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Full text of "Gesammelte schriften"

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Gesammelte Sdiriflen 

lierwarlh Waiden 


Erster ßand 

Kunstkritiker und Kunstmaler 


Berlin 1916 
VERLAG DER STURM 



Copyright by Verlag Der Sturm / Berlin 1016 


Alle Rechte Vorbehalten 



Nzi 
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✓. / 


Nell Waiden 

meiner sehr geliebten brau 


Herwarlh Waiden 

Berlin om 29. Dezember 1915 


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Das WifTen um die Kunß 

Ich bin nicht der Meinung, daß es um die Kunst heute schlechter 
steht. Es stehen nur zu viele um die Kunst herum. Sie packen sie 
mit stumpfen Sinnen an, sie befühlen sie, ohne zu fühlen, sie be- 
denken sie ohne Bedenken. Sie stellen sich vor die Kunst ohne sie 
sich vorstellen zu können. Sie finden die Kunst gesucht, weil sie 
Gesuchtes nicht finden. Sie suchen die Natur, die sie nicht kennen. 
Sie kennen die Natur nicht, weil sie außer ihnen ist. Sie sind vor 
der Kunst außer sich, weil die Kunst sich in sie zwängt. Sie sind 
bezwungen. Dieses Lachen, dieses Höhnen ist die Verzweiflung des 
Unterliegenden, das Aufleben des Lebendigen gegen ihr Totes. Sie 
werden von dem Erlebnis geschüttelt. Ihre Kindergehirne kreisen. 
Das Leben reißt ihnen, müßigen Zuschauern, die Mäuler offen, sie 
klammern sich schreiend an Begriffe, die sich vor ihnen lösen, sie 
fassen in die Bilder, die sie schon längst gefaßt haben. Sie zerren 
an einem Zipfel der Kunst, weil sie ihnen zu groß ist. Sie nörgeln 
kleine Kinder, die nicht Schritt halten können. Die Sonne scheint 
und die Kunst leuchtet, auch wenn Kinder noch nicht erwacht sind. 
Wären sie Kinder, wenn sie erwachten. Sie würden sehen, daß die 
Sonne eine schöne Scheibe ist, mit der man spielen kann. 
Sie würden sich im Urwaldgestrüpp der Farben fürchten. 
Sie wüßten, daß die Bäume in den Himmel wachsen und 
daß der Himmel in die Erde reicht. Das alles und vieles andere 
Schöne würden sie wahrnehmen wenn sie Kinder oder Künstler 
wären. Aber solange sie Bürger sind, nützliche Glieder einer un- 
nützen Gesellschaft, solange wissen sie nur, daß die Sonne nach 
verschiedenen Millionen Jahren ausgebrannt sein wird, daß man sich 
im Urwald nicht zu fürchten braucht, daß die Bäume nicht in den 
Himmel wachsen und daß der Horizont eine Vorstellung ist, so 
eng, wie das was sie Denken nennen. 

Die Natur ist den braven Leuten der Wunder bar. Natur, das 
weiß man, wie das gemacht wird. Gewitter, elektrische Entladung. 

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Was ist Elektrizität? Elektrizität entsteht dadurch, dafi man. 
Entsteht? Geburt, eine höchst einfache Angelegenheit. Das eine 
Organ tut dazu dieses, das andere jenes. Das Denken' gescheht 
durch das Gehirn. Man weiß noch viel mehr von der Natur. Blut- 
kreislauf. Bakterien. - Kampf ums Dasein. Atome. Elemente. Alles 
höchst einfache Sachen. Die Natur kennt man. Alles ist höchst 
natürlich. Findet man das nicht natürlich, so liegt eben 
ein Dämmerzustand vor. Wieder eine höchst natürliche Er- 
klärung. Ein dauernder Dämmerzustand ist Geisteskrankheit. 
Alles ebenso einfach wie natürlich. Und die Wissenschaft, 
die es so herrlich weit gebracht hat und ganz genau weiß, 
wie es die Natur macht, soll mit dem bischen Kunst nicht fertig 
werden? Wo die Kunst doch n\ir die Natur natürlich nachahmt. 
Bei Menschen hat die Wissenschaft wenigstens einen Blutkreislauf 
festgestellt. Die Kunst hat nur eine Oberfläche. Oie Kunstge- 
lehrten haben die Bilder offenbar experimentell zerschnitten und 
erfahrungsgemäß festgestellt, daß in ihnen nur Leinenfäden enthalten 
sind. Also Blut hat die Kunst nicht. Farben sind Fabrikware. Ge- 
fühltes kann man nicht maleni und die Existenz der Seele und des 
Geistes ist nicht nachgewiesen. Nur wie alles aussieht, das weiß 
man genau. Und wenn etwas nicht so aussieht, wie man es weiß, 
so ist das eben keine Kunst. Die Kunstgelehrten wissen, was 
Kunst ist. Nämlich das, was sie nicht wissen. 

Wir wissen es, meine Freunde, aber wir sagen es nicht. Weii 
es so unsagbar schön ist. 


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Meisteratelier-Geheimnisse 

Jetzt hilft kein Streiten mehr. Halbamtlich verlautbart: ,J)ie 
Malfechnik Franz von Lenbachs. Vom Herausgeber der Mün- 
chener kunsttechnischen Blätter, Maler Prof. Ernst Berger: Es 
wurde damals dem Künstler von den übelwollenden Neidern nach- 
gesagt, er arbeite mittels oder nach Photographien und entwerte 
damit seine Bilder. Dieser Vorwurf ist sehr ungerecht. Er be- 
nutzte wohl die Photographie und machte sich die Pausen nach 
solchen für ihn eigens oder zu seinen Zwecken hergestellten Ver- 
größerungen. Wer aber solche vergrößerte Abdrucke kennt — wird 
\vissen, daß es nicht so leicht ist, aus ihnen die für das Vorbild 
charakteristischen Züge mit wenigen sicheren Strichen wiederzu- 
geben; dazu gehört eben die überragende Kennerschaft eines viel- 
erfahrenen Porträtisten.“ Die übelwollenden Neider liaben es nach- 
gesagt, und der Maler Prof. Ernst Berger bestätigt es. Gewiß, es 
ist nicht so leicht, Photographien zu übermalen. Hingegen sind doch 
die sicheren Striche schon da, sodaß mir gerade darin die über- 
ragende Kennerschaft nicht so erforderlich scheint. Hingegen halte 
ich es für überragend, daß er sich die Pausen eigens oder zu seinen 
Zwecken vergrößern ließ. Der Zweck hat schon von jeher die 
Mittel geheiligt, wenn auch die Mittel noch lange nicht den Zweck 
heiligen. Die Pausmethode kann überhaupt gar nicht genug em- 
pfohlen werden: „Die Pausmethode bot für Lenbach noch einen 
weiteren Vorteil, indem er ohne große Mühe nach ein und derselben 
photographischen Vorlage seine Aufzeichnungen wiederholen 
konnte, wenn ihm der erste Wurf nicht gelungen war oder von 
vornherein Varianten des nämlichen Porträts beabsichtigt waren.“ 
Der Vorteil ist einleuchtend, er spart Zeit und Zeit ist Geld. Noch 
dazu, wenn man ohne große .Mühe durch die Pausmethode ver- 
dienen kann. Das Pausen ist überhaupt nicht so einfach. Aber jeda 
unglückliche Pause kann immerhin eine Variante werden, wenn sie 
auch nicht beabsichtigt war. Doch das Pausen bietet noch weitere 

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Gefahren; „Wer sich mit Temperatechnik nur einigermaßen befaßt 
hat, weiß nämlich, daß hier oft mit nicht beabsichtigten Ueber- 
raschunger» gerechnet werden muß; es treten beim Firnissen der 
Temperaschicht Tonänderungen ein, mit denen man nicht gerechnet 
hatte, oder sie sind vielleicht für die Weiterarbeit in dem bestimm- 
ten Falle nicht günstig ausgefallen; auch können Flecken in den 
Fleischpartien eintreten, die bei Uebermalungen durchschlagen 
würden, ln solchen Fällen ist es jedenfails am einfachsten, die 
Arbeit neu zu beginnen, und von diesem Gesichtspunkt betrachtet, 
kann die Pause die Arbeit wesentlich vereinfachen. Jeden Maler 
würde es höchlichst verdrießen, aus diesem Grunde die Aufzeich- 
nung von neuem machen zu sollen . . Die Fleischpartien flecken- 
los zu erhalten, ist die Kunst der kiassischen Uebermalphoto- 
graphen. Das dürfte auch der dritte Koliege, Herr Hofmaler 
Fischer, Unter den Linden, bestätigen. Diirch.schlagende Flecken ver- 
hindern den durchschlagenden Erfolg. Aber man hat die Pause und 
das Geschäft verzögert sich höchstens um einige Stunden. Eine 
Aufzeichnung ohne Pause ist sehr verdrießlich und wer will cs dem 
leichten Künstlervölkchen verargen, daß es lieber ohne große Mühe 
weitere Vorteile genießt. Bisher hatte ich immer, wenn mir auch 
meine persönlichen Kenntnisse das Gegenteil bezeugten, von erst- 
klassischen Kunstkritikern vernommen, daß die berüchtigten neuen 
Künstler so wahnsinnig schnell malen. Die crstklassischen Kunst- 
kritiker werden mir sicher für die Aufkiärung sehr dankbar sein, 
daß der große Meister Lenbach und offenbar seine übrigen Kolle- 
gen aus der guten älteren Zeit es so eilig mit ihren Meisterwerken 
hatten, daß sie nicht einmal die Zeit zur Zeichnung aufbrachten. 
Gebilligt wurde das Malunternehmen Leubachs, nach dem selben 
zuverlässigen Zeugen, Maler Prof. Ernst Ber.ger, von Moritz von 
Schwind und Makart. Lenbach bezog sogar ein kleines Atelier neben 
Makart „denn dort bot sich für den eben Mode gewordenen Künst- 
ler Oeiegenheit. sich in die Kreise der Aristokratie und der haute 
finance einzuführen.“ Das war die sogenannte vierte Periode Len- 
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bacbs. „In dieser Zeit hat Lenbach fieberhaft gearbeitet, um die 
zahlreichen Aufträge, schöne Fürstinnen, junge und alte, Vertreter 
der Geld- und der Qeistesaristokratie ausführen zu können.“ Er hat 
also nicht nur Aufträge ausgeführt, sondern auch schöne Fürstinnen 
und die beliebten Vertreter. Das muß eine Hetz im Prater gewesen 
sein. „Künstlerisch war diese Periode für Lenbach gewiß von 
großem Erfolg und doch war es nicht seine glücklichste. Denn die 
Werke dieser Zeit haben sich, soweit Gelegenheit war es zu be- 
obachten, am schlechtesten erhalten.“ „Um die Bilder zu firnissen, 
scheint Lenbach, wie es auch andere Kollegen der Zeit getan haben, 
noch mehr Trockenmittel und Firnisse gebraucht zu haben, wie 
englischen Kutschenlack, Betnsteinfirniß.“ Doch das kommt davon 
wenn man Bilder lackiert wie geschmiert macht: der Lack suchte 
vergeblich nach seiner englischen Kutsche und platzte vor Wut: 
„Auch die Restaiirierungskünste von Prof. Hauser haben nicht 
vermocht, derartige Schäden zu verdecken.“ Lenbach hatte eben 
den Lack zu dick, übertrieben: „Ungezählte Schichten von Fir- 
nissen, auf Asphaltunterlagen, die nicht trocknen, immer wieder 
mit Lack lasiert und dünn deckfarbig überschummert, lagen auf der 
Leinwand; ungeduldig folgte der Maler dem Trockenprozeß, und 
um dem Besteller zu imponieren, zaubert er in wenigen Tagen, in 
wenigen Sitzungen, das Bild auf die Leinwand.“ Pausen ist keine 
Zauberei und statt Asphalt hätte der Künstler lieber Kopfpiaster 
nehmen .sollen. Was werden nun die Herren Berliner Kunstkritiker, 
die gegen Kunst sind, sagen, wenn sie von zuverlässiger Seite 
hören, Herr Meister Lenbach habe in wenigen Tagen ein Bild auf 
die Leinwand gezaubert. Werden sie nun auch gegen den Meister 
Lenbach sein, der nicht mir noch schneller malte, wie angeblich die 
Futuristen, dessen Kunstschweiß auf dem Asphalt durchaus nicht i 
trocknen wollte und der im übrigen nur Pausen seiner Kunst kannte. * 
In der fünften Periode kam aber Meister Lenbach „zur besseren 
Einsicht“. Nämlich „zur Einfachheit in der Behandlung der techni- 
schen Mittel“. Mit andern Worten, er wurde gegen englischen 

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Kiitsclienlack und „suchte mit Wenigem Viel zu erreichen, indem 
er auf Temperauntermalung ölfarbig vollendete.“ „Der Vorgang 
ist sehr einfach und bestand in dem Anlegen eines Mitteltones, meist 
aus grüner Erde gemischt, der mit etwas rotem Ocker und viel 
Weiß aufgelichtet wurde; einige kräftigere Schatten unter den 
Augen, der Nase, mit etwas Umbra, wenig Zinnober für die Lippen 
genügte dafür. Diese Farbschicht trocknete sehr schnell, mitunter 
in einer Viertelstunde, und dann gab es gleich darauf eine Firnlß- 
schicht, die die Temperauntermalung belebte, und in diese hinein ar- 
beitete er sofort mit Oetfarben, modellierte, glich aus, setzte Lichter 
auf, lasierte tiefere Töne, in den Haaren, im Gewand, Hintergrund 
und — war fertig.“ Jedenfalls eine aufregende Tätigkeit. Und es 
scheint mir garnicht so wenig zu sein, mit dem er viel erreichte. 
Außerdem war der nieue Vorgang auch sehr einfach, das Einfach- 
machen hat sich der Meister Lenbach einfach aus der vierten in 
die fünfte Periode hinübergerettet. Trotzdem muß dieser Vorgang 
aufregend spannend gewesen sein. Wird die Farbschicht auch wirk- 
lich in der Viertelstunde trocknen, damit man sie mit Firniß beleben 
und feste mit Oclfarben hineinarbeiten kann. Und mit welchem 
Temperament der Meister an solch einer Fürstin herumarbeitete, 
schnell einige kräftigere Schatten unter die Augen und die Nase mit 
etwas Umbra, dann ein paar Lichter aufgesetzt, etwas Zinnober, 
aber nicht zuviel, auf die Lippen gelegt, massiert, nein modelliert, 
ein paar tiefere Töne in die Haare und die Fürstin ist fertig. Zum 
Mitnefimen in einer Viertelstunde. Bei sechs Stück Rabatt, im 
Dutzend noch billiger. Aehnlichkeit garantiert, denn der Vorgang 
war wirklich einfach : „Dieses abgekürzte Verfahren erfordert aber 
zu allererst eine feste sichere Vorzeichnung, die Lenbach oftmals 
durch Pausen auf die Maltafel (Pappe, Holzgrund) übertrug.“ Wie 
soll man Zinnober auf die Lippen legen, wenn keine Lippen da sind. 
Diese sogenannte feste sichere Vorzeichnung war eben die Seele 
des Bildes und diese „feste Vorzeichnung konnte durch Tempera- 
farben nicht verloren gehen, sie wurde durch das Eibindemittel 


sogar fixiert, oder wo nötig, in seiner Schärfe gemildert, inUuiiter 
auch ganz überstrichen“. Das ist die sogenannte Idealisierung. 
Die Hecken auf den Fleischpartieen werden gemildert und der 
schlechte Teint schöner Fürstinnen ganz überstrichen. Aber die 
Kontur wurde auch in solch idealistischen Fällen wieder gerettet; 
„Der Firnißüberstrich brachte in seiner Eigenschaft, die Tempera 
zu durchdringen, das heißt Tiefenlicht zu erzeugen, die etwa ver- 
loren gegangene Konturvorzeichnung wieder zum Vorschein.“ Und 
die Pause ist gerettet, sie ist unsterblich. Diese Art des Meisters 
in der fünften Periode wird nunmehr also beurteilt: „Es ist jeden- 
falls die Zeit seiner höchsten Blüte, wo des Meisters Talent als 
Seelenmaler ersten Ranges zur vollen Entfaltung gelangte. In diese 
Zeit fallen jene Meisterschöpfungen, in denen er die größten deut- 
schen Männer in Bildern festgehalten und ihre äußere Erscheinung 
in unvergleichlicher Weise dem deutschen Volk für alle Zeit über- 
liefert hat.“ Das deutsche Volk hat jetzt viele Lenbachs mit und ohne 
Del in allen Straßen wohnen und benutzt die Gelegenheit eifrig, 
sich selbst in Bildern festzuhalten. Auch serienweise und in 
verschiedenen Stellungen. Nur kostet so etwas nicht mehr 50O((fl 
Mark, sondern fünfzig Pfennig. „Vor allem gehört hierher die Serie 
von Bismarckbildnissen.“ Man hat sich immer gewundert, daß 
Bismarck soviel Zeit hatte, sich für tausende Bilder Lenbachs und 
Kollegen Zeit zu nehmen. Aber jetzt weiß nian es .puthentisch. 
Senden Sie mir Ihre Photographie und in drei Tagen erhalten Sie 
in Kreide oder Oel unter Garantie der Aehnlichkeit Ihr Porträt in 
Lebensgröße. Nicht Konvenierendes wird zurückgenommen. Preise 
von 30. — AÄark aufwärts, in Kreide 10. — Mark. Wer von uns hat 
geahnt, wieviel Lenbachs hinter jenen schlichten Reklamezetteln 
stecken mögen, die wir alle versteckt in den Briefkasten gesteckt 
fanden. Jeder Zettel ein Lenbach. Und wie der Künstler, so sein 
Heim. Sein Meisterschüler, Herr Maler Prof. Ernst Berger, be- 
richtet weiter: „Als ich zum ersten Male die Treppe zu Lenbachs 
Atelier emporstieg und an den Wänden wunderbare Marmor- und 

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Broncereliefs, deren Gegenstücke, wie mir in Erinnerung war, im 
Louvre oder irgendwo in Venedig standen, hatte ich eine Art Be- 
klommenheit, denn ich sagte mir, welche Schätze hat der Mann in 
Besitz, der solche Werke erster Güte in seinem Vorraum aufstellt. 
Viel später erfuhr ich, daß diese Dinge nur ausgezeichnete Imita- 
tionen waren, allerdings so vorzüglich gemacht, daß nur durch Ab- 
klopfen mit einem Schlüssel der Gipskern verraten und der wahre 
Wert zum Vorschein kam.“ Also wieder Pausen. Aber manche 
Leute begreifen nie etwas: „Lenbach führte mich mit mehreren 
Bekannten in sein kurz vorher fertiggestelltes Wohnhaus, das 
später Bismarck bei seinem Münchener Besuch beherbergte; im 
untern Vorraum fiel mir eine schreitende Artemis in Terrakotta 
auf und ich bemerkte ihm gegenüber, wo er denn ein so ausge- 
zeichnetes Meisterwerk archaistischer Kunst aufgetrieben habe, das 
doch eine große Summe wert sein müsse!“ Noch immer merkt der 
Maler Prof. Ernst Berger den faulen Kulissenzauber nicht, den 
wenigstens jede Reinemachefrau schon längst durchscheuert hätte. 
Große Verwunderung: „Die Artemis war — getönter Gips.“ Ge- 
dankenstrich. Trotzdem keine Spur von Gedanken: „In dem Prunk- 
raum des ersten Stockes, angefüllt mit Kostbarkeiten früherer Zeit, 
war ein Parkettboden in reichstem Muster und mit den besten 
Hölzern eingelegt zu sehen und Laufteppiche waren gelegt, damit 
diese Pracht geschont bleibe.“ Ich weiß Bescheid. Aber Herr Maler 
Prof. Ernst Berger erst lange nachher: „Ruedorffer sagte mir lange 
nachher, er habe dieses Parkett — mit Oelfarben auf Linoleum aus- 
geführt.“ Gedankenstrich. Dieser Herr Ruedorffer verstand näm- 
lich, wie Herr Prof. Ernst Berger mitteilt, jeden Gegenstand altzu- 
machen. Während Lenbach, der Meister selber, mit englischem 
Kutschenlack arbeitete, verwandte Ruedorffer „um bis zur völligen 
Täuschung für das Auge eine Gipsbüste beliebig in echten Marmop 
oder in glänzende Bronce oder ln eine Majolika ä la Lucca della 
Robbia zu verwandeln, Bierfarbe.“ Noch immer: „Für Ge- 
legenheitsdekorationen wie geschaffen, diente diese Manier 

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aber auch Werken, die als Meisterstücke ersten Ranges 
für kommende Jahrhunderte bestimmt waren, wie zum 
Beispiel der Prunksaal im Künstlerhaus zu München, der 
allgemein als edelste Schöpfung und genialste Leistung 
Lenbachscher Dekorationskunst gepriesen ist. Glaubhaft wird ver- 
sichert, daß er selbst jeden Ton, jede Färbung angegeben und die 
Arbeit kontrollierte. Hier ist alles — unecht, nur fürs Auge altge- 
macht, hergerichtet, der wirklich echte Marmorkamin ausgenom- 
men; da dessen Weiße die feinere Qesamtstimmung zu stören drohte, 
wurde er einfach schwarz überstrichen.“ Man erfährt zu seiner 
Beruhigung, daß sich „solcher Beispiele noch viele in buntester 
Folge anreihen lassen.“ Hierauf begann Meister Lenbach seine 
letzte Periode: „Lenbach war viel zu sehr Eklektiker, um das 
Gute nicht dort zu suchen, wo er für sich Vorteile entspringen sah.“ 
Die Pause wurde auch in die letzte Periode mit hinübergenommen. 
Nur wie es sich für einen fortschreitenden Meister in der letzten 
Periode geziemt, ging er, oder vielmehr sie, die Pause, tiefer, 
nämlich unter den getönten Grund: „Für die jetzt in schneller Folge 
entstandenen Meisterwerke wählte er eine Art der Primatechnik, 
meist auf schon irgendwie getönten Untergrund, und in vielen Fällen 
bediente er sich der Oelfarben, möglicherweise in Mischung mit 
etwas Firniß als Malmittel. Wenn er die Vorzeichnung mittels der 
Pause, wie oben beschrieben, vornahm, so mußte diese jedenfalls 
unter dem getönten Grund angelegt worden sein. Die Striche 
schienen dann noch genügend hindurch, um als Anhalt zu dienen. 
Mit dieser vereinfachten Technik geht Hand in Hand das Aufgeben 
der künstlichen Patina und die übertriebenen Asphaltglasuren der 
früheren Periode.“ Die Striche waren ihm zu einfach, um sie selbst 
bei vereinfachter Technik aufzugeben. Nachdem der Maler Prof. 
Emst Berger keine Wahrheit gescheut hat, um der Unwahrheit 
tiefe Lichter aufzusetzen, folgert er: „Aus der obigen Gesamtdar- 
stellung wird der Leser ersehen haben, wie für Lenbach aus der 
Steigerung der künstlerischen Intentionen und den damit an ihn 

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herantretenden Aufgaben die nötigen technischen Polgerungen sich 
von selbst ergaben. Wie er nach der Zeit der realistischen Natur- 
auffassung dann zur Altmeistertechnik überging, in dieser alle 
Stufen bis zur höchsten Vollendung durcheilte, endlich bei der Ein- 
fachheit der Mittel anlangte, die ihm gestattete, Werke zu schaffen, 
durch die sein Name als Porträtmaler ersten Ranges für alle 
Zeiten erhalten bleiben wird.“ Oder einfacher gesagt: er pauste 
sich vom Asphalt bis zur Tempera durch und die Stufen bis zur 
höchsten Vollendung waren alle von Ruedorffer angestrichen. Wenn 
auch die Bilder Lenbachs sich nicht erhalten werden, so kann diese 
Veröffentlichung seiner Maltechnik noch alle Zeiten zum Lachen 
bringen. Und das ist der einzige Humor davon. 


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Die Vinnen gegen den Erbfeind 

Nach dem Vorbild der Berliner Fresse hat ein in Cuxhaven 
lebender mittelmäßiger Maler namens Carl Vinnen verschiedene 
in Deutschland gebürtige Kollegen seines Fachs nicht zum Malen, 
sondern zum Schreiben aufgefordert. Herr Vinnen ist nämlich 
überzeugt, daß es so nicht weiter geht. Fr schrieb deshalb in 
schlechtem Deutsch zwei Zeitungsartikel, die sdiriftstellerisch und 
inhaltlich nichts bedeuten. Die Fhrfurctit. die die neutschen nun 
einmal vor jedem gedruckten Zeitungsartikel fühlen, veranlaßte 
zahlreiche Maler, in dem gleichen schlechten Deutsch ihre Be- 
wunderung und Anerkennung für die „Tat" des Herrn Vinnen 
auszudrücken. Dies alles wurde unter dem Titel „Hin Protest 
deutscher Künstler“ zusammengestellt und hei Hugen Diederichs 
herausgegeben, nicht ohne daß Herr Vinnen seine beiden Artikel 
zusammenzog, seinem „deutschen“ Protest den Namen Ouous- 
que tandem gab und ihn mit dem Wort „angesichts“ beginnen ließ. 

Herr Vinnen warnt. Hr „ringt“ mit den deutschen Kunst- 
schriftstellern um die „Seele des Volkes“. Die Seele des Volkes 
wird durch französische Künstler infiziert. Das Volk entzückt sich 
an Manet, Cez^nne und van rmgli. Die französischen Bazillen siegen 
über die deutschen Vinnen. Oift schmeckt süß, und das deutsche 
Volk läßt sich nicht mehr halten. Kein Palast ohne van üogh, keine 
Wohnung ohne Cezanne, der Arbeiter verzichtet auf sein Huhn im 
Topf, wenn nur ein Manet von seiner schlichten Wand herunter- 
blickt. Da ist es wirklich die höchste Zeit, zu warnen und zu pro- 
testieren. 

Herr Vinnen beweist die Infektion. Er wendet sich mit Vehe- 
menz gegen die „Feder eines modernen Kunstschriftstellers“. Der 
hat nämlich eine Vorrede zu einem Ausstellungskatalog geschrieben, 
in der er behauptet, daß nicht nur Cezanne, nein auch Henri Matisse 
Einfluß auf die künstlerische .lugend haben. Derartig tiefsinnige 
Analysen haben tneiner Ansicht nach mit künstlerischer Produktion 

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nichts mehr zu tun, bemerkt Herr Vinnen. „Kunst muß „naiv“ ge- 
schaffen werden und nicht durch verstandesmäßige Reflexion.“ Die 
Verbreitung dieses Ausstellungskataloges muß ungeheuer gewesen 
sein. Denn die Seele des Volkes hat ihn aufgenommen und durch 
ihn sind die Künstler in ihrem „naiven Schaffen“ behindert worden. 

Aber Herr Vinnen hat noch mehr Beweise. Nicht nur die Kunst- 
schriftsteller, auch die Snobs, besonders in Berlin, arbeiten an dem 
sittlichen Verderben des deutschen Volkes. Herr Vinnen hält zwar 
van Gogh und Cezanne für Künstler und findet es nur unerhört, daß 
die Snobs für „noch so fragwürdige Bilder dieser Maler“ sich be- 
geistern. Herr Vinnen schafft nämlich nicht nur naiv, er ist 
auch so naiv zu glauben, daß Künstler gelegentlich noch so frag- 
würdige Bilder malen. So ungefähr, wie die Mitglieder des Vereins 
Berliner Künstler, die Schkizzen auf Schkizzen schaffen und 
Schtudien auf Schtudien, bis endlich etwas von ihnen als fertig be- 
zeichnet wird, was sie naiv als Bild bezeichnen. Herr Vinnen er- 
klärt mit durchaus bildhafter Deutlichkeit, wann Snobismus ent- 
steht: „wenn es sich um wirklich hohe Werte handelt, zu denen 
aber dem Bewunderer die Brücke mangel t.“ Also mangels 
einer Brücke können die Snobs nicht zu den hohen Werten hinüber. 
Bleibt nur fragwürdig, was unter hohen Werten zu verstehen ist. 

Aber auch darüber gibt Herr Vinnen Auskunft: „Wenn wir nui 
aber sehen, wie neuerdings in Deutschland für flüchtige Studien 
van Qoghs, selbst für solche, in denen ein Künstler die drei Dimen- 
sionen vermißt, Zeichnung, Farbe und Stimmung, dreissig bis vier- 
zigtausend Mark anstandslos bezahlt werden, wie nicht genug alte 
Atelierreste von Monet, Sisley, Pissaro usw. auf den deutschen 
Markt gebracht werden köimen, um die Nachfrage zu befriedigen, 
so muß man sagen, daß im allgemeinen eine derartige Preistreiberei 
französischer Bilder stattgefunden hat — allerdings bezahlt Frank- 
reich selbst diese Preise nicht — daß hier eine Ueberwertung vor- 
zuliegen scheint, die das deutsche Volk nicht auf die Dauer mit- 

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machen sollte.“ Man erfährt endlich, wo das deutsche Volk seine 
Gelder läßt. Hs kommt ihm auf vierziR Mille nicht an, wenn es 
beim Ausverkauf Monelreste erstehen kann. Das deutsche Volk 
ist aber bei Ausverkäufen Rarnicht so dämlich, trotzdem es Rerii 
Reste kauft. Man kann nie wissen, wozu es Rut ist. Trotzdem darf 
man nicht van OoRhs „flüchtiRc Arbeit“ billigen, die sogar einen 
Künstler die drei Dimensionen vermissen läßt. Die drei Dimen- 
sionen: Zeichnung, Farbe und Stimmung. Hier zeigt Herr Vinnen, 
wie man naiv schafft. Man zeichnet etwas, tut als zweite Dimen- 
sion Farbe drauf und taucht die ganze Chose in Stimmung. Solide 
Arbeit. Feste Preise. Aber das deutsche Volk ist so verjobbert, 
daß es nur noch ramscht. Ihm geht ein Sisleyrest über einen ganzen 
Vinnen. Es hatte schon immer etwas für die vierte Di- 
mension übrig. 

Aber nicht genug damit, daß das deutsche Volk sein kostbares 
Gut, sein Geld, verjuxt, auch sein kostbarstes, sein Gemüt wird ihm 
von den Franzosen genommen. Sie sind nämlich nicht tief. Der 
deutsche Maler denkt und der französische, man sollte es nicht 
für möglich halten, malt. Herr Vinnen sieht hierin eine Gefahr für 
„unser Volkstum“. Zwar ist Herr Vinnen auch in Paris für längere 
Zeit gewesen, um zu lernen, und es liegt ihm fern, „den großen 
5Jutzen der Befruchtung durch die hohe Kultur der französischen 
Kunst auf die unsrige zu leugnen.“ Herr Vinnen will sogar gern 
zngeben, daß „jede Befruchtung ihr Gutes hat“. Die pariserische 
„hat sogar in Berlin eine große Frische gezeitigt“. Aber es kommt 
auf den Eichbaum an. Auf den Eichbaum, das heißt auf das Gemüt: 
„Die Quelle, die in der Wiese sich durch höheren, s a 1 1 e r gefärb- 
ten Graswuchs kenntlich macht, bringt noch keinen 
Eichbaum hervor, und grade darauf kommt es an.“ Ein 
Bild von Vinnen. So etwas entsteht, wenn ein Künstler 
denkt und nicht sieht. Man kann von jeder Befruchtung 
Gutes, aber von der Quelle keine Eichbaumbefruchtung 
verlangen. Sie kann wieder höchstens große Frische zeitigen. 

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Aber gerade auf den Eichbaum kommt es an. Ja, die 
Jugend hat es schwer. Soll sie nun Courbet malen, soll sie 
Cezanne malen, soll sie flüchtig sein wie van Gogh oder schmieren 
wie Matisse. Als nur Düsseldorf existierte, wußte man Bescheid. 
Deshalb bemerkt Herr Vümen: „Unser junger Nachwuchs muß erst 
wieder lernen, daß man nicht im Handumdrehen, ohne Mühe und 
Schweiß, ein reicher Mann werden kann, weder auf materiellem, 
noch auf ideellem Gebiete, daß man auch nicht Schriftsteller werden 
kann, solange man mir und niich verwechselt.“ Aber wenn man 
das nicht mehr tut, Herr Vinnen, ist man noch nicht Schriftsteller. 
Und wenn man Mühe und Schweiß aufwendet, noch nicht Maler. 

„Leibi, Thoma, KÜnger, Böcklin und die meisten andern großen 
Namen ließen ihre Kunst in Paris befruchten.“ Sogar Herr Vinnen. 
Was will der Mann also. 

Nun kommt es. Nämlich zur rein „zahlenmäßigen Frage“. Das 
deutsche Volk kauft Herrn Vinnen zu viel französische Bilder. In 
Posen wurde eine Studie von Monet erworben. Herr Vinnen ist 
außer sich. „Wie soll das Publikum ohne Bindeglieder den ver- 
stehen!“ Warum kauft der Posener Direktor niclit erst zwanzig 
Vinnen, damit die Einwohner sich .so allmählich an den Impressio- 
nismus gewöhnen. Zwar ist der Monet dem Museum geschenkt 
worden. Aber doch irgend wann einmal mit deutschem Geld ge- 
kauft. „Bedenkt man nun die ins riesenhafte gesteigerten Preise, 
so gehen jährlich Millionen der vaterländischen Kunst ver- 
loren. .Man schätze diesen Faktor nicht gering ein. Geld ist oft ein 
befruchtender Regen, auch für den Schoß der Danae Ideal.“ Dies 
Bild sollte Herr Vinnen noch schnell für Posen malen. Das Geld, 
der Regen, die Danae, das Ideal. Es dürfte etwas säch- 
lich ausfallen. Es ist zwar auch nicht vaterländisch, aber grie- 
chisch. Doch es ist gedacht, und auf den Eichbaum kommt 
es an. 

Herr Vinnen jammert, daß w i r den Weltmarkt vollständig ver- 
loren haben. Herr Vinnen vergißt, daß daran nur die Eichbaummaler 

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schuld sind. Zu ausländischen Ausstellungen werden nur sie zuge- 
lassen, und sie verhindern systematisch, daB einmal Maler ge- 
sehen werden. Das Ausland ist nun einmal gegen den Eichbaum. 

Herr Vinnen will den Fortschritt und die Entwicklung; die 
Künstler schreiten nicht fort und entwickeln sich nicht. Abei Herr 
Vinnen braucht den Kopf nicht hängen zu lassen. Er ist bei seinen 
Bildern eingeschlafen, an der Mühle oder im Walde, und hat am 
Eichbaum geträumt. Das deutsche Volk verhöhnt van Gogh und 
Cczanne, die deutsche Presse lacht mit Vinnen, der deutsche Hof 
kauft Düsseldorf, der deutsche Snob Böcklin. Die Berliner Kunst- 
kritik ist gut mittelständig gesinnt. Und die zwanzig Leute in 
Deutschland, die van üogh und Cczanne kaufen, lassen sich weder 
durch eine internationale Händlerbande, noch durch die Proteste 
sämtlicher deutscher Vinnen ahhalten, ihr Geld für das auszugeben, 
was ihnen gefällt. Die zwanzig Leute werden sicher gerührt sein, 
wie väterlich Herr Vinnen um ihr Geld besorgt ist. Aber sic dürften 
sich nicht einmal ein Bild von ihm schenken lassen. 

Zu dieser Vinnensauce haben zahlreiche Maler ihren Senf ge- 
geben. Bei Wenigen begreift man es nicht. Ihnen scheint die 
neue Tatsache des Schriftstellertums eines Kollegen die Sinne ge- 
trübt zu haben. Nach dieser Bewußtseinsstörung zogen sie auch 
unter lebhaftem Bedauern ihre Zustimmung zurück. Und zwar in 
der Broschüre „Die Antwort auf den Protest deutscher Künstler“, 
die leider noch den schönen Ohertitel „Ini Kampf um die Kunst“ 
führt. 

Man kann aus der Namenlistc der beiden Broschüren bequem 
feststcllen, wer von den Malern zur denkenden und wer zur 
malenden Gruppe gehört. 

Professor von Stuck findet den Artikel von Vinnen „ausgezeich- 
net, ich stimme Ihnen vollkommen bei und wüßte nicht, was ich 
Ihren Worten noch hinzufügen sollte.“ Der Ritter von Stuck hat 
Recht. Seiner Zustimmung ist nichts hinzufügen. 

Thomas Theodor Heine begrüßt die Elugsehrift des Herrn 

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Vinnen mit „riesiger Freude“. Die Kunst seine Malerei nicht. Der 
Simplizissimus findet den Anschluß an die Fliegenden Blätter. 

Herr Professor von Volkmann kann nur „kurz und bündig“ 
erklären, daß er Herrn Vinnen „voll und ganz“ zustimmt. 

Herr Professor Fritz Erler „weist auf den Ernst der Lage 
hin“. Er findet, daß die heimische Produktion verkümmert. Er 
sollte nicht so auf das eigene Beispiel hinweisen. Er erinnert an 
eine Ausstellung japanischer Maler, „die ihr heimisches Künst- 
lerblut dermassen verleugneten, daß ihre Arbeiten toten 
farblosen Larven glichen, aus denen der bunte Schmetterling 
Volksseele längst entwichen.“ Aber an dem Erler hat er sich 
totgestossen. 

Herr Freiherr von Ostini schließt sich „begeistert" Herrn 
Vinnen an, er schreibt von den pathologisch s t e n Bildern aus van 
Qoghs Irrenhauszeit, von den weggestellten Experimenten aus dem 
Nachlaß von Cezanne. von dem „drüben“ längst nicht mehr ernst 
genommenen Matisse. Er beklagt das deutsche Geld, das „der 
Pariser Kunstgaunerei in den Rachen geworfen wird“. Er findet 
„es verdammt leicht, wie van Gogh, Signac und Cezanne zu malen. 
Aber verdammt schwer, mit Böcklinscher Tiefe in die Natur zu 
sehen.“ Er findet es „hoch an der Zeit, sich dagegen zu wehren, daß 
die Mittel, die der deutschen Kunst auf die Strümpfe helfen könnten, 
in die Taschen internationaler Kunstjobber iliessen. Die Kunst, 
die gehen und stehen kann, kommt schießlicli auch ohne 
Strümpfe aus. 

Herr Fritz Stahl bekräftigt die Aiiscliauungeti des Herrn 
Vinnen. Man hat nie daran gezweifelt. 

Und das deutsche Volk, um dessen Seele so heftig gekämpft 
wird, sitzt indessen ruhig bei Asdiinger oder Kempinski, cs fällt 
ihm garnicht ein, sich aufzuregen. Wenn cs schon mal eine Mark 
für einen Ausstellungsbesuch ausgibt, so lacht es sich für sein 
Eintrittsgeld voll. Und da das Lachen sehr gesund ist, kommt es 
reichlich auf seine Kosten und zu neuem gesegneten Appetit. Die 

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deutschen Kritiker zahlen keine Mark und leben von den faulen 
Witzen über Künstler. Die Vinnen sind von ihnen stets würdisr und 
ernsthaft behandelt worden. Warum wird also protestiert? Die 
Herren Protestler sollen sich doch nicht einreden, daß das 
deutsche Volk überhaupt Bilder kauft, weder geträumte noch ge- 
malte. Und das deutsche Volk hat Recht. Denn die Gedanken und 
die Tiefe und das Gemüt, das alles findet es in seiner Zeitung. 
Warum soll es sich um die Farbe kümmern, da es doch nicht 
einmal die Kunstmaler tun. 


