bei Freylinghauſen, G.B. 1704. ©. 943. Nr. 
599. (Gefamt-Ausg. 1744. Nr. 1476. S. 1009) in der durd die Meinen Noten 
angebeuteten Form und heißt in ihrer jegt gebräudlihen Form: 





























ni = ES 

- - — — — 
* — 

&e ae em — 

Hüter, wird die Nacht der Cün-den nicht ver-fhtoinden ? Hü- ter, iſt die 


mi 23 


= — 
— Dee 


Nadıt ſchier Hin? wird die in ſier, mis der Sim-men bald ger + rin nen, 



































































dar ein ih ber » bül » let bin? 

die Weife hat ziemliche Verbreitung im edangelifhen Kirchengeſang gefunden; fie 
eht 3. B. bei König, Harm. Liederſch 1738. ©. 304; im Ch-B. der Brüder- 
emeinde. 1784. rt 36e; bei Kühnau, Ch-B. II. Nr. 88. S. 92; Stiiqt, 
B. I. Nr. 897. S. 396; Blüher, Ch.-B. 1825. Nr. 301. ©. 227; Ritter, 
B. für Halberftadt-Deagdeburg. 1856. Nr. 355. ©. 126; Intob und Ritter, 
-B. I. Rr. 452. ©. 415 u. 5. w. Als Porallelmelodien zu Diefem diede 
erden da und dort ſowohl die Melodien von ,Vieiches Antlig, ſei gegrüßet” (opt. 
m Art.) als and von „Meine Armut macht mid, fhreien“ (vgl. den Art.) ver- 
endet. Bon weiteren Nebenmelodien nennen wir mod: eine foldhe im Ch.-B. der 
rüdergem. rt 86b in G-dur, die aud Shiät, a. a. D. III. Pr. 898, ©. 
97 Hat, und eine bei Schicht, II. Nr. 507. ©. 227 zu „Mh, was bin ih, mein 
vretter.” Dod Haben diefe Feine kirchliche Bedeutung erlangt. 


Ohdraulos, vgl. den Art. „Wafferorgel“. 


Hymnus, Hymnengeſang. Unter den drei Grundformen der Lyrik über- 
upt und der geiſtlichen im beſondern, welche die Aſthetit im Hinblick auf das ver- 
vedene Verhalten des Subjettiven zum Objeftiven, des Dichters zu feinem Stoffe, 







618 Hymnus, Hymnengefang. 


unterſcheidet, ift der Dymmus, das Feierlied oder der Lobgeſang, diejenige Form, in 
der das Subjeft aus der feiernden Anſchauung der Größe und Herrlicteit des Ob 
jelts Heraus zu diefem hinauf fingt.‘) Hymnus und Lied find die zwei Grumd 
töne, gleichſam die Tonifa und Dominante, aller chriſtlichen Lyrik; der dreieinig 
Gott und fein Neid, wie es für uns ift, ift Gegenftand des Hymmus; Das gütt 
liche Leben und Reid in uns ift Inhalt des Liedes. Freilich ſo, dag wir nik 
mechaniſch hiernach die Lieder der Kirche fortieren können, oder als ob es ein Fehler 
Wäre, wenn der Hymmus zum Ton des Liedes niederfteigt, oder das Lied fielen 
weiſe zum Hymnus ſich erhebt."?) — Die älteften Spuren des Hymnengefange ir 
der Griftlichen Kiche finden ſich ſchon im der apoſtoliſchen Zeit,) und Die orient: 
liſche Kirche pflegte denfelben bereits in ausgedehntem Mae. Im die abendläntii 
Kixdhe fühete ihn der Biſchof Ambrofius von Mailand ein, und in ihr erwuche er 
fo überfliegender Reichtum von Hymnen, daß man ſich bald veranlaft ſah, ihrer 
firglicen Gebrauch auf ein beftimmtes Maß zu beicränfen;*) während fie im dr 
ſpaniſchen und galifgen Kirche auch zwiſchen den Lektionen (im Graduale) des Heap: 
gottesdienſtes verwendet wurden, wies ihnen die römiſche Kirche ihre Stelle Haut 
jachlich in den Nebengottesdienften Veſper, Horen) an. Ihrer poctifhen Forr 
nad) „ihloffen fih die Hymnen anfangs dem freien Pfalmbau der Hebräer an, wit 





1) Die beiden andern Grundformen find: das Lied, bie Lorit des Aufgehens des Chjett 
im Subjett, und die Betrahitung, die Syrif der beginnenden und wadfenden Ablöſung de 
Subjetts vom Obiett. Bol. Viſcher, Afhetit. III. $ 889 ff. 

?) ol. Palmer, Evang. Hymnol. 1805. &. 193. Die Steigerung des Hymnue, da 
DitHyramdus, if im evangelifgen Gemeindegefang nicht verwendbar; denn er [et nat 
Durſch, Aſthetit. S. 122 „die göttliche Begeifterung in unmittelbares Beſeſſenſein von eisz 
Gottfeit,” und erfält dadurch eine zu bewegliche umd tegellofe Form. „Es tritt der Inhalt i 
das Subjekt Herüber, aber derſelbe it fo Übergemaftig, daß er das ihm nicht gewadifene ©: 
ins Wanten bringt und es Überffutet; er wird Stimmung des Subjelts, aber diefes it der 
dem zu ſiarten Trunfe beraufgt, mit der innern Betäubung kommt die techniſche Form ind 
Säiwanten und ſchweiſt ungebunden in den derſchiedenſten Myihmen hin und her.“ Side 
a. a. DO. II. S. 1384. Dagegen findet Palmer, a. a. D. &. 140 den Dithgrambus drit 
tigen Inhalts im Munde eines Chores als Kirchenmuſit wohl denkbar. Bol. auf Lanr 
Kiräit. HSymnol. I. S. 31 f. 

3) @h. 5, 19. Kol. 3, 16. Aber die verfiedene Deutung diefer apoofifgen Sreler 
vgl. man 3. ©. Lange, a. a. D. I. ©. 29 f. Palmer, a. a. D. &. 88-100. Armincdt! 
Die 6. Blalmodie. 1855. S. 38-67. Rudelbach, Zeitfr. für Muth. Theol. u Kirde. 18 
IV. ©. 625—652. Harletz, Kommentar zum Epheſerbrief. S. 481 fi. Schoeberlein-Ricel 
Stay I. ©. 825. Kornmüller, 2er. der ichlichen Tontunf. 1870. ©. 214. Ambros, Ges 
der Mufit. I. S. 4 u.a. 

+) Nat dem Zeugnis verſchiedener often Schrififeller Hat Gregor d. Gr. bei der Einnitl 
tung feines Geſanges namentlich auch „die allzufehr ausgedehnten ambrofianifgen Gejänze = 
ein geringeres Maß befräntt,“ og. Ambros, a. a. O. II. &. 44 und Riemann, Muftte| 
1884. &. 339 glaubt dieſe Thätigleit Gregor hauptſächtich auf den überwuchernd en Humre| 
gefang beziehen zu follen. 











Hymnus, Hymnengefang. 619 


ver Ausbreitung des Chriftentums aber wendeten fie ſich mehr einen feften Metrum 
ind dem Strophenbau der Griechen und Römer zu; fpäter nahmen fie unter den 
Händen der romanifhen und germanifgen Völter aud) den Reim auf,“ und im Ber: 
aufe des fpäteren Mittelalters gingen fie immer mehr in die Form von Strophen: 
cſangen (meift viergeiligen im Unterſchied von den drei oder fehszeiligen Sequenzen) 
iber.!) Denjelben Entwidlungsgang wie die Terte mahten auch die Melodien 
er Hymnen durch: während die älteren derfelben die größte Einfachheit zeigen, fo 
ab fie im der Regel zu jeder Silbe nur eine Note und allein am Ende der Text: 


eile da und dort ein Heines Neuma haben, 3. B. 
(Nah Kienle „ambroſianiſch 


— = z 
> ee 
Te Mn-eis an-te ter-mi-num re-rum cre-a- tor pos-ci-mus 









































— — — | 
ut so-M-ta clemen-i-a sis prac-sul ad en-sto-di- am. 

igt ſich fpäter, namentlich vom dreigehnten Jahrhundert an, die Tendenz, fie immer 

the mit Tongruppen zu fümlden, immer reider zu geftalten, 3. ®. 

BZ —— 2: 





























— — — — 
Om - - Im-ta-ris ho-stica, quaeeoe-li pan-dis os-ti-um 
32 














an nt 900 en 
bel-Ia premunt ho - sti - li-a, da ro - burfer au - 


id Dies bald in ſolthem Grade, daß fie öfters überlaben und daher ſchwerfällig 
feinen.) Die poctifde Erhabenheit und religiöfe Weihe und Tiefe der Hymnen 
5 Damm aud den hervorragendften Meiftern der polyphonen katholiſchen Kirchen- 
uſit die Anregung, fie in einer faft unüberfehbnsen Reihe von Tonfägen zu ber 
mdeln und „in heiliger Begeifterung mit lhriſchem Schwung und edeifter Nhythmit 
f dieſem Gebiete das Höhfte zu feiften, deffen die Tonfunft fähig if.) ud 
2 evangelifhe Kirche wußte den Wert des alten Hymnengeſanges wohl zu 
ägen; fie nahm ihn daher aud; im ihren gottesbienftlien Gebrauc fo Heriber, 
& er vom der mittelalterlihien Kirche überliefert war, und Heß, wie z. B. Die 








-I-um. 





*) Im ihrer fpäteren Yünfligen, oft auch verlünftelten Form erregten fie nicht nur das 
ißfaffen Apperkritifier Sumaniflen, auch ihre Innigteit und Kirdjfide Würde erlitten wefent- 
ie Ginbuße. „Accessit latinitas, recessit pietas,“ fagte ein frommer Gelehrter. Ba. 
enmüler, a. a. D. und Kiene, Choralfäule. 1884. &. 99. 100. 

2) Bot. P Kornmüller, a. a. ©. ©. 215. P. Rienfe, a. a. O, ſowie eine Anzahl von 
yenrtenmefobien, wie foldie v. Tucher, Schat II. 5. 340. 341. 342, 346. 351. 355 aus 
as 2offius, Psalm. sacra 1558 im Original mitgeteilt Hat. 

3) ®gf. Proafe, Musica divina. Annus primus Tom. I 





. &. I 


620 Aupo-. 


Hamb. RO. von 1529 Beftimmt: „bie köſtlichen hymnos feriales, alle Tage em, 
oder zugeiten andre feine hymnos Ambrosii, Prudentii ete.,“ ſowie belonteri 
die Fefttagshymmen („Hymnos de tempore, festiviales“) foweit folde „der Särit 
gleigmäßig" vom Chore, „in welchen wechſelsweiſe die Orgel fällt” Agende de 
Primat-Erzbifhöflihen Kirche zu Magdeb. 1667), fingen. Aber ſchon Luther ht 

* ja angefangen, die ſchönſten alten Hymnen nach Tert und Melodie in treffliche deutik 
Kirchenlieder für die Gemeinde umzuwandeln, md wenn auch der lateiniſche Hymne 
gelang des Chores noch längere Zeit neben dem deutſchen Gefang der Gemeint 
fortbeftand, fo war doch damit ſchon in der erften Zeit der Reformation der Be 
betreten, der den Hynmengeſang der älteren Kirche nad und nad) ganz in den © 
meindegefang der evangelifchen Kirche hinüber führte. Einzelne Fiturgifer der Gepr 
wart möchten allerdings neben dem Gemeindegefang in der Befper aud) den Hnmına 
gefang wenigftens teiltweife wieder verwendet fehen; andere anertennen das gefdicti 
Gewordene und wünfhen mur, daß ans dem reihen Schatze des deutſchen Kire 
Hiedes für Mette und Veſper das Angemeffene unit und in entſprechender fi 
ſtehender Ordnung vermendet werde.) 


Hyijpo·, „unter“, eine griechiſche Präpofition, die im Cyftem der Kirdente 
arten auf zweierlei Weile angewendet wird: 1. zur Bezeichnung der Plagaftonsrt 
gegenüber den authentifchen, fo daß alfo der zweite, vierte, jechfte, achte, zehnte ır 
zwölfte Kichenton Hypodoriſch, Hypophrygiſch, Hypolydiſch, Hypomixolndiſch, Sr 
aͤoliſch und Hypoioniſch heißen, wie fie Garen, Dodech. 1547. &. 83 auf! 
und benennt, und wie auch Meuere, feinem Borgange folgend, noch thun.?) D 
nach ergeben ſich 5. B. für Kolifc folgende vier Tonreihen: 


Aeolius regularis auth... Aoolius transpositus, 


ia ae en 


sr ” 
Hypoaeolius plag. Hyponeolius transpositus. 


ea Wand — 
— I — — — 
— — = 


2. zur Bezeichnung der Verjegungen oder Tennspoftionen beider Tongeſchlechter 
des authentiſchen ſowohl als des plagalen — in die Umterquarte oder Oberquin 
wie fie mittelft Anwendung eines # als Verſehungezeichen möglich wird. Dos’ 
diefer Unterfchied erft von neueren Schriftftelleen ?) aufgeftellt worden. „Gemöhrt 


4) Bol. Löhe, Agende. I. ©. 296. Schenk, Hand-Agende 1857. S. 311-321. Yan 
Kern IV. Borr. &. VII. Scocberlein-Kiegef, Sat. 1. &. 627. 

) So 3. B. Wollersheim, Anmeifung zur Erlernung bes Gregorianifhen Geſangs. 2. % 
S. 95 f. Haberl, Magister Choralis. $ 20 u. a. 

3) Wie von v. Winterfed, Mary in Stilfings Univ. Ler. IL. &. 660 und Kompofiit 
lehre 1. 4. Aufl. 1852. © 381 u. a. 






































Aichael Jacobi. 62 


flegt der Begriff des Plagalifen mit dem der fogenannten Hypotonarten verwechſelt 
der für eim umd dasfelbe gehalten zu werden. Allerdings nehmen die in Rede 
tehenden Hypotonarten, gleich den plagafifgen eine Quarte unter (hypo) dem 
Stammtone ihren Anfang; nenn indes die plagaliſche Tonfolge ihren YAnfangston 
ur immer als Unterquarte der Zonika zu betrachten hat, fih um die Tonila als 
ren Mittelpuntt herumbewegen und in ihr ſchließen muß, fo verwandelt die Hypo⸗ 
omort ihren Anfangston zum Grundtone und ift nur infofern eine Nebentonart zu 
ennen, als fie fih nad) der Intervallen und Modulationsordnung ihrer Stamm- 
omart bildet. Hypoioniſch 3. B. ift alfo weder ioniſchplagal: gahcedefg 
noch migelpdiih: gahedefg — fondern ionifgrautgentiih e de fg 
‚he — nad g verfegt: ga hc de fis g. — Die Transpofition nad dem 
sypotone war beſonders notwendig, wenn man im Joniſchen und Dorifhen plagale 
Nelodien fingen wolte, indem die Tomita C oder D fon zu hoch fiegt, als daß 
& der Gefang noch bequem um fie herum bewegen könnte. Durd) Amvendung der 
ypotonart wurde diefem Übelftande abgeholfen. Da der Gebraud der Hypoton- 
rten für plagale Melodien ein gewöhnlicher war, fo läßt fi) hieraus and die Sub- 
ituierung des Begriffs „plagaliſch“ für Hypotonart erllären.“l) Nach diefer An- 
ahme wuͤrden fih demnach 5. B. für das Doriſche folgende Tonreihen ergeben: 






























































a) Doriſch (auth.) b) Dorifh_(plagal.) 
— * * — 
nn, —— 
& — — —— 
— = = 
Transponiert. Transponiert. 
>= Ban U — 
er = — * 
ee = Fe 
Oypodoriſch (auth.). Oypodoriſch (plagal.) 
—— 
In — 





Jacobi, Mithael, ein dem Rifſtſchen Saͤngerkreiſe angehöriger Komporiſt geift- 
jer Lieder aus dem 17. Jahrhundert, der aus der Mark Brandenburg gebirtig 
tw. Na) abenteuerlichem Jugendieben, während deffen er als Reiter, Sänger und 
aſitant in halb Europa umherzog, wurde er um 1645 Rantor zu Kiel, wo er 


3) Diefe Darlegung bei Döring, Ehoraltunde. 1865. S. 367—868, 


622 . Michael Iacobi. 


fih 1648 mit der Tochter eines dortigen Kaufmanns, Katharina Holſt, verheirae: 
1651 fam ex als Kantor an die ohannisſchule zu Lüneburg, umd Dies Amt vr 
maltete er-dann bis an feinen Tod im Iahr 1683. Dos) fgeint man in Anker 
nicht befonders zufrieden mit feiner Amtsführung geweſen zu fein, denn umter da 
2. Mai 1664 berichten die Scholarchen an den Mat, daß ſowohi der Gefanguste 
richt, als aud die Kirhenmufit vernahläffigt fein und eifriger betrieben wet: 
müffen, und Hagen außerdem noch über ungehührlihe Forderungen des Kantors N 
geienbegängniffen.?) Sein Nachfolger im Kantorat war Friedeih Fund (og. m 
Art.). — Die 105 Melodien, die Iacobi zu Liedern Rifts, der ihn feinen . 
Sofnes Statt geliebten Freund“ nennt, fomponiert Hat, zeigen fliehende Erfindun 
ſind aber nicht in firhficgen Gebrauch gefommen. Sie finden fih in folge 
Werlen Riſrs 
Himmtifehe Lieder. III. Buch 1651. 1 Mel. — Frommer und x 
feliger Chriften altägliche Hausmufit oder muftfalifche Andaditen. Füneh. 165 
22 Mel. — Mufit. Kategismusandaditen. Küneb. 1656. 12 Mel. — Mail 
Kreuze, Teoft,, Lob: und Dantfule. Rüneb. 1689. 70 Del.) — Nur ia 
derfelben Hat fi bis zur Gegenwart erhalten; fie findet fih bei König, Hıra 
Fiederihag 1738. ©. 294 und Heigt bei Iatob und Kidter, Ch-B. I 
Nr. 1269: 
= * 


eee ee 


Wie je- fig iſt der Mann, der eh - lich wohnen kann mit ei- ner ſol -Sa 
= 

— 
Zee — — 
Frou⸗en, der er ſich darf ver- trau - en, fo-mohl in Kreuz und Lei- den, ch 

= = — ee Eos tr 
Ks ——— — 
wenn Glück, Ehr und Gut er fül-len ihm mit Freuden das Leben, Mut und &x 


Eine andere bildet nad) Faißt, Württ. CH.-B. 1876. ©. 221 die ültd 
Grundlage einer Melodie, die ſtark mit andern älteren und neuen Clemert 
(aus Witt's Psalmodia 1715 und Dregels Ch. B. 1731) vermengt im Birt 
&.B. 1844. Nr. 159 („Iefn, deine Paffion“) fteht. Cine Anzahl | 
Melodien von J., die er 1649 u. 1653 dem „Friedewünfgenden und Ari 
jaucgenden Teutjhland“ von Iohann Rift beigab findet man neugedruc 4 
der — dieſes Werts von H. M. Schletterer, Augsburg, 1864. & 
215— 238. 







































































































) Bol. Rif’s Deutſchen Barnaf. 1008. S. 95, dort ©. 696 fleht das Hodigei 
Val. Monatet, flir Muftgeid. 1872. S. 281. Val. aud Molleri, Cimbria literata, II. &. 

2) Bol. Dr. Bolger, Programm des Johanneums zu Lüneburg. 1855. S. 9 und & 
Euterpe 1875. ©. 105. 

>) Bal. €. F. Beder, Die Choralſammlungen x. 1845. ©. 18. 19. 24. 27. 


3a er ifs, das Heil der Welt. $. X. 2. Iakob. 623 


Ja er iſts, das Heil der Welt, Choral, vgl. den Art. „Liebfter Jeſu, 
ir find hier.” 5 


Jakob, Friedrich Auguft Febereht, war am 25. Juni 1803 zu Kroihſch bei 
'iegnig, wo fein Vater (geft. 1811) Kantor und Lehrer war, geboren. Des Vaters 
Ratfolger, Kantor Speer, leitete des Knaben erfte Studien aud) in der Mufit, und 
urch Privatfleiß eignete ſich diefer frühe ſchon die Kenntnis aller üblichen Saiten- 
nd Blasinftrumente an, fühlte fi aber befonders zur Kirhenmuftt hingezogen. 
In Oſtern 1820 trat er, 16% Dahre alt, in das Fehrerfeminar zu Bunzlau, mo 
omentlid Muſildirettor Karow anregend auf ihm wirfte und feine muſikaliſche Bit- 
ung förderte. Nach vollendetem Seminarkurfus wurde I. 1822 zunähft Adjuvant 
1 Lobendau bei Liegnig, um ſchon am 9. Juli 1824 auf die Stelle eines Kantors, 
rganiften und Pehrers zu Konradsdorf bei Haynau überzugehen. Im diefer ber 
heidenen Stellung wirfte er dann ein ganzes langes Leben hindurch in Schule und 
irche, dis er, nachdem er 21. April 1372 fein 5Ojähriges Amtsjubilium gefeiert 
ıtte, am 1. März 1878 in den Ruheſtand trat. Er zog fid in die Familie einer 
ochter nach Hohenwieſe bei Schmiedeberg zurück und folgte dieſer 1880 nod nad) 
egnig, wo er am 20. Mai 1884 fein arbeitsvolles, reiches Leben beſchloß. — 
eben feiner amtlichen Thätigteit hat I. als treufleißiger Forſcher, Sammler und 
earbeiter teils für fig, teils in Gemeinſchaft mit Männern wie Ludw. Erf, Ernft 
entſchel. Ernſt Richter u. a., außer auf dem Gebiete des Volls und Schulgeſangs, 
mentlid auf dem der evangeliihen Kirchenmuſit ſehr verdienftlih und erfolgreich 
wirft. Bon feinen Werfen, die diefe Wirffamfeit bleibend bezeugen werden, find 
= die folgenden anzuführen: 

1. Feierklänge an den Gräbern der VBollendeten. Für Mor. 

Eſſen, 1842. Büdeler. — 2. Der kirchliche Sängerhor. Blüten Heiliger 

ZTonfunft von den vorzüglicften Tonmeiftern der Vergangenheit und Gegenwart 

für alle Feſte und feftlihen Beranlafjungen im kirchlichen Leben. Daf. 1845. 

— 3. Der Fefttagsfänger. Eine Sammlung von Wiguralgefängen oder 

fogenannten rien fir alle Fefte des Griftlihen Kirhenjahrs. I. Teil. Neuer 

Tefttagsfänger. 24 Figuraigeſänge ıc. II. Teil. Leipzig, 1854. Merſeb. — 

4. Sangopfer an den Gräbern unfrer Lieben. Cine Sammlung von 

Arien, Motetten und Chören für Beerdigungen und Gedächtnisfeiern. Für 

den Mor Herausgegeben. Breslau, 1866. Marufcte & Berndt. LIT und 

76 ©. 4°. — 5. 25 neue Terte zu den Begräbnisliedern: „Wuferftehn, 

ja anferftehn“ und „Wie fie fo fanft ruhn.“ Brest. 1866. — 6. Eyprefjen- 

zeige auf Öräber geliebter Entfelafener. Cine Sammlung von Gefängen 
für Begräbniffe und die allgemeine Totenfeier. Für gemiſchten Chor heraus: 
gegeben. Berfin, 1869. A. Stubenraug. 156 ©. Hl. qu. 4°. (Mit Ernſt 

Richter.) — 7. Myrtenzmeige. Cine Sammlung von 54 Gefängen für 

Trauungen. für den gemifhten Chor mit und ohne Begleitung. Görlig, 1870. 

Wollmann. VII u. 80 ©. qu. 4°. — 8. Fünfzig Chöre, Hymnen und 

Motetten für alle Fefte des evangelifgen Kirhenjagee. Für vierftimmigen 


624 dalouſieſchweller. 


gem. Chor. Leipgig, 1874. Kummer. VI u. 136 ©. 4°. — 9. Reformte 
rifhes Choralbud, für Kirche, Schule u. Haus. Oder Allgemeines Char! 
buch für die deuiſche evangelifche Kirche. Auf Quellenforſchung geftizte 
Beitrag zur Regeneration des evangelifcien Kirhengefängs. (Zweiter Ti 
Allgemeines vierftimmiges Kirhen- und Haus-Choralbug, für & 
Königlich Preugifh-Schlefifhen Lande x. 2 Tle. Berlin (18721874). M 
Stubenrand. 4°. I. XVI u. ©. 1440. Pr. 1463. II. VI u. ©. #l 
Bis 1027. Nr. 464—1337. Im diefem Ch.®. finden fih folgende 1m 
neue Melodien von 9.: II. Nr. 935. ©. 737. Tapt mic gehn. G-du 
hagcha. II. Nr. 1236. ©. 936. Wenn id ihn nur habe. G-du 
hhehag. — 10. 311 Choräle der evangelifgen Kirche. & 
Sälefifhes Choralbud, Auf Quelienforſchung geftügt vierftimmig t: 
arbeitet. Berlin, 1874. U. Stubenraug. XV u. 228 ©. 4. — Sältii 
iges CHoralbud. Auf Quellenforſchung geftigt und dierftimmig bearhit 
2. Ausgabe, dur Hinzufügung aller zum „Sthlefiihen Provinzial-Crjıy 
Bud” noch notwendigen Melodien erweitert und als felefifdes Proni 
Choralbuch herausgegeben. Berlin, A. Stubenrauß. 4°. — 11. Der Fri 
Ludift. Sammlung von CHoralvorfpielen in den verfciedenften Tontrapır 
tifden Formen, zu jedem evangelifchen Choralbud) x. Breslau, dienbſch 10: 
Erfehienen find Bd. I—7 mit 890 Nen. zu 239 Chorälen. — 12. Orgel 
Hänge, oder (eicht ausführbare Präludien in den gebräuhliäften Tonarten x 
Leobfhüg, C. Rothe. Heft I-IV ift erfhienen. 


Ialoufiefhweller,, eine der Vorrigtungen am Kaften, in den das Ehme 
einer Drgel eingeſchloſſen ift, durch welche diefer beliebig fo geöffnet und gejäki 
werden fan, daß er ein Crescendo und Decrescendo, ſelbſt ein Sforzank 
des Tones der äingeſchloſſenen Stimmen bewirkt. Der Name diefer Borrictg 
rührt daher, daß fie von den Fenfterläden, die in einer zuerft in Venedig aufgehe 
menen befannten Form Jaloufien genannt werden, zunädft auf das Clavicembsi 
und von diefem auf die Orgel Übertragen wurde. Zwar wird die Erfindung di 
Schwellers noch gegenwärtig gewöhnlich dem Framgofen Greni zugeſchrieben und — 
1811 datiert,!) «8 ift dies jedoch ein Irrtum. Derfelbe war ſchon viel früher # 
England im Gebraud), zuerft an Klavieren, dann Hatte ihn der Orgelbauer Samad 
Green (17301796) auf die Orgel übertragen;*) in Deutſchland brachte ihr 
Vogler, in Italien Benjamin Tronci aus Piftoja 1812, in Frankreich Seh. End 
1827 zur Anwendung.) — Die Borderwand des Echolaſtens — gewöhnlich 
diefe, da und dort auch die beiden Seitenwände — beftcht aus meift horizead 
feltener vertifal (g. 8. bei Cavaille-Coll, Orgel zu Saint-Vincent de Paul 
Boris) ſich öffnenden Ialoufien, die mittelft eines Fußtrittes über dem Pedal me 
























So bei v. Dommer, Mufl. Terilon. 1805. S. 440. Mendel, Muſit. Konveri. &, 
185. ©. 358 u. a. Mber die Erfindung Grenil’s vgl. Fetie, Biogr. univ. des Music, 
©. f. 

2) Bol. Hopkins and Rimbault, The Organ. II. &. 91. 

3) ®gl. Ply, La Facture moderne. &yon, 1880. ©. 17. 18. 19. 


Iammer hat mich ganz umgeben. 6% 


tganiften beliebig geöffnet werden Können und durch ihr eigenes Gervicht, oder durch 
tragewichte oder Federkraft fih wieder ſchließen. Dieſe Inloufien werden da, wo 
aufeinander liegen mit Tuch gefüttert, was freilich den Nachteil hat, daß hiedurch 
Ton aud) bei geöffneten Zaloufien gedämpft wird. Tuch iſt ferner dem Motten- 
5 und aud font ziemlich raſcher Abnutzung ausgefegt und verurſacht deswegen 
tnubanfanmfung in den Pfeifen. Manche Orgelbauer, namentlich engliſche,) ziehen 
Ser vor, ftarkes, glattes Papier aufzuleimen, was jene Übelftände hebt und zugleich 
1e harte Oberfläche bildet, die den Ton aud bei offenen Jalouſien reflektiert. 
ind die Jalouſien ſchmal, fo müffen fie natürlich zahlreicher fein und bieten daher 
ıe größere Anzahl von Stirnfeiten (Holzdiden) dar, die aud im geöffneten Zu- 
mde das freie Ausftrömen des Tones hindern; zu breite Inloufien find dem Ver - 
‚gen zu fehr ausgeſetzt, Daher iſt ihre richtige Breite von Wichtigfeit. Sie wird 
England, wo diefe Art von Schwellen am volltommenften hergeſtellt wird und 
gemein im Gebrauch ift, im Mittel zu 610 engl. Zoll, bei einer durchſchnitt- 
den Die von 7.—2 engl. Zoll, genommen. — Die Anwendung diefes Schwel- 
% die in Wirtlihfeit nicht ſowohl ein Stärker- oder Schwäcer, als vielmehr ein 
iher· und Entfernterffingen des Tones bewirkt, verlangt gebildeten künſileriſchen 
eihmad und offenen Sinn für kirchliches Detorum, wenn fie nicht, ſtatt künſi- 
id zu wirfen, zur unleidlichen und der Kirche umwürdigen Manier werden foll. 


Iammer hat mich ganz umgeben, Choral, dejien Weile Johann Shop 
$ Erfinder zugehört. Sie erſchien zugleich mit dem Liede Iohann Rift's in defien 
immlijhen Liedern” 1642 (Ausg. von 1652. ©. 136) und ift dem Viede da, 
> fi, diefes im evangeliſchen Kirchengeſang erhalten hat, auch geblieben. Bei 
ohren, Muſit. Vorihmad 1683. Nr. 700. ©. 933, eriheint fie, mit „Schop“ 
tergeigjnet, im folgender z. B. mit dem Lüneburg. 6.8. 1695. Nr. 1340. ©. 
N6—1117 ganz gleicjlautender Form, die fie alfo während des 17. Jahrhunderts 


Baht hat: 
——— — 


ſJam · mer hat mich gang um · ge- den, @-Iend hat mih an ge- tan; 
\Zrauren Geißt mein dur! des Le > ben, Trüb-fal führt mic auf den Plan, 






























































ba ma 


Gott, der Hat mid gar ver» gef-fem, 








⸗ 
kei nen Troſt weiß ih zu fafefen 





























') &gl. Hopkins and Rimbault, a. a. ©. II. ©. 92. 
Rümmerle, Enal. d. vang, Kircenmufl. 1. 40 


Y 


626 Jam moesta ete. 3.9. 8.2. Ianfen. Ia, Tag des Herrn x. | 


Die CH-BB. des 18. Jahrhunderts, wie z. B. Telemann, Ch-B. 1730. Nr. Di 
©. 136; Dregel, Ch-8. 1731. ©. 506; König, Harm. Liederſch. 1738. Si: 
halten den Tongang derfelben auch in der ausgeglichenen Form feft (nur bei Sile 
&.B. 1793. Rr. 149. ©. 68 ift die Anfangs: und Schlufzeile geändert), «il 
wie die neueren, 3. ®. Schicht, Ch-®. 1819. I. Nr. 141. S. 49 (der unter N 
142. S. 50 aud eine Nebenmelodie had; Ritter, CB. 1856. Nr. 143. &.5l, 
der „König 178%, und Iatob und Richter, Ch. B. II. Nr. 869. S. 697, « 
das „Niürnd. G.B. 1676. Nr. 1062” als Duelle angiebt. 





Jam mocsta quiesce querela, der berühmte „Hymnus in exeyuh 
defunetorum des Aurelius Prudentius wurde aud in der evangeliſchen Kirche =! 
feiner uralten Melodie nod lange lateiniſch geſungen; er fteht jo bei Bat. & 
58. 1545. Bl. b. je; Keuchenthal, Kirchengeſange 1573. Bl. 571; 
Harn. Cant. eceles. 1597. Nr. CIIII; Cant. Sacr. Goth. II. 
TO u. je w., „und wurde ſelbſt mod im 18. Jahrhundert in Hamburg bei al 
Leihen gelungen.” Bol. Fiſcher, Kirhenlieder-Ler. I. S. 314. Fur den ewany! 
ſchen Gemeindegefang aber entfanden derſchiedene deutſche liedmähige Bearbeitunct 
desjelben, über die, ſowie über die Melodie der Art. „Hört auf mit Trauern 
Klagen“ zu vergleichen iſt. 


Janſen, Johann Heinrid, Friedrid) Ludwig, war am 31. Mai 1785 zu Ci 
Heyergum bei Hildesheim geboren und beſuchte von 1799—1803 das Gymes‘ 
zu Hildesheim, wo er namentlich auch muſikaliſche Studien machte, zu denen ik] 
Neigung und Talent befonders hinzogen. Bon 1803 an war er Kantor und Lei 
am verfciedenen Orten im Hildecheimiſchen, zufegt feit 1816 zu Rheden, mo= 
jedoch ſchon am 28. Januar 1832 farb. — Außer einigen pädagogiſchen Schrita 
und Abhandlungen in Zeitſchriften verfaßte er: 

Die evangelifche Kirgengefangstunde oder Encyflopädiihes Handbuch al 
nötigen und nüglien Kenntniffe zur Ausführung eines erbaulichen ſowohl & 
meinder, als Altar- und Chorgefanges in den evangelifhen Kirchen x. der: 

1838. Hochhauſen. XIV u. 278 ©. gr. 8°. — Dies Werk enthält nad am 

allgemeinen Cinteitung und einem Abrig der Gejdichte des Kirdengefang: a 

drei Abteilungen: „Gemeindegefang und kirchliches Drgelipiel" — 

gelang” — „Chorgefang“ — DVelehrungen über den mufifalif—en Teil 

Sottesdienftes im Stile der rationaliftifhen, jeglichen geſchichtlichen Sinne 

ven Zeit; e8 war von Anfang am wenig tiefgehend angelegt, und ijt dat 

jetst gänzlich veraltet. 

Ia, Tag des Herrn, du ſollſt mir heilig, Choral. Das Lied Lavern 
das die Sonntagspflichten in rethoriſcher Darftellung behandelt, genoß in der r) 
naliſtiſchen Zeit ziemliches Anfehen und vief eine Anzahl Melodien hervor, die jest 
wie das Lied aus den befferen neueren Geſangbüchern verſchwand, jo aud in tel 
Shoralbüchern wieder weggelaffen wurden. Nur in einigen ſchweizeriſchen Ge: 



























3a, Tag des Herrn, du fol mir heilig. 627 


büdern hat fih das Lied mit verfhiedenen Melodien erhalten, außerdem ift es im 
Württemberg noch in kirchlichem Gebrauch und wird mad der unten aufgeführten 
Silcher ſchen Melodie viel und gern gejungen. Wir nennen die folgenden Melodien : 
eine ſolche bei Jalob und Richter, Ch. B. II. Wr. 1312. ©. 986 aus einem Ma- 
nuſtript. Choralbuch des vorigen Jahrhunderts in der Kirche zu Lauban; eine von 
Juſt. Heinrich Kuecht 1797 erfundene und in feinem Ch.-B 1799. Mr. CXXXV. 
5. 144 veröffentlichte Weiſe; eine Melodie von Schicht, Ch.B. 1819. I. Nr. 
251. ©. 129, die aud noch Jatob und Richter, a. a. D. I. Nr. 
haben ; außerdem giebt Schicht, a. a. D. II. Nr. 445. S. 201 eine weitere Weile, 
>hne deren Herkunft zu nennen; ebenfalls unbetannter Herkunft ift die Melodie des 
t. Galliſchen G. Bis Nr. 267, 6, und das Zürder 6.8. 185; 
32. S. 238 verwendet für das Lied die aus Doles' Ch.-B. 1785. Nr. 18: 
vit belanut gewordene Weife zu „Wie wohl ift mir, 0 Fremd der Seele“ (vgl. den 
Art..) — Die in Württemberg im Kirchengebrauch ftehende Melodie wurde von 
Friedrich Silcher (val. den Art.) 1824 erfunden und in „Vierftinmige Geſänge 
er evangeliigen Kirche.“ Stuttg. 1525 (der Stimmenausg. des Württ. Ch. B. von 







































325) erftmals gedrudt. Sie Heißt im Württ. Ch.-B. 1328. Nr. 66. ©. 28 
vürtt. Ch.B. 1844. Nr. 15 

— == — — — 
— — 


fig, ein Felt-tag meiner 
fig, will 6 den Tag der 











Zee - te fein. 
Aa ie m 


Weit weg von al- Ten ct - dem Din» gen, 














zum Himsmel foll mein Geift fih Ihwin + gen. Froh feir ich 





























tr re 

mit der Chricften-Geit den Feftrtag der Umeerb-Tich- keit. 
r. Dul. Schäffer, Vierſt. Choralbuch enthaltend jänıtlihe Melodien zum G. B. 
e evang. Gemeinden Schleſiens. Brest. 1880. Nr. 121. S. 144 hat eine wei 
:e Melodie, der er die Benennung „D Tag des Herrn, du jollft mie heilig“ er- 
It, während er ihr den Tert „Umgürte die, o Gott, mit Kräften“ unterlegt. 








1) Diefelde ift jedod) nicht von Joh. Adam Hiller erfunden, dem fie Weber, Das Zürcher 
-B. 1812. ©. 157 irrtümlich, zufßreibt; fonft gilt fie als Doles’ Eigentum ; aber auch dies 
nicht erwiefen. 

40* 


628 Jauchzet Gott in allen Landen. Iandzt, ihr Erlöſten ıc. 


Jauchzet Gott in allen Landen, Kantate zum 15. Sonntag nad Xen 
tatis, mit dem Beifap „et in ogni Tempo“ von Seh. Bad. Das Bert ‚kt 
mit dem Evangelium oder der Epiftel des Sonntags in feinem Zuſammenhut 
feine eigentliche Beftimmung wird darum auch eine andre geivefen fein, die wir si 
einmal mehr mutmaßen fönnen. Es iſt ein feuriges Yubellied fir Soloſopren, d 
in eine Choralppantafie Über „Nun {ob mein Seel den Herren” ausläuft und dl 
mit einem fugierten Hallelnja-Sage beſchließt“ Der Tert ift eine fpätere Until 
tung Bach Geſ. KIT. 2. Bor. ©. IX). Bal. Spitta, Bad II. ©. 302. - 
Ausg. der Bach-Geſ. XI. 2. Nr. 51. — MU. Leipzig, Peters. 


Jauchzt, ihr Erlöften, dem Herrn, Choral. Gellert's Ode zum Hinz! 
fahetsfeft ift jeiner Zeit viel tomponiert worden, jedoch meift nur fiir den hänslikt 
Gefang. Doch erſcheinen drei für fie erfundene Weifen aud) in den Choralbicn 
der älteren Zeit und haben ſich teilweiſe bis in die Gegenwart herein erhatn 
Die erfte diefer Melodien (a) ift von Karl Philipp Emanuel Bad und mn 
von demfelben in „Neue Melodien zu einigen Liedern des nenen Hamburgiſchen © 
fangbud8." 1787. S. 6 zuerſt veröffentlicht: die zweite (b) hat Joh. Mdanı Si 
ter erfunden und feinem Ch.B. 1793. Nr. 110. ©. 50 einverleibt; die drin 
(e) endlich ift von Johann Gottfried Schicht Tomponiert und cbenjalls in fir 
Ch.B. 1819. I. Nr. 318. ©. 143, wo fie mit feiner Chiffer „I.“ beit 
iſt, zuerft befannt gemacht worden. Dieſe drei Melodien find: 


— a) = 2 

# ze + * 
Ge —— — 
Jauchzt, ihr Er + lö- ſten dem Herrn, er hat fein Werl voll-en - dei 



































D) 


Se 





> 




















== 


















































Ih 





— ee eg 
dee müfefe ſih der Erdetreis freum; er fährt ver ME + vet bin- ern e 
= 













































































Ridard Ibach. 629 













































































— = 
Fresse men 
= — — mn rn ne, 
| dem, der ihm ge - fen - de, und nimint die Him-mel wie · der ein. 

EN EN 
B —— — — ee] 
Gr er sezeizH 
— * je 2 = 4 





























Sie ſihen noch bei Jalkob und Richter, Ch.B. I. Nr. 871. 872. 873. ©. 699 
i8 700. Auch Kühman teilt in feinem Choralbuch II. 1790. Nr. 91. ©. 96 
ine von ihm erfundene Weife neben der Bade Mr. 214. ©. 239) mit. 


Ibach, Richard, Firma einer der bedeutendften deutſchen Orgelbauwertſtätten 
1 Barmen. Der Gründer derfelben war Adolf Ibach, geboren am 20. Oftober 
766 zu Luttringhauſen; er etablierte fih 1794 an der Beyenburg bei Barmen, 
edelte aber bald darauf nach Barmen felbft über und faufte 1816 das Grundftüd, 
af welchem das jegige Fabrilgebäude der Pinnofortefabrit von Rudolf Ibach Sohn 
eht, das in feinem gegenwärtigen Umfang 1853 aufgeführt wurde. Urfprünglich 
ſhaftigte ſich die Firma vonviegend mit Pinnofortebau und fertigte Daneben Heine 
augorgeln; 1826 aber ging die erfte Kirchenorgel (für die fath. Kirche zu Clber- 
id mit 15 M. Stn.) aus ihrer Werfftätte hervor, der ſeitdem über 200 Orgel- 
erle jeder Größe gefolgt find. Nach des Gründers Tode führten die Söhne: Karl 
udolf, Richard und Guſtav Adolf das Gefhäft unter der Firma Adolf Ibad 
öhne fort, bis fih Guftav Adolf (gef. 18. Oftbr. 1880) trennte und unter 
nem Namen 1. Juni 1862 eine eigene Pinnofortefabrit gründete. Die alte Firma 
derte num in Gebr. Karl Rudolf und Richard Ibach, und cs ſtand die 
innofortefabrit Hauptfächlic unter der Leitung Karl Rudolfs, der 1804 geboren 
ir, am 26. Aprit 1863 zu Barmen ftarb und fih als Künſtler in feinen Fach 
ies bedeutenden Rufes erfreute. Den Drgelbau leitete ſeit 1830 Richard Ibacı, 
e am 17. Januar 1813 geboren,» und überhaupt an 60 Jahre im Geſchäft thätig 
x. 1869 trennte er ſich von der often Firma fegte das Orgelbaugeſchäft allein 
+ und übergab es 1885 feinem Sohne Paul Ibach (geb. 23. November 1854), 
* 8 unter der Firma Richard Abach jortfühet. — Von den Orgelwerlen, die 
s heute in diefem Geſchäfte gebaut wurden, nennen wir als die bedeutendften : 
1. Die Orgel der St. Yambertusfiche zu Düffeldorf. 1848. 35 fl. Sin. 
— 2. Die Orgel der großen Kirge zu Schwelm. 1850. 48 Mi. Stn. 3 Man., 
Bed. — 3. Die Orgel der Baftlifa zu Trier. 1858. 54 Mi. Stn. 3 Man., 
Bed. — 4. Die Orgel der wangel. Kirche zu Barmen. 1858. 53 M. Sin 
3 Man., Bed. — 5. Die Orgel der Metropolitaniche zu Valencia in Spa- 
nien. 1860. 77 Et. Stn. 3 Man., Bed. — 6. Die Konzertorgeln zu Bar- 
men 1860. 44 HM. Stn., Elberfeld 1861. 36 HM. Stn., Köln 1862 (Gürzenid). 


630 Id armer Alenfdy ıc. Ich bin ein ıc. Ic bin ja Herr 2c. 


40 Mt. Stu. — 7. Die Orgel der evang. Kirche zu Köln. 1861. 39 H. Em. 
3 Dan., Bed. — 8. Die Orgel der Parohialfirhe zu Berg op Zoom. 18% 
41 fl. St. 3 Man, Bed. — 9. Die Orgel der Inmanuelsfirhe zu Barnes 
1869. 36 fl. Stn. 3 Man., Bed. — 10. Die Orgel der ewang. Kindes 
Bonn, 1871. 45 fl. Stu. 3 Man., Bed. — 11. Die Orgel der St. Pat: 
tirche zu San Francisko in Kalifornien. 1874. 45 fl. ©t. 3 Dan., Ped. - 
12. Die Orgel der großen evangel. Kirche zu Hagen. 1875. 47 fl. Cm. 3 
Dan., Bed. — 13. Die Drgel der uth. Kirche zu Barmen. 1879. Alt 
Sin. 3 Man, Ped, — 14, Die Orgel der Trinitatitirche zu Elberfeld, 18%) 
32 fl. Stn. — 15. Die Orgel der San Nicolao-Kirde zu Bilbao in Spanier 
1854. ft. Stn. 


Ich armer Menfh umd Sündenknecht, Solokantate zum 22. Sonate 
nach Teimitatis (21. Oft. 1731 oder 9. Nov. 1732) von Seb. Bad, mit da 
Schlughoral „Werde munter mein Gemüte” zur 6. Strophe: „Bin ic glerh te 
dir gewidgen.” Ausg. der Bad:Gef. XII. 2. Nr. 55. 


Ih bin ein guter Hirt, Kantate zum Sonntag Misericordias Domin. 
(1735) von Seb. Bad. Ausg. der Bach-Geſ. XX. 1. Nr. 85. — Sie verwende 
als Schlußchoral: „Iſt Gott mein Schild und Helfersmann” (Lied von Ernft Chr 
ſtoph Homburg 1658) mit Strophe 4: „Iſt Gott mein Schug und treuer Hin 
mit wenig bekannter Melodie, die Winterfeld, Ev. 8.6. II. S. 282 irrti 
eh. Bad) als Erfinder zuſchreibt, während fie dem Liede „Verzage nicht, o ©: 
lein Hein (vgl. den Art.) zugehört und in „Dundert ahnmuthig und fondertet: 
geiſtticher Arien x. Dressden 1694." (Den „Anhang“ zu „Geift: und. Iehrreisch 
Kirden: und Hauss Buch x. Dressden, 1694.“ 4°. bildend — vgl. Et, Lu 
Choralgeſ. I. 3. 116) mit der Aufſchrift „Inc.“ (Incerti auctoris) erftmals x 
ideint. Bei ac heißt fie: 




































ale le meione Feinde, Die ihr mir ff» tet Angſt und Fein, — 











Wird zw em rem Schaden fein, ih ha > be Gott zum Frenn - de. # 








ba be Gott zum Breum - de, 


Ih Hin ja Herr in deiner Macht, Choral von Heinrid Albert d 
Siebender Theil der Arien, Etlicher theils geiſtlicher, theils weltlichen Lieder °| 


Ich bin ja Herr in deiner Macht. 631 


tönigeberg 1648.“ 4°. Nr. 12, mit der Überfhrift: „Bey ho betrauerlichem, doch 
ber recht feligem Hintritt Herrn Robert Roberthin’s, Churfürftl. Pr. Ober und 
Regiments Serretarij, den 7. Oſtermonats Tag 1648." Die Melodie heißt in 
tere und gegenwörtiger Faffung: a) bei Sohren, Mufil. Borihmad. 1683. Nr. 

& 2 (Kayriz, Kern II. Nr. 453. ©. 54); b) „teilweife nad den 
Sriginal und nad Ioh. Seh. Bad) wiederhergeftellt” bei Ext, Ch.B. 1863. ©. 
04. Nr. 126: 




















34 bin ja, Herr, in dei ner Mac 






































du tenneſt meiner Monden Zahl, 






















































































= 


Eine zweite Melodie aus den Kreiſen des Halle ſhen Pietismus ericeint 
imals in Freyfinghaufens GB. II. TI. 1714. Nr. 654 (Gef. Ausg. 1741. 
:. 1380. ©. 938; vol. Zahn, Euterpe 1877. S. 173); fie Heißt bei Jatob u. 
ter, 8.1. ©. 182. Nr. 203 (vgl. Blüher, Alg. CH.®. 1825. Nr. 316): 



































Troß und Rat weiß; bei zu- fprin-gen ? Wer nimmt fih mei- ner See- len an, wenn 


632 Id bin vergnügt ꝛc. Ich dank dir, lieber Herre. 


— — Ren 
Eee — 
nun mein Le» ben nichts mehr kann, und ich muß mit dem To- de rim + gem, mai 
fe — — — ne 
a = Fed BE Zur re 
al» fer Sinnen Kraft gerbridt? thuft du es Gott, mein Heiland mich. 
Im den Chorafgefängen von Seh. Bad 1786 II. Nr. 251 (vgl. Ausg. von‘ 
Ert, II. Nr. 236) findet fid eine dritte Melodie unbelannten Urſprungs, ® 
v. Winterfeld, Ev. 8.6. II. ©. 270 ff. Bad als Erfinder zujcreibt und d 
aud Spitta, Bad II. ©. 595. Anm. 22 für Bad in Anfprud nimmt. ZI 
weitere Weiſen ftehen noch: die eine bei Dregel, Ch.-B. 1131. ©. 69469, 3 
andere bei König, Harm. Liederih. 1738. ©. 432 als „andere Melodie.” 


Ih bin vergnügt mit meinem Glücke, Kantate für den Sonntag Sa 
tuagefimä (21. Yan. 1731 oder 10. Febr. 1732) von Seb. Bach, die mur fe 
eine Sopranftimme (Anna Magdalena Bach) geſchrieben und als geiftliche Hausnzi 
gedacht ift. Die „fein ausgeführte Rompofition“ verwendet als Cchlugchorel „Er 
nur den lieben Gott läßt walten” mit der legten Strophe („Ich leb indes in 
vergnüget") des viedes „Mer weiß nie nahe mir mein Ende” als Tertunterla;: 
gl. Spitte, Bach II. ©. 274 f. Ausg. der Bach-Geſ. XX. 1. Nr. 84. 


Ich dant dir, lieber Herre, Choral, deſſen Weife urſprünglich dem wer 
lchen Vollsliede „Entlaubt ift uns der Walde gegn diefem Winter kalt“ aus vr 
15. Jahrhundert angehörte und im den Piederbüchern des 16. Jahrhunderts = 
verſchiedenen Varianten allgemein verbreitet war.) Als die bis jegt äftefie Car: 
"der Melodie gilt Hans Gerle's Mufiln Teutſch sc. Nürnberg, 1532. Bl. Di. 
dann findet fie ſich bei Newſidler, Lautenbuh 1536. S. 8, in den Gafjenhamers 
1535. Nr. 1 mit Tonfag von H. Heugel, bei Peter Schöffer 1536. Mr. 42 at 
Forfter I. 1539. Nr. 61 mit Tonfog von Thomas Stolger; Forſter II. 1 
Nr. 5 mit Tonfag von Kafp. Othmayr; Joh. Ott, 1544. Rr. 54. 55 mit Te 
fag von Ludw. Senfl; Bicinia 1545. I. Nr. 93, und ift aus diefen Turle 
neuerdings verichiedentlich abgedrudt worden.?) Die zwei wichtigſten Lesartın &r 
Weiſe fin 

*) Bgl. Bilmar, Handbüchlein für Freunde des deutiden Bolfstiedes. 130%. &. !ü 
Bubtifationen der Gelelfe. für Muftforfgung. Jahrg. IV. 1. &. 121. Uhfand, A. Set 
Tieder. Stuttg. 1844-1846. Nr. 68, wo die Drude und Mffe. aufgeführt find, in benz 1 
Lied vorfommt. 

2) Bol. folte Neubrude bei Beier, Lieder und Weiſen x. II. ©. 9. Cärifia. Rs, 
Shot, 1946. S. 178 (6 verihiedene Zeihnungen). Publifationen IV. 1. 2. 119-8) 
(4 Ren.), Böhme, Alıd. Liederbuch 1877. Nr. 257. 258, Erf, Euterpe 1846. Nr. 2. Shen 
fein-Riegel, Sat; III. Nr. 206. &. 651, Aınbros, Geſch der Mufit. II. S. 281-286. =) 
Binterfeld, Ev. 8-6ef. I. S. 59, Schneider, Geſch. des muf. Liedes. II. S. 161, Reifmen 
Gef. der Dufit II. S. 34. 




































































Ach dank dir, lieber herre. 633 


= ern E72 
ie TE 


Ent - lau⸗ bet iſt der mal - de genm Di» fen 
(Bes raubt werd ih fo dal + de meinsfein-Tieb mat 
— 


| — — 
Ge == —— — 


Ent. laubt iR us der mal + de gen die fem min 
1Be » ram bet wird ih bat de meine lieb, das macht 




















































































C aan daß ich diefhönftmußme + + den, 
a — 
— 














- ter fall, 
— — mid alt, 

















2 











| die mir ge » fat 












































[1 ee — tem mut, 

vom denen die unter a) in „Gaſſenhawerlin“ Frantf. 1535 Nr. 1, die unter b) 
jei Dt 1544. Nr. 54. 55 ſich findet. — Das geiſtliche Lied, dem die Weile 
egt eignet, ift von Johann Kohlroſe (geft. um 1560 zu Bafel) gedichtet und er- 
dien als „Ein ſchön geyſtlich new Liede, zu fingen. So man zu morgens auff- 
yeffanden it, im thon „Entlaubt ift uns der walde* erſtmals in einem Wadter 
Gen Eimpeldrud, den Wadernagel!) in das Jahr 1535 fegt. Das erfte Kirchen 
efangbud, welches das Lied brachte war das Ba. Schumann'ſche 1539, dem das 
Dagdeb. G.B. 1540 folgte. Bei Val. Babſt, G.B. 1545. I. Nr. 46 er 
ceint fodann mit dem Liede die Melodie, genau in der Notation, wie folde oben 
ms Dtt’s Piederfammlung mitgeteilt ift. Sie Heißt in reduzierter, kirchlicher Form 
Wiener, G. B. Nr. 453. ©. 386 und Jatob u. Richter, Ch. B. I. Nr. 61. S. 60): 


Bal. Bibliogr. 1855. S. 133. ©. 400, Derf. 8%. 1841. Nr. 200 und Das deutſche 
tg. HL N. 11, 


634 Id) dank dir ſchon durch deinen Sohn. 

















* 
80 Dant Dir, tie-ber Der » re, daß du mid) hof berwadkt, mit Fine 


Im Die -fer Nat Ge: führe « de, da « rin ich lag jo Hart, 



































2: ? 
mis um-fan - gem das zu im gro-fer ot, darsaus ih bin em 






































— 











Michael Prätorius, Mus. Sion. VIII. 1610. Nr. 244 und das G.B. der * 
Brüder 1544 und 1576 gaben der — den Text „Lob Gott getroſt mit S 
gen“ bei (vgl. v. Tuer, Schag I. S. 399). — Mit der 4. Strophe („Tr 
Glauben mir verleihe”) unſres Liedes —— Baqch die Weiſe als Schlupger: 
der Kantate „Wer da gläubet und getauft wird“ (vgl. den Art.). 





Ih dank dir ſchon durch deinen Sohn, Choral. Bei feinem erften Cr 
feinen in „Genftliche Lieder ıc. Leipzig durch Zach. Beerwaldt 1586. Der Ant 
Teil,“ Nr. IXXXVIII. wird das Lied auf den „Thon, O Herre Gott, mic tr 
die Noth” verwieen. Seine eigene Melodie hat es zuerft bei Mid. Prhtori, 
Mus. Sion. VIII. 1610. Nr. 251, und Prätorius wird aud die Erfindung der 
felben allgemein zugeicrieben. Jun Inhaltsverzeihnis feines genannten Wertes fi: 
var feine Namensdiffer „M. P. C. (Michael Praetorius Creuzbergensis) in ? 
Mubrit „Autor Testus,') hätte aber mad; Ert. Ch-®. ©. 252 „wohl ide 
die garzäsefehne Nubrit „Autor comp.“ gehört, und auch Faißt, Württ. Ch. 3 
1876. ©. 220 vermutet in ihm den Erfinder, während das Goth. Cant. sa 
1655. S. 502 mit der Überjhrift „a 4 Mich. Praetorii“ ihm nur den Tori 
aufcreibt. Die Melodie heit in ihrer urfprünglihen Geftalt: 

) Dies Hat Veranlaffung gegeben, daß Prätorius von jeher in vielen G.BB. aut * 
Verfaffer des Liedes genannt wurde; auch noch v. Winterfeld, Ev. RG. I. S. 383 hät ir 
dafür, während fein Name am wahrheinlihften nur durch einen Drudiehler, oder wie Müpt 
Geiftt. Lied. III. Nr. 568. 2. 1029 meint, „weil er das Lied etwas zugeftugt har“ im de 
Rubrif gelommen ift. Bl, auch Rambad, Anth. 1817. I. ©. 164. Wadernagel, &-Y. 1. &. # | 











Ich elender Menfdy 2c. Ich freue mid) in dir. 635 


















ne Güte, 








BEA 
1 — — 





daß du mich heint in die ſer Naht jo gnä- dig haft 
Die Umbildung der erſten und zweiten Zeile (mit der ungewöhnlichen — der 
ehteren nach der Tonart der Unterdominante), in der fie jegt im Kirchengebrauch ift: 


— 
& ee — — Ser 
iheint zuerſt bei Chriſtoph Peter, Andahtseymbeln, 1655, und bei Joh. Grügerr 
Prax. piet. mel. 1656. ©. 17. Wr. 7 


Ic elender Menſch, wer wird mi erlöfen von dem Leibe dieſes 
Todes, Rantate auf den 19. Sonntag nad Trinitatis von Seb. Bad. Im Haupt 
hor über Röm. 7, 24 blaſen Trompeten und Obven den Choral „Herr Jeſu Chriſt, 
su höchſtes Gut“ im Kanon der Quinte und am Schluß desfelben wiederholt die 
Trompete alein nochmals die beiden erſten Zeilen, fo daß im der Form der mufl 
alifchen Frage geſchloſſen werden fan. Val. Spitta, Bach II. S. 565—566. — 
Im der Mitte der Kantate erfheint die vierte Strophe von „Ad Gott und Herr“ 
vgl. den Art.) und den Schluß bilder die zwöffte Strophe („Herr Jeſu Chriſt 
iniger Troft") des erftgenannten Chorals. — Ausg. der Bach Geſ. X. Nr. 48. 

Ich freue mic in dir, Choralfantate zum dritten Chriftfeiertag von | 
dad) über das Weihnachtslied Kaſp. Zieglers (vgl. Filher, 82er. 1. ©. 
nd jeine weniger befannte Melodie, die Layriz, Kern III. Nr. 528 giebt und ihr 
. S. VI „um 17142°") beifcreibt. Vach Hatte ſich dieſelbe zuerſt fo notiert 
gl. Spitte, Boch II. S. 829): 
































[6 freue mich in dir und Kei-Ge dig will- tom- mei * 


Dein fie» des de ju iein, du Haft Dir vor<ge- nem men, 


— — 
— 


Brü der lein zw fein, ad mie ein fü>fier Thon, wie ſreund lich ſieht er 


) Gr ſcheint damit auf Freylinghauſen, @-®. II. 1714 als Duelle hindenten zu wollen, 
wohl dafelöft G. B. I. 1704. Nr. 27 (Gef. Ausg. 1741. Nr. 62. ©. 38) „Ich freue mich 
dir” auf die Weile „OD Gott, du frommer Gott“ vermiefen, und über „O files Gotte 
mn“ daſ. II. Te. 17H. Re. 420 (Gef. Ausg. 1741. Mr. 916. S. 820) dinwiederum ficht 
ref. Ich freue mich in dir x.” Erf, Bache Choralgeſ. I. Nr. 64. S. 41 giebt Königs Harm. 
derfchag 1739 als Quelle. 























636 Ich geh und ſuche ze. — Ic habe meine Zuverſicht 2c. 














— 
— — == 
aus der gro-fie Got-tes-fohn. 


in der Kantate felbft aber dann fo verwendet (nl. Ext, Bach's Choralgefünge I 
Nr. 64: 


# 












































5. FWoht-ant fo will om ih 0 Je-fu halt g 
"Aund foll-te glei; die Welt, in tau-fend Stüt-fen fpal- ten. 























Kt ee 
—— —— — 


Ze— fü, dir, nut dir, die lebd id ganz af lein: auf dich, al lein cuf 























— — 
— — — 
dich, mein Je» fu, ſchlaf ih ein. 
und in dieſer Form mit nur unweſentlichen Änderungen bringt fie dann auch Körn 
Harmon. Liederſchatz 1738. S. 230 zu dem Liede „D flilles Gottestanm“. 


Ich geh und ſuche mit Verlangen, Kantate zum 20. Sonntag nad Ti 
nitatis (1732) von Seb. Bad. Dies Werk ift ohne Chor, nur für Sopran zı 
Baß gefegt; am Schluß erſcheint im Sopran die legte Strophe des Chorals „Er 
ſchön feuht't uns der Morgenftern. Bl. Spitta, Bah I. ©. 280. Ausg. ir 
Bach Geſ. X. Nr. 49. 


Ih glaube, lieber Herr, Hilf meinem Unglauben, Kantate zum 21 
Sonntag nad; Trinitatis von Seb. Bad. Der „merhvürdige Anfangshor — übe 
Marl. 9, 24 — drüdt die Empfindung des Schwantens und Zweifelns in cherit 
beſtimmter als meiſterlicher Weife aus; den Schluß bildet eine Choralphantafie übe 
die fiebente Strophe des Liedes „Durch Adams Fall ift ganz verderbt. Vgl. Spies 
Bad II. S. 298. — Ausg. der Bach Geſ. XXIII. Nr. 109. 


Id habe genug, ich habe den Heiland, Solofantate für das Feit Nart 
Neinigung (2. Febr. 1731 oder 1732) von Seb. Bad. Urjprünglid als geitit 
Kammer- oder Hausmufil gedacht und für Anna Magdalena Bach Fomponiert, mar 
dies Wert fpäter für Dieggofopran oder Alt, und endlih im Hinblid auf den rö 
lüchen Gebrauch für Baß im Evangelium die Worte Simeonis) eingerichtet. 8 
Spitt, Yad I. ©. 757. II. ©. 302-305. S. 809 5. u. ©. 800 fi. — Ami 
der Bach Geſ. XX. 1. Nr. 82. 

Ich habe meine Zuverficht auf den getreuen Gott geriht’t, Ku“ 
für den 21. Sonntag nad) Trinitatis (14. Dft. 1731 oder 29. Oft. 1730): * 
hat unter den Leipziger Kantaten erſtmals obligate Orgelbegleitung, als Eintena, 














Id) hab in Gottes Herz ıc. Ic) hab mein Sach ır. 637 


dient iht das für Orgel übertragene Klavier. oder Biolintonzert D-moll (Ausg. der 
Vach Geſ. XVII Nr. 1) und den Schlufchoral bildet Strophe 1 von „Huf meinen 
firben Gott." Bol. Spitte, Bach I. ©. 277—278. 


Id Hab in Gottes Herz und Sinn, Choraltantate zum Sonntag Sep- 
ungefimä von Seb. Bag, der das ganze Kirchenlied „IH Hab in Gottes Herz 
md Sinn mein Herz und Sinn ergeben" von Paul Gerhardt, mit der Melodie 
„Was mein Gott will das g'ſcheh allzeit” als Unterlage dient; den Schlußchoral 
sildet die 12. Strophe „Soll ic denn auch des Todes Weg und finftre Straßen 
“fen.” Vol. Spitta, Bad II. S. 568 fi. — Ausg. der Bach Geſ. XXII. Nr. 92. 


Ih hab mein Sach Gott Heimgeftellt, Choral. Das Lied, das bis jegt 
iberall dem Dr. Johann Pappus (1549-1610) zu Straßburg zugeſchrieben wurde, 
ft nad) Wadernagels Nachweiſungen ) aus Strophen, welche in verfhiedenen Er- 
auungeſchriften des Predigers Iohann Yeon (geft 1597 zu Wölfis) zuerft erigienen 
ind, zufanmengeftellt worden. Nach W. Bäumlers Meinung jedoch wäre das Lied 
ter; er bemerft dazu: „In einer handſchriftlichen Ergänzung zu Lutas Loſſius 
’salmmodia sacra 1553 (vom I. 1580, tönigl. Biblioth. in Berlin) finde id: 
Folgt Im thon: Ich Habe mein Sad; Gott heimgeftellt: Id weiß mir ein Blüin- 
sin Hübih und fein, 8 tut mir wohlgefallen.“ Ohne Zweifel eriftiert alſo ein 
ltes geiftlies Volkslied mit den Anfangsworten: „IH habe mein Sad) Gott heim- 
eſtellt.“ Dieſes Vollslied war ein meitverbreitetes, denn man findet in miederdeut« 
her Sprache im Liederbuche der Katharinn Tirs, geſchrieben im Jahre 1588 im 
!onnentlofter Niefing in Münſter: 

Ich habe mein sache zu godt gestelt, 
der wert es wal machen, wi es em gefeldt etc. 
ochdeutſch fommt ganz dasfelbe Lied (bereits um 1554 vor (bei Wadernagel 
L Nr. 1242). Später wurde es tertlich vielfad) Kearbeitet und erweitert, ſo z. B. 
¶Gaſſenhawer, Reuter vnd Bergliedfein x. von Knauft. Frankfurt 1571 (Wader- 
ıgel II. Nr. 1243). Cine andre Bearbeitung iſt die von Johann Leon.“ ) Bei 
nem erften Erſcheinen in einem Kirchengeſanghuch, dem Nürnb. G.-B. 1589. Bl. 
33 wird es auf den „thon: Es ift auf Erden fein ſchwerer Leidn“ verwieſen und 
bleibt ihm Diefe Überſchrift in vielen Gefangbüchern. Gleichzeitig erfheint aber 
© „thon“ felbft mit dem Liede bei Joh. Rhau, Geiftl. G.:B. Frantf. 1589. BL. 
;9, in Wolders Katehismus-Öefangblihlein. Hamb. 1598. ©. 786 und a. a. D. 
3 gehörte alſo dieſe Melodie uefprünglic dem weltlichen Volksliede „Es ift auf 
1) Bol. diefe Nadiveife in defien KR. I. ©. 654. IV. Nr. 682. 693. 701. 711, 712. 
. ©. 1184, und deren Zufammenftellung bei Fiſcher, K. er. 1878 I. ©. 336 u. 337. 
2) Bot. Meifter, Das Tathol. deutfhe 8.8. II. 1883. ©. 274-275. Die niederdeutice 
rſton des Liedes if abgebruct bei Odiſcher, Niederdeutſche geiſlliche Lieder und Sprüche aus 
in Diünfterfande. Berlin, 1854, Nr. 58. 





638 Id hab mein Sach Gott heimgefeilt. 


Erden fein ſchwerer Xeiden*!) am umd ging dann auf das geiſtliche Lied über. Ir 
dieſer ihrer licchlichen Verwendung heißt fie bei Michael vrätorius, Mus. Son 
VII. 1609. Ic. 189 (. Tußer Cäap IL. Mr. 149. ©. 08): 

















& — — — 
3 Hab mein Sad Gott heim + ge > ſielt, Se made mit. mir, mu) 














——— — — 
a Hr SE ei 














ihm ge» fell, Sol 





all > hier mod) fen «ger febm, miht wi » 








Dee Pe 
feim wif- Ten Al ich mich er + gebn. 

wurde dann unſre Melodie noch zu einem andern geiftlicen Liede m 
: 9 weiß ein Blümlein hübſch und fein”*) „vom Worte Gottes“, mi 
dent fie bei ee Bulpius 1609 wie folgt erfheint: 




























>= = — 
Eh — 


Ich weiß ein vlnme lein hübſch und Hin, das thut mir wohl ge « fh le: | 









































glicbt mir im 














— 
FT — 
J 

Die hier der im Alt liegenden Melodie gegenüber geſtellte Oberſtimme fol net 
v. Tucher von Bulpius als „neue Melodie” gemeint gewefen fein, während ca 
Vöhme’s u. a. Anficht auch hier der mehrfach vorfommende Fall vorläge, das mr| 
aus Vifverftändis flatt diefer eigentlichen Melodie „die untere, begleitende Keb> 
ſtimme als Hauptmelodie genommen und durch folhe Verwechslung einen unmdz| 
ihen Choral erhalten Habe.”°) Das Lied „Ich weiß ein Vlümlein,” das jo gu) 
der Nachahmung eines Volloliedes gleihficht, Hält Hoffmann d. F., Gedichte =| 








H Bot. daS Lied aus dem Ambrafer Liederb. 1582. Nr. 118 (Meue Ausg. in der EL 
des liter, Vereins zu Stuttgart. 1945 S. 133 ff.) bei Böhme, Al. Fiederb. 1877. Fr. 
&. 343 f., wo and eine Lesart der Mel. ans Hainheiers Lantenbug. Mfle. von 1603 
gegeben ift. 

2) Ba. dasfelbe bei Wadernagel, 4%. V. Nr. 10. 11. Hoffmann v. Falleret, Ges.m 
HÜNT 202. 289. Bücher, a... DI ©. 54 1. 

>) Bol. d. Tußer, Schab il. 5. 305. Böhme, Ad. iederb. 1877. S. 097. Gt, St &| 
1863. Nr. 131, ©. 252. 











3 hatte viel Bekümmernis ıc. — Ich laß ihm nicht ıc. 639 


deutſchen 88. Nr. 242 für ein uriprfinglich geitlic abgefahtes, nicht dem welt- 
lihen Gefang entlehntes Fied, und es ift Daher Die Reſerve, mit der Faißt, Württ. 
6-8. 1876. ©. 215 von unfeer Weife ſogt, „vielleiht aus deutfchem weltlichen 
Gefang“ immerhin gerechtfertigt. 


Ih hatte viel Befümmernis in meinem Herzen, eine der belannteften 
Kantaten Bach's umd von ihm zum 3. Sonntag nad) Trinitatis (17. Duni :714) zu 
Weimar über den Johann Frand’ihen Tert komponiert. Cr bezeichnete fie jedod), 
da fie mr ganz allgemein gehaftene Beziehung zur Epiftel des Sonntage (1 Petri 
—11) hat, mit Recht als „Per ogni tempo.“ Sie enthält vier über Bibel- 
hellen gefegte Chöre: „Ich Hatte viel Betümmernis“ Pi. 94, 19. „Was betrübft 
du did, meine Seele“ Pi. 42, 6. „Sei num wieder zufrieden meine Seele“ Pi. 
136, 7 (ugleih mit Verwendung des Chorals „Wer nur den lieben Gott lügt 
walten“ zur 2. und 5. Strophe des Video), und den Schlußchor, „die ftrahlende 
frome des Ganzen,“ über Offb. 5, 12. 13; außerdem drei Arien, zwei Recitative 
and ein Duett. Bol. Spittn, Bad 1. S. 525532. Ausg. der Bach Geſ. V. 
1. Rr. 21. Bearbeitung von Robert Franz. Part. Orhfin. Chorftn. Kll-A. Leip— 
ig, Yeudart. 


Ich laſſe dich nicht, du jegneft mich denn, Kantate zum Feſte Mariä 
Reinigung von Seh. Bach. Sie wurde am 2. Februar 1727 als Kirchenmuſit, 
nd vier Tage danach am 6. Febr. 1727 als Gelegenheitsmuſit bei einem Trauer- 
ottesdienft (fiir Joh. Chriftoph v. Ponidau, einen hochangeſehenen fühfihen Be- 
imten) benügt, und ift „ein ernſtes, finniges Stüd in der Stimmung der Worte 
es alten Simeon: Herr num laſſeſt du deinen Diener im Frieden fahren.“ Bol. 
pitta, Bad) II. ©. 243244. — Mit Ausnahme des Schlußchorals „Meinen 
sefum (aß ih nicht” (Stropge 6 „Iefum (af id) nicht von mir, fteh ihm ewig an 
er Ceiten") enthält das Wert feinen Chor. 


Ich laß ihn nicht, der ſich gelaſſen, Choral, defien Melodie zuerft bei 
reylinghauſen, G.-B. U. U. 1714. Nr. 414 (Gef-Ausg. 1741. Nr. 908. ©. 
02 eridien. Sie fteht auch bei König, Harn. Liederſchaß 1738. &. 209 und 
ißt 5. B. bei Ritter, Ch.B. für Halberft.-Magdeb. 1856. Nr. 150. ©. 53 


— — 


1 taß ihn nicht, der fih ge - af + ſen mm mein ver » fherz «tes Heil her- 
Er, der mid ein-mafmollt um + faf + fen, muß mei- me fein 6is an das 















































— 
met 








mir die Welt q vers fprüßt, zu bre- den mei ner 


640 Ich licbe den höchſten ıc. Ich liebe did) herzlich ze. 














— 
= = — — = 
Lie - be Pflicht: ich Tab ihn nicht, ih laßz ihm nicht. 

Ich liebe den Hödjften von ganzem Gemüte, Kantate zum zweiter 
Pfingftfeiertag (14. Mai 1731 oder 2. Yuni 1732) von eb. Bad), ohne Che 
mit dem Schlußchoral „Herzlich lieb hab ich did, o Herr.” Die Baßarie „Greife 
zu! Faßt das Heil ihr Glaubenshände“ ift nad) Spitte, Bad II. ©. 257 f. ei 
Leitung Hödhften Ranges. 

Ich liebe dich Herzlich, o Jeſu, vor allen, Choral aus dem Prenlin; 
hauſen'ſchen G.B. 1704. Nr. 377 (Gei.-Ausg. 1741. Nr. 909, ©. 603), der ir 
feiner jegigen kirchlichen Zeichnung z. B. bei Ritter, Ch.-B. für Halberft.-Magds 
1856. Nr. 151. ©. 53 Heißt: 












































— — = 
Ih lie» be dich herz lich, o Je ſu vor al-fen, an dir hat me— 


rem 


ich ſuch dic, Tieb die, is 


* — ven 
— — 
will dich um + ſaf- ſen, ich will dich be— wahren, ih will dich nicht laf— ſeu 
Eine zweite Weiſe ähnlichen Charakters wie vorliegende, ſteht bei König, Kara 
viederſch. 1738. S. 210, und eine dritte ift die folgende herruhutiſchen Urfprungt 
die im Ch.B. der Brüdergem. 1784. Art 39a. ©. 34 unter der Benenus; 
„36 rühme mid) einzig Der blutigen Wunden“ heißt: 





















































+ T — = — + = I —— 
ee — 
(Kommtdan-tet dem Hel-denmit ſreu di- gen Zun-gen, 

— Der unsfesre Feinde fo —S— ⸗ 


— = = — 

Bee ee = men 

König der Chr renslat al » te Melt uns fer Hel -le— ine ja Gb 
Sie wird öfters auch nad Herenſchmidt's Ofterlicde, deffen erſte Strophe wir # 
nad dem Vorgang der fftweizerifcien Xusg. des Ehoralbudjs der Brüdergem. 17% 
&. 35 untergelegt haben, „Kommt dantet dem Helden mit freudigen 2 
gen" benannt (vgl. Iafob und Richter, CB. II. Nr. 830. ©. 672-—— 
während dies Lied bei Freplingfaufen, ©... II. 1714 Nr. 105 auf die Be 
„N alles, was Himmel und Erde umchlicget” verwiefen if. } 






















































































Ich ruf zu dir, Herr Jeſu Chrif. 64 


Ih ruf zu dir, Herr Jeſu CHrift, Choral. Das treffliche Gebetslied des 
Johann Agricola (1492— 1566) erſchien ſchon vor 1530 in Einzeldruden ) und 
tam von 1531 an in die Kirchengeſangbücher, als deren erfte das Erfurter Endiri 
din 1531. Bl. Loij und das wiederdeutiche Sluter'ſche Roftoder ©.-B. 1531. Bl. 
ib es bringen. Dod hält Fiſcher, K-Lter. 1. S. 345 „nad dem Verhältnis, 
in welchem das genannte Roſtocker Geſangbuch zu dem von Luther beſorgten Witten 
berger Enchiridion von 1529 (Mug’ihes G. V.) fteht," für „unzweifelhaft“, daß 
das Led auch ſchon in diefem fand. Auch von der Melodie, deren Herlunft bie 
jet nicht nachgewieſen iſt, hält Ext, Ch-⸗B. 1863. ©. 253, dem diſcher a. a. D. 
folgt, für wahrſcheinlich, daß fie {chen in dem noch nicht wieder aufgefundenen Klug- 
ihen 6.8. von 1529 ftehe, während Faift, Württ. Ch-B. 1816. ©. 216 dies 
beſtreitet.) Die älteften Quellen für dieje find bis heute das Klug'ſche G.-B. 1537. 
Bl. 1338, dann Köphl, G. B. Straßb. 1537 und Bat. Babſt, G. B. 1545. II. 
Nr. XVI. Sie heißt bei Babſt gleichlautend mit Köphl, ſowie in einer jet kirchen- 
üblichen Zeichnung des Elberf. G. B. 1859. Nr. 427. ©. 391: 














= ruf zu dir, dm de juChrift; ich bitt er» hörmein Kla«gen; 


teig, mir Gnad zu die. fer Fit, laß mid) doch nicht ver » 30 + gen. 























—— 
























= 
meim Nãch· fen ung Fr 
mein’mNädften nut zu fein, 














Seh. Bad) Hat Über unfern Choral eine Choraltantate „Id ruf zu dir, 
Herr Deſu Cheift“ zum vierten Sonntag nad Trinitatis (6. Juli 1732) geſchrieben, 
für die er den ganzen Tert auch für die Solonummern und recitativiſchen Partien 





2) Bol. Wadernagel, Das deutihe 8.2. I. ©. 392 und Vorw. S. XX. Derj. Bibfiogr. 
1855. ©. 89. 8.2. II. Mr. 18. 

*) Das von Otto Kade aufgefundene und Monataäh. für Mufitgeih. 1872. IV. S. 118 
bis 136 beffriebene Jobft Guttneht/ihe G.®. Nürnb. 1531 enthält weder das Lied noch die 
Melodie. 

Kümmerte, Encätl. d. wang. Kirgenmuft, 1. 4 





642 Ich finge dir mit Herz und Mund. 


dem Kirchenliede entnahm. Bgl. Spitta, Bach IT. S. 285—289. Diefe Kantcı 
it im der Ausg. der Bad-Gef. noch nicht gedrudt. Mußerdem verwendet Bad Nr 
Dielodie mit der erſten Strophe des Fiedes als Schlußchoral der Kantate „Ir 
da glaubet und getauft wird“ (ugl. den et.). 


Ich finge dir mit Herz und Mund, Choral. Dies Gerhardt’fhe Lid 
wird zwar meift auf Melodien wie „Lobt Gott, ihr Chriften, allzugleich, — oder af 
„Nun danfet all und bringet Chr“ verwiefen; Layriz, Kern II. Nr. 229 giebt ifm 
eine ſchottiſche Melodie („Sceotsh Tune“) des 88. Pfahns von Thomas Raven: 
feoft 1621, und daf. IT. Nr. 478 die Melodie „In Bethlehem ein Kindeldr" 
aus Mid. Prätorius, Mus. Sion. VII. 1609 bei. Doch Hat das ſchöne Lohlis 
auch eigene Melodien hervorgerufen, von denen zwei hier aufgeführt fein mögen. — 
Die erfte derfelden flammt aus Balth. König's Harm. Liederſchaz. Frantfen 
1738. S. 380 und heißt: 





























— — — — = 
BSH 
Ih fin»ge dir mit Herz und Mund,Herr, mei» mes Herzens uf: 34 


Er m 
fing und mad auf Er: den hund, was mir von dir Ge» mußt. 


Aus ie wurde in Württemberg eine Melodie zu dem Liede „Wenn ih nur meine 
Deſum Gab“ Gerausgebildet, die bei Adam Priedr. Bayerdörffer, Ch.®. Scwätiit 
Hall 1768 erftmals vorkommt und im Württ. Ch®. 1844. Nr. 22 Heiß 


= — — 
Sasse — 
Wie gut iſts, von der Sün-de freit wie fe» fig Ehri-fii Knecht! Im 
u 
#4 N 
a — = car 
— — 


Sun · den » dienſ iR Slla- de— rei, in Chri- ſio Kin . des- reiht. 










































































SH 


























Eine zweite eigene Melodie von Joh. Georg Bernd. Beutler (vgl. den Art.) er 
ſchien zuerft in „Neue Chriftliche Lieder von H. G. Demme x. Gotha, 1799. 4. 
©. 65. Ne. 45, wo Beutler in der Vorrede al Komponift genannt ift (ngl. Et! 
&h.-8. 1863. ©. 253), und ging dann in vereinfadhter Form in Karl Gottieh 
Umbreits Allg. CH-B. Gotha, 1811. ©. 96. Nr. 185 über, wo fie mit der Ani 
ſchrift „90h. G. Beutler, Konreftor zu Mühlgaufen. 1799" verfehen ift und heif 
—* — — — 
ee een — 
Ich ſin-ge dir mit Herz und Mund, Herr, mei nes Lerbens Lun: if 





























3d) Ach in Angf und Pein. — Id) will den Kreuzſtab ıc. 643 





— — 














fing und mach anf Erden tund, was wir von dir be- wußt. 

Ich ſteh in Angft und Pein, Choral von Heinrich Albert (vgl. den Art.). 
das Lied Simon Dach's (mit dem Motto „— — supremi Judicis urnam non 
netuit fisus sanguine, Christe, tuo“) erjhien mit der Melodie in 9. A- 
ati’s Arien. IV. Teil. 1641. Mr. 5, und ift z. B. bei Sohren, Mufil. Bor- 
tmad 1683. Nr. 985. ©. 1259 ausdrüdlih mit „Albert.“ unterzeichnet. Sie 
ft in der Form, wie fie in den ©.BB. des 17. Yahehunderts vorlommt: 


Be — — 
Ich ſteh in Angft und Pein und weiß nicht aus noch ein, der Sinnen Kraft ſinkt nieder, 

= * — — 
— — — — — — —J— 


Se — 
























































mein Herz will mir zer / gehn, die Zunge blei⸗bet ſtehn, mir ſtar- ren al»Te Glieder. 
Hit mar unweſentlichen Varianten, wie ſolche z. B. bei König, Harm. Kiederſchab 
'38. &. 457; Kühnen, Ch-®. 1. Nr. 99. ©. 105; Shit, Ag. Ch-®. 
1. Rr. 835. ©. 371 u. f. w. ſich finden, hat ſich die Weife Bis zur Gegenwart 
fichlicen Gebrauch erhalten. — Cine Parallele fteht bei Drepel, Ch-B. 1731. 
766; fie ift mit „C. H. D.“ bezeichnet, aljo von Dregel felbft erfunden. 


Ih fteh mit einem Fu im Grabe, Kantate zum dritten Sonntag nad, 
iphanias (22. Januar 1730) von Seh. Bad, „voll Todesernft und Glaubens 
igfeit, mit einem tiefpoetifgen Choral-Quatuor als Arie, in dem der Sopran zu 

madrigaliſch gefügten Worten des Tenors den Choral „Made mit mir, Gott, 

; deiner Güt“ vorträgt.“ Bol. Spitte, Bach II. ©. 273. As Schlußchoral 
die joniſche Weile „Aus tiefer Not fhrei ih zu dir" mit der Strophe „Herr, 
du wilt, jo jhids mit mir" verwendet. 


Ich weiß, daß mein Erlöfer lebt, Kantate zum Ofterfeft (16. Aprit 1713 

1. April 1714) von Seh. Bad); durchweg Solofantate für Tenor, aus drei 
m und zwei Recitativen befichend, deren Inftrumentalbegleitung nur aus der 
el mit baßverftärtendem Fagott und einer Solodioline befteht. Die Mufit zeigt 
© Mifung weicher Imnigfeit und friſcher Lebensfülle.“ Vol. Spitta, Bad I. 
495—498. 


Ich will den Kreuzſtab gerne tragen, Kantate zum 19. Sonntag nad 
itatis (7. Oft. 1731 oder 26. Oft. 1732) von Geb. Bach, die mit der ſech- 
Strophe: „Komm o Tod, du Schlafesbruder” des Liedes „Du o ſchönes Welt: 
ide“ — Melodie von Johann Crüger — ſchließt. Val. Spitte, Bach II. ©. 
f. — Uusg. der Bach Geſ. XII. 2, Nr. 56. — KW. Leipz. Peters. 

al* 


| 


64 3d) will did) lieben, meine Stärke. 


Ih will dich lieben, meine Stärke, Choral. Gleichzeitig mit dem fi 
erfhien im des Angelus Sileſius „Heilige Seelenluſt oder Geiſtliche Hirtenlieder 
Breßlaw, 1657. ©. 29. I. Buh „Das Zehende” (vgl. Rambah, Anth. II. 
99) eine Melodie von Georg Doſephi (vgl. den Art.), die aber, obwohl fie Kai 
Anal. hyınn. I. Stüd 1. S. 33 „gar angenehm" nennt, nit in kirchlichen 
brauch tam. — Dagegen find die folgenden drei Weifen mit dem Liede in 
Kirchengeſang übergegangen und haben fid in demfelben erhalten: 1. eine Weile, 
in Freylinggaufen's G. B. 1704. ©. 579. Nr. 378 (Gef. Ausg. 1741. Nr. 9 
©. 604. Stögel, Nr. 301.) erftmals erſcheint und Freylinghauſen felbft als ı 
finder zugefrieben wird. Cie heißt bei Erf, Ch.B. Nr. 136: 

BS 





















































— — 
en 
3% wil dich  fie-ben meine Stsr- ſel ih will dich lie - de 
Ich will dich Tie-ben mit dem Werte und immer wäh » ren 
m t rn = 

E HER = Fr 
Peer en 
a ich win dich Tier ben ſchön fen Ride, & 


Bess 
mie das Her: ze bricht. 

2. eine urfprünglich weltliche Melodie, die nad Faißt, Württ. Ch-®. 1818. i 
223 ſchon 1642 vorfommt und vielleicht von Heinr. Pape (vgl. den Art.) afen 
it. Iohann Crüger verwendete fie 1662 in der Prax. piet. mel. geiflih » 
nad) ihm gab ihr Störl, CB. 1710. Nr. 231 (Stögel Nr. 3016.) die Gef 
wie fie noch jegt im Württ. Ch-B. 1844. Nr. 74 ſteht — fie iſt aiſo midt, | 
Iatob und Richter, C-®. II. ©. 682 vermuten, von Störl Tomponiert —: 





















































9% wit ih Gerben, meicne Störe, (6 will DiG lieben mei-ne 
Ic will did lieben mit dem Werte und im«mer mäß-ren «der Be 


























ich will dich lie ben, ſchön fes Gicht, bis mir das Her » je, bricht) 
3. eine Melodie, die ſich zuerft in Königs Harm. Fiederfhag 1738. ©. 210 
und bei Jatob und Richter, Ch.B. II. ©. 681. Nr. 844 Heißt: 


Fee SR re * 
ee 
2. fe will did lieben, o mein Le-ben! als meinen al - fer he · ſien 
Ih will di lieben und ex» heben, fo-lan + ge mic dein @lanybe 



























Iohann Jeep. 645 




















ich will dich fie = ben Got-tes Fam als meinen Bräu-ti- gam. 


Jeep, Iohann,!) ein tuchtiger Tonfeger aus der eriten Hälfte des 17. Yahrs 
hunderts,?) über deſſen Lebensumftände jedoch nur wenig Sicheres befannt ift. Er 
war um 1585 zu Drangfeld im Braunfcweigifhen®) geboren und ſcheint frühe nad) 
Nürnberg gefommen zu fein, wo er wohl auch feine muſikaliſche Bildung vollendete. 
Denn obwohl fhon von 1607 an Mufihverte von ihm erſcheinen, zeigt ihn cin 
Porträt von 1613 noch als jungen Dann, und ein Widmungsgediht von 1614 
nennt ihn ausdrüdlih „juvenis vir“.*) Nach vollendeten Studien mag er in Nürn- 
berg als Muſillehrer geblieben und daneben als Komponiſt thätig gewejen fein; da 
ex fih als folder auch mit den kirchlichen Choral fleißig befhäftigte, fo dürfte die 
Annahme nicht unftatthaft fein, daß unter den Choralfägen, die, wie Hans Leo 
Hafer 1608 fagt, ſowohl im feiner „als anderer derpleihen Compofition” in 
den Nürnberger Kirchen gefungen wurden, auch ſolche von Deep geweſen fein werden. 
Ein Amt aber ſcheint I. dort nicht gehabt zu haben, denn in den Vorreden feines 
„Studentengärtleing,“ einer weltlichen Liederſammlung in zwei Teilen, welde 1607 
5i6 1621 im wmehrfachen Ausgaben zu Nürnberg erſchien, unterſchreibt ex ftets nur 
mit feinem einfachen Namen, ohne Titel oder irgend eine andre Bezeichnung anzu- 
jeben, oder fih aud nur „Muftus“ zu nennen. Chun von 1625 an erſcheint er 
yann als gräffidh hohenlohiſcher Kapellmeifter zu Weitersheim,‘) und da ein lehtes 
Wert von ihm 1648 zu Ulm erihien, nimmt Mendeis Mufifalifces Leriton an, 
r Habe zufegt dort gelebt und fei um 1650 geftorben. — Bon 3.8 Werten find 
jier anzuführen: 

1. Geiftlige Pſalmen vnd Kirchengeſäng D. Mart. Lutheri und 
anderer frommer Chriften dem Choral nad tomponirt. Nürnberg, 1607. — 

2) Bei Schauer, Geſch. der kirchl. Dit: und Tontunf 1850. S. 475 u. a. auch irr - 
ümtih „Sepp“, bei Bal. Kaufmann 1607 (im der deutfen Ausg. von Gafteldis Tricinia. 
Rürnb. 1607) „Jep“ geffjrieben. Bot. Monateh für Mufilgeih. VIIL 1876, 3 32. 38. 

2) O6 „einer der ausgezeißneiften deutlichen Bolaltomponiften“ jener Zeit, wie Mendels 
Rufit. Konverf. 2er. V. &. 373 will, mag dahingefellt Gleiben, jedenfalls reidit er, der gleich. 
eitig mit Hans Leo Haffer in Nürnberg Iebte, an diefen in Teiner Beziehung Hinan. 

3) „Dransfeldensis Saxo-Brunsvrigus“ nennt er fih jet. Deansfeld, das Gerber, 
{tes 2er. L. ©. 688 „Dransfeld“ fhreißt und Feiis, Biogr. des Music. V. &.'137 „en 
jnxe“ gefegen fein läßt, in jet Hannoverifd) und liegt in der Näge von Göttingen. 

+) In einem Säierz: oder Spottgediät (e6 in micit nötig, daß man es mit Gitner, Mo- 
vatöhefte für Mufitgeid). a. a. O S. 38, durchaus für lebteres halie und darauf deffen Sclüffe 
aue) vom Jahr 1607 wird er, wenn dasfelbe überhaupt auf ihn geht, von Val. Haufmann 
Dillentant“, „Fant“ und „Alefanz“ genannt. 

>) Bol. Ibcher's Gelehrten-Ler. Fortf. v. Adelung: die Notiz wurde neuerdings von Quantz, 
Nouaich. für Mufitgefä. a. a. D. S. 37 befläigt. 








646 Jehovah if mein Licht und Gnadenfonne. 


Aus dieſem Werte find die folgenden Choralfäge neu herausgegeben: bei von 

Winterfeld, Ev. K.G. II. Notenbeifp. ©. 7 u. 8 zwei Nrm., Schocberlein 

Riegel, Sag. I. Nr. 6. 8. 25. 30. 31. 37. 46. 48. 61. 63. 71. 18. 

85. 101. 121. II. Nr. 159 u. 253. IIL Nr. 72. 218. 219. 249. 2%. 

338. 386. — 2. Daselbe Werk in neuer Ausgabe. Nürnd. 1629. Cäge 

daraus findet man bei Schoeberlein, Musica sacra. 1869. S. 2. 69. 18. 

90. 94. 152. 155. und bei Ialob u. Nigter, Ch.B. I. Nr. 34c. ©. 20 

Nr. 108a. ©. 98. Nr. 114. ©. 104 f. Nr. 290. ©. 249-250. Wr. 

325. ©. 273— 274. Nr. 431. ©. 393. Wr. 436. ©. 401 f. II. Mt. 

515. ©. 473—474. — 3. Chriftlihes Geſang Büchlein. Ulm, 1648 (nat 

Dendels Ser. V. ©. 374). 

Ichovad ift mein Licht und Gnadenfonne, Choral. Joachim Neander 
Hatte feinem Liede bei deffen erftem Erſcheinen in den Bundesliedern. 168O (vierter 
Drud 1689. ©. 275) eine eigene Melodie beigegeben, aber dieſe hatte ebenfowenis 
Anfang gefunden, als die weitere, welche der Mnpellmeifter Strattner für dasielke 
erfunden und ihm in der 5. Ausg. der „Bundeslieder“ von 1691 (fiebenter Drud 
1700. Nr. 5. ©. 14—17) mitgegeben Hatte. Erſt eine dritte Weife, welche in 
Darmftädter GB. 1698. ©. 275 erftmals erfhien, ift mit dem Piede in Firchficer 
Gebraud) gelommen. Sie heißt bei Freylingfaufen, GB. 1704. Nr. 172. ©. 2 
(Gef.-Ausg. 1741. Nr. 364. ©. 227), fowie in ihrer jegigen Form: 































ie 

Fe =; 
JIe - bo vah ift mein Licht und Gna 

1e+Go = vah il die ri» me See 





won-ne, Je⸗ Go » veh 





























— 
el 21, —— 
— 


ẽ 
FÜR Die Bol > fen-Tommen-heit. gu 
Wit der Brunn voll Hei-Tig- keit. I 


















































— 








— — 


fen: Die DT + fen- Dimemen seit iR meiene Muh, die Ser fen » fra 


De: 


7 








KEEP ErErEe FE 


Bere | 


amt » tet mid; dazu: im Sehr figeleit muß ih amd zu ihm ger 


I — 






















































































W. 6. M. Ienfen. Jeruſalem, du hochgebaute Stadt. 647 


Im dreiteiligen Takt geben fie nad; Freylinghauſen noch Dregel, Ch.-®. 1731. ©. 
219, Kühnau, CH.-B. I. Nr. 92. S. 104—105, und Jakob u. Richter, Ch.-B. 
1. Nr. 374. ©. 700. Doc) jegt Kuhnau and die ausgeglichene Form bei Mr. 
93. ©. 106—107) und bezeichnet fie al Die beſſere, und fie findet ſich feit König, 
Harm. Liederſchat. 1738. ©. 110 aud gewöhnlich verwendet; fo z. B. bei Stöze, 
&.B. 1744. Nr. 240; Shit, Ch-B. III. Nr. 1156. ©. 495; Ritter, Ch.B. 
1856. Nr. 154. ©. 54; Erf, Ch.-®. 1863. Nr. 138 u. a. Auch das neue 
ihlefifcpe Choralmelodienbuch hat fie zu „So führt du doch recht felig, Herr, die 
Deinen” erhaften (vgl. Schäffer, Vierft. Ch.-®. 1880. Nr. 132. ©. 155). Mande 
Ch. BB. behalten auch die Melodie des 27. Pſalms aus dem franzöfifd-reformi 
ten Liedpfalter (vgl. den Art. „So führft du dod recht ſelig, Herr, die Deinen"), 
auf welche Neander fein Lied verwies, bei; jo z. B. Telemann, Ch. B. 1730. Nr. 
414. ©. 173; Shiht, a. a. O. II. N. 1157. ©. 496 und Yayriz, Kern. II. 
Rr. 294. ©. 90. 


Ienjen, Wilhelm Gottlieb Martin, (ebte als königl. Mufildireltor und Or— 
yonift zu Königsberg und ftarb daſelbſt 1842. Er gab ein von Ernſt Theodor 
Reinhard, Rektor der königlichen höheren Stadtſchule zu Saalfeld (geb. 1792, geft. 
849) ausgearbeitetes Choralbuch für die Provinz Preußen unter dem Titel heraus: 

Vierftimmiges Ch. B. für die evangeliſche Kirche der Provinz Breußen x. 

Königsberg, 1828. Hartung. Dasfelbe enthält 214 Choräle und erhielt einen 

„Ergängenden Nachtrag". Daj. 1838, von 160 Chorälen, der die Beftims 

mung. hatte, für dieder des Quandtſchen und Rogaliſchen, durch das neue 

Provinzialgefangbud) für Preußen nicht verdrängten älteren ©.-B. Melodien 

zu geben. Die Choräle find ganz in der älteren tationaliftihen Weile Hil- 

fers, mit „einem vorwiegenden Hange zur Sentimentalität“ geſetzt; dom Ber 
arbeiter find drei, vom Herausgeber eine eigene Melodie aufgenommen.") 

Ierufalem, du hochgebaute Stadt, Choral. Das Lied „Vom himmliſchen 
erufalem. D. Iohann Matt. Mayfarts” (aus feiner Tuba novissima. Goburg, 
626; vgl. Koh, Geſch. des KL. Iil. S. 121) und feine Melodie, die gewöhnlich 
delchior Frand (vgl. den Art.) ala Erfinder zugeichrieben wird, obwohl dies, jo: 
nge nicht der urſprüngliche Tonfag aufgefunden ift, unfiger bleibt, „gehören zu 
m fchönften Kleinodien des Liederſchates der evangelifchen Kirche.“ v. Winterfeld, Ev. 
-&. 1. ©. 75 ff., der Frand als Komponiften der Melodie annimmt, jagt von 
rfelben: „Die letzte Melodie, welde Franck geſchaffen, feine vollendetfte, ſchlagt einen 
& tieferen Ton an; Bier in der That klingt nidt ein Sehnen, ein Ahnen allein 
8 entgegen, fondern felig prophetifges Schauen. Wie Nicolai's herrliche Melodie 

feinem Liede von dem himmliſchen Ierufalem „Wadet auf, ruft un die Stimme“ 
träftigem Aufſchwung beginnt, jo verſenlt ſich dieſe in die Tiefe eines unergründ 

7) B9l. über diefes Wert v. Winterfeld, Zur Geſch. heil. Tontunf. I, 1850. ©. 67-18 
d Breuß. Boltofhulfeeund. Jahrg. 46. &. 255 ff. 











648 Iefaja dem Propheten das geſchah. 


lichen Geheimniſſes; aber nicht düfteres Träumen, fondern freudig felige Dingebun, 
wahrhafte Verklärung tönt fie vor und aus.” Die bis zur Stunde ältefte Tucle 
unfrer Melodie it: „Chriftlih nen vermehrt: und verbefiertes G. B. Erffurth 1103. 
©. 708; fie heißt: 






















— = 
du hoch ge hau te Stadt, wollt &ort ih wir in 
fo aroß Ver-fangen hat und ift nichtmehr bei 


fa (em, 
Rein fehn ich Herz 





— ⸗7 
ber Verg und Tha-le, weit über bla-dies deld ſchwingt cs Ad 





Weit ü 











Pr 
über MT fe umd eilt aus die »fer Welt. 


Im Bezug auf die Zeichnung derfelben ift mod zu Vemerten, daß das Darmftäder 
G. B. 1698. ©. 309, und Freyfinghaufen G. B. 1704. S. 1056. Nr. 678 ti 
a) ftatt f fis Haben, was in neueren Ch. BB. teils angenommen, teils verworier 
wird. Das Freylinghauſen ſcht G. B. von 1741 bringt unter Nr. 1435 an 
Parallelmelodie, die jedod nicht in den Kirchengebrauch gelommen ift. 





Iejaja dem Propheten das geſchah, „das Deutſch Sanktus“, das Put 
in feiner Schrift „Deudihe Mefie und ordnung Gottis Dienfts.” Wittenberg, 
nad Tert und Melodie zuerft veröffentlihte, und für deſſen liturgiſchen Gebrant 
beim Abendmahl er die Vorſchrift gab, da man „flur auff die conferration > 
Brods, das Sacrament verzehr vnd gebe, che man den Kilch fegenet . . . Bnd dir 
weyl finge das deudſche janctus, odder das Lied, Gott jei gelobet, oder Johe 
Huffen fied, Jeſus Chriftus vnſer Heyland, darnach fegene man den Kilch nm a 
denfelbigen auch, vnd finge was vbrig ift von obgenanten (iedern oder das Deutik 
Aguus dei.“ Nach dem viel berufenen und viel umftrittenen Zeugnis Johann Bel 
ther's!) Hat Luther bei diefem „Deutihen Sanktus (Iejaja dem Propheten das ze 
ſchah) . . . alle Noten nad dem reiten Accent und Koncent meifterlih und wett 
gerichtetz” auf Grund diefes Zeugniffes wird er daher allgemein als Erfinder de 
Melodie angeſehen, wie er der Dichter des Liedes ift. Lied und Melodie, die is 
der Neformationgzeit raſch allgemeine Aufnahme in den evangelifchen Kirchengeiena 
fanden, heißen: 

































1) Das allerdings erft bei Prätorius, Syntagma musicum, Wittenberg, 1615. 1. & 
449-458 erfßeint; menerdings worde es öfters abedrudt, jo bei d. Winterfeld, En. 2 ®| 
1. ©. 462; Meifter, Das Tath. deutfhe 88 I. ©. 35-26; v. Dommer, Hands. der Rai] 
gefhihte. 1808. &. 182-183 u. 0. 


Iefaja dem Propheten das geſchah. 649 








— en 
— Par —— ⸗ 


Je · fm» ja dem Bro phe-ien das geeſcheh, daß er im Geift den Her-ren 





























—— ——— — 
— — 


— 
fit «zen ſah auf eirnem Ho. hen Thron, in hel-lem Glanz, ſei— nes Klei- des 


= — 

— — 

Saum ven Cor fl -fet ganz. &s Aum-den zween Se:raph bei ihm „dar«an, 
= = 

— — 

ei» men jeden han, mit poeen wer» bar - gen fie ihr 




















— 































































Ant- fig Mar, mit yween be-ded-ten fie Die Bü. de dar and mit den an- 
—— — * 
——— — — F=F= 


























Dermzween fie flogen frei, gem am-der ruf-ten fie mit gro-Fem fire 


Feen era 
5 2 = — 


— © im 
Hei-fig if Gott, der Gerste Ber ba- oth, Hei-lig iR Gott, der Her . re 




































































5 — = 
Z P= rez ze) + 
Be-facah, Qetig IN Gmtydm Nerere de «bacall Einahe Nie han 
+ — 
— — = 

















— — — 
Welt er - füf« fet Hat! Bon dem G'ſchrei zit > tert Schwell und Bal- ken gar, 


— —— 
— a Pr — — — 


— 
das Haus and, ganz voll Rauch und Ne + bel mar. 


de Ausführung diefes Geſanges geſchah in der verfchiedenften Weife. Vielfach wurde 
e als Chorgefang angefefen und Behandelt, und wir finden ihn daher öfters in den 
nmeindegefangbüchern übergangen, in den Kantionalen aber nidt Harmonifiert, ſon- 
em zum einftimmigen „Chorafiter"-Singen beflimmt, wobei ehon einzene Anaben- 
men mit dem ganzen Chor weifelten.‘) Schon in der Formula Missae von 





























d Bol. 3. 8. Braunfo. RD. 1591; das Sluterche &.8. 1591; im Straßb. Groß 
3.6.8. 1560 unter der Aubrit „Deudfce Chorgefenge”; Sein, Kantionaf 1627. Prätorius, 
Mus, Sion. Bei Erytfräus 1608 iſt mur das dreimal Heilig als „Egoral” bezeichnet und 
Seraliter notiert u. |. w. 





650 Jeſu, der du meine Seele. 


1523 aber hatte Luther das Sanktus aud der Gemeinde zugeteilt, und wenn unfer 
Gefang dagfelbe vertrat, „erfuhr der darin enthaltene Lobgeſang der Engel „Heilig 
iſt unfer Gott“ meift eine befondere Auszeichnung. So heißt es: „Den Vers, Heilig, 
foll die Gemeinde langfam, mit Andacht und großer Ehrerbietung fingen“ ; dee- 
gleigen: „In Städten aber, da Schulen find, follen drei Knaben den Vers Langiam, 
vor dem Altar Eniend, fingen, und das Chor mit der Gemeinde denfelbigen ant 
worten,“ oder „8 foll von den Knaben zweimal mit lauter Stimme gefungen ter: 
den, und wenn Die Knaben den Bers zum drittenmal gefungen Haben, dann br: 
ſchliehet das Chor mit dem folgenden Bers: „Sein Chr die ganze Welt.) Ir 
eingelnen Gegenden beſchränkte man ſich aud Bloß auf die Worte der Serapfim: 
fig ift unfer Gott — erfüllet hat,“ ohne die Einfeitung und den Schluß, un 
ließ, dieſelben entweder von der ganzen Gemeinde fingen, oder vom Chore „am erfter 
Weihnachts-, Ofter- und Pfingfitage nad verlefener Vermahnung an die Kommuni 
tanten.“) — Mande Liturgifer der Gegenwart Haben an unſerm Gefang ausjn 
ſeben, daß er mehr mur ein Referat über Jeſ. 6, als ein wirilicher Lobgefang fe, 
und Schoeberlein (a. a. D.) „würde feine Verwendung als Feltgefang für das 
Teinitatiöfeft geeigneter finden als für die Kommunion“) — Bol. aud den Art. 
„Santtus". 


Jeſu, der du meine Seele, Choral, defien Melodie weltlichen Uriprunge if 
und mit dem Tert , Daphnis ging für wenig Tagen über die begrünte Haid“ ir 
„Des Daphnis ans Cimbrien Galather* Hamburg, 1642. Bl. Ib“ Gorrede unter 
zeichnet: „Püneburg den lebten des Mergen 1642 . . . Theobald Grummer*) et 
mals erfheint. Sie ift nad Faißt, Württ. Ch. B. 1876. S. 221 vielleicht e 
funden von Heinrich Pape (vgl. den Art.). Geiftliche Verwendung zu dem Hark 
dörffer ſchen Liede „Wacet dod, erwacht ihr Schläfer“ (vgl. Riederer, Abhandlurg 
vom deutfchen Gef. Nürnberg, 1759. S. 260), fand fie zuerft in der Prax. piet. | 
mel. Ausg. von Peter Sohre, Frantfurt, 1662 (vgl. Zahn, Euterpe 1877. & 
130). Ausg. von 1676. Nr. 28. ©. 32. Dem obenftehenden Liede Hat fie zuert 
das Darmftädter Cant. 1697. ©. 718 beigegeben. Sie heißt: 


t — = 
Be: — — 
ke der du meine Ser le Haft durch dei-nen bit»tern Tor 
Hus des Teuefele fn-frer Pöh-fe ünd Der fämerren Sünden m | 
































:) af. vommeriche 80. 1503. 1791. Ludecus, Missale. 1589, u. a. Andere As | 
führungemeifen noch bei Mid. Prätorius, a. a. D., und bei Melt, Bulyius, Kirengelnz. 
1004, u. a. 
3) Bgl. Braunfer.Lüneb, K. O. 1657; Hamb. K. O. 1788, ſowie die weiteren Nast 
Über Die verfhiebenartige Musführung bei Schocherlein-Kigel, Chay I. &. 334. 335. N 
3) Auch Sayriy kennt im liturgiifen Teil feines „Kern“ unfern Geſang nicht, umd zit, 
ihn im Choralbug II. S. 123 nur anfangsmeife ohne Rumerierung. 


Jeſu, du mein edle Gabe. 651 























m m 


Dzezzez zz — 


























durch dein am + ger neh» mes Wort, fi doch jeht, o Gott, mein Hort. 


Seb. Bach Hat das Ted und feine Melodie zu einer Choralfantate auf den 
14. Sonntag nach Trinitatis (zwiſchen 1735 und 1744) verwendet. „Der herr: 
liche Eingangsjag diefes Wertes hat mit dem Crucifixus der H-moll-Mefje das 
Thema gemeinfam und ift eine Choralpgantafie in Form einer Ciaconne.” Bgl. 
Spitta, Bad II. S. 568. 578. 587. Beim Schlußchoral ift die zwölfte Strophe 
ꝛes Liedes „Here, ih glaube, Hilf mir Schwachen“ unterlegt. — Ausg. der Bach- 
Gef. XVII. Nr. 78. — Kl. A. bearbeitet von Franz Wülner, Ausg. des Bad- 
Bereins zu Peipzig. Leipz. Rieter-Bied. — MM. Leipzig, Peters. Auch fonft hat 
Bad) die Weiſe noch mehrfach gefeht, vgl. Choralgeſange gefammelt von C. Ph. €. 
Bad. 1765. I. Nr. 41 (1784. I. Nr. 37); 1786. IM. Nr. 269 (Ext IL Mr. 
41. 242. ©. 66. 67). . 


Jeſu, du mein edle Gabe, Choral. Das Lied, das fpäter Häufig auch mit 
em geänderten Anfang „DO Jeſu, du edle Gabe” vorkommt, ſtammt aus dem 
end. ©.-8. 1676. ©. 171. Die Melodie, die mannigfad variiert, fih bie 
st erhalten Hat, geben wir in der Zeichnung von Witt's Psalmodia sacr. 1715. 
Ir. 322. ©. 196: 


em ee 


D Ierfu du ed>fe Gabe, mich mit dei- nem Bluste In» be, 


SS Eu — 
— 















































da «ran Gab ih mei- me Pren-de — mei· ner See «len Wei- de 


—— — 
dein Blut mich von den Er und der Hüllen Glut aus · lo⸗ ſchet. 


rianten, namentlich der erſten Zeile finden ſich z. B. bei Telemann, Ch.B. 1730. 
141. ©. 73; Dregel, Ch-B. 1731. &. 352; Mönig, Harm. Liederſch. 1738. 
6O m. a. Bei König fleht auch der zweite Teil der Weile zuerft in ausgegli- 
ner Form, der dann die fpäteren Choralbücer, wie Schicht II. Nr. 545. ©. 
2. Ritter, Ch.B. 1856. Nr. 158, S. 56 u. j. m. folgen. Schicht verweiſt 
\ Lied außerdem noch auf eine Nebenmelodie, die in feinem Ch-B. II. Nr. 414. 

















J 


652 Jeſu, du mein liebſtes Leben. Jeſu, Herr der herrlichkeit. 


©. 188—189 unter der Benennung „Sei gegrüßet, Deſu gütig“ ſteht und mit 
„5.“ bezeichnet, alfo von ihm ſelbſt erfunden ift. 


Jeſu, du mein liebſtes Leben. Choral von Johann Shop, dem Gänge 
RE. Die Melodie eiſcheint erimals im 5. Zehen der „Himmlifcen Lieder. 
Füneb. 1642 (Borr. vom 19. Dar. 1642) Nr. 4 (Ausg. von 1652. S. 2 
Dal. Koch, Geſch. des KR. IM. ©. 217. Faigt, Wirt. Ch. B. 1876. ©. 1 
nad) Fiſcher, R-LLer. I. S. 369 flünde fie ſchon im Erften Zehen 1641. & 
35, bei dem Liede „ef, der du meine Seele," doch fheint dies nur eine Ber 
wechelung zu fein. Zt. Zahn, Euterpe 1879. ©. 88. Sie heißt in ihrem m 
fprüngfid) dreiteifigen Taft bei Chriftoph Peter, Andahts-Eymbeln 1655. Nr. 223, 
ſowie in geradem Taft im Württ. Ch. B. 1844. Nr. 196: 




















— 2 -e 
— — apa =] 
= — — — — 

Ser fu, du mein liet ſtes Verben, mei + ner See + len Brän-ti - gam! 


\der du dih für mih ge -ge-ben am des Dit » ternSreiezes Stamm 


























Je ſu. mei « ne Freud und Wonne, du mein Hoff mung, Schah und Zei 
Dirt und RE» mig,Ligt und Sonne, ad mie foll ih mir. dig. lit, 


Perez 
— 


+ + 
— — — 


mein Er1ä ſung, Shmud und Beil, 
mein Herr Je - für prei- fen did 


re 


Jeſu, Herr der Herrlichkeit, Choral, deſſen Weife aus dem Freylingherſer 
ſchen G.B. IT. Teil. 1714. Ne. 624 (Gef-Ausg. 1741. Nr. 1306. ©. 839) 
ſtammt und aud bei König, Harm. Liederfhag 1738. S. 306 vortommt. Die 
Melodie heißt in ihrer jebigen kirchenüblichen Form z. B. bei Ritter, Ch-B. FE 
Halberft.-.Magdeb. 1856. Nr. 159. ©. 56: 


Beer 


Je» fü, Herr der Hert-lich- leit, fü Ber Heiland from-mer Her; 





















































































































Jeſu, hilf fiegen, du Fürfle des Lebens. 653 


— — 


Hör doch, wie vor gro— 


Fire: 


en Schmerzen dein besdräng«tee Bi» om ſchreit, 
























































ee SEHE —— —— 


tie das Wolf des Friedens weint, weil die Lebens» fon » me nicht mehr Hel-ie ſcheint. 


Jeſu, Hilf fiegen, du Fürſte des Lebens, Choral. Das Lied war bei 
feinem erften Erſcheinen im Halle ſchen G.®. von Schüy 1697. ©. 509 (Ebenſo 
bei Freylinggaufen, ©.-®. 1704. Nr. 312) auf die Melodie „Großer Bropfete mein 
Herze“ verwiefen, mit der es jegt mod) an vielen Orten gefangen wird. Schon im 
Darmſtadter (Züchlen’fgen) ©.-B. von 1698 ift ihm dann eine eigene Melodie 
beigegeben, die nad mehrfacher Umgeftaltung der Anfangszeile, welche lautete: 


Bon 


— in den Kirhhengebrauch Übergegangen iſt. Sie heil 













































































— 

Ier fu, Hilf fie-gen, du Bürsfle des We - bens! Sieh,twie die Fin- ſet · nis 

Die fie ihr dro« hem.des Heer niit ver » ge-bens mäd-tig auf- füh tet, mir 
= 


*— 


Sp ae te] 
ne her « ein. 


Midi zu fein, (dam mie fie fineme auf af. der. dei Wäneke, 


= 
mais — 
daß fie mich ſich - ie, ver · ſid- re umd tran- le. 
Eine zweite Melodie ähnlichen Charakters erſcheint erſtmals in Daniel Müller's 
Deffen Hanauiſchem Ch.B. Frankfurt a. M. 1754. Nr. 384. Sie heißt bei Jatob 
und Richter, Ch.-B. I. Nr. 138. ©. 125: 








































































+ 











= — — 
ee sn 
{ Ic» fus iR kom men, Grund e » wi ger Freu-de, M und D, 
Gott » beit und Menf-heit ver » ei» men fih bei -de. Schö«pfer wie 


BErEee 


An + fang und Gmsde ſieht da; — P 
ah du uns Mengen Ir naht Himmel und Er» de er» zäh leis den 
= 


u s 
—— — 


Heiden: Ze ſus if fom-men, Grunde» wi· ger Freu-dei. 














Er 
h 











SEE 













































































654 Jeſu, komm doc; ſelbſt 2c, Jeſu, Kraft der blöden ıc. 


Jeſu, komm doc jelbft zu mir, Choral. Dies Lied des Angelus Silefus 
(erſtmals in deſſen „Heiliger Seelenluſt x.” Breslau, 1657. S. 5 gedrudt) mir 
nod im Freylinghaufen’fhen GB. 1704 auf die Melodie „Gott fei Dant in 
aller Welt“ vertiefen, doch hat es auch eine ganze Reihe eigener Weifen herver 
gerufen, von denen z. B. König's Harm. Liederih. 1738. ©. 215 ſechs, Dres, 
&.-8. 1731. ©. 442—443 fünf aufführt. Zwei derſelben find als mod jest 
im Kirchengebrauch ftehend, hier zu verzeidnen: die ältere, eigentlich firclide 


Melodie ift: 
— 
ie Senn 


Ze / ſu, tomum doch felbft zu mir, und ver-bfei-be für und für: tomm doch, wer ter 


= = 
= 


= — 
een 

See-Ten-freund, Lieb-fler, den mein Kerze meint, 
Sie ſteht in diefer Zeichnung z. ®. bei Telemann, Ch.B. 1730. Nr. 146. ©. 75, 
mit mannigfaden Varianten fodann bei Dregel, König, StörlStögel (1744. Ar 
94), dis Herab zu Schicht, Wigend Ritter u. f. w. Cine zweite Weile entflont 
in den Areifen der Brüdergemeinde und erſchien bei Thommen, Erbaulicher mufte 
ifcher Chriftenfhag. Vaſei 1745. Nr. 168. & 142 zuerft gedrudt. Sie ii 
bier als „Heremhuter Melodie" bezeichnet und dem Liede „Häcfter Priefter, der da 
dich” Heigegeben. Im Ch-B. der evang. Brüdergemeinen. 1784. ©. 6. Art 11a 
Heißt fie: 


= — — 
Beer et 
Je fu, komm doch felbft zu mir, und ver > blei - be für und für 
A 


= ei =] 

















































































































——— 
— 


tkomm doch, wer «ter See» Ten» freund, Lieb » ſter, den mein Her « ze meint. 




















Die ſchleſiſhen Ch.BB., wie z. B. Blüger, Ch.B. 1825. Nr. 61. ©. 35, Ialeh | 


und Nigter, CB. I. Nr. 69. S. 65, Süffer, Ch.B, 1880. Nr. 82. &.%, 
aud Crt, CH-8. 1863. Nr. 145. ©. 120 u. a. Haben nur noch diefe Weife it 
unfer Lied. 


Jeſu, Kraft der blöden Herzen, Choral. Das Lied wird zwar, meift ad 
andere Weifen, wie „Bert, ih Habe mihgehandelt” und , Zeuch mich, zeud mid) mi] 
den Armen“ verwiefen, doch hat ihm der Dichter desfelben, Knorr v. Rofenrotk, 
fon bei feinem erften Erſcheinen auch eine eigene Melodie mitgegeben, die Deshel 
gewöhnlich ihm als Erfinder zugefhrieben wird. Sie fteht im „Neuen Heliton mi 
feinen Neun Muſen x." Nürnb. 1684. ©. 61 und kam durd das Freglis: 











Jeſu Kreuz, Leiden und Pein. 655 


uſenſche G. B. 1704, wo fie unter Nr. 256 (Gef.-Ausg. 1741. Nr. 586. ©, 
32) echt, im den Kirdiengefang. König, Harn. Liederic. 1738. S. 158 giebt 
: in vereinfahter Form, aud Dregel, CB. 1731. ©. 817 u. a. Gaben fie. 


ie (autet: * 
— — — = 


97 — 
Je fur Kraft der blö-den Her- gem, 1, Zrof in al»Ter Van⸗ Erg feit; 
(Ssz= —— 


206 + fal im den Günsden-fhmer»zen, Arzt für al « les Der- ze leid, 


zo 
— = 

Vile · ſer für die Zo des · wun · den, das man flets voll Kraft de» fün + den. 
gl. Ritter, Ch-B. für Halberf.-Magdeb. 1856. Nr. 162. S. 57, wo Knorr 
Roſenroth als Komponift angenommen wird. 


Jeſu Kreuz, Leiden und Pein, Choral, defien Weiſe allgemein Melchior 
ulpius (vgl. den Art.) als Erfinder zugefrieben wird. Sie findet fih erſtmals 
deifen „Ein ſchön geiftlic Gefang Bud; x." Jehna, 1609. Nr. 33. ©. 118, 
id) Iatob und Kite, Ch-®. I. ©. 86 ſchon in „Cantiones sacrae v. Melt. 
utpins. 1603. Nr. 359" — und heißt in ihrer urſprünglichen, fowie in ihrer 
ot firhenüblihen Form: 








































































































= — — 
— Te — 










De · ſu Kreuz, ei» dem und Bein deine deilands und der- 
= 1 E — 
— — 





















































— ⸗ 
qhe Gr- mein, ihm zu Lob und Ghrren. 
* 


— 
















































2 en 
Br = 


andlich beglaubigt ift zwar die Urheberfhaft des Vulpius bis jet nicht, wird 
ſchon frühe als ſicher angenommen: das Goth. Cant. Sacr. II. 1665. ©. 234 











656 Jeſu Kreuz, Leiden und Pein. 


überfreibt „Mel. Vulpii“, aud Wetel, Hymnop. III. S. 266 ſchräbt fe in] 
zu. v. Winterfeld, Zur Gef. Heil. Tonfunft 1. 1850. S. 86 Hält dafür, 
man die obwaltenden Zweifel gegen die Urhebericaft des Bulpius für befeitigt ha 
und Die Weife als von ihm gejungen annehmen dürfe, bis ein anderer Urheber «| 
mittelt wird.” Koch, Geſch. des KR. IL. ©. 366 nimmt den Nachweis als de 
v. Winterfeld erbracht an, und aud Ert, Ch. B. 1863. ©. 253 meint, die Bi) 
fei „wohl fiher von Bulpius tomıp." — Cine zweite Weile von Adam Gar) 
veighaimer 1619, gehört zmar mehr dem lirchlichen Chorgefang an und it 

dem zugehörigen Tonfag im Original abgedrudt bei v. Winterfeld, Ev. 8.6.1 
161, Schoeberlein-Riegel, Schab I. Nr. 10. S. 92 und anderwärts; den Ted 
dieſes Tonfages giebt aber Fayriz, Kern II. Nr. 350. ©. 122 aud als Gemeindene* 


me 
— 

= fü Kreuz, Leiden und Pein, deine Hei-lands und 

Bestraht, heit « liche Ge mein, ihm zu Lob und € * 




























































— meer — 


Wert, was er gerlit-ten Hat, bis er Äl ge + + foren dit 


—— — = 
Kennen 
dei · mer Dif-ferthat er · Töf, Gnad er » - worden. 
Eine dritte Melodie endlih giebt das Württ. Ch.-®. 1844. Nr. 159 erfimd 
nad; einer ums Jahr 1800 im Hohenlohiſchen aufgefommenen Handfehriftlicen El 
zeihmung gedrudt; fie lautet: 


























— 





1Ie- fu derue Vaſ fi som milk ih jet Beben r 
Not ien mir vom Him-melsrtbren da» zu A » bad fen 


— 


»de jet ersfäiein, Je- fir meinem Her / zen, wie du, mir 



































Heil zu ſein, fit» teſt gro» he Schmerzen. 
und iſt nach Faigt, Württ. Ch-B. 1876. S. 221223 auf Grundlage S. 
Beife von Michael Intobi 1659 entflanden, der „ältere und neuere Element. 
Mejer's „Geiftlicen Seelenfreund 1691, Witrs Psalm. sucr. 1715, ® 
Ch. B. 1715 und Dreges CH-B. IT31 beigemengt find. — Die Butzec 
Wielodie hat Seb. Bach als Schluß des erſten Teils der Iohanmes-Baflion, DE 


Jeſu, meine Freude. 657 


zweiten Teil desfelben Wertes nochmals, ſowie in der Rantate „Sefet, wir 
jen hinauf mach Serufalem” (vgl. den Art.) als Schlußchoral in trefflicer Weife 
ande, 


Jeſu, meine Freude, Choral von Johann Crüger, deſſen Melodie ſich erſt⸗ 
ds in Praxis piet. mel. Ausg. Franffurt, 1656. 12%. &. 819, Nr. 385 
usg. von 1702. ©. 698) mit „IC.“ unterzeichnet, dann in der Gefamtansgabe 
: Lieder Johann Brands „Geiftlihes Sion ꝛc.“ Guben, 1674. ©. 191 findet. 
. Bode, Monarsh. für Muſitgeſchichte 1873. ©. 74. 76. Dagegen ſteht fie 
den „Geiftligen Kirchen: Dielodeyen ꝛc. 1649" nod nit, wie Langbeder, Jo— 
am Grügers Ch. M. 1835. I. ©. 45 nad v. Winterfelds Angabe, und nad 
n noch neuere, wie 3. B. Yatob und Richter, Ch.B. I. Nr. 345. ©. 295, 

Kern 1. ©. 82, haben. Die Meife heißt im Driginal: 


— — 


Je» für meisme dien- de, meismes Her ens Weide, Je» fu mei- ne Bier; 
(Ad wie fang, ah lan »ge, ift dem Her-zen ban-ge und ver»langt nad dir. 


— 
— 


müßte font lie «ber — 
ft, Wurtt. Ch. B. 1876. ©. 185 jet zu 1656 noch „(1653?)* als Ent- 
hungszeit der Melodie und ſcheint damit, da fie mad Langbeder a. a. D. im 
a. 8. von 1653 noch nicht fteht, eine der zwiſchen 1648 und 1656 erſchiene- 
n, bis jegt aber noch unbelannten Ausgaben der Praxis piet. mel. als Duelle 
deuten zu wolfen. Die Einführung des Liedes und der Melodie in den Kirchen- 
iang fheint anfängtid; auf Cchwierigteiten geftoßen zu fein, wie dies aus Andeu- 
ngen der Borrede zur Praxis piet. mel. Ausg. von 1693 hervorgeht, die bei 
Über, &-LLer. I. ©. 378 abgedrudt find. Ms der Weife eigentümlic it noch 
merfenswert, daß der urfprüngliche Tonfag derfelben nicht mit der Harmonie der 
mita (D-moll), fondern mit der der Obermediante (F-dur) beginnt. — Seb. Bad) 
U unfre Melodie in der befannten gleichnamigen Motette und in feinen Kantaten 
igiedentlich bearbeitet und verwendet; ſechs feiner Bearbeitungen giebt Ert, Bachs 
yeral-Gef. I. Nr. 68-73. ©. 43-47. — Das Württ. Ch-B. von 1844 
bt unter Nr. 194b und e zwei Parallelmelodien. Die erfte derſelben 
mmt aus Chr. Fr. Witt's Psalmodia sacra. Gotha, 1715. ©. 203, Nr. 349, 
arde in Württemberg aus dem Baden-Durlach'ſchen CH-®. 1762 dur; Bermitt- 
19 des Prälaten Eruft Urban Steller befannt (vgl. Koch, Geſch. d. 8.2. VII. ©. 
36) und ging aud) in das Drei-Kantone-©.-B. Nr. 143 über. Vgl. Szadrowety, 
Kümmerle, Encptt. d. evang. Rirenmuit. I. 42 

























































— — = 3 
ee = 


gem, au-er dir fol mir auf Gr-den 









































658 Iefn, meine Freud und Wonne. 


&6.-8. 1873. ©. 87 (Sciht, Ch-B. 1819. I. ©. 475. Mr. 1109). & 
gehörte urfprünglich dem diede „Jen, meine Siebe” von Chriſtoph Runge und kat: 
— —* — 
— 


(Wort des höch ſten Mun-des, Engel un-fres Bundes, Wort dir warft nie ſtumm, 
Bald da wir ge» fal» Ten, Tiefe du er » ſcei · len Evan ge - Ti. um: 























e 





























eie ne Kraft, bie Glauben ſchafft, ei · ne Botſchaft, die zum Le · ben uns von dir ge ge / ber 
Die zweite Weife iſt hohenlohiſchen Urſprungs, two fie um 1800 handſchretne 
ohne Namen eines Komponiften auftauchte, um dann im Württ. Ch®. 1844. % 
194c erfimals durch den Drud veröffentlidit zu werden. Sie Heißt: 


— m 


fe — IT 
= — en 
ee — — 






































— 


— Be = fen, das id) Hab er — fe-fen mir zum gitn Eu! 





D 
Du verrgnügftal » Tei - me völ-fig, in « mig, reine, Ser » le, Geift und Mut 














=: > + + + 

=: } Fi — 
— — — — — — 
Wer dich Hat, iſt Mill und ſatt, wer Dir kann im Geiſt am- han gen. 

















Dee wre = 


darf nichts mehr ver » lan + gen. 




















Jeſu, meine Freud und Wonne, Choral. Als Matthäus Apelles v. S 
wenftern feine „Apelis-Pieder“ in der Breslauer „Kirhen- und Hauß-Mufic" 164 
zuerft veröffentlichte, war unſrem Liede noch feine Melodie beigegeben. Exit be 
der fünften Ausg. des eben genannten Gejangbuds am erſcheint es mit vier Me 
Lodien, wie ſoiche fein ungleicher Strophenbau nötig machte. „Ob dieſe Kım 
pofitionen noch aus dem Nachiaß des Apelles Gerftummen oder nicht, bleibt weiterer 
Unterfuhung überlaffen.” Sohren, Mufit. Vorſchmat 1683. Nr. 115. ©. 133 
bis 136, der diefe vier Melodien aus dem Breslauer G.-®. mit dem Piede bring: 
(Chythmiſch verändert aud mod) in Reimann's Ch.-B. 1747), fegt allerdings mt 
der {egten derfelben den Namen „Matth. Apelles“ auedrüdlich bei; doch liegt, S 
Mügell, Geiftliche Lieder ꝛc. aus dem 17. Jahrh. 1858. I. ©. 338 bemtt, 
„in diefer Angabe noch fein Verweis, daß die Melodien Apelles angehören; dielir 
kann aus einem naheliegenden Imduftionsfehler hervorgegangen jein.“ Übrige 
haben diefe Driginalweifen keine kirchliche Bedeutung erlangt und nur eine derjebee 
(die zweite, zur dritten Strophe) ift bei Yayriz, Kern. II. Rr. 467. ©. 61m 
Halten. — Um alle Strophen des Liedes nad einer Melodie ſinghar zu madet 


Iefu, meines Herzens Freud. 659 


wurde dasjelbe mehrfach umgearbeitet und 4. B. der Melodie „Ah, was fol id 
Shnder machen" angepaßt. Nitter, Ch-B. für Halberft.-Magdeb. 1856. Nr. 166. 
S. 58 giebt dem diede eine Delodie bei, die in Königs Ham. Liederſch. 1738. 
129 unter der Benenmung „Jefu, Dir Befibt zu fragen” vorlommt; fl Heißt: 
ES 


— — 


Ie ſu, mei»me Grand, und Wonne, Ie + fü, mei- nes Herzens Sonne, 













































































— Zee =) 
Ie-fu, mei- ne Zu» ver-fiht; Je fu, meines Per bens Licht, Je» fu, Brumn-quell 


2 pP — 
— —— 
— — ee 
al ler Gü- te, Je fi, trö-fie mein Ge» mit «te. 
Bei König feht auch noch eine Parallele in D-moll, und Datob u. Richter, CH.-2. 
Ü Nr. 365. ©. 311 verwenden die Melodie aus Schihts Ch.B. IT. Nr. 905. 
400, wo unter Nr. 906 od eine weitere Nebentveife ungenannter Herkunft 
gezeichnet it. 





























Jeſu, meines Herzens Freud, Choral. Dies Lied Johann Flitners hat 
aehrere Melodien hervorgerufen, von denen wir die folgenden nennen. Die 
{tefte, welche Iatob und Richter, Ch.-B. II. Nr. 389. S. 710 (v. Winterfeld, 





. 8-6. 1. ©. 467) aus dem Nürnb. GB. 1676. Nr. 523 geben, ift bie 
:5t zuerft bei Johann Rudolf Ahle, Geiftl. Weien, anderes Zehn. 1660. Nr. 8, 
em fie wahrſcheiniich als Erfinder zugehört,t) 1660 gefunden morden; fie heißt 
ei Witt, Psalm. soera, 1715. Sr. 336. ©. 208: 


Ge — — Fe — —— 
Ic + fin, man nes Her⸗ zene Bl fü ir Ie + ful meiner See-len Se + fig- 
Het, fi-ßer Iefu! dcs Gemd-tes Sicher, fer 9e + fu! Zefa, fü-Ber Je Int 


$ erſcheint diefelbe auch bei Freplinghaufen G.B. 1704. Nr. 348 (Geſ.Ausg. 
741. Nr. 856. ©. 567) zu einem diede gleichen Inhalts, „Iefu, meines Herzens 













































































) Im ihrer erflen Zeile iſ Diele Melodie einer Weile mörtic; glei, bie in Drebels &5.8. 
31. &. 450 mit „0. H. D.“ untergimet ſiehi, alfo von Dregel erfunden iR. Cie gefärt 
m Liebe „gef, du, du Si mein geben,“ für weldes König, a, a. ©. ©. 212 eine andere 
'efodie Hat. 

2) v. Winterfeld, Ev. K. G. I. S. 403 ſchreibt fie zwar Joachim A Burd zu, der fie 
mn aber mur zu dem lateinifjen Original des Liedes („Salve cordis gaudium“) erfunden 
ben Könnte. Bol, and) Bentler und Hildebrand, Choral-Del. Mihlt. 





660 Iefu, meines Lebens Leben. 


Freud, fei gegräßet”, mit einigen Varianten und nad dem Vorgang von often, 
Mufit. Borfämad. 1683. Nr. 755. ©. 1018 aus Moll in Dur umgefegt, je: 























— 
e 
Ie-fü, mei · nes har · iens Freud ſa ge 
= 
— I: 
— —— 




















den· tigeteit, feige » ol» fett mei ner Ser-ten Held im Steer 


& —— — = 

feige > gel + Beil Je-ſu, feige > grü « Bet. 
In beiden Formen giebt die Melodie auch Dregel, Eh.-B. 1731. ©. 316-318, 
querft in Moll, dann in Dur, welche Form er richtig als nur „veränderte Melodie“ 
Degeicpnet, während König, Harm. Liederſchat. 1738. ©. 218 an erfter Stelle dir 
Zeichnung in Dur hat und die Mollweiſe als „Andere Melodie” nachbringt; aus 
Iatob uud Richter, a. a. O. Nr. 390, halten die Freylinghauſen ſche Lesart für 
eine „zweite Dielodie.” — Cine zweite Weiſe für unfer Lied erfand der Kamter 
Friede. Funk zu Lüreburg; fie erſchien, mit feiner Namenshiffer „F. F.“ unter 
zeichnet, erfimals im Lüneb. G. B. 1686 (Ausg. von 1695. Nr. 291. ©. 225 
wo fie lautet: 


£ — — — 
—————— 
Je ſu, mii · nes Herzens Freud, fü» Ber Je ſu! meiner Seelen Selig tet, 


— — = *8 
eat — — 
fü-ger F fu! DesGemü-tes Si Her «heit, füfer Je > ſu! Ierfu, fürßer Ie- ie! 
Dot; vermoßte fie ihrer älteren Schweſter gegenüber, namenttid) feit Diele in de 
Freylinghauſen ſchen Verſion bekannt war, nicht aufzuommen: König, a. a. T. 
giebt fe als „Dritte Melodie”, und au Ritter, CH.®. 1856. Nr. 1673. € 
58 Hat fie erhalten. 

































































Iefu, meines Lebens Leben, Choral. Dem Paffionstied Ernft Epriket 
Homburgs war bei feinem erften Erſcheinen in des Dichters „Geiftligen Lieden”, 
Iena, 1659. S. 316 eine Melodie von Werner Fabricins mitgegeben, die ſich ;®. 
bei König, Harın. Liederſchab. 1738. ©. 59 und bei Zahn, Pialter und Her 
1886. Nr. 744. S. 48 noch findet, Die aber nicht in Firdilihen Gebrauch gel 
men iſt. Erſt eine zweite Weife von Wolfgang Weniger (vgl. den rt.) 
Gangte littchlihe Geltung und it namentic in Norddeutſcland bis heute im &| 


Jeſu, nun fei gepreifet. 661 


brouch geblieben. Sie erfhien erftmals im Füneburger ©-®. 1661. ©. 81. Ar. 
93 und Heißt in ihrer jegigen Form bei Infob und Richter, Ch-®. I. Nr. 50. 


©. 46 
= 7 — —— 5 
= = = ===; 
Bee —— —— = a 23 | 
dert märme Me ots Berim este mean Zorha zu, 
Der du dich für mich ge > gerben im Die fief»fle Sterlenenet, 
































Fe 


in das äu«fer-fle Berder- Gen, nur daß ih nicht mäh-te erben: 
* 


— — 
















































Tau - ſend, tan-fend-mal ſei dir, lieb ſter De: fu Dank da für. 
Fine dritte Melodie, z. B. ans Chriſt. Friedr. Wit’s Psalmodia sacra 1715. 
Rr. 137. ©. 71-72 umd König's Harm. Liederſhat 1738. ©. 59 (mo nah 3 
veitere Parallelen ftehen), befannt, heißt: 





— 


— 


ge - fü, mei onen Lebens Le. ben, Je - ſu. mei 
Der du di für mih ge » ge» ben im die tief« 


























18 To des Tod, 




















in das äu- her-ſne Ver- der ben, nur daß id nicht möch- te ſer— ben: 





— — 

Bee —— 
Tau ſend, tau-fend- mal ſei dir, lieb ſter Je-fu Dant da - für. 

md Hat fi aud) in einzelnen neueren Ch-BB., wie bei Umbreit, Allg. Ch-2. 

810. Nr. 57, Reinhard-Ienfen, CH.®. 182938 (vgl. Koh, Geh. des 8. 

— S. 604. Döring, Choraltunde 1865. &. 125), Iafob und Nicter, Ci 

T. Nr. 898 erhalten. 
































Jeſu, nun jei gepreiſet, Choral, defien Weile nad Zahn, Pfalter und 
arfe, 1886, S. 27 zuerft 1591 in Wittenberg gedrudt erihien, während bis jegt 
28 „Dreßdeniſch Gefangbuh dKriftliher Palmen vnd Kirchenlieder x. Drefden, 
593.” 8. 39. Ne. XXXIIII. als älteſte Quelle derfelben galt. Die bald 
xriſch (bei Mid. Prätorins u. a.), bald joniſch (S. Bad) behandelte Melodie Heißt 

Schein, Kantional. Leipzig, 1627. S. 39:1) 





H Bol. Feder und Billroth, Sammlung von Cherälen x. 1:31. Mr. 31. ©. 56-59 
eins Originaltenfag; v. Tuder, Säay II. Nr. 459. S. 286, und einen Tonfat des Mir 


Jeſu, num fei gepreifet. 


— Ha — ze 


[Be oem Mi women gu dire mann dukı 
wieder mir en » ler bei, die neue früh» Ti Zei, 
Kelle) 
+ — =, 
er er Amts 
Mirdein Gür ung Ge mei. in al Ir Mat up@iehe. Def e 
Ab vor er Oma.den hehe um m. gm Se fig DB, Detz wir is 


= 


gu · ter Stille das al⸗te Jahr er-fül-letz wir wolln ung dir er—gedes 



















































































* — — 
——— —— — ee 

jeb · und umd im«mer » dar, be-Glit uns Leib und Le ben Ginfort das ganze Yatr. 
Nur wenig fpäter erfgeint dann zu unſrem Neujahrsliede („In die eircumeisioni 
Domini“) die folgende zweite Weife bei Melhior Bulpius, Cin ſchön Gei 
Sefangbu 1609. S. 74, die jedoh weniger Kirchliche Verbreitung gefunden hu: 
Sie Heikt:?) 












































- — 
a ———— 


— She, für dein Cie 
= mir Baden ers les bet die meu fröhe ide Zeit, Die wolle 




































— — — 
ESS 
une Ge wei— ſet in al-Ter Rot und G’fahr: Daß 

(Oma » dem fhmerbet und em «ger Se - ig + Teit, daß 


— 


wir in guter Stil-ie 

















be«Güt Leib, Seel und Leben Hin + fort das gan - je Fahr. 
Eine dritte Melodie von Johann Grüger (Prax. piet. mel, 1656; ugl. Let: 
Monatsh. für Muſitgeſch. 1873. S. 69) ift ebenfalls nicht in kirchlichem Gebrees 
geblieben. Ceb. Bad; Hat die ältere Melodie mehrfach mit Tonfägen geihmüdt: — 
in der Choraltantate „Jen, nun fei gepreifet” zum Neujahr 1736. Ausg, 
Bach Geſ. X. Nr. 41 (MM. Leipzig, Peters), vgl. Spitta, Bad II. ©. 568 # 











qhael Prätorius bei Schoeberlein - diegel, Schatz des liturgiſchen Chor. und Gemeinde-@ei. IL 
Nr. 90. ©. 197. 

M Bol. bei v. Zuger, Schatz II. Nr. 454. ©. 287 und SchoeberleinBiegel, Schet IE 
Nr. 91. ©. 108. 


Iefus Chriſtus, unſer ic. Jeſus Chriſtus, unfer ac. 663 


Den Sag, den er hier in C-dur mit der dritten Strophe des Liedes („Dein ift allein 
die Ehre”) als Schlußchoral verwendet, nimmt er unverändert und nur nad D-dur 
transponiert und als Schluhzchoral in die Kantate „Gott, wie dein Name, fo ift 
auch dein Ruhm“ hinüßer. Cine dritte Bearbeitung der Weife aus den „Choral- 
geſangen“ 1786. III. Nr. 252 giebt Ert, Bachs Choralgeſ. II. Nr. 248. ©. TI. 
Val. Binterfeld, Er. K.G. III. ©. 410. 411. 


Jeſus CHriftus, unfer Heiland, der den Tod überwand, Choral. 
Dies Lied Luthers — „Eyn Lobgſang auff das Ofterfeft” — erſcheint innerhalb der 
enften zwanzig Iahre (15241544) der Reformationgeit mit vier verfhiede- 
nen Melodien, die v. Winterfeld, Luthers geiftlide Lieder. 1840. ©. 35. 36 
verzeichnet Hat, in den ©.-BB. Doch ift nur eime derfelben in den allgemeinen 
Kirchengebrauch übergegangen und Hat ſich in demfelben erhalten: es ift die ihrem 
erften Auftreten nad) Dritte unter den vieren. Ihre ältefte Quelle ift das Iof. 
glug'ſche G.B. 1535. Bl. 120. Sie lautet im Val. Babſt'ſchen ©.-B. 1545. 
1. Rr. IX. Bogen D. ©. 1-2 












































die Sünd Hat er ge>fansgen Ry-ri-e e-Tesüe fon 
während fie im Klug'ſchen GB. in der dritten und vierten Zeile folgendermapen 
gezeichnet ft: 





— — 
mm —— 




















iſt aufser + ftan den; die Sünd hat er ge—fan-gen ac. , 
In dieſer Zeichnung, ſowie mit dem Schluß: 




















Weri-e er Terfon! 


indet fie fih in den Ch.-BB. der Gegenwart. Bon manden Forihern wird an 
enommen, daß die Melodie auch ſchon in der bis jegt noch nicht wieder aufgefun- 
enen Ausgabe des Klug'ſchen ©.-B. von 1529 ftehe. Bol. Fiſcher, K-LLer. I. 
5. 386. 

Jeſus Ghriftus, unfer Heiland, der von uns den Gottes Zorn 
Hand, Choral. Dem Liede (, S. Joannis Huffen lied, gebeffert") von Luther liegt 
a8 Ioteinifhe Gediht von Hus „De eoena domini: Ihesus Christus nostra 
alus* — aus dem Mündener Cod. germ. 716. XV. saec. Bl. 177 (bei 
Badernagel, RL. I. Nr. 367) und Opera Joh. Huss. ed. Norimb. Tom. II. 








664 Iefus, Jeſus, nichts als Jeſus. \ 


Fol. 343 (vgl. Rambach, Über Luthers Verdienft x. Hank. 1813. ©. 120 — 
zu Grunde. Die Melodie, aus dem Inteinifhen Kirhengefang des 15. Ink. 
Nammend, erfcheint zuerft auf einem fliegenden Blntt (Rönigl. Bibl. Berlin. Litr 
impr. par. Fol. 117), das Wadernagel, Bibliogr. 1855. S. 57, auf das Jatr 
1524 fegt. Im felben Jahr bringt fie dann aud das Erfurter End. 15%. vl 
iija, chenfo Walther's G. B. 1525 unter Mr. XNIV mit einem dreiftimmigen, 
unter Rr. XXVI mit einem fünffimmigen Tonfag. Sie heißt: 











= 





















stus nostra su - lus, quod re-clamatomnis ma I. 
Ie-fus Ehri + Mus un-fer Hei » land, der vonumsden@ottes Qorn  mant, 


























aa 
no-bis in sn-i me-mo-ri-am ce-dit hanc pa-nis hos - ti-am. 
durch das Bit» ter Lei-den fein, Halfer uns aus der Hl > fen Kin. 


und war von der Reformation bis ins vorige Jahrhundert hinein ein allgemein 
gebrauchter liturgiſcher Abendnaplsgefang der evangefiigen Kirche. — Eine zweite, 
einfachere, und mehr im Choralſtil gehaltene Weife, die ſich nad) Layriz, Kern I. € 
82 ſchon im Mug’fchen GB. 1535, und im Wolff’fhen G. B. Frantf. 1569 
(vgl. v. Tuder, Schatz II. Nr. 132), finden foll, giebt v. Tucher, Schatz. Stutte 
1840. Nr. 2. ©. 27 aus Zinteifen, ©.-8. 1584; fie heißt: 





rn —— r — 
— 

















Ze- ſus Ehri-fus um-fer Heic land, der von uns den Got ies Zorn want 




















durch das bit - ier Lei den fein, half er uns aus der Höl-Ien Bein. 


und iſt eine edangeliſche Umgeſtaltung der katholiſchen Weiſe des „Regina cacl“ 
deutſch, auf die ofterliche zeit zu fingen” („Königin der Himele" vgl. Hoffmann v. ? 
Geh. des 82. 3. Aufl. S. 345), wie ſie bei Leifentrit, Geiftl. Lieder und Be! 
men 1667. II. Fol. 24 feht. Mit dem Tert „iFeru dich, du liche Chrifterter“ 
Hat fie and Keuchenthal, ©.-®. 1573. Im ihrer urſprünglichen Geſtalt Hat fie mt 
Seifenteit abgedruckt Böhme, Ad. L®. 1977. Nr. 595. S. 708. 


Jeſus, Jeſus, nichts als Jeſus, Choral. Das Lied der Ludämilie S 
fabeth, Gräfin v. Schwarzburg Rudolſtadt, das in Ahasverus Fritſch's „Nrct 
Himmelfüßen Jeſus Liedern·. 1668. ©. 115 erſtmals gedrudt erfheint, Hat mebr= 
Melodien erfalten. Seine Originalweife heißt bei Witt, Psalm. sacr. 171% 
Nr. 346. ©. 207: 


Jeſus, meine Zuverſicht. 665 


— 


— 

















Be — 








Ze ſus. Je ſug, nicts als Je «fu, ſoll mein Wunſch fein und mein Ziel. 
Jetzund mad) id ein Ber-bindnie, daß ih will, was Je fus mil: 
ES 








2, — Ferze— 

denn mein Herz mit ihm er = füllt, ru » fet nur: Herr, wie du willt. 
Neben diefer Melodie, welche z. B. bei Telemann, Ch.B. 1730. Nr. 98a. ©. 
54; Dregel, ChB. 1731. ©. 449; König, Harm. Fiederihag. 1738. ©. 218 
m. 0. an erfter Stelle fteht, wird won denfelben und f—hon von Bronner, Ch.B. 
1715. Nr. 508. ©. 186—188 die folgende zweite Weife gebracht: 









































= — 
Ierfus, Je-ſus, nichts als Je + fus fol mein Wunſch fein und mein Ziel, 
Jet-zund mach ih ein Per-blindnie, daß ich will, was Je > fus will, 





297 



































denn mein Herz mit ihm ex - fü ru fet ſteit, ru ſet Mets: Herr, mie du willi. 
Fine dritte Melodie, welche den Liede im Freylinghauſen'ſchen ©.-®. II. Teil. 1714. 
tr. 466 (Geſ Ausg. 1741. Nr. 1016. ©. 679) beigegeben ift, hat feinen Ein- 
ang in den Kirchengeſang gefunden, und eine vierte, die Johann Chriſtoph Bad 
sgl. den Art.) zu demfelben erfunden haben fol, ift auf „Komm, o fomm, du Geift 
es Lebens" (vgl. den Art.) übergegangen. 


Jeſus, meine Zuverſicht, Choral, defien Melodie in älterer, „mehr oder 
eniger dilettantifher Art der Abfaffung“ mit dem Liede erftmal® im Berliner 
Runge'fhen) GB. 1653. Nr. 140. ©. 221 ohne Angabe des Erfinders erſcheint. 
'a das Lied der Kurfürſtin Louiſe Henriette v. Brandenburg als Verfoſſerin zu 
fchrieben wurde, und teilweife noch zugeſchrieben wird, fo fam man (unter dem 
organg d. Winterfeld’s, Ev. 8..G. IT. S. 534 ff., vgl. auch Koch Laurmann, 
eich. des 8.2. VI. ©. 76 u. a.) auch in Bezug auf die Melodie zu der Ber- 
atung, daß fie in ihrer urſprünglichen Form von 1653 ebenfalls von der Kur 
eftin ftamme. Bol. Ext, Ch.B. 1863. ©. 253. — Nun ift aber nach der 
rſicht der beſonnenſten Forſcher die Autorfhaft der hohen Frau hinſichtlich des 
jes „zum mindeften ſeht zweifelgaft"') — und daher wird es mit der Melodie 

) Es find fange und gründliche Unterfuhungen über die Frage der Urheberſchaft des Liedes 
zeftellt worden, von denen Filter, 8-2-2er. I. ©. 300-396 ein vollfländiges und über- 
triches Refume giebt Das Refultat derfelben bis zur Stunde ift: „daß die Autorfhaft der 
wfiirftin ſeht zweiſelhaft if, und die Frage flüffig bleiben wird, bis zuverläffige biographiſche 














666 Iefns, meine Zuverſicht. 


wohl aud) nicht anders fein. Faißt, Württ. CH.-B. 1876. S. 220 meint, legte 
fei „vermutlich; von Johann Crüger erfunden, vielleicht jedoch auch bloß ven 
ihm umgebildet.” Wie dem nun fein mag, foviel iſt wohl als feftftehend anze 
nehmen, daß die Melodie in der Geftalt, wie fie in den allgemeinen Gebraud der 
deutſchen evangeliſchen Kirche gefommen ift und als eine Perle unfres Gemeinde 
gefangs demfelben derbfeiben wird, von Johann Grüger Herrührt, wenn es auch ar 
einem hinreichenden äußeren Zeugnis für feine Autorſchaft bis heute gebriht. In 
ihrer umgebildeten Form (Wiederholung der beiden Zeilen des Aufgefanges, neu 
Abgefang) fteht fie erſtmals in Crügers Prax. piet. mel. Ausg. von 1656. Ar. 
182. ©. 377 und Heiß 

















* 
— — ze — 
Re fus, mei me Zu ver ſiht. und mei Htiland h 
12ie-jes weiß id, ſollt ih nicht dar-um mid zu > frie-dem ge den 


Der — — 


was die lan. ge Zo-des:naht mir auch für Gedan-ken mad. 
Hier, ſowie in den Ausgaben desfelben Buches von 1661, 1664, 1666 x. erideirt 
fie immer anonym und erſt in der Peter Sohr'ſchen Ausgabe von 1668 Ian 
Srügers Nameneciffer „I. C.“ zum Vorſchein; dagegen foll er fih in „Gifts 
Lieder ꝛc.“ (zweiter Teil der „Psalmodia sacra“) Berl. 1658. 49. Nr. 170 *æ 
Komponiften nennen,') wobei jedoch, da dies ein Wert für vierftimmigen Ehorgekri 
ift, immer noch zweifelhaft bleibt, ob diefe Nennung als Komponift fih auf 
Melodie, oder nur auf den Tonfa bezieht. Die Melodie und ihr Lied Haben 
Ölumenifcje Bedeutung in der deutſchen evangeliſchen Kirche erlangt, doch fehle 
3. B. bei Dregel, Ch.-B. 1731 und alfo aud in den damaligen „Rürnbergi 
Altdorfiſchen, Bayreuth: und Onolzbachiſchen G.BB. Bon den befannten Le 
änderungen der Tonfolge erſcheint die eine — gis ftatt g im der fünften Zeile — 
ſchon im Nürnb. ©.-B. 1677, die andere — acgefiatacag mm 
zweiten Beile — 3. B. bei Telemann, Ch.B. 1730. Nr. 249. ©. 118, En. 
Geiftliche Piebespofaune. Heidelb. 1745 u. a. — Seh. Bach hat die Weife als Sthi 
choral der Kantate „So du mit deinen Munde befenneft“ (vgl. den Art.) vermene 
(mit dem Tert „Auf, mein Herz! des Herren Tag“ von Kafpar Neumann); cz 
weiteren Tonfag Bachs zu derfelben, deffen lirchliche Beſtimmung jedoch nicht mir 
belannt iſt, giebt Ert (Choralgej. II. Nr. 251) aus den „Ehoralgef. 1769. 1 




















— ⸗ 
e 



















ober ymnologifcie Ermittelungen zur Gewißgeit führen.“ Bol. Dr. Preuß Abhandlung ix = 
Boff. tg. 1860. Nr. 55 u. 67. Euterpe 1868. Nr. 5. ©. 82—83. 

») Nat Crt, €6-%. 1863. ©. 258; dagegen beimerft Bade, Monategefte für Muflzt 
1873. ©. 74: „eine Bezeichnung der Erügerigen Singweifen als folder finder fich 1651 # 
1658 überall nidt.“ 








Iefus nahm zu fid) die Zwölfe. — Iefus, unfer Trof ıc. 667 


Re. 180. 1785. II. Ne. 175. Bon Parallefmelodien, die unfer Lied erhalten 
jat, find anuführen: 1. c ge de ed, im inch. G. B. 1686, von Friedrich 
Funmf (dort durch einen Deudfehler mit „F. B.“, ſtatt mit „F. F.“ bezeichnet ; 
gt. den Art. „Funt“); 2. fis da ah eis d, bei Telemann, Ch.B. 1730. © 
118, König, Harm. Licderſch. 1738. ©. 82, auch nod im Hamb. Ch.-®. 1852; 
3. hhagfis fise, bei Telmann a. a. ©. Nr. 386. ©. 164; 4. hi h 
Ic ch, hei Reimann, Ch.B. 1747. Nr. 265; 5.8 ga ag fe, al 
„Dresdner Melodie" bei Schicht, CB. I. Nr. 108. ©. 36; 6. aahcisd 
Ss d, als „eipjiger Melodie“ ebendef. Nr. 104; 7. eis ed cis h ha, von 
David Mejer in feinem „Geiftlihen Seelenfreund“, Um, 1692, bei v. Winterfeld, 
Ev. G.G. II. Notenbeifp. Nr. 211. 








Jeſus nahm zu ſich die Zwölfe, Kantate von Seb. Bad), die er als fein 
Brobeftüc in Leipzig am Sonntag Eſtomihi, 7. Februar 1723 erſtmals aufführte. 
Als Schluß verwendete er den Choral „Herr Chrift, der einig Gotts Sohn” mit 
der fünften Strophe „Ertödt ung durch dein Güte, erwed uns durch dein Gnad“ 
— im einem leicht derſtändlichen Sage mit Streihquartettbegleitung. Vgl. Ext, 
Bach's Choralgef. 1. Nr. 48. ©. 29-31. Ausg. der Bach Geſ. V. 1. Nr. 22. 
Vgl. Spitta, Bad II. ©. 181 u. 183—184. 


Jeſus ſchläft, was foll ich Hoffen? Kantate zum 4. Sonntag nad Epi- 
Phanias (30. Jan. 1724) von Seh. Bad. „In derfelben Hat Bad gezeigt, wie er 
auch mit geringen Mitteln das Großartigſte zu fhaffen vermag. Sie gehört ohne 
Frage zu den bewundernswerteften Erzeugniffen nicht nur feiner, fondern überhaupt 
der deutſchen Tonkunft. In jedem Takte derjelben, kaun man fagen, ift der Genius 
in feiner vollen Stürte wirtſam.“ Vgl. Spitta, Bad II. ©. 233. — Troſwoll 
Hingt fie in den Choral „ef, meine Freude" — Strophe zwei „Unter deinen 
Schirmen, bin ih vor den Stürmen aller Feinde frei” — ans, Ausg. der Bach- 
Gef. XX. 1. Mr. 81. 


Jeſus, unfer Troft und Leben, Choral. Das Oſterlied €. C. Homburgs 
eriheint erftmals in deſſen „Geiftlichen Liedern. Erſter Teil.“ Jena, 1659 (Dedi- 
Iatiom von 1658), mo die Lieder „mit zweyſtimmigen Melodeyen von Wernero 
Fabricio, jegiger Zeit Mufitdireltorn in der Pauliner-Kirchen zu Leipzig, geziehret. 
find. Nach Rod, Geſch. des RL. III. ©. 391 erſcheint das Lied ferner „in 
Duirsfelds Geiftligen Harfentlang 1679 mit einer befondern Melodie gefchmüict,“ 
eb dies aber die Driginalmelodie von Fabricius fei, wird nicht gejagt, und nur be- 
werft, daß die Ouirsfeldfhe Weife bei Freylinghauſen ſich wieder finde. Sie echt 
chenſo ſchon in der Frautf. Praxis piet. mel. 1674. S. 333 und bei Sohren, 
Muſit. Vorſchmack 1683. Nr. 280. ©. 365, ohne durd eine Namenshiffer ge- 
tennzeihnet zu fein, und aud das Luneb. ©.-B. 1695. Nr. 553. S. 440 über- 





668 Jeſu, wollt uns weifen. 


ſchreibt das Bied: „Im eigener Melodey,” teilt aber diefe ſelbſt nicht mit. Im de 
Fremlinghauſen ſchen ©.B., aus dem fie im den Kirchengeſong überging, fteht une 
Melodie: I. Teil 1704. Nr. 116 (GeſAusg. 1741. Nr. 260. ©. 160) un 
bei König, Harm. Liederſch. 1738. ©. 83. Sie heißt im der älteren Zeichnun, 


bei Sohren, jowie in ihrer aus Freyfinghaufen fammenden, jegt Ablichen Form: 
> = 


























ee 5 
— — | 
Ie» ſus, un» ſer Troſt und Le: ben, wel-cher war dem Tod erge 








der hat herr 



















Test > jo, Mole In. pl 











und hat ſich auch im neueren Choralbüchern, wie bei Ritter, Ch.B. 1856. Nr. 175. 
S. 61, datob und Richter, Ch-®. II. Nr. 905. ©. 718 u. a. erhalten. — Cr 
Nebenmelodie von „I. F. Rötfcer, Mufifdirektor in Alftädt in Thlringen, 1786 
die auch Sqhicht, CH-®. 1819. IH. Nr. 804. ©. 360 und Sayriz, Kern I. & 
236. ©. 58 aufgenommen Haben, ſiammt aus Kühnau's Ch.®. II. 1790. * 
16. ©. 16. 


Jeſu, wollft uns weiſen, Choral, der nad Melodie und Tonjag uripr: 
lich einem weltlichen italienifcpen Liedwerle des Giovanni Gaftoldi (vgl. den Ir 
angehörte, aus dem er durch den Kantor Lindemann (vgl. den Art.) in Gotha 
das „Sied von allen dreyen Häupt Ständen“ (von Cyrinfus Schueegaß; vgl. Bike: 
R-LLer. Suppl. I. S. 95) Übertragen wurde und mit Diefem in den ewangeliife 
Kirchengeſang kam. Gafloldi’s Stüd fteht in feinen „Balleti a cinque voci & 
Venedig, 1519. 4°. Nr. 3 mit der Überfgrift „IN bel’ humore“ und dem Ixt 
„Viver lieto voglio ete.“ und von Hier nahm es Lindemann, indem er da 
geiſtlichen Tert unterfegte, in fein Gammelvert „Amorum Filii Dei Decads 
Duae etc.“ Erfurt, 1598. Nr. 3 auf. Die Melodie erfheint dann in Kirdfäs 
G. BB. (anfangs immer mit ihrem uefpränglichen Tonfag) zuerft bei Geſius, 10T 
©. 506, im Görliger G.B. 1611, und bei Sein, Kantional. 1627. Nr. 12 
















Jeu. Ihr, die ihr end) von Chriſto nennet. 669 


im Cant. saer, Goth. I. 1651. ©. 76 mit der Aufſchrift: „ä 5 Joh. Linde- 
manni.“ Sie hei 



































— «fit, wollſt unswei-fen, dei · ne Wert zu preisjen; ohn dich mög'n wirs nicht en-den. 
rr-lidh rei» en Sergen Haft du uns ge-ge-ben, ac Gilf,daß mir er + enenen. 























— ⸗— — — — == F 
— 

MäAR Dir, du ed - fer Dort, der höh-fe Sqhatz dein Wort, 
Son Ga den giebt dein Geifl, teen Die» mer al - ler-mei, 


























; eu 5 





























en all un »fre Schmerzen, macht frög-fi um » fre Her-za 
(Hr lich die Leut zu Ich - rem, dein Him»mel » reich zu meh-ten: 


= — — 
—— —————— 
4 ſchallt, es ſchallt, es ſchallt im Land jetzt mit Ge walt. 
al » fein, al lein, al » fein dein fol die Ehre fein. 
































Jeu, ein Terminus der franzöfifgen Orgelbauer, mit dem fie bezeichnen: 
1. dasfelbe, was wir ein Regifter, eine Stimme der Orgel nennen, und daher 
Orgeldispoſition“ mit „Liste des jeux“ wiedergeben. Dabei werden in Frank- 
eich unterſchieden: Jeux & bouche, die Pabiafftimmen; Jeux à anches, die 
Zungenftimmen; Jeux de Fond, Grundftimmen, 3. B. Principale, Flöten, Ge 
iadte, Jeux de Solo, Soloftimmen, Charakterftimmen, z. B. die Gamben, die 
eineren Zungenftimmen u. a.; Jeux de Combinaison, Berbindungsftinmen, 
B. die Mirturen, die großen Zungenftimmen; 2. einige Cinzelftimmen, wie 
ein Jeu, eine Dirtur von beftimmter Zufammenfegung; Jeu de clochettes, 
Stodenfpiel; 3. die Art der Negiftrierung, z. B. Grand jeu, plein jeu, volles 
Berk; Petit jeu, irgend eine ſchwächere Regiftrierung; Jeu des Bombardes, alle 
der eine Gruppe von Zungenftimmen. — Jeux harmoniques, die überblafenden 
Stimmen der frangöfifgen Orgelbauer, vgl. im Art, „Überblafen“. 





Ihr, die ihr euch von Chriſto nennet, Kantate zum 13. Sonntag nad 
rinitatis (22. Aug. 1723 oder 3. Sept. 1724) von Seh. Boch; diejelbe hat 
vit Ausnahme des Schlußchorals — Strophe 5 von „Herr Ehrift, der einig Goits 
Sohn“ — feinen Chor. „Das Evangelium giebt die Erzählung vom barmherzigen 
Samariter, und chriſiliche Milde und Barmherzigkeit ift e$, was das game Kunft- 
ver Hündet; unabläffig erflingt es bald im Gefang, bald in den Inftrumenten, wie 
nes johanneiſche Wort: Kindlein, liebet euch untereinander!" Vol. Spitta, Bad 
i. ©. 190-191. 


670 Ihr Kinder des höchſten zc. — Ihr Menfchen, rühmet 2c. 


Ihr Kinder des Höchſten, wie ſtehts um die Liebe, Choral; mit dem 
Liede von Chrift. Andr. Bernftein erſcheint die Melodie eriimals im Freylinghaufe: 
ihen GB. 1704. Nr. 386. ©. 591 (vgl. Zahn, Euterpe 1878. S. 27) um 
in der „Edition eines vollftändigen Freylinggaufen’ichen GB. Halle, 1741. Mr 
929. ©. 617. Nad der freilich noch jeglihen Nachweiſes entbehrenden Angabe 
Küßmau’s (Choralgef. II. I. 1190. Nr. 105. ©. 112) wäre fie ſchon „um 
Jahr 1690* betannt gewefen (ogl. Koh, Geſch. des KR. V. ©. 590. Erf, Ch.2 
©. 253) und man vermutet nach einer Andeutung in Gottfr. Arnolds „Lieb: 
funfen“ 1697, daß fie urfprünglid; einem weltlichen Liede („Heut ladet der Himm— 
Heut ſtrahlet die Sonne“) angehört habe. Sie heißt (v. Winterfeld, Ev. K. G. III. 
Notenbeifp. Nr. 24) bei Freylinghauſen und in ihrer jegt gebräudligen Form: 

JE 


— 
— 


hr Kin »der des Dücrften, wie ſetis um die  Fie-De? Bleibt ihr aus ie 
Wie folgt man dem wahren Ber» ei» mi + gungs— trier M ti-me 3 






























































































-# 
HE — 
= Te —— 
mig-teit fieön? Der Him » mel lann Her-gen er 
fer ge<föehn? Wir Brüder om Lie» be nis 














ae der 












































⸗ 
Ze 

In dem befannten Gutachten, das die theologifhe Fakultät zu Wittenberg 1716 
über das Frehlinghauſen ſche GB. abgab, wird unfere Weife mit Recht zu den 


„ungeiftligen und foft üppigen Melodien“ gezählt und aud das Lied als „wide 
die Brudenz Laufend“ verurieilt. Bgl. Bepel, Hymnop. IV. ©. 31. 





Odeh ſten muß lich - ter «Ich brennen. 






































Ihr Knecht des Herren allzugleih, Choral, vgl. den Art. „Herr Gau, 
dic) loben alle wir." { 







Ihr Menſchen, rühmet Gottes Liebe, Kantate zum Weite Johannis de 
Täufers (zwiſchen 1723—1727) von Seb. Bad; von geringerer Bedeutung, IF 
terem und gefälligem Charafter und durchſichtigen, leicht fazlichen Jormen — Sich 


Ihr werdet weinen und heulen. — Immannel, des Güte ac. 671 


Bad I. S. 254 f. —; als Schuß hat das Wert einen Choralfag mit Streich- 
aunrtettbegleitung. 


Ihr werdet weinen und Heulen, Kantate zum Sonntag Jubilate (1735) 
von Seh. Bad, mit freiem Haupthor, in dem „die Gegenfäge des Weinens und 
der Freude mit durchdringender Kraft geftaltet und hernad) zu einer Doppelfuge 
verbunden” find. Vol. Spitta, Bach II. ©. 552. — Den Schlußchoral bildet 
‚Was mein Gott will, das g'ſcheh allzeit“ mit dem Tert „Ih hab did einen 
Augenblick, o liebes Kind, verlaffen.“ — Ausg. der Bach Geſ. XXI. Nr. 103. 


Iimmerthal, Hermann, Organift an der Marienkirche zu Lübeck, wo er am 
14. Auguft 1809 geboren wurde. Nachdem er teilweife unter Mendelsſohns Lei- 
ung feine mufifafiihe Bildung erlangt und ſich namentlich zum tüchtigen Orgelipieler 
usgebildet hatte, erhielt er 1845 das oben genannte, ſchon jeit alter Zeit anjehn- 
ie Amt und hat dasjelbe feitdem ununterbrochen und mit Ehren verwaltet. Die 
Igel der Marienfirhe war ſchon zur Zeit Burtehude's ein umfangreiches, ſchönes 
Berf von 54 Mingenden Stimmen auf drei Manualen und Pedal;') jegt befigt 
iefe Kirche eines der größten und ſchönſten Orgelwerle Deutſchlands mit 82 Hin- 
enden Stimmen, die auf vier Manual und zwei Pedale verteilt find (drei 3%‘, 
ebzehn 16° und dreißig 8° Stimmen). Dies prächtige Wert wurde nad I.8 
Yispofition und unter feiner durch und durch ſachtundigen Leitung 1851 — 1854 
om oh. Feiedr. Schulze und Söhne in Panlinzele erbaut. — Bon den Werten 
3 find hier namhaft zu machen: 

1. Evangel. ChoratsMelodienbuh, enthaltend die vorzügligften Choräle 
älterer und neuerer Zeit in ihren urfprünglichen Tönen und Rhythmen. Lühed, 
Bodemann. 8°. — 2. Vierftimmiges Choralbud zu dem meuen Lübetifhen 
Gefangbude. Fübed, Asihenfeldt. gr. 4°. 1. Aufl. 1849. 2. Aufl. 185 
3. Melodienbud) zu dem neuen Lübeckiſchen Gefangbud. Ebendaf. 8%. — 4 
Beidhreibung der großen (von ISDI—I854 erbauten) Orgel in der ©t. 
Marientirhe zu Tühed. Erfurt, 1859. Körner. 8%. — 5. Dielerich Burte- 
Hude. Hiftorifche Skizze. Yübed, 1877. Raibel. 20 ©. 8°. 


Immanuel, des Güte nicht zu zählen, Choral. Die Quelle der Original 
ife dieſes Liedes ift das Darmftädter 8. 1698. ©. 314; von da fam fie in 
998 vereinfahter Form in das Freylinghauſen'ſche G.⸗B. 1704. Nr. 257 (Gef. 
89. 1741. Nr. 587. ©. 382—383), aus dem ſie in ältere Choralbücher, wie 
nig, Harm. Liederſch. 1738. S. 306, Ch.B. der Brüdergem. 1784. Art. 187, 
hnau, Ch-B. II. 1790. Nr. 106. ©. 113 u. a., Überging; aud in neueren, 
Schicht, Ch⸗B. 1819. II. Nr. 950. ©. 418; Blüher, Alg. Ch.B. 1825. 
. 3360. ©. 258—259; Ritter, Ch.-B. für Halberit.-Mogdeb. 1856. Nr. 178. 














*) Bol. die Diepofition aus Niedt, Mufitafifhe Sandleitung. Hamburg, 1721 II. ©. 
', bei Spitta, Bad) I. ©. 850, 





J 


672 In allen meinen Thaten. \ 


©. 62; Jatob und Richter, Ch-B. II. Nr. 863. ©. 694 u. f. w. Hat fie iö 
erhalten. Sie heißt im ihrer jegt üblichen Form: 
Kor ee 
SE —“ 
Be De ee 
Yan nie nn » dl, des Gü «te might zu zäh» len, der Kranken Arzt, dr 
(Ber-borg-ner Gott, du Troft be » trüb-ter See-Iem, der geift-ih Ar - ma 






































BEurSEr TEN 1744 I 
FE PESZZerzZeEr — 























join ‚Seit! Da du, ger fü, fel-ber wohenef,neigt anf ihr & 


Herzens teil! 



































In m En m mu: 

icrei dein Ofr, und mit. viel Ge duld ver fho-nefl das zer» broch · ne Glan-Bensirct: 
Augerdem hat das Lied aud) einige Nebenmelobien Hervorgerufen, von denen wi 
nennen: eine ſolche bei Störl Stözel, Ch.B. 1744. Nr. 121, und eine weitere der 
Aug. Blüher erfundene und in feinen Alg. CH.-®. 1825. Nr. 336b. veröffer 
lichte Weile. Endlich wird unfer Lied öfters aud auf die Melodien zu Geler't 
„Dir dank id heute für mein Leben“ verwielen, wie folde von Joh. Adam Hile 
(&.-8. 1793. Nr. 105. ©. 47), Schicht (Ch-B. 1. Nr. 311. ©. 141, 2 
„S.“* bezeichnet) u. a. vorhanden find. 


In allen meinen Thaten, Choral. Das ſchöne Lied Paul Flemminz, 
von dem Fiſcher, RtLer. I. ©. 407 mit Recht bemerkt: „laum ein Lied # 
tiefer in das Leben und Denken unſres Volkes eingedrungen als dieſes,“ wird jez 
vielfad nad der Weile „O Belt ih muß did) (affen“ gefungen, Hat aber cut] 
eine ganze Anzahl eigener Melodien erhalten. Wir führen als folge die folgente| 
auf: 1. die ältefte derfelben, die bis jegt bei Quivsfeld, Geiſtl. Harfenklang, 167: 
zueft gefunden wurde (gl. Zahn, Euterpe 1877, ©. 172), dann bei Bapdizı 
Neu Leipziger ©.B. 1682 mit der Aufigrift „Incerti“ feht, Heißt: 


een 











— 
— 




















Im alten meinen Tasten laß id den Höchſeen ra-ten, der al . les Tann zad | 





























— 

hatz er muß zu al- len Dingen, folls anders mohl ge » lin gen, ſelbſege ben Nat und Tet 
2. 018 zweite eriheint dann eine Hamburger Weife bei Heinrich Friefe, Che 
Gefang- Bud. Hamb. 1703 (vgl. Zahn, Enterpe 1877. S. 172), und Georg Brr 
ner, Hamb. Ch-B. 1715. ©. 196, die aud König, Harm. Liederihag 17 
©&.*273 (neben noch vier weiteren Parallelen) bringt. Faift, Württ. Ch-B. 1% 





















In allen meinen Thaten. 673 


©. 52 fegt ihr Bei: „? nach Johann Shop 1642 (1641) und weift damit auf 





eine Ältere Grundlage derfelben Hin, über die er jedoch feine näheren Angaben 

macht. Die Melodie heißt im Wirtt. Ch. B. 1844. Nr. 58, wo fie dem Piede 

‚Die Welt tommt einft juſammen“ beigegeben ijt: 
* 





=; BE] 


Die Welt fommt einft zu -fam-men im Glanz der em-gen Flam - men vor 





























= 


dann muß m of fen» ba «ven, wer Die umd Je + me 




















wa · ren! Sie lennt umd drüft des Den-fhen Sohn. 

3. eine dritte Melodie findet ſich erftmals in der von Joh. Georg Stözel bearbei- 
teten Dritten Ausgabe von Störl's „Schlag. Gefang: und Noten-Bud.“ Stuttgart, 
1744. Nr. 45 („Here höre, Herr erhöre”), Ob diefelbe, wie Koch, Geld. des 
2. V. S. 599 anzunehmen geneigt ift „vieleicht Stözel angehört”, oder ob diefe 
Annahme wirllich jeden „ausreihenden Grundes“ emtbehrt, wie daißt, Würt. 
$H.-®. ©. 224 will, ift nod nicht entidieden. Dieſe Melodie heißt im Württ, 
ch. B. 1844. Nr. 59: 














In cl » Tem meirmen Zhnsten (aß ih den Hüh-Nen va 


— 
— — 


al: les tann und Hat; er muß zu al - Ten Din gen, ſolls anders wohl ge - 









































fin gen, jelbft ge > ben Rat und That. 
t. eime vierte, von Prof. Scheibner (vgl. den Art.) lomponierte Weiſe endlich, it 
m Deich. Gotth. Fiſcher's Ch-B. Gotha, 1821. Nr. 89 mit dem Liede „Gefund 
ofen Mut“ zuert gedendt; fe heiht: 




















— — 


F 
Ge-fund und fro -bem Du + tes ges mie-fien wir viel u - tee, das 

















um ſer Gom uns ſchentt. O preift ihn, Chriſten, prei + fet den Ba ter, der une 
Kämmerfe, Gncptl. d. ang. Kirgenmufit. I. 43 


674 In dic) hab id) achoffet, Herr. 




















m 





— 
fer + fet und mu» fer Herz mit Freu- de tränkt 
AUS weitere Nebenmelodien nennen wir noch: 5. gg fis g a ba, von Aıtıt 
Hinge (Prax. piet. mel. 1690): 6.g gg aa bb, bei Witt, Psalm. sacrı 
1715. Nr. 524. ©. 289 j.; 7. de fisg aha, bei Dregel, Ch-B. 1751 
©. 408; 8. addcshaa, bei König, Harm. Liederſchat. 1738. S 
(„Andere Mel.” ; aud bei Shit, Ch.B. I. Nr. 78; 9. dgfisgafid, 
ebenfalls bei König. ©. 273 (als „Fünfte Me”); 10. bg es ch b”: 
von Schicht, in feinem CH-B. I. Mr. 328. ©. 146 („Herr, der du mir da 
Leben"). — Über die Berechtigung oder Nichtberechtigung der Verlängerung det 
legten Verſes jeder Strophe, um das Yied der Weife .O Welt ich muß did laſſer 
anzupafien, find die Anſichten verſchieden. Lange, Kirchenliederbuch. Zürich, 1843. 2 
547, hat die Verſe aus dem Berliner Liederihag von der Verlängerung wieder ke 
freit, und meint mit Net: „man follte nie ein gutes Lied um einer Melodie w 
verrenfen;“ Laurmann (bei Koch VIII. S. 384) hätt dagegen dafür, daß dieje Cr 
ſchiebung einer Doppelfülbe „die Verſe vollwichtiger und Hlangvoller” mache und 
bezüglich Vorſchlage auf hiſtorijcher Grundlage. Erftmals fand Fiſcher, RS. 
1. ©. 407, die Verlängerung in „Vorrath von alten und neuen —hriftl. Gef. Lei 
1673. &. 1081. — Cine Kantate über das Lied und feine erfte Melodie ut 
fiebenftinmigem Schlußchoral ſchrieb Seh. Bach 1734, „man weiß nicht, für weise 
Gelegenheit.“ Vol. Spitte, Bach I. S. 287. ©. 805-806. Ausg. der Les | 
Ge. XXL Nr. 97. — Kl. A. Leipzig, Peters. 




































In dich hab ich gehoffet, Herr, Choral. Zu Ddiefem Piede und cini 
andern feines Bersmahes find im äfteren evangelif—hen Kirchengeſang drei verjchi 
Weiſen in Gebrauch gelommen. Die erite derjelben entſtammt dem dorreformate 
ſchen geiftlichen deutſchen Woltsgefang des 15. Jahrhunderts und gehörte dem fer | 
jahestiede „Iefus it ein füher Nam“ (urfprünglich aber auch dem alten Ofteriere 
Chriſt ift eritanden“) an!) Sie erjdeint in der Neformationszeit zuerft in ochet 
tirchlichen Yiederfammlungen, wie 3. B. bei Heinrich Find, Lieder. Nürnterg ! 
1536, in Hans Ott’s Liederſammlung. Nürnb. 1544. Nr. 8 der fecheftimniger | 
Liedlein, im zweiten Alt eines Sayes von Ludwig Senfl; bei Val. Triller, Sind 
buch. Brest. 1555. Dt. LIIIb, wo fie als „alte gewonliche Melodey“ bezeiden 












») Bol. Hoffmann v. F., Geſch. des deutfgen X %. 1861. ©. 219. 220. Meifer, de 
tat. deutfhe RL. 1862. 1. ©. 229-231. Wöhme, Alideutſches Liederbud. 1877. Fr. Rt 
S. 635-836, und Ar. 546. S. 651-6; 

*) Bol. v. Tucher, Shag II. Nr. 146. Faift, Württ, Ch. B. 
dagegen E. S. Meifter, Das dath deutſche Kt. 1802. 1. ©. 
253-204. 












In did) hab id) gehoffet, Herr. 65 


d dem Anferftehungsliede „Erftanden iſt uns Jeſus Chrift, die Gnad jegt wieder 
mmen ih“ beigegeben it; dann im Kirchen-G.VB. wie im „Gros Kirden Ge- 
gu” Straßburg, 1560. S. 147 im „Newer vnd gemehret G. B. Straßb. 
keged) 1566. S. 165, Frantfurter GB. 1570. Bl. 25la u. a., and in 
vom Mindener tath. . Geſang vnd Pſalmbuch.“ 1586. Bl. 8b mit dem Nenjahrs- 
d Deſus ift ein jüier Nam, den rufen wir arme Sünder an.” Sie heißt: 









Fr et 
In dich Hab ich 








die zweite Melodie iſt die bis jegt älteſte Quelle ein Liederdruck des Georg 
mberreiter vom 1581; dann erjcheint fie in „Geiftlihe Lieder x. Leipz. 1583, 
Beyer verlegt“, ) bei Seth, Calvifins, Hymni saeri 1594. Abtl. I. Nr. 4, 
„Sirdiengefeng“ 159%. Nr. VII. und in anderen Kantionafen; bei Mich. 
torins, Mus. Sion. VIII. 1610. Nr. XIX (vgl. Tucer, Shag II. Ne. 184) 














t fie: 
— — 

— 

In dich hab ich gerbof-fet, Herr, Hilf, daß ich nicht zu ſchan · den werd 








2 2: 








in deiomer Treu, derr Go + m. 

dritte Weiſe endli findet ſich erſtmals bei Barth. Gefius, Geiftlihe Lieder ıc. 
Hurt a. O. 1601. Bl. 1204, und wurde von Schein, Kantional, 1627. BL. 
und Joh. Crüger, Prax, piet. mel. 1648 (1 Nr. 667) aufgenommen; 
vird Gefins als Erfinder zugeſchrieben und heigt bei Jatob u. Richter, Ch.B. 
». 195. Nr. 217: 








') Im diefen beiden Quellen fand fie Seminarinfpeltor Zahn, vgl. fein „Pfalter u. Harfe“ 
S. 262 umd Euterpe, 1818. &. 27, während man bisher des Ealvifins Hymni sacri 
als äftefte Duelle annahm. 





43* 














hilf, daß ich nicht zu ſchan des ach 











ned e wiglich zu Spotte, 

Noch eine Melodie, die nad) v. Winterjeld, Zur Geſch. heil. Tontunit I. 
wabrfeinlich von Johan Stobäns (vgl. den at.) erfunden if, findet fi in dr 
Ausgabe der Eccardeſchen „Geiftlichen Lieder u . Nr, LXI und ift in! 
Ch BB. für die Provinz Vreußen von Reinhardt- Zenfen, er, Dartul u 
Kahle, auch bei Zahn, Bialter und Harfe. 1886. Mr. 223. S. 146 (in einer: 
bildung) erhalten. — Seb. Bach hat die zweite dieſer Wien mehrfah im fin 
Lirchenmuſiten verwendet; fo im zweiten Teil der Matthäus-Pafjion, in der I 
des fünften Teils im Weihnachts-Dratorium, als Schluß der Kantate „walice 
dir trau ih nicht.“ 

In dir ift Freude im allem Leide, Choral, deiien Weiſe einem weitts 
itafienifehen Gefang „L’innamorato: a lieta vita ci invita® angehürte 
Giov. Giac. Gaftoldi (gl. den Art.) erfunden und mit einem fünftimmigen 7 
fat veröffentlicht Yat in „Balleti a einque voei con li suoi Versi ete. & 
dig, 1591. Nr. 2 (Ausg. Nürnberg, 1600. Nr. 1). Bas Original bat €. | 
Becker, Mehrſt. Gejänge berühmter Stomponiften des 16. Jahrhunderts. T 
Paul v. 9. S. 18 mitgeteilt. Im den deutjchen evangeliichen Kirchengeſang h 
die Melodie durch den Mag. Johann Lindemann (vgl. den Art.), der ihr in fin 
„Amorum Filii Dei Decades Duae ete. 1598. Nr. 7 (vgl. v. Winterjeit, & 
6.18.98. I. S. 567. III. Notenbeifp. Nr. 107a u. h. Schocberlein- Ru 
Schat IT. ©. 195) das obengenannte geiftlice Lied unterlegt hat, das meift als’ 
ihm verfaßt angenommen wird, was jedoch nach Rambach, Anth. V. Sn 
hoͤchſt ungewiß ft”. Bol. dagegen Monatsh. für Mufitgeic. 1878 
— Die Melodie, die ſich 1609 aud) noch mit einem andern geiftlihen Tut .. 
tt, mein Herre; ® 


































Tem Lei-de, o du fü» Ber Je: a S 


1. J_ Im dir iM Freu de in al- 
sche Ga ben, du der wah » ve Hei land 


TDurch dich wir ha- ben hinmmli 


Rep! 2E — 


(Sitfehvon&Ganben, ra ch von Banden, wer dir verdran c, Batwohl schnd 
1 Zu deioner @hete, Meht um « jer@müte, am Dir wir lle-ben im Tod un 


























3 = 
ven. Halte «In - ja! 
i > dem. Hal-Te + Mur jat 








wid er 


In dulei jubilo, 677 


fine zweite Weife fteht im Freplinghanfen'ihen Gefangbuh I. 1704. Nr. 741 
Gef. Ang. 1741. Nr. 140. S. 766-767) und heißt: 


— — 
— — =: — — ee: 
1Wenn wir di An,» Sen,fann uns nicht ia den Zen fel, Bel, 
"1 Du haf’e im Hin - dem,Tamnft al « les wenden, mie mie hei» hen 


SEE ; — FE) 
er Bee 
{ 0 + der Tod: Drum wir dih ehren, dein Lob ver- meh-ren, mit Gel-Tem 
mag die Not. Wir j- bi fierven und tri-um«phie>ren, lieben und 


— — 
en 1 
Sqale le, frau »em ms al > le zu dier fer Stunde Sal-le «Tu ial 
16 > ben dein Macht dort © - ben mit derz umd Munde, Hal-Te + In ja! 
In dulei jubilo, num finget und ſeid froh, Choral. Yied uud Weife 
iefes edit volfsmäßigen „Wiegeniedes für dem Kripplein Chrifti in frembden Zun- 
a“ gehören dem 14. Jahrhundert an. „Im Leben des Heinrich; Sufo (+ 1365), einer 
andſchrift des 14. Iahehunderts, wird erzählt, dah eines Tages zu Sujo. himm: 
ſche Junglinge lamen, ihm in feinen Yeiden eine freude zu machen; fie zogen den 
Yener bei der Hand an den Tanz, und der eine Züngling fing an ein fröhliches 
Sefänglein von dem Kindlein Jeſu, das fpriht alfo: In dulei jubilo ete. Im 
5. Jahrhundert mu das Lied ſchon ſehr befannt geweſen fein.“') Es ſpricht aus 
mfelben „der volle, wahre Jubel der Chritfrende md aus feiner, ihm wie einem 
bien Voltoliede eigens angehörigen, prachwoil jauchzenden Melodie der Helle, Laute 
veudengefang einer gamen Gemeinde, eines ganyen Chriftenvolfes, weldes dem 
rohfoden, das alle Herzen in gleicher Stürke durchzittert, durch weithinſchallende 
ubeltöne Luft machen muß. Darum ift denn auch dies Fied unverändert in die 
angeliſche Kirche mit hinübergenommen worden, hat in der Mette Cichtertirche) 
ıf Weihnachten, mo es vorzüglich gelungen zu werden pflegte, jahrhundertelang 
el taufend Herzen erfreut umd erhoben, und erft in den Zeiten unferer Großväter 
id Vater find jeine Jubelllange verſtummt.“?) Die Melodie wurde bis jetzt 
eerſt in einer Haudſchrift der Leipziger Univ.-Bibt, aus den Anfang des 15. Jahr 
indert® Bl. 116 und der Königlichen Vibliothe zu Berlin, Ms. germ. 8°. 190 
funden; im evangelifhen Kirchengeſang erſcheint fie erftmals im Kug’ihen G. B. 
535 (vielleicht ſchon in der Ausg. von 1529, da aud das Sluter' ſche GB. 
oftot 1531. Bl. Dvijb das Lied hat), und dann in allen G.-BB. und Kantio— 
») Dal. Hoffmann v. Fallerel, In dulei jubilo. Hannover, 1861. &. 8 und deffen Geich 


& deutfen #2. 1832. S. 152. — Lauxmann bei Koh, Geſch. des 8.2. VIII. S. 17. 
) Bal. Vilmar, Geih. der deutſchen National Litter. 8. Aufl. Marburg, 1860. I. & 












































































678 Infrabaß. — Interindinm. 


malen der Reformationgzeit bis herab ind vorige Jahrhundert, ebenfo wie fi ia 
in den katholijchen G. BB., z. ® bei Vehe. 1 Bl. 30. Leiſentrit, 167.1 
Nr. 23 fort erhielt. Bei Michael Prätorins Mus. Sion. V. 1607 (vgl. v. Tase, 
Schap 1840. Nr. 30) heißt fie: 



















| 
! 
| 








a) In dul-ci ju- nu finger und feut fre 


jaudt al Te und fagt jo 








vn fer Herbens Wonne Teyt in pre-se - pi > dnbleuchter ala Die fer 
un-fers Herzens Wonne fiegt in der Kuip-pen bloß — und euchtetals die 









ma-tris in gre-m Al-pha es ct 0 —, Al-phaes er «' 
in feiomer Muri Stob. Du din M ud D—. du Bil Kun: 


Der bei a) gegebene Text iſt der der Meformationdzeit, wie er fih 5. B. aus 
Mich. Vehe, G. B. 1537 (vgl. Ausg. von Hofmann v. F. 1853. 
findet;") der unter b) gegebene ift die Berdeutihung des Eifenaher G. B. 1 
Nr. 17. ©. 15. 16; es ftcht derfelbe erſtmals im Hannoverihen G. 8. („He 
Ordenilich Geſangbuch x.” Braunfhweig) 1648. S. 34 nad dem alten Mike 
mit der Bemerkung: „Wer wil fan es gang Deutſch alfo fingen.” (Val. Kite 
K.L. Lex. IL ©. 130.) Andere deutihe Terte find noch: „Lob Gott, du — 

heit“ (G. B. der Böhm. Br. 1544 und 1566. Bat. Babſt G. B. Ausg 
1557. Bol. v. Tucher, Shop l. Nr. 38. S. 29, „In einen ſüthen Ton“ 

Triller, 6.8. 1559), „In ſuher Freud und Io" (Morig v. Heilen, 6.2. 16 


Infrabaß nannten mande alten Orgelbaner den Subbaß 16° im Pedat = 
nerer Orgelwerke, in denen diefe Stimme das größte, tieffte Tonmaß repräfertie 
Gebräudjlicher war jedoch diefer Name für Unterfag 32° (vgl. den Art), mie t 
fung, Anleitung zur muf. Gelahrth. . 8 155. &. 421 zu Gedadt 37 
merkt: „dieſes ſchidt ſich nicht ins Manual, und heißt Unterjag, Kontrabaß, Art 
Infrabaß, groß Unterjag, groß Unterbaf.” 


In Gottes Namen fahren wir, Choral, vgl. den Art. „Dies fin! 
heitgen zehn Gebot.” 














en 











Juterludium (aud wohl Diludium) heißt in der katholiſchen Kirhenmuit d 
der Drgel zufallende Überleitung von einem liturgiſchen Gefangftüd oder die 


*) Derfelbe wird feit dem 17. Jahrh. dem Petrus Dresdensis zugeſchrieben, cur 
irgend ein Beleg hiefür vorhanden wäre, Das Lied ift nach Hoffmann v. F. a. a. D., 


Vol. auch Webel. Hymaop. I. S. 182 fi. Riüßer, Hirdenliedergeg. 1. S. 10-1 
Supplement, 1. 1980, &. 97. 











Intonation. 6,9 


Teiten zu einem andern. Auch die Verfette Gal. den Art.), welche beim Palmen: 
gelang je am Stelle des zweiten Verſes, der dann nicht gelungen wird, mit der 
Orgel ausgeführt werden, gehören im die Klaſſe der Interludien.!) Über das Inter 
ludium im evangelifcpen Gemeindegeſang vgl. den Art. „Zwiſchenſpiel“. 


Intonation. Im der inftrumentalen ſowohl, als aud in der Gefangemufit 
bezeichnet diejer Terminus zunächſt im allgemeinen zweierlei: einmal die Stim- 
mung, die beſtimmte Höhe oder Tiefe in der alle Töne eines Mufiftics gefpielt 
oder gefungen werden. Dan jagt daher: ein Inſtrument ift auf einen Ton von 
beſtimmter Höhe intomiert oder eingeftimmt, und es hält diefen Ton, oder es weicht 
von ihm nach oben oder unten ab, es detoniert; ebenſo: ein Sänger fingt mit 
reiner, unreiner, weicher, ſcharfer, voller, runder u. |. w. Antonation. Ferner wird 
das Wort nod im Sinne von Anſchlag (vgl. den Art.) gebraucht, und bezieht 
fih dann nur auf die Anfangstäne eines Stüdes und auf die Art und Weife 
ihres An- oder Einfages: leicht, ſchwer, früh, prompt, fiher, unfiher u. dgl. find 
Sitheta, die in diefer Hinficht der Imtonation eines Anftrumentes oder eines In— 
Ärumentiften, eines einzelnen Sängers oder eines Chores beigelegt werden. — Fir 
die Kirhenmufit fommt diefer Terminus in folgenden befonderen Beziehungen in Be 
wat: 1. Intonationen oder Anfäge, Anfangstöne in der Pfalmodie und den 
ibrigen pfatmodierend gefungenen Stüden des gregorianiſchen Geſanges. Die gregori- 
mifchen Vſalmtöne zeigen, wie verſchieden fie nach Charakter und Ausdrud aud) fein 
mögen, doch immer eine auf denelben Princip beruheude Konftruftion: fie find 
amnlich aus vier veridiedenen Elementen: 1. der Intonation, 2. der Reperkuffion 
Necitationsten, Dontinante), 3. der Mediation umd 4. der Kadenz oder Schluß 
ormel (Finale), zufammengefegt;?) z. B. der IT. Pſalmton: 


. Intonation. | 2. Reperluſſion (Recitation). | 3. Mediation | 4. Radem. 


















[rer 


Wa una —— — 
pit, sie me-di-a-tun, et sie f- m-tur. 





* 
-eun-dus to-nus sie in- 





S 





Das erfte diefer Elemente, die Intomation, ift eine aus 2, 3, 4—5 Tönen befte 
ende Aniagformel, die zur Dominante oder Recitationsnote des zu fingenden Pſalms 
ufwärte leitet und dieſen dadurch mit feiner Antiphone verbindet. Nun Hat jeder 
er acht Pſalmtöne feinen eigenen Recitationston (Dominante, Repertuſſion': der erſte 
ie Quinte, der zweite die Terz, der dritte die Eert, der vierte die Quarte, der 
Anfte die Quinte, der ſechſie die Terz, der ficbente die Quinte und der achte die 
Zuarte, — jeder bedarf Daher much eine eigene Intonationsformel, die zu Diefem 








*) Bol. Kornmüller, Leriton der kirchtichen Tonkunft. Briren, 1870. S. 475. 
>) Bol. das Weifpiel bei Frandinus Gafor; Tinctoris, De natura et propriet. tono- 
am 1476 beginnt: „Tonus nihil aliud est, quod modus per quem principium, medium 
t finis cujus libet cantus ordinatur.“ Anıbros, Gef der Muf. II. ©. 18. 





680 Intonation. 


Tom, auf dem der größere Teil des jedesmaligen Textes vecitiert wird, leitet. Mr 
adıt Töne Haben überdies außer der Antonation für die Pſalmodie (ferinle Weir 
noch je eine befondere Form derſelben für das Venediftus und Magnifitat, fer 
für den antiphonalen Teil des Inteoitus (eitine Weife), Dieſe Intomationen!) find 


a. für die Pfalmodie: b. für das Magnififat: 





c. für den Imtroit 
1. Ton. 





I. Xon. 














II. Ton. 


W. Ton. 


V. Zon. 





VI. Ton. 








VII. Ton. 











VI. Zen, 











Tonus pe- 
regrinus, 




















1) Bol. Guidetti, Directorium chori. 1599. Janssen, Les vrais principes du ch 
grögorien. Medefn, 1845. Deurfh von Smebdint, Mainz, 1819. &. 155 1. Yon dia 
alten Intonationsfermeln Gaben auch einzelne nenere Nomnponiften mit vortrefiliher Wir: 
Gebraud; gewact; fo 3. 8. verwendet Händel im „Meffine“, Chor Ar. 30 „Der derr gab u 
Wort“ die Intonation des I. Tanes fo: 





Tat. 2. Tatt 9. 10. 














Der Herr gab das Wort, der Herr gab das Wert. 


und Mendelsfohn im „Lobgefang” die Intonation des VIII. Tons zum Anfang der Sinti 
und im Eher „Alles, was Odem bat“, Tal 


Dres 























= 
A -Ies, was O-dem bat x 


Intonation. 68 


ıbei iſt noch zu bemerten: fürs erfte, daß der I. und VI, ſowie der III. und 
U. Ton die gleiche Reperluſſionsnote und daher auch die gleide Intonations- 
mel haben; fürs andere, daß die Intonationsformeln des IT. und III. Tones 
ht als identiſch, als bloße Transpofitionen angefehen und daher nicht einander fub- 
niert werden dürfen; drittens, daß Die Formeln der Cantieca (Magnifitat und 
nediftus) meift auch für den Introitus verwendet werden und eigene für denfelben 
mig im Gebrauch find, und endlich viertens, daß die Intonationen in der Pal: 
die meift nur vor dem erften „Versus“, dagegen in den Cantica vor jedem 
7%, und zwar in beiden Fällen vor dem erften (zum Anfang) vom Liturgen, bei 
1 Wiederholungen aber vom ganzen Chor gefungen werden. 2. Intonatiunen 
hen ferner die ganzen Säge, Verſe oder Versabihnitte, welche ale Anfangs: oder 
nleitungspbrafen in verſchiedenen anderen liturgiſchen Gefangitücen vom Piturgen, 
@ einem oder mehreren Kantoren angeftimmt werden und nad) welchen der Chor 
$ betreffende Std fortfegt und zu Ende fingt. Solche Intonationen im eigent- 
jen Sinne find bei dem Antiphonen, im Graduale, als Einleitung der Hymnen 
der einzelnen Bitten der Litanei u. f. w. gebräuchlich, namientlich aber haben 
Gloria in excelsis und das Credo in unum Deum der Meſſe ihre v 
Iriebenen Intonationen, die in allen Miffalen zu finden find. Mit welch mäch- 
ter Wirkung Seb. Bad die Intonation des Credo der gregoriauiſchen Choral- 
fie als Cantus firmus in das herrliche Credo feiner H-moll-Meffe — mit dem 
Rlong: 























rüber genommen Hat, ift bekannt. — Das Singen diefer Einleitungsformel, das 
antiphonam imponere*, heißt ebenfalls Intonation, oder intomieren. 3. Unter 
atonotion in Bezug auf die Orgel verfteht man diejenige Thätigfeit des Orgel: 
ters, durch die er ein Werk zu regelrechter und funftmäßiger Anſprache bringt, fo 
308 nicht nur hinfihtlic der Reinheit der Stimmung und Temperatur, fondern 
16 des voll ausgeprägten Charafters der Tonfarbe der einzelnen Negifter und feines 
Ärdevellen Gejamttones allen billigen Anforderungen, die von lirchlicher und künſt- 
rijher Seite an dasfelbe gemacht werden, voll und ganz entſpreche. Das Geſchäft 
it endgiltigen Intonation einer Orgel wird vom Orgelbauer im aufgeftellten Werte 
a den vollfländig fertigen Pfeifen vorgenommen. Es beſteht nad feiner techniſch- 
"senifen Seite hin im wefentlicen darin, die Mundöffnung (alſo den Aufſchnitt, 
in Kern und die Kernſpalte, ſowie die beiden Labien) jeder Pfeife fo zu regulieren, 
Ab der aus dem Pfeifenfuß tommende bandförmige Luftſtrom richtig gebildet und 


J 


682 Intonation. 


richtig nach dem Pfeifenförper geleitet werde, damit er dort den möglichſt vollten 
menen Tom erzeuge. Der Ton jeder Pfeife, wie er durd eine gefhidte Intonater 
erzielt werden fol, ift aber nur dann ein möglichft volltonmener, wenn er proms 
und rund, voll und nobel ohne jeglige natwralififhe Beimifhung zur Erfceinur, 
kommt, nicht überfhlägt, nicht tremoliert (bei Zungenpfeifen nicht Inattert), umd a 
Stärte und Klangfarbe dem Tone aller übrigen Pfeifen eines und desfelben Sit 
gifters vollftändig gleich ift. Um einen folden Ton herzuftellen ift für den Int 
mator neben Geſchick und Sachlenntnis vor allem ein feines und geübtes Ohr vr 
möten, Dann aber hat die Intonation neben der techniſchen auch nod eine eigentit 
tunſileriſche Seite, deren Anforderungen der Intonator nur dann genügen wird, were 
er mit künſtleriſch gebildetem Geſchmack einen offenen Zinn für firdlihe Würde un 
Schönheit verbindet. Er fell jeder einzelnen Orgelftimme das fie daratterifierer: 
Tongepräge geben: den Gambenftinmen wirklichen Gambenten, den Flötenftinn- 
Flötenton, den Poſaunen Poſaumenton u. ſ. w.; dies aber nicht in der effefthalt:: 
den Weile der Franzoſene) die die Orgel zum Sonzertinftrument maden. D 
deutſche Kirchenorgel Hat durchaus die kirchliche Würde zu wahren und erreicht dies 
unbefhadet der vollen, Funftmäßigen (aber nicht naturaliftiigen) Charafterifierum 
ihrer Einzelftinnmen, vor allem durd einen edlen Gefamtton. Für dieſen ift atı 
nötig, daß „alle Grundftimmen, als Gedackte, Bordun u. j. w., ſowie alle Tiuimter 
und Terzenftimmen im Grundton intoniert werden. Viele Orgelbauer wollen dar: 
nichts wiſſen: fie intonieren Subbaß, Bordun und Gedadt aliquot. Diefe Stim 
Hlingen freilich ftärter, als wenn fie im Grundten intoniert find, aber fie x 
dem Werte nit den nötigen Grundton, und wenn die Quinten- und Terzenftin 
ebenfo intoniert find, jo muß die volle Orgel verſtimmt Hingen."*) Zur Intonai« 
im weiteren Sinne gehört dann noch die Herftellung eines ebenmägigen Verhältt 
der Tonftärte zwiſchen Dietant und Baß, ſowie die darafterifierende Abftufung >= 
verfchiedenen Manuale einer mehrflavierigen Orgel gegeneinander. Im erfterer Fer 
ſicht Haben die äfteren Orgelbauer, wo ihnen der Distant dem Baß gegenüber = 
chwach erſchien, durch Beigabe von Disfantftimmen (Sitdermann), oder durd Er 
dopplung des Distante einzelner Regifter (Chriftion Müller, der Erbauer der > 
rühmten Harlemer Orgel) Abhilfe geſucht; für den Orgelbau der Gegenwan bei 
Töpfer ein befferes Auskunftomittel in dem richtigen Verhältnis der Oftavenser 


er bedeutendfte franzöfiſche Orgelbauer der Gegenwart, Cavaillé. Coll in Paris, 
durch das outriert naturafififdie Manggepräge feiner einzelnen Stimmen, durd das Kıfk= 
ment feiner Stimmfombinationen und durk die übermäßige Verwendung von Junger ==! 
überbfafenten Stimmen (Jeux harmoniques) einen Gefamtton feiner Werte, der wen 
den Charalter einer Blechmuſil, als den des echten Orgeltones hat. Val. Sering, „Eine Ort 
ſchan zu Chalons und Paris“ in der Euterpe. 1879. ©. 121. 

?) Bol. Heinrich, Orgelbau-Revifor. 1877. S. 52. Hier (3. 50-55), fowie bei Zire. 
Die Orgel. 1802. 3. 150-159 u. a. finden ſich wertolle, auf grundlicher Sadlenuim # 
ruhende weitere Bemerkungen über die Intonation der Orgel. 




































Intoniereifen, Intonierbled. Introitus. 683 


ihnitte = 12,8 (- h. des Verhältuiſſes, bei welchem die Hälfte der Lichtweite 
der Pfeifen eines Regifters auf die Decine fällt) gefunden, einen Verhältnis, durch 
dag der Dietant diejenige Fülle und Friſche erhält, die er bedarf, um der Stärke 
des Baſſes das Gleichgewicht zu halten. Im Bezug auf den zweiten Punkt, das 
Verhältnis der Manuale zueinander, gilt ſchon ſeit Silbermann als Regel, daß 
das Hauptmanual vol und Fräftig, das zweite Manual (Oberwert) weniger ftart, 
aber immer noch voll und penetrant, das dritte Manual (Unterwerf, event. Echo 
werf) aber zart und lieblich intoniert werde. 


Intoniereifen, Intonierblech, cin Werkzeug, deſſen fi die Drgelbauer 
beim Intonieren der Zinnpfeifen bedienen, um die Pabien ein- oder auszubiegen und 
den Kern aufzubiegen oder niederzudrüden. Es ift aus Schmiedeeifen oder ſiarkem 
Eijenblech hergeſtellt, etwa 0,2 m (810) lang, Ir em ("2") breit, und hat 
zuf der einen Ceite die Form einer Mefer oder Degenklinge ohne Schneide, auf 
der andern die eines Meißels. 


Introitus, Der, als liturgiſches Gefongftäd, bildet in der latholiſchen Kirche 

‘ie Einleitung, den „Eingang der Meſſe“ und ift aud in die evangeliſche Kirche, 
oweit fie für ihren Gottesdienst die Form und Ordnung der Mefie feftgehalten hat, 
erübergenommen worden. Im der althriftlihen Kirche begann die Katehumenen 
teffe, nach dem von jeden Einzelnen ftill geiprodenen Sündenbefenntnis, mit dem 
Belang des 63. Piahns, dem andere Pfalmen (bis 12 an der Zahl) folgten, und 
ı Diefem Pfalmengeſang ift zweifelsohne der Uriprung des Introitus zu ſuchen. Im 
jerlaufe feiner firhlihen Ausbildung fegte Papſt Gregor d. Gr. (geft. 604) ftatt 
x ganzen Palmen einzelne Palmftellen, psalmus und in der Folge versus ge- 
dt, für den Introitus feit und verordnete zugleich, daß diefe nadı den kirchlichen 
eiten wechſeln follten. Vom 8. Jahrhundert an ließ man dem Palm noch eine 
ntiphon vorausgehen, die anfänglich aus einem dem Palm ſelbſt entnommenen 
erſe, fpäter aus einer anderen paſſenden Bibelſtelle beftand, und zum Introitus 
a eigentlihen, engeren Sinne wurde, indem fie in beftimmter Weiſe die 
edeutung des kirchlichen Tages auszuipreden, die Feier für eim beftinmtes Feſt, 
te kirchliche Zeit zu motivieren hatte. Später kamen aber nod weitere liturgiſche 
tücke Hinzu, die dem eigentlichen Introitus voraufgchen und mit diefem zufammen 
n Kompler des Introitus im weiteren Sinne bilden. Die der Einfüh— 
ng Diefer Stüde zu Grund liegende Idee ift die Weihe des celebrierenden Prie 
cs, feiner Miniftranten und der fibrigen im Chor und als (Gefangs-) Chor an- 
jenden Kleriter zum heiligen Wert der Meffe. An den Stufen des Altars beginnt 
Brieſter: In nomine Patris et Fili et Spiritus sancti. Amen! Introibo 
altare Dei und recitiert abwechſelnd mit den Miniftranten den 43. Palm. 

sam fährt der Priefter fort: Adjutorium nostrum in nomine Domini, und 
Meinüftronten reipondieren: qui fecit coclum et terram (Bialm 124, 8); dies 








684 Introitns. 


ift das gewöhnlich Wdijutorium genannte Stüd des Introitus, dem ummitteber 
das Konfiteor folgt, d. h. das Sündenbelenntnis des Priefters, auf das ihn 
die Miniftranten Vergebung wünſchen, und, nachdem fie dasjelbe Sündenbefenntrie 
wiederholt Haben, nun ihrerfeits von Priefter die Abfolution empfangen, was dr 
Chor mit feinem Amen bekräftigt. Damit ift der Weiheakt vollzogen und mit der 
eigentlichen Introitus beginnt die Meſſe. — Luther in der Formula Missae oe 
1523 ließ das ganze „initium missae“ weg und begann mit dem eigentlidet 
Inteoitus, den er im Sinne der alten Kirche als den eigentlihen Anfang dee ze 
meinſamen Gottesdienftes anfah, zu dem er jedoch mac ausdrüclih bemerkte, dıi 
iin für denſelben der Gebrauch ganzer Palmen lieber wäre, als der einzelner Pfelrı 
verfe und anderer Sprüche. Im feiner „Dentichen Meffe“ von 1526 fodann fiel 
er neben diefe Form, die er jedod nicht aufheben, fondern namentlich der Jugen 
wegen in (ateinifcher Sprache zu beliebigem Gebranch frei laſſen wollte, einen. 
ſchen Gottesdienſt“, in dem er bezüglich des Imtroitus beftimmt: „Zum Anfanz 
fingen wir ein geiftliches Yied oder einen deutichen Palm; darauf Kyrie eleifon dd 
mal und nit meunmal.” Diefer Ordnung Luthers folgten die alten evanıc 
liſchen Kirchenordnuugen im allgemeinen, während fie im einzelnen den Imtraitst 
in der verſchiedenſten Weife einricteten. Allgemein wurde mad Luthers Borgen 
das eigentliche „initiuim missae® der 43. Palm mit der Antiphone „Introite 
ete.“ weggelaffen, Dagegen aber das Konfiteor mit verangehendem Adjutorinz 
beibehalten. Doc fonnte diefes Stücd natürlich nicht mehr im oben bejeiciner 
Sinn der tatholiihen Kirche gebraucht werden, und es in die richtigen Beziehurge 
zur feiernden Gemeinde zu bringen war nicht leicht. Daher finden wir dasjelbe 
der evangelifchen Kirche im wefentlihen auf dreierlei Art behandelt: einmal in de 
hergebrachten fatholiihen Form: der Liturg betet das Sündenbefenntnig, oder „ 
feinen Bußpfalm” (meift Bfalm 51), oder „mas ihn feine Andacht erinnert” 
„bei ſich“ im der Safriftei vor dem eigentlichen Introitus, oder am Altar, m) 
rend der Introitus vom Chor gefungen wird;') zweitens recitiert er dasjelbe arı 
phonifh mit den Kantor „für das VBolf” ;?) drittens betet er es „vor der 
zen Gemeinde“ und „dieweil dieſe Beihte, Gebet und Abſolution geſprochen wi 
fol die ganze Kirche til fein und foldes anhören, aud mit dem Priefter alle 
tenmen, beten und die Abjolution zu Herzen faſſen, wohl lernen und vor Got: S 
desgleichen ſprechen.“) Dem Belenntnis der Sünden folgte die Abjolution, er: 
toeder direlt, oder durd einen Troft: und Gnadenſpruch verfündigt. Nun ert br 
gann der eigentliche Introitus, wieder in mannigfochſter Weife, doch jo beb | 




















») Scleewig-Holf. K. O. 1542. Pommerifge KO. 1536. Plalz:Neub. RO. 
Brondenb.-Nürnd KO. 1564, | 

3) Braunfcr.-Wolfenb. 8-D. 1543. Hiltesh. K.O. 1544. 

>) Köln. Reform. 1644. Straßt. KO. 1525. RD. für Medlenburg, Wenden x 150 | 
Plalzgraf Wolfgangs 8.-D. 1557. Medlenb. K. O. 1552. 








Introitus. 685 


deit, daß ſich zwei Hauptformen unterſcheiden laſſen: der von Chor ausgeführte 
wirtliche Introitus, und der von Piturgen geſprochene mit folgendem Introituslieb- 
ders der Gemeinde. Wo man über einen lirchlich verwendbaren Schülerchor ver: 
fügte, wie in den meiften Städten mit höheren Schulen, wurden die Introiten, fo- 
weit fie nichts Unevangeliſches enthielten, unverändert aus der mittelalterlicen Kirche 
herüber genommen und in lateiniſcher Sprache („um Übung der Jugend willen" — 
die Yöhm. Brüder überfegten fie) entweder alljonntäglih, oder mur „zu Zeiten” 
d. h. am den Feſttagen gejungen, und hatten dann im allgemeinen folgende Geftalt: 
a) „Introitus suus cujusque Dominicae et festi“ vom Chore, b) Berfitel, d. i. 
ein Palmvers von Knaben, c) Gloria Patri vom Chor, d) Wiederholung des „In- 
troitus usque ad versum® vom Chor meift mit Begleitung der Orgel gefungen.') 
Verfügte man über feinen Chor, oder wollte man, der Ordnung Puthers (Deutſche 
Meſſe 1526) folgend, die Gemeinde ſchon vom Anfang des Gotteödienftes an in 
Mitthätigfeit ziehen, fo trat an die Stele des Chor-Introitus ein „deutſcher Pſalm“ 
d. h. ein von der Gemeinde gefungenes, von der Orgel begleitetes Antroituslied.*) 
Soldje Introitusfieder waren z. B.: „Komm, Heiliger Geift, Herre Gott,” „Komm, 
heiliger Geift, erfüll,“ „Crbarm dih mein, o Herre Gott,” „O Herre Gott, ber 
grade mid,“ „Dant jagen wir alle“ u. dgl. Diefen beiden Hauptfornen gingen 
verjdjiedene Nebenformen zur Seite: der Chor fang, 3. B. wenn feine Mette vor- 
ausgegangen war, ein Stüd ans dieſer (das Tedeum oder Benediftus antiphoniſch), 
oder „eine Motette nad; Gelegenheit der Zeit oder ſonſt,“ und die Gemeinde folgte 
mit dem Introitusfied, jo daß Chor- und Gemeindegejang vereinigt war; oder der 
Geiſtliche fang den Iutroitus oder Ins ihn „mit vernehmlicher Stimme“ und die 
Gemeinde antwortete mit ihrem Pied, oder der Chor mit einem lateiniſchen Ge- 
fang.) — An manden Drten jedod wurde ſchon im Reformations-Iahrhundert 
der Introitus ganz weggelaffen und nad) dem Vorgang der veformierten Kirche durch 
eine bibliſche Vorlefung erjegt, „von deren wegen, die nicht leſen können,“ wie die 
alte Augsburger K. O. ausdrücklich bemerft. Auch die kirchlichen Introitwslieder der 
Gemeinde wurden vom Pietismus und Nationalismus der fpäteren Zeit befeitigt 
und durch allgemeine Audachtslieder erfegt. Das neuerwachte Beftreben, den litur- 
giſchen Teil des evangeliſchen Gottesdienftes wieder reicher und würdiger zu gejtalten, 
Hat die Aufmerffamfeit der Liturgiker aud dem Introitus wieder zugewandt. Es 
wird mit Bezug auf denſelben gefordert: daß zunäcft der Chor, ale die Stimme 
der allgemeinen Kirche, im Imtroitus der Gemeinde die Bedeutung des jeweiligen 

') Bal. Lutas Loſſius, Psalmodia sacra. 1553. Keuchenthal, Kirhengelänge. 1573. Fır- 
becus, Missale, 1589. Dr. Alt, Der Kriffihe Kultus. Berl. 1851. 1. ©. 242 fi. 

*) Braunfeim.-Wolfenb. K. O. 1531. Branden. Nürnb. K. O. 1536. Nördl. K. O. 1538. 
Balz-Reub. &-D. 1543. Kurländ, RD. 1570, 

>) Hildesh. RD. 1544. Shleswig.Hoffl. KO. 1542. Graffh. Hoya. K. O. 1581. 
Pialz-Neub. K. O. 1543. Brandenb. Nürnb. KO. 1536. Wedlend. K. O. 1540 u. a. 




















686 Inverfion. 


Feſtes und kirchlichen Tages anfündigen, daß aber nicht minder aud die Gemeinde 
fid) aktiv am demfelben beteiligen foll.') Über die Form aber, in welder der Ar 
troitus dieſer zwiefachen Forderung am beften entjpredien würde, find die Meinungen 
geteilt. Die einen laſſen vom Chor die altlirchlichen Jutroiten, oder andere, m 
mentlic altteftamentliche Sprüche weisjagenden Inhalts fingen, und Die Gemeinde 
mit der Strophe eines Introitusliedes antworten; andere weiſen dem Chor Strophen 
des Introitwsliedes zu, und wollen, daß die Gemeinde mit einer Strophe desjelben 
Liedes, die befenntnismäßig zuftimmenden Inhalt hat, oder mit einem Gloria Patri 
folge ;?) noch andere verlangen, daß in Ermangelung eines Chores der die Bedeu 
tung des Tages anfündigende Jutroitusſpruch antiphonifd vom Geiftfihen und der 
Gemeinde abgefungen und von letzterer mit einem Gloria Patri-Lied geidlofien 
werde.?) Und als die vollfommenfte Form des Introitus wird endlich diejenige er 
Hört, bei welcher alle drei Faktoren: Liturg, Chor und Genteinde fo zufammemvirten, 
daß der Chor ein Wort auf die Heilsthatſache hinweiſender Weisſagung fingt, der 
Üturg durd einen objektiven Spruch die Ankündigung fortfegt und die Gemeinde 
mit einer Liedſtrophe fih dazu befennt.‘) — Cine vollftändige Sammlung der zum 
Introitus gehörigen Stüde für das gelamte Kirchenjahr findet man im den Drei 
Bänden von Schoeberlein-Riegels Schatz des liturgiſchen Chor- und Gemeindegelangs. 
1865-— 1872.) 

Inderfion, Umftellung, veränderte Wiederholung der einzelnen Wörter oder 
Satzteile eines Tertfages in der Motette, den Kantaten- und Oratoriendor, über: 
haupt in jeder weiter ausgeführten Vofalfompofition. Solche Tertänderungen werden 
notwendig, weil Motettenjäge und fugierte Chöre in der Kirchenmuſit meiſt nur kurzt 
Vibelfprüde und liturgiſche Worte als Tertunterlage Haben; fie wollen aber bei aller 
Breifeit, die dem Komponiften bleiben muß, mit künſtleriſchem Geihmad behandelt 


1) Harmad, Zabel Mberf. der Gef. der Liturgie des daupigottetd. 1858. Vetri, Han. 
gende. 1852. Löhe, Agende. 1853. Schneling. Gottesdienflerdnung. 135%. Scorberlein, 
Der ev. Hauptgotte@d. 1855. Bad. Kirchenbuch. 1958. Agende der Hofe und Domtirche zu 
Berlin. 1822. 

) Petri, Hann. Agende. 1852. Klieſoth, Die urfprüngl. Gotteedienftorduung. 1858-1861 
Derjelbe Liturgiter hat ſich vor kurzem anf der Medienb. Paftoral-Ronferenz zu Doberan, 
Sept. 1884, dahin ausgefprodien, daß der Introitus in feinem Falle weggelaffen werden br 
und man ihm im Notfall lieber einen Uniſonochor von Knaben übertragen möge, als ihm durt 
ein Zutroitusfied zu erfeßen. Bol. Siona 1885, X. 1. ©. 

=) Kraufold, Mufit Altaragende. 1353. Duft. Anfang zum Baur. Agendentern. 1854 
rayriz, Kern. IV. 1855. ©. V. 

*) Shoeberlein, Der evang. Hauptgottesdienft. 1855. ©. 266—208. Der. Cab 1. £. 
49. Heftige Agende von Lucius. 1859. 

®) Doß einige Sonntage des Kirchenjahres ihre Namen von den Anfangsrvorten der ihnen 
zugehörigen Introitus erhalten haben, if befannt. Diefe Sonntage find: Efomihi, Imvotarit, 
Reminiscere, Oculi, Lütare, Judico; Quaſimodogeniti, Miferitordias, Yubilate, Kantate, Fe 
gate und Croudi. 




















Invetrialur. 687 


1. Dabei gilt als erfte Regel, daß der dem mufifalifhen Thema oder Haupt: 
tiv eines Stüdes unterliegende Tert bei allen Wiederholungen unverändert zu be 
em iſt, daß alſo z. B. Führer und Geführte der Fuge die urſprüngliche Wort- 
je des Tertes nit ändern follen. Wird dann der wuſitaliſche Daupigedanke im 
Hauf eines Stüdes gliedernd aus. und weitergebildet, jo bedingt dies natürlid) 
h veränderte Wiederholungen, Teilungen und Umftellungen des Tertes. Diefer 
d daher ſchon bei feiner Wahl darauf anzujehen fein, ob er folde Äuderungen 
ragen fan, ohne dadurch weder in Bezug auf jeinen Sinn ud Inhalt unklar 
 unverftändfich zu werden, nod) in Bezug auf feine Form Zwang und Maf- 
lung erleiden zu miffen. Zur Inverfion fann aud noch die Wiederholung ein: 
wer Wörter eines Tertes, denen man dadurd einen beſondern Nachdruck geben 
Ü, geredmet werden. Es iſt diefelbe zwar an ſich durchaus künſtleriſch berechtigt, 
U aber ebenfalls mit Geſchmack angewendet jein, wenn fie nicht zur Manier wer- 
ıjoll. Die alten Motettentomponiften nahmen es hinſichtlich der Inverfion ihrer 
te nicht immer genau und liebten namentlich einzelne Wörter in fogenannten 
Bedaccorden, Werufen" am Anfang einer Motette zu wiederholen, eine Manier, 
ſchon von Matthejon, dem „Rrititer mit Zopf und Schwert,” getadelt wird.') 
Beitere Verwendungen des Terminus „Inverfion“ im Sinne von „Untehrung“, 
der Harmonielehre (Umfehrung der Intervalle, der Accorde), im einfachen und 
prelten Kontrapunft (Wiederholung des Motivs, des Themas in umgefehrter Inter- 
Wolge u. dgl.) und in der Lehre von Orgelpunft (Verlegen der ausgehaltenen 
de aus der Grundſtimme im eine Mittel-, oder in die Oberftimme, z. B. in 
!ojarts C-moll-Phantafie, Op. 11) gehören ins Gebiet der allgemeinen Muſittheorie. 


Invetriatur, Terminus der Orgelbauer, mit dem fie eine Leimmaſſe?) be- 
nen, die dazu verwendet wird, das Innere der Windbehältnifie der Orgel wind. 
St zu machen, um jedes Verſchleichen des Windes nicht nur durch die Fugen der 
ältwiffe, fondern auch durch die Poren des Holzes zu verhindern. Diefe Mafie 
® in heißem Zuſtande eingegofien und der Einguß, wo es nötig erſcheint, ein: 





') In feiner Critica musica. 1722. II. S. 368 tritiſiert er Zachau, weil er über das 
fragment „Und den du gefamdt haft, Jeſum Epriftum, erkennen“ eine Fuge geſeht Hatte, 
am aber and; Seh. Bach, wegen der Wiederholungen des „Ih, ih” in der Kantate „Id 
te viel Bellimmernis,“ obrwohl er jelb in jeiner Baffionsmuft nad Brodes (v. Winter- 
N &v. 2.6. II. Notenbeil. Nr. 50) ebenfalls wiederholie: „Ah“ (Baufe) wie hungert 
An Gemüte, wie hungert mein Gemite, Menfhenfreund“ (Baufe), „Menſchenfreund nach 
her Güte“ Val. Spitte, Ba I. S. 530. Mic. Bach wiederholt im Anfang der Mo- 
„Am Hab ich überwunden“ fo: Chor I: „Run!“ Chor IM: „Nun!” Chor I: „Nun, mn, 
9 nun!“ Chor IE: „Run, man, nun, num!“ 2 Xgl. Naue, Neun Motetten von Joh. Dir 
und Ich. Chriftopb Badı. Leipzig, Hofm. Heft IL. Nr. 8. — 

¶ Rah Kunge, Die Orgel umd ihr Bau. 1875. S. 25. 178. auch nur eine „Leimfarbe”, 
!aber, um ihren Zived zu erreichen, jedenfalls möglicft Rat fein muß. 