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Abwehr 


Es ist eine logische Folge der liberalen und sozialistischen Welt- 
anschauung, den Künstler nicht zu lieben. Der Künstler als Persön- 
lichkeit drückt das Niveau der NiveHierung. Die Menschen sollen 
allgemein, gleich und direkt sein. Der Künstler kann nur durch das 
Gegenteil entstehen und bestehen. Mit erheblicher Sicher- 
heit treten die sogenannten besseren Kritiker jetzt für 
Cezanne, Daumier und van Oogh ein. Sie erkennen sie 
schlicht an. Sie nennen sie sogar Meister. Absolute Klas- 
sikerehrung. Aber mit derselben Sicherheit treten sie gegen Künst- 
I 1er der.selben Qualität, zum Beispiel gegen Oskar Kokoschka 
lind Umberto Boccioni auf. Spaß muß sein. Wer keinen 
Kunstin.stinkt besitzt, muß seinen Erwerb in der Kunstwissenschaft 
suchen. Der ganz kopflose Herr Breuer behauptet, daß die Werke 
von Boccioni zumeist nur durch einen Kommentar verstanden wer- 
den können. Das soll heißen; von Herrn Breuer. Er hat sich offen- 
bar in der Stunnaiisstellnng der Futuristen für sechzig 
Pfennig den Kommentar gekauft und versucht nun, die 
Bilder zu „verstehen“. Wer zur Knnst erst Kommentare braucht, 
sollte wirklich nicht den Kommentator spielen. Diese Weisheit kann 
sich das Publikum für sechs Groschen selber kaufen. Kommentare 
zu erklären ist noch einfacher, als Bilder nicht zu verstehen. Lieber 
sich versehen, als verstehen wollen. Der namhafte Kritiker, der 
mir in der Ausstellung vor dem Bilde eines Eisenbahnzuges ent- 
zückt von den glänzend gemalten brandenden Wogen sprach, 
kommt mit größerer Geschwindigkeit zum Ziel, als wenn er das 
I Meer „verstehen“ wollte. Sehen kann man lernen. Das Verlernen 
I des Verstehens, des rationalistischen Denkens, scheint unmöglich 
zu sein. Man sieht, schreibt Herr Breuer, das alles ist recht harmlos. 
Nur, daß Herr Breuer nicht harmlos ist und nicht sieht. Herr Breuer 
behauptet weiter, daß die Manifeste der Futuristen zuerst gelesen 
werden müßten, ehe die Bilder betrachtet werden können. Wo 

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steht dieses Gesetz? Leider liest das Publikum die Kritiken eher, 
als es die Bilder betrachtet. Dagegen müßte von Kunst wegen 
eingeschritten werden. „Eine Empfindung, losgelöst vom Körper- 
lichen, vermögen wir uns nicht vorzustellen; wie sollten 
wir sie dann gestalten können.“ Ein Denkfehler: das kleine Ich 
des Herrn Breuer verbirgt sich hinter einem großen Wir. Na- 
türlich kann der Ichmann sich die Empfindung, losgelöst vom 
Körperlichen, nicht vorstellen. Er kann sogar nicht einmal das Kör- 
perliche gestalten. Denn Natur kopieren heißt nicht Kunst gestal- 
ten. Das Körperliche ist in jeder Kunst nur das Skelett. Der ganze 
übrige Organismus wird erst durch ihre Kraft geschaffen. Herr 
Breuer muß über sich Bescheid wissen, wenn er sich für einen 
Knochenmann hält. Die Unfähigkeit zur Vision spricht nicht gegen 
die Vision, höchstens für die Unfähigkeit. „Ebensowenig kann man 
eine Bewegung malen, ohne Gegenstand, an dem, oder 
durch den sic geschieht.“ Nur, daß es nicht auf den 

Gegenstand, sondern auf die Bewegung ankommt. Denn 
die Bewegung ist das Lebendige. Durch . Nachahmung 
der Natur entstehen auf den Bildern Leichen, Kadaver oder 
photographierte Ansichten. Die Mittel der Natur sind andere wie 
die Mittel der Kunst. Warum vermanschen gerade die Rationalisten 
mit der Bo.sheit der Konstanz die Begriffe. Wer frische Luft braucht, 
soll spazieren gehen. Wer baden will, soll dazu nicht in eine Kunst- 
ausstellung rennen, sondern in das Haus nebenan. Wer Bedürfnisse 
hat, soll sie sich nicht von anderen befriedigen lassen. Und wer 
das Körperliche, losgelöst von der Empfindung, sucht, gehe ins 
Leichenschauhaus oder ins Panoptikum. Nur diesen Effekt erzielen 
die Maler, die beim Bilde vom Körperlichen ausgehen, statt von der 
Empfindung. I^ben ist alles. Leben ist Bewegung. Der Künstler 
gibt den Gegenständen die Bewegung. Der Künstler kann zwar 
Herrn Breuer nicht zur Kunst erziehen (das Erziehen ist eine bür- 
gerliche Angelegenheit), aber er kann unter Umständen aus Herrn 


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Breuer ein Kunstwerk machen. Auch Totes kann und muß durclr 
Kunst bewegt werden. 

Herr Karl Scheffler hat sich auch über die Futuristen geäußert. 
Zur Orientierung über diesen besseren Kritiker muß man 
wissen, daß Herr Scheffler „Oskar Koboschka an Klimt 
orientiert“ findet. Ferner hält Herr Scheffler Dichtung für eine 
„Ideenkunst“. Herr Scheffler stützt gedankenvoll sein Haupt, denn 
schon sieht er die Qedankenmalerei sich wieder her vord rängen. 
Beweis: die Titel der Bilder. „Die Titel: ,J3er Abschied“, „Die 
Macht der Straße“, „Die Erinnerung einer Nacht“, sind Novellen- 
titel, wie man sieht.“ Herr Scheffler scheint so mit dem Lesen des 
Katalogs beschäftigt gewesen zu sein, daß er vor lauter Erklärun- 
gen die Bilder nicht gesehen hat. Die Erklärungen sind doch natür- 
lich nur für den ganz Gebildeten bestimmt, der absolut nichts 
„erkennen“ kann. Konnte man ahnen, daß Kritiker den Katalog statt 
der Bilder kritisieren. Was müßte Herr Scheffler nicht gegen die 
Bildertitel „Das Frühstück im Freien“, „Das Urteil des Paris“, „Die 
Pflege der Wissenschaften am Hofe von Urbino“, „Die Eroberung 
von Tunis durch Kaiser Karl den Fünften“, „Der Jugendbrunnen“ 
einwenden. Er tut es aber nicht, da sie von verstorbenen Meistern 
„erdacht“ worden sind. Herr Scheffler findet die Futuristen total 
talentlos, behauptet, daß unsere modernen Künstler ihre 
diskutierbaren Absichten längst verwirklicht haben, und nennt als 
Beispiel Carl Strathmann und Martin Brandenburg. Wenn Herr 
Scheffler diese beiden Herren auch nur für talentvoll hält, möge er 
bei seiner Meinung bleiben. Unver.schämt aber finde ich folgendes: 
,JDas Bedenklichste ist: sie wirken intellektuell unehrlich. Ihre 
Kunst stellt sich dar als ein unlauterer Wettbewerb. Bei allem zur 
I Schau getragenen Enthusiasmus wittert man zwischen den Zeilen 
ihres Programms Neid und andere unreine Instinkte. Sie sind nicht 
Fanatiker der Wahrheit, wie sie sagen, sondern Fanatiker des 
lauten Erfolgs um jeden Preis. Nicht jugendlicher Sturm und Drang 
steht hinter ihrer Malerei, sondern ein recht übles Menschentum.“' 

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Wenn Herr Scheffler besser wittern könnte, wenn Herr Schefflet 
Instinkte besäSe, und wären es auch mir „unreine“, so würde ihm 
ein übles Menschentum in nächster Nähe auffallen. Bilder, die er 
nicht fassen kann, möchte er am liebsten in seine Moralkiste mit 
Hilfe der Naturalisten (O. m. b. H.) stecken lassen. Aber Herrn 
Scheffler fehlt nicht nur die körperliche, auch die geistlKe Kraft. 
Seine Kritik wirkt intellektuell unehrlich. „Es vergeht kein Tag, 
daS ich nicht einige Male gefragt werde: was halten Sic von den 
Futuristen? Merkwürdig, noch nie hat jemand von mir zu wissen 
verlangt, was ich vor Rembrandts Werken empfinde.“ Ich bin 
nicht neugierig, aber das möchte ich wissen, Herr Scheffler. 

Herr Robert Breuer ist in Raserei verfallen. Ihm blieb 
nur soviel Besinnung, die Zeitschrift Der Sturm als Ver- 
anstalterin der Ausstellung der Futuristen nicht zu nennen. 
Aus Furcht, daß seine Leser sich über die kritischen Fähigkeiten 
ihres Herrn Breuer unterrichten könnten. Der Unglückliche schreit 
seine Wut in alle Provinzzeitungen von Weimar bis Hamburg. 
„In den guten Zeiten des finsteren Mittelalters hätte man solche 
B Q r s c h 1 e i I) in die Jahrmarktsbuden oder in ein Halseisen ge- 
steckt.“ „Wir haben Besseres zu tun, als dauernd titanischen 
Lausbüblein das Vergnügen des Ansturms und 
der Analyse zu bereite n.“ Warum tut Herr Breuer nichts 
Besseres? Wer zwingt ihn, sich über Dinge zu äußern, die ihm auf 
den Kopf fallen. Aber Herr Robert Breuer tut Besseres. Ich entdecke 
eine Zeitschrift „Der Kunstgewerbezeichner“, schlage sie auf und finde 
einen Beitrag des Herrn Robert Breuer: „Der Lehrer als Organisa- 
tor: „Mit dem. was die Natur wachsen läßt, wird nicht vorsichtiger 
noch klüger umgegangen. Festnageln heißt die Parole. Mi t - 
ten durchs Herz werden die Nägel getrieben. Der 
Natnrunterricht aber kann nur Wahrheit und Leben .schaffen, wenn 
er anleitet : die Logik, den fruchtbaren Geist der gewachse- 
nen Formen zu erfassen, das Gesetz der Verhältnisse, die Un- 
bedingtheit der Tektonik und der Struktur. Und nicht minder den 

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Geschichtsunterricht, er will darauf hinaus: in neuen Materialien für 
neue Zwecke Dinfce von jener Vernunft und Schönheit zu schaffen, 
die das Alte ehrwürdig machen; er will darauf hinaus: die Welt 
der Gegenwart so tief und rein zu erkennen, wie die Babylonier 
und Griechen die Welt ihrer Tage erkannten. Studieren heißt nicht 
stehlen, begreifen nicht auswendig lernen. Es gilt, den Geist, der 
hinter den Formen steht, zu erfassen. Die Sinne sollen denken 
lernen.“ Oder: „Nicht jeder Schüler kann das leisten, was das 
Reglement fordert: das bedeutet aber nicht im entferntesten einen 
.Mangel an Begabung. Die von den Unterrichtsbeamten zu ge- 
schnittene Uniform ist für die Mittelmäßigkeit 
berechnet. Der weise Lehrer geht nicht von dem Stundenplan 
sondern von den Schülern aus; er sucht vor allem zu erfahren: mit 
wem er es eigentlich zu tun hat. Es ist notwendig, die schwachen 
und starken Anlagen aufzudecken und den Schülern bewußt zu 
machen. Wie ein Stahlbad wirkt eine solche Ehrlich- 
keit. Durch das ewige Vorpredigen einer bestimmten Unzuläng- 
lichkeit wird der Novize gelähmt, wird er oft zu entmutigt, die 
besonderen Keime, die in ihm ruhen und die allen Mangel zehnfach 
wett machen, nach Herzenslust zu entfalten. — Gewiß, auch 
schwache Gaben wollen gepflegt sein, Uebung stärkt. Har- 
monie des Könnens nützt der speziellen Stärke. 
Aber wichtiger als die Harmonie ist der Charakter, und der Charak- 
ter ist determiniert. Die wichtigste Pflicht des Lehrers ist es: den 
Charakter des Schülers zu entdecken und als ein Heiligtum zu 
achten.“ 

Ja, Harmonie des Könnens nützt der speziellen Stärke. Wie 
ein Stahlbad wirkt eine solche Ehrlichkeit. Festnageln heißt die 
Parole. Wir können nichts Besseres wünschen, als dauernd 
für titanische Lausbüblein uns das Vergnügen 
des Sturmes und der Analyse zu bereiten. 

Die alldeutsche Zeitung „Die Post“ sieht durch die Ausstellung 
natürlich das gesamte deutsche Reich gefährdet. Mutvoll schickt 

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sie ein Weibchen, das früher Modenberichte sclirieb, zimi Kampfe 
vor: „Inmitten unserer stolzen TierKartenpracht, jjerade da, wo 
die gesundesten Naturkräfte mit stolzer Gewalt aus dem Erd- 
boden quellen, macht sich diese fäulniserregende Oesellschaft breit“ 
Hoffentlich halten es die Hüunie aus. „Mit der böswilligen Absicht 
Gesunder soll man kämpfen, weil irregeleitete und vom Wege ab- 
gekommene Menschen immer noch Aussicht bieten, gerettet und 
erhalten zu werden.“ Nach der Aussiclit auf den Tiergarten die Aus- 
sicht auf das Magdalenenstift. Nein, dieses Weib, kein Engel ist so 
rein: „Aber jene, die ihren Körper in Nachtlokalen verwüsten, Män- 
ner, die durch einen sinnlosen Lebenswandel zu verriickteu 
Weibern werden, die aus ihrem Verfall noch ein paar Groschen für 
ihren Absinth verdienen wollen, die kann man nur mit einem kräf- 
tigen Faustscblag sich vom Leibe halten." 

Aber, mein Fräulein, man will Jhnen ja gar nicht zu Leihe. 
Sie bieten keine schönen Aussichten, und der kräftige Faustschlag 
geht nicht von Ihnen aus. Denn: „Und da selbst den Verrücktesten 
auch einmal sekundenlang Klarheit beschieden ist. so findet sich in 
dem tollen Flugblatt dieser Gesellschaft ein geradezu befreiender 
Satz; „ . . . Wollen wir . . . den Faustschlag preisen.“ Man sieht, 
die Leutchen sind an derbe Traktätchen gewöhnt.“ Das Fräulein 
hat sich noch nicht an seinen neuen Beruf als Kunstkritikerin ge- 
wöhnt, es denkt noch immer an das Magdalenenstift. Man sollte 
es mit Herrn Scheffler in dieselbe Moralkiste packen. Vielleicht 
wird ihm dann das Unzulängliche — Ereignis. 


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Die Denunziation als Rettung 

Folgendes Schriftstück ging ein: 

Dr. Hermann Felix Wirth 
Lector an der Universität 
Berlin-Steelitz. Kleiststr. 33 III 

An die 

Redaktion der Wochenschrift „Der Sturm“ 

Folgende Eingabe wurde heute mit dem beigefügten .JWanifest“ 
der s. g. „Futuristen“ — von mir dem Herrn Polizeipräsidenten von 
Berlin unterbreitet. 

Dr. H. F. Wirth 
Steglitz, 25. April 1912 

An den 

Herrn Polizei-Präsidenten von Berlin 
von Jagow 

Euer Hochwohlgeboren! 

Anbei beehre ich mich, Euer Hochwohlgeboren folgendes auf 
der Potsdamerstraße heute verteiltes Flugblatt zur näheren Kennt- 
nisnahme ergebenst zu unterbreiten. Als Ausländer, der die sitt- 
lichen Qualitäten des preußischen Staates und seine Organisation 
hat kennen und bewundern lernen, befremdet es mich im höchsten 
Maße, einen solchen Unfug, der nur eine Spekulation ist auf die 
niedrigen Instinkte eines gewissen Teiles der Qroßstadtbevölke- 
Tung, geduldet zu sehen, und ist mir solches nur erklärlich in 
der Annahme, daß an zuständiger Stelle von dem Treiben dieser 
betreffenden Elemente nichts bekannt ist. 

Ich habe mir erlaubt, einige der inkriminierten Stellen 
zu unterstreichen und glaube im Namen Aller zu sprechen, denen 
Sitte, Gesittung und Tradition noch etwas gilt, wenn ich Euer 
Hochwohlgeboren bitte, diesem groben Unfug ein Ende bereiten 
und ihren „geistigen“ usw. Veranstaltern das Handwerk legen zn 

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wollen. Es handelt sich hier um eine mit übelen sensationellen und 
destruktiven Tendenzen arbeitende Wochenschrift, die sich den 
Namen „Der Sturm“ b e i g e 1 e g t hat, aber nach dem heute von 
ihr verbreiteten ,JVlanifest“ entschieden zu der Kategorie der 
Schundliteratur gerechnet werden muß. 

In schuldiger Ehrerbietung 
Dr. Hermann F. Wirth 
Lector an der Universität Berlin 
• 

Weder der Name noch die Inversion bestätigen den Ausländer, 
der Stellen „inkriminiert“. Die Denunziation ist im übrigen so 
schmierig, daß man diesem Wirth nicht einmal die Rechnung 
machen kann. Man darf dem Land höchstens in schuldiger Ehr- 
erbietung Glück wünschen, dessen sittlichen Qualitäten dieser Aus- 
^der lästig fällt. 


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Lexikon der deutschen Kunstkritik 

Zusammengestellt aus Zeitungsberichten über den Herbstsaloii 

Anödimg des Publikums / Verhöhnung des Philisters / Unfähige 
Akademiker ; Nichtskönner ; Anniaßliche Theoretiker / Neuigkeits- 
jäger I Bunthäutige Tölpel , Neger im Frack Hottentotten im Ober- 
hemd / Horde farbespritzender Brüllaffen Tollwütige Pinseleien I 
Kaffeehausliteratur I Farbenkrämpfe / Ideenkopfstände , Tollste Ver- 
rücktheiten I Qriffelversuche des kleinen Fritzchens i Kirmes- 
schützenscheiben / Krankhafte Erscheinung / Sciieußlicher und 
lächerlicher Klumpen I Scharen von anspruchsvolle4i Toren / Fatz- 
kereien / Dick aufgetragene Flecken schlechter Farbe I Malboto- 
kuden / Hexensabbath Ästhetische Qigerl / Gellende Clown- 
sprünge t Qrößendünkel Neger im Zylinder / Säuglinge im Frack / 
Neueste Kunsterkrankung / Praß von Talentlosigkeit Manager- 
naturen / Bastardtalente Banause / Verworrenheit der Psyche I 
Wahnwitzige Gebilde der Phantasie ' Moden ohne Entwicklnngs- 
möglichkeiten Hohlheit der technischen Spielereien / Umgekehrte 
Philisterseele / Gemalter Wahnsinn / Bluff / Unsumme von Lächer- 
lichkeiten / Blöde Schmierereien i Gemäldegalerie eines Irrenhauses 
I Neue Wahnsinnsuniformen i Züchtung des Allerhäßlichsten ! Taum- 
ler aus Unfähigkeit / Kitschideen / Kasperletheater ' Sensationsgier 
ästhetischer Roues / Panoptikumsspektakel 


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Die Presse und der Herbstsalon 


Eine Geceoäberstellune 

Frankfurter Zeituns 

Es wird die Vorstellung erweckt, 
als ob es in dieser AusstellunK 
etwas zu sehen gäbe von den Ent- 
wicklungsfortschritten. Nie war 
eine PrStention anmaBender, nie 
weniKer begründet. 


National-Zeitung 

Es ist heute keine Frage mehr, 
daB die Kräfte, die hier an der Ar- 
beit sind, bestimmt sind. Anregun- 
gen und Ausgangspunkte für die 
Wege zu geben, die die Kunst der 
Zukunft einst gehen wird. 

Casseler Allgemeine 
Zeitung (Herr Robert Breuer) 

Ernsthafte Leute werden mit 
dieser Ausstellung sehr schnell fer- 
tig sein; es gibt da gar kein Pro- 
blem. es gibt nur Bedauern und 
Lachen. 

Herr Fritz Stahl 

Gegen die Zumutung, diese 
Fatzkereien als Kunst auch nur ne- 
gativ zu behandeln, gibt es keinen 
ernsten Protest mehr. Wir lachen. 

Vorwärts (Wieder Herr Robert 
Breuer) 

Man braucht nur die Titel all 
dieser tollwütigen Pinseleien zu 
lesen, um zu wissen, daB es sich hier 
wirklich nicht um Malerei, sondern 
um Kaffeehausliteratur handelt. 


Dresdener Neuste Nach- 
richten 

Der Tag. an dem der erste deut- 
sche Herbstsalon eröffnet wurde, 
darf als historisches Datum gelten. 
Es hat etwas Überwältigendes, all- 
überall Kämpfer und Vertreter der 
neuen Prinzipien am Werke zu 
sehen. 

Hamburger Nachrichten 
Es ist in der Tat grober Unfug, 
diese Unsumme von Lächerlich- 
keiten. von blöden Schmierereien. 
Man glaubt aus der Gemälde- 
galerie eines Irrenhauses zu kom- 
men. 

Vorwärts (Derselbe Herr 
Robert Breuer) 

Es ist eine Kunst der Extreme 
.... Es wäre dennoch eine schwere 
Befangenheit, sie, wie das neulich 
Meier-Gräfe tat, für toll und dilet- 
tantisch zu erklären. 

National-Zeitung 

Daher sei man vorsichtig, ehe 
man neue Kunstformen verurteilt 
oder gar bespöttelt, wie es viel- 
fach leider Sitte ist. 

Hamburger Nach rieh ten 
Weiter heiBt es. „Komposition“. 
— Dann wieder „Kontraste“ oder 
„Mystisches Bild“ oder „Improvisa- 
tion“, zuweilen auch bloB Bild 1, 
Bild 2, Bild 3. Man spürt, wie 
schwer es den Malern geworden ist 
ihren Bildern Bezeichnungen zu 
geben. 


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Deutsche Taiteszeitung Volks z eitune 

Hier aber sind die Talentlosen TäuschunRen sind ausReschlos- 
in Reihe und Glied aufgestellt. sen. Diese „Jüngsten“ sind keine 

Revolutionäre; gereift und abge- 
klärt, aber reichlich exzentrisch 
sind die Meisten. 

Vossische Zeitung Volks?, eitung 

Man sieht, es lohnt nicht den . . . Ausstellung ist das weltans 
Besuch. interessanteste, was man in der 

letzten Zeit an Kunstausstellungen 
sehen konnte. 


Ran 

Nun. dachte ich. kann niemand 
in .ä.ä Minuten ein bestauntes Bild 
schaffen, noch Werke von der 
Tiefe eines D e 1 a u n a y in einer 
Saison täuschend nachtnachen. 


Herr Fritz Stahl über 
Kandinsky 1912 

Der Reiz bleibt rein optisch und 
wird im Vergleich mit dekorativen 
Arrangements durch die Gewalt- 
samkeit der willkürlichen Linien 
überdies gestört. In dieser Wirkung 
steht aber der Aufwand eines 
großen Bildes in lächer- 
lichem Kontrast. Die kann 
man auf einem Läppchen Papier 
erreichen. 

Leipziger Tageblatt 

Chagall verfügt über eine 
Glut der Farbe und einen Schwung 
der Phantasie, die mitrelBen selbst 
wenn man sich ungern solchen 
Schwärmereien hingibt. 

B. Z. am Mittag 

Die Tierbilder von Franz 
Marc gehen einen Schein weiter 
zu leidenschaftlichen Kompositi- 
onen, die Phantastisches mit großem 
Griff erblicken. 


Vorwärts (Immer wieder 
Herr Robert Breuer) 

Oder Herr Delaunay. Er 
zeigt uns die Sonne in vier ver- 
schiedenen Fassungen. Aber was er 
gibt, sind Schützenscheibenbilder, 
wie trunkene Dorfburschen sie fa- 
brizieren. 

Herr Fritz Stahl über 
Kandinsky 1913 

Ich empfinde bei dem Anblick 
solchen Bildstückes (von Kandin- 
sky) einen so anregenden und be- 
friedigenden Genuß, daß es mir 
genug als Kunstwerk wäre. ... Er 
(Kandinsky) ist ein Genie der 
Farbe. 


Vossische Zeitung 
— wo solche Scherze zu sehen 
waren, wie Marc Chagalls 
einer schönen alten Miniatur 
schlecht nachgekOnsteltes Kreuzi- 
gungshild. 

Hamburger Nachrichten 
. . . ebenso unverständlich wie die 
apokalyptischen Wölfe von Franz 
Marc. 


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Berliner Börsencoiirier 
Alfred Kiibin macht seine dämo- 
nisch - metaphysischen Zeichnungen 
ohne jeden Nachdruck, 

Berüner'Börscncourier 
Plötzlich sieht man ein paar 
indische und ja-anischc 
Bilder, die alle Futuristen beschä- 
men. 

Leipziger Tageblatt 

Paul Klee zeigt Zeichnun- 
gen, die sich in dem Tiefsinn 
der Kindeszeichnungen geschult 
haben. 

Berliner Allgemeine 
Zeitung 

Rousseau, aus dessen bis ins 
Kindliche vereinfachter Manier eine 
feine seelische Vertiefung spricht. 


Berliner L o k a I a n z e i g e r 
Alfred Kubln. jenem bekannten 
Diaboliker. der zu einer immer ver- 
tiefteren Form gelangt. 

Leipziger Tageblatt 

Bedauerlich sind dagegen die 
Proben der ndischen und 
chinesischen Malerei, die 
man hier sieht. 

Berliner Börsen Courier 
Paul K I e e ist derjenige, der 
das Gerücht von den Max- und 
Moriiz-Zeichnungen verursacht hat. 


Casselcr Allgemeine 
Zeitung (Schon wieder Herr 
Robert Breuer) 

R o u s s a u, ein harmloser, ehr- 
licher Dilettant. 


Btsprechungtn über den Ersten Dentscben Herbstsalon .Der Stnnn“ 1913 


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Nachrichtung 

Das ist das Ende. Mit der BesprecliiiiiK des Ersten Deutschen 
Herbstsalons liaben sich diese namhaften Kunstkritiker selbst ge- 
richtet. Lieber Tote soll inan nur Gutes reden. Sie haben sich 
ausgeschimpft und ausgeschrien. Ich hätte ihnen so gern ein Stück- 
chen Natur noch gegönnt, ein trautes Plätzchen an der Sonne, 
Herrn Robert Breuer insbesondere sogar ein Häuschen des Werk- 
bundes. Zu spät. Sic liegen leicht plattgedriickt auf dem schönen 
Rasen, der ihnen Kunst ist, atemlos, tot. Aber gedacht soll ihrer 
werden. Man braucht sich nicht mehr nach Griechenland zu be- 
mühen, der bekannte Herr Herostrat braucht nicht mehr zitiert 
zu werden, wir haben jetzt reichlich von der Sorte. Da war der 
gute Fritz Stahl. Ein Ehrenmann. Nichts Schlechtes kann ihm nach- 
gesagt werden. Mein Gott, er verstand nichts von Kunst. Das ver- 
stehen viele andere Leute auch nicht und sind trotzdem nützliche 
Glieder der menschlichen Gesellschaft. Er kannte, wie jeder andere, 
seinen Raffael und seinen Rembrandt, er wußte, wie tioethe aussah. 
Er wußte sogar, daß Henri Rousseau ein Dilettant war. Er hatte, 
wie viele andere, ein schlechtes Gedächtnis für Hausnummern, das 
bei ihm allerdings fast krankhaft anmutete. Aber schließlich sieht 
feder Mensch beim Sturm .schlechter. Da der Sturm nicht gemalt 
wird, der Sturm ist dazu nicht natürlich genug, wurde er von Fritz 
Stahl nie entdeckt. Er schlug ihm außerdem in die Augen. Manche 
Menschen können sich eben keine Hausnummern merken. Vor 
allem nicht schwere Nummern. Es leuchtet mir ohne weiteres ein, 
daß Fritz Stahl unsere Ausstellung von der Königin-Augusta- 
Straße 51 nach Nummer 50 verlegte, versetzte oder verdruckte. 
50 merkt sich besser. 75 kan n man sich nicht merken. Darum 
verlegte, versetzte oder verdruckte Fritz Stahl den Ersten 
Deutschen Herbstsalon nach Potsdamerstraßc 76. Diese Nummer 
ist einleuchtend, leicht zu merken, leichter als 75 und die Eins, die 
er früher genommen hat, zahlt er jetzt zurück. Außerdem ist dort 

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ein Bauplatz, auf dem er im Frühling wieder das Qras hätte 
wachsen hören können. Nun liegt er auf dem Rasen. Was wäre 
geschehen, wenn er die jetzige Nummer der ständigen Ausstellun- 
gen des Sturms, 134a, sich hätte merken müssen. Herr Stahl hätte 
sich gern ein x für ein a vorgemacht und die Nummer hätte selbst 
ihn in phantastische Erregung gebracht. Nur einen Schmerz 
habe ich dem toten Mann angetan. Ihm ist das Lachen von den 
„Wortführern der Zukunftskunst“ streng verboten worden. Er war 
eine sonnige Natur und wollte lachen. Nun ist es zu spät. Ihm hätte 
ich ausnahmsweise gestattet, zu lachen, sich schiefzulachen, sich 
totzulachen. Er hat sich totgeschimpft. Er war ein Ehrenmann, 
nehmt alles nur in allem. Und sein Nachlaß wird uns oft noch 
Cielegenheit geben das zu tun, was ihm verboten war; zu lachen. 
Mit ihm verschied für die Kunst Herr Professor Oskar Bie. Es 
bleibt erstaunlich, daß ihn die Langeweile seiner Neuen Rundschau 
so lange mobil erhielt. Er besaß alle Tugenden, dieser Professor. 
Er begeisterte sich für die Musik und half Richard Strauß entdecken. 
Er begeisterte sich für den Tanz und legte die leichteste Bewegung 
in dicken Worten fest. Er begeisterte sich für die Malerei und war 
farbenblind. Es soll damit dem Verunglückten kein Vorwurf ge- 
macht werden. Farbenblindheit ist eine Krankheit und über Krank- 
heiten ist nicht zu spaßen. Dabei liebte er die Farben, wie ein 
Tauber die Musik. Noch kurz vor seinem Abschied besuchte er den 
Ersten Deutschen Herbstsalon. Er freute sich nicht über die Bilder, 
aber über den anwesenden Maler Delaunay: „Da ist Herr De- 
launay. Er sieht so nett aus, im braunen Anzug, auch das Westen- 
futter ist braun.“ Nun trug Herr Delaunay zwar einen roten 
Anzug, auch das Westenfutter war rot. Aber braun ist auch eine 
hübsche Farbe. Und warum soll nicht jemand braun statt rot sehen'’ 
wenn ihm grün und blau vor den Augen wird und er außerdem 
farbenblind ist. Kein Vorwurf, nur eine Feststellung. Aber auch 
von diesem braven Professor ist noch ein Nachlaß zu erwarten. 
Selbst der graueste Theoretiker wird sich darüber scheckig lachen 

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können. Und wieder denke ich mit Wehmut an den braven Fritz 
Stahl, der nicht mehr mitlachen kann, ln der Blüte seiner strotzen- 
den Schimpfereien wurde Herr Robert Breuer dahingerafft. Er 
war der gutmütigste von allen. Ein jüngerer Mann mit starker 
Neigung zum Schmerbauch, der sich sein Fett vom Leibe herunter- 
schimpfte. Er wurde aus diesem Grunde fast erfinderisch und 
bekam Originalität, die der ehrlichen Haut sonst versagt blieb. Er 
erfand den „Hottentotten im Oberhemd“, „die Horde farbesprit- 
zender Brüllaffen“, „die bunthäutigen Tölpel“. Er wiederholte sich 
nie in Schimpfworten. Während er in Berlin die Maler als „Neger 
im Frack“ vorstellte, ließ er sie in Cassel als „Säuglinge im Frack“ 
auftreten. Nur für Stettin erfand er nie Neues. Ein loyaler Mann. 
Er versprach, „die Pinsler noch einmal gründlich in der Retorte zu 
kochen“. Leider platzte er selber vor diesem Vergnügen. Er hat 
sich totgeschimpft. Allzuviel ist ungesund. Und dabei war er ein 
guter Mensch. Harmlos und kindisch, ein Bürger seiner Zeit und 
treuer Freund seines Freundes Westheim. Orestes und Pylades 
sind entbehrlich geworden: Breuer und Westheim haben sich mit 
hörbarem Ruck an ihre Stelle gesetzt. Nie konnte einer schreiben, 
ohne daß er den anderen zitierte. Wie Robert Breuer sagt. Wie 
Paul Westheim bemerkte. Wie Robert Breuer bemerkte. Wie Paul 
Westheim sagt. Es ist nicht zu sagen, nur zu bemerken. Breuer 
lonnte kein Schimpfwort erfinden, was Westheim nicht anwandte. 
Und wenn Paul Westheim schrieb: „eine Reihe buntscheckiger 
Schießscheiben“, so schrieb Robert Breuer: „Schützenscheiben- 
bilder“. Westheim empfindet malerischer, Breuer naturalistischer. 
Aber die Seelenverwandtschaft ist zweifelsohne. Da Westheim 
sozusagen nur sekundär schimpfte, blieb er am Leben und wird 
demnächst im Panoptikum als der Freund des Freundes gezeigt. 
Wenn man von Westheim überlebt wird, kann man getrost gen 
Westen fahren. Der Herbstsalon hält reiche Ernte. Die besten 
Männer sanken um. Da war noch Herr Karl Scheffler. Die Ge- 
schichte kennt bereits einen ami de Beethoven. Karl Scheffler wird 

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weiter iortleben als arni „de Kunstnapoleon aus der Viktoriastraße“. 
Der and de Beethoven fand Beethoven wenigstens vor. Herr Kar* 
Scheffler mußte sich seinen Götzen erst schaffen. Jeder hat Jen 
Napoleon, den er verdient. Es fällt mir dabei nicht einmal ein, ver- 
dienen groß zu schreiben. Denn der Kunstnapoleon ist nur der 
große Bruder. Mein ami war Herr Karl Scheffler nicht. Er be- 
hauptet, daß ich „flink“ sei und „Kinderfüße“ habe. Und 
■er hat recht. Ich sprang ihm mit einer einstweiligen Ver- 
fügung auf den Kopf, wodurch ihm bei einer fiskalischen 

Strafe von fünfhundert .Mark für jeden Fall der Zuwider- 
handlung das weitere Verbreiten einer Nummer seiner Zeitschrift; 
Kunstnapo — nein; Kunst und Künstler verboten wurde. Einer Num- 
mer, in der er ohne Erlaubnis und ohne Berechtigung ein Aquarell 
von Franz Marc reproduziert hatte. Worauf Herr Scheffler 
in der Vossischen Zeitung bemerkte; „Sehr sehr schade ist 
es um den kräftig begabten Franz Marc.“ Fünfliundert Mark 

für jede Nummer ist wirklich ganz kräftig. Und das habe 
ich mit meinen „Kinderfüßen“ getan. Natürlich habe ich 
mich auch der Aufgabe eines Herbstsaloiis „nicht gewachsen 
gezeigt.“ Was ja eigentlich durch meine Kinderfüße erklär- 

lich war. Herr Karl Scheffler entdeckte bei mir „deutliche 
Vorliebe für das Absonderliche und Alberne“. Es kann doch nicht 
jeder so ernst sein wie Herr Karl Scheffler. Herr Scheffler war 
außerdem ganz hervorragend gebildet. So äiisscrte er; „Jeder 
fremde Mensch, das bin ich; und ich, das ist jedermann“. Sehr 
wahr! „Die meisten Menschen sind schon verlegen darüber, daß 
sic nicht anders sind, als die Natur sie gemacht hat, trotzdem sie 
daran doch ganz unschuldig sind.“ Dies Kind, kein Engel ist so rein, 
sagt Schiller. „Was die Verlegenheit so qualvoll macht, ist, daß sie 
Unsicherheit ist.“ Weim Herr Karl Scheffler seine Verlegenheiten 
verlegen läßt, fühlt er sich offenbar sicherer. „Ich fühle Befangen- 
heit, wenn meine (iedanken, sobald ich sie in Worte kleide, mir 
albern zu klingen scheinen.“ Und er bemerkt bei mir die Vorliebe 
für das Alberne, was er schreibt und wird befangen ohne an die 

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einstweilige Verfügung zu denken. Trotzdem ich mich entschieden 
weigere, Karl Scheffler zu heißen. Man hätte mit dem Herbstsalon 
„eine Eliteausstellung der ringenden Kräfte machen können“, sagt 
Herr Scheffler. Die Spätherbstausstellung von Napoleon dem Vierten 
verheißt offiziell, daß dort die „ringenden Talente“ gezeigt werden, 
ln meiner Ausstellung, Herr Karl Scheffler, hat es sich schon aus- 
gerungen. Das vierblättrige Kleeblatt Stahl, Bie, Breuer, Scheffler 
habe ich flink abgerissen, es an meinen braunen Rock gesteckt, mir 
viel Glück gewünscht und dann es lachend zertreten. 


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Der feine Herr Sdieffler 

Herr Karl Scheffler hat nun seine Ausstellung der ringenden 
Talente. „Eine Eliteausstellung der besten Talente der Jüngsten.“ 

Zu ihnen gehören nach seiner Ansicht die Herren Beckmann, Rösler, ' 
Brockhusen, Meid, Kurt Herrrnann und Karl Hofer. Resultat; „Als 
Ganzes wirkt die Veranstaltung in einer sehr edlen und vergeistig-* 
ten Weise interessant.“ Noch mehr: „Man spürt, daß Intelligenz 
und selbstloser Idealismus sich hier mit den Arbeiten der neuen 
Künstlergeneralion beschäftigt haben.“ Bei Sturmausstellungen 
nennt es Herr Scheffler; ..Der unmündigen Jugend in einer abscheu- 
lich servilen Weise schmeicheln." Herr Scheffler hat dem großen 
Mund für die unmündige Jugend, die ihm größtenteils sogar an 
Jahren überlegen ist. Kandinsky malte bereits, als Herr Scheffler 
noch Muster zeichnete. Er scheint immer noch Beziehungen zu 
Webereien zu haben. Und empfiehlt deshalb Franz Marc, sich Auf- 
träge für Webereien zu beschaffen; „etwa in dem Sinn des Nor- 
wegers Munthe zu arbeiten“. Der Herr Munthe arbeitet etwa so, 
wie der Herr Scheffler schreibt. Man denke sich eine Ausstellung ’ 
von Arbeiten der neue n Künstlergeneration, in der fehlen: Alexan« 
der Archipenko, Umberto Boccioni, Delaunay, Albert Qlcizes, Alexei 
von Jawlensky, Kandinsky, Paul Klee, Fernand Leger, August Macke, 
Franz Marc, Jean Metzinger, Gino Severini, uni nur einige 
wichtige Namen zu nennen. Wo hingegen die Werke der obenge- 
nannten Herren zu sehen sind. Ich empfehle Herrn Karl Scheffler 
dringend, sich bei seinen weiteren Kritiken der größten Vorsicht 
und des noch größeren Nachsehens zu befleißigen, da Nachsicht 
nicht geübt wird. Ich hebe alles auf. Herr Karl Scheffler. Ich trage 
ihnen jede Zeile nach, Ihr ganzes Leben durch, jede Zeile, die ein 
Werturteil bildet. Trotzdem Sie keine Zeile gebildet haben, die 
einem Werturteil standhält. Sie behaupten die Leute vom Sturm 
hätten schlingelhafte Manieren. Eine Behauptung übrigens auf der 
Höhe Ihrer Kunsturteile. Sie mögen sehr gute Manieren haben, dio 

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man zwar niclit bemerkt, dann beschränken Sie aber bitte Ihren 
Umgang auf „Gebildete“ und kommen Sie der Kunst nicht mit 
dem feinen Ton in allen Lebenslagen zu nahe. Weder die Manier, 
noch das Manierliche kann Kunst verwerten. Und der Schrei eines 
Schlingels ist mir lieber als das Stammeln eines Mannes, dem nicht 
zu helfen ist. 


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Herr Schefller der Bilderfreund 

„Und doch wollen wir den h'aden des Kiinstintercsses niciit 
ganz abreißen lassen. Wir wollen, wenn auch .selbst mit (lewalt 
ergriffen von dem mächtig nur nach einer Seite jetzt iUeßenden 
Strom der Empfindungen, sachte fortspinnen . . Der Strom er- 
greift ihn, aber es wird sachte fortgesponnen. Die Strippe, an der 
Herr Scheffler hängt, reißt nicht. Wenn ihn der fließende Strom 
ergreift, setzt er sich wie immer ins Trockene. .•Viii eine selbst- 
gezimnierte Insel der Kunstfremdheit. Die Balken biegen sich, aber 
er beschreibt Kunstströmungen. Sein abgestandenes Wasser trägt 
der Strom nicht. Angstvoll klammert er sich an die Säume seines 
sachten Qespinstes, der Musen: ...Mars Ultor regiert die Stunde 
und die Musen fliehen, erschreckt von dem rauhen Lärm, der in 
ihre tiefsinnigen W'eisen von allen Seiten hineindringt.“ Einen tief- 
sinnigen Weisen verlassen die .Musen nie, aber wer die Musen 
braucht, war schon stets von der Kunst verlassen. „Dieser Krieg 
muß eine Schule des Talentes werden. Denn indem der Idealismus 
Sich erneuert, muß sich von selbst die Kraft künstlerischer Darstel- 
lung erneuern.“ Die Kraft künstlerischer Darstellung hat sich be- 
reits wie von selbst erneuert, auch der Idealismus, und zwar lange 
vor tiem Kriege. Der tiefsinnige Materialist. Herr Karl Scheffler, 
hat es nicht bemerkt. Er war sein ganzes Leben lang verreist, nach 
Griechenland. In Deutschland hat er den Anschluß verpaßt. Und 
im Krieg wird er ihn nicht einholet). Manche Leute verpassen eben 
immer die Züge, und mit griechischen Waffen wird kein Sieg der 
Gegenwart errungen. 