688 Invitatorium. 


oder zweimal wiederholt.) — Cine eigene Invetriaturmaſſe erfand der Drgelue 
Eugen Caſparini (vgl. den Art.) und beftrih mit derjelben das Innere aller fa 
Windladen und Pfeifen;*) fie beitand „in einem Lad oder Firnis, der nicht nur 
alle fubtiten Poros im Holze ausfüllte und verjtopfte, ſondern auch die Würmer a 
Zufunft davon abhielt.“) Außerdem fol diefe Glaſur aud auf den Ton der Fir 
fen günſtig gewirtt haben; doch Gat der Erfinder das Geheimnis der Mikur; 
diefer Mafie mit ins Grab genommen, 


Invitatorium, Einladung (zum Lob Gottes) heist in der Liturgie ein Ee 
jangitüd, das aus einem Vers, der Antiphone „Venite adoremus,* „Komuz, 
laffet uns anbeten,“ und dem 95. Bjalm (gewöhnlich zwei Bere) zufammengri 
ift, und das den Anfang, die eigentliche Einleitung der ſämtlichen gottesdienftift 
Handlungen eines Sonn- oder Fefttages bildet. Es ift dies Stüd feiner Ider nt 
ein Aufruf an die ihre Feier beginnende Gemeinde zum Lobe Gottes, bei wlde 
Antippon und Pfalm die allgemeine Einladung hiezu bilden, der wechſelnde Sl 
aber dem Lobe die befondere Beziehung auf die jeweilige kirchliche Zeit giebt, wi 
damit das Lob motiviert. Diefer Idee entſprechend Hat dasjelbe feinen rittier 
Plag am Beginn der Frühmette (Matutin). — Nach tatholiſchem Ritus, in da 
das Invitatorium nad einigen jhon vom Bapft Damaſus (gejt. 384), nad andcı 
jedenfalls von Gregor 1. (geft. 604) eingeführt worden ift, wird es in jeder Bit 
mit Ausnahme derjenigen des Epiphanienfeftes und der drei leiten Tage der filn 
Woche, gejungen, und es hat jedes Feſt und jedes Officium vom Tag einen iz 
Invitatorienvers, deifen Gefang von einem oder zwei Kantoren begonnen, vom Übe 
beſchloſſen wird, worauf der Kantor mit dem Pfalm fortfährt, zwiſchen defien & 
ſchnitten (gewöhnlich nach je zwei Verſen) der Chor abwechſelnd den Tagesvers al 
die Antiphone („Venite adoremus“) wiederholt; zum Schluß ſingt der Sam 
den Bers nochmals und der Chor ſchließt mit der Antiphone.t) An den Feitiit 
follte das Invitatorium mit bejonderer Feierlichteit geſungen werden: „ut sex ca 
tent tres primos versus submissa voce, et alios tres alii sex alta voce 

Int liturgiſchen Gefang der evangeliſchen Kirche wurde das Invitatorium af d 








) Ein zweie bie dreimaliges Ausftreichen mit heifem Leim verlangt Lederle, Die Knie 
orgel. 1882. ©. 71. — Ladegaft Hat die eis großen Magazinbäfge der Domorgel zu Stel 
— Platten ſowohl als Falten — inwendig und auswendig „mit Leimfarbe und Gerzl 
dragant und auferdem die Belederung mit Baudrude (einer jehr dichter BlaferKH 
die nit die geringfte Luft dugläßt) überzogen.“ Val. Mapmann, Orgelbauten 1. & 4 

?) Nah Shillinge Univ.ger. der Tonlunft. IT. S. 733 verfah Eaiparini au da: ie] 
Gere der Göfgernen Pfeifen in der Orgel zu Görtitz mit dieſer Gfafur. 

3) Bat. diele Angaben bei Gerber, Neues Ser. der Tonfünftler. I. 1812. S. | 

+) Bat. Kormmüller, Ley. der kirchl. Tontunfl. 1870. S. 232, umd ein in dieie S 
ausgeführtes Invitatorium in feiner „urfpringlidien Form“ aus Lulas Loffins, Psalzdd 
sacra, 1558, bei Scoeberlein-iegel, Stab 1. ©. 543-545. | 


ZIonifc. 689 


diten Feſte („in summis festivitatibus*) Weihnachten, Oftern, Pfingften, und 
oa noch Epiphanias, Hinmelfahrt, Trinitatis und Mariä Reinigung beihräntt, 
ex von einzelnen Kirchenorduungen mit dem Vorbehalt „ob man kann“ angeordnet, 
u andern ganz weggelaffen. Wo es vorfam, wurde es meift lateiniſch von dem 
$ Schülern höherer Schulen gebildeten Chore nad) den alttirchlichen Melodien 
secundum eam translationem, qua psalmus solitus est in ecelesia® Lut. 
ſſiu) und mit den jedesmaligen Feſwerſen („quod sui est festi proprium“) 
jungen. Diefe Verſe waren in der evangelifcen Kirde: 
Veifnaten: Christus natus est nobis! Venite adoremus. 
Chriſtus ift ung geboren. Kommt laſſet uns anbeten. 
Eiphanias: Christus apparuit nobis. Venite adoremus. 
Chriſtus ift uns erſchienen. Kommt, laſſet ung anbeten. 
Dfterfeft: Halleluja! Halleluja! Halleuja! Kommt, laſſet uns anbeten. 
2.u. 3. Ojterfeiertag: Surrexit Dominus vere. Allelujah. Venite adoremus. 
Der Herr ift wahrhaftig auferftanden. Halleluja! Kommt, lajfet uns x. 
Himmelfahrt: Allelujah! Regem ascendentem in coelo. Venite adoremus. 
Halleluja! den König, der gen Himmel führe. Kommt, laſſet uns anbeten. 
Vingften: Halleluja! Der Geiſt des Herrn erfüllet den Erdkreis! oder: 
Palm 103 mit der Antiphone: Emitte spiritun tuum et ereabuntur 
et renovabis faciem terrae. Allelujah! 
Trinitatis: Deum verum, unum in trinitate et trinitatem in unitate 
Den wahren Gott, der da Eins ift in Dreien und Drei in Einem 
venite adoremus — laſſet uns anbeten! 
leuert Liturgiker möchten das Invitatorium als „ein feierliche und carakteriftifches 
ti der Liturgie” auch im der evangelifgen Kirche „nicht geradezu aufgeben,“ und 
aber die „ung fremdartig klingende Diekodie des Pfulms“ mit einem der Pfalm- 
ine vertauſchen,) wie dies auch in der katholiſchen Kirche geſchehen it.) Im ver- 
Infachter Form wird der Vers vom Liturgen oder den Chorfnaben gefungen, und 
# Chor oder die Gemeinde folgen mit dem Palm, oder aber der Chor mit dem 
Hal und die Gemeinde mit der Strophe eines Lobliedes. 





Joniſch, Jonicus Modus (Jastius), mit feiner Plagale Hypojoniſch 
m Syftem der Kirhentöne, im das ihn Oarean einführte, der elfte und zwölfte 
Ton oder Modus, und unter den authentifchen der fünfte. Seine Tomeihe als 
He war zwar feit der Einführung der Pagaftöne befannt und ohne Zweifel auch 
don lange vor Glarean im Gebrauch, aber nicht unter eigenem Namen und nicht 





') Bat. Löhe, Mgende 1853, der beifeht, „wofern man es fingen Tamm“ und die Vorſchläge 
Ebpeterleins a. a. DO. ©. 542. Yayriz, Kern IV. ©. VIII. 

* &ıl. Xornmüller, a. a. D.: „In den Grodualbüern und Antiphonarien finden ſich 
Ne Inoitatorien (Ps. Venite adoremus) nad; den adıt Kirchentönen geordnet.“ 

Rümmerte, Encytt. d. wvang. Kirhenmuft. 1. 4 


690 Zoniſch. 


als ſelbſtändiger Modus, ſondern nur als Plagale des Fydiigen!) (Hypolydiſch 4 
fter Kirchenton) mit mathematifder Teilung der Oftave. Nach des Frandinus Cr 
und anderer Zeugnis) verwandelten nämlich ſchon die Anbrofianer („Ambrosiani 
nostri“), um den gefichhteten Tritonus (f— h) zu vermeiden, das h des Lydien 
öfters in b; dadurch aber wurde „die Tonreihe von F der Tonreihe von C ge 
gleich, und fegtere fonnte für ein transponiertes, durch die Entfernung des Triton 
nemildertes Lydiſch gelten.” 


rn — — er 
ewig mie 1. en 


E 





















mit der Theorie auftrat, daß auf dem Ton C (und A, vgl, den Art. „Hol 
ebenfogut wie auf D, E, F und G eim Modus errichtet und aus Ddemfelben rm 
Plagalton abgeleitet werden könne — und damit das Joniſche (und das Koliit 
dem Syftem der Kirchentonarten zubradte.?) Die Tonreihe unfres Modus in fin 
beiden Formen, authentiſch und plagal, ſowie in deren Berfegungen (Tre 
pofitionen) ift: 

a. Jonicus authentus: 


1. regularis. Genus naturale. 


2. transpositus. Genus b molle, 


3. transpositus. Genus # durum. 





N Bol. Ambros, Geſch der Mufi. II. &. 91: „Wie Glarean bemerft (Dedecas. IL 
©&. 31: quidam omneis eos cantus plagiis adscrilunt, modestise, ut puto, grati 
&& viee, melde „Öeffeidenermeife" den joniffen und äofifden Ton den Blagaltönen beigäkir“ 

) Gofor, Mus. pract. 1490 I. 1: Plerumque etinm alterna Lydiae et Mixolpäi 
modulationis commutatione concentus redditur suavior quod potissime Ambrosas] 
nostri in erclesiastiis ohserrant modis, quum quintum ipsum ct septimum camzm| 
tatione h durae qualitatis in b mollem tanquam diapentes vel diatessaron u 
commixtos modulari solent. Bol. auf Zinctoris, Lib. de nat. et propr. Tonoram. 

1. Pietro Aaron, Trattato della nat. e cogn. Cap. VI. Anibros, a. a. O. II. & 

u. &. 91. 
>) Die Tradition will, daß, als man Karl d. Or. die Frage zur Entſheidung vie! 

wie viele Modi in der Firhlihen Muſil beizubehalten feien, er anſänglich acht für genügen ®| 











Joniſch. 69 
b. Jonicus plagalis. Hypojonicus. 


1. regularis. Genus naturalo. 





2. transpositus. Genus I molle. 


= 
3. transpositus. Genus # durum. 5 — 
= 


Aus diefer Aufftellung erficht man, daß das Doniſche, wenn man feine Tonreihe 
nur als ſolche und ſowohl ohne ihre authentiſche und plagale Teilung, als aud ab- 
geichen von ihrer harmonifhen Behandlung, in Betracht zieht, außer zum Lydiſchen 
auch noch zum Mirolydiſchen Beziehungen hat, die erflären, warum ſchon die Alten oft 
im Zmeifel waren, ob fie ein beftinmtes Kircenftüc dem lydiſchen (mit b) oder dem 
oniſchen, dem mirolydiſchen oder dem bypojonifchen Modus zuzählen follen; und diefe 
Unfigperheit hat fih bis in die Gegenwart herein erhalten.) Daß das Ionifhe der 
Typus der modernen Durtonart geworden ift, wie das Holifhe der der Molltonart, 
ft belannt. — Der Ambitus des Joniſchen in feiner authentischen Form ift 
>, fein Final C, feine Dominante G, feine Medionte E, und feine Bartici- 
yante D; jeine Anfangstöne find C, E, G und in der polyphonen Kirchenmuſit 
ehr Häufig aud D. Doch wurde es in legterer, der bequemeren Stimmlage wegen, 
ewöhnlich transponiert mit einem b am Schlüffel, darf jedodh darum nicht etwa 
18 mit unferm F-dur übereinfommend angefehen werden. Das Hypojoniide 
at den Ambitus G—G, die Dominante E, die Medionte A und die Participante 
#; feine Initialtöne find C, G, A, und in polyphonen Stüden ebenfalls D. Da 
ine Halbtöne auf diefelben Stufen wie die des Mixolydiſchen fallen, und überdies 
eide Modi denfelben Ambitus G—G haben, können fie nur durch ihre Finalen 
I resp. G) unterſchieden werden. — Ihrem Geſamicharalter nad) erſchien die jo- 
iſche Tonart den alten Kirchenmuſiktern als zu weichlich, fo daf fie ihr den etwas 
veifelhaften Beinamen des „Modus lascivus“ gaben, dem auch die älteften Kon- 
ärte, fpäter aber den Gebrauch von zwöffen (darunter auch Joniſch) autorifierte. Bo. W. 
i. Rodfiro bei Grove, Dietion. IT. &. 19. Dagegen wurden für die Blalmodie at Töne 
= ausreidend gehalten und daher finden wir Hier Joniſch nit verwende. 

3) &o murde 3. ®. das Stabat mater von Josguin de Prös von Yaron, Trattato. 
ap. 5 dem fünften (Iydifd), von Zarlino, Instit. harm. IV. 28 dem elften (jonifc) airchemon 
gezäßft, und Ambros, a. a. ©. II. &. 90 ı. 91 meint, „wir würden fagen: F-dur* (?). 
5enfo it Balefrinas Missa Papae Marcelli und Lafius' Motett „Confirma hoc, Deus“ 
wojonifd, aber nod) in der Gegenwart werden beide Stüde öfters als mirofypifd, angeſchen. 
91. Grove, Dietion, I. & 18. Das Refponforium „In manus tuas, Domine“ in feiner 
ıfchalen Form giebt das Bejperafe von Meieln hypojomiſch, das von Regensburg bupoludiſch 

44* 











69% Iordan. G. Iofeph. 


trapunttiften nicht ohne Vorurteil gegenüberftanden ;') erſt nad) und nad) lernte mar 
die Ansdrudsfühigfeit des Joniſchen mehr jhägen und verwerten, und Die ner 
Zeit erft Hat dasfelbe dadurch zu vollen Ehren gebracht, daß fie es zum Tupus dr 
modernen Durtonart nahn. Von evangelifden Kirchenmielodien, die urfprünglid in 
joniſchen Modus ftehen, nennt GCalvifius: „Gott der Vater wohn uns bei,” „Hr: 
Jeſu Chriſt, wahr Menſch und Gott” (authentifd); „Ein feſte Burg iſt m 
Gott,“ „Ein neues Lied wir heben an,“ „Es iſt das Heil uns kommen ben’ 
„Defaja, dem Propheten das geichah," „Bom Himmel Hoc, da komm id her,“ „Es 
Gott zum Haus nicht giebt fein Gunft“ (plagal) u. a.”) 


Jordan, Vater und Sohn, zwei engliſche Orgelbauer des vorigen Inhrhundert, 
die fid im ihrem Vaterland eines bedeutenden Rufes erfreuten und denen die Org 
bautuuſt zwei wichtige Neueinrichtungen verdanft: die Übertragung des Salonfic 
fhwellers (vgl. den Art.) vom Klavichord auf die Orgel, und die erfte Antoendası 
des freiftchenden Spieltiſches (vgl. den Art.). Der ältere derfelben, Abraher 
Yordan baute etwa von 1700 an und die beiden genannten Erfindungen datieren 
von 1712 und 1730; der jüngere blühte bis gegen 1750 und wurde dann durs 
den deutſchen Meifter Johann Schnitzler („John Snetzler“, vgl. den Art.) vr 
drängt. Ein Verzeichnis der von den beiden Jordan gebauten Werte findet mar 
bei Hopkins and Rimbault, The Organ. 1877, I. S. 142—144. 






Joſeph (Dojephi),’) Georg, der melodienreiche Sänger der „Hirtenlieder de 
Angelus Sileſius, lebte in der Mitte des 17. Jahrhunderts als „Mufitus“, oder 
wie andere wollen, als „Rapellmufiter“ oder „Sapellmeifter"t) in der Kapelle de 
Fürftbifhefs zu Breblau. Bon feinen weiteren Pebensumftänden ift bis jeft wit! 
betannt; mur im der Ausgabe der „Hirtenfieder“ 1668 verfigert der Buhdrute, 
daß jegt feine „Symphonien” gedrudt würden. Und doch verdient fein Andenla 
in Ehren gepaften zu werden, da die Mehrzeht feiner Melodien wirtüch ausgegeider 


1) Mod im Sahr 1000 meint der ehremerte Seth Calsifus in feinen „Exercitatioae 
musicae duae,“ der Modus jonicus werde meift zu lockeren und ausgelaffenen Weiſen — 
mütt, Gabe beim Tanzen durch ganz Europa gewöhnlich die Herrihaft, daher aus immer dr 
Tuben in feiner Summung fehen u. f. w. 

2) Yon joniffen Melodien des gregorianifgien Choral nennen wir beiſpielsweiſe da 
Gefang der „Missa in Festis solemnibus,“ in ihrer jpäteren, weniger einen Form a2 
„Missa de Angelis“ genannt, und das Kefponforium „In manus tuns, Domine® als Sure 
jonifd, von polyphener Tatholifcer Airenmuft die Meflen Pafefina's: „Missa Brevis“ 2 
„Missa Acterna Christi munera,“ fovie dejfen tÖRfige Motetten „Sicut cervus desiderzr" 
amd „Pueri Hebracorum“. 

3) Co nennt ihn Hoffmann, Die Tonlünftler Sälefiens. Bresf. 1890. S. 292 sub we. 
„Josephi“ (upf. auch Kehmaly und Carlo, Sthlefifdes Tontüinflerleriten. Bresl, 1316-1387) 
doch i dies wohl mn der Genitiv des (ateinifdien „Josephus“. 

+) Bol. Kornmüller, ger. der lircht Tontunft 1871. &. 233. Mendel, Muſit. Rome: 
ger. V. ©. 478. 


Georg Iofeph. 693 


genannt werden muß, und einige derfelben noch heute im Munde des Volles in 
Shlefien, vorzüglih in der Oberlaufig Leben. Vom Chorolſtil der evangeliſchen 
Kirche aber find fie bei aler reihen melodifhen Erfindung doch zu weit entfernt, 
als daß fie im größerer Anzahl in kirchlichen Gebrouch hätten übergehen fönnen. 
Nur ein einziges evangelifches Gefang- und Melodienbuc, früherer Zeit, das Nürnb. 
6.8. 1676 und 1690 (mit Vorreden von Saubert und Feuerlein) giebt zu ficben 
Liedern des Angelus Silefius die urfprünglic von Iofeph dazu gefungenen Me- 
iodien. Vol. v. Winterfeld, Ev. K. Gef. I. S. 509. Folgendes find die Aus- 
gaben diefer Melodien: 


1. Heilige Seelenluſt, oder geiftlice Hirtenlieder der in ihrem Jeſum 
verliebten Bye, gelungen von Johaun Angelo Silefio, und von Heren Ge 
orgio Iofepho, mit anpbündig ſchönen Mefodeyen geziert. Allen licbhabenden 
Seelen zur Ergeglichfeit und Vermehrung ihrer heiligen Liebe, zu Yob und 
Ehren Gottes an Tag gegeben. Vreflan, in der Baumamifhen Drufterey, 
drudts Gottfried Gründer. ©. I. (wahriceint. 1657). M. 8%. mit Titeltupfer. 
8 Blätter Vorreden und Inhaltsver. 402 5. u. 3 Bl. Reg. 3 Bücher der 
Teile mit 123 Gefängen, nebſt den Melodien. Das vierte Buch it unter 
dem bejondern Titel: Johannis Angeli und Georgii Iojephi vierdter theil der 
geiftlichen Hirten-Pieder x. Breßlaw, druckts GSottjried Gründer Baumanniiher 
Factor.” DO. 9. (1657), beigebunden; 1 Bl. u. 123 &. mit 32 Gefängen. 
— 2. Zweite Ausg. Derjelbe Titel mit dem Zufag: „Anjego auffs neue 
überfehn, aud mit dem fünfften Theil vermehrt. Allen denen, die nicht 
fingen können, ftatt eines andächtigen Gebet-Buchs zu gebrauden. Brehßlaw, 
In der Baumannifgen Erben Drufferey, drudts Johann Chriſtoph Jacob, 
Factor, Im Iahe Chrifti 1668. Nebit einem Titeltupfer. 8%. 3 Dt. Zu 
fhrift; 4 Dt. Liedervezgeißnig; 695 &., 7 S. Neg. u. 1 Bl. Errata. Ent: 
hält 205 Dieder mit vorgedrudten Melodien und bezifferten Bäflen. — 3. 
Dritte Ausg. Breglau, 1697. H. 8°, mit gleichem Titel und Inhalt." Das 
vierte und fünfte Bud) von S. 403 an unter dem befondern Titel: „Johannis 
Angeli und Georgii Iofephi vierdter und fünffter Theil der im ihren Jefum 
verliebten Pſyche geiftliger Hirten-Lieder beftehende in allerhand fhönen An- 
mutungen und Melodeyen.“') Die 205 Lieder der Ausg. von 1668 haben 
fämtlid Melodien; davon find jedoh 21 überihriehen: „auff eine befannte 
Melodey,” und (aut Vorr. „anderwärts fergenonmmen“, jo daß I. im ganzen 
184 Melodien als Erfinder bleiben. Bon diefen Melodien haben fih die fol- 
genden in mehr oder weniger wefentlicher Umgeftaltung big zur Gegenwart im 
den Choralbügern erhalten: 1. Ad, wann fommt die Zeit heran, Hi 
lige Seelenluſt. 1657. 3. Erſtes Bud „Das Ander“. Daraus wurde 
gebildet „Iefu meiner Seelen Ruh,“ vgl. Rind, Ch. B. 1836. Nr. 138. 
Zatob u. Richter, Ch.B. I. Nr. 68. Zahn, Euterpe 1877. ©. 131. Kerner 
gingen Veftandteile diefer Weile in die Mel. „Deinen Jefum laß ich — 
Blirtt, Ch. B. 1844. Nr. 87 ; vgl. Faißt, Württ. CB. 1876. 














¶ Eine weitere Ausg. von 1702. 129. (Berlin) verzeichuen Wege, Uymnop. I. S. 58 
und Grifgen-Kirdiner, Runpefafte Nahrht von tern und neueen Giederverfafenn. Halle 
imi. e.2. 


69 Heinrich Iſaak. 










222; endlich wurde aus derfelben Met. noch eine Weife zu „Sollt es gleif 
bisweilen feinen“ gebildet, die öfters Gottfr. Aug. Homilius els Kom) 
poniſten zugeſchrieben wurde umd ſich noch in mittel: und norddeutſchen Ch. Vw. 
3. ®. bei Umbreit, CheB. 1810. Nr. 284; Schicht, Ch. 2 1819. Ar. 35 
Blüher, HB. 1825. Nr. 231; Dalob, und Richter, Ch.-B. I. Ar. IN 
findet. Vol Zahn, Euterpe 1817. ©. 173. — 2. —* — Iefu, war 
vor Müh — „Heilige Seelenluft. 1657. &. 116. 1. Buch „Das Adıt ut 
dreiffigfte.” Daraus wurde gebildet „Meine Seele laß es gehen.” Mini 
Harm. Liederſchat. 1738. Jatob und Richter, Ch. B. Il. Nr. Us, 
Bol. Zahn, Euterpe 1879. ©. 80. — 3. Lobt den Herrn, weit um 
fern. Heilige Seelentuft. 1657; jet zu einer Umdichtung dieſes Liedes („Ziret 
dem Heren, nah und fern“) von Lob. Dan. Herrufhmidt verwendet. Ch 
der Brüdergem. 1784. Art 225. Bol. Fiſcher, R-L-Ler. II. ©. 259 
geteilt bei Intob und Richter, Ch.-®. II. Nr. 1147. ©. 880. — 4. Buy! 
mit allem, was da fheinet.” Mitgeteilt bei Ruder, Zionsharfe L. Rr.| 
622. Jatob u. Richter, &. B. II. Wr. I — 5. Nun ift dem fein? 
zerflört fein Macht. Heilige Serlenluft. S. 203. Drittes Bud 
„Das Fünf und fehgigfte." Abgedrudt bei zei, Sammlung leichter find! 
Sefünge. Stuttg. 1858. I. ©. 14. Nr. 21. — 6. Iefu emge Sonne 
5.2. der Brüdergem. 1784. Art. Ta. — 7. Du grüner Zweig, dı 
edles Reis. Ebendaf. Art. 0b. — 8. Geh auf meins Herzens Mor 
genftern. Ebendaſ. Art. 212. — 9. Schau Braut, wie hängt dei 
Bräutigam. Ebendaſ. Art. 279a. Nürnb, G. B. 1677. Nr. 156. — 19 
Iefu, du Hoffnung alt deiner Geliebten. Chbendaf. Art. 298. — i1 
D Iefu, wie füße bift du. Ebendaf, Art, 3188. — 12. Kommt herasi 
allihr Jungfranen. Ebend. Art 321u. Nürnb. G. B. 16 132. 
13. Defu, dir fall ih zu Füßen. Ebendaſ. Art 358a. Val. Since 
Zur Geh. Heil. Tontunft. 1. ©. 246. — 14. O große Not. Nürnb. ©. % 
1677. Rr. 117. — 15. Ihr teufhen Augen ihr. Ehendaf. Nr. us 
— 16. So haft du num dein Leben. Ebendaſ. Nr. 169. — 17. 
alle, die ihr Jeſum liebt. Ebendaſ. Ar. 179. — 18. Iefu, done 
doch felbft zu mir. Ebendaf. Nr. 538. 





















































Iſaat, Heinrich) der „wunderbare, deutſch innig fühlende, ernft und grokeris 
denfende, mit niederländiſcher Technik, und himviederum mit echt deutſcher und it: 
fienifcper, und ftets meiſterhaft arbeitende, man fünnte fagen kosmopolitiſche Toniet 
der größte Meifter deutſcher Tonfunft feiner Zeit umd einer der größten Mluf 
aller Zeiten,“ deffen Größe ſchon feine Beitgenofien erfannten und Hod prieier. 
















) Der Name wird in den alten Druden feiner Werte in Sammlungen von 1501-1 
auf bie verfihiedenfte Weiſe geihrieben: „Isnact, „Isac“, „Ysac“, „Yzac“, „yzac, „h. yza 
vol. die Nadweifungen bei Citner, Bibliogr. 1877. ©. 636-638. 

*) Bal. Ambros, Gef. der Mufit II. S. 254 umd ©. 380. In der Vorrede zu „Ne 
vum et insigne opus musienm.“ Nürnb. 1536 nennt ihn Johann Ott „absolutissimus « 
eonsummatissimus artifex,“ und aud) an einer andern Stelle Diefer Vorrede läft er ertennen 
in welch hohem Anfehen I. damals fland. ol. Yublitationen. IV. Kiel. 1. ©. 15. Glare 
Dodech. 1547. &. 400 bezeugt: „Hic Isaac etiam Italis notus fuit,“ und Franc. Grapir 











Heinrid) fa: 695 
A bier aufguführen, weil ihm die evangeliſche Kirche eine Choralmelodie verdantt, 
ie mit unter die ſchönſten ihres reihen Viederihages zählt, die Weile „O Welt, id 
muß dich laſſen“ (ogl. das Nähere Über dieſelbe in dem betreffenden Art.). Über 
Haats Lebensverhältniſſe ift bis jegt wenig Sicheres befannt. Die faft allgemeine 
lunahme der älteren Mufitfcriftfteller, und mehr noch die Beweistraft feiner Werte 
ihrt zu der Überzeugung, daß er ein Deutiher) umd um die Wendezeit des 15. 
nd 16. Jahrhunderts der Mittel und Höhepunkt der damaligen deutſchen Tonlunſt 
»ar. Die Bibliothek der Christ Church zu Oxford beſaß, oder befigt noy, das 
Nanuſtript der Muſit zu einem religiöfen Drama „San Giovanni e San Paolo,“ 
ie Mont 1488 zu Florenz für den Mediccer Lorenzo magnifieo (egierte von 
478— 1492) geſchrieben Hatte; in dieſem Manuftript hat der engliſche Muſitgelehrte 
Ir. Rimbault die Notiz gefunden, daß anf dort auch die Kinder Lorenzos in der 
Rufil unterrichtete.) Außerdem war er nad) Grazzinis Angabe Kapellmeifter bei 
an Giovanni im Florenz, und wie ein Altenftüd des K. K. Arhivs zu Wien aus: 
zeit, politiiher Agent des Kaiſers Maximilian (1486 römiſcher König und 1493 
eutſcher Kaifer), der ihm für feine Dienfte einen Jahrgehalt von 150 Ft. bezahlte, 
Imbros, der legteres mitteilt, fließt daraus mit Recht, daß Diaaf damals „ſchon 
in reifer Dionn gewefen fein müfe, der die Berhäftnifie zu überſchauen und zu be 
teilen vermochte.“ Daß Mont auch nad Yorenzos Tode, der 1492 erfolgte, noch 
ingere Zeit in Florenz lebte, ift ans einer Angabe Pietro Aarons zu ſchließen.“) 














ı der Borr. zu den „Cunti carnavaleschi“ 1550 ment ihn einen „musico in qu& tempi 
iputatissimo.“ Wal. Fene, Biogr. univ. des Music. IV. 3. 400. 

1) Bei Sugeinius, Musurgia &. 94 it von ihm als „ex Germanis nastris Uenrieus 
saac“ die Rede: der wohlunterrichtete Glarcan, a. a. ügt feinem Namen „Germanus“ 
sis Franc. Grayini, a. 0. ©. nennt ihn „Arrigo tedesco“, und nur Agid. Tiqhudi (in f 
en Mufbücgern in der Stftebibl. zu Zt. Gallen) führt ihn als „Henricus Isaac Belgn 
irabantius“ aui. of. Bublit. a. a. D- 2. 60. Ambros a a: ©. &. 380 f. meint, die 
{te Tradition, die ihm „Inac von Prag” neun, ei mit durdaus abzuweiſen, und ſuch den 
afammendang einiger Themen feiner Missa carminum (Boltefiedermeie) mit alten Löhmi 
den Boltsweifen zu erhärten. 

>) Dr. Rimbautt beſchrick dieſes Mitt. in „Ihe Musical World“ vom 29. Aug. 1844. 

om. XIX. &. 285; aber James R. Sterndale-Benneit, der dasfelbe vor einigen Jahren in 
x genammten Libtiotfel fuche, ertlärt bei Grove, Dietion. H. S. 23: „of this MS. we can 
nd no trace in the library of Christ Church, Oxford, at present,“ 
5 Diefer jagt nämlih in feinem Bude De Instit, Harm. c. 16: „Summos in arte 
iros imitati, praecipue vero Josquinum, Obrecht, Isaac et Agricolam, quiluscum 
uihi Florentiae familiaritas et consuetudo summa fuit.“ Da Aaron, um feld in 
men Umgangs mit diefen Künfllern gerürdigt zu werden, mindeftens 20 Jahre alt fein mußte, 
: wohl mit Redt angenommen worden, und da als früheftes Datum feiner Geburt das Jahr 
489 gilt, fo mußte man jenen Umgang in die Zeit mn 1510 verlegen. Aber Ambros, a. a. 
d. ©. 382. Anm. 1 bemerkt dazu: „ICh geftehe, daß ich eines für ſatſch Halte: entweder 
arone Geburtsjahr oder feine Verſigerung des Umgangs mit Zosanin n. f. 1. Vielleicht 
veint Aaron nur die Werke der Meifler.” 

































696 Israel, bekehre did). 


Warn er dann, dem Rufe des Kaifers Marimilion folgend, nad Wien übergefirit 
ift, konnte bis jet nicht feftgeftellt werden, doch it anzunehmen, daß es um 1510) 
geliehen fein wird. Im Wien trat er als „Symphonista regius“ und nidt ni 
der Tradition zufolge noch immer feitgehaften wird, al Kapellmeiſter in die ik 
liche Kapelle ein,!) und mag in derjelben als Dirigent des Inftruntentaliften:Ch 
fungiert Haben.?) Die Zeit, wie lange Maat diefen Roten inne hatte, ſowie wert 
und wo ex fein Leben beſchloß, ift noch nicht authentiſch nachgewieſen, und fan nt 
nad) anderweiten Angaben annähernd auf fpätejtens 1517 oder I518 gefegt werten 
Bon den Zeitgenoffen ift nämlich mehrfach und übereinftimmend bezeugt, daß fr 
berühmter Schüler Ludwig Senfl fein unmittelbarer Nachfolger in Wien wurde 
Bon Senfl aber weiß man, zwar nicht wie lange er die Stelle inne hatte, wei 
aber, daß er nach dem 1519 erfolgten Tode des Kaiſers Maximilian in "Per 
trat amd eim Gnadengehalt von 50 rheinifhen Gulden auf Engelhardszell erhin 
Es diirfte daher mit ziemlicher Sicherheit die künſtleriſche Hauptthätigteit Hacks = 
die Zeit zwiſchen 1470 und 1517 zu verlegen fein. — Bon den Werten m 
großen deutſchen Meifters, die man 6is zur Stunde fennt, zählen wir fummeris 
hier auf: 











1. 23 Meffen, von denen 10 gedrudt und 13 handſchriftlich in ve 
ſchiedenen Bibliotheken vorhanden find, — 2. 55 einzelne Kirdenftät:: 
Motetten, Pſalmen, Intreitus x., öfters in mehreren Teilen, die in über # 
Sammiehverten der Zeit 1—1564 gedrudt find. — 8. Ibn 
tie Fiedfäge, die in Piederbüchern von 1512— 1544 zerftreut erihien 
und in denen er fein ganzes tiefes deutſches Gemüt niedergelegt hat.“) 








+ Israel, befehre Dich, Choral. Dies Lied eines unbefannten Dichters — 
ſchien zuerft im Darmftädter G.⸗B. 1698 mit feiner eigenen Weife, die ihm = 


*) Bat. Ambros, a. 0. O. S. 390. Kapellmeiſtet war der Bifhof Georg von Stat 
farb, auf feinem Grabflein im Stepansdom zu Wien heißt er „ıdivi Maxi 
Caesaris Augustissimi a Consilio, Archimusicusgue,“ und andernärts „Cantor, Rest 
que Capellae Austriacae,“ während anf in alten Deudwerten ur „Musicns“, eda 
dem Coralis Constantini 1550 „Henricus Isaak, Musicus, Divi quondam Caesaris B. 
ximiliani Symphonista regis“ genannt wird. Pubtit. IV. 1. &. 01. 
2) Walther, Duft. er. 1732, ©, 590 erflärt das Wort „Symphoniacus“ mit ‚cs h 
Rrumentift, galif& Symphoniste“. 
93m einer Notiz auf dem Mffe. der Offiien ats, die 1531 von Senf va 
wurden umd 1550 unter dem Titel „Coralis Constantini® im Drud erfjienen (Sta 
in Münden Nr. XNXXVD), Heißt es von Senfl: „. . . ejusdem Caesareae majestats m 
dieio in defuncti praeceptoris locum, adoptato.“ Daraus {licht Fetis (der das fra 
Mfte. in Minden auffand) a. a. D. IV. &. 401 irrtümlich, da Mank erft „avait cew-d 
vivre plusieurs anndes avant la date (1551) du manuserit“ und noch @rowe, Dis 
1880. IL. ©. 23 folgt ihm. 
*) Eingelnverzeihmiffe der Werle Iſaals findet man bei Fitis, a. a. O. IV. &. id 
403; Ambros, a. a. D II. ©. 383-389; Citner, Bibliogr. der Mufitfammehwerte. 
&. 636-638; Proste, Musica divina. I. Bd. 1. 1853. ©. XV; Grow, a. a. D. u: 

































IA diefer nicht des höchſten Sohn. 697 


erhalten geblieben ift. Die Melodie heigt bei Witt, Psalmodia sacra. 1715. Nr. 
248. ©. 155: 




























z = 
+ 

= * 

— — = 

daß du kön neſt wür-dig lich 

































bei dem A-bend-mahl er « fhei - nen, wo- zu Je ſus rnit die Sei- nen. 


Mit nur umefentlicen Änderungen findet fie ſich auch in Crügers Praxis piet. 
mel. 1712. ©. 323, bei König, Harn. Liederſch. 1738. S. 160, und hat ſich 
in den CH-BB., die auf das Porflfhe GB. (1802, und redid. Ausg. 1855) 
Nücfiht nehmen, bis heute erhalten: fo bei Ritter, Ch-®. für Halberft.-Magdeb. 
1856, Nachtrag Nr. 404. ©. 146 und Ch.B. für Vrandenb. 1859. Nr. 281. 
S. 105 u. a. 


It dieſer wicht des Höchften Sohn, Choral. Diejem Liede Johann Riſt's 
war ſchon bei feinent erften Erſcheinen in des Dichters „Paffionsandahten,“ 1648. 
Bogen D. Bl. T (Ausg. von 1664. ©. 242) eine eigene Melodie: agfee 
A fe, vieleicht von Pape (vgl. den Art.) mitgegeben worden; doch erlangte dieſe 
feinerfei kirchliche Bedeutung. Mehr Eingang fand eine zweite Weife, die Johann 
Grüger zu dem Liede jang und in feiner Praxis piet. mel. 1666. Nr. 232 
zuerft veröffentlichte. Cie fteht im ausgeglichener Form noch bei König, Harm. 
Liederih. 1738. ©. 61. Stögel, Ch.B. 1744. Nr. 223h. (aud bei Yatob und 
Richter, Ch -B. I. Nr. 105. ©. 95 ift fie erhaften) u. a, und heißt bei Sohren, 
Mufil. Borihmad. 1683. Nr. 237. ©. 314: 























9 ZH 











IN die-fer nicht des Höch ſten Sohn, der Sünder Heil und Gnadenthron, dem man 

















in feiner großen Dual die Rippen zäb- Tet all» zu mal, ans Kreuzes Pfahl? 
Doch trat auch fie einer dritten Melodie gegeniiber mehr und mehr zuräd, und 
diefe, die im Darmflädter G.B. 1698. ©. 181 erftmals erfhien, erlangte befon- 
ders durch das Freylinghauſen ſche GB. 1704. Nr. 91 (Gejr Ausg. 1741. Nr, 
202. ©. 124) firglidje Geltung. Sie heißt bei Freylinghauſen: 


698 IA Ephraim nicht meine Aron. Inbal, Iubaloktav. 































— 


manin feiner gro ien Qual die  Rivpef® zäh let all-zu-mal, sın Kreu-zes -pabl 
und findet ſich in den Ch.BB. des 18. Jahrhunderts, wie z. B. bei Telemann 
1730. Nr. 316, 143, König 1738. ©. 61, Stögel 1744. Nr. 223a, CHR. 
der Vrüdergem. 1784, Art 54c, fowie in den neueren, fofern fie das Lied nes 
berüdfigtigen (3. B. bei Schicht, Ch. B. II. Nr 534. ©. 247 u. a), eutweder 
allein, oder doch an eriter Stelle.) 

It Ephraim nicht meine Kron, Choral. Paul Gerhardis Troftlied üte 
ser. 31, 20 erfhien erftmals im Berliner G. B. von Runge 1653. S. 450 wi 
feiner eigenen Melodie von ohann Erüger, und ging mit derjelben in Crügr: | 
Praxis piet. mel. jeit 1656 über.?) Diefe Grügeriche Weiſe, die zwar jept Tau | 
noch im Gebrauch iſt, heißt z. B. bei Sohren, Mufil. Vorſchmad. 1683. Nr. TI. | 









































©. , wo fie mit „J. CO.“ bezeichnet ift: 
— I — 
—— = VE ZH 


I Eophrasim mit meine Kron und mei. nes Sergens Won - nt, 
Imein trau es Kind, mein ten rer Schn, mein Stern und mei ne Son - ne 
































Bei König, Harm. Piederfhag 1738. S. 308 erſcheint fie im ausgeplihener Fam 
und aus dem Phrugiihen in das moderne Dur umgejegt. 

Jubal, Jubaloftad nannten mande älteren Orgelbauer die Dftave jr 
Principal, alfo meift zu 4° und mit Principalmenſur (z. B. Orgel zu St. Ber 





*) Jalob und Richtet, CB. I. Nr. 104. S. 05 Halten dieſe Weile irrtümlich für 
urfprünglie (von Pape ?); Zahn, Pfalter und Harfe. 1886. Mr. 14, S. 9 giebt fie dem ter 
„Nun Tommt das neue Kirenjahe won Dlearius bei. Das &6.B. der Brüdergem. Lis 
Art 54d bringt unter dem Namen „Bei duch, mein angefodtnes Herz“ eine Faraker 
Es-dur, big f es bj c des ete., dos ift diefelbe nidt als eine der „ganz neuen Mir 
dien“ des Buches bezeihnet. 

>) Bol. v. Winterfeld, Ev. 8... II. S. 164. Bachmann, Zur Geſch. der Berl. &.8- 
1856. ©. 34. Derf., Baulus Gerhardt. Berl, 1866. ©. 119. Bode in den Monate ® 
Muſitgeſch. 1873. ©. 13. | 





Jubilus, Jubilatio. Jula. 699 


m Vaul, Görlig, 1704; Paulinerorgel zu Leipzig 1716); doch lam fie, wie es 
beint, auch mit andeer Menfur vor.') Einige Orgelbauer der Gegenwart haben 
en Namen beibehalten, ihn aber auf eine der Hohlflöte 80 entſprechende Füllſtinime 
bertragen, die fie entweder als Oftave der Groß-Hohlflöte 16° (fo Hat 3. B. Walder, 
Baulstiche, Frontfurt a. M., zu Tibia major 16‘, Iubatflöte 8) oder 
ie Fülftimme mit voller, durdgreifender Klangfarbe für ſich jegen 4. B. Schulze, 
harientirche, Yübe, HI. Dan; Sonred, Orgeln in Kempen”) Steele x). Vgl. 
ad den Art. „Tubal.” 


Jubilus, Jubilatio nannte man die in der abendländifden Kirche frühe 
don bräuchlich gewordenen, anfangs fürzeren, dann immer längeren Melismen oder 
eumen (Pneuma, Hauch, Atemzug, Fortſingen ſolange ein Atemzug reiht), die 
1f der legten Silbe des dem Oraduale folgenden Halleluja gejungen wurden. Schon 
ch. Auguflinus erwähnt folder Jubilen und der h. Bonabentura fagt von den: 
Iben: „wir haben die Gewohnheit, nach dem Halleluja eine lange Melodie zu fin 
t, weil die Freude der Heiligen im Hinnnel weder Worte, noch ein Ende hat."?) 
18 dieſe Melodien ohme Worte fid in der Folge immer mehr ausdehnten, fing man 
1, ihnen Terte unterzufegen, die dann zu hymmenartigen Dichtungen erweitert und 

da fie dem Halleluja des Graduale folgten, oder weil ihnen das Evangelium 
Igte — Sequentiae, Folgegefänge genannt wurden.) Zu den äfteften noch 
haltenen Jubilationen gehören die zwei des Petrus von Meg, die deshalb „Met- 
nses“ (Mettensis major und minor) hießen, und die zwei des Nomanus, die 
„Romana“ und „Amoena“ nannte.) Um die Weiterbildung der Jubilen zu 
equenzen, durch die aud) einige Choräfe der evangeliſchen Kirche mit erfteren zu« 
mmenhängen, erwarb ſich Notter Balbulus (840-912) in ©t. Gallen befondere 
rdienfte, inden er c. 50 derfelben mit Terten verfah und Dielen Texten anpaßte. 
eiteres vgl. im Art. „Sequenz”. 





Jula, älterer Name einer Quinte 5a‘ der Orgel, als deren befonderes Merk: 

il gewöhnlich, angegeben wird, daß fie fonifche (nad oben ſpitz zulaufende) Pfeifen: 
ver habe. „Weil die Quinte 6° c513‘) fehr fraß iſt, zumal in der Tiefe, wird 
meiſtens etwas zugepigt, daß fie, als Halbgededt, nicht zu ſcharf Minge.” Bgl. 
lung, Mus. mech. org. 1. &. 129. Daher mag es aud fommen, daß man 

*) ®gl. Adlung, Mus. mech. org. II. &. 107. Spitta, Bach II. &. 119 

>) Bol. Jeptens, Die nene Orgel zu Kempen. Köln, 1878. ©. 21 und &. 

®) Bonavent. De expos. missae. cap. 10. Augustinus, Ennarratio in psalmos. Ps. 
eone. 1 maßıt eine äfnlihe Bemerkung: die Sänger römen die felinen Gefühle, die fie 
& Worte nicht ausgubrücen vermögen, in folden Jubifationen aus. 

+) Bot. Bäumter, Zur Geld. der Tontunfl. 1891 ©. 30. Kornmüller, Ser. der irhl. 
afunft 1870, 235. 

?) Diefe Jubilen hat Shubiger, Die Sängerfäule von St. Gallen. 1868. Exempla 1, 
TI. mitgeteit. 











700 Ehr. Yung. Chr. Iunge. Inngfernregal. 


in alten Orgeln (z. B. in der Orgel zu St. Lambert in Füneburg, vgl. Präter, 
Synt. mus. II. S. 200 und 233; in der Orgel im Dom zu Königsberg, 121 
von Moosengel erbaut, im Br. W.) den Namen auf Spigflöte 8° übertragen fit. 
doch Heißt andrerfeits aud eine eylindrifhe, aus dem Principal entuommene Zain, 
5%" (im der Orgel zu Bernau in der Dart) Jula. Val. Pratorius, a. a. Cl 
©. 117; Mlung, Anleitung zur muſit. Gelaheth. 1758. S. 430. Anm. I 
Schilling, Univ. der. IV. ©. 20. 











Jung, Chriftian, Kantor zu Charlottenburg in Schleſien, der 1830 „25 um 
vierftimmig gefeßte Choralmelodien. Breslau, Barth," herausgab. Einige deridt:s 
find, wie es ſcheint in Schleſien in lirchlichen Gebraud gelommen, da Jatot eu 
Richter fie in ihr Choralbud) aufgenommen haben. Es find folgende: 

Dreieinigleit, du Gott voll Majeftät. Nr. 3. Jalob u. Richter, Ch. 

U. Nr. 626. ©. 543. Es ift ein Gott, er hat auch mid erihaffen. 

11. Daf. Nr. 669. ©. 570. Gott, id preife did mit allen Frommen. Si 

24. Dal. Nr. 719. ©. 602. Lobfinget Gott, er fhuf die Welt. Nr. 4 

Daſ. Nr. 967. ©. 757. 














Zunge, Chriſtoph, ein teeffliher Orgelbaumeifter des 17. Iahrhunderte: * 
kam 1675 aus der Lauyig nadı Sondershaufen und baute dafelbft in der Trinizis 
fire ein Wert von 31 Stimmen für 2 Manual und Pedal, deſſen einzene — 
gifter, vorzüglich gearbeitele Springladen und gutes Geblaſe befonders gerühnt ze 
den, deſen Mecanit aber ziemlich hart gegangen fein muß. Bpl. Gerber, N. 
1. ©. 820. Um 1680 baute er die Orgel der Staditirche zu Weimar mi 3 
Stimmen, an der der befannte Lerilograph Joh. Gottfried Walther (vgl. den 
von 1707-1748 als Drganift angeftelt war. 9.8 legte Wert war die Tx 
im Dom zu Erfurt mit 28 Stimmen für 2 Manunle und Pedal, deren Aria 
Mus. mech. org. I. &. 221 als „eines raren Werkes“ gedenft. Doch far | 
nod) vor gänzficher Vollendung derfelben im dahr 1683. 














Jungfernregal (aud; Ripien-, Singendregaß), ein altes Rogrmert A 
Drgel mit 8: und 4-Fußton, ſchwachen aufſchlagenden Zungen und gedediten, ah 
mit Tonlöhern verfehenen fehr Heinen Körpern — bei 8 Fußton oft mur 4.8 
lang. Mit 4 Fußten ftand es 5. B. im Pedal der Orgel von Peter und Paul | 
Görlig, ebenfo als „Jungferchoral“ 40 im Pedal der Orgel im Dom za & 
nigsberg (77 ff. Stu. 1721 von Mosengel erh.) als Singeregal 4 imd 
W. der Domorgel zu Magdeburg. „Iungfrauenregal oder Baß ift 4 Futs 
an ihm ſelbſten ein Hein offen Negal mit einem Heinen geringen corpore, mi 
ein, oder aufs meifte zweene Zoll hoch; wird aber darum fo geheißen, mocii a 
wenns zu andern Stimmen und Floitwerlen im Pedal gebrauht wird, gleich 
Iungfrauenftimme, die einen Baß fingen wollte, gehöret wird. Es wird aus d 
Hein Regal auf 4 Fußten von etlichen Geigen- oder Geigendregal gen 


Dr. Otto Rode. 701 


md foldes darum, daß «8, wenn die Quintatön 8 Fußton dazu gezogen, etlicher 
nagen (fonderlich wenns in der rechten Hand zum Dislant allein gebraucht wird) 
iner Geigen gar ähnlich Minget.” Wal. Präterins, Synt. mus. II. ©. 145. 
dafelbft ©. 189 wird die Stimme aud als Iungfernregalba 4° aufgeführt. 
‚Singendregal wird auch wohl eben das fein." pl. Adlung, Mus. mech. 
ng. 1. ©. 108. Auch „Iungfernftimme, Vox virginen (vgl. aud den Art. 
Vox humana“) ift vielleicht einerley mit dem Geigen- oder Sungfernregale.” 
zal. Adlung, Anleitung zur mufit. Gelahrth. 1758. ©. 423. 431 und 479. 


Kade, Dr. Otto, ein durd feine wiſſenſchaftlichen Forſchungen ſowohl, als 
urch feine proftifhen Arbeiten auf dem Gebiete der evangelifdien Kirchenmuſit ver- 
ienter Dufiter, der 1825 zu Dresden geboren wurde. Hier erlangte er aud unter 
8 Hoforganiften Johann Schneider und des Kantors und Mufildireltors Julius 
to Leitung feine muſilaliſche Bildung, die er bei orig Hauptmann in Leipzig 
nd 1847 auf einer Studienreiſe nad Italien erweiterte und vertiefte. 1848 aus 
talien zurüdgetehrt, wo feine Neigung zur alten Kirdenmufit lebhafte Anregung 
npfangen hatte, gründete er in Dresden den Cãäcilien Verein zur Aufführung klaf- 
iger Kirchenmuſi hoerle und leitete denfelben während zehn Jahren. Daneben über: 
ıhım er 1850 den Geſangunterricht am Vitzthum'ſchen Gymnaſium, fowie eine 
Irganiftenftelle, won der er 1853 auf das Kantorat an der Neuſiädtiſchen Kirche 
fördert wurde. 1860 ſodann erhielt er vom Großherzog von Medlenburg Schwerin 
© Berufung als Dirigent des Schloßlirchenchores zu Schwerin, und trat dieſe 
teile als Julius Schäffers Nachfolger und mit dem Titel eines großherzoglichen 
duſitdireltors ausgezeichnet, am 1. Ottober 1860 au, um in derfelben jeitdem mit 
yönem Erfolge zu wirten. — Bon 8.8 Arbeiten ift zunächſt fein Medlenburgiſches 
Horaldud zu nennen, in dem er, ohne fid) in Erörterungen über rhythmiſchen 
‚er ausgeglichenen Choral einzulaffen, die Melodien im großen ganzen vereinfacht, ” 
sex doch diejenigen rhythmiſchen Geſtaltungen beibehält, die zur weſentlichen Cigen- 
mlichteit, zur Charaiteriſtit der Tonweiſen gehören. Im der Harmonifierung, die 
ir den Gottesdienft in der Kirche und fr die Erbauung in Schule und Haus“ 
ftinmmt ift, vermeidet er alles, „was das Ohr des Volles in der Kirche wie in 
x Schule irreführen und von dem charalteriſtiſchen Weſen des Melodielörpers 


3) Im Jahr 1880 feierte er mit feinem Chore deffen 2bjähriges Jubiläum; vol. feine 
Michrift: „Die 25jährige Wirlfamfeit des Schloßchores zu Schwerin.” 1880. 40. 


ni 


702 Dr. Otto Kade. 


irgendwie abziehen und ableiten Könnte,” umd zeigt ſich Äberhaupt im feinem Chen 
fag als einen gründfihen Kenner der alten Meifter, von denen er den trefflik 
Hans Leo Hahier jpeciell zum Vorbild genommen hat.) Dem Choralbud gab « 
fein ebenfo treffliches Kantionale bei, das in den bis jetzt erſchienenen drei Tele 
die ſamitlichen üiturgiſchen Geſangöweiſen für Haupt und Nebengottesdienfte, M 
und Veſper für den Altargefang des Liturgen und den Chorgefang zugleich) 
feiner ſhönen, ftreng kirchlichen harmoniſchen Bearbeitung enthält. — Ceine hir: 
ſchen Forfhungen auf dem Gebiete evangelif—er Kirgenmufit Hat K. im Schriften 
wie fein „Mattheus le Maistre“, in dem „Lutherfoder", in der Ausgabe des da 
Walther ſchen Gefangbüdleing von 1524, und im verjgiedenen Aufjägen in dr 
Monatsheften für Mufifgeicichte, der Allgemeinen deutſchen Biographie u. a. a.C 
niedergelegt. Der Lutherfoder würde, wenn die von K. mit vollfter LÜberzeugusi 
angenommene Edhtheit desfelben ſich endgiltig erweiſen Ließe,*) manıentlid für da 
Puthergoral „Ein feſie Burg ift unfer Gott" von entfcheidender Wigtigfeit fer. - 
Folgende Werke 8.8 find Hier zu verzeichnen: 

1. Mattheus le Maistre, niederländiſcher Tonfeger und durfiri 
lich ſachſiſcher Kapellmeifter. Ein Beitrag zur Mufitgefcihte des 16. Auf. 
nad) den Quellen bearb. und mit Mufitbeilagen verjehen. Gekrönte Preisitri: 
Mit einem Facsimile le Maistres. Mainz, 1862. Schotts Söhne. VII 
119 ©. ®er. 8°. mit TO S. Mufitbeilagen. — 2. Bierftimmiges Chor: 
bug; für Kirde, Schule und Haus zu dem auf großgerzogl. Befehl 1867 r 
ſchienenen Melodienbudhe zu dem Medienburgiigen Kirhengefangbud. Str 
tin, 1869. HM. qu. Fol. — 3. Kantionale für die evangeliich-lutherik: 
Kircen des Großherzogtume Medlendurg-Schwerin. I. Teil: die Melodien zur 
Hauptgottesdienft enthaltend. Wismar, 1867. II. Teil: die Melodien für dr 
Nebengottesdienfte, Mette und Veſper. Daſ. 1875. II. Teil: mehritimzir, 
Bearbeitung der Melodien des erften Teils. Daſ. 1880. Der IV. Zeil, ie 
die mehrftimmige Bearbeitung der Melodien des zweiten Teils enthalten fl 
ift noch nicht erfhienen. — 4. Ein feſte burgf ift unfer got. Der nenne 
gefundene Autherkoder vom Jahre 1530. Cine von dem großen 8 
formator eigenhändig benugte und ihm von dem Kurfächfifcen Kapelmeie) 
Iopann Walther verehrte Handjeriftlige Sammlung geiftlicher Lieder und ? 
füge. Zum erften Dale in ihrer Hohen Bedeutung für die Geicichte da mr 
gelifhen Gemeindegefanges gewürdigt und mit mufifalifgen Beilagen fon: # 
treuen Nacbildungen der Handieriften begleitet von Otto Kade x. Eine Te 
fhrift. fiir evangelifcje Chriften und Freunde Luthers dargebracht in Jahre de 
Biederherftellung des Deutjcpen Reiches 1871. Dresden, Schrag’ice Baar 


1) Bo. die Recenfion dieſes C6.-®.8 von Karl Dreher in Karlsruhe in der Mg. mal 
Zeitung. 1870. Nr. 24. &. 189. 190, 

*) Einige Boten tompetenter Beurteifer hinfichttich der Cchtheit oder Unccitbeit des Sur 
toder vgl. lg. Cvang.tuth. Kiräengig. 1870. &. 905 fi. und S. 947; Luth. Kirdes 
Berlin, Shlawig. 1871. ©. 155; Monateh. für Mufgelf. 1873. Nr. 8. ©. 190-2 
Nach Wadernagel® Anfiht „bleibt der eigentliche Wert Diefer Ayunnofogifchen Reliquie für rt 
noch zweifelgaft." 

















8.9. T. Kahle. 6. €. 6. Kallenbach. Kamm. 703 


Anflalt. Heim Klemm. XVI und 183 ©. qu. 4°, nebſt 7 ©. Fatſimile- 
Aodeud. — 5. Ausgabe des Waltherfgen Gefangbude vom Jahr 
1524, in den Publifationen der Geſellſchaft für Mufitforigung. Berl. 1878. 
Bd. VII. — 6. Ausgewählte Tonwerke der berühmteften Meifter des 15. 
und 16. Iahrhunderts. Cine Beipielfanmlung zu dem dritten Bande der 
Muftgeihihte von A. W. Ambros, nad defien unvollendet hinterlaffenem Noten: 
material mit zahlreichen ——— herausgegeben, Veipzig, 1882. Leudart. 

I und 605 ©. gr. 8°. . Die deutfge weltliche Fiedweije in 
ihrem Verhältnis zu dem — Tonfage. Ein populärer Vortrag mit 
18 ©. Mufilbeilagen. Mainz. Scott. 1874. Fer. 8%. — 8. Einleitung 
zu der neuen Ausgabe der Fiederfammlung Johann Dits von 1544 
Bublitationen der Geſellſchaft für Muſitforſchung. Sahrg. IV. Lie. 1. ©. 
1-42. — 9. Der ältere Vokalfag und feine Bedeutung fir die Gegen 
wart. Mainz, 1861. 4°. (2 Nen. der fühdeutjcien Mufifzeitung mit 4 & 
Mufilbeilage.) 





Kahle, Karl Hermann Traugott, gab als Yehrer am Königlichen Waiſenhauſe 

und Säullehrer-Seminar, ſowie Organift an der Schloffirhe zu Königsberg heraus: 

1. Choralbud für die evangelifge Kirche in Preußen x. 

Vierftinmig ausgejegt und mit Ziwilhenfpielen verfehen. Königäberg, 1846. 4°. 

— 2. Kurzgefagte Harmonielchre für Orgelipieler, enthaltend das 

Notwendigfte aus der allgemeine Mufiflehre, die Yehre von den Urcorden, vom 

vierſtimmigen Sage, eine Anweiſung zum guten Vortrag des Chorals, zu Bor-, 

Nac« und Zwühenfpieen x. neh eier Kuryen Behreibung der Drgel. Könige 
berg, 1848. 8%. 








Kallenbach, Georg Ernſt Gottlieb, Drgamift an der Heiligengeift-Kirhe zu 
Dragdeburg, wo er 1832 ftarh. Cr war als Romponift tomifher Lieder und Ge- 
änge feiner Zeit ſehr beliebt, und ift hier zu nennen, weil er aud das nachſtehend 
verzeichnete Choralbud Herausgegeben hat, das ſchon von jeinem Vater, Chriftian 
Srnft K., geftorben 1777 als Kantor zu Potsdam, teilweiſe bearbeitet mar und drei 
sene Choralmelodien (Auferftehn, ja auferitehn,“ as c bg as es des bc; „Gott, 
ven ich al Liebe kenne,“ ac fg aa ba; „Gott iſt mein Lied,“ fgabjb 
TE bag f) von diefem enthält; es hat den Titel: 

Vierftimmiges Choralbuch mit Zwichenfpielen. Magdeburg, Creug. 2. Aufl. 

1819. 4°. 129 Choräle; die Zwifenfpiele in der 2. Aufl. Hirzer und ein- 

focher, als in der erften. Außerdem erfdienen von im: Nee Rompofition 

des Vaterunſers und der Einfegungsmworte. Ebendaſ. (Bejonderer Abdrud aus 

dem Ch. B.) 


Kamm, Reden, Scheide in der Traftur der Orgel eine 11—2" breite Leiſe 
nit eingefügten, den Zähnen eines Nammes oder diechens vergleichbaren Kimmungen, 
viſchen denen die Abſtrotten laufen. Dieſe würden nämlich, namentlich wenn fie eine 
imgere horizontale ober vertifafe Leitung Bilden, entweder durd) Schlottern und Anein- 
moerfchlagen ein unangenehmes Geräuſch, oder durch Aneinanderhängen Heulen ver- 


J 


urſachen; um dies zu verhüten, leitet man fie am geeigneter Stelle zwiſchen der 
Zähnen eines Kammes durch, der fie ftügt und in Richtung erhält, und der, wur 
die Spielart wicht durch ihn erſchwert werden Toll, immer fo weit fein muß. dei 
die Abſtralten ohne Reibung im ihm fpielen fönnen. Um das Herausgehen derltli: 
aus dem Kamme zu verhindern, wird dieſer mitteljt eines Stäbchens geſchloſſen, rt 
am beften mit Schräubchen und Ledermütterden befeftigt wird. Bei runden A 
ſtralten wendet man Leiften mit gebohrten und auf beiden Seiten geleſſelten Lüher: 
an. Ladegoſt erſebt, um die Spielart nicht zu erſchweren, die durch Hänge 
arnichen. Bol. Mafmann, Die Drgelbauten in Medienburg. I. ©. 49. Adlun, 
Mus. mech. org. I. ©. 37. II. ©. 34. 





704 Aammer. Kammerton. 








Kammer (Sekret) heißt in der Sprache der 'älteren Orgelbauer öfters d 
Kanzelle; vgl. den rt. 


Kammerton nannte man den tieferen der beiden Hauptfiimmungstöne 
älteren Zeit, dem als höherer der Chorton gegenüberftand.') Man unterigie 
einen Hohen Kammerton, der eine fleine Sekunde, und einen tiefen Kammer 
tom, der eine große Selunde unter dem Chorton ftand.?2) Im diefen letzteren ti 
deren Stimmton ftanden allgemein die Orgeln) und ebenſo gewöhnlich auch > 
Trompeten; dagegen ſtimmten die HolzBlasinftrumente meift im hohen, oft fagar ir 
tiefen Kammerton. Da es nun für die ältere Zeit felbitverftändlih war, daß de 
Drgel bei allen Kirhenmufiten mitwwieten mühe, fo madte ih die Verihiedende: 
der Stimmung zwiſchen ihr und den andern Inftrumenten fehr hinderlich, und mın 
mußte Abhilfe ſuchen. Diefe war hinſichtlich der Blechinſtrumente, die man mittt 
der Aufſabe der Stimmungshöhe der Orgel anpaffen Tonnte, leicht zu beihaffen,‘ 
nieht fo Hinfichtlic) der Holzblasinftrumente: ihretwegen mußte die Orgelſtimme trerı 
poniert werden. Dies aber frei zu thun, mar and damals ſchon nicht jedes Tr 








1) So war es im 18. Jahrh,, zu des Prätorius Zeit ſcheinen beide Venennungen iv 
entgegengefegten Sinne gebraucht worden zu fein. Bel. deffen Synt. mus. 1618. IL. ©. 14. 

9) Oft war der Unterfchied mod größer. lung, Anfeit, zur muſ. Gel. 1758. &. 
fagt von Zfiiringen: „In der Hiefigen Gegend if «8 gewöhnich denjenigen Ton zu nz 
hohen Kammnerton, weicher eine große Schunde tiefer if, als der Chorton; der tiefe Kamm 
tom iR um ein und einen halben Ton tiefer, als der Ehorton.“ Mus, mech. org. I. &. 

*) Nur ganz ausnafmsiweife Tamen aud; ſhon Orgeln im Kammerton vor: fe eine 
Breslau, namentfih die große ©t. Glifbeih-Drgel von Nigael Engler (1751), vgl. Bmeice 
Node. von Org. 1757. S. 6. 10. 1md 11; ferner die Silbermann’igen Werle in der Ski 
lirje und Frouentirche zu Dresden, von denen namentlich lebleres deswegen als Mertwirtz 
teit gaft. Bol. Spitte, Ag. deutfäe Biogr. XIII. S. 58. 54. Adlung, Mus, mech ex. 
I. S. 211. 212 u. 227. 

) „6 if belannt,“ meint Adlung, Anl. zur mufit, Gel. S. 315, „dab die Orgeln ir 
überein find, fo daß der Mufilant nebft feiner Trompete fets etfice Auffäge muß in der Fe 
ragen, wenn er in mehren Kirchen drauf ofen foll; fo and mit dem Waldhorn; aber ur 
tömmt man zuredite mit den Flöten, Yautbois, Alarinetten und dergleigen ?* 













Aammerregifter. Kammerkoppel. Aanal. Kanalventil. Kantika. 705 


ganiften Sache,) und das Ausſchreiben einer folden transponierten Stinme müßfam 
und zeitraubend.*) Daher fuchte man mehanifce Austunftsmittel in der Orgel felbft. 
oldje waren zunächſt die 





Kammerregifter,, d. h. eine den Zwecken der Kirchenmuſik entſprechende An« 
zahl von Stimmen, die in den Kammerton gefiimmt waren, während das Übrige 
Bert im Chorton fand. Dieſe Stimmen („im Pedale wenigftens der Subbaß 
and in großen Kirchen noch eine Stimme 8° oder 16° dazu; im Pofitiv das Mufit- 
gedadt; im Hauptmanual jo viel als ein obligater Baß nötig Hat“ verlangt Adlung) 
mußten entweder doppelt vorhanden fein im Kammer: und Chorton, oder aber durch 
eine befondere Vorrichtung zu beiderlei Gebraud) eingerichtet werden und dann dop- 
pelte Regifterzüge haben.) Ein zweites Ausfunftsmittel fand man in der 


Sammerfoppel, einer Vorrichtung, durch welde mittelit Berſchiebung der 
Klaviatur eine Orgel ganz oder teihweife in den Kammerton transponiert werden 
tonute. Co fonnte in der genannten Engler'ſchen Orgel zu Grüſſau durch einen 
beſondern Koppelzug die unterfte Manualklaviatur nad der Seite geſchoben werden, 
und das zu derjelben gehörige Rüdpofitiv, das der Kirhenmufit zu dienen beftimmt 
war, erflang nun um einen Ton tiefer. 


Kanal, Windkanal, Windröhre in der Orgel vgl. den Art. „Windlanal”. 
Kanalventil, vgl. im Art. „Kropfventil“ und „Windfanat”. 


Kantika, Lobgefünge, heißen im liturgiſchen Geſang einige zur Pſalmodie ge- 
Hörige Stüde aus dem Alten und Neuen Teftament, weiche neben den eigentlichen 
Bialmen frühe ſchon Eingang in die Nebengottesdienfte der Kirche fanden. Diefe 
ſtantita find: a) fieben altteſtamentliche, „de prophetis,“ nämlih: 1. Moſis 
Lobgeſang, 2 Mof. 15, „Cantemus etc.“, „Ih will dem Herrn fingen;” 2. 
Moſis Lid, 5 Moſ. 32, „Audite coeli,“ „Mertet auf, ihr Himmel;“ 3. der 
Lobgeſang der Hanna, 1 Sam. 2, „Exultavit ete.“, „Mein Herz ift fröhlich ;” 
4. der Lobgeſang Iefajü, Jeſ. 12, „Confitebor tibi etc.“, „Ich dante dir, Herr;" 
5. der Lobgefang Hiefiü, Iej. 38, „Ego dixi ete.“, „Ich ſprach: nun muß ich x.;" 
. der Lobgeſang Habafuts, Hab. 3, „Domine audivi,“ „Herr, id) habe dein 
Serücht gehört;" T. der Lobgeſang der drei Männer im Feuerofen, Dan. 3, „Be- 





1) Wie Alung, Mus. mech. org. I. S. 193, 194 merten fägt, wenn er von den Or- 
yaniften feiner Zeit fagt: „reifich folten fie es Termen; aber es Beifit aud hier: das Wort 
affet nicht jedermann.“ 

9) Bat. über folde ausgeihriebenen Transponierungen in KirKentantaten von Kuhnau 
and Bad. Spitta, Bad II. ©. 111-778. 1. ©. 342-343. Motihefon, Neueröffn. Orchestre. 
1717. ©. 267. 

3) Ober lebtert Einrichtung, wie fie Mich Engler 1132 in der Orgel der Kloſertirche zu 
Brüffau in ſinnreiter Weile angebracht Gatte, ugl. Bifher, Die Kammerbäffe der Grüffaner 
Orgel, Euterpe 1873. ©. 102—104. 

Kümmerle, Encaft. d. evang. Rirhemuft. 1. 45 





706 Aantika. 


nedieite omnia,“ „Gelobet ſeiſt du, Herr;“ b) drei nenteftamentlicht, „de 
evangelio,“ nämlig: 1. der Lobgeſang Zugariä, Lut. 1, 68—79, „Benedictus” 
„Öelobet fei der Herr;” 2. der Lobgefang Diariö, Lut. 2, 46—53, „Magnificat“ | 
„Deine Seele erhebet den Heren;" 3. der Lobgeſang Simeonis, Lut. 2, 29-3, 
„Nune dimittis,“ „Herr, nun laſſeſt du deinen Diener im Frieden fahren;“ day: 
tommen noch das Tedeum und das nad) feinem Anfang „Symbolum quieunque‘ 
genannte Athanaſiſche Glaubensbefenntnis, die beide wegen igres Bekenntniſſes zur 
Trinität ebenfalls als Lobpreifungen, oder Kantita gelten. Diefe Kamtifa werder 
mad) den Pfulmtönen gefungen, jedoch, da fie Pſalmen im höhern Chor fein folkr, 
envas höher (nad Antony ehua b ftatt a als Recitationston) intoniert, ferner feier 
fihjer, fangfamer vorgetragen als die gewöhnlichen Palmen; aud wird bei ihre 
die Intonation, die bei den Palmen nur vor dem erſten Berje gefungen wird, bi 
jedem Berfe wiederholt, und endlich werden die Töne der Mediation durch Borjälis: 
feer martiert.‘) — Die evangelifhe Kircht nahm fämtlige Kantila, die at 
teftamentfihen als Psalmi minores, die nenteftamentligen als Psalmi majore 
in ihren liturgiſchen Gefang Herüber und fegte das Tedeum, Benedietus {Did 
in der Quadrageſimalzeit ftatt des Tedeum) und Symbolum quicunque für 
Mette, das Magnificat und Nune dimittis für die Veſper feit, während dr 
andern im mehr beliebiger Weife auf die Wochentage verteilt wurden.?)  Gejungs 
wurden die Kamita don Anfang an teils lateiniſch, „der Schüler wegen,” teils deut 
„um der Gemeinde willen,” oder „an den Feittagen lateiniſch, an den Sonntars 
wechſelnd, deutſch und Iateinifh,” und „wo Orgeln waren, follte die Orgel dp 
gefpielt werden.” Aber ſchon Luther (Deutſche Mefie, 1526) Hatte geftattet, di 
am Stelle derfelben „ein deutſch Lied“ vom „ganzen Haufen” (d. h. von Chor u: 
Gemeinde) gefungen werde, und fpäter wurden fie immer mehr durch „andere deut‘ 
Pfolmen, die niht gar gewöhnlich find“ (d. h. Kirchenlieder jeftlichen Charakt 
verdrängt; wo fie ſich länger, namentlich in den Veſpern der Feſtiage erhielten, — 
wurden fie von der zweiten Hälfte des 17. Iahrjunderts an gewöhnlich „Figuraliz 
mufigiert,“ und diefem Brauche verdanft die evangeliſche Kirche eines der herrlidie 
Werke ihres Mufitfhages: das große Magnifieat von Seb. Bad. Wie unzäl 
mal aud das Tedeum fomponiert und als Lobgeſang der Lobgeſänge gebraudt in 
— mißbraucht wurde, it befannt.?) Die Liturgiter der Gegenwart möchten us 




















3) Bol. Wollereheim, Anl. zum Greg. Gefang. 1858. Kienle, Choralſchute 1884. S 

2) &o feßt 3. 8. die Shleswig-HoM. 8-D. 1542 auf Sonntag Benedicite omnis, — 
Montag Confitebor tibi, Dienstag Ego dixi, Mittvoh Exultavit, Donnerstag Canteze. 
Greitag Domine audivi, Samstag Andite coeli, während die Haller XD. 1641 fingen ik 
Montag und Dienstog Symbolum quicunque, jeden Tag die Hälfte, Mittwoh Teder 
Donnerstag Benedietus Zacharige, freitag Ergalt uns Herr, bei deinem Wort, Samt: 
Benedictus. 

3) Ein umnſangreiches Bergeihnis von Kompofitionen des Tedenm und Magnificat «= 
Schauer, Geld. der Bi6L-ficht. Die: und Tontunft. 1850. S. 40-85. 





Kantor, Kantorat. 707 


die faſt ganz aus dem tirchlichen Gebrauch verſchwundenen Kantika als einen „Herr 
hen Scag der Piturgie” unfrer Ktirche zurüdgegeben fehen; doch meint Schoeber: 
lein (Schat I. ©. 629): „übrigens iſt es nicht notwendig, fih auf fie zu 
ihrönfen; die Kirche tann dafür, mamentlid) an den Feſttagen, aud) andere Feft— 
gefänge des Chores und der Gemeinde eintreten Lnffen. „Und bei tägligen Andachten 
werden Dantgebete und entfpredende Gemeindelieder, im Hinblid auf den ſhon 
frühzeitigen Gebrauch derſelben ſiatt der Kamtifa in umfeer Kirche, hier an ihrer 
Stelle fein.“ 





Kantor, Kantorat. Unter den niederen Kirchenämtern, die ſich ſchon aus 
den erften Zeiten der chriſtlichen Kirche herſchreiben, findet fih neben dem Ante der 
Pförtner, Exorciſten und Vorleſer bereits auch das der Cänger (cantores), die 
nach den Beftinmmungen der apoſtoliſchen Kouftitutionen von einer befondern Tribüne 
aus die Pfolmengefünge anzuftimmen hatten.‘) Dieje Borfünger bildete man durd 
geregelten Unterrigt und Übung im Gefang in den Singſchulen (Rantoraten), wie 
eine ſolche fon im Anfang des 4. Jahrhunderts vom Bapft Cylvefter (314-325) 
zu Rom errichtet worden war.?) Der Vorfteher derfelben hieß Primicerius oder 
Prior scholae cantorum, der zweite Borgefegte Secundieerius. Cine andere 
Singſchule gründete 350 der Papft Hilarius, wie dies in der Biographie der älteren 
Papfie von Anastasius Bibliothecarius, bezeugt ift, der zugleich Hinzuftigt, daß 
diefe Schulen Knaben, namentlich Waifentnaben, in frühen Alter aufnahmen und 
daher aud) Waifenhäufer — Orphanotrophia — genannt wurden.?) Aud Gregor 
d. Gr. fuhte jeinen neu eingerichteten Kirchengeſang durch Singſchulen zu verbreiten; 
«8 entjtanden zu feiner Zeit die beiden berühmten Schulen zu Meg!) und St. 
Galen,) und namentlih aus der letzteren gingen in der Folge Männer wie die 
beiden Notger, Tutilo, Etlehard, Hermannus Gontractus u. a. hervor. Zu großem 
Rufe gelangten ferner die Sängerſchulen zu Reichenan und zu Fulda, die Bonifacns 
um 74O ſuftete, ſowie die fpäteren zu Eichſtadt, Würzburg u. a. ©. In Frant- 











) „Non opportere praeter canonicos cantores, qui suggestum ascendunt et ex 
membrana legunt, aliquos alios canere in ecelesia.“ Conc, Laodic. Can. XV. 

3) Bgt. den Bericht des Onopfrius bei Gerbert, Script. ecel. I. ©. 35 und Bortel, Geld. 
der Muf. IL. ©. 142 |. 

=) val. Anast, Biblioth. in vita Sergüi IL. Pontif. „Schola cantorum, qui pridem 
orphanotrophium vocabatur.“ 

+) „Die Cantus Mettensis galten als Die beflen umd das deutſche Wort „Dettengefang“ 
umd „Dette“ beweiſt wie weit der Ginfluß der Shule von Mel reihte.“ Bol. Ambros, Geh: 
der Muf. I. &. 98, der dabei noch die Worte des Mönde von St. Gallen, De eccl. cura 
Car. M. 10 u. 11 anführt. 

) Bon der Säule in St. Gallen rühmt Ettehard, De easib. St. Galli IV. mit freu- 
digem Stofz, da ihr Ruf „von Meer zu Derr“ reihe, fie hat in P. Anfelm Schubiger, Die 
Sängerfäule St. Gallens vom 6.—12. Jabrh, 1852, einen trefilicen Geihidtsicreiber ge 
Funden. 


45° 


708 Kantor, Kantorat. 


reich werden Singſchulen genannt, in welchen im 14. Jahrhundert namentlich; ki 
neue Gefangsweife de Discantus (Dichant) geübt wurde. Co gründete Papit Ur 
Ban V. 1362 zu Toulouſe eine folhe Schule (Mattrise) mit einem Singmeifter 
(Mattre) und fieben Knaben, die beim Hochamt den Geſang ausführen follten, un 
felbft der berühmte Kanzler der Univerfität zu Paris, Johann Gerfon, hielt es mist 
unter feiner Würde, bei der Nötre-Dame-Stirde dafelbft eine Singſchule zu errichten 
und eine Schulordnung fuͤr diefelbe zu fhreiben.!) — Die Reformation änderte am dicier 
Einrichtung wenig; aus den Mofter- und Domſchulen ging dieſelbe an die Stadt 
ſchulen (Gymnaſien) über, und wenn aud der alte Chordienft aufhörte, weil der 
Gemeindegefang an feine Stelle trat, fo Hatte dafür der Sängerchor in der ewın 
geliſchen Kirche die kunſtmähigen Stüde der Liturgie auszuführen, den Gemeindeg, 
zu unterftüen amd durch Umgänge die neuen evangelifcjen Gefänge in die Gemeinde 
hinauszutragen, — Das erſte Kantorat der Reformationgzeit, von welchem wir fühere 
Kunde Haben, war die „Kantorei* am Hofe des Nurfürften Friedrichs des Weile 
zu Torgau, und der Kantor derjelben, der „Urfantor” der evangelifchen Kirche, ds 
Hann Walter (vgl. den Art.). Diefe „churfürſtliche Cantorei zu Torgau war ein br 
rühmtes Inftitut, welhes namentlich für die proteſtantiſchen Mufter Deutſchlande 
maßgebend war umd dies in der Folgezeit mod mehr wurde, da dur fie zumädt: 
die Einrichtungen praftifch erprobt wurden, welde der Reformator und feine Freunde 
beim neuen Gottesdienft in mufitalifcer Beziehung anordueten.“?) In allen Stüdter 
folgte die Einrichtung jolher Kantorate, die gewöhnlid mit einer höheren Schul, 
einem Gynmaſium verbunden wurden, um die Schüler im Geſange befonders für 
den firhlien Chordienft zu üben. Der Kantor war zugleich Lehrer des Gymse 
ſiums und Hatte in feinen ſpeciell muſilaliſchen Dienfte deu Präfelten als Gehülfer 
zur Seite. Seine Befoldung beftand meift in Accidenzien von Trauungen, Taufer. 
Vegräbmifien u. ſ. w. Erſt in neuerer Zeit Haben ſich diefe Verhältniſſe geändert 
der Kantor ift zum Geſanglehrer geworden und es ift nur nod eine Heinere Anzot! 









») Im diefer Schulordnung fagt er unter anderen: „die Singtnaben ſollen den Sinn ie 
Engel Gaben, weil fie in der Kathedrale den Dienſt der Engel üben,“ und beftimmt, der & 
fangunterricht ſoll in diefer Schule die Haupiſache fein, doch nicht fo, daß darüber der Untr 
vißt in Grammatit und Logik vernajläffigt werde; der Tert der liturgiſchen Gefänge fell a 
Knaben in ihrer Mutterſprache (Franzöſiſch) erflärt werden, weil man „Worte, deren &aı 
man nicht verfteht, nicht feelenvolf vortragen könne,“ umd felbft in Bezug auf die Koft ir 
Knaben gab Gerſon Befimmungen: fie ſollen morgens nicht zu viel effen und nibertza udt «dr 
vermeiden, wodurch ihre Stimme leiden Lönnte. Vgl. Gerſon Opp. IV. ©. 720, bei Dr. 3 
Bapı. Schwab, Johannes Gerfon. S. 89. Der framöfiige Ausdrud „Mattrise* (Kantere 
begeidinet nad} Bedierelfe, Diction. „Emploi de maftre de chapelle dans une cathı 
foroßt, als „Maison oü les enfants de choeur regoivent leur &lucation musical: 
Bgl. Monateh. für Muſikgeſch. IX. 1877, 5. 145. 

3) Bor. Furſtenou, Johann Walther, eine biograpf. Stige. Allg. Muſit. Zig. 1863. € 
245 f., forvie weiteres über dieſe „Rantorei” bei Dr. O. Zaubert: Die Pflege der Muft a 
Torgau. 1868. 49. 











Ranzellen. A. Karow. 709 


von Städten, in denen das Rantorat in feiner alten Einrichtung noch fortbefteht. — 
Außer der ſchon genannten „Kamtorei“ zu Torgan find noch verſchiedene andre Kan- 
torate in der Geſhichte der vangelifcen Kirchenmuſit von Bedeutung gewvorden ; wir 
nennen nur noch das Kantorat am Dom zu Magdeburg, als ebenfalls zu den erften 
der Neformationgzeit zühlend, — am Johanneum zu Hamburg, — an der Thomas: 
ſchule zu Seippig,') — am grauen Kloſter zu Berlin, — an der Cäulpforte u. 0. 
— Sie Haben Männer zu Rantoren gehabt, deren Choräle und andre Kirchenmufite 
werte ihres Namens Gedächtnis bewahren werden, folange es eine evangelifche 
Kirche giebt, — Männer wie Selle, Telemann und Phil. E. Bad in Hamburg, 
Dartin Agricola und Gallus Drefler in Magdeburg, Bodenidag in Porta („Flo- 
rilegium portense“), Scadäus in Torgau („Promptuarium mus.“), Grüger 
und Ebeling in Berlin, Georg Rhaw, Seth Calvifius, Schein, Rofenmüller, Kuh- 
non und Schicht in Leipzig, und den größten unter allen, den einfasen Thomas: 
fantor — Dohann Sehaftian Bad. 


Kanzellen (Kammern), Kanzellenſchiede (wände), Kanzeltenfpunde, 
blinde Kanzellen in der Orgel, dgl. den Art. „Windlade”, aud die Art. „Fun 
damentalbrett”, „Ben 


Karow, Karl, Mufildiretor und Oberlehrer am Waifenhaufe und Schullehrer- 
jeminar zu Bunzlau, war am 15. November 1790 als der Sohn eines Kaufe 
mann zu Stettin geboren, und empfing feine Schulbildung meift durd Privat: 
unterricht. Als der Aufruf des Königs von Preußen im Jahr 1813 erfcoll, hatte 
ex ſich bereits dem Kaufmanneftande gewidmet und eilte nun mit der Jugend des 
Baterlandes zu den Waffen. Er wurde Oberjäger im Colberg'ſchen Infanterie 
regiment und madjte als folder den Feldzug mit, Bis er am 13. Jannar 1814 
beim Sturm auf Antwerpen verwundet wurde und mit dem eifernen Kreuze geſchmückt 
ans dem Heer ausfceiden mußte. Er wandte fih nad Berlin und ſuchte fih hier 
micht nur in verſchiedenen Zweigen des Wiſſens weiter auszubilden, fondern begann 
auch unter Zelters Leitung mufifafifhe Studien. Hierauf war er ein Jahr fang 
an der Plamann'ſchen Schulanftalt als Lehrer thätig und am 9. April 1818 trat 
er als Lehrer in die Anftalten zu Bunzlau ein, an denen er dann faft ein Menfhen- 
after lang im Segen wirkte. Eine große Anzahl ſchleſiſcher Kantoren und Orga 
niften verdanfte ihm die Grundlagen ihrer muſikaliſchen Bildung. „Tühtig in feinem 
Wiſſen, biederen Charakters, eifrig in feinem Beruf, treu im Dienfte ſeines him: 
tifchen und feines irdiſchen Königs, anſpruchslos und demütig, — fo war er und fo 








") Über das Kantorat am der Thomasſchule vgl. Stallbaum, Programm der Thomas» 
ſchule. Leipz. 1843. Über das Kanterat an St. Michaelis zu Lüneburg, mit befonderent Bezug 
auf Bad, vgl. Junghans, Joh. Seh. Bad als Schüler der Partitularigule St, Michaelis zu 
güneburg. 1870, 40.; endlich eine Abhandlung über das Kantorat im allgemeinen von Dr. 
Bolger, Programm des Johanneums zu Lüneburg. 1855. 4%. Euterpe 1866. ©. 25. 26. 


10 Kaſtenbalg. 


Hat er ſich die Auerlennung feiner Vorgeſehten, die Liebe feiner Mitarbeiter, de 
Verehrung feiner Zöglinge und die ungeteilte Wertiägung aller, die ihn Tannten, 
envorben.” An 22. November 1850 war er zum Füniglicen Mufikdireltor ernanzt 
und amt 15. September 1858 mit dem roten Adlerorden ausgezeihnet worden; am 
20. Dezember 1863 ſtarb er in einem Alter von 73 Jahren zu Bunzlau. — Bm 
8.3 Werten find hier aufzuführen : 
1. 172 Vorſpiele über 94 Choralmelodien , ſowohl zum Gebraud bin 
Gottesdienft, wie and als Schule zur Bervollfommmnung im Orgelfpiel, größten 
teils aus den Werten verſchiedener Komponiften. Op. 2. Bunzlau, 1830. 4 
pun. — 2, Der 21. Palm für Moor. Op. 4. Dal. — 3. 26 Chom 
aus allen Tonarten für 4 Mftn. Berl. 1826. Trautwein. — 4. 460 CThom 
melodien, Vierftimmig für die Orgel und für den Gebraud beim Gottesdiert. 
Dorpat, 1849. Gläfer. 2. Aufl. Dorpat, Karow. Daraus bringen Iatob u. 
Richter, CB. 1. Nr. 262. 350. 357 und II. Nr. 666. 1182 u. 1212| 
folgende fedhs Choralmelodien: „Mein Salomo, dein freundliches Regie 
ren" (vgl. den Art.). „Herr und Hit’fter deiner Kreuggemeine” (460 
Ch. Mel. 1848. Nr. 182), C-dur chegadgferdce. Jeſu, I 
hovah, ih fuh und —“ (dj. Mr. 227), C-molleesgegede!i 
es”d ce. „Erwed, o Herr, mein Herz und zeud es hinmelan,“ (ei 
r. 121), F-duraacfgafbedde. „Berjühnter Bater, dır 
Be bift —“ (daf. Nr. 408), C-dur cechgafisg. “Wie wird mi 
fein, wenn id did, Jefu, ſehe“ (daſ. Ar. 441), B-dur deabar 
es dc b.a, ohne jedoch dabei anzugeben, ob fie von Karow fomponiert fin 


5. 2 Motetten für gem. Chor (in Tempelllänge“. Heft IV. Erfurt, Körner 
— 6. 165 Borfpiele zu den gebri rien Chorälen, 3, 4 und mehrftimmic 
für die Orgel, Potsdam, Riegel. — 7. Litwgiihe Chöre auf die — 
des hriſitichen Kirchenahres webſt einer — auf alle Sonntage für &. A 
T. u. 2. Eendaf. — 8. Palm „Wie fieblid) ift der Boten Schritt” ur 
zwei Motetten für gem. Chor. Potsdam, Stein. — 9. 108 Choralmelodir: 
bejonders zum Gebrand in Säulen. Lörenberg, Kühler. 8°. (19. Aufl.) — 
10. Polniſhes Choralbud. Entyaltend fümtliche Melodien zu den viedern de 
evongelifc-pofnichen Gefangbudhs, gelammelt und Herausgegeben von C. & 
Iut, Horn, vierftimmig für die Orgel benrbeitet von X. Karom. Erfurt, 18a 
Körner. 


Kaftenbalg — in fpäterer Form auch Cylinderbalg, Piſton-, Stempei 
und Stöpfelbalg, doppeltwirfende Luftpumpe —, ein neuerer Orgelbles 
balg, defjen Erfindung allgemein der Orgelbaufiena Marcufien & Sohn # 
Apenrade in Schleswig zugeſchrieben wird, welche denfelben 1819 in der Orgel d 
Rice zu Sieeky am der Schlei zuerft amvandte.') Nach jeiner älteren Form I 

























*) Diele erſen Maflenkätge id Heute noch im Gebraud. Antice Gchläseinricteng 
waren jedoch ſchon früher in Eiſenſchmelzwerken befannt und gebraudt, vgl. Frech, Win 
&. ®. 1828. Ginf. S. VI und Runge, Die Orgel und ihr Bau. 1875. S. 19, fo dah = 
genannten Firma vieeiht nur deren modifizierte Anmendung in der Orgel zufommt. 


Kaftenbalg. au 


ftcht der Kaftenbalg aus zwei vieredigen, an den Kanten abgerundeten Kaſten von 
hartem Tannen oder Kiefernholz, von denen der äufere c. 44!‘ Höhe und 3, 
Seitenbreite Hat, in angemeffener Höhe über dem Fußboden auf einem Lager feft- 
fieht, und im feinem Boden die Saug: oder Shöpfventile, an einer Seite unten 
aber die Kropfventile und den Kropf hat. Der innere Kaſten, von gleicher Form, 
it um fo viel Heiner, daß er fih im äußeren wie ein Stempel luftdicht foweit auf- 
und niederbewwegen lann, als dies die Kropfventile geftatten. Im Hohlraum dieſes 
inneren Kaſtens finden die Balggewichte ihren Play und im Mittelpunft deselben 
it eine Hafte von entſprechender Stärke angebraht, an der die Tretvorrichtung ber 
jeſtigt wird. Diefe befteht in einem Seil (Gurt, Riemen), das über zwei Rollen 
(eine fenfreht Über dem Kaſten, die andere ebenfo über der Tretrahme) geleitet 
ift und an feinem im Bereich des Kallanten befindlichen Ende einen Balgſchuh oder 
Vügel trägt, der in den Nuten einer Tretrahme läuft. Um den Gang des innern 
Koftens möglichft luftdicht zu machen, wird derſelbe an feinen untern Seitenrändern 
wit weichem, ſämiſchgarem Leder gefüttert, und um die Abnutzung durd die Nei- 
hung der Kaſten zu verringern, werden die Reibflächen beider mit Eichenholz four- 
niert und außerdem mit DBleierz geglättet.) Daß Kaſtenbälge, wenn fie wirklich 
und dauernd luftdicht jein follen, aus beften Material und aufs forgfältigite ge- 
nbeitet jein müffen, ift einleuchtend; dann aber gewähren fie aud bedeutende Vor- 
teile. Sie faſſen eine bedeutende Maſſe Luft (doppelt fo viel als ein Keilbalg von 
gleicher Grundfläche) und geben den Wind ohme medanifhe Vorrichtung in durch- 
ws gleihmäßiger Dietigfeit ab; dabei erfordern fie weniger Raum als Span- 
dälge und find bei der Einfachheit ihrer Einrichtung aud weniger oft reparationd- 
iedürftig. Dagegen machen fie bei undorfidtigem Treten mehr Geräuſch als die 
Spanbälge, verwerfen fih in feuchten Räumen leicht, und büßen überhaupt mit 
ver Zeit die Luftdichtigteit immer mehr ein. Daher find denn aud die Meinun- 
yem darüber, ob Saften: oder Spanbälge vorteilhafter jeien, geteilt, und wäh— 
nd Kaftenbälge in Suddeutſchland und der Schweiz mit Vorliebe gebaut werden, 
ben fie im Norddeutſchland bis jegt weniger Eingang gefunden. — Die fort- 
Greitende Orgelbaukunſt ift aber bei den Kaftenbalg in feiner äfteren Form nicht 
eben geblieben, jondern Hat auf der Grundlage derſelben mehrere neue Formen 
ausgebildet: der äußere vieredige Kaſten wurde beim Gylinderbalg durch 
iuen Gylinder erfept, deſſen Zinfwantel das Undichtwerden durch Sthwinden oder 
fingen der Fugen ausjgliegt, und an die Stelle des innen Kaftens ift beim 
Stempel oder Piftonbalg ein bloßer Spund oder Stempel getreten, der aus 
cehrerin Hofzdiden verleimt und mit finifigerem Leder beledert wird. Bei beiden 





lm den Kaftenbolg abfofut luſtdicht au maden, fhlägt A. Vogel in der Reitihrift 
Zentunft“ So. III. Nr. 11 (vgl. auch Nr. 18)) vor, den äußeren Kaften doppeiwandig zu 
Anden und den Zrwifdienrem pwilcien beiden Wänden, in dem der innere Kaften Tanfen foll, 
it Sfgcerin zu füllen 





12 6. Sr. Kauffmann. 


Formen (Kaften und Cylinder) fam man endlich noch darauf, den Stempel dappe: 
mit Hub und Drud wirlen zu laſſen und erhielt fo die doppeltwirkende Luft: 
pumpe, als Schöpfbalg für große Werke.) 


Kauffmann, Georg Friedrich, ein tüchtiger äfterer Organiit und Kirden 
tomponift, war am 14. Februar 1679 zu Oflermondra in Thitringen gehn. 
Seine mufitolifhe Bildung erlangte er als Schüler Joh. Heim. Buttſiedt's zu & 
furt und war dadurd mittelbar einer der vielen Schüler Pachelbels. Später ie 
er jedo feine Studien bei dem Hoforganiften Alberti (vgl. den Art.) in Me 
burg, einem Ablömmling der nordiſchen Organiftenfgule, fort. Als dieſer 168 
infolge eines Schlaganfalles unfähig wurde, fein Amt weiter zu verfehen, murde a 
fein Stellvertreter, und nad) dem am 4. Juni 1710 erfolgten Ableben Albertis fir 
Nachfolger als Hof: und Domorganift und Direftor der Kirhenmufil. 1723 wır 
er einer der Vewerber um die Stelle des Thomasfantors zu Leipzig;?) doch trat a 
vor dem Knpeflmeifter Graupner in Darmftadt freiwillig zurid und blieb in fein 
Ämtern zu Merfeburg, wo er dann im März 1735 an der Schwindſucht ftarb. — 
Verſchiedene feiner Kirchenſtücke waren nad; Gerbers Zeugnis ihrer Zeit belarnt 
wurden aber nicht gedrudt. Nur ein Drgelbud für die firdlide Praris des Cr 
ganiften erſchien von ihm. Die in demfelben enthaltenen Cäge zeigen des Arm 
ponijten Gewandtheit im Gebrauch der Kunſtmittel, oft eigentümlihe Anwendung da 
verſchiedenen Drgelftimmen, zugleich Mannigfaltigteit und Ausdrud in den zu Gran 
gelegten Motiven, alles Eigenſchaften, welche diefe Arbeiten vorteilhaft aus der areje 
Menge von Orgelfompofitionen Herausheben, die uns aus dem 18. Jahrhunden 
hinterblieben find. Das Wert, deſſen Fortegung der Tod des Verſaſſers hinder 
aſchien unter dem Titel: 

Harmonifge Setlenluſt mufitalifger Gönner und Freunde, das ift: fur.) 
jedoch nach befonderem Genie und guter Grace elaborierte Praeludia von 

3 und 4 Stimmen über die befannteiten Chorallieder :c. Leipzig, 1733 11 | 

in Heften. 75 Ghoräfe mit bezifferten Bäfen und Bor: und Zwifhenfpieler' 

— Dasfelbe ift befonders „denen Herren Organiften in Städten und Dir 


2) Kunke, a. a. D. ©. 117 disponiert für eine Orgel von 23 Stn. 3 Eylinderbälge sr 
2,75 m Durdimeffer (?) und ı m Steigung; Ladegaft hat in der Domorgel zu Schwerin n- 
84 HM. Stn. 4 doppeltwirfende Luftpumpen als Schöpfbälge, jede 22% im Quadrat umd 3; 
ho, die zuſammen c, 32—36 Kubiffuß Luft in der Sekunde liefern; vgl. Maßmann, Cry 
bauten I. S. 42. Walder hat im der Orgel der Domlirhe zu Riga mit 124 M. Sim 
große Schöpfer, die wenn nötig 133000 Eiter Luft von 95 mm Wafferbrud in der Micer 
den Refervoiren zuführen tnmen. Die höchſe Ausbildung des Koftenbalgs vgl man in “| 
Abbildung einer Orgeluftpumpe bei Hopkins and Rimbault, The Organ. il. S. sr 

?) Telemann, Graupner, Schett und Bach, Faſch, Rolle waren die andern, vgl. 
Bach II. S. 3—5. 

) So nad Beder, Die Choralfammlungen. 1845. S. 113; nad) Gerber, Neues Per. I | 
©. 22, enthält das Bud 81 Choräle (oder wenigſtens fo viele einzelne Säge). 


























Kanfmann. A. Kayfer. 3. Chr. Kayſer. Regellade. 713 


fern zum allgemeinen Gebrauch beym öffentlichen. Gottesdienft entivorfen“ und 

entGält im Choral „zwilhen jedem Gommate eine hurge Pafiage“ d. h. ein 

Zrifcpenfpiel.') 

Kaufmann, . . ., Organift an der Parocioltirche zu Berlin, war am 3. In: 
mar 1766 geboren umd madte feine mufifalifhen Studien unter Faſch's Leitung, 
18 deifen „befter" Schüler er galt, Am 13. September 1808 farb er zu Berlin 
und Hinterlich Handfcheiftlih verihiedene gute Orgeltompofitionen (Darunter ein 
hmadvolles Konzert mit Orchefterbegleitung), ſowie den Ruf eines gründlichen To. 
ztifers, eigentümfidien Komponiften, fertigen Spielers auf der Orgel, dem Klavier 
ind der Violine, und eines beſcheidenen, fehr geachteten Künftlers. 





Hayfer, Andreas, ein Orgelbauer des vorigen Jahrhunderte, der aus Gilber- 
nanns Schule Gervorgegangen war. Um 1700 zu Ohorn in der Oberlaufig ge: 
oren, erlernte er feine Kumft bei dem Orgelbauer Uliſch in Rußland und arbeitete 
vachmals zwölf Jahre bei Silbermann in Freyberg, drei Jahre bei Damitins in 
Zittau, meunzehn Jahre bei Iohann Chriftoph Gräbner in Dresden und ſechs Jahre 
ii Schöne in Freyberg. Erſt in höherem Alter ſcheint er um 1767 nod eine 
igene Werkftätte zu Pulsnig eingerichtet zu haben, und hier arbeitete er noch als 
Hreis von etlichen und fiebzig Johren mit anerfannter Tüdtigteit. Cin Verwandter 
nd Schüler von ihm war: 


Kayyfer, Iohann Chriſtian, geboren 1750 zu Dforn bei Pulsnig. Cr lernte 
nfangs bei Pfizner daſelbſt, dann bildete er ſich im der Werfftätte feines Vetters 
veiter aus und arbeitete bei Maurer in Leipzig, bis er 1776 nach Dresden lam, 
o er fih namentlih durh das Studium der Werke Silbermanns zu einem der 
eachtetſten Meifter feiner Kunft emporfctwang. Gerber, Neues Lex. III. ©. 24. 
5 fühet, al von ihm bis 1812 gebaut, 15 Werke auf, worunter die größeren find: 

Die Orgel der Annaliche zu Dresden, 24 H. Stn. 2 Dan. Ped.; die 

Orgel der Kirche zu Lohmen bei Pirna, 18 fl. ©t.; die Orgel der Kirche zu 

Slbernhau, 20 MH. Stn.; die Orgel der Kine zu Hödendorf, 20 Hi. Stn. -— 

Außerdem veparierte er die großen Silbermann'ſchen Werte der Frauen-, So- 

phien-, Neuftädters und Sreuzfiche zu Dresden, 





Kegellade, eine neuere Windfade der Orgel, die um die Mitte des vorigen 
ahrhunderts wahricheinlich von dem Orgelbauer Hausdörfer (vgl. den Art.) in 
übingen erfunden wurde, aber erſt in unfrer Zeit ihre volle Ausbildung durd €. 
e. Balder (vgl. den Art.) in Ludwigsburg erhielt und bis jet auch Hauptjählich 
ort filddentfcen Orgelbauern angewandt wird. Bei der älteren Schleiflade wird 

+) Im der Weiſe jener Zeit; nach unfern jegigen Begriffen „mie nad der Elle gemeſſen.“ 
31. Erf, Choralb. 1863. Bor. S. IV. — Einige Orgelftüde 8.8 find nengedrudt bei Kür- 
r, Orgelvirtuos. Nr. 27 und 258, fowie in „Sammlung von Bräfudien, Fugen, ausgeführten 
jorälen von berühmten Meiftern.“ Leipz. Breitl. & 9. 4%. Heit 1. 


714 Kegellade. 


die Verdunnung der Luft im jeder einzelnen Kanzelle um fo größer, je mehr % 

gifter gezogen werden, und cs fünnen daher, namentlich beim Spiel mit velm 
Berk, eine oder mehrere Pfeifen den andern auf derjelben Kanzelle ftehenden „de | 
Wind rauben“. Diefer Übelftand, der den älteren Orgeldauern um fo fühlbıre 
werden niußte, je mehr fie bei der Einrichtung ihrer Gebläfe und Winbführunge 
den Wind zu fparen gegwungen waren, führte frühe ſchon auf Verſuche, eine Late: 
Tonftruttion zu finden, die es ermöglichte, jeder Pfeife den Wind einzeln rn 
für ſich zuzufügren. Den früheften noch befannten Verſuch in diefer Nihten: 
machte der berügmte Erbauer der Görliger Petri- und Pauli-Orgel, Cajparini ini 
den Art.), indem er eine eutſprechende Veränderung mit der Schleiflade vornahn 
Um 1750 ſodann erfand Hausdörfer feine neue Windlade, in welder der Bin 
jeder einzelnen Pfeife direkt aus dem Windfaften des betreffenden Regiſters miteti 
einer durch die Wandungen desjelben gebohrten Windröhre, oder Kondutte eirzu 
zugeführt wurde. Die Mündungen der Kondutten im Boden der Windfaftens deir 
ex jedoch nod nit mit fegelförmigen, fondern mit den von der Schleiflade her k 
tannten Bentilen, fo daß alfo diefer Lade der Name Kegelade eigentlich noh zit 
zufommt. Sie fand in diefer älteren Geſtalt bereits einige Verbreitung, namentis 
als Pedallade, weil bei den großen Pfeifen der Bapftimmen die Mängel der Sci 
{ade fih am fühlbarften madjten. Der Orgelbauer Stein (vgl. den Art. n 
Augsburg verwendete fie, nahdem er fie „noch da und dort verheffert und für da 
allgemeinen Gebrauch; zubereitet hatte,“ als Baßlade in der 1755—1757 erbaut 
Drgel der dortigen Borfußertirche; ferner wurde 1780 zu Großwardein in Une 
eine Orgel gebaut, die im Pedal eine Kegellade (2) Hat, deren Kegel (2) dunh rin 
Tantige Hofgftedher gehoben werden, die, damit fie Richtung behalten, in einer c# 
geſtocheuen Leiſte gehen,” und eine weitere Spur deutet darauf hin, daß aug ir 
Drgelbauer Krämer (vgl. den et.), der im legten Viertel des vorigen Iahehuntes) 
zu Bamberg baute, dieſe Windlade amvandte.?) Haußdörfer hatte im 3. 1754. 
der Stadttirche zu Eplingen als fein „leptes Wert“?) eine Drgel aufgeftellt, die dl 
Windlade als Baßlade Hatte, und hier hat fie wahrſcheinlich der treffliche © 
bauer Eberh. Friede. Walder (vgl. den Art.) fennen gelernt. Er nahm die S 








9 Bal. darüber Heinrich, Orgeldau-Revifor. 1877. S. 7. Der Neffe Caſparinis. 
fih Cafpari nannte, baute mit diefer Windiade eine Orgel in die Kirche zu Halbau 1705, = 
eine folje in die Scloßfiräe zu Sorau 1715, die beide noch brauchbar find.” 

®) Die Nadwveifungen, weiche darauf führen, daß dieſe Lade Hauebörfer, „ehemaligen C+ 
mager zu Tübingen, zum Urheber Gat* — wie die Aademifce Kunftztg. Augsb. 1770. Se 
fagt, vol. man im Art. „Hausbörfer”. | 

3) Diefe Angabe madit Fred, Orgelfpielbud) 1851, Einleit. S. 2; doch ſceint fie ums 
zu fein und Hausdörfer nod) viel fpäter gebaut zu Haben: denn in dem wiirtt. Dorfe 
gen (D.’A. Herrenberg) land eine Orgel von ihm, auf der Die Zahresyafl „177 .” (die fee 3*| 
war nicht mehr vorhanden) zu leſen war, andere Hausdörfer/ige Orgeln find in Würtreis | 
noth jet im Gebrandj: fo 3. ®. in den Gtadtlirhen zu Blaubeuren, Münfingen u. a & ° 





Regellade. 715 


verfelben auf, bildete fie zur eigentlichen Kegellade aus und baute 1842 fein erſtes 
Bert mit derfelben im der Kirche zu Segel bei Reval in Eſthland; feither hat die 
Firma Balder & Cie. diefes Windladenfuftem, das fie ftets vervollfommmete und 
est „Walderiche Kegelladen ohne Federdrud” nennt, ausſchließlich bei allen ihren 
Werlen verwendet.!) Diefe Windlade, wie fie jegt von genannter Firma gebaut 
vird, erhält ihrer Länge nad) (aljo der Breite der Orgel nach, nicht der Tiefe, wie 
hie Kamzellen der Schleiflade (aufen) fo viele Abteilungen, als Regiſter auf ihr Play 
inden jollen. Diefe Abteilungen bilden Windfanäle, weiche, da jeder derſelben den 
Bindvorrat eines Megifters enthält, Negifterfanäfe heißen und den Kanzellen der 
Zhleiflade vergleichbar find. Jeder derfelben trägt auf jeiner oberen Seite, feinem 
derfel, den aufgeſchraubten Pfeifenftod desjenigen Megifters, das aus ihm feinen 
Bind erhalten foll. Im Boden jedes Kanals aber befinden ſich fo viele Bohrlöcher, 
18 die Klaviatur Taften, oder das betreffende Regifter Pfeifen hat; jedes diefer 
zohrlscher hat die Form eines auf der kleineren Grundfläche ftehenden hohlen Kegel: 
umpfeg, und einen mittelft Brenneifen gebrochenen Rand, und in dasjelbe mündet 
nten von der hintern Seite her eine durd) den Boden, die Seitenwand und den 
dedel des Windlanals gebohrte Röhre, welche Komdufte genannt wird, je in ein 
Heifenlod), einen Keffel des Peifenftods mündet und fo den Weg bildet, auf welchem 
ec Wind aus dem Regifterfanal jeder einzelnen Pfeife zuftrömt. Die Mündung jeder 
omdufte im Boden des Regifterlanats wird durch ein in diefelbe eingelaffenes Ventil 
erſchloſſen, das, der Form derfelben entſprechend, ein umgelehrter Kegel ift, daher 
egelventil, Kegel heißt und das der Windlade den Namen Kegellade gegeben Hat. 
Hefes Kegelventil aus Metall, beledert und mittelft einer Feifte zwiſchen zwei Leit- 
iften gehend, verfhlicht die Konduttenmindung vermöge feiner eigenen Schwere for 
ohl, als vermöge des Drudes, den die im Windfanal befindliche Luft auf feine 
ven liegende Grundfläche ausübt, vollfommen luftdicht, und dies auch dann, wenn 
wa durch Temperatureinflüſſe die Mündung ſich erweitern oder verengern ſollte. 
m dem Bind das Cinftrömen in die Konduften zu geflatten, miffen num aber 
© Ventile jo mit der Klaviatur in Verbindung gefegt fein, daß fie durch das 
ieberdrüden der Taften beliebig aus der Sonduftenmündung herausgehoben werden 
men. Zu diefem Behufe ftedt in der nach unten gehenden Spitze jedes derfelben 
3 entfprehend ſtarker Meffingdraht, Stecher oder Tangente genannt, welcher durch 
m Boden der Windfade get, mit einer Schraube zum Richtigſtellen verfehen it, 
id auf einem Wellenarme aufjigt. Unmittelbar unter dem Boden der Windlade 
finden fih nämlich fo viele Wellen, als die Maviatur Taften Hat; diefe Wellen 
gen von vorne nad) hinten, nad der Tiefe der Lade (mie die Kanzellen der Schleif- 
>); jede derfelben Hat fo viele Arme, als Regifter auf der betreffenden Windlade 
hen und wird je von einer Tafte der Maviatur, mit der fie auf die gewöhnliche 


) Bol. Katalog der Orgelbananftalt von &. F. Walder & Cie. in Ludwigeburg. 1874. ©. 3. 





\ 


716 Aegellade. 


Weiſe uch Abſtralten, Winkel u. ſ. w.) in Verbindung geſebt iſt, regiert. Bit 
die Taſte niedergedrüct, fo dreht ſich die Welle und die auf ihren Armen aufge | 
den, aus dem Windladenboden vorfteenden Stecher oder Tangenten Heben die int | 
lichen zu einer Tafte gehörigen Ventile und diejenigen Pfeifen find Mangbar, die «| 
einem mit Wind gefülten Kanal ftchen, d. h. deren Regifterzüge angezogen fit.) 
Den Wind erhalten nämlich die Regifterfanäle aus einem gemeinjamen gröke: 
Kanal, der, vom Hauptfanal ausgehend, im der Mitte oder am einer Seite ve] 
Windiade quer von hinten nach vorne über dieſelbe gelegt ift und cha dem Bir, 
taſten der Schleiſlade entſpricht. Vom Boden diefes Kanals ift eine Röhre mt 
jedem einzelnen Regifterfanal geführt und an ihrer oberen Öffnung mit einem gi 
Beren Ventil gededt, das mit dem betreffenden Regifterzug verbunden ift und dert 
deſſen Anzieen von der Öffnung gehoben wird, um dem Wind den Zutritt zu! 
Regifterfanal frei zu geben. — Mit einzelnen verbeffernden, aber nicht bein] 
Abänderungen wird die Kegellade gegenwärtig von den bedeutendſten fübbeutfchen = 

| 

















ſchweizeriſchen Orgelbauern, wie Weigle in Stuttgart, Steinmayer in Detti 
Boit in Durlach, Burkard in Heidelberg, Goll (früher Fr. Haas) in Luzern, Kit 
in Männedorf u. a., aud von Henry Wilis in London gebaut, während fir = 
übrigen Deutjchland nur erft von wenigen Meiftern, wie z. B. Sawer im Frut 
furt a. O., Eggert in Paderborn, Gebr. Schlag in Schweidnitz u. a., acceptiert wirt. 
Bon ſolchen, die Abänderungen am derfelben angebradht haben, nennen wir: Fir: 
Haas, der feine Lade „verbefferte Springlade” nannte, an der Traktur;') Frie 
Sauer, der ſiatt der Tegelförmigen flahaufliegende Bentile verwendet ;*) Henry Bil, 
der die Mündungen der Kondukten an der Geitenwand des Windkanals eirfiir: 
und durch am dieſer Wand abwärts hängende, flachaufliegende Ventile dedt, die « 
durch von der Seite eintretende Stecher Hebt,?) und dem Gebr. Schlag in Druns 
fand gefolgt find; endlich Franz Eggert, der im feiner „Heberlade, eine Hnderer 
der Kegellade,“') die hängenden Ventile Willis’ aufnimmt, fit aber durch einen Sir) 
von unten öffnet; zugleid will er zwei Einwürfen der Gegner der Stegellade iv) 
gegnen: dem einen, daß der Wind durch die Kröpfungen der Konduften „malte 
tiert” werde, dadurch, daß er diefe Kröpfungen befeitigt; dem andern, daß im Art 

1) Unter Difem Namen hat er fie bei Tüpfer Befäricben; vgl. Die Abbildung feiner Ser 
bei Anding, Sambbücfein für Orgelipieler. 1872. Taf. II. fig. 10 und Sattler, Die Ort! 
1873. Taf. VI. fig. 45. Mit der alten Springlade hat fie nur die Anzahl der Bentite # 
mein, tele Gerausfommt, wen man die Regifter- und Zaftenzahf miteinander muhtipfiset 
Vol. Ritter, Zur Gefä. des Drgelfpiele. I. &. 80; doch wird fie aud) von fübdeuticen Ci= 
färifielfern, die wohl Die Wafder/ihe Regellade, janm aber die afte Springlade Tennen, sd] 
immer „Springfade* genannt; vgl. 3. 8. Brei, Orgelpielbud. 1851. inleit. S. 6. Gier] 
Die Orgel. 1858. ©. 11. 12 u. a. | 

*) Vol. die Abbildung derfelben bei Runge, Die Orgel und iht Bau 1875. &. 39. | 

») Bol. die Abbildung feiner Lade bei Heinrich, Orgeldau-Revilor. 1877. ©. 25. | 

) Unter dieſem Titel giebt er eine Beffreibung und Abbildung derfelben in der Urs 




















Kchre doch nun einmal wieder. 17 


ner Störung in der Lade, derſelben nicht anders als durch Abtragen des Pfeif 
xris beizufommen fei, dadurch, daß er den Boden der Reifterfanäle zum Ab— 
Grauben einichtet.‘) Über den Wert der Kegellade im Vergieich mit der älteren 
zleiflade find die Meinungen noch geteilt: die Freunde der Kegellade machen als 
erfelben eignende Vorzüge geltend, daß fie eine friſche und gleihmäßige Intonation 
&i jeder Negiftermifhung, auch beim vollen Wert ermögliche, daß fie ferner das 
durchſtechen der Töne für immer befetige, und endlich, daß fie die Regiftrierung 
iefentlich erfeichtere, auch das beliebige Anbringen von Kofleltivzügen geftatte;?) ihre 
Beguer aber, die in Norddeutſchland nod) zahlreich find, bemängeln hauptfühlic die 
Sompligiertbeit ihrer Konfteuftion®) und gründen darauf Zweifel hinfihtlic ihrer 
Anuerhaftigfeit.‘) Die endgiltige Entſcheidung zwiſchen den beiden Yabenfonftruftionen 
ird alfo die Orgelbauunft erft mod zu treffen haben. 