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rbr — brr — r 


Statt des verschiedenen Herrn rbr schreibt jetzt im Vorwärts 
Herr — r. Dieser Herr — r hat mit den früheren Herren rbr und 
Robert Breuer eines gemeinsam: die Ahnungslosigkeit der Kunst 
gegenüber. Dieser Herr — r schreibt über die Spätherbstausstellung 
folgendes: „Wir haben nun zwei Herbstausstellungen: eine, die vom 
(Blasebalg-)Sturm nach Marinellischen Rezepten arrangiert wurde 
und eine zweite in der Sezession. Die erstere ist wenigstens 
im Ganzen einheitlich (wenn auch völlig verfehlt).“ Ein Blasebalg, 
der erstere Ausstellungen nach Rezepten arrangiert, ist eine Doktor- 
frage und ein Bild, das höchstens Herrn Robert Breuer, den Groß- 
vater des Herrn — r, befriedigt hätte. Klassisch allerdings ist das 
Bild trotz Berufung auf Marinelli, den Prinzen der Emilia Galotti 
nicht. Da hatte doch der Vater des Herrn — r, Herr rbr, mehr 
Phantasie. Als der am sechsten Mai 1913 die Ausstellung Der 
Sturm besuchte, rühmte er den Maler Gimmi: „Der Gimmi hat 
ernste Augen; er sieht das Pathos herbstreifer Sonnenblumen und 
die schweigsame Größe eines Eisenbahnviadukts.“ Herr rbr sah 
die schweigsame Größe, obwohl das Bild Eisenbahnviadukt von 
Gimmi niemals in der Ausstellung hing. Nur der Titel des Bildes 
stand im Katalog. Das Bild selbst war vor Eröffnung der Ausstel- 
lung bereits in eine Sammlung übergegangen. Die schweigsame 
Größe hingegen nicht auf Herrn rbr. Diese Familie hat immer 
Pech, trotzdem ich ihr reichlich mit Schwefel diene. 


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Jös. & Joseph 

Was Ist Expressionismus? 

Von Jos. Aug. Lux (München) 
Frankfurter Zeitung 1. Februar 1914 

Zu welchen Zielen treibt nun die 
neue Kunst, die sich Expressionis- 
mus nennt? Einer fragt den Andern, 
und Keiner weiß es zu sagen, ob- 
zwar die Wahrheit wie immer ganz 
einfach ist. In allen Ekstasen und 
Fiebern hat die Sehnsucht dieser 
neuen Kunst doch nur das eine Ziel, 
jene letzten Höhen der Vollendung 
zu erklimmen, wo der mystische 
Duft aus den feinsten Blüten ent- 
strömt. Es ist die Höhe der alt- 
meisterlichen Kunst, die wir u. A. 
auch von Holbein verkörpert sehen. 
Aber sie ist nicht zu erreichen, in- 
dem man die heutige Entwicklung 
umgeht, und sich einfach bei den 
Meistern der vorimpressionistischen 
Zeit ansiedelt. Das ist ein billiger 
Triumph, der geradewegs zu Kitsch 
und Nachahmung führt. Es hilft 
nichts, nur durch den Impressionis- 
mus und seine neue Phase hindurch 
kann das Heil kommen. Es gibt 
kein Umkehren, es gibt nur ein Vor- 
wärts! Allerdings muß man es 

auch verstehen, die (Qualität in den 
heutigen und vielfach noch unge- 
wohnten Erscheinungsformen zu 
kennen. 


Brief an einen Jungen Maler Ins 
FeM 

Von Joseph .Aug. Lux 

ß. Z. am Mittag 18. März 1915. 

Sie sind kein singulärer Fall, 
sondern eine Zelterscheinung. Wie 
es Ihnen erging, so steht es fast um 
alle Begabungen, die in den letzten 
Jahren als Kubisten, Futuristen, Ex- 
pressionisten oder Sezessionisten 
auszogen, die neue Kunst zu ent- 
decken, Sie taten kraftgenialisch, 
aber es war nicht die Gebärde der 
Kraft, sondern der Schwäche, die 
beim Bluff eine Zuflucht sucht. An 
Stelle des positiven Könnens mußte 
die individuelle Note herhalten . . 
und schließlich mußte sich heraus- 
stellen, daß auch ihre Individualität 
ein Trug war. Ein Haschen nach 
Effekt, nach Sensation, ein tech- 
nischer Kniff, nichts weiter. Daran 
muß das stärkste Talent zugrunde 
gehen . . . denn Sie fühlten, daß Sie 
selbst am Ende waren, wie fast alle 
Modernen, die sich gestern blähten, 
und sich größer als Buonarotti. Hol- 
bein und Leonardo dünkten. und 
heute so wesenlos und nichtig aus- 
sehen. als wären sie nie gewesen. 


Herr Jos. Aug. Lux aus München (er wird wohl wissen, warum 
er nicht aus Wien sagt) hat sich jetzt zu einem stattlichen Joseph 
Aug. Lux (unbekannten Aufenthalts) entwickelt. Einer Fragt den 
Andern, der Jos. den Joseph, und Keiner weiß es zu sagen, obzwar 
die Wahrheit wie immer ganz einfach ist. Früher wechselte Herr 
Jos. seinen Aufenthaltsort, da der Frieden Freizügigkeit gestattete. 
Später im Kriege siedelt er sich einfach bei den Meistern der vor- 

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inipressionistisclien Zeit an. Früher dünkte Jos. die neue Kunst auf 
der altnieisterlichen Höhe eines Holbein zu sein. Gestern, sagt 
Joseph, dünkten sicli die Maler der neuen Bewegung gröQer als 
Holbein. Trotzdem sie Jos. nur gleich groß dünkten, während Sie 
Joseph heilte wesenlos und nichtig dünken. Während den Ver- 
tretern der neuen Bewegung Herr Jos. noch gar nichts dünkt, trotz- 
dem er sich indessen zum keuschen Joseph entwickelt hat. Obzwar 
die Wahrheit wie immer ganz einfach ist. Am 1. Februar 1914 wollte 
die Frankfurter Zeitung wissen, was Expressionismus ist. Am 18. 
März 1915 wollte die B. Z. am Mittag vom Expressionismus nichts 
mehr wi.ssen. M'isseii und Nichtwissen bringt Geld. Ob man sich 
von dem Nichtwissenden das Wissen oder Nichtwissen erklären 
läßt, beides kann nicht wider besseres Wissen sein, da man auch 
das Nichtwissen hierzu besser wissen müßte. Als Herr Joseph noch 
der kleine Jos. war, täuschte er der Frankfurter Zeitung vor, daß 
er wüßte, was Expressionismus ist. Es war eine Vortäuschung, 
denn jetzt nach dreizehn Monaten weiß er es immer noch nicht. Aber 
er verschwieg der B. Z. am Mittag, daß er in der Frankfurter 
Zeitung vor dreizehn Monaten anders nicht wußte. Damals nannte 
er fast alle Namen fast aller Begabungen, diesmal verschwieg er sie. 
Warum sollte nicht schließlich auch ein Maler von München nach 
Berlin gekommen sein, der sich einst über seine Begabung in Frank- 
furt durch Herrn Jos. aufklären ließ. Aber Maler lesen keine Zei- 
tungen, selbst wenn sic von oder mit Herrn Joseph handeln. Ich 
lese diesen Handel wegen der Wissenschaft um die Kunst, die 
die Kunst durch die Wissenschaft verhandelt. Ich sammle Bilder, 
aber die Zeitungen sammeln sich bei mir und ich habe ein Gedächt- 
nis, das mich beim großen Joseph an den kleinen Jos. erinnert. Die 
Gegensätze berühren sich, sagt Herr Joseph. Von einem sehr be- 
greiflichen Kontrastbedürinis spricht Herr Jos. Ich habe es auch. | 
Ich will seine Gegensätze in einen unbegreiflichen Kontrast bringen, j 
und man wird finden, daß sich seine Gegensätze nicht berühren: j 

„Man kann sich dabei leicht vorstellen, daß der Künstler eines 1 


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Tages das Bedürfnis hatte, aus der weichen und verschwommenen 
Flächenbehandlung herauszukommen, und den Versuch einer drei- 
dimensionalen Tiefenwirkung zu machen. Kurz, er will in seinem 
Bild . . . vielleicht aus einer augenblicklichen Laune, wahrscheinlich 
aber aus einem sehr begreiflichen Kontrastbedürfnis heraus wieder 
einmal harte Körperlichkeit darstellen, um von der künstlerischen 
(nicht pathologischen!) Hysterie des impressionistischen 
Farben- und Liniensensitivismus auszuruhen und sich zu erholen.“ 
Nachdem Herr Jos. sich dreizehn Monate erholt hat, schreibt er am 
18. März 1915: ,.Je verrückter, desto besser. Leider ist die Sache 
garnicht so verrückt, als sie tut; sic ist nur schlau berechnet. Das 
Primitive ist der letzte Trumpf, damit ist jede Kontrolle auf Können 
oder Nichtkönnen ausgeschaltet. Man verspürt wieder Lust, auf 
allen Vieren zu kriechen. Man malt wie die Kinder, wie die Wilden, 
wie die Paralytiker. Psychose ist dabei, wie in allen Entartungen: 
Primitivität und Hysterie; die Gegensätze berühren sich.“ 

Der Hysteriker findet immer die Anderen hysterisch, trotzdem 
ich nicht einmal an die Lux-Hysterie glaube. Seine Krankheit ist 
mir zu gesund, zu metallisch. Ihm fehlt nur der Arzt seiner Ehre. 
Sie ist aber nur metallisch zu kurieren. „Allerdings muß man es 
auch verstehen, die Qualität in der heutigen und vielfach noch unge- 
wohnten Erscheinungsform zu erkennen,“ sagt Herr Jos. „Das Pri- 
mitive ist der letzte Trumpf, damit ist jede Kontrolle auf Können 
und Nichtkönnen ausgeschaltet,“ sagt Herr Joseph. Es ist manchmal 
peinlich, wenn Kontrolleure kontrolliert werden. So ein Kontrolleur 
dünkt sich manchmal zu sicher. Eines Tages kommt immer der 
Revisor und stellt fest, daß der Kontrolleur hatte, was er nicht sollte, 
und daß er nicht sollte, was er nicht hatte. Aber das Geschäft 
war richtig. „Sic denken darum mit Recht ziemlich geringschätzig 
von dem gestern Geschaffenen, das nicht ihre eigene persönliche 
Sache war. sondern eine Pariser Mode der Malerei, die nichts mit 
unserem Geist und unserem Blut zu tun hat, ein schlecht assimilier- 
ter Fremdstoff, der nur den Snob entzückt, und heute bereits den 
leisen Zug der Lächerlichkeit trägt,“ sagt Herr Joseph. Aber Herr 

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Jos., der Snob, sagt über den Kubismus: . . hat den juiiKen Malern 

Mut gemacht, größere Farben- und Formpartieen in den Bildern 
wieder kräftig zusammenzufassen, allerdings nach dem inneren 
Gesetz einer harmonikalen Symbolik. Sie hat ferner die Entwick- 
lung vor der Gefahr einer zu großen Aetherisicrung und Weichlich- 
keit bewahrt, indem sie ihr wieder feste Knochen gegeben hat“ 
Psychose, vaschtehstc. „Nach mancher Korrektur ist im Resultat 
das zum Stärkeren gebracht worden, was sich bei Cdzanne bereits 
angekündigt hat . . . unter den deutschen Künstlern, die sich an die- 
sem Beispiel gestärkt und gefördert haben, sind ... um nur einige 
zu nennen. Alle zusammen sind ein Beweis, daß in dem über- 
wundenen Kubismus ein Entwicklungskeim steckte, der in der Tat 
schöne Blüten getrieben hat.“ Daß Herr Jos. diese Blüten zu riechen 
glaubte, trägt Herrn Joseph jetzt die lange Nase ein. Sie kann nach 
meinem Belieben länger werden. Zum Beispiel: Herr Jos.: „Die 
Entwicklung geht somit von van Gogh und Cezanne weiter über 
Matisse und alle Neueren, die unbeschadet ihrer persönlichen Eigen- 
art das Geheimnis durch die rhythmische Farbeninstrumentation und 
sensitive Linie zu verkörpern versuchen, die Träger und zugleich 
Erreger feinster geistiger und physischer Strahlung ist, die irgend- 
wie mit den kosmischen Kräften Zusammenhängen.“ Herr Joseph; 
„Diese Primitiven malen wie die Mondsüchtigen im Trance, 
mediumistisch ; eine Nervenkunst, die eigentlich Neurastheniker- 
Kunst ist, voll Ohnmächten.“ 

Dreizehn Monate sind eine lange Zeit. Ich habe gezeigt, wie 
aus dem schüchternen Jos. ein keuscher Joseph sich entwickelte. 
Und wenn nach abermals dreizehn Monaten sich auch der Aug. zu 
einem dummen August ausgewachsen hat, dann wird der August so 
klug geworden sein, an den kleinen Jos. zu denken. Er wird sich 
gern den Mantel von der Berliner Firma entreißen lassen, trotzdem 
sie keine Potiphargelüste nach oesterreichischen Journalisten hat, 
die sie in allen Vornamen besitzt. Er wird sich gern den Mantel 
entreißen lassen, denn überall gibt es Konfektion. Man zahlt nicht 
nur in Berlin die höchsten Preise. 

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Der Herr Direktor 

Der Generaldirektor der Königlichen Museen, Herr Geheimrat 
Doktor Wilhelm Bode, hält es für notwendig, den Kampf mit der 
neuen Kunst aufzunehmen. Was er gegen die neue Kunst vorzii- 
bringen hat, ist ebenso dürftig wie unkünstlerisch. Sein sogenannter 
Kampf ein schlechter Zeitungsartikel. Er setzt die Wörter Neue 
Kunst in Anführungsstrichen, redet „von Kunstfreundinnen, die 
etwas auf sich halten und ihre Geldbeutel für Kunst und Künstler 
öffnen“, unterstellt, daß die Künstler der neuen Bewegung nicht 
„aus naivem Schöpfertrieb“ arbeiten, sondern aus dem „Streben, 
a tout prix aufzufallen". Um keinen Preis dürfte der Generaldirek- 
tor der königlichen Museen mit so naiven Argumenten aiiffallen. 
Ein alter Mann muß die guten alten Zeiten loben. Die neue Zeit 
trägt an der neuen Kunst Schuld: „Das Streben unserer demokrati- 
schen Zeit nach Abbruch der lästigen Schranken von Religion und 
Moral, nach immer stärkerer Nivellierung, nacli Unterdrückung der 
Eigenart und selbständigen Charaktere, das Verschwinden des 
Qualitätssinnes und dafür das Triumphieren der Mittelmäßigkeit und 
der Rohheit in besonders starker abschreckender Weise.“ Das ist 
der Versuch eines Flugblattes gegen die Sozialdemokratie, aber kein 
Essai über Kunst. Dem einen sind die „neuen Künstler“ zu eigen- 
artig, dem andern zu nivellierend. Nach der Journalistik und der 
Politik wird vom Generaldirektor die schwerwissenschaftliche 
Aesthetik aufgefahren: „Die Aesthetik ist aufs Aeußerste verpönt, 
die Forderung der Schönheit für die Kunst wird für eine Lächerlich- 
keit erklärt.“ Goethe, der doch auch zu der guten alten Zeit gehörte, 
bemerkte Herrn Bode hierauf: „Ich muß über die Aesthetiker 
lächeln, welche sich abquälen, dasjenige Unaussprechliche, wofür 
wir den Ausdruck schön gebrauchen, durch einige abstrakte Worte 
in einen Begriff zu bringen. Das Schöne ist ein Urphänomen, das 
zwar nie selber zur Erscheinung kommt, dessen Abglanz aber in 
tausend verschiedenen Aeußerungen des schaffenden Geistes sicht- 

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bar wird und so mannigfaltig und so verschiedenartig ist als die 
Natur selber.“ Herr Bode sollte sich überhaupt etwas mehr mit 
Goethe beschäftigen, da er doch den neuen „Kunstreferenten“ nicht 
traut. So behauptet Herr Bode: „Zu allen Zeiten ist die Natur Vor- 
bild und Vorwurf für die Kunst gewesen, deren künstlerische 
Wiedergabe in stets neuen Abwandlungen ihre Aufgabe ist und 
bleiben wird.“ Hierzu bemerkt Goethe: „Ja, mein Guter, man 
muß etwas sein, um etwas zu machen. Diese Dinge liegen alle 
tiefer als man denkt. Unsere guten altdeutschelnden Künstler wissen 
davon nichts, sie wenden sich mit persönlicher Schwäche und 
künstlerischem Unvermögen zur Nachahmung der Natur und 
meinen, es wäre was. Sie stehen unter der Natur. Wer aber 
etwas Großes machen will, muß seine Bildung so gesteigert haben, 
daß er gleich den Griechen imstande sei, die geringere reale Natur 
zu der Höhe seines Geistes heranzuheben, und dasjenige wirklich zu 
machen, was in natürlichen Erscheinungen, aus innerer Schwäche 
oder aus äußerem Hindernis nur Intention geblieben ist.“ Wenn 
Herr Bode nun antwortet, daß Goethe nur ein Künstler gewesen 
sei, so möge er bedenken, daß er nur ein Generaldirektor ist. 


so 


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Aussicht auf 5ode 

Der Burgfrieden wird von den vereinigten Zwangskünstlerin- 
nnngen so auigefaBt, daß sie in ihren verfallenen Burgen sehr ro- 
-manlisch und feierlich sitzen und auf die paar einzelnen Künstler 
dieser Erde mit dem Kinderflitzbogen schießen dürfen. Die Waffe 
ist ungefährlich aber lästig. Umsomehr, als die paar einzelnen Künst- 
ler gar nicht in die Burg hineinwollen, sondern nur mit mildem 
Lächeln vorüberschreiten. Das milde Lächeln fällt über die 
.Götzendämmerung, und mit ihm verfällt das Gemäuer, das 
im letzten Sonnenstrahl für matte Augen noch romantisch 
schimmerte. Ich lege meine Hand den alten Knaben auf die 
Künstlerlocken. Sie träumen von der Kunst, in der ich wache. Und 
träumend zielen sie, da sie schon getroffen sind. Sie kämpfen für 
die Kunst, die wir Künstler ihnen gaben. Unser Vorbild lieh ihnen 
Bilder. Und ihre Werke folgen ihnen nach. 

Wilhelm von Bode „hat das Wort ergriffen“, weil ihn noch nie 
das Wort ergriffen liat. Er hat das Wort ergriffen „um die Hoff- 
nungen und Aussichten für die deutsche Kunst nach dem Kriege zu 
besprechen.“ Die Aussichten werden nun schon seit Jahrzehnten 
in zahllosen Bildern besprochen, und die Hoffnungen sind nicht 
abergläubisch genug, um sich besprechen zu lassen. Namentlich 
nicht von Einem, der das Wort nicht führen kann. „Er knüpft 
hierbei an die letzte Ausstellung der Berliner Akademie an, und 
weist darauf hin, daß der Senat der Akademie bei dieser Gelegen- 
heit den Burgfrieden in der Kunst verwirklicht habe, indem er zur 
Beschickung der Ausstellung auch die Mitglieder der Sezession 
aufforderte.“ So meldet die Presse. Die Sezession, das arme Volk, 
fühlte sich zu einsam auf jener Höhe, die sie einst erklettern wollte 
und zieht reuig in die Burg wieder ein, wo die Heimchen den 
Frieden bezirpen. Die edlen Greise der Akademie drücken sie an 
die bewährte Vaterbrust und die Kunst geht dieses rührende Fa- 
milienidyll eigentlich gar nichts an. Aber für Wilhelm von Bode, 

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dem sonst nichts natürlich Renuit ist, ist dieses Natüriichstc von 
Natur ein Zeichen der Zeit. Vielleicht, man kann es nicht Kcnao 
noch wissen: „Ist das ein Zeichen des Friedens, der im Kampf der 
Künstlerparteien eingetreten ist? Oder ist das nur der Burgfrieden, 
der hier zum Ausdruck kommt, und wird der Kampf nach dem 
Frieden in diesem Weltkampf von neuem beginnen? Nach anderen 
Ausstellungen, wie sie gleichzeitig in München wie hier in Berlin 
und sonst von den Kunsth.’indlern und Sezessionen veranstaltet 
werden, sieht es allerdings noch nicht nach einem dauernden Frieden 
innerhalb der deutschen Künstlerschaft aus; ja, manche Zeiche4i 
deuten auf Sturm.“ Die deuten nicht nur, Herr Direktor, der 
Sturm ist bereits da. Sie sitzen nur so eingeschlossen in Ihrem 
Kunstmuseum, daß Sie den Sturm nicht sehen, der Ihnen vor den 
Fenstern heult. Durch Schließen der Fenster ist er allerdings nicht 
abgewendet und manche Gläser werden noch springen, die jetzt 
den Kunstkennern vor den Augen sitzen. Durch einen Weltkrieg 
wird die Kunst noch nicht gemordet. Die Kunst hat schon manchen 
Weltkrieg überstanden. Und manchen Direktor, der sie leiten 
wollte. „Ich fürchte, daß das große Publikum in der allgemeinen 
Annahme, der Krieg habe gründlich aufgeräumt mit den dekadenten 
Andeutungen der modernsten Kunst, eine große Enttäuschung er- 
leben wird. Wir werden uns also auf einen neuen Kampf vorbe- 
reiten müssen, der nicht bloß durch stille Verachtung dieser neuen 
Kunst erledigt werden kann.“ Stille Verachtung war stets ein 
fragwürdiges Kampfmittel. Im Kampf gegen Windniühlcnflügel i.s» 
es reichlich gut genug. Da kommt dieser tapfere Ritter daher, hält 
einen Aufgang für einen Untergang, hält die Kunst für eine Täu- 
schung, während die Täuschung ihm keine Enttäuschung bereitet, 
und will dem Publikum eine Enttäuschung einreden, das lebhaft 
dabei ist, einen guten Tausch zu machen. Herr Bode hat mm 
etwas Besonderes getan, er hat die erwähnte Akademieaussteilung 
studiert. Offenen Auges und mit gesunden Sinnen studiert. 
Diese Ausstellung enthielt zahllose ölhaltige Bilder und wie sich 



das so für eine nette richtige Ausstellung gehört: einen ZuschuB 
Plastik. Nach reiflichem Studium dieser Oelausstellung ist „Bode 
zu der Ueberzeugung gebracht, daß die gesündesten und hoffnungs-* 
vollsten Elemente des deutschen Kunstschaffens augenblicklich ln 
der Bildhauerkunst zu finden seien.“ Die bisherigen allerersten 
Oelkräfte haben trotz gefälliger Mitwirkung der Sezession selbst 
einem Museumsdirektor so wenig gefallen, daß er sich auf die paar 
Plastiken stürzen mußte. „Besonders in den größeren Arbeiten [sie 
fallen naturgemäß mehr in die Augen] findet er große Gedanken 
treffend und würdevoll verkörpert.“ Ein großer Gedanke muß immer 
in einer größeren Arbeit stecken. Wo soll der sonst Platz finden? 
So eine große gesunde Arbeit hat außerdem auch Raum für Würde. 
Ein verkörperter Gedanke wird durch entsprechende Zutaten auch 
recht klar, insbesondere, da man nicht sein Handwerk, sondern das 
Handwerk der Anderen zu kennen braucht. Wer diese Kenntnis auf 
anderen Gebieten menschlicher Lebensbetätigung nicht hat, wird 
die Damen beim besten Willen nicht unterscheiden können. Herr 
Bode soll mir einmal die „Industrie“ von der „Landwirtschaft“ un- 
terscheiden. Wenn er nicht griechisch gelernt hätte, müßte er tot- 
sicher bei der „Tragödie“ lachen, und die „Komödie“ für einen 
schlechten Witz halten. Wenn die „Gerechtigkeit“ einmal gelegent- 
lich ihre Binde ablegt, sieht sie der „Trauer“ zum Verwechseln 
ähnlich. Und der „Tod“ und der ,4’riede“ wedeln sogar mit dem 
gemeinsamen Palmenstengel. Aber große Gedanken sind sie alle. 
Und verkörpert sind sie so gründlich, daß nur ein Blinder sie 
erkennen kann. Herr Bode weiß sogar, wie man Gedanken ver- 
körpert, wie es gemacht wird: „Sie sind entstanden auf Grund 
sorgfältiger Naturstudien, aber durch Vermeidung des Zufälligen, 
Impressionistischen, sind sie aus einer nüchternen Aktfigur zu allge- 
meiner Schönheit in typischer der Idee angepaßter Form durch- 
gebildet. Hier ist also etwas erreicht, was die neue Kunst sich zum 
Ziel setzt, aber auf kürzeren, revolutionären Wegen zu erreichen 
sucht.“ Also ist es doch eine neue Kunst, die Herr Bode sucht, und 

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die der Herr Engelmann und der Herr Schmarje schon erreicht 
haben, wenigstens in der Plastik. Man weiß, daß die Bestätigung 
des Herrn von Bode Gold wert ist. Wer einen Lionardo erkennt, 
wird auch einem Schmarje zu seinem Recht verhelfen können. 
Herr Engelmann war hingegen schon längstens bestens bekannt. Nur 
die Bestätigung der neuen Kunst wird ihm seine alten Käufer ab- 
schrccken. Es gibt nichts Neues, was dem Alten nicht dekadent 
erschien. Das Alte greift immer zum Ersatzmittel. Für die Liebe 
die Liebelei. Für die Kunst die Künstelei. Es sind so natürliche 
Tatsachen, daß es stets Sache der Tat war, die Tat am Sächlichen 
zu beweisen. Man fühlt aus jedem Wort des Herrn von Bode, daß 
er weiß und daß er zu zittern beginnt. Schmarje und Engelmann 
sind die Krücken seines Alters, an denen er sich zu beweisen sucht, 
was ihm, dem Historiker, die Historie beweist. Glaubt Herr von 
Bode wirklich, daß es je einen großen oder kleinen oder keinen 
Künstler gegeben hat, der nicht nach seiner Ansicht aus einer 
nüchternen Aktfigur eine allgemeinere Schönheit in typischer der 
Idee angepaßter Form durchzubilden geglaubt hat? Impressionismus 
ist ihm Zufall. Wo es doch gar nichts Natürlicheres mehr gibt als 
den Impressionismus. Oder ist Herrn von Bode vielleicht auch die 
Natur nicht natürlich genug, sodaß also ihre Zufälligkeiten zii ver- 
meiden seien. Oder ist etwa die nüchterne Aktfigur die wahre 
Natur, die erst zur Höhe der Kunstanschauung der neuen Kunst des 
Herrn von Bode heraufgebildct werden soll oder muß. Oder glaubt 
Herr von Bode wirklich, daß die Impressionisten die Form nicht 
ihrer Idee angepaßt haben, genau so sehr wie es der Herr Engel- 
mann bei seinen Qipsfiguren tat. Die Idee dürfte ai.so wohl bei 
allen diesen verschiedenen Herren nicht ganz gestimmt halren. 
Denn das Denken ist unter Umständen auch eine Kunst. Nur 
kann man das Denken nicht in Kunst verkörpern. Gibt 

es für die Malerei eine bessere der Idee angepaßte Form 
als die Idee des Bildes. Diese Idee sitzt der Form 
wie angegossen. Diese Idee braucht der Form nicht einmal ange- 

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paOt zu werden, denn diese Idee ist die Form. Wer sich zu gut 
dazu ist, um einfach ein Bild zu malen, soll lieber Denker oder 
Museumsdirektor werden. Dann kann er sich über Bilder Gedanken 
machen. Er soll aber nicht glauben, daß seine Gedanken, die großen 
Gedanken, die zanz großen Gedanken, würdevoll in Bilder hinein- 
gemalt werden. So ein kleines Bild, wenn es Bild ist, schmeißt die 
größten Denker um. Denn sie konnten ja erst denken, als ihnen das 
Bild gegeben wurde. „Um wieder zu einer echten stilvollen Kunst 
zu gelangen, werden sich die deutschen Künstler auf der Linie der 
Zeichnung sammeln müssen, nicht im Kubismus, der keine Zeichen- 
kunst, sondern ein mathematisches Scharadenspiel ist, sondern in 
strenger Zeichnung, auf treuer Naturbeobachtung.“ Eine Samm- 
lungspolitik auf der Linie der Zeichnung ist insofern etwas schwie- 
rig, als die Linie die Zeichnung ist. Sie h ö r e n es jetzt vielleicht, 
Herr von Bode, da Sie es schon nicht sehen, daß das Wort sich 
nicht so leicht ergreifen läßt. Aber wir sind sonst vollkommen 
einig, was die Linie anbetrifft. Nur gehen Ihre Linien auseinander 
auf Grund der Zufälligkeiten der treuen Naturbeobachtung, während 
meine Linien sich im Bilde treffen. Ihre Linien, Herr von Bode 
gehen immer über den Rand hinaus. In den Himmel, meinen Sie. 
während diese armen Linien nur unter den Zeichentisch gefallert 
sind. Sie beobachten angestrengt die Natur, statt des Blatts Papier, 
auf dem Sie zeichnen. Kein Wunder also, daß die Linien schief und 
krumm durcheinander gehen, während Ihrem .so überaus geistigen 
Auge sich ein Baum bildet, dessen Zweige zwar sehr viele Stiele 
haben, im übrigen aber alles Andere ist als der Stil, den Sie auf der 
Linie der Zeichnung sammeln wollen, während Sie sich gespannt 
in den Adern der Blätter verlieren. Und zwar so gründlich, daß 
Sie bei den ergreifenden Worten „Linie der Zeichnung“ nicht ein- 
mal eine Linie, geschweige denn eine Zeichnung gesehen haben. So 
einfach ist die Sache mit dem Kubismus denn doch nicht, Herr Di- 
rektor, trotzdem die Sache eigentlich so einfach ist. Aber am Grabe 
der Anderen gebe ich die Hoffnung noch nicht auf. Man muß 'diese 

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liefen Worte so sorgfältig mit feinen silbernen Reißnägeln auf die 
Linie der Zeichnung heften, bis die Herren Denker vielleicht einmal 
auf das Papier gütigst ihre Augen senken, die am Harz des Baumes 
der Natur festgeklebt sind. 



Der glückliche Gedanke 

„Selbst diu Verirrungen der neuesten Kunst beweisen, daß ein 
Losringen aus den Banden des verkommenen Impressionismus zu 
stilvollerer Kunst ein Bedürfnis ist.“ Herr Direktor Bode, der den 
Impressionismus nie begriff, weil er ihn nicht fassen konnte, findet 
ihn jetzt verkommen. Trotzdem scheint er noch recht kräftig zu 
sein, da Herrn Bode das Losringen aus den Banden des verkom- 
menen Subjektes objektiv so schwer fällt, daß er die gewünschte 
Befreiung für eine Verirrung hält. Natürlich irrt der Mensch, aber 
Herr Bode ist unfehlbar und eine stilvollere Kunst ist ihm Bedürf- 
nis. Vom Teufel befreite ihn ein Engelmann. Glückliche impressio- 
nistische Momente kamen den himmlischen Heerscharen zu Hilfe: 
„Bei der jüngst abgeschlossenen Erneuerung des Weimarer 
Ooethehauses hatte cs sich hauptsächlich darum gehandelt, in die 
Eingangshalle mehr Stimmung zu bringen.“ Goethe hatte es in 
seinem Haus offenbar nicht stimmungsvoll genug gehabt, wenig- 
stens nicht für die Ansprüche gewissenhafter Kunstkenner. 
Das Fehlen der Stimmung verursachte logisch das Vorhandensein 
einer Idee. Auf deutsch: eines Gedankens: „Dabei war man auf 
den glücklichen Gedanken gekommen, es sollte das Auge des Ein- 
tretenden durch die in die rückwärtigen Räume führende FlUgel- 
türe direkt auf ein plastisches Bildnis des Meisters selbst fallen.“ 
Manche Leute haben direkt ein Glück, auf glückliche Gedanken zu 
kommen. Wenn auch dadurch dem Meister der Eintritt durch die 
in die rückwärtigen Räume führende Flügeltüre mit seinem eigenen 
plastischen Bild verstellt wird. Aber der Meister braucht wiederum 
glücklicherweise nie mehr die rückwärtigen Räume, wenn andere 
Leute vorwärtige Gedanken haben. Das Auge des Vorwärtigen fällt 
auf das plastische Bildnis und ist deshalb für den Meister nicht 
mehr zu haben. Nun war der glückliche Gedanke gekommen. „Nun 
war aber unter dem bereits vorhandenen Büsten- und Statuen- 
Schatz kein passendes Objekt zu finden, das dieses Platzes würdig 

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gewesen wäre.“ Ich bin überzeugt, daß man nicht einmal eine Reise 
nach Berlin zu einer der zahlreichen Qipsfigurenhandlungen scheute, 
um ein passendes Objekt zu finden. Die Nachfrage nach Goethe war 
nicht so groß wie nach Schiller, sodaß es sich offenbar nicht lohnte, 
ein reichhaltig assortiertes Obiektlager ständig zu halten. Kin Engel- 
mann kam den Leuten zu Hilfe. Cr wurde „betraut mit der Aufgabe“. 
Er schaffte das passende Subjekt für die Flügeltüre zu den rück- 
wärtigen Räumen sehr schnell, denn schon im näctisten der Be- 
trauung folgenden Satz dieses Presseberichts steht es da. Fein. ,,In 
feinem Seravezza-Marmor gearbeitet zieht das vornehm erfaßte 
Steinporträt den Blick in das schummerige Licht der inneren Ge- 
mächer.“ Beide Flügel der FlügeltUre sind dem vornehmen Objekt 
geöffnet. Das Auge fällt auf das Steinporträt. Es ist so vornehm 
leicht, daß man es gar nicht sieht, sondern der Blick direkt auf das 
schummerige Licht der inneren Gemächer fällt. Vom schummerigen 
Licht rückwärts wendet sich der Blick auf das Steinporträt. Trotz 
der vornehmen Fassung ist der ganz gewöhnliche Goethe vom 
Steinporträtisten fein gewählt worden: „Cngelmann steHt Goethe 
dar in der Kleidung, wie der Meister sie für gewöhnlich zu tragen 
pflegte.“ In Beziehung auf die rückwärtigen Räume hatte man dem 
Meister den Sonntagsrock nicht angezogen. Er war auf diese Weise 
sozusagen mehr bei sich, bis auf den Blick der Vorwärtigen. „Aus 
dem Antlitz, dessen ungewöhnliche Länge und Schmalheit übrigens 
auffällt, spricht als bestimmender Wesenszug nicht in erster Linie 
Willenskraft, wie etwa bei der bekannten Rauch.schen Statue, son- 
dern der große Dichter ladet uns hier, ganz Güte und Vertraulich- 
keit, mit einem verhaltenen Lächeln in die erhabene Stille seiner 
Wohnung.“ Die Vertraulichkeit ist etwas plump. Die erhabene 
Stille der Wohnung wird durch die herumgestreuten fallenden 
Augen nicht gerade stimmungsvoller. Die Einladung des großen 
Dichters kommt überhaupt etwas post festum. Leute einzuladen, 
wenn man selbst weggeht, ist soviel Güte, daß selbst das Stein- 
porträt sich eines verhaltenen Lächelns nicht erwehren kann. Diebe- 


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stimmenden Wesenszüge, die Nachschaffende, ganz Güte, bestimmen, 
kommen immer auf das falsche Gleis, die Willenskraft wird stets 
bei der letzten Haltestelle verlassen. Das Einzige, was übrigens 
auffällt, die ungewöhnliche Länge und Schmalheit, läßt sich bei 
dieser Behandlung recht gut verstehen. Ich halte sie für einen glück- 
lichen Gedanken. Wenn aber diese ganze Steinmeisterei nicht Im- 
pressionismus sein sollte, weiß ich nicht, was Expressionismus ist. 


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Antwort 


Herr Fritz Stahl schreibt noch immer. Aber komischer. Aber 
mit der Beschränkuiig, die dem Meister ziemt. Raum für alles hat 
das Berliner Taxeblatt. Und zur fröhlichen Osterzeit werden die 
faulsten Eier ausxebriitet, die faulsten Bilanzen werden nachxeprüft. 
.JJeulich wurden hier Urteile über Senioren nachgeprüft.“ Einige 
Nestoren sind zwar gestorben, die Senioren hielten sich aber auf 
der Höhe ihrer Senilität, Herr Fritz Stahl prüfte die weißen Haare 
und befand sie wirklich ohne Farbe. Die Weltmeisterschaftsmaler 
'erhielten am Ziel den Lorbeerkranz von seiner Hochwohlgeboren 
Fritz Stahl auf das greise Haupt gedrückt, die Sieger leerten meh- 
rere Humpen auf das Wohl ihres Fachmanns, die Erde wird 
schöner mit jedem Tag und das Blühen will immer noch nicht enden. 
„Die neuen Ausstellungen unserer Salons sind Junioren gewidmet, 
fast durchweg Vertreter einer Kunst, die sich selbst als die Kunst 
der Zukunft bezeichnet, für die aber wüste Schreier zugleich die 
ganze Oegenwart in Anspruch nehmen.“ Herr Fritz Stahl will also 
Urteile über Junioren nachprüfen. Seine eigenen Urteile. Herr Fritz 
Stahl hat zwar bisher nur hingerichtet und nicht geurteilt, oder ge- 
urteilt ohne gesehen zu haben. Es handelt sich hier nicht um einen 
Sportsbetrieb. Man kennt in der Kunst nicht das Ziel, an dem Herr 
Fritz Stahl, der Kenner, mit dem Lorbeer steht. Der Künstler schießt 
immer über das Ziel hinaus und der Schiedsmann hat das Nach- 
sehen. Aber ehe der nachsieht, sind die Künstler schon wieder am 
Start, und wenn er auf den Start blickt, sind sie schon wieder über 
sein Ziel hinaus. Er kann einem leid tun, so ein armer, alter Mann. 
Er bemüht sich, von der Stirne heiß, er guckt sich die Augen aus 
dem Kopf, und sieht infolgedessen nichts. Dafür hört er die wüsten 
Schreier, mich. Was man nicht versteht, hält man für Geschrei. 
Die Ohren klingen ihm also endlich, aber das Klingen hört er noch 
nicht. Er beschwert sich, daß man die ganze Gegenwart in An- 
spruch nimmt. Ich gönne ilrm sein bescheidenes Plätzchen, im 

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trauten Dämmerlicht. Aber was will er mit der Gegenwart anfan- 
gen, wo er doch in der Vergangenheit, im Schatten großer Senioren, 
sein Dasein fristet. Ich will ihm sogar gern den Himmel meiner 
Zukunft öffnen, ich stelle ihm sogar Eselsbrücken zur Verfügung. 
Aber einem Wasserscheuen ist nicht einmal damit gedient. Trotz- 
dem, er nimmt sich ernst, der Fritz Stahl. Er läßt sich durch wüste 
Schreier nicht beirren. Er ist ein Mann. Ein Mann mit Grundsätzen. 
„Man darf sich dadurch, wenn man sich selbst ernst nimmt, nicht 
beirren lassen und weder dazu bewegen lassen. Verdienste anzu- 
erkennen, die man nicht sieht, noch dazu drängen lassen, in Bausch 
und Bogen abzulehnen.“ Niemand will ihn bewegen, Verdienste 
anzuerkennen. Denn was er sieht, verdient nicht, anerkannt zu 
werden. Und was er nicht sieht, wird er nie sehen lernen. Herr 
Fritz Stahl wird hingegen in so viel Bausch und Bogen abgelehnt, 
als er davon vollgeschrieben hat. Ohne daß man sich dazu drängen 
läßt. „.Jeder Künstler gilt soviel, als er leisten kann.“ Aber seine 
Leistung hängt nicht von der Geltung des Herrn Stahl ab. „Das 
muß immer wiederholt werden, weil immer wieder behauptet wird, 
gegen die jungen Leute herrsche in der Kritik Parteihaß.“ Das hat 
niemand behauptet, Unfähigkeit an künstlerischer Anschauung heißt 
nicht auf deutsch Parteibaß, Herr Fritz Stahl ist nicht „die Kritik“ 
und die sogenannten jungen Leute sind heute alle zwischen dreißig 
und vierzig. „Diese ganze Vorstellung stammt aus einer Zeit, wo 
man an eine Kunst glaubte, jeder seine als die einzige behauptete. 
Das tun heute nur noch die jüngsten, mehr die Wortführer als die 
Künstler selbst. Sie haben denn auch den frechen und dummen 
Haß und bellen ihn fröhlich heraus.“ Herr Fritz Stahl ist der einzige, 
der an e i n e Kunst glaubt, nämlich an die, die er würdigt, aber nicht 
einmal versteht. Ich glaube an keine Kunst, ich glaube nur an Künst- 
ler. Ich glaube nicht an Senioren und Junioren. Weder das nicht 
übertrieben hohe Alter des Herrn Fritz Stahl noch meine nicht allzu 
junge Jugend geben die Gewähr der Künstlerschaft oder Kunst- 
kennerschaft. Aber Herr Stahl stutzt vor den Begriffen, die er sich 

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zurechtgeklaubt hat, ich stutze vor dem Künstler, der die Begriffe 
beiseite schiebt. Herr Stahl schiebt die Kunst weiter, ich werde 
vom Künstler geschoben. Herr Stahl belehrt die Kunst, ich lerne 
vom Künstler. Herr Stahl ist so bescheiden, der Kunst die Wege 
vorzuschreiben, ich bin so frech, den Künstlern nachzulaufen. Herr 
Stahl ist so klug, Menzel zu loben, ich bin so dumm, wie Herr Stahl 
nie klug sein kann. Herr Stahl hört mich bellen, wo ich mit Engels- 
zungen rede. Ich sehe die Lämmer weiden, aber Blöken kann ich 
nicht vertragen: ich bin nicht musikalisch. Ich kann auch keine 
Lämmer hüten, aber ich will mir meine Wiese nicht vertrampeln 
lassen. Ich bin kein Leithammel, deswegen wünsche ich auch nicht, 
daß mir die Herden folgen. Die Junioren des Herrn Stahl kann er 
sämtlich zu seinen Senioren versammeln. Wir, die wir Kunst lieben 
und kennen, haben sie nie für „kommende Genies“ gehalten. Genies 
kommen überhaupt nicht. Sie sind, auch ohne die Vergangenheit 
des Herrn Stahl. 


«3 


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Keineswegs reizvoll 

Eine Suffrajcette liat ein Attentat auf ein Bild verübt. Herr Fritz 
Stahl, der Fachmann des Berliner Tageblatts beschreibt das Bild 
fachmännisch: „ Das ziemlich große Bild (etwa 1,25X1,75 Meter) 
zeigt Venus auf einem Lager hingestreckt. Den Rücken dem Be- 
schauer zugewandt, sieht sie in einen Spiegel, den Amor vor ihr 
aufrichtet.“ Das sieht der Kunstkritiker Fritz Stahl auf einem 
Bilde. Es zeigt ihm Venus, einen Spiegel und Amor. Alles gute 
Bekannte des Herrn Stahl. Er kann also mit Genugtuung feststel- 
len, daß die Herrschaften nicht porträtähnlich genug sind. „Das 
Bild ist aus keineswegs reizvollen Modellen a u f g e b a u t und hat 
trübe Farben; alle Töne des Modems kommen in dem Fleische 
vor.“ Offenbar ein lebendes Bild. Nur daß Herr Velasquez eben 
nicht den Sinn für Frauenschönheit besaß, wie Herr Fritz Kunstkri- 
tiker Stahl. Man braucht aber nicht Angst zu haben, daß diese 
Dame der besseren Gesellschaft trotz allen Tönen des Modems 
krank war. „Vielleicht hat auch die Prüderie der Engländerin noch 
eine besondere Befriedigung dabei empfunden, auf den üppigen 
nackten Frauenleib loszuschlagen.“ Daß modernde Ueppigkeif 
Prüderie erweckt, ist schon eine recht schwer sadistische Vor- 
stellung. Es scheint sich hier um ein Bild der gewissen neuen 
Richtung zu handeln, die der Abgeordnete Doktor Delbrück 
im preußischen Abgeordnetenhaus streng tadelte. Wenn jetzt 
sämtliche Gegenstände auf Bildern sadistisch vernichtet werden, 
für Spiegel ist diese Behandlung besonders gefährlich, wird Herr 
Fritz Kunstkritiker Stahl sich schließlich doch mit dem Kubismus 
befassen müssen, dessen Ecken ihn fortgesetzt abstoßen. 


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Die rote Frau 


Also in Brüssel ist etwas ganz Außerordentliches passiert. Das 
schreibt unser Brüsseler Korrespondent des Berliner Tageblatts. 
„Die Brüsseler Kunstfreunde konnten eine freudige Ueberraschun.g 
erleben und einen Maler und Bildhauer entdecken, dessen Talent 
bisher nur wenigen bekannt war.“ Sicher hat sich wohl die Re- 
daktion des sehr geehrten Tageblatts wieder an Herrn Fachmann 
Fritz Stahl gewandt. Das neue Talent aber kannte er natürlidi 
nicht. Er kennt nur die alten Tanten und Gott Amor. Die Ber- 
liner Kunstfreunde hätten allerdings diese freudige Ueherrascliung 
bereits vor achtzehn Monaten erleben können, einen Maler und 
Bildhauer zu entdecken, dessen Talent bisher nur wenigen bekannt 
war. Ich hatte mir nämlich gestattet, dieses Talent Rik Wouters 
im September 1912 volle vier Wochen ini Sturm auszustelleii. 
Herr Stahl kümmert sich erst um die Talente, wenn .sie von unse- 
rem Korrespondenten telegraphisch aus Brüssel gemeldet werden. 
Seine angestrengten anatomischen und ethnographi.schen Studien 
gestatten ihm nicht, sich Kunst anzuschen. Er hätte allerdings 
ebensowenig davon wie die Kunst. Aber die sehr geehrte Redaktion 
des Berliner Tageblatts kam auf diese Weise um eine Information. 
Ich dachte immer, daß Journalisten wie Herr Fritz Stahl dazu an- 
gestellt sind, Informationen zu geben. Aber Herr Fritz Stahl hätte 
selbst nicht einmal bei einem Talent in dem Rang von Wouters 
Alarm geschlagen. Er hätte sicher eine falsche Information gegeben. 
Denn; „So malt Wouters zum Beispiel ein rotes Frauenbild.“ Wir 
wissen alle, oder wenigstens fast alle, daß eine Frau nicht rot ist. 
Moderndes Fleisch soll es ja noch geben. Aber um rotes Fleisch 
zu sehen, muß man zu weit gehen. Und so weit geht man nicht 
mit. In Brüssel, wo es keine roten Frauen gibt, bezeichnet man es 
als freudige Ueberraschung, wenn ein Talent eine rote Frau malt. 
Ich bitte die Leser des Berliner Tageblatts, soweit sie es lesen, 
nun entschieden um Protest. Die öffentliche Meinung hat ein Recht 

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auf die rote Frau. Sie war unser! Aber ich kann Herrn Fritz Stahl, 
der Redaktion und der öffentlichen Meinung die Reise nach Brüssel 
ersparen. Ich habe wieder eine rote Frau in der SturmaussteHung. 
Die ist sogar von Franz Marc, der unendlich viel besser ist 
als Rik Wouters. Die sogenannten Berliner Kunstfreunde lieben 
freudige Ueberraschungen nicht. Wenn die Venus nicht erkennbar 
ist, nützt die ganze Röte nichts. Die Fachmänner des Berliner 
Tageblatts müssen sich aber sehr beeilen, wenn sie die rote Frau 
noch sehen wollen. Sie ist vielleicht schon im nächsten Monat 
in Brüssel und wird dort dein Berliner Tageblatt die freudige Ueber- 
raschting bereiten, die Herr Fritz Kunstkritiker Stahl ihr zu geben 
nicht das Auge hat. 


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Anton von Werner erlebt 


Das Berliner Tageblatt hat bekanntlich keinen Raum, bedeu- 
tende zeitgenössische Künstler auch nur zu registrieren. Oder aber: 
Herr Fritz Stahl hat es der Redaktion verboten. Herr Fritz Stahl 
gab selbst seine Unfähigkeit zu, Uber Bilder zu schreiben, die ihn 
nicht sehen mögen. Die Leser des Berliner Tageblatts erleben also 
eine Blockade, ohne überhaupt zu ahnen, was der Herr Stahl über 
sie verhängt hat. Dafür läßt er ihnen die Augen für die Bilder 
Seiner Exzellenz des Herrn Anton von Werner sechs Spalten weit 
öffnen. Herr Anton von Werner hat nämlich seine Memoiren her- 
ausgegeben unter dem Titel „Erlebnisse und Eindrücke“. Er 
schreibt also über Dinge, die zu malen ihm nicht gegeben war. Herr 
Werner ist für das Berliner Tageblatt „eine starke und uner- 
schrockene Persönlichkeit“. Vermutlich, weil er seine eigenen 
Bilder aushalten konnte und vor keiner Schimpferei gegen bedeu- 
tende Künstler zurückschreckte. Aber sein Buch. Ganz ganze Per- 
sönlichkeit: „Er sieht die Welt genau in demselben Licht, 
ob er den Pinsel, ob er die Feder in der Hand hat.“ Gemalt wie 
geschmiert. Hierauf wird selbst dem „technischen Berichter- 
statter“ des Berliner Tageblattes etwas übel, er tadelt eine ,^:e- 
wisse Kälte“ des Buches, sodaß darin gar nichts von den erhabenen 
Schmerzen „künstlerischen Ringens“ zu finden ist. Er findet hin- 
gegen, daß „Werner nie einen Augenblick im Zweifel darüber ge- 
wesen sei, worin seine künstlerische Sendung bestehe, und ais 
wenn die welthistorischen Ereignisse der siebziger Jahre sich aus- 
schließlich zu dem Zweck abgespielt hätten, dem Künstler Stoffe 
für seine Bilder zu liefern.“ Herr Werner vergaß zwar über den 
Stoffen die Bilder und lieferte eben einfach Stoffe. „Von Kiel geht 
es direkt ins Hauptquartier nach Versailles und fortab schwimmt 
Werner [also ab Versailles] in dem breiten Strom der offiziellen 
Geschichtsmalerei, der ihn zeitlebens getragen.“ Das „hat“ nur 
ging vor Schreck unter. Nun scheint sich die stählerne Hand über 

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den technischen Berichterstatter stelegt zu haben. Denn „nach 
diesen Vorbehalten muß jedoch anerkannt werden . . Und nun 
wird a n e r k a n n t. Alle Vorbehalte werden zu Wasser. Nein, 
was der Werner alles weiß. Was er erlebt hat. Welche Eindrücke. 
Er sah Moltke essen, Bismarck landwirtschaften, Minister tanzen. 
Erlebnisse und Eindrücke. Natürlich, sagt das Berliner Tageblatt, 
äußert sich Werner auch über die Kunst. Von Kunstkritikern läßt 
er nach dem Berliner Tageblatt nur Ludwig Pietsch gelten, der 
leider verstorben ist. Herr Eritz Stahl ist ihm oh'enbar nicht 
einmal aufgefallen. Und er hat es reichlich verdient, daß ihn Herr 
Werner gelten läßt. Ueher seine Kunst kann er denken, wie es 
ihm Freude macht. Eine Frechheit aber sind die Aeußerungen über 
Hugo von Tschudi: „In den Beratungen der Landeskunstkom- 
mission habe ich geniügend erfahren, wie hilflos Hugo 
von Tschudi gegenüber den künstlerischen Eigenschaften eines 
Kunstwerkes und ihrer Abschätzung stets war, und wie er 
lediglich einer ausgegebenen Parole zu folgen schien, der 
klassizistischen vermutlich ebenso überzeugt \vie der 
naturalistischen, impres-sionistischen, oder futuristischen, wenn 
sie gerade Mode gewesen wäre. Bei den empfehlenden Aeuße- 
rungen, mit denen er seine Vorschläge von Ankäufen für die Na- 
tionalgalerie begleitete, kam das stets in einer Weise zum Aus- 
druck, daß die der Kommission angehörigen Maler und Bildhauer 
den Herrn Qaleriedirektor gelegentlich darauf aufmerksam 
machten, daß sie selbst wüßten, wie es hinter dem Ofen 
a u s s e h e und seiner Belehrung nicht bedürften. Als er dann 
durch etwas gar zu tätliches Zugreifen an empfindlicher 
Stelle die Anerkennung seiner Unfehlbarkeit zu erzwingen suchte 
und sich dabei vergriff, wurde er von seiner Presse als Held und 
der eigentliche Schöpfer der Nationalgalerie gefeiert, die er durch 
Verstümmelung ihres Grundstocks, der Wagenerschen Ge- 
mäldesammlung und entgegen den testamentarischen Be- 
stimmungen ihres Stifters beschädigt hat." 


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Daß die Landeskunstkommission weiß, wie es hinter dem Ofen 
aussieht, wa^e ich nicht zu bestreiten. Daß aber Hugo vom Tschudi 
ein größerer Künstler war als sämtliche der Kommission ange- 
hörigen Maler und Bildhauer, wird wohl nur noch Herr von 
Werner selbst bestreiten. Was sagt übrigens Herr Direktor Justi 
von der National-Oalerie zu diesen neuen alten Beschimpfungen 
Tschudis. Herr Direktor Ludwig Justi hat im Verlag von Julius 
Bard, Berlin, unter dem Titel ..Der Ausbau der National-Oale- 
rie‘‘ zwei außerordentlich lesenswerte Denkschriften, diplomatische 
Meisterwerke, herausgegeben, ln der ersten Denkschrift heißt es 
wörtlich; 

„Diese Maßnahme (die Entfernung einer großen Anzahl Bilder 
der Sammlung Wagener durch die Direktoren Jordan und Tschudi 
aus den Schauräumen der Galerie in die Amtszimmer der Beamten) 
diese Maßnahme ist als Verletzung des Wagenerschen Testaments 
und damit jener Allerhöchsten Kabinettorder bezeichnet worden; 
gleichzeitig wurde verlangt, daß die Sammlung vollständig und zu- 
sammenhängend in den Schauräumen aufgestellt und dafür ein gan- 
zes Stockwerk der Nationalgalerie eingeräumt werde. 

Es handelt sich hier um einen rein formellen Einwand, die 
angebliche Verletzung eines Testaments, und, wenn dies zutrifft, 
damit auch zweier Allerhöchster Kabinettsorder; dagegen ist 
kaum, soweit ich sehe, ein nachdrückliches sachliches Bedenken 
erhoben, eine Beeinträchtigung des Wertes der National-Oalerie 
durch diese Maßnahme behauptet worden. Ein unparteiischer Be- 
urteiler wird im Gegenteil nicht bestreiten, daß der Oesamteindruck 
und der Rang unserer Galerie durch die Sichtung des ganzen Be- 
standes und damit auch der Wagenerschen Sammlung wesentlich 
gehoben worden ist. Ich glaube, daß auch die formelle Seite dieser 
nützlichen Maßnahme keine Kritiker gefunden hätte, wenn diese 
nicht aus anderen Gründen mit der Amtsführung des Oeheimrats 
von Tschudi unzufrieden gewesen wären.“ 


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Dies ist die Ansicht des gegenwärtigen Direktors der National- 
Oalerie. Er widerlegt sogar die Stichhaltigkeit des „formellen Ein- 
wands“. Ich will Herrn Direktor Justi nicht durch meine Be- 
geisterung für seine Denkschriften in seiner Stellung gefährden. 
Aber man lese dieses Buch. Wie beruhigend wirkt etwa dieser 
Satz: „Die nicht ausgestellten Bilder sind keineswegs in eigent- 
lichen Depots gestapelt, sondern in den Amtzimmern so aufgehängt, 
daß sie vielleicht besser studiert werden können als einst in Wage- 
ners Wohnung. Zum Kopieren kann jedes Bild ohne Weiteres in 
die Schauräume gebracht werden.“ Statt daß aber das Berliner 
Tageblatt sich ohne weiteres mit diesen Denkschriften bekannt 
macht, schreibt es nach der Zitierung dieser Ungeheuerlichkeiten 
gegen Tschudi: „Man kann es dem aufrecliten Mann, der am 
neunten Mai seinen siebzigsten Geburtstag feiert, gewiß nicht übel 
nehmen, daß er am Abend seines Lebens . . Man kann es doch. 
Man nimmt es auch siebzigjährigen Geburtstagskindern trotz 
aller Rührung übel, wenn sie nur wissen, wie es hinter dem Ofen 
aussieht. Hierüber helfen auch keine Redensarten von „Kunstmei- 
nung“ und „anderm Lager“ hinweg. Es gibt kein anderes Kunst- 
lager hinter dem Ofen. Für „die große Fülle von Arbeit“ wird in 
der Kunst keine „Achtung gezollt.“ Auch wenn so ein Lagerheld 
alle Werke zu Ende geführt hat. Und „fast verblüffend“ wirkt es 
für das Berliner Tageblatt, „daß der Künstler daneben [daneben] 
noch seine ausgedehnte und weithin wirkende Tätigkeit als Akade- 
miedirektor und Vorsitzender des Vereins Berliner Künstler ausge- 
übt hat.“ Das ist verblüffend. Aber so weh auch das Scheiden tut, 
geschieden muß sein: „So scheidet man von dem Memoirenbuch, 
das mit einer Fülle von Reproduktionen Wernerscher Werke ge- 
schmückt ist, mit dem Eindruck, daß hier ein Mann spricht, 
der jedenfalls Anspruch darauf machen darf, gehört zu werden.“ 
Immer noch besser, als gesehen. Er hat jedoch Anspruch darauf, 
von Herrn Fritz Stahl gehört zu werden. 


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Mein neuer Freund 

„ln den Erinnerungen, die Anton v. Werner neulich veröffent- 
licht hat, und die an dieser Stelle schon besprochen worden sind, 
ist von der beruhigten Stimmung, die man dem hohen Alter nach- 
sagt, nichts zu spüren. Streitbar wie immer steht der Siebzig- 
jährige vor uns, ein guter Freund und ein guter Hasser, von 
seiner Sache felsenfest überzeugt, nicht einmal 
von einem leisen Zweifel angerührt, ob nicht auch 
eine andere Anschauung möglicli ist, uiinachgie- 
bignach allen Seiten, auch nach oben. 

Ich gestehe, daß ich für solche Männer eine 
Schwäche habe. Sie wachsen ja leider nicht nach, die Zeit 
gehört denen, die immer auch anders können, den Lauen, die 
sich durch große und kleine Nützlichkeiten bestimmen lassen. Und 
es tut meinem Respekt keinen Abbruch, daß wir sozusagen geborene 
Gegner sind.“ 

Also schreibt Fritz Stahl in; Berliner Tageblatt. Er m uß da- 
nach eine Schwäche für mich haben. Er zeigt sie allerdings auf 
etwas verborgene Weise. Vielleicht bekommt Der Sturm 
seiner Schwäche nicht gut. Er verschließt sich ihm. Aber drinnen, 
in seiner gutbürgerlichen Stube, da liest er ihn, mein neuer Freund. 
Und er weiß, daß mich nicht einmal ein leiser Zweifel rührt, ob 
nicht auch seine Anschauung möglich ist. Denn er hat keine. Er 
sieht nur Bilder mit Dingen. 


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Mein neuer Freund über Anton von Werner 
und sich selbst 

,JGr hat in dem Kampfe, den er gegen unsere Genera- 
tion führte, nicht gesiegt. Er hat Zusehen müssen, wie Kritik, Pu- 
blikum und schließlich auch der Staat sich einer anderen Kunst zu- 
wandten, einer Kunst, die für ihn keine ist. Das erklärt die Bitter- 
keit und Gereiztheit, die seine Taten und Meinungen in den 
letzten Jahren immer mehr und mehr beherrschte. Es ist ihm 
unfaßbar, daß gerade die Epoche, in der er und seine Freunde 
wirkten, jetzt allgemein für eine schlechte gehalten wird. Es 
ist ja unfaßbar, meint er, daß gerade nur dieses Mal in der ganzen 
Kunstgeschichte Künstler und Kunstbetrachter sich geirrt haben 
sollen.“ 

Mit so einem dicken Balken im eigenen Auge kann man natür- 
lich nicht Bilder betrachten. 


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Mein neuer Freund über einen Kollegen und sich 

„Neben ihm stellt Herr v. Kliaynach aus, dessen ganz hilflose 
Malerei nicht zu erwähnen wäre, wenn er nicht zugleich als Kri- 
tiker eines Berliner Blattes fortwährend den Niedergang des Kön- 
nens und den Mangel jeder guten Tradition bei anderen be- 

klagte. 

Fritz Stahl“ 

Das ist also der Herr mit dem Splitter. 


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Mein neuer Freund als Politiker 

Der geborene Gegner tritt für die fehlgeborenen Bilder des Herrn 
Anton von Werner ein. Die Große Berliner Kunstausstellung wollte 
aus politischen Rücksichten, Avie sie sich sehr politisch ausdrückte, 
die Schlachtenbilder des Herrn von Werner nicht ausstellen. Da zog 
der Stahl vom Eisen. Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts in der 
Welt. Verschiedene andere Deutsche allerdings die Bilder des 
Herrn von Werner. Der Stahl beschützt immer die Kunst. Keine 
Kunst für Kunst zu halten ist allerdings mehr Kunst der Politik, als 
Kunstpolitik. Der Stahl ist zwar noch nicht siebzig Jahre alt, wie 
der Werner, aber langsam beginnt er bereits mit seinen „Erinne- 
rungen“: 

„Ich habe einmal im Berliner Künstlerhaus den Dolmetscher 
zwischen dem Münchener Bildhauer Rümann und dem Franzosen 
Mercie gemacht, der die Gruppe „Gloria victis!“ und andere ge- 
schaffen hat. In denen der französische Trotz gegen die deutschen 
Sieger gestaltet ist. Rümann bewunderte den Kunstgenossen, der 
zuerst ziemlich grimmig dreinsah. Am Ende aber reichten sich die 
beiden Soldaten von 1870 herzlich die Hand.“ 

Endlich einmal ein B i 1 d. Schade daß sie geborene Gegner sind. 
Ich sehe dieses ungeborene Bild des Werners. Die alten Soldaten 
reichen sich die Hände, im Hintergründe die feindlichen Gruppen 
und im Vordergrund, sodaß er noch sichtbar ist, zwischen den 
Händen, nein, das wäre futuristisch, also vor den Händen, 
sprechend perspektivisch, der friedliche Dolmetscher, mein neuer 
Freund, der alte Fritz. 


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Der Altmeister 


Herr Professor Begas, der bekannte Verfertiger monumentaler 
Nippes, ist achtzig Jahre alt geworden. Der Kaiser hat ihn zum 
Wirklichen Geheimen Rat ernannt, Herr Stassen ihm eine Adresse 
mit „Rosen und Lorbeeren“ geschmückt und der Verein Berliner 
Künstler „erhebt ehrfurchtsvoll und bewundernd den Blick zu einem 
Lebenswerk voll reich quellender Schönheit und ehrt den großen 
Künstler, der uns des Tages grauen Alltag mit den Strahlen olym- 
pischer Heiterkeit veredelte und der das Besitztum seiner Volks- 
genossen an froher Schönheitserkeiintnis mehrte.“ Dagegen wäre 
nichts einzuwenden, man stimmt in das olympische Gelächter ein 
und bedauert nur, daß zur Verbreitung der Schönheitserkenntnis 
Stein und Marmor benutzt worden ist. „Die Stadt Berlin betont 
in dem sehr herzlich gehaltenen Glückwunschschreiben, daß Begas 
der Schöpfer des Schillerdenkmals, des Brunnens auf dem Schloß- 
platz und des Nationaldenknials ist." Das hätte die Stadt Berlin 
lieber nicht betonen sollen. Fritz Stahl ist schon kritischer. 
Er betont, daß Herrn Geheimrat Begas „die Verantwortung für den 
schlimmen neu-preußischen Denkmalsstil schwer belastet. Man 
darf es auch heute nicht verschweigen, er trug die volle Schuld 
daran, er war sich selbst untreu geworden.“ Zwar hat Fritz Stahl 
einen früheren Begas entdeckt, einen „sozusagen fleischlicheren“. 
Es werden verschiedene „lebensprühende“ Büsten aufgezählt, wor- 
auf Herr Stahl begossen bemerkt: „Mit diesen Werken ist dann 
die eigentliche Entwicklung des Künstlers abgeschlossen. Kamen 
die Forderungen des neuen Kursus nach iininer lauteren Formen, 
nach immer barockeren Häufungen, nach immer schnellerer 
Arbeit Wünschen entgegen, oder hatte er nur nicht den Charakter, 
.so bequeme Gelegenheiten abzuweisen. Er hat an die wichtigsten 
Stellen statt ernster Monumente üble und flüchtige Dekorationen 
gestellt.“ Die Stadt Berlin betont die Stellen. Wenn Fritz Stahl 
schon diese üblen und flüchtigen Dekorationen sicht (ich halte 

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CoQslJ 



sie für Nippes), was sorgt er sich? Der Charakter ist Begas ia 
jetzt als Wirklicher Geheimer Rat verliehen worden. Der neue 
Kurs kam nicht seinen Wünschen entgegen, sondern seine Wünsche 
pflastern den neuen Kurs, soweit das Auge dessen reichte, der ihm 
den verloren gegangenen Charakter wieder verleihen konnte. Wer 
sich Konzessionen geben läßt, dem wird ein Charakter verliehen. 
Wer aber als Künstler einen Charakter besitzt, kann ihn nicht 
nach der „ersten Epoche“ konzedieren. Auch wenn er bekennt, 
Gegenwert erhalten zu haben. Oder um mit Fritz Stahl zu sprechen: 
„Die Bilanz schließt mit einem mächtigen Verlust. Die unzweifel- 
haften Aktiva sind rar.“ 


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Begas 

Die Abuiinenten des Berliner Tageblatts haben es nicht leicht 
Sie müssen alle vier Wochen ihre Kunstanschauung ändern. Bebn 
achtzigsten Geburtstag des Altmeisters Begas schrieb man: 

„Die Verantwortung für den schlimmen, neupreussischen Denk- 
inalsstil belastet Begas schwer. Man darf es auch heute nicht ver- 
schweigen, er trug die volle Schuld daran, er war sich selbst untreu 
geworden . . . Kamen die Forderungen des neuen Kurses nach 
immer lauteren Formen, nach immer barockeren Häufungen, nach 
immer schnellerer Arbeit seinen Wünschen entgegen, oder hatte 
er nur nicht den Charakter, so bequeme Gelegenheiten abzuweisen. 
Fr hat an die wichtigsten Stellen statt ernster Momimente üble und 
flüchtige Dekorationen gestellt.“ 

Vier Wochen später „An Begas Totenbahre": 

„Hierbei kommt es garnicht einmal so sehr auf die Zahl der 
Werke an, die aus Begas’ Werkstatt hervorgingen, um unsere 
Strassen und Plätze zu zieren. Gewiß, es sind gerade die räum- 
lich beträchtlichsten Berliner Monumente, die von Begas herrühren: 
Schloflbrunnen .... Aber wichtiger und bedeutender ist, daß der 
Stil, der sich in diesen Werken bekundet, auch den späteren Werken 
anderer Meister maßgebend wurde, daß ein Bega.sstil hier sich in 
allen öffentlichen Werken der Plastik und der Architektur durch- 
setzen konnte. 

„Das prunkende, rauschende Barock, das in der nüchternen 
nachklassizistischen Zeit Wilhelm I. in Berlin noch vollkommen 
unmöglich gewesen wäre, wurde durch Begas die Kunstsprache 
der unruhigen neowilhelminischen Zeit, die jetzt allgemach hinter 
uns zu liegen korrnnt und Geschichte zu werden beginnt. Ganz 
wunderbar paßte sich die laute, sich grandios gebende Kunst dieser 
aufgeregten Zeit mit den vielen großartigen Absichten ... an und ein 
ganz wunderbar gütiges Geschick hat über uns gewaltet, dafi es 
gerade doch immer Begas, doch ein Meister ersten Grades war, an 


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den Wilhelm II. mit seinen ersten zahlreichen Aufträgen geriet. 
Was wäre aus Berlin geworden, wenn schon in jener frühen Zeit 
des neuen Regimentes jene kleineren Geister zum Wort gekommen 
wären, die sich nach Begas’ Ausscheiden marmorn und bronzen 
breitmachen durften.“ 

Wenn diese Bildhauer, jetzt kleinere Meister genannt, gestorben 
sein werden, wird sie das Berliner Tageblatt sicher als Altmeister 
feiern. .ledenfalls ist der preuüische Kultusminister Herr von 
Trott zu Solz .schon heut überzeugt, daß das ganz wunderbar gütige 
Geschick noch immer über Preiissen waltet. Der neuen Ehren- 
doktor der Stadt Breslau depeschiert: 

„Anlässjlich des Hinscheidens Ihres Herrn Vaters, Exzel- 
lenz Wirklichen Geheimen Rats Professor Reinhold Begas spreche 
ich Ihnen und den übrigen Hinterbliebenen meine herzliche Teilnahme 
aus. Noch unter'deni Eindruck der reichen Ehrun- 
gen, die den Verewigten bei der Feier der Vollendung seines 
achtzigsten Lebensjahres zuteil wurden, betrauert auch die 
preussische Kuiistverwaltnng den Heimgang des füh- 
renden Meisters der Berliner Bildhauerkunst, des anregenden Leh- 
rers zahlreicher, namentlich in Berlin wirkender Bildhauer und des 
Schöpfers so vieler glänzender Meisterwerke. Seinem Namen ist 
für alle Zeiten ein rühmliches Andenken gesichert.“ 

Noch unter dem Eindruck .seiner Ernennung zum Ehrendoktor 
kann man der Breslauer Universität anlässlich dieser De- 
pesche nur zur Logik, Sprache und Kunstanschauung des preu- 
ßischen Kultusministers gratulieren. Auch der deutsche Kaiser hat 
ein Beileidstelegramm gesandt. Nach dem Berliner Tageblatt lautet 
der Schlußsatz: 

„In seinen Schülern, deren Wirken mir zum größten Teil be- 
kannt geworden ist, wird seine Kunst fortleben. Ich nehme an der 
Trauer der Familie herzlichen Anteil.“ 

Hingegen im Berliner Lokal Anzeiger: 


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. . wird seine Kunst fortleben und nehme ich an 
Trauer der Familie herzlichen Anteil.“ 

An einem Kaiserwort soll man nicht drehn, meine Herren. Na- | 
mentlich, wenn dadurch eine Inversion entsteht. } 

Die B. Z. am Mittaj? hat natürlich sofort die Erinnerungen des ! 
Altmeisters zur Verfügung. Wer übermittelt ihr so unmittelbar 
nach dem Tode die unglaublichen Geschmacklosigkeiten, die sie zu 
veröffentlichen „in der Lage“ ist. Da staunste: 

„Bei Fürstenbesuchen im Begasschen Atelier war die Gattin 
des Künstlers, die ihm um fast zehn Jahre im Tode vorausgegan- 
gen ist, stets dabei. Noch auf ihrem Totenbett bedauerte sie 
es, nicht hinab zu können in die Werkstatt, wo der Kaiser den Sar- 
kophag seiner Mutter besichtigte. Eben hatte der Herrscher das 
Atelier verlassen, da klangen aus dem geöffneten Krankenfenster 
glockenhell, voll Liebe und Sorglichkeit, die fragenden Worte in den 
Garten herab: „Kinder, war alles gut?“ 

Die Herren Schriftsteller dieser Zeitung blamieren sich wenig- 
stens nur innerhalb ihrer Branche. Aus Rache veranlassen sie 
Maler, Musiker, Schauspieler und Bildhauer fortgesetzt zu gleicher 
Tätigkeit in „fremder Kunst“. 

lieber Begas steht im Nachruf: 

,J^ür abstrakte Probleme nicht geschaffen, mochte er nicht vor- 
zeitig den Schleier der Zukunft lüften. Aber als geistvoller, 
zuweilen auch boshafter Epigrammatiker hat er sein „Glau- 
bensbekenntnis“ in den Versen ausgesprochen: 

„Wer weiß es denn, ob einst in lichten Höhen 
Wir alle unsre Lieben Wiedersehen? 

Wer weiß, was einst geschieht mit unsren Aschen? 

Ich weiß es nicht — ich laß mich überraschen!“ 

Man bekommt wirklich das Sterben über. 



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Michels Reinfall 

Ich erhielt einen Prospekt, geschmückt mit zwei Bildern, die ich 
für Kopien, für schlechte Kopien frei nach Oskar Kokoschka 
hielt. Durch den Prospekt wurde ich belehrt, daß es sich um „Origi- 
nalgemälde“ eines Herrn Max Oppenheimer handelt. Der Prospekt 
teilte mir weiter mit, daß „Feuer, Geist und Leidenschaft das Schaf- 
fen dieses Künstlers charakterisiert“. Seine Malerei ist „eine Frucht 
glänzender Evolution“. Der Intellekt dieses Herrn ist nicht nur 
grüblerisch, er ist „hochgezüchtet“. Ich persönlich glaube nicht 
einmal an die Fähigkeit, einen Intellekt hochzuzüchtigen. Die Bilder 
dieses Herrn sind sogar „von erlauchter Nachdenklichkeit“. Seine 
Malerei ist „faustisch, widerspräche dem nicht die hohe sinnliche 
Kultur, die ihr zu Grunde liegt“. Aber nicht damit genug: dieser 
Herr hat „ein Temperament, das den Zweifeln und den Rätseln 
fremd ist“ (trotz der erlauchten Nachdenklichkeit), „einen Ge- 
schmack, der die Erschütterung liebt“, (mit Feuer, Geist und Leiden- 
•schaft), „eine entschiedene asketische Geistigkeit“ (trotz der zu 
Grunde liegenden hohen sinnlichen Kultur). Alle diese netten Sachen 
begegnen sich natürlich „auf einem hohen Punkt“. Also vorbereitet 
beschließe ich, das „Buch, das von diesem Künstler erzählt“, zu 
lesen. Es ist von einem Herrn Wilhelm Michel. 

Ich habe das Buch dieses Herrn Wilhelm Michel gelesen. Und 
muß zunächst dem Verleger, Herrn Georg Müller, eine Abbitte lei- 
sten. Ich dachte, der imposante Prospekt sei seiner Phantasie ent- 
sprossen. Die Blüten stammen aber von dem Autor selbst. Auch 
das hochgezüchtete Gehirn. Das „splendid ausgestattete“ Buch über 
diesen Herrn Max Oppenheimer enthält zahlreiche Bilder, durch die 
für jeden Kenner das geradezu überwältigende Kopiertalent des 
Oppenheimer einwandsfrei bewiesen ist. Er hat Oskar Ko- 
koschka und G r e c o auf der Palette. Herr Michel kennt wahr- 
scheinlich diese Maler nicht. Im übrigen hat er über seinen Oppen- 
heimer einen so fabelhaft lyrischen Kitschquatsch geschrieben, daß 

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man aus dem Jubel gar nicht herauskommt. „Jedes mutige und sefc- 
ständig organisierte Sensorium vollbringt noch in unsern Tagen 
eine neue Weltschöpfung und vermehrt so gewissermaßen 
durch das Wunder einer Selbstzeugung das Inventar der Welt.“ Op- 
penheimer etabliert gewissermaßen einen Inventarausverkaui. 
„Die Götter hätten auch wahrlich keinen Grund zu ihrer ererbten 
Vorliebe für die Künstler, wenn sie an diesen nicht berufsmäßige 
Helfer hätten in ihren ewigen Mühen, dem Chaos neue Formen zu 
entreißen.“ Auch Oppenheimer hat eine ererbte Vorliebe für die 
Künstler, die er kopiert, um sich zu besitzen. Die Stoffe, nach 
denen iaut Michel ein Gemälde entsteht, sind folgende: „Die sinn- 
liche Erscheinung der Wirklichkeit an sich, das allgemeine Welt- 
anschauliche des Subjektes, die konkreten Erregungen, die das be- 
stimmte Objekt in eben diesem Subjekt hervorruft, die formalen 
Elemente, wozu ich auch das Gesetzmäßige und gewisser- 
maßen animalische Sichausleben der Farbe rechne.“ Das sieht 
man so einem Gemälde gar nicht an. Die Farbe lebt sich ge- 
wissermaßen animalisch aus und die konkreten Erregungen, 
die das bestimmte Objekt Kokoschka in eben diesem Subjekt Op- 
penheimer hervorruft, sprechen sicher für das allgemein Weltan- 
schauliche des Subjektes. Auch Michel ist dieser Ansicht: „Einen 
höchst einprägsamen Geschmack übermittelt diese Malerei von der 
Person ihres Urhebers.“ 

Etwas Weltanschauung: „Abneigung gegen starke Intervalle in 
der Farbe, deutet im allgemeinen ganz sicher auf zivilisierte Däm- 
pfung des Sinnenlebens, auf Geist und Beweglichkeit der Auffassung, 
wie der Hand.“ Die Beweglichkeit wird nicht bestritten. Aber die 
Signatur m. opp. bedeutet noch viel mehr. „Die durchgehend 
dunkle Tonalität deutet auf ein Lebensgefühl von düstrer Prägung.“ 
„ . . . präzis wollüstige Polyphonie des Ausdruckes, die die Ober- 
fläche jeder Oppenheimerschen Tafel zu einer ungemein unterhalt- 
samen Sache macht.“ Die Oberfläche ist sogar zum Totlachen. Der 
Michel fühlt „die Hände des Künstlers drüber gleiten“, die sind 

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unter anderem „fein und beschwörerisch, klu«: und diszipliniert“. 
Folgerung : „So ergibt sich das Bild eines hochgezüchteten 
grüblerischen Verstandes und eines Gefühls, das von dunkel gefärb- 
ter Religiosität nicht weit entfernt ist.“ Die Dunkelheit läßt sich 
sehen. Nun sucht der gute Michel nach Analogien, kommt auf 
Rembrandt und das Oute liegt viel näher. Aber m. opp. nennt selbst 
Rembrandt seinen vorzüglichsten Lelirer. Analogien aus der Ver- 
gangenheit machen sich stets dunkler. „In dem Kampf zwischen 
Objekt und Subjekt in der Malerei ist das Subjekt vorläufig Sieger 
geblieben.“ Vorläufig. Bis auf diese Abschiessung. „Auch 

Oppenheimers fanatische Geistigkeit verleugnet ihre Siegerfrende 
nicht.“ Jetzt wird er hoffentlich sich bald selbst verleugnen lassen. 
„Man ist entweder Abstraktionskünstler und betätigt sich dann als 
Monumentalbaumeister, als Reliefplastiker, als Kunstgewerbler, 
oder man ist Maler, und gibt dann, dem Willen der Ma- 
terialien folgend, der Lust und Freude an dem Verwandt-Lebendigen 
ihr Recht.“ Man nehme sich das Verwandt-Lebendige und man 
ist Maler, man sei Kunstgewerbler und man ist Abstraktionskünst- 
ler. Oder auch Monumentalbaumeister, wie man will. Der Michel 
wird immer aufgeregter: „Oppenheimer, obschon seine souveräne 
Geistigkeit auf die Nachbildung des Objektes verzichtet, ist 
dennoch von Grund aus Maler geblieben.“ Auf die Nachbildung des 
Objektes verzichtet? Wozu hat man seine souveräne Geistigkeit? 

„ln den Bildnissen kommt die subjektiv-dichterische Art seiner 
Ausdeutung der Wirklichkeit zu klarstem Ausdruck.“ Kein Wunder 
bei einem hochgezüchteten Gehirn. Aber auch land.schaftern kann 
m. opp., direkt nach Kokoschka. „Die Seele der Landschaft liegt 
eben wirklich in der Herzlichkeit des Momentes. Was hier die 
Farbe, den Wortschatz des Künstlers quellen macht, 
ist durchaus das Gegenständliche und Gegenwärtige." Der ge- 
quollene Schatz dürfte aus Papier gewesen sein. Daß m. opp. einem 
Dämon nachgeht, wird man nach diesen Ausdeutungen seiner Ma- 
lerei nicht bezweifeln. „Seiner ganzen Veranlagung nach gehört 

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Oppenheimer zu den Oeistern, denen die Welt mehr nach herz- 
kräftiger Bitternis, als nach SüCe schmeckt.“ Also auch sein Geist 
nimmt etwas zu sich. „Zum Weltschrecken, zu einer Religiosität 
satanischer Prägung besitzt Oppenheimer ein sehr nahes und heute 
noch nicht klar dokumentiertes Verhältnis.“ Das Verhältnis dürfte 
zu seinem Schrecken nun schon etwas klarer dokumentiert sein. 
„Oppenheimer hatte ja den Vorzug, in Wien geboren zu sein, und 
vielfach durchgorenes, ausgelebtes Blut in sich zu tragen.“ Man 
hat seine Vorzüge, wenn man in Wien geboren ist und seinen Maler 
kennt. „Die gebärdenreiche Auseinandersetzung mit der Welt ist 
ihm erspart geblieben.“ Dazu dürfte es jetzt noch kommen. Etwas 
über den Künstler selbst: „Das Mischblut betreibt die Malerei ge- 
lassen und überlegen, hat eine Art vornehmes Laster, die Zigarette 
im Mund, im Promenadeanzug mit Pinsel, Wischlappen und den 
Streichhölzern hantierend.“ Das Laster mit der Zigarette und dem 
Promenadeanzug bleibt sein persönlichstes Gut, den Wischlappen 
und die Streichhölzer hat er auch dem Kokoschka abgeguckt. Die 
Maler, sagt Herr Michel, werfen der auftauchenden Geistigkeit des 
Oppenheimer Literatur vor, und nur Schriftsteller vermochten ihm 
auf seinem Wege zu folgen. Schriftstellern kann man leicht etwas 
über Malerei vorwerfen, die Literatur des Michels taucht dafür 
geistig auf. Der Michel gibt ihm noch schnell „selbst das Wort“ zu 
einer Biographie, m. opp. erklärt, daß seine Lehrer mit Ausnahme 
des Rembrandt von aufreizender Talentlosigkeit waren. Sehr cha- 
rakteristisch für ihn. Schlechte Dichter berufen sich auf Goethe und 
schlechte Maler auf Rembrandt. m. opp. schreibt weiter: „Mein 
Umgang mit höchst zweifelhaften Leuten brachte mich in den Ruf 
eines anrüchigen Individuums, dessen Anschauungen verwerflich 
und dessen Verkehr zu vermeiden sei.“ Nun hat er seinen Ruf bei 
Michel dem Umgang mit „höchst zweifelhaften“ Leuten zu ver- 
danken, die sich allerdings den Verkehr mit ihm verbaten. „Nach 
geraumer Zeit fühlt man sich stark und frei genug, der Konvention 
das übliche Kompliment zu versagen und alsbald geht man mühelos 


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und leicht höheren Erkenntnissen entgegen.“ Mühelos und leicht 
hat er sich seine Erkenntnis gemacht. Weniger wahr bleibt, daB 
er sich „einen Stil aus seiner Zeit geschöpft hat.“ Warum drückt 
sich das malerische Subjekt so objektiv aus? Was ist Zeit, wenn 
man in Wien lebt? „Man ist immer agil.“ Das heißt, man versteht 
das Geschäft. „Die Freiheit macht mutig und kühn, sie festigt den 
Einsamen." Einsam ist er auch der arme Mopp. „Man treibt rastlos 
neuen Ereignissen, unbekannten Himmeln entgegen.“ Nur, daß dio 
Ereignisse nicht so neu, und die Himmel nicht so unbekannt sind, 
m. opp.! 