Kehre do num einmal wieder, Choral. Das Bußlied des Andr. Heinr. 
Juchholz, Das gewöhnlich auf eine der zahlreichen Weiſen des Versmaßes „Herr, 
b habe mißgehandelt” verwiefen wird, hat auch die folgende eigene Melodie 


=} ei] 
— — 


Keh-re doch mu eim-mal wie · der, Hie- be Seel und finde Kuh, 
gerge al ie Sor · de miesder, umd ge « den «fe, wie dad dur 



























— = 
deirmen Gott in Tod und Le— ben willt zu ei» gen dich er + ge+ ben. 

ie ſteht im diefer Form und mit „F. F.“ unterzeichnet im Lüneburger G.B. 
386 (Ausg. von 1695. Pr. 922. ©. 665) und ift alfo von Friedrih Fund 
gl. den Art.) erfunden. 





80, Nr. 5. ©. 66-89, will fie jedoch nur ale „Studie“ angefefen wiffen, die Übrigens 
Ver Beachtung wert it. 

*) Den iebteren Einwurf Gatten fon früßer (1875) Gebr. Schlag in Schweidnitz zu ent: 
iften geſucht indem fie den Boen der Kanäle aus Pappftreifen machten, die vorfommenden 
les aufgefämitten und toieder iufidich überttebt werden Tönen, — ein Anstunftsmittel, das 
9 mangem zweifelgaft erigeinen dürfte. Bgl. Cuterpe. 1876. Nr. 1. ©. 8. 

+) Bal. Fr. Haas Gei Töpfer, Lehrbud; der Orgelbantunfl, 1855. S. 973; Büdeler, Die 
ze Drgel im Kurhausfaale zu Aachen. 1876. ©. 54. 55. 

3) Eine Orgel, wie 5. ®. die Komertorgel zu Hagen, mit 43 il. Stn. auf 3 Dan. und 
d. braudte nad; Bödeler, a. a. D. ©. 55 Anm. mit Kegellaben nit weniger als 2022 
viefventife, während fie mit Scileifladen deren nur 360 Hat. 

Leider fämpfen diefe Gegner nit durhaus mit den nobelften Waffen; man vol. die 
ısfoffungen bei Wangemenn, Geſch der Orgel. 1881. S. 349-330 u. ©. 557-550, und 
jegen das aus Kegel in Efihland beigebrachte amtliche Zeugnis in der Urania 1882. Ar. 2, 

28, das die.elben in optima forma Lügen firaft. 


718 Kehre wieder, kehre wieder. Kehr um, kehr um ıc. 


Kehre wieder, Tehre Wieder. Dies ſchöne Lied Spittia's erhielt zuert in | 
Wurtt. Ch. B. 1844. Nr. 199 eine eigene Melodie; dieſelbe ift von Ich. Cm 
Fred (vgl. den Art.) flir diefes Ch.B. 1843 oder 1844 fomponiert worde, 
und heißt: 


Be esse 


Bir wieder, feh- re wi 












































+ der, der du bi ver-fo- ren hei, 
Sin-te vew>ig bitetend mie » der vor dem Herrn mit deismer Leit 


























—— 



























































— — ẽ 
Fre Br — 


gerbung, Heil und Se - genz leh - re wie + der, zau-dre mid 
Sie fand bereits auch Aufnahme bei Kocher, Biensharfe I. 1855. Nr. 838, W 
Iatob und Richter, Ch.B. I. Nr. 419. ©. 379, im Schleſ. Choral-Melodiechh 
(vgl. Schäffer, Ch-B. 1880. Nr. 88. S. 100) und, freifih arg verftümmet, nt 
Drei Kant. G. B. Nr. 172 (Spadronsty, Ch.B. ©. 98). €. F. Beer in im 
„66 Choral Melodien zu C. 3. Ph. Spitta’s Pialter und Harfe.“ Leipg. IN 
©. 13. Nr. 12 hat dem Liede die Schop'ſche Weile „Laffet uns den Herren ir 
fen" angepaßt. 

















Kehr um, kehr um, du junger Sohn, Choral, Das Lied Midael 
wurde im evangeliſchen Kirchengeſang von Anfang am nad verihiedenen Wei 
fungen. Schon bei feinem erften Erſcheinen im G.-®. der Böhm. Brüder 165 
BL. Ma. wird es auf zwei verſchiedene Melodien verwiefen; in der Ausg. des & 
der Böhm. Br. von 1566 ſodann ift ihm die Weile beigegeben, welche in der 
von 1531 Bl. KIXa bei dem viede „Wer Gottes Diener werden 
ftand, und fie ift ihm fpüter geblieben. Bei v. Tuer, Schat II. Ne. To. © 















— — 








Ber Got-ted Die- ner wer den will, der nehm ihn Chriſtum zum 











— E 
— —— —— — 


und thu aus de mit gein Geiſt mit Fleiß al- To, war er he 





Keil. Kein Chriſt fol ihm die Rechunng machen. 719 


Rod) zwei andere Melodien der Böhmiſchen Brüder find da und dort auf unfer 
d angewandt worden. Die erfte derfelben, die 3. B. in dem G.®. von Zind- 
fen, Srantfurt 1584 herüber genommen ift, bringt Sayriz, Kern I. Nr. 597. 
3. 132 umter der Benennung „Zu Gott heben wir," die fie im Brüder-G..8. 
vom 1531 Hatte, während fie w. Tucher, Schat II. Nr. 88. S. 40 unter dem 
Namen „O Weenſch betract, wie dic) dein Gott“ aus dem G. B. von 1568 giebt. 
Die zweite, Die bei Deich. Bulpius, ©-B. 1609. Nr. 93 mit unſrem Liede er- 
deim, fieht im G. B. von 1531. Bl. LIa mit dem Tert „Der Tag bricht an 
md zeiget ih” (gl. v. Tucher, a. a. O. I. Nr. 46. ©. 20; Yatob u. Richter, 
HB. I. Re. 28. ©. 21 u. 0). Sie foll (nad Hoffmann v. Fallersleben und 
idpter, Schlefifche Voltelieder. Mr. 283) eine Volfsmelodie aus Schlefien und der 
raffhaft Olat zu dem ſchon im 16. Iahrhundert nachtweislicen Liede: „Ws Chrift 
ex Herr im Garten ging“ fein, die aud Bal. Triller's G. B. 1555 zu „Er 
vrad) EHriftus, des Menſchen Sohn“ verwendet. — Neben diefen entlehnten erhielt 
aſer Bied aber im edangelifchen Kirchengeſang auch eine eigene Weife, deren ältefte 
Melle Michael Prötorins, Mus. Sion. 1609. VI. Zeil find, two fie Heikt (ol. 
. Zußer, a. a. D. I. Wr. 199. ©. 99): 


Ges See 
Kehr um, leht um, dur junger Sohn,der du fehr Ü- bel Haft ge- than, 





















































* ==: — F 
— — — 
von Got deinim Baier did ge-mand,dif fomemen in cin fin -D 








7 














3: 
— 





























wo du ſchänd · lich dein Gut ver>zehet und nun bei den Schweinen ge» 


Keil, als ein Teil des tomerzeugenden Apparates der Zungenftimmen der 
rgel, vgl. im Art. „Zunge, Zungenftimmen“. 


Kein Chriſt foll ihm die Rechnung machen, Choral. Simon Dach's 
d (ehmals eines feiner befannteften, jegt auch aus den G.-BB. der Provinz 
eigen verihwunden) hatte für feine bis dahin ungebräuchliche Strophe eine erfte 
elodie von Heinrich Albert erhalten, die in defien Arien, II. Teil. Königsb. 
40 (2. Ausg. 1643). gedrudt erſchien, aber feine kirchliche Bedeutung erlangte 
d auch in feinem der neuerem Königsberger CH BB. ſich erhalten Hat. Erſt die 
zende zweite Weiſ fand Eingang in den Rirhengefang: 

= 


— BE ee 


Kein Eprift fol ihm die Rech nung ma- chen, daf lauter Son » nen-jcein 



































720 Keinen hat Gott verlaffen. 




















— Eos op ee 
— Free 











um ihn flets mer «de fein, und er nur fer zen mög und fake, 
— 


— — = Teen 


wir Ga» ben feinen Ro-fen»gar-ten hier zu ge war «+ + tem. 
Sie erſcheint in diefer Form sun im Freylinghaufen'ichen ©.-®. 1704. Nr. 4 
Geſ. Ausg. 1441. Nr. 976. ©. 652) und hat fid in derjelben teilweie bis 
Gegenwart erhalten (z. B. * — Ch. VB. für Halberft.-Magdeb. 1856. 3 
181. ©. 64), während fie in andern älteren und neueren Geſang- umd Che‘ 
bügern, wie König, Harui. Liederihag. 1738. &. 308 (der fie im Dur gift 
Kühnau, Ch.B. I. Nr. 108. S. 115; Jakob und Richter, Ch. IL. Ar 
910. ©. 723 u. a. in vierteifigen Taft umgejegt iſt. — Eine Parallele hat Str 
Stögel, CH.-B. 1744. Nr. 310, und Payriz, Kern II. Nr. 304. S. 96 unterld 
das Lied der Melodie des 125. Pinlms im franzöfifchreformierten Liedpfalter. 


Keinen hat Gott berlaflen, Choral. Das Lied, das wohl noch dem I 
Iahrhundert angehört, aber bis in die neuere Zeit irrtümlich dem Generaliup: 
tendenten Andreas Keßler (1595 bis 1643) zu Koburg zugeſchrieben wurde,“ 
ſcheint zuerft im Erfurter G.⸗B. 1611 (Meügell, Geiftl. Lieder III. Nr. 590. 
1071-1074) und im Hamb. Geiftficen Gefangbüdlein 1612. S. 212 (Bate) 
nagel, Deutſches KL. V. Nr. 417). Im legterer Duelle wird e8 auf den mir 
lichen Ton: „Frölih in allen Ehren“ (Böhme, Altdeutſches Liederbuch. 187 
343 ©. 415 und 416) verwieſen; fpäter verwendete man für dasjelbe die Bet 
„Herzlich thut mid verlangen”?) und erft 1640 tritt bei Johann Crüger, Li 
tömmlides G. B. Berl. 1640. Nr. 194. ©. 485 (Prax. piet. mel. I — 
die doriſche Melodie fr dasfelbe auf, die ihm feitdem geblieben if, 































































(gei » men at Gou wer «fol» fen, der ihm der» trat all» gr 
& ibm fCon drum viel Gaf- fen, ge > ſcheht ihm doch fein 


— — === 
Leid. Gott will die Seinen ſchit- ten, zu-letzt er» be« ben hob, 
5 — us 
— — — 
ihn! 'n ger ben was kann nü-then hier zeit» lich und aud) dert. 


% Bat. die auf dasfelbe Gegüglige Darlegung bei Fiſcher, Kirenlieder-Ler. IL. &2 
Koh, Geſch. des 8.2. II. S. 270. II. ©. 121-124. 

2) Auf fie weiſen noch Freylinghaufen, ©.-®. Gefamt-Ausg. 1741. S. 170, und Ei 
Württ. Ch. V. 1744. Wr. 301 Hin, obmohi beide zugleich deffen eigene Weile mitteilen. 











= 















































Keine Schönheit hat die Welt. 721 


Die Herfunft dieſer urſprünglich vieleicht weltlichen Weiſe bleibt noch nachzuweiſen. 
da fie bis jegt in Johann Crugers G. BB. zuerſt gefunden wurde, glaubte man 
Srüger’fche Art an ihr zu erfenmen und war geneigt, fie ihm als Erfinder zuzu 
reiben, obwohl er jelbft fie nirgends als fein Eigentum gefenmgeichnet hatte.') Jeyt 
yet Zahn (Bialter u. Harfe. 1886. Nr. 435. S. 293) in „Bierundzwangig geift 
ie dieder· 1609 eine ältere Quelle für diefelde gefunden, im der fie mit dem 
!iede „OD Gott, ich thu dir Hagen“ vorfommt. — Cine eigene Melodie zu unfrem 
ide (de de ca f) ſteht mod im Erfurter G.B von 1663. ©. 5ld, hat 
doc) Teinen Eingang in den Kirchengeſang gefunden. 


Keine Schönheit Hat die Welt, Choral. Das Lied des Angelus Silefins 
rihien mit einer Melodie Georg Joſeph's (Hu fis°g a | g fl ee | d) in der „Hei- 
igen Seelenluft". 1657. 3. Bud. ©. 344 (Ausg. von 1668. Nr. 109), die aber 
icht in Gebrauch gelommen ij e iſt für die urfprünglich vierzeilige Strophenteilung 
es Liedes eingerichtet, die auch ſpäter nod vorkommt (Stögel, Ch.-B. 1744 5. B. 
erweiſt das Lied in diefer Form anf die Weile „Nun fomm der Heiden Heiland“). 
zald wurden aber je zwei und zwei Strophen zu einer adhtzeiligen zufammengezugen, 
nd für diefe Form erſcheint mod im 17. Jahrhundert eine zweite Melodie. Diefe 
rchlich gewordene Melodie Heißt in ihrer älteren Zeihnung G. B. im Lüneb. G. 
1686) 1695. Nr. 308. S. 236, wo fie ebenſo wie das Lied anonym fteht) 

























= 
Be 


Lei «me Schönheit dat die Welt, die mir nicht für Mn + gen ſtellt 
meinen fhö- men Je + fumhrif, der der Schön-heit Up-fprung if. 


PE=s=E ———— 
5 — — 
Wenn die Mor-gen röt ent-fteht, und die güld- ne Sonn auf-geht, ſo er» inn»re 
— — 
ich mich bald fei» nerbimm-ti - ſhen Ge + falt. 
uf ihrem Gang durch die Gefang- und Choralbücher erlitt fie mande, obwohl 
weſentliche Änderungen, jo 3. B. bei Freylinghanfen, G.B. 1704. Nr. 204 


Bej.-Ausg. Nr. 450. ©. 290); König, Harn. Liederſch. 1138. S. 221. Störl- 
tögel, Eh. V. 1744. Nr. 246 u. f. w. und ift bei Ritter, Ch-®. 1856. Nr. 


















































32. S. 64 in folgender Zeichnung erhalten: 





























gar me Schönheit hat die Welt, die mir nidt vor Au gen fell, 
mei nen SGB «men Je + fum Chrif, der der Schönheit Ur« fprung if. 


1) So noch Bode, „Die Kircheumelodien Johann Crügers,“ im den Donatsheften für 
ufifgef. 1873. ©. 80. 81. 
Rümmerke, Encyll. d. evang. Kirchenmuſit. 1. 46 


722 Krin Ztündlein geht dahin. 





Berge 


Wenn die Mor-gen-röt ent-eht, und die güld-ne Sonn aufgeht, ſo er-inn-n 


E 7 — — — 

Fee rer — E 
ich mid bald, fei- ner himm-li- ſchen Ge-ftalt. 

Layrig, Kern II. Nr. 306. ©. 98 verweift unfer Lied auf die Melodie des 13 

Blolms im frangöfiid-reformierten Siedpfalter. 


Kein Stündlein geht dahin, Choral, nad Lied („Um kräftigen Veit 
in der letten Stunde” vgl. Koch, Geſch. des 8. II. ©. 440) und Weile M 
chael Frand (vgl. den Art.) angehörend und in deffen „Geiftlihem Harpffen-Epe“ 
Coburg 1657 zuerft erfceinend.') Dgl. Wege, Hymnop. I. ©. 282. Koh, «.: 
D. IV. ©. 115. Die nächſtälteſten Quellen der Melodie find: Praxis piet. m! 
Ausg. von 1703. Nr. 1031. Anh. ©. 1108; Freylinghaufen, Geiſtr. ©.2. IL 
1714. ©. 960. Nr. 660 (Gef.-Ausg. I741. Nr. 1390. S. 945. Ctögel, Che 
1744. Nr. 379); Witt, Psalmodiu sacra. 1715. Mr. 673. ©.358—359. Cie bei 


ee Zzszenee 






















































— — 


















































Kein Ständleingeht da «hin, es liegemir in dem Sinn, id bin ct 
See He 
— —— 
immer, wo ic bin, deß mich der Tod wird fetgen in die iche a Sr 
4 we 
— — SFR = — 
BEE ee) 


AH Gott wenn Al · les mich ver-läßt, fo Afu-e du bei mir dae da 
Eine zweite Melodie erſchien ſpäter in Süddeutſchland und wurde bis jegt jr 
erit in Drehel's Ch.-B. Nurnb. 1731. ©. 632 (vgl. Zahn, Euterpe, 1879. & 
88), dann in Königs Harm. Fiederfhng 1738. S. 435 gefunden, fie heit k 
Satob und Richter, Ch.B. I. Nr. 912. ©. 724: 


Be See: 


Kein Stündleingeht dahin, es liegt mir in dem Sinn, id bin nt 






































— — — — 
—— — 
im · mer, wo id bin, daß; mid der Tod wird ſet · zen in die letz · tt | 


*) Doc ſcheint die Autorfgaft Frands bezüglich der Melodie nicht abſolut ſicher zu #r 
Bahn, Plalter und Harfe. 1886. Ir. 502. ©. 344 giebt die Praxis piet. mel. von 1703 £1 
Duelle (ohne daß er Michael Frands Erwähnung tut) und Gemerkt day, das fir Fri 
(Kern I. Pr. 244. ©. 86 und Ouellennagweis S. VI) aus einer älteren Oinele gibt m 
Haben feine. 

| 

















Reinh, Keifer. 






























— 
Fer 











Ah Gott, wennal lee mic ver · läßt, fo tu re du bei das Bell, 
Die erfte diefer Weifen Hat Seb. Bad, in G. Chr. Chemelli’s 6-8. 1736. ©. 
591. Nr. 869 aufgenommen und fie mit einem bezifferten Ba verfehen. Bpl. Ert, 
Bachs Choralgef. I. Nr. 79. ©. 51. 


Keifer, Reinhard, der berühmte Opernfomponift zu Hamburg, ift aud unter 
den Kirchenmuſilern aufzuführen, weil er mehrere Poffionsmufiten geigrieben und 
durch diefelben auf die Entwidlung der evangeliſch-kirchlichen Muſit einen bedeutenden 
Einfluß gelbt hat. Er war um 1673 auf einem Dorfe zwiſchen Leipzig und 
Weißenfels «18 der Sohn eines Mannes geboren, der zwar ein „guter Kirchen- 
tonponift” genannt wird,) aber ein umftet umberziehendes Mufifantenieben führte. 
Unter dieſen Umftänden dürfte es mit der Exziejung und dem Unterricht, aud in 
der Muſit, die der Sohn vom Bater erhielt, envas zweifelhaft beftellt gewvefen fein. 
Später befuchte der junge K. die Thomadſchule und kurze Zeit aud) noch die Uni« 
verfität zu Leipzig unter Joh. Cchelle’s Kanforat. Doch wird nicht gefagt, wer fein 
Lehrer in der Mufil geweſen fei; es wird daher anzunehmen fein, daß feine natlir- 
lien Anlagen, fowie das Studium der itafienifhen Oper für feine muſitaliſche Bit- 
dung am wirtſamſten gewefen fein mögen. Schon 1692 und 1693 trat er al 
Dperntomponift zu Wolfenbüttel auf, und Ende 1694 ging er, angelodt von der 
dortigen ftehenden Oper nad Hamburg, wo er nun bald eine glänzende Wirkfant: 
teit entjaltete. Auf dieſe Wirkſamkeit Kes als Operntomponijt und Feiter der Ham— 
burger Oper mäher einzugehen, liegt jedoch außerhalb unfrer Aufgabe?) und nur 
a8 mag noch angeführt fein, daß er nad) Lindners Meinung „der unbedingt talent 
solfte Opernfomponift der damaligen Zeit und in dieſer Hinſicht der Mozart der 
erſten Epoche der deutfhen Oper war." Gelegentlich ſchrieb er aber auch Kirden- 
nuſit und gewann durch diefelbe einen Einfluß, der felbft bei Komponiften wie 
Sraun und Homilius ſich geltend machte, und bei den Komponiſten niedrigeren 
Ranges während der nachbachiſchen Zeit des Nationalismus noch lange vorhielt. Er 
aahm im feine Kirchen- und namentlich in feine Pafjionsmufit die Formen und den 
Heift der Opernmufit ohne weiteres herüber. Solcher Herübernahme aber mochte 
ich in der Paffionsmufit weder die bibliſche Erzählung des Evangeliften, nod auch 
3er Choral bequemen, daher wurden beide Stüde und mit ihnen alles Kirglic- 
Bottesdienſtliche ausgeworfen, und dafür fogenannte „Soliloquien“, d. i. Einzel- 

















2) Bol. Matthefon, Ehrenpforte. ©. 126 und Gerber, Altes ger. I. S. 708. 

3) Er verzeidjnete 1725 felbft feine 107. Oper; aufgezäßft findet man dieſe Werte 8.6 bei 
Deatthefon, Muft. Patriot, 1726. 22. 23. u. 24. Vetroditung; Critica musica I. &. 208 ı. 
288. Walther, Mufit. Ler. 1792, ©. 397-338; Gerber, Neues Per. II. S. 2830. Lindner, 
Die enfte ſiehende deutfeje Oper. 1855. I. ©. 168—200, 

46* 


J 


geſange in der Opernform der Arien, Duette u. dgl. unter überſchriften wie „Al 
der Marin,“ „Tränen des Petrus,“ „Liebesgeſang der Tochter Zion“ eingeiett 
Was aber „in der Oper nicht bloß als Schönheit bezaubern, fondern and) als Ch 
rafteriftit Bewunderung erregen fonnte, das Hang hier wie Erniedrigung und Er— 
weihung.“r) Als ſich dann gegen ſolche Verweltligung der Kirchenmuſit ein ger! 
tiger Sturm erhob, ſuchte 8. zu vermitteln und führte in der Paffionsnmfit nad 
Vrodes’ Text den Evangeliften wieder ein, aber wicht mit den Worten des Evan 
geliums, ſondern mit den freigedichteten, ſchwülſtigen Brockes ſchen. Auch die ven 
Dichter eingefügten Choräle behielt er hier bei, behandelte fie jedoch mur als ir 
durch den äußerfihen Gegenjag wirlendes Effeltmitiel, ohne deren firchliche Bercı- 
tung aud mr zu ahnen. Co fteht K. an der Spige jener „revolutionären Bervegunz, 
die im beginnenden 18. Jahrhundert alle wahre Kirchenmuſik zu vernichten drohte.“ 
Bezeichnenderweiſe wurde ex gegen Ende feines Lebens, nachdem er alle Genie 
eines ſybaritiſchen Opernlebens, wie fie in Hamburg damals fih boten, Bis auf di 
Neige ausgekoftet hatte, nod wirklicher Kirhenmufiter und als Matthefons Nachfotzer 
an Weihnachten :1728 Canonicus minor und Cantor cathedralis am Tun. 
Bas er jedod in diefer Stellung für die Kirchenmuſit nod) geleiftet hat, geht deut 
fid) genug aus der Nachricht hervor, daß „nod bei feinen Lebzeiten die Mufit am 
Dom Oftern 1737 ganz eingeftelt“ wurde.?) Halb verfgollen farb 8. am 12 
September 1739 zu Kopenhagen, wo er ſchon früher ſich aufgehalten und 1722 zum 
tönigl. dänifhen Hoftapellmeifter ernannt worden war. — Bon jeinen Werten ji 
hier gu nennen: 
1. Der blutige und fterbende Jeſus. Paſſion mit Tert von Chr. 
Fr. Hunold, in der Karwoche 1704 aufgeführt.‘) — 2. Thränen un 
dem Kreuz Iefu. Poffion nad) einem Tert von Joh. Ur. König, in de 
Karwoche 1711 aufgeführt. — 3. Der für die Sünden der Welt gem 
texte und fterbende Iefus. Paffton nad dem Tert von Barth. Hei 
Brodes, in der Karwoche 1712 u. 1718 aufgeführt.) — 4. Der zum T. 
verurteilte und gefveuzigte Iefus. Paffion mit Tert von Ich. 
König, Karwoche 1714.) — 5. Paffion nad dem Evang. des Martar, 
1715 fomponiert.‘) — 6. Die durd Großmuth und Glauben triam- 
phierende Unſchuld oder der fiegende David. Oratorium‘) 


1) Bf. Ehryfander, G. Fr. Händel. I. ©. 80. 81. 

*) Bol. Spitta, Bach II. S. 321. 327-328. 

>) gl, Matıhefon, Ehrenpforte. 1740. ©. 129 und 212, 

+) Dal. v. Winterfeld, Evang. 8.G. TIL. ©. 61 fi. 

*) Bl. v. Winterfeld, a. a. ©. I. ©. 198-149. Spitte, Lad II. ©. 326-2 
Baltger, Mufil. der 1732. ©. 338. Bitter, Zur Gef. des Orat. 1872. ©. 108 fi. 

®) Bgl. v. Winterfeld, a. a. D. III. &. 63 f. Cheufander, G. Fr. Händel. L ©. 15 
Walther, a. a. O. 

”) Bat. Chryfander, a. a. ©. I. S. 436-497. Seb. Bad) befaß dieſes Wert und für 
«8 zu Weimar umd Leipzig (1735) mehrmals auf. Vol. Spitta, Bag II. S. 811. Bir 
Zur Geſch. des Oratoriums. 1872. ©. 133 fi. 

>) Sg. dv. Winterfeld, a. a. O. III. S. 149 fi. Eüryfander, a. a. D. 1. S. 485. Yin. 


724 Reinh. Aeiſer. 











Relle. 3. P. Kellner. 3. Chr. Kellner. 7125 


Kelle, auch Krippe, Löffel, Mundftüd, Pfanne, Rahmen, Rinne, 
Schnabel genannt, ein zur Struktur der Zungenflimmen der Orgel gehöriger Teil, 
der im Met. „Zunge, Zungenftimmen" im Zufanmenhang beſchrieben werden fol. 


Kellner, Iohann Peter, ein von jeinen Zeitgenoffen ſehr geihägter Orgamift 
und Komponiſt, war am 24. September 1705 zu Gräfenroda im Thieingifcen 
geboren und wurde von 17 19 an ein Schüler des Organiften Schmidt in Zelle, 
der ihm mamentlich im die Werke Seh. Bachs einführte. Nachdem er 1721 noch 
bei dem berühmten Organiften Quehl in Suhla die Kompofition findiert Hatte, 
wurde er 1725 Organift zu Franlenhayn und zwei Jahre vachher, 1727, Kantor 
and DOrganift in feinem Geburtsort Gräfenroda. Er ſchrieb viele Orgel- und 
Havierwerte, aud eine Anzahl Kichenfantaten und mehrere Pafionsmufiteu , doch 
ift aus feinem fpäteren Leben nah 1754") nichts mehr bekannt und auch die Zeit 
feines Todes ift nicht überliefert worden. Kellner jhägte ſich glücklich, daß er die 
großen Meifter Händel und Bach gehört Habe; er war namentlich ein begeifterter 
Verehrer des (epteren, deffen Werke er fih fleißig abſchriebze) feine Beitgenoffen 
rũhmen ihm als „einen ſehr fertigen Spieler und großen Fugiften auf der Orgel,“ 
ein Urteil der Gegenwart über feine Werfe dagegen lautet: „Das wertvollte unter 
jeinen Arbeiten ift ein Vorfpiel in Es-dur zu „Nun danfet alle Gott,“ das übrige 
ift mehr oder minder flach und ſchlägt aus der feineren thüringiſchen Art ins Tri- 
viale."?) Als im Drud erfhienen wird nur angeführt: 


Certamen Musicum in Brätudien, Fugen x. 6 Hefte. Aruftadt, 1748. 
1749. — Der Choral: Herzlich thut mich verlangen, für 2 Nav. und Bed. 
— Manipulus Musices. 2 Tie. 1753. 
Sein Sahn und Schüler war: 











Kellner, Johann Chriſteph, geboren am 15. Auguft 1736 zu Grafenroda. 
Nachdem er der Lehre des Vaters entwachien war, fegte er Die Kompofitionsftudien 
ei Georg Benda in Gotha fort, und ging dann auf Reifen, die ihn namentlich 
tach Holland führten, wo ex im Haag umd in Amfterdam längere Zeit lebte. Nach 
mals wurde er Organiſt am der Hoffapelle und der lutheriſchen Kirche zu Kaſſel, 
1. 0. D. S. 148 ff. — ns dielen vericiedenen Werten 8.8 find eine Anzahl Stüce gebrudt: 
sei v. Winterfeld, a. a. O. III. Notenbeifp. S. 16-31, und bei Bitter, a. a. O. Notenbeilp. 
3. 1-14, Cine Motette „Ründlich groß iR das goitfelige Gefeimnis” findet fih in der Mo- 
ettenſammlung von Joh. Ad. Hiller, II. S. 3; einige Stüde auch bei Reißmann, Geſch. der 
Ruftt. IL ©. 21 u. 69. 

*) Im diefem Jahr deröfſentlichte er eine Selbftbiographie bei Marpurg, Hiftor.-rit. Bey- 
rãge I. 1754. ©. 139-4: 

2) Bol. Spitta, Bat I. S. 825. II. 463, 729. Ausg. der Bach Geſ. XV. S. XXV. 

3) Bot. Gerber, Ates Per. I. S. 715. 716, dafelbft aud die Aneldote von einer bach- 
Fuge; Adlung, Anfeit. zur mufil. Gelahrih 1758. &. 714; Ritter, Zum Gef. des Orgel: 
I. S. 170, 














\ 


wo er 1803 geftorben ift. Gerber nennt ihn „einen fleißigen Mann und braven 
Organiften, der in einer gelehrten Manier’ fpielte;” bis 1786 wurden 15 Mate 
von ihm gedrudt, darunter: 
Choralvorfpiele, Präludien und Fugen für Orgel; dann eridjienen no& 
XXX neue Orgelftüde. 17. Wert 1. Teil. Speyer, Boßler. 1789. — Neu 
Orgelftüde. 17. Bert. 2. Teil. Darmftadt 1795. — Viele Kirchenfantater 
und mehrere Pajjionsoratorien (darunter „Empfindungen bey dem Tode ds 
Exlöfere.” 1792) find Mfte. geblieben. 


726 Keranlophon. Fern. 


Keraulophon, eine neuere Labialſtimme der Orgel, die mit 8 Fußton gear 
und im Manual verwendet wird. Sie wurde nad Hawkins und Nimbault, The 
Organ. 1877. II. ©. 138 in der Drgelbamverfflätte von Gray & Dapifon ir 
London 1843 erfunden und in der Orgel von St. Paul, Knigthsbridge, dafelhi 
erftmals verwendet. Sie hat chlindriſche, oder nach der Mündung leicht koniſch da 
engerte, hie und da aud mit befondern Metalauflägen (behufs Berfhärfung de 
Tones — Cavaillé Coll in Paris) verfehene Pfeifentörper von Metall mit Zir 
labien und von Principalmenfur. Ihren eigentümlichen Tondarakter: Flötenton mit 
leichtem gambenartigem Strich, erhält die Stimme hauptſächlich durch ein Hein, 
rundes Lod, das nahe an der Mündung oder in der Dedung ihrer Pfeifentörpe 
angebracht wird. Von deutſchen Drgelbauern haben dieſes Megifter bis jegt zur 
Schulze Söhne in Paulinzelle und Schlag und Söhne in Schweidnitz (z. B. in 
HB. der neuen Drgel der Gnadentirche zu Sagen. 1875) einigemal verrvende. 

















Kern nennt man am den Pabialpfeifen der Orgel eine Zinn: oder Holzplatit, 
mit welcher die obere Öffnung des Pfeifenfußies winddicht und fo gededt ift, dat 
durch diefelbe einer und das Unterfabium andrerfeits die ſchmale Kernfpatte ini 
den Art.) oder Stimmrige der Pfeife gebildet wird. Im den Zinn- und Metall 
pfeifen ift der Kern eine Platte aus dem Material der Pfeife und von Freisrunde, 
der Fußöffnung, auf die er aufgelötet wird, entſprechender Form. An feiner Krrit 
fläche ift aber das zur Vildung der Stimmvige nötige Segment ausgeſchnitten 12 
der dadurch entftehende geradlinige Kerurand der Spalte wird, wie die Orgelbuzrr 
fagen, „aeftocen,“ d. H. mit einigen kleineren Einſchnitten oder Serben verſche 
weil die Erfahrung gezeigt hat, daß nur durd) dies Hülfsmittel ein ſchöner Tor 
erzielen iſt. Die älteren Orgelbauer intonierten bis in unjer Jahrhundert hercs 
auf „glatten Kern“ und erhielten einen Feagigen, durch materielle Beimifhung: 
entftelten Ton. Nur Meifter wie Sibermann und Gaiparini verftanden 8 de 
rauhen Ton bei glattem Kern dadurch zu vermeiden, da fie ſehr abgemeffenen Bir 
gaben.!) Bezüglich der Stärte der Platte des Kerns an Metallpfeifen bemerkt few 
der alte Adlung (Mus. mech. org. I. ©. 60): „der Kern wird etwas far a, 


*) Bol. Heinrich, Orgelban-Revifer. 1877. ©. 51, wo auch von einem Orgelbauer €& 
erzäßft wird, daß er noch 1856 auf glatten Kern intonierte. 








Kernfpalte. Fr. KAehler. 7127 


naht, daß ihn die Gewalt des Windes nicht in die Höhe Biege." Bei Holz— 
»Feifem ift der Lern ein dierediges Stüd hartes Hirnholz, das nad dem die 
Zpalte bildenden Rand zu von unten her abgefhärft wird. Kern und Unterlabium 
vüden, wie ſchon bemerkt, die 


Kernipalte, auch Fihtfpalte und Stimmrite der Pfeife genannt,!) durch 
velche der Wind als bandfürmige Luftzunge jo nach oben auftrömt, daß er die im 
törper der Pfeife ruhende Luftfänle im tonerzeugende Schwingungen verfegt. Die 
Zernfpafte hat eine fur jede Pfeife feftftehende Lange und Weite, von deren Richtig- 
eit die gute Intonation einer Stimme zum Teil abhängt. Bei Holzpfeifen ift es 
vegen des von Witterungseinflüffen bewirkten Quellens und Schwindens des Holzes 
nit Schwierigleiten verbunden, die Weite der Kernfpafte für ale Fälle zu fihern. 
gemein wird deshalb vor allem verlangt, daß der Kern aus Hiruholz hergeftellt 
verde, damit er jederzeit in der Richtung der Pfeifenwände fi bewege. Außerdem 
venden aber einzelne Orgelbauer auch nod andre Ausfunftsmittel am: fo baut der 
Orgelbauer Fabian zu Bromberg ſchon feit 25 Jahren Holgpfeifen mit verftellbaren 
tern, und der Orgelbauer Stahlguth in Burtſcheid unterlegt die Vorſchlage mit Die: 
allplättgen.?) — Die Größe der Kerufpalte (ihre Länge und Breite, oder ihr 
Fäceninhalt) wird durch die Größe und Form des Querſchnitts, ſowie durch die 
Höhe des Aufihnitts der betreffenden Pfeife beftimmt. Im der Praris ift dieſe 
Beftimung, bei der Mannigfaltigteit der Intonationsweie meift von der Entiheir 
yung des Gehörs des intonierenden Orgelbauers abhängig. 








Ackler, Friedrich, Prediger zu Werdohl dei Iſerlohn und Superintendent der 
Diöcefe Füdenfcheid, als welcher er am 27. Auguft 1838 zu Füdenfheid a. Rh. ge⸗ 
torben if. Im Gemeinſchaft mit Bernd. CHrift. Ludw. Natorp und Chr. Heinr. 
Rind Hat er auf dem Gebiete evangelifcer Kirhenmufit eine fleißige und für Rheine 
and und Weftfalen fruchtbare Thätigfeit entwidelt, von der außer feiner Mitarbeit 
um Natorp-Rind’fcen Choralbuch die nachſtehenden, im Geifte eines gemäßigten, die 
geihightlige ntwidlung wieder einigermaßen berücfihtigenden Rationalidmus von 
Hm verfaßten Schriften Zeugnis geben: 

Der mufitaliihe Kirhendienft. Ein Wort für alle, denen die Beförderung 
des Kultus am Herzen liegt. Dferlohn, Bädeker. 1832. 8%, — Kurze und 
faßliche Andeutung einiger Mängel des Kirchengeſangs. Daj. 1832. 8°. — 
Dos Gefangbud) von feiner mufitalifhen Seite betradtet. Elberfeld, 1834. 8%. 


) Töpfer, Die Drgel. 1962. S. 44 nennt fie „Mündung oder auch Luftmündung, teil 
ver von den Bäfgen auefrömende Wind Gier feinen endlichen Ausgang findet.” 

2) Bgl. Bödeler, Die neue Drgel im Kurhausfanle zu aden. 1876. ©. 5R. 59. 

9) Küting, Handbuch der Orgelbaulunf. 1943. ©. 30-33 giebt eine Tabelle von 97 
veridjiedenen Keenfpaltenfläßen, ans denen die Breite der Kernfbalte, oder der Abfland des 
Anterlabiums (Borfhlags) vom Kern gefunden wird, indem man diefe Fläfen durch die Labien- 
sreite dipidiert. 








728 Ioh. Reuchenthal. I. €. Kindermann. 





Keuchenthal, Iohannes, Pfarrer zu Sankt Audreasberg, der freien Bergen 
im Harz, gab im Jahr 1573 das jegt und ihm genannte „Keuchenthal'ſche Getorz 
buch“ Heraus, in welchem er „aus den beften Gefangbüüchern und Agenden, fo fr 
die Evangelien Kirchen in Deudſcher ſprach geftellet vnd verordnet find, zufam 
bracht· Hat: 1. die liturgiſchen Gefünge „Latiniſch vnd Deudſch“ für die 
Sonn- und Fettage „nad) Ordnung der zeit durchs gange Ihar, zum Ampt;” am 
weil die evangeliſche Kirche frühe ſchon angefangen Hatte, ſtatt mander dieſer ltr 
giſchen Sefangftüde der Meffe (des „Annptes") „ein geiftlid) Yied oder einen deut 
iden Palm“ (Luther, Ordnung des Gottesdienftes. 1526) zu fingen, 2. and 200 
Gemeindelicder mit 165 Melodien (Chorälen im evangeliigen Sinn). Dir 
Buch des fleißigen Mannes ift das „reichhaltigſie und vollftändigfte” Kirhengelang 
buch des erften Jahrhunderts der Reformation und Gietet ein treues Bild des erun 
geliſchen Kirhengefangs diefer Zeit; fein vollftändiger Titel lautet: 

Kirchen Geſenge Latiniſch vnd Deudſch, ſampt allen Euangelien, Epifktz 
vnd Golleften, auff die Sontage und Feſte nad) Ordnung der zeit, durt 
gange Ihar, zum Anpt, fo man Hodwirdige Sarrament des Abendmeit 
vnſers HERAN IHESU CHRISTI Handelt, oder font Gotteswort pre 
diget, In den Euangeliſchen Kirchen breuhlih. Aus den bejten Gefangbüde:s 
vnd Agenden, jo für die Euangelifhen Kirhen in Deudicher fprad) geitellet ve 
verordnet find, zufamen gebraht. Bud jtzund erftlih auff dieſe Form im Drat 
ausgegangen. . . Witteberg. M. D. LXXIUT. Am Ende: „Bialm 25. Sc 
vnd Nedt behüte mic. Gedrudt zu Witteberg, durch Lorentz Schwend, Ir 
verlegung Samuel Seelſiſchs. Gr. Folio. — Es enthält: 1 Bl. Vorbens 
von D. Chrift. Pezelius, unterzeigmet: Wittenberg, 1573; 1 Bl. Widmurt 
unterzeichnet: „25. März 1573. Johannes Keuhenthal;“ 591 paginirte Blätter 
9 BL. Inder fünıtlicher deutſchen und Inteinifchen Gefänge.!) 

Kindermann, Johann Erasmus, ein bedeutender Organift der Nürnberger 
Schule, der im der Geſchichte des Orgelchorals mit feinem Landsmann, dem eins 
fpäter febenden Johann Pacelbel das Mittelglied bildet zwiſchen dem Begrün 
diefer evangelifc-fichlichen Kunftform, Saniuel Scheidt, und dem Vollender derjelter. 
Seh. Bah. Er war am 29. März 1616 zu Nürnberg geboren und mußte ir 
einer Stadt, wo gerade Männer wie die beiden Stade, Bat. Dregel, Kaſpar 
mager u. a. als Organiften und unmittelbare Nachfolger der Brüder Hafiler Ichtr 
und wirkten, die trefflichfte Vildungsgelegenheit finden. Als Nachfolger Kaipar X: 
mager wurde er Organift am der gidientirhe und [hen 1641 wird der nadı 
ſelbſt als ausgezeichneter Lehrer feiner Kunft wirkende Heinrich Schwenmer ale ie 
Schüler genannt, dem fpäter der noch bedentendere Georg Kaſpar Weder als feldr 
folgte. Nachdem er mehrere Orgel und lirchliche Gejangswerte veröffentlicht bs 
ftarb 8. am 14. Aprit 1655 im 40. Lebensjahr. — Als Orgellomponitt 


S. 310 f. v. Euer, Shap I. ©. 322-3: 
81; Beder, Die Tomwerte des XVI. und XI 


















































9 99l. v. Winterfeld, Ev. 8. 
Beder, Die Choralfammlungen. 1345 
Jahrh. 1855. S. 145. 146. 





3. €. Kindermann. 729 


charalteriſiert ihm Ritter‘) in folgender Weile: „Die Aufgaben, welche er ſich ftellt, 
bleiben allerdings in den engeren Grenzen, die Zeit und Umftände dem praftiz 
hen Organiften jegen; allein das oft Überrajchende und Eigentümliche des Unter: 
nehmens, die ſchlechthin anſpruchdloſe und meifterhafte Löſung, fielen den Künſtler 
auf die oberfte Kunſiſtufe feiner Zeit, wiewohl er, gleid) Scheidt, in harmonifcer 
Beziehung nicht in der Vorderreihe der Modernen fteht. Verſtändnis und techniſche 
Beherrihung des Juſtrumients, Tunftgemäße Verwendung des Pedals, kontrapunttifche 
Mufterarbeit, ſprechender Ausdrud in den Motiven u. ſ. w. find ihm überall nad) 
zurühmen. Die von ihm benügten Formen find im allgemeinen nur Hein, aber 
meiftens neu erfunden. Harmonische Härten oder Sentimentalitäten, nichtsſagende 
Bhrafen oder überfcwengliche Tiraden fiegen ihm gleich fern." Wenn nun aud der 
Schwerpuntt der fünftlerifchen Thätigkeit Kes in feinen Orgelwerlen ruht, fo darf 
doch auch nicht vergeffen werden, daß er Daneben der Meifter einer Schule geiftlicher 
Sänger in Nürnberg war, die die Feder des Nürnberger G-B.s von 1677 und 
1690, Wolfg. Chrift. Deilers, Chriſt. Arnſchwangers u. a. mit Melodien fhmüc- 
ten, denen man freilich ammerft, daß fie „in der Atmofphäre des pegneſiſchen 
Blumenordens” entjtanden find. Dod beruht „eine beſſere gemeinfante Eigenſchaft 
diefer Melodien in der guten Schule, aus welder ihre Sänger hervorgegangen find : 
fie hat wenigſtens das Dilettantenmäßige fern gehalten, wenn fie auch dieſen Ton- 
gebilden einen höheren Geift nicht einzuhauchen vermochte. Der Meifter dieſer Schule 
aber ift Erasmus Kindermann.”?) — Bon feinen Werten find hier zu nennen: 

1. Dialogus: Mofis Blog, Cinders Mag, Chriſti Abtrag, auf die 
Vahions gein und fonften täglich zu muficieren beauemlih, mit 1, 2, 3, 4 
und 6 Ctimmen, nebft dem Gen. V. Nürnberg, 1642. 4°. — 2. Musica ca- 
techetiea, oder Mufitalifher Cntehismus auf die 6 Hauptftüce defielben ge: 
richtet, wohey noch zween Gefänge vor und nad) dem Eijen, fanmt einen 
Morgen: und Adendjegen, von d Stimmen und einem Generalbaß. Nürnberg, 
1643. 4%. — 3. Harmonica organica per tabulaturam germanicam 
composita. Nienberg, 1645. Fol. 2. Ausg. 1665. Dies fein Hauptwert 
enthält: 12 furze „Präambufe“ in den 12 irdentönen, 2 chenfolhe in D- 
md A-dur; dam Nr. 15—20 fließend gearbeitete Fugenfüge zum Teil tiber 
Choräle, 21 und 22 zwei „Intonationen” zum „Pro pace“ und Magnififat 
des 4. Tones, 23 und 24 zwei Choralfugen, und 25 Magnificat octavi 
toni.?) 4 Weihnactsgefang mit 4 Stimmen, Nürnb. bey Dünmiler, 1647. 
4°. — 5. 20 Melodien in Dilherr's Göttliche Liebesflamme (S. 568 - 611; 
zu 20 Liedern, welche G. Ph. Harsdörfer dem Werte beigefitgt Hat). Nirnb., 
Endter. 1650, Heren I. M. Dilgerens x. Evangelifhe Schlußreimen 


























.— 6. 





1) Bat. defien Zur Geſch. des Orgelfpiels I. &. 147. 148. Auch Gerber, Altes Ser. I. 
S. 721 (Meues 2er. II. &. 44) weiß von ihm, daß er „ein fehr berühmter Komponift und 
Organift feiner Zeit” war. 

2) Bgt. Hitler, a. a. O. J. S. 142. Ko, Geſch des g. 

3) Bon diefen Stüden giebt Niter, a. a. O. II. Mr 76. 
1,5 u. 25 als Veiſpiele 


IV. &. 123. 124. 
78, S. 118. 119 die Nrn. 






\ 


der Predigen, jo er im Jahr Chrifti 1649 gehalten (I. Teil; IL Teil eher 
1650; III. Zeit 1651); mit dreyen fingenden Stimmen, zweyen Dislanter, 
einem Baß, mit numeris und signis gezeidnet, zu einem Pofitio, Kegı. 
Spinet, Ciavichmbei oder Theorbe neommodirt und componitt sc. (I. Teil 54, 
MI. Zeit 58, II. Teit 58 Gefänge enthaftend). Nürnberg, 1652. Balz. | 
Endter.‘) — 7. IV Bier Toccaten, Camgonen (d. H. Fugen), Sonaten x. | 
für die Orgel. Nürnberg, 1653. M. Fol. 


Kindicher, Louis, war am 16. Oftober 1800 zu Deffau geboren; er erhidt 
von feinem Vater, der Lehrer und Organift dafelbft war,?) den erften Unterricht ir 
der Mufit, umd befuhte daneben das Gymnaſium. Im dahr 1820 ging er neh 
Leipzig, um bei dem Thomastanter Schiht weitere Studien in der Mufit zu maden 
und zugleich; die auf dem Gymnaſium erlangte wiſſenſchaftliche Bildung zu vewel— 
fändigen. Seine amtliche Wirffamfeit begann er 1824 als Gefanglehrer an ir 
Hauptfgule und Muſillehrer am Lehrerſeminar zu Deſſau, wo er zugleih als Ge 
hatfe in die herzogliche Kapelle eintrat, der er bis 1847 angehörte. Als dann 1854 
das Seminar von Deffau mit den zu Köthen vereinigt und das Landesſeminar für 
Anhalt nach lebtereim Orte verlegt wurde, fidelte er mit demfelben dahin über un 
twartete mit großer Treue und unermüdlichen Fleiße feines Amtes, bis er 187 1 nah 
47-jähriger Wirlſamleit in den Ruheſtand trat. 1873 zog er fih nach Wörlig in dir 
Familie feines Soßnes, der hier Pfarrer war, zurüd und Hier farb er am 7. ft 
bruar 1975. — R. war viele Jahre hindurch Mitarbeiter mehrerer Mufitjeitun 
und namentlich in der „Euterpe” Gat er fih mehrfad auch mit Fichenmufifalif 
Gegenftänden befcjäftigt;°) von feinen Kumpofitionen (Cieder, Motetten, Orgelitidr, 
eine gute Violinſchule) find hier als im Drud erſchienen zu erwähnen : 

1. 4 Motetten für gem. Chor. Leipzig, Kiftner. — 2. 30 kurze an 
leichte Orgelprätudien. Daſ. — 3. (Geiftliche) Lieder fürs Haus, für 1 St 
mit Bf. Berlin, Barth. 

Kirchengefangverein, Dentih-evangelifher. Die ausübende mufitafiic 
Kunft der Neuzeit pflegt mit ausgefprodener Vorliebe die großen Formen der ir 
gleiteten Chormuſit, und die wachfende allgemeine muſilaliſche Bildung hat auch de 


730 Lonis Aindſcher. KAirchengefangverein. 














) Bon feinen Geſängen hat v. Winterfeld, Ev. E. G. II. Notenbeifp. Nr. 167. 168. 15 
drei Ren. mitgeteilt, die fehyte aus Georg Nenmarts Fufwald. 1657. Basgut, Georg Reum: 
AN. muſit. Zig. 1864. ©. 427 Hat K. vergeffen. Nah Koh, a. a D. hat ihn auch KR 
einmal al8 feinen Sänger genannt, 

*) Diefer, Johann Ludwig Gottfried Kindfher, war am I. Ottober 1764 u 
Deffau geboren, ein Schüler des alten Wilhelm Ruf, und Narb als Sälok: und Stadtorgert 
dafeföft, 20. Dit 1840. Bon ihm erffienen Anfeitungen zur Modulation (in Ausg. v. 1317 
n. 1814) und zum Gelbflunterrikt im Mavier- und Orgelipiel (in Ausg, von 1817 u. 18; 

°) Bol. 3. 8. fein Votum in der Frage über die Wiedereinführung des rhuthmiſchen Cr 
zals, gegen Rraufolb, in der Allg. mufl. Big. 1848. 5.330 (Rraußolds Entgegnung dei 
©. 744) und ©. 785; fowie Euterpe 1862. ©. 54-58 u. Niederrhein. Mufilstg. 1861. 3 
12.68.90 f. 











Rirchengefangverein. 73 


Bildung der großen Chorvereine, die zur Ausführung namentlich der Oratorienmuſit 
cötig find, nicht nur in allen größeren, ſondern auch in vielen Heineren Städten er- 
nöglicht. Diefe Vereine Haben, angezogen von der hohen muſikaliſchen Schönheit der 
aurch die hiſtoriſche Forſchung der legten fünfzig Jahre wieder ans Licht gezogenen 
Schäge alter Kirchenmuſit, auch die Wiederbelebung diefer Werke mit zu ihrer Aufe 
ınde gemacht. Allerdings bringen fie diejelben in Aufführungen zu Gehör, die, 
venm fie aud in Ermanglung eines andern geeigneten dolals häufig genug in der 
fire ftattfinden, doch ausfhlieglic den Konzertäarakter tragen. Gleichwohl hat eben 
Yie Durch fie vermittelte Belannticoft mit diefen Werten frühe fhon das Verlangen 
"ge gemaqht, dieſelben aud an der Etelle wieder zu hören, an welche fie ihrer ur- 
prünglicen Beftimmung nad) gehören, — im öffentlichen Gottesdienft. Mehrere 
tere deutihe Kirchenchöre, wie der Domchor zu Berlin, der Chor der Hoftirche zu 
Schwerin, der Salzunger Kirhenhor u. a., verdanken diefem Verlangen ihre Ent: 
tehung umd haben dasfelbe auch in vollem Mafe und in auegezeichneter Weife zu 
efriedigen gewußt. Aber fie bafieren auf Grundlagen, wie fie fonft in der evan- 
yelifhen Kirche nirgends gegeben find. Auf allgemeinerer Grundlage dagegen errichtete 
1843, alfo etwa um diefelbe Zeit, da der Berliner Domchor entftand, der treffliche 
dymnologe Dr. Joh. Peter Fange in Zurich einen Kirhengefangverein, der, wie er 
Ss aus der Gemeinde felbft Gervorgegangen gedacht war, auch nichts anderes dar: 
tellen follte, al8 „einen auegebildeten Chor für den evangelifhen Gemeindegottes- 
hienft," in welchem er „einerfeits den allgemeinen Chorafgefang durch geförderte 
Teilnahme Heben, andrerfeits durch den Vortrag höherer Kirchengeſänge Dielen 
Hottesdienft bereigern“ und chmüden follte.‘) Es ift zwar dieſer Chor über die 
ngeren Kreiſe feines Wirtens hinaus faum betannt geworden, gleihwohl kann er 
18 der eigentliche Vorläufer des deutfhrevangelifhen Kirhengefang- 
vereins gelten. Diefer verdankt feine Entftehung dem jegigen Profefior am 
Rredigerjeminar zu Friedberg, Dr. H. A. Köftlin (vgl. den Art.), der im Anfang 
ver fiebziger Jahre als Diakonus zu Culz am Nedar in Württemberg einen Meinen 
tirhendor gegründet und ihn in der Folge mit zwei ähnlihen Ghören zu Nagold 


%) In feinem fönen Cegleitwort zu den Statuten dieſes Vereins jagt dauge weiter: „Der 
3erein betrachtet den Kirchengeſang als eine Duelle des reinften Genuffe® der Griflichen Beier; 
© trägt infofern feinen med in ſich felöt, iu feinem Thum und Wirien, und dies eben madıt 
on zunädft zum Verein. Gr betrachtet ihn aber auch ferner ala eine firchliche cbeneänßerung, 
seldje namentlich in unfter Zeit einer der Bildung der Zeit entfpreiienden Ausbildung und 
ederung bedarf, und infofern erſcheint er als freie Tirdlice Gefangfäule. Cr betradiet ihn 
mdlid} 018 eine Segenepflange unter den Mften des riflichen Kultus, melde bei völliger Ent- 
sidlung der Natur der Sadıe und dem Geifte der evangeliftien Kirche gemäß in der Blüte 
8 hoheren Ehorgefanges fi vollenden muß; in dieſer Beziehung if der Verein ein evangeli+ 
der Chor.” Gr unterffeidet dann dieſen Chor namentlich not vom Heritalen Chor: „diefer 
ind ein Vorrecht einzelner mit größeren Ditteln ausgeflatteter Stadtgemeinen bleiben müffen, 
rend der evangelifce Cor durch alle Gemeinden der Kirde ih in größeren und Heineren 
Beftaften befebend verbreiten Tann.“ 














732 Rirchengefangverein. 


und Calw in Verbindung gebracht hatte. An Weihnachten 1877 fodann fan 
diefe engere Verbindung Statuten, die am 24. Oktober 1877 von ihr feftgeitdt 
worden waren, an die fih für die Sache interejfierenden Kreiſe in ganz Württen 
berg aus, und (nd zur Gründung eines Evangeliſchen Kirdengefangvereirs 
für Württemberg ein. Diefe Anregung fand Anklang, der Verein Fonftitnire 
ſich und umfaßte im Herbft 1878 Kereits 38 Eingelvereine mit c. 1000 Sänger. 
Im Großperzogtum Helfen veranlaßte ſodann der feit 1874 zu Darımftadt de 
fehende Kirchengefangverein eine ähnliche Vereinigung (Weihnachten 1878), die 1879 
16 Gingelvereine mit TOT Mitgliedern, 1891 bereits 25 Vereine zählte. Den 
folgte Baden am 1. März 1880 mit einer Vereinigung von anfangs 14 Chi 
die aber raſch wuchs und 1881 44 Einzelchöre mit 1600 Sängern, 1882 beritt 
61 Vereine mit c. 3500 Mitgliedern umfaßte. Nur weniges fpäter vereinigten is 
unter dem 1. November 1880 die Kirchenchöre der bayriihen Pfalz (18% 
34 Einzelvereine mit 1412 aktiven Mitgliedern) und die der Stadt Frankfart 
a. M. Unterdeffen hatte Köftlin weiter den Zuſanimienſchluß diefer einzelnen Lande 
vereine zu einem Evangelifchen Kirhengefangverein für Südweft-Dentie 
land angeregt, und nad) den durch Geheimrat Hallwachs zu Darmftadt eingeleitet: 
Vorbereitungen (Delegierten Verſanimlung zu Heidelberg, 19. Mai 1880, Statuter 
entwurf mit Gittigfeit bis 30. Juni 1881) trat am 21. September 1881 us 
Diefe größere Vereinigung zu Bruchſal ins Leben. Da man der Bewegung aud — 
Übrigen Deutfchland — wo teils ältere ähnliche Vereinigungen, wie der „Schlefit: 
Verein zur Hebung der Kirhenmufif“ feit 1869, (dem fid) ein ähnlicher Verein fr 
Dft: und Weftpreußen 1891 angeſchloſſen Hatte), der „Verein für kirchliche Mift’ 
zu Bielefeld unter Paſtor G. Goebel, feit 1876, der „Kirchlich chriſtliche Süi 
Bund“ unter Pater Ahilles zu Mühlheim an der Ruhe, bereits beftanden, 
infolge des ſübdeutſchen Vorganges ſich bildeten, wie in Schleswig-Holflein durch 
Organiſten H. Haufhildt zu Gettorf, in Meclenburg durch den Paftır ©. Petr 
zu Melthof — mit Sympathie entgegenfam, jo lag der Gedanke nahe, den Vern 
auf ganz Deutſchland auszudehnen. Es wurde daher auf den 3. und 4. Olteke 
1882 ein „Erfter deutjch:evangelifger Kircengefang:Bereinstng“ nad Stuttgert 
berufen und von demfelben eine Kommiſſion mit der Ausarbeitung von Statuten 
einen Evangeliſchen Kirhengefangverein fiir Deutihland bein 
Diefe Statuten wurden auf den zweiten Vereinstag, der anı 27. September 1 
zu Frankfurt a. M. zufanmengetreten var, angenonmen, umd Damit war die Fr 
einigung für ganz Deutſchland begründet. Diefelbe umſaßte zur Zeit des drin 
Vereinstages zu Halle a. S. im Herbſt 1884 folgende Sandesvereine: Württembz 
Heſſen, Pfalz, Baden, Franffurt, Provinz Brandenburg (39 Lotalvereine) Previs 
Sählefien (40 Beziefe mit 755 Mitgliedern), Provinz Preußen (mit 123 Mitt‘ | 
. Provinz Sachſen mebft Anhalt und den thücingifhen Landen, Medfenburg; aufs | 
dem no 28 Vofalvereine in folden Landen, die nad, feinen Sandes- oder Provinis | 



























Kirchenkantate, 733 


gereim befigen, wie Ctaffurt, Köthen, Homberg a. Rh., Wefterftade, Ruhrort, 
Schwaboch, Wiesbaden, Barmen u. j. w. — Die Statuten bezeichnen als „Zwed 
and Aufgabe des evangelifhen Kirhengefangvereins für Deutfhland: 
die Förderung des enangelifhen Kirhengefangs und der evangelifgen 
Rirhenmufit durch die Pflege und Weiterentwicdlung der zwifhen den 
deutſch-evangeliſchen Kirgengefangvereinen, Kirchenchören x., unter Wah— 
zung ihrer vollen Selbftändigfeit gefhloffenen Verbindung.“ Näher prü- 
ieren 3. 8. die Statuten der Heffifhen Vereine die ſpeciell mufitalifce Auf 
zabe dahin: „durch Die Pflege des firchlichen Chorgefangs den evangeliiden Ge 
neimdegefang zu Heben und hierdurd zur Förderung des kirchlichen Lebens der 
wangelifcien Gemeinden mitzwvirfen," umd nennen als „Dauptgegenftände der Pflege: 
die älteren Meifterwerke firhlicher Mufit, insbefondere den proteftantifhen Choral, 
die Motette und kirchliche Kantate, ſowie überhaupt Werte fireng fircliden Stils.” 
dem Centralausſchuß · des Gefamtvereins ift neben der gefdiüftlicen Leitung ins- 
befondere noch zur Pflicht gemadt: „die Sache des ebangeliſchen Kirchengeſangs durch 
Wort und Schrift zu fördern, auf Verftändigung der Vereine in Firdenmufitalifgen 
Fragen Hinzwwirten und: den Bereinen bei der Auswahl und billigen Beſchaffung 
hrer Mufilalien behülflich zu fein" (gl. $ 6 der Statuten). Behufs Ausführung 
iefer fegteren Beftimmung Hat der Gentralausfguß 1885 die-Herftellung eines 
ereinstatalogs (in der Weiſe des älteren katholiſchen Cäcilienvereinsfatatogs) 
vefchloffen, d. H. eines forgfültigen Berzeichniffes guter Kirhenmufifalien und lirchen- 
aufitaliier Werte mit beigedrudten fahmännifcen Urteilen und Hinweiſung auf 
eeignete Verwendung der empfohlenen Werte. Der Ordner des Kataloge ift Se: 
Yinarinfpeltor Zahn in Altdorf bei Nürnberg. — Der Verein für Cüdweftdentjdj” 
amd Hat für feine Zwece Herausgegeben : 


Ehorgefünge zum gottesdienftligen Gehrauch. 1. Heft 1879 
(vom württemb. Yandesverein). 25 Ren. 2. Heft 1880 (vom hei. Land 
verein) 17 Men. und Anhang (Geiftl. Voltslieder) 7 Nm. 3. Heft. 1883 
(vom Württ. Sandesverein) neue Driginalfompofitionen enthaltend. Stuttgart, 
Kommiffionsverlog von G. Ebner. Fol. — As offizielle Organe des Vereins 
werden genannt: die beiden Zeitfhriften „Siona“ (Gitersioh, Bertelsmann) 
und „Haleluja" (Hildburgaufen, Gadow & Sopn).') 


Kirchenkantate, evangelifce. Als um die in der Geſchichte der Muſik epodh 
iachende Wendezeit des 16. und 17. Iahehunderts der monodiſche Mufitftil in 











H Aufer in diefen Zeitfäriften finden ſih Rachrichten über die Entſichung, Entwidtung 
nd Thätigleit des Vereins in: Zimmer, Die deutfhien evangeliſchen Kirdengefangvereine der 
segenmwart in ihrer Entwiclung und Wiriſamteit nad; urfundtigen Duellen dargeſielt. Qued - 
ndurg, 1882. Fr. Vieweg. IV u. 75 S. 8%, dann in der Mufitzeirfärift Euterpe, Jahrgang 
ATT—1884, wo befonders ein Artilel von Köfltin: „Uber die näcflen Ziele und Anfgaben der 
irhengefangvereine“ Jahrgang 1883. S. 138-139. 156-158. 171-172. Jahrg. 1884. ©. 
—11. 28-39 zn beaditen if. 


J 


Italien auflam, fand man die neue retitierende Geſangsweiſe, wie fie zumädft ir 
den Opernverſuchen jener Zeit zur Verwendung kam, fo anzichend und dem Strebm 
nach individualifierendem muftfalifgem Ausdrud fo angemeffen, daß man dieſch 
bald and in die Kammermufit herübernahm. Dadurch entftand neben der Der 
eine weitere neue Kunftform: die weltliche Kantate, die in ihren Anfängen die 
einfache gefangsmäfige Recitation einer verfifiierten Erzählung à voce sola at 
mit Begleitung eines einzelnen Inftrumentes, der Theorbe oder Laute, oder aus 
nur der Gambe u. dgl. darftellte, ſich aber an einzelnen in der Dichtung gegeben 
Stellen aud mit den Keimen des Iyriigen Gejangs der Arie ſchmückte. Wer did: 
neue Kunftform zuerft aufgebradt Habe, ift unſicher;t) dagegen wird als ſicher ar 
genommen, daß der berühmte Giacomo Carifjimi (16041674), der Erfinder da 
mehrfägigen und mehrſtimmigen Kammerfantate, und da er feine Werke dire 
Art nur über geifllihe Terte fepte, zugleid der der Kirhenfantate jei. Dich 
die Kirhenfantate aber, ift in der Folge neben dem Drgeldoral die eigenfte Fer 
der kunftmäßigen evangelifcpen Kirchenmufik geworden, und hat der Fonzertierene 
Verwendung der mufitafifhen Darftelungsmittel — des Solo: und Chorgejung: 
und der inftrumentaen Begleitung — wegen auf den Namen eines geiftlider 
Konzertes erhalten. Unter diefem Namen it fie im Geifte der evangelifße 
Kirde weitergebildet und von Sebaftian Bach auf die Höhe ihrer Entwicklung ge 
führt worden. Den Gang diefer Entwidlung der evangelifchen Kirenfantate fa; 
darzulegen, iſt die Aufgabe des gegenwärtigen Artitels. — Mit dem Ausgang dr 
16. Jahrhunderts war die Periode des polyphonen, weſentlich volafen und je 
gleich faſt audſchließlich kirchlichen Mufititits abgeihloffen, und was nad) v. Bine 
feld gewichtigem Vorgang noch immer als die eigentliche Blütezeit auch der enır 
geliſchen Kirchenmuſit betrachtet wird, ift in Wirklichteit nichts anderes, als des 
Abrwelten eines aus dem Stamme mittelafterlic-tatholifger Kirchenmuſit Herz 
geroadhfenen Seitenzweiges mit dem ihm tragenden Stamme felbft. Die wirtiit 
evangelifhe Kirenmufit aber gehört der neuen Mufilperiode an, in der feit da 
Beginne des 17. Jahrhunderts die polyphone Muſit in die harmoniſche fh ung 
ſtaltete, die moderne Tonalität fih Herausbildete, auf deren Grundlage jodann dir 
Inftrumentolmufit (amd zwar zuerft auf der Orgel) fid eigene inftrumentale Former 
ſchuf, und im Geſang das Streben nad) individuell-leidenfhaftlicerem, das gejunge 
Wort mehr als feither berhdfihtigendem Tonausdruch mit Macht fih geltend make. 
Im diefer Zeit zeigen fih denn and) ganz folgerichtig die erften Keime der enang 
fen Kirgentantate. Schon Michael Prätorius war beftrebt gewefen, im der & 


734 Kirdenkantate. 


*) Ziwar nimmt die venetianifhe Künfferin Barbara Strozzi in der or. ir, 
1658 erfhienenen „Cantate, arie o duetti“ die Erfindung der Kantate ausbrüdlid für ft 
in Anſpruch; allein Burney hat das Wort „Cantata“ ſchon in den „Musiche varie a mc 
sola“ den Benedetto Ferrari, die 1038 erſchienen find, gefunden, Bol. A. v. Domzs 
Mußit. er. 1805. ©. 137. 


Rirdenkantate. 735 


andlung des ChHorals, wie er felbft fogt, „die Italos mit beftem Vermögen zu 
nitieren;"?) aber er gehörte jeiner ganzen Richtung nad) noch zu fehr der älteren 
eit an, als daß er ſchon vermocht hätte, im der begleiteten Stirdenmufit zu 
iner wefentlich neuen geſanglichen oder inftrumentalen Form zu gelangen. Dies war 
yeinrih Schüg, dem größten deutſchen Tonfeger des 17. Jahrhunderts vorbehalten. 
ir Hat, der in Itafien empfangenen Anregung folgend, in feinen „eiftlicen Kon- 
orten” und feinen „Symphoniae sacrae“ zuerit Die neue Gefangsform des Ariofo 
ingefügrt, das dann einer der weſentlichen Beftandteile der älteren deutſchen Kirden- 
amtate geworden ift. Aus dem itafienifhen Recitativ Herausgebildet, ift das Arioſo 
in begfeiteter Sologefang mit inftrumentafen Zwifhenfpielen oder Ritornellen, eine 
Zwitterbildung, die zwiſchen dem eigentlichen (Secco-) Recitativ und der wirilichen 
Arie die Ditte Hält.) Mit dem Ariofo ſuchte man zunähft den Choral zu ver- 
inden; allein die Weife, in der Dies z. B. von Andrens Hammerſchmidt geſchah,“) 
seweift nur, wie wenig jene durchaus fubjeftiv gerichtete Zeit fähig war, die objeftiv- 
irchliche Bedeutung des Chorals zu würdigen und ihn derfelben entſprechend zu ber 
jandein. Eben aus diefer fubjeftiven Zeitrichtung heraus aber erwuchs der evangeli- 
den Kirchenlantate ein weiterer Beftandteil: die geiftlihe Arie im äfteren deutjchen 
Sinn. Es war dies ein mufitalifhes Gebilde, das in der Zeit von 1650 an von 
den Kirhentomponiften foft ebenſo maffenhaft produziert wurde, wie von denen der 
ipäteren rationafiftiihen Zeit neue Choralmelodien, und eine Anzahl folder „Arien” 
Ät ja aud in den Gemeindegefang Übergegangen und zu Chorälen geworden, aud) 
hat ſich die Form befanntlich bis in unfre Zeit Herein erhalten und wird von Kam 
toren Heiner Städte und Dörfer noch heute gepflegt. Die geiſtliche Arie in diefem 
Sinne war ein Strophenlied, bald ein-, bald mehrftunmig gefegt, von gewöhnlich 
ganz Meiner, furzatmiger Form der Melodie, die am Anfang jeder Strophe und 
Üters aud) noch zwiſchen den einzelnen Zeilen derfelben mit Ritornellen der beglei- 
tenden Inftrumente verfehen war. Sie ftrebte vor allem danach, das perſönlichſte 
Empfinden des Komponiften und Dichters zum Ausdrud zu bringen, und da dies 
in jener Zeit gewöhnlid niet ohne gewiſſe jugendfid) ammutige Züge war, fo trug 
fe diefe ebenfalls an fih. Zu diefen beiden Stüden fom dann noch der mehr: 
kimmige Chorgeſang mit motettenartigen Chören über Bibelſprüche, oder mit 
Epräten. Die Chöre über Bibelſprüche waren Abköwmlinge der älteren Motette, 

) Dan vgl. 3. B. feine Behandlung von Chorälen wie „In dulci jubilo“ und „ie 
Won fanft uns der Morgenftern,” beide abgedrudt bei Scoeberlein-Niegel, Shab II. Nr. 72. 
6 197-116, und Nr. 162. 5. 236—242. 

%) „Ein in feiner Enmiclung (zur Wrie) Reden gebliebenes Wecitativ” nennt es Spitta, 
418. 228. 

9) Bl. bei v. Winterfeld, Ev. 8.-@. II. Notenbeilp., eiiva S. 90 das Bafariofo Hammer- 
i6mit ir Haf du Arbeit gemadt mit deinen Sünden,“ und die Verbindung des Ehorafs 


-D bilf Ehre, Gotter Sohn“ mit demfelben; and abgebrudt bei Weber, Kirchl. Ehorgel. 
Nor ui. 








736 Rirchenkantate. 


wie fie in der Mehliturgie an Stelle der drei in ihren Terten wechſelnden Stit: 
der muſitaliſchen Mefje, des Introitus, Graduale und Offertorium, während ix 
‚Zeit des polyphonen Volalſtils gefungen worden war, und wie fie auch in der edır 
geliſchen Kirche, in der ſich die Kirchenmuſik immer mehr um die die Heilsthatjade 
des jeweiligen kirchlichen Tages verkündenden Peltionen des Evangeliums und ver 
Epiftel gruppierte, als „Evangelien- und Epiſtelſpruch“ während des ganzen 17. 
Dahrhunderts noch fleißige Pflege fand. Aber die ältere, breitausgeführte Form de 
Motette war mit den andern polyphonen Botalformen abgeblüht, und die Chorſche 
diefer fpäteren Zeit ſchrumpften immer mehr zu homophonen Geftaltungen ein. Art 
die Choräle zeigen eine durchaus unſichere formelle Behandlung, und dies namens 
dann, wenn fie als „erfte, ſchüchterne Verjude einige der Orgeltunft entfehnte Ar 
men zu verwenden“ ſich darftellen. Aus dieſen Veftandteilen wurde Die fogenanzt: 
ältere evangelifhe Kirchenkantate fo zuſammengeſett, daß entweder eine get 
liche Arie die Grundlage bildete und mit als Ariofo gejungenen Bibeliprügen, eder 
mit Chorälen für Solo: oder Chorgefang durchflodpten wurde; oder aber fo, di 
cin Bibelſpruch oder cin Choral den Hauptbeftandteil ausmachte und die geiftlii 
Arie an einzelnen Stellen eintrat. Beifpielsweife fegen wir die kurze Beſchreiben 
eines folgen Wertes von Dieterid) Burtehude (nad Spitta, Bach I. S. 291 dr 
295) hierher: 
Die Einleitung bildet eine „Sonata“ der Inftrumente — 2 Biolinen, 2 Biel, 
Bah und Orgel —, aus einem hurzen langſamen Say und einem Presto befichend; dazz 
folgt ein Bibelfprud (Kol. 3, 17: „les, was ihr thut, mit Worten oder mit Wertr 
das thut alles im Namen Jeſu, und danfet Gott und dem Bater durch ihn“) als ir 
Mimmiger, faßt durchweg bomophoner Chorfag. Das dritte Stüd if eine vierflimmige 
geiffige Arie mit Kitornellen der zwei Biofinen und des Vaſſes zu den drei Sir 
ſtrophen: 











„Dir, dir Höchſter, dir alleine, ‚Helft mir fpielen, jauchzen, fingen, 
Alles, Allerhöchſier, dir, ‚Hebt die Herzen himmelan, 
Sinne, Kräfte und Begier Jubele, was jubeln tann, 

34 nur aufzuopfern meine. Laßt all Inftrumente Hingen. 
Alles fei, nach aller Pflicht, Altes fei, nach aller Pflicht, 

Nur zu deinem Preis gericht't. Nur zu deinem Preis geriät't. 


Vater, Hilf um Jefu willen, 

gafı dies Loben Lüblich fein 

Und zum Himmel dringen ein, 

Unfer Wünftien zu erfüllen, 

DaG dein Herz nad) Baterpflict 

Sci zu unfem Heil geriä.” 
Dann folgt als Bafariofo der Spruch Pf. 37, 4: „Habe deine Luft am Herm, ie 
wird dir geben, was dein Herz wünft,“ mr von der Orgel begleitet; darauf der Chore 
Aus meine® Herzens Grunde” mit den beiden ichien Strophen des Kirdenfieds: | 
feste „Gatt will ih Iaffen ren,” als Supranfolo, Die febente „Darauf fo Ipreten + | 
Amen“ vom Chor vierfiimmig gefangen, und zum Schluß wird nadı einem orfviel ie 
Iuftrumente der erfle Chor wiederholt. 


Rirchenkantate. 737 


Dies war im allgemeinen die Form, in welcher die Kirchenlantate unter verfhiedenen 
jenennungen (wie „Geiftlihes Konzert“, „Geiſtlicher Dialog”, „Geiftlihe Andacht“ 
dgl.) von Männern wie den beiden Ahle, Wolfg. Karl Briegel, Dietr. Burtehude, 
oh. Schelle, Kuhnau, den beiden Krieger u. v. a. durch die zweite Hälfte des 17., 
" bis in die erften Decennien des 18. Jahrhunderts herein gepflegt wurde.') 
8 war dieſe Form eine noch durchaus unfertige, nad) feiterer endgüftiger Geftal- 
ing erſt ringende, und dies ebenſowohl nad) ihrer allgemein muſitali ſchen, wie nad) 
wer fpeciell fieenmuftfalifcien Seite hin. — Auf anderen Gebieten muſitaliſcher 
nuſt waren im Laufe des 17. Jahrhunderts eine Reihe neuer Formen entftanden, 
id fie mußte die Kirhenfantate in ihren Kreis hereinzichen, fie mufte fie ſich affi- 
ülieren, wollte fie anders ſelbſt zur wirllichen, Iebensfähigen Kunſtform werden. In 
er italienifchen Oper hatten fih die Sologefangsformen des Necitativs und der 
reiteifigen Arie, in der Kammermufil die inftrumentafen Formen des italieniſchen 
onzerts und der franzöſiſchen Ouverture, umd in der deutſchen Drgeltunft 
fe des Orgeldorals herausgebildet: und alle diefe Formen follten nun in der 
eueren evangelifhen Kircenfantate, der Kantate Seh. Bachs zu einer neuen 
entralen Kunſtform verwertet werden, welche den Bann der älteren, an wenigen 
aaditionell abgeſchloſſenen Typen feſthaltenden Kirhenmufit brad und den Anforde: 
ungen ganz und voll entſprach, die am eine evangeliſche Kirdenmufit vom künſt 
riſchen, wie vom gottesdienftlihen Standpuntt aus geftellt werden müſſen. — Im 
oangeliſchen Gottesdienft feiert die Gemeinde die Heilsthatjahen des Evangeliums 
unächft als hiſtoriſche, die fie ſich in den bibliſchen Feltionen ins Gedächtnis zurüd: 
Yft, Aber fie bfeibt dabei nicht ftehen: die Geburt und der Tod, die Auferftehung 
nd Himmelfahrt des Herrn werden von ihr innerlich zugleich miterlebt, der Bere 
vird felbft im jedem Glied der Gemeinde geboren, jeder einzelne Chrift ſtirbt und 
et mit dem Heren. Solch fortgehendes Mitfeiern und Miterleben aber ruft Em- 
findungen in der Genweinde wach, nicht nur allgemein und unbeftimmt religiöfer Art, 
vie ſolche etwa beim ftereotyp ſich wiederholenden Meßopfer des latholiſchen Kultus 
jevedt werden mögen, vielmehr Empfindungen, die ſich der an jeden einzelnen Sonn- 
ind Feſttage des Kirchenjahres gefeierten und miterlebten befondern Heilsthatſache ent- 
vregend individualifieren. Diefe Empfindungen follen nun in den verfiedenen litur- 
jüen Momenten des Gottesdienftes, deren einer der muſitaliſche ift, zur kirchlich 
ingemeffenen Ausſprache kommen. Mufikaliſch geſchieht dies zunächſt durch die Gemeinde 
albſt in ihrem Choral, der ſich in enger Verbindung mit dem deutſchen Worte 
%°6 Kirchenlieds durch fein energiſch beftinmtes melodifhes Weſen von Anfang an 
von der unbeftimmten, über die Gemeinde Hinflingenden Lyrik der katholiſchen Kirche 


) Bal. ein Verzeichnis folder Rantatenwerte bei Beder, Die Tomverle des 16. und 17. 
Jah, 1855. S. 90-94. 137—140. 189-192; auch bei Schauer, Geſch. der bibl. lircht. 
Listung und Tonkunſt. 1850. ©. 103-1 

Rummerke, Encptl, d. evang. Sircenmufit. 1. 4 








J— 


738 Rirchenkantate. 


abhob, und in Feſt. und Sonntags- oder Hauptlied“ jedes einzelnen firdfiin 
Tages bald typiſche Bedeutung erlangte.) Idee und Brauch der Firdlichen Fe 

gleiherweife aber verlangen des weiteren noch, daß die refigiöje Empfindung, 
befondere an den feſtlichen Tagen der Kirche, auch in dem höheren Chor einer In 
mäßigen Kirchenmufit fi äußere. Damit dieſe funftmäßig fe, muß fie rc 
allem frei fein von jeder außerfünftleriihen Rüdfiht -— und ſchon dieſer Anfort: 
tung vermochte z. B. die Kirchenmuſit Ercards nicht zu genügen, weil er nad) fern 
eigenen Erflärung ſich durd die Nüdfiht auf den Gemeindegefang gebunden — 
achtete —; fie muß ferner fähig fein, alle in einer gegebenen Zeit vorhanden 
febensträftigen Kunſtformen ſich anzueignen, um fie zu ihrem Zweae organiſch ım 
zubilden, — und aud) diefer Forderung vermodten die Komponiften zahllojer &ır 
totenwerfe, die in der erften Hälfte des 18. Jahrhunderts gefhrieben wurden, jchi 
die begabteften unter ihnen, die Telemann, Stößgel, Keiſer u. a., nicht geredt a 
werden. Denn da der Tert einer ſolchen „Cantata nicht anders ausjah, als rt 
Stüc einer Opern, von Stylo Recitativo und Arien zufammengefegt,“ fo get 
ten fie ihrer Aufgabe dadurd zu genügen, dag fie aud die theatraliſchen Met: 
formen der Dper ohne weiteres in die Kirhenfantate herübernahmen. Allein | 
ftilmengerifches Vorgehen vief nicht nur einen erbitterten Streit gegen die Berner 
lichung der Kirchenmuſit hervor, es war auch der Grund der wahrhaft troftfsie 
Erſcheinung, daß die unglaublige Menge der fo gearteten Rantaten „ausnahmet 
wie” tonbe Blüten vom Baume der Kunft abgefallen“ find. Damit dann tr 
Muſit zugleich evangeliſche Kirhenmufif werde, nicht in dem Verihwemmers 
Sinne, der nod fo häufig mit dem Begriff der Kirchenmuſik verbunden wird, is 
dern im dem ftrengen einer wirklich gottesdienftlihen Mufit, muß ihr Grur: 
motiv ein durchaus kirchliches Kunftelement fein, und fie muß auf diefem Fundam 
in einen Kreife mufifalifher Formen auf- und ausgebaut werden, die gleichfals x 
dem Boden der Kirche erwachſen find. Jenes Grundmotiv aber iſt der cvange: 
ſchen Kirchenmuſik im Gemeindehoral für alle Zeiten ganz in derjelben Bei 
gegeben, wie der katholiſchen im gregorianifchen Geſang,“) und auch diefe Former 

') Bol. den Art. „nuptfied”, wo auch Selneccers (1587) Verzeifuis der Hauptfiere 2 
ganzen Kitchenjahres mitgeteilt it. Solche Verzeichniſſe der „Bialmen und Kiräen-Ciisr 
welche mit den Gvangelifgjen und Epifioliſchen Terten durdis ganbe Jahr übereinforser” 
enthalten die G. WB. des 17. Jahrh. in der Regel, und erft die pietififen ©.-BB. de I* 
Jahr. haben fie weggelaffen. — Über die „Anſchauung, welde die Ehoralmelodien ats Er 
bofe des kirchlichen Lchens erfaßt,“ vgl. man die mehrſach angeführte Abhandlung Sir 
„Die Wiederherftellung vrotetantifcer Kichenmufit auf geihühtlicer Grundlage,“ in der De 
fen Nundfeau 1982. VITT. &. 115. 

3) Fir die vangeliffie Kirhenmufit und ihr Berfäftnis zum Choral gift daher darick 
was Proste, Musica div. I. Bor. S. XNVI. Anmertung 12 von der Tatholifden Kind 
muſit und ihrem Verhälmis zum greg. Gefang gelagt dat: „der fitnrgifdie Gefang-Err 
gleicfam die heilige Schriſt der Kirhenmufit; aus ihr müffen die Beritopen für cite Kirk 





















Kircenkantate. 739 


zrundlagen find in dem deutſchen Orgelchoral vorhanden, einer Kunftform, die das 
möjhliegliche Eigentum der evangeliſchen Kirche it. — Diefen künſtleriſchen und 
fichfihen Anforderungen an eine wirkliche evangeliihe Kirchenmuſit hat einzig Seh. 
Bad, in dem das hödfte künſtleriſche Vermögen mit einer eminent tiefen evangeliſch- 
Änligen Gefinnung zufammenirkte, vollfommen zu genügen vermocht, und «8 
mmt daher als neuere Stirhenfantate ausſchließlich nur feine Kantate in Betracht. 
— Für diefelbe galt es vor allem eine Tertgrumdlage zu finden, die namentlich) 
den muſitaliſchen Formen des Necitativs und der Arie entſprach, deren freie Geftal- 
ang weder das deutſche Vibehvort, mod das deutſche Kirchenlied ohne Zwang zu: 
ieß. Man fand fie in der itafienifhen Dichtungeform des Madrigals (vgl. den 
Art.), der formell freieften aller Didtungsarten, und der befannte Kirchenliederdichter 
md Hamburger Hauptpaftor Erdmann Neumeifter war der erfte, der diefe 
Dichtungsform vom Jahr 1700 an für die Kirchenkantate anwandte. Seinem Bor- 
yange folgten als die beiden beften Kantatendichter neben ihm: Salomo Frand 
ind Iohann Jakob Rambach, dann aber ganze Schar von Nadahmern, 
velche die Herjtellung von Kantatenterten fabritmäßig betrieben, und „nachdem die 
Form einmal gefunden war, vielfad nichts weiter Ahnten, als Worte zuhauf bringen, 
am fie in die üblichen Schemata einzuteilen.*') Ein foldes Kantatenfgema, das 

















aufit (d. 6. für die tat) genommen werden.“ Dagegen ift Friebr. Riegel im Irrtum, 
venn er bei Schoeberlein-Wiegel, Schatz I. S. 15 den greg. Cantus firmus aud als Orund- 
age evang. Kirdenmufit erflärt; ebeufo and Lange, Hymnol. 1848. I. ©. 71, wenn er meint: 
As Grundform elles (?) Kirengefanges il der gregorianifdie Choral zu betraiten.“ 

+) Bon Neumeifter erffienen: „Geiftlihe Kantaten flatt einer Kirgen-Dufi.“ 1704; 
Geiſtliches Singen und Spielen, Das if: Ein Jahrgang von Terten x.“ Gotha, 1711; 
Fünffadie Kirdenandaditen x.” Herausgegeben von Tilgner. Leipz. 1710; „Fortgefebte fünf 
ade Kirgenandadten.” Hamb. 1720 (3 volfändige Jahrgänge); „Dritter Teil der fünffachen 
tirchenandachten.“ Hamb. 1752 (1 Jahrg.) Salomon Franck veröffentlichte feine Kantaten- 
e in den Beiden Teilen feiner „Geift- und weltlichen Poefien.” 1711 und 1716, im L Ti. 
94-210: „Fuangeliffie Seefenuft über bie Conn- und Fefttage durche ganze Jahr;“ im 
. ©. 2-86: „Singende Gvangelifche Shwanen“ (ein Jahrg.), und diejenigen Joh. Jat. 
tambacis fen in feinen „Geikligen Poefien“. 2 Teile. 1720 (2. Aufl. 1735; 8. Aufl, 
Bol. Spitta, Bad I. ©. 465 ff. ©. 523 fi. und Koh, Geld. des Kirgenlieds. IV. 
531-532. Bon weiteren Kantatendictern führen wir mod an: Chrifl. Friedr. Henrich 
Bicander, „Kantaten auf die Sonn und Feitage durd das game Jahr.“ Leipzig, 1128; 
Genft-, fherzhafte und fatiriffe Gedichte" 5 Zeile, 17I7—1751, denen er feine Santatenterte 
eigab; vgl. Spitte, Bah U. &. 172 fi), und Mariane v. Ziegler („Berfuch in gebun- 
ener Schreibart. 2 Teile. 1728. 1729, mit einem Kantatenjahrgang; vgl. Spitte, Über die 
Beziehungen Seh. Bad zu Ehrifl. Friedr. Humold x. Sep-Abdrud aus „Hiller. u. Philofog. 
Kuffätge, Fetgabe an Grnft Eurtius . 1884. &, 25-32), weil Seh. Bad; deren Terte tom- 
omierte, und von fühdentfden: Magd. Sybille Rieger („Dritte Sammlung der Gedichte. 
uttg. 1754, mit einem Jahrg. „Bottgeheifigter Mufic über die Sonn- und Feiertäglicen 
angelien, a. 1748 in der evangelifhen Sähloßtiche zu Stuttgart aufgeführt“ ; vgl. Palmer, 
Zv. Hyınn. 1865. ©. 349) und Did. Lebegoit Marggraff („Epiftofilfes Seelen-Eonfeit ic, 

47* 
































740 Kirchenkantate. 


die Mizler ſche „Societät der muſikaliſchen Wiſſenſchaften“ zu Leipzig aufgeftelt da 
lautet: „Das anftändige Maß einer Kirchenlantate ſcheint dieſes zu fein: a) m 
Choral von einer bis zwei Strophen, oder am dedfelben Stelle ein bihlifär 
Spruch, der nicht allzulang ift; b) ein Recitativ von zwölf bis zwanzig Zeiler 
©) eine Arie, Ariofo, manchmal ein fugierender Choral; d) ein Recitatit; 
©) eine Arie; N) ein Chorai oder Fuge zum Beſchluß.i) Daß die fo hergeftelr 
Kantatenterte vielfad) nichts anderes find, als matte, inhaftsleere, im jeltjamer ı2 
veralteter Ausdrudsweiſe fih ergehende Neimereien, Hat man neuerdings oft ar 
deſprochen und darauf Bedenfen gegen ihren firchlichen Wert gegründet. Und alır 
dings, wenn man fie als Dichtungen an ſich betradtet, verdienen fie großenteile dr 
Geringfgägung, mit der fie vom litterarhiſtorſchen Standpunkt aus behandelt wer 
den. Allein Spitta hat mit vollem Rechte darauf aufmerffam gemadit, daß ter 
ſolch abgetrennte Betrachtung eben nicht zuläffig fei, daß dieſe Texte vielmehr di 
Mufit”ols” Ergänzung fordern, und als auf fie eingerichtet auch durch fie erft dei 
gewiinſchte ſchone eben gewinnen; umd mit Bezug auf die Bach'ſche Kantate bt 
Moſewius das eben jo wahre als ſchöne Wort ausgeſprochen, daß denjenigen, derer 
ſich einmal die Bedeutung ihrer aus der innerften Tiefe eines frommen gläubige: 
Gemütes entquollene Mufit erſchloſſen Habe, die Terte nicht mehr ftören fönnen.) 


Doer Kantaten über die Epifteln aller in dem Stirenjahe 1720 vorfallenden Sonntage x“ 
3 Zeife, Hugsb, 1720; vom dortigen Mufifdireftor Phil. David Kräuter tomponiert). 

*) Bol. Migfer, Mufit. Bibliotbel. IV. S. 108, abgedeudt bei Bitter, Bad I. ©. 1 
bis 201, der Bade Mitrirlung bei diefer Fefellung afınimmt; dagegen Spitta, Ba II. 2 
504-505. Auch Neumeifter felbft giebt in der Vorrede feiner „Geiflfihen Kantaten”. 14 
eine genane Anweifung zur Fertigung von Kantatenterten. Dal. Spitta, a. a. D. I. &. 4; 
dis 468. Mage. Cyb. Rieger hat in ifren Kantaten für gewöhnliche Sonntage 1. ein Diruz 
d. 8. einen Bibelfprud, 2. ein Recitafiv mit zugehöriger Xrie, 3, ein Kecitativ, das zum Stk 
oral feitet; Dies fcßtere Recitativ wird für die Fefllage mit fırzen Chorfägen duräfloftrr 
Bat. Palmer, Evang. Hymn. 1865. ©, 349. Die von Bad fomponierte Reumeifterice 8a 
date „Gfeidivie der Regen und Säwee x“ zum Sonntog Seragefimä (1718 oder 1714) & 
Handelt den Vibelſpruch (das Dicum) als Recitatiu, das bald ins Xriofo übergeht und grite 
das mefemals je zwei begügfiche Zeifen der deutfgen Fitanei (die 1. Zeile vom Sofejopen 
das „Erhör uns, fieber Here Gott“ jedeemaf von Chor gefungen) eingeffoben find, dırı 
bringt fie nur noch eine Arie und den Shlußgerat. Gröhere Kantaten (mit Ditum, 2-1 
Arien mit zugehörigen Recitativen umd Schlußcorat) find öfters zweiteilig und Haben dem 
am Ende des erften Teils chenfalls einen Chorat, Mberaupt zeigt namentlid) die Dasik 
Kantate die größte Formenmannigfaltigleit in ihrer Anlage. 

2) Bol. Spitta, iu dem fon genannten Auffay. S. 24. 25; Mofenius, Joh. Seh. bet 
in feinen Kirgenlantaten x. Berl. 1845; Lindner, Zur Tonfunf. 1864. ©. 105—107. 
terarhifiorif Hat Wilgelm Sqherer, Gef. der deutfcien Litteratur. 1881. &. 348 fi. die lat 
tige antatendictung behandelt. Wie gering aber audj Heute hoch da Verfändnig der wars 
Kirgjenfantate ii, daflir mag nur ein Beifpiel angeführt fein. Die Sisgt-Anbeterin , Namazz 
begeiäsnet in ihrer Shift „Franz Liegt aid Balmenfinger und die früheren Meifter.“ ins 
1885 ei der Befprehung der Bach ſchen Kantate „Lobe den Heren, meine Seele“ die mat 
gatifen Bartien des Tertes lurzwen ale „Rirgenfieder” und „Kirdenfiederterte" (). 








Kircenkantate. 74 


Aber nicht nur gegen dieſe Texte, aud gegen die Mufit der Kirchenlantate Bachs 
werden noch immer Bedenken geltend gemacht, weil man fie nicht ausfglichlih vom 
Standpunkt evangeliſch gottesdienftliher Mufit aus betrachtet.) Wie der Gemeindes 
coral die einzige Grundlage, der Kern und Stern aller evangelifgen Kirchenmuſit 
ift, fo ift er dies aud von der Bach'ſchen Kantate: im ihm wurzelt fie, aus ihm 
faugt fie unvergänglige Lebenskraft; er ift der Stimmungegrund, in den Bad} feine 
Kunftgebilde eingezeichnet hat; den allgemein menſchlichen Empfindungen, welche dieſe 
Gebilde in unermeßlichem Reichtum und mit unergründlicher Tiefe ausſprechen, giebt 
der Choral die kirchliche Richtung und Vegrenzung, und innerhalb diefer, damit die ⸗ 
ſelben nicht nur allgemein kirchliche bleiben, wie dies bei der älteren Volalmuſit der 
Fall war, aber dem Proteftantismus nicht mehr genügen fommte, ihre direft auf den 
beftimmten kirchlichen Tag, das jeweilige Feft deutende Spige. Cr ift in Bachs 
Kantaten allgegemvärtig. Der Anfangs: oder Hauptdor derſelben ift entweder 
ein Choralchor in verigiedenfter Geftaltung, oder es Hingt, wenn ex als freier Chor 
erfceint, im den Motiven, aus denen diefer ſich aufbaut, oder in der Inftrumental: 
Segleitung der Choral herein, und wenn dieſem Chor eine inftrumentale Ein- 
feitung vorangeht, jo ift bei diefer dasjelbe der Fall. In den Sologefängen — 
2-3 Recitativen mit den zugehörigen Arien —, in denen die jubjeftive Em- 
pfindung zur Geltung tommıt, ift e8 wieder der Choral, den die wichtige Aufgabe 
zufällt, dieſe zu zügeln und das ſich vordrängende Perſönliche in bie lirchlichen 
Grenzen zu bannen, indem er entweder diefe Sologefänge als inftrumentale Melodie 
jelbit begleitet, oder dod in der von der Orgelmufit übertragenen Form des Choral: 
(rios und Quatuors Herüberflingt, in defien Polyphonie die Soloſtimme jo eingerveht 
ft, daß alles Perföntiche zurüctritt. Dodurch aber werden die an ſich nicht fir: 
ichen Sologefangsformen des Recitativs und der Arie mit der heiligen Stimmung 
3er chriſtlichen Gemeinde durhdrungen und zu firdlichen Formen erhoben und ger 
veiht.?) Endlich ift es dann der Choral, der als Schlußchoral den kirchlichen 


) Es ifl Gefannt, daß namenitich v. Winterfeld es war, ver im 3. Bd. feines Wertes 
iber den Evang. Kirhengelang manderlei Einwände gegen die Kirdjlicpeit der Kantaten vache 
jorgebradit Hat und zu dem apodittifd, ausgefprodienen Rejuftat gelangt it: „das höchſe Bor- 
‚ld evangelifger Kirhenmufit iR Bad nicht und fine Kantaten Lnnen im fichlicen Gebrauch 
hee bfeibende Stätte nicht finden und werden fie auf nicht wieder finden.“ Dazu fam er 
rd; feine romantifd-tatholifierenden Anfigtenfüber Kirgenmufit, und weil er den von ihm 
ntdetten Zohann Cecard nicht verdunfeln (affen wollte. Cr dat dann audı alle die Phrafen 
om der Kantate als einer „mufitalifgen Predigt,‘ einem „idenlen Gottetdienft” u. dal. aufge: 
wacht, Die ihm mod) heute nahgefproden und nacgefärieben werden, und Die dieſen Teil feines 
Beries wirtlich zu dem gemadit Gaben, was Lindner, a. a. D. &. 111 demfelben nadjagt, zu 
einer reiten Onelle irrtümfißer Anfigten und willfürfiger Behauptungen.” 

2) Das it eb, wos v. Winterfeld nicht beadtet Hat, wenn er a. a. D. III. ©. 425 den 
zZach ſchen Sologefängen den Vormunf des Tfeatrafifcen madit. Ad der Eimvurf, den der 
ıngenannte Berfaffer einer wertvoflen Abhandlung („Über Lindner’ „„Zur Tonfunf‘") in 
ex Ag. mufil. Zig. 1864 Nr. 35-38, ©, 642-643 vom muffafiffen Standpuntt aus 





142 Kirdyenkantate. 


Höhepunkt jeder Kantate darftellt. Ihn ſetzt Bach in der Regel „einfach vier 
ſtimmig und duch alle (im der zugehörigen Kantate verwendeten) Inſtrumern 
derftärft mit dem wundervollen Reichtum und der fühnen Yebendigfeit der Stimr— 
führung, welche fih aus feiner Orgelmeiſierſchaft entwideln mußten. Andre, ti 
weltliche Tonformen mur äußerlich dem tirhlicen Gebrauge anpaften, fonnten 
den Choral, mit dem man ganz allgemein die Kirchenkantote zu fließen pflegt, 
fein Verftändnis noch Intereſſe haben. Denn bloß dom muſitaliſchen Standpunte 
aus gefehen iſt es befreindlich und Mnftleriich umwirtfom, ein Wert, das mehr atır 
minder den ganzen damals befannten Formenreichtum in Anſpruch win, in eine 
ſchlichten vierftinmigen Fiedfag auslaufen zu laſſen. F,—r das kirchliche Gefühl Lat 
aber war der Schlußchoral das Inappe Gefäß, in weldes der ganze Stimmu 
gehalt der Kantate gefammelt werden follte; ihn mit liebevoller Vorficht zu hei 
und finnig zu ſchinücken, mußte eine wahre Ehrenaufgabe für den Künftler fi 
(Spitta).!) — Eine beſondere Gattung der Bach'ſchen Kirchenfantate ift die Choral 
Tantate, wie er fie in der fpäteren Zeit feines Wirfens mit Vorliebe bearbeitet 
Es iſt diefelbe ihrem Weien nad „nichts anderes, als die vollitändigite, poetiſt 
mufitalifhe Entfaltung eines beſtimmten Kirchenliedes und feiner ihm eignerde 
Choralmelodie vermittelft aller Kunſtmittel, welche fih Bach in einem reichen Yıkr 
unter gründlicher Ansnugung aller Kunftelemente feiner Zeit und Borzeit erwo 
hatte. Die Choralfantate an ſich ift die volle Blütenkrone am Stamme des B. 
fen Orgeldjorals, an dem die Cheralphantafie, die den Stil der ganzen & 
beftimmt, mur ein glänzendes Blatt diefer Krone war.”?) — In Badıs Kire, 
fantaten hat die Welt, feit fie ihr durch die Ausgabe der Bachgeſellſchaft zugäng 
gemacht worden find, einen Schatz kirchlicher Muſit von unermepligen Werte ı 
Tannt, einen Schag, der als aus dem eifte der deutſchen evangeliihen Kirde « 
boren, als auf ifrem Lebensgrund erwahien, ihr eigenftes Cigentum ift und 
mufifalifcher Hinſicht zum mindeften ebenſo reich erſcheinen läßt, als Die kathel 
Kirche im 16. Jahrhundert es war.) Und wenn einmal diefer Schatz, wie — 
ahebi in mehr oder weniger willtürliches Unterfangen, die dialeltiſche Meiherx 
Voruphonie auch da feftzußalten, wo es fih um die im ih gefhloffene Stimmung eines 
zeinen und deren energifjen Ausdrud Handle, und fo die Menfeienftimme, weldie die natir 
Herrjcerin im Reiche der Töne if, da fie die Stimmung am unmittelbarflen, geroifferns 
an der Quelle gefhöpft wiederzugeben vermag, und Die zudem das Gedeutfame Clement — 
Teries Gingubringt, auf ein Nivea mit einer Geige, Oboe oder dal. zu Relleun“ — fälr de 
da es Bach als Kirchenmuſiler gethan hat und eben als folder tun mußte. 

») Mehrfah Hat man iertimlich gemeint, dieſe Schluphoräte feien dazu Beftimmt gem’ 
dafs fie von der Gemeinde mitgefungen werden. Wal. dagegen Spitta, vach 1. &. 101 = 
Et, Bas Choralge. I. Bor. &. U u. IH, 

?) Bal. Spitta, a. a. O. 11. ©. 5; Hier ift ©. 508-585 die Form und Beter 
der Choralfantate des näßeren im trefflicher Weife dargelegt. 

») Ja: „Hier in mehr als Paleftrina” dorf man fagen, aud wenn man mit Helg 
Martin Futfer, Deutfhe Rundigen 1893. X. 2. &. 185 „den berufenen Meifen Pal 
















































Rirchenmuſik. 743 


uns deſſen im nicht allzuferner Zeit verſehen Dürfen, vollſtändig gehoben und fein 
Inhalt dem ebangeliſchen Gottesdienft zurüdgegeben fein wird: dann wird fein Wert 
erft in feinem ganzen Umfange, wie in religiöfer, fo in Minftferifher Beziehung zu 
ermeffen fein, und es wird die althergebrachte Meinung von der fünftlerifgen Cteri- 
iität des Proteftantismus ſchwinden. 


Kirhenmufil, Evangelifge. Der vorliegende Artifel möchte I. das Ber: 
hältnis der Religion zur Kunft im allgemeinen und der lirchlichen Kunft, namentlid) 
der lirchlichen Mufit zum Gottesdienft im befondern kurz amdeuten; dann die Fra 
gen: was ift Kirchenmuſik? und: was ift evangelifche Kirhenmufit? zu beantworten 
fugen; — ferner II. von den einzelnen Zweigen evaugeliſcher Kirhenmufit: dem 
Gemeindegefang, der Drgelmufit, der Figuralmufit und dem Altargefang handeln, 
— umd endlich III. einen kurzen Abriß der Geſchichte der vangelifcen Kirheumufit 
geben. — 

I. Religion und Kunſt in einem Atemzuge zu nennen, iſt uns durchaus ger 
laufig, und das befannte Wort des Wandsbecker Voten, daß alle Kunft vom Altar 
ausgegangen fei, Hat faft die Bedeutung eines Arioms erlangt. Wirllich haben 
auch Religion und Kunft die innigften Beziehungen zu einander, Beziehungen, die 
zunäßft in dem gemeinfamen Urfprung der beiden idealen Geiftesmädhte begründet 
find. Denn da, wo das ewige, unergründliche Sein in das endliche, irdiſche Welen 
einzuftrömen und in ein Werden fih umzufegen beginnt; da, wo der verborgene 
göttliche Lebensgrund aller Dinge anfüngt offenbar, die „Fülle der Gottheit leib- 
Haftig" zu werden: da iſt nicht nur der Duell- und Ausgangspunkt der Religion, 
— da ift zugleich auch der Punkt, an welchem die ewige Fülle der Schönheit in 
die Tiefe der Menſchenſeele ſih jenft und Form und Ma eines Urbildes auf den 
Grund derfelben Legt, nad) den alle menſchliche Kunſt geftaltet und bildet. Es er 
ört ſich aus diefem gemeinfamen Urſprung zunächſt die geſchichtlihe Thatſache, dag 
Religion und Kunſt zu allen Zeiten und bei allen Wölfen in engfter Zujanmen 
gehörigfeit erſcheinen. Es begreifen fih daraus ferner die verwandten Wirkungen, 
velche beide auf das menſchliche Gemüt äußern: das Ewige und Idenle ihres We: 
ens durchleuchtet die zeitlich beichränfte Wirtlichteit mit ihren Dlängeln und Wider: 
drüchen, eröffnet dem unter der Laſt des Erdenlebens ſeufzenden Menſchengeiſte die 
goldenen Pforten einer Höheren Welt jeliger Vollendung, und waltet fo heilend und 
schebend mitten in irdiſcher Unvollfommenfeit. Auf den gemeinfanen Urfprung und 
die nahe verwandten Wirfungen beider Geiftesmächte grlindet ſich auch die Berechti- 
yung der Kunſt, bei der verwirllichenden Darftellung der Religion im Gottesdienfte 
nitzuwirten, und dies nicht etwa nur im Sinne eines zufälligen äußerlichen Schmudes, 











hren Chrenplat im Tempel der Mufit“ gerne fäht und fich nicht zu der Huperbel Lindners, 
1.0.0. &. 111 („Was in der ganze Palefrina gegen eine einzige Kantate Bnge!“) ver: 
eigen mag. 