Das wäre der „in Tiefen getauchte Sohn der Zeit“ mit dem 
hochgezüchteten Gehirn. Der Michel fällt immer rein. 


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Die kranke deutsche Kunst 

Ich habe das Buch noch nicht gelesen, das Buch von der 
kranken deutschen Kunst, geschrieben „auch von einem Deutschen“, 
Es kostet zwar nur eine Mark, ist vorzüglich ausgestattet, achtund' 
sechzig Seiten broschiert stark und im Verlag von H. A. Ludwig 
Degener, Leipzig, erschienen. Zur Empfehlung des Buches ver- 
sendet der Verlag ein offizielles Schreiben der Königlichen Akade- 
mischen Hoclischule der bildenden Künste zu Berlin. Journalnum- 
mer 1388. Also eine amtliche Kundgebung. Dieses interessante 
Buch erleichtert der gesamten königlichen akademischen Hochschule 
für die bildenden Künste zu Berlin das Herz; 

„Die Unterzeichneten Mitglieder des Lehrer-Kollegiums der 
Königlichen Akademischen Hochschule für die bildenden Künste 
zu Berlin haben mit lebhaftem Interesse von dem Inhalt des in 
Ihrem Verlage erschienenen Buches: 

„Die kranke deutsche Kunst“ 

Kenntnis genommen. 

Wir, Unterzeichnete, möchten es uns als Künstler nicht ver- 
sagen, Sie zu ersuchen, dem anonymen Autor den Ausdruck 
unserer Zustimmung freundlichst zu übermitteln. Es ist mit gtroBer 
Befriedigung zu begrüGen, daß so treffende, wohlüberlegte und 
wahre Aeußerungen über die lebende Kunst an die Oeffentlichkeit 
treten und allen Zweiflern, die heute nicht mehr zu wissen schei- 
nen, was im künstlerischen Schaffen gut oder böse ist, das Herz 
erleichtern. 

Ist es doch leider nur wahr, daß auch unser für die Kunst 
interessiertes Publikum in seiner von Natur ganz gesunden Emp- 
findung durch kenntnislose Herren der Feder sich oft in seiner 
Meinung irre machen läßt. 

Man sollte es kaum für möglich haften, daß die deutsche 
Kunst, die das Glück hatte, in Adolf Menzel einen Kunstheros zu 
besitzen, durch fremde fragwürdige Einflüsse ln ihrer gesunden 

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Entwicklung gehemmt und durch gewisse Ausartungen des heuti- 
gen Kunsthandels in abschüssige Bahnen gedrängt werden konnte. 

Der trefflichen Schrift können wir, auch um der darin bekunde- 
ten nationalen Gesinnung des Autors, nur eine großmöglichste Ver- 
breitung wünschen. 

An Herrn H. A. Ludwig Degener, Verlagsbuchhandlung.“ 

Die Unterzeichner, die sich in ihrer Entwicklung durch fremde 
fragwürdige Einflüsse gehemmt fühlen und in Adolf Menzel gleich 
einen Kunstheros besitzen, heißen: Professor Anton von Werner, 
EHrektor, Paul Meyerheim, Oswald Kuhn, M. Schaefer, Georg Lud- 
wig Meyn, Böse, Hans Meyer, Peter Breuer, Ernst Herter und das 
gesamte übrige Lehrerkollegium. Nun weiß man endlich, warum alle 
diese Herren kein Talent haben und nichts können. Sie sind durch 
fragwürdige Einflüsse eben gehemmt worden. Sie konnten sich 
nicht genug entwickeln. Sie wurden skrofulös. Und sie machen die 
deutsche Kunst für ihr Kranksein verantwortlich. Die trefflicho 
Schrift des Autors mit der bekundeten nationalen Gesinnung soll 
ihre Erkenntnis großmöglichst verbreiten. Endlich werden alle 
Zweifler erfahren, was im künstlerischen Schaffen gut oder böse 
i.st. Endlich wird die deutsche Kunst wieder moralisch untersucht. 
Das für die Kunst interessierte Publikum mit seiner von Natur ganz 
gesunden Empfindung wird durch kenntnislose Herren der Feder 
nicht mehr in seiner Meinung irregemacht. Die Herren des Pinsel.s 
lassen sich von dem nationalen Pinsel der Feder lakieren. Für 
ewige Zeiten. Journalnummer 1388. So kommt endlich einmal Farbe 
auf ihre Bilder. Ich freue mich unglaublich auf das Buch. Man 
denke: Die ganze königliche akademische Hochschule für die bil- 
denden Künste zu Berlin schart sich um die achtundsechzig Seiten. 
Ihr Eintreten wird in einem richtigen Journal festgelegt. Endlich 
haben sie sich einmal festgelegt. Man wird das Buch lesen, von dem 
der Verleger so schön sagt: „Der Verfasser richtet eine wohl- 
meinende Mahnung zur Umkehr vom falschen Weg an die moderne 
Künstlerschaft. Er verkennt nicht, daß sicherlich die neue Richtung 

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in der Malerei manches Gutes zeigte, aber weist eindringiich auf ihre 
verheerende Wirkung, auf wahre echte Kunst hin!“ Die neue Rieh- 
tung hat den ganzen wahren echten Werner und das ganze wahre 
echte Lehrerkollegium verheert. Aber noch mehr: „Die heutige 
Architektur geht iin Raufen um die NUtzlichkeitsgestaltung geradezu 
unter. Die Freude an der Form, an reicher gediegner Durchbildung, 
der Zug nach oben ist fort.“ Die wahren echten Architekten bauen 
bekanntlich nur den Zug nach oben, und lassen das Fundament, den 
Grundriß, einfach fort. Daß der nationale Autor sogar für die wahre 
echte Architektur eintritt, dafür müßte er besonders belohnt werden. 
Man möge ihm ein künstlerisches Haus schenken, frei von jeder 
Nützlichkeitsgestaltimg, wo er sich malerisch ausleben kann. Ich 
empfehle ihm Herrn Qeheimrat Ihne oder die Herren Boswau und 
Knauer. Da findet er seine Leute. Die haben noch Freude an der 
Form, an reicher gediegner Durchbildung, die Bestien springen nur 
so aus den Mauern heraus, die Weiber tragen nur so die ßalkone. 
die Tugenden stehen nur so auf dem Dache, die steinernen Quir- 
landen und Fahnen kleben nur so an den Wänden. Da ist der Zug 
nach oben nicht fort. „W ie eine Erlösung wirken diese 
Worte. Jeder Gebildete, jeder Künstler, Schriftsteller, Maler, 
Kunstgewerbler und Architekt muß diese hochinteressante Schrift 
lesen. Der Verfasser ist einer der besten dieser Kreise.“ Die Er-' 
lösungsworte wirken reichlich ungelöst. Der Deutsche, der 
sich mit seinem Namen nicht heraustraut, soll hcrausgepaukt 
werden. Sogar mit Trompeten und Posaunen. Welch ein Glück, 
daß es noch Kreise gibt, Kreise von Gebildeten, Künstlern, Schrift- 
stellern, Malern, Kunstgewerblern und Architekten, man wird auf 
einen der besten dieser Kreise eine verheerende Wirkung ansüben. 
Es ist eine Lust zu leben. 


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Die liebelose Ausstellung 

Der Lokalanzeiger weiß jetzt bereits, daß es sicli bei Hiidern 
„nicht um das Oegenständlichc liandelt.“ Kr kann es sich aber nicht 
versagen, gerade auf Grund dieses Wissens einmal eine Ausstellung 
nach dem Gegenständlichen zu betrachten. Kin Doktor wurde daher 
eigens in die juryfreie Kunstschau gesandt, um durch die Bilder das 
Wesen der Frau, „die stets etwas rät.selhaftes für uns hat“, zu 
erkennen. Dem Doktor fallen folgende Rigenschaften der Frau, 
nein, sie springen ihm sogar in die Au.gen: Kampfeslust, stille Me- 
lancholie, unerfüllte Sehnsucht, süßes Nichtstun. Man sielit. Rätsel 
raten ist garnicht so schwer. Freilich wird die Aufgabe wesentlich 
dadurch erleichtert, wenn man „ein Biedermeiermädchen in einem 
Park voll träumerischer Romantik, eine heroische Figur, die auf 
weiter Berghalde der untergehenden Sonne entgegenschrcitet“. bild- 
haft vor sich hat. Aber die Frau betätigt sich nicht nur seelisch 
(unerfüllte Sehnsucht, süßes Nichtstun), „es kommen auch Bilder, 
die schon mehr nach Betätigung aussehen, wie es etwa das 
Kaffeetrinken ist.“ Also auch in dieser Hinsicht kann man be- 
ruhigt sein. Bleibt das Erotische. „Vom Kaffee zum Tanz ist nur 
ein Schritt. So nähern wir uns immer mehr den Lebensfreudigen. 
Sie sind es nicht nur mit dem Munde, sondern mit Leib und Seele, 
von der lachenden Lantenspielerin bis zur bacchantisch taumelnden 
Mänade.“ Man fühlt, der Doktor fürchtet sich nicht vor dem letzten 
Geheimnis. Aber er kann sich mit all diesen Eigenschaften der Frau 
nicht begnügen. Ihm, dem Mann, „fehlt die Verkörperung der liebe- 
vollen Hingebung, was der Mann vor allem bei der Frau wünscht. 
Da sie u n s indeß das Leben zumeist vorenthält, so können wir sie 
bei einer Kunstschau billigcrweise nicht verlangen.“ ,fa. ja. so i s t 
das Leben. 


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Barmer Kunst 


Ich kann der Stadt Barmen nicht helfen: sie hat sich schon 
einmal über den Sturm beschwert, sie wird es wieder tun. Die 
Herren, die im Namen der Stadt Barmen beleidigt sind, tragen 
selbst die Schuld. Die Barmer Zeitung öffnet die Spalten ihres 
Herzens nicht nur dem kunstleidenden Kritiker: auch die „An- 
wohner“ dürfen sich ausw einen. Unfälle durch die Straßenbahn und 
Ausfälle gegen die Ruhmeshalle, der zerquetschte Bürger und die 
zerquatschte Kunst findet in der Barmer Zeitung Raum. Die Folge 
ist eine Begriffsverirrung. Der künstlerische Anwohner verlangt 
„Scheuklappen“, um nicht in der Ruhmeshalle wild zu werden. Er 
erhält sie wohl auch von einem unkünstlerischen Pferd, das infolge- 
dessen schuldlos den unkünstlerischen Anwohner übertrampelt. Der 
künstlerische Anwohner fordert hinwiederum den Barmer Kunst- 
verein auf, „seinen starken erzieherischen Einfluß auch auf die 
Künstler auszudehnen und nicht auf das Publikum allein“. Der 
erzieherische Einfluß des Kunstvereins scheint sich auf das Bar- 
mer Publikum noch nicht allzusehr ausgedehnt zu haben, denn der 
künstlerische Anwohner mit den Scheuklappen rebelliert: „Die 
Bilder des Herrn Marc-München sind denn doch so herausfordern- 
der Natur, daß man nicht verstehen kann, wie die Hängekommission 
irgendeines Kunstvereins diese Moritaten annehmen kann. Es scheint 
nunmehr an der Zeit, eine gründliche Tempelreinigiing vorzuneh- 
men und den bösen Geist aus unseren Hallen zu bannen, der dort 
schon allzu lange sein Unwesen treibt.“ Es geht eben den Barmern 
zu schnell. Aber es darf so nicht weiter gehen und so nicht weiter 
gefahren werden, sonst wird die Behörde darunter zu leiden haben. 
Die Revolution hebt ihr genügend bekanntes Haupt: „ . . . und 
hauptsächlich deshalb nicht, weil man des naiven Glaubens ist, daß 
die dazu berufene Behörde schon nichts zulassen wird, was den 
einzelnen Bürger schädigt. Die Bewohner bitten die Verwaltung 
der städtischen Straßenbahn dringend, den Wagenführern ein 

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noäßigeres Tempo vorziischreiben und die genaue Ausführung dieser 
Vorschrift zu überwachen.“ So können dann weniger Moritaten 
geschehen, die hinwiederum Franz Marc nicht zu malen braucht. 
Woraufhin eine allgemeine Reinigung der Hängekommission statt- 
finderi kann. Sodaß die bösen Geister der Anwohner in die Halle 
verbannt werden können, aus der die Kunst unter die Straßenbahn 
verscheucht wurde. Wodurch schließlich die berufene Behörde sich 
wieder den Glauben gewinnen wird, durch den sie die Kunst ver- 
loren hat. Das ist alles sehr verständlich, sowie man sich Scheu- 
klappen umlegt. 


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Höchste Preise 

Wenn man die Zeitungen liest, hat man das OefUiii, daß ailt 
Deutschen vom voilendeten sechsten Lebensjahre an überhaupt 
weiter nichts tun, als in die Qemäideaussteiiungen zai gehen und 
sich von den Franzosen pervers anregen zu iassen. Das Beriiner 
Tagebiatt, dessen Kritiker schon öfters die Güte hatte, Manet und 
van Gogh „anzuerkennen“ veröffenlicht eine Zusciirift des „Tier- 
malers“ Professor Meyerheim. Herr Meyerheim, der bekanntiicli 
mit Krfoig gegen Tschudi intrigierte, regt sich auf, daß im Ausland 
für iVienzel und Böcklin nicht solche Unsummen gezalilt werden, 
wie i*i Deutschland „für die flüchtigen roh skizzierten verzeiclineteii 
Schöpfungen eines Manet.“ Hinter diesen Sätzen verbirgt sich der 
Aerger des Tierprofessors, daß die Kenner seine Bilder nicht noch 
höher bezahlen. Meyerheims Bilder sind total fertig. Nicht ein 
Strich, den man vermißt. Meycrheiiii findet cs beschämend für uns 
Deutsche, daß er (er nennt sich mit dem pluralis modestiä: unsere 
wirklich Großen) so wenig geschätzt wird, unter dem Vorwand, 
so male man heute nicht mehr. Herr Meyerheini findet es sogar 
traurig, daß von dem Geist und dem Fleiß des Größten unserer 
Zeit (der Kollege Menzel) gar so wenig zu verspüren ist. Kr tut den 
deutschen Künstlern Unrecht. An Menzelepigonen felilt es wahrlich 
nicht. Und daß keiner sich zu einer netten Meyeriieim-lmitation 
entschließt, hat schon seinen Grund. Zur Imitation gehört immer 
ein Original, und das ist Herr Meyerheim nicht einmal in seinen 
Ansichten, soweit sie nicht gemalt sind. 


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Münchener Kunst 

Es ist ein'e Beleidigung, den IWündinern das Bier vorzuwerfen. 
So hat einmal ein preußischer Richter gegen mich erkannt. Bier 
soll getrunken und nicht geworfen werden. Es ist eine Beleidigung, 
den Münchnern Kunst vorzusetzeii. Sie werden schon an ihren 
Wieißwürsten satt genug. Auch deckt der einheimische Markt die 
Bedürfnisse. Die Stadt München ist also durchaus künstlerisch ge- 
sonnen. Der künstlerische Ueist weht durch die .sonst leeren 
Straßen, wovon schon die Tauben auf dem Odeonsplatz zeugen. 
Wenn also die Kunst sich schon so auf den (iasseti Bahn bricht, so 
kann ein Nichtmünchner sich gar nicht vorstellen, wie künstlerisch 
es erst in den Innenräumen zugchl. Und erst in den Künstlerateliers. 
Man braucht weder Künstler noch Bilder mehr, wenn man in ein 
echtes Künsticratelier tritt. Der Kritiker der Münchner Neuesten 
Nachrichten versichert es: „Mehr oder weniger drückt sich .schon 
im ganzen Raum eines .Ateliers, in der ganzen .Ausstattung und 
Fassung das Wollen und Streben eines Künstlers aus. .Auf weichen 
Pfühlen ruht man beim Orientmaler, inmitten unter Blumen sitzt 
man beim Blumenmaler und unter Rüschen und Röckchen, unter 
Kostümen und Ballroben kann man beim Damenmaler [zwar nicht 
sitzen, aber:] wühlen." Die Damenmaler ziehen in München offen- 
bar ihre unschuldigen Opfer gründlich an und aus. Ich wage nicht 
nachzudenken, wie es in den Ateliers von Akt- und Stillebenmalern 
aussieht, worauf man da sitzen mag. Aber ein Pferdemaler hat es 
auch ganz nett: „Bei Professor .Angelo .lank, der wieder allerhand 
Neues auf der Staffelei hat, erkennt man gleich den Militärmaler 
und Pferdefreund. Da hängen allerhand alte Waffen und Rüstungen 
herum. Standarten zittern, wenn die Tür auigeht. und schwere alte 
Helme stehen auf einem Brett in Reih und (ilied; denn wer wie er 
sich mit der Historie der Uniform abgibt, niuß auch greifbare 
Modelle, alte Stücke, vor sich haben." Ja, man braucht viele greif- 
bare Dinge zum Malen, und ein Maler, der sich nicht so einen 

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'rrödelladen zuleKcn kann, muß schon aus reiner Armut Expressio- 
nist werden. An Herrn Professor Jank werden überhaupt die aller- 
schwierigsten Forderungen gestellt. So zum Beispiel für das Por- 
trat des Herzogs von Sachsen-Coburg-Ootha; „Dieses Reiterbild 
ist für den Empfangsraum im Schlosse zu Ootha bestimmt, wo die 
Ahnengalcrie der Herzoge sich befindet. So mußte Jank in der 
ganzen Komposition auf den Raum und die Umgebung Rücksicht 
nehmen.“ Und trotzdem erreichte er die größten malerischen 
Effekte; „Den Rücken des Pferdes deckt die schwarze Fell- 
schabracke, die wirksam vom weißen Tierkörper absticht.“ Ein 
reiner Scliw'arzweiß-Maler, aber auch das höllische Rot hat er 
nicht vergessen : „Das reiche Zaumzeug mit dem roten Puffel- 
sdiweif gibt ebenfalls gute farbige Momente ab.“ Dieses schwarz- 
weißrote Bild stammt nicht ans Preußen, sondern aus einem 
Münchner Trödelladen. Und so: „So wird auch bald Münchner 
neue Kunst im alten (jotliaer Schloß vertreten sein: Oute neue 
Kunst, die sich der Nachbarschaft der alten nicht zu schämen 
braucht.“ Der Oothaische Kalender wird sicher davon in späten 
Tagen noch zu melden wissen. 


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Münchener Kunstverein 

Herr von Ostini, der greise Führer der Jugend, entdeckt jede 
Woche zahllose Talente. Er entdeckte sogar, daQ die Malerei der 
Futuristen eine grandiose Satire sei, eigens zu dem Zwecke erfun- 
den, die zu entlarven, die Herr von Ostini nicht für Talente hält. 
Seine Talente sehen so aus: „Albert Reich. Das Können ist an- 
sehnlich und sympathisch, aber über matte Wirkungen kommt 
der Künstler in dieser Sammelausstellung nicht hinaus. — F. Eisen- 
gräber ist gewandt im malerischen Vortrag, allerdings auch im 
Besehen sorglos. — M. Stall ist in ihren landschaftlichen Studien 
anziehender als in dem schlechtbezwungenen In- 
terieur. Karl Kessler hat sich eine brillante Technik 
erworben, klare Schneelandschaften zu malen. — Heinrich Schütt ist 
auch in seinem neuen Bilde ein phantasiereicher Schil- 
de r e r des Lebens der Zwerge. — Fritz Kokos Mädchenbild ge- 
fällt durch die Lieblichkeit des Modells. — Max 
Hoenes weibliche Marmorbüste spricht weniger a n.“ Herr 
von Ostini spricht mehr aus, als selbst die Lieblichkeit seines Mo- 
dells zuläßt. Das ist alles so rührend harmlos: man kann auf ihn 
und seine Künstler keine grandiose Satire .schreiben, noch malen. 
Man muß das Alter der Jugend ehren, wenn auch die Jugend des 
Alters nie vorhanden war. 


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Dereinst 


„Die Ausstellung wird — wie die erste Ausstellung dieses 
Künstlervereins — natürlich manchen Widerspruch wecken, aber 
auch manche Anregung geben. Sie zeigt allerhand Unausgegorenes 
und ganz Verfehltes neben nicht wenigen Arbeiten, die von Ent- 
wicklung und Fortschritt zeugen aus Anfängen heraus, die man 
dereinst nicht ohne berechtigtes Mißtrauen beobachtet.“ Wäh- 
rend (Jas Fortlassen des schlichten Hilfszeitworts „hat“ auf beson- 
ders natürliche lyrische Begabung hinweist, scheint mir hier mehr 
eine Hilfe als kein Verbum vorzuliegen. Sonst hatten die Herren 
stets etwas hinziizufiigen. Insbesondere tat dieses auch Herr Fritz 
von Ostini, der Dichter der Jugend, der sich bei ihr und bei den 
Münchener Neuesten Nachrichten auf sein Altenteil gesetzt hat. 
Jetzt treibt er neue Keime. Aber da man im Monat Februar noch 
nicht wissen kann, ob das Wetter beständig bleibt oder ob man sich 
lieber auf seine Unbeständigkeit verlassen soll, so denkt man sich 
die Jugend als eine Münchener Neueste Nachricht und läßt der da- 
durch entstandenen Berechtigung zur natürlichen Begabung durch 
Fortlassen freies Wasser. Und selbst wenn der Drucker nur ahnte, 
wies ihm das Herze drückte. Einst kann man es auf den Druck oder 
auf die Gesinnung schieben. 

Dereinst war es anders. Als in grauer Vorzeit im Jahre 1914 
das Unausgegorene für die starken Münchener Verhältnisse noch 
lange nicht trinkbar genug geworden war, da weckte es manchen 
natürlichen Widerspruch. Selbst abgestandenes Bier ist noch besser 
als gar keins. Jetzt wird es teurer. Die Zeit bringt es mit sich. 
Die Zeit von 1915 nimmt, was sie in keiner Zeit vertragen kann. Nun 
hat sich aus den Anfängen etwas recht Beträchtliches entwickelt. 
Es wird sichtbar. Die Künstler kämpfen urvd die Nachfolger siegen. 
Die Firma ist da, jetzt kann man Geschäfte machen. Der böse 
Name hat sich zu einem stattlichen guten Namen entwickelt und 
das Blühen muß rechtzeitig zu München angekündigt werden. Sieht 

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man doch schon in Berlin die Bäume in den Himmel wachsen. 
Und dieser Zustand ist gerade noch zu beobachten. Wenn die 
Bäume erst im Himmel angekommen sind, versagt die Natur, die 
Brille beschlägt sich und der Kunstkritiker hat das Nachsehen. 
Darum entschließt er sich zur Nachsicht, wie es die Vorsicht ge- 
bietet. Wie sollte er im Jahre 1916 sagen können, was dereinst im 
Jahre 1915 war, und wo er das Dereinst von 1914 zur Kunstge- 
schichte gelegt hat. Die moderne Zeit lebt schnell, der moderne 
Mensch stirbt noch schneller. Früher saß der Kunstwissenschaftler 
auf den Jahrhunderten und konnte infolgedessen nicht unter sich 
sehen. Dann legte er sich auf die Jahrzehnte, der vergangene Mensch 
war behäbig und er konnte das schnelle Wechseln der Jahrzehnte 
nicht vertragen. Nun stellt er die Jahre auf den Schreibtisch. Ein 
Rückschlägen per ultimo im Abreißkalender, und das Dereinst steht 
noch da. Man überblickt. Dreihundertfünfundsechzig Tage sind eine 
Ewigkeit, die man nachreclmen kann. Nicht umsonst gehört man zu 
den Gebildeten aller Stünde. Es läßt sich überblicken. Die Kinder 
wissen nie, wie gut der Onkel es meint. Aber später weiß der gute 
Onkel, wie gut er es gemeint hat. „Eine gewisse Einheitlichkeit des 
Zieles ist unverkennbar.“ Die Familieninstinkte beginnen zu 
sprechen. „Jenes Ziel ist wohl die Schöpfung einer an die Natur 
nicht mehr wie bisher gebannten Malerei, einer Kunst, die inner- 
liche Empfindung ohne unmittelbare Abhängigkeit vom Vorbild 
geben soll.“ Die Natur war also dereinst ein Vorbild. Der Herr 
Künstler schuf das Nachbild und der Kunstkritiker stellte sich 
zwischen die beiden Bilder und war erst dann zufrieden, wenn er 
beim Umdrehen das Vorbild für das Nachbild hielt. Die Nachbilder 
waren zum Greifen ähnlich, weil er sie beim Umdrehen für Vor- 
bilder gehalten hatte. An den Vorbildern stieß er sich den Kopf, 
sodaß er das Nachbild zwar noch greifen, aber nicht mehr sehen 
konnte. Doch solche Verdrehungen machen viel Spaß. Und den 
Onkeln gefallen die Spiele, die sie sich für die Kinder ausdenken, 
besser als den Kindern, die lieber mit den Onkeln spielen. Aber sei 

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d-em, wie es auch sein wolle, die Familie ist erkannt und die unmit- 
telbare Abhängigkeit wird mittelbar. Vom Mädchen reißt sich stolz 
der Knabe, vom Vorbild das Nachbild, und stürmt ins Leben wild 
hinaus. Und erst, wenn das Mädchen allein ist, merkt es, daß der- 
einst der Knabe da gewesen war. Früher nannte man dieses Ziel, 
das durch die Familienähnlichkeit erkannt wurde, Verrücktheit. 
Heute: „Farbe nur um der Schönheit der Farbe willen. Ausdruck 
ohne Rücksicht auf die Genauigkeit der Form.“ Genau so haben 
.sich das die Künstler gedacht. Schließlich gibt es ja verschiedene 
Nasen. Und wenn die Künstler jetzt nur auf die Einheitlichkeit 
ihres Zieles Wert legen, mein Gott, dann läßt man sich schon einmal 
eine Nase drehen. Heute werden sogar die natürlichen Nasen opera- 
tiv geändert. Soll man sich deshalb wegen einer schiefen Nase von 
den „jungen Kunstgelehrten“ fortwährend in die Finger schneiden 
lassen, die man doch zum Schreiben braucht. Wenn nur die Form 
bleibt, da wollen wir nicht mehr so genau auf die Genauigkeit 
achten. 

„Aber wenn die mit soviel Leidenschaftlichkeit, Opfermut und 
Willensaufwand eingeleitete Bewegung nur den Zweck erreicht, 
von inhaltlosen Formeln, von der leeren Fertigkeit, vom Schablonen- 
haften zu erlösen und die Schaffenden dazu zu führen, daß jeder 
seines Wesens eigenen Ausdruck sucht, dann hat das alles auch 
schon Früchte getragen“. An ihren Früchten kann Herr von 
Ostlni die Bewegung allerdings noch nicht erkennen, weil 
Früchte tragen für die Bewegung etwas beschwerlich ist. Und: 
„Wer kann ohne lange Prüfung zwischen der wahrhaften Eigenart, 
die sich ins Exzentrische verirrt und der gesuchten Wunderlichkeit 
unterscheiden, die bloß durdi Neusein um jeden Preis verblüffen 
will?“ Jedenfalls nicht Herr von Ostini, nicht einmal nach langer 
Prüfung. Wer nicht konzentrisch ist, irrt sich cxzentri.sch. Man 
wandert planlos in der Kunstkritik umher und trifft „die wahrhafte 
Eigenart“, die sich nicht verirrt hat. Ja, wer kann das unter- 
scheiden? „Wer zwischen dem, der etwa die Form vergewaltigt 

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im irrtümlichen aber ehrlichen Streben nach besonderem Ausdruck 
und dem, der die Form verzerrt gibt, weil er sie einfach nicht be- 
herrscht?“ Jemand, der irrtümlich aber ehrlich vergewaltigt, kein 
Engel ist so reim Wie verzerrt er aber, was er nicht beherrscht. 
Es ist nicht so einfach, Früchte zu tragen. „Daß eine viel viel far- 
benfreudigere Kunst als die, die wir bisher hatten, denkbar ist, 
können wir aus dieser Ausstellung erfahren.“ Das erfährt Herr von 
Ostini aus einer Ausstellung, die die Nachahmer der neuen Kunst 
noch in unserer Zeit enthält. Er liebt nun einmal die Nachahmung. 
Nach der Natur früher, nach den Künstlern jetzt. Herr von Ostini 
aber wird vielleicht dereinst im Jahre 1916 wissen, was er dereinst 
im Jahre 1915 nachgesehen hat. 


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Es geht nun einmal nicht 

Während Herr von Ostini in den Münchener Neuesten Nach- 
richten und fast alle Kollegen in Berlin schon ganz behutsam in den 
Tag blinzeln, zieht sich die München-Augsburger Abendzeitung in 
die Nacht zurück. Sie hatte gehofft. „Einige Voreilige hatten er- 
wartet und verkündigt, daß die großen Begebenheiten unserer Zeit 
gewisse Erscheinungen in der künstlerischen Produktion unserer 
Tage, die man nicht mit Unrecht als Auswüchse bezeichnete, hin- 
wegfegen würden auf Nimmerwiedersehen.“ Dieselbe Nachahmer- 
Ausstellung in München hat diese Hoffnung „zuschandengemacht“. 
Aber immerhin, die München-Augsburger Abendzeitung lobt die 
Nachahmer über den Paul Klee, den einzigen Künstler, der aus 
dieser Ausstellung nicht hinwegfegt wurde. „Gemeinhin werden 
solche heftige Entgleisungen, wie sie namentlich wieder Herrn Paul 
Klee begegneten, damit entschuldigt (oder vielmehr erklärt) daß 
man sagt: es kommt bei der Füllung einer Leinwand oder einer 
Tafel nicht auf den Stoff und nicht auf die Darstellung an, sondern 
auf den Rhythmus der Linien, auf die Ueberwindung der Gegen- 
ständlichkeit.“ Die München-Augsburger Abendzeitung entgleist, 
trotzdem sie schon auf dem richtigen Gleis fahren wollte, sie ent- 
gleist, ohne es zu merken. Denn sie bildet sich ein, einer heftigen 
Entgleisung begegnet zu sein, trotzdem sie selbst umgeschmissen 
war. Wer das Unglück hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. 
Wenn die Abendzeitung das Licht nicht sieht, obschon es ihr bei- 
nahe in die Augen fällt, sollte sie Paul Klee in ihrer Dunkelheit 
ungeschoren lassen. „Wer das Bedürfnis empfindet, sich solcher Art 
künstlerisch auszuleben, soll Teppiche zeichnen und sein Geflunker 
nicht „Gedanken an die Schlacht“ oder „Ausblick aus einem Wald“ 
nennen.“ Man sollte der Abendzeitung einen künstlerisch ausge- 
lebten, gezeichneten Teppich schenken, und damit ihr das Geflunker 
in den Mund schließen, das sie Kunstkritik nennt. 

Aber alle Hoffnung ist noch nicht zuschanden. Die Gruppe ist 
„wenig homogen, neben ganz Wilden findet man Künstler, die man 

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zu den sanften Idyllikern zu zätden gewohnt ist. Ich tadle das 
nicht, denn wenn . . . Entwicklung ... zu ihr bekennen .... so sind 
es diese sanften Mitglieder. Ohne Konzessionen — so hart das Wort 
ist: es muB heraus! — geht es nun einmal in der Kunst nicht“ Aber 
Kunstkritiken darf man noch immer ohne Konzession schreiben. Es 
geht nun einmal. 


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Der Künstierpräsident 

Die Münchener Künstlergenossenschaft hat einen neuen Präsi- 
denten gewählt. Er hat, sagte er einer Zeitung, kein eigentliches Pro- 
gramm. Auch kein Kunstevangeliuin. „Es gibt für mich nur Leute, 
die etwas können, und solche, die nichts können.“ Für mich. Es 
fragt sich nur, ob der Mich ein Ich ist, der weiß, ob Leute etwas 
können oder nichts können. „Nur vor dem Einen müssen wir uns 
hüten, vor dem Ueberhandnehmen der Mittelmäßigkeit.“ Was der 
Künstlerpräsident unter Ueberhandnehmen versteht, ist nicht so 
leicht von der Hand zu weisen: „Mittelmäßigkeit wird immer sein 
und muß sein, denn ohne Kleine werden die Großen nie etwas 
werden können.“ Das heißt auf Deutsch : die Mittelmäßigen werden 
sich nie als groß aufspielen können, wenn nicht eine möglichst große 
Zahl noch Mittelmäßigerer vorhanden ist. Diese große Zahl macht 
München bedeutend: „Was die Bedeutung Münchens ausmacht, ist 
die Gesamtheit aller Künstler.“ Je mehr in einer Stadt gemalt wird, 
desto künstlerischer wird sie. Aber es darf nicht überhandnehmen. 
Denn: „Die Regierung der Mittelmäßigkeit ist die größte Gefahr 
für sie. Die Leute, die wegen gesellschaftlicher Tugenden und 
guter Ballmanieren Ansehen in den Kunstkreisen bekommen, sie 
dürfen nicht regieren, wenn sie nicht erste Künstler sind.“ Demnach 
scheint München ganz merkwürdige Kunstkreise zu haben. Der 
Künstlerpräsident selbst hat keine gesellschaftlichen Tugenden : 
„Wir haben einen Primitivismus aufkommen lassen, haben das un- 
reife Stammeln großgezogen und uns nicht getraut, dort mit Dresch- 
flegeln hineinzuhauen, wo es wirklich notwendig gewesen wäre; 
wir alle sind damit in eine gewisse unwürdige Abhängigkeit von 
einigen Kunstgelehrten gekommen und haben auch in der Presse 
ihnen zu stark geglaubt.“ Warum ziehen wir erst das Stammeln 
groß, wenn wir es nachher mit Dreschflegeln verhauen wollen. 
W i r haben eben das Stammeln nicht großgezogen. Vielmehr ist den 
großen Mittelmäßigkeiten das Stammeln von Bildern zwar nicht 
durch Dreschflegel, sondern durch gute Bilder so verleidet worden, 

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daß sie ihr Stammeln statt mit Farbe mit Druckerschwärze notierten. 
So kam wenigstens eine Farbe heraus. Und was die großen 
Mittelmäßigkeiten nicht erreichten, nämlich die neue Kunst, das 
heißt überhaupt die Kunst zu töten, soll jetzt der Krieg für sie tun; 
„Was den Kindern erlaubt ist, wollen ernsthafte Künstler für sich 
beanspruchen. Hoffentlich macht der Krieg mit diesem Spielerisch- 
Kindischen, diesem Blöd-Frechen in der Kunst bei uns in Deutsch- 
land wenigstens für immer ein Ende.“ Wobei sich nur wieder fragt, 
was man für spielerisch-kindi.sch und für blöd-frech hält. Jedenfalls, 
Herr Künstlerpräsident, geben Sie zu, daß sogar für Sie ernsthafte 
Künstler etwas für sich beanspruchen, was den Kindern erlaubt ist. 
Man soll selbst als Präsident nicht so erhaben über Kinder sein. 
Eine Erziehung mit Dreschflegeln hat manche Nachteile. Eine Er- 
ziehung überhaupt auch, selbst wenn gute Ballmanieren dabei 
herauskommen und gesellschaftliche Tugenden. Der Verstand der 
Verständigen reicht nicht an das kindliche Spiel heran. Und ein 
Künstler, der nicht spielen kann, soll sich in seinem Ernst begraben 
lassen. 


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Pietschvergnügt 

Die Institute, die sich des schönen Namens „Kunstsalon“ be- 
dienen, können nicht dafür. Die großen Maler produzieren für ihre 
Bedürfnisse nicht genug, die guten Maler fallen niemandem auf, die 
schlechten Maler sind auf der großen Kunstausstellung und im 
Verein Berliner Künstler so zahlreich vertreten, daß Sonderausstel- 
lungen von ihnen nicht ziehen würden. Das Publikum liebt es 
auch, schlechte und daher ihm gefallende Bilder in Massen anzu- 
seben, damit es nicht erdrückt wird. Denn nur das einzelne Bild 
kann für den Seelenzustand der Masse gefährlich werden. Es gibt 
nur sehr wenige fähige Kunstkritiker, die malen aber nicht. Es 
gibt aber sehr viele unfähige Kunstkritiker, die zum Teil auch 
malen. Oder mindestens zeichnen und holzschneiden, trotzdem sie 
besser täten, Steine zu klopfen. Aber man will doch sehen, wie 
so ein beliebter Kunstkritiker sich die Kunst eigentlich denkt. Ein 
Salon kam auf die Idee und hat die Sensation. Er wandte sich an 
den Herrn Professor Ludwig Pietsch, der nichts Eiligeres zu tun 
hatte, als seine Zeichnungen, Litographien und Holzschnitte auszu- 
stellen, die er in den Jahren 1840 bis 1871 verfertigt hat. Herr 
Pietsch ist der Mann, der van Gogh für wahnsinnig, Hodler für 
idiotisch und Cezanne für verrückt hält. Er behauptet natürlich 
auch, das diese Künstler und einige andere, wie Gauguin, Matisse 
und Kokoschka weder malen noch zeichnen können. Herr Pietsch 
ist der Mann, der seit fünfzig Jahren alle offiziellen Diners und 
Soupers mitgegessen hat, und der seinen erstaunten Lesern immer 
wieder verrät, daß zum Schluß „wohlgefüllte Zigarrenkisten und 
verschiedene Sorten erlesenen Liqueurs herumgereicht wurden.“ 
Herr PietscJi ist der Mann, der stets und überall einen „erlesenen 
Damenflor“ um sich sieht, ein Prauenlob, den jede, aber auch jede 
nackte Schulter in Flammen setzt, und der sie in so schlechtem 
Deutsch „besingt“, daß sie eine Gänsehaut bekommt. Mit ihren 
Besitzerinnen pflegt Herr Pietsch sich über Bilder zu unterhalten. 