744 Rirdenmufik. 


wie mande wollen, vielmehr als ein innerlich wotwendiges Moment des Gottes 
dienftes. Die Religion, als das Imnerfte im Menſchen, ruht zwar in „fülle 
Muſterium hinter jeder Äußerung” ; aber es liegt in ihrem Weſen zugleich at 
der Drang alles Lebendigen, ihre „intenfive Fülle in einem reichen Kreife des erte 
fiven Lebens zu offenbaren.“ Dies gefcieht nad) einer Seite hin im Gottesdiert 
Der chriſtliche Gottesdienſt ift eine Darftellung des Inhalts der Religion, dr 
Lebensgemeinſchaft der chriſtlichen Gemeinde mit Gott durch Chriftum, den geoffr 
barten Gott, Seine Grundlage ift die Thatſache von der Verfühnung des Der 
ſchen mit Gott in Chrifte. Auf ihr ruhet die Heilsgewißheit der chriſtlichen Ge 
meinde, aus der ein (ebendiges Gefühl der Gottestindſchaft erblüht, das mit Natır 
notwendigteit dazu drängt, in feiernder Darftellung ausgeſprochen zu werden. Dir 
Ausfprace gefchieht im Gottesdienſt auf mehrfache Weife: im fiturgiihen Teile ds 
felben foll diefes Orundgefühl aus dem geiftigen Gefamtbefig der Gemeinde hera 
zum Ausdruck kommen. Und gerade hier find nun Momente und Seiten desjelber 
darzulegen, die durd Wort umd ſymboliſche Handlung allein nicht vollſtandig ur 
in ihrer ganzen Tiefe zur Ausſprache gelangen Können. Sie verlangen die Ku 
als Ausdrudsmittel, denn fie allein vermag ſolche einzelnen, und gerade die hödfir 
Momente des Gottesdienſtes, „dem Loſe des Vergänglicen zu entreien und fie de 
durch zu verewigen, daß fie diefelben über alle Zeit jet,“ und ift daher ein net 
wendiges Glied im Kreife der gottesdienftlichen Darftelungsmittel. Iede Darftellurz 
aber wirkt fofort wieder auf den Darftelenden zurüd, vertieft und erweitert in ik 
den Inhalt des Dargeftellten, und macht dieſen Inhalt erft zu feinem vollen Eiger 
tum, Bei der gotteßdienftlihen Darftelung wird diefe Rücreirkung zur Erbauung, 
fie bewirkt eine Vertiefung und ein Wachstum des religiöfen Lebens im der feiernden 
Gemeinde. Alle gottesdienftlihen Darftelungsmittel, und unter ihnen and de 
Kunft, find daher zugleih auch weſentliche Mittel der Erbauung. Die Kunft ater 
wird ein foldes Erbauungsmittel nicht etwa dadurch, daß fie, der jegliche Zuek 
müßigfeit an ſich fremd fein muß, fih eine moralifge Einwirkung, wie Rühruns 
oder gar Belehrung zum Zwed jegte, fondern allein durd die intereffeloje Dar- 
fegung des ihr zugänglichen veligiöfen Inhalts im Gewande der Schönheit, die 
auf dent göttlichen Lebensgrunde alles wahrhaft Schönen ruhet und nicht mur die 
einzelnen und darum ſinnüchen Seiten der Schönheit zur Darftellung bringen will 
Aus dem Berufe, im Gottesdienft als Darftellungs: und dadurd) zugleih als Er- 
bauungsmittel mitzuwirten, erwächſt für die kirchliche Kunſt gleicherweiſe jo ihr 
Ehre, wie ihre Schranke. Sie ſoll nicht an die Stelle der Religion treten, wie 
der Kunſtenthuſiasmus will, der „den gefreuzigten Chriftus verachtet und für di 
firtiniiche Madonna ſchwärmit, oder der die Kirche und ihre Gnadenmittel verfämät 
und ſich für kirchliche Muſit Gegeiftert.“ Aber mitwirten ſoll die Kunft, und nur 
puritaniſche und pietiftifche Beſchraultheit Tann erllären, ſich im Namen und Intereit 
der Religion ablehnend gegen fie verhaften zu müſſen. — Unter den Künften naz, 























Rirdenmufik. 145 


ie zu verfchiedenen Zeiten in den Dienft der Kirche und den Gebrauch des Gottes: 
vienftes genommen worden find, ift die Mufik, mit der wir ung hier allein zu 
sefhäftigen haben, unftreitig die angemeffenfte. Sie verarbeitet ja den körperloſeſten 
Stoff im geiftigfter Weife zum Ausdruck des innerften Lebens und Negens menfch: 
iher Seelenſtimmung und muß darum vor allen andern Künſten aud) fähig fein, 
ven geiftigen Inhalt des Chriftentums aufzunehmen und in Schönheit verflärt dar: 
ulegen, dem durchaus innerlichen, ſinnlich nicht faßbaren und „mit Chriſto in Gott 
verborgenen“ veligiöfen Leben der chriſtlichen Gemeinde als gottesdienftliches Dar 
tellungemittel zu dienen. Die Mufit ift denn aud im eigentlichſten Sinne die 
hrifliche Kunſt geworden, und die Geſchichte bezeugt 68, daß von den erften Zeiten 
»s Chriftentums an das Singen von Pfalmen und Hymmen in den gottesdienft- 
fihen Verfammlungen gebt wurde, und daß die Mufil ihre ganze Ausbildung bis 
zu der Höhe der Entwiclung, welde der Name Paleſtrina's bezeichnet, in der 
Kirche des Mittelalters erhalten Hat. — Weldes find nun aber die Merkmale, durch 
welche eine Mufit fih als Kirchenmuſit kennzeichnet? worin beftchen die Stileigen 
tünlichteiten eines muſitaliſchen Kunſtwerles, das geeiguet fein fol, der gottesdienft- 
fisen Darftellung und Erbauung als Kirgenmuftt zu dienen? mit einem Wort: 
was ift wahre Kirhenmufit? Wir fichen damit vor der Frage, die feit bald 
300 Jahren, feit es überhaupt eine weltliche Muſik neben der Kirchenmufit giebt, 
immer und immer wieder ventifiert worden iſt. Sie erſcheint für viele aud Heute 
noch nicht gelöft, und iſt namentlich durch die romantifc-tatholifierende Welt- und 
Kunfanfhauung, welche die romantiſche Schule in Deutſchland aufgebracht Hat, neuer- 
dings noch weſentlich verdunkelt worden. Schon der Meifter diefer Schule, Ludwig 
Lied, hatte, einer romantiſch unflaren Nebelei in einigen Sonetten feines „Phamn- 
tafus“ Luft machend, die polyphone Volalmuſit des 16. Jahrhunderts, alfo das, was 
man gemeinhin unter dem „Pafefteinaftil* verſteht, als die allein wahre Kirchenmuſit, 
alle fpätere aber als „einen trüben Strom“ erffärt. Diefer Auſchauuug folgend 
fubte dann Thibaut im Palefteinaftil allein die „Reinheit der Tonkunft,“ und 
d. Winterfeld Haute fein ganzes Gefcichtsgebäude der ewangelifchen Kirgenmufit auf 
Ürer Grundlage auf. Die Schriften diefer Männer gewannen einen fo allgemeinen 
und tiefgehenden Einfluß, daß alles, was feitdem auf dem Gebiete der Kirchemmuſit 
geißrieben umd gethan worden ift, fait ausnahmslos im Banne der von ihnen ver: 
fretenen Anfihten fteht. Noch iſi 8 daher landläufige Meinung, die Stilmäßigfeit 
ner Kirchenmiuſit fei dann Tonflatiert, wenn fie in einer der Kirchentonarten ge- 
Ührieben fei, wenn fie alles Leidenſchaftliche im Ausdrud vermeide und ſich eines 
tobigsernfien, mäßigen Tempos, einer gleihfam monumentalen Haltung befleifige 
u dgl; 68 fei ferner der gemifchte Chorgefang a cappella das allein rihtige Organ 
für die Ausführung lirchlicher Kunftmufit, und es beſiehe die kirchenmiuſitaliſche Auf— 
gabe unfeer Zeit einzig darin, die Werte des 16. Jahrhunderts wieder einzuführen, 
alem ipäter Geſchaffenen aber die Kirhthüren zu verſchließen und etwaige neue 


746 Rirchenmufik. 


Werte nur dann zuzufaffen, wenn fie das Vorbild jener alten in ardhaifierender Beil 
nachahmen. Im diefem Sinne Haben fih große Vereinigungen zur Pflege der 
Kirchenmuſik gebildet, wirken verihiedene Chorgefangvereine, find gewichtige Ausgaben 
alter Werke veranftaltet, aud) eine Anzahl neuer Werke geſchaffen worden. Co hi 
fih ein mehr oder weniger beſtimmt ausgefprodener, oder auch nur ſtillſchweigend 
anerfannter Kanon gebildet, an dem mun gemeffen werden fol, mas wahre Kircher 
muſit fei und was nit, — ein Kanon, der, wenn er Tonfequent feitgehalten werden 
wollte, den Kreis kirchlichen Mufitftils fo verengern würde, daß eine große Anzahl 
der beften Werte katholiſcher und evangeliſcher Kirchenmuſit außerhalb desjelben fie 
und als unkirchlich verworfen werden müßte: fo ſchon viele Werte des „Baleftrinr 
ftils“ mit ihrer reichbelebten Figuration, ihren tomplizierten Stimmenverjölingunger; 
fo noch vielmehr die gefamte Kirdenmufit Bach's, in der ja auch v. Winterkid 
wirklich nur eine Muſik des Verfalls zu jehen vermocht hat. Allein es laſſen fh 
a priori formulierte Regeln darüber, wie eine Muſik geftaltet jein müſſe, dam 
fie Kirgenmufit fei, gar nicht aufftelen, weil eben Kirchenmuſitk nicht gemacht werde 
Tann, fondern werden, aus dem Lebensgrunde jeder Kirche erwachſen, aus ihren 
Boden Hervortreiben muß. Der echte und geredite Kirdenmufiter ſchafft feine Wet: 
als Glied feiner Kirche, deren Lehen er mitlebt, von deren Geifte er getrieben ur: 
getragen wird. Im ihm ift, gleid) wie in den andern Öfiedern der Gemeinde, der 
veligiöfe Inhalt, wie ihn feine Kirche formuliert Hat, der fpecfiide Ton und Cr 
der Firhlihen Andacht Überhaupt, und die Stimmung der jewveiligen kirchlichen Zei, 
des jedesmafigen kirchlichen Tages und Feſtes im befondern lebendig; er vermag it 
diefe Stimmung als Künſtler und als Chriſt ganz zu eigen zu machen, fie fih „eis 
zubifden". Ans ihr heraus, aber fünftlerifh volftändig frei und nicht nah Ber 
ſchriften über Tonart, Tempo, ausichlieglihe Amvendung beſtimmter mufifalif 
Kunftformen und SKunftmittel, entftehen feine Werte und werden fid darum ih 
äußerlich der Ordnung des Gottesdienſtes derjenigen Kirche, der fie dienen wolle, 
ohne weitere eingliedern und genau anſchließen, vielmehr aber nod innerlich der) 
Geiſte dieſes Gottesdienftes entfprehen und darum, wenn fie aud den umfifaliicer 
Anforderungen, die hier geftellt werden müffen, Genüge Leiften, wahre Sirdenmart 
fein, — Kirchennuſit, nicht bloß im Sinme der modernen verſchwommenen 
ſchauung, die veligiöfe, geiſtliche und Kirdenmufit Geliebig durcheinauder wirft, 
dern im firengen Sinne wirklich gottesdienftlicer Mufil. Cs iſt mun alle 
ohne weiteres zugugeben, daß die Mufit des „Paleftrinafiils” fir ihre Zeit wirt: 
die wahre Kirchenmuſit, und zwar der katholiſchen Kirche war, da fie ganz auf de 
Boden erwachſen, ihren gottesdienftligen Anforderungen durchaus entipredend 
unter freier Hinftlerif per Verwertung aller in jener Zeit lebendigen amufitafiise | 
Kuftformen geichaffen it. Und and) das foll nicht beftritten werden, daß fir = | 
türchiiche Kunſimuſit von klaſſiſcher Vollendung jederzeit wirfungsfähig bleiben wir: | 
aber eine andere Frage ift die, ob dieſe Muſit auch nod für die Gegenwart — 



































Kirchenmuſik. 747 


ffir alle Zeiten die einzig wahre Kirchenmuſit fein und bleiben wird, wozu man 
fie geftempelt hat. Doch ift dieſe Frage; fofern fie ſich auf katholiſche Kichenmufit 
bezieht, Hier nicht zu beantworten; einiges Ficht aber wird auch auf fie fallen, wenn 
bir uns uun der eingehenderen Beantwortung der weiteren Frage zuwenden: Was 
iſt evangelifge Kirdenmufit? Hier ftellt fih uns freilich zunächſt die entſchei— 
dende Vorfrage entgegen: giebt es denn überhaupt eine ſpecifiſch evangeliſche Kirchen- 
muftt? und diefe Frage wird nicht nur von, einem ganzen Chorus neuerer katholiſcher 
Schriftfteller über Hymmnologie und Kirgenmufit in verneinendent Sinne beantwwortet, 
auch auf evangelifher Seite Hat man fich mehrfach diefer Verneinung angefchloffen. 
Der Hymmologe Palmer z. B. mußte zwar hinſichtlich des ebangeliſchen Chorals 
zugeftehen, daß diefer durchaus proteftantiich fei. Im Bezug auf die andern Zweige 
der Kirchenmuſik aber beantwortete er unfre Frage mit Nein, weil „das muſikaliſch 
Schöne am ſich feinen Unterſchied zwiſchen Proteftantiihem und Katholiſchem keunt 
and weder eine Himmelfahrt Mariä, nod einen Artifel aus der Augustana vor 
ftelfe, fondern eben Mufil.” Ihn Hinderte fein einfeitiger mufil-äfthetiicher Stand- 
punkt, zur richtigen Anſchauung durchzudringen, obwohl er auf der redten Fährte 
war, wenn er erfannte, dah das Weſen der wangeliſchen Kirchenmuſit Seh. Bad's 
auf dem Orgelftil beruhe. Wenn aber ein andrer enangelifher Kirdenmufiter in 
einem Werte, das als Sammlung evangeliſch liturgiſcher Mufit Hohes Anfehen ge— 
nießt (Friede. Riegel bei Schoeberlein, „Schag des liturgifhen Chor: und Gemeinde: 
gefangs”) ohne weiteres den Say aufftellt: „Diejenige Kirchenmuſit kann nicht die 
schte jeim, die nicht aus dem Cantus firmus (NB. dem gregorianiſchen Cantus 
Ärnus) als dem Produft des eigentlich kirchlichen Geiftes hervorgeht,” fo it dadurch 
mit einem Federzug alles das, was in Wahrheit und Wirtlicfeit Gangeliſche Sirchen- 
mufit ift, mit Stumpf und Stiel aus unfrer Kirche hinnnegeworfen. Das ift eine 
Frucht der weiter oben darakterifierten romantiich-Tatholifierenden Kunſtanſchauung, 
118 deren einfache Konfequenz es auch erſcheint, wenn v. Liliencron der vangelifchen 
Kirche den Nat giebt, „den ganzen breiten Strom der herrlichften und erhabenften 
Runftichöpfungen dreier Jahrhunderte aus der tatholiſchen Kirche“ in ihren Gebrauch 
herüberzunehmen, und wenn mod vor furzen auf dem dritten deutfd) evangeliſchen 
Rirgengefang-Vereinstag zu Halle unſre Frage mit einem ziemlich accentuierten Nein 
and einem jo zueitdhaftenden Ia beantwortet worden ift, daß ein Mitglied derjelben 
Berfommlung e$ für notwendig erachtete, dieſes Ia denn doch „etwas entſchiedener 
auszufpredden”. Und doch kann die deutjche evangelifce Kirche der ewigreichen Hand 
Gottes, des Seren, nit genug danken, daß ihr der unermeßliche Schat eigener 
firenmufif in den Schoß gelegt wurde, den fie in Wirkfichfeit befigt, ein Schatz, 
der für die gefamte deutſche Tonfunft von grundlegender Bedeutung geworden ift. — 
Die tatholiſche Kirche eilt in ihrem Gottesdienft nur die objeftive Seite des reli 
ſen Verhältniſſes dar, dns, was Gott dabei thut, ohne die menſchliche Seite in 
Iebendige Wechſelbeziehung zur göttlichen zu fegen. Es fehlt ihr als handelndes 











7 


Subjelt des Gottesdientes die Gemeinde. Daher vollzieht fie die gottesdienftlih 
Alte durch ihren Klerus und Herifalen Chor nur vor dem Bolt in der Kirk, 
fühet diefem die Heilsthatſachen als fertige, den Sinnen erneute Gebilde in mögliz 
ſtem Ganze der äußeren Erfheinung zum bloßen Anfcauen vor und läßt de 
Menſchen die Seligteit ohne fein perſönliches Hinzuthun allein durd) die Objettivii: 
der kirchlichen Gemeinſchaft verbürgen. Aus folder Anſchauung heraus, im jolden 
und für folhen Gottesdienft entjtand die mittelalterliche katholiſche Kirchenmuſit, aie 
eine in unperfönlicher Allgemeinheit über das Bolt in der Kirche hinklingende, niet 
aus deffen eigenften religiöfen Empfinden herausllingende Lyril. Diefe Mufit ont 
dem Zuge nad typiſch feftftehenden Formen, der durd den katholiſchen Gottesdiertt 
geht, leicht folgen, und fo fehen wir denn auch frühe ſchon eine typiſche Behandlungs 
weiſe bei derfelben ſich herausbilden, die im großen und ganzen, unberührt von der 
fortjgpreitenden Muſikennvidlung, ihrem innerften Wefen nad bis heute Diefelbe ge 
blieben und über einen beſtimmten Kreis allgemeiner feierlich religiöſer Ausdruds- 
weife nicht Ginausgefonmen iſt. — Die evangeliſche Kirhe ging von Anfang ar 
von dem Grundfag aus, daß die objettiven Heilögüter des Chriftentums erit j: 
wirllichen Gütern und fruchtbar für das Leben zu machen find, weun fie auf di 
fubjeftivfte Weife angeeignet, in jedem Chriften lebendig und wirtſam werden. de 
dem Ende will fie, daß im ihrem Gottesdienft die Heilsthatjachen nicht blok ir 
Bilde angeſchaut, fondern fortgehend mit erfebt werden. Dieſes Miterleben ehe 
ſchafft ihr aus dem Volt in der Kirche die driftliche Gemeinde, die das objekis 
vom Herrn Dargebotene in Wort und Saframent in allewege zur Grundlage bit, 
und gleichwohl exft durch die jubjettive Aneignung diefer Gnadengüter vom göttlider 
Lebensftrom durchdrungen, zu einem lebendigen Leibe wird, am dem Jeſus Chriftes 
das Haupt it. Durch folde Lebendige Aneignung aber wird eine ganze Bei 
mannigfaltigſter religiöfer Gefühle und Stimmungen in der Gemeinde entbund 
die im Gottesdienft zur Ausſprache und Darftellung gelangen jollen. Soweit dir: 
Ausſprache durch das Medium der Kirchenmufit geſchehen kann, reichte die mitte 
alterlich:tatholifhe Kirhenmufit weder an Tiefe noh an Reichtum der Ausdruck 
fühigfeit hiczu aus. Die evangelifce Kirche mußte ſich alſo aus ihrem eigene 
Geifte Heraus eine neue Kirchenmuſik bilden, und der von Luther mit dem Tiejblit- 
des Genius gelegte Orund- und Cdftein derfelben ift der den Gemeindegelang 
ftimmte ewangelifhe Choral in volfsmäßiger Liedform. Cr iſt die eigentlick, 
— da alle weiteren Formen funftnäßiger Mufit unfrer Kirche aus ihm bes 
gegangen find — ſtreng genommen die einzige Kunftleiftung derfelßen, ganz 
wie dies bei der römiſchen Kirche mit dem gregorianiſchen Cantus firmus dei 
iſt. Ans der funftmägigen inftrumentalen Behandlung des Chorals auf der Ing 
Hat ſich fodann die deutſche firglihe Orgelmufit als eine weitere der evangeliige 
Kirche eigene Kunftform Herausgebildet, eine Kunftjorm, welche die katholiſche Kixt 
nicht hat und nicht Haben Tann, weil der gregerianifche Cantus firmus in jene | 


748 Rircenmufik, 























Kirhenmufik. 7149 


weientlihen Vofalität eine inſtrumentale Behandlung im Grunde gar nicht zuläßt. 
Die Figuralmufit endlich, wie fie in der deutſchen edangeliſchen Kirche in durdaus 
eigentümlicher Weife geſchaffen worden ift, ruht auf der Grundlage des Chorals 
und der Orgelmuſit zugleich. Dies find die Zweige evangeliſcher Kirhenmufit, die 
num einzefn noch näher zu betrachten fein werden. Ihnen tritt als nicht eigener, 
fondern aus der mittelalterlich? tatholiicen Kirche entlehnter Nebenzweig mod der 
Altargefang Hinzu. 

II. Sollte der evangeliihe Choral ein gottesdienftliches Darftellungs- und 
Erbauungsmittel für die Gemeinde, d. h. für eine Kufligjreligiöfe Bereinigung von 
Einzelperfönficpfeiten der verſchiedenſten Bildungsftufen werden, der Gemeinde als 
folder die Beteiligung am muſikaliſchen Teile des Gottesdienftes ermöglichen: fo 
mußte er motwendig die vollsmäßige Liedform annehmen, eine Form, die ja ind 
Gefondere dem deutjchen Volle gleihfam angeboren ift. Num war zur Zeit der Re— 
formation bereits ein aus dem deutfchen Bollsgemit erbfühter anfehnliher Schab 
zeiſtlicher und weltlicher Melodien vorhanden, Erzengniffe eines naiven, urfprüng« 
fiöjen Kunſttriebes, jener „Kunft ohne Kunft, deren Grundzug“ — um mit dem 
Üfthetiter Viſcher zu reden — „die Schönheit der Unſchuld ift, die nicht fid) ſelbſt 
and ihren heiligen Wert erfennt." Diefe Melodien boten ſich entweder ohne weie 
tere, oder doch unter nur mehr oder weniger Leichter Neuftilifierung als die 
goldenen und filbernen Gefäße dar, die mit dem religiöjen Gefühlsinhalt der Ne: 
iormation geffilt und geweiht und zum Dienfte im Heiligtum der Kicche herüber- 
jenommen werden konnten. Sie bildeten überdies das Formenmedium, durch das 
inige wenige dem gregorianiſchen Gefang entnommene Melodiengebilde hindurchgehen 
mußten, um zu evangeliſchen Choralmelodien zu werden. — Als einem Liede eignet 
em Choral gemeinfam mit aller Lyrik das Requifit der Subjektivität, und es wurde 
vereitö angedeutet, warum er, um im evangeliihen Gottesdienft als Darftellungs- 
nittel dienen zu können, dieſes Requifit haben, warum er und die auf ihm ber 
uhende evangelifche Kirchenmuſit des Ausdrudes jubjettiver Empfindung fähig fein 
muß. Allerdings nicht des Ausdruds jenes Franfhaft jubjeftiven Empfindens , wie 
83. 2. in vielen Ergeugniffen des Bietismus zur Erfheinung gekommen ift. Uber 
ndem der Choral die fubjeftive Empfindung in ihrer Tiefe erfaßt und rein und 
oll zur Ausſprache bringt, erhebt er fie objeftivierend über den niedrigeren Kreis 
es Empfindens der Einzelperfönligfeit und macht fie zur geläuterten Geſamt- 
mpfindung der Kollektivperſönlichkeit, welche die Gemeinde darftellt, wird zum Inter- 
veten des Gemeindegefühls. Und dies dadurch, daß er „als kirchlicher Vollegeſang 
uf das allen, nicht bloß den Gebildeten und Reichen am Geifte, fondern aud den 
öinfältigen und Armen Angehörige, allen Gemeinfame, alle gleihmäßig Erhebende, 
uf das aus dem gemeinfamen Glaubensgrund Entfproffene und darum Volksgemäße 
erichtet iſt. Der Singer eines echten Kirchenliedes wurzelt und lebt in der Ge- 
veinfhaft, zieht aus ihr feine geiftige Nahrung und feine Stimmung, die darum 






»50 Rirchenmuſik. 





nicht bloß als die des Subjetts erſcheint, ſondern zugleich die Stimmung aller — 
jo daß das von ihm Geſungene ebenſo der Ausdruck der innerſten Empfindung ale 
wie der jeinigen, das Cigentum eines jeden einzelnen von allen, wie das feinige 
und als ſolches von allen anerfannt, erfaßt und darum mit freudiger Vegeifterur; 
gefungen wird." So hat der Choral in Wahrheit und Wirllichten die Kraft, ix 
eingelnen das Gefühl der Zufammengehörigfeit mit dem Ganzen zu werden, us 
wird dadurd zum plaſtiſchen Ausdrud des Gemeinſchaftsgefühls der evangeliid 
Gemeinde. Dazu fommt noch, daß dem Choral aud die Fähigfeit inne wohnt, cu 
die Stimmungen der einzelnen Weite und Zeiten des Sirdenjahres einzugehen und 
Die denfelben eigenen Empfindungen anzuregen und zum Ausdrud zu bringen, mist 
mar in Verbindung mit dem Worte des Kirdenlieds, ſondern aud ſchon für fit 
allein. Jeder evangelifhe Chrift, der das Leben feiner Kirche mitlebt, weiß es aus 
Erfahrung, daß ein Choral, auch wenn er mur gefpielt wird, das zugehörige Sir 
ins Gedachtnis rufen und mitten in den Stimmungskreis eines kirchlichen Weiter 
verfegen fann. Und wenn Goethe einmal fagte: „Ich Höre die alten Weihnachtslieder 
fo gern,“ jo waren es ſicherlich vor allem auch die Melodien, weldje er liebte, weil 
fie felige Weihnachtsempfindungen in ihm wedten. Dadurch aber erhält der Choral 
typiſche Bedeutung für das kirchliche deben und wird zum Cantus firmus der 
Wwangeliſchen Kirche in ganz derfelben Weife, wie es der gregorianifhe Choral für 
die iathouſche ift. Wo immer er erflingen mag, fühlen wir uns auf lirchlichen 
Boden, und jedes Muſitſtück, das ihn anklingen läßt, oder ihm in entipredender 
Weiſe verarbeitet, dharakterifiert fih dadurd als ein firchliches und erhält durch ihn 
entweder die allgemeine Signatur der Kirchenmuſit, oder die bejondere Spige einer 
ſolchen für ein beftimmtes Feſt, einen beſondern kirchlichen Tag, gleichviel ob es fü 
Gefang, oder für Iuftrumente, oder für beides zufammen geſchrieben it. — Co bet 
die deutfche ewangelifche Kirche an ihrem Choral einen Kirhenmufifatiicen Schag den 
hödften inneren Werte und von fat unfberfehbarem Reichtum, einen Schag, dem fein 
andere Kirche auch nur entfernt Ähnliches an die Seite zu ftellen Hat. Und er ift ihr 
volftändiges Eigentum, wie oft auch neuere katholiſche Symmologen die Behauptenz 
wiederholen mögen, er fei nur entlehnt, nur aus der katholiſchen Kirche herüber genommen. 
Denn aud die im Verhältnis zur Gefamtmaffe unfres Choralſchates verſchwindend Heine 
Anzahl von Melodien, die aus dem gregorianifchen Kirchengeſang und dem vorrefer- 
maloriſchen geiftlichen Voltsgelang in den Gebrauch der evangeliſchen Kirche überging, 
ift eben dadurch aud zu deren Eigentum geivorden, daß fie aus ihnen erft das ge 
macht Hat, was wir unter Choral verſtehen. — Vermöge feiner typiſchen Bedeutung 
für das firgfiche Leben fonnte der Choral im Verlauf der geſchichtichen Entwidlung 
der evangeliihen Kirchenmuſik zunähft Grundlage und treibendes Motiv der dentide 
tichlihen Orgelmufif werden. Die Orgel war von jeher das eigentliche Kirher 
inftrument und erſcheint vermöge der elementarifcen Fülle und Kraft (— „aus de 
Kernfpalte der Orgelpfeife ſtrönt der Wind mit einer Geſchwindigleit von I6--12% 














Kirchenmufik. 751 


Borifer Fuß, alfo mit der Geſchwindigkeit eines heftigen Sturmwindes” —) und 
der gefättigt idealen Ruhe ihres Oefamttones, wie vermöge des überfließenden Reiche 
hama ihrer unendlich mannigfaftigen Tonfarben, des Ausdruds der veligiöfen Em- 
pfindung nad) jeder Richtung umd gerade ſoweit fähig, als dies für den Gottestienft 
ongemefien iſt, alſo für den Dienft der Kirche gieichſam prädeftiniert. Zu ihrer 
vollen Bedeutung und lirchlichen Wirde aber ift fie erft vom 17. Jahrhundert an 
in der deutſchen ebongeliſchen Kirche gelangt. Im der älteren Zeit war fie ſchon 
nad} der Seite ihrer mehanifgen Einrihtung, ihrer Ausbildung als Infteument noch 
nicht ſoweit vorgeſchritten, daß fie Höheren mufifafifhen Anforderungen genügen 
tonnte. Und aud wenn dies der Fall geweſen wäre, Hätte fie den ihr eigenen 
Stil in der älteren Tomalität dod) nicht auszubilden vermodt; fie war es daher 
hauptſachlich, welche die Umbildung der alten Tonalität in das moderne Tonſyſtem 
bewirkt hat. Die Grundfage der deutfchen Orgelmuſik wurde der evangeliſche Choral; 
an ihm, „an dieſen aus dem Herzen des Boltes Herausgedrungenen ürweiſen, fand 
die Orgellunſt das Naturelement, den lautern, underfälſchten Inhalt, der fie ftärkend 
nad allen Richtungen durchdrang.“ Aus der unerſchöpflichen Fülle neuen melodir 
hen und harmoniſchen Stoffes, wie fie aus der Liedweiſe des Chorals zufloh, 
tommte ſich mad den im Wefen der Orgel als Inſtrument gegebenen Gejegen der 
Formenbildung ein deutjch-kirchlicher Orgelſtil entwideln, der, weil er durchaus innert 
der deutſchen evangelifchen Kirche und in ihrem Gottesdienft entftanden ift, den eigent- 
ichen und eigenften Kirchenmuſitſtil unfrer Kirche darftellt, auf dem aud unfre ger 
ame Figuralmuſik beruht. Das Verftändnis für diefe eminente Bedeutung der 
Orgelmuſik in unſrer Kirche aber ift im der Zeit des kirchlichen Rationalismus 
yänzlich verloren gegangen und auch von der Gegenwart noch nicht in feinem vollen 
Amfange wieder zurüc gewonnen. Noch ift die Anficht ziemlich allgemein verbreitet, 
ie Drgel Habe im evangeliſchen Gottesdienft feine andre Aufgabe, als die, den 
Senreindegefang zu Leiten und zuſammenzuhalten, und daf fie auch hierbei noch ſich 
sch ja zurüchhalte, ja nit vortrete, — dies mit der ängſtlichſten Sorgfalt immer 
ind immer wieder einzufhärfen, hat kaum ein neuerer Liturgifer verfäumt. Schr 
ezeichnend ift in diefer Hinſicht auch, daß in einer der befannteften neueren Samm- 
ungen liturgiſcher Formulare mit zugehöriger Mufit das Wort Orgel, wenigftens 
> weit wir zu jehen vermochten, gar nicht genannt ift. Daß die Orgel jhon als 
3egleitungsinfteument den Hohen Beruf Habe, den kirchlich charatteriſtiſchen Stimmungs- 
intergrund für alle evangeliſche Kirchenmuſit zu bilden, daß fie aud bei der Be- 
leitung des Gemeindegefanges eine fünftlerifche Aufgabe zu erfüllen habe — freitich je 
ad den gegebenen Verhältniſſen vielfach im der einfachften Weile —, und daß chen 
1 fold; fünftleriic Rilmäßiger Orgelbegleitung hauptfächlich auch eines der Geheimniſſe 
er Neubelebung unſres Gemeindegejangs liege und nicht etwa in der bloß äußerlichen 
Biedereinführung des fogenannten rhythmiſchen Chorals: davon will man nichts 
oiften. Noch weniger aber it man im allgemeinen gewillt, der Orgelmufit auch 


752 Rirchenmufik. 


eine felbftändige liturgiſche Bedeutung im evangelifhen Gottesdienſt zuzugefteber 
Und doch Hat diefelbe durd den Choral, den fie ſich eingebildet Hat, die Fähigkeit. 
das fiturgifche Wort in ihrer Weiſe zu verfündigen, in die Stimmung des jeweilige 
Gottesbienftes einzuleiten, fie, indem fie die einzelnen Momente desjelben verbinde, 
wach zu halten und zu vertiefen, und fie dann in dem pax vobiscum, das fie ım 
Schluffe der Gemeinde mit auf den Weg giebt, ausflingen zu laſſen — diefe Fähn 
feit hat fie in vollem Maße erhalten. Oder follte fo ein Bach ſcher Orgelchore 
wie „In dulei jubilo“ nidt auch 3. B. ein Introitus zum Hauptgottesdienft am 
Weihnachtsfeſte und dem evangelifgien Gottesdienft vielleicht ebenſo angemefien, werz 
nicht angemeffener fein, als eine alte Pſalmodie, die man, fo gut oder fo fchleht « 
eben gehen wollte, für eine deutſche Tertunterlage zugejtugt und im gezwungen arde 
fierender Weife Harmonifiert Hat? Freilich ift dann auch die thematifhe oder mot 
viſche Verwendung des Chorals ein unerligliches Erfordernis für die lirchliche Orgel 
mufit, und alle die geiftes- und gedanfenarmen Spielftüde und Stüddhen, die ai 
fogenannte Voripiele in den Präludienbüchern paradieren, können als kirchliche Orgel 
mufit nicht gelten und dürften daher von Rechts wegen als ſolche auch nicht Verwendet 
werden, Es befigt aber die deutſche ebangeliſche Kirche allein in den Orgelmwerten 
Sebaſtian Bas ſchon einen Schag gottesdienftlicer Muſik von unvergleiclicen 
fünftlerifcen und lirchlichem Werte, und diefer Schah ift nit nur durch die Ver 
gänger und Zeitgenofien diejes größten Meifters der Orgel, fondern duch dur 
fpätere am feinen Werten gebildete und ihm mit größerem oder geringerem Crfels 
macftrebende Orgelfomponiften noch anfehnlic; gemehrt worden. Dem wieder: 
erftandenen Bad) Hat es die enangelifche Kirche augerdem noch zu danfen, wern 
unfee Zeit mehr und mehr einfehen lernen wird, daß das Verwerten und Fruchtbor— 
machen diefer Werte flir die Reflauration der gottesdienftlihen Orgelmufit mit ein 
ihrer wichtigſten kirchenmuſilaliſchen Aufgaben fi. — Aus der auf dem Cherel 
ruhenden Orgelmufit ift von Seb. Bad auch die evangelifge Figuralmufit 
herausgebildet worden. Bad, „auf der Höhe der Orgelfunft ftehend, fand in ihren 
Ausdrudemitteln feine Genüge nit mehr. Um dem Ideale (einer evangefiicen 
Kirhenmufit), das ihm vorſchwebte, näher zu kommen, zog er Menfdenftimmen und 
mehr und mehr andre Inſtrumente Hinzu. Cr griff auch hinüber in die miht 
türchlichen Kunftformen feiner Zeit und erweiterte durch fie Diejenigen Formen, welce 
der Orgel allein gehörten. Er umfaßte fo allmählich die gefamte damalige Tan 
welt, aber alle neuen Elemente wußte er mit dem Geifte der Orgelmufit fo ; 
durddringen, daß fie ein vollſtändig kirchliches Gepräge erhielten." Co ift die 
VBah’fäe Kirchenkantate entftanden, welche die eigentliche Figuralmufif unfrer Kine 
darftellt, wie wir dies in dem Artikel „Rirdienfantate” bereits des Näheren Darzufeger 
verfügt haben. Der „ganze Tontörper, der ſolch eine Kirchenmuſik zur Darftelung 
bringt, iſt gleichfam eine große Orgel mit verfeinerten, biegfameren und bis zum 
Sprechen individualifierten Regiftern," — die Orgel allerdings „nicht als ein tott 








Rirchenmufik. 753 


mechaniſches Inftrument aufgefoßt, fondern als Trägerin und Symbol der Fird- 
lichen Gemeindeempfindung.” — Es wird num aber von allen den Kirchenmuſilern, 
welhe die weiter oben berührte fathofifierende Anfhauung von wahier Kirchen: 
mufil teilen, die Kantate mit ihren ecitativen, Sologefängen und ihrer In 
frumentafbegleitung nicht als wirklich lirchliche Muſik anerkannt; ihr wird viele 
mehr noch Heute, wie ſchon vom Anfang des vorigen Jahrhunderts an, der Vorwurf 
der Weltformigleit umd theatraliſchen Wefens gemacht. Jene Anfhauung at ſich 
eben felbft die freie Ausſicht verbaut und die Möglicfeit abgeſchnitten, das Ver. 
gältnis zwiſchen lirchlicher und weltlicher Kunft richtig — „nit als einen Gegen- 
lag des Gebicies, fondern nur als einen Gegenja des Geſtaltens“ — zu faſſen. 
Rod) immer meint man in diefem Verhältnis einen ähnlichen Gegenfag erbiden zu 
nüffen, wie etwa den religiöfen zwifchen Reich Gottes und Welt, und biidt daher 
nach den Zeiten, da dieſer vermeintliche Gegenfa nad) nicht beftand, da die Kirche 
10d alle mufitelifdje Kunſt allein befaß, wie nad) einem verlorenen Baradiefe zuriid. 
Allein es wor nit eine Entartung, nicht ein Abfall, vielmehr nur eine ganz natür- 
ie Entwidlung, wenn die mufilalifge Kunft vom Ende des 16. Dahrhunderts an 
uch das Weltlihe in den Kreis ihrer Darftellung zog und Die diefem anders: 
jearteten Inhalt entſprechenden neuen Darftelungsformen des monodiſchen Gefanges 
and der Infteumentafmufik fid) bildete. Und e8 war von diefer Zeit an nit die 
Hufgabe der Kirhenmufil und Tann dies auch weder Heute, mad) gu irgend einer 
Zeit fein, die weltfige Mufit und ihre Formen einfad zu negieren, ſich hermetiſch 
jegen fie abzuſchließen: die Kirchenmuſit mußte und muß fid) vielmehr, wenn fie 
nders eine wirflich lebensfähige Kunft fein und bleiben will, die Fähigfeit bewahren, 
le in einer Zeit febendigen Kunftformen in ſich aufzunehmen und fie ihrem Höheren 
irchlichen Zwede dienftbar zu machen. Dies aber ift in der Bach'ſchen Kantate mit 
sem höchften fünftlerifcen Bermögen und in eminent evangelifg-fichligem Beifte ge- 
sehen. — Ein weiterer Vorwurf, welher der Kirdentantate gemacht wird, ift der, 
06 fie den Gang des Gottesdienftes in fompertmäßiger Weife unterbrege. Allein 
nd; er rührt davon her, daß man von der fathofifhen Anſchauung Über die Idee 
md Stellung des Chores und der kunſtmäßigen Figuralmufil im Gottesbienft nicht 
08zufommen vermag. Den einen unter den Liturgifern der evangeliſchen Kirche iſt 
er Chor der Mepräfentant der idealen Gemeinde, der objektiven Kirche, ja der 
Höre der Engel, die, während die irdiſche, reale Gemeinde ihren Choral fingt, 
war in einem Geifte mit ihr, aber in höheren Weifen dem Herrn ihre Loblieder 
varbringen. Sie tommen zum Heritafen Chor, der aber nicht der evangelifhe it, 
— wie denn wirflid die preußifhe Agende von 1822 5. B. alle fiturgifhen Ger 
angftüde, welche nad dem Gemeindeprincip unfrer Kirche mar von der Genteinde 
‚efungen werden follen, dem Chor Übertragen Hat und damit volftändig zum latholiſch- 
Leritofen Chor zurüdgefehrt it. Im direften Gegenfag hiezu it der Chor für 
andre nichts, af der Tonangeber und Stimmführer der Gemeinde, der als ein 
Rümmerle, Gnchtl.d. evang. Rirhenmuft. 1. 48 





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Ausſchuß geübterer Sänger aus derfelben nichts weiter zu thun Hat, als ihren Ge 
fang zu ftügen und zu leiten, der aljo folgerichtig überflüffig wird, ſobald die Et 
meinde folder Unterftügung und Leitung nidt mehr bedarf und am wenigften ci 
ein innerlich notwendiges Imftitut des Gottesdienftes angejehen werden darf. Det 
find die Rigoriften, denen das künſtleriſche am ſich ſchon verdächtig ift und die daher 
nicht ängftlic genug vor einer zu „Hohen Taration der Mufil gegenüber dem Worte 
Gottes“ warnen Tonnen. Noch andere machen den Chor zum „lyriſchen Evan 
gefiften" der Gemeinde, der das Charisma höherer mufitalifer Begabung und Bil 
dung dem Herrn zu weißen und damit zugleich auch der Gemeinde zu dienen ho, 
deren veceptive Empfängficteit über das Maß ihrer produftiven Kraft hinausgehe, 
und für die der im der kirchlichen Kunftmufit beſchloſſene Segen fruchtbar zu maser 
fei. Wirklich ift der ebangeliſche Kirchenchor aud allein al eine rein Künftleriih- 
muſilaliſche Inſtitution zu faſſen, und feine Miſſion im Gottesdienft befteht darir, 
diejenigen Stimmungen der Andacht zur Ausfprahe und Darftellung zu bringen, 
die eben nur im Gewande der Kunſtmuſit vollfommen angemeffenen Ausdrnd finder 
tonnen. Und der rihtige Play, an welchem der Chor im Gottesdienft — der je 
nicht „Handlung“ im dramatifcen Sinne Richard Wagners if — innerlich not 
wendig eintreten muß, ift jedesmal da, wo die durch Gottes Wort gewedte tim 
mung einen Höfepunft erreicht hat, auf dem fie nur im Höheren Chor der Kunſt 
muſit (out werden kann, und am dem es der Gemeinde Bedurfnis wird, fih 
Tontempfativ in diefe Stimmung zu verjenfen, um ihres vollen Segens teilhaftig z 
werden. Zwar Kat felbft Mendelsjohn einmal gejagt (Reifebriefe II, 1864. ©. bi 
„Cine wirkliche Kirhenmufit für den evangeliſchen Gottesdienft, die während der 
tirhfigen eier ihren Plag fände, ſcheint mir unmöglich, und zwar nicht bloß, weil 
ich durchaus nicht jehe, an welcher Stelle des Gottesdienftes diefelbe eingreifen follt, 
fondern weil ich mir Überhaupt diefe Stelle gar nit denfen Tann,“ und viele fin 
mod heute feiner Meinung. Die evangelifce Kirche aber Hat, nachdem fie einmal 
eine eigene Kirchenmuſik Hatte, ganz wohl gewußt, am welchen Stellen fie Diefelbe zur 
Steigerung der Wirkung des Gottesdienftes verwenden ſoll. Spitta (Bad I. €. 
93 ff.) Hat dies an der „Ordnung des lutheriſchen Gottesdienftes zu Leipzig” zur 
Zeit Bachs (zum Teil nad Bachs eigenhändiger Aufzeichnung) nacgewiefen. Bir 
führen Gier als Beifpiel noch die Ordnung des Hauptgotteßdienftes am erften Mdvente: 
fonntag aus dem Sachſen -Weißenfelſiſhen Gefang: und Kirhen-Buh“ 1714. ©. 
3—20 wörtlih (nur unter Auslafjung der Texte und Melodien und unter Ber 
anfegung der ausführenden Organe) an: 
1. (Chor) „wird ein Introitus muficeret” (Motette Hosianna Filio David erc.; 
2. (Gemeinde) „wird der 19. Bfolm D. Corn. Beders (nadı Hein. Shüb" Mel.) ge 
fungen; 3. (Chor) „Missa muficeret* (Kyrie etc.); 4. (Piturg) „intonieret var Ale: 
Gloria in excelsis Deo“; 5. (Cor) „Missa vollfügre” (Et in terra pax ... De 
Patris. Amen); 6. (Gemeinde) „wird gefungen: Allein Gott in der HL fei Er 
7. (@itu rg) „Collecta“; 8. (Citurg) „Wird die Gpifel verfefen“; 9. (Gemeinde) „wi 


754 Rirdenmafik. 


Rirhenmufik. 755 


gefungen: Nun komm der Heiden Heiland“ (Hauptfied); 10, (Piturg) „wird das Evan- 
gelium verlefen“; 11. (Ehor) „darauf ein Stüd muſicieret“ (nämlich die Kantate, als 
„Hauptmufil”: wenn fie zweiteilig war, der erfle 12. (Gemeinde) „folget der 
Glaube: Wir glauben all an einen Gott”; 13. (Gemeinde) „bey der Predigt, vor dem 
Baterunfer, wird gefungen: Herr Jeſu Ehrift, did zu uns wend“ (Ranzellied, Predigtlied); 
14. (Chor) „nad; der Predigt wird ein Stüd muficeret“ (Kantate, 2. Teil); 15. (Ge- 
meinde) „alsdann wird gelungen: „Here Ehrift der einge Gottes Sohn“; 16. (Riturg) 
„Collecta und Segen“; 17. (Gemeinde) „zum Beſchluß wird gefungen: Sei Lob und 
Ehe mit Hofem Preis.” 





Das ift die Ordnung. eines Gottesdienftes unſrer Väter eben aus der Zeit, 
3a die evangelifche Rirchenmufit dem Höhepunkte ihrer Entwielung fih nahte: follte 
ine ſolche Ordnung für unfre Zeit nicht mehr angemeffen fein? Bei folder Ein- 
ichtung iſt für die Figuralmuſit ein beſtimmter Play gefunden und die Ber 
orgnis, daß die Kunft einen zu großen Einfluß im Gottesdienft gewinnen fönnte, 
aum gerechtfertigt. Wo man die Bedeutung der evangeliſchen Figuralmufit richtig 
fennt, da wird man fie freudig als eine Mithelferin am Bau des Reiches Gottes 
segrüßen und ſelbſt das als einen der Kirche und dem Gottesdienſt geleifteten. föft: 
(den Dienft anfehen Können, wenn unter Umftänden auch fie allein e8 einmal fein 
ollte, welche entfremdete Glieder der Kirche wieder zuführt, — Als an der. Peri« 
herie des Kreiſes der gotteödienſtlichen Kunftmufit der evangelifgen Kirche liegend, 
venm nicht ganz außerhalb diefes Kreiſes fallend und einen allein ins Gebiet der 
Liturgil gehörenden Nebenzweig bildend, ift mum mod auf den Altargefang ein 
Bid zu werfen. Zuſammenfoſſend verftehen wir darunter alles das, was außer 
»em Chorafgefang der Gemeinde und dem funftmägigen Figuralgefang des Chores 
im evangelifhen Gottesdienft noch gefungen wird, alfo den reritativifgen Gefang 
zes Liturgen — den Accentus —, und die im.engeren Sinn liturgiſchen Gefange 
tüde der Gemeinde, event. des Chores — den Concentus. Alles dies Hat die 
wangelifhe Kirche aus dem mittelalterlic-tatholifgen Kirchengeſang herübergenommen, 
8 aber ihren goftesdienftlichen Prineipien und Bedüirfniffen gemäß umgebildet. 
Schon das Unterlegen deutſcher liturgiſcher Worte, ftatt der Inteinifhen, bedingte 
iormmale Anderungen minder wefentliher Art; wichtiger war die Übertragung der- 
enigen Stüde, welde in der fatholifhen Kirche der klerilale Chor fingt, an die 
Hemeinde, fowie das teilweiſe Erfegen diefer Geſangſtücke durch deutſche Sirden- 
ieder in der „deutſchen Meſſe.“ Dadurch erhielt die Gemeinde, das handelnde Sub⸗ 
ieft im Gottesbienft, ihren rechtmäßigen altiven Anteil aud am dieſem Teile des 
elben zurüd und der Chor Tonnte ma und mad aus einem kleritalen zu einem 
wangelifhen, aus einem fiturgifß-mufifafifhen zu einem rein muſitaliſchen Inftitut 
amgebildet werden; er fonnte, nachdem ihm aud die Aufgabe der unterftügenden 
Begleitung des Gemeindegefangs, die er bis ins 17. Jahrhundert herein noch hatte, 
durch die Orgel abgenommen war, feinem rein künſtleriſchen Beruf mehr und mehr 
gerecht werden. Nad der Meinung vieler neueren Liturgiker wäre aber dieſe durd« 

48* 


756 Airchenmuſik. 


aus folgerichtige Entwicllung eine der Haupturſachen des Verfalles geweſen, in md 
Gen der evangeliſche Gottesdienft in Kiturgifhemufifafifcer Beziehung geraten ift. dv 
der Meftituierung des Altargeſanges wird deshalb vielfad alles Heil für die en 
ſprechende Neugeftaltung des Gottesdienftes gefuht, auf fie hat ſich die Hauptthätig: 
feit der Liturgiter unfter Zeit faft ausſchliehlich gerichtet. Vom Standpuntte da 
Kirgenmufiters aus Tann man nun zwar den liturgiſchen Wert des Aftargefanget 
volltommen anertennen, fann aud der Anhänglihfeit, mit der die Gemeinden cin: 
zelner mittel und norddeutſchen Landeslirchen an demfelben fefthalten, alle Ehre 
widerfahren laffen, — und doch der Überzeugung fein, dag die Wiederbelebung det 
Choralgefangs und der kunſtmähigen evangelifien (nicht katholiſchen) Kirgenmuhit fir 
die deutfhe evangelife Kirche zunachſt wenigftens wichtiger fein dürfte, als die des 
liturgiſchen Altargeſangs. — 

IH. Das Geburtsjahr des evangeliſchen Kirchengeſangs war das Jahr 154, 
fein Etiftungswort Luthers bekannter Ausſpruch: „Ih bin willens deutſche Pialmer 
für das Volt zu maden, nämlich geiftlihe Lieder, damit das Wort Gottes aus 
durch den Gefang unter die Rente komme“ (Brief an Spalatin, um Neujahr 1524), 
fein durchſchlagender Grundton Luthers Pied: „Nun freut euch, lieben Chriften 
gmein, und faft uns fröhlich fingen" — und das Prototyp des deutſchen evange 
uͤſchen Kirchengeſangbuchs das „Adtliederbud”, das ebenfalls im Jahr 1524 
ſchienen ift. — Die erfte Periode der geigigtligen Entwidiung der evan- 
gelijgen Kirchenmufit läßt fid mit den runden Jahreszahlen 1525 — c. 1640 
abgrenzen und im allgemeinen dahin daratterifieren, daß dieſelbe während bier 
gangen Zeit die Grundlagen der mittelafterlich -tathofifgen Kirgenmufit prindpiet 
feſthielt und nur erft die vorbereitenden Anfäge zu einzelnen eigentümlicen Res 
bildungen zeigt. Es war dies auch kaum anders zu emvarten: denn einerjeit 
wollte ja die evangeliſche Kirche nit einen Gegenſatz zur katholiſchen darftellen, jer- 
dern „mur eine geläuterte Form derfelben auf gleicher Grundlage” ; andrerfeits mar 
«8 ihr and gar nicht möglich, „gegenüber einer Kunſterſcheinung von fo erjtaunlicer 
Vollendung“, wie fie von der polypfonen Bofalmufit gerade im Reformation 
jahrhundert erreicht wurde, „fofort eine neue lebenskräftige Kunſt zw fchaffen.“ 
„Wenn die Reformation namentlich für den Kultus nicht das zu leiften ſchien, mas 
fie für die Lehre gethan Hat, jo gefhah dies von dem ganz rigtigen Gefichtspuntte 
aus, daß erft das Innere vollendet und ſicher Hergeftelt fein müffe, bevor 8 zer 
äußern, fihtbaren Form aud in der Kirgenmufit gedeihen könne.“ Es war alis 
felöftverftändlich, daß die evangeliſche Kirche zunächſt an Muſit aus der Latholiicer 
Kite herübernahm, was „rein“ war, d. h. was dem Textinhalte nad den rim 
matoriſchen Lehrgrundfügen nicht widerſprach, und daß fie durch Einführung ie 
voltömäßigen Gemeindegefangs nur erft den Grundftein einer neuen, ihr eigentim 
lien Kirhenmufil legen Tonnte. Woher fie die Melodien des Gemeindegeiunp 
während dieſes ganzen Zeitraumes nahm, fowie die Bedingungen, unter welden dirk 





Airchenmuſik. 37 


auch daher genommen werden konnten: dies wurde bereits in dem Wrtifel „Choral“ 
kurz erörtert, und da die damalige Orgelmufit in kunſtleriſcher ſowohl, als in 
tirchlicher Beziehung noch faft ganz bedeutungelos war, fo bleibt für diefen Zeitraum 
nur übrig den funftmäßigen Tonfag der evangelifgen CHoralmelodien 
für Die Zwece des Kirchenchores näher zu betraditen. — Im Bezug anf ihn Inffen 
fich innert der erften Beriode zwei Zeitadſchnitte unterjheiden, von denen der erfte, 
wieder im runder Zahl, die Jahre 1525—1575 umfaßt. Das ältefte Dokument 
funftmäßigen Sages unfrer Choralmelodien, das „Chorgeſangbüchlein“ von Johanu 
Walther (vgl. den Art.), dem Urtantor der evangelifhen Kirhe, mar 1524 und 
1525 erſchienen. Es behandelte, gleih allen ihm zunächft folgenden Chorblchern, 
den Choral ganz in derfelben Weife, wie in der Volalmuſik der Tatholifhen Kirhe 
der gregorianiſche Cantus firmus behandelt wurde: die im Tenor liegende Choral 
melodie bildete die Grundfage und den Mittelpunkt des mehr oder weniger reich 
entwidelten Gewebes der Tontrapunftierenden, unter fih gleihberehtigten übrigen 
Stimmen. Und fo natürlich erihien jener Zeit die Verwendung unfrer Delodien 
als Zenore der Tonfäge, daß ja auch viele der größten latholiſchen Komponiften fie 
ohme weitere benüigten, nicht eiwa um evangeliſche Kirchenmuſit zu machen, fondern 
weil fie ihnen von rein fünftferifgem Gtandpunft aus als Melodien‘ urkräftigen 
muſitaliſchen Inhalts zu folder Verwendung befonders tauglich erſchienen und gleich- 
ſam allgegenwärtig waren. — Im zweiten Zeitabſchnitte der erſten Periode, den 
wir allgemein mit den Jahren 1575 —c. 1640 begrenzen können, traten Under 
rungen ein, die teils im Wefen des Chorals ſelbſt, teild aber and in den prattiſchen 
Anforderungen des Gemeindegefangs ihren Grund hatten, Der Choral ift ein 
Tied und die Fiedform verlangte mit Notwendigleit die Kadenzierung der einzelnen 
Melodiezeilen, widerſtrebte alfo einer abſolut freien. polyphonen Behandlung ganz 
ebenfo, wie das weltliche Boltsfied, und mußte daher gleich dieſem zu der einfacheren 
Begleitung im Sontrapunft „nota contra notam“ hindrängen. Dies Hat als 
einer der erften Claude Goudimel richtig erfannt und in feinen einfachen Tonfägen 
über die Pfalmmelodien der reformierten Kirche von 1562 praltiſch zur Ausführung 
gebrat. Es entiprad diefe einfachere Art des Choralfages ſchon mehr auch den 
Anforderungen des Gemeindegefangs, den ja der Chor bis zu der Zeit allein zu 
begleiten Hatte, da die Orgel für ihn eintreten Tonnte. Beides zufammen aber: der 
vereinfachte Sag und die Nüdfiht anf den Gemeindegefang führte fofort noch die 
weitere Neuerung der Verlegung der Melodie aus dem Tenor in den Dislant herr 
Bei, eimer Neuerung, die gewöhnlich, wenn aud nicht ganz genau zutreffend, auf 
Lutas Dfiander und fein Gefangbuh von 1586 zurüdgeführt wird. Bei diefer 
Satweife, mit ihrem Bufanmentreffen der Ctimmen in den Zeileneinſchninen der 
Melodie und ihrem mehr oder weniger parallelen Rhythmus traten die Stimmen 
gegenüber der Melodie in die zweite Linie zurück, fie waren nicht mehr felbftändige 
Gegenftimmen, fondern wurden mehr und mehr harmoniſchen Rüdfichten dienftbar, 





u 


zur Begleitung, alles in der im den Vorreden der Rantionale immer und immer 
wieder betonten Nüdfiht auf den Gemeindegefang, damit „der gemeine Mann die 
Melodien neben dem Figural mitfingen fönne.“ Bon folher Ridfict gebunder, 
iſt im diefer Art des Choralfages viel minderwertige Kantorenarbeit entftanden : das 
befte in derſelben Hat Hans Leo Haßler und die ihm nahftrebenden Melchior Frust 
umd Sohann Jeep, die beide in Nürnberg wohl feine Schüler geweſen find, geleitet 
Gegen das Ende diefer Periode hin Hat dann den Vertretern diefer Art der Choral: 
behandlung auch noch das auf muſilaliſchem Gebiet eindringende Neue das Concert 
verwirrt; fo 3. B. die Chromatit dem Barth. Geſius u. m., die kongertierende Weit 
dem Mid. Prötorins ic, und mande der im Gothaifhen Cantionale sacrum 
von 1648—1657 vereinigten Säge machen durd das Unfigere ihrer Faltur einen 
faſt dilettantiſchen Eindrud (Mid. Altenburg, Barth. Helder u. a.). WS eine Aber 
diefer Satzweife erſcheinen die Höher filifierten Choralfäge Johann Excards und der 
preußiſchen Tonſchule, ſowie einiger weitern Tonfeger derjelben Zeit, da auch fie die 
Stimmen fon mehr nad) harmoniſchen Rüdfigten, als noch freng melodif-pofgpher 
führen. Nad dem Vorgange v. Winterfelds werden namentlid die Eccard'ſchen Choräk: 
in durchaus ungeſchichtcher Weife nod) heute von vielen über Gebühr erhoben, jı 
geradezu als die höchſte Leiſtung kunſtmäßiger edangeliſcher Kichenmufit angefehen. — 

Als die zweite Periode der Geſchichte unfrer Kirchenmuſik bezeichnen wir die 
Zeit von c. 1640-1750. Im ihr bildete fih die unfrer Kirche eigentümfite 
Kirhenmufit aus und erreichte in den Werlen Seh. Bach's den Höhepunkt Haffilfer 
Vollendung. Auch in diefer Periode können füglih zwei Abfhnitte unterſchicher 
werden; eine Zeit der Vorbereitung und Vorarbeit und eine Zeit der Vollendung. 
Den erften Äbſchnitt begrenzen annähernd die Jahre 1640 c. 1710. Im der 
Melodienbildung beginnt — wenn von einer Anzahl Weifen G. B. von Io. Herr. 
Schein und den Tonfepern des Gothaiſchen Rantionafs) adgefehen wird, die urfprüinglis 
Tonfügen älterer Faltır für den Kirchenchor (die Schein'ſchen meift Gelegenkeits 
gefängen) zugehörten und erft aus diefen in den Gemeindegejang famen — im Jah 
1640 mit Johann Grüger und Johann Schop die Erfindung von genuin evangelifä 
firdlihen Melodien für den Gemeindegefang. Die Erfinder derſelben ſchloſſen fs 
vielfad) an einzelne Dichter an, mit deren Liedern zugleich die Melodien Dann in 
den Kirchengebrauch Tamen : fo beifpiefsweife Cruger, Ebeling, Chriftoph Peter u. c. 
an Baul Gerhardt und Ioh. Frand, Schop und die ganze Reihe der Sänger, dir 
man als den „Rif’fchen Cängerfreis" bezei net hat, an Ich. Rift, Heinrich Aber 
u. 0. am die Königsberger Dichter, Werner Fabricius an €. C. Homburg, Nitolazi 
Haſſe an Dr. Heinr. Müller, Georg Joſeph an Angelus Silefius u. f. to.; ander 
erfanden Melodien für beſtimmte Geſangbucher: fo Peter Sohren für feine Ausgak 
der Praxis piet. mel. von 1668 und für fein GB. von 1683, Friedrich Fund fe 
das Luneb. GB. von 1686, die Nürnberger Organiften für das Sauberris 
Nurnb. GB. von 1677 u. 1690 u. ſ. w., umd einzelne Dichter, wie Matibir 
Apeles v. Löwenſtern, Joachim Neander u. a. gaben ihren Liedern gleich ſelbſterfunder 


758 Airchenmuſik. 


Rirdenmufik.. 759 


Melodien mit. Es find diefe Melodien in der neuen Tonalität gefungen und es ift 
ihnen als harmioniſche Unterlage in den Gefangbüchern inmer ein bezifferter Baß bei- 
gegeben, der durch die begleitende Orgel ausgeführt wurde. Man meint mit v. Winter- 
feld noch öfters in dieſer Art der Choraldarftellung ein Armutszeugnis für die damaligen 
Komponiften erbliden zu follen, welche die harmoniſche Ausgeftaltung ihrer Melodien 
wit mehr verftanden Haben. Aber die Organiften jener Zeit mußten ihre Ber 
gfeitung kunſileriſch fo zu geftalten, daß ein fo ausgeführter Choral viele der unge ⸗ 
Ienten Kantorenfäge der äfteren und mod vielmehr die der meiften ansgefeßten 
Choralbũcher unfrer Zeit, die ja allem und allen dienen wollen (— für Orgel, 
Shorgefang, Bianoforte und Harmonium — fteht gewöhnlich auf dem Titel) und 
darum zu nichts decht dienen, in Hinfiht auf Künftlerifgen und kirchlichen Wert 
weit übertraf. — Die deutſche Kirhlige Orgelmufit begründete Sammel Scheidt 
(vgl. den rt.) mit der Herausgabe feiner „Tabulatura nova“ im Jahr 1624. 
Im diefem Werke ift der Choral zum erſtenmial und mit reicher Erfindungstraft 
orgelmäßig behandelt; aus den hier fih findenden Keimen bildeten fih im Laufe 
des 17. Jahrhunderts die Formen des kirchlichen Drgelhoral® und mit ihnen zu— 
glei ein kunftmäßiger Orgelſtil heraus. In treufleißigem und durchaus Krhligem 
Sinne folgten den Spuren Scheidt's zunäct die mitteldeutigen, insbefondere 
die thüringiſchen Orgauiſten — und unter ihnen bereits verſchiedene An 
gehörige der Badfamilie; aber fie vermochten zu größeren geſchloſſenen Formen 
noch nicht durchzudringen. Die nordifhe Organiftenfhule dagegen hatte, 
der Richtung ihres DMeifters Sweelinck folgend, ihr Hauptaugenmerk auf die Aus 
bildung einer vietwofen Orgeltechnit gerichtet und gelangte zwar aud zu einer eigenen 
Weiſe der Choralbehandlung, bei der aber das rein Muflfalifhe in den Vorder- 
grund, das Kirchliche mehr zurlidtrat. Erſt Johann Pachelbel (vgl. den Art.), 
einem füddeutfhen Meifter, der aber längere Zeit in Thuringen (Eifenah, Erfurt, 
Gotha) gewirkt hat, gelang es, im Orgeldoral einen wefentlihen Schritt vorwärts 
zu tun, indem er dem einfach großen Formen der itafienijgen Inftrumental- 
Tomponiften das in Mitteldeutſchland in der Choralbehandlung Geleiftete lebendig 
affimifierle und den Choral gerade in feinen kirchlichen Beziehungen als Objelt kunſt⸗ 
mäßiger Bearbeitung auf der Orgel auffaßte. Er ift fo der eigentliche Borläufer 
Bach's geworden. — Parallel mit der Orgelmufit, und bald in immer nähere Ber 
ziehungen zu ihr tretend, entwidelte fi mun aud die eigene Figuralmufit 
umfrer Kirche. Es war diefe mehr und mehr dazu gefommen, den einzelnen kirch- 
lichen Tag nad feiner Heifsötonomifhen Stellung und Bedeutung im Kirchenjahre 
zu individualifieren; wollte die funftmäßige Kirchenmuſit hierbei mithelfen, fo konnien 
ihre die allgemeinen Stüde der Meſſe nicht mehr genügen; es waren jolde nötig, 
die fpeciell auf die an einem einzelnen Tag gefeierte Heilsthatſache dadurch eingingen, 
doß fie Sprüge aus der jedesmaligen Peritope, oder ein entfpredhendes Kirchenlied 
zur tegtliden und den für den betreffenden Tag typiſchen Choral zur muſiloliſchen 
Unterlage nahmen. So waren fhon gegen Ende des vorangehenden Zeitadſchnittes 


Y 


die „Evangelienfprüge" (5. B. von Meld. Bulpius, Meelch. Frand u. v. a’ 
entftanben,. motettenartige Chorgefänge über fignifitante Sprüche aus den Beritopen, 
die in der Folge als Hauptchöre in die-Kirhenfantate Üübergingen. Wie dann tr 
weiteren neuen Formen der evangelifhen Figuralmufit: das Wrtofo und die deutide 
geiftlihe Arie Hervorgetreten und zuerft einzeln gepflegt worden find, um fpäter 
in der älteren Kirchenkantate vereinigt zu werden, — dies alles war ſcheu 
in dem Artitel „Rirhenfantate” des Näheren zu erörtern, auf den daher verwicher 
werben lann. 

Der zweite Abſchnitt dieſer Periode umfoßt in der Zeit von 1710—1750 
die gefannte Wirffemfeit Sehaftian Bach's, des größten Meiſters der evangeliſchet 
Kirhenmufit, durch den nun alles zu hertlichſter Blüte und reichſter Frucht gedieh, 
was in der vorangegangenen Zeit an Keimen und Anfägen Hervorgetreten war. — 
Zunachſt führte Bach den Orgelhoraf über Pagelbel hinaus zur Vollendung 
Bas diefem noch ‚gefehlt Hatte: die volle Fünftlerifce Freiheit und Einheitlihteit in 
der Kontrapunftierung einer Choralmelodie, das erreichte Bad dadurch, daß er dien 
Konteapunftierung aus einem einheitlichen, meift frei erfundenen, jeltener mir aus 
der Melodie. felbft .Herausgebildeten Motiv entwidelte und dieſes Motiv mit genialer 
Kunft immer fo zu geftalten wußte, daß es den Gtimmungsinhalt der Melodie ori 
dem poetiſchen Vorftellungshintergrunde des zugehörigen Kirdenliebtertes volltommer 
zu muſilaliſchem Ausdrud brachte, und fo dns „fülberne Gewebe bildet, in dem die 
goldene Frucht der Choralmelodie hängt.” Dann aber ſchritt Bach mod zu de 
Höheren Geftaltung der „Choralphantafie” vor, die ein durchaus freies inftrz 
mentales Stimmungsbild darſtellt, das „durch die hineingewobene Choralmelodi: 
von ‚einer helleren poetifen Empfindung durchleuchtet· wird. Damit war er au 
einem Höhepunlt freier inftrumentaler Geſtaltung angelangt, der bereits über der 
Kreis des Kirchlichen Hinausragt und auf die reine Inftrumentalmufil Hinausdente. 
Für Bad, den Kirchenmuſiler, war es daher jegt notwendig, fih „nad einem Mitte 
umgufehen, durch welches das Übergewicht des Chorals wiederhergeſtellt werder 
tonnte, ohne jenen großen Errungenſchaften auf infrumentafem Gebiet Ahbrud) zu 
tun.“ Cr fand diefes Mittel darin, daß er durd die inffrumentale Form zer 
vofalen durKdrang, und in das jelbftändige Stimmungsbild feines Inftrumental- 
förpers „den Chor der Menſchenſtimmen mit dem Kirchenliede eintreten ließ, dat 
nun durch feine höhere ſittliche Bedeutung alles übrige beherrſchte und im -feiz 
(fichlich-gottesdienftliche) Sphäre zwang." Co ift die Bachſche Kirhentantaı 
entftanden, in der neben den Orgefwerlen der eigentliche Schay lunſtmäßiger evar- 
geliſcher Kirchenniuſit beſchloſſen if, ein Schag, der nur der Neubelebung im Gattet 
dienfte und der Fruchtbarmochung für Neubildungen im Geifte und mit den Rust 
mitteln unſrer Zeit wartet. — An neuen Choralmelodien find aud in diem 
Zeitabſchnitte dem kirchlichen Chorahſchaz noch eine ziemlich große Anzahl Bine 
gelommen, und 8 Haben viele derfelben ökumenife Geltung im Gemeindegejang, eir 
doch mehe oder weniger weite Verbreitung im Gebrauche der einzelnen Landes: an 


760 Airchenmuſik. 


Rirchenmufik. 761 


Vrovinzialtirchen zu erlangen vermocht. Am zahlreichſten fanden die den Kreiſen des 
Pietismus entfiammenden „Hale’fgen Mielodien" des Darmftidtiihen Gefangbuhe 
von 1698 (vgl. den Art.) und des Freylinghauſen'ſchen Geſangbuchs von 1704—1741 
(ogl. den Art.) Eingang, wie oft man aud von Anfang an die durchaus untirchliche 
Haltung mancher derfelben getadelt Hat. Doch findet fih ja unter ihnen aud eine 
namhafte Zahl inniger, fhöner Weifen, welche die Kirche mit Fug und Rest fih 
aneignen konnte. Für eine Anzahl weiterer diefer Zeit angehöriger Melodien find 
fodann die Quellen: die Choralbüger von Störl, Bronner, Witt, Graupner, Tele 
mann, Dregel, König, Siszel, Neimann u. ſ. w.; für eimelne find auch hand- 
ſchriftliche Quellen aufgefunden worden. Im allgemeinen aber kann ihre Herkunft, 
über die in den genannten Büchern entweder gar feine Angaben, oder doch nur 
unbeftimmte Andeutungen ſich finden, nur vermutungsweife auf die Herausgeber der 
Choralbũcher, in denen ſich diefe Melodien zuerft vorfinden, zuridgeführt werden. — 

Auch in der dritten Periode der geſchichtlichen Entwicllung der evangeliihen 
Kirhenmufit, von 1750 bis zur Gegenwart, laffen ſich füglih wiederum zwei 
Zeitabſchnitte unterſcheiden: von 1750-1817 die Zeit des Niedergangs bis zur 
völligen Verflachung und Stilofigkeit, und von 1817 an die Zeit der Neftaurations- 
beftrebungen. — Im erften diefer Zeitabſchnitte fehen wir unmittelbar nad Bach 
und haupiſachlich auch auf ihm fußend die mufifalifhe Kunft fid) der weltlichen In- 
frumentalmufit zuwenden, um auf diefem Gebiete bald die herrlichſten Blüten zu 
treiben. Auch in der lirchlichen Figuralmufil machte fih nad Bad), deſſen Kirchen 
werfen freilich ſchon feine eigene Zeit mur ein geringes Maß von Berftändnie 
entgegengebradit Hatte, unter der Führung Graun's und Hafje's eine andere Ride 
tung geltend, die von dem Kirgenftil der gleichzeitigen Italiener (Leonardo Leo’s 
und anderer) beeinflußt war. Schlimmer aber als diefe Veränderungen auf muſila- 
lſchem Gebiete ermiefen fih für die evangelifge Kirchenmuſit die Wandlungen im 
nirchlichen Leben felbft. Der Glaube an den zum Heil der Sünderwelt menfh- 
gewordenen Sohn Gottes erlofeh: es begann die Zeit der Aufklärung, die mit ihrem 
vagen, rührfeligen Gefhrwäg von Gott, Tugend und Unfterblidfeit alles religiös 
Ideale vernichtete und damit aud größeren Kirchenmuſilern, als die Doles, Hiller, 
Homilius n. ſ. w. waren, jede Möglicleit eines Höheren Mnfllerifhen Schwunges 
Hätte benehmen müffen. Cine wirlliche Kirchenmuſik war fir diefe Zeit, die nicht 
einen evangelifcien Gottesdienft mehr, fondern nur noch „hritlihe Gottesverehrungen” 
Yannte, unmöglich und unnötig zugleich und wurde wirklich auch nur gewohnheits- 
mäßig noch weiter gemadt. Die vandaliſche VBerwüftung der alten Kirchenlieder 
umd ihrer Weifen duch Umdihtung und Umarbeitung — „Berbefferung” nannte 
man es — und die geift und geihmadfofe Fieder- und Melodienmacherei, welhe 
die Gefang- und Choralbucher mit neuen Produlten der trivialften Art fülte, brachte 
zunächſt den Gemeindegefang in den traurigften Verfall. Die alten Lieder 
und Choräfe ſchwanden aus dem Gemeindeberoußtfein, und die neuen erwiefen ſich 
famt und jonders als taube Blüten — „ſeit hundert Jahren ift nicht eine einzige 


J 


Choralmelodie mehr erfunden worden, die ſich als ſolche bewährt Hätte.” Damit 
war aber der kirchlichen Orgel: und Figuralmufil der Boden unter den Füßen wer 
gezogen. Wohl erhielt ſih in der Orgelmmfi die Bad’fhe Tradition de 
Chorolbearbeitung noch fort, aber der Geift war gewichen und die letre Form wer 
Gef vieljad) im Sande des berüchtigten „Organiftenzwirns;" ja, in einer ander 
Nicptung, die auf der Orgel, ftatt gottesdienftliche Orgelmufil machen, malen, rit 
ven, oder gar belehren wollte, jank die deutſche Orgelfunft bis auf die Stufe da 
Tafgenfpielertunftftüde des Abt Vogler und der „Galanterien" der ſuddenticher 
Drgauiften herab. — Auch in der Figuralmufik diefer Zeit fand zwar der 
Gemeindechoral nod Verwendung, aber er bildete nicht mehr den firhligen Mitte: 
punkt diefer Mufiten, fondern wurde zum gelegentlihen, rein äußerligen Effektmitte 
in denſelben erniedrigt. So zeigen das Ende des vorigen und die beiden eriten 
Jahrzehnte unſres Jahrhunderts die evangelifhefircliche Figuralmufit in einem Zu- 
ftande tieffter Berfinhung und volendeter Stillofigfeit, wie jeder Wlid in eine der 
damaligen einfchlägigen Sammlungen — etwa in die drei diden Bände der 
„Heiligen Cacilia- von I. D. Sander, oder in den zweiten Teil des Knecht'ſchen 
Choralbuchs (S. 214-308) — Bis zu Evidenz erweiſt. — 

Den zweiten Abſchnitt dieſer dritten Periode, von 1817 bis zur Gegemvart, 
bezeichneten wir als die Zeit der Reftaurationsbeftrebungen auf dem Felde unirer 
Kirgenmufil. Allgemein wird die dritte Sätularfeier der Reformation im Jehe 
1817 al der Zeitpunkt angenommen, von dem an ein neues Giaubensleben in de 
deutfchen evangelifhen Kirche erwachte und von dem an das Beftreben ſich zeigt, der 
Faden der geſchichtlichen Kontinuität, den die rationaliftife Zeit gänzlich verloree 
hatte, imsbefondere aud auf religiös -tirchlichem Lebensgebiete wieder aufzunchmer. 
Nun lag aber kaum ein Teil des evangelifcen Gottesdienftes in ärgerer Verwüſturg 
da, als der liturgiſche und mufifalifde; es war daher nur natürlich, wenn ſich dat 
Streben nad) Erneuerung und Befferung mit befonderer Aufmerfjamteit ihm ze: 
wandte. Unfafjende und gründliche hiſtoriſche Forſchungen Haben die älteren litur 
güiden und muſitaliſchen Schäge der evangeliſchen Kirche aus dem Schutt der 
Vergefienheit wieder ausgegraben und die Neugeftaltung der Agenden, der Gemeinde 
gefang- und Choralbücher ermöglicht. Im Hinblid auf die kicchliche Muſit im kr 
jondern Hatten mir jedoch ſchon weiter oben Veranfaflung darzulegen, daß der te 
deutendfte Forſcher auf dieſem fpeciellen Gebiete, Katl dv. Winterfeld, von ein 
Anfhauung ausging, die in ihrem tiefften Grunde nicht evangeliſch, fondern LatHetii! 
war, daß aber diefe Anſchauung die herrſchende geworden und Bis in die Gegemraz 
herein geblieben ift, und daß fie bis zur Stunde aud) allen Reftaurationsbeftrebunge, 
ihre Richtung gegeben hat. Cs mußte dies auf den Erfolg diefer Beſtreburge 
drüden, und jo bleibt für Gegenwart und Zukunft in allewege nod Arbeit & 
Fülle, bis das Hohe Ziel der Wiederherftelung und Neubelebung der eangefiicz 
Kirchenmiuſit erreicht fein wird. 


762 Rirdienmunfik. 











Rirchentöne, Kirchentonarten. 7163 


Kirchentöne, Kirchentonarten. Während des Mittelalters war der Kultus 
der alle Qebenegebiete beherrfchenden Kirche auch die faft ausfchlichliche Pflegeftätte der 
Kunft, insbefondere der mufifafifchen. Es werden daher die Tonreihen des Syſtems, 
das aller muſitaliſchen Kunſt jener Zeit zu Grunde Ing, auch heute noch mit Recht 
Kirgentöne, und im Hinblid auf ihre fpätere polyphone Behandlung, bei wel- 
ber mehr und mehr der harmoniſche Geſichtopuntt vor dem rein melodifdpen in den 
Vordergrund trat, Tirhentonarten genannt. Die Funftmäßige Kirgenmufil der 
evangelifcen Kirche bafiert nun zwar nicht mehr auf dem Syſiem der Kirchentöne, 
fondern gehört unfrem modernen Tonfyftem an; dagegen hat unfre Kirche im Ne: 
formationsjahrhundert den liturgiſchen Gefang der mittelalterlic-Tatholifhen Kirche 
formell nur unweſentlich geändert herübergenommen und feitden beibehalten, und 
auch das neue Element, das fie in ihrem voltsmäßigen Gemeindegefang der Kirden: 
mufit hinzubrachte, folgt feinem älteren, kirchlich wertvolliten Teile nad noch den 
Gejegen der alten Tonalität. Daraus erwächſt für uns die Aufgabe, an dieſer 
Stelle die vielbehandelte Lehre von den Kirchentönen ebenfalls kurz darzulegen. — 

Den älteften kirchlichen Melodien liegen vier Oftavenreihen zu Grunde, die 
auf den Tönen D, E, F und G diotonifdh aufgebaut find. Zede diefer Ottaven- 
reihen erhält ihre harakterififge Eigenart zunädft durd ihren Grund oder 
Finalton,) von dem die Bewegung aller melodiſchen Bildungen innerhalb der 
betreffenden Tonreihe ausgeht und im dem fie nad ihrem Emporfireben zur Be— 
wegung als in ihren Ruhepuntt zurlctehrt. Der Finale fteht als zweitwichtigfter 
Ton die Domimante jeder Oftavenreihe gegenüber. Sie ift der Mittelpuntt der 
melodiſchen Bewegung, um den ſich die einzelnen melodiſchen Gebilde lagern, und jo 
wichtig, daß z. B. im der Firhlihen Pfalmodie die Bedeutung des Finaftones vor 
ihr, als dem Recitationston, faft verihwindet.?) Während nun aber die modernen 
Tonarten flets die Quinte als Dominante verwenden, geftaftete ſich die Sadıe für 
die Kirchentöne fo, daß in den authentifhen unter ihnen ebenfalls die Quinte, in 
ven pfagalen dagegen die Terz unter der Quinte als Dominante benugt wurde, 
Eine Ausnahme von diefer Regel mußten der IT. und VIII. Ton machen: fir fie 
var h als Chorda mobilis (bald B rotundum, bald B quadratum, b u. k) 


1) Suchatt, Musica Enchir. cap. III, bei Gerber, Seript, ccclos. do Mus. I. S. 232, 
«get: die Töne D, E, F, G „terminales sive finales dieuntur, quia in unum ex his 
wuatuor melos omne finiri necesse est,“ und Joannes de Anglia, bei Gerbert a. 0. O. 
T. 8.53 fagt: „tota vis cantus ad finales respieit.“ gl. auch Guido v. Arejzo, Discipl. 
urtis mus. Kap. XI u. XIL, daf. II. S. 12. und Abt Odo bei Ambros, Geſch der Muft II. 
5. 54. Anm. 2, 

2) „La dominante est comme la maistresse ou In regne des autres notes et celle, 
ur qui le chant a d’avantage son cours, son retour et son sonstien, et qui, jointe 
wee 1a finale, donnent ensemble la prineipale forme et Ia distinction A chaque 
node,“ fagt Iumithac, Seience et pratiquo du plain-chant. 1674. Bgt. P. Kienfe, Choraf- 
qule. 1884. ©. 44. Anm, 








764 Rirchentöne, Kircdentonarten. 


zur Dominante untauglich, und es mußte c als ſolche fubftituiert werden, was folge 
rihtig aud) noch für dem IV. Ton flatt der Terz unter h, die Terz unter €, alt 
a als Dominante ergab. 














Toni. | inne — RE ee 
VIT. Ton. Mirotipilt) 












L. Ton. 





oriſh 
II. Ton. Hypodorifh ID VII. Ton. Hupomizofyd. 
MIT. Ton. Boryaiid) E IX. Ton. Aolijch 
IV. Ton. Hupephrugiih | E X. Zon. Supoäotif 
V. Ton. Qiih |F XI. Ton. Joniſch 
VI. Zon. Hnpotgdiic F XU. Ton. Hupoionifh 


Des weiteren iſt die befondere Phyfiognomie jeder Oftavenreihe fodann noch ir 
der verſchiedenen Lage der Halb- und Ganztonſchritte begründet, die als jeder der 
jelben weſentliche Töne ergiebt: für die erfte Die Meine Terz und große Sert; fir 
die zweite die Meine Terz und die Heine Sehunde; für die dritte die große Ten 
und die übermäßige Quarte, und für die vierte die große Terz und die Meine Ser 
time. Die ättefte kirchliche Muſiktheorie bezeichnete dieſe vier Dftavengattungen mit 
den griechiſchen Zahlen: Protos (I. Ton), Deuteros (U. Ton), Tritos (IN. Tor‘, 
Tetartos (IV. Ton), und deutete damit augenfheinlic auf eine anti griechiſce 
Grundlage derfelben zurld. Dieſer Andeutung folgend gaben ihnen fpätere Theort 
niler die griech ſchen Namen Dorifch, Phrygiſch, Lydiſch und Mixolydifh, die jedat 
den Namen der antifen griechiſchen Touteihen nicht entfpreden, wie man lang 
irrtümlich gemeint Hat, und die auch erft durch Glarean im 16. Jahrhundert ir 
allgemeineren Gebrauch Tamen.‘) — Das in dieſen Tonreihen vorliegende Tor 
material wurde mum aber bei der Melodienbildung verſchieden und mad ganz b 
ſtimmten Regeln verwendet. Fir eine Art von Melodien war der Umfang oder 
Ambitus in dem Naume zwiſchen Grundton und Oktav gegeben (Cantus per- 
feetus), und viele äftere, trefflihe derjelben bedurften nicht einmal diefen (Cantus 
imperfectus);?) fpätere, reicher geftaltete Melodien dagegen konnten diefen Ambitue 
auch übericreiten (Cantus plusquamperfectus) und nad) oben nod die None ur 
Decime, nach unten, um Anfags oder Intonations: und Schlukformeln zu Bilder, 
die Unterfefunde und Unterterz hinzunehmen.) Cine zweite, von der erften abs 





H Dod Hat Glarean die griediſchen Namen für die Kirkentöne niht anfgebradt, ut 
alſo auch die dadurch entftandene Verwirrung nicht verfcufdet, wie noch immer angenommr: 
wird. Ciner der erflen, der fi Diefer Namen für die Sirkentöne bediente, war duchen 
Opuscula mus. bei Gerbert, Seript. eccles. I. ©. 127. Bgl. auf Bellermann, Kontrapust, 
1802. &. 44 u. 0. Dommer, Mul. 8er. 1885. ©. 861. 

9) Beifpiele folder Melodien, wel taum den Umfang einer Quinte üiberſchreiten, #3 
bei @larcan, Dodekach, 1547. Lib. I. ©. 34 angeführt. 

>) uchald, Harm. inst, fagt Gierüber: Unusquisque tonus a suo finali uaque i 
nonum sonum ascendit, descendit autem in sibi vieinum, et aliquando ad secandız 


Kirchentöne, Kircentonarten. 2365 


leitete Art von Melodien bewegte ſich m den Grundton herum in dem Raume 
von deſſen Unterquarte bis zu feiner Oberquinte, ohne daß jedoch weder die Finale 
noch die Dominante der urfprüngliden Tonreihen ihre mafgebende Bedeutung für 
diefe abgeleiteten verloren. Jene vier erſten Tonreihen, deren Feſtſetung die Tra- 
dition dem heiligen Ambrofius (daher ambroſianiſche KirKentöne, vgl. den 
Art.) zuſchreibt, nannte man authentische (vgl. den Art.), und glaubte in den auf 
ihnen aufgebauten Kirchenmelodien hauptſächlich den Ausdrud männlicher Kraft und 
Würde finden zu ſollen. Die zweiten vier Tonreihen, deren Aufftellung auf Gregor 
d. Gr. (vgl. den Art.) zurüdgefühet wird, heißen plagale (vgl. den Art), und 
es wird deren Melodien mehr der Ausdrud weigen, milden, weiblichen Weſens zu- 
geicrieben.‘) Uriprünglih nur natürliche Umterabteilungen der authentifgen Ton- 
reihen darftellend, wurden die plagalen Kirchentöne ſpäter immer mehr als eigene 
und felbftändige Tonreihen betrachtet; obwohl ſchon Guido v. Arezzo dies als einen 
Mißbrauch erflärte?) und als man im Verlauf der geſchichtlichen Entwwidlung gegen 
den Ausgang des Mittelalters dazu lam, aud auf der ſechſten und adıten Tonftufe 
vier weitere Tonreihen zu bilden,*) hatte man ein Syſtem von 12 Kirchentönen, 
nämlic 
vel tertium,“ und @farean, Dodekach, 1547. &. 118 bemerkt ſpeciell zum Doriſchen: 
modo pecnliare est supra diepason semiditono exultare, cum magna herele gratin I“ 
&s ift alfo diefes Überfreiten des Ambirus nicht mur ein gelegentlichen, ma „ad exprimen- 
dum animi ardorem“ angervendetes, wie Walther, Mufit. Ler. 1792. &. 410 bezüglich der 
Mel. „Vater unfer im Himmelteid” meint; vgl. auch d. Tuer, Schab II. S. 376, ſowie 
©. 19 die Ann. 2 zu der Mel. „Wir glauben all an einen Gott”. Weiteres über den Am- 
bitus der Kirhenmelodien vgl. man im Tonale Bernardi bei Gerber, Script. II. &. 206; 
Dart. Agricola, Ein tur deudf Musica. 1923. I. 28-92: Fortel, Geld. der Mufit. II. 
S. 172; Antony, Lehrb. des Greg. Geſ. 1929. ©. 19 u. a. 

4) Die individualifierende Charatterifierung zunädft der authentiſchen und plagafen Ton- 
teißen, dann aber auch der einzelnen Kirchentöne hat die alten Dufitfgriftfieller viel beſchäfuigt. 
Dan vgl. Hierüber z. B. die oft eitierten Verſe Adams von Fulda 1490, bei Gerbert, a... D. 
I. ©. 356, ferner des Joan. Aegidii Ars musica, chendaf. II. S. 387; des Rardinals 
&ona, De dirina Psalm. 1653. Cap. VII, p. IV, de singulis tonis corumque effectibus, 
ud. 

2) Er fagt im Mikrol. 12, bei Gerbert, a. a. O. II. S. 56.5 . . consilium fuit, 
ut quisque tropus partiretur in duos, ut gravia gravibus, ncuta convenirent acutis 
Et acuti authentici, graves vero graece plagae, latine suhjugales, vel laterales v 
cantur ... abusio autem tradidit Latinis dieere pro authento proto et plagis prot 
Primus et secundus .. . igitur octo sunt modi.“ gl. aut) Herm. Contractus bei Ger- 
dert, a. a. D. II. ©. 182, und Adam v. Fulda, ebendaf. II. ©. 355. Ambros, Gefdh. der 
Mufit I. S. 47-49. P. Kienle, Choralfdule 1884. ©. 42. 

2) Auf der fiebenten Stufe H tonnte eine diatoniſche Oftavgattung nicht gebildet werden, 
weil fie eine verminderte Quint erhalten hätte. Die Alten waren, wie Mattheſon, Bolt. Ka- 
pellmeiſter 1739. $ 37. ©. 66 in feiner draſtiſchen Weiſe meint, „genötigt, den fiebenten Dinto- 
nifgen Klang, welgen man h nenne, mit alfem feinem Anhange und Stuffen-Werle fr 
unägjt als einen H-foßn pro spurio zu erflären und zu werwerffen, weil fie, entweder aus 





















766 Airchentöne, Kirdentonarten. 





1. Ton. Doriſch (Protos 
authent.) 





I. Ton. Hypodoriſch (Protos 
plag.) 








I. Ton. Phrygiſch (Deuteros 
autl hen.) 























IV. Ton. Hypophrygiſch (Deut. 
plag.) 





V. Ton. &ypifd (Lritos authent.) [F 


VI. ze pass (Tritos 














VIL Ton. Mirelydiſch (Tetrartus 
auth.) 





VI. Ton. Sypomizofydiih (Te- 
trartus plag.) 








IX. Ton. Uoliſch 


X. Ton. Hypoiclifh. 








XI. Ton. Doniſch. 





XII. Ton. Hypojoniſch. 


— 





— 
grober Unwiſſenheit oder aus thörichtem Aberglauben und ſchutſüchfgem Eigenſinn, denfelber 
Grundtlange die Ouinte is nicht zugeflefen Durfften.“ Dod) wurde die erföhte Ouinte ätet 
aud) zugeflanden, dann entflanden auf h zwei weitere Kirdientöne, Die, obwohl fie nur Trans 
voftionen des Phrngiicien darftellen, meht ſoch als 13. und 14. Ton gezählt wurden. 

') Dies in das Suflem der Kirchentöne, wie «8 Glarean im Dodekachord. 1547. &8 
aufgeftelft Hat, wie «8 aber ſchon in des Bernonis Augensis prolog. bei Gerbert, Script. 








>-.. 


Airchentöne, Kircentonarten. 767 





Um beflimmte, aus diefen Tonreihen gebildete Melodien in einer für den Sänger 
bequemen Sage und in der Notenfhrift jo darftellen zu fönnen, daß fie das fünfe 
linige Notenſyſtem weder nad) unten noch nad) oben um mehr als einen Ton über: 
ſchritten, wendete man für diefelben die Transpofition an. Dan fhrich fie 
ftatt im der natürlihen Page (Systema naturale) des Tones, dem fie angehörten, 
und in den natürlichen oder großen Schlüſſeln (Chiave; der F-Shlüffel für den 
Baß auf der 4, die drei C-Schlüffel für Tenor, Alt und Sopran auf der 4., 
3. und 1. Linie), in einer trausponierten (Systema transpositum) und den ver- 
festen oder Heinen Schlüſſeln (Chiavette; der F-Schlüffel auf der 3., der 0- 
Schlüſſel auf der 3. und 2., und der G-Biolin-)Schlüffel auf der 2. Linie): ent: 
weder umter Vorzeihnung eines b am Schlüfiel als Genus molle, oder unter Bor- 
zeichnung eines # als Genus durum. Auf diefe Weife fonnte jede Oftaugattung 
je nach Bedürfnis im erften Falle eine Quart höher oder eine Quinte tiefer, im 
zweiten eine Duinte höher, oder eine Quart tiefer, alfo 3. B. das Doriſche in fol: 
genden drei Formen: 


Dorius regularis: ee 
— * 


Dorius transpositus. 
Genus molle: 








Dorius transpositus. 
Genus durum: 





notiert werden, ohne in beiden Fällen die Intervallenverhäftniffe zu alterieren.) — 
Mus dem in diefen Oftavenveifen vorliegenden Tonmaterial wurden die einftimmiz 


3. 73 ermähnt if. Andere alte Theoretiter ordnen die Tüne anders; Huchold 3. B. beginnt 
mit Aa, Hypodorifch, bezeichner dieſe Oltaugattung als „Primum modum“ und zäflt die 
ibrigen Töne aufmärts, den Stufen der A-moll-geiter folgend; noch anders züht Guido 
». Arezzo. Zarlino, Istitutione harmoniche, in der Gef-Xusg. feiner Werte 1589. Lib, IV. 
p- X. ©. 309 führt die 12 Kirdentöne (er befteht auf der Anerfenmung von 12, aber auch 
mr von 12) in der Ordnung auf, daß er mit Jonife) beginnt und mit Holifh fälieht. Cs 
ofgte ihm in dieſer Anordnung noch keiner der bedeutenderen Theoretiter feines Jahrhunderts, 
ind fo erfeint diefelbe, die mit dem Prototyp der modernen Durtonart beginnt und mit dem 
‚er modernen Molltonart endet, als eine probfetifce Borausnahnne der Anderung, welche zur 
Yufgabe der Kirientöne und zur Annahme der modernen Tonalität führte. 

9) Unfer Choral „Da Chriftus geboren war (In natali Domini)“ 5. &. if in G mit einem 
» afs Borzeihnung notiert, niht G-moll, fondern Doriſch transponiert. 9. 2. Hafer (1008) 
yat feine neuerlich öfters abgedrudten Süße zu „Ein fefle Burg ift umfer Gott“ und „Bom 
Himmel hoch da fomın id; her" in F, flatt in C, alfo ionifd transponiert und in den ver- 
eisten Schlüfieln gefärieben. — Die Transpoftion in die Oberquinte mit einem # als Bor» 
eidnung wird übrigene weder von den alten, nod) von den Theoretifern der Gegenmwart allge» 
nein als beregitigt amerlannt. Viele der alten Mufitigrifileller Innen mır eine Verſebung 











768 Airchentöne, Kirhentonarten. 


gen Melodien des gregorianiſchen Gefanges nad den jedem einzelnen Kirchenter 
eigenen Geſetzen vofaler Melodit und durdaus freier Rhythmilk gebildet. Dabe 
boten die Tonreihen an ſich ſchon gewiſſe melodifche Formeln und Gänge dar, aut 
denen ſich nad) und nach die ftereotyp werdenden Anfagformeln und Tonverbindunge 
der Reperkuffion und der Tropen bildeten. Reperfuffion, Wiederſchlag, bir 
der melodiſche Tonſchritt, welger den Grund: oder Finalton einer Oftavengattun: 





mit deren Dominante verband‘) Mit der Reperkuffion in Verbindung ftander 
die Tropen, gewiffe, während der freieren Bewegung eines Geſanges wiederhett 
angeſchlagene Tonverbindungen, in denen die Saupttöne der melodifhen Bervegunz 
formelgaft zufammengefaßt erſcheinen umd die daher fir die jedem einzelnen Kircher 
ton angehörigen Melodien charalteriſtiſch find.) Cine Verbindung der Reperlafiiee 
mit einen Tropus zeigt un z. DB. die Anfangzeife des deutfhen Credo: „Wir 
glauben all an einen Gott:“ 











rn 
glauben al an ei» men Gott x. 

Die fo gebildeten Melodien wurden, indem man fie fiir den kirchlichen Gebroré 
feſtſtellte, zum Cantus firmus und damit zur Grundlage der fpäteren polyphonc 
Kirgenmufit. Das Weſen diefer Mufif beftcht darin, daf ein folder Cantes 
firmus, eine ausgeprägte, agerundete, gewöhnlich ſirchliche, öfters auch weltis 
Melodie, die dem Tenor al der vom Natur zur Melodieführung am beften ge 

















in die Oberquarte umd flimmen 3. ©. mit Adam Gumypelbhaimer, Comp. Mus. 1595. Fol 
18, 14 überein, weldier (ehrt: Primus tonus versatur in canto duro inter D et D per 
oetaram, in cantu molli inter 6 et G per octavam. Finem habet in D duro et 6 
molli.“ Diefer Anfiht folgen 4. 8. Wollersheim, Zpeoret.praft. Anweifung zur Erlermun; 
des greg. Gef. 1858. S. 95. 96, Yaberl, Magister choralis. $ 20, P. Kienle, Choralfgui. 
1884. S. 46-49, u. v. a. Dagegen fagt z. B. Heinr. Faber, Ad Mus. pract. Introductia 
1571. Pars I. cap. 9: „Seins autem tonos ad quartam transpositos esse b molles, »i 
quintam & durales . . .“ — Bol. Marz, bei Schilling, Muft. er. III. &. 660. 661, 
in feiner dehre von der muſit. Komp. I. ©. 380--982; Döring, Choraftunde. 1885. &. se 
308; Herzog, Orgelfhule 1876 (3. Aufl) Eint. ©. 12 1. a. 

4) Mit der Neperfuffion des I. Kirgjentonen, dem Touſchritt da, Beginnen umter mer 
often Coräfen 3. ®. „Kommt Ger zu mir, fprict Gottes Sehu“, „Erfäienen ift der berzis 
Tag“, „Dit Fried und Freud fahr id) dahin“ m. a. 

») „Tropus est brovis conceptus in enjusgque toni repercussione incipiens, gut 
singulis psalmorum et responsoriorum versibus in fine additur,“ ertlärt Sutas Loiket 
Erotem. mus. 1590. Tropen nad Lutas Kofius Sat Kraußeld, Hif--mufil. Handtud 
den Kirien- und Chorafgef, 1855. Notenbeifp. zu &. 58, andere 9. Blied, Euterpe 1811 
S. 171 mitgeteilt. — DoS wurden aud) die Neumen und die Airkentöne felhft Tropat — 
nannt; vgl. v. Dommer, Duft, Leriton. 1805. ©. 892. 398, 











Kirchentöne, Kirdjentonarten. 69 


igmeten Stimme Übertragen war, zum Mittelpunkt des jeweiligen Tongebildes ge: 
wacht, und die begleitenden Stimmen nad) den Gefegen ihrer melodiſchen Führung 
und vofalen Rhythmit aus ihr entwidelt, und als mehr oder weniger felbftändige 
Gegenftinmen, als lebendige Glieder eines organiſchen Körpers gegen fie geführt und 
mit ihe verflodpten wurden. — Die am fih einfache Lehre von den Kirdentönen 
und die Regeln ſolcher Kontrapunftit Hat die Mufiftheorie des fpäteren Mittelalters 
in der fubtiften Weife ausgebildet, aber zugleid) auch dunkel und abftrus gemacht. 
„2 düftere Hörfäle und einengende Mauern gebannt, wurde die mit aller unbe- 
bofjenen Grundlichteit und ehremverten Schwerfälligteit in mühſamer Arbeit und 
grübelnden Forſchen betriebene ſpelulative Mufit feloft dunfel, Düfter und tieffinig. "") 
Dirfe graue Theorie Hinderte allerdings die polyphone Bokalmuſit nit, im 16. 
Jahrhundert den Höhenftand klaſſiſcher Vollendung zu erreichen; als aber diefer 
eriht wor, fing fie und mit ihr das Tonfyftem, auf dem fie beruhte, am abzu- 
weiten, und die moderne Muſit auf inftrumental-harmoniider, ftatt auf votal- 
welediſcher Grundlage rat als neue Macht am ihre Stelle. Damit ſchwand auch 
die Bedeutung der Nirdientöne. Wohl blieb das Gefühl für das Charakteriftifce 
diefer Tonreihen noch bis tief ins 17. Jahrhundert herein lebendig; aber es war 
ion fange nicht mehr der melodifche Gefichtspunft allein, unter welden man fie 
betrachtete: der harmoniſche machte ſich immer unabweisbarer geltend und die Kirchen- 
fne winden zu Kirdentonarten. Unter ihnen zogen fid im weiteren Verlaufe 
der sunffgeicichtlicen Entwilung diejenigen, welche eine große Terz Hatten — das 
Wdiſche, Mirolydiſche und Jouiſche — nad) und nach zur modernen Durtonart, die- 
jerigen mit Meiner Terz — das Doriſche, Phrygiſche und Äoliſche -— aber zur 
modernen Molltonart zufammen. Mit den Anfang des 18. Jahrhunderts war 
dieſer Vereinfahungsprogeg im wefentligen zum Abfhluß gelangt, — Wenn nun 
euch die Tonfeger der evangelif en Kirche im 16. Jahrhundert noch ganz anf dem 
Soden der Kirchentöne und dev Votalmufit fanden, jo darf doch auch bei ihnen 
i6on nicht überfehen werden, daß fie zunäcft durch den aus der äußerlic:praftifchen 
Nidfiht auf den Gemeindegefang hervorgegangenen einfachen Choralfag im Kontra 
duntt mota contra notam, und vielleicht mehr noch durch den innern Impuls der 
feft umeiffenen, energiſchen Liedweiſe unfres Gemeindechorals in feiner engen Ver— 
Bindung mit dem deutfchen Liedworte — michr und mehr nach der harmoniſchen 
Seite hingedrängt worden find. Schwieriger geftaltete ſich die Stellung unferer 
Tonfeger zu den Kirchentonarten im 17. Iahehundert: die alten, durch die kirchüiche 
Trodition geheiligten Formen ſchwanden ihnen unter den Händen, und mit den 
aenen waren fie fo raſch nicht vertraut genug, um fie mit künſtleriſcher Sicherheit in 
ihrer Kirchenmuſik verwerten zu können. Daher das Unfihere, taftend Suchende, 
inebefondere bezüglich, der Tonalität, das in den Kirchemverlen diefer Zeit zu Tage 


*) Bol, Ambros, Geſch. der Mufit. II. S. 120 u. ©. 102, 
Xämmerte, Gnchlt. d. evang. Kirchenmufil, En 49 


To Gottfr. Kirchhoff. 


tritt und das ſich ſelbſt in der Melodienzeichnung der Geſangbücher darin zeigt, dej 
deren Bearbeiter vielfach darüber im Zweifel find, ob fie durd die Vorzeichmung 
eine Melodie als Transpofition eines Kirchentones, oder als einer modernen Tonart 
angehörig fenngeichnen follen. — Erſt Seb. Bach hat auch zu den alten SKirdenter 
arten die richtige Stellung wieder zu gewinnen und den Gegenjag derſelben zur 
modernen Dur- und Molltonart in der höheren Einheit echt kunfileriſcher Verwendung 
beider aufzuföfen gewußt. „Er ging auch hier von dem durd) die heſchichtliche Ent 
wicklung hergeftellten Grunde der Dur: und Molltonart aus, benutzte aber die 
Rirhentöne gewiffermaßen als Nebentonfeitern. Cr gewann ihnen den ganzen Reic, 
tun der Modufotionen ab, den fie zu bieten fähig find, wußte ihn aber fo zu ver 
wenden, daß er dem einfacheren Grundgefühle der Dur» und Molltonart ſich unter: 
ordnete. Die Erkenntnis, daß manche alte Choralmelodien nidt zur Entfaltung 
ihres ganzen Weſens gelangen Könnten, wenn man fie unter die Modulationsgeiege 
des harmoniſchen Syftems beuge, war für Bad’s Verfahren mur ein Motiv zweiter 
Ordnung. Cr empfand, daß die Kunftideen, welche in diefen Gefängen Geftalt ge 
wonnen hatten, eben weil fie durch Jahrhunderte im Schoß der Kirche gereift waren, 
eine unerjegbare Fülle edjtefier kirchlicher Empfindung md Stimmung mit ſich führ 
ten. Diefe tonnte und wollte er für jeinen Kirchenſtil fih nicht entgehen laiten 
Das Syftenn der Kirchentöne erſcheiut bei Bach nicht als ein für gewiffe Gegenftände 
tanſtlich angewendetes: «8 it in Bach's Geiſte von Grund aus wiedergeboren und 
Tommt demnach nicht nur dieſen oder jenen Chorälen, fondern feiner ganzen Muft 
zu ftatten.”) Bach's Vorbild ift es darum aud, an dem die evangeliicjen Stirder 
mufiter fernen fönnen und lernen fellen, wie die Kirchentonarten im evangelifdr: 
Choraltonſatz und in der evangeliſch kirchlichen Kunftmufit zu verwerten und zu be 
Handeln find. Nicht nur merhanifch ardaifierend nacgeahnt foll der alte Choral 
tonfag werden, wie nad v. Winterfeld's Meinung und nad) v. Tucher's Vorganz 
viele neueren Choralbuchherausgeber es ſich zur Aufgabe gemacht zu Haben ſcheiner 
Auch das allein thuts mod nicht, wenn man mur beftrebt ift, das Charalteriitifce 
eines Kirchentones in den denfelben angehörigen Chorälen nit zu verwiſchen: der 
Geift, der in den Kirchentonarten lebt, muß dem modernen Sunftberußtjein vermättt 
und dadurch fruchtbar gemacht werden zu einem Ausdrudsmittel, das im einjader 
Choralſatz, wie in der kunſtmäßigen Kirchenmuſit zur freieften Verwertung allejet 
bereit liegt. — Über die einzelnen Kirhentöne findet man Weiteres und Eingeher 
deres in dem jedem derfelben hewidmeten befondern Mrtifel unſtes Buches. 


Kirchhoff.“) Gottfried, bedeutender älterer Organift, der Alters und Zeit 
genofe Seh. Badıs und Händele, war am 15. September 1685 zu Mählbea is 


1) Bol. Spitto, Joh. Seh. Bach II. S. Hl. 612, mo Bac'e Verwendung der at 
Kirhientonarten aud) an veridiedenen Choräfen im einzelnen nadigemiefen if. 

9) ©o fhreibt den Namen Spitte, Bat I. S. 116 u. 616, während Dizler, Mafit. Bit 
IV. 1. S. 163 und Gerber, A. Lex. 1. ©. 724 u. N. Ler. I. S. 49. 50 „Kichgof” deber 





Kirchhof. Joh. Phil. Kirnberger. A 


Amte Bitterfeld in Sachſen geboren und Hatte jeine muſitaliſchen Studien unter des 
trefflichen Fr. Wilh. Zachau Leitung zu Halle, dielleicht noch ale Mitſchuler Hän- 
dels gemadt. 1709 wurde er jodann Kapellmeifter des Herzogs von Holftein-Glüds- 
burg, um ſchon 1711 auf die Stelle eines Orgmiften an der Benediktinertirche zu 
Duedlinburg Überzugehen, von mo er endlich ais Nachfolger feines Lehrers Zadan 
am 26. Auguft 1714 als Organift und Mufildirehtor an die Liebfrauenlirche zu 
Halle berufen wurde, nachdem Sch. Bach diefe Stelle, deren Gehalt und Dienft: 
verhäftniffe ihm nicht genügten, ausgeſchlagen hatte!) Hier wirkte er nun in hin 
gebendfter Weile als Komponift von Kirdenftüden und Orgehverten, fowie als be- 
fonders tüdptiger Lehrer feiner Kunſt, bis er am 21. Jannar 1746 farb. Sein 
Dienſtnachfolger wurde Wilhelm Friedemann Bad. — Bon 8.5 Werfen ift jet 
wenig mehr belannt und daher das Urteil über feine Künſtlerſchaft ſchwankend; wäh— 
rend Spitta ihn „als Seter von Orgelchorälen mit Geift und Selbftändigleit in 
den Bahnen Pachelbels wandeln“ fäßt, fagt Ritter, daß feine Choralvorfpiele „mit 
einigen thematifhen Anläufen und auf gut Gluͤck Hingervorfenen Paffagen“ nicht viel 
bedeuten wollen.?) 


Kirchhof, . . .„, um 1750 Kantor zu Königsberg und wahrigeinlid der Er: 
finder der beiden folgenden Choralmelodien, die in der Provinz Preußen noch gegen- 
wärtig im kirchlichen Gebrauch find: „Groß it, Herr, deine Oft," d ga hg 
ad, umd „Id finge dir mit Herz und Dumd,“ fagfdcba. Sie fihen 
beide in Reinhardt-Jenfen's Ch-®. für die Provinz Preußen, 1828, ſowie in den 
neueren CH.-BB. für diefe Provinz von Kahle, Ritter und Pabold. 


Kirnderger, Johann Philipp, der Schüler Sebaſtian Bachs und nachmals ber 
rühmte Lehrer der Muſiltheorie, der „wenn ex eine gründfichere allgemeine Bildung 
und einen ſyſtematiſcher geſchulten Geiſt bejeffen Hütte, unbedingt der erſte THroretifer 
ſeiner Zeit geworden wäre,“ war am 24. April 1721 zu Saalfeld in ärmlichen Ber- 
Häftniffen geboren und Gatte nur einen mangelhaften Schulunterricht zu Gotha genießen 
fünnen, wo er als Schüler fon feinen Lebensunterhalt mit Notenſchreiben, Mufit- 
unterricht u. dgl. ſauer verdienen mußte. Den tüdtigen Grund feiner mufitalifcen 
Bildung legte er zunäcft von 1737 an bei Joh. Peter Kellner in Gräfenroda und 
Hein. Nitolnus Gerber zu Sondershaufen; lebterer ſchicte ihn fodann 1739 zu 
Bach nach Leipzig, bei dem er bis 1741 feine Studien mit Erfolg fortjegte. Wah- 
rend zehn Jahren lebte er daranf an verjdiedenen Orten in Polen als Cembatift 
und Mufildiceftor in dortigen Magnaten-Familien, ein ziemlich wüſtes Leben, das 
den Grund zu feiner jpäteren Kränklichteit legte, bis er 1751 nad Berlin zurüd- 





1) Bol. Spitte, a. 0. O. I. S. 508-512; Chryfander, Händel 1. S. 22-23. Derl. 
Safeb. für Muftwiff. I. 1867. ©. 235 fi. 
*) Bol. Spitte, a. a. ©. 1. S. 516. 9. ©. Nitter, Zur Geſchichte des Drgelipiels. I. 
S. 203. 
49* 





7 


tehrte, wo ex fürzere Zeit Violiniſt in der königl. Kapelle, dann aber während feinet 
ganzen fpäteren Lebens Hofmufiter der Prinzeffin Amalie war. In dem lepter 
zwanzig Jahren feines Lebens beſchäftigte er ſich fait ausſchließlich mit Mufiftheort, 
Harmonielehre und Kontrapunkt und ſchrieb als fein Hauptwerf „Die Kunft des 
reinen Satzes“ (1. U. 1774; IL I. in 3 Abtl. 1776—1779). Dies But, 
dns feine beſondere Bedeutung als „Widerihein von Bachs Lehre“ gewinnt, ift bis 
in unfer Jahrhundert herein für die Methode der Kompofitionstehre faſt ausichticklid 
beftimmend geworden, und hat im der That den reinen Say, dieſes wefentlicie 
Stüd and) der Kirchenmuſit und des Orgelipiels, erhalten helfen.) Berbittert durt 
mannigfache Streitigfeiten über Gegenftäude der Mufiftfeorie G. B. mit Marpurz, 
Reichardt u. a.), in denen ſich fein Charakter nicht immer von der vorteiffaftefter 
Seite zeigt,?) ftarb 8. am 26. Juli 1783 zu Berlin. — Nach Gerbers Zeugnis 
Neues Lex. II. S. 141) gehört die Harmonifierung der Choräle im Kühnau’jcer 
Shoralbud (vgl. den Art. „Kühnau“) von 1786 Kirnberger an, oder ift doch unter 
feiner Aufficht gefertigt worden; außerdem hat er „auf Befehl einer hohen Standes 
perfon“ (der Prinzeifin Amalie) H. L. Haflers „Bialmen" von 1607 in neuer 
Partituransgabe, die Leider durch viele Fehler entftellt if, Herausgegeben. Bon feiner 
eigenen Kompofitionen find hier nur folgende namhaft zu machen: 
Chor „Hebet eure Augen auf“ und Motette „Gott ift unſre Zuverfiht" 
— beide bei Sander, Die heilige Cäcilia. Berl. 1818-1819. I. Nr. 72. 
©. 69—70. 11. Ir. 7. &. 1820. — VIII Fugues pour le Clavecin 
ou POrgue. 1777 (nad Gerber, Ates Ler. I. S. 727). — Bräludium und 
Fuga Cis-moll bei Roigich, Alte Uaviermufit. 1. Heft. S. 8. — Ein Choru- 
vorfpiel und eine Orgelfuge bei Körner, Orgelvirtnos. Nr. 140b u. 195. — 
Fuga Zftimmig, in „Auswahl vorzügl. Mufifwerfe. Verl, Trautwein. 3. Kit 
— 3. u. Aftimmige Fugen im „Journal de chant et de musique d 
lise“ von Choron. I. — Endlich eine noch jegt gebräudlige Choralmelodir 
„Bott ift mein Yied“ für Kühnaus Ch⸗B. 1. ©. 68. Nr. 63 von K. 1782 
tomponiert ; fie heißt (ogl. Ext, Ch.-B. 1863. Nr. 93. S. 76. Yatob un 
rRichter, Ch.-B. 1. Nr. 313. ©. 262): 


2 3oh. Phil. Airnberger. 









































Gott iſt mein Lied! Fr it, der Gott der Siär . lez heht if fein Romane 


— — 

















groß ſind fe me Werte und ale fe Himmel fein Ger biet. 


1) ol. Spitta, Bach II. S. 725 u. 597. Ritter, Zur Geih. des Orgelfpiels. I. S. 16% 

?) Bgt. feine Briefe an Forlel, mitgeteilt von 9. Bellermann, Allg muft. Big. 
©. 530-534, 550-554. 565— 572. 614-618. 628—630. 645640. 661-664 u. 6° 
678. Jahn, Moyart. TIL. S. 360-562 (der 1. Ansg.). 

3) Weitere Melodien von ih, die jedod feinen Eingang fanden, find: Kühnen 8 
I. Ne 9. &.10 „Am Areng erblaßt"; Mr. 10. &.20 „Bei dem Kreuz mit blafier 






ww 





Aid. Kirk. — Ehr. Kittel. 773 


Kirft (Kirfien), Michael, einft berühmter Organift an der Marin-Dagdalenen: 
tirche zu Breslau, war im Oftober 1682 als der Sohn eines armen Schufters und 
Leibeigenen auf der Kommende Loſſen im Fürftentum Brieg geboren und bildete ſich 
unter mandperlei beſchwerlichen Umftänden zum zünftigen Mufifanten, dann bei dem 
Organiſten Kafpar Schröter zu Brieg aud zum Orgelfpieler aus. 1698 verjänffte 
ihm Diefer die Organiftenftelle in dem Dorfe Grop-Iängwig, we er, da eben eine 
neue Orgel aufgeftellt wurde, Einſicht in den Orgelban gewann. Bon da fam er 
1708 als Kantor und Organift nad) Yöwen, und endlich 1722 als Organift an 
die Maria · Magdalenenkirche zu Breslau, wo er num namentlich feine Kenntniffe im 
Drgelbau bei der Herftellung des dortigen neuen großen Orgelmerfes') zu verwerten 
Gelegenheit hatte. Gr farb zu Breslau am 28. Iuni 1742 „mit dem Ruhme 
eines guten und fleifigen Mannes.” Bon jeinen Werten wurden nur „II Choral- 
lieder: Herr Gott, did; loben wir, und: Nun lob, mein Seel, den Herren“ ge- 
ſtochen. Vgl. Matthefon, Eprenpforte. 1740, und Marpurg, Krit. Beytr. J. ©. 362. 


Kirften (Kirft), Johann Gottfried, Hoforganift in Dresden, ein Schüler 
Graun's, war am 5. September 1735 zu Ludan in der Niederlaufig geboren und 
erhielt die erfte muſitaliſche Bildung von feinem Vater und dem feiner Zeit anger 
ſehenen Organiften Schade daelbft, feine höhere Ausbildung aber bei Graun in 
Berlin. 1756 wurde er Mufitdireltor des Grafen Promnig zu Drehna, und als 
diefer ftarb, wandie er fih nad) Dresden, wo er 1767 zunachſt Oxganift an der 
reformierten Kirche, 1789 aber Hoforganift an der evangeliihen Schloffirhe wurde. 
Er ftarb im November I815 und hinterließ im Pte. eine große Anzahl Kirchen⸗ 
fantaten und Motetten. — Sein Sohn und Schüler: 





Kirften, Friedrich Georg, war am 15. Januar 1769 zu Dresden geboren. 
ALS Nachfolger feines Vaters war er von 1789 an Organift an der reformierten 
seirche, von der er 1794 als Adjunft des Vaters an die ebangeliſche Hoflirche über: 
ging, um bei deffen Tode 1815 aud) hier defien Amtsnachfolger zu werden. Am 
10. Auguft 1825 ftarb er und der berühmte Johann Schneider trat an feine Stelle. 