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Man kann sich denken, daß es einem Professor nicht schwer fällt, 
Gänse mit gänsigen Urteilen zu infizieren. Herr Pietsch ist also der 
Mann, der ausstellt. Ganz Berlin wird sich die geradezu entzücken- 
den Dinge ansehen. Ganz Berlin stellt mit Entzücken fest, 
bei welchen großen Gelegenheiten Herr Pietsch überall „an- 
wesend gewesen ist“. Er wohnte der Eröffnung des Suezkanals 
bei, er drängte sich bei Turgenicff ein, er kannte die überlebens- 
große Madame Viardot, er sah sich die Eroberung von Sedan an 
und er proklamierte 1871 das Deutsche Reich. Bistnarck war sogar 
zugegen. Er weilte in Griechenland und Baden-Baden, in Aegypten 
und Nizza, er sah Burgen stürzen und Häuser bauen und er über- 
lebte alles und überzeichnete alles. Seine Begabung ist etwa die 
des Fritze Wolff vom Lokal-Anzeiger. Das ist der Herr, der alle 
aktuellen Personen und Dinge ätzt, wodurch es den Objekten auch 
nicht besser zu Mute wird. Doch der Herr Wolff ist durch die Um- 
gebung leise angesäuert, zu Weihnachten und Pfingsten wird er 
unter dem Eindruck der hohen Feste impressionistisch. Anders Herr 
Pietsch. Seitdem der Impressionismus und die übrigen Teufeleien, 
„erfunden“ worden sind, gab er das Zeichnen einfach auf. Solcher 
Welt mußte er seine Kunst versagen. Herr Pietsch hat in der guten 
alten Zeit, in der man noch etwas von Kunst verstand, mit Liebe 
gezeichnet. Es fehlt auch nicht ein Strich, den man vermissen 
müßte. Der schlichte Soldat besitzt ebensoviel Recht auf zv^'ci 
Augen, zwei Ohren, Nase und Mund, wie Bismarck. Gleiche Ge- 
sichter für alle. Nicht nur, daß keinem Gottesgeschöpf die Glied- 
massen verrenkt werden, irein, nicht eine Schuhschnalle wird irgend 
einem Lebewesen unterschlagen. Man freut sich, daß Alles da ist. 
Liebe ist unter Umstünden eine ganz hübsche Sache. Aber Ma- 
ler, die lieben und dichten, und Erinnerungen schildern, sind 
Pinsel. Und das ist gerade der Teil des Handwerkzeugs, den der 
Maler am leichtesten entbehren kann. Lieber mit Farbe schmieren, 
als sie ablecken. 


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Avis für Kunstfreunde 


Berliner Lokal-Anzeiger: 

„Die Galerie Eduard Schulte 
wird auch in dieser Saison, ihrem alten Grundsatz treu bleibend, 
gute, abgeklärte Kunst aller Richtungen und 
aus allen Gebieten des In- und Auslandes bringen. 
Sie hat bereits bedeutende Sammlungen engagiert und steht wegen 
anderer noch mit den Künstlern in Verhandlung, so daB sie zurzeit 
noch kein fest begrenztes Programm angeben kann.“ 

Der treue Grundsatz macht das festbegrenzte Programm über- 
flüssig. Gute abgestandene Kunst kann man begrenzt und unbe- 
grenzt betreuen. 


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Männchen 

Die „Vossische Zeitung", von Staats- und gelehrten Sache*, 
1791 priveligiert und 1911 modernisiert, meldet von einem neuen 
Cafe ; „Gleich beim Eintritt fällt einem das Kaiserbild von Professor 
Männchen ins Auge." Herr Männchen hat doch durch den Umbau 
von A. Wertlieim schon so viel verdient, daß er nicht noch Kaiser- 
bilder in die Augen zu schmeißen braucht. Der Unfall geschieht 
nicht so sehr durch Schmeißen wie durch Malen. 



Der Vater des Kubisten 


Kubistische Söhne, auch wenn sie nur kubistisch tun, können 
immerhin ihre Väter berühmt machen, soweit sie Schüler Prellers 
sind. Dieser rührende Herr W. B„ der die Münchener in den Neue- 
sten Nachrichten über bessere Kunst aufklärt, rühmt einen Vater 
eines Kubisten. Das war eine merkwürdige Zeit, damals, als Preller 
und seine Leute die Lande weit und breit bemalten. Herr W. B. 
hat jene Zeit öfter zu beobachten Gelegenheit gehabt, noch mehr, 
er hat sie erkannt; „Vieimehr scheinen, wie man das in jener Zeit 
öfter zu beobachten Gelegenheit hat, zwei Seelen in seiner Brust 
gewohnt zu haben.“ Trotzdem biieb das Herz des Malers reiner, 
als seine Farben. „Er konnte sich dem Einfluß der klassischen Auf- 
fassung nicht entziehen und sah anderseits doch ein, daß die vctm 
Westen kommende neue Richtung eine umfangreiche Skala diffe- 
renzierter und delikater Darbietungen ermögliche. In diesem 
Sinne . . .“ malte er nur einerseits. Die zweite Seele erbte Herr 
W. B., der sie aber nicht trocken gewohnt hat. 


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Die Mündiener Zeichnenden Künste 

„Erfolgreich ventiag mit <Jcn Leistungen der Oelnialcrei die 
Aquarelltechnik zu konkurrieren, allerdings eben nur, was die male- 
rische Leistung anbelangt; wie es um die Wertschätzung durch 
das Publikum bestellt ist, steht auf einem anderen Blatte.“ ln 
d-en Münchener Neuesten Nachrichten nur, wie es um die Wert- 
schätzung durch einen wertgeschätzten Kunstkritiker bestellt ist. 
„Aber an Kraft und Tiefe der Farbe . . . nehmen die Aquarellisten 
es ruhig mit den in Oel arbeitenden Kollegen auf.“ 
Der Münchener Kunstkritiker Doktor W. B. konkurriert sogar mit 
der Feder. Da ist dieser Herr Rettich: „Im Atelier stellt er das 
neugierige junge Modell dem eifrig schaffenden Künstler mit 
koloristischer zeichnerischer Feinheit gegenüber.“ „Einen wirk- 
lichen Säugling, wie seine Mutter frisch, in Pastell h i n g e s e t z t , 
zeichnet Mirwald.“ Die Mutter hätte ihm auch einen besseren, 
weniger farbigen Platz aussuehen können. „Der Untersberg und 
hoher üöll sind, dem Charakter des Hochgebirges 
entsprechend, in einfachen, ruhigen Linien hingesetzt.“ Da 
schlag einer hin. „Eine Ungerechtigkeit wäre es, wolle man . . . Ra- 
dierungen, als Weihnachts- und Neujahrskarten gedacht, übersehen. 
Harry Schultz leistet im Linoleumschnitt Gutes, auch inhaltlich 
verdienen seine Arbeiten Beachtung.“ Hierauf beschließt Doktor 
W. B. seine „Wanderung durch den Qlaspalast, auf der noch manche 
Ruh- und Aussichtspunkte zu längerem Verweilen eingeladen hätten, 
würden Zeit und Raum hier wenigstens einer Beschränkung unter- 
liegen.“ Er ist der Beschränkung unterlegen, dieser Meister der 
Kunstkritik. Er wanderte zeitlos und raumlos im Nichts. Und er 
ist kein Künstler, trotzdem er Bilder zu sehen glaubte, wo keine 
vorhanden waren. 


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Ich bin gesessen 

Er i s t gesessen, Herr A. Egger-Lienz, vor den Oeigemälden 
des Franz Bunke. Herr Bunke ist „der Meister, der Poet durch und 
durch, ein Vermenschlicher der Natur, seine Bilder sind menschliche 
Zustände, gesehen im Spiegel der Natur“. Noch mehr: „Zu der 
heutigen Schwindelkunst steht er wie ein Klassiker, der Jahr- 
hunderte überdauern wird.“ Herr Egger-Lienz ist mir diesen Artikel 
geschickt, er hat von Bunke begeistert, nachdem er gesessen ist: 
„Ich bin stundenlang vor diesen Bildern gesessen, die auf den 
ersten Blick so kunstlos wirken wie die Natur selber, die aber immer 
lebendiger ihre Schönheit erschließen, je mehr man sich darin ver- 
tieft.“ Die Folgen des Tiefsinns machen sich auch bei dem Oel- 
maler Egger-Lienz so stark bemerkbar, daß er in Essig getaucht 
zu sein scheint: „Insofern eine Sache an ihrem Gegensatz am 
besten verstanden wird, wünschte ich das addierte Gestammel des 
Cezanne oder seiner Nachahmer Liebermann und Konsorten gemalte 
Oähnkrämpfe neben den breiten Fluß dieses schlichten Vortrages 
zu hängen.“ Nicht etwa des schlichten Vortrages des Herrn Egger- 
Lienz sondern des abgesessenen Bunkes. Aber auch von dem Oel- 
meister Egger-Lienz gibt dieses Bild eine schöne, poetische Natur- 
stimmung: Gähnkrämpfe hängen neben dem breiten Fluß des Vor- 
trages. Wenn der Altölmeister das nicht malt, soll er sich aufhängen 
oder in den breiten Fluß stürzen. „Hier ist nichts Suggestives — ■ 
■ur positives Leben.“ Suggestiv ist schließlich Herr Egger-Lienz 
auch nicht, und sein positives Leben erscheint mir recht unnatür- 
lich. Er ist vielmehr ein menschlicher Zustand, der bei aller Addi- 
son mit Bunke Gestammel bleibt. 


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DieiüürJ : ('-■■•gh 



Der natürlichste Naturmaler 


In München ist man immer künstlerisch. Man gibt Münchner 
Künstler - Bilderbücher heraus. Auch die Kindlein sollen zu ihrem 
Recht auf Münchener Kunst kommen. „Der Künstler hatte dabei 
verschiedene Ziele im Auge. Einmal wollte er die Natur nicht nur 
als malerische Staffage behandeln, sondern auch dem Kinde eine 
genaue Kenntnis davon verschaffen. Die Bäume zum Beispiel sind 
so gezeichnet, daß die bei uns vorkommenden hauptsächlichsten 
Arten durch ihre Merkmale sehr wohl unterschieden werden kön- 
nen.“ Umsomehr anzuerkennen, als der Maler Ziele im Auge liatte. 
Aber der Beschauer fordert mehr von der Kunst, wenigstens 
möchte er nicht missen; „Auch die Romantik, die der Beschauer 
der deutschen Landschaft nicht missen möchte, kommt durch Dar- 
stellung von alten Burgen und Gemäuer zum Ausdruck.“ Da ist 
positives Leben. Wenn der Oelmaler Egger-Lienz noch einen Bunke 
braucht, stelle ich ihm den Namen des kenntnisreichen Roman- 
tikers zur Verfügung. Ich kenne noch viele Bunkes! 



Das Reich der Künste 

Die namenlosen Herren der Kölnischen Zeitung kritzeln mit 
stumpfer Feder weiter auf der bildenden Kunst herum. Die Kunst 
hat sich sogar in den Kölner Kunstverein eingedrängt und der 
Kunstreferent ist eifrig bemüht, die Dame aus der illustren Gesell- 
schaft der erhabenen Künstler licrauszuschmeißen: „Wir finden 
einen gedrängten Ueberblick der modernen Graphik von Werken 
bewährter, schon als klassisch anzusprechender Meister an bis zu 
dem freilich nur mit weiser Sparsamkeit gebotenen Arbeiten der 
iüngstyi und wildesten Richtungen, als deren Bannerträger wir, 
um uns die unerquickliche Sippe gleich vom Halse zu schaffen, 
die Tagesberühmtlieiten Pechstein, Nolde, Kirchner und leider auch, 
ach, Kandinsky nennen.“ Sie haben sich ihm sicher nicht an den 
Hals geworfen, die Tagesberühmtlieiten, sie können die unerquick- 
liche Sippe der kölnischen Kunstreferenten nicht verdauen. Sie 
haben nicht soviel Beziehungen zur Gegenwart wie Herr Greiner, 
bei dessen erquicklichen Arbeiten dem Kölner Kunstkenner das 
Wasser im Munde zusammenläuft. Er hat aber auch gediegene Be- 
ziehungen zur Gegenwart, dieser Herr Greiner. Er radiert nach 
Aussage des Kölner Kunstreferenten einen deutschen Soldaten in 
Felduniform, der mehreren Spott- und Schreckgestalten zu Leihe 
rückt, während seitwärts ein englischer Pfeffersack Eintragungen 
in ein Kontobuch macht. Der Pfeffersack, der Eintragungen macht, 
scheint mir wieder nicht natürlich genug, denn ein Pfeffersack 
trägt nicht ein, sondern wird eingetragen. Aber es kommt bald 
natürlicher: „Auf einer Radierung Gäa, einem riesenhaften schla- 
fend zusammengekauerten Weibe und bei einem jungen Mädchen, 
welches sich das Hemd über den Kopf streift, zeigt ach Greiner 
in seinem eigentlichen Reich . .“ Warum radiert dann Herr Greiner 
noch? So schmutzig wird doch das junge Mädchen nicht gewesen 
sein. Allerdings hätte es bei dem riesenhaften Weibe noch weniger 
Sinn gehabt. Der sehr geehrte Kölner Kunstreferent verwechselt 
wieder einmal das Reich der Künste mit dem, was man so das 

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Reich der Künstler nennt. Wie viele junge Mädchen haben sich 
nicht schon das Hemd über den Kopf gestreift, während die Herren 
Künstler ihren Kopf in das Hemd steckten. Aber die Natur muß 
vorsichtig angefaßt werden. Mit einem Mal kommen die unsauber- 
sten Geschichten heraus, während die Herren Referenten sich an 
d-er „sehr sauberen“ Zeichnung ergötzen. Immerhin, der Qreiner 
meint es noch natürlich, hingegen scheint mir Alfred Sohn Rethel 
in seinen erotischen Dingen für Köln schon etwas gefährlich zu sein. 
Wenigstens bemerkt der Kölnische Kunstreferent: „ . . . getönte 
Akte von Alfred Sohn Rethel, bei dessen formschönen Frauen- 
körpern eine leichte Neigung zu fader Eleganz nicht zu verkennen 
i.st.“ Diese Damen hatten eben offenbar schon das Hemd total 
abgestreift, sodaß sogar der Kopf zu sehen war, was häufig den 
Eindruck der faden Eleganz verstärkt. Aber die modernen Gra- 
phiker sind vielseitig. Sie interessieren sich für Städte, Land- 
schaften, Gänse, Stiergefechte, frischen Märzwind, Blumen und 
Früchte. Zum Beispiel der Herr Schinnerer steht, wieder nach 
meinem Kölner Gewährsmann, „auf einer hohen Stufe“. Auf ihr 
„erreicht er bei der rein durchgeführten spröden Kaltnadel-Technik 
doch Wärme und Tonigkeit“. Selbst eine Kaltnadel gibt Wänme 
her, wenn man eine Stufe höher zur Sonne steht. Hingegen scheint 
sich der Kölner Gewährsmann bei der Betrachtung von Zeichnun- 
gen des Herrn Barlach total verritten zu haben; „Barlachs ellip- 
tische Figurenzeichnungen hat man sich mit der Zeit herzlich leid 
gesehen; das beste Pferd kann totgeritten werden.“ Aber ein 
Aphorismus über Pferdedressur kommt doch dabei heraus. Zum 

Schluß noch etwas gute Luft: Man glaubt ordentlich, den 

halten, frischen Märzwind zu spüren, der von dem klaren Himmel 
über die kahlen Felder weht.“ Diesen Eindruck ruft Herr Buchwald- 
Zinnwald bei dem Kölner Kunstreferenten hervor. So hält sich der 
Herr mit schönen Mädchen und guter Luft die Kunst von seinem 
natürlichen Leibe. Ich kenne ihn nicht. Hoffentlich wird ihn aber 
<ein klassisch anzusprechender Meister gediegen aushauen. 


Ul 


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Die ernste Kritik 

Der geschätzte Kunstkritiker der Kölnisclien Zeitung findet „daß 
die Kunst vor dem Krieg vielfach überschätzt wurde.“ Der ge- 
schätzte Kunstkritiker, der in namenloser Bescheidenheit zu Köln 
am Rheine wirkt, hat deshalb eine große Abhandlung veröffentlicht : 
„Der Krieg und künftige Aufgaben deutscher Kunstkritik“. Die 
deutschen Kunstkritiker sind alle in die Schule des Lebens oder in 
die Schule der Natur gegangen und haben die vergangenen Aufgaben 
so schlecht gemacht, daß die künftigen Aufgaben von ihnen sicher 
auch nicht gelöst werden können. Denn die künftigen Aufgaben 
und die vergangenen sind die selben. Man muß nur in die richtige 
Schule gehen und mancher lernt es nie. Bemerkenswert bleibt, 
daß die Kunstlehrer immer bei den Schülern lernen. Der Meister 
ist ihnen zu einfach. Und die Oberschüler, die Professoren und 
Museums-Direktoren, haben höchstens das Interesse an einem 
sogenannten Meister, ihm möglichst viele Werke seiner Schüler 
zuzuweisen. „Schon manche Künstler haben den Spruch: „Ernst 
ist das Leben, heiter ist die Kunst“ geistreichelnd ins Gegenteil um- 
gedichtet. Obschon Schiller dabei mißverstanden wird, läßt man 
sich die Umdichtung für einen Künstler gefallen, weil die Kunst im 
Beruf Lebensaufgabe ist. Aber bei Laien, denen die Kunst doch 
nicht den wesentlichen Inhalt, sondern einen Schmuck des Lebens 
ausmacht, bedeutet jene Umkehrung eine ungesunde Uebertrei- 
bung.“ So sieht es in dem Kopfe des Kunstkritikers aus, der die 
künftigen Aufgaben deutscher Kunstkritik wenigstens für Köln fest- 
stellen will. Die geistreichelnden Künstler sind sicherlich Laien, 
denen der Schmuck des Lebens Beruf geworden ist. Obschon ich 
Schiller nicht mißverstehe, bin ich doch für Umdichtung. Heiter 
ist das Leben, heiter ist die Kunst. Wenn die Menschen sich das 
Leben nicht heiter machen, also das Leben nehmen wie es ist, kann 
das Leben nichts dafür. Und wenn man die Kunst ernst nimmt, 
kann es nur Heiterkeit erregen. Aber die Heiterkeit des Künstlers 

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Kewinnt aus dem Krnst des Kunstkritikers. WäJirend der Rrnst des 
Kunstkritikers das Leben heiter macht, das Leben, dessen Heiterkeit 
sich die Menschen schämen. Die Kunst ist also Lebensaufgabe für 
alle die Leute, die einen Beruf aus ihr machen. Für die andern 
bürgerlichen Berufe, zu der doch wohl auch die Kunstkritik gehört, 
ist sie eine ungesunde Uebertreibung. Der Schmuck des Lebens 
ist überhaupt eine ungesunde Uebertreibung. Denn der hat noch 
nie gelebt, der das Leben erst schmücken muß. Sei es nun mit 
Rosen im Haar, mit Sekt und italienischen Nächten, mit Göttern 
und Teufeln aller erdachten Arten, oder mit Oelgemälden, die all 
diesen Schmuck im Bilde festhalten. Schiller kannte nur die Moral 
von der Geschichte, wußte aber wenigstens die halbe Wahrheit, 
daß die Kunst heiter ist. Daß ihm die Kunst nicht' glückte, daß ihn 
die Kunst als Organ nicht benutzte, lag eben an seinem Wissen 
dieser halben Wahrheit. Denn wenn man etwas schon weiß, ver- 
steht man es noch nicht. Und wenn man etwas schon versteht, 
dann fühlt man es noch nicht. Und wenn man etwas schon fühlt, 
dann gestaltet es sich noch nicht. Und wenn dieses Gefühl der 
Heiterkeit Gestalt gewonnen hat, durch den, den die Kunst berief, 
sehen die Künstler und die übrigen Bürger die Gestalt nicht, weil 
sie den Schmuck vergaß. Manche Leute sehen eben eine Hand 
erst, wenn sie einen Ring trägt. Sie sehen aber meistens nicht, daß 
der Ring die Hand trägt und die Hand den Ring nicht verträgt. Man 
verträgt sich in diesem ernsten Leben überhaupt sehr leicht. Men- 
schen sind wir immer noch alle und wenn etwas hervorsticht, kann 
es dem andern allzuleicht ins Auge fallen. Die Leute freuen 
sich über Alles, was hervorsticht. Die Leute sind nicht sachlich. 
Die Heiterkeit der Kunst, der Schmuck, muß ihnen den Ernst des 
Aschbechers, der Tasse, des Hauses und der Leinwand vertreiben. 
Geschwüre werden mit Anstand getragen, Damen werden an die 
Häuser geklebt, Herren auf das Dach gestellt, Götter auf die Lein- 
•wand lackiert, Gesichter in den Gips gedrückt, damit nur ja die 
Welt recht heiter werde. Man kann sich schon vor Schönheit gar 



nicht mehr lassen. Alle diese Tätigkeiten haben viele Leute zu 
einer Lebensaufgabe gemacht, um anderen Leuten zu beweisen, daß 
das Leben sich zu leben lohnt. Nur während der Arbeit darf man 
sich der Schönheit nicht hingeben, das ist eine ungesunde Ueber- 
treibung und stört den Ernst des Lebens. Höchstens ein paar gute 
Photos auf dem Schreibtisch oder ein Druck in der Arbeitsstätte, 
ein umblumter Spruch im Schlafzimmer darf ahnen lassen, welche 
(jcnüße nach der Arbeit bevorstchen. Und während die andern 
Leute arbeiten, passen die Kunstkritiker gut auf, daß die Andern 
abends frohe Feste feiern können und den Schmuck des Lebens mit 
Verstand geniessen. Sonst ist der beste Tropfen auch nichts wert. 
Die Marke bei der Fla.sche Wein heimlich ins Ohr geflüstert und 
der schlechteste Haussekt wird zum Mumm. Die Marke Rem- 
brandt heimlich ins Ohr geflüstert und der schlechteste Kopist wird 
wenigstens zum Meisterschüler. Wer kein Meister sein kann oder 
will, muß wenigstens ein MeisterschUler sein. Ehret eure alten 
MeisterschUler. Trinkt nur alte Weine. Der neue Wein muß ja auch 
einmal alt werden und kann dann noch immer getrunken werden. 
Der neue Meister wird für die Enkel aufgespart, damit die Enkel 
ja nicht einem neuert Meister verfallen. Alles zu seiner Zeit, aber 
der Künstler immer für die übernächste. Diese Pflicht hat die 
Kunstkritik übernommen. Sie beweist ihre Daseinsberechtigung 
damit, daß sie nichts dasein läßt und der Herr aus Köln hat schon 
für übermorgen Angst. Da er nun nicht wissen kann, was die 
Künstler übermorgen machen werden, so will er wenigstens dafür 
sorgen, daß seine eigenen Nachfolger erst zwei Tage später hin- 
sehcn. Nun zu den Ungesunden. Die Ungesunden sind also Laien, 
die nicht arbeiten, sondern in der Kunst den wesentlichen Inhalt 
des Lebens sehen. Gottseidank setzt hier die Statistik ein: „Die 
Hypertrophie des Kunstsinns beschränkte sich zahlenmässig freilich 
auf kleine Kreise, aber diese Kreise gaben in Kunstfragen mancher- 
orts den Ton an, und es hat sich eine verderbliche Wechselwir- 
kung zwischen ihnen und der Fachliteratur entwickelt“. Hat man 

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Töne für Kreise, die Fragen angeben und die eine Wechselwirkung 
zwischen sicli und der Fachliteratur entwickeln. Dieser 
Knäuel ist nicht zu entwirren. Was aber den Herrn aus Köln stört, 
ist also, daß die kleinen Kreise große Kreise schlagen. Die Fach- 
literatur, die sich immer zu spät entwickelt, ist verwirrt und da 
sie die Kreise nicht stören kann, will sie sich aus der Umklarmnerung 
erretten. Aber jeder Deutsche ist noch kein Hindenburg. Und 
wenn man die Strategie mit der Taktik verwechselt, kann selbst 
ein örtlicher Erfolg in Köln ausbleiben. „Die Schriftsteller sahen 
sich von Leuten umringt, die in heißem Bemühen um den Ruhm der 
Kennerschaft bereit waren, alle Eröffnungen eines tiefer Eingeweih- 
ten gläubig hinzunehmen und nachzuplappern.“ Die Schriftsteller 
Sassen also in der Falle. „Statt sich mit der bescheidenen aber nütz- 
lichen Aufgabe eines ehrlichen Maklers zwischen Kunst und Publi- 
kirm zu begnügen, schoben viele Kritiker theoretisches Wissen und 
dialektische Spitzfindigkeit in den Vordergrund. Einzelne, zum Bei- 
spiel der große Prophet Kandinsky, beteten ihrer Gemeinde ein 
dunkelmystisches Hexen-Einmalcins vor, das baren Unsinn ver- 
barg.“ Die ehrlichen Makler wurden gewöhnlich von großen Pro- 
pheten aus dem Tempel geworfen, was aber die ehrlichen Makler 
niemals hinderte, ihre Geschäfte vor der Tür weiter zu verrichten. 
Nun hatten aber bisher stets nur Propheten eine Gemeinde und 
nicht ehrliche Makler. Und das dunkelmystische Hexen-Einrnaleins 
schien stets nur denen als barer Unsinn, die an das bare Einmaleins 
glaubten und die Hexen verbrannten. Es gehört viel Klugheit dazu, 
Hexen zu verbrennen, Propheten zu steinigen. Aber stets noch 
haben die Steine geredet, wenn die Propheten schwiegen und stets 
noch hat ein Feuer geleuchtet, wenn Hexen verbrannten. Die Steine 
waren nicht umzustoßen und jedes Feuer erlischt nur in siesh. 
Und die Makler konnten nur feststellen, wieviel Steine geworfen 
wurden, einmaleins, und wie lange das Feuer leuchtete. Und auch 
das konnten sie nicht, denn ihnen fehlt die Sachlichkeit der Pro- 
pheten und der Hexen. Sie sehen immer mehr Steine, als geworfen 

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werden und ihnen erlischt das Feuer, während es aufflammt. Die 
Herren IWakler haben nämlich keine Zeit. Sie müssen arbeiten. Sie 
müssen die anderen Propheten steinigen sehen. Und die anderen 
Hexen verbrennen. Sie müssen dabei gewesen sein, damit andere 
Leute wissen, daß sie dabei gewesen sind. Und dieses Leben sollte 
ernst sein? Und diese Kunst nicht heiter? Die Natur aber, „Die 
Natur bleibt der Mutterboden der Kunst, womit nicht strenger Re- 
alismus und pedantische Richtigkeit als alleinseligmachend hingc- 
stellt werden sollen. Das Ideal der absoluten Malerei, die „reine 
Kunst der Farbe“ läuft auf ein bischen leere Qeschmäcklerei, höhere 
Anstreicherfcunst hinaus. Ein geschickter Tapeziererlehrling müßte, 
wenn er einen besonders schönen Farbstoff entdeckte, als moderner 
Tizian gelten.“ Zwar handelt es sich nicht um eine reine Kunst des 
Farbstoffs, sondern um eine reine Kunst der Farbe. Aber wieviele ge- 
schickte Tapeziererlehrlinge mit nicht besonders schönen Farbstoffen 
gelten noch als moderne Tizians. Uebrigens hat Tizian auch nicht 
seine Bilder auf dem Mutterboden gemalt und vom strengen Realis- 
mus war er ziemlich weit entfernt Deshalb wird er wohl ein 
Nichtskönner gewesen sein; „Gemeinsam ist ihnen, daß sie sich 
nach einem für Nichtskönner sehr bequenven Grundsatz von dem 
natürlichen Vorbild lossagen.“ Das Lossagen von dem natür- 
lichen Vorbild Tizian ist so leicht, wie die Nachbilder Tizians 
in Köln meisterhaft zu nennen. Das Losmalen ist schon bedeutend 
schwerer. Es erfordert dieselbe Zeit wie das Erlernen des Nach- 
malens- Diese Herren Naturforscher haben nämlich die Natur stets 
nur in gemaltem Zustand gesehen. Infolgedessen ist ihnen die unge- 
malte Natur unnatürlich. Alles Unnatürliche ist natürlich natürlicher 
als das Natürliche. Denn das Natürliche ist nur die festgelegte 
Natur des Unnatürlichen. Es ist unnatürlich, daß der Herr aus Köln 
Kunst nicht sieht. Das ist natürlich. Weil er den Vaterboden nicht 
kennt. Oder sollte es unnatürlich sein, daß zu einer richtigen Mutter 
ein richtiger Vater gehört. Oder sollte es unnatürlich sein, daß^zu 
einer richtigen Mutter viele richtige Väter gehören. Daß die vielen 

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Väter so roh mit der einen alleinseligmachenden Mutter umgehen, 
ist doch nicht Schuld der absoluten Malerei, die die Mutter ja ganz 
zufrieden läßt. Aber außer dem Mutterboden verfügt der Herr aus 
Köln natürlich über viele „Lesefrüchte“. Die Früchte hat er ge- 
pflückt, wo sic ihn trafen. Der Herr aus Köln ist keine Eva, die 
sich mit einem schönen Apfel bestechen läßt. Er ist vielmehr 
durchaus männlich. Der Herr aus Köln julrelt über die Gottvollen, 
die eingesehen haben, daß der Krieg eigens wegen des Expressionis- 
mus gekommen sei. Zu .seiner Empörung findet er in einem andern 
Aufsatz „die Faselei, der Krieg habe mit dem Expressionismus 
nicht nur nicht aufgeräumt, sondern seine Richtigkeit schlechthin 
und mit ungemeiner Schlagkraft gezeigt, erfüllt und bewiesen; der 
Expressionismus sei eben ein in alle Wirkungskreise sich aus- 
dehnendes Kiiltiirbekenntnis.“ Aufgeräumt hat der Krieg mit dem 
Expressioni.smus nicht, das muß seihst die Faselei des Herrn aus 
Köln zugeben. Aber mit Krieg wird weder für noch gegen Kunst 
etwas bewiesen. Die „Aesthetenzunft“ will den Krieg nicht „für 
ihre Zwecke ausbeuten“. Der Herr aus Köln erwartet aber eine 
Wirkung: „Die Künstelei in der modernen Kunst, die gemütsöde 
Wissenschaftlichkeit, die atemlose Jagd nach dem Neuen und Un- 
erliörten, das Unsinnige und notwendig verlogene Nachäffen des 
Primitiven, alle die unruhige Vielgeschäftigkeit wurzelte nicht so 
sehr in starker geistiger Fruchtbarkeit als in aufgereizter Blasiert- 
heit, die sich selbst oft für zukunftsfrohen Idealismus hielt in 
dem krankhaften Hunger der Uebersättigung.“ Und das Alles wegen 
des Aufgebens der Vorbilder. Die moderne Kunst hat den Herrn 
aus Köln ganz entwurzelt und eine aufgereizte Fruchtbarkeit in ihm 
erzeugt, die er selbst für zukunftsfrohen Idealismus hält. Man soll 
nicht richten, w'enn man wütend ist. Die Wut vergeht und das 
Richten besteht. Und dieser Richter aus Köln kennt nicht einmal 
die Tatsachen. Er tobt über Expressionismus und meint den Im- 
pre-ssionisrnus. Und zwar den fadesten Impressionismus, der sich 
Jsdturalismus nannte. Also bei den Künstlern, die die Natur lieber 

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lebten als sie malten. Wogegen nichts zu sagen wäre, wenn sie 
nicht doch gemalt hätten. Also, meine Damen und Herren, die Sie 
schon einmal vielleicht zufällig einen Expressionisten kennen ge- 
lernt haben sollten, prüfen Sie die nachgesagten Schandbarkeiten 
dieser Leute nach. Man denke: „Seraphisch-schwindsüchtige Poeten 
bildeten sich ein, ihre Teestuben seien Tempel und sic selbst das 
unnahbare Götterbild; andere liefen mit aufgekrempelten Hemd- 
ärmeln auf die Gasse und in öffentliche Häuser und nannten die 
schnodderige, kaltschnäuzige Frechheit ihres ach so wohlfeilen 
Skeptizismus’ Weltanschauung. Eine Weltanschauung aus dem 
Hinterfenster eines Freudenhauses!“ Das kann sich Alles nur auf 
Köln beziehen, wo keine Expressionisten wohnen. Wenigstens 
sonstwo sind sie keine Teestubenbesitzer und Köln ist eine der 
wenigen Städte, die sich noch einiger Freudenhäuser erfreuen. Die 
Kunstgesetze des Expressionismus wären denn doch zu örtiieh ge- 
bunden. Was sollen die Leute in Berlin zum Beispiel machen, 
da sie nicht aus dem Hinterfenster eines Freudenhauses die Welt 
anschauen können. Die Besucher der Blutgasse zu Köln sind also 
die wahren Expressionisten. Die Untat dieser Untäter schreit mit 
aufgekrempelten Aermcln zum Himmel, trotzdem ich den Zweck 
der Uebung nicht verstehe. Aber der Herr aus Köln möge cs sich 
gesagt sein lassen, die öffentlichen Häuser sind die Mode von vor- 
gestern. Und aufgekrempcltc Aermel sicht man nur noch in den 
Redaktionsstuben. Und der schwindsüchtige Poetenmaler in der 
Teestube ist schon längst gestorben. Man hat offenbar in Köln 
wieder einmal seinen Beruf verfehlt. Die Herren waren vielleicht 
mit Tizian beschäftigt, als das Künstlervölkchen von vorgestern 
einging. „Wenn blumengeschmückte Soldaten oder Einberufene 
mit ihren bescheidenen Pappschachteln durch die Straßen mar- 
schierten — ob da nicht manchem Anhänger der neuesten Richtun- 
gen der Gedanke durch den Kopf gefahren ist, daß die von ihm auf 
den Schild gehobene Kunst allen jenen Menschen, die ihr Leben für 
das Vaterland hinzuopfern bereit waren und denen er mit herz- 

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lichstern Briidergefiih! nachschaute, Steine statt Brot gegeben hat. 
'I rotz allen Geredes, daß Expressionismus, Futurismus undsoweitcr 
heute nun einmal im Reich der Kunst herrschen, kann kein Zweifel 
bestehen, daß jene Richtungen der weitaus überwiegenden Mehr- 
zahl der Gebildeten, geschweige denn der Masse des Volkes, un- 
'verständlich und sogar zuwider sind.“ Dann ist es eben der Stein 
der Weisen gewesen, den man auch nicht essen kann. Aber trotz 
allem Gerede des Herrn aus Köln, regiert kein Trotz den Genetiv 
und herrscht im Re'che der Kunst die Kunst und nicht der Herr aus 
Köln. Er hat kein Recht im Namen der überwiegenden Mehrzahl 
der Gebildeten, geschweige denn im Namen der Masse des Volks 
unverständliche und sogar zuwidere Urteile zu fällen. Ich habe be- 
wiesen, daß ihm die Aktivlegitimation fehlt. Er wiegt sich auch 
nicht in Gedanken, der Herr aus Köln: „Wir wiegen uns nicht in 
dem Gedanken, überzeugte Anhänger der neuesten Richtungen be- 
kehren zu können; das kann nur die Zeit und wer in Kunstdingen 
einige Erfahrung hat, weiß, wie erstaunlich rasch oft zu , unver- 
gänglichen Prinzipien aufgeblähte Einseitigkeiten zusammen- 
brechen.“ Diese aufgeblähte Einseitigkeit ist bereits zusammenge- 
brochen und brauchte nicht einmal auf die Gesellschaft mit be- 
schränkter Haftung, die Zeit, zu warten. Die überwiegende Mehr- 
zahl wiegt bereits über seinen Gedanken und die Masse des Volks 
hat auch einige Erfahrung in Kunstdingen. „Alle Lauen jedoch, alle 
bänglichen Leute des W'enn und Aber möchten wir aufrütteln, Farbe 
zu bekennen.“ Aber weiter will ich nichts. Das ist ja die reine 
Malerei. Einig sind wir und darum Teestuben und Freudenhäuser! 


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Der neue Herr Direktor 


Köln, Köln am Rhein, braucht einen neuen Direktor für seine 
Gemäldesammlung. Bewerbern um diesen Posten sei mitgeteill, 
was die Kölnische Zeitung hierzu für erforderlich hält: „Für die 
rheinische Malerei der Vergangenheit und Gegenwart müßte also 
der neue Direktor nicht nur ein kühles wissenschaftliches Ver- 
ständnis, sondern auch ein warmes Herz mitbringen. Selbst Werke 
der älteren Düsseldorfer Schule zum Beispiel, die für den heutigen 
Geschmack etwas altmodisch gartenlaubenhaft zahm und geleckt, 
aber für eine bestimmte Kunstentwicklung bezeichnend und über- 
dies altvertraute Lieblinge des großen Publikums sind, dürfen nicht 
Gefahr laufen, eines Tages auf dem Speicher zu verschwinden, 
weil ein Direktor gerümpfte Nasen der Umstürzler befürchtet“. Ich 
gehe noch weiter: der neue Direktor muß nicht nur ein kühles wis- 
senschaftliches Verständnis für die Kölnische Zeitung, sondern auch 
ein warmes Merz für die Kölner Kunstreferenten mitbringen. Die 
Besprechungen dieser Zeitung, die für den heutigen Geschmack 
etwas altmodisch, gartenlaubenhaft zahm und geleckt, aber für 
eine bestimmte Kunstlosigkeit bezeichnend sind und überdies alt- 
vertraute Cliches des großen Publikums enthalten, dürfen nicht 
Gefahr laufen, eines Tages zur Verpackung der rheinischen Malerei 
auf dem Speicher verwandt zu werden. Der neue Direktor muß 
sie auswendig lernen, was ja nicht schwer ist, und für eine zahl- 
reiche Familie sorgen, auf daß sie sich in treuer Tradition von 
Mund zu Mund bis zu den Kindes-Kindeskindern forterben. Denn 
cs gibt nur eine anständige Kunst, und das ist die örtliche: „Freilich 
rühren viele Kunstschreiber und Kunstliebhaber über den Erwerb 
eines van Gogh, eines Manet weit hitziger die Reklametrommel als 
über der äußerlich oft unscheinbaren treuen Arbeit, die der ört- 
lichen Kunst gewidmet wird.“ Der Lokalpatriotismus der Kölni- 
schen Zeitung scheint darauf auszugehen, aus Köln ein Oertchen 
zu machen. Und schließlich haben die Kölner Zeit und Geld: „Es 

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ist in der Regel vorziizicheii, daß ein als wertvoll erkanntes Werk 
später teuerer bezahlt wird, als daB (jeld mit Spekulationskäufen 
vergeudet wird“. Der Herr Kunstreferent der Kölnischen Zeitung 
hat offenbar eine Sammlung der älteren Düsseldorfer Schule, bei 
der er sein üeld vergeudet hat. Die wertvollen Werke hat er 
allerdings noch nicht erkannt. „Ein Stück Demagoge müßte der 
neue Direktor seht und ein Stück glatter Diplomat, letzteres, um 
in Bedarfsfällen geschickt freiwillige Beisteuern vermögender 
Kunstschützer loszueisen, ersteres, um in weiten Kreisen der Bür- 
gerschaft Kunstliebe und Kunstverständnis zu wecken und zu 
pflegen.“ Daß er zweiteres auch Kunstreferent der Kölnischen Zei- 
tung sein soll, wird nicht verlangt, trotzdem man sich dort gerade 
mit der Ammentätigkeit des Weckens und Pflegens eifrig müht, 
aber die Säuglinge kommen offenbar nicht auf den richtigen 
schlechten Geschmack. Das dürfte aber dritteres hinwiederum gut 
sein, weil sonst bei der letzteren 1 oseisung die Beisteuern nur in 
Oel fielen. Ein Direktor, der allen hunderteren Anforderungen ge- 
nügt, ist zweifellos Herr von Perfall. Ich glaube, gegen ihn hat auch 
der Kuiistrefercnt der Kölnischen Zeitimg nichts einzuwenden. Die- 
ser Vorschlag wird selbst ihm, dem Namenlosen, eine namenlose 
Freude bereiten. 


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lieber Malerei insbesondere über tote, und 
lebende Genugtiere 

Die Münchner Neuesten Nacliricliten beschäftigen sicli niclit nur 
mit dem Handel und den Alpen. Die Alpen erstrecken sich zwar bis 
auf den Roman, der noch unter dem Strich ausläuft. Aber sie ver- 
sperren der Zeitung völlig die Aussicht auf die Kunst, trotzdem sie 
der Alpen wegen im Qlaspalast untergebracht ist. Die Kritiker 
dieser Zeitung sitzen oder schlafen in dem Glashaus. Sic sehen die 
Alpen vor Bergen und die Kunst vor Bildern nicht. Nun könnte es 
schwierig scheinen, unter einigen Tausend Bildern Kunstwerke 
herauszufinden. Es ist aber nicht schwierig. Denn es sind keine 
Kunstwerke dort vorhanden. Ein (irund mehr, sie zu „würdigen“. 
Die würdigste Würdigung des Herrn Dr. W. B. be.schüftigt sich mit 
dem Idyllischen. Wie es sich für ein gutes Lager gehört : der Doktor 
ordnet die Stoffe. Sein idyllisches Lager bestellt aus Interieur, 
Genre, Stilleben und Tierbild. „Das reine Interieur ohne jede Staf- 
fage ist spärlich vertreten im Glaspalaste.“ Die Zeiten haben siett 
geändert. Die Interieurs mehr. Die Leute, die in Interieurs wohnen, 
sterben aus. Was soll der Künstler machen, wenn seiner Phantasie 
der Handwerker, der Bürger nicht mehr in die Stube hilft. Nicht 
einmal in die gute Stube. Darum klagt der Doktor: „Ja, wenn der 
Maler doch zum mindesten ein fürstliches Gemach zum Studien- 
objekt nimmt, wie Franz Multerer, dann kann er eines gewissen 
Interesses sicher sein. Das bedeutet keinen Tadel gegen des Künst- 
lers päpstliches Zimmer in der hiesigen Residenz, das sehr 
gut gemalt ist. Für das aufdringlich viele Gold, für den (ieschmack 
von 1665 ist ja der Künstler nicht verantw^ortlich.“ Nein, das ist er 
nicht. Lieber den Geschmack läßt sich streiten, der Geschmack ist 
verschieden, und ein Schuft ist der, der mehr malt, als er sieht. 
Man kann von Franz Multerer nicht verlangen, daß er den Ge- 
schmack von 1665 bessert. Ihn trieb der innere Gott, das päpstliche 
Zimmer von 1665 zu malen. Man kann sich denken, was er leidet, 

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daß ihm sein Gott gab zu sagen, wie schlimm es um das Interieur 
von 1665 bestellt war. Mit dem „reinen“ Interieur ist es also vorbei. 
Der heutige Maler muß schon eine handelnde Person auftreten 
lassen: ,4icll und freundlich ist Wilhelm Krelings Studie aus Schlciß- 
heim, während sein Rokokokircheninterieur mit dem sich 
beweihräuchern lassenden (j e i s 1 1 i c h e n nicht mehr 
z-u den reinen Interieurs gezählt werden darf.“ Der sich beweih- 
räuchern lassende Geistliche ist hoffentlich auch hell und freund- 
lich, „dagegen malt Paul Pelgentreff seine Tirolerbauernstube allzu- 
dunkel“. Das stört die sonnige Natur des Doktors, der ein anderes 
Interieur von „wirklich lachender Morgensonne erfüllt“ findet und 
sich über eine alte Schloßhalle freut, „die nur etwas zu temperament- 
los geraten ist.“ Ich finde den Vorwurf ungerecht, vielleicht war die 
Temperamentlosigkeit der Geschmack der Zeit, in der die Schloß- 
halle gebaut wurde. „Wird das Innenbild mit Personen belebt, es 
kann auch eine Landschaft sein, so ent.steht daraus das früher .so 
beliebte Genrebild. Heutzutage weiß man nicht mehr recht, was 
damit anfangen. Soll man eine Beschreibung des Inhaltes 
geben, im Stile der Pamilienblätter; erzählen von der wunder- 
schönen Grafentochter, die aus dem helierleuchteten SchloBtanz- 
saale sich hinausstichlt in den stillen Park und dort ihr Leid aus- 
weint, weil eine rroch wunderschönere auf dem Feste erschienen 
ist? ,Es ist eine alte Geschichte . . .' Lieber nicht! Die rein male- 
rischen Oualitäten betonen? Ich fürchte, der Ton wird dünn und 
schwach erklingen. Bleibt nur hervorzuheben, daß fast alle diese 
Bilder nach rein zeichnerischen Vorzügen zu bewerten sind. ‘ 

Es kann einem leid tun um diese OatTflng, der die Töne ausge- 
gangen sind. Früher, früher hatte diese Gattung wenigstens Alt- 
meister; Franz von Defregger, auch Schmidt war Altmeister. 
Ja, diese „Söhne Tirols“ fühlten die Alpen noch in ihrem Busen. 
Der Doktor erzählt in seiner Kunstkritik, daß sie „die Beschäftigung, 
Freud’ [mit Apostroph, mein lyrisches Gemüt] und Arbeit des tiroler 
Stammes darstcliten“. Noch mehr: die Altmeister hatten das 

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lilück, in einer Zeit geboren zu werden, wo die Alpen sozusagen 
in eine neue Periode ihres Daseins traten, ln eine richtige 
historische Periode. Der offenbar historisch gescliultc Kunstkritiker 
teilt den braven Münchenern mit, daß das Auftreten der Alt- 
meister in jene Zeit fiel, „die die Alpen nicht mehr als unange- 
nehmste Durchgangsroute nach Italien, sondern als Quelle der 
Erholung und künstlerischen üenusses, als Sommerfrische anzu- 
sehen begannen. Kein Wunder . . .“ Kein Wunder, daß die Kunst 
blühen mußte, als die Zeit die Alpen als Quelle, sogar als Sommer- 
frische ansah. Aber der alpine Kunstkritiker kann es sich nicht ver- 
sagen bei dieser Gelegenheit einen Ausflug nach dem verhaßten 
Berlin zu machen: „.Mies, was sich zum Lobe der Beiden [Alt- 
meister] anführen ließ, kann auf die Schilderer Berliner Alpenbälle 
keine Anwendung finden. Was soll man über alle die reizenden 
Dirndln, die lieblichen Bauernkinder schreiben? Nur seltsam be- 
rührt es, daß die kraftvolle Schönheit der männlichen tiroler Be- 
völkerung so wenig Schilderer findet.“ Schlimmer als die Altmeister 
sind die Berliner Alpenbälle schließlich auch nicht. Und die sind 
gerade schlimm genug. Was macht man nur mit den reizenden 
Dirndln, über die sich nichts schreiben läßt. Vielleicht kann man 
sie in Gold malen lassen von Karl Hartmann, dessen „Kinder am 
Chiemsee" leicht und locker gemalt sind, wie der Doktor sagt. Der 
Mann müßte es doch können. Und die kraftvolle Schönheit der 
männlicher tiroler Bevölkerung übergebe man Herrn Oskar Ziegen- 
fus, der Bilder „in kräftigen Farben ohne Beschönigung gibt". Da 
gibt es ferner den Kün^r Koeselitz, „dessen Bild durch seine 
frische Malweise angenehm auffällt, aber störend ist hier die Kom- 
position; cs scheint fast, als gebe der Ritter seinem Lieb, bevor er 
in die Schlacht zieht, noch einen Fußtritt zum Abschied“. Das ist 
allerdings sehr störend, aber vielleicht gehört der Fußtritt für das 
Lieb zu der frischen Malweisc. Man erfährt ferner, endlich, was 
ein Stilleben ist: „Unter dem unglückseligen Ausdrucke „Stilleben“, 
wie denn schon die rein äußerliche Einteilung nach Objekten im- 

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glücklich, aber kaum zu umgehen ist, werden verschiedenste- 
Dinge zusammengefaßt; Blumen und Früchte, (ie- 
brauchsgegenstände und tote Qenußtiere; und 
heute noch ist es trotz Whistlers Aufforderung nicht gelungen, 
wenigstens für die letzteren Kategorien einen passenderen Namen 
zu finden.“ Ordnung im Lager muß sein. Da hilft nicht einmal der 
innere Gott. Aber daß trotz Whistlers Aufforderung für die toten Qe- 
nußtiere kein passenderer Namen zu finden ist, als Stilleben, finde 
ich sehr traurig. Wie wäre es mit Stilltod. Ich finde übrigens die Be-» 
Zeichnung tote Qenußtiere so außerordentlich, daß die Maler sie 
sich für diese „letztere“ Kategorie ohne Weiteres zu eigen machen 
sollten. Es ist eine Lust, von toten Qenußtieren zu leben. Eine 
Lust mehr, sic unter dieser Bezeichnung gemalt zu sehen. Aber der 
kunstkritische Lioktor dankt auch für Obst: „H. Qottl. Kricheldorf 
hat Herzkirschen mit großer Bravour gemalt, auch seine ,ver- 
gessenen Trauben* mit dem Stückchen Mauer sind zeichnerisch 
und farbig gut.“ Das Mahl wird immer leckerer. Tote Qenußtiere, 
Herzkirchen und die Trauben, die nicht länger im Verborgenen 
blühen. Aber nicht damit genug: „Der Hummer mit dem Elfenbein- 
krug sowie noch einigen eßbaren und nur auf das Be- 
schauen hergerichteten Deiikatessen kontrastieren 
gut mit dem weiß gescheuerten Tische.“ Was mögen das für be- 
schauliche Delikatessen sein, die eßbar ein Stiileben führen. Der 
Doktor muß die Qualen des bekannten Tantalus leiden, um so mehr, 
als „auch Alexander Köster sein Talent der Darstellung 
der Ente widmet“. Wie weise hat es die Natur wieder ein- 
gerichtet, daß sie der Ente einen so guten Magen gab. Sie ist im- 
stande, auch den Köster zu verdauen. Die Haustiere sind nicliE 
vergessen. Eine alte Dame malt „ihre Bulldogge mit dem ganzen 
knurrigen Selbstbewußtsein, das dieses Tier zum Liebling unserer 
Vettern jenseits des Kanals macht“. Die Vettern dürften sich für 
diese Base mit dem knurrigen Selbstbewußtsein bedanken. Und 
zum Schluß, o Lieblichkeit über Lieblichkeit, „Julius Adam hat eine 


seiner beliebten Katzenfamilien, die erst neulich anläßlich des sieb- 
zigsten Geburtstages des Künstlers ihre Würdigung hier fanden, 
geschickt“. Wenn nur die lebenden Qenußtiere die toten nicht 
auf fressen. 

So malt sich in dem Kopfe des alpinen Münchener Kunst- 
kritikers die Welt, die Malerei heißt. 


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Die Kunststadt München 

München hat durch seine Biere bei allen Alkoholikern einen 
Weltruf erlangt. Die Stadt besitzt außerdem fünf Automobile, viele 
Straßen ohne Menschen und eine größere Anzahl Tauben, wodurch 
sich die Münchner ohne große Anstrengung nach Venedig versetzt 
glauben können. Außerdem gibt es in München noch einige Kunst- 
sammlungen. die Hugo von Tschudi zum Ruhm der Kunst zu be- 
seitigen begann. Die Zeitungen sind im Qeneralanzeigerstil ge- 
halten, und die Jugend wird durch Herrn Georg Hirth repräsentiert. 
Max Halbe, auch ein Dichter der Jugend, schiebt Kegeln. Franz 
Ritter von Stuck wohnt in einem Palast, und der Simplizissimus 
freut sich einfältiger von Nummer zu Nummer über alle diese guten 
Dinge. In neuester Zeit werden auch Zeitschriften in München 
herausgegeben, die teils in Edclanarchismus, teils in Literatur, Kul- 
tur und Kritik machen. Ein derartiges Blatt nennt man in München 
zum Beispiel Janus. Da werden „Verse unserer Jungen“ abge- 
druckt. Womit nicht die Kinder der Kegelschieber, sondern die 
Primanergedichte Münchener Studenten gemeint sind. Da wird 
jemand von dem Herausgeber der Zeitschrift gefeiert, „der schlicht 
und einfach redet. Und er findet für das, was er erlebt hat, seinen 
persönlichen Ausdruck. Hier ist einer, der nicht nur eigen ist, 
sondern auch durch und durch gesund.“ So schreibt man in Mün- 
chen Kunstkritik. Eine Probe der durch und durch gesunden Verse 
mit Erlebnis und persönlichem Ausdruck: 

So jung und stark zu sein und niemals müd 

Hei! wie das Blut mir in den Adern glüht 

Wie mir die Brust sich spannt und hat nicht Raum 

Ich bin wie im Wald ein junger saftstrotzender Baum — — 

Hei! wie gesund. Aber der Dichter kann noch viel mehr: 

„Auch dunklen Stimmungen vermag er Ausdruck zu geben. 
Stunden, wo ihm sein ganzes Schaffen vergebens 

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dünkt und ihn eine große Sehnsucht nach dem AJl erfaßt, sodaß 
er in einer Blume auferstehen möchte.“ Also nicht einmal mit dem 
saftstrotzenden Baum begnügt sich sein Allgefühl. Wenn er dunklen 
Stimmungen Ausdruck gibt, wird er wie eine Blume, so hold, so 
schön, so rein. „Wagner ist lyrisches Vollblut“, vergaloppiert sich 
der Herausgeber des Janus; 

„Da wirst du weiter wandern mit Schritten leicht und frei. 

Als ob deiner Seele eine schwere Last genommen sei.“ 

Zu gesund. Der Herr vom Janus findet, die beiden (auch hier) 
angeführten Gedichte zeigen, wie gut der Dichter die Form be- 
herrscht. „Bewahrt er sich seine gefühlstiefe Schlichtheit und geht 
er dem Artistentum aus dem Weg, dann werden wir in wenigen 
Jahren ihn zu unseren besten Lyrikern zählen können.“ Schon 
heute! Ich ernenne ihn zum Neumeister der edlen Reimkunst. Möge 
ihm seine Gesundheit erhalten bleiben. Dann lobt der Herr vom 
Janus noch einen „feinen Formkünstler“ und gibt „als Probe für 
seine eigentliche Lyrik“ ein Gedicht. Hier vier Zeilen: 

Fern am Strand der Vergessenheit 
Liegen die Boote eng gereiht. 

Modern im Sande leck und leer. 

Keines fährt zurück übers Meer. 

Ein feiner Formkünstler. Ja, in München hat nran die Sache 
mit der Kunst raus. Und deshalb veröffentlicht der Herr vom Janus 
einen Weckruf: Der Fall Hodler. „Ein Weckruf an de» 
künstlerischen Geschmack unserer Zeit.“ Der künstlerische Ge- 
schmack unserer Zeit braucht nicht erst gegen Ferdinand Hodler 
„geweckt“ zu werden. Daß der Pöbel über Hodler lacht, ist 
ebenso selbstverständlich, wie die Tatsache, daß eine Münchener 
Halbmonatsschrift für Literatur, Kunst und Kritik von der Kunst 
Hodlers in Anführungszeichen spricht. Der Herr vom Janus ver- 
nichtet nun Hodler „analytisch“, ln den Frühwerken Hodlers ver- 

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mißt er die Seele, die Fertigkeit in der Materialbehandlung und 
die Fähigkeit zur Perspektive und zur tieferen Psychologie. Im 
Jahre 1884 „hat Modler Fortschritte gemacht in der Psychologie. 
Er schwelgt in bewußter Perspektivelosigkeit und bekommt seine 
ersten grotesken Ausbrüche.“ „Die neunziger Jahre gestalten den 
Hodler, den die Welt vor allem kennt, den wenige bejubeln und 
viele belächeln.“ Der Weinbauer aus dem Jahre 1890, sagt der 
Herr vom Janus, zeigt Psychologie, wenn auch keine Perspektive. 
Ein Glück, daß Hodler im Jahre 1890 wenigstens die Psychologie 
erfaßt hatte. Perspektive kann man ja noch in München lernen. 
Aber es ist zu spät. Im Jahre 1897 bekommt Hodler den Kna.\. 
„Bis 1897, wo der Teil entsteht, ist diese Neigung fürs Dekorative 
bereits ins Pathologische und Perverse hinein entwickelt. Bezeich- 
nend dafür ist das Gesicht des Teli und die Gummiknoten auf der 
Stirn. Oder hat ihn auf dem See eine Fliege gestochen?“ Man 
sollte den Herrn vom Janus in ein Faß Hofbräu stecken und ihn 
dort ersaufen lassen. Nicht etwa, weil er Hodler nicht versteht, 
und Malerei unter der Perspektive der Psychologie sieht, sondern 
Weil ein solcher Mensch die Kühnheit besitzt, über Malerei zu 
schreiben. Und nicht nur zu schreiben, einen solchen Blödsinn zu 
schreiben, den ihm die Münchener Neuesten Nachrichten gern gegen 
angemessenes Honorar abdrucken. Nein, er muß eigens noch eine 
Zeitschrift herausgeben. Den Münchnern ist es doch schon so wie 
so viehisch wohi zu Mute, wenn mit Maßkrügen gegen die Kunst 
gebockt wird. Der Herr vom Janus sollte doch wenigstens sein 
ehrliches Bierjungentum bekennen und sich nicht jesuitisch als 
Kunstredaktöhr maskieren. ,Jlat Herr Hodler schon jemals in sei- 
nem Leben einen hilflosen Körper schleppen sehen?“ Wenn Hodler 
es noch nicht gesehen hat, solite er nach München zu dem Herrn 
vom Janus gehen, denn etwas Körperlicheres ist nicht wieder aufzu- 
treiben. Und nun folgert das Mensch: Hodler leide am künst- 
lerischen Irrsinn: „Schauderhafte Körper mit eckigen Beinen und 
sechszehigen Füßen. Es ist möglich, daß Hodler durch die ver- 

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schnürten, fast rippenlosen Oberkörper gegen das enge Tragen der 
Korsetts protestieren will . . . Und dann die Farben. Aus welchen 
Mißtönen der Palette dies alles geschaffen wird, ist erstaunlich. Die 
Körper werden rot und grün gegeben, was dann die patina- und 
orangefarbenen Brüste und Schenkel ermöglicht.“ Soll man sich 
mit solch einer Bierseele ernsthaft einlassen? Sollte man so einen 
Körper nicht rot und grün schlagen und ihm orangefarbene Schen- 
kel „ermöglichen“. Auf daß er fühle, Natur ist keine Kunst, und 
Kunst keine Natur. Ohne die geringste Ahnung vom Wesen der 
Kunst überhaupt zu besitzen, wagt dieses Mensch nicht nur. 
Kodier mit üblem Bieratem anzublasen. Er besitzt auch noch die 
Frechheit zu behaupten, daß „Leute, die geflissentlich Kodier als 
einen Großen preisen, selbst Betrogene oder kulturelle Betrüger 
sind“ Diese dreiste Behauptung ist umso beleidigender, als sich 
der Friedrich auf das Schriftchen eines Berner Bundesrichters be- 
zieht. Dieser schlechte Richter bildet sich nämlich ein, daß Kodier 
nur des Gelderwerbs wegen Anhänger gefunden hätte. Manche Leute 
sind deshalb sogar Richter geworden. Zum Schluß wird der Janus 
noch pathetisch: „Wir protestieren gegen ihn aus unserm guten Ge- 
schmack heraus, protestieren im Namen der künstlerischen Ver- 
nunft. W i r verzichten auf sogenannte künstlerische Befruchtun- 
gen (gleich Infektionen) von ‘perversen, weil impotenten, nüt 
andern Worten also kranken Geistern.“ Dieser Kerr vom Janus 
hat nur ein Gesicht. Man sollte ihm Ricinus geben. Solche Leute 
sind jedem Maßkrug gewachsen. Doch selbst die Kleinstadt Mün- 
chen liegt nicht weit genug entfernt, um Kunde nicht zu treten, 
wenn sie auch nur Rezensenten sind. 





Die Wadit an der Wupper 

Ich muß immer wieder das Mißfallen der Barmer Presse 
erregen. Dort gibt es nämlich einen Maler, der auf den Namen 
Fahrenkrog hört. Dort gibt es nämlich einen Kunstverein, der das 
Verdienst hat, Herrn Doktor Reiche mit seiner Leitung zu betrauen. 
Reiche hat sich um die wertvolle Kunst unserer Zeit mit großer 
Energie bemüht und verdient gemacht. Die Stadt Barmen hat 
durch ihn ein Museum erhalten, das die Museen weit größerer 
Städte an Kunstwert erheblich überragt. Durch die wertvolle Tä- 
tigkeit des Herrn Doktor Reiche fühlt sich der Fahrenkrog in seiner 
Malerei bedroht. Er klammert sich angstvoll an das Flugpapicr 
eines Herrn Albert Lamm, hüpft vor Aufregung bei dieser Fliegerei 
hin und her, und faßt endlich Fuß, indem er einen offenen Brief an 
den Barmer Kunstverein sendet. Der Qeneral-Anzeiger für Elber- 
feld-Barmen leistet ihm Pilotendienste. Der Fahrenkrog macht 
also eine Eingabe „im Interesse der Stadt, der Kunst, im besonderen 
der Deutschen Kunst.“ Der Barmer Kunstverein hat ein zweites 
Verdienst, nämlich, Reiche trotz allen Schreiern und Schrei- 
bern zu halten. Der Fahrenkrog vermißt die Harmonie und 
die Erhebung ln der Ruhmeshalle, dem Barmer Museum, er fürch- 
tet die Verwilderung des Geschmacks. Er tritt für die nationale 
Kunst ein, worunter noch jeder Kitscher seine eigenen Oelwerke 
verstand. Er hält den harmlosen Fritz Stahl für einen wüsten 
Revolutionär und beruft sich auf ihn, daß sogar dieser Ehren- 
mann in der „Arena“ offenbar eine Zirkusposse gegen die Aus- 
> länderei geschrieben hat. Er ist besonders wütend auf die „Russen“, 
oder wie er sie früher nannte, die Pollacken, worunter er die Maler 
Jawlensky und Kandinsky versteht, den er übrigens wahrhaft 
russisch Candintzky schreibt. Für die Richtigkeit seiner Ansicht 
beruft er sich auf einen Sachverständigen: die bekannte Zeit. Er 
i hofft es noch zu erleben, daß er die Werke „der Freunde des Herrn 
' Dr. Reiche“ im Keller der Ruhmeshalle wiedersieht, während in 
i der Beletage dann hoffentlich seine eigenen schönen Künste hängen 

I werden. Auch einen Verein für deutsche Kunst will er gründen. 

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Ich kann den Pollacken, Direktor Reiche und mir gar keine 
größere Freude wünschen. Sehr deutsch scheint es mir aber 
nicht zu sein, daß der Fahrenkrog der Generalversammlung 
des Barmer Kunstvereins nicht beiwohnte, der er seine Eingabe 
gegen die Pollacken unterbreitete. Er war nämlich verhindert. Nun 
ist es fraglos, daß der Mensch verhindert sein kann. Wenn es sich 
aber um das Interesse der Stadt, der Kunst, und im besonderen der 
deutschen Kunst handelt, sollte man sich lieber nicht verhindern 
lassen. Sich nachträglich „Auge in Auge zur Verfügung zu stellen“, 
wirkt mehr wie ausreißen als wie Zahn um Zahn. Der Barmer 
Kunstverein wehrte sich gegen die Anreißerei des Herrn Fahrenkrog 
sehr geschickt. Er veröffentlichte nämlich die Eingabe. Die Anträge 
lauteten „erstens, die Dinger der Pollacken aus der Vereinsgalerie 
zu entfernen, zweitens der erste und der zweite Vorsitzende mögen 
ihre Plätze wechseln, drittens man möge den Vorstand ergänzen 
durch künstlerisch geschulte Leute.“ Wenn einer eine Reise tut, 
dann kann er viel erzählen. Man begreift, daß ein Reisender gern 
einen Platzwechsel wünscht. Aber die Chefs sind nicht immer 
bereit. Und ein Brief ist nie so wirksam, wie eine mündliche 
Offerte. In diesem Brief werden die Anträge begründet. Den 
Pollacken geht es sehr schlecht. Sie sollen nur ein wenig Farb- 
geschmack haben, wie ihn eine Putzmacherin auch hat. Statt dessen 
wird Herr W. von Kaulbach empfohlen. Ebenso warm empfohlen 
die Schrift des Herrn Albert Lamm. Mit tötlicher Sicherheit Iiält 
der Fahrenkrog einen einzigen Münchener für begabt, der nun 
wirklich talentlos ist: Herrn Erbslöh. Dafür ist er aber Deutscher. 
Auf diese Art übergibt sich Herr Fahrenkrog immer weiter und be- 
dauert nur, sogar „aufrichtig, diesmal nicht persönlich dasein zu 
können“. Und so fiel der Fahrenkrog mit seinen Eingaben durch. 
Barmen ist verloren, die Kunst, im besonderen die deutsche Kunst, 
nahm schon längst von Herrn Fahrenkrog Abschied, nun sitzt er 
an den Wassern der Wupper, über ihm rauscht die Schwebebahn, 
noch ist Polen nicht verloren. Nur ein Lamm trauert einsam an 
seiner nationalen Seite. 

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Der Tafel als Lehrer 

„Im neuen Kunstsalon zu Stuttgart. Der neue Mann heißt Huber, 
ausgerechnet Hermann Huber. Das klingt nicht wie Marat und 
Robespierre, o nein, das klingt eher nateh der schönen Stadt 
„Münka“, wo es „Huber“ die schwere Menge gibt, wie bei uns 
Rühle und Stöckle.“ Der neue Mann, den ich hierdurch den Lesern 
dieser Zeitschrift vorstelle, heißt Tafel, ausgerechnet Hermann 
Tafel. Das klingt nicht wie Friedrich und Fahrenkrog, bedeutet 
aber dasselbe, klingt aber eher nach München als nach Barmen. 
Der Zweck dieser Vorsteilung ist, diese drei Deutschen mit einander 
bekannt zu machen. Ein Qott gab mir, daß sie darunter leiden, was 
sie sagen. Fahrenkrog ist Professor, Friedrich Doktor und Tafel 
hölzern. Man muß den Fahrenkrog auf Tafel stellen und diesen 
durch Friedrich stützen. Solche Brüder verbrüdre ich gern. Tafels 
Witze wackeln bedenklich. Sein Magen gerät in Unordnung und der 
Leser bricht. Vorausgesetzt, daß Tafel Leser hat. Dieser Hermann 
Tafel lebt in einer Stadt namens Stuttgart (Deutschland). Sie wurde 
entdeckt durch Herrn Kurt Aram im Jahre 1911. Auf seinen Ent- 
deckungsfahrten für den Beriiner Lokalanzeiger fand Herr Dichter 
Aram diese Stadt. Er stellte fest daß „die Fäkalien leider dort durch 
das sogenannte pneumatische Abfuhrsystem beseitigt werden.“ Herr 
Aram sprach die Hoffnung aus, „daß auch in Stuttgart das längst 
gebräuchliche Schwemmsystem durchgeführt werden würde.“ Es 
scheint nichts daraus geworden zu sein. Vom Tafelsystem merkt 
der Herr Aram nichts, der überhaupt kein guter Beobachter ist. 
Sonst hätte er auch hier für das Schwemmsystem plädieren können, 

was den Tafelbildern nichts geschadet hätte. Zum Beispiel: wie 

uns auch seine sehr leicht und rassig heruntergemalte Fischerhude- 
Bäuerin beweist, die nur in der Struktur des Schädels einige 
Wünsche offen iäßt.“ Der Schädel des Herrn Tafel ist hingegen ganz 
platt und die Struktur läßt keine Wünsche zu. Herr Tafel will für 
Hermann Huber beten. Aber etwas hat Hermann Huber doch er- 

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reicht mit seinen Bildern „aus einigen Laugenbretzeln“, der Tafel 
dichtet. Nämlich: 

Der „Salon“ wird schöner mit jedem Tag. 

Was da noch alles werden mag?! 

Ich kann nur hinzufügen: Das Blühen will nicht enden. Es 
muß sich alles, alles wenden. Nur nicht Herr Tafel. Wenn man 
so abgetragen ist, nützt auch das Umwenden nicht mehr. Genäht 
wie gestochen. Dem Schädel ist nicht beizukommen, der Cezanne 
für einen «Welthumbug“ hält. Und selber in Stuttgart (Deutschland) 
seinen Humbug drucken läßt 


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Tafel als Oberlehrer 


Geistreiche Leute haben gemerkt, daß ihnen als Umkehrung 
erscheint, was Andere als Kunst werten. Der Herr Tafel, dieser 
leicht verprügelte südliche Kunstkritiker aus dem aufblühenden 
Stuttgart, dieser leicht verprügelte Tafel fühlt sich als Lehrer. Er 
erklärt mit weinendem Munde, seinem beiammerungswürdigen 
Stuttgarter Neuen Tagblatt, die Prügel seien ihm „unverständlich“. 
Die haben ihn offenbar seine Schülerweisheit nicht träumen lassen, 
weil er das Träumen nicht gelernt hat. Und weil das Träumen 
nicht zu lernen ist. Aber ein Schüler, der noch dazu Tafel heißt, 
Herrmann, der Tafel, sollte nicht lehren wollen, auch wenn es sich 
„nur“ imi' Kunst handelt. Er hat meine Kritik seiner Kritik in der 
Zeitschrift Der Sturm so genau gelesen, wie es ein ABC-Schütze 
vermag, der noch dazu geschossen wurde. Und berichtet nun den 
Stuttgartern; „Da finden wir einige Verse, die bezeichnend für die 
neue Richtung sein sollen, die aber längst veraltet sind, denn die 
Max Dauthendey, Stefan George, Mombert e tufti quanti haben das 
in ihrer Zeit viel besser gemacht, als sie noch im Flügelkleid gingen. 
Wir können uns aber nicht versagen, eine Probe dieser Dichtkunst 
zu geben. Arthur Rimbaud hat ein Gedicht „Die Läusesiicher- 
innen“ beigesteuert. Dies Gedicht bedeutet entschieden eine Be- 
reicherung des Aktionsfeldes der Poesie, die ungeahnte Fernen er- 
schließt.“ Nun bedeutet es entschieden eine Bereicherung des 
Herrn Tafel, wenn man ihm mitteilt, daß der Poesie diese un- 
geahnten Fernen schon seit beinahe vierzig Jahren erschlossen 
sind. Arthur Rimbaud, der dieses Gedicht beigesteuert hat, ist 
nämlich 1891 gestorben und hat .sich sogar, sehr unbegreiflich, aus 
Versehen 1875 in Stuttgart aufgehalten, zu einer Zeit, als der Tafel 
noch im FlUgelkleide ging. Damals hatte Rimbaud schon die Flügel, 
die ihn zu diesem (weltberühmten) Gedicht sich emporschwingen 
ließen, während dem Tafel indessen nur die Kleider gewachsen 
sind e tutti quanti. So stolpert man, wenn man sich etwas nicht 
versagen kann. So kann selbst der Tafel etwas beisteuern, wenn 
sein Holz ihn auch nicht einmal über den Neckar bringt. 


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Der Kunstpfeifer 

„Daß es keinem Kuropäer jemals Kclutigen ist mit den schief- 
äugigen Schuften aus Asien in vertraute menschliche Beziehungen 
zu kommen, ist eigentlich für die Bewertung japanischer Kunst 
schon ausreichend.“ Nun hat Ehrlich seinen Hata gefunden und wir 
dürfen uns also mit der Bewertung japanischer Kunst weiter be- 
fassen trotz Herrn Richard Pfeiffer, Professor an der Königlichen 
Kunstakademie zu Königsberg in Preußen; der sich also grundsätz- 
lich äußerte. Im übrigen rühmt er frei nach dem deutschen Dichter 
Lessing Tugenden, die er nicht hat: nämlich den deutschen Stil. 
„Nicht nur der Qeneralquartiermeister schreibt diesen herrlichen 
Stil, den unsere prachtvollen Heere liehen.“ Herr Professor Pfeiffer 
liebt ihn nicht, denn er gehört offenbar dem Heere nicht an, und 
er kann ihn auch nicht schreiben, den deutschen Stil. Dafür hat er 
aber eine Wesensart: „Mit Worten läßt sich unsere Wesensart 
nicht erschöpfen.“ Wo bleibt der deutsche Stil? „Wollen wir aber 
doch darüber reden, so könnten wir sie vielleicht kurz als eine 
vollkommene Durchdringung von Intuition und bürgerlicher Solidi- 
tät bezeichnen. Diese beiden Pole in gleicher Stärke zu vereinigen, 
ist uns allein eigentümlich.“ Herr Professor Pfeiffer rühmt kurz 
vor diesen Sätzen „die stark einsetzende Sprachreinigung“, die bei 
ihm aber ausgesetzt hat. Die Art des Wesens dieses Professors 
ist stark durchlöchert, denn seine Wesensart wird vollkommen von 
Intuition und bürgerlicher Solidität durchdrungen. Die bürgerliche 
Solidität wird durch die Tätigkeit des Herrn Professors an der 
königlichen Kunstakademie einwandfrei bewiesen. Bedauerlich 
bleibt nur, daß die Sprachreinigung bei der Intuition aussetzte. Ver- 
mutlich muß die Intuition als undeutsch verworfen werden. Nur ist 
die Intuition viel deutscher als alle Kunstprofessoren glauben. Die 
bürgerliche Solidität in der Kunst hat zwar nicht die Kunst tot- 
gemacht, aber die deutschen Künstler unterdrückt. Selbst eine 
solide Begabung wie Menzel wurde von der Akademie verwiesen. 

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Noch immer haben die Akademien nach fünfzig Jahren Solidität 
anerkannt. Sogar Begabung wird verziehen, wenn sie nachgemacht 
werden kann. Bildet sich aber keine Schule, so ist es klar, daß Leh- 
rer dagegen sein müssen. Denn wo bliebe die bürgerliche Existenz, 
wenn den Lehrern die Schule entzogen würde. Auch der Qeneral- 
quartiermeister von Stein hat keine Schule gemacht. Wie darf 
man sich auf eine Autorität beziehen, die man anerkennt, aber nicht 
erkennt. Nicht einmal die Kenntnisse zur Erkenntnis bringen diese 
Leute mit. Diese Lehrer siixl ganz ungelehrig. Sie sitzen solide 
auf ihrem Lehrstühlchen, auch wenn die Welt in Trümmer geht. 
Würde der Qeneralquartiermeister in seinem wirklich deutschen 
Stil gemeldet haben: Polen ist verloren, so würde vom Lehrstühl- 
chen bürgerlich solide geantwortet werden: Noch ist Polen nicht 
verloren. Jeder Verlust ist in der Kunst ein Gewinn, aber die Ge- 
winner wissen die Verluste nicht zu schätzen. Sie setzen immer 
auf das große Los, halten das für solide und halten die Intuition für 
eine Niete. Aber diese Lehrer sind außerdem schlecht unterrich- 
tet. Sie wenden die bürgerliche Solidität bei der Kunst und die 
Intuition bei der Kunstgeschichte an: „Diese neueste Erfindung ist 
ein gemeinsames Werk der Franzosen: und ihrer Freunde, der Rus- 
sen. Schon der Name ist eine Anmaßung. Denn Expression, Aus- 
druck, ist das allgemeine Ziel jeder Kunst. Nur wollen sich die 
Vertreter dieser Sache nicht der Formensprache bedienen, in wel- 
cher der Geist der Welten selber so deutlich und leise redet, son- 
dern sie haben eine eigene Sprache erfunden, die dann freilich an 
Rohheit und Primitivität nicht überboten werden kanm. Uniformierte 
Anarchie.“ Der Geist der Welten heißt nicht Pfeiffer und hat ihm 
überhaupt ein tolles Stückchen vorgepfiffen. Denn der Expressionis- 
mus ist eine deutsche Angelegenheit, die von den französischen und 
russischen Pfeifern stets verpaukt wurde. Die kleine deutsche 
Flöte tutet natürlich in der üblichen deutschen Ausländerei nach. 
Gewiß ist Ausdruck das allgemeine Ziel jeder Kunst, und jeder, der 
dieses Ziel erreicht oder erreicht hat, .soll gern Expressionist ge- 

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nannt werden. Die Anmaßung liegt also weniger in der Expression 
als in der Pression, jeden Deutsclien und natürlich ebenso jeden 
Ausländer für einen Künstler zu erklären, der sich mit der Farben- 
lehre auf der Leinwand praktisch betätigt. Der Geist der Welten 
spricht nämlich so viele eigene Sprachen, daß alle Germanisten und 
Romanisten sie noch nicht erlernen und sie also noch weniger 
lehren konnten. Sprachen lassen sich nicht erlernen. Wer eine 
eigene Sprache besitzt, wirkt auf einen Kunstprofessor jeder Natio- 
nalität immer wie ein schiefäugiger Schuft, mit dem man eben nicht 
in vertraute menschliche Beziehung kommen kann. Und wenn 
diese Beziehung nicht am Stammtisch gefunden werden kann, ver- 
zichtet man lieber auf den Stamm und bleibt bei Tische sitzen. 
Auch die schiefen Augen sind vom Geist der Welten erdacht wor- 
den. Auch Schiefäugige können uniformiert werden. Und jede 
Uniform war eiiunal eine Uniform. Nämlich die Form dessen, der 
uniformierte. Pfeifer sind so stolz, weil sic immer vorangehen. Aber 
wenn abgewinkt wird, muß die ganze Tuterei sofort aufhören. Doch 
unser braver Professor aus Königsberg will durchaus auf der klei- 
nen Flöte Solo spielen: „Wahrhaftig, Liebe ist der Geist der Kunst, 
wie Richard Wagner erkannt hat. Ohne die ordnende Rolle der 
erkennenden Triebe im Weltprozeß zu verkennen, kann man doch 
sagen, daß aus reiner Vernunft noch kein Gedicht entstanden ist, 
kein Kind geboren wurde.“ Nur daß Gedichte aus Liebe noch lange 
keine Liebesgedichte sind und daß schon viele Kinder aus reiner 
Vernunft geboren sind. Herr Professor Pfeiffer ist so gütig, die 
erkennenden Triebe nicht zu verkennen. Trieb ist zwar der Gegen- 
satz von Erkenntnis und die Vernunft hat schon viele Gedichte ge- 
macht aber noch keinen Trieb hervorgebracht. Man glaubt näm- 
lich nur zu treiben, man wird getrieben. Aber stets haben sich die 
Triebe auf die Liebe gereimt, was viele für ein Gedicht halten. 
Die Kunst ist zwar der Geist der Liebe, aber die Liebe nicht der 
Geist der Kunst, auch wenn es Richard Wagner erkannt hat. Daß 
nämlich Richard Wagner soviel erkannt hat, ist dem Geist seiner 

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Kunst sehr hinderlich gewesen. „Sollte einmal der Augenblick der 
völligen Verhirnung eintreten, den viele so heiß ersehnen, so wäre 
damit auch die Rolle der Kunst ausgespielt.“ Ohne erkennende 
Liebe spielt der Herr Professor einfach nicht mehr mit: „Denn die 
Kunst ist an unsere körperliche Organisation gebunden und teilt 
auch ihre Beschränkungen. Die modernsten Bestrebungen der 
Ueberwindiinig der Form und der Entdeckung des Geistigen und 
Seelischen in der Kunst sind wurzellos unorganische Qehirnkon- 
struktionen von mißverstandenen Möglichkeiten: Kunstgeist ist 
Forrngeist.“ Manche Leute haben nun das Geistige und Seelische 
in ihrer körperlichen Organisation. Und die Beschränkung der 
körperlichen Organisation von Kunstprofessoren ist nur an 
sie und nicht an die Kunst gebunden. Im übrigen handelt es sich 
gar nicht darum, Formen zu überwinden, sondern Formen zu win- 
«den. Das ist eben die verfluchte eigene Sprache des Geistes der 
Welten. Endiich .fühlt sich dieser ostpreußische Professor veran- 
laßt, gegen Anschauungen zu kämpfen, die Anschauungen der 
Akademien sind, weil man dort nicht schauen kann: „In der moder- 
nen Kunstschriftstellerei spielt der Begriff der Entwicklung eine 
große Rolle. Ueberall findet man die „Entwicklungsliniem von 
Cimabue bis Meier“, meist wird dieser Entwicklungsbegriff wohl 
im Sinne der Höherentwicklung, der Verfeinerung, kurz des Fort- 
schrittes verstanden.“ Was mag dieser Pfeiffer für moderne Kunst- 
schriftstellerei gelesen haben, die ihn bis auf Cimabue aufwickelt. 
Er hat sich da erheblich verheddert. Und selbst wenn alle „moder- 
nen“ Kunstschriftsteller behauptet hätten, daß die Kunst von Mat- 
thias Grünewald bis zu Adolf Menzel sich höher entwickelt hätte, 
so wird kein Künstler gefunden werden, der das behauptet. Ich 
aber behaupte, was die Herren mit ihrer beschränkten körperlichen 
Organisation nicht auffassen können, daß derselbe Geist der Welten 
aus der Kunst des Franz Marc spricht wie aus der Kunst des 
Albrecht Dürer, aus der Kunst des Oskar Kokoschka wie aus der 
Kunst des Matthias Orünewald. 

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Professor Vogel will mitmadien 

„VoKel meint, daß wir in den letzten Jahren neben der dankens- 
werten Steigerung der künstlerischen Mittel — Leibi — auch einen 
bedauerlichen Verfall erlebt hätten und allerhand Snobismus, der 
seines Erachtens durch den Krieg spurlos vernichtet werden wird. 
Aus dem Nichts werde Nichts. Zu allen Zeiten sei große Kunst nur 
durch Fortführung der Tradition entstanden, dadurch, daß ein Kerl • 
auf den Schultern eines anderen Kerls stand und so würde auch 
sofort mit Beendigung des Krieges eine ganz cmtschiedene Rück- 
kehr zu unserer guten alten deutschen Tradition einsetzen, wohl- 
verstanden mit vollkommener Geltung des guten Neuen, das seit- 
dem errungen worden sei.“ Man muß schon auf die Siegessäule 
steigen um die Werke Professors Hugo Vogel für Kunst zu halten. 
Soviele Kerls stehen schon unter ihm. Die Monumentalmaler klet- 
tern immer höher herauf, rutschen dann mit einem Ruck zur guten 
alten Tradition zurück, nicht ohne unterwegs ein paar Stückchen 
vom Expressionismus mitzureißen. Der Vogel weiß manch Liedchen 
von der Malerei zu singen: „Das Wesen der Monumentalmalerei 
sei zu allen Zeiten gewesen, zu erzählen, zu schildern und die rein 
malerischen Fragen seien ihr immer das Mittel und der Weg zu 
diesem Zweck gewesen. Wer es anders ansähe, befinde sich in 
einem verfänglichen Irrtum.“ Das Tirili soll uns nicht verführen. 
Der Zweck entheiligt die malerischen Mittel und der Weg führt zeit- 
weilig nicht nach Rom. „Man müsse absolut zwischen Staffelei- 
bild und Monumcntalmalerei unterscheiden, bei der ersteren sei ein 
l’art pour I'art möglich, bei letzterer niemals. Sie schreite im ge- 
wissem Sinne stets auf dem dramatischen Kothurn.“ Die Erzäh- 
lung auf dem dramatischen Kothurn ist an sich schon ein trauriges 
Schauspiel, die letzteste Monumentalmalerei des Herrn Professors 
Vogel unterscheidet sich absolut nicht von seinem erstesten Staf- 
feleibild, denn beidere haben weder mit der I’art noch mit der 
Kunst was zu tun. Die Bilder schreiten und der Professor schildert 
einen verfänglichen Irrtum. Aber zu allem Zeiten ist es so gewesen, 
daß Schildermaler Tatsachen erzählen. 