Kittel, Shriftopg, einft „beſtalter Organift der Churf. Sachſ. Capelle“ zu 
Dresden, als welder er 1654 erwähnt wird, war wahrſcheinlich der Sohn des 1603 
zu Sauenftein in Sochſen geborenen und am 9. Oftober 1639 zu Dresden gefter- 





18 angen‘; Rr. 72. S. 80 „Herr, großer Gott, dich loben wir". 1179; Nr. 8%. ©. 
100 „IA Finge dir mit Herz und Mund“ 1782; Mr. 162 S. 192 „Wie groß if 
des Allmägtgen Güte” — Im dem Hit Cheralvorfpiele, das Kühnau feinem CB. 
Heigegeben Hat, ftehen von 8. 5 Nen 13. 6. 7. 10. 20). 

3) Diefe berühmte Orgel wurde 1722—1725 von Johann Röder erbaut; diefelbe enthielt 
56 U. Sn. Von Alung, Mus. mech. org. I. &. 209-204. Gerber, Aites 2er. IL An- 
Hang: „Große und berühmte Orgelwerte.” 











= 


benen furfürftlihen Kammernfilns Kafpar Kittel‘) Derfelbe, Über den Fonft 
nichts betannt ift, hat ſich dadurch ein Berdienft erworben, daß er Meinere Kirden: 
ftüde, die der Kopellmeiſter Heinrich Schüg „in feinen Nebenftunden aufgefegt,” ge— 
fammelt und 12 derfelben unter dem Titel herausgegeben hat: 

XII geiftfice Gefänge mit vier Stimmen für Heine Cantoreyen zum Chor, 
annebenft dem Basso continuo, nad; beliebung hierbey zu gebraudien,, welde 
von dem Churf. Sädf. Capemeifter Heinrich Schügen, hiebevor in feiner 
Nebenftunden aufgefegt, jego aber zufaumengefeagen und mit feiner Bergümit 
gung zum öffentlichen Drud befördert worden durch Chriftoph Ritteln sc. Opus 
decimum tertium (Dresden, 1657). ol. 


774 Ioh. Chr. Kittel. 


Kittel, Johann Chriſtian, Drganift zu Erfurt, einer der legten Schüler Seh 
Bas, der mit Altnidol und Müthel in den lehten Pebensiahren des Meifters ze 
defien Füßen ſaß und wahrfceinfich bis zu deſſen Tode bei ihm geblieben ift. Er 
Hat das Berdienft, durch eine fünfzigjährige Thätigfeit als Organift und Lehrer dee 
Drgelfpiels die Bach ſche Schule der hüringiihen Organiſtenwelt vermittelt und die 
Tradition Bach ſcher Kunſt pietätvol bis in unfer Jahrhundert herein gepflegt je 
Haben. Am 18. Februar 1732 zu Erfurt geboren, muß er mod fehr jung ja 
Bad) in Leipzig gefommen fein, da er bei defien Tode erft 18 Jahre aft war. Ber 
Seipzig lam er wahrſcheinlich 1751 als Organift an der Markt: oder Bonifaciur 
fire und „Dägdlein-Schulmeifter” nach dangenſalza, wo er fih im Februar 17; 
mit Dorotfen Fröhmer verheiratete. Seine Vorliebe für die Mufil entleidete if 
jedoch bald die Schufmeifterei,?) und er gab daher feine Stelle in Sangenfalze ſcher 
1756 wieder auf, fiedelte nad Erfurt über und wurde hier als Nachfolger Jated 
Adlung's Orgamift am der Rats. umd Predigerfirhe. Diele Stelle Hat er dars 
mehr als fünfzig Iahre fang inme gehabt, fih einen bedentenden Namen als Orgel 
vieler, namentlich durch feine Improvifationen gemacht,) und daneben eine aufer 
ordentlich fruchtbare Thätigfeit als Pchrer feiner Kunft entfaltet, von der Schüler wie 
€. ©. Umbreit, M. G. diſcher, Chr. Heine. Rind, Joh. Wilh, Häßler (fein Ref 
von můtterlicher Seite), I. I. Miller u. a. Zeugen find. In Hohem Alter unternafe 
ex 1800 noch eine Kunftreife über Hannover nad) Hamburg und Altonn, wo er ft 
faft ein Jahr fang aufhielt (obwohl dafelbft weder fein Epiel; noch fein Benchme 

”) Bol. Moriz Fürftenau in Mendels Muſil. Konverfations-Leriton. VI. S. 80. Gerder 
Altes Ler. I. ©. 728. 

*) Spitta, Bad II. S. 727 Anm. 80 teilt geflügt auf Brivatnachrichten mit: Sein Nas 
folger, der zu Hohen Jahreu kam, erzählte, er Habe ſich im der Mädchenſchule auf die Yins 
nicht wohl gefühlt: fein Eifer für Komponieren und Notenfhreiben habe ihn üfter verfeiter, dit 
auch in der Schule zu treiben, umd dadurch fei er mehrfach in Konflitt mit feiner Behörde a 
Tommen. Desgalb habe er and endlich die Stelle aufgegeben.“ 

) „Sein Rubm als Drgelfpieler ging in alle Welt,” bemertt G. W. Fint bei Sail 
ter. der Zont. IV. ©. 112. Bal. auch Gerber, Altes er. I. ©. 728. Neues 2er. IL. € 
57-59 und Ritter, Zur Geſch des Drgelipiels, I, S. 166, | 





Ioh. Ehr. Kittel, 705 


befonderen Anklang fand; dgl. Allg. mufit. Ztg. IV. S. 334) und ein Choralbuch für 
das Schleswig Holſteiniſche Geſangbuch ausarbeitete, das 1803 erfgien und aud eine 
Anzahl von ihm erfundener Melodien enthält.') Während der legten Jahre feines Lebens 
genoß &. einen Ruhegehalt, den ihm der Fürft-Brinas Dalberg ausgefegt hatte, und 
ftarb hochbetagt am 9. Mai 1809?) zu Erfurt. — Er war „ein biederer, derbſchlichter 
Mann von altbürgerliger Art,“ darum volfstümlih und „durd fein verſtändliches 
und anipre—endes freies Drgelipiel mehr auf das Volt wirtend, als irgend einer. 
Noch Iahrzehnte nad) feinem Tode gedachten Kenner, wie Laien, vor allen Rind mit 
Begeifterung feiner Improvifationen, die, wie es ſcheint, weit über dem ftanden, was 
von ihm geſchrieben und gedrudt worden ift.“ einen Meifter Bad über alles 
hochhaltend, hatte fih K. doc für alles Bedeutende, was in feiner Kunſt eine ſpätere 
Zeit Hervorbradte, einen offenen Sinn zu bewahren gemußt.) Seine Werke find: 
1. Bierftimmige Choräfe mit Borjpielen. Zum allgemeinen fo: 

wohl, als zum befondern Gebrauch für die Schleswig-Holfteiniihen Kirchen ge 

fegt von Johann Chriftian Kittel, Organiften an der Predigerlirce zu Erfurt. 
Altona, bei Iohann Fricdrich Hammerih. 1803. Fol. 1. Widmung, 2 Bl. 
Borberiht; 2 Bl. Regiter; 205 &. 155 vierftinmige Choräle mit eben fo 
vielen Boripielen; 2 . Verbefferungen. Hier finden fih nun al neu: 12 
Mel. zu Fiedern von Gellert, 12 weitere zu Liedern von Klopftod, Cramer, 
Miünter u. Sturm, und I Mel. zu Liedern unbelannter Dichter, „die — fo 
meint v. Winterfeld — „ihrem ganzen Tone zufolge wohl gleichzeitigen Ur 
ſprungs fein dürften, von denen alfo voransgefegt werden fan, daß K. fie ger 
fungen::"*) es find die Nrn. 12. 15. 37. 38. 39. 43. 51. 54. 59. 62. 

66. 76. 78. 79. 83. 94. 101. 104. 123. 126. 139. 144. 150. 

154. Au die CH-BB. yon Umbreit, diſcher und Schicht enthalten ver- 
ſchiedene Melodien von ihm; fo Umbreits Ch. B. 1811. Nr. 51. 79. 91. 

183. 196. 212. 323. 327. 328. 331; Säiht, Ch-®. 1819. IT. giebt 

Nr. 435 u. 752 unter feirem Namen, hat aber noch mehrere anonyın, Die 
anderwärts als 8.8 igentum bezeugt find. Bei Intob und Miditer, 
HB. find noch erhalten I. Nr. 144. II. Nr. 82 (diefe Nr. unter Nr. 

820 nodmals) und I. Nr. 1191 (diefe Del. auch bei Roger, Zionoharfe I. 




















) Nach Gerber, Alies ger. 1. S. 728 war übrigens ſchon um 1790 „ein vierftinni 
Ehoralbug” von Kittel im Dftr. vorfanden, auf das aud Joh. Zahn, alter und Harfe, 
1880 einzelne Melodien als auf deren Duelle zurüdführt, 

) As Datum ſeines Todes giebt Rind, SelbR-Biogr. Breslau 1833 beflimmt den 9. 
Drai und erllärt,andere Angaben ausdrädfid für unrichtig; Gerber, Neues Ler. II. ©. 50 
dagegen fagt: „Er farb in der Nacht vom 17. bit 18. Day 1809 im 77. Jahre feines Alters, 
vor Schwäge,“ und ihm find die Lerita gefolgt; jo Fint bei Schilling, a. a. D., Beris, Biogr. 
des Mus. V. &. 41, and nod Ritter, a. a. D, u. a. 

>) Bal. j. 8. eine Mlitteifung Über fein Berhäfmis zu Mozarts Requiem bei Jahn, W. 
M Moyart. IV. 1850. ©. 137—738. Ann. 87. 

) Bol. v. Winterfeld, Zur Geih. heiliger Tont, I. S. 332; die eingehende Befprehung 
dieſes €h.-®. Daſ. S 316-371. Dot if von mehreren diefer Melodien neuerdings ein an - 
derer Urfprung nadhgewiefen worden. 





76 Klarinette. 


Nr. 1073). — Über 8.8 Beteiligung an dem Choralbud von Peter Weiner 
dgl. den Art. „Weimar“. — 2. Der angehende praktiſche Organiit, oder 
Anweifung zum zwedmäßigen Gebrauch der Orgel Gottesverehrungen in 
Beyfpielen. qu. 4. 1. Abtl. Erfurt, 1801. S. Tert, 58 ©. Noten 
2. Ausg. 1808. 2. Abtl. Daſ. 1803. 104 ©. mit 8.6 Vilonis. 3. Abt, 
Daf. 1808. 3. Ausg, des ganzen Werl: Erfurt, 1831. Otte. — 3. Bier 
undzwanzig Choräfe mit adt verihiedenen vaſſen über eine Melodie. Dfien- 
bad, Andre, 1811. qu. Fol. 39 ©. — 4. Orgelpräludien, übertragen 
aus dem C- in den G-Sclüffel, transponiert in die von Apel gewählten Tor. 
arten mit teihweifen Tafterweiterungen. 1. Teil: 24 Präludien (C, G, D, F 
Hamburg, Thiemer. gr. 8° (ein neuer Abdrud der Vorfpiele des Schleswig 
E — 5. 24 leichte Choralvoripiele. Nad gel. Werk. Bonn, 
Große Pröludien. 2 Abtl. Leipz Peter, — 7. Bar. 
te, nedft Fuge von Händel und Menett von doh. Seh. Bat 
als Anhang. Leipz. Hofmeifter. — 8. Fughetta in D-moll und Choral 
von Joh. Sch. Bad: „Wenn wir in höchſten Nöten fein.“ Erfurt, Körner. 
— Eine Anzahl einzelner Orgelftüce von X. finden fid in den verjdiedenen 
Sammlungen ©. W. Kürners. 

















Klarinette,') eine ſchöne und ſehr brauchbare Zungenftimme der Orgel, die, 
wenn fie gut gebaut und richtig intomiert ift, den Ton des Ylasinftruments, deiien 
Namen fie trägt, treffend nachahmt. Die Klarinette ift gleich andern ihr verwandter 
Stimmen, wie z. B. dem Cormorne der franzöfifcien, der Cremona der englifcer 
Orgelbauer, dem Corno di Bassetto oder Vaffethern u. a., aus dem alten der 
fen Kruminhorn (vgl. den Art.) herausgebildet worden. Im ihrer älteren Bar 
weiſe, Die fi in Fraukreich und England, fowie bei einzelnen deutſchen Orgelbauerz 
bis heute erhalten Hat, ift die Stimme mit ihren,auffchlagenden Zungen nichts ar- 
deres, als eine verbefierte Modernijierung des Krummhorns,?) die jedoch Dem Ten 
des gleichnamigen Orcheſterinſtruments nur ſehr unvollfommen nachahmt, fo daß maz 
ſich mehrfach veranlaft gefehen hat, durch Auffäge oder Menfurveränderungen nad 
zuhelſen.) — Einen befjeren Klarinetton hat man durch die moderne Bauweiſe mit 
einſchlagenden Zungen erlangt. Nach diefer Bauweiſe erhält die Klarinette für die 
tieferen Töne Schallbecher aus Holz, für die übrigen aus Zinn, von ziemlich enger 

H Im der Kongertorgel im Saalbau zu Franffurt a. M. hat fie Walder auch unter dem 
voltstümtigien Namen „Llannet 8.“ 

2) Xal. 99. Bin, La Facture moderne. 1880. &. 291: „In Clarinette & anche: 
battantes n’est qu’un Cromorne perfectionnd. 

) Io. Mettin in Paris z.B. „a cu Tidee W’adapter un pavillon au corps des 
tuyaux de Clarinette. Cette modification a sufi pour en ameliorer sensiblement Ic 
timbre et lui donner les qualitös particuliöres qui distinguent Pinstrument de Yor- 
chestre.® Bol. Pin. a a O. — Auf anderem Wege, nämlich „aus der Dienfur, und ; 
im Daß in ähnticher Weife, wie die Meifter des 17. Jahrhunderts mit dem Nanfett verfußren‘ 
— will der Orgelbauer Sonret in Köln feine aufftlagende Marinerte aus dem Krummdern 


gebildet haben. Bat. die Mitteilungen hierüber bei Jeplens, Die neue Orgel zu Kanpe. 
1818, ©, 25. 20, 









Franz Guflav Klaner. Klaväoline. 707 





Renfur, Stiefel und Köpfe aus hartem Birnbaum—-)Holz, in der oberften Oftave 
zuch aus Mefing, Kellen und Zungen aus Mefing. Sie Hat viel Ahnlichteit mit 
zer Dboe, doch iſt fie eiwas weiterer Menfur als diefe und hat daher einen volleren, 
veniger fpigen Ton. — Die gewöhnlicfte Verwendung in neueren Orgelwerlen von 
nittlerer Größe an aufwärts findet die Narinette mit 8.Fußton als Soloftimme 
uf einem Nebenmanuai, geht aber häufig als Disfantftimme nur durd) die beiden 
bern Dftaven und wird in den untern duch Fagott ergänzt.) In großen Werten 
indet man fie da und dort aud als Baßklarinette 16%, fonie mit 4, und 
elbſt mit 2Fuften auch im Pedal als Flftimme zur Hebung und Schärfung des 
Beſamttones gewiſſer Stinmverbindungen verwendet.?) 





Klauer, Franz Guſtav, hat einige Sammlungen kirchlicher Geſangsmuſik her— 
zusgegeben, die Anklang und eine ziemliche Verbreitung gefunden haben. Ex wirkte 
von 1847 am als Mufitfehrer am Seminar und als Organift an der Stadttirche 
ju Eisleben und war in beiden Stellungen jehr geſchätt, aud als Komponift be- 


iebt. Am 25. November 1854 farb er zu Eisleben. — Bon feinen Samm- 
ungen, im denen er auch verichiedene eigene Kompofitionen mitgeteilt hat, find hier 
inzuführen: 


1. Dreiftimmige Beitgefänge für Kirche und Schule. Sammlung 
feicht ausführbarer Motetten, Hymmen u. geiftl. Gef. 2 Hfte. Eisleben, Auhnt. 
(2. Aufl.) — 2. Siona. Eine Sammlung von Leidt ausfügrharen Motetten, 
Hymnen, gantaten u. a. geil. Gel. zu allen firdlichen weften. Für deutfche 
Männerhöre. Dal. 4 Hfte. (2. Aufl) — 3. Tempelflänge. Eine Samm- 
Tung von leicht ausführbaren Motetten, Hymnen, Rantaten und andern geiftl. 
Gel. zu fümtfien hoben Tefttagen und andern Tirdlicen Gelegenheiten; für 
Sopr., At, Tenor u. Ba. 2 Hfte. Daf. — 4. PBraltiihe Vorfhule für 
das Drgelfpiel. Sammlung tufenweiie forticreitender Manual» und Pedal- 
übungen. Eisleben, Reihardt. — 5. VHantafie über den Choral „Wer nur 
den Lieben Gott fügt walten,” für Orgel. Erfurt, Körner. 





Klaväoline, ein Rohrwerk der Orgel mit 8 Fußton und fanfter Intonation, 
‚as 1830 von den Orgelbauer Beyer in Naumburg erfunden wurde. Es befteht 
us Meinen Zungen von Meſſing, deren jede in ein auf dem Pfeifenftoc ftchendes 
töggpen eingefet iſt; dieſes Mögen ift Hohl und führt den Zungen durd eine 
Leine Öffnung den Wind zu, vertritt alſo die Stelle des Stiefels bei den andern 
Rohrwerten, Bol. auch den Art. „Äoline“. 


9) DMande Orgelbauer der Gegenwart ſeben fatt „Fagatt-Nlorinette” and „Eupfon-Klari« 
vette” ; Peter Zah. Strand im III. Man. der Orgel der Domtirdie zu Lund hat eine „Mald- 
joen“ genannte Zungenftimme als Bafı und Marinette als Disfant. 

2) &o fat 3. ®. Podegaft im LI. Man. der Nitofniorgel zu Leipzig und im forte: 
Bebal der Orgel im Saale der Gefelliäaft der Mufilfreunde zu Wien eine Aarinette 4° mit 
suffdjlagenden Zungen — vgl. Euterpe 1869. &. 49. Maßmann, Orgelbauten. 1875. I. ©. 
2 — umd Balder im H.-Dan. der Donorgel zu Ulm ein „Clarinetto 24° — 








778 Klein-. Chr. 8. Klein. Bernh. Alein. 

Kleine; dieſes Beiwort wurde von den alten Orgelbauern namentlich zu de 
Prütorins Zeit dem Namen vieler Orgeltegifter beigegeben, um dadurch deren Ter- 
größe im Verhältnis zu andern größeren Stimmen derfelben Gattung zu bezeichnen. 
Algemiein benannte man 16: oder Sfühige Stimmen mit dem Beiwort „groß, 
8 oder 4.füßige mit deren bloßem Namen, und 4- oder 2-füßige mit dem Beiwen 
Mlein;" 3. 8. Principal 16° Gedadt 16° hiefen Groprincipal, Großgedatt; 
Principal 8° (Aqualprincipalh, Gedadt 8: Principal, Gedadt und Principal 4. 
Gedadt 4°: Kleinprincipal Kieingedactt. Dagegen hieß Dftav 8 Großoltad, Ofter 
4: Oltav ſchlechtweg, und Oftan 2°: Kleinoltav. Sämtliche Stimmen, die den Beifer 
„Kein“ erhielten find bei Prätorius, Synt. mus. II. auf der zu ©. 120 u. 150 
gehörigen „Univerfat Tabel, Darinnen der Unterjgied und Namen, Wo nicht alle, 
dod) der meiften Stimmen, fo Diefer zeit in Orgeln gefunden werden, begriffen“ 
verzeichnet. — Bei der Zimbel wurde der Beiname „Aein” mod in befonderr 
Beziehung gebraucht: man nannte „Grobe Zimbel” eine folhe von drei Chöre, 
„Zimbel“ eine folde von zwei Chören, und „Kleine Zimbel ift von einer Pfeitjer 
und ift repetieret.“ Vol. Brätorius, a. a. D. ©. 131. 


Klein, Chriſtian Benjamin, ein bedeutender Organift, war am 14. Mai 1754 
zu Steinkungendorf bei Nudolſladt geboren und hatte fih unter der Leitung dei 
Kantors Gebauer zu Landshut zum Muſiker gebildet. 1771 wurde er Chorpräft: 
zu Iauer, 1775 Signator d. h. Kantor zu Schmiedeberg; hier machte er ſich als Orgel 
fpieler, wie als Komponift und Theoretiter raid einen Namen, rüdte auf die erie 
Drganiftenftelle vor und wurde 1815 fogar nad) Berlin eingeladen, um fih auf de 
Orgel der Marienkirche hören zu laffen. Er farb am 17. Ceptember 1824 ;u 
Schmiedeberg und hinterließ im Mitr. zahlreiche Kirchenſtücke, ein Choralbuch, Orgel 
werte umd mehrere theoretifche Schriften. Die Zeitſchrift „Eutonia“ (Bd. I) rühnt 
iu als „guten Komponiften von einfaderen Motetten, gediegenen und lirchliche 
Orgelſpieler und al Lehrer zahlreicher guter Schüler." 


Klein, (Hubert) Bernhard, der bekannte Komponift, der dur feine Pfalme 
und Motetten für Männerftimmen eine Zeit lang bedeutenden Einfluß auf ähnlice 
Werle evangelifcher Kirhenfomponiften zweiten Ranges übte, und von dem aud) eis: 
Choralmelodie Aufnahme in den Kirhengefang fand, war am 6. März 1793 je 
Köln als der Sohn eines Kontrabaſſiſten im dortigen Stadtorgefter geboren. Zur 
tatholiſchen Geiftfichen beſtimmt, erhielt er zwar aud; einigen Muſitunterricht, wır 
aber doch vorzugsmeife auf das Selbftftudium angewiefen, das er mit folhem Eifer 
und Erfolg betrieb, daß er ſchon 1812 nad; Paris gehen und dort mit Cherubir 
in bildenden Verkehr treten konnte. Nach Köln zurücgelehrt, übernahm er die ei 
tung des dortigen Domchores, ging aber in der Folge auch noch nad Heidelberz 
um bei Thibout und am den Schägen feiner Sammlung alter Muſit zu lern: 
1819 fodann wurde er nach Berlin berufen, wo er zunädft dns dortige Mufiieie 


30h. Iof. Alein. Ioh. Alemm. 779 


und nanentlic, Zelter's Unterrichtsweiſe Tennen (ernen follte; bald übertrug man 
ihm Die Stelle des Mufildireltors an der Univerfität, und als 1820 dns Inftitut 
r Kirhenmufil ins Leben trat, erhielt er, der fih bereits duch größere Kompofi- 
tionen einen Namen gemacht Hatte, aud an diefem einen Lehrauftrag für Rontra- 
punkt und Kompofitionsiehre. Nachdem er 1823 auf einer Romfahrt noch den ges 
lehrten Baini und die feiner Obhut anvertrauten mufitafiihen Schäge der päpftligen 
Kapelle kennen gelernt hatte, wirkte er im Berlin, als Komponift und Lehrer feiner 
Kumft allgemeinen Anfehens ſich erfrenend, bis ihm am 9. September 1832 ein 
früher Tod in der Blüte feines Lebens dahinnahm. Bon feinen Werten, in 
denen fid „ein gebildeter, fein und edel empfindender Geift offenbart, der aud) die 
ichroierigfte Form frei beherrſcht,“ denen aber vielfad „die durch Gelehrfanfeit und 
formelle Gewandtheit nicht zu erjegende Friſche und Unmittelbarteit der Empfindung“ 
mangelt, und die er jelbft meift als „geiftlihe Mufit”, als „religiöſe Gefänge*, alſo 
nicht als eigentliche Kirhenmufit bezeichnet und gemeint hat, find Hier zu nennen: 
Op. 12. 17. 18. 21. 30. Geiftlihe Mufit für 4. 6: u. Sftimmigen 
Chor mit Pf. 5 Hfte. Berlin, Trautwein. — Op. 22-27. 37. Reli⸗ 
giöfe Geſange für 4 Mftn. mit Pf. 8 Hfte. Berlin, Trautwein. — Op. 4. 
: „Ad danfe dem Herrn,“ für 4 Mftn. mit Pf. Yamburg, Steinmeg. 















Ip. 13. Magnifitat für 25, W., 2 Ten. u. 8. mit Bj. Berlin, Traut- 
wein. — Op. 2%. Meffe in D-dur, für 4 Sin, mit Orh. Clberied, Ars 
no. — $Pialm: Miserere mei, Deus, für 2 ©., 4, 2 Ten. und 2 8. 
Dal. -— Op. 43 Salvum fac vegem für 4 Min. Berl., Bethge. — Op- 
46. Kyrie eleison für 5, 4., T., ®. Daf. — Über die von Mein er: 
fundene Shoralmelodie „Löwen, Inbt eud wiederfinden“ ugl. den Art. 


Mein, Johann Joſcph, Organift und Muſiltheoretiter, war amı 24. Auguft 
1740 zu Arnftadt im Thüringen geboren, febte als Stadtorganift, Gerichts: und 
Hofadvolat zu Eiſenberg im Altenburgijcen und farb am 25. Juni 1823 zu Kahla 
bei Sena. Seine Pehrblider der praltiſchen (Gera, 1783) und der theoretiſchen 
Muſit (Leipz. 1801) waren einft beliebt und das erftere wurde fogar ins Dünifhe 
überfegt; fie find wegen der einfagen, verftändligen und dabei gründlichen Behand - 
fung des Stoffes aud Heute noch der Beachtung werth. Von feinen kirchlichen 
Werten ift hier nur zu nennen: 

Neues vollftändiges Choralbuh zum Gebraud bey dem Gottesdienfte, 
nebſt einem Turzen Vorberichte von der Choralmufit, von . . . Auf Koften und 
im Verlag des Verfaſſers und in Kommiffion der Richterſchen Buchhandlung 
zu Altenburg und der Sttingeigen zu Gotha. Nudolftadt, gedrudt mit Berg: 
mannfhen Schrifften. 1785. qu. 4°. 1 BL. Pränumer-Ben,; 11 Bl. Bor- 
bericht; 13 Bl. Reg. 175 ©. mit 344 Ghoräfen in metrifer Anordnung, 
mit bez. Bäffen. Cine zweite Ausgabe erihien: Leipzig, bei Orieshammer. 
1802. 4°, 

Klemm, Johann, der zweite Amtsnachfolger Hans Leo Haßlers als Hoforganift 
Dresden, war um 1593 zu Dederan im Meißniſchen geboren und fam 1605 











7 


als Disfantift in die Kapelle des Kurfürften Chriftion II. in Dresden. Nahden: 
er 6 Jahre als folder „aufgewartet“, wurde er, da unterdefien feine Stimme mı 
tiert Hatte, auf kurfürſtliche Koften nad Augsburg geſchiat, um fih dort unter dıt 
berühmten Chriftian Erbach Anleitung zum Organiften auszubilden. Nach 4: 
jährigen Studien dajelbt lam er nad Dresden zurüd und benußte hier mod der 
Unterricht des Hoffapellmeifters Heinrich Schüg, bis er 1625 als Nachfolger Georg 
Kretfgmar's als Hoforganift „in Beftallung genommen“ wurde. Er foll um 166) 
geftorben fein. Bon feinen im Stile der damaligen deutſch-venetianiſchen Schul: 
geicriebenen Werten find noch befannt : 
Teutfche geiftline Madrigalien mit vier, fünff und fehs Stimmen nett 
dem Basso continuo. Erfter Teil. Freiberg, 1629. 4°. — Joannes Klem- 

mii Oederan. Misnic. Partitura seu Tabulatura Italica exhibens XXXVI 

fugas® (für Orgel. Dresdae, 1631. Fol. (vgl. Matthefon, Critiean mus 

1. ©. 272). 

Klingend, Hingende Stimmen oder Regifter, als Terminus der Orgel 
Funde. Prätorius, Synt. mus II. ©. 131 nennt unter den Zimbeln eine „li 
gende Zimbel" und beſchreibt fie jo: „3 Pieiffen ftard, repetiret durchs ganze 
Clavir in f und e', und wird alfo gefegt Ta c!: weldes die kunſtreichſte fein 
joll.“ — Die neuere und neufte Zeit ſah fih mehr und mehr veranlaft, Die fin 
genden Stimmen oder Regifter der Orgel ala ſolche bejonders zu bezeichnen, um 
fie von der immer wachſenden Anzahl der mechauiſchen Regiſterzuge zu unter 
{beiden und durd) diefe Unterſcheidung die wirkliche Größe eines Wertes tenntlih jı 
macjen. Richter, Katehismus der Orgel. 1875. S. 44 teilt die Regifterzüge ein 
1. in folde, „welde ſich auf die verfhiedenen Stimmen und Pfeifengattungen dr 
einzelnen Manuale beziehen" (Rlingende Stimmen); 2. in folde, „die zur Ber 
Bindung der Manuale untereinander und des Pedals mit dem Hauptmanual dienen“ 
(Koppelmd; 3. in ſolche, „die die Windführungen zu öffnen und zu fperren to 
ſtimmt find" (Sperrventile); 4. im folde, „welche zu einzelnen bejondern med: 
dienen“ (Kollektiv, Kombinationgzüge, Kallantenruf u. dgl.) — und ner 
die erften „Stimmenregifter“, 


Klipftein, Georg Gottfried, war am 24. September 1772 zu Mühlgauier 
in Thüringen geboren, und lebte fpäter als Kantor und Organift zu Dels in Sälefier 
wo er am 15. Januar 1836 farb. Bon ihm erſchien ein ziemlich befannt gewordenet 


Rat» und Hülfsbuc für Organiften und folde, die es werder 
wollen. Zugleich zum Gebrouch in Seninarien. Enthaltend: 180 eingeführt 
Shorafgefänge, bejonders äfterer Komponiften, mit 10000 Ziifchenfpielen M 

dell 


780 Alingend. G. Gotifr. Klipflein. 











dem reinen Sage, in Imitationen und Fugen-Thematen, aus der Melodie f 
geihöpft. Breslau, 1826. Mar & Cie. 4° (Neue Aufl. 1833), ein Bub, 
merkmürdig it, weil es die unglaubliche Wilffr, mit der jene Zeit den Che 
behandelte, fowie den Unfug der Zwihdhenfbiele (10000 zu 180 Choräten! 
ziemlich auf dem Höhepunkt zeigt. Die Zwif—enfpiele, die ((aut Titel) „ans dr) 





Georg Gottfr. Alipfein. kit 





Melodie ſelbſt geihäpft” fein follen, Hafpeln vieljadh in trivialer Leerheit einen 
langweiligen Kmäuel fogenannten Organiftenzwirns ab, und felbft die befferen 
unter ihnen, d.h. die micht bloß aus abgenfigten Paflagen beftchenden, werden 
Durch ihre Länge unbraudber. As Veiipiel jegen wir den Choral „Herzlich thut 
mid, verlangen” aus diefem Choralbud) ber; er lautet mit feinen Zwifhenfpielen : 































































































































































































































































































m 
4 

9 

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782 A. Ioh. Chr. Aloß. Klöhcheukopptl. Juſt. Heinr. Anecht. 


Koh, Karl Johann Chriftian, ein begabter Organiſt und Mufiter, den abır 
fein unfteter Geift und fein zerfahrenes Yeben nit zu voller Entwidlang fommer 
tießen. Er war am 8. Februar 1792 zu Mohrungen bei Eisleben geboren und 
erhielt den erften muſikaliſchen Unterricht von feinem Vater, dem dortigen Sauter 
und Organiften. Als Schüler der lateiniſchen Schule zu Sangerhaufen jegte er fein: 
Studien bei dem dortigen Organiften Rödiger fort und verfah dann ſchon von je 
nem 15.19. Lebensjahre die Stelle eines Organiften und vehrers in dem Der 
Seena. 1811 aber wurde er nochmals Schüler des befannten D. G. Türk je 
Halle und beſuchte zugleid die Univerfität daſelbſt. Nad des Lehrers Tode ging 
er 1813 nad) Leipzig, wo er als Biolinift im Gewandhausorcheſter Anftellung, urd 
damit zugleich erwünjchte Gelegenheit fand, feine muſikaliſche Bildung wefentfid zu 
fördern. 1818 folgte er einem Ruf als Organift an die evangelifche Haupttiree 
zu Elbing, und 1832 ging er als Geſanglehrer und Mufildireftor an das Gym: 
naſium zu Danzig. Doc hielt er es hier ſchon nicht mehr fange aus, privatifiere 
im Leipzig und Dresden und gab im vielen deutfchen Städten Orgel- und Kladier 
Tongerte.‘) 1839 berief man ihm als Organiften an die deutſche evangeliiche Kathedtel 
fire zu Kronftadt in Siebenbürgen, wo der Orgelbauer Buhho aus Berlin eine 
neue große Drgel von 75 Hl. Stimmen aufgeftelft Hatte. Später war er nod fur 
Zeit Organift und Chordireltor zu Eperies in Ungarn, dann fand er feine fee 
Lebenoſtellung mehr und ftarb aufgerieben und gänzlich heruntergetommen zu Rige 
am 26. April 1853. Bon ihm wurden außer einigen Orgelftüden, verjchiedener 
lovierwerten und Piederheften gedrudt: 

Die Chöre der preußiſchen Liturgie, ein und mehritimnig mit Orgel. 

Berlin, Trautwein. 3 Hefte. —. Kantate „Nah einer Prüfung furzer Tag 

für 3 Soloftn. und Chor mit oblig. Orgel. Op. 23. Leipzig, Whiftling. — 

2 Choralbüder find Mſtr. geblieben. Dagegen it jegt no befannt umd ge 

braudt: ein Gradgefang „Da unten ift Frieden im dunfeln Haus,“ für Mär. 

(Sl. 3. B. Heim, Sammf. von Voltöge. für Mor. Nr. 38. ©. 60.) 








Mögcentoppel, auf Froſchtoppel, eine ältere Koppeluugsvorrichtung — 
der Drgel, bei welder die zu Toppeinde Klabiatur verſchoben werden mußte; ng! 
daher den Art. „Schiebetoppel”. 


Knecht, Iuftin Heinrich, cin fleißiger, einft hochgeſchätter Muſiter, der aus 
auf dem Gebiete der evangelifchen Kirchenmuſit in feiner und jener Zeit geifee 
arınen Weife außerordentfid, thätig war, und von den eine Anzahl Choräle im fü 
deutſchen Kirchengeſang bleibende Aufnahme gefunden Haben. Er war am 30. Sa— 
tember 1752 in der Damaligen freien Reicaftadt, jept württembergifhen Oberamte 
fiadt Biberach in Oberſchwaben als der Sohn eines Kantors und Lehrers geboren 





) Bat, über feine Konzerte z. B. Neue Zeitfer. für Mufl. 80. XIX. S. ı78. ® 
xxvi. ©. 160 u. [m 


Zuf. Heinr. Ancdıt. 783 


ber ihm frühe and den erften Mufitunterricht gab. Weiteren Unterricht im General: 
daß erhielt er auf Chr. Mart. Wielands Veranlaffung, der 17401769 als 
Kanzleidireftor in Biberach lebte und ſich fir den begabten Knaben intereffierte, von 
dem Drganiften Kramer, lernte aud bei einem Mufiler des Grafen Stadion zu 
Barthaufen bei Biberach verſchiedene Orefterinfirumente, und beſuchte daneben die 
lateiniſche Schule. 1768 kam er auf das Padagogium zu Eflingen, um feine 
Gymmnaſialſtudien zu maden. Hier war der Präceptor und Mufikdireltor Schmidt 
jein Lehrer in der Mufil umd gab ihm Gelegenheit, Tomverte von Graun und 
Telemaun, jowie die theoretiſchen Schriften Marpurgs und K. Ph. €. Bade kennen 
zu fernen. - Eben war K. im Begriff, die Univerfität zu beziehen, al er 1771 nl 
Mufifdireftor und Kollege an der Lateinſchule in feine Vaterſtadt berufen wurde, wo 
er nun, hauptjählid angeregt durch des Abt Vogler muſiktheoretiſche Schriften, eine 
fruchtbare Thätigfeit als Lehrer, Komponift und Muſitſchriftſteller entfaltete, nament« 
ich feitdem ihm 1792 fein Schulamt abgenommen worden war. Im Paufe der 
Zeit erlangte er einen ſolchen Ruf als Mufiler, dag ihn der König von Württems 
erg, in defien Befig Ks Vaterftadt unterdeffen gelommen war, 1807 als Hofe 
apellmeiſter nad) Stuttgart berief. Den Anforderungen diefer Gtelung aber war 
der Kantor einer Heinen Landſtadt nicht gewachſen, und fühlte ſich darum fo 
anbehaglich in derfelben, daß er fie ſchon nad) zwei Jahren wieder aufgab und an 
angs 1809 in feinen frügeren Wirtungstreis nach Biberach heimfehrte. In dem 
elben wirkte er dann noch bis an feinen Tod, am 1. Degember 1817. — R., der 
einen Zeitgenoffen als Theoretifer „der zweite Kirnberger und in der Kompofition 
tod) mehr“ mwar,t) ift für und einer der Repräfentanten des vulgärften Nationalis- 
nus im der Kirhenmufil, und zwar dieſes Nationalismus nicht auf der immerhin 
105 weit mehr fünftlerifhen Stufe eines Homilius etwa, fondern auf der philifterhaft 
siedermännifgen des kleinſtädtiſchen Kantors. Nur von dieſem Geſichtspunkt aus betrachtet 
ft fein kirchenmuſikaliſches Wirlen zu begreifen. Cinem Danne, der — aud) hierin ein 
vürdiger Schüler eines Meiſters wie Abt Vogler — mit unglaublich naiver Selbit- 
iberfhägung es wagen fonnte, Hand an Seb. Bachs „Runft der Fuge“ zu legen 
and diefem Werle durch ein dazu Tomponiertes Poftludium die „Legte Vollendung“ 
ju geben,?) mußte es leicht erſcheinen, and die feiner Meinung nad der Verbeſſe- 











9) Bol. die Urteife bei Gerber, Altes Per. I. S. 136, Neues ger. I. &. 72-76, na- 
nenttich aber in der R.6 eigenem Werke, dem 2. Teil des Müctt, &h.®. von 1700 (1816) 
438-457 beigegebenen Biographie, „entworfen von 9.“ bejonders S. Ad4 u. 166. Stil- 
ing, Ser. der Tonl. IV. ©. 152, Roh, Geſch des KL. VI. S. 409 u. a. Rimmen dielen 
Arteifen no immer bei. 

3) Bgl. Württ. &6.-8. 1799, 1810. II. ©. 450, wo 9. G. Nägeli, ein Mann ähnlichen 
Sqlaget, diefe Arbeit ol8 „meifterfaft” rühmt und X. dafür Die „Unfterblicteit“ votiert. Bei 
Roh, a. a. D. (vgl. and Mendel, Muft, der VI. &. 105) wird and; noch frhhneg der 
janptet: „eine Pafloralfymphonie, die X. fhrieb, wurde von Beethoven zum Mufler genom» 
nen,“ — eine Berfüindigung am Genius Beeifovens, die nidt mehr fortgepflangt werden [olte, 








J 


rung bedürfenden alten Choräle zu „verbeffern“, und noch viel leichter, am deren 

Stelle neue, foviel man deren haben wollte, „mit wahrer Begeifterung oder dodi 

wenigftens mit Swehmäßigfeit" zu Tomponieren. Und jo Hat er denn wirtlid cr 

200 neue Choralmelodien ) gemaht, die zwar auf dem Papier viel Anerfennurg 

gefunden Haben, aber auch größtenteils auf dem Papier geblieben find. Berhäftnis 

mäßig mm wenige derfelben Haben in der wirttembergifcien Nirde Eingang ge | 
funden, und auch fie werden verſchwinden, wenn einmal dieſe Landeskirche ver | 
ihrem Subjektivismus in kirchenmuſilaliſchen Dingen zurüctommen und ftatt bleher 

Predigtlieder wirlliche Gottesdienſtlieder fingen wird. Was wollten aud Gemeinden 

felbft in einer Zeit, da man feinen evangelifgen Gottesdienſt, fondern nur nos 

„Öffentliche Gottesverehrungen“ hatte, 3. B. mit einer ſchulmeiſterlichen Generalbat 

ftudie, wie diefe: Ch-B. 1799. Nr. XL. ©. 12 (foll laut Vorſchrift „Aöhnend" N 

gefungen werden) 


784 Inf. Heinr. Ancdt. 










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« gräfe ten 





Wann der Er-de Gi 


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72 














und im Stambe Jurgend + flür + Te 

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— — 
Sum e fhallt:&or, er» barm dich um fer. 
PIZ 





—— 


oder mit einer Leier wie die daneben ſlehende: Ch-B. 1799. Nr. XIT ©. 13 
(fol „roh und entzüct” (!) gejungen werden) 


Bal. dagegen Palmer, Eine alte Paferatiympgenie, in der Ag. mufil, Ztg. 1868. S. 14 
bis 150. Nr. 19. 

) Im Bezug auf die Zahl derfelßen wohl nur von Schicht übertreffen, bei dem es rıt 
feinem Vorwort, Ch. B. 1819. I. ©. I „nit weniger, als 306 neue Melodien” geworden fr 





Inf. Heinr. Kuecht. 
































& z 





» fe wir ſind un — ſierbe lich, Te» ben Gier 
h * 




































































in der 


= 
Bi 
Wangen? Wie die Choräle 8.8 nit von innen — geſungen, ſondern nur mit 
andebmaßiger Berechnung des äußern Effeltes, der durch die ileinlichſten Mittel, 
de Unifono’S, armſelige Tonmalereien u. dol. zu erreichen geſucht wird, geuiacht 
fd, fo auch feine Kirchenmuſiken, deren er im zweiten Teile des Choralbuchs 
5. 214—260 eine Anzahl giebt. Er laßt gemöhnlih die 1, 3, 5. Strophe 
ines Liedes von der Gemeinde nad der Choralmelodie, die 2., 4. 6. Strophe 
ıber vom Chor in einer durchaus weltlichen Arienweiſe der allergewöhnlichſten, zop- 
igten Art und ohne die geringfte Beziehung auf den Choral, fingen; ſeibſt wenn 
nom dieſe Muſilen nur als weltliche betrachten wollte, erjcheinen fie unglaublich arm- 
dig, und man begreift eine Zeit laum, die einen Komponiſten von fo geringer Er— 
Ändungsfraft geneigt war, für ein Genie zu Halten. — Auch als Orgel 
omponift erf eint K. kaum in befferem Pichte, obwohl ihn feine Zeitgenofien ge— 
de als ſolchen am hödften jhägten. Er fannte, wie feine ganze Zeit, den wahren 
Ürgefftil überhaupt nicht mehr; daher find es nur Kedmäßige Gedanfen meift recht 
Furgatmiger Natur, die er für die Orgel ſchreibt, und aud die Form feines Satzes 
ft viel mehr Movier- als orgelmäßig, jo fehr, daß in den 180 Bor- und Nachſpielen, 
die er im dem mehrfach, genannten zweiten Teil feines Choralbuchs S. 1—192 giebt, 
Aud nicht einmal der Verſuch einer orgelmößigen Durchführung eines Themas über- 
haupt, "und noch viel weniger eines Choralthemas gemacht ift. — Bon 8.3 Wer« 
fen nennen wir: 

1. Bollſtändige Sammlung teils ganz neu fomponierter, teile ver: 
befferter dierfiimmiger Choralmelodien für das nene Wirtembergiſche Land» 
gefangbud. Zum DOrgelfpielen und Vorfingen x. Herausgegeben von Chrift- 
mann und Knecht. Stuttgart, 1799. Gebr. Mäntler. qu. 4°. XX u. 318 ©. 
mit 266 Men. — 2. Bollftändiges Württembergifhes Choral: 
bud. Zieiter Teil: enthaltend eine praftifce und eine theoretifdje auf die 


Praftit angewandte Abteilung x. Bon Iuftin Heinrich Knecht, Königl. Würt- 
Kümm erke, Enatl. d. «vang. Kirgenmufil. 1. 50 


Kindheit N 







Rand, 





für das Dbeffre Ba + ter « land. 


$ 20 ee 
— 














= — 

















786 Inf. Hein. Ancdht. 


tembergiſcher Mufidireftor. Stuttgart, 1816. Gebr. Mäntler. qu. 4°. XII 
und 461 ©. — 3. Melodien zu dem Gejangbud; der proteftan 
fücen Oefamt- Gemeinde des Königreichs Bayern, zum Gehrund 
in Kirhen und Schulen. Culzbad, 1820. 219 Choräl. — Im dien 
Ch.BB., fowie in einem weiteren für feine Vaterſtadt Biberach von 1732 
an bearbeiteten, das aber nicht in den Buchhandel gelommen ift, hat K. im 
ganzen 181 von ihm erfundene Choralmelodien veröffentliht, won denen di 
folgenden fich im Württembergüigen Ch-B. von 1844 erhalten Haben: As 
fich ihm dufden, binten, fterben. A-dur. cis heishnaaadc 
1793. C.-8. 1799, Nr. XCL ©. 101. Wirt, &.-8. 1828. Nr. 4 
Bürtt. Ch-B. 1844. Nr. 76.1) Du, des fih alle Himmel freun 
B-dur. dbd es cbab. 1793. Ch.-8. 1799. Nr. LXXX. ©. 9. 
©h.-2. 1828. Nr. 56. (1825 geindert: „Wir freuen uns, Herr Jejn Chrift”; 
9-8. 1844. Nr. 43 („Das walte Gott, der helfen lann“); Drei Kart. 
GB. Nr. 266 (Szadromsty, Ch-2. 1873. ©. 121). Du, Gott, bit 
über alles Herr. D-dur. adddhag fs. 1792. Ch.B. 1799. Wr. 
LVII. ©. 67 (and) zu „Nun dantet all und bringet Chr“); Ci 1823 
Nr. 291. CH-®. 1844, Nr. 20 („Dir dankt mein Herz, dir jaudizt mein 
tin ); Scaffhaufer ©.-8. 1841. Nr. 379. ©. 646647 („Der Her 
1 ein um Minernadt”), Gott der Waprfeit und der Liebe. Galar. 
n hag ah ch. 1797. Ch.-8. 1799, Nr. CXCVI. ©. 209. Ch-S. 
1828. Nr. 74. CB. 1844. Nr. IT1. Herr, dir ift — zu ver 
gleihen. A-dur. aaacisad cis ha. 1793. Ch.B. 1799. Ar. 
XXXL ©. 34. 35. ChB. 1828. Nr. 128. Ch. B. 1844. Nr. 192. Dei 
Kant. GB. Nr. 9 (Syadronety, Ch. 1873. 9)._ Mein Olaub ii 
meines Lebens Ruh. Es-dur. g’es bb b es’d cc b. 1797. CheS 
1799. Nr. COXXVIL ©. 241. Ch. B. 1828. Nr. 155. Ch-B. 184. 
Nr. 146. Shaffh. ©.B. 1841. Nr. 277. ©. 490. Bird. GB. 1855. 
Nr. 184. ©. 204. Drei Kant. GB. Nr. 184 (Spadronstg, CH-B. 1815. 
S. 101). Dein Heiland nimmt die Sünder an. Es-dur. bes i 
escbasg. 1795. Ch.B. 1799. Nr. CXVII. ©. 126—127. Ch. 
1844. Nr. 1896. Mir [hauert nigt vor dir, o Gruft. F-dur. fe 
fbdeb.a. 1794. CH. 1799. Ar. CH. ©. 113. Ch.-B. 1828. Ar. 
271. _Ch-%. 1844. Pr. 105. Ohne Raft und unvermeilt. As-dur. 
ebascesdesc. 1797. Ch-8. 1199. Nr. CLXXXVII. ©. 1% 
Ch.B. 1828. Nr. 225. Ch.B. 1844. Nr. 31. Stärf uns, Mittler 
dein find wir. B-dur. fb ba bd de. 1793. Ch-B. 1799. * 
LXXV. ©. 84. 85. Ch.B. 1828. Wr. 114. C0.:8. 1844. Nr. 20° 
Schafih ©.-8. 1841 Nr. 169. ©. 338. Zürd. 1855. Nr. 143 
©. 210. Drei Sant. O8. Nr. 151 (Sadronsty, CH-B. 1873. ©. @ 


1) Die Notiz bei Koch, Geſch. des RL. VL S. 471, daß dieſe Melodie auch ine Zürte 
9.8. 1853 aufgenommen fei, iR uncicitig; dort lit Dein Heil, o Chrift, nit au vır 
ſcherzen. B-dur. fbac bes ca b. 1196. €9.-®. 1790. Mr. OXXX. ©. 139. & € 
1828. Nr. 150. Ch.B. 1844. Nr. 09: „Aus Gnaden ſoll ich ſelig werden,” bei Knecht zu 
zu „Wer nur den lieben Gott läßt walten.” 















































D. Fr. Aniewel. A. Aniller. 187 


Die groß ift des Allmähtgen Güte. Es-dur. & bgoasfasg es. 
1. ©. 25. Ch.-®. 1828. Nr. 262. Ch.B. 
Wie felig bin id, wenn mein Geift. F-dur. f e”b 
adceb”dcb.a. 1795. Ch. B. 1799. Nr. CXL. ©. 149. Ch. B. 
1828. Nr. 230. Ch.B. 1844. Nr. 21. Womit ſoll ih dich wohl loben. 
G-dur.gghghh dh. 1797. CB. 1799. Nr. CLXXXIX. ©. 
201. &.®. 1844. Nr. 1726. Ichovap, Ichovah, Ichovad. C-dur. 
gegedgdec. 1815. Bayr. Ch-®. 1820. Nr. 10. Sayriz, Kern 
U. Ne. 232. — 4. Vollftändige Orgelicufe für Anfänger und Ge- 
übtere. I. Abtl., die Orgelipieltunft enthaltend. 1795. Fol. 86 ©. II. tl., 
die Kenntnis der vornehmften Orgelregiſter enthaltend. 1796. Fol. 196 ©. 
(S. 41185 Orgelftüte). III. Mbtl., eine theoretifchprattifce Abhandlung 
über das Choraffpiel entHaltend. 1798. Fol. Leipzig, bey Breitlopf. — Nach) 
der Borrede follte das ganze Wert 8 Abteilungen umfaffen, aber der Tod des 
Verleger verhinderte deffen Fortführung.) 






Kuiewwel, Dr. theol. Sriedrih, geboren 1783 zu Danzig, wo er 1825 bie 
1847 als Prediger an der Marientirche wirkte. Dann gründete ex eine feparierte . 
lutheriſche Gemeinde, die er bis 1854 leitete. Hierauf zog er ſich nad) Suddeutſch 
land zurüd, wo er 1859 in dem Badeorte Berg bei Stuttgart ſtarb. — Bon ihm 
finden fih bei Markull, Choral Mel. Buch zum Danziger G. B. 1845, fowie bei 
Ritter, Ch.B. für die Provinz Preußen 1857 (Mr. 87. 230. 232) die drei 
Choral Meiodier 

„Beift, den reine Geiſter loben.“ G-dur. gdggahch. 

„Schüg du die Deinen, die nad) dir fid nennen.“ C-dur. cc g 

aaggagfe. „Segnend fhied er, ſegnend wird er fom- 

men.“ Esdun. gfesfgasbebg. 





Kniller, Andreas, ein Älterer Organift und Orgelfomponift, der der nordiſchen 
Organiſtenſchule angehört Hat. Aus Lühed gebüctig, war er zuerft ,berühmtet und 
5eftalkter Organift zu St. Georgi und Iafobi“?) in Hannover, von mo er 1685 
ils folder an die Petritirche zu Hamburg kam. Hier refiguierte er 1717 wegen 
Altersſchwäche, nachdem ihm ſchon vorher fein Schwiegerſohn Joh. Jatob Hende als 








thlreichen weiteren Werte 8.8 hier aufgufüßren, iſt Überflüifg, da fie flr unfre 
Zeit volfländig wertlos find. Gin Verzeichnis derfelben findet man in dem mehrgennnnten 
Zeil des &-®. 1816. ©. 441-455, ſomie bei Gerber, Neues ter. IL, &. 73-70, und 
‚ei Sötis, Biogr. des Mus. V. &. 62-64. Felis urteilt Gier ganz richtig, wenn er von &. 
agt: „la musique Corgue qwil a publice est faible de conception, bien qu’agröable. 
1 rmanquait de gönie et n’a &tö qu’imitateur. Comme derivain, il a &t6 aussi love 
yeaucoup au-dessus de sa valeur.“ 

2) &o wird er bei Ciamor Heinrich Abel, Dritter Teil mufilatiffer Blumen, beftchend 
1 Allemonden, Korrenten x. Franffurt a. M. 1677 genannt. Bat, Monatst. für Mufitgefd. 
873. S. 183. 














50* 


188 A. Anödel. Anopfventillade. 


Subftitut beigegeben gewefen war, der dann aud fein Nachfolger wurde, und ftars 
1724 als Emeritus. Nach Gerbers Zeugnis „bat er verſchiedenes für die Orgel 
geſetzt, wovon Gerber eine Toccata aus B-dur befaß; auf unſere Zeit it kaum 
etwas von ihm gefommen.') 


Knödel, Karl, ein mufitverftändiger württembergiſcher Geiftliger, der am 10. 
September 1826 zu Iptingen geboren war. Cr ftudierte bis 1852 am der Uni- 
verfität Tübingen, ſpäter febte er zu Eßlingen als Mufikichrer,?) und wurde danı 
1861 Pfarrer zu Affumſtadt im Württembergifgen, wo er jedoch ſchon an 6. Yuli 
1867 ftarb. Roch als Student gab er 1851 einige Beiträge (2 Choralvoripiete) 
für das von Kocher, Silcher und Fred) herausgegebene „Orgelipielbuh” (Stuttgart, 
Mepler), und 1855 nahm Kocher zwei Choralmelodien von im in feine „Zione 
Harfe“ auf, nämlich: 

„Berr Gott, der du Himmel, Erden." G-dur. gahde de 
„Ad mein Herr Iefu, dein Nahejein“ 1853. Leptere Melodie 
aus Koder, Bionsharfe I. 1355. Nr. 760 fand Cingang bei Ialob und 

Richter, Cp-B. 1. Nr. 201. ©. 181 und im „Schlef. Choralmelodienbug“ 

(ogl. Schäffer, Ch. B. 1880, N. 4. ©. 4): aud bei Zahn, Palter und 

Harfe. 1886. Nr. 308. ©. 205 und bei Dölter, a. a. D. S. 4 fteht fie; 


diefelbe heißt: 
SH * 
etz — — 3 


— = 
i 



































A, mein Herr Ze + fu, dein Nas he » fein bringt gro«fen Frieden ine 


Seen 


Herz hin » ein, und dein Gna-den -an-blid madıt uns fo fe « fig, 


Pen ne 


dafı Leib umd Ser »fe dar- ü» ber fröß-lih und dank-bar wird. 


Anopfventillade, eine Windlade der Orgel, welde von dem DOrgelbaur 
Chwatal (Firma: Chroatal & Sohn, vgl. den Art.) 1861 erfunden und 3. B. fr 
das Pedal der 1869 aufgeftellten Orgel zu Budan bei Magdeburg verwendet wurde 
Die Einrichtung derfelben beruht auf dem Princip der Kegelade: fie Hat wede 
Söleifen nod) Cancellen; jede Pfeife hat ihr eigenes Spielventil von Knopffer 
das ſich ſeitwärts öffnet. Es wird von derſelben gerühmt, daß fie geräufgleis 
Spiel, prompte Anfpradje der Pfeifen und leihtes Anziehen der Regifter zu jere 
Jahreszeit ermögliche, jeden Windverluft aber geradezu ausfhließe. Bgl. Bär 
für Handel, Gewerbe und ſociales Lehen (Beiblatt der Magdeb. Zig.) 1869. * 







































































1) B9l. Gerber, Neues Per. III. S. 78. Signale flr die mufil, Welt. 1870. S. sur 
) Wie Dölfer, Geiſtliche Lieder. Stuttg. 1876," ©. 4 meldet. 


Seb. Anüpfer. Eduard Emil Koch. 789 


48. ©. 383. — Auf die Erfindung einer andern ‚Knopflade“, die ihm 1855 
patentiert wurde, macht aud der Orgelbauer Grüneberg (vgl. den Art.) in Stettin 
Anfprud. 

Knüpfer, Sehaftian, der dritte Amtsvorgänger Bachs als Kantor der Thomas- 
ſchule zu Leipzig, der jedoch im der Reihe berühmter Männer, die dieſe Stelle inne 
Hatten, nur einen befheideneren Plag einnimmt. Er war am 6. September 1633 
zu Aſchen im Voigtlande geboren und von feinem Vater, Johann Knüpfer, der dort 
Kantor und Organift war, in der Mufit unterrichtet worden. Seine wiſſenſchaft- 
lihen Studien begann er unter der Leitung eines Privatgelehrten in feiner Heimat; 
ipäter fam er nach Leipzig, mo er im Haufe des berügmten Juriſten Johann Phi. 
lippi Aufnahme fand. Deſſen Proteftion verſchaffte ihm aud 1657 die durd den 
Tod Tobias Michael's erledigte Stelle an der Thomasſchule,) die er in durchaus 
rũhmlicher Weife verwaltete, bis ihm 1676 ein früher Tod ſchon im 43. Lebens: 
jahre dahinraffte. — Seine Kirenftüde wurden zwar zu feiner Zeit gerühmt, einen 
bleibenden Wert aber dürften fie laum gehabt haben, da fie einer lÜbergangszeit 
angehören, in welcher fih der eigentliche Stil der evangefiichen Kirchenmuſit erſt 
herausbildete. Überhaupt ſcheint Knüpfer, unähnlich feinem großen Nacfolger, be: 
deutender als Schulmann und Phitologe denn als Mufiter geweſen zu fein. Ein 
Sohn von im, Johann Magnus Knüpfer, war „deuticer Poet, Juris Brat- 
titus und Notar. Pub. Cäfar.” (Gerber, Altes Ser. I. &. 739), daneben aber 
auch Mufiter und als Organift zuerft in Jena, dann in Naumburg, und endlich 
als Kammertomponift zu Zeig angeftellt. 


Koch, Eduard Emil, der verdienftuolle Hymnologe, war am 20. Januar 1809 
auf dem Schloſſe Solitude bei Stuttgart, wo fein Vater als Militärarzt lebte, ge- 
boren. Er erhielt die vorbereitende Schulbildung in den Schulen zu Stuttgart 
und machte dann feine theofogifhen Studien an der Univerfität Tübingen. Nach 
Abfolvierung derfelben, und nachdem er mehrere Jahre al Hilfsgeiftlicher in ver- 
chiedenen Gemeinden feines Heimatlandes thätig geweſen war, erhielt er 1837 die 
Zandpfarrei Großaſpach, in deren Muhe er jein litterarifces Sehenswert, die „Öe- 
chichte des Kirenlieds“ in der Abfiht begann, „durch geſchichtliche Belebung und 
ourch Aufftellung der Lebensbilder ihrer Diter und Sänger die Löftlihen Glaubens: 
ieder unferer evangelifhen Kirche in Herz und Leben des Volfes einzuführen.“ Im 
elben Jahre 1847 fodann, in dem die erfte Auflage feines Werkes ans Licht trat, 
vurde K. als Stadtpfarrer nad; Heilbronn berufen, und hier begann er jofort die 
Bearbeitung der zweiten Auflage nad; einem erweiterten Plane, ohne ſich fürderhin 
»ↄurch die ausſchließliche Rüchict auf das Württembergifhe Gefang: und Choralbuch 


1) Gerber, Neues Per. IV. S. 40 ſchreibt sub voc, „Shelle": „Micnel farb 1857, Als 
jeffen Nachfolger nennt mon einen Johann Krieger,“ mährend er II. &. 80 unter 
„Knüpfer“ das Riftige Hat. 





1 


beengen zu laſſen. Gleich nad) Vollendung diejer Auflage wurde ihm im Spätherbit 
1853 die Stelle eines erften Stadtpfarrers zu Heilbronn und des Superintendenten 
der dortigen Didcefe übertragen; damit aber übernahm er eine Amtébürde, die ihm 
zu hymnologiſchen Arbeiten kaum noch Mufe gewährte. As daher die Bearbeitung 
einer weiteren Auflage feines Werfes nötig wurde, ſah er fih, um die Zeit hiefür 
zu gewinnen, veranlaßt, 1864 das Pfarramt zu Crdmannhaufen, einer Landgemeinde 
bei Marbach zu übernehmen. „Dadurch wurde ih mn“ — fo fügt er in der 
Vorrede zur dritten Auflage ſelbſt — „in den Stand gefegt, mein Wert nach einem 
noch viel umfafjenderen Plan und in einer durchaus umgearbeiteten, dem meuiter 
Stand der hymnologiſchen Wiſſenſchaft entſprechenden Geftalt erſcheinen zu laſſen 
Ale und jede irgend bedeutendere Erſcheinungen auf dem ganzen Gebiete der 
deutfchen chriſtlichen Kirche, der katholiſchen jo gut, als der evangeliſchen, und in der 
ebangeliſchen, der reformierten jo gut, als der lutheriſchen, und innerhalb dieſer beider 
des niederdeutſchen fo gut, als des hoch und mittelhochdeutſchen Sprachgebiets, jr 
jelbft der außerdeutſchen Sprachgebiete jo weit (wie z. B. in Böhmen und den 
Niederlanden) eine Wechſelbeziehung zwiſchen ihnen und dem deutfcen Gebiete ftatt 
gefunden Hat, find jegt berüdfictigt, und die der ganzen deutſchen Nation angehö 
venden oder wenigfteng einzelnen deutſchen Stämmen und Provinzen lieb und teuer 
gewordenen Lieder und Gefänge find zugleich beleuchtet. Dabei glaubte ich ol 
Hauptgrundſatz feſthalten zu müſſen die gleihmößige Verkdfihtigung ſowohl dr 
praftifgen Bedürfniffe der zumeift Erbauung und geiftliche Anregung — 
chenden chriſtlich gebildeten Volkokreiſe, als der theoretiſchen der vorwiegend di 
Förderung des wiſſenſchaftlichen Interefies begehrenden gelehrten reife der Mlänne: 
vom Fade.” Doc liegt, trog dieſes Strebens nad) „gleihmäßiger Berücfihtigung‘ 
des erbaufihen wie des wiſſenſchaftlichen Momentes der Hynmologie, der Schrer 
punkt des Buches auf der erbaulihen Seite. Was ſodann noch die Behandtung ie 
Kirchenmuſit in demfelben anlangt, fo ſteht Koch in dieſer Beziehung ganz auf de 
Standpunkte v. Winterfeld's, defien eigene Worte er vielfach verwendet, und i 
deſſen Fehler er darum auch verfallen if. Leider war ihm nicht vergönnt, jet 
Werk ganz zu vollenden: nachdem er 1866-1870 fieben Bände desfelben bearbe 
und ſechs davon ediert hatte (der fiebente erſchien 1872), veranlaßten ihn Geier! 
heitsrlicfihten, einen Erhofungsurfaub zu nehmen, und während er denfelben — 
Stuttgart verbrachte, ergriff ihn eine ſchwere Krankheit, die feinem Leben am 
April 1871 ein Ziel fegte. Den achten und lehten Band des Wertes bearbeit 
fodann der Diatonus an der Stiftsfirhe zu Stuttgart, Richard Laurmann, und It 
ihm 1876 erſcheinen. Der Titel des Koch ſchen Wertes it: 

Geſchichte des Kirhenlieds und Kirdengefangs der hriſtlich 
insbefondere der deutſchen evangelifden Kirche. I. Haupt 
Die Dichter und Sänger. Bd. I. Stuttgart, Belfer ſche Verlagshandt. 1 
XVI u. 489 ©. 8°. Bd. U. 1867. X u. 496 S. Bo. IN. 1867, WV. 


d 


790 Eduard Emil Koch. 
























Dr. Konrad Kocher. 79 


u. 559 ©. Bd. IV. 1868. VIII u. 574 ©. Bo. V. 1868. VIII u. 672 

©. Bo. VI. 1869. X u. 558 ©. Bo. VII. 1872. XII u. 499 ©, („nad 

dem Tode des Verfaſſers herausgegeben von Adolf Wild. Ko, Brofefior am 

Kantonsgymnafium in Scaffhaufen“); IL. Hauptteil: Die Lieder und Weifen. 

Bd. VI. 1876. VIII und 712 S., au) unter dem beſondern Titel: „Die 

Kernfieder unferer Kirche im Schmud ihrer Gefhihte. Begründet in 

exfter umd zweiter Auflage von F Eduned Emil Koch, Defan in Heilbronn a. N. 

Umgearbeitet und vermehrt in deitter Auflage von Richard Laurmann, Dia- 

tonus an der Stiftsfiche zu Stuttgart.” — 

Kocher, Dr. Konrad, ein auf dem Gebiete evangeliſcher KirKenmufit in treu 
leißiger, und im Sinne jeiner Zeit auch ausgezeichneter Weiſe thätiger Mann, der 
ahrzehntelang den eigentlichen Wittelpunft alier kirchenmiuſilaliſchen Beftrebungen 
a feinem Heimatlande Württemberg bildete, und and über defien Grenzen hinaus 
duch feine Choralſammlungen, ſowie als muſilaliſcher Bearbeiter des Schaffhaufer 
Geſangbuchs ſich einen geachteen Namen erworben Hat. Er war als der Sohn 
zines armen Schufters am 16. Dezember 1786 zu Digingen, einem großen Dorfe 
bei Stuttgart, geboren, und wurde, da er frühe ausgezeichnete Begabung zeigte, zum 
Lehrer beſtimmt und in der Weiſe jener Zeit ausgebildet. Nachdem er 1802 bis 
1805 einige Hilfeehrerftellen an Boltsigufen feiner Heimat belleidet Hatte, folgte er 
einer Berufung als Privatiehrer nad) Petersburg. Als er nad mühleliger und ent» 
behrungsvoller Reife dort anfam, fand er die Stelle ſchon befegt, und fand nun 
hitſlos in einer ihm fremden Welt. Da verſchafften ihm feine mufitaliihen Kennt- 
niſſe und Fertigfeiten die Belanntſchaft Muzio Clementi's und feiner Schüler Klengel 
und Berger, die ihm Unterricht im Klavierſpiel gaben, während er bei Joh. Heine. 
Mäler die Kompofition ftudierte und daneben durch Mufitftunden feinen Unterhalt 
envarb. Nach Gjährigem Aufenthalt in der Fremde kehrte er 1811 in die Heimat 
nuruck und ließ fih als Muſillehrer in Stuttgart nieder; hier zog er durd einige 
größere Kompofitionen (wei Opern, ein Oratorium, Klavierſonaten, Streichquartetie) 
die Aufmertſamteit der Kunftfreunde auf fih, und 1819 ermöglichte ihm der edel« 
denfende und Tunftfinnige Buchhändler Cotta eine Bildungsreife nad) Italien. Im 
Rom machte K. die Belanntſchaft Boini’s, und diefer verfhaffte im die Gelegenheit, 
die Leiſtungen der päpftlichen Kapelle im katholiſch kirchlichen a cappella-Gefang tennen 
zu fernen, die überwältigenden Eindrud auf ihn machten. Und diefer Eindrud einer 
Rirhenmufit, welhe „die Seligfeit einer Andacht, die aus kindlicher Hingabe an die 
Mforgende Kirche flieht, die Empfindung des ftillen Glücks, im Himmliſchen zugleich 
die irdiſche Schönheit genießen zu dürfen,“ in trefflicher Weife auszudrücten vermag, 
Verbunden mit den von im mitgebrachten ‘Ideen des deutfchen Nationalismus, daß 
alle Kirchenmuſik nur Ruhrung, äußerlich andähtige Stimmung zu weden Habe, und 
Überdies endlich, ein praktifher Vorgang in der Schweiz, wo H. G. Nügeli einen 
dierftimmigen Gemeindegefang ohne Orgel eingeführt hatte: dies alles brachte K. zu 
der Überzeugung, dab auch für die evangelifce Kirchenmuſit in Chor und Ger 





Dee 7 


792 Dr. Konrad Kocher. 


meindegefang alles Heil mır im a cappella-Gefang zu ſuchen jei. Diefe Überzeugung 
fegte er nad) feiner Rücktehr in die Heimat 1821 zunädft theoretiſch dar im der 
Schrift: „Die Tonfunft in der Kirche,“ die 1823 erſchien und niht geringes Auf— 
jehen erregte;!) dann aber ging er auch praftiih ans Werk: gründete in Gemein: 
ſcaft mit Silcher (vgl. den Art.) und Frech (vgl. den Art.) einen „Sirder: 
gefangverein“ für Württemberg, veranfafte die Kirchenbehörde zu einem Etlaß vom 
23. November 1823, durch den nicht nur in allen Schulen des Landes ein regel: 
mäßiger methodiſcher Geſangunterricht eingeführt, ſondern aud allen Gemeinden die 
Errichtung don Gelanghören und Geſangſchuien Erwachſener empfohlen wurde, und 
bearbeitete endlich, zufammen mit den beiden genannten, von 1823—1826 die Me 
fodien des Landesgeſangbuchs im einfahften vierftimmigen Satz für die Zwece der 
Gemeindeöre, eine Bearbeitung aus der dann das Landeschoralbuch von 1828 ent. 
fand. Allein obwohl K. mittlerweile am 14. Oktober 1827 Organift und Mufit- 
Direktor am der Stiftsfirhe zu Stuttgart geworden war und damit eine der erfter 
und einflußreicften firhenmufifafifgen Stellen in Württemberg inne hatte; obwohl 
von Geiftlien, Drganiften, Kantoren und Lehrern ein tüchtig Stüd Arbeit der 
Sadje des vierftimmigen Gemeindegefangs gewidmet wurde: fie blieb ein Experiment, 
das bie 1840 als volftändig mißglüct angejehen werden mußte?) Trotz diefer 
Enttäuſchung galt, wenn auch in ehvas ftillerer Weife, R.8 hauptfählihfte Thätic: 
feit auch für die Folgezeit der evangelifgen Kichenmufit: 1841 beſorgte er die Re 
vifion des muſilaliſchen Teils des Schaffhauſer Geſangbuchs; 1843-1844 liefern 
er Beiträge für die Harmonifierung der Choräle des Württembergifhen Choralhucht 
von 1844, und ſchrieb außerdem die Zwiſchenſpiele für die Nrn. 141—210 für 
dasjelbe; dann folgte 1851 die Herausgabe eines von ihm, Silcher und Fred) be 
arbeiteten „Orgelfpielbud)s,* das zwar in etwas den Cindrud des Zufammer 
geftoppelten madt und jedenfalls eine nur mangelhafte Belanntihaft der Verfafir 
mit der wirklichen, klaſſiſchen Orgellitteratur dokumentiert, gleihwohl aber immer not 
eine ſchöne Anzahl guter Orgelftüde enthält. Endlich aber ift noch feiner groke 
Choratſammlungen zu gedenfen, von denen die „Stimmen aus dem Reiche Gottee’ 
(„zu Knapp's Liederfhag) 1838, die „Zionsharfe“ in zwei Bänden 1855 eridier 
Im denfelben ift eim reiches Doterial auch aus den fernerliegenden Gebieten de 
engliſchen, der reformierten und felbft der römiſch latholiſchen Kirche zufammmengetrager 
freitich ohne jegliche Spur hiſtoriſchen Sinnes und Verftändniffes. Dieſe Samm 
kungen enthalten auch eine ziemliche Anzahl von K. ſelbſt erfundener Choralmelodier 

1) Bol. 3. 8. die Mußtzeitſchrift „Täcifie:" Mainz, Shot. Bd. I. S. 141 f. Bo. 
S. 8 fi. Theol. Nadrihten, 184. ©. 403—515, 

>) Bol. Roh, Geſch des 8.2. VIL ©, 417 
1-5. 14. 15. 29, 25. 20. 18 
1841. 9. 1m. 3. 1842, 
1843. ©. 193 fi. 














424. Siddeutfäer Schulbote 1840. R 
. Nr. 2-5. Blätter ans Süddeutigland. 1840. Het 
3. 1849. 9.1. 1844. 9.4. Vollsfäule 1842. ©. 402 # 








Dr. Konrad Kocher. 793 


3 denen jedoch nur wenige ſich über das Niveau der rationalififhen" Melodien: 
cherei erheben; in dieſen wenigen aber wird fein Name wenigflens im volirtteme 
sieben Kirchengeſang fortleber. Über Kes äußere Sebensverfältnifie if mır noch 
Autragen, daß er 1852 fein jähriges Amtejubiläum feierte und bei dieſer Ber: 
laffung von der Univerfität Tübingen mit Verleihung des philoſophiſchen Doktor: 
8 geehrt wurde; daß er fodann 1865 im dem wohlverdienten Ruheſland trat, 
d endlich am 12. März 1872 als ein Greis von 86 Jahren fein thätiges Leben 
Stuttgart beſchloß. — Folgende Werte von ihm find hier zu verzeichnen: 


1. Die Tontunft in der Kirche, oder Ideen zu einem allgemeinen, 
Aftimmigen Choral- und einem Figuralgefang für einen dieineren Chor, nebit 
Anfihten über den Zwed der Kunit im allgemeinen. Stuttg. 1823. Meter. 
8. XXVI und 107 ©. -— 2. Vierfiimmige Gefänge der evan 
gelifpen Kirche Ctuttgart, 1825. XII und 484 ©. 8%. 259 Chorüle 
(Ausg. in Stn. des Ch.-B. von 1828, gemeinfan mit Silcher und Fred). 
— 3. Bierftimmiges Choralbud für Orgel- und Mavierfpieler, oder 
Melodien zu fümtlicen Liedern des öffentlichen Gefangbud;s der evangelifcen 
Kirche in Württemberg x. Stuttg. Mepler, 1828. Du. Folio. NVI u. 154 
S. 218 Choräle. — 4. Figuralgefänge für 4 Sfin. Für die evange- 
fifche Kirche auf alle Sorn- und Fefttage des Iahrs. Stuttg. Zumfteg. Qu. 4°. 
Part. u. Str. — 5. Der Ehrift an den Gräbern der Berftorbenen. 
Sammlung von Leihengefängen zum Gebraud) für Chöre jeder Art. Ctuttg., 
Hallberger. Part. 4°. 2, Aufl. — 6. 6 Kantaten und Motetten für 4 
E fin. Stuttg. Zumſteeg. Qu. 4°. Part. u. Stn. — 7. Stimmen ang dem 
Reihe Gottes. Eine auserlefene Sammlung alter und neuer evangelifcher 
Kernlieder, mit beigefügten für 4 Cftn. gefegten und für Gefang, Klavier: 
und Orgelfpiel eingerichteten Choralmelodien vom Urfprung des Chorals bis 
auf die Heutige Zeit. Mit einem Vorwort von Alb. Knapp. Stuttg., Hallberger. 
1838. 8°. 3 BI. Borr. 736 ©. mit 696 geiftl. Liedern u. 184 Chorälen. 
2. Ausg. 1846. — 8. 136 vierftimmige Choräle für den Männergefang. 
Zum Gebraud) für Seminarien, Gymnaſien Tchrergefangvereine, Liederkränge ıc. 
Tübingen, Saupp. 1850. 8° (3. Aufl. 1875. Mit Silher u. Freh). — 9. 
Drgelipielbug. Eine Sammlung von KirhlihHaffhen Orgelftüden alter 
und neuer Meifter mit Finger: und Fußlag, nebft einleitender Orgelicufe. 
Stuttg. Megler. 1851. Qu. 4° (mit Silher und Freh). — 10. Zions- 
Harfe. Ein Chorafihag aus allen Iahrdunderten und von allen Konfeffionen 
der riftlichen Kirche. Zur Erbauung in der Familie wie in der Gemeine 
gefammelt und für Singhöre, Orgel- und Havierjpiel vierftimmig bearbeitet. 
Stuttg., Megler. I. Abel. 1137 Choralmelodien der evang. Kirche, nebft den 
beften Choräfen der alten Kirche, vom Heil. Ambrofins bis zur Reformation, 
Aus der böhmifcen, der mährifhen und Brüdergemeinde von Huß bis auf 
unfte Zeit 1853—1854. gr. 8°. XII und 576 ©. II. Abtl. Das Bialm- 
Bud) der reformierten Kirdhe, 124 Melodien mit unterlegtem franzöfigen Ori: 
gimaltert. 1855. IT. u. 74 ©. II. Abtl. Die ſchönſten Melodien der Pfat- 
men und Hymnen der angfifanifgen Kirhe in England und Amerifa mit 
unterfegtem englifhem Originaltext. 1855. II u. 178 ©. mit 359 Melodien. 
IV. Abel. Die ſchönften Melodien der fatholifen Kirche mit unterlegtem 





794 


1 


deutſchem Tert. 1855. II u. 108 ©. 316 Mel. — 11. Haus- Choral: 
buc) für Stavier und Gejang. 179 Choräle mebft den vollitändigen Lieder: 
terten. Den Kern der evangelifhen Gejang: und Choralbüger enthaltend, 
Rad) den Driginaten und gangbariten Barianten in dierftimmigem Sape. Stuttg, 
1858. Mepfer. ter. 8°. IV u. 154 ©. 12. Dasjelbe mit 174 Chorälen mit 
nur einen Tertftropge. Kern des wirkt. evang. Gejang: und Choralbuhs in 
vierft. Sag. 1858. Ler 8°. Bon 8.8 Cyorälen erſchienen im Ch.-B. von 
1828 22 Nen., weitere famen hinzu: in den „Stimmen“ 1838, im Ch-®. 
von 1844, in der „Bionsharfe” 1855 und mod einer im Pfälzer G.-®. 
1859 im ganzen 77; die folgenden fanden Eingang: Es ging der Manr 
voll Gnad und Segen. dg fisgahchag, fomp. 1821. 1825 
gedrudt. Württ. Ch.B. 1828, Nr. 5. &. 2. Bionsharfe I. 1855. Nr. 88; 
bei dalob u. Richter, Ch-B. II. Mr. 859. &. 691 zu „Ihr Sünder, die 
ihr an den Brüften.” Werde Lit, du Volk der Heiden. e e gis fis c 
gisa h”a gis, fomp. 1823, gedr. 1825. Württ. Ch.-®. 1828. Nr. 16. 
©. 6. Schafft. GB. 1841. Nr. 64. ©. 164— 167. Württ. CB. 1844. 
Nr. 96. Zürher GB. 1853. Nr. 75. ©. 114. 115. Yatob u. Richter, 
SB. 1 N. 131. ©. 120. Auferftchn, ja auferfiehn wirft du 
e ed efgahc dg, lomp. 1825 (1824, gedr. 1825. Wirtt. CI 
1998. Re. 117. ©. 64. Sunmen 1838. Mürtt. CB. 1844. Nr. 51 
Bionsharfe I. 1855. Heiligfter Iefu, Heilgungsquelte. fa g fa 
ed dba, komp. 1825, gedr. 1825. Württ. Ch. 1828. Nr. 22. ©. 9; 
verändert Zioneh. I. Nr. 549; in lebterer Form bei Iafob u. Richter, CH. 
1. Nr. 195. ©. 172. Bon dir du Gott der Einigkeit. f fag ch 
ag f, tomp. 1825, gedr. 1825. Württ. Ch.B. 1828. Mr. 115. ©. 47. 
Shaffh. GB. 1841. Nr. 213. ©. 398-401. Zürd. G.B. 1853 
117. ©. 178-179. App. GB. Nr. 72, Der Herr ift gut, in 
defien Dienft wir ftehn. gg gedchcag, fomp. 1828. Wirt. 
&h.3. 1828. Nr. 188. ©. 68 zu „Es ift nicht ſchwer, ein Chrift zu fei 
Shaffh. 6.8. 1841. Nr. 171. ©. 344-347. Württ. CB. 1844. 
66. Nicht eine Welt, die in ihr Nichts vergeht. geheg as gt 
es f g, fomp. 1836, gedr. Stimmen“ 1838. Württ. Ch.®. 1844. Nr. 23 
Bionsh. I. Nr. 683. Yatob und Richter, Ch.2. I. Nr. 1029. ©. 
Alter Gläubgen Sammelplag. es g bb as”g as°b g, temp. 183) 
gedr. Stimmen 1838, Württ. CH. 1844. Nr. 32. Geh zum Shlummer. 
ohne Kummer. he hac dc h, fomp. 1837; gedr. Stimmen 1838 
Zürh. 6.8. 1853. Nr. 288. ©. 376-317. Mid Staub vom Stan 
führt mein Lauf. e fis fis gis a h cis h, fomp. 1838; gedr. Stimmer 
1838. Scaffd. GB. 1841. Nr. 373. ©. 634-636. Treuer Heiland 
wir find Hier. as g”as b as des des c, tomp. 1838; gebr. Etimmer 
1838, Nr. 201, dann verändert Württ. Ch®. 1844. Ne. 123. Zürt 
6.2. . Nr. 135. ©. 202-203. 9 hab von ferne, Herr, dii 
nen Thron erblidt. fefbachbagag, komp. 1838, gedr. Stir 
men 1838. Zionsh. I. Nr. 926. Iatob u. Richer, CH-B. I. Nr. 167. € 
deffen Weisheit ewig if. ce fg gc ch, komp. 18% | 
ide 6.2. 1859. Nr. 47. ©. 32, 


Dr. Konrad Koder. 



















































Ernf Köhler. Joh. Chr. Köhler. 795 


Köhler, Ernit, ein namhafter Organift und fleißiger Komponift, war am 28, 
Mai 1799 zu Langenbielau bei Reichenbach in Schleſien geboren und erhielt den 
elementaren Mufitunterricht von dem Kantor Hauptmann daſelbſt. Nachdem er von 
feinem 14. Jahr an weitere Studien aud in der Kompofition bei dem Kantor 
Kühler in Peterswaldau gemacht Hatte, tam er 1815 nad) Breslau und wurde hier 
ein Schüler Berner's im Klavierſpiel und Förſter's auf der Violine. Durd die 
Vermittlung diefer feiner Lehrer erlangte X. nicht nur als Mufiftehrer Zutritt in 
die erften Häufer der Stadt, jondern erhielt auch fhen 1817 die Stelle des zweiten 
Drganiften an der St. Eüſabethtirche dafelbft, an welher er 1826 zum Ober- 
organijten vorrüdte. Er galt zu feiner Zeit als einer der fertigiten Orgel» und 
tavierfpieler in Breslau, und hat ſich aud als Komponift von Orgel» und firh: 
lichen Gejangsaden, ſowie von Klavier- und Orcheſterwerlen einen Namen gemadit. 
Am 26. Mai 1847 ftarb er zu Breslau. Von feinen Kompofitionen!) find hier 
zu nenmen: 

Op. 15. Berjuch einer Einleitung zu Graun's Tod Jeſu, beftchend in 

2 Pröludien, Breslau, Weinhold. — Op. 22. Bhantafie üher das Halleluja 

aus dem Meſſias vor indel. Hamburg, Kranz. — Op. 26. Variationen in 

B-dur für Orgel. Wien, Haslinger. — Op. 29. 6 vierfimmige Choräfe mit 

Zroifhenfpielen, nebſt fugierten Präfubien und Ausführungen der Choräle. 2 

Hefte. Hamburg, Kranz. — Op. 33. Variationen über ein Thema von Spohr 

für Orgel in G-dur. Breslau, Weinhold. — Op. 44. Wie groß if des 

Allmãcht'gen Güte. Motette für Männergeſ. mit obl. Orgel. Brest, Grofler. 

— Op. 48. Auferftehungsgefang für 4 Mitn., Blasinftr. u. Orgel. Dal. — 

Op. Motette: Der Herr ift meine Zuverſicht. Für 4 Mftn. mit Orgel. 

Daf. Op. 57. Motette: Wenn id, o Schöpfer, deine Macht. Für 4 Mſin. 

mit Orgel. Daſ. — Op. 60. Kantate: Auf Gott und nicht auf meinen Rat. 

hor mit Orb. Daf. — Op. 61. Motette: Wie lieblid ift do, 
fütte. Fr 4 Sftn., Orb. u. Orgel. Dai Op. 63. Kantate: 
Gott, deine Güte reiht fo weit. Für Aſtgn. Chor mit Or. Daf. — Op. 
66. Iubel-Rantate zur 100jährigen Kirdenfeier. Fiir Iftgn. Chor mit Orh 
Breslau, Leudart. — Op. 67. Pröfudium zu einem Fee. Erfurt, Körner, 
4°. — Op. 68. Präludium zu einer Trauerfeierlicfeit. Daf. 4°. — Op. 70. 
Drgel-Kompofitionen zum Gebr. beim Gottesdienft. 2 Hefte. Berlin, Bote & 
Bod. — Op. 72. Phantafie, Einleitung und Variationen über die ruſſiſche 
Boltshymne. Dal. — Borfpiel: DO Haupt voll Blut und Wunden: Erfurt, 
Kömer. 4°. — Op. 74. Motette: Den Blid empor. Für 4 Mftn. mit Orgel, 
Berlin, Bote & Bol. 


Köhler, Johann Chriftian, ein Orgelbauer, der in der Mitte des vorigen 
Jahrhunderts zu Frankfurt a. M. lebte; von feinen Werten verzeichnet Cponfel, 
Drgelhiftorie. 1771. ©. 125—127 und ©. 131—134 drei: 2 Meinere Chor- 
orgeln mit 22 und 15 tm. in der Hauptlirche des Kloſters Eborach im Würz- 


























) Ein vollfländiges Verzeichnis derfelben findet man bei Koßmaly und Carlo, Schlefſches 
Zontünftter-Leriton. 2. Heft. 5. 128-134. 


796 Kollekte, Kollektenton. 


burgifchen 1759, und ein größeres 1760 im der obern Pfarrtirche zu Bamberg mit 
26 Str. Diefe Werte Haben die Eigentümlicfeit, daß eine auhergewöhnliche Ar 
zahl von Stimmen, zwei Regiſterzüge (für Disfant und Bas) hat. 


Kollekte, Kollektenton. Unter den beſtimmt formulierten Oratiomen der 
tönifcpen Liturgie ift die angeblich ſchon vom Papfte Gelafius (geft. 496) nad) der 
Leltion der Epiftel angeordnete Kollekte die erite.!) Im der alten orientalijcer 
Kirche war fie das Gebet, welches der Biſchof nad dem Schluß der von Diatoner 
und Gemeinde Iniend verrichteten Gebete fiehend fprah, um Die in diefen ans 
gefprogjenen Bitten und Anfiegen gleihfem zufammenzufaffen, zu refapitulieren.® 
Ältere evangelifge Kirchenagenden bezeichnen die Kolelte als „ein gemein Gebet der 
ganzen Gemein, darum es auch ein Kolfeft genannt ift, ein gefammlet Gebet vor 
dem Herzen und dem Leben aller Gegenwärtigen oder ein Gebet der gefammleten 
Gemein,” „ein Gemeingebet fiir die ganze Chriſtenheit.“ Sie beginnt nad; der 
Salutation (vgl. den Art.) mit der Aufforderung des Liturgen: „Oremus!“ 
„Laßt und beten!” bringt dann das eigentliche Gebet, in weldem auf Die jeden: 
Sonntage oder feinem Evangelium, jedem Feſt- und Feiertage, jeder kirchlichen Zeit 
zu Grund fiegende Idee oder Heilsthatfache fpeciell Bezug genommen ift, un 
fliegt mit der Dorofogie:®) „Per Dominum nostrum Jesum Christum Filium 
tuum etc.“ „durch Jeſum Chriftum, deinen Sohn, unfern Herrn,” ſamt dem Zujag 
„qui tecum vivit et regnat in unitate spiritus sancti Deus per omnis 
saecula saeeulorum,“ „der mit dir in Cinigfeit des heiligen Geiftes lebet un) 
tegieret, wahrer Gott, von Ewigkeit zu Ewigleit,/ worauf der Chor mit Amer 
antwortet. Alle Stolleften Haben im Modus legendi choraliter des gregorianijher 
Gefangs einen beftimmten Ton, der darum Kolleftenton, tonus collectarum. 
genannt und in dreierlei Hauptformen gebraucht wird; 1. der einfach ferialer 
(tonus simplex ferialis), einer getragenen Necitation auf der Dominante, oha: 
jegliche melismatiſche Veränderung der Tonhöhe, nur mit einem Anfalten des Atern: 
beim Komma (suspirium), und einer Unterbrehung (pausa) bei größeren Iuter 
punttionen;*) 2. der ferinlen, tonus ferialis, bei welder am Schluffe der eigent 
lichen Kolletie und der Dorologie ein Terzfall (der accentus medius) von der 


*) Die zweite iR die Sekret, welche vor der Bröfation vom Priefter fill gebeter, ti 
dritte die Bofltommunio {ugl. den Art), die am Schluß der Meife vor dem Ite miss 
est ete. abgelungen wird. 

2) So nad Vingham von recapitulatio, andere Ableitungen 3. ®. bei Augufti, Hertt 
der Keiftl. Ardäologie 1836; Daniel, Codex liturgicus. 1847—1853, u. a. 

®) Dogologie in dem weiteren Sinne genommen, dah jeder Schluß eines Gebetes, in tı= 
der Dreieinige Gott erwähnt if, und miht alein das Gloria patri u. [. m, fo Geißt. 

) Bol. Wolersgeim, Anweifung zur Erlernung des greg. Gel. Paderh. 1858. ©. 11: 
Fyra, Die fiturgifgen Atarweifen. Göttingen, 1373. &. 25. 26. 


| 
| 
| 
il 


Koliekte, Kollektenton. 197 


Dominante zum Final als Meines Melisma angebragt wird,') und 3. der feier: 
lichen oder feftiven, tonus festivus, mit den beiden Melismen des Punctum 


prineipale (bei 3) und des Semipunctum (bei b)®): 
. 








E00 90-00-0000 Be 
ri ta =tis in-funde: ut quos 











O -re-mus. Spi-ri-tum no-bis tu-ae c 



















































b. 
— —— — — — 
sa-cra-men-tis pas-ca-li- bus sn -ti-a-St, tu-a fa-ci- as pi 
b. 
ss — — — 
e-ta-te con-cor-des. Per Dom. no. J. Chr. Fi-li- um tu-um, 
Base 20 0-0-0-5-0-09-0-0} Ez} 























qui..sane-ti De-us, per om-ni- a se-cu-Ia se-cu -lo-rum. Auen. 
Die evangelifce Kirche nahm nit nur die Form des Kolleftengebets, fondern 
auch Die älteren Kolleten, ſofern diefelben ihrem Inhalt nad dem Evangelium ger 
mäß waren, aus der mittelalterlihen Kirche herüber, und ließ fie anfangs auch noch 
im der feitherigen Weife abfingen. Bald jedoch fand fie e8 dem Zwecke der Ber 
teifigung der Gemeinde mehr entſprechend, diefelben zu überfeen, fie „Har deutih, 
mit gewöhnlichem Accent" fingen zu laſſen, „deutich und verftändfid und mit fauter 
Stimme, damit die ganze Kirch Knne Amen ſprechen und zugleid mit dem Priefter 
zu Gott ſchreien ;“*) and; neue Rolleften entflanden im 16. und 17. Jahrhundert, die, 
weil fie den Kreis der Bitten erweiterten, „für allerlei Anliegen der Chriftenheit,“ 
„um Fried, gut Negiment, fruchtbare Zeit oder dergleihen“ beteten, die alten an 
KRernhaftigfeit und Tiefe der Gedanfen nicht mehr erreichten und bei ihrer Weit- 
ſchweifigkeit auch bald nit mehr gefangen, fondern nur noch gelefen werden loun— 
ten.) Es war natürlih, daß fhon die Überfegung der Kolleften, nod mehr aber 








*) Bol. Haberf, Magister choralis. Regensb. 1870. $ 24. P. Kienle, Choralſchute. Freib. 
1884. ©. 90. 

2) Bal. P. Rienfe, a. a. D. S. 79. 80; Lyra, a. a. ©. ©. 26, 27; dafelbft auch eine 
Rebenformel aus Musices choralis medulla etc. Colon. Agripp. 1683. p. 93 des Franzis« 
aners Hermann Mott 

®) Ober eine bejondere gregerianifdie Karfreitags-Kollette, welche Dieffenbach und Müler, 
Diarium pastorale. 1. 3 IV. Nr. 106 als „Diatoniiges Gebet" auch für die evang. Kirge 
earbeitet haben, vgl. Habert, a. a. O, Syra, a. 0. D. ©. 27. 28; P. Kornmüller, Lerilon 
er tircht. Tontunſi. 1870. ©. 336. 

+) Bol. Pfatz. RD. (des Pfalzgraſen Wolfgang) 1560. Rigaiſche K. O. 1530. Medien. 
%.-O. 1552. Öft. K. O. 1571. 8.-D. der Stadt Hannover. 1588. 

>) Bal. Or. RD. 1571. Rotenburger 8D. 1611. 8-D. für Medlenburg, Wenden 1. 








Ä 


die weitſchweifigeren Neubildungen folder, auch ihre mufitalifge Form, den Kol 
fettenton, becirfluſſen und in Bezug auf denfelben Anderungen hervorrufen mußten, 
bei denen man immer mehr von dem urfprüngligen einfachen Notenjdpema und 
feinen (mit der Wiederholung im dorologiſchen Teil) zweimal zwei Einſchnitten ab 
fa und diefe, um den Ton dem erweiterten Tert anzupaffen, nad; Belieben ver- 
mehrte.) Überdies wurden auch die Melismen der Einſchnitte öfters in anderer 
Beife gebildet und felbft die Dominante als Necitationston nicht immer feftgehalten. 
As dann fpäter in der Zeit des Pietiömus und Nationalismus der liturgiſche Teil 
des Gottesdienftes immer mehr verſchwand, ging auch die Kollefte nad und mad 
ganz in das allgemeine Cinleitungsgebet vor der Predigt Über. Dagegen haben die 
Liturgiler der Gegenwart, ſowie die neueren Agenden derjenigen Fandesticchen, die 
von jeher eine ausgebildetere Liturgie hatten, die Kollelte allgemein wieder an ihren 
Pla gefegt; während aber jene von ihrem theoretiihen Standpunkt aus verlangen, 
daß fie wieder wie ehinals gefungen werde, geftatten diefe, indem fie mehr der kirch 
lien Praxis Nehnung tragen, das Lejen derfelben.?) — Das Amen nad dem 
dorologif gen Schluß jeder Kollelte wurde in der evangeliſchen Kirche anfangs mo& 
vielfach dem katholiſchen Brauche gemäß, dem Chore überlafien, ging aber bald und 
mit Recht allgemein am die Gemeinde über und wurde von ihr als ein Belenmtnie 
zum Inhalt der Kollelte mit Orgelbegleitung gefungen. Die Gegenwart follte dieie 
ihöne Sitte, wo fie verſchwunden ift, überall wieder aufnehmen.) | 


798 Kollektiv- und Aombinations-Züge, -Tritte, -Pedale. 





Kollektiv» und Kombinations-Züge, «Tritte, Pedale in der Orgel find 
Regiſterzuge, oder im Bereich der Füße des Organiften Über dem Pedal angebradz 
Tritte, welche die neuere Orgelbaufunft als Teile des Regierwerles in immer aus 
gedehnterer und ausgebildeterer Weife anwendet, um die verjhiedenften Grade der 


1540. Pfalz Neub. 80. 1548. Köln, Ref. 1644. Auch Löhe, Haus, Shul- und Kirhendus 
1. &. 63 demern von den im 16. und 17. Jehrh. neugeichaffenen Kollelten, „daß fie zu rei- 
{hreifig zu fein pflegen, 018 daß fie mit den alten Kollelten in cine Reihe geftellt werde: 
Tönnten. Je älter die Kollelte, deflo fürzer if fi.“ 

?) Wie denn Ludecus, Missale 1589 einmal auf die monfröfe Anzahl von 12 Eininiter 
Tam. Sal. Rıra, a. a. D. ©. 31; Scocberlein-Niegel, Sag I. Nr. 284. ©. as1—4s 
aud) mod einfadie Formulare daf. I. Ar. 114. ©. 190-191 aus dem Onofzb. Antipfenei 
1627; Nr. 285. S. 456457 ans der Bayreuther Chor-Ordnung 1755. 

%) Kraufold, Mufil. Altarag. 1853; Petri, Agende 1852 u. a. verlangen, daßz die &et 
fette gefungen werde; Scoeberlein, Shak S. 188 läßt die Frage ofien, während vern 
Kern. IV. Borr. ©. VI bemertt: „id, halte den Gefang (der Kolletten) dem Berftändnis 
nachteilig, da Gier fonntäglic) wechfelude Terte einteeien wlirden, deren genaue Xermtris Sei 
Gemeinde ichwertich vorausgejeht werden darf.“ Die Preuß. Yandesag. 1820, das Batäk 
Kirenb. 1858, die Bayr. Agende 1856 u. a. laffen die Kollelten leſen. 

¶ Vielfach iR Dies auch geidiehen; dagegen teilt die Preuß. Ag. 1829. S. 5 diefes Mm= 
dem Chor zu und bemerkt überdies noch: „Wünft man diefes und die beiden nädftfolgene 
vom Chor zu fingenden, einfadien Amen wegzulaffen, jo Tann es geſchehen.- 














Kollektiv- und Kombinations-Füge, -Tritte, -Pedale. 99 


angftärfe umd die mannigfaftigften Arten der Klangmiſchung im Moment, und 
ohne daß dazu die Einzelregiſtrierung (die die Freiheit des Spiels mehr oder 
weniger beeinträchtigt) nötig wäre, zu erzielen. Unter Einſchluß der im Zuſammen- 
hang mit diefen Teilen der Orgelmedjanit ebenfalls weſentlich verbefierten Koppe— 
Lungen (vgl. den Art.) fann man fäntfiche hiehergehörigen Vorrichtungen einteilen: 
1. in Kollektivzuge, «tritte, mittelft welcher eine beftinmte Anzahl oder 
ſamuliche Stimmen eines ganzen Wertes, eines ganzen Manuals oder Pedals, oder 
einer Manual» und Pedafabteilung mit einem Zug oder Tritt angezogen, oder durch 
deffen Austöfung abgeftopen und dadurch die verſchiedenſten Grade der Slangftürte 
Hervorgebradjt werden können; 2. in Kombinationszüge, -tritte, mittelft welder 
Stimmgruppen eines Werkes oder feiner Abteilungen in entjpredender Zuſammen- 
ftelung auf dieſelbe Weiſe gleichzeitig zum Erklingen oder zum Schweigen gebracht und 
dadurch die mannigfaftigften Klangmiſchungen erzielt werden Tonnen. Die nähere Be- 
ſchreibung aller hieher gehörigen Neweinrictungen würde jedoch an dieſer Stelle zu 
weit führen, und dies um jo mehr, als die meiften derfelben weder für den allge- 
mein firhlihen Beruf der Orgel, noch aud für die ſtilmaßige Ausführung der 
Berte der llaſſiſchen deutſchen Orgelfunft vonnöten fein dürften. Sie verdanten ihre 
Erfindung augenſcheinlich dem Veftreben, die Orgel zum Konzertinftrument zu machen, 
umd fie immer mehr in den Dienft einer Zeitrichtung zu fiellen, die aud in der 
mufifalifhen Kunſt durch äufere Effelte erſehen und verdeden möchte, was ihr an 
Gedanken (namentlich aud an wirklichen Drgelgedanten) abgeht.) Wie man dieſe 
Einrichtungen aber auch anfehen mag, es möchte doch nicht überflüffig fein zu er- 
innern: einmal, daß die fompfizierte Mechanit, die für die meiten diefer Züge und 
Tritte notwendig ift, die Dauerhaftigfeit eines damit verfehenen Wertes dod wohl 
zinigermafen fraglich erſcheinen (offen muß; fürs andere, daß ein Organift, der z. B. 
15—20 Tritte über dem Pedal Häufig und regelmäßig gebrauchen will, kaum noch 


1) Nitter, Zur Geftı. des Orgeliviele, I. S. 64 meint: „rescobatdi ſchuf feine geniafen 
Werte bei einer Orgel von 14 Stimmen, 1 Manual und — Ys Pedal; ob mit der madıfen« 
yert Größe der Orgelwerle und der zunehmenden Anzahl der „Kombinationszüge” auch mehr 
Dreiftermwerle für die Orgel entftehen werden, beyweifle ich fo Tange, als die Neigung des Pur- 
fifums andauert, fih Rundenlang, flat mit Gedanten, mit Regifter- Kombinationen 
amterhaften zu faffen.” Doch mag auch eine andere Anfiht, die &. Fr. Armbruft, Die neue 
Drgel der St. Petriliche zu Hamburg. 18%5. ©. 17, ausfprift, Gier eine Stelle finden. Sie 
tet: „Wer derartige Hülfemittel unterihägt oder gar verwirft, der vergift, daß ein jeder 
tünftfer die Aufgabe Hat, ſich derartig zu einem Meifter feines Inftruments auszubilden, daß 
efes den momentanen Gingebungen feiner Bhantafie augenblidlid) gehorcht, was aber wiederum 
im Inſtrument vorausfeßt, welches einer derartigen Nacıgiebigleit fähig it, und warum follte 
‚ie Orgel Hierin Hinter andern Inftrumenten zurüdftehen? Daß; diele Empfindungen nicht in 
Empfindelei und falfce Sentimentalität oder andrerfeits in zu ſchroffe Gegenfähe ansarten, 
serbietet fon der Charakter der Orgel; Die efeitigung der alten Schwerfäligteit indeffen, 
weiche das Infrument weit mehr als früher in den Willen des Spielers fielt, ift als einer 
ver Dedeutendften Fortſchritte der neueren Orgelbautechnit zu begrüßen.“ 























\ 


in der Page fein dürfte, das Pedal ſelbſt funftgereht und fo zu behandeln, wie 
dies die klaſſiſchen Werke deutſcher Orgellunſt verlangen. — Um übrigens die 
moderne Ausbildung dieſes Teils der Orgelmehanit im deutf—en Orgelbar 
doch zu veranfhaulicen, laſſen wir ein Verzeichnis dieſer Einrichtungen im dem 
größten Orgelwert der Gegenwart, ) nebft den Erläuterungen des Erbauers folgen 
1. Die Crescendo- und Decrescendo-Borrihtung fürs ganze Wert, 
eine Walze (Nollfeneller) mit automatifcer Altion; dazu gehört: ein Zug, um fie 
im Thätigfeit zu fegen; eine Stewerung lals Zug), um derjelben die Direktion, 
ob Creseendo oder Decrescendo, zu geben; ein Anferzug, um die Walze auf 
jedem Grade des Cresc. und Decrese. montentan anzuhalten; ein Tritt, um 
die Wirkung der Wale auf die Regifterzüge in beliebiger Stellung augenblidiis 
aufguheben, fo daß die Walge leer weiter geht, und endlich ein Zifferblatt, das 
den jeweiligen Stärlegrad des ‚Crescendo oder Decrescendo anzeigt. 2. dat 
Kombinationsprolongement, ein Tritt, der das Repiftvieren während dee 
Spiels und zwar fo ermögliht, daß eine gewählte Regiſtermiſchung im Spiel bei 
behalten und, während diefelbe benügt wird, eine beliebige andre eingeftellt werder 
tann, um fie in einem gegebenen Moment an der Stelle der bisherigen erflinger 
„zu laſſen. 3. fieben Abſtoßer für alle Abteilungen des: Wertes (4 Manuele, 
2 Pedalobtl,, und alle Monualftn.), Züge die mittelft eines einzigen leichten Druds | 
ermöglichen, entweder alle Manuakregifter, oder die fämtlihen Regiſter je eines | 
Manuals oder Pedals verftunmen zu maden und fofort wieder eine andre Mifhun 
herzurichten. 4. zwei Tremolozüge für Vox humana und Bourdon d’echo, 
fowie fie Oboe 8° im I. Man. 5. vier Tritte für vier Pedalgruppen, die jo 
zufommengeftellt find, daß fie in Bezug auf Stärle und Tonfülle mit den vir 
Danunlen Torrefpondieren; dieſe Pedaltritte find fo eingeridet, daß, wenn der 
niebergedrücht wird, ein etwa vorhergezogen gewejener ſich gleichzeitig ſelbſt austäft, | 
durch dieſelben Hat der Organiſt neben dem Hauptpedal, auf dem er jedes beficbige | 
Bedaregifter einftellen kann, eigentlich mod vier weitere Pedalffaviere von verſche 
dener Stärke zur Verfügung. 6. neun Tritte für ebenfoviele verjciedene Stimm 
gruppen der vier Manuale; lonſtruktid in ganz verichiedener Weife hergeftellt, wirt 
dieſe untereinander ebenfalls jo, daß der zu ziehende Tritt gleichzeitig den vorher 
gezogen geweſenen abftößt. Durch diefelben erhült man, da drei ihre Wirkung anft 
T., II. und MIT. Dlan., zwei nur aufs I, Dan., zwei nur aufe IL, und zwei ur 
aufs III. üben, für jedes der drei Manuale fünf verſchiedene Regiftermifhungen, ar 
für Die drei Manuale alfo im ganzen 15 Kombinationen, ohne den Tritt Or- 


800 Kollektiv. und Rombinations-Büge, -Tritte, -Pedale. 








1) &8 iR die Walder’fcie Orgel im Dom zu Kiga mit 124 M. Sin. auf 4 Mami 
und Pedaf, und 6820 Pfeifen; die von Briedr. Kadegaft in der Orgel der Domtirche zu Res 
angebrafite Meganit findet fih befricben in Euterpe 1882. ©. 70 und ©. 89. 90, und ie 
jenige der Waider’fjen Orgel im neuen Gerwandausfanfe zu Leipzig in Urania 1985. Ari 
©. 20. 


Komm, du füße Todesſtunde. Komm, Gnadentau ır. 80 


gano pleno und die Koppelungen (vgl. deren Verzeichnis im Art. „Roppel*) 
zu rechnen; Hat der Organift z. B. einen beftimmten Tritt gezogen, fo hat er auf 
den Manwalen I, II, III je ein Piano, num möchte er aber im II. Dan. raſch 
ein Forte Haben, in den Man. I und III aber das frühere Piano beibehalten, weil 
er wieder daranf zueheffommen will: er titt einfah einen andern Tritt nieder, 
und das bisherige Piano im IL. Dean. ift ausgeföft und am deſſen Stelle ein 
Menoforte getreten, während das Piano der zwei andern Manuale unverändert ger 
blieben if. Zu beſſerer umd ſchuellerer Überficht it bei diefen Tritten mod die 
weitere Einrichtung getroffen, daß jeder Tritt die durd) ihn zum Ertönen gebradten 
Stimmen durch Hervorftoßen ihrer Manubrien kennzeichnet, dieſelben aber beim 
Niederdrüden eines andern Trittes jedesmal wieder zurücnimmt, um der durch den 
zufegt angezogenen Teitt in Aftivität tretenden Serie Blag zu maden. 7. Tritt 
für fünf verſchiedene Gruppierungen des Trompetendors, forrejpondierend mit der 
Stärke der 4 Man. umd des Pedals. 8. zwei Schwelltritte für Oboe 8, 
im II. Dan. und für das IV. Dan. und eine entfpredende Regiſtergruppe im 
Pedal. 9. ein Tritt „Ommi Copula*. Im ganzen zählt dieſes Wert: 12 Kop⸗ 
pelungen, 13 andre Nebenzüge und 21 Tritte. 


Komm, du jühe Todesitunde, Kantate auf den 16. Sonntag nad Trini- 
tatis (6. Oktober 1715) zum Evangelium von der Auferwedung des Fünglings zu 
En. Luft. 7, 11—17, über den Tert von Salomon Franck von Seh. Bad 
in Weimar geſchrieben, und fpäter in Leipzig auch für „Festo Purificationis Ma- 
riae® (2. Febr. 1735) benügt. „Den Sqhhlußchoral (Herzlich thut mid verlangen, 
mit Strophe 4: Der Leib zwar in der Erden) hat Bad aud in das Anfangaftid 
Himikbergegogen, wo ihm zu einer von zwei (Flöten und Continue begleiteten Autt Arie 
die Drgel mit einem Gervortretenden Regifter (Sesquialtera) zu fpielen hat. Die 
zanze Kantate trägt den Charakter des Erdentrüdten und Welterlöften, in einem 
‘oldjen Grade, daß man zuweilen feine irdiſche Mufit mehr zu hören und wie zwi⸗ 
Gen Geiftern zu ſchweben meint.“ Bgl. Spitta, Bad I. ©. 541—542. IL. ©. 
334—835. 


Komm, Gnadentau, befeuchte mich, Choral. Für das Pfingftlied Heinrich 
Elmenhorft's hatte Ioh. Wolfgang Frand (vgl. den Art.) eine eigene Melodie er 
Aumden, mit der es in Elmenhort’s „Geiftl, Liedern“ 1681 erſchienen war. Die: 
elbe hat jedoch feinen Cingaug in den Kirchengeſang gefunden, und das Lied wurde 
auf Die Weifen des Bersmaßes von „Wie ſchön leuht uns der Morgenftern“ ver- 
wiefen, auf diefe Melodie jelöft 3. B. bei Bromner, Ch.®. 1715. ©. 353 und 
dei Telemann, Ch-®. 1730. Nr. 99. S. 54; bei König, Harm. Liederſch. 1738. 
5. 412 aber auf „IG frene mic von Herzenagrund,“ eine andere Melodie deö- 
jelben Versmaßes. Dagegen hat das Medlenburgiſche Melodienbuch. 1867. Nr. 103. 


5. 48 unfrem Liede eine eigene Weife von Johann Georg Ahle zugeteilt. Es it 
Kümmerle, Eneptt. d. wang. Rirdenmufil. T. 51 








802 Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geiſt. 


dies die Melodie „Komm, Sefu, tomm doc her zu mir,” melde in Abt 
„Mufifalifijer Mayenluft,“ III. Teil („Die Unfteuthifche Erato*) 1677 als 2. Arie 
mit der Überfheift „Brünftiges Verlangen einer . . . Seele nad ihrem Iefus“ 
vorfommt. Cie iſt in ihrer originalen Faſſung abgedrudt bei d. Winterfeld, Cr. 
Kirhengef. IT. Notenbeifp. Nr. 137. S. 147, 148 und Heißt in Goralmäßiger Form: 
& 

ſKomm, Gna-den⸗ tau, be+feud>te mich, er⸗wünſchter Re+gen, zei» ge die, 

U Mein dür-res Herz ver-lam-get fehr, es bür-flet im-mer mehrumd mehr, 


Peso —— 


ie. — ——— — Su-ke Bfüfefe faf-fe anif-ten, 








— 














————— 





















































— 
== 











=: = 
—— — —— — 

— — E 
wohl zu fil»fen un-—ſer Lech-zen; heil-ger Geiſt er + hör mein Ach- zen. 











Komm, Gott Schöpfer, Heiliger Geiſt, Choral. Während man früher 
den alttirchlichen Pfingfthymmus „Veni ereator spiritus“ allgemein Karl d. Cr. 
zujchrieb, fand man ihn fpäter nicht nur in Handihriften, die zum Teil älter find 
als Karl, fondern mon glaubte auch im feiner Hoffen Metrif und teitweife ge 
reimten Form die Eigentümlichteiten der Hymnen Gregors d. Gr. zu erfennen nad 
ihn daher dieſem zuſchreiben zu follen.‘) Deutige Überfegungen desfelben find fe 
reits aus dem 12. und 13. Jahrhundert nachgewieſen,) und die evangeliſche Kird 
nahm ihn in Luthers Umdichtung 1524 al einen der Erftlinge ihres Liederſchader 
im Erfurter Enchiridion 1524 (Ausg. „zum Schwarzen Horn”). Bl. CIb, umd in 
Walthers Chorgei.-Bud 1525. Nr. XXXIII zugleih mit der alten Hymuer 
melodie, wenigftens ihren Hauptzügen nad auf.) Diejelbe lautet in diefer Fern 
bei Lukas Loſſius, Psalmodia sacra. 1553: Hymnus Veni Creator Spiritus 
Jambieum Dimetrum : 








— 


















tus mentes iu -o-rum vi-si-ta im-ple 


ere - a-tor spi 











Bal. DMone, Latein. Humnen des Mittelahters. 1. ©.241.242. Hoffmann u. Fallere!, 
Geſch. des deutſchen KL. 1854. ©. 359. Anm. Koh, Geld. des UL. I. S. 74. 

*) Bal. Hofmann, 0. a. ©. Nr. 208. 129. 133. 139. Derf. Mltdentihe Blätter L — 
379. Wadernagel, Kirchenlicd 1841. Nr. 103. ©. 12. 

>) Bal. diefe aus Walther bei v. Winterfeld, Luthers gift. Lieder. 1840. ©. 37. Kr. I 
in humniſcher Form and GB. der Böhm. Brüder 1531 u. 1666; bei Köphl 1545 m. Wie | 
1513, Val. v. Winterfeld, Ev. 8.C. 1. S. 23. 11. S. VI. v. Zuger, Shab II. ©. 
bis 340. 











Aomm, heilger Geift, dein Hülf uns lei. 803 











Su - per-ma gra-ti- m, quaetu ere- a-sli pPec-to - ra, 
lus ihr aber bildeten ſich für den eangelifgen Gemeindegefang zwei Liedformen 
aus: zunächft eine ältere, die fih den um 1525 in dem bei Adam Dyon 
u Bretau erangegbenen geifihen Gefangkud) fuel; fe Bht: 














Kom Gott fhöpfier hei -Ti»ger Geifl, de. fnh Das derb des men ſcen dein, 




















Mit gua»den fie füll wie du weiſt, das dein ge-fhöpfi vor-hin fein. 
And wurde zwar noch don oh. Ecard 1597 in einem Tonſatz verwendet, kam 
ber nicht in allgemeineren Gebrauch. Die allgemeine Kirchenmelodie dagegen wurde 
!ine zweite Liedweiſe, die etwas fpäter und zuerft im Stlug’iden G. B. 1535. Bl. 
14a (1529. 1533°), dann im Magdeh. GB. 1540. BL. Tb, Aug, G. B.. 
1543. 1. 235 imd bei Val. Babſt, G.-®. 1545, ericheint. — heißt bei Klug 
1595, foie in ihrer jeigen Form im Gifenader G.B. 1861. ©. 47. Me. 52: 














et Br — 
Komm, Gott Schöpfer, hei- li » ger Geift, 































mit Gna-den fie füll, wie du weißt, daß dein Ge-fhöpffoll vor dir fein. 
F — 


Komm, heilger Geiſt, dein Hülf uns leiſt, Choral. Zu dem Pfingſt 
lide Balentin Thilo’ Hat Johann Stobäus einen fünfftimmigen Tonfag geſchaffen, 
den er in feinen „Breußifchen Feftliedern,“ 1644 zuerft veröffentlichte.) Aus die 
fem Tonſatz ftammt die folgende, z. B. bei Peter Söhren, Mufit. Boriämad. 1683. 
310. S. 398 dem Piede Beigegebene Melodie 


ae — 


Komm, heit ger Geift —, deim Hürf uns leitt von deismer Gnad zu fin-gen; 
Ven Un der + fand —, der Welt de tanm, uns pie get zu der poin gen 









































*) al. den Wiederakdrnd desfelben bei v. Winterfed, Cu. 8G. Il. Rotenbeiſp. Ar. 40. 
— 33 dowie S. 126 im Texth, und in Teſchners Ausgabe der „Breuß. Feſtlieder.“ 1808. 
©. 80. 
51* 


804 Komm, heilger Geiſt, du ıc. Komm, heiliger Geiſt, erfülle ıc. 











x + 

—— — — — 

— = 

nimm weg durch dei «me Stär-Te, und lehr ums dei» me Wer-le. So follten 
— 

= Fre — — — 

ob al · lein in un / ſrem Munde ſein, im un + frem Munde — — fein. 


Diefelbe iſt mit veränderten zweitem Teil bei König, Harm. Liederſchat, 1738. ©. 
99 noch erhalten, fteht jedoch auch in Preußen nicht mehr in irdfigen Gebraus, 
Vol. v. Winterfeld, Zur Geſch. heil. Tonkunft. I. 1850. S. 77. 78. 


Komm, heilger Geift, du höchſtes Gut, Choral. Diefem Pfingſtlied⸗ 
des Angelus Silefins Hatte Georg Iofephi bei defien erſtem Erſcheinen im „Heitige 
Seelenluſt,“ 1657. ©. 253._3. Bud. Nr. 82 (Ausg. von 1668. Nr. 82) eine 
eigene Melodie (f a be T dd c) mitgegeben, die jedoch nicht in kirchlicher 
Gebrand tam. — Bei Freylinghaufen, 6.8. I. 1704. Nr. 151 ©. 219 (Gei 
Ausg. 1741. Nr. 329. S. 205) erſchien fodann eine zweite Weile, die ſich mit 
dem Liede bis zur Gegenwart erhalten Hat. Sie heißt in ihrer jegt kirchenüblicher 
Form 3. 8. bei Jalob und Nihter, Ch.B. II. N. 913. ©. 726: 





— 
















































































were 





— 


+ = 


— ee 





























— 





dei + mes Feu- ers fücfe plom-men gang fräf-tig über mich zu-fam-men, er 























Wed in mir durch d 
und erfgeint auch bei Störl, Ch.B. 1710, den man deshalb für ihren „mut 
magligen“ Erfinder Hielt; König, Harm. Liederſch. 1738. &. 99; Stögel, &.® 
1744. Pr. 237 u. a. Bon neueren Ch.BB. Haben ſie diejenigen erhalten, wei 
das Porſtſhe GB. (Ausg. 1855. Nr. 176) berüdfictigen, z.B. Ritter, ht 
für Halberſt. Magdeb. 1856. Nr. 184. ©. 65. — Ein Pied Allendorf's „Komm 
Hilger Geift, du höchſtes Gut, du munderfüße Gabe,“ im 2. Teil der „Stöthuilder 
Lieder” (Mr. 552), darf nicht mit dem unfrigen verwechſelt werden; es gehört der 
Versmaße „Made mit mir, Gott, nad deiner Güt“ an. 





Komm, heiliger Geift, erfülle die Herzen deiner Gläubigen, die Pirat | 
Antiphone „Veni sancte spiritus, reple tuorum corda fidelium* in Fri: 
überfegung, wie fie zu der aftlirhligen Antiphonenmelodie in der Liturgie der zur 


Komm, heiliger Geif, erfülle die Herzen deiner Gläubigen. 805 


gelifchen Kirche als Eingangsgefang zu Anfang des Gottesdienftes oder zur Predigt 
und in der Veſper an den Sonntagen überhaupt, oder befonders zu Pfingften ver- 
wendet wurde. Diefer Tert erſcheint zuerft in dem die erften deutſchen liturgiſchen 
Gefänge unfeer Kirche enthaltenden Erfurter Enchiridion von 1527 („zum ſchwarhen 
Horn"); hier feht er am Ende von Bl. XXXV unter der Überihrift: „Folgt die 
Deudihe Veiper" famt der Melodie („Rum heyfiger geyſt, erfülle die Hergen").') 
Ein Nürnberger Drud: Form vnd ordenung der Cuangeliſchen Meß. 1528. BI. 
67d bringt den Tert ohne Melodie, dagegen hat diefe wieder die Ulmer Ausgabe 
(Hans Barnier) de G. B. der böhm. Br. von 1539. Bl. 52a; die G.BB. Yu- 
thers (Mg 1535, Babft 1545) berüchſichtigen die Antiphon nicht, da fie durch die 
Hiedmäßige Umgeflaltung erfegt war. Die alttirchliche Melodie heißt bei Did. Prü- 
torins, Mus. Sion. V. 1607: 











—— — 
— 





























Bogen Geil er »fülrte die der / zen dei» 


n — — ze 



























































z — 
gen, und entind in ih = men das 
—— — 
> Pe ee ee 
= — em 3 





deiner gl Gen Liebe, der du durch Man-nig-fol-tig-teit der Zungen 























Se 


die Vöfster der gan · zen Welt versfommelt Haft in Gi > mg» keit dee 













































a 
Dies it auch die Faſſung des Tertes, in welcher derfelbe allgemein in den kirch- 
fichen Gebrouch fam; andere, weniger verbreitete Faffungen find 3. B. nach: „Komm 
dur Tröfter, heiliger Geit, Erfitll mit Gnaden das Herz der Gfeubigen" bei Wolff, 
Kirchen-Gefänge. Frankfurt a. DM. 1569. &. 1035, und: „Komm, Heiliger Geift, 





1) Bol. Badernagel, Vibliogt. 1855. S. 9. Derf. Luthers geil. Lieder. 1848. & 143. 
ScoeberlänKiegel, Shah I. ©. 20 nennt als Quelle (wohl niät ganz genau): „Deutjä 
Kirhenampt, gedrudt zu Erfurdt, 1526," Wadernagel, 0. 0. O. ©. 75 führt nad Shöber, 
Bentrag zur iederhiforie. 1759, &. 40 als frühere Quelle an: „Die verdeutfäten Feftintreitus, 
Antiphonae, Sequentien und Praefationes, nebft beigefügten muficafifcen Noten.“ Erfurt 
den Johann Lorsfeld, zur Sonnen bey St. Michael, im Jahre 1526, in 80; hier wäre nach 
Gottfialdt, Fieder-Remarquen, 1748. 8.334 das „Komm, heiliger Geil, erfülle Die Herzen“ 
neben andern murg. Stücen zu finden. 


806 Komm, heiliger Geiſt, Herre Gott, erfüll. 


Here Gott, Begab dein Auserwählten mit milder Gab“ bei Keuchenthal, Kirchen 
gefänge. Witten. 1573. ©. 3456.) 


Komm, Heiliger Geift, Herre Gott, erfüll, Choral. Die Pfingft-Antiphen 

„Veni sancte spiritus, 

Reple tuorum corda fidelium, 

Et tui amoris in eis ignem accende, 

Qui per diversitatem linguarum cnnctarum 

Gentes in unitatom fidei congregasti. 

Allelnja, allelujat«®) 
ſtammt der allgemeinen Annahme zufolge aus dem LI. Iahrhundert. Über des 
Verhältnis des deutſchen Liedes zu derjelben find die Meinungen der Forſchet 
geteilt: während die einen die handſchriftlich im 15. Jahrhundert zuerſt erſcheinend⸗ 
erfte Strophe desjelben als „eine gereimte Umfehreibung,“ als „Überjegung der alter 
laleiniſchen Antiphone“ anfehen,”) glauben fie andere „als cin uriprünglid det 
ſches Lied,” als „Leine Überfegung, vielmehr als ein eigentlich deutſches Lied“ be 
trachten zu follen, „da fie ja dod nur dem Inhalte nah mit der lateiniſchen Ani. 
phont Übereinftimmt,* „jene Inteinifche Strophe ihrem Inhalt mır als Grundlage 
diente."*) Luther, der dieſe Strophe einen „feinen ſchönen Geſang“ nennt, den der 
Heilige Geift felber von fid gemacht, beide Worte und Melodei (Tifhreden bei Wald, | 
Luthers Werte. XXI. ©. 1503), dichtete für den evangelifhen Kirhengefang zw 
weitere Strophen Hinzu, die „nad, Ton und Inhalt der erſten vollftändig cbenbürti: 
gervorden find.“) Die Melodie it bis jegt zuerft handihriftlih im 15. Zar 
Hundert aufgefunden worden in zwei Codices der Miündner Bibtiothet: Cod 
germ. 716. 4°. Bl. 177b und Cod. lat. 6034. 8°. Bl. 906.%) Da fie mi 
der lirchlichen Weiſe der lateiniſchen Antiphon in feiner Hinfiht verwandt ift, k 
wird fie als eine dem Liede eigentümliche angeſehen, die ſich „erft im deutfchen geit 
lichen (oder weltlichen) Bolfsgefang aus Motiven von älteren Melodien lateiniſche 





1) Bot. Mügell, Gift. Lieder der evang. Kirche aus dem 16. Jahrh. Berlin, 1855. 
215 A—D. 

2) Fol. Wadernagel, Deutſches KL. 1841. ©. 19. Nr. 34 nad Lut. Loſſiue, Psalz 
sacr. 1558, ©. 115. Kehrein, Kath. KL. I. Nr. 272. Hofmann v. F., Deutſches 8% 
1832, ©. 130. 131. Koch, Geſch. des 1.8. 143. 

3) Bol. Rambad), Futhers Berdienfte x. 1813. S. 119. Koch, a. a. O. VII. &. si. 
Wadernogel, Luthers Geiftl. Lieder. 1848. S. 143. 

9) Bgl. Hoffmann v. F. a. a. D. (Ausg. 1854. S. 200. 201); Meiſter, Das kath. deurike 
Rt. L 1862. ©. 432. 439. 

+) Bgl. Ko, a. a. D. Die beiden neuen Strophen werden allgemein als Luthers Eiger 
tum betrachtet, nur v. Tuer, Scha 1. S. 413 bemerkt: „fie mögen von Luther gedichtet Air 
wur verbeffert worden fein.“ | 

+) Später eriheint fie noch handiäriftl. bei Leonh. Kleber, Orgeltabulaturbud; 1522—15& 
Bl. 137 u. Berl. Cod. um 1590. Bl. 253. 











Komm, heiliger Geif, Herre Gott, erfüll. 807 


Gefanges zu liedmäßiger Ausgeftaltung entwidelte.”') Im evangelifgen Kir heu— 
gelang eriheint fie im Erf. Enchir. 1524. Bl. CIIb, bei Walther Chor-®.2- 
1524. 1525. Nr. II. (im Distant), im Zwidauer 6.9. 1525. Bl. Dia, Nürnb. 
Endir. (Hans Hergott) 1525. Bl. 18a, bei Mic. Weiße 1531. Bl. FXa, und 
bei Ott, 121 Sieder 1534. Nr. 9 (im einem Tonfag von Arnold v. Bruch zuerft 
in folgender einfadjeren Geſialt (nad Babit, ©.®. 1545. I. U. Nr. XD): 


& — — 
a — — 
Kom Hei» Tirger Gein, der e Gall, er>füll mit deismer Gma-den gut 


= 
Spree ze_— 


* 
einer glän-bi » gen Ger mut und Äh, Dem Grlmfi ge eb entzünd in ju 


Fe SE — 
® meezerezazzszzoces: 
O HErr durch dei⸗ nes licch · tes ala, zu dem glauben ver-fam «fer af, 
— — 
Bee 
Das volt aus al -» er Welt zum » gem, das fei dir 















































— 


















































































16 ge fun den, Salede- iun— in, datle— Tu > in 
Etwas jpäter bei Joſ. Klug, G.-®. 1535. Bl. 15a (und „motengetren und rhyth— 
mifch genau” ehenjo. bei Mich. Behe, Kath. GB. 1537. &. 54a, Spangenberg, 
Kirhengefänge. 1545. II. TI.), fodann tritt fie in folgender mehr figurierten Zeit: 
nung auf: 





* = 
— —— — 


— 
Kom Gey + li ger geuft Her + ve Gott, er füll mit 














Ei 

















*) Bol. Faift, Württ. Ch.B. 1976. ©. 215. Hoffmann v. F. a. a. O. ©. 19 
fler, a. 0. ©. ©. 499. Rod, a. a. O. VI. S. 80. v. Tucher hatte ſchon in feinem „ 
des ang. 8.@.“ II. ©. 410 die Vermutung ausgelprochen, daß die Melodie „urfprünglih 
einem andern, vielleiht weltlichen Terte angehört Habe,“ und bemerkt des weiteren in feiner 
Abhandlung „Zur Mufilpraris und Theorie des 16. Iahrk.“, Alg. mufit. Ztg. 1871. Nr. 26. 
©. 404: „Nach unfrer allerdings urkundlich nicht zu beglanbigenden Anfiht ſtammt diefe Me 
Todie wenn nicht ans älterem Voltegefange, jedenfalls aus dem weltlichen Befange- 
dem ein etiwas ungelenfer Tert eines fonft tefilicen Rirdjenfiebes unterlegt worden ift, {mes 
Halb das Bersmaß des Tertes nicht den väythmifgen Bau veranlaßt Gaben kann, wie das bei 
dem wohl größten Teile alter Liedermelodien der Fall it." Sie wurde neben der Antiphon 
in der fath. girche noch im XVI. und XVII. Jahrh. gefungen, tie das Ohsequiale Eecl, 
Ratisd. Ingolst. 1570 beweift, 


























wm 






































& — E 


mes fi - tes plant, Zu dem Glau-ben verfam = et haft 








— = —— 
Keen: == — 
8 > — — 
dag volge auß al > fer melt zum = gen Das jeyg dir Herr 


— — 


— — 
zu lob ge» für » gen, Arte · u = % Url - me im 


Längere Zeit findet man die beiden Melodieformen in den Gefangblihern des Re: 
formationsjahrhunderts nebeneinander, fpäter ſcheint die erfte, einfadpere mehr in 
Norddeutſchland, die zweite, verziertere mehr in Suddeutſchland gebraucht worden zu 
fein.‘) Darüber, welche der beiden Formen die uriprünglice, eigentlich vollsme 
fei, bemerft v. Tuer: „Obwehl id die zweite eft 1843, die erfte ſchon 152 
zum erftenmal gefunden habe, fo ſcheint es mir doch feinem Zweifel zu unterliegen, 
daß jene die urfprüngliche, diefe die umgebildete it; denn ein jo vollendet richtiger 
und fhöner rhyihmiſcher Ban der erfteren in zweimal viermal vier Taltglieden 
denen ſich dann das Halleluja nach vorgängiger Überleitung am Schluſfe der Wieder 
holung in weiteren zwei Taftgruppen anfhließt, läßt fih nicht einer ſchon vorher 
denen unrhythmiſchen Melodie anbilden, gehört vielmehr zur Ureigentümlidhteit det | 
Voltsgeſanges; im Gegenteil läßt ſich bei der Vergleichung beider nicht wohl ver 
fernen, daß eine nicht ſehr geichidte, wenigſtens dieſes vollsmäßige Element nict 
beachtende Hand die Reduftion vorgenommen Hat?) — Frühe ſchon erlangte uni 
Lied und feine Melodie eine Gefondere liturgifhe Stellung und Bebeutung: « 
wurde im Hauptgottesdienft, und vielfach auch in den Nebengottesdienften das eigen: 
liche Giturgiige Eingangslied, das die Gemeinde vor dem Introitus des Chart 
1) Lebiere 3. 8. im Strahb. G. B. 1500, im Württ. KirchenG.B. 1596 und mm; 
auch bei Stöge, Ch.-®. 1744. Nr. 33 if fic al Hauptmelodie (eff im Anhang Nr. 11 ere 
die andere Form) gegeben; Prätoriue, Mus, Sion. VI. 1607. Mr. 100 Degeifinet fie geradge 
als „Ihrwäbifdfränlifhe” Weife, und aud Garmonifiet findet fie fih außer bei Prätorius Is 
mr bei Hafer 1608 und Eryträus 1608. al. deren Tonſäbe bei Iatob u. Ridster, Ct | 
1. ©. 349-351. 

») Bgl. v. Tuer, Schatz I. S. 410. Die gegenteilige Anfiht vertritt ©. Winterkt 
&. RC. 1. ©. 111, doch toum in durchchlogender Weile. 
























































Komm, heilger Geif, zeuch ze. Komm, himmlifher Regen ıc. 809 


fang, indem man dabei Luthers Anorduung (Deutſche Meffe 1526): „Zum Anfang 
fingen wir ein geiſtlich Lied oder einen deutichen Pfalnr,“ folgte.‘) — Seb. Badı 
hat das Lied zweimal vermendet: in der Mitte der Kantate „Wer mid) liebet, der 
wird mein Wort Halten“ (vgl. den Art.), mit der erften Strophe; dann mit der 
dritten Strophe „Du heilige Brunſt, füßer Troſt“ ale Schlußchoral der Motetta 
a due Cori zur Beerdigung des Rektors Ernefti. 1729. 


Komm, heilger Geift, zeuch bei uns ein, Choral. Das Lied ift der 
„Hymnus de Spiritu Sancto: Veni creator Spiritus etc. verdeutfht” von 
Matthäus Apelles dv. Löwenſtern; es erihien mit feiner Originalmelodie nebft 
vierftimmigem Tonfag erftmals als Mr. NNV der „Apellis:Lieder“ in der vierten 
Ausgabe der Breslauer „Kirhen: und Haus-Mufic” (0. J., um 1660),*) alfo nad) 
dem Tode des 1648 verftorbenen Dichters und Sängers. Daher ift zweifelhaft, ob 
diefe und die übrigen nachgebrachten Melodien der „Apelis:Lieder“ noch aus dem 
Naclaffe Löwenſtern's ſtammen, oder ob fie von einem andern hinzugethan worden 
find. Unſre Melodie, wie fie mit ihrem Driginaltonfag bei Iatob und Richter, 
&.-2. II. Nr. 914. ©. 725 abgerudt ift, heißt: 


= = — — 
S— — 


Komm, heil · ger Geil, zeuch bei ums ein, er -füll mit dei- ner Gna-den Sein 


ZeEz2zar ——— 
die Her- zen, die du jel- ber dir zu dei⸗-nem Dienft er«fhaf«fen hier. 
Eine zweite Weile, D-dur: d| a ag fis e | fis gis a, aus einem handſchrift- 
lichen Ch.B. der Kirche zu Freiſtadt vom Jahr 1791 Haben ebenfalls Jakob und 
Ridter, a. a. DO. II. Nr. 915. S. 726. Sonft wird das Lied, wo es nod vor— 
tommt, auf die Melodie „Herr Jeſu Chrift, meins Lebens Licht“ verwieſen. 


Komm, himmliſcher Regen, erquide die Erden, Choral aus dem Frey: 
linghauſenſchen ©.-®. II. Teil 1714. Nr. 127 (6. A. 1741. Nr. 332. ©. 207), 
deſſen Weife fich vereinfaht aud bei König, Harm. Liederfhag 1738. S. 101, im 
&h.-®. der VBrüdergemeine 1784. Art. 194. ©. 155 (1820. ©. 234),°) bei 






























































2) Bol. 3. ©. Spangenberg, Cantiones eceles. 1545: „Initio eujusque Misse seu of- 
ficii canatur: Veni sanete Spiritus, reple tuorum corda fidelium etc.“, oder im deut: 
ichen Teif deoſelben Wertes: „Zum Anfang aller Gottligen Cmpter, fol man erft fingen, 
Beni fancte firitus Deudich · Bommer/die K9g. 1588. fir. KD. 1971. Die Berden’ice 
&.-O. 1606 beflimmt: „So ſoll der Chor die Antipfone: Veni sancte spiritus anfahen.” 

2) &o nad) Zatob und Rihter, CV. II. ©. 125. übel, Geifl. Lieder x. aus dem 
17. Jehrh. I. 1858. Nr. 287. ©. 344 giebt das.Lied, „da er die 2, 3. u. 4. Mutgabe des 
Vreofauer ©.B.8 nirgends hat auffinden Linnen,” aus der 5. Aneg, die zwiſchen 1663-1673 
eridien. Im der 9. Ausg. fleht das Lied auch im GB. felbft. ©. 203. 

3) Thommen, Duft. Edriſtenſchoh, 1745. Ir. 280. ©. 382 giebt die Melodie cbenfole, 











u 


Kühnen, Ch. B. IL 1790. Wr. 112. ©. 121 („Ums Jahr 1726” überjhrichen), 
ſowie in Ch / BB. der Gegenmart, wie Ritter, Ch.B. für Halberfl-Magdeb. 1856. 
Mr. 187. &. 66; Jalob und Richter, Ch-B. II. Nr. 916. ©. 726-727, findet. 
Die Melodie heißt in ihrer jegt übtihen Zeichnung: 


810 Komm, Liebfter, komm in deinen Garten. 
































(Komm, Himmti + fher We den, er-quif-te die Erden, lomm,beisli«ger Geift, 
Damit die Ber > heißung er» fül-fet bald wer «de, die Je-fus an-preifl, 


f EN 
—— 
SR 
Bee 3 
er wolle ein dir «res umd lech- zen · des Herz mit Waller er + fül-ten und 





— 









































*3 
all ge > mad) ſit len den feh- nen-den Schmerz 


Bei Hatob m Bihler, a. a. D. De, HIT. S. 727 ſeht and de zweite Weil 


BEE 






























































































































für welche dort Karl &. Herings „Choralmelodien zum Wendiſchen 6.8." Bauer. 
1858. Nr. 113 als Duelle angegeben find. 


Komm, Liebfter, komm in deinen Garten, Choral. Das Lied des Ar 
gelus Sileſius erſchien in den „Geiftlicen Hirtenliedern“. 1657. II. Bud. Rr 
94. ©. 288 mit einer eigenen Melodie von Georg Joſeph achceaa 
gis a a), die jedoch im Kirchengeſang nicht vecipiert wurde. Erſt eine zweit: 
Weiſe kam in kirchlichen Gebrauch und Hat ſich bie zur Gegenwart erhalten. Die 

ſelbe ftommt aus dem Freylinghauſen ſchen ©... 1704. Mr. 351 ©. 540 (Gi 
Ausg. 1741. Nr. 859. S. 569), findet ſich bei König, Harm. Liederſch. 1738 
©. 221 in geraden Taft umgejegt und vereinfacht, bei Stözel, Ch-B. 1744. 
290 ebenfals in zweiteifigen Takt, in der melodifchen Zeichnung aber fih mehr ar 
Freylinghauſen anſchließend, und gegenwärtig noch z. B. bei Ritter, CH.-B. 











aber zu einem andern Liede: „Roma, Himmlifces dämimlein, erfllle mein Derze,“ und 
zeichnet fie als eine der „Melodien der Herrnhuter, die doch meiftenteils aus dem Halliär | 
Gefang- Bud gezogen“. 


Kamm, o komm, du Geiſt des Lebens. 8 


Halberft.-Magdeb. 1856. Nr. 360. S. 127. Hier, ſowie in der originalen Form 
bei Freplinghaufen heiht die Melodie: 
















—— 


Komm, Lieb-fer, 

















































































































F — 








Komm, o komm, du Geiſt des Lebens, Choral. Das Pfingſtlied Heinr. 
Helds („Andähtiges Gebet und Lied zu Gott dem heiligen Geift“), das um 1664 
in einem Nahdrud von Joh. Crügers Praxis piet. mel. Stettin. S. 397 zuerft 
gedrudt erſchien aber erft durch Luppius, „Andähtig-Singenden Chriftenmund.” 
Weſel, 1692. S. TI allgemeiner befannt und verbreitet wide, — wird zwar meift 
auf die Neander ſche Weife „Unfer Herrider, unfer König“ (vgl. den Art.), oder 
auf die Heinrich Albert’iche „Gott des Himmels und der Erden“ (vgl. den Art.) 
derwiefen, doch find ihm auch mehrere eigene Melodien zugeteilt worden. Die 
ältefte derjelben: 














—— —— 


— 
Komm, o fomm, dur Geiſt des Lerbens, wah - ver Gott von (+ wig keit 
1 Dei» me Kraft fei mit ver + gerbens, fie er « ll ums je» derzeit: 


Eee: = 
fe wird Geift und vicht und Schein in dem dum + feln Her + zen fein. 
wäre nad E. L. Gerbers Zeugnis von Johann Chriftoph Bach in Eiſenach (vgl. 
den Art.), dem nad Seh. Vach bedeutenditen Mufiter der Bachfamilie fomponiert. 
(Gerber jagt, Neues Ler. I. S. 209: „Außerdem befige id noch von ihm die hier 
zu Lande befannte Choralmelodie: „Deus, Jeſus, nichts als Jeſus“) . . . Hier 








— 
— ⸗ 


















































te 





812 Kommf du, kommp du, Licht der Heiden. 


aber erſcheint dieſe Melodie als Arie, aus B-dur, mit Variationen fürs Klavier 
von of. Chriftoph Bach. Mitr.” Doch it damit die Urheberſchaft Bachs nicht 
abſolut fiher geftelt: er famm die Weiſe auch als fremdes Then zu feinen Varia 
tionen benügt haben.') Gedrudt ericeint die ſelbe zuerft im Meininger G.eB. 1693 
zu dem Pied „Ih begehr nicht mehr zu leben“ (Zahn, Pialter und Harfe. 1886. 
Nr. 127, ©. 85); dann im Darmfl. ©-®. 1698. ©. 207, bei Freplinghaufer, 
6.8. 1704. 1. ©. 223. Nr. 154 (Ausg. 1741. ©. 209. Nr. 339), bi 
Stözel, Ch-B. 1744. Nr. 238 u. a. — MS zweite Melodie hat das Elber: 
jelder GB. 1857. Nr. 129. ©. 115 die folgende, mit „Eigene Melodie“ über 
fhriebene Weile: 

Fe Eee 


(onm. © komm, dur Geift des de bens, mwah« rer Gott von E » wig-feit! 
Dei sme Kraft fei miht ver «ge «bene, fie er « füll ums jesderszeit, 



























































= ! By ; 
— — — — — 
fo wird Geift und diat und Schein in den dun - fein der zen fein. 


ohne über deren Herhunft irgend welche Angaben ader Andeutungen zu machen. 


Kommt du, fommft du, Licht der Heiden, Choral. Das Adventetiert 
Ernſt Chriftion Homburgs erſchien in feinen „Geiftlicen Fiedern. Erſter Teil.“ 
Jena 1659. ©. 346 (ogl. Wege, Hymnop. I. S. 458) zugleih wit einer eige: 
nen Weiſe von Werner Fabricus, die aud das Nurnb. GB. 1677. Nr. 14. 
©. 13 mit demfelben herübernahm, die aber weitere kirchliche Verwendung nicht 
gefunden Hat. Sie lautet im Original: 


— — — — 


Kommft du, lommſt du, Licht der Hei-den? ja, du lommſt und fäu-meit ni 















































— — — mem 
De: « 4 — ⸗ 
Meil du weißt, was ums ge bricht; o du flarster Zroft im Lei- dan 
— = — 
= re 3 
Ic» fi, mei- nes Her - zens Thür ſieht dir of- fen, fomm zu mir! 
Eine zweite Melodie erhielt das Pied im Darmſt. Kantional von 1687. & 


612; fie it von Wolfgang Karl Briegel erfunden und heißt bei König, Sarz 
iederſch. 1738. ©. 5 
























































© 5: 





au Spitta, Bad I. ©. 128. 129: „dab fie goh. Chrifophe eigene €: | 
findung fei, dürfte kaum bezweifelt werden, da doch fonft, wie bei einer andern (Es-dur-Arh 

etroas über ihren Urſprung bemerlt fein würde.“ Aud Schicht, Ch-B. 1819. I. Rr. Sit 

©. 230 u. 295 überſchreibt: „I. €. Bad. 1680.* 


Aommft du nun, Iefn, vom Himmel ıc. 813 


— — Br 
Be ee 
Kommt du, tommft du, Mit der Heisden? ja, du Tommfl und ſau- mei nicht, 
* ES 

PER — m 
m se —- * 
weil du weiht, was uns ge bricht; o du far» fer Troſt im 










































































4 e4 
































Ie + ſu, mei- mes Her» zens Thür, ſteht dir of» fen, komm zu mir! 
Bei Dr. Friedr. Filig, Ag. CB. gu Bunfens 6-2.) Nr. 114. S. 72 ſieht 
eine dritte Weife, die aud Ialob und Richter, CB. II. Rr. 921. S. 129 
aufgenommen haben; fie iſt von Filig erfunden und Heißt: 















































— is 

= Dez Fur 
Kommft du, fommfl du, Licht der Heiden? ja, du kommſt und ſäu-meſt micht, 

—— — — — —— 
ee 

















weil du weißt, was ums ge- bricht; o Du flar-fer Tron im Bei« dem, 


hr +7 
Frege — 
= Ie + fu, mei-nes Her-zens Thür fteht dir of- fen, fomm zu mir! 


Soft wird umfer Lied vielfach auf die Melodie „Ah, was foll id Sünder machen ! 
verwiefen; fo bei Freplinghaufen, Telemann, Stögel, Witt u. 0.) 
































Kommft du nun, Jeſu, vom Himmel herunter auf Erden, Choral. 
Diefes zuerft im Koburger GB. von 1684 erſchienene Weihnahtslied von Kafpar 
Friedrich Nachtenhdfer wird zwar in vielen Choralbü—ern — z. B. bei Witt, Tele: 
mann, Stögel, im Brüder-CHB., bei Schicht u. a. — auf die Weife „Haft du 
denn, Deſu, dein Angeficht gänzlich verborgen“ („Lobe den Herren, den müctigen 
König der Ehren“) verwieſen; doch Hat es im Freplinghaufen’fcen G.B. 1704. 
Nr. 31. ©. 38 (Gef-Ausg. 1741. Nr. 67. ©. 41) aud) eine eigene Melodie 
erhalten, die König, Harm. Liederſch. 1738. S. 22 aufgenommen, und Jakob und 
Richter, CH-B. IL. Nr. 922. ©. 730 mod mitgeteilt haben. Sie heißt im 
Driginal: 





1) Gayrig, Kern III. Nr. 473, ©. 65 umterlegt 68 der Del. „gefus ift mein Freuden- 
eben“, für die er Dregel, Ch-®. 1731 S. 451 als Quelle giebt und die aud) bei König, 
Harn. Liederfä. 1738. ©. 220 fleht. Das Elberf. ©-B. 1851. Nr. 10. ©. 12 giebt dem 
Lied die Weife „Unerfäjffne Lebensfonne‘, 


814 Komm, füßer Tod, komm, felge Ruh. 





= — 


— — — = 




















—H * 
an: + a — 


Kominſt dur nun, Je⸗ſu, vom Him-mel Ger» un-ter auf Er⸗den; ſoll nun der 
Be Fer 
Him-mel und Er-de ver«ei« mi + get wer-den? E-mwi-ger Gar! 


GO ee 
zz: a ae 


tann did) mein Jam · mer und Not bringen zu Menfhen»ge + ber + den? 





























=: 



















































































Komm, füher Tod, komm, jelge Ruh, Choral. Dies Lied eriheint 
anonym in Schemellis G.B. 1736. Nr. 868. ©. 591 mit einer eigenen Mr 
lodie, welde Ext, Bach's Choralgeſ. I. Nr. 82. ©. mitteilt, umd zu der er 
©. 116 bemerkt: „Höhft wahrigeinlich ift Ioh. Seh. Bach Komponift diefer Die 
lodie.“ Dieſelbe Hat jedod) feine weitere Verbreitung erlangt; fie heißt: 
















— 























abe sa Fe 
EEE eier 


























Be 









































Beiesde, weil ih der Welt bin ml «der ah lommi ih 
— — 
— — 
wort auf di, lonum bald und fh - ze mid, druc mir 






























# * 

Ar = gem zul Komm,fel «ge Ruh. 

Bei König, Harm. diederſch. 1738. S. 414 fleht für unfer Lied Die folgende 
zweite Beife: 
Bere ehe 


Komm, fü» fer Tod,Tomm,fef+ge Ruf, und füh>ze mid in Frie de. ei 










































id} der Welt bin mis de; lomm, fomm, id) wart auf did, komm bald, er - 1 





























Kommt her zu mir, fpricht Gottes Sohn. 815 


Vie auch in neueren Choralbüchern, welche das Lied berkdfihtigen, erhalten ift; jo 
. 8. bei Ritter, Ch.-2. flir Halderft.-Dagdeb. Nachtrag Nr. 405. ©. 146, und 
vi Dalob und Nihter, Ch®. II. Nr. 923. ©. 730-731. — Cine dritte 
Melodie endlich heißt bei Doles, CH.-B. 1785. Nr. 203: 


































r= — 

— | 

i — 
Komm, Grie ¶ de, meil 






































Ge.» = Bee 


ich der Welt bin mi -de. Komm, lomm, ich wart auf dich, fomm halt, er - 1ö + fe 


— —— Sa — 

— = 

>> Terzeere 
mic, drld mir die Au - gen zu. Komm, fü « ber Tod; tomm, jet ge Kuh. 

and findet ſich aud bei Hiller, Ch.B. 1793. Nr. 133. ©. 60; Schicht, Ch-B. 

l. Nr. 125. ©. 43, fowie bei Jakob und Richter, Ch. B. I. Nr. 924. ©. 701. 































Kommt Her zu mir, jpricht Gottes Sohn, Choral. Als bis jegt äftefte 
Duelle des Liedes) und feiner Melodie gilt cin Eingeldrud von zwei Liedern, 
Rönigl. Bibl. zu Berl. € 916. 4 Bl. 8, den Wadernagel, RR. 1. ©. 748 
aachgewieſen at und auf das Jahr 1530 ſebt. Derfelbe Forſcher Hat ſodann noch 
gut weitere Einzeldrude und eine handſchriftliche Aufzeichnung des Fiedes aufge» 
Funden, die für die Frage nach dem Urfprung der Melodie von größter Wichtigfeit 
find: a) die beiden Einzeldrude der Kunigund Hergotin zu Nürnberg und 
Volffgang Meierpeds zu Zividan (von Wadernagel, Bibliogr. 1855. ©. 116. 
117 auf 1530 gefegt), weil fie unfer Lied je als das legte von vieren unter der 
Überfgeift: „Im dem thon, Was wöl wir aber heben an" (vom andern 
Druden auch „Nu wölln wir aber heben an“ citiert) enthalten, — b) die 
Sandfhrift der Dresdner Bibl. Ebertiana Vol. 3. Nr. 29. 2 Bl. 4% (vgl. 
Bodernagel, 8.2. II. Nr. 1464), weil fie dasfelbe mit der Überfgrift: „in 
ſön geiſtlich Lied zu fingen in dem thon Sand Btilia die wart blindgeborn" 
bt. Die erftere Tonangabe „weit beſtimmt auf den Anfang des Lindenſchmid- 
liedes hin,“ eines weltlichen Bollsliedes, das gegen Ende des 15. Inhrhunderts 
entftonden ift und viel gefungen wurde. „Da Das geiftliche Lied in allen Ge 
fangbücern des 16. Jahrhunderts immer nur mit dieſer einen Melodie vorfommt, 








’) Als Verſaſſet des Liedes wurde früher gewöhnlich Hans Wigtadt von Wertgeim (vgl. 
®etel, Hymnop. II. &. 439. Wadernagel, 22. 1841. ©. 196. Mr. 275), jet licher der 
1530 als Märtyrer geflorbene Wicdertäufer Georg Grimwaldt (ogl. Wadernagel, 2. FIL. 
n 166) amgefehen; doc in aud deffen Urhebericjaft noch unfiher. Bat. Filder, Sirdeulicher- 
a. 11.8, 13. 


\ 


jo fan fein Zweifel mehe darüber jein, daß in der Choralmelodie „Kommt her zu 
mie“ ung der alte Lindenſchmidoton erhaften ift, der zwar nur fünfzeilig war, aber 
in unfrem Choral dadurch jechsgeilig wurde, daß man die vierte Zeile wiederholte."") 
Die zweite Tonangabe fodann geftattet die Annahme, dag die Melodie ſchon ver 
ihrer Herübernaßme im den evangelifcien Kirchengeſang and; geiſtlich benfgt worden 
war und einen alten Legendenlied von der heil. Ddilin gedient Habe.) In der 
Zeichnung, wie fie in den Gebrauch der evangelifen Kirche überging, findet ſich die 
Weife zuerft bei Oft, Hundert Und ainundzweindig neive Lieder. 1534. Nr. 15 ir 
einem vierflimmigen Tonfap von Arnold v. Brud; dann bei Val. Schumann, GB. 
1539. Bl. 91 (erte lirchüche Verwendung), Magdeb. ©.B. (Lotther) 1540. Bi. 
Ib, Bat. Babſt G. B. 1545. IL. Nr. X. G. B. der Böhm. Br. 1566. Anh 
Bl. 45 (nad) v. Tucher, Sag U. ©. 313 auch fon in der Ausg. von 1541 

im fdbentfehen Kirchengeſang erhielt ſie eine teifweife veränderte Form. Cie heit 


a. im der älteſter 1530, 
——— 


Kompt Her zu mir, ſpricht Got tes Son, all die ihr ſeyd Berner num 


b, bei Ott. 1534. 
(EP re — 
— — 


.Qumpt Ger zu mir“, ſagt Gottes fon „all die je feiß berfäimieteiimiem 
©. in ſüddeutſcher Faffung, z. B. bei Hans Leo Hafer, 1608. 


816 Kommt her zu mir, ſpricht Gottes Bohn. 


Notierung von 





































dr Zungen, Arten, Kromind Ben 


—— 


ir juu · gen, al· ten, fraw v 














9 Bol. Bohme, Altdeutſches kiederbuch. 1877. ©. 746. m. Winterfeld, Ev. ES 
1. Über das Lindenſchmidolied und die Umſtände, unter denen es um 1490 emftans, v 
Böhme, a. a. D. Nr. 375, 376. ©. 459-483; u. Kilieneron, Hifor. BVolfelieder. Nr. 17° 
Audz die Souter-diedelens. Antwerpen 1540 nehmen diefe Weile von einem Boltefied „He 
voer eon knnepken over ryn“ und verwenden fie für den 45. Bfolm. gl. Kretige. 
Boltsfieder. L. Nr. 10. Ext, €6-®. 1803. ©, 254. 

) Bol. Böhme, a. a. O. Auch Faißt, Württ. Ch. 
Halb die Aberfäeift: „(?) Atdentic, weltlich und geimm— 
Voltslieder, Nr. 73. Arebiämer, a. 0, D. I. N. 8. 








1876, S. 54 (8. 215) dar der 
Das Odilienlied dgl. bei Simrk | 





Kommt, feid gefaßt zum Sammesmahl. 87 




























































































BE —— — — 
ich wil euch geben, was id) han, wo Gei-Ten ao = ernſcha " «den. 
ich wil euch gerben was id fan, vnd hei - len m - renfge + im“ 
[See rerern —— — 








Zeb. Bad) Hat unfre Melodie in zweien feiner Kantaten als Schlußhoral ge 
est, beidemal zu Strophen aus Paul Gerhardt's Pfingſtlied „Oott, Vater, jende 
seinen Geiſt“; näumlich: in der Kantate „Es ift euch gut, daß id Hingehe" (gl. 
ven Art.) zu Strophe 10 („Der Geift, den Gott vom Himmel giebt”), und in 
er Rantate „Feria 1. Pentecostes. Wer mic liebe, der wird mein Wort 
alten” zu Steopfe 2 („Rein Menfenfind hie auf der Erd"). Dgl. die beiden 
Züge. bei Ert, Bachs Choralgef. I. Nr. 83. ©. 55. I. Nr. 257. ©. 74. 





Kommt, feid gefaßt zum Lammesmahl, Choral von Chriſtian Knorr 
. Rofenroth, in defien „Neuem Helicon“. Nürnb. 1684. ©. 129. Nr. XLIX, 
ie Melodie und das Lied, das als „Yufmunterung aus dem Liede: Ad coenam 
‚gni providi® bezeichnet ift, zuerſt ans Licht traten. Durch das Darmſt. G.-B. 1698 
nd Freylinggaufens GB. 1704. Nr. 118, ©. 169 (Gef.-Ausg. 1741. Nr. 268. 
5. 162) fam die Melodie in den Kirhengefang; fie fteht noch bei Dregel, Ch-8. 
731. Anh. ©. 827 in der älteren Form ganz wie bei Freylinghaufen, während 
: bei König, Harn. Liederſch. 1738. ©. 83 in den vierteifigen Takt umgefegt 
ad choralmäßig vereinfacht erfcheint. Dieſer Zeichnung folgen fpätere Choralbüdher, 
ie Kühmau, Ch.B. U. Nr. 113. ©. 122; die neueren, wie Layriz, Kern II. 
r. 242. ©. 61; Nitter, Ch.B. 1856. Nr. 190. ©. 67; Yatob und Nidter, 
9.8. 1. Rr. 920. ©. 729 u. a. find dagegen zur älteren Form zurückgetehrt. 
m Original (ogl. v. Winterfeld, Evang. Kirchengeſ. I. Notenbeifp. Nr. 187. 
. 183), fowie in der fpäteren horalmäßigen Faffung Heißt die Weife: 









3) Die Heinen Roten bezeichnen eine Bariante, wie fie bei Bat. Babſt, G.-®. 1545 vor- 
amt, und in die meiften Geſangbücher des 16. Jahrh. überging, fpäter aber wieder verſchwand ; 
uflens Haben 3. ®. Wiener, GB. 1851. ©. 214. Nr. 201 und Sayriz, Kern I Nr. 73. 
+ 44 diefelbe wieder aufgenommen. Die Ott'ſche Zeichnung der Melodie ift mit Heineren 
hroeidjungen in Mittel: und Norddeutſchland Tirgenübtich geblieben; ugl. 3. ®. Ert, &-B. 
63. ©. 192—139. Nr. 101; Jalob und Richter, CB. I. ©. 150. Nr. 168; Hentfäel, 
1. B. ©. 66. Nr. 109. Fiſcher, Zſqhieſche u. v. a. 

>) In diefer Form im Württ. Groß Kirgen-©.B. 1664; bei Stör-Ctögel, Ch.B. 1744. 
— 115. Württ. €h.®. 1844. Nr. 61; and Elberf. GB. 1857. ©. 281. Rr. 319 u. |. w. 

Kümmerle, Enefl. d. ang. Rirdenmufil. 1. 52 








818 Aompenfationsmirtur. Kondukten. 


— — 











ss 
Kommt, feid gefaßt zum Lam - mesmahl, am Geifl ge-ziert mit wei hen Röden; 






















































































— 
rer — nen 
+ = — — — 
2 2 — — —e— 
Mir find im ro - tem Meer der Sqchutd nicht Elle » Gen et» fm; 
+ = + + n 
ur Ber 
je 
—— — 








ohn al le Zahl, 











Rompenfationsmirtur, eine von dem Organiſten und Muſildirektor Friedr. 
Wille (ogl. den Art.) in Neuruppin erfundene und von dem Drgelbauer Fr. Turle; 
im Pedal der Orgel der Katharinenlirche zu Salzwedel 1838 zuerft angewandte ge 
mifhte Stimme. Durch diefelbe foll „den tiefften Pedaltönen nidt nur eine mäg 
lichſ ſchnelle, daher beftimmnte Anfprage, fondern dem Pedal eine fo gleichmaßi 
Tonftäke gegeben werden, daß aud; geſchwind dorgetragene Säge in der umterjter 
Bedaloftave ebenfo rund und deutlich wie in der obern Dftave hervortreten. Si 
beſteht: 1. aus Terz 34‘, auf Cı anfangend und auf Gı endigend, aljo nur $ 
Pfeifen umfaffend, deren Intonation von unten nad) oben fo an Tonftärke abnim 
dag fie auf Ga nur noch ſchwach gehört wird; 2. Quinte 2%‘, von Cı—A: 
10 Bfeifen, die Imtonation von Es am abnehmend, wie bei der Terz; 3. Oktsr 
2%, von Cı—Gisı, 9 Pfeifen, Imtonation von Dı am ſchwächer werdend; 4 
Duinte 13, von Cı—Fisı, 7 Pfeifen, von Cisı an [fmägjere Intonation un 
weite Menfur, domit die Töne möglicfte Weichheit erhalten; 5. Sifflöte I 
von Ci—Fı, 6 Pfeifen, Menſur und Intonation wie Duinte Io. Nah der 
Urteil aller Sadverftändigen, welche diefe Mirtur geprüft Haben, erfüllte fie ik 
Beftimmung volfommen.') 


Konduften find zum Gebläſe der Orgel gehörige Röhren aus Drgelmet:t 
oder Blech (jetener auch aus Holz), melde den nicht auf dem ihnen zugehörige 


1) Bol. die Mufifjeitfrift „Cäcilie* (Mainz, Scott), 8. XVI. ©. 272 fi. und Et 
Die Orgel und ihr Bau. 1843. S 68. 


Io. Balth. König. 819 


Ping auf der Windlade ftehenden Pfeifen, den „verführten Pfeifen“ (wie der Ter- 
minas der Drgelbaner fautet), den nötigen Wind zuguführen Haben. Dies Ber- 
führen einer befinmuten Anzahl, oder aller Pfeifen eines Negifters geſchieht Haupt: 
Flid) aus zwei Orfnden: fürs erſte verlangt die gebräuchliche Arditeltomit der 
Trgelfront, daß eine Anzahl von Zinnpfeifen (gewöhnlich der Brincipale) verſchiedener 
Größe im den Feldern und Türmen des Profpelts ſtehe; fürs zweite gebieten Rüd- 
ften der Raumerfparnis auf der Windfade, daß von weitmenfurierten Holzftimmen 
im Inneen der Drgel die größten Pfeifen „auf die Bank“ (wie die Dihelbauer 
ingen), d. h. anf eine befondere Pfeifenbant neben die Windlade geftellt werden. 
In beiden Gülle iR jeder einzelnen im Profpeft oder auf der Pfeifenbant ſtehen ⸗ 
den Pfeife der Wind aus der Windlade befonders zuzuführen, und dies geſchieht 
eben durch Kondutten, die mit ihrem einen Ende minddicht in die den von ihnen 
irienten Pfeifen gehörenden Pfeifenlächer auf der Windiade geftedt find, und mit 
dem andern in das betreffende Loch der Pfeiſenbant münden. Die Länge der ein- 
einen Kondutte richtet fi matüelich nad) der Entfernung der Pfeife von der Wind- 
Iade umd ihre Weite nach der Windmafe, welche die betreffende Pfeife fordert.!) 
Im allgemeinen verlangen die Sachverſiändigen, dak die Kondutten und die zuge— 
Hörigen Löcher im Peifenftod und der Pfeifenbant jederzeit weiter fein miffen als 
dies mottwendig wäre, wenn die Pfeife auf der Windfade ftände, und zwar um fo 
weiter, je länger die Leitung if?) Diefe Peitung der Komdukten geht durch die Löcher 
ds Konduktenbretts umd durd die an demfelben befindlichen Kondukten- 
rinmen, die mit Pergament überfeimt und je nad) Erfordernis fenfredjt oder Hori« 
zental geführt find. — Die Erfahrung, daß auch Sei rihtigem Bau der Konduften 
den im Beofpekt fehenden Stimmen doch oft nicht Die prempte Anfpradie gegeben 
werden Tann, die möglich wäre, wenn fie auf der Windlade fünden, Hat neben 
äinigen andern Nüdfihten mit zur Amvendung ſogenannter blinder oder ftum- 
mer Brofpefte geführt, vgl. die Art. „Profpeft der Orgel und „Blind". — 
Konduften werden aud die Windrögren der Kegellade (vgl. den Art.) ger 
nannt, melde durch die Wand des Windfaftens jedes einzelnen Regiſters gebohrt 
And und den Zwed Haben, der einzelnen Pfeife den Wind direft aus dem Wind- 
'often zuzuführen. 


König, Johann Balthafar, der fleifige Sammer und verbienftvolle Herans- 
zeber eines unter dem Titel . darmoniſcher Liederfdag" im Yahr 1738 zu Frant- 
inet am Main erftmals erſchienenen Choralbuds, das die umfangreicfe Choral- 





2) Die erften vier Pfeifen des Principal 32° braucten z. 8. in der Orgel der Nikolai- 
irche zu Leipzig Konduften von 28 mm Durchmeſſer, die des Principal 16° folge von 24 mm, 
die des Principal 8° von 18 mın und die des Prindpaf 4“ von 14 mm. 

9) Bat. Töpfer, Die Orgel. 1802, ©. 37. 38. Heinrich, Orgelbau-Revifor. 1877. S. 57, 
Rüping, Orgelbautinfl. 1843. ©. 109. 
52* 


820 oh. Kalty. König. 


Sammlung des 18. Jahrhunderts darftellt. Neben dem Darmftädter (1698) un 
Freylinghauſenſchen GB. (1704—1741), fowie Witt’s Psalmodia sacra (1715) 
und Dregel'8 „Des evangelifgen Zions muftalifhe Harmonie” (1731) ift dis 
Buch dad wichtigſie Quellenwert für die in den Zeiten des Pietismus von c. 1670 
bis 1730 entflandenen, ungemein zahfreiden Choralmelodien, von denen riet 
wenige in den allgemeinen Kirchengebrouch übergegangen find und fid bis hente 
in demfelden erhaften Haben. Nach dem Vorbericht (datiert „Frankfurt am Mayr, 
den 8. September 1738") Hat König für feine Sammlung 66 evangeliihe 
Kirchengeſangbücher Deutjhlands und mod 10 weitere Melodienbücher benägt, 
und daraus in der erften Ausgabe 1940, in der zweiten über 2000 Me 
lodien, mit zahlreichen Varianten und Nebenmelodien, zuſammengebracht, und nah 
ihrem Metrum in 711 Melodien-Arten vubriziert, wobei noch 38 Melodien übrig 
Hlieben, die „in feine dieſer Arten konnten gebracht werden”. Seine weitere Thätige 
teit bei der Sammlung beftand ſodann darin, daß er „den Melodien einen gemein- 
fomen Zufgnitt gab, durch melden nicht nur daS für die Ausführbarteit beim Gr 
meindegefang Schwierige, fondern auch alles, was nur als zufäliger Schmud und 
Aufpug gelten Tann, weggethan ift und die Melodien einen ganz einfachen Charafter, 
ein gemeffen und ernft daherſchreitendes Weſen erhielten." Cine Hauptfrage in 
Bezug auf die von ihm gefammelten Melodien läßt freilich auch er, gieich allen der 
oben genannten Gejang- und Melodienbücern, volftändig offen: die Frage mh 
der Herkunft und dem Urhebern derjelben: felbft diejenigen derfelben, die er fir 
ſolche Lieder, deren „Arten folgen Mangel gehabt" meu fertigte, läßt er ohne jez 
lie Bezeichuung, und es bleibt daher aud) hier der Chorafforfhung noch viel je 
thun übrig.‘) Auch über Königs Lebensumftände ift bis jegt nichts weiter befannt, 
als was auf den beiden Titelblättern feines Werkes fteht: daß er nämlich 1733 
„Director Chori Musices“ und 1767 „Kapellmeifter in Frandfurt am Dayn“ 
war. Der Titel feiner Sammlung lautet: 

Harmoniſcher Liederfgag, oder allgemeines Evangelifäts 
CHoralbud, welhes die Melodien derer fo wohl alten als neuen biß hicher 
eingeführten Gefänge unſers Teutſchlands in ſich Hält; Auch durch eine bejon 
dere Einrichtung Dergeftalt derfaßet ift, daß diejenige Fieder, fo man nicht zu 
fingen gewußt, nunmehro mit ihren behörigen Melodien gejungen, und mit der 
Drgel oder Clavier arcompagnirt werden lönnen. Ferner finden fi darinnen 
die Dielodien derer Hundert und Funffzig Pfalmen Davids, wie folhe in denen 
Gemeinden der Reformirten Kirche gefungen werden, benebft denen Franzäfiihen 


2) Roh, Geſch. des RR. V. ©. 603—606 führt 30 noch jet gebräuchliche Melodien, 
das Pfälzer ©.-8. 1859 unter feinen 219 Weiſen, 14 auf König als Quelle zurüdt (baruntrr 
Mr. 851. ©. 698 freilich aud „Der lieben Sonne Licht und Pracht“); das C.-®. von Jalet 
und Richter Bat, aud) wenn die Melodien, für welche Joh. Zahn bereits ältere Quellen nad 
wies, nicht gezählt werden, nod immer nicht weniger als 100, für welche es Königs Pieter 
ſchab als einzige Quelle angiebt. 





Ludw. Adnig. si 


Liedern, fo viel deren biß jego belannt worden; Zum Lobe Gottes und Be- 
förderung der Andacht aufs forgfältigfte zufammengetragen, anbey durchgehende 
mit einem modernen eneralbaß verfehen, und famt einem Vorbericht in dieſer 
bequemen Form an Licht geftelt von Johann Balthafar König Directore 
Chori Musices in Srandjurt am Mayn. Auf Koften des Autoris. Anno 
1738. Quer-Folio. — 3 Bl. Borberiht; 63 Bl. Regifter; 496 paginirte 
Seiten mit 1787 Chorafmelodien mit beziffertem Baß; dann Seite 497 Titel: 
blatt für den reform. Pfalter, und bis ©. 543 die Melodien desfelben mit be- 
Aiffertem Baß; 3 ©. doppeltes Regifter zu den Palmen; 1 Titelblatt: „Aver- 
tissement, qui sert ä faire connaitre les Airs des Cantiques Fran- 
gois, qui se pratiquent dans les Eglises Frangoises en Allemagne, 
particulierement en celle de Francfort, dress& par l’Auteur;* 1 Seite 
mit 3 frangöfifden Choramelodien; 2 Bf. Register des Cantiques Fran- 
gois. — Die „zweute und vielvermehrte Auflage abermahl Herauögegeben von 
Iohann Balthafar König, Kapellmeifter in Grandfurt am Mayn“ — eritien 
unter wenig geändertem Titel 1767) in Quer-Solio; 3 Bl. Borberigt; 68 
DL. Regifter, und 550 Ceiten. 


König, Ludwig, nad Silbermann und neben Engler, Röder, Gabler, Wagner, 
den Beiden Hildebrand u. a. einer der Kervorragendften Drgelbauer der zweiten 
Hälfte des vorigen Jahrhunderts, der für den Mittel und Niederrhein Diefelbe Be- 
deutung Batte, wie jene für Norde, Mittel: und Süddeutfhland. Bon jeinen Lebens- 
umftänden ift nichts mehr befannt; nur das weiß man, daß er feine Werlſtätte zu 
Köln Hatte und dort, wenn die Aufzeichnungen Bödelers richtig find, länger als 50 
Sahre, von 1747—1800 baute. 1790 rühmte der erfahrene Courtain (vgl. den 
Art.) befonders die Schönheit feines Pfeifenwerls und feine treffliche Intonation.”) 
Im dem Verzeichnis von Bödeler?) find die folgenden Werke von ihm aufgeführt: 

1747 Orgel der Minoritenfiche zu Köln, 35 M. Stn. (als das erſt 

1750 fieben Werte, 5 zu Köln und 2 zu Bonn und Düffeldorf; darunter: 

die Orgel der Iefuitenfirde zu Köln, 38 HM. Stn., der St. Apofteltiche daf., 

42 N. St. auf 3 Dan. und Ped., der St. Severintiche daj. mit 34 il 

Stn.; 1752 Orgel der St. Nitolaustirhe zu Hohen, 32 Hl. Stu; 1767 





1) Nicht wie Roh, a. a. D. ©. 608 wohl durch Drudfehler Hat: „1776*; vgl. Beder, 
Die Ehoralfommlungen. 1845. ©. 184. 185 und 102. Mendes, Mufl. fer. VI. ©. 115 
bringt den Titel der Bude uncihtig; Fetie, Biogr. des Music, V. &. 78 unvollfändig und 
torrumpiert nad Gerber, tee 2er. 1. ©. 748. 

*) Der Drganift Seh zu Gouda (vgl. den Xrt.) Hatte in feinen „Orgeldispoftionen“ 1774 
unfern König „Lodowyk de Koning aus Keulen“ d. 5. aus Köfn, genannt; dies mißver. 
fand Gerber und bradite daher Neues Leg. II. ©. 86 einen „Rönig zu Cöln" und ©. 94 
einen „de Koning, Orgelbauer zu Keulen in Holland,” was ihm feitdem bei Schiling, Uni 
ger. IV. ©. 188 (Gaßner ©. 502), Betie, Biogr. IV. ©. 82, Paul, Sandler. I. ©. 529, 
Mendel, Muf. Konverf-ter VI. ©. 115. 125 nadigefärieben wurde, 

®) Bot. Bödeler, Die neue Orgel im Kurhausfanle zu Yahen, 1876. ©. 68-86 „Ber- 
zeichnie der bedeutendſten Orgeln Deutfhlands feit dem 14. Jahr,” da. ©. 71-73. 









822 Kontrabaß. Kontrapofanne. 


Orgel vom St Marin im Kapitol zu Köln, 41 M. Ein; 1770 Orgel je 
Schleiden; 1180 Orgel zu St. Kumibert in Köln, 30 1. Stn.; 1800 Orgel 
der DMarientirche zu Diven dais (eptes Werl). Dazu fommen nad: 1775 
die große Orgel der Stepfansticche zu Nmmwegen mit 57 El. Stu. 3 Men. 
Bed., welche Chrift. Düller (vgl. den Art.) 1770 begonnen hatte und die 
König 1775 vollendete; die Orgel der Martinstiche zu Venloo, und mehrere 
Orgeln in Nordbrabant.!) 


Kontrabaß, eine von den Orgelbauern ziemlich willfürlid angewandte Be- 
zeichnung für die größten offenen Pedalſtimmen der Orgel: Principalbaß 32° 
und 16. Die älteren Orgelbauer nannten gelegentfih auch den Subbaß ober 
Unterfag 32°, alſo eine gededte Stimme, Kontrabaf, und in der berühmten Drgel 
zu Görlitz ftand neben einer Dftave 16° von Metall eine ebenfolde von Hal 
(offen), die mit Kontrabaß 16° bezeichnet war.) — Bei den Orgelbauern der 
Gegenwart findet man die offene Principafftimme 32 teils mit Principalbag 
32° (tie bei Walder in feinen großen Werfen), teils mit Kontrabaß 32° (mie 
bei Derklin, Orgel der Kathedrale zu Murcia, bei Weigle, Sauer, Stahlhuth u. «.) 
bezeichnet.) Aber aud die Oftave diefer Stimme wird ſtatt Principal oder Ottav 
baß 16° nicht felten Kontrabaß 16° genannt (5. B. bei Cavaille-Coll, Merklin, 
Willis, Weigle u. a.) und aud anderen großen Labialſtimmen wird das Beiwor 
„Kontra“ gegeben; man findet Rontraviolon 32° (Weigke, Orgel der Sohannis 
Kirche, Stuttgart), Kontraviolon 16° (Walder, in Boten, Riga), Kontre: 
Gamba 16° (Willie, Orgel der Albert Hall, London). 


Kontrapofaune nennen einige DOrgelbauer‘) die tieffte Zungenftimme in 
Pedal der Orgel, die gewöhnlich unter dem Namen Pofaunenbag 32‘ disponiert 
wird. Die Alten nannten dieſe Stimme ebenfalls Pofaunenbaß; doch aud Kontre 
pofaume (frühere Orgel im Dom zu Bremen) und Großpofaune (frühere Drgel ze 
St. Marien in Lubech.o) Neuerdings findet man and) Rontrapofaune 16°, ke 
fonders in englifgien Orgeln (3. ®. in der Orgel der Albert Hall im London ver 
H. Willis) und außerdem wird der Beiname „Kontra: and noch verfhiedenen ar 
dern Zungenſtimmen, wie z. B. Kontrabombarde 32°, Kontratrombone 16° 
(beide bei Gray & Davifon, Drgel des Crystal Palace zu London), Kontre- 


M Bol. Ed. Grögoire, Histoire de POrgue. Brüffel, 1865, S. 114—125, u. ©. 154. 

?) Do meint Adlung , Mus. mech. org. I. &. 79 mit Red: „Lergfeigen neun: mar 
lieber eine Oftav, wenn das Principal 32° if.” Mal. ebendaf. I. ©. 98. 90. 

) Weigle in Stuttgart lelt in feinem Katalog 1888. ©. 14: Kontrabaß 3%, Principet 
dafs 32° und Subboß 32 nebeneinander. 

% 3. %. Zah. Strand, Orgel der Domtirhe zu Lund in Scrocen; Henry Bits 
Orgel zu Kverpool; G. Stafifuth, Orgel im Kurfausfanl zu Nagen; Schulze, Orgel — 
Doncafter in England u. a, 

3) &gf, Yolung, Mus. mech, org. 1. ©. 121-123. 


Kopf. Köpflein-Regal. Koppel. 823 


fagotto 16° (bei Wilis, Walder u. 0.), Tontra-Dboe 16° (hei Willis, Orgel der 
Abert Hall, Sonden), gegeben. 


Kopf, als ein Teil der Zungenftimmen der Orgel, vgl, den Art. „Zunge, 
Zungenflimmen.“ 


Köpflein-Negat, „Röpfflin-Regat“, eine afte Regafftimme der Orgel, die mit 
dem Apfel-Regal (vgl. den Art.) oder „Knöpfflin-Regal“ viel Verwandtes Hatte, 
aber nah Adlung, Mus. mech. organ. I. ©. 108 doch „von demfelben unter- 
ſchieden · wurde. Das „Köpfflin-Regal" Hatte nad; Prätorius, Synt. mus. II. ©. 
148 4 Fußton, und „oben ein rund Anäufflein als ein Knopff, vnd ift derfelbige 
in der Mitten von einander gethan (beim Apfelregal dagegen mit Löchern durch. 
brochen), als ein offen Helm; alfo daß es den Refonanz gleid; wieder ind unter 
Gorpus einmendet; ift gut vnd fieblic.“ 


Koppel, die durch einen Regiſterzug oder Tritt, den Koppelzug, zu Hande 
Habende Vorrichtung in der Orgel, durch welche die Manuale unter ſich oder mit dem 
Pedal fo verbunden werden können, daß beim Spielen auf dem Haupt- oder einem 
Nebennranual, oder dem Pedal auch die zu einem über oder unter der gerade gejpielten 
Maviatur liegenden Manual gehörigen und angezogenen Regifter mittönen. Es ift 
diefe Vorrichtung ein wichtiges Hilfsmittel für mannigfaltigfte Klangmiſchung und 
Mangverflärtung und kam ſchon frühe in Amvendung. Während aber die älteren 
Drgelbauer eine Koppelung nur durch Verſchiebung der Mlavioturen zu bewirlen ver» 
modjten, wobei die während der Verfhiebung notwendige Unterbrehung des Spieles 
einen Hindernden Übelftand bildete, Haben neuere Erfindungen auf diefem Gebiete 
denfelben volftändig gehoben und ermöglichen jede beliebige Koppelung ohne Unter- 
brechung des Spieles und ohne Anziehen von Regiſterzugen. In welch umfaffender 
Weiſe die neuere Orgelbauiunſt auch Die Koppelungsvorrigtungen ausgebildet hat 
und verwendet, mag das Verzeichnis der Koppelungen zeigen, welche E. F. Walder 
& Cie. in der Orgel der Domtirche zu Riga (124 ti. Stn. 6826 Pfeifen) ange 
bracht Haben; dasjelbe lautet: a) Koppel IV. Man. zum I. Man.; b) IV. Dean. 
zum II. Dan.; 6) IV. Dan. zum Pedal; d) I. IL III. IV. Dean. zum Pedal; 
©) III. Dan. zum T. Dan.; f) IN. Man. zum II. Man; g) III. Don. zum 
Bedal; h) I. Dan. zum Pedal; i) IV. II. IT. Man. zum I. Dan; k) II. 
Man. zum I. Man.; 1) I. Dan. zum Pedal; m) Pedal zum I. Man.) Die 
am meiften verwendeten Koppelungen follen in den Artitein Schiebekoppel, Gabel- 
toppel, Wippentoppel und Winkelhebelkoppel oder Wintelhatentoppel nach 
ihrer verſchiedenen Einrichtung näher befcrieben werden. 

1) Zu lebierer bemerit die Firma: „Die Koppel m it eine bis jebt nod nirgends ange - 
wandte Neuerung, mit der ganz riefige (1) Efiete zu erzielen find. Da fie jedoch beim Spiel 
Hiner ganz bejonderen Vehandiung bedarf, Haben wir fie mit „noli me tangere“ Öegeidinet.“ 


824 Koppel, Koppeldone ıc. 6. W. Körner. 





Koppel, Koppeldone, Koppeloltab, Koppelflöte. Die ſuddeutſchen Orgel: 
bauer des 17. und 18. Jahrhunderts nannten gewöhnlich alle Gedacte, mandt 
aud nur Gedadt 8° „Koppel“, vielleiht um die diefen Stimmen in befonderem 
Grade eigene Fähigkeit, die Mangfarben derſchiedener andrer Stimmen zu verbinden 
und zu verſchmelzen, damit ſchon im Namen anzudeuten.‘) Im Sauddeutſchland bat 
ſich Diefe Benennung namentfih für Gedadt 8° in Heineren Orgelwerlen bis zur; 
Gegenwart erhalten.) — Den Namen Koppeldone, aud Halbprincipal oder 
Tubal Hatte in manden älteren Werfen die Oltav 4‘, die nod) in neueren Werten 
da und dort aud als Koppeloktav vorkommt.) — Die alten niederländiſchen 
DOrgelbauer jollen achtfüßige, fanft intonierte Flötenſtimmen, wie Gemshorn, Rohr: | 
flöte u. a, die zur Verbindung des Tones andrer Stimmen dienten, Koppel; 
flöten genannt Haben.) — Auch einzelne gemiſchte Stimmen der Drgel "tmurden 
e5mals „Koppel” genannt, weil bei denfelben mehrere Pfeifen (Chöre) zu einem Tor 
verbunden find.) Endlich wurde die Begeichnung „Koppel“ nod für folhe Stim- 
men gebraudt, die aus Erfparnisrüdfigten fo eingerichtet waren, „daß fie durch be 
fondere Züge und manubria im Manual und Pedal jedesmel Tonnten allein ge 
braucht werden.“ 








Körner, Gotthilf Wilgehm, der rührige und verdienftvolle Verleger und Her 
ausgeber deutfeher Orgelmufil, war am 3. Juni 1809 zu Tucha bei Halle, wo jeir 
Bater Kantor und Dehaniſi war, geboren. Er beſachte die Schulen des Waifen 
Haufes zu Halle und bildete fih dann 1881--1834 am Seminar zu Erfurt, we 
isn €. L. Gebhardi und 9. I. Müller im Orgefpiel und der Mufiltheorie unter 





') &o nannte 3. 8. der Orgelbauer Heine, Mund in der 1671 gebauten Orgel der Ftauen 
nirche der Prager Alıftadt, alle Gedadte „Koppel“, und unterfdied: „Roppel-Majer 8", Koppıl- 
Minor 4° und „Sub-Baf-Koppel 16°" (Bed. Georg Fricdrich Sämahl in der 1730 Sir 
1782 erbauten Drgel des Dome zu Um nannte alle Gedadt 8 „Koppel“; ebenfo Gaäler in 
der Orgel zu Weingarten, der im IV. Dan. auf) eine „Groß-Kopyel 10° Hat. 

*) Bl. Frei; in der Cinfeitung zum Württ. &9.®. 1828. S. XVI und zum „Orgd 
fpiefsuh" 1851. ©. 16 u. 27. 

) Beifpiele dieſer Benennung von Dftav 4° finden ſich bei Adlung, Mus. mech, org. L 
S. 117. 

+) Nat; Prätorius, Synt, mus. II. S. 182 nannte man zu feiner Zeit die Hohlfläte © 
ebenfalls „Koppelflöte” ; auch Gabler, Orgel in Weingarten, Gat im II. Man. eine „Koppel 
Blouten“ 8%. Auch berictet Arnold Shih, Spiegel der Orgelmagier 1511. Ray. IV. ©. 30. 
daß zu feiner Zeit fogar die „principal in dem werd“ von Eilidien „copeln oder fleitten” ge 
nanm wurden. 

®) „Daher man dabey faget: -fad, als Koppel 2fadi, Dad. Und dat geht wohl am: deas 
man ann auf ein Kegifter viel Pfeifen beingen, wie in den Migturen gelhiehet. Koppel & 
alfo eine gemiſchte Stimme, aus zwei und zumeifen dreierley Stimmen." Adiung, a. a- C 
Le. 90. 

©) Bgl. Mlung, a. a. D. 1. S. 81 u. 82 und Wertmeiner, Orgelprobe. Rap. 19, & 
42, der jedoch vor ſolcher Einrichtung warnt. 





sch 


Golth. Wilh. Körner. 8% 


ritteten, zum Lehrer aus. Nachdem er als folher an mehreren Orten fungiert 
hatte, ließ er fih in Halle als Muſillehrer nieder und errihtete 1837 zugleich) 
eine Mufitalienleiganftalt; 1838 aber fiedelte er nad Erfurt Über und gründete 
eine eigene Bud: und Muſilalienhandlung, die er durch feine unermüdliche Thätig- 
Teit zu ſchöner Blüte brachte. Bon Anfang an fih mit Vorliebe der Herausgabe 
von Drgelwerlen zuwendend, Hat er das Verdienft, ſowohl die Werke älterer dent: 
fer Orgelmeifter (meift in von ihm felbft zufammengebradhten Sammlungen), als 
auch die don Orgeltomponiften der Gegenwart durch Billigfte Ausgaben in einem 
Umfang zum Gemeingut gemacht zu Haben, wie dies noch vor vierzig Jahren nie: 
mand ahnen fonnte. Und wenm er dabei auch hier und da etwas marktſchreieriſch 
zu Berte ging, und z. B. Gefamtausgaben der Werke älterer Komponiften anlün- 
digte, von denen dann nur einzelne Hefte erſchienen, weil durch die Forſchung das 
Material noch gar nicht herbeigeſchafft war; oder wenn er feiner Zeitſchrift „Uranin” 
den Titel: „das unentbehrlihe Bud; für Deutſchlands Kantoren und Organiften x.” 
996, u. dgl: fo vermag dies der Hohen Ahtung, die fein Wirken in allewege ver- 
dient, kaum einigen Wbbruh zu tun. Rach längerem Leiden ftarb er zu Erfurt 
am 4. Januar 1865 im Alter von 56 Jahren; fein Verlag ging an F. Voldmar 
in Leipzig über und wird unter der Firma „Ö. W. Körners Berlag in Leipzig" 
weitergeführt. — Folgendes find die Werte, die feinen Namen als Heransgeber 
tragen :?) 





1. Neues Drgel-Iournal. Auswahl von Kompofitionen aller Art aus 
der älteren und neueren Zeit ıc. 2 Bde. qu. 4°. — 2, Der Orgelfreund. 
Bor- und Nadjipiele, figurierte Choräle, Trios, Fugen x. in allen Formen, 
von alten und neueren Meiftern. 2 Bde. qu. 4°. — 3. Der neue fathotiiche 
und proteftantifde Orgelfreund. Cine Auswahl meift neuer Bis jet unge: 
drudter oder wenig bekannter Orgel-Rompofitionen. Im Heften. qu. 4°. — 
4. Der Orgel:Birtuos. Auswahl von Tonftüden aller Art für Orgel von 
den dornehmften Orgelfomponiften älterer und neuerer Zeit zum Studium und 
zum Gebraud; bei Orgeltongerten. Heft 1269. M. qu. 40. — 5. Der ta 
Holiſche und proteftantifce Organift, oder der praftifde Organift, enthaltend 

6 Turze, leichte und gefälige Orgelfompofitionen x. In Verbindung mit 
« W. Öottfhalg, I. N. Kühne und I. ©. Lehmann heransgeg. qu. 4%. — 
6. Der praftifche Organift. II. Teil: Auswahl von Nadipielen, Phantaſien x. 
zur Übung, Fortbildung und zum Gebr. beim Gottesd. qu. 4°. — 7. Der 
angehende Organift, oder Sammlung von kurzen und ganz leichten Org 
ftüden. Op. 10. Leipzig, Hiefh. 4° (in mehreren Auflagen). — 8. Der wol 
gelte Organift. Auswahl von Nadfpielen verfdiedener Meifter. Op. 16. 
Feipz., Hirfc. 4°. — 9. Der volltommene Organift. Dufterfammlung der 
rjchiedenartigften Orgeltompofitionen älterer und neuerer Zeit ıc. 6 Bde. 4°, 

— 10. Die Fugenfgule oder das Höhere Orgelfpiel. Auswahl von 60 Orgel- 


1) Nad) dem ebenfalls bei ihm erfienenen Heft: „Musica sacra, Abtl. I. Bolländiges (2) 
Verxeihnis aller (2) feit dem Johre 1750—1867 gedruct erfienener Kompofitionen für die 
Orgel, Lehrblier für die Drgel, Säeiften Über Orgelbautunft.” Erfurt, 1807, ©. 23. 24, 

















7 


826 Kornett, Aornetti. 


fugen der größten Meifter. Hamburg, Schuberth & Cie. 4°. — 11. Cvange- 
lifhes Kircenpräludienbud) zu jedem Choralbug;, zunädft aber zu den Melodien 
des deutfchen evang. Sirhen-©.B. (Eifenaher ©.-B.). 18 Hefte. 4%. — 12. 
Boftludienbud, oder Sammlung von größtenteils Leiten Nadjfpielen x. 9 Br. 
4. — 13. Der wohlerfahrene Domorganift. Enthaltend Orgeltompofitionen 
aller Art :c. der beften Orgel-Romponiften. 4 Bde. 4%. — 14. Wuſilaliſche 
Ahrenleſt. Auswahl der beften und effeftvolften Drgelfugen alter und euer 
Meier. 8 Bde. 49. — 15. Prüludienbud zu jedem enengeliigen Choral 
bug x. 5 Bde. 4°. — 16. Rind, diſcher, Mendelsjopn-Mbum. Mit Orir 
ginafeitrigen x. 4 Tle. I. Borfpiele. —* u. ‚Sprlvoriete u. Choräfe. 
2 Hfte. III. Nachſpiele, Fughetten Fugen, Tı 2 Hfte. IV. Phantaſien, 
Sonaten, Variationen. 2 Hfte. 4°. — 17. Der neue Organift. Eine Mufter: 
jammlung von 329 Driginalfompofitionen x. I. 207 Präludien sc. IL 81 
Choralvorfpiele. II. 41 größere Orgelftüde. Op. 40. Hamburg, Schuberth 
& Cie. (Neue Ausg. von E. Eberhardt). — 18. Der Kantor und Drganifl, 
oder: Album für Gefang und Orgelipiel, enthaltend eine Sammlung von Orgel» 
ftüden derſchiedener Art, nebft — 2 Choräfen, Palmen, Hymnen, 
Motetten x. Bd. J. 6 Hefte. 4%. 





Kornett, Kornetti, eine der wichtigſten gemiften Stimmen größerer Orgel: 
werte, in denen fie zunähft als treffliche Fülftimme unentbehrlich ift und bei den 
verſchiedenſten Klangmiſchungen reichliche Verwendung findet, — dann ſich aber auch 
als eine zue Führung und Hervorhebung eines Cantus firmus fehr wertvolle Sole: 
ſtimme, und endlich als eine unter Umftänden prächtig wirkende Echoſtimme ge: 
braudien Täßt. Seinen eigentümligen hornartigen Tondaralter erfält der ganz ans 
Zinn Hergeftellte Kornett durch eine beſonders weite Menſur, meift 1.—2 Töne 
weiter als das Normalprineipal eines Wertes, dann durch eine volle und runde, 
aber weiche Intonation, und durd) die ihm beigegebene Terz!) Widtiger nod if 
für die Herftellung eines guten, weichen Kornetts die richtige dabiierung feiner Pfeifer. 
Beil man früher die Grundftimmendöre gleih den Principalen auf Ya Labüerte, 
und nur die Labien der Quintendöre etwas breiter nahm, waren die Kornette ir 
ihrem Toncharalter laum von den Mirturen verſchieden. Ein charatteriſtiſcher, weicher 
Kornett iſt nur erhältlich, wenn ſämtliche Chöre, Grundton wie Quinten, um * 
Vierteil breiter als die Principale labiiert werden, fo daß, während bei diefen "i 
der Breite der Pfeifenplatte als Labiumbreite genommen wird, bei jenen das Le— 
bium 1% Bierteile (= 6) der Plattenbreite erhält?) Da der Kornett gleich der 
andern gemiſchten Stimmen die Aufgabe Hat, die Afiquoten der Grundftimmen zer 
Geltung zu bringen und dadurch den Hauptton zu füllen und zu heben, jo muß er 





*) „Ruc das Kornett befommt eine Terz, und es iſt ſreng genommen ſalſch, irgend eine 
andern gemifcten Stimme eine Terz beizugeben,” fagt Heinrich, Orgelbau-Revifor. 1877. S. #1 
während Sederfe, Die Kirdienorgel 1982. ©. 122 felöf der Eymbel eine foldje geben mil! 

2) Bpl. die wertoollen bezüglicen Auseinonderfegungen des erfafrenen Orgelbauers Fri. 
Haas in Luzern in der Schweiger. Mufilsig. Jahrg. 1883. &. 186. 





Kornett, Kornetti. 827 


vor allem im Grundton und fo intoniert fein, daß er feine eigenen Aliquottöne 
nict hören laſſe. Da die Wirkung der Miquottöne ferner bedingt, daß ein dreie 
oder vierſtimmiger Mccord in weiter Page voller Mingt, als in enger, fo verlangt 
die Theorie mit Recht, daß bei einem richtig fonftruierten Korneit die einzelnen 
höre in weiter Lage zufammenzuftelen fein. Leider wird aber diefem Verlangen 
in der Praris bis jegt wenig Rechnuug getragen, und man findet meift Zufammene 
felungen, die, wenn der eben angeführte Grundfag als maßgebend angenommen 
wird, alle mehe oder weniger falſch find. Die in der gegenwärtigen Braris ger 
woͤhnlichſte Zufammenfegung des Kornett iſt in volftändiger Durchführung: 
3) Komett 5fad: 

mit 16° Ton: C= (016° 08%) Göts' cd edle -CGı CGceufmw. 

mit &' Ton: O=(08 04) gP co! el =-Cegeeufm 
b) Rornett Afach: 





mit 16° Ton: C= (08°) G Sia“ c4' ed‘ =0Gceufj.m 

mit 8° Ton: C=(c4) g2%' c2' el’ segeeufm 
O Kornett Zah: 

mit 16° Ton: C = Gö!h‘ c4’ eäth‘ =Gceuf.m 

mit 8° Ton: CO = g2% c2' Eli‘ geeufm 


Dabei iſt jedod zu Bemerfen, daß zumädft Kornett 16° bis jet nur in ganz großen 
Berten da und dort dorfommt; dag ferner, da die großen Chöre der tiefen Oftaven 
richt nur viel Wind, fondern and viel Raum beanſpruchen, duch die Durchſührung 
des Kornett 8° in der tiefen Oftave mit der unvolftändigen Reihe der höheren 
Chöre begonnen wird, und dann von Oktave zu Oltave die tieferen Chöre zugegeben 
werden, fo daß ein fo eingerichteler Kornelt auf C dreihörig beginnt, auf € vier: 
dörig umd auf c! fünfchörig wird, 3. ®. 


Rornett 8°: C = Gölhr cd" egiy‘ =G ee dad. 
c= c4 g2%‘ 02 Eli. =cg ee dad. 
= Eis c2' gIin“ clletsi=g ci get dfad. 


Mit diefer weitaus am Häufigften vorfommenden Einri tung bezeidnet man den 
Kornett 8 als „Rorneit 35fah*. — Um Wind und Raum zu fparen, wird 
aud) nod) ein anderes Austunfismittel angewandt: man fügt den Kornett erſt auf 
g oder c! beginnen; doch iſt dies ein Notbchelf von ſehr zweifelhaften Werte, da 
ſich das Fehlen des Kornett in den 11e—2 tiefen Dftaven beſonders beim Spiel 
mit vollem Wert deutlich und ſehr unangenehm bemerlbar macht. — Andere Zur 
fommenfegungen des Kornett, wie fie in der Praris da und dort noch vorkommen, 
.Begiceg,ceg e u. dgl. berufen offenbar auf einer gänzlichen Miß - 
achtung des diefer Stimme eignenden Tonharakters und find daher wertlos.!) Dar 


3) Heintid, a. a. ©. nennt darum mit Recht den Kornett c © g, den er in der Orgel 
der evang. Kirche zu Spr. gefunden at, den „unbraudjbarften, der erifiere”; doch giebt auch 
Fred, Drgelfpielbud) 1851. ©. 10 einen aus © © g © zufammengefepten, 


828 Kornette, Kornettino. 


gegen ift nod ein in feiner Intervallenzufammenftellung eigentümlicher Kornett Aftch 
zu erwähnen, den Ladegaſt in Pedal feiner großen Orgeiwerte, wie 5. B. in der 
Domorgel zu Schwerin, der Paufinerorgel zu Leipzig gelebt Hat. Im demfelben it 
neben den drei gemöhnliden Chören ein Septimenchor aufgenommen, der jedoch, da 
mit er nicht zu auffallend hervortrete, gededt ift. Diefer Stornett, der 2 Töne meiter 
als das Normalprineipal menfuriert ift, ſoll ſehr wirtſam fein.) — Endlich if 
nun noch amzuführen, daß der Kornett durch Verbindung anderer Stimmen auf 
verſchiedene Weife aud kunſtlich hergeſtelit werden ann. Solche Stimmen 
derbindungen, die einen Kornett menigftens der Zuſammenſetung, wenn auch nigt 
immer dem Toncharalter nad, ergeben, find z. B.: 

a) Principal &, Oltad 4°, Quint 2%, Oftav 2' und Terz 19%; 

b) Lieblich Gedatt 8, Dtav 4, Quint 2%‘, Waldflöte 2° und Terz Li, 
wobei Duint 2% von CH, und Terz 1%‘ von c am als „Sesquialter“ 
in der Dispofition vorfanden gedacht ift; 

© Ottav 4, Quint 2‘, Ofted 2 und Terz 1‘; 

4) Naffat 2%‘ und Tertion Zah, nämfih auf C = c% el‘) 

Fünfdörig Heißt der Kornett in älteren Orgelwerten aud Großtormett, im neueren 
Cornetti grandi,?) dreihörig Singendfornett und im Pedal aud) Kornettbeß. 


Kornetto, Kornettino, eine Zungenſtimme der Orgel, melde ſchon zu da 
Prätorins Zeit — vgl. fein Synt. mus. II. ©. 163 — aus dem älteren Zinter 
(ogl. den Art.) ſich Herausgebildet Hatte. Cie bildete die Oftave des Zint, dr 
mit 8 Zußton öfters im Pedal ftand, während Kornett mit 4. und 2 Fußton Die 
nual, mit 2 Fußton oft auf nur Disfantftimme war. Die Schallbecher des Ler 
nett toaren Hein, nach oben umgelehrt legelförmig ausladend, oder in einen trompeten 


*) Bol. Mahmann, Orgelbauten. 1875, I. S. 68. Dr. Herm. Langer in feinem Kri 
fonsberict Über die Panfinerorgel in Leipgig — mitgeleift: Urania 1875. Mr. 5—8. ©. 16t 
— benertt über diefen Kornett: „er if eigentümtid infofern, ala die Septime (ein difenn 
vendes Intervall, welches fih in ein tonfonierendes auflöfen muß) mit jedem Tom wieder & 
Mingt, ohne daß eine Auflöfung erfolgt, ie der Gebraud der Duinten- und gemifcten Fr 
gifer gegen alle Kegeln der Harmönielehre verläßt, ohne melden Gebraud) aber ein kräftige 
Drgefffang nicht zu denten if, fo mag aud) die Befegung des Septimenintervalles geflatte fer. 
fobaf® fie durch die Grundflimme gehörig gededt erfeint.” Aud; Cavaitle-Gol im Baris gikt 
dem Kormett eine Septime bei und wäre nad; Philbert, L’Orguo du Palais de Tndustre 
d’Amsterdam. 1876, S. 130 der erfle, der diefen Chor anwandte. 

*) Die Zufammenfleltung unter b) würde nad Kumpe, Die Orgel und ihr Bau. IE 
©. 175 in einer Orgel von 23 Hingenden Stn. einen Sfaden Korneit Bilden, „der fih zz 
Vortrag einer Melodie eignet;“ Über die Verbindungen unter c) und d) vgl. Euterpe 1864 
©. 27.28. Fraitich nennt Deinrich, a. a. D. &. 48. Ann. einen Kornett aus cylindriige 
tonifgen und gebedten Pfeifen ‚einen Milgmafc; — aber fein Korneit”. 

9 &o ;. B. bei Budow, Orgel in Hoyeremerda; Cavaile-Cofl, Drgel zu Eaint-Deri 
hat „Grand-Cornet Tag“, und Elliot und Hil, Orgel der Kathedrale zu Port gar „Era 
Cornet of 8,9 and 10 ranks, 








Iak. Kortkamp. Dr. H. Ad. Köflin. 829 


artigen Schallbecher endigend, die Zungen ſchmal, ſtark und aufiglagend. Bei den 
Drgelbauern der Gegenwart findet man diefe Stimme in modernifierter Bauart als 
Rornetto 4° und Kornettino 2° im Manual großer Werke, aber auf im 
Bedal zur Verſchärfung des Geſamttlanges vermendet. Walder 3. B. hat Ror- 
nettino 4° im II. Manual (Boten) und Korno Baſſo 4° jowie Kornettino 
2° im Pedal (Um, Bofton). 

Kortlamp, Iatob, um 1650 Organift am der Gertrauden- und an der 
Dorien-Magdalenen-Kirhe zu Hamburg, wo er um 1700 farb.) Cr gehörte dem 
Rif’ihen Sängerkreife an und lieferte für den dritten Zeil der „Neuen Himmliſchen 
Lieder" Johann Riſt's 1651 die Melodien: s 

„O großer Gott, der du die Welt“ — glg fi 
„Bie tieblich ift dein Nam, o Gott" — gb 

„Derr Gott, mein Troft und Rat“ — a 

„Herr Gott, dir muß id fingen” — eleedejhh j n 
von denen jedoch, da die Lieder fümtfih nad ſchon bekannten Melodien gefungen 
werben Torınten,*) feine in den Kirchengebrauch Ta. 


Köftlin, Dr. Heinrich Adolf, der Gründer des „Evangelifhen Kirchengeſang⸗ 
Vereins für Württemberg" (vgl. den Net. „Rirhengefang-Berein, evangelifc—her, für 
Deutfchland“), ift am 4. September 1846°) als der Sohn de namhaften Iuriften 
Shriftion Reinhold K. (geb. 29. Ian. 1813 zu Tübingen, daf. geft. 14. Sept. 
1856), der ſich unter dem Pfendonym „C. Reinhold" auch als Lyriler und Novellen: 
dichter einen Namen gemadt hat, und der tafentvollen Liederfomponiftin Joſephine 
Lang (geb. 14. März 1815 zu Münden, geft. 3. Dez. 1880 zu Tübingen) zu 
Zübingen geboren, und erhielt im elterlichen Haufe von frühefter Jugend an biel- 
fache muſilaliſche Anregung. Zum Tgeofogen,beflimmt, erlangte er die wiffenfhafte 
liche Borbildung in dem theologiſchen Seminar zu Schönthal, und machte feine 
Univerfitätsftudien im Stift zu Tübingen. 1869 kam er als Hauslehrer des württem- 
bergiſchen Gefandten nad) Paris, madte fodann 1870—1871 den deutfch-frangöfiichen 
Krieg als Feldprediger der 2. württembergiſchen Brigade mit, und wirkte 1871— 
1872 als Repetent in feiner Vaterſtadt, als welcher er Borlefungen über Mufit- 
geihichte Hielt, die er als „Gefhichte der Mufit 1875 (2. Aufl. 1880. 3. Aufl. 


1) Sein Sohn und Nadfolger wird wohl Joh. Kortkamp geweſen fein, von dem 
Gerber, 9. der. 1. ©. 148 meldet, daß er 1700 Drganift an der Daria-Magdafene: und 
Gertenden-Lirdie zu Hamburg war, und von dem Mattfefon, Ehrendf. 1740. &. 227 rüfmt, 
daß er ihm viele Hierife Nadricten zu diefem feinem Werte geliefert habe. 

3) König, Harm. Siederfejaß 1798 verweift die beiden erflen auf „Chrift unfer Herr zum 
Jordan Lam“, das dritte auf „Auf meinen lieben Gott“, und das vierte auf „Herzlich tHut 
mic} verlangen.“ 

>) Nah dem „Württ. Magifirbud“; Riemann, Mufil-Leriton. 1884. ©. 482 giebt 
„4. DE. 1846% als feinen Geburtstag. 





7 


830 g. Kobolt. 6. 2. Krämer. 


1883) Herausgab. 1872 fam er ala Diolonus nah Sulz, wo er zunäfft in 
dortigen Kirhengefang-Berein den Keim legte, der ſih 1875 zu einem Dreifidt 
Bund für Kiehengefang (Sulz, Nagold, Caiw), 1877 aber zum „Evangefiten 
Kirhengefang-Berein für Württemberg“ entwidelte, den K. bis 1883 als Barfınt 
feitete. Bon 1875 an wirlte er als Pfarrer zu Maulbrenm, wurde 1878 Chir 
Pfarrer in Friedrichehafen, 1881 Diafonus an der Johannistirche zu Stuttgart an 
lebt feit 1883 als Profefior am Vredigerſeminar zu Sriedberg in Der elteren 
und Pfarrer dajelöft. Ms Dufifgriftfteler hat K. außer der ſchon genannter 
Geſchihte der Wuſit noch veröffentlicht: „Die Tonkunft. Einführung in die 
ANGetit der Mufif”,(Stuttg. 1979. XII u. 370 ©. 8%), und ih außerdem ix 
einigen Brofhlren und verfhiedenen Auffägen G. B. in der „Allg. Sig.“, dm 
„Deutfcien Literatuebl.", der „Theol. it-dtg.”, der „Euterpe“, ſowie in den 
von ihm mitredigierten, Geptember 1886 eingegangenen Firhenmufifalifcen Bit 
„Halleluja“) ſowohl mit allgemein mufifafifgen, als mit fpeciel firhenmuftfalifr 
(Ungelegenpeiten des Ev. KGB.) Gegenftänden befhäftigt. Hier find nur zwi 
feiner Brofhliren zu nennen: 
Die Mufit als qriſtliche Bollsmadt. Heilbt. 1880. 30 ©. 8°. (dt 
29 oder Bd. V. H. D der Zeuſtegen des riftiien Voltslchens“), und: 
Suther als der Vater des evang. Kirhengefangs. Leipzig, 1881. 28 ©. 3. 
(Heft 34 oder Bd. III. 9. 8 der „Sammlung mufit. Vorträge“). 


Kogolt, Heinrich, tühtiger Sänger und Gefangfehrer beim Domdor x 
Berlin, war am 26. Auguft 1814 zu Sqhnellwalde bei Neufladt in Oberfchefer 
geboren. Cr flubierte 1834—1836 zu Breslau Philologie, ging dann aber ja 
Mufit über und murde Schüler S. W. Dehn’s und Nungenhagens in Berl 
Noch vollendeten Studien lebie er 18381842 ala Cänger (erfter Balfit) am 
Gefanglehrer zu Danzig; dann trat er 1843 als erfter Solobaffift in den Deu 
Hor zu Berlin und rüdte 1862 zum zweiten Dirigenten dieſes berühmten Kirte 
Gores vor. 1849 Hatte er einen eigenen Gejangberein für a cappella-Ger; 
gegrlimdet, der c. 80 Mitglieder zählte und den er fo zu ſchulen deritand, daß — 
mit demfelben einen mahezu vollendeten Chorton erzielte und feine Konzerte zu de 
beften in Berlin gehörten. 1866 wurde 8. zum töniglichen Mufikdirekter u) 
1876 zum Profeffor ernannt; am 3. Juli 1881 farb er zu Berlin. — & 
girchenwerlen erſchienen von ihm: 


Der 54. Palm. Für 4 Solofimmen und abtfimmigen Chor. ir, 
eudart. — Der 67. Palm. Für Sopran, At, 2 Tenöre und 2 Bit 
Feipgig, Breitfopf & Härtel, 


Krämer, Georg Ludwig, ein geſchicter Orgelbauer, war 1731 zu Hufe 
Neuhaufen im Württembergifchen geboren und Hatte, nachdem er in Stuttgart m 


3. W. Krämershoff. Araenftein. 831 


endwigsburg gearbeitet, feine Werfflätte zu Nürnderg,) ſpäter zu Bamberg, wo er 
im (egten Decenmium des vorigen Jahrhunderts ftarb. Bon ihm ift bezeugt, daß 
ex in der Windlade „die Bentile auf den Windfaften legte“, flatt in denfelben.2) 
Er mußte alſo die Ventile durch einen Stecher heben laſſen; da dies aber bei der 
Schleiflade kaum denkbar ift, da er ferner zur felben Zeit wie Hausdörfer (vgl. 
den Met.) lebte, und fein Geburtsort ganz in der Nähe von des lepteren Auf⸗ 
enthaltSort, Tübingen, fiegt, fo it wohl die Annahme gerechtfertigt, daß er die 
dausdsrfer ſche Windlade, die Grundlage der Regellade (vgl. den Art.) fannte 
und anwandie. Vielleicht Hatte er den Orgelbau bei Hausdörfer ſelbſt gelernt. 


Krämershoff (Keimmersgeff),‘) Iohann Wilhelm, ein bedeutender Orgelbauer, 
der um 1770 au Düffeldorf geboren war. Huf der Wanderſchaft fam er nad) 
Oldenburg und arbeitete Hier His 1800 in den Werkflätten anderer Meifter; nadie 
dem er aber die Orgel der St. Lambertitirche dafelbft erbaut Hatte, wurde er 1801 
als felbfändiger Orgelbauer für das Herzogtum Oldenburg privifegiert. Die ger 
nannte Orgel galt zu ihrer Zeit als eine der (hönften in Deutfäland*) und Hatte 
Gigentümlicteiten, Die im deutſchen Orgelbau nicht uͤblich waren und eher auf fran- 
ifhen Einfluß Sei dem Crbauer fliehen (affen. Unter den 47 il. Sin. des 
Bertes waren nicht weniger als 11 Zungenflimmen und im HM. fogar eine Po- 
frune 16; ferner waren diefe Stimmen auf 4 Manuale und Bedal verteilt, und 
die Manuale Tonnten nicht nur alle zufammen, ſondern aud) beliebig unter ſih ge- 
foppelt werden, und die Bälge für das HM. und Bed. endlich Hatten 35° Wind.) 
Bejonders ruhmte man an dem Werle noch die lichte Cpielart, die Harakterififche 
Intonation der Stimmen, und die reichliche Verſorgung mit Wind. 


Kragenftein, ein Orgelbauer von deutf her Herkunft, der im der zweiten 
Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter der Regierung der Kaiferin Katharina (get. 
1796) zu Petersburg Iebte, gift gewöhnlich als der Erfinder freifgwingender 


9) Bsl. Sponfel, Orgelfiforie. 1771. ©. 139, wo gefagt if, dafı „Derr Georg Ludwig 
Krimer aus Nürnberg“ 1762 die Orgel in der Altflädter girche zu Erlangen „gebeffert und 
vermehrt Gergeftellet” Habe. 

2) Bol. Gerber, Ateo 2er. 1. ©. 751. Neues Lex. II, S. 100. 

®) In Bayug auf den Namen herrſcht Verwirrung; Gerber, Neues der. TIL. S. 101 
bringt ihn ale „Rrämersoff“, und S. 130 nodwals als „Krimmeraoff”; ihm folgen Felis, 
Biogr. V. ©. 93 („Kraemerhof*) und S. 171, Pauf, Hanbler. I. S. 593 u. 539 und Mendel, 
ter. VI ©. 137 u. 165; Schilling, Univ.-Ler. IV. ©. 236 u. Bernedorf, Neues Univ.-Ler. 
1. &. 665 Haben ihn nur als Krimmerehoff“, und Wödeler, Die neue Orgel im Kurhaus 
frat zu Aachen. 1876. &, 73 nennt ihn gar nod; „Krimmersborf“. 

+) Bol. deren Dispofition und Veſchreibung in der Ag. mufit. Ztg. Jahrg. III. 1810. 
©. 52. 

9) Gerber, a. a. D. ©. 190 f. lann auch niht umhin 3. ®. die Übergroße Anzahl der 
Rohrfimmen, das 4. Man., die Poſaunt 16° im HM. n. a. zu tadeln. 


832 Dr. £. Aranfold. 


oder durchſhhlagender Zungen in den Rohrwerken der Orgel, die dann in 
Deutſchland von Drgelbauern wie Rackwitz, Abt Vogler, dem älteren Lauer, Kober 
u. a. ſchon vor 1807 verwendet wurden. Doch hat, abgefehen davon, daß fen 
die Chinefen in ihren Cheng oder Keng, einem uralten Blasinftrument,) frei: 
ſchwingende Zungen amvandten, aud ber franzöſiſche Orgelbauer Gabriel Dojeph 
Grenie (geb. 1756 zu Bordeaur, geft. 3. Sept. 1837 zu Paris) ſchon 1798 
(an VI) Berſuche mit aufſchlagenden und durchſchlagenden Zungen gemacht, und 
eßtere in der von ihm 1810 zuerft gebauten Orgue expressif angewendet.) 


Kraußzold, Dr. Ludwig, neben Dr. Wiener, Dr. Cayriz, Joh. Zahn u. a. 
einer der Hauptträger der hymnologiſch-liturgiſchen und firgen-mufifalifgen Bervegung 
in der lutheriſchen Kirche Bayerns, einer Bewegung, die hier lebhafter als im irgend 
einer andern deutſchen Landesfirhe war und die Diefer Kirche nit nur den litur- 
giſchen Gefang auf hiſtoriſcher Grundlage, fondern aud) den rhythmiſchen Gemeinde: 
gefang wieder zurüd eroberte. K. ift am 9. Febr. 1803 in dem Dorfe Miftelgu 
bei Baireuth in Oberfranten geboren. Nachdem er auf der Univerfität Erlangen 
feine theologiſche Bildung erlangt Hatte, wurde er 1830 Pfarrer zu Auffeg und 
gab ſchon hier einen erften „Beitrag zur Atarliturgie" heraus. 1835 ſodann kam 
er ale Stadtpfarrer nad) Fürth und feit 1854 wirkte er als Konſiſtorialrat und 
Hauptpfarrer zu Baireuth. Seine hier anzuführenden Schriften find: 

1. Berſuch eines Beitrags zur Atarliturgie. Enthaltend die Einfegunge- 
worte und das Baterunfer, eine kurze Litanei und eine Beilage zweier Abend- 
mab:Choral-Öefänge, weht einer Turgen Abenblung als Neitwert, Nürnberg 
1832. 4. — 2. Verſuch einer Theorie des Kirchenlieds. 
langen, 1844. 8° (zuerft in der „Zeitihrift für Proteftantismus und Kirche“. 
VI. ©. 392—406. VIII. ©. 1—43 u. 99—142 erigienen). — 3. Bom 
alten protetantifhen Choral, jeinem vöptpmifgen Bau und feiner 
Biederherftellung. Cine mufifaliihe Abhandlung mit befonderer Beziehung auf 
die vom SKönigl. Bar. ‚Doertonilerum herausgegebenen zwölf rektificierten 
Choräle. Fürth 1847. 8%. — 4. Mufitalifge Mltaragende für den 
Sana futherifen Gottesdienft. 2 Teile: I. für dem Siturgen; II. für den 

Chor und die Orgel, mit auögefegten Harmonien. Grlangen, 1853. 4%. — 

5. Hiftorifcemufitalifes Handbuch für den Kirhen- und Choral- 

gelang. Für evangelifhe — und die e8 werden wollen. Crlangen, 

1855. X u. 194 ©. 8°, 


©) Dan findet dasjelbe aögebifdet bei De Ia Borde, Et 
moderne, Paris 1780, L S. 129. 

2) Vol. Über die Frage nad) dem Crfinder der duräfälogenden Zungen: Fötis, Biogr. 
des Music, IV. &. 99. 100. Revue musicale, &%. XI. &. 259 u. 359. Zamminer, Die 
Mufit und die mufit. Iuftrumente 1855. ©. 230. Cadlic. Mufiheitfärift Mainz, Stet). 
®. XI. ©. 181-202. 8. VII. ©. 91-108. Wille, Ag. muft, Ztg. 1838. Pr. 1i 
führt einen gewiſſen Sr. Kironid als den wahren Erfinder der durdlagenden Zungen er 
und noch Anding, Dandbüchtein für Orgelfpieler. 1872. S. 7 folgt ihm: dod wäre diet nıd 
Seidel, Die Orgel, 1843, &. 13 mit Kragenflein „ein und diefelbe Perfon,” 





i sur Ia Musique ancienne et 





Phil. Dav. Aränter. Joh. Tob. Krebs. 833 


Kräuter, Philipp David, Kantor und Muflfdireftor an der St. Annentiche 
zu Augsburg, wo er am 14. Auguft 1690 geboren war. Noch als ganz junger 
Mann errichtete er 1712 das erfle öffentliche Konzert in feiner Vaterfladt, umd 
enwarb fid) damit ein weſentliches Verdienft um die dortigen mufifalifhen Verhält- 
fe. MS er dann 1713 Kantor geivorden mar, wendete er feinen ganzen Fleiß 
der Kirchenmuſit zu: er bildete einen Singchor für die Kirche Beram, führte ſau 
der Motetten die Kirhenfantaten ein, und ſuchte auch mit Hülfe des Dialonus 
Friedrich Renz an der Vorfühertirche den Choralgejang der Gemeinde zu verbefiern. 
Fiir feine Kirchenmuſilen verwendete er anfangs Hauptfächlid die Kantaten Telemanne, 
vom dem er and derſchiedene Oratorien und Paffionsmufiten aufführte; fpäter tom- 
vonierte er ſelbſi ganze Jahrgänge auf alle Sonn- und Sefttage, wozu ihm der Schul- 
follege Mag. Michael Lebegon Marggraf dafelbft die Tepte Tieferte.') St. farb 
1741 zu Augsburg mit dem Kuhme eines auf dem Gebiete ebangelifgjer Kirchen- 
mufit äußert fleißigen Manues. 


Krebs, Johann Tobias, der Stammvater einer Familie ausgezeichneter Orgel: 
tünftfer, die ihre Bildung teils unmittelbar, teils mittelbar Seb. Bad) verdantten. 
Iohann Tobias, der Vater, war am 7. Iuli 1690 zu Heichelheim, einem Dorfe 
am Etteröberg bei Weimar geboren und beſuchte die Schulen in Weimar, um ſich 
für die Univerfität vorzubereiten. Dod nahm er ſchon 1710 die Berufung zum 
Kantor und Organiften in dem Dorfe Buttelftädt an, und erwarb fid) von Hier aus, 
als ein ſchon im Amıt und Che ſich befindender Mann, feine Höhere muſilaliſche 
Ausbildung, indem er bis zum Jahr 1717 regelmäßig nad) Weimar wanderte, um 
zuerft bei Joh. Gottfe. Walther, dann bei Geb. Bach Klavier- und Drgelfpiel, ſowie 
Kompofition zu ftudieren.?) Zu diefem legteren Deifter gewann der energiſch ftrebende 
Schüler ein foldes Zutrauen, da er fpäter nicht weniger als drei feiner Söhne zu 
ähm auf die Thomasfchule nach Leipzig fandte. 1721 erhielt er die Orgamiftenftelle 
zu Buttftädt, wo er 1758 noch febte; doch Magte er, „daß ihn fein Geſicht zu 
verfaffen anfange,“ und jo wird er bald nad) 1760 geftorben fein. Von feinen 
Kompofitionen werden Kirhenftüde, d. h. Kantaten und Motetten, fodann kunſt 
volle Orgelchoräle genannt, „die den Meifter im Sontrapunft bemerlen laſſen.“ 
Spitta Tennt zwei der legteren: „Chriftus, der uns ſelig madt* (Fragment), 
und „Machs mit mir, Gott, nad deiner Gut“ — „von komplizierteſter 


+) Diefe Terte erſchienen gedrudt unter dem Titel: „Epifloliiges Seelen-Eonfect, welches 
denen Liebhaber Gott-geiwidmeter Kirhen-Dufit . . . aufgejeget wird. Im der erflen, andern 
und dritten Pyramide, oder Rantaten über bie Epifteln aller in dem Kirgen-Jahe 1720 vor- 
fallenden Sonntage, wie aud) einiger hohen Fee x, welche Herrn Pf. David Kräutern, Di- 
rectori mus. zur Kompofition eingefündigt Did. Lebegott Marggraff. Augspurg, 1720. 3 Te, 
201 S. 19, 

2) Bol. Walter, Mufit. Lex. 1732. ©. 345. Gerber, Neues Ley. III. ©. 109-110. 

Rümmerle, Inegtl, d. wang. Rirhenmuft. T, 53 


834 30h. Ludw. Krebs. 


Rünftlicfeit, aber voll echten mufitaifhen Gefähle.*) Diefes tafentvollen Vaters 
geniafer Sohn war: 


Krebs, Yohann Ludwig, „ein Dann, deffen Talenttraft ihm, lebte er Heute, 
einen erften Play unter den Künftiern unfrer Zeit anweiſen würde,” und der trat“ 
dem fo vergeffen it, „daß die Mehrzahl der Heutigen Mufifer laum ein Stüd don 
ihm fennen dürfte." Er war am 10. Februar 17139) zu Buttelftädt geboren 
und fam 1726 ala dreigehnjühriger Rabe auf die Thomasfäule zu Leipzig, die er 
bis 1735 beſuchte, um danm nod; bis 1737 feine Studien an der dortigen Univer 
fität fortzufegen. Während diefes ganzen langen Aufenthalts in Leipzig war er in 
der Mufit Bachs Schäfer und trat zu dem Meiter in ein befonders vertrautes 
Berfältnis. Es iſt bezeugt, daß Bad „feine muflalifgen Leiftungen bewundert 
und zugleich feine gefehrten Renntnifie fchähte; fherzend fol ex geingt Haben: „das 
iſt der einzige Krebs in meinem Bad."‘) Cr verwendete ihn im feinem Collegio 
musico als Gembaliften, derſchaffte ihm Die Stelle eines Kompofitionslehrers der 
berühmten Luiſe Adelgunde Gottſched, der Frau des Profeffors Gottſched (vom der 
8. bis zur Schwärmerei entzldt war, fo daß er ihr mod 1740 ein Heft Klavier: 
füce mit einem überfctenglichen Deditationsgediht wibmete,‘) umd ließ ſich foger 
herbei, feine Kompofitionen zu vertreiben.*) fs er 1735 die Thomasfhufe verlieh, 
ionnte Bad; ihm bejeugen, daß er „perfunbieret fen, aus Ihme ein folhes Subjectum 
gezogen zu haben, fo befonders in Musieis ſich bey uns diffinguiret, indem Ex auf 
dem lavier, Biofine und Laute, wie nicht weniger in der Kompofition ſich ali 
habiltieret, daß er ſich hören zu laſſen Teine Scheu Gaben darf x.") An Ofen 
1737 erhielt K. feine erfte Anftellung als Organift zu Zmidan, und ſchon Hier 
anerlannte ein Zeite und Kunftgenoffe, der Organift Sinte in Schneeberg, im ih 
„einen ſehr flarten Mavier- und Orgelfpieler“, und muß geftehen, „daß es etmas 
Wichtiges fei, was diefer Menfc als ein Organifte vor andern Hut.“ Auf Ofterr 


1) Bol. Gerber, a. a. ©. ©. 110. Cpitte, Bach I. ©. 517 u. 518. 

9) Bol. Spitta, Die Wiederherftellung der proteft. Kirdenmufit auf geſchicht. Grundtase. 
Deutie Rundfgau. VIIT. 1882. 9. 7. ©. 117. 