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Die Wacht in Chariottenburg 

Der Kunstmaler Lovis Corinth hielt einen Vortrag vor den Ver- 
tretern der neutralen Presse, in der Annahme, daß die Herren viel- 
leicht noch weniger von Kunst verstehen als die deutschen Koilegen. 
Die Reden und die Werke dieses Kunstmalers können allerdings 
die Herren der neutralen Presse überzeugen, „daß unsere Stadt 
Berlin nicht so bar aller Kultur ist, wie unsere Feinde es überall 
ausposaunen möchten.“ Solche Reden und Bilder gibt es 
auch im neutralen und im übrigen Ausland. Kultur haben wir 
in Europa gerade genug. Die Kunst aber ist nicht an Deutschland 
gebunden und auch nicht von Frankreich gepachtet. Die Kunst lebt 
dort, wo die Künstler leben. Es leben nicht viele Künstler auf der 
Erde, aber viele Kunstmacher. Auch Haarmacher lassen sich gerne 
Haarkünstler nennen. Herr Lovis Corinth, der dicke Damen malt, 
empört sich über die „perverse Frivolität dieser neuesten Kunst- 
richtung“. Dicke Damen können vielieicht diese Eigenschaft haben, 
auf wen aber Bilder von Franz Marc oder Kandinsky pervers und 
frivol wirken können, der müßte im Passage-Panoptikum zu Berlin 
oder im Musee Qrevin zu Paris als Kunstwerk ausgestellt werden. 
Sonst tritt der Herr Corinth als neuer Hutten auf: „Bei meiner 
Liebe zur Wahrheit habe ich es gewagt, meine Stimme zu erheben, 
selbst auf die Gefahr hin, als blutiger Reaktionär gebrandmarkt zu 
werden. Es war im Januar 1914, als ich den Vortrag über deutsche 
Malerei bei den Studenten hielt. Ich predigte nicht tauben Ohren. 
Unter Beifall hatte ich die Ueberzeugung, daß ein gesunder Kern 
der deutschen Jugend noch geblieben war.“ Die Herren nehmen es 
nie so genau mit der Liebe zur Wahrheit. Die paar Studenten, die 
dem Vortrag des Herrn Corinth beiwohnten, in jenem historischen 
Januar des Jahres 1914, sind nicht die deutsche Jugend. Und selbst 
der Beifall der gesamten deutschen Jugend macht aus den 
Werken des Herrn Lovis Corinth keine Kunst. Es bleibt Malerei 
für taube Ohren. Doch wird dafür gesorgt, daß die deutsche Jugend 

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ihre Augen öffnet. Dafür beruft sich Herr Corinth auf Kant, Fried- 
rich den Großen, Goethe und Beethoven. Ferner auf Dürer. Hol- 
bein und Matthias Grünewald. Gegen diese Künstler ist garnichts 
einzuwenden. Nur machen sie die Bilder von Corinth nicht besser, 
sie haben sie schon besser gemacht. Aber hier predigt man tauben 
Ohren. Man sagt Corinth und man brüllt dagegen Grünewald. Und 
selbst wenn der Herr Corinth der Urenkel Grünewalds wäre, die 
Kunst erbt sich in der Verwandtschaft nicht Jort. Seinen neuen 
Gott, Max Liebermann, verleugnet er jetzt. Die Herren sind zur 
Zeit böse. Das war in Charlottenburg im Monat Mai. Zum Glück 
für die Kunststadt Berlin befindet sich die Berliner Sezession in 
Charlottenburg, während Max Liebermann und Genossen sich über 
den Austritt von Lovis Corinth so freuten, daß sie gleichfalls in 
Charlottenburg eine Freie Sezession gründeten. Die Genies werden 
aber nicht nur aus Akademien, sie werden auch aus Sezessionen 
ausgewiesen, „Die deutsche Kunst wird eines schönen Tages 
wieder da sein.“ Der schöne Tag ist bereits da. „Mit Zuversicht 
erwarte ich den Messias und bereite ihm seinen Weg.“ Der Messias 
ging die Straße nebenan, weshalb Herr Corinth vergeblich trotz 
eifrigem Schippen warten wird. „Das große Genie, welches uns 
die nationale deutsche Kunst bringen wird, ist vielleicht unter 
Kanonensaluten und Maschinengewehrgeknatter wie ein Fürsteiv 
kind bereits geboren.“ Dann hätte schon die Anzeige im Berliner 
Tageblatt gestanden. Der Herr Corinth sucht aber immer nach 
Säuglingen, die sich von ihm pflegen lassen wollen, und dabei 
stehen die neuen Männer schon über ihm. Die nationale Kunst ist 
da, wenn die Nation die Kunst will. Wenn sie nicht will, nützt ihr 
auch die nationale Kunst nichts. Kunst ist nicht, was Lovis Corinth 
macht. Kunst ist nicht, was die Nation macht Kunst ist, was der 
Künstler macht Der Künstler ist aber nur das Werkzeug seines 
Werkes. 


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Der mensdilidie Künstler 


Die Malermeister hoffen auf das große Geschäft. Auf ihre große 
Zeit durch den Krieg. Der Krieg soll sie gesund machen. Sie waren 
also krank. Was tun Künstler, die vor dem Krieg gesund waren. 
So gesund, daß sie die Kranken schon vor dem Krieg als krank 
ansahen. Genesende müssen geschont werden, sie sind keine Ge- 
fährten für Gesunde. Erwerb ist kein Besitz und Erwerbstrieb 
■kein Kunsttrieb. Erwerbstrieb ist nicht einmal ein Trieb. Preisend 
mit viel schönen Reden werden schlechte Bilder gemacht. Sogar 
die schlechten Bilder aus der kleinen Zeit vor der großen Zeit 
werden mit schillernder Beweglichkeit auf dem Markt verschleu- 
dert. Die Malermeister finden das Geschäft verdorben, weil das 
Publikum nicht mehr verdorbene Waren kauft. Daran sollen die 
Künstler schnld sein. Sie sind es nicht. Denn Kunstwerke werden 
noch immer nicht gekauft. Doch eine neue Zeit bricht an. Das 
Publikum läßt sich nicht mehr durch die Naturwahrheiten der 
Malermeister belügen. Es geht direkt zum Photographen. Der ist 
billiger und echter. Und besser. Die Linse sieht und der Maler- 
meister denkt. Die Photographen müssen unterstützt werden, nur 
so ist Platz für Kunst zu schaffen. Die Photographen geben, was 
ihnen scheint. Die Malermeister scheinen, was sie nicht geben. 
Seien wir doch endlich sachlich. Geben wir der Natur, was der 
Natur ist, geben wir der Kunst, was der Kunst ist. Nur keine 
Manschereien. Deutsche Waren sind deutsche Waren. Deut- 
scher Kitsch ist deutscher Kitsch. Der Kitsch der Franzosen ist 
selbstverständlich auch nur Kitsch. Kitsch wird aber nicht besser, 
■wenn sein Verfertiger beinahe in Deutschland geboren ist. Das 
hofft aber ein Herr zusammen mit vielen anderen Herren, der auf 
den deutschen Namen Momme Nissen hört 

Herr Momme Nissen hat ein Buchchen geschrieben, in dem er 
unberechtigt Bilder nachdruckt. Alle Angriffe gegen Kunst beginnen 
mit einer Verletzung der Urheber. Die Urheber haben aber zu 

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ihrem Qitick eine dicke Haut und das Kammergericht in Berlin gibt 
es auch noch immer. Das Kammergericht ist sehr preußisch und 
heilt Verletzungen glatt durch Verfügungen. Keine Munition wird 
verschwendet. Darauf begibt man sich gewöhnlich in die „Werk- 
statt der Kunst“. Die Werkstatt ist nicht so preußisch, sie 
ist unaufgeräumt, alles liegt durcheinander. Man muß für Ordnung 
sorgen. Malermeister nennen deutsche Unordnung Romantik. In 
ihren Gehirnkasten liegen alle Zeitungsartikel durcheinander und 
das Unbewußte ist für sie der Keller, in den sie diesen Kehricht 
abladen. So sind sie Druckerschwärze durch und durch und sehen 
alle Farben grau. 

Aufräumen ist sehr nützlich. Damit man Raum findet und Raum 
sieht Kein Raum ist Zeitverschwendung und Zeit ist Raumver- 
schwendung. Raum für Alles hat die Erde, wenn Alles richtig unter- 
gebracht ist Nur kein Durcheinander. 

Herr Momme Nissen malt, wenn er denkt und denkt, wenn er 
malt Er kann also Beides nicht. Ein Blick auf seine Werkstatt: 
„Auf allen Seiten begehrt man mit Recht eine gesteigerte würdigere 
Entwicklung. Man erwartet sie dringend auch von den Künsten. 
Es wäre gleichwohl verfrüht, von unserer Kunst sofort ein ver- 
jüngtes Gesicht zu verlangen.“ Gemalt wie gedacht: etwas, das 
sich entwickelt, steigert sich dadurch, daß ein Altes nach und nach 
ein verjüngtes Gesicht bekommt. So etwas muß sich Herr Momme 
Nissen schon in einem Institut für Schönheitspflege malen lassen, 
die Entwicklung der Schönheit führt zu einer Steigerung der Preise. 
Je älter desto teurer. Genau wie in der Kunst. Die Schönheit steht 
natürlich wieder auf der obersten Sprosse: „Innere Umwandlung 
aus vielfach faulen Zuständen heraus, bedingt eine Stufenreihe von 
Veränderungsformen.“ Die Leiter wird in die faulen Zustände 
gestellt und auf jeder Stufe verändert sich die Form. Oben steht 
sie, die Schönheit. Die Leiter gerät aber ins Wackeln, denn: „Echt 
deutsche Kunst kommt nicht in Autoschnelligkeit herangerast; auch 
sie will tapfer erstritten und redlich durchgemüht sein.“ Massage 

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im Auto ist nicht zweckdienlich. Warum soll die deutsche Kunst 
auch erst im Auto heraniahren, wenn sie schon oben auf der Leiter 
steht. Zur Schönheit gehört aber weniger Form, eine ausländische 
Krankheit, sondern Reform: „Denn Wert hat nur dann die Reform, 
wenn sie den ganzen Künstier erfaßt und veredelt und schaffens- 
tüchtiger macht.“ Also nicht nur Oesiclitskultur. Die ganze Körper- 
kultur fordert den Künstler. Aber nicht damit genug. Zur Körper- 
kultur bedarf man bekanntlich eines Anstosses durch Hochspan- 
nung: „Dazu gibt ailerdings die heutige Hochspannung den stärk- 
sten Anstoß, aber erst eine fruchtbare Friedenszeit vermag jene 
innere Sammiung, jene Stiile der Seele zu gewäliren, in der allein 
die Qeistesfrüchte zur volien Reife gedeihen.“ Ich danke für re- 
formiertes Obst, begnüge mich mit dem natürlichen, das ich im 
Kriege esse, statt es im Frieden zu malen. Der massierte Künstler 
steckt der Schönheit oben auf der Leiter ein Erzeugnis der Botanik 
in den Mund. Ein künstlerisches Durcheinander. Aber gemalt wird 
es sich sehr gut machen, wenn man die Dame Eva und den Herrn 
Adam nennt. Der Adam sieht sowieso immer etwas massiert aus 
und warum soll nicht schließlich einmal er Eva den Apfel 
reichen. Da hätte sie endlich auch einmal Stoff zum Denken. Aber 
so eine richtige gesteigerte Entwicklung braucht Zeit. Soviel Zeit, 
daß sie die Reformatoren kaum erleben können: „Wo es um eine 
nationale Kultur-Neubildung geht, die von tiefernsten sittlichen 
Fragen bis zu nüchternen Einzelheiten handwerklicher Uebung 
hundert Dinge umspannt, da muß man immerhin mit Jahrzehnten, 
vielleicht mit Menschenaltern rechnen. Da wäre es töricht, bereits 
auf den Ausstellungen von 1916 eine neu erstandene deutsche Kunst 
fertig vorfinden zu wollen, wenn wir auch hoffen dürfen, das 
ganz Entartete ausgeschaltet, unser erbeigentümliches Kunstgut 
jetzt fleissiger vorgeführt und eine Schar bisher niedergehaltener 
guter einheimischer Maler ans Licht kommen zu sehen.“ Also im 
Jahr 1916 ist es noch Essig oder um im Bilde zu bleiben Säure. 
Das erbeigentümliche Kunstgut von Momme Nissen und Genossen 

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ist schon im Jahr 1915 rcclit fleissig vorgeführt und die nieder- 
gehaltenen guten einheimischen Maler werden auch im Jahre 2016 
nicht ans Oberlicht der Königlichen Akademien kommen. Gute 
Bilder braucJien aber kein Oberlicht. Das Licht muß nämlich aus 
den Bildern kommen. Eigentlich ist die Kunst doch so einfach; man 
braucht nur Bilder zu malen, ohne Apparate. Die Malermeister 
sorgen sich aber immer um die Apparate und vergessen die Bilder. 
Da wir nun auf die gesteigerte Entwicklung von Momme Nissen 
und Genossen noch einige Menschenalter warten sollen, müssen 
wir uns damit begnügen, zu erfahren, „was wir zunächst für die 
heissersehnte künstlerische Neugestaltung zu tun vermöchten.“ 
Herr Momme Nissen hat nämlich etwas ganz Feines: „Festgelegte 
Ziele“. Er streckt sich, bis er auseinander reißt. Ziele rasen näm- 
lich mit Autogeschwindigkeit. Ziele sind immer fort, wenn man dort 
ist. Auch wenn man sie sich noch so nahe steckt. Außerdem gibt 
es Leute, die Haltestellen umkippen, damit die Andern sich nicht 
zu früh am Ziel finden. Frühe Ziele fördern zwar die Behaglichkeit, 
hindern aber die Ziellosen. Die Leute mit Zielen stecken sich aber 
ihr Ziel stets zu weit. Das erste Ziel von Momme Nissen ist 
„Selbstbesinnung auf die Grundlinien unseres Schaffens“. Dazu 
muß er erst ins Auto steigen. Wo sind die Grundlinien „unseres“ 
Schaffens. An unsern Landesgrenzen: „Ein Abstecken der Pflöcke 
innerhalb unserer Landesgrenzen gebietet heute die Ehre, die Ver- 
nunft. der Zwang“. Wo, Herr Momme Nissen, sind heute unsere 
Landesgrenzen. Mir scheint, die Pflöcke werden abgesteckt, aber 
erheblich weiter nach vorn. Ehre, Vernunft und Zwang scheinen 
heute zu gebieten, daß wir unsere Landesgrenzen nicht kennen. 
Auch ein großes Vaterland kann größer sein. So klein wird Deutsch- 
land nie werden, daß Herr Momme Nissen sich darin zurecht findet. 
Er sollte die Pflöcke einmal innerhalb seiner Grenzen abstecken. 
Vielleicht kommt er dann zur Selbstbesinnung. Vorausgesetzt, daß 
er für Ordnung bei sich sorgt innerhalb seiner Pflöcke. Bisher ist 
er nur auf den Grundlinien anderer Menschen spazieren gegangen, 

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die sich zurecht fanden. Verirrte schimpfen auf die Wege. Doch 
nicht die Wege sind Irrwege. Geirrt hat der, der die Wege nicht 
kennt. Man kann nicht ins Neuland fuhren, wenn man innerhalb 
der Pflöcke nicht Bescheid weiß. Fremdenführer wissen nur, was 
sie auswendig gelernt haben. Fremdenführer waren niemals For- 
scher, sondern sind stets von Fremdenführern geführt worden. 
Aber Herr Momme Nissen braucht nicht nur Grundlinien, er braucht 
auch eine Grundlage. Natürlich auf der Oberfläche: „Unsere Kunst 
bedarf vor allem einer gesunden Berufsgrundlage.“ Gesundung 
durch die Lösung der sozialen Frage. Proletarier aller Länder, 
vereinigt Euch, denn: „Eine Mauptursache der Zersplitterung von 
L'teutschlands Künstlerschaft, der Ziellosigkeit ihrer Gesamtarbeit, 
der durchgehenden Unfertigkeit ihrer Leistungen und ihre haltlose 
Abhängigkeit von Kunsthandel, Kritik und Aesthetentum liegt in 
der mangelhaften Organisation ihres Berufes.“ Die Idee ist gar nicht 
so dumm wie es scheint. Zwar macht sie der Photograph schon 
ohne die Malermeister, aber wir werden die Herren endlich los, 
wemi sie ihre Industrie industriell betreiben. Die Leinwand 
wird hingestellt, jeder Handarbeiter an seinen Platz, die Land- 
schaftsmaler machen die Landschaft, die Marinemaler setzen ihre 
Schiffchen hinein, die Genremaler liefern das Obst, die Porträtmaler 
fügen noch Menschen hinzu, die Tiermaler sorgen für die Zoologie, 
jeder Arbeiter bekommt die Woche hundert Mark und die soziale 
Frage mit ihrer Sorge um die Kunst ist gelöst. „Keine Kunst blühte 
ohne festbegründete Künstlerschaft.“ Aber diese Gesellen brauchen 
einen Meister: „Feinfühlende Laien können Kunstwerke oft vor- 
trefflich bewerten, niemals aber Künstler züchten, erziehen; das 
bleibt ein für allemal Sache der Praktiker.“ Der Maschinenmeister 
wird die Sache schon richten und feinfühlende Laien werden nach 
dieser Industrialisierung das tun, was sie sonst zu tun pflegen, einen 
Fachmann fragen, ehe sie die Maschine kaufen. Ja, meine lieben 
Herren, dann ist es aus mit dem Theater. Dann staunt der Laie 
nicht mehr, dann wird der Fachmann gefragt. Solide ehrliche Ar- 

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beit wird gefordert werden, keine Vorspiegelung der Natur. Ein 
Schiff ist kein Bild und ein Bild ist kein Schiff. Dann erst wird cs 
sich zeigen, was Handwerk ist. Jetzt reden sich die Herren auf 
ihre faule Kunst heraus. üewiB, das Handwerk ist die Orundlage, 
deshalb wird das Bild mit der Hand und nicht mit der Gesinnung 
oder der Gesittung gemalt. Was aber die Hand malt, liegt vor der 
Gesinnung und über der Gesittung. Der Künstler schafft das Gleich- 
nis und nicht das Gleiche. Nach seinem Ebenbilde. Aber nicht nach 
den Bildern der Andern. Das Gleiche schafft Gott, aber anders. 
Wollte Gott, daß die andern fest und treu Zusammenhalten: „Erst 
das einträchtige Arbeiten, das freudige Hand-in-Hand-Gehen von 
Gleichgesinnten und Gleichgeschulten, von Lehrern und Schülern, 
von Alten und Jungen, ermöglicht das Emporkommen einer Blüte- 
periode.“ Wenn die Herrschaften natürlich alle Hand in Hand gehen, 
müssen sie mit der Gesinnung malen. Nach ernster Arbeit fröh- 
liches Beisammensein: Gänse-Ausschieben. Hier wird fortg'suffa. 
Konkordia soll ihre Name sein. 

Es ist nicht leicht, zu organisieren: „So schwierig Organisa- 
tion unter Künstlern, so nötig ist sie gerade dort. Der Grund davon 
liegt einmal im überspannten Spintisieren und dann in der Los- 
trenmmg von der ehemals selbstverständlichen handwerklichen 
Schulung. Nur durch diese bildet sich eine des reichen deutschen 
Wesens würdige Technik voll durchgliederter Form und voll 
schmelzvoller Farbigkeit.“ Das wird erreicht durch den Künstlcr- 
verein „Konkordia“, das Ehrenmitglied Lenbach sagt, wie es ge- 
macht wird. Technik des Pansens, englischer Kutschenlack, etwas 
Rot auf die Lippen und was man so braucht. Sogar die Akademien, 
man sollte es nicht glauben, wollen sich jetzt mit Maltechnik be- 
fassen. Bisher haben sie nämlich Kunst gelehrt: „Es ist ein Fort- 
schritt, daß mehrere Akademien endlich Abteilungen für Maltechnik 
eingerichtet haben.“ Nun erfährt man endlich, warum die Aka- 
demiker nicht wissen, was ein Bild ist. Sie haben nur Gesinnung 
gelernt. Aber der Fortschritt ist unaufhaltsam: „Doch hoffnungs- 

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voller ist cs, daß in einigen Werkstätten hervorragender Maler und 
Bildhauer fern von Großstädten, Jünglinge vom Lehrlingsstand an 
stufenweis ganz praktisch ausgebildet werden, bis zur Aus- 
schmückung öffentlicher Bauten mit Monumentaldarstellungen.“ 
Zum Beispiel der Bildhauer Marscliall, an dessen hölzernem Hinden- 
burg die Jünglinge vom Lehrlingsstand an stufenweis auf richtigen 
Leitern ganz praktisch ausgebildet wurden, bis selbst die König- 
liche Akademie der Bildenden Künste vor diesen Monumental-Dar- 
stellungen warnte. Der Meister vom Lehrlingsstand und die Jüng- 
linge mußten wieder einige Stufen herunterklettcrn. Fern von Groß- 
städten, in Insterburg, wird jetzt Herr Marschall weiterholzen. 

„Außerdem muß freilich der Künstlerzusammenschluß auch 
national-ökonomisch erfolgen . . . Die Bußzeit des Krieges hilft mit, 
um die Künstler zusehends zu einer realeren und sagen wir ruhig 
bescheideneren Auffassung ihrer Wirksamkeit hinzuführen.“ Das 
heißt auf deutsch: die schlechten Bilder werden billiger, die Auf- 
fassung der Künstler zusehends national-ökonomischer. „Haben wir 
Künstler es nicht selber verschuldet, daß wir als unsichere Kan- 
tonisten gelten? Wir sollten durchaus den Ruf der altdeutschen 
Zuverlässigkeit wiederzuerlangen sorgen. Dann wird auch der 
Staat unseren Stand einerseits besser stützen, anderseits freier 
schalten lassen können als bisher.“ Das heißt auf deutsch: die 
Zimmervermieter werden die Künstler anerkennen. Ein Stand, der 
einerseits gestützt werden muß, ist andererseits kein Stand. Und 
noch freier schalten? Jeder unbescholtene Staatsbürger darf Bilder 
malen, soviel er will. Und bescholtene Maler bleiben im Besitz der 
bürgerlichen Ehrenrechte. 

Aber damit nicht genug. „Unsere Kunst bedarf der festen Ein- 
gliederung in die Volksgemeinschaft. Sie war in ihren jüngsten 
Trieben ganz zum Lu.xus- und Sportartikel einer tonangebenden 
Oberschicht geworden, war durch deren widernatürliche Ge- 
schmacksrichtung in eine verhängnisvolle Isolierung hineinge- 
raten.“ Die andern Schichten standen also für die Eingliede- 

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rung zur Verfügung. Wer aber Luxus- und Sporfartikel braucht, 
kauft sie, auch wenn sie noch so widernatürlich sind. Wenn diese 
Kunst, diese verhängnisvolle, isoliert ist, kann sie doch keinen 
Schaden mehr anrichten. Die Widernatürlichen finden die Natür- 
lichen unnatürlich. Und die Volksgemeinschaft ist überall für Luxus 
und Sport, was ganz natürlich ist. Diese Artikelmacher und diese 
Artikelschreiber haben aber gar nichts mit der Kunst zu tun, die 
sich nicht cingliedert, sondern der man sich einzugliedern hat. 
„Vor tausenden von Bildern fragte sich alle Welt: w'eshalb, wozu, 
wohin damit?“ Die Malermeister sind nicht alle Welt. „Man machte 
geradezu Kunst gegen das deutsche Volk.“ Man macht allerdings 
auch nicht Kunst für das deutsche Volk, weil man Kunst über- 
haupt nicht macht. Jedenfalls, die Künstler müssen bekämpft 
werden; „Da ist tatkräftiger Widerstand, ein herzhaftes Be- 
schneiden der Verlotterung und Qeistesfäule von Nöten.“ Ein Bild 
von Momme Nissen. Er sollte lieber in der Werkstatt der Kunst 
aufräumen, als Qeistesfäule herzhaft beschneiden. Ein Sauver- 
gnügen übrigens. „Da ist eine ernste Warnung unserer noch sitten- 
und phantasiereinen Jugend vor dem Aufsaugen giftiger An- 
steckimgskeime dringlich geboten.“ Keime sind gegen Warnungen 
immun. Wenn mir der Herr Momme Nissen doch endlich mal 
einen Namen nennen wollte, den Namen eines Künstlers, der die 
Sitten- und phantasicrcinc Jugend ansteckt. Ich bin so unglaublich 
gesund, daß ich gerne einmal die Ansteckung wage. Höre ich 
Namen, so schließe ich mich vielleicht auch „den verschiedensten 
Autoritäten aus konservativen und liberalen Lagern“ an, die vor 
Ansteckung warnen. Nur scheinen mir bisher die Autoritäten die 
Feinde im eigenen Lager nicht zu sehen. Hinter die Autoritäten 
verstecken sich die Feinde der Kunst, deshalb werden sie von ihnen 
auch nie bemerkt. 

Endlich hat Herr Momme Nissen gefunden, daß seine Bilder 
so schlecht verkauft werden, weil die Kunsthändler sich nicht für 
ihn interessieren. Die Kunsthändler haben den Malermeistern das 

ISO 





Geschäft verdorben. Sie alle weigern sich standhaft, Oelgemäldc 
von Moniine Nissen und Genossen zu führen, trotzdem das Publi- 
kum sich um diese oelige Nahrung schlägt. Der Kunsthändler will 
nicht. Kr kauft nur Oeistesfäule. Infolgedessen das arme Publikum 
auch. Weder König noch Dauer können sich ihre Marinestücke 
verschaffen: „Herrschte doch eine Maklerschaft, durch die der 
König wie der Bauer um ihr Recht und ihre Freude kamen, frevel- 
haft vor, wo sie nur hätte dienen dürfen.“ Ich kann mir denken 
wie geknickt der Bauer im Salon Schulte seinen Kandinsky hin- 
nahm, wo er sich doch nach seinem Kiesel sehnte. Das ist nicht 
recht von Schulte und den andern Kunsthändlern. Und vielleicht 
gab Herr Cassirer dem König einen Liebermann, einem 
König, der sich nach einem Rembrandt - Schulbild sehnte. 
Hierauf besinnt sich der deutsche Momme Nissen auf sein 
Vaterland, wie ganz anders ist es da: ,, Dafür muß jenes 
edle Vertrauen zwischen echten Künstlern und Kunstliebhabern 
auch bei uns allmählich Wurzel fassen, das bei den Dänen eine 
so wohltuend landestreue und doch maßvoll moderne, Hauskunst 
gedeihen ließ.“ Also die Selbstbesinnung auf die Grundlinien 
unseres Schaffens innerhalb unserer Landesgrenzen hat für Däne- 
mark ein Ausnahmegesetz. Maßvoll moderne Hausmannskunst 
nimmt Herr Momme Nissen selbst vom Ausland gütig.st entgegen. 
Oder sollten die Pflöcke des Herrn Momme Nissen dort abgesteckt 
gewesen sein, wo man so wohltuend laiidestreu in der Kunst ist. 
Oder ist etwa gar Herr Momme Nissen auch so ein unsicherer 
Kantonist, der die Kantone nach Belieben der andern wechselt. 
„Haben wir Künstler es nicht selbst verschuldet.“ Was sagen wir 
Künstler nun. Oder haben wir Künstler jetzt vielleicht das weite 
Herz, das uns gestattet in allen Kantonen heimisch zu werden. Mit 
maßvoll deutsch-dänisch landestreuer Hauskunst. „Dafür muß 
warmherzige Rmpiindung fürs Vaterlandsganze, dürfen nicht eitler 
Egoismus noch Neuerungssucht den Pinsel führen.“ Jeder Pinsel 
für ein Vaterland, der brave Momme Nissen sogar für zwei. Denn 

ist 



er ist maßvoll. „Dafür muß der Künstler es sich zur Ehrenpflicht 
anrechnen, so weit die stilistischen Erfordernisse des Werkes es 
zulassen, wohlberechtigten menschlichen Wünschen von 
Kunstförderern entgegenzukommen. Mat er doch lange genug der 
Tyrannei schwindsüchtiger Modernisten einen unwürdigen Tribut 
gezollt.“ Ein würdiger Tribut ist es, menschlichen Bedürfnissen 
von Kunstförderern entgegenzukommen. Den Frauen soll man be- 
sonders zart entgegenkommen. Natürlich so weit die stilistischen 
Erfordernisse des Werkes es zulassen. Die Ehrenpflicht des Künst- 
lers ist es, maßvoll in den stilistischen Erfordernissen des Werks 
zu sein. Hierauf wirft Herr Momme Nissen den Pinsel fort und ver- 
anstaltet das große Künstlerfest des Friedens: „Darum stimmt die 
Instrumente, ihr Künstler, bereitet das Heimkehrfest vor, eure 
Kräfte, die man zu lascher Lüstlingstat zu erniedrigen strebte, sollen 
einen großen deutschen Liebesdienst tun, sollen den Geist der Auf- 
opferung und Hochherzigkeit wcitcrpflanzen in kommende Ge- 
schlechter!“ Das wird einen Jubel geben, wenn die Künstler mit 
neugestimmten Lauten, mit Vivatbändern des Herrn Momme Nissen 
an unsere Landesgrenzen ziehen. Die Künstler, deren Kräfte man 
zu lascher Lüstlingstat vergewaltigte, werden jetzt der Liebe und 
der Fortpflanzung dienen. Wenn er nur Namen nennen wollte, der 
Herr Momme Nissen. Aber Lüstlinge reden sich immer auf ihre 
Opfer heraus. Künstler hingegen auf den großen Bruder: „Wie 
Hindenbtirg bei aller Neuheit seiner Kriegswerkzeuge gleich wie 
ein Bruder von Blücher dasteht, so sollte auch Neudentschlands 
Künstler bei aller technischen Neuerung und hoffentlich Vervoll- 
kommnung brüderlich nahe an die Seite von Dürer, Schlüter und 
Schwind treten.“ Hindenburg begnügt sich mit Blücher. Neu- 
deutschlands Künstler, Herr Momme Nissen, muß nahe an die Seite 
von drei Brüdern treten, die etwas abrücken. Weil der neue 
Bruder noch die hoffentlich Vervollkommnung zu brüderlich nimmt. 
Der große Bruder und die größeren Brüder sind immer Brüder von 
dem kleinen Bruder. Der kleine Bruder schimpft und der große 

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Bruder schläKt. Endlich „wird die lautere deutsche Volksseele, 
welche diesem Krieg einen so hehren Charakter eingeprägt hat, 
auch in der Kunst wieder ihren gebührenden Ehrenplatz erhalten.“ 
Herr Moinrne Nissen rückt also etwas auf die Seite. Monogramm 
des Herrn Momme Nissen; der eingeprägte Charakter. 

„Kunst ist kein triebhaft unbewußter Rausch, soll kein tändeln- 
des Schlürfen von Schleckereien sein. Sondern sie ist trotz des 
Unterstroms dunkler Gefühle von vorne bis hinten eine bewußt« 
und durchdachte Leistung des Geistes.“ Der erste Satz ist ziemlich 
besoffen. Man muß schon leicht berauscht sein, um Schleckereien 
tändelnd zu schlürfen. Der zweite Satz hingegen ist von vorne bis 
hinten geistreich. Kunst ist die Gestaltung des Triebhaft-Unbe- 
wußten. Die Kunst der Herren Momme Nissen und Genossen die 
bewußte und undurchdachte Verunstaltung der Leistung des 
Geistes eines Andern. „Der Darstellung einen starken packenden 
Inhalt zu geben, mit ausgereiften Mitteln eine große Idee, einen 
schönen Vorgang vor Augen zu bringen, sodaß sie Widerhall in 
unserm Innersten weckt, das ist keineswegs das Mindere, es ist 
vielmehr das unvergleichlich Höhere gegenüber der blossen Wie- 
Malerei.“ Viele Leute können sich eben das Gehen nicht denken, 
wenn sie keinen Vorgänger haben. Und dann behaupten sie noch 
hinterher, daß der Vorgänger nicht geht. Aber er geht doch, wenn 
es auch nicht geht. Diese Was-Maler sind so kindisch, daß sie 
glauben, sie können den Inhalt ohne Darstellung geben. „Wo man 
das Gegenständliche zugunsten eines reinsinnlichen Wühlens in 
Licht- und Farbengemischen für gleichgültig ausgab, da ist natur- 
gemäß, weil schließlich doch keine Kunst ohne Inhalt sein kann, 
ein gemeiner Gehalt bevorzugt worden.“ Also das Gegenständliche 
ist unsinnlich. Das stimmt für die Bilder der Herren Malermeister. 
Denn die nackten Damen, die je nach den Zutaten Wahrheit, Frei- 
heit und Schönheit darstellen sollen, sind nur Modelle des Künstler- 
vtMkchens. Geeignet für Liebesdienst, aber nicht für Kunst. Schön- 
heit ist also gemein, wenn sie nicht Venus heißt. Unter Venus tun 

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es die deutschen Künstler nicht. Und der blinde Geiger ist die j 
Darstellung des packenden Inhalts der Musik. Die Toteninsei liegt | 

in Genf. Alles keine Kunst mit Inhalt. „Doch jetzt weht ein Geist j 

der Wiedergeburt in unseren Landen.“ Diese Geburt in den Lüften 
macht der Kunstmaler, der Lauten stimmen läßt, zum berauschten j 
Dichter: „Unsere Kunst richtet sich selbst, wenn sie nicht imstande ] 
ist, diesen Geist in kostbare Schalen zu füllen.“ In der freien ' 

Natur liegt die Leinwand im kostbaren Goldrahmen auf der Erde, j 

Sie ist imstande. „Die langentbehrten großen Impulse, jetzt sind sie . 
ihr zugcflossen.“ Der Geist regnet. „Nutze, ergreife sie, deutsche 
Kunst; Du hast es doch früher vermocht.“ Es muß ergreifend sein, 
diesem Ergreifen der regnenden Wiedergeburt beizuwohnen. „Ziehe 
tiefe Furchen durchs Land.“ Mit Regen. „Forme ein reines Ab- 
bild der Heimat, schildere den vollen Zauber dieses Wortes, den . 
heiße Sehnsucht und bittere Sorge uns so lieblich verjüngt hat.“ j 
Die Herren formen eben immer nur Abbilder, nie Bilder. Wenn 
man den Zauber schildert, ist der ganze Zauber fort. ..Male das ■ 
meerumschlungene, das waldumringte Land und Volk, wo immer i 
Du Dich zu Hause fühlst, damit wir beglückt die segenbeladene Erde i 
erkennen und in Ehren halten, für die so namenlos schwer gestürmt, 
so viel geopfert worden ist.“ Wo immer Du Dich zu Hause fühlst. | 
„Verherrliche dem Liedersänger gleich die reckenhaften Helden, 
die Fürsten und Führer und alle die Taten der Vaterlandstreuen 
draußen wie daheim, damit die Vorbildlichkeit der Blütezeit bei 
Kind und Kindeskindern unvergessen bleibt.“ Die Vorbildlichkeit j 

der Blütezeit ist recht unbildhaft. „So wende denn die Kunst alle I 

Mittel, von alten Meistern erlernte wie der Neuzeit en- j 

stammte, umsichtig an, um einen warmen Strom der Liebe j 

in die Herzen zu leiten. Dann erst erfüllt sie ihre Sendung.“ Die , 

Mittel der -Herren Momme Nissen und Genossen reichen kaum für , 

eine W'asserleitung. Liebe ist menschlich, Kunst unmenschlich wie 1 

Gott. In das Göttliche wird Nichts hineingeleitet. Das j 

Göttliche fordert keine Gegenliebe. Und der Mensch, der es schaf- j 

fen kann, der ist der Künstler. ' 

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Verzeichnis 





Das Wissen um die Kunst .7 

Meisterateliergeheimnisse 

Die Vinnen gegen den Erbfeind 17 

Abwehr . , , , , 24 

Die Denunziation als Rettung 30 

Lexikon der deutschen Kunstkritik 32 

Die Preise und der Herbstsalon 33 

Nachrichtuiig ,36 

Der feine Herr Scheffler 41 

Herr Scheffler der Bilderfreund 43 

rb— trr — r , , 44 

Jos. & Joseph . 45 

Der Herr Direktor 49 

Aussicht auf Bode 51 

Der glückliche Gedanke 57 

Antwort , , 60 

Keineswegs reizvoll 63 

Die rote Frau . , , , 64 

Anton von Werner erlebt 66 

Mein neuer Freund 70 

Mein neuer Freund über Anton von Werner und sich selbst 71 

Mein neuer Freund über einen Kollegen und sich .... 72 

Mein neuer Freund als Politiker 73 

Der Altmeister 74 

Begas ,76 

Michels Reiniall , 79 

Die kranke deutsche Kunst H4 

Die liebelose Ausstellung 87 

Barmer Kunst , 88 

Höchste Preise , 90 

Münchener Kunst , . 91 

Münchner Kunstverein 93 

Dereinst 94 

Es geht nun einmal nicht .98 

Der Künstlerpräsklent loo 

Pietschvergnügt 102 

Avis für Kunstfreunde 104 


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Männchen , . 105 

Der Vater des Kubisten 106 

Die Münchener Zeichnenden Künste 107 

Ich bin eesessen . , , 108 

Der natürlichste Naturmaler 109 

Das Reich der Künste ,110 

Die ernste Kritik , 112 

Der neue Herr Direktor 120 

Ueber Malerei, insbesondere über tote und lebende QenuBtiere 122 

Die Kunststadt München 127 

Die Wacht an der Wupper 131 

Der Tafel als Lelirer 133 

Tafel als Oberlehrer 135 

Der Kunstpfeifer 136 

Professor Vogel will mitmachen 140 

Die Wacht in Charlottenburg 141 

Der menschliche Künstler _ . 143 


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Der Frauenmut / Lustspiel 

Überteufel Tragödie 

Ihr stilles Glück — ! / Drama 

Ein Taubenschlag / Lustspiel aus dem Leben einer 

Dienstherrschaft 

Napoleons Aufstieg / Tragödie 

Adolf Knoblauch 

Die schwarze Fahne / Roman 

Paul Scheerbart 

Glasarchitektur / In einhundertelf Kapiteln 
Sonderausgabe in zwanzig nummerierten 
und signierten Exemplaren auf Van Gelder Bütten. 
Deckel und Vorsatz von Anna Scheerbart 
Das Buch 25 Mark 

August Stramm 

Du / Liebesgedichte 

Gebunden 3 Mark 

Herwarth Waiden 

Gesammelte Schriften 

Band I: Kunstkritiker und Kunstmaler 
Jeder Band 2 Mark 


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Musik 

Herwarth Waiden 

Zehn Dafnislleder / Zu Gedichten von Arno Holz 
Für Gesang und Klavier 
Fünfzig Seifen / 3 Mark 

Nummer 1: Er hört mit ihr den Gukguk schreyn 
Einzelausgabe / 50 Pfennig 
Der Sturm / Heeresmarsch 
Für Klavier / Eine Mark 


Sturm-Bücher 

ii August Stramm 

Sancta Susanna 

II : August Stramm 

Rudimentär 

tili Mynena 

Für Hunde und andere Menschen 

IV: August Stramm 

Die Haidebraut 

V: August Stramm 

Erwachen 

VI: Aage von Kohl 

Die Hängematte des Riug6 

VH: Adolf Behna 

Zur neuen Kunst 

VHI: August Stramm 

Kräfte 

IX: Aaga von Kohl 

Die rote Sonne 

X:jAaga von Kehl 

Der tierische Augenblick 

XI: August Stramm 

Geschehen 

Jedes Buch 50 Pfennig 


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