®) Bgl. Spitte, Bach I. ©. 518. II. ©. 721, nit „10. Oktober, wie bei Gerber, Altes 
2er. I. ©. 156 fieht umd wie alle Lerifa: Scilling IV. S. 221 (Gafner 1849. ©. 5084; 
Bernsdorff I. &. 655; Betis V. ©. 101; Mendel VI. ©. 145 (Band-fer. 1882. ©. 19 
Baul, Hand · Lex. I. &. 535; Riemann, 1884. ©. 484, Eitner, Verz. neuer Aug. 18 
&. 121, und noch Ritter, Zur Geſch des Drgelipiels, 1884. I, &. 165 nadgeiäirichen hater 

+) Dies vielwiederhofte Dietum bat zuerft Joh. Fr. Reihartt, Mufit. Al. Bert. 118: 
Bogen 23 gebradt. Bgl. Epitto. a. a. D. ©. 721. 

3) Bol. Epitta, 0. a. O. I. S. 732. 

9) Bol. „Mufitaliihe Anzeigen von 1741* in der Tonhalle, Orgen für Mufiffreu 
Leipz. 1869. ©. 831. 

?) Bol. dies Zeugnis Bad’ aus den ten des Rattardivs zu Zimiden, bei Erin 
a. a. O. II. S. 122 








Ioh. Ludw. Krebs. 835 


1744 fodann fam 8. als Drganift an die Schloffirde zu Zeig, wo der jüngere 
Shriftion Friedrich Schemelli neben ihm Kanter war, und am 13. Oftober 1730 
endlich übernahm er Die Stelle eines Hoforganiften zu Altenburg, in der er Bis an 
feinen in den erflen Monaten des Jahres 1780 erfolgten Tod wirkte. Bon Zeit 
und Altenburg aus machte er in jüngeren Jahren Komgertreifen: fo 1753 nach 
Dresden, wo er fih am Hofe mit größtem Erfolg als Mavierfpieler hören ließ; 
andernorts zeigte er ſich als Orgelvietwofe und dofumentierte fih als einen der 
größten Drgelmeifter, die nach Bach gelebt Haben. Gerber teilt zwar Johann 
Rafpar Vogler (vgl. den Art.) in Weimar noch über ihn, allein Spitta bemerkt 
dazu: „an Spielfertigleit mochte ihm Vogler erreihen, als Komponift ſteht er tief 
unter ihm,“ und aud) Ritter nennt feine Orgellompofitionen, die erſt Die Neuzeit 
nad und nach würdigen lernt, „phantafiereih und harmomiſch oft überrafcend,“ 
macht aber doch zugleich die Einfcränkung, daß fie „nicht jederzeit von einer irengen 
Selbffeitit in Erfindung und Arbeit zengen.”!) Deffenungendtet erhebt ſich K. in 
den weiten feiner zahlreichen Werke zu einer Freiheit in der Behandlung der Orgel, 
wie fie von feinem nach ihm mehr erreicht, von wenigen auch mr angeftreht worden 
it. In feinen Motiven zeigt ex eine ungemeine Vielfeitigfeit, und wenn die Aus- 
führung derjelben aud nicht immer geiämadvoll im modernen Sinne genannt werden 
konn, jo erſcheint fie doch ſtets interefiant. Weniger laſſen fih im allgemeinen 
feinen Fugenthemen jene Eigenfhaften zuchreiben, welde eine breitere, ftreng ent- 
widelnde Ausführung bedingen und erleichtern: fie find in fich ſelbſt und als Themen 
ſhon zu jehe fertig, melodifd) zu fehr geſchmüctt und ausgearbeitet. Ihre Hus- 
führung im den Fugen erſcheint daher vieljadh mehr als ein, wenn ſchon oft geifl- 
weiches mebeneinanderftelen des Hauptgedantens mit verihiedenen Nebenfiguren, denm 
als. eine (pefifoffene Entwiclung des Hauptgedanfens von innen Heraus. Daher 
dermögen fie den Hörer weit weniger durch dieſe Knfterifche Eigenſchoft, als durch 
einzelne, allerdings oft jehr glücliche Effelte zu fefieln. — Zu Kes Lebzeiten wurde 
von ſeinen Werlen nur weniges gedrudt; Dagegen find in der Gegenwart zwei 
Geſamtausgaben veranftaltet, und außerdem iſt mandjes in Sammlungen und Einzel: 
ausgaben veröffentlicht worden. Hier find zu verzeichnen: 

1. Geſamtausgabe der Tonfüde für Orgel von Johann 
LudwigWreds. Im 3 Abtl. Herausgegeben von C, Geiler (häter von 
A. ©. Nitter), Magdeburg, Heinrihshofen. Un. Folio. Abtl. I. Größere 
Brüludien und Fugen, Phantofien, Torraten x. Heft I—9. Abtl. II. Trios, 
Heft 1-5. Abt. IH. Kürzere Choralorjpiele, Übungsftüde, Fughetten, Che— 
rüte x. Heft 1-5. — 2. Sämtlihe Kompofitionen für Orgel von 
Iogann Fudwig Krebs, Herausgegeben von G. W. Körner. Erfurt, v. 9. 
qu. 4°; davon if erfhienen: 9. 1. Präludium in A-dur; Heft 2. Prüf. u. 
Doppelfuge F-moll; 9. 3. rät. m. Fuge C-moll; 9.4. Präl. u. Fuge 
2) Bal. Adlung, Anleit. zur mufit, Gelahrth. 1758. ©. 715; Gerber, a. a. O. 1. ©. 

Spitta, a. a. O. II. ©. 722, und Ritter, Zur Geſch. des Orgelſpiels. 1884. I. ©. 165, 
53* 

















836 €. Chr. T. Arebs. - Dr. Herm. Arthſchmar. 


C-dur; 9.5. Präl. u. Fuge G-dur; 9. 6. Präl. u. Fuge Fis-moll; 9.7. 
Toccata u. Fuge E-dur; 9. 8. Pröl. u. Fuge B-dur. — 3. 18 Fugen 
fütr Orgel, bei Körner, Orgeloirtuos. Erfurt, o. 9. Nr. 1. 20. 40. 47. 
52. 94. 97a, 106. 114. 132. 148. 174. 175. 176. 179. 186. 252. 
263. — 4. Trios für Orgel, bei Körner, Neues Drgeljournal. Bd. 1. 
Nr. 23. 26. — 5. Rongert-Fuge G-dur. Fein. Siegel. — 6. Orofe 
PHantafie und Fuge G-dur. Zum Studium und Konzerwortrag für 
Orgel Herausgeg. von X. WB. Gotticalg. Leipz., Rieter-Biedermann. 
Bon weiteren Gliedern der Familie Krebs find mun noch zu nennen: Die beiden 
jüngeren Brüder Iohann Ludwigs: Johann Tobias, geboren 1716; er bezog 
1729 die Tgomasfcule zu Leipzig und Hatte nad Seb. Bag's Urteil „eine gute 
farde Stimme und feine profectus*, abjolvierte 1740 die Schule mit Auszeich⸗ 
nung, wurde 1743 an der Univerfität Peipgig Magister philosophiae und mirkte 
fpäter als Reltor der Landesſchule zu Grimma. — Der jüngfte der Brüder: Fo: 
Hann Karl, verließ 1747 die Thomasſchule mit Ehren und wirkte fpäter ebenfalls 
als Bhilologe. — Die beiden Söhne Johann Ludwig's dagegen waren vom Bater 
zu tügtigen Kirhenmufitern gebildet worden; der ältere: 


Krebs, Ehrenfried Cprifiiom Traugott, wurde 1780 der Nachfolger des Bo- 
ters ol Hoforganift zu Altenburg; er gab heraus: Sammlung einiger der vorzüg 
fihften Kirdengefänge (6 Choräfe) mit Veränderungen. Leipz. 1787. On. Fol., und 
zeigte fih im diefem Werk „als ein wirdiger Sohn feines würdigen Vaters, dur 
feine Einfihten und Renntniffe in Die Harmonie, und durch feine wahre, der Orgel 
angenuefene Behandlung“) Sein jüngerer Bruder: 


Kreb3,. Johann Gottfried, war anfänglich neben dem Vater und Bruder Hof: 
Yantor zu Altenburg und folgte dann beiden als Hoforganift, als welcher er 1803 
farb. Er veröffentlichte Lieder und Mavierftüde und ſchrieb aud Kirchenwerke, die 
aber Manuffript geblieben find. 


Kretichmar, Iohann Andrens,?) war um die Wendezeit des 17. und 18. 
Dahrhunderts als Nachfolger Joh. Bernard Bach's Drganift an der Kaufmanns 
fire zu Erfurt, ein Schüler Pochelbels und ſeibſt wieder Lehrer Joh. Gottfried 
Balters im Mavier- und Orgelfpiel und in der Kompofition. Cine von ihm ver- 
füßte „Melopoeia, oder Komponir-Kunft, darin er zeiget, wie man Gefänge mit 
viel Stimmen maden kann, und die Regeln mit Egempeln guter Auctorum erläutert,” 
wurde, da fie nur im Manuſtript vorhanden war, damals häufig abgeſchrieben.*) 

Kremer, Dr. phil. Hermann, Univerfitäts-Deufitdirettor zu Leipzig, it 
am 19. Sanur 1848 zu Dlbernhau im fähfifden Erzgebirge geboren. Sein 

’) Bot. Gerber, a. a. O.z auf Ritter, a. 0. O. fält ein ebenſo günfiges Urteil über 
dies Wert, 

*) Bei Walther, Mufit. ger. 1732. ©. 291—292 „Johann Grefämar" genannt. 

®) Bat. Gerber, Altes Lex. 1790, I. ©. 78, 








Areuhbach Söhne. Adam Krieger. 837 


Bater, der Lehrer und Organiſt daſelbſt war, gab ifm den erſten Mufil- 
unterricht; fpäter wurde er Alumnus der Kreugihule zu Dresden, Präfelt des 
Squlerchores und Schüler Julius Otto's in der Kompofition. Seine Univerfitäts- 
Rubien machte er zu Leipzig und beſuchte zugleich das dortige Ronfervaterium, an 
dem er dann Oftern 1871 Lehrer für Drgelipiel und Harmonielehre wurde. Da 
neben betfätigte er fih in Leipzig in mannigfader Weife als Dirigent (der Euterpe- 
tonzerte, des Bachvereins, der Singafademie), Orgelfpieler, Komponift und Mufit- 
ſchriftſteller (Abhandlungen und Krititen im „Mufil. Wodenblatt”). Nachdem er 
1876 turze Zeit als Kapelmeifter an der Oper in Meg geivefen war, folgte er 
1877 dem Rufe als Univerfitätsmufildireftor nad) Noftod, wo er des treifligen 
Ferd. v. Rhoda Nachfolger wurde und 1880 aud noch die Stelle des ſtädtiſchen 
Mufifdireltors erhielt. Im diefen beiden Amtern wirkte K. in anerfannt tüdtiger 
Beife bis er 1887 als alademiſcher Meufildirefter (am Dr. Herm. Langers Stell) 
nad; Leipzig zurüdberufen wurde. — Bon feinen Werken find hier zu nennen: 
Op. 4. 3 Poſtludien für Orgel zum Gebrauch bei Trauungen und Kon- 
zerten. Peipg. Forberg. — Op. 6. 6 Grabgefänge für gem. Chor. Daf. — 
Op. 7. 3 Motetten nad; Piolmen für gem. Chor. Leipzig, Cienbung _ 
Op. 8. Tednifhe Studien für Orgelipieler. Leipzig, Forberg. 2 Hefte. — 
Op. 10. Zum Ausgang! Leiht ausführbare Nacfpiele für Orgel. Dal. — 
Op. 11. 3 Hymnen für gem. Chor. Daf. — Trauungsgefang für gem. Chor. 
Daf. — Ein Orgelftüd „Nah der Predigt” bei Palme, Der angehende Dre 
ganift, Nr. 12. 
Kreutzbach Söhne, U., Firma eines tüdtig arbeitenden Orgelbaugefhäftes 
zu Borna (bei Leipzig) in Sachſen. Gegründet auf einen Verſuch vom Jahr 1858 
wird im demfelben unter dem Namen Spielſchleiſlade ein durch Mobdifilationen aus 
der gewöhnlichen Sthleiflade Herausgebildetes Windladenfgftem zur Anwendung ger 
bracht, daS „bei großer Einfahheit den fiherften Zufluß des Windes zu den Pfeifen 
vermittelt und außerdem die beliebige Anbringung von Kombinationszügen geftattet."') 
— Bon größeren Orgelwerlen diefer Firma nennen wir: 
1. Die Orgel zu Eibenftod (Sahfen). 1868. 36 HM. Stn. — 2. Die 
Drgel zu Borna. 1868. 49 fl. Stn. 3 Man., Bed. — 3. Die Orgel zu 
Falfenftein. 1869. 38 Hl. Stn. — 4. Die Orgel im Dom zu Meißen. 1870. 
44 !. Stn. 3 Dan., Bed. — 5. Die Orgel zu Frankenberg. 1875. 46 HL. 
Stn. 3 Dan, Ped. — 6. Die Orgel zu Roßwein. 1876. 42 I. Stn. 
3 Man, Bed. — 


Krieger, Adam,*) der Komponift der Choralmelodie „Nun fih der Tag ger 
endet Hat“ (vgl. den Art), war am 7. Januar 1634) in der Feſtung Driefen 

) Bl. Wangemann, Geſch. der Orgel. 1881. ©. 512, Anm. 18, 

*) Nicht „Adam Philipp‘, wie Koh, Geſch. des RL. V. S. 575 meint, der ihn mit dem 
Beißenfelfiigen Kapellmeifter und Dperntomponiften Johann Philipp Krieger (vgl. den Art.) 


verwechſelt. 
) Gerber, A. Lex. LS. 759 giebt „1028* als fein Geburtsjahr, verbeffert Dies aber 





ZZ — 


838 Ioh. Phil. Krieger. 


in der Neumark, wo jein Vater als Hauptmann jtand, geboren und erhielt feine 
Ausbildung im Drgelfpiel und der Kompofition bei dem berühmten Samuel Scheidt 
in Halle. Als diefer 1654 ftach, wandte er ſich nach Dresden, um unter Heinrich 
Schü’ Leitung feine Studien fortzufegen und nod 1656 nennt er fich „einen der 
freien Künſte Befliſſenen.) 1657 oder 1658 aber wurde er als Nachfolger des 
Hoforganiften M em turfürftlicer Hoforganift und Mitglied der Dresdner Hof 
fapelle und erwarb ſich in dieſer Stellung nicht nur den Namen eines „weitberuffenen 
Muficus”,) fondern bethätigte ſich aud als Dichter, der jeine Gedichte nach der 
Beife feiner Zeit auf „Anfucen großer und vornehmer Feute“ ſchrieh.) Doch war 
ihm nur turze Zeit zu wirken vergönnt, denn er ftarb ſchon am 30. Juni 1666, 
erſt 32 Jahre alt. Mit feinen „Neuen Arien“ jtellt fih K. in die Neihe der 
jenigen Männer des 17. Jahrhunderts (Hein. Albert, Schop, Pape, Jacobi u. a.), 
die zuerft das weltliche Lied fir eine Cingftimme mit Inftrumentalbegleitung 
behandelt und in feinen Grundzügen feftgeftellt Haben. Sein Arienwert erſchien 
umter dem Titel: 

„Herren Adam Kriegers, Churf. Durchl. zu Sachſen x. wohlbeftalt: 
gervefenen Gammer- und Hoff-Mufii, Neue Arien, In 5 Zehen eingetheiler, 
von Einer, Iwo, Drey, und Fünf Bocal-Stimmen, benebenft ihren Riternellen, 
auf Zwey Biolinen, Ziwey Biolen, und einem Viofon, fammt dem Bafio Con- 
tinwo, Zu fingen und zu fpielen. So nad; feinem Seel. Tode erft zulanmen 
bradt, und zum Drud befördert worden. Dreßden 1667. Fol. mit dem Por: 
trait Kriegers. Eine zweite, mit einem 6. Zehen von Arien vermehrte Aus 
gabe, gleidier äußerer Einrichtung und mit dem gleichen Portrait, erfhien 
1676 zu Dresden. Über die Arie „Nun fih der Tag geendet Hat“ 
(Ausg. von 1667. 1. Zehn Nr. 8. Ausg. von 1676. 1. Zehn Nr. 9) ngl. 
den Art) 


Krieger, Iohann Philipp, der „talentvolle, Tunft- und welterfahrene Kapell- 
meifter" zu Weißenfels, war an 26. Februar 1649 zu Nürnberg geboren und 


N. ger. II. ©. 121 nad Walther in „1634“; Ritter, Geſch. des Drgelfp. 1884. L. 
Hat „1637“ und gründet darauf Zweifel, ob K. überhaupt ein Schüler Samuel Sheibt's, der 
1654 farb, gewefen fein nme; ex it jedod im Irrtum und 1634 das riftige Datum. al 
Et, Ch. B. ©. 257. 

9) Auf dem Titel eines Wertchens, das cr „auf Joh. Goutfr. Dfearüi (des Hymnofogen 
und geifligen Dichtero) Magifterium” Gerausgab. Bgt. Gerber, R. der. TIL. &. 121. 

2) Bring, Hifor. Veſcht. der edl. Sing. umd Klingtunft. Dresden, 1690. S. 146 jagt: 
„Um das Jahr 1662 und kurz hernach feind in der Churfürſtlichen Sächſiſchen Kapelle unter- 
jciedliche Gohgehhägte Dufici geweſen, unter denen Adam Krieger in dem Stylo Melismatico 
fürtreffich war.” Bat. au ©. F. Beder in der Neuen Zeitfhrift für Duft. 1840. Bo. 31. 
Nr. 39. 40. ©. 205 fi. 

3) Bol. Fürftenon, Zur Geſch. der Mufit und des Theaters zu Dresden. L S. 158-151 

+) €. $. Beder, Geder und Weiſen vergangener Jahrhunderte. 2. Aufl. 1853, Hat dire 
und drei andere Arien Krieger im Original abdruden Iaffen. Weitere findet man 3. B. bei 
Schneider, Das muſit. Sied in feiner geldi. Entw. TIT. &. 152 nnd bei Reißmann, Geſch de 
Muſit. IL S. 45. 









Ioh. Phil. Arieger. 839 


erhielt dafelbft auch feine erfte muſilaliſche Bildung unter der Leitung Johann Drech- 
fs und Gabriel Schüg. Auf eine undelannte Veranlaſſung hin kam er 1665 
mad) Kopenhagen, wo er während fünf Jahren bei dem berühmten Kammerorganiften 
Schröder Mavier- und Drgelfpiel und bei dem Kapelmeifter Förfter Kompoſition 
fudierte. Nahdem er 1670 auf Wunfd feiner Eltern nad Nürnberg zurüdgetehrt 
war, berief ihm 1672 der Markgraf von Baireuth als Rammerorganiften und Kapell- 
meifter an feinen Sof; hier erhielt er jedoch bald Urlaub und benugte denfelben zu 
einer Reife nad) Italien, wo ‘er mit den bedeutendften Muſikern dieſes Landes in 
Beziehungen trat, die feine Kunftbildung weſentlich fürderten, und in Venedig auf 
noch Unterriht in der Kompofition bei Joh. Roſenmüller (vgl den Art.) und im 
Movier- und Orgelfpiel bei dem Drganiften an San-Marco, Giov. Rovetta, nahm. 
Die Heimreife machte er über Wien, wo er vor dem Kaifer Leopold fpielte, der ihm 
nit nur reichlich belohnte, fondern aud in den Reichsadelſtand erhob. Nachdem 
8. Hierauf fürzere Zeit zu Kaſſel und Halle als Kapelmeifter und Organiſt thätig 
gewefen war, berief ihm 1685 der Herzog Dohann Adolf I. von Sadjen 
Weißenfels als Kopellmeifter in feine Dienfte, und in diefer Stellung, am der 
Spige einer nicht unberühmten Kapelle, zu der auch Seb. Bach als „Rapellmeifter 
von Haus aus“ in naher Beziehung ftand,!) wirkte er von da am gegen vierzig 
dehre lang, bis er am 6. Februar 1725 nahezu 76 Jahre alt ftarb. Kes Ruf 
als Mufiter gründete fih haupfählih auf feine Opern, die er für Weißenfels, 
Hamburg und Braunſchweig ſchrieb; Dagegen ift von feinen zahfreiden Kirchenmuſit. 
werten dichts erhalten gebfieben. Gleichwohl hat er auf die Entwidlung der evan- 
geliſchen Kirenfantate einen nicht zu unterihägenden Einfluß geist. Spitte (Bad I. 
©. 467) ſchreibt hierüber: „Neumeifters erftes Auftreten als Dichter von Kantaten- 
Terten fült genau auf daS Jahr 1700. Da er felber jeder näheren Kenntnis der 
Mufit entbehrte, fo wird die Anregung dazu von außen gefommen fein, und da es 
die Weißenfeiſer Hoffapelle war, für melde er die erften verfaßte, fo fieht man auch, 
mas die Anregung gab. Am dortigen Hofe bfühte damals unter 8.8 Leitung die 
Dper; der unmittelbarfte Einfluß derfelben auf die Geſtalt der Texte ift alſo dar- 
gethan, auch find diefelben nad Neumeifters eigener Ansage von K. mit befonderer 
Vorliebe tomponiert worden, und diefer gilt dem Dichter als der weißenfelſiſche Chenania 
(1 Chron. 16, 22), welcher unter den Birtuofen in Rirhenftiden wohl den Preis 
davon trüge." — Der Sohn Dohann Philipp Keieger's, Johaun Gotthilf 
Rrieger, war am 13. September 1687 zu Weißenfels geboren und erhielt, ob- 
wohl er zum Duriſten beftimmt war, doch auch von Jugend an fhon muſitaliſchen 
Unierricht, zunähft von feinem Bater und dem Kantor Joh. Sam. Bayer zu Weißen- 
jels, und darauf als Stud. juris zu Halle (1704—1706) von Fricdrich Wilhelm 
Zachau. Nach Abjolvierung feiner Univerfitätsftudien begleitete er zu Weißenfels 


) Bol. Walter, Mufit, Leg. 1732. S. 64. Spitta, Bad I. S. 558-559. IL. S. 36 
und 702—708. 





840 Joh. Krieger. 


das Amt eines Negierungs- und Konfiftorial-Advolaten, 1712 aber wurde er Hoj- 
organift und 1725 als Nadfolger feines Vaters Hoftapellmeifter. Bon feinen 
Kircjentompofitionen {ft nur mod eine Motette beannt, melde die königl. Bibl. zu 
Berlin im Diff. bewahrt (vgl. Mendel, Muſit. Konverſ.-Ler. VI. ©. 163). 


Krieger, Iohanm, der jüngere Bruder de vorigen, war am 1. Januar 1652 
zu Nürnberg geboren und erhielt als Schüler der Sebaldusſchule und als Diskantift 
des Kirchenchores zu St. Sebald frühe fon Geſangunterricht von dem trefflichen 
Heine. Schwemmer; daneben genoß er von 1661—1668 den Klavierunterricht des 
Organiſten Georg Kaſpar Weder und von 1671 an magte er feine Studien in der 
Kompofition unter der Leitung feines älteren Bruders, Johann Philipp, dem er zu 
diefem Ziwed nad) Baireuth; gefolgt war. Hier erhielt er 1672 die Stelle eines 
Hoforganiften, die er jedoch infolge eines Streites mit den italieniſchen Mitgliedern 
der Hoffupelle Bald wieder aufgeben mußte. Naddem er dann noch fürzere Zeit 
die Hoftapellmeifterftellen zu Greiz umd Cifenberg begleitet hatte, berief ihn 1681 
der Kat der Stadt Zittan als Mufkldireltor und Organiften der Iohannisticche da- 
felbſt, und in diefer Stadt wirkte er nun 54 Jahre fang mit ausgezeichnetem Er- 
folg, bis er am 18. Juli 1735 in einem Alter von 84 Jahren ftarb.) Dohann 
Krieger galt feinen Zeitgenoffen als einer der ausgegeichnetften Kontrapunktiften,*\ 
auch nahm er vegen Anteil am Vorgängen im muftfalifgen Leben feiner Zeit.) 
Während feiner langen Amtsführung zu Zittau ſchrieb er „eine Menge Kirgenftüde", 
von denen jedoch nichts auf unfre Zeit gefommen if; es ſcheint aud der Schwer- 
punkt feiner muſikaliſchen Tpätigteit auf dem inftrumentalen Gebiete zu liegen, wenn 
gleigFvon feinen Klavier und Drgelftüden and nur einige Hefte (6 muſitaliſche 
Partien. Nurnb. 1697. Anmutige Rlavier-Äbungen in Ricercaren, Präludien, Fa- 
gen x. Nurnb. 1699) gedrudt worden find. M. ©. Nitter Tennt von ihm: 30 
kurze Choralfugen, „die feine Kunft von einer fehr kinfachen, aber fehr ehren: 
werten Weife geigen;"t) ferner: 15 größere Fugen, „die alle möglichen Kunft: 
mittel verwerten, aber wenig Mufif enthalten ;“ endlich eine Suite in 3 Sägen: 
m Durezza, Präludium und Thema (Fuge)“, die ihm „intereffanter“ ale die übrigen 


%) Ober die rührenden Umſtände bei feinem Zode vol. die Erzählung Gerbers, Renee Ler 
I. &. 122. 128. 

2) Bol. Matiefon, Bolt. Kapellmeiſter, 1739. &. 442; noch bei Sulzer, Allg. Theorie 
der fhönen Künfte, IV. &. 697 werden feine Hicercaren, Präfudien und Fugen neben anderz 
als Mufter Tontrapunftifäen Sahes aufgeführt, 

) &o gab er 5. 8. in dem berümten Streit pwiſchen Butifledt und Mattheſon wegen der 
Sofmifation ein ausführliges Botum ab, das bei Matthefon Critica musica. 1722. IL 
©. 215—229 abgebrudt ifl. 

) Ex vergleicht dieſe Ehoralbearbeitungen mit denen von Joh. Chriſtoph Bach, die Spita 
Bad) I. S. 99-105 beſchrieben Hat, 








Kropf. Kropfventil. Kröpfen. 84 


Werte erſcheint.) Es zeigen diefe Werte 8,8, wie die aller Orgeltomponiſien zwi— 
ihen 1650 und 1700, deutlich) die Spuren einer Zeit, da der wahre und wirtüche 
Drgelfil noch nicht volfländig und endgüftig herausgebildet war. 

Kropf, Knie, Hals, Kropftanal, Büchſentanal, Windbühfe, 
Balgſchnauze, heißt ein Windfanal im Geblaſe der Orgel, der von der Unter: 
platte jedes Spanbalges, oder von einer Seitenwand jedes Kaftenbalgs nad) den 
Hauptrvindfanal geht umd fo den Berbindungstweg des Orgelwindes zwifchen Bag 
umd Hauptfamal darftelt. An feinem Ende befindet ſich das 


Kropfventil, auh Kanal-, Rontrar, Schluß-, Bühfen- oder 
Schnaugenventil genannt, das fih mit zwei (lügen nah dem Hauptfanat 
öffnet und dadurch einerfeits das Ausftrömen des Windes aus dem Balg in den 
Hauptfanal vermittelt, andrerfeits aber das Rüchſtrömen aus dem Hauptfanal in 
den Heim Aufziehen leeren Raum bietenden Balg verhindert. Näheres über Ein- 
richtung, Größenverhäftniffe u. ſ. m. dieſer Teile der Windführung der Orgel vgl. 
man im Zufammenhang in den Art. „Windlanäle“ und „Bentile*. 


Kröpfen, Kröpfungen der Orgelpfeifen. Wenn auf einem Orgeldor die 
nötige Höhe für die Aufftellung der längften Pfeifen gewiſſer Stimmen fehlt, fo 
werden folde Pfeifen „getröpft“, d. H. es wird ein Gtüd vom obern Teile des 
Pfeifentörpers abgeſchnitten und im horizontaler Richtung unter einem reiten oder 
ftumpfen Winfel, oder in Vogenform wieder angefegt. Hie und da kann es ſogar 
notwendig werden, eine Pfeife mehrmals zu kröpfen, wie dies bei den großen Pfeifen 
der Rüdpofitive öfters vorkam, und bei den Pfeifen der Drehorgeln immer der Fall 
iſt. Da jedod erfahrungsgemäß alle Kröpfungen den Ton der Pfeifen matter und 
dumpfer mochen, aud die volltommen reine Stimmung derſelben erſchweren,?) fo 
ſollte dieſes Auskunftsmittel nur im äußerſten Notfall angewandt und auch dann 
nie unter rechtemn, ſondern nur unter ſtumpfem Winlel, oder am beſten in Bogen- 
form getröpft werden.) Überhaupt können ohne weſentliche Beeinträchtigung des 
Toncharalters nur die Körper weitmenſurierter Pfeifen, wie aber die der Gamben 
und gambenartigen (ſchwer anſprechenden) Stimmen gekröpft werden; Rohrwerle da- 
gegen erleiden kaum eine Veränderung des Tones, und es fann bei ihnen die Kröp - 
fung nicht nur oben, fondern aud unten an den Schallbechern gemadt werden.t) — 


1) gl. Ritter, Zur Geſch. des Orgelfpiels. I. &. 14. 150, Cines der Ehoraluorfpiele 
und die Suite find dort, &d. IL. Pr. 80 m. 81 neu gedrudt. 

3) Bol. Miller, Die Orgel. Meifen, 1830. &. 22. Anding, Handbüclein für Orgel- 
ieler. 1872. ©. 59. Anm. 

3) Bol. Anding, a. a. O. u. Abbildgn. Taf. IL. Fig. 97. 98. Seidel, Die Orgel und 
ihr Bau. 1843. ©. 150. Anm. 2. 

+) Schon Aolung; Anfeit. zur mufil. Gelahrth. 1758. ©, 371. Anm. u. bemerkt: „Stim- 
men von föterer Intonation feiden teine Kröpfe. Sonzedt fat am Fagott 18° der Orgel zu 
Kempen (1875), der bis um tiefen C ducdgeführt if, „die Scalförper der untern Otave an 





842 Krüce, Stimmkrüce. Dr. Eduard Krüger. 
Über dag Kröpfen der Kanäle, wie ſolches durch lolale Verhältniſſe hie und 
da geboten ift, vgl. den Art. „Windlanäle“. 


Krüde, Stimmkrücke an den Zungenfiimmen der Orgel, vgl. den Art. 
„Zunge, Zungenſtimmen“. 


Krüger, Dr. Eduard, einer der gefehrteften und tieffidenfenden Mufiltheoretiter 


der Gegenart, der auch auf dem Gebiete ewangelifcer Kirhenmufit in bedeutender 
Weife Hätig war. Am 9. Dezember 1807 zu Lüneburg geboren, erlangte er die 
wiffenf aftlige und muſilaliſche Borbildung auf den Opmmafien zu Tüneburg, Ham: 
burg und Gotha, ſtudierte darauf Philologie zu Berlin und Göttingen und jegte 
daneben auch feine Meuſitſtudien in gründlichfter Weife fort. 1830 promovierte er 
mit der Differtation „De musieis Graecorum organis circa Pindari tem- 
pora“ und fam dann 1832 als Oymnoflalehrer nad Emden. Don da wurde er 
1852 als Oberfhulinfpeftor und Leiter des Lehrerfeminers nad) Aurich berufen, wo 
ex nun feine beiden Choralbücer für das Offeiefifhe G. B. von 1821 herauegeb. 
Er hatte ſich vor» und nachher vielfach und in eingehender Weife aud mit edan- 
geliſcher Kirchenmuſit befhäftigt,!) und mar zu der Überzeugung gelangt, daß „die 
Melodien unfrer evangelifen Rirhe bis zum Unfang des 17. Jahrhunderts chgtfe 
miſch gefungen wurden, d. h. daß fie eine feſte, melodifg-fföne Geftalt, fabüche 
Gliederung voltstümlichen Wohltlang und nit die pialmodierende, gleichgüftig 
recitierende Art hatten, wie fie in der Zeit der Berflandesthätigteit auflam;“ das 
alfo, wenn „Die wangeliſche Art des Gefanges und damit der Ichensvolle Kultus 
unfrer Kirche wieder gewonnen werden foll, «8 nötig fei, zum Urfprung wieberzu- 
fehren, damit die heilige Schöneit des Tons alen hund und güftig werde und die 
Biltär leidenſchaftuͤcher Entftellungen jhreinde.” Im diefem Sinne, den er in der 
Vorrede ausfprict, bearbeitete er feine Choralbüdier, die wie es ſcheint aud Anklang 
fanden.) 1859 fam K. als Bibliothetar an die Univerfität Göttingen, an der 





ihrem untern ſpiten Ende mit Bogenverkröyfungen, ähnlich ben gebogenen Blasinftrumenten 
des Drcieflers verfeßen, weil e nur auf diefe Weiſe möglich wurde, den Bafı in der Höfe von 
fieben Fuß aufzufellen.” Bot. Ieplens, Die neue Orgel der Pfarrlirche zu Kempen. 1876. 
©. 2. 

H Bol. die Abhandlungen: Die Wiederbelebung des evang. Kirchengeſangs. Allg. muf 
Big. 1846. ©, 569. 595. „Bon geifliger Mufl“ und „Rirgengefang” in feinen Beitr. für 
Xeben u. Wiffenfh. der Toniunſt. 1847, ©. 185—214 und 276-296; „Vom evang. Kirgen- 
gefang“ in der Theof. Zifär. von Diechoff n. Klicfot. 1861, S. AT1—635; „Uber den räyth- 
mifgen Choral” in den Götinger gel. Anzeigen. 1867. IV. &, 187 ff; ferner die von ihm 
verfaßten Tirdenmußlafiffien Artitel in Herzogs Reol Enchllopädie für rot. Theol. u. Kirche, 
endlich viele Recenfionen von Choralbüdiern, Drgelfagen, geifl. Chornerten u. ſ. w. in der 
Ag. muf. Zig., der Deurffen Mufitztg., der Neuen Bert. Muflsig. u. |. m. 

2) Nah Kch, Geſch des &2. VIL ©. 486 Hatten bereits 1867 mit weniger ale 16 
Yändliche Gemeinden in Offeienfand, ihre früfere Gefangsmeife aufgegeben, und fiimmten da- 
nad ifre Kirgenlieder an. 


Arummborn. 843 


er 1862 daneben noch eine Profeſſur erhielt, die er bis zu feinem am 9. Nov. 
1885 erfolgten Tode inne hatte. Bon feinen Werfen find anzuführen: 


Melodienbug zum lutheriſchen G-B. in Oftfriestand. Aurich, 1853. 
Prötorins & Leyde. 8. — Evangelifces Choralbud) für Kirhe, Schule und 
Haus. Aurich, 1855. Dänins. au. 4%. 173 Choräe. — SPrähdium in 
F-dur für Orgel, Erfurt, Körner. — Präludium in G-moll für Orgel. Dal. 
— Präludium und Fuge in E-dur für Orgel. Daj. -— Im feinem CH-8. 
veröffentlichte er aud einen von ihm fomp. Choral: Unter Filien jener 
Freuden. ghdhededa. — Exit 1875 gab er heraus: Siena. 
Monateicrift für Siturgie und Kirchenmuſit zur Hebung des gottesdienflichen 
Lebens, Gütersloh, C. Bertelsmann — anfangs in Verbindung mit Dr. ud: 
wig Schoeberlein und M. Herold, zweiten Pfarrer zu Schwabad; von Auguft 
1881 ab mit (egterem allein. 





Krummhorn, eine ältere Zungenſtimme der Orgel, aus der die neuere Drgel- 
haufunft das Fagott, die Oboe und Klarinette Heraus gebildet hat. — Aus dem 
walten Zinten, einem ſchon bei den Juden und Griechen gebräuchlichen Blas- 
infteument hatte man durch Halbfreisförmiges Aufwärtsbiegen des einfachen hölzernen 
Korpus den krummen Zinfen (Cornamuto torto, Storto, Lituus) erhalten, 
and nannte ihm, feiner Form entſprechend, Krummhorn (Krumbhorn, Kromb- 
horn).) Im welchem Verhältnis die gleichnamige Orgelftimme zu diefem Inſtru— 
mente ſtand, iſt zweifelhaft: während einige Orgelſchriftſieler wollen, jene Habe von 
Viefem nur den Namen und zwar durd ein Mißverſtandnis des frangöſiſchen Wortes 
Cormorne (vgl. den Art.) bekommen, meinen andere, es fei jo genannt worden, 
weil es aud den Tom desfelben habe nadjahmen follen.) Wie dem mun fein mag, 
feriel ift ſicher, daß „diefes an ſich ſehr undantbare, weil ſchwierig zu intonierende 
Kegifter im faft allen Orgelwerten des 17. und 18. Jahrhunderts, welche eine 
weite Klaviatur haben, vorfommt. Jeder Orgelbauer wollte es machen können, 
and wahrfgeinlih mußte er es machen, wohl oder übel, weil es verlangt wurde. 
Und jo finden wir denn diefes Krummhorn nur zu häufig in einer höchſt unvoll- 
lommenen Weife intoniert, namentlich in den beiden unteren Oktaven, bis es ſchließlich 





') Näßeres über dies Basinfirument vgl. bei Prätorius, Synt. mus. II. &. 40. 41; 
Abbildgn. von fünf Krummmbörnern verfciedenen Umfangs und verfdiedener Grüße daf. Theatr. 
instrum. Tab. XIII. Nr. 2. Des Prätorius Beföreibung wiederholt v. Dommer, Mufi. 8er. 
1865. S. 501, 

) So jagt Antony, Gefdictlihe Darftelung der Entfefung und Vervolllomminung der 
Orgel 1892 vom Krummbor der Drgel: „Es if ein Horm“ — vgl. aud Young, Mus. 
mech. org.ZI. &. 109 — „Eormorne, weldes einen fehr duntelm Ton Hat. Die deutfäen 
Drgelbauer, die diefes franöſche Wort nicjt verflanden, Gaben Arummhorn daraus gemadt 
md nennen es mod fo." Mud v. Dommer, a. a, O. meint, daß der Name eher von „Cor 
morne®; (filles Horn), als von dem des Wlasinftruments Gerzufeiten fein werde. Geidel: Die 
Drgel umd ife Bau 1848. ©. 70 hat diefelbe Ableitung des Namens und bemertt tragdem 
nd: „Diefe Stimme folf den Ton eines veralteten Blofe-Infiruments nagapmen.“ 





844 Hans Angelmann. 


gar nit mehr verlangt wurde.) Seine normale Tongröße ift 8'; dod wurde 
«8 auch zu 16 Fußten gebaut und als Krummhornbag ins Pedal geſebt, ob- 
wohl Prätorius meint, daß es in diefer Größe „etwas ftarf laute“ und „midht faft 
Vieblih" fei. Die Bauart war verſchieden; gededte Negaltörper mit Tonlöchern, 
oder Körper aus zwei mit deu weiten Enden aufeinandergeföteten Trichtern; doch 
war nad) des Pratorius Anfiht „die Invention, daßz die Corpora gleihaus weit 
oben offen und an der Länge 4 Fuß haben, die befte und gleicheſte Art der Krumbe 
Hörner.“?) Der Orgelbauer Sonred in Köln will (nad; Ieptens a. a. D. &. %6) 
aus dem alten Krummhorn den larinetton „aus der Menſur des Regiſters erzielt 
Haben, und zwar im Baß in ähnlicher Weife, wie die Meifter des 17. Jahrhunderts 
mit dem Ranlett verführen.“ 


Kugelmann, Hans, ein Kontrapunktift der Reformationsgeit, deſſen unten 
verzeichnetes Mufitwert als ältefte Quelle der Choralmelodie „Nun lob mein Seel 
den Herren“ von Wichtigkeit ift, und der zwar nicht als Erfinder diefer Melodie, 
doch dielleicht als derjenige gelten Tann, der diefelbe aus einer wahrſcheinlich welt 
lichen Grundlage Herausgebildet und zu einer der ſchönſten Kirchenmelodien aus- 
geftattet Hat.) Über feine Febensumftände ift bis jegt nur wenig Sicheres bekannt. 
Daß er aus Augsburg gebürtig gewvefen fei, wird allgemein angenommen, doch ift 
nod) fein verbürgtes Zeugnis für die Richtigleit diefer Annahme aufgefunden wor: 
den.) Im Dahr 1539 foll er vom Mate der Stadt Augsburg „boticaftsweije” 
nach Königsberg zum Herzog Albrecht von Preußen gefandt worden fein, der ihn 
bei ſich behielt und fpäter förmlich als feinen Kapellmeiſter vom Rate zu Augsburg 
erbat, damit er „ihm helfe einen ſchönen ebangeliſchen Gottesdienft anrichten durch 
die edle Mufica.*d) Neueren Forſchungen zufolge ftellt ſich jedoch die Sache etwas 
anders. Der 1511 zum Großmeifter des Deutfcordens in Preußen gewählte, 1526 
zur Reformation übergetretene, funft- und befonders mufifliebende Marfgraf Albrecht 
von Brandenburg, der in Königsberg Hof hielt, hatte in ſüddeutſchen Städten, wie 
in Augsburg, Münden und Nürnberg, Agenten, die ihm von dortigen Vorgängen 
auf mufttafifhem Gebiet Nachricht zu geben, ieue Mufilalien und Inftrumente zu 
beforgen, und Mufiter fur feine Kapelle zu beftellen Hatten.‘) Bon dorther Hatte er 








*) Bol. Zeptens, Die neue Orgel in der Kirche zu Kempen. Köln, 1876. ©. 2. 

2) Bgl. Prötorius, a. a, D. ©. 145. Die drei Arten bat er im Theatr. instrum. Tab. 
XXXVIIN. Nr. 16. 17. 18 abgebildet. 

3) Bol. den Art. „Run Lob mein Seel den Herren“, ferner den Art. „raumann“ und 
Gaift, Württ. €6.8. 1876, S. 215 u. 217. Yrrtümtih, fhreibt ihm u. Winterfeld, Evang 
8-8. I. ©. 207 auch Anteil am der Melodie „Allein Gott in der Oöh fei Ehe“ (pl. den 
Art.) zu. 

+) Bol. Joh. Voigt, in der Ziſcht. Germania, II. 1852. S. 207. Monats. für Mufit- 
geijiähte. 1876. ©. 05. Anm. 

) Bol. v. Winterfeld, a. a. D. und nad; ihm Koch, Geld. des K.8. I. 1866. ©. 482. 

*) Bgt. die in den Monatseften für Mufitgelf. 1870. S. 25—29 veröffentlichten fünf 





Paul Augelmann. Fr. Rühmfedt. 845 


am 1530 einen Adrian Rau, genannt Stöderle, als Kapellmeifter erhalten, und 
ebenfo den Hans Kugelmann, der anfänglich als „Tubicinae Symphoniarus*, als 
Trompeter, in feiner Kapelle bedienftet wurde. Allein ihm genügte dieſe unter 
geordnete Stellung auf die Dauer nit: durch Berfeumdungen wußte er 1586 
Arion Rauch aus der Kapelmeifterftelle zu verdrängen, um ſelbſt in dieſelbe vor- 
nurũden. i) Doc follte er das auf fo.feummen Wegen erlangte Amt, das er als 
ehter Streber auch dazu benugt Hat, zweien feiner Brüder Anftellung in der Kar 
pelle zu verfhaffen, nicht fange inne haben, denn „nad; dem Ratsbude” (nad) 
welhem?) farb er ſchon 1542.) Sein Werk Hat in der Tenorftimme den folgen- 
den Titel: 

Concentus novi trium vocum Eeclesiarum usui in Prussia pre- 
eipue accommodati. Joanne Kugelmanno, Tubicinae Symphoniarum 
authore. Rews Cejang, mit dreyen fiimmen, den Kirchen und Schulen zu 
mug, newlich in Preüffen durch Joannem Kugelman Gefegt. Item Etliche 
Stud, mit At, Sehe, Fünf und Bier Stimmen Hinzu gethan. Getrudt zu 
Augipurg, Durd; Melder Kriehftein (1540). 4 Stimmbde. in H. qu. 4.) 
Es enthalt 39 Tonfäge: 2 von Hanns Heugel, 30 von Hans Kugelmann, 
von Georgius Plandenmüller, alentin Schuellinger, Thomas Stolger und 
einem Ungenannten. Unter dieſen Tonfägen find die Nrn. 17. 28. 31 und 
39 über „Nun lob mein Seel den Herren.“ 9) 


Kugelmann, Paul, der jüngere Bruder des vorigen, dem er fon in ziemlich 
jugendlichem Alter als „feiner fürftligen Durchlaucht zu Preuhen Trommeter“, wie 
@ ſich ſelbſt nenut, nad) Königsberg gefolgt zu fein ſcheint. Er gab mit einer vom 
4. Juni 1558 datierten Widmung an feinen Dienftheren, den Martgrafen Albrecht 
von Brandenburg und Herzog in Preußen, heraus: 

Etliche deutfge Liedlein geiftlid und weltlig, mit 3, 4, 5 
und 6 Stimmen. Augsburg, 1560. Unter 191 Nummern, die er mitteilt, 
finden ſig 24 vorher nicht befannte; 16 Tonfäge find von ihm, je einer vom 
älteren Bruder Hans und von einem weiteren Bruder, Meld. Kugelmann. 


Kühmftedt, Friedrich, ein fleißiger und tafentvoller Orgeltomponift, war am 
20. Dezember 1809 zu Dfdisleben im Weimariſchen geboren, und erfielt den erften 


Briefe des Atifen der banriſchen Kapelle zu Münden, Lutas Wagenrieder, von 1636—1538. 
aug. mufit. Ztg. 1863. ©. 564—569. 

2) Dies ergiebt fih aus einem Briefe Arion Rauche, der nad dem Berfuft feiner Stelle 
nad) Münden „in das ellendt gezogen“ war, mo feine Mutter umd ein Better ebte; der Brief, 
datiert „Münden den 23. Jufi 1536°, it abgedrudt in den Monatsh. für Mufilgeic- a. a. D. 
©. 68. 

2) Bot. Monatet, fir Mufilgeif. ©. a. O. S. 85. Anm. 

9) Eine genaue Befhreibung vgl. bei Gitner, Bibliogr. der Muſttſammelwerte. 1877. ©. 
61-82, 9. Scmit, Ottaviano dei Potrucei da Fossombrone. 1845. &. 165. 

+) Einige diefer Tonfüge find mitgeeift bei d. Winterfelb, Evang. 8.@. I. Notenbeiip. 
Mr. 29. 23. 24. ©. 38. 39, u. bei Reifmann, Geſch der Muf, IL, &. 14. 








846 Friedr. Rühmfedt. 


Muſikunterricht dom Kantor Zöllner dajelbit. Schon als zehnjähriger Kmabe Hatte 
er den Entſchluß gefaßt, ſich der Muſit zu widmen, aber feine Eltern hatten ihn 
zum Studium der Theologie beftimmt. So fam er 1822 auf das Gymnafium zu 
Fronfenhaufen, wo er von dem trefffihen Kantor Beutler weiteren Mufikunterriit 
erhielt; und als er 1826 auf das Gymnaſium zu Weimar überging, wurde feine 
Neigung zur Muſit immer größer. Da jedoch feine Eltern unbeugfam blieben, ver- 
ließ er 1829 Weimar ohne deren Cimvilligung und ging zu Chr. Heine. Rind 
nad; Darmftadt, deſſen Unterricht er dann während drei Jahren unausgefegt genoß 
Nach vollendeten Studien beſchäftigte er fih mit Kompofition und wollte als Bir. 
tuoſe reifen; allein eine Lähmung an der Hand Hinderte ihn daran, und dies Un- 
glüd, ſowie der umermwartet eingetretene Tod feiner Braut drüdten ihn nieder. 
Geiftig gebrogen lebte er einige Zeit als Mufiflehrer zu Weimar, bis er, mit dem 
Titel eines Profefjors geehrt, als Mufildireftor an das Lehrerfeminar zu Eiſenach 
berufen wurde, am dem er mit anerfannter Tlhtigfeit bis am feinen ſchon am 10. 
Januar 1858 erfolgten Tod wirkte, — K. war ein vorzügliger Lehrer feiner Kunſt, 
ein trefflicher Kontrapunttift und ein fruchtbarer, aller Ahtung werter Komponit, 
der zwar in feinen kleineren Orgelwerken die ſtilwidrige Sentimentalität der Rind 
fen Schule nicht immer zu überwinden vermodte, der aber in feinen größeren doc 
aud; wieder tiefere Saiten anzufhlagen wußte, und in feinem Gradus ad Parnas- 
sum jedenfalls ein Schulwert von bleibendem Werte Hinterlaffen hat. Bon feinen 
gedrudten Werken find Hier zu nennen: 


1. Gradus ad Parnassum. oder Vorſchule zu Seh. Bach's Klavier 
und Orgeltompofitionen in Bräludien und Fugen durd alle Dur und Moll 
tonarten, für Orgel und Bf. Op. 4. 8 Hfte. 4°. Mainz, Schott. — 2. 2 
leichte und melodiöfe Vorfpiele zum Gebraud) beim Gottesd. Op. 5. 2 Hft. 
Erfurt, Körner. — 3. Die Kunft des Vorfpiels, oder die Kunft der Ent 
wiclung eines mufitalifhen Motivs zu einem mufitaliisen Sagganzen, für 
Drgel u. Bf. Op. 6. I. I. Daf. — 4. Kongeriftüd über den Prieftermari 
aus der Zauberflöte. Op. 8. Mainz, Schott. — 5. Leichte und melodiöfe 
Brätudien. Op. 12. Daf. — 6. Acht Orgeltüce verſch. Art. Op. 17. & 
fürt, Körner. — 7. 4 Fugen als Nadfpiele. Op. 18. Dal. — 8. Fugen 
und Borfpiele für die Orgel. Op. 19. 2 Hfte. Mainz, Schott. — 9. Große 
Doppel-fuge als Kongertftüd. Op. 28. Erfurt, Körner. — 10. Phantasia 
eroica. Op. 29. Daj. — 11. Augenblice tieferen Gemütslebens. Seine 
feite Stüde. Heft 1 C-dur. Op. 31. Heft 2. 3. Op. 37. Daf. — 2. 
Polyhymnia. Brarkeitungen der —* — zum Studium und zum 
ieh. Gebr. Heft 1. 2. Op. 32. Heft 3. 4. Op. 34. Daj. — 13. Das 
Heine wohltemperierte Knvier. 100 leißte und melodiöfe Stüide. Op. 33. 
4 Sf. qu. 8. Daf. — 14. Zuge Über „Wer nur den fiben Gott iz 
walten.“ Daſ. — 15. 3 Fugen in A-moll, G-moll, D-dur. Daf. — 18. 
Sonate Nr. 1. C-dur für Orgel. Op. 38. Mainz, Cfott. — 17. Comet 
Nr. 2 A-moll für Drgel, Op. 40. Erfurt, Körner. — 18. Sonate Mr. 5. 
C-moll für Orgel. Op. 41. Daj. — 19. 48 hurze und leichte Orgelftüce 














Eberh. Auhn. — Ioh. Nik. Kuhn. 847 


Op. 43. Daſ. — 20. 54 Präludien als Anhang zum Fiſcherſchen Chorat- 
Buß. Op. 45. Da. — 21. Bhantafie (Ronzertftüd). Op. 47. Dof. — 22. 
Responsorium und 2 Chöre für Sopran, Alt, Ten. und Baß mit Drgel. 
Op. 46. Dal. — 23. Große Sonate G-dur für Orgel. Op. 49. Dal. — 
24. Die Bertlirung des Herrn. Großes Oratorium von Sr. dudwig. Op. 30. 
Cl.⸗A. Erfurt, Körner. 


Kuh, Eberhard, Organiſt zu Mannheim, iſt am 6. September 1813 zu 
Eſcheldach in Baden geboren. 1831—1833 befuhte er das von Stern geleitete 
Lehrerſeminar zu Karisruhe und genoß namentlih in der Muſit den Unterricht 
Anton Geröbal's. Bon 1833 am wirkte ex an verſciedenen Orten feines Heimat- 
landes Baden als Lehrer, als welter er 1838 nad Mannheim berufen wurde. 
Hier blieb er, machte bei Bincenz dachner noch weitere Studien im der Mufit und 
wurde in der Folge Gefanglehrer an mehreren höheren Schulen, Dirigent von 
Gefangvereinen, forwie Organift an der Trinitatisfirche. St. hat ſich befonders als 
Dufilpädagoge einen Namen gemacht, und es find von feinen Werten aufer den vor- 
treffficen „Dreiftimmigen Iugendliedern" hier anzuführen: 

1. 25 Choräle des Bad. edang-protet. Choralbuhs zum Gebraud in 

Schulen dreiftimmig heard. Mannheim, Hedel. — 2, Die Choräle des Bad, 

&H-8.8 zum Gebr. für Bolts-, Bürgerichulen und Lyceen dreiftinmig bear. 

Op. 71. Daf. — 3. 12 Orgelflücte zum Gebr. alS Bor- und Naspiele. 

Op. 63. Erfurt, Körner. — 4. 12 leichte melod. Orgelfiide zum gattesd. 

Sehr. Op. 65. Dffenbad, Andre. — 5. 23 kurze und leichte Orgefftüde, 

Op. 77. Zauberbifgofsgem, Lang. — 6. Deutiche Deffe in leiten Stil 

aum Gebraud, beim Gotte®d. Op. 31. Erfurt, Körner. — 7. Bierftimmige 

Männerdöre für Deutfclands Seminarien und Hähere Fehranftalten gelammelt 

und ausgerößft. Part. er. 8%. 9 Hefte. Crfurt, Körner (mthält Motetten 

und geiftlihe Gefänge von verfchiedenen lebenden Komponiften, auch eine größere 

Anzahl von R. felbft, und darunter mandes Wertvolle). 


Kuhn, Gottlob, war am 14. Iuli 1729 zu Hermsdorf bei Sämiedeberg in 
Sclefien geboren umd erhielt dafelbft aud) vorbereitenden Unterricht in der Mufil, 
befonders im Drgelfpiel. 1742 Tam er auf das Lyceum zu Hirſchberg und wurde 
Hier zugleich Schüler des Organiften Balthafar Reimann (pl. den Art), und zwar 
mit ſolhem Erfolg, daß er bereits von 1745 am deffen Organiftenamt mit ver« 
malten tonnte. Auf einer Kongertreife, die er 1749 malte, erwarb er ſich den 
Ruf eines bedeutenden Orgelvirtuofen, und von 1750 bis am feinen Tod im Jahr 
1800 wirkte er dann als Organift an der Kreugtirche zu Hirſchberg und galt als 
einer der erften in der anfehnlichen Reihe trefflicher ſchleſiſhet Organiften. 


Kuhn, Johann Nikolaus, ein bedeutender ſchweizeriſcher Orgelbauer der Gegen- 
wart, der ſich Hauptfähfic in den Walder'fchen Wertflätten zu Ludwigsburg fir 
feine Kunſt gebildet hat: 1864 etablierte er gemeinſchaftlich mit Friedr. Spaich ein 
Orgelbaugeſchaft umter der Firma „Kuhn & Cpaih“ zu Männedorf am Züricfer. 


848 oh. Ruhnan. 


Später trat Spaich aus und gründete uuter der Firma „Spoih & Sohn“ ein 
eigenes Geſchaft in Rappersioyl, während Kuhn das feinige feitden unter feinem 
Namen und unterftügt von feinem Sohne in Männedorf fortführt. Aus dem ge 
meinfamen Gefcäft find feit 1864 unter 19 neuen Werfen hervorgegangen : 
Die Orgel der Kirche zu Wädensweil, 41 M. Sin. 3 Dan. Ped.; die 
Drgel der Dartinsfirhe zu Chur, 36 fl. Stn.; die Orgel der Beterstirde 
zu Zürich, 50 M. Stn, 3 Dan. Ped.; — 
und unter Kuhn allein wurden ſeitdem nodh”c. 40 weitere gebaut, darunter: 
die Konzertorgel der Tonhalle zu Zurich 31 HM. Stn.; die Orgel der Lathe 
drale zu St. Gallen, 1875. 55 M. Stn. 3 Dan. Ped.; die Orgel des Groß 
münfters zu Züri. 1876. 52 M. Stn.; die Orgel der dohennicürche zu 
Scaffhaufen. 1879. 54 il. Stn.; die Orgel der Kinhe zu Olten, 38 U. 
Stn.; die Orgel der Fraumtinfterfirhe zu Züri. 1882. 42 fl. Stu. n. a. 








Kuhnau, Johann, der berühmte unmittelbare Amtsvorgänger Seh. Bach's im 
Kantorat der Thomasſchule zu Leipzig, war im April 16609) zu Geifing (, Gey- 
fingen"), einem fähigen Bergſtädichen im Erzgebirge, wohin feine Großeltern des 
Glaubens wegen mit Hinterlaffung alles des Ihrigen geflohen waren, und wo jein 
Vater als Tifhler Iebte, geboren. Frühe ſchon zeigte er fid im Befig vorzüglicer 
Geiftesgaben, forvie einer guten angenehmen Singfiimme. Daher fam er 1676 als 
Schuler der Kreuzſchule und Katsdisfantift nach Dresden, wo zunähft der Organif 
Wegander Hering fein Lehrer in der Muſit wurde. Später fand er Gelegenheit, 
auch den Untereicht des kurfürſtl. Hoflapeßmeifters Vincenzo Mbriei zu benügen umd 
ſich in deſſen Haufe außerdem die Kenntnis der ilalieniſchen Sprache zu erwerben. 
Als 1680 in Dresden die Peſt ausbrach, ging er für kurze Zeit nad Haufe, dann 
aber auf das Gymnaſium zu Zittau, wo er unter der Leitung des Kantor Titins 
und des Dufildirehtors umd Hoforganiften Edelmann aud die mufifalifgen Studien 
mit foldem Erfolg fortjegte, daß man ihm nad) dem Tode feiner Lehrer das Kan 
torat inlerimiſtiſch übertragen fonnte, bis der von Eifenberg berufene Johaun Krieger 
(ogl. den Art.) dasjelbe antrat. 1682 bezog K. die Univerfität Leipzig, widmete 
ſich auf derſeiben beſonders dem Studium der Jurieprudenz und erwarb fid) da 
neben au) ausgezeichnete Kenntniſſe in Sprachen und Dathematit. Aber aud die 


4) Dies Datum if nach Alfred Dörfe's Nachweiſungen, Mußttal. Wogenblatt. 1870. 
©. 494-495, als das ritige zu betrachten, wie «8 denn and, die älteren Cäriftfeller Bal- 
der, Mufit. Ler. 1132. &. 349, Matthefon, Chrenpf. 1740, ©. 157, Adlung, Ant. zur mufl 
Gefahrth. 1758. ©. 195 alle geben; erft Gerber, Altes Ley. 1790. I. S. 761 at (vielkeidt 
aus Berfehen, oder nur durch einen Drudfehler) „1667*, und ihm find alle Meueren, jelbt 
Spitta, Bad I. S. 233, gefolgt. Danadı wäre aber Kuhnau z.B. 1Bjährig über die „zu 
mehmenden Jahre, too ſich feine Stimme verloge” ſcon ziemlich lange Ginaus gewelen, 15 Jakre 
alt bereits auf Die Univerfität Leipgig gegangen, 17 Jahre alt dafelbft Organift an der Thomat- 
tirdje geworden. Den Geburtstag faffen die Ouellen offen; and) die Gelöfbiograpgie fagt nur: 
„natus an. 1060 d. . . Aprilis, Geisingae Oppidi Distrietus Misnici metalliferi.“ 


Ioh. Ruhnan. 89 


Muñit vernadjläffigte er nicht, und ſchon 1684 wurde er nad) des Organiften Kühnel 
Tode defien Nachfolger ald Organift der Thomaslirhe, während er daneben als 
Advofat die ihm anvertrauen Progeffe „mit vielem Fleiße, Treue und Gfüd" führte, 
As jodann der Thomastantor Schelle (vgl. den Art.), fein Landsmann, am 10. 
März 1701 geftorben war, wurde 8. im April desfelben Jahres zunächſt fein Nad: 
jolger als Mufildirettor an der Bauliner-(Univerfitäts-)Kiche, und am 6. Mai 
1701 als Kantor an der Thomasfhule, welches Amt er am 20. Mai antrat.) 
Et vertwaltete dasjelbe in rühmficfter Weife und erwarb ſich bei feinen Zeitgenoffen 
einen allgemein und hoch geadhteten Namen, gleicherweiſe als Mufiter, wie ald Ges 
fehrter.?) Auch die Unannehnlichteiten, die ihm al Kirhenmufiter die „Operiften*, 
„Das wilde Opern Wefen“ (mie er ſelbſt fagt) im Reipig bereiteten?) vermochten 
feine Schaffenöfreudigfeit nit zu lähmen, und ein Zeitgenojje ann von ihm rüh— 
men: „Was er an Muficafiihen Kirhen-Stüden componieret Habe, mag wohl 
ſchwerlich zu zehlen ſeyn, gefaft er bey feinen Häufige Muficalifgen Aufführungen 
ſich fremder Compofition niemahls oder doch gar felten bedienet, da Hingegen mit 
feiner Arbeit er andern vielfältig aushelffen müffen.“ Gegen das Ende feines Le— 
bens „Hatte er eine ziemliche Zeit Abgang der Kräffte verſpühret, und war mit dem 
Huften geplaget geweſen, bis ein Fieber dazu geſchlagen, fo ihn den 5. Juni 1722 
weggerafft, naddem er 2 Monath über 62 Jahr gelebet.") N. it houptſächlich 
ols Mavierfomponift berühmt geworden, weil er’zuerft es war, der die Form der 
mehrfägigen itafienifhen Nammerfonate auf das Klavier übertrug. Daher wird er 
auch gewöhnlich als der „Erfinder der modernen Savierfonate” bezeichnet.) Für 
uns fommt er jedoh nur als Komponiſt von Kirchenkantaten in Betracht, deren 
mod 17 aus verihiedenen Perioden feines Lebens, mebft einer fir die Karwoche 
1721 tomponierten Markuspajfion, vorhanden find.) Dieſe Werke zeigen ihn 


?) Die Angabe Wolther's Matıhefons, Adlungs, Gerbers, a. a. O. I. ©, 746 (ogl. auch 
Neues Ler. IV. ©. 46 sub vor. „Etele*) und aller ihnen folgenden fpäteren Biographen, 
daß Kuhnan das Kantorat im I. 1700 angetreten Habe, it unridtig; Ugl. die Radpeifungen 
Dörffel's a. a. D. 

2) Säibe, Crit. Musicus. 1746. ©. 704 ertlärt ihn, Keiſer, Telemann und Händel für 
die größten deutſchen Dufiter dee 18. Jahrhunderts, 

®) Bgl, feine Klagen in 5 Memoriafen, die er in Bezug auf die RirKenmufil in Leipzig ver- 
faßte und dem Nat einzeifite, abgedrudt bei Spitta, Bad II. ©. 898-858. Dafelift S. 
26-32 aud) die Ausführnngen Spittes Über die bezüglicen Verhüftniffe in Leipzig. 

+) So berißtet Sicul, Annalium Lipsiensium ete. 1723. &. 67, dem Waltter, a. a.D. 
folgt; dagegen giebt Gerber, Altes der. 1. ©. 764 den „26. Juni 1722" ale Todestag, und 
ißm find alle Neneren: eis V. &. 13%, Säilling IV. ©. 256, Mendel VL. &. 187, Grove 
U. ©. 76 u. 0. gefolgt. Daf aber dies Datum jatic if, hat Dörffel, a. a. D. aus ver- 
{giedenen Duellen nadigewiefen. 

®) Gine feiner Sonaten in B-dur aus dem I. 1695 Sat zuerft C. F. Beder, Die Haus 
mufil in Deutfäland. 1840. ©. 108-111 wieder abdruden Laffen, 

°) Davon 10 auf der Fönigt. Vibl. zu Berlin, 7 auf der Siadibibliothel zu Leipzig und 
die Paffion, aber nur noch als Stige, auf der tänigl, BibL. zu Königsberg, 

Rümmerle, Ent. d. wong. Sirgenmufl. T. 














850 3. Chr. Aühnan. 3. F. W. Kühnen. 


als einen Kirhenkomponiften, der eine Dittelftellung zwiſchen der älteren und neueren 
Kirchenlantate einnimmt, indem er zwar beftrebt war, fih der neueren Form mög: 
HÜÄt anzubequemen, während er’geiftig feinem ganzen Wefen nad; noch in der älteren 
murzelte. „liegend und gewandt geſchrieben iſt alles, dabei freundlich im Ans 
deud, anmutigen, jelbft rührenden Zügen begegnet man oft: aber Tiefe der Em: 
pfindung und Größe der Geftaltung fehlt gänzlich. N. blieb deshalb im reife der 
älteren Kirhen-Santate ftehen, weil er nichts zu fagen Hatte, was er nicht vollftändig 
in den Formen derfelben zum Ausdrud bringen Tonnte."") 


Kühnan, Johann Chriftoph, der verdienftvolle Herausgeber des befannten, 
geihichtlich wertvollen Choralbuchs, das feinen Namen trägt, war am 10, Februar 
1735 zu Vollſtadt bei Eisleben als der Sohn eines Kunflpfeifers geboren und 
erlernte bei dem Stadtmufilus zu Magdeburg die Tednit der gebräuchlichſten In- 
firumente. Während feiner Lehrlingszeit zu Dagdeburg bildete er ſich zugleich zum 
Lehrer aus und wurde dann 1763 als folder an der Realſchule zu Berlin ange 

- ftellt. Um ſich weiter in der Muſit auszubilden, begann er 1765 das Klavierſpiel 
und machte fpäter ad noch grundliche Studien im Generalbaß und der Segkunit 
unter Kirnbergers Peitung. An jeiner Schule gründete er einen Singchor, der bald 
zu Ruf gelangte, jo dag ihm jelbft Friedrich d. Gr. Kefondere Aufmertamfeit und 
Anertennung zu teil werden ließ. 1775 ſchrieb K. zur Einweihung der Orgel der 
Dreifaltigteitstirche eine Kantate und führte fie mit folhem Erfolg auf, daß ihm 
die Organiftenftelle an der neuen Orgel übertragen wurde, Cr wendete ſich mun 
immer mehr zur Muſik, und nadden er 1783 auch noch zum Kantor und Mufit: 
direftor an feiner Kirche ernannt worden war, legte er jein Schulamt nieder und 
widmete ſich fortan ausſchließlich mufitalifcer Thätigleit. Er ſtarb zu Berlin am 
13. Oftober 1805. — Sein Sohn und Schuler und der ſpätere Herausgeber der 
Choralbuchs war: 


Kühnan, Iohann Friedrih Wilhelm, geboren an 29. Iuni 1780 zu Berlin 
Als Nachfolger feines Vaters wirkte er von 1814 am als Organift an der Drei- 
faltigfeitsfiche und genoß nicht nur den Ruf eines tüchtigen Orgelfpielers, der in 
Konzerten mit Werten Seh. Bach's auftreten lonnte, jondern aud den eines gründ- 
lien Kenners der Orgel und des Orgelbaus. ALS folder verteidigte er in meh⸗ 
teren Auffägen der Berliner und Leipziger allgemeinen mufitafifhen Zeitung in 
durchaus fachverftändiger Weife die Notwendigkeit der Mirturen in der Orgel gegen 
bie Nachbeter des Abt Vogler. Das Choralwerk feines Vaters beforgte er im vier 
fpöteren Auflagen und vervollfommnete «8 namentlich in jenem geſchichtlichen Teil 


H Bol. Spitta, a. a. O. II. ©. 185, Der trefihe Badbiograph Bat in feinem Werte 
mehrfach Veranlaffung zu zeigen, daß Seh. Bad) da und dort den Spuren feines Borgängert 
Auhnau, „von dem fid in der That and; etwas Iernen lie,“ gefolgt ift. 





3. $.W. Kühnen. Bl 


Am 1. Januar 1848 farb er zu Berlin. — Das Kühnau'ſche Choralbud 
erſchien im folgenden Ausgaben : 

Bierftimmige alte und neue Choralgefänge, mit Vrovinzial Abweichungen, 
von Dohann Chritoph Kühnan, Kantor und Mufitdireftor, wie aud Lehrer 
bey der Königl. Realſchule zu Berlin. Berlin, im Berlag des Autors. 1786. 
Du. 4°. 6 Seiten Pränumerandenverz., 10 S. Borrede, 208 S. mit 172 
alphab. geordneten Chorälen, vierft. mit bez. Baß, nebit Angabe der Stom- 
poniften und zahfreien provimziellen Abveihungen. &. 209—213 Melodien» 
tegifter; ©. 215—230 vier Nacträge: L. Über Luthers. Sirhenmelodien; 
2. von den Tonarten der Alten; 3. über das Negiftrieren der Orgel; 4, nad 
trägfiche biogr. Notizen. — Bierftimmige alte und neue Choralgefänge, Heraus- 
gegeben von Joh. Chr. Kühnen, Kantor und Mufildireltor der Dreifaltigfeits- 
Kirche zu Berlin. Zwehler Theil. Dit Lnigl. preußiſchem allergnädigftem 
Privilegio. Berlin, im Verlag des Autors 1790. Du. 4°. 2 ©. Privileg, 
4 ©. Pränumerandenverz.; 262 &. mit 237 Chorälen vierft. mit bez. Vak; 
2 ©. Verbefferungen; ©. 265—272 Melodienregifter; S. 273—274 Un 
Hang zweier Kinderlieder. — Beide Teile enthalten zufammen 409 Choräle, 
darunter eine Anzahl neuer; bei der Darmonifierung ift auch Kirnberger thätig 
gewefen.') Die weiteren, zum Teil jehr umgeänderten Ausgaben, ſämtlich vom 
jüngeren Kühnau beforgt, find: Alte und neue Choralgefänge, vierjtimmig aus- 
gefegt von Johann Chriftoph Kühnau. Zmeite Auflage, herausgegeben von 
Ioh. Friedr. Kühne, im Verlage des Herausgebers. 1817. Qu. 4° (Uflg. 
muf. tg. 1818. XX. ©. 219 ff.). 3. Aufl. Berlin, 1818. 4. Aufl, Berlin, 
1823. — Alte und neue Choralgefänge ıc. Fünfte verbeferte Aufl. Heraus 
gegeben von Ioh. Friedr. Wild. Kühneu. Berlin, bei €. ©. Lilhte. 1825. 
4°. 219 ©. mit 336 Chorälen (Eutonia, 1830. IV. S. 206-210). Alte 
und neue Chorolgefänge x. Schfte Aufl. mit Joh. Chr. Kühnau's Portrait. 
Berlin, bei E. ©. Lijchte (Parz). 1837 (Hofmeifter, Handb. der muf. Lit, 
II. 1845. ©. 35). — Alte und neue Choralgefänge, vierftimmig ausgejegt. 
Siebente Auflage im Biolinjhlüffel. Berlin, Parz. 1854 (Hofmeifter, a. a. D. 
V. 1860. ©. 321). — Bon weiteren Werfen find noch zu nennen: vom 
älteren Kühnau: Choralvorfpiele für die Orgel und das Alavier. Gefammelt 
und herausgegeben von Ioh. Chr. Kühnau. Berlin, o. 3. (1791). 64 ©. 4; 
vom jüngeren: Choralmelodien zu fümtliden Liedern des Berliner Gefang: 
buche für evangelife Gemeinden. 8. Berlin, Tome. — Die folgenden, von 
ihm fomponierten neuen Choralmelodien, von denen einige nad im 
Gebrauch find, Hat Joh. Chriſtoph Kühnau feinem Ch. B. beigegeben: Ch.-8. 
L Rr.8. S©.9: „Auferftehn, ja auferftehn wirft du”. — Ch.B. II. 





1) Ober Kirnbergers Verhältnis zu dem, Buche bemerlt Gerber, Neues Ler. II. ©. 141: 
„Die harmoniſche Begleitung in dieſem Cgoralbudie färeiöt fih noch von Kirnberger Ger, oder 
it wenigftens unter defien Aufſich verfertiget worden,” und 4. 8. Marr bei Shilling, der. 
IV. ©5251. fagt Kieriber: „der erfle Teil besfelben if unter Kirnbergers Nufficht gearbeitet.” 
— Neue Melodien finden fi von der Pringeffin Amalie, €. Ph. Gm. Bad, Ouem, 
Kühmen, Gattermann, Harfom, Doles, Hiller, Leoit, Mer, Kolbe, Bolye (nicht „Boleh*, wie 
Gerber a. a. D. als Drudfehler Gat, und nod Dendel, ger. VL ©. 118 nadfäreibt) und 
Körfker. — 

da · 





Ier. nik. Kühne. A. Anne. 





N. 12. S. 12: „An dir allein Hab ich gejüindigt”. 1786. Jatob und 
Richter, Ch.B. II. Nr. 1297. ©. YIT, Ext, Ch. B. 1863. Nr. 20. ©. 14 
— &.2. 11. Nr. 20. &.20: Bejig ih nur ein ruhiges Gemifien”. 
Ch. B. 11. Nr. 39. ©. 39: „Dir danf ih heute für mein 
. 1787. Schicht, Allg. Ch-®. 1819. III. Nr. 878. ©. 389 ohnt 
den Komp. zu nennen.t) Jakob und Richter, CH.-®. II. Nr. 623, ©. Bal 
®. I. Mr. 82. ©. 8b: „Der, lepre mid, wenn ig der Tugen) 
gie dem Beifag: „Joh. Chr. Kühnau verbeffert." — Ch.B. I. 
N. 9. ©. 9%: „Sauczt, ihr Erlöften dem Herrn“. Bon Schich 
Ch.B. L Rr. 318. ©. 143 etwas geändert und dann mit Chiffer „S“ als 
fein Eigentum begeihnet.2) — C6-B. II. Nr. 130, &. 144: „Meine Liebe 
hängt om Kreuz“. 1786. Chiht, Ch. IL. Nr. 819. ©. — 
&.B. U. Mr. 194, ©. 219: „Wie lieblid winft fie mir". 1187. 
Schicht, CB. I. Nr. 606. ©. a. — &.®. II. Nr. 221. ©. 246: 
„Ich bin vergnügt, wies Gott mit mir“. Mit der Bezeihnung: „Der 
beffert von I, E. Stühnan“. — Ch-B. L Nr. 149. ©. 178: „Unfre Aus 
faat jegne Gott". Schicht, Ch.B. II. Nr. 686. ©. BL. 


Kühne, Ieremios Nitolaus, Drganift und Komponift für fein Inſtrument, 
geboren am 1. Mai 1807 zu Erfurt, wo er von feinem Vater and den erften 
Dufifunterricht erhielt. Während er das Gymnaſium befuchte, genoß er den Unter 
richt Gebhardis im Klavierfpiel und im Generalbaß, und während er von 1823— 
1825 den Kurſus am Pehrerfeminar durchmachte, war er zugleih Schüler des treif- 
lichen Drganiften M. ©. Fiſcher. 1826 wurde er als Organift an der Andres 
fire und 1827 zugleich als Lehrer an der Predigerſchule feiner Baterftadt angeftellt; 
dot) fiedelte er fhon 1828 als Kantor und Organift nach Gebefen bei Erfurt über. 
Von hier wurde er dann als Mufildiveltor und Organift nad Korbad im Fürften- 
tun Walde berufen, wo er fortan in anerfannt tühtiger Weife wirft. — Bon 
feinen Werfen nennen wir: 

1. Sobgefang. Kantate mit obligater Orgelbegl. Op. 31. Erfurt, Körner. 

— 2 Nadfpiel für die Orgel. Daf. — 3, Der Organift. Eine Ctufenfolge 

ſyſtematiſch geordnete Orgelftüde, nebſt vorhergehender Anleitung zum richtigen 

Gebrauch des Pedald. Zugleich Präludienbud zum Choralbud der Fürften 

tümer Walded und Pyrmont, Op. 47. Erfurt, Körner, — 4. Phantafie für 

die Orgel zu 4 Händen mit Pedal. Op. 48, Da. — 5. Der 23. Palm 
für Moor. Da. — 6. Viele Drgelftüde in den. veriiedenen Körner'ſchen 

Sammlungen, 






























Kunge, Karl, der fruchtbare und beliebte Komponiſt Tomijder Gefänge ge- 
wohnlichſten Schlages, iſt als ein Saul unter den Propheten auch unter den evan— 


1) Nach Koh, Geſch des KL. VI. ©. 469 it eine Del, „Die dank id) für mein Lehen“ 
im Bürtt. &h®. 1828, Mr. 211 eine Umbildung der Kihmau’icen; alein dort ift ans 
drüdtich „Frch” als Komponift bezeichnet, und beide Mel. zeigen Teinerfei Bermandtfaft. 

2) Bei Jatob und Richter, CheB. IT. Pr. 873. ©. 100 auf mit „omp. ı. Säiär 
überjeprieben, während Koch, n. a. D., richtig Kühmau nennt. 








30h. Panl Aunzen. 853 


gelifhen Kirchenlomponiſten aufzuführen, da er verſchiedene Hefte Motetten, Palmen, 
Sprüche u. |. w. fomponiert und „zum Gebraud) für Kirhe und Schule“ heraus: 
gegeben Hat. Er wurde am 17. März 1817 zu Trier geboren und erhielt den 
erften Muſikunterricht don feinem Bater, der als Mufillchrer dafelöft lebte. Um fidh 
zum Lehrer auszubilden, beſuchte er jodann das Seminar zu Magdeburg und fepte 
hier unter Aug. Mühlings Leitung and) feine mufitalifgen Studien fort, die er im 
tönigl. Imftitut für Kirchenmuſit zu Berlin als Schüler A. W. Bach's, Rungen- 
hagen's und A. 2. Marr vollendete. Eine erfte Anftelung fand ex als Kantor 
und Organift zu Pritzwalt und machte ſich hier beſonders als gewandter Dirigent 
einen Namen, fo daf er ſchon 1852 den Titel eines königl. Mufildirektors erhielt. 
1858 tam er als Organift und Gejanglehrer nad Ajcersleben und 1873 als 
Seminarmufiliehrer nad; Deligic, wo er am 7. September 1883 ſtarb. — eine 
hier anzuführenden Werte find: 
Op. 5. Der Cängergor für Kirche und Schule. 16 leicht ausführbare 
Diotetten. Berl, Guttentag. — Op. 35. 10 veligiöfe Gefänge für Mftn. 
2 Hfte. Erfurt, Körner. -— Op. 56. Leicht ausführbere Palmen und Sprüde. 
Berl., Parz. — Op. 100. Eingt in Iubelhören. Kantate für Mitn. Leipz., 
Kahni. — Op. 109. Leicht ausführh. Motetten. 2 Hite. Leipz, Vrandfletter. 
— Ehoralmelodien des Berl. GB für Kirche, Schule und Haus. Aderst., 
Hud. (2. Aufl.) — Op. 122. Leicht ausführd. dreit. Motetten zum Cchul- 
gebrauch. Leipz., Vrandftetter (3. Aufl). — Op. 123. Leicht ausführb. zweit. 
Motetten zum Scufgebr. Daf. — Op. 181. Yeiht ausführb. zweift. Plalmen 
zum Schulgebr. Leipz, Merjeburger. — Op. 227. Geiftl. Gefänge für Dicor. 
Leip., ahnt. — Op. 250. Leicht ausführb. Choralvorpiele fiir beftimmte 
Choräte. 4 Hfte. Daf. — Op. 260. 56 furze Choraleinleitungen für Orgel. 
Delitfh, Pabit. — Op. 261. 50 Choräte mit bezifferten Bäffen für den 
Drgelunterridht. Daſ. — Op. 273. 12 leicht ausführb. Feit-Motetten für Mihor. 
Daj. — Op. 278. 12 leicht ausführb. zweift. Deftgefänge. Yeipz., Vrandftetter. 
— Op, 279a. 12 leicht ausführb. dreift. Feitgelänge. Dal. — Op- 294. 
10 leicht ausführb. vierft. Feftgefänge. Daſ. — Op. 313. Methodiſch geord. 
Mbungsftüce für den erften Orgelunterricht. Deligih, Pabll. — Op. 324. 
Evang. Choralbuch Cine Auswahl von J10 Kirhenliedern, vierft. bearb. 
Daf. — Op. 328. Palmen umd Sprüde für gem. Chor. Daſ. — Ferner 
hat &. nod eine Schrift über die Orgel unter dem Titel: Die Orgel und 
ihr Yan. geip. 1875. Seudart. VIII und 179 &. 8° herausgegeben, die 
ſich auf dem Titel als „dritte gänzlich uingenrbeitete Aufl. von doh. Julius 
Seidels gleihmamigem Werte" anfündigt, in Wirklihfeit aber ein ganz neues 
Wert ift, da@ nad Form und Inhalt feine Spur von Seidel mehr zeigt, alfo 
mit mandem Ballaſt auch das befeitigt, was aus dem älteren Bude des Er— 
Haltens wohl wert gewvejen wäre. Im der neuften 4. Aufl. 1887 hat danu 
der Herausgeber, Bernhard Rothe, ganz ebenſo Kunge's-Arbeit wieder and 
gemerzt und ift auf Seidel zuelchgegangen. 


Kunzen, Johann Paul, Orgamift und Wertmeifter (d. h. Redner und Schreiber 
beim ftädtifgen Bauamt) zu bed, war am 30. Kuguft 1696 zu Leionig in 











854 AD. Karl Aunzen. 


Sachſen, wo fein Vater Tuchmacher war, geboren. Er beſuchte die Schulen u 
Torgau und Freiberg und bezog dann, wiſſenſchaftlich und muſilaliſch tüdtig vor- 
gebildet, 1716 die Univerfität Leipzig. Doch wendete er ſich hier mehr der Mufit 
zu, wurde Schüler des Kapellmeifters Rau und des Thomasfantors Kuhnau, wirkte 
in der Oper und in Konzerten bald als Sänger, bald als Biofinift mit und ver 
ſah aud längere Zeit die Stelle des Drganiften Vetter an der Nitolaitirche. 1718 
Ham er al Ropellmeifter mad; Zerbit, ging jedoch bald auf Kunfireifen, genoß in 
Dresden den bildenden Umgang des Kapellmeifiers Schwidt, des Theoretifers Hei 
nichen und des Violiniſten Volumier, und fam 1723 nad; Hamburg, mo er fih 
als Muſillehrer niederließ und außer einigen Opern and) ein Baffionseratorium und 
Kirhentontaten tomponierte. 1728 führte ex feinen Sohn Adolf Karl als Wunder 

, Kind (Cembalif) nad Holand und England, Tehrte dann nach Hamburg zurüd, vor 
wo er 26. April 1732 als Nacfolger Schieferdeders (und zweiter Nachfolger 
Vurtehude's) nad Fübed berufen wurde. Am Sonntag Quafimodogeniti 1732 
trat er fein Amt mit einer „Introduktionsmufit für drei Chöre in einen Dratorio” 
am und verwaltete «8 ruhnwoll bis er am 20. März 1757 ftarb.') Matthejen 
zählt 8. „unter die berluhmteſten Organiften feiner Zeit“, und von feinen größeren 
Kompofitionen wurde namentlich das 1739 zuerſt aufgeführte Oratorium „Belfazer“ 
hoch gehalten. — Sein Sohn und Nadfolger: 


Kunzen, Adolf Karl, war am 22. September 1720 zu Wittenberg, wo der 
Vater ſich damals auffielt, geboren. Das er ſchon als adtjühriger Knabe ſich in 
Holland und England mit Erfolg auf dem Kladier hören laſſen konnte, wurde oben 
bemerkt. 1750 treffen wir ihn als Kapellmeiſter zu Schwerin und 5. Juli 1757 
wurde er jeines Vaters Nachfolger in Yühel, wo er fih den Ruf eines tüdhtigen 
Drgel- und Klavierſpielers erwarb. Als ihm 1772 ein Schlaganfall lähmte, wurde 
ihm fein Schüler Rönigsköw als Adjunkt beigegeben; Anfang Juli 1781 ftarb er, 
mehrere Dratorien, ſowie eine Anzahl Kirhenfantaten und Motetten im Mit 
hinterfaffend. — Sein Sohn und Schüler Friedrich Ludwig Amilius Kunzen, 
geboren 1761 (nad) andern 1763) zu Lübeck, und am 28. Januar 1817 ale 
daniſcher Hofapellmeifter zu Kopenhagen geftorben, niachte fih als Operntomporift 
einen Namen. Doch fdrieb er aud Melodien zu den geifllicen Piedern Io. 
Ande. Gramer’s (Xeipzig, 1784) und Yalthafar Vrünters (Leipg. 1773),) und 
feine Kantate „Das Halleluja der Schöpfung“ war feinerzeit ſehr befannt. 

1) Bol. Stiebl, Lübeciſches Tontünffer-der. 1887. S. 11. 12 nad Mattfefon, Ehren 
pforte. 1740. ©. 158. Gerber, Neues Ley. II. S. 153 irrt, weil er ihm mit Adolf Karl &., 
dem Sofne, veredelt. 

) Bol. Koh, Geſchicte des Kirchenliedes. VI. ©. 344 u. 355. Gödede, Grundriß je: 
Gefßichte der deutfäen Dichtung III. Gerber, a. a. ©. UT. ©. 150-153. Stichl, a. a. © 
en. 


Kurze Oktav nnd gebrodiene Oktav. 855 


Kurze Dftad und gebrodene Dftav. Im erſten Viertel des 15. Jahr: ” 
hunderts, als durh die Erfindung des Pedals die Orgel erft wirflid zur Orgel 
geivorden war, hatten ihre Klaviaturen folgenden Umfang: 

eis dis fis gis b eis! dis! fs! gie! bi 
Damt:dc d efg ahed d af g al hie 
eis dis fis gis 
PBeal:kc d ef g ahl) 
Um 1470 fodann erweiterte der Orgelbauer Heinrich Tragdorf in einer Orgel zu 
St. Sebald in Nurnberg das Pedal um die Töne A und B fo: 
B, ds dis fis gis b 
Abcdefg a 
und andere Orgelbouer, wie Friedrich Krebs und Nikolaus Mülner von Mildenberg 
folgten ihm und gaben ihren Pedalen den Umfang von A bis a. Weiter ging 
Konrad Rotenburger, ein Orgelbauer in Nurnberg, indem er 1493 ein großes 
Orgelwert, das er 1475 im Stift zu Bamberg mit dem ſeither gewöhnlichen Um: 
fang aufgeftellt Hatte, folgendermaßen erweiterte: 
B cis dis fis fis? 
Mama: FGA Ze d ef nfgwmbs gtat 
B cs dis fis gis b 
Pedal: F GA be def gg a, 
da er jedoch die Halbtöne Fis und Gis auslich, jo gab er damit das erfte befannte 
Beiſpiel einer Furzen Oftav. Im Anfang des 16. Jahrhunderts war es dann 
Arnold Schlich der älteſte deutſche Orgelfchriftfieler, der 1811 dem Pedal nad) oben 
noch die Töne h ec! Hinzufügte; dadurd aber, daß er h als Obertafte einlegte, gab 
er für die Anordnung der Claves zuerft das verhängnisvoll gewordene Veifpiel einer 
gebrogenen Ottav,) nämlich jo: 
Fis Gis B eis dis fis 
Vamal:F G AHe def nfwobsa 
B, cis dis fs gis bh 
Bra: FGAbce def gg a d. 
Die fpäteren Orgelbauer fuhren mit Erweiterung der Klaviaturen fort, bejonders 
nach der Tiefe, Iegten aber, indem fie dem von Schlid gegebenen Beifpiel folgten, 
die Taften der neu eingeführten Töne ganz nach Belieben, und es gab nun Klavia- 
turen wie folgende: ; 
D EB cs dis 
CF GAdAbec dd ufm 


1) &o nad) Prätorins, Synt. mus. II. S. 110 „ewan vor 200 Jahren“, alfo um 1420, 
eine Orgel zu San Salvator in Venedig. 

2) Bat. die Abbildung feiner Manual- und Pedallaviatır in den Monatef. für Mufitgefä. 
1870. &. 172-173 und Sählid, Spiegel der Orgelmadher, 1511. DI, VII. S. 25 (Mor. der 
Monats. 1869. ©. 91). 





856 Kurze Oktav und gebrodene Oktav. 
H B cis dis 
EFG Ahe Ad um) 
im legteren Fall, der befonders häufig vorfam, ſchien das Pedal mit der Taſte E 
zu beginnen, und F, Fis, G, Gis, A, B, H u. f. w. regelmäßig zu folgen; dem 
war aber nicht jo: die Semitonien Cis, Dis, Fis, Gis fehlten ganz, die Tafte E 
gab C: Fis gab D, Gis gab E an; F ing alfo zwiſchen C und D, G zwiſchen 
D und E, und erſt von A an ging die Tonfolge regelmäßig weiter. Dann famen 
noch die Semitonien Fis und Gis dazu, deren Aufnahme übrigens ſchon Schlid 
verlangt hatte?) und die Verwirrung ftieg: 
Fis Gis \ 
D EB cds dis 

CFGAGRc d u. ſ. w. 
da man dieſe nicht neben die andern Taften, ſondern nur noch ‚mehr vertürzt hinter 
die ſchon verkürzten Obertaften D und E Iegte.‘) Als man dann, um den Unzu— 
Tömmlicfeiten der ungleichſchwebenden Temperatur zu begegnen, gar nad doppelte 
Semitonien (Subfemitonien, oder fogenannte Ignoten) anbringen zu follen glaubte, 
ließ die Verwirrung nichts mehr zu wünfhen übrig. Die nachmalige Entwidlung 
des Höheren Drgelfpiels in der nord: und füddeutfhen, ſowie der thüringiſchen Or- 
gamiftenfeule big zur Virtuofität eines Neinten, Burtehude, Pochelbel und endlich, 
eines Seh. Bad, mußte die Befeitigung folder äußerlihen Mängel am Anftrumente 
zur umabweisbaren Notwendigkeit machen: allein diefelbe ging, wie bei jeder einmal 
eingewurzelten Gewohnheit, ſehr langſam, und auch nachdem die gleichſchwebende 
Temperatur gefunden war, hielten, alen Mahnungen der Theoretifer zum Trog,‘) 

) Erflere in der 1614 von Gottfried Frigih nad) der Angabe von 9. 8. Haßler erbauten 
Drgel der Hoffirdje zu Dreoden, vgl. Monatsh. 1871. ©. 90 ff.; lebtere bei Aminerbas, 
Drgef oder Inftrument Tabulatur. 1571, vgl. Beder, Hauemufl. 1840. S. 22. 

2) Bol. Spiegel der Orgelmadier. 1511. 81. VL. ©. 23 (Abtr. ©. 90) und Monatif. 
für Muftgelö. 1870, ©, 169. Anm. 2. 

3) Im der Orgel des Kloſters Kiddageshaufen von Heineih Compenius, vgl. Präteries, 
Syat, mus. II. &. 200. 

9) Val. Seidel, Die Orgel und ihr Bau. 1843. S. 18 und die Abbildung eines felden 
Bedale. Dal. Taf. I. Pig. 4 u. 5. 

) &o 3. 8. Ejojas Compenius, Drgel zu Büdeburg, Fribſa in Dretden, vgl. Monatst. 
für Mufitgei. 1871. &. 94. Hawkins and Rimbault, The Organ II. &. 173. Alurs, 
Musica mech. org. II. ©. 25. 

9 Schon Wertmeifer, Orgelprobe, 1698. Kap. 22. &..50 nennt die furze Oftave einen 
„90x großen Defect in einer Orgel” und meint: „id Habe noch feinen (Organiften) gefehen, 
der in der Gefhreindigleit in der unterflen Octava das hun lönnen, as er in den andern 
Oetaden vermodjt.” Seh. Yad) in feinem Revifionsberidit der 1716 von Scheibe erbauten Orgel 
der Nitolaitiche zu deipzig vom 17. Dez. 1717 begeifinet die „alte Art der Turzen Oktan“ eis 
eine „deformite“, und lobt den DOrgelbauer, daß er, um Diefelbe zu befeitigen, „über die Cen 
racte” eine neue Windlade eingefeßt Habe, weil bei der alten „Die übrigen Elaves, fo noch fehte, 
nich Gaben angebracht werden tünnen,“ Vol. Spitta, Ba I. S. 119-122. Adlung, a. ı 


oder: 














d. Auſter. Kübialflöte. Kyrie. 357 


noch durchs ganze vorige Jahrhundert ſelbſt berühmte Orgelbauer an der Unfitte 
feft, mwenigftens das tiefe Cis mwegzulaffen.!) So kommt es, daß man heute noch 
viele ältere Orgeln, namentlich in Dorfkirchen, nit diefem Mangel behaftet findet. 


Küfter, Hermann, Hof- und Domorganift zu Berlin, war am 14. Juli 1817 
zu Templin in der Udermarf geboren und erlangte feine Schulbildung auf dem 
Gymnaſium zu Prenzlau, feine muſitaliſchen Studien aber machte er am fönigl. In- 
fitut für Kirchenmuſit zu Berlin, wo A. W. Bad, Rungenhagen, Grell und Marr 
feine Lehrer waren. 1845 übernahm er die Direktion des Mufilvereins zu Sanr- 
brüden und wurde zugleich Lehrer des Orgelipiels und der Kompofition in den 
Vehrerlonferengen der dortigen Synode. Im diefer Stellung blieb er bis 1852, wo 
er der Berufung als Organift an die Hof und Domtirche, ſowie als Gefanglehrer 
am das Friedrich Werder ſhe Gymnaſium in Berlin folgte und nun als Komponift, 
mufitalifher Schriftfteller und Lehrer eine erfolgreiche Thätigfeit entfaltete. Er ftarb 
om 17. März 1878 zu Herford in Weftfalen, wohin er fih, nachdem ihm kurz 
zuvor Gefundeitsrüdficten genötigt Hatten, feine Imter in Berlin niederzulegen, 
zurüidgegogen Hatte. — Bon feinen Werten find hier zu verzeichnen: 

48 leichte Drgelpräludien. Op. 4. Berlin, Barz. — Der 121. Pfalm 
für gem. Chor. Op. 7. Hamburg, Schubert. — Leicht ausführb. Bor: und 
Nadfpiele für die Orgel. 2 Hefte. Neuruppin, Petren. — Choräle als An 
hang des Bach ſchen Ch.B. Berl. Bahn. — 52 der gebräudl. Choräle mit 
Tert, für 4 Mfln. Berl, Schulze. — Die gebräudl. Choräle, einftimmig für 
Säulen methodiſch geordnet. Dal. — Der 4. Vſalm für gem. Chor. Neu- 
zuppin, Petren,. — Der 8. Pfalm für gem. Chor. Berl, Müller. — Aht 
Meotetten für gen. Chor. Daſ. — Bier Pfalmen für gem. Chor. Neuruppin, 
Petrenz. 


Kützialflöte, eine alte Flötenſtimme der Orgel, von der Adlung, Mus. mech. 
org. 1. ©. 110 bemerft: „ift rar, und weis ich eigentlich nicht, worinnen ihr 
Weſen beftehen joll. Ein Flötregifter ift es, wie der Name anzeigt, bald in der 
Quinte, bald in der Dxtave. Zu St. Domenico in Prag ift fie 1‘, folglich eine 
Octave; in der Kreuztirche in Dresden ift fie 14er‘, und alſo eine Quinte.“ 


Kyrie. Der Bittruf um Erbarmen: „Kyrie eleison! Herr erbarme did!" 
aus der Tiefe allgemeiner Not ſowohl, als befonderer Sündennot?) heraus, erflang 
O. fagt: „Kurze Dftaven find ein Hauptfehler an Orgeln.“ Derf. Ant. zur mufit. Gelahrth. 
1758. ©. 359. 360. 

3) &o ;. 8. Sibbermann in der Orgel der Sqhlohtirche zu Dresden, vgl. Ablung, a. a. 
O. 1. S. 211; Engler, Orgel zu Grüffen, St. Eijabetg in Breslau; Röder, St. Marin 
Magdalena in Breslau, vgl. Seidel, a. a. D. S. 187. 188 u. 0. 0. 

3) „Vox deprecationis“ nennt ihm deshalb fon Gregor d. Gr. (lib. 3 opist. 64 ad 
Joan. Syriac.), und Keuhenthal, Kirhengelenge. 1573 bemerft dazu: „est hacc Orientalis 
’Ecclesiae vetus precatio.“ 





858 Kyrie. 


fon in der äfteften Kirche als Antwort der Gemeinde auf die einzelnen Bitten des 
allgemeinen Fiirbittengebets, der Litanei. Mit diefer kam das Kyrie als fh in 
der Folge die Ordnung der Meffe ausbildete, an den Anfang der Meſſe, und hier 
blieb es and dann, als (wie allgemein angenommen wird) Gregor d. Gr. es von 
der Pitanei abföfte, ihm die Beftimmung eines felbftändigen Stüdes der Liturgie 
gab, und die geheimmisvolle Neunzahl für dasfelbe jeftfegte. Cr ſoll bezügfic der 
Ausführung in der Kirche aud noch angeordnet Haben, daß das Kyrie antiphoniſch 
dom Chore der Merifer und dem Volt gefungen werde; Bald aber ging es ganz auf 
den Chor über und mur bei außertirchlichen Anläffen jeder Art behielt das Bolt 
den Gefangsruf desfelben bei. „in folder refigiöfer Vollsgefang aber, der nur 
aus dem bloßen oft wiederholten Nufe zweier Wörter befand, artete gewiß bald 
aus in einen underſtändlichen Jubel. Dies beweifen denn aud) die früh bereits vor- 
tommmenden Formen Kyrieles und Syrieleis, ſowie die fpätere noch verderbtere in 
andern Ländern, z. B. das böhmiſche Krles und das franzöfiige Kyrielle. Wie 
aber ſchon Notter Balbulus die fogenannten Neumen oder Iubifi, dieſe taftlofen 
Zubeltöne, welche auf das Alleluja der Mefie folgten, mit beziehungsreichen Texten 
verſah, fo dachte man zu gleicher Zeit, nad) der Mitte des 9. dahrhunderts nämlich 
daran, die zu einem bloßen feſtlichen Schrei und Jubel gewordenen Töne des Kyrie 
eleison ebenfalls mit neuen geiſtlichen deutſchen Worten zu beffeiden und fie jo be- 
deutungsvoll und gleihjam lebendig zu machen. Noch Iahrhunderte hindurch ſcheint 
der Shlußvers (Refrain) der meiften geiftfihen Lieder, das Kyrie und Christe 
eleison für diefen Urfprung des deutfhen Kirchenliedes zu bürgen.!)" Solche Lieder 
mit dem Refrain des „Kyrieleis" hießen daher Kyrleifen, Leiſen, Lais, Leid, Laih) 
Gleichwie im Vollsgeſang, erhielt das Kyrie aber aud) im mittelafterlihen Kirchen- 
gefang Ermeiterungen und Umfleidungen durd Tropen, wie 3. B. Kyrie, cuncti- 
potens genitor Deus omnium creator, eleison Kyrie, fons bonitatis 
Pater ingenite a quo bona cuncta procedunt, eleison! etc.) weldie dam 
nad) ihrem Inhalt als Kyrie paschale, K. nativitatis, K. angelicum, K. apo- 
stolicum, K. summum, K. minus summum ete. auf die verſchiedenen kirchlichen 
Feſte, Zeiten und Tage verteilt wurden, während Kyrie dominieale und feriale 
gervögnfich feine Tropen Hatten. — Die evangelifge Kirche nahm das Kyrie 
zumächft unverändert in ihre Liturgie Herliber und lich es „wie gewonlich“ fingen, 








*) Bol. Hoffmann v. F., Geſch. des deutfcien Kirchenl. 3. Ausg. 1861. ©. 21. 22. Deri. 
giebt auch $ 2. ©. 8-30 ansführlide Nadhveife Über den mannigfagen Gebtauch des Kyrit: 
rufes von der früheften Zeit bis zum 11. Jahrh. 

2) Doc feitet W. Wadernagel, Gef. der deutſchen itteratur. $ 32 das Wort Leid vom 
Keltifgen Lois, Ton, Gefang Her, und definiert Dasfelbe als psalmus cantich, im Gegenfeg 
zu canticum psalmi, Lied. 

3) Bot, Kornmüler, Le. der kirchl. Tontunfl. 1870. &, 282. 283; dod if} in einem 
Miſſeie von 1631 zu Diefen Tropen bemerft, fie fein „aullo modo de ordine sen usu 
romano“, 


Kyrie. 859 


Luther (Form. Missae 1523) hatte beftimmt: „das Kyrie eleifon, wie mans big 
Her gebraudt hat im manderlei Melodie oder Weile nach Unterſchied der Zeit, 
nehmen wir an“ und fpäter (Deutſche Meſſe 1526) nur beſchränlend Hinzugefügt : 
„darauf das Kyrie eleifon, dreimal und nicht neunmal.“ Aber die Freifeit, die 
er in Sachen der Liturgie gelaffen hat, wurde auch für das Kyrie reihlic beit: 
igon die Wittenbergiihe RO. von 1533 läßt «6 „zu Zeiten, ſonderlich vf die 
fefte,“ ausdrüclich „neunmal, wie gewonlih” fingen,‘) und bald famen auch die 
fiedmäßigen deutſchen Bearbeitungen der lateiniſchen Kyrietropen, die Kyrielieder auf 
(zuerft bei den böhmiſchen Brüdern) und erlangten in der evangelifcien Kirche allge» 
meine Verbreitung und vorwiegende Anwendung. Bezüglich der Ausführung war 
«8 anfangs das Üblihfte, daß der Chor das Kyrie einfoch coraliter, nad) wechfelnden 
Melodien und mit oder ohne Orgelbegleitung — „Ryrie in die Orgel muficert“, 
„ein Vers um den andern“ ohne und mit Orgel — allein, oder fo fang, daß die 
Gemeinde die einzelnen Abfäge mit ihrem „Cleifon" oder „Herr erbarme did!“ 
begleitete.) Später aber wurde das Ayrie vom Chor auch figuraliter, in motetten- 
artiger Weife gefungen?) und bildete in enger Verbindung mit dem Gloria die fo- 
genannte lurze Meſſe der evangelifhen Kirchenlomponiſten, die fogar nicht jelten 
Chorolmelodien in das Kyrie verwoben.‘) Im einfaderen Berhättniffen und in Er- 
manglung eines Chors trat an die Stelle des Kyrie „ein guter deutſcher Gefang“ 
der Gemeinde, das Kyrielieh, das fpäter oft mit dem Imtroituslied zufammenfiel, 
Oft auch ganz weggelaffen, oder mm an Fefttagen gefungen wurde.) — Die ver: 
ihiedenen Kyrie, die in der ewangelifen Kirche im Gebrauch geflanden haben, waren 
in den Kirenordnungen je nad Tertinhalt und melodifhen Formen allerdings auf 
die Fefte und kirchlihen Zeiten verteilt, aber, mit alleiniger Ausnahme eiwa des 
„Kyrie paschale“ und des „Kyrie nativitatis“, in fo durchaus wilfüxliger und 
in faft jeder KO. verfciedener Weile, daß fih kaum feſte Anhaltspuntte für diefe 
Verteilung gewinnen laſſen. Wir führen als die wihtigeren derfelben an: 1. Das 
Kyrie dominicale mit dem einfaen Tert „Kyrie eleison! Christe eleison! 


3) Bol. den Abdrud diefer K. O. bei Förſtemann, Neues Urtundenbuch zur Geſch. der 
ang. KirhenRef. 1842. 1. ©. 380, 

2) Bl. RD. der Mark Brandenb. 1540. Chutt. RD, 1570. Öft. RD. 1571. Medienb.- 
Bend, &D. 1540, Brandenb.-Nürn! . 1504, 

3) Bgl. Öftr. &D. 1571. Shwäb. Hall. K. O. 1615. Zu Bad’s Zeit wurde das Kyrie 
zu Leipzig om Advenis · und Neformationsfeft figuraliter gelungen. Vol. Spitta, Bad H. 
S. 95. ud) nad; dem Sahfen-Beißenfelfiihen Gef. umd Kircenbud 1714 follte das Kyrie 
immer „muficieret” werben. 

+) Die Verbindung des Kyrie und Gforia zeigt fon, daß man gewößnfih „Kyrie cum 
Gloria,“ nit Kyrie et Gloria fagte; vgl. Spitta, a a. D. II. S. 508. Cvangelifce Kitchen - 
tomnponiften, welge Chorale mit dem Kyrie und andern Stüden der Meffe verbanden, waren 
3 8. Ernft Bad, Zagau, Kufman und Telemann. Bgl. Spitta, a. a. D. II. &.514. 515. 

>) Bol. Pialz-Reub. 8D. 1543; Braunfcto.-Lüneb. RO. 1700; Walderfer &,D 1556; 
Yayr. Chorordnung 1755. 








360 Arie. 


Kyrie eleison!“ oder auch fo gefungen, daß der Fiturg diefen Tert lateiniſch inte- 
niert und der Chor mit dem deutf—en „Herr, erbarme did!" antwortet.) Bon 
Keuchenthal wird dieſes Kyrie den Adventsfonntagen und der Zeit von Septuagefimi 
bis Oftern zugeteilt; mit abweichender Melodie hat es derfelbe auch als „Kyrie de 
Visitationis Mariae“ und „Kyrie apostolicum“, mit reicherer Figuration aber 
als „Kyrie angelicum“.?) 2. Das Kyrie summum „Kyrie fons bonitatis, 
pater ingenite etc., Christe Hagie, coeli compos regiae etc., Kyrie Spiri- 
tus alme cohaerens Patre Natoque efc.“, von feinen Anfangeworten auch 
Kyrie fons bonitatis genannt (Lossius, Psalm. sacra. 1597 ©. 291) und 
für die hohen Fefte beftimmt. Es war Hauptfäclih in drei deutfcen liedmäßigen 
Venrbeitungen im Gebrauch: a) Kyrie, ad Bater allerhöchſter Gott, mie 
Hein achtet man doch dein Gebot” in drei Abjägen;?) b) O Bater der Barm- 
herzigkeit, Born aller Gütigteit, in 3 mal 3 Strophen von Midas Weiße, 
G.B. der 8. Br. 1531. Bl. Axa: „Nm thon Kirie ffons bonitatis,” Haupt: 
fählih om Weihnachten und andern Freudenfeſien gebrauht;‘) e) Kyrie, Gott 
Vater in Ewigkeit, groß ift deine Barmberzigfeit, das wihtigfte und verbreitete 
Kyrielied, das ſich allein bis in unfre Zeit herein erhalten Hat, und den hohen 
Feſten zugehört;®) es erſchien 1541 zuerſt auf.einem Cinzeldrud und wird tradic 
fionell Spangenberg als Berfaffer zugefcriehen.) Das Kyrie paschale hat 
als „brevissimum“, als weldes «8 am Karfreitag gefungen wird, nur die gewöhn: 
lien Worte; als eigentliches Ofterkgrie fommt es entweder mit dem liedmäßigen 
Terte von Spangenberg „Kyrie Gott aller Welt Schöpfer und Bater, 
eleifon" in vier Abfägen, oder mit einem folhen von Michael Weihe im GL. 
der Böhm, Br. 1531: „O allmähtiger ewiger Bater, erbarme dis 
unfer“, in 3 mal 3 Abfägen vor’) Ein Kyrielied auf Oftern in 3 Strophen 








©. 5. Scoeberlein-Riegel, Schatz I. ©. 108. 109. Nr. 52. 

) „Vel solenne majus quod eanitur Domin. 1 post Epiph. usque ad festum Purif. 
Mariae,“ Keuenthal, Kirdenge. 1573. 

9) Bei Spangenberg, Kirgengel. 1545 als „Kyrie Summum Deudfh” zum 1. Addente. 
fonntag beftimmnt; Medlenb. Wend. K. O. 1540 als „Kyrie paschale, angelicum, domini- 
cale* bezeichnet; bei Keuhenthal 1573. „Kyrie natinitatis“. 

*) Im GB. der B. Br. 1531 hat Weiße noch eine weitere Berfion diefes Kyrie: 
Gott Bater in Ervigleit voller Barmberzigleit." Keudienthal fegt basfelbe auf Neujahr. 

®) Spätere K. O., z. B. Eoburg. ED. 1143; Altenb. K. O. 1769 beflimmen es ven 
Bingen bis Advent, alfo auf die Teinitatiszeit, und au Scamelius, Sieder-Romment. 1. 
1724. &. 623 fagt: „Kyrie summum wird gelungen von Trinitatis biß anf Weihnadten. 
Loner, Gefangbüclin. Nördt. 1545. Bog. BIb nennt es „Das Sonteglidie Kyrie eleison“ 

°) Dot ficht es in feinen Kirkenge. 1545 nicht. Bel. Fiſcher, Kirdenlieder-ter. II. ©. 
Der Einzeldrud bei Wadernagel, Bibliogr. 1855. &. 172; vgl. Wadernagel, 8.2. III. Ar. 
250 und Mügell, Geifil, Lieder. II. S. 978, 

7) Bal. Spangenberg, Kirchengeſ. 1545. Pal. Babſt, GB. 1545. Nr. LX. Dog. 8. 

©. 14-16. Keuchenthat, Kirengel, 1573. 
















Kyrie. 861 





„D Herre Gott Vater in Ewigkeit” aus dem weiter oben genannten 
Eingeldrud von 1541.) 4. Das Kyrie minus summum au Kyrie 
magnae Deus potentiae, im allgemeinen für die „niederen Feſte“, oder „von 
Weihnachten bis Oftern“ beftimmt; feine deutſche Verſion von Spangenberg in 3 
mal 3 Stropgen ift: „O Bater, allmächtiger Gott, zu dir freien wir in 
der Not", hat aber nur in verfürgter, dreiftrophiger Form („Kyrie magne Deus“) 
Eingang und Verbreitung gefunden.?) Ein anderes „Kyrie magne Deus“ in 3 
Abfügen von je 3 Strophen von Michael Weiße im G. V. der B. Br. 1531 heißt: 
„O Bater der Barmherzigkeit, wir bitten did mit Innigfeit."®) 
Ein mit diefen zufammenhängendes Kyrie it das Kyrie cunetipotens „O 
ewiger barmherziger Gott, wir danken dir der Wohlthat, cbenfals von 
Micjael Weiße, das bald auf „Abvent”, bald auf „Pfingften“ gefegt wird.‘) Cine 
vollftändige Verteilung der fümtlihen Kyrie und der flntt derfelben zu gebraudenden 
andern fiturgifhen Stüde, wie des Confiteor, Domine non secundum, Aufer 
a nobis, Oratio Manasse, u. a. findet man bei Schent, Ev.-luth. Handagende. 
1857. ©. 267—268. — Die neneren Piturgier übertragen die Husführung des 
Kyrie teils dem Chor (Bunfen, Schent), teils dem Chor und der Gemeinde (Schent, 
Scpocberlein), oder auch dem Liturgen und der Gemeinde (Rayriz). 








*) Bal. Wadernagel, X. III. Nr. 251; Schamelius, Lieder-Romment, I. 1724. &, 623 
bemerkt dazu: „Kyrie Paschale, wird gefungen von Oftern bih Trinitatis. 

9) Bol. Spangenberg, Kirchengeſ. 1545. Ol. NXX: „Das Kyrie. Auff natiuitatis Christi.“ 

) Meldior Bulpins, G.-B. Jena, 1609. ©. 34 verbindet dies Lied mit dem lateiniſchen 
Kyrie mague Deus potentiae liberator und bezeichnet beides als „Kyrie minus summum 
auff Weihnachten“. 

Vol. KD. von Braunſchw. Lüneb. 1542; Keuchenthal, Kirchengeſ. 1573. Spätere 
RDD,, wie die Coburger K. O. 1149 und die Altenb. 8.0. 1709 befimmen die Kyrie 
minus summum allgemein auf die Zeit von „Advent bis Eftomihi“. 


Vin 


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Jun 27 1949 





